Jahrgg. 17, Nummer 39, Seite 618
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Der Schatz der Inkas.

(El Sendador, Theil II.)

Reiseroman von Karl May.
38. Fortsetzung

»Halten Sie sie hier nicht für sicher? Wir haben ja rundum Wasser.«

»Aber nicht genug Leute zur Bewachung, wenn wir gegen den Sendador kämpfen müssen. Auch wissen wir nicht, wie dieser Kampf endet. Bleibt er Sieger, wenn auch nur für kurze Zeit, so befreit er diese Leute.«

»So müssen wir sie auf meinen Felsen schaffen. Es gibt dort Räume, die ich Ihnen noch gar nicht zeigen konnte.«

»Aber wie bringen wir sie hinauf? Sie einzeln am Baume empor tragen, das ist doch unmöglich!«

»Auch gar nicht nötig. Ich bin darauf vorbereitet, größere Lasten empor zu schaffen. Zu diesem Zwecke gibt es eine Art Grua [*) Krahn] oben, der mehrere Mann trägt. Aber ich habe mir diese Menschen nur angesehen, und noch mit keinem gesprochen. Wollen wir nicht ein Verhör mit ihnen anstellen?«

»Jetzt nicht. Vor allen Dingen hinauf auf den Felsen mit ihnen! Und damit sie dann nicht wissen, wo sie sich befinden, lassen Sie ihnen die Augen verbinden. Die Knebel wollen wir ihnen jetzt nehmen, denn nun können sie schreien und lärmen wie es ihnen beliebt, ohne daß wir einen Schaden davon haben.«

Der Desierto erteilte die nötigen Befehle. Auf einige laute Rufe kamen die Boote von den anderen Inseln herbei; auch die Fähre wurde geholt, mit deren Hilfe die Mbocovis bequemer hinüber nach dem Ufer geschafft werden konnten.

Es herrschte ein unbeschreiblicher Jubel unter den Tobas. Die Gefangenen hatten Schimpfreden anzuhören, wie sie nur ein südlicher Indianer sich auszusinnen vermag. Ich stand von ferne mit Pena, welcher mich fragte:

»Wollen wir nicht auch mal hin zu den Gefangenen?«

»Ich nicht, wenigstens jetzt nicht. Warten wir, bis sie sich oben auf dem Felsen befinden. Ich habe mit dem Yerno ein ernstes Wort zu reden.«

»Worüber?«

»Über jenen Horno, von welchem die Rede gewesen ist. Wie lange befindet sich dieser Mann bei den Mbocovis?«

»Davon wurde nicht gesprochen. Es war eben eine flüchtige Erwähnung. Der Häuptling meinte, wenn man den Desierto ausraube, brauche man von ihm kein Lösegeld für Horno zu verlangen und könne diesen nun töten.«

»Mir fällt auf, daß der Desierto das Geld hat zahlen sollen.«

»Vielleicht ist Horno ein Verwandter von ihm.«

»Ich habe eine andere Vermutung. Horno ist ein Deutscher, namens Horn, und zwar ist er derjenige junge Mann, welcher im Verdachte steht, mit dem Gelde des Desierto davongegangen zu sein.«

»Wetter! Wie kommen Sie auf diese Idee?«

»Auf die leichteste Weise der Welt: ein deutscher Name, der Desierto als Zahler des Lösegeldes; das genügt mir einstweilen. Der junge Mann hat durch den Gran Chaco gemußt, ist überfallen, ausgeplündert und gefangen genommen worden.


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Die Roten dieser Gegend unternehmen doch, wie man allgemein weiß, große und weite Züge, um Menschen zu rauben und dann Lösegelder zu erpressen. Horn hat gesagt, daß der Desierto ihn loskaufen werde; er hat vielleicht gar von dem großen Reichtume des Alten gesprochen, und da haben die Mbocovis, von dem Sendador und dem Yerno veranlaßt, es vorgezogen, sich das ganze Vermögen anstatt nur ein Lösegeld zu holen.«

»Hm! Das klingt ganz einleuchtend. Wir müssen es natürlich sofort dem Desierto mitteilen!«

»Nein! Wir dürfen nicht eine Hoffnung in ihm erwecken, welche vielleicht nicht in Erfüllung geht. Ich frage zunächst den Yerno.«

