Jahrgg. 17, Nummer 15, Seite 238
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Der Schatz der Inkas.

(El Sendador, Theil II.)

Reiseroman von Karl May.
14. Fortsetzung

Da wir uns dem Rio Corrientes näherten, welcher die Hauptverkehrsader des Landesinneren bildet, so mehrten sich die Anzeichen des kommerziellen Lebens. An diesem Flusse liegt Palmar, wohin wir wollten und welches wir am frühen nachmittag erreichten. Die Stadt ist nicht groß, treibt aber einen bedeutenden Handel und hatte zur jetzigen Zeit einen sehr militärischen Anstrich, da sie den Ausgangspunkt der von Norden her gegen Lopez Jordan gerichteten Unternehmungen bildete. Da gab es Soldaten aller Art, über deren Aussehen ein deutscher Landwehrmann den Kopf geschüttelt hätte. Doch machten sie immerhin einen bessern Eindruck als diejenigen, welche ich bei Jordan gesehen hatte. Als wir ankamen, sahen wir sie rechts und links vom Wege exerzieren.

Das Städtchen liegt nicht direkt am Flusse, sondern es wird durch Moräste von ihm getrennt, welche man durch Schilfdämme wegbar gemacht hatte. Der Oberst hieß uns im Galopp bis auf die Plaza reiten und vor der Casa de Ayuntamiento, dem Rathause, halten, welches einem Lüneburger Heidehofe ähnlicher sah als dem Sitze einer städtischen Behörde.

Dort stellte er sich dem Platzkommandanten vor, wobei der Bruder und ich ihn begleiten mußten, um ihn bei der Erzählung des Vorgefallenen zu unterstützen. Der Erfolg dieses Berichtes war, daß die Offiziere der Aufständischen im Stadthause eingeschlossen und ihre Soldaten in mehrere Korrals gesperrt wurden, um später abgeurteilt zu werden. Uns aber lud der Herr, einschließlich aller meiner Begleiter, zum Essen ein.

Die ohne einen einzigen Schuß oder Schwertstreich erfolgte Gefangennahme der an Zahl so überlegenen Gegner und die Erbeutung so vieler Pferde, an welchen großer Mangel war, galt natürlich für eine vielverheißende Einleitung der kriegerischen Tätigkeit des Obersten. Und da er diesen Erfolg uns zu verdanken hatte, so erging er sich in den zartesten Aufmerksamkeiten gegen uns. Er forderte uns auf, möglichst lange in Palmar zu bleiben, und versprach, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen und uns dann mit allem für unsere Weiterreise Nötigen reichlich zu versorgen. Sein Erstes war, uns ein möglichst gutes Quartier anzuweisen. Wir fanden dasselbe in dem Hause eines reichen Handelsherrn, welcher sich mit der Ausfuhr von Landesprodukten beschäftigte. Bei ihm wurden wir sehr freundlich aufgenommen und teils in zwei Gaststuben, teils in einem für die Dienerschaft bestimmten Nebengebäude untergebracht.

Was mich betraf, so zog ich es vor, mich sofort schlafen zu legen, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mein Pferd sich in guter Pflege befinde. Die Stadt bot gar nichts Sehenswertes, und nach den gehabten Anstrengungen war eine ausgiebige Ruhe das allernötigste für uns.

Der Frater, Turnerstick und sein Steuermann legten sich auch schlafen. Die andern zogen es vor, sich in der Stadt zu vergnügen. Dies war auch der Fall mit Gomez, dem Indianer, dessen Mutter durch das unfreiwillige Bad im Parana ganz nachhaltig wieder hergestellt zu sein schien. Sie waren gegangen, um sich mit ihren Stammesgenossen zu unterhalten, welche in der Stadt lebten oder auch in das hier befindliche Militär getreten waren. Gomez gehörte zu dem Stamm der Aripones, welche ihren hauptsächlichsten Aufenthalt zwischen dem Rio Salado und Rio Vermejo haben und in Folge dessen die besten Kenner des geheimnisvollen Gran Chaco sind.

