Heft 37

Feierstunden am häuslichen Heerde

12. Mai 1877

   
Der beiden Quitzows letzte Fahrten.

Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern von Karl May,
fortgeführt von Dr. Goldmann.


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»Ihr hegt Besorgnisse? Was in aller Welt giebt Euch wohl Anlaß zu der Annahme, irgend Jemand könne während der Dauer der Reise eine feindselige Gesinnung gegen Euch bethätigen?«

»Nicht das befürchte ich. In diesem Falle würde Detlev sich auch ohne meinen besonderen Rath zu helfen wissen. Denkt aber an die zahlreichen Feinde des Markgrafen, denen sich die pommerschen Fürsten nachgerade immer offener zugesellen. Ihr werdet mir zugeben, daß diese nur auf die günstige Gelegenheit warten, ihrer wahren Gesinnung gegen Herrn Friedrich Ausdruck zu geben. Sobald diese Herren nun erfahren werden, was in Kostritz erstrebt wird, sobald ihnen bekannt geworden - und dies wird ja schwerlich lange mehr Geheimniß bleiben - welche Aussichten der Markgraf hat, das erstrebte, hohe Ziel auch wirklich zu erreichen, dann will es mir unzweifelhaft erscheinen, daß die Feinde alle ihnen zu Gebote stehende Macht aufbieten werden, um noch vor der Verwirklichung dieser gegründeten Erwartungen des Markgrafen einen Hauptschlag gegen ihn auszuführen. Sie werden nicht zögern, einen Entscheidungskampf zu beginnen, der die Frage zum Austrag bringen muß, wer fortan die alleinige Herrschaft besitzen soll. Es wird ein Kampf auf Tod und Leben, ein Kampf um die Existenz entbrennen und der Markgraf aller treu zu ihm haltenden Kräfte bedürfen, um der nicht zu unterschätzenden Gewalt der Gegner in erwünschter Weise gegenübertreten zu können.«

Herr von Bismarck hatte den Worten Suteminn's mit wachsendem Erstaunen zugehört.

»Und dieser Entscheidungskampf wird Eurer Ansicht nach entbrennen, noch ehe wir wieder in der Heimath angelangt sind?«

»Ich glaube das fest, und darauf hin zielte meine Andeutung, Detlev habe Anweisung für sein Verhalten bei etwaigen Vorkommnissen erhalten!«

Beide Ritter schwiegen einige Zeit. Suteminn hob eine zu Boden gefallene Pergamentrolle auf und entfaltete sie scheinbar absichtslos. Henning von Bismarck blickte gedankenvoll vor sich hin.

Er hegte nicht den mindesten Zweifel an der Richtigkeit der Schlüsse seines verständnißreichen Freundes, und in seinen Zügen prägte sich im Augenblick nicht undeutlich der Aerger darüber aus, daß er möglicherweise erst auf dem Kampfplatze ankommen werde, wenn die Entscheidung nicht mehr bezweifelt werden könne.

Auf diese Erwägung bezog sich sicher der Ausruf, welchen er, aus seinem Sinnen sich plötzlich gewaltsam emporraffend, hervorstieß:

»Mag geschehen, was nicht zu ändern ist. Wir werden uns keinen Augenblick länger, als nöthig, auf der Reise verweilen und wollen das Beste hoffen. In einem Punkte kann ich Eurer