»Er wird nicht antworten.«

»So löse ich ihm die Zunge mit der Peitsche.«

»Ah, Sie sind doch stets und streng gegen solche Gewalttätigkeiten gewesen!«

»Mit vollem Rechte. Hier aber ist eine Ausnahme vorhanden. Hat dieser Yerno nicht uns beide morden wollen? Beabsichtigte er nicht, den Tobas den Pardon zu versagen? Und sollen wir einen solchen Halunken schonen, nur damit ein braver Mann länger bei den Mbocovis schmachtet und endlich, wie wir vernommen haben, gar ermordet wird? Nein, der Mann bekommt Prügel nach Zweiunddreißigstel-Noten, wenn er nichts gesteht. Wir nehmen ihn sofort vor, sobald er sich auf dem Felsen befindet.«

»Wir beide allein?«

»Wir beide und zwei Indianer, welche die Peitsche führen.«

»So kommen Sie! Wir sind ja fast die Letzten hier auf der Insel.«

Er hatte recht. Wir kamen gerade noch zur rechten Zeit, um in dem einzigen vorhandenen Kahn, welcher sich zur Abfahrt anschickte, notdürftig Platz zu finden. Man hatte uns ganz vergessen, uns, die wir nach Penas Ansicht die Hauptpersonen des heutigen Abends waren.

Das Ufer bot jetzt einen fast feenhaften Anblick. Es waren Fackeln herbeigeschafft worden. Alle Welt war von den Inseln gekommen, um die Gefangenen zu sehen, und alle Welt, weiblich und männlich, trug eine brennende Fackel in der Hand. Man hatte den Mbocovis die Füße frei gegeben, daß sie laufen konnten, aber ihre Gesichter oder vielmehr die ganzen Köpfe waren mit Bastmatten umwickelt. Sie wurden von den Kriegern geführt. Voran und hinterher schritten die Amazonen mit ihren Waffen, an der Spitze Unica, welche ich heute abend zum ersten Male sah, da sie auf der Hauptinsel nicht gewesen war. Hinter ihr stieg der Tambour einher, welcher den größtmöglichen Lärm machte. Dann folgten die Dorfbewohner bunt durch einander, lachend, schreiend, jubelnd. Es war ein wahrer Hexensabbat, bei welchem ich nicht die Gedanken und Gefühle der Gefangenen hätte haben mögen, welche nach dem Brauche des Gran Chaco unbedingt ihr Leben verwirkt hatten.

An der einen Seite des Felsens wurde Halt gemacht. Rufe erschollen von oben, und ein starkes Tau wurde herabgelassen. Man befestigte einen Gefangenen nach dem andern daran, um sie einzeln emporzuwinden. Wohin sie verschwanden, konnte ich nicht sehen, da das Licht der Fackeln nicht so hoch reichte.

Wir beide hielten uns auch jetzt fern und sahen von weitem zu. Dann gingen wir zur Algarobe, um hinaufzuklettern und zu versuchen, ob wir Eingang finden würden. Die Türe stand offen und wir traten ein.

Im Vordergange brannte ein Talglicht; ebenso fanden wir in jedem Raume, durch welchen wir kamen, eins. Es galt zunächst, uns umzukleiden, was in zwei Minuten geschehen war. Dann gingen wir weiter bis in die große Rinden-Niederlage, wo wir wohl ein Dutzend Indianer und auch den Desierto fanden, welche mit den Gefangenen beschäftigt waren.

Man hatte im hinteren Teil dieses Raumes die Wand von den aufgestapelten Rinden frei gemacht, und da sah ich einen vorher verborgenen Eingang zu einem langen, niedrigen Gewölbe, in welchem ganz regelrecht geböttcherte Fässer lagen. Zwischen diese legte man die Gefangenen nieder, denen man die Füße wieder gebunden hatte.


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»Denken Sie, daß sie sicher hier sind?« fragte mich der Desierto mit einer Miene, welche sehr deutlich die Erwartung ausdrückte, daß ich über diese neue Räumlichkeit erstaunen werde.

»Vollständig!« antwortete ich. »Hier holt sie selbst der Sendador nicht heraus.«

»Nein, sondern wir holen ihn herein! Nachdem ich mit dem Boote von dem Ufer, an welches ich Sie beide gebracht habe, zurückgekehrt war, habe ich sofort zwei Eilboten abgesandt, welche meine von ihrem Zuge zurückkehrenden Krieger zur größten Schnelligkeit ermahnen sollen. Ich hoffe, daß sie eher da sein werden als der Sendador. Dann aber wehe ihm!«

»Und wenn er eher kommt?«

»So greifen wir abermals zur List.«

»Zu welcher?«

»Hm!«

Er blickte sinnend nieder, und sein bisher so zuversichtliches Gesicht nahm einen recht bedenklichen Ausdruck an.