Als es längst dunkler Abend war, kam er, mich zu wecken. Er entschuldigte das damit, daß er Abschied nehmen müsse, weil er Ursache habe, Palmar sofort zu verlassen. Als ich ihn nach dem Grunde fragte, antwortete er:

»Ich muß sofort in meine Heimat gehen, da die Meinigen sich in Gefahr befinden, aus ihren Wohnsitzen verdrängt zu werden. Ich habe sie zu warnen.«

»Wo befinden sich diese Wohnsitze?«

»Jenseits des Parana, zwischen dem Rio Salado und dem oberen Lauf des Rio Vivoras.«


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»Gibt es dort nicht eine Reihe verlassener Ansiedelungen?«

»Ja. Es waren vor langer, langer Zeit Weiße eingewandert, welche sich aber nicht halten konnten - der - der Indianer wegen, die sich feindlich gegen sie verhielten. Die Weißen haben fortgemußt, und ihre Häuser sind zerfallen. Jetzt kommen abermals welche, um uns aus unserem Reviere zu vertreiben. Sollen wir gehen, ohne uns gewehrt zu haben?«

»Was wollen diese Leute dort? Es gibt doch anderwärts Land genug, welches bequemer liegt und weit fruchtbarer ist. Warum ziehen sie gerade jene Gegend vor, welche zu dem wilden Gran Chaco gehört?«

»Dasselbe sagen und fragen auch wir. Es gibt so viel Platz, daß man uns in Ruhe lassen kann.«

»Was für Leute sind denn diejenigen, von denen Sie sprechen?«

»Sie sind teils aus Buenos Ayres herauf und aus Corrientes herunter gekommen. Ihre Anführer sind ein nordamerikanischer Ingenieur und der Bevollmächtigte eines Bankiers in Buenos. Sie wollen den Rio Salado tiefer und breiter machen, damit Dampfer denselben befahren können. Ist das geschehen, so wollen sie in dem dichten Walde, welcher sich weit, weit am linken Ufer des Flusses hinzieht, Bäume fällen und Yerba sammeln lassen, um beides auf dem Salado in den Parana gehen zu lassen und sich viel Geld zu verdienen.«

»Haben sie Konzession dazu?«

»Das weiß ich nicht. Die beiden Anführer sind hier in Palmar gewesen, weil der Führer, den sie haben wollten, sich hier befand. Die anderen Leute, welche zu dieser Expedition gehörten, blieben an der Mündung des Flusses zurück, um ihre Rückkehr dort zu erwarten.«

»Ist die Gesellschaft zahlreich?«

»Ja. Eine Anzahl Männer sind mit Booten den Rio Salado hinauf, um die anderen dort zu erwarten, welche mit zahlreichen Ochsenwagen nach den alten Ansiedelungen gehen.«

»Ist es denn möglich, mit solchen Wagen dieses Ziel zu erreichen?«

»Ja. Nur in der Nähe des Parana bieten sich solche Schwierigkeiten, daß die Wagen zerlegt werden müssen. Die Teile derselben werden ebenso wie das Gepäck von den Ochsen so weit getragen, bis man freien Camp findet. Dann setzt man die Wagen wieder zusammen und kann bis zu den Ansiedelungen fahren. Man scheint zu denken, daß diese Schwierigkeiten nicht schwer zu überwinden seien, denn mehrere der Männer haben ihre Frauen und Kinder mitgenommen.«

»Dann ist es allerdings auf einen längeren, wohl gar bleibenden Aufenthalt abgesehen.«

»Jedenfalls. Da aber mein Stamm in der Nähe der alten Ansiedelungen wohnt und das Land für sein Eigentum hält, so wird es ganz gewiß zu einem Zusammenstoße kommen. Ich muß also schleunigst hin, Sennor. Auch kenne ich die Gebräuche der Weißen besser als meine Genossen, und da ich gut Spanisch spreche, kann ich auch als Dolmetscher von großem Nutzen sein, obgleich der Führer der Weißen unsere Sprache so genau versteht, als ob er zu uns gehörte. Er ist der berühmteste weiße Kenner des Gran Chaco.«

»Wie heißt er?«

»Geronimo Sabuco.«

»Ah! Ist's etwa der, welcher gewöhnlich nur el Sendador genannt wird?«

»Ja. Kennen Sie ihn?«

»Persönlich nicht. Aber Sie müssen doch wohl gehört haben, daß ich mit meinen Gefährten oft von ihm gesprochen habe?«

»Sie haben von einem Sendador gesprochen; aber es gibt deren so viele, daß ich nicht wissen konnte, welchen Sie meinen.«

»Vielleicht irren Sie sich, und es ist ein anderer. Wir waren überzeugt, ihn weit nördlicher zu finden.«

»Es ist Sabuco, kein anderer. Suchen Sie ihn?«

»Ja. Wir wollen zu ihm, um ihn als Führer zu engagieren.«

»Da kommen Sie nun zu spät. Er ist schon engagiert.«

»Aber wir wollen und müssen ihn haben. Wir sind nur deshalb hierher gekommen, um ihn im Gran Chaco aufzusuchen.«