»Das Brummen bringt uns nicht weiter,« sagte ich. »Mit Hm und wieder Hm fangen wir keinen Sendador.«

»Das weiß ich, Herr, und darum werde ich es Ihnen überlassen, sich einen Plan auszudenken.«

»Jetzt schwerlich. Ich bin im höchsten Grade abgestumpft und ermüdet, wie Sie sich wohl denken können. Ich und Sennor Pena müssen unbedingt schlafen.«

»Ich denke, Sie sollen mir Ihr heutiges Abenteuer noch erzählen, ausführlicher, als es vorhin geschehen konnte!«

»Heben wir uns das für morgen auf! Wer weiß, was der morgende Tag für Ansprüche an uns macht, und da müssen wir ausgeruht haben.«

»So schlafen Sie! Aber wie nun, wenn der Sendador während der Nacht kommt?«

»Das ist unmöglich. Senden Sie ihm beim Grauen des Tages Kundschafter entgegen!«

»Weiß ich denn die Richtung, aus welcher er kommen wird!«

»Wenn Sie nicht, so weiß ich sie. Er wird sicherlich genau auf der Fährte kommen, welche die Mbocovis gemacht haben; sie mag also Ihren Kundschaftern als Wegweiser dienen. Doch müssen diese Leute barfuß gehen und, sobald sie den Feind erblicken, genau auf ihren eigenen Stapfen umkehren. Dann wird man ihre neue Spur von der alten der Mbocovis nicht unterscheiden können.«

»Wollen wir denn nicht wenigstens die Gefangenen verhören?«

»Sie erfahren nichts von ihnen. Warten wir bis morgen. Wenn Sie ernstlich wünschen, daß wir Ihnen dienlich sein sollen, so gönnen Sie uns die Ruhe!«

»Nun wohl, ich will nicht weiter in Sie dringen und werde Ihnen eine Stube anweisen.«

»Danke! Wir schlafen im Grase Ihres Gartens, welches für uns das beste und bequemste Lager ist.«

»Aber, Herr, was denken Sie! Zwei Deutsche, welche meine Retter sind, soll ich unter dem freien Himmel im Grase schlafen lassen? Dazu haben Sie bei all den Anstrengungen noch nicht gegessen!«

»Ist nicht notwendig. Wir wollen nur Ruhe, weiter nichts. Für alles übrige ist nach dem Schlafe auch noch Zeit. Vergessen Sie die Kundschafter nicht! Das ist das einzige, was ich Ihnen einzuschärfen habe, und nun gute Nacht!«

Ich nahm Pena beim Arme und zog ihn mit mir fort. Der Desierto wollte uns folgen, jedenfalls um uns noch weitere freundschaftliche Vorstellungen und Anerbietungen zu machen; ich schob ihn aber zurück. Er war jetzt ein ganz anderer als vorher. Das Starre, Todesähnliche war verschwunden; er hatte Geist, Farbe und Leben bekommen.

Draußen im Garten streckten wir uns im Gras nieder. Unten am Felsen erscholl noch die Trommel; schrille Pfeifen und harte Klappern fielen ein; hundert Stimmen sangen, jede derselben klang anders. Man hätte glauben sollen, daß es ganz unmöglich sei, bei einem solchen Lärme einzuschlafen; aber ich lag kaum auf dem Rasen, so fielen mir die Augen zu, und nur wie im Traume hörte ich eine weibliche Stimme rufen:

»Sennores, wo sind Sie?«


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Pena brummte, auch er war bereits im Entschlummern gewesen.

»Sennores, Sennores!« rief es wieder.

»Ah! Da sind wohl wir gemeint?« fragte der Gefährte.

»Vermutlich. Es ist Unicas Stimme.«

Das Mädchen kam näher. Wir wollten uns nicht als Grashüpfer erwischen lassen und antworteten also nicht; aber sie entdeckte uns doch. Pena blieb liegen, als ob er fest schlafe; ich aber setzte mich auf, reichte ihr die Hand entgegen und fragte:

»Sie wollen uns gute Nacht sagen, Sennora?«

»Ja, gute Nacht und Dank.«

»Das Erste nehme ich an; das Zweite aber nicht.«

»Sie müssen! Sie haben uns gerettet, und doch achtet niemand auf Sie! Der Oheim hat mir gesagt, daß Sie nirgend anderswo schlafen wollen als hier, und ich kann Sie zu keiner Änderung dieses Entschlusses bringen; aber meinen Dank muß ich Ihnen mit in den Schlummer geben.«

»Wieder Dank! Nun, ich will Ihnen sagen, wie Sie uns noch heute recht herzlich danken können. Nennen Sie uns den Namen, welchen der Oheim verschwiegen wissen wollte.«

»Herr, warum gerade das?«

»Den Grund sage ich Ihnen am Tage. Also bitte, wie hieß jener untreue, undankbare Deutsche?«

Sie zögerte eine Weile, dann erklang es leise:

»Adolf Horn. Aber jetzt Sennor, muß ich fort. Gute Nacht!«

Sie eilte der Türe zu.

»Halt, Sennora, noch eins!« rief ich ihr nach.

»Ich darf nicht mehr sagen!« antwortete sie zurück. »Gute Nacht!«

»Sie sollen auch nichts sagen, sondern ich will Ihnen was mitteilen.«

Sie blieb stehen.

»Was denn, Sennor?«

»Sennor Adolfo Horn ist vollständig unschuldig.«

»Adolfo Horno! Sie wissen, wie sein Name hier ausgesprochen wurde! Sie sagen, er sei unschuldig! Himmel! Woher wissen Sie es? Sagen Sie es, schnell, schnell!«

Sie stand schon wieder bei mir.

»Jetzt nicht, Sennora,« antwortete ich. »Ich habe heute gehört, daß dieser brave junge Mann sich unterwegs nach hier befindet, und hoffe, daß Sie ihn recht bald sehen werden.«

»Das sagen Sie in diesem kalten Tone! Sennor, von wem haben Sie es erfahren?«

»Von - von - - aber bitte nun endlich, Sennora, ich muß schlafen!«

»Sie, ja! Aber ich werde nun nicht schlafen können!«

»Das schadet Ihnen nichts, denn Ihr Geist wird sich auch im Wachen mit etwas sehr Angenehmem beschäftigen.«

»Sennor, ich muß gehorchen. Aber wissen Sie vielleicht - -«

»Nun, was?«

»Daß Sie es gar nicht verstehen, mit einer jungen Sennorita umzugehen?«


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»Das weiß ich leider schon längst, und nun bitte, gehen Sie zum Oheim, und sagen Sie ihm, daß er Herrn Horn aus Graz sehr unrecht getan hätte. Er soll aber ja nicht auch noch kommen, um mich zu fragen. Gute Nacht!«

»Ja, ja, Sie haben recht. Der Onkel muß es sofort erfahren. Gute Nacht!«

Jetzt ging sie in Wahrheit fort.

»Hm!« brummte Pena. »Er ist es also doch!«

»Natürlich! Ich hatte das sichere Gefühl, daß ich mich da nicht irren könne.«

»Dann Prosit die Mahlzeit, Sennor Yerno! Morgen bricht jedenfalls nicht der schönste Tag deines Lebens an!«

Das dachte ich auch; eine halbe Minute später aber dachte ich überhaupt nichts mehr, denn ich war eingeschlafen. Der reiche Sauerstoff macht, wenn man im Freien schläft, daß man viel eher erwacht und sich mehr gestärkt und erquickt fühlt, als wenn man im Zimmer geschlafen hat. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich mir den Tau von der Jacke schüttelte und aufstand. Pena erwachte von dem Geräusch dieser Bewegung und sprang auch auf.

»Guten Morgen! Wieder munter?« grüßte er.

»Gruß zurück! Wie eine Forelle.«

»So kann es also mit dem Yerno losgehen?«

»Ja. Aber vorher wollen wir ein Bad nehmen. Kommen Sie!«

»Dann wecken wir den Desierto auf!«

»Nein. Wir laufen gleich am Kran hinunter.«

»Wenn Sie das laufen nennen, so möchte ich Sie dann auch einmal klettern sehen!«

Der Kran stand von gestern abend noch aufgerichtet. Er bildete ein Balkendreieck, von dessen nach außen über die Mauer hinaus gerichteter Spitze das Tau hinunter hing. Durch einen ebenso einfachen wie sinnreichen Mechanismus war er sowohl zu bewegen als auch aus einander zu nehmen und wieder zusammen zu fügen. Der alte Desierto hatte wirklich hier in dieser Wildnis außerordentlich viel zu Stande gebracht. Ich kletterte an dem schrägen Balken hinaus bis zum Seile und ließ mich an demselben hinab. Pena folgte mir. Als wir unten angelangt waren, kam ihm ein Bedenken.