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»Wenn dies der Fall ist, Sennor, so freue ich mich, weil Sie dann jedenfalls mit mir gehen werden, denn anders können Sie ihn nicht finden.«

»Das ist richtig. Ich werde mich mit meinen Gefährten besprechen.«

»So tun Sie das bald, da ich noch vor Anbruch des Morgens fort will. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Je schneller ich reise, desto eher kann ich meinen Stamm warnen.«

»Es fragt sich, ob Ihnen das noch zur rechten Zeit möglich ist. Können Sie die Expedition denn nicht einholen?«

»Ja, denn sie ist vor fünf Tagen von hier aufgebrochen, aber diese Leute reisen mit Ochsenkarren, also sehr langsam, während ich aber reiten werde.«

»Wie lange reitet man bis zu den alten Ansiedelungen?«

»Vom Parana aus ungefähr zehn Tage, während man zu Wagen wenigstens fünfzehn braucht. Ich muß diese Leute also erreichen, bevor sie an ihr Ziel kommen, werde mich aber nicht vor ihnen sehen lassen, da sie nicht zu wissen brauchen, daß ich meinen Stamm benachrichtigen will. Sie würden mich natürlich daran zu hindern suchen.«

»Da Sie Ihre Mutter mitnehmen, können Sie keine sehr bedeutenden Tagesmärsche machen, welche die Frau übermäßig anstrengen würden. Darum ist es sehr wahrscheinlich, daß Sie doch zu spät kommen. Und so liegt an einer kleinen Versäumnis von wenigen Stunden auch nicht viel. Sie können immerhin warten, bis es Tag geworden ist.«

»Nein, Sennor. Wenn Sie nicht eher aufbrechen wollen, so reite ich allein. Was hindert Sie denn, eher aufzubrechen?«

»Erstens der Umstand, daß Tiere und Menschen einmal ausruhen müssen. Und sodann reitet man nicht nach dem Gran Chaco, ohne die dazu nötigen Vorbereitungen zu treffen.«

»Das ist wahr. Zwei Personen bedürfen nicht viel; Sie aber zählen mehr.«

»Und wie kommen wir über den Parana?«

»Wir warten ein Schiff oder Floß ab, das uns übersetzt.«

»Dabei können wir viel Zeit verlieren. Nein; ich werde mit dem Obersten und dem Platzkommandanten sprechen. Hoffentlich stellen sie uns einige Fahrzeuge zur Verfügung, mit denen wir den Rio Corrientes hinab in den Parana fahren und am jenseitigen Ufer des letzteren anlegen können. Das würde für uns eine große Zeitersparnis bedeuten.«

»Sennor, Sie haben recht. Ich sage Ihnen, daß ich die Gegend genau kenne. Die großen Sümpfe, welche an den Ufern des Parana liegen, halten jeden Reiter nicht nur auf, sondern können ihm sogar höchst gefährlich werden. Ich aber kenne eine schmale Wasserbucht, welche der Parana weit in das Land hineinsendet. Bekommen wir Kähne, so können wir dieselben benutzen und an der Sumpfregion vorüber kommen.«

»Also eine Art Bayou, wie man im Norden diese toten Flußarme nennt? Das ist sehr gut. Sie sehen aber ein, daß ich die beiden Herren, mit denen ich sprechen will, nicht jetzt mitten in der Nacht wecken darf. Also werden Sie warten?«

»Unter diesen Verhältnissen, ja. Vorausgesetzt natürlich, daß Sie wirklich mitreiten.«

»Auf alle Fälle. Wir müssen den Sendador finden, und da er nach den Ansiedelungen ist, werden wir ihm folgen. Wie aber steht es mit dem Wege, welchen wir bis dorthin zurückzulegen haben? Ist er sehr beschwerlich?«

»Nein, wenn wir einmal über den Parana und seine Sümpfe hinüber sind. Wo ein Fluß ist, gibt es freilich Moor und große Feuchtigkeit, sowie weite, dichte Waldungen. Auch findet man bedeutende Strecken, in denen man nichts als Sand und wieder Sand findet. Aber Sie haben auch herrliche Camposstrecken, welche von schönen Gehölzen unterbrochen sind. Die Hauptsache ist, daß Sie einen Führer haben, welcher die Gegend kennt.«

»Nun, den werden wir wohl in Ihnen finden?«

»Ja. Noch bewanderter aber ist mein Vetter Gomarra, welchen ich Ihnen empfehlen kann. Der allererfahrenste freilich ist Geronimo Sabuco. Wenn Sie den finden, so bringt er Sie durch den ganzen Chaco, ohne daß Sie eine Ahnung bekommen, wie gefährlich er eigentlich für den Fremden, besonders für den Weißen ist.«