»Baden?« fragte er. »Es gibt ja Krokodile massenweise in der Lagune!«

»Ich sah eine Stelle, wo es gewiß keine gibt. Kommen Sie nur!«

Etwas aufwärts vom Landeplatze war ein Viereck abgedämmt, welches den Indianern jedenfalls als Badebassin diente. Dort erquickten wir uns in dem frischen Wasser und gingen dann ins Dorf, wo alles bis auf einen einzigen Menschen noch zu schlafen schien. Dieser Einzige stand an der Türe und sah nach dem Wetter aus, gerade wie ein deutscher, zivilisierter Spießbürger des Morgens seinen Kopf aus der Türe steckt, um zu erfahren, ob es Sonnenschein oder Graupelwetter geben werde. Er hatte zu den Männern gehört, welche gestern in dem Bethause postiert waren, und konnte ein wenig spanisch radebrechen. Das war


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mir lieb. Ich sagte ihm, er solle noch einen kräftigen Kameraden holen und dann mit uns kommen. Er ging, um diesen Befehl auszuführen, und kam bald mit noch einem Indianer. Sie folgten uns, nachdem wir ihnen gesagt hatten, daß wir hinauf auf den Felsen wollten. Da, wo das Seil des Krans die Erde berührte, blieb ich stehen und warf Pena einen fragenden Blick zu. Er nickte lächelnd, und so ergriff ich das Tau und turnte mich empor. Pena tat dasselbe. Wir riefen den beiden Roten zu, uns zu folgen, und sie gehorchten. Oben angekommen, schwang ich mich auf den schrägen Balken, um nach dem Garten hinüberzurutschen. Pena war hart hinter mir. Da bot sich uns, indem wir abwärts blickten, ein höchst interessantes Bild.

Der erste Rote hatte ziemlich die Hälfte des Seiles, der Zweite aber den vierten Teil desselben zurückgelegt. Beide konnten nicht weiter, schämten sich aber, dies einzugestehen. Sie blickten bald zu uns herauf und bald zur Erde nieder, bis den ersten die Kraft verließ. Er sauste am Seile nieder und dem Zweiten mit solcher Gewalt auf den Kopf, daß dieser sich nun auch nicht zu halten vermochte und beide mit einem höchst erklecklichen Plumps die liebe Mutter Erde begrüßten und noch eine Anzahl Purzelbäume schlugen. Der Indianer ist durchschnittlich ein schlechter Kletterer.

Wir befanden uns schon eine ganze Weile im Garten, als sie dort eintrafen. Sie hatten den gewöhnlichen Weg über die Algarobe eingeschlagen und den einen Diener des Alten wach gefunden. Nun kamen sie mit ihm hereingehinkt, daß es eine Lust und Freude war.

Auf meine Frage erfuhr ich, daß der Desierto erst mit Tagesanbruch zur Ruhe gegangen sei, nachdem er die Kundschafter instruiert und fortgesandt hatte. Dann verlangte ich, man solle uns den Yerno heraus in den Garten holen.

Die drei brachten ihn geführt, nachdem sie ihm die Beinriemen gelöst hatten. Er sah ganz übernächtig aus, was kein Wunder war, da er jedenfalls nicht eine Minute geschlafen hatte, und machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht, als er uns erkannte. Welches Spiel wir mit ihm getrieben hatten, darüber war er sich nun wohl klar, aber daß wir heute andere und weit bessere Anzüge trugen als gestern, das schien er nicht begreifen und erklären zu können.

»Buenos dias, Sennor!« grüßte ich ihn. »Wie haben Sie geschlafen?«

Sein dunkles, unstetes Auge warf mir einen Blick unsagbaren Grimmes zu; dann antwortete er mit fast knirschender Stimme:

»Schuft! Sogar der Teufel wird dich einst verschmähen!«

»Was mir sehr lieb sein kann! Doch bevor Sie den Mund noch einmal öffnen, will ich Sie darauf aufmerksam


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machen, daß ich gern höflich bin und mich ebenso gern höflich behandeln lasse. Um Ihretwillen hoffe ich, Sie haben eingesehen, daß Sie es weder mit Hasenfüßen noch mit Dummköpfen zu tun haben. Ihre Klugheit und Logik ist gräßlich an unserem schlichten Verstande zu Grunde gegangen, und so ist es Ihnen wohl anzuraten, sich eines besseren Tones zu bedienen. Jetzt werden Sie mir sagen, wie Sie heißen!«

»Ich habe es Ihnen gestern gesagt.«

»Sie heißen nicht Arbolo.«

»Ich habe es gesagt und folglich heiße ich so. Ich bin kein Lügner, wie ihr beide.«

Wenn er der Ansicht gewesen war, daß wir uns auch diese dritte Grobheit gefallen lassen würden, so hatte er sich sehr geirrt. Wir beide waren zwar um unsere Pferde, nicht aber um die Peitschen gekommen, die an unseren Gürteln hingen. Ich griff nach der Meinigen, um den Buben zu züchtigen, da aber flog ihm schon diejenige Penas über das Gesicht, daß der Getroffene fast hintenüber gestürzt wäre.

»Da hast du die Antwort, Schurke!« sagte Pena in aller Ruhe. »Ein Raubmörder, wie du bist, bekommt für jede freche Antwort einen solchen Hieb. Das merke dir. Ich bin Pena, der deutsche Cascarillero. Vielleicht kennst du meinen Namen.«

»Pena!« entfuhr es dem Yerno. Er war erschrocken, faßte sich aber schnell und fuhr fort: »Ich kenne weder Sie, noch Ihren Namen. Wer Sie sind, ist mir sehr gleichgültig!«

»Sie werden nicht ewig gleichgültig bleiben,« antwortete ich ihm. »Sie wollten die Tobas überfallen und ohne Gnade niedermetzeln. Sie wollten mich und Pena töten und - -«

»Wer hat das gesagt?« unterbrach er mich.

»Sie selbst. Sie sind nicht der einzige Weiße, welcher die Sprache der Mbocovis versteht! Wir kennen jedes Wort, welches gestern gesprochen wurde. Wir haben Sie auch nicht etwa gestern zum ersten Male gesehen, sondern wir beide belauschten Sie und sind Ihnen vorausgeeilt, um dem viejo Desierto Ihre Ankunft zu melden.«

Er stieß einen zischenden Pfiff aus, sagte aber nichts.

»Und ebenso haben wir ihn von der zu erwartenden Ankunft Ihres Schwiegervaters benachrichtigt,« fuhr ich fort.

»Schwiegervater?« fragte er. »Soll ich etwa einen haben?«

»Natürlich, den Sendador.«

»Ich bin ja unverheiratet.«

»Und werden von den Mbocovis doch nur Yerno genannt? Machen Sie sich nicht lächerlich. Doch das sind Nebensachen. Ich habe Sie aus einem andern Grunde zu mir kommen lassen. Sie kennen einen jungen Mann, welcher Adolfo Horno heißt?«

Er zuckte zusammen, antwortete aber doch:


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»Nein.«

»Sie haben doch gestern zum Häuptlinge der Mbocovis von ihm gesprochen?«

»Das ist eine Lüge!«

»Mann, wahren Sie Ihre Zunge! Wir dulden kein solches Wort mehr! Wir haben gehört, was Sie sprachen. Sie haben für diesen Sennor Horno von dem Desierto ein Lösegeld erpressen wollen. Nach dem Sieg über die Tobas sollte er ermordet werden.«

»Das ist nicht wahr.«

»Sie wissen nicht, wo dieser Mann ist, kennen ihn wohl gar nicht?«

»Nein.«

»Das tut mir leid um Ihretwillen. Ich will erfahren, wo er sich befindet, und also werde ich es erfahren; ist's nicht auf die eine, sodann auf die andere Weise. Wollen Sie es mir freiwillig sagen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ganz wie Sie wollen! Ich werde Sie so lange peitschen lassen, bis Sie mir den Ort nennen.«

»Das wagen Sie ja nicht!« fuhr er auf. »Sie haben kein Recht dazu!«

»Wir sind im Chaco, folglich habe ich das Recht. Also, wollen Sie gestehen?«

»Ich weiß nichts. Hauen Sie zu! Ich lache Sie doch aus!«

Der Mensch wurde an den Baum gebunden mit dem Rücken nach auswärts. Die beiden Indianer bekamen unsere Peitschen und schlugen aus Leibeskräften zu, abwechselnd, jeder einen Hieb. Ich wendete mich ab und zählte. Nach dem vierzigsten Hieb drehte ich mich wieder um. Er wandte uns das Gesicht zu, hatte die Zähne zusammengebissen und sah uns hohnlachend an. Nach dem sechzigsten Hiebe bestand sein Rücken aus blutigen Fleisch- und Kleiderfetzen, dennoch grinste er uns noch höhnisch an und sagte kein Wort.

(Fortsetzung folgt.)
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