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»Warum gerade für den Weißen?«

»Weil dieser nicht an das Klima gewöhnt ist und also bald das Fieber bekommt. Und sodann, weil es für ihn noch andere und weit schlimmere Gefahren gibt.«

»Welche? Wilde Tiere?«

»Ja. Der Jaguar ist gefährlich.«

»Pah, den fürchten wir nicht. Aber Sie sprachen auch von wilden Menschen, welche jedenfalls noch gefährlicher als die Jaguars sind.«

»Wilde Menschen? Da meinen Sie natürlich uns Indianer. Glauben Sie wirklich, daß wir zu den Wilden gezählt werden müssen?«

»Von Ihnen persönlich will ich nicht reden; aber denken Sie, daß man zum Beispiel die Aripones unter die hochgebildeten Völker rechnen muß?«

»Nein. Aber wer ist schuld, daß wir nicht mehr das sind, was wir früher waren? Wer hat uns aus unseren früheren Wohnsitzen vertrieben, so daß wir nun in den Wildnissen leben müssen, die man uns nun auch nicht länger gönnen will? Müssen wir nicht die Weißen hassen? Müssen wir uns nicht ihrer zu erwehren suchen, wenn sie immer auf uns eindrängen, so daß wir nicht einmal im wilden Chaco in Ruhe gelassen werden?«

»Sie mögen nicht unrecht haben. Ich gebe zu, daß Sie erbittert sein müssen. Aber Ihre Art, sich zu verteidigen durch Raub und Mord, ist die der echten Wilden.«

»Sennor, besteht nicht jeder Krieg aus Raub und Mord? Geben Sie uns Ihre Waffen und Ihre Vorteile, so können wir uns anders verteidigen. Bis dahin aber müssen wir uns der Waffen bedienen, welche wir besitzen.«

»Ist es nicht schrecklich, Menschen zu überfallen, um sie zu töten oder sie mit in die Wildnis zu schleppen, um sie später gegen hohes Lösegeld freizugeben?«

»Ja, das ist schrecklich, Sennor. Aber wer tut das? Wer hat es zuerst getan? Wer hat uns diese Weise der Kriegsführung gezeigt?«

»Die Weißen etwa?«

»Sie glauben es nicht? Nun, so denken Sie doch an das gegenwärtige Beispiel! Der Sendador führt eine ganze, große Gesellschaft Weißer über den Parana. Die Leute wollen an den Rio Salado, welcher uns gehört. Sie wollen in unserem Gebiete wohnen und auf demselben Yerba suchen und die Wälder niederschlagen, die uns gehören und ohne welche wir nicht leben können. Ist das nicht Überfall? Haben sie uns um die Erlaubnis gefragt? Werden sie uns das bezahlen, was sie uns nehmen, den Fluß, die Wälder, die Yerba, die Bäume? Nein! Und wenn wir uns sträuben, uns berauben zu lassen, so greifen sie nach ihren Waffen und wenden Gewalt an. Wie viele von uns dabei getötet werden, das erzählen sie nicht. Und wenn sie ja davon sprechen, so rühmen sie sich dessen. Habe ich recht oder nicht, Sennor?«

Ich zögerte mit der Antwort, denn ich konnte ihm nicht Unrecht geben. Dann fuhr er fort:

»Wenn Sie also von Raub und Mord sprechen, so klagen Sie die Weißen an, aber nicht uns. Sie sind die Angreifer, während wir uns nur verteidigen.«

»Aber verteidigt man sich durch die Entführung von Frauen und Mädchen?«

»Ja, wenn einem sonst kein Mittel übrig bleibt.«

»Sie haben andere Mittel, Ihre Waffen.«

»Das können Sie sagen, weil Sie fremd im Lande sind. Die Weißen haben Gewehre, Pulver und Patronen. Wir aber besitzen nur Spieße und Pfeile, mit denen wir gegen sie nichts vermögen. Muß es da nicht unser Bestreben sein, auch Gewehre zu erhalten?«

»Freilich wohl.«

»Nun, kaufen können wir sie uns nicht, denn wir haben kein Geld. Die Weißen haben uns das gute Land weggenommen, so daß wir weder Estanzias noch Ranchos besitzen. Wir können uns nichts verdienen. Darum nehmen wir, wenn sich uns Gelegenheit dazu bietet, die Frauen und Töchter der Weißen gefangen und geben sie ihnen gegen ein Lösegeld zurück, für welches wir uns dann kaufen, was wir brauchen.«

(Fortsetzung folgt.)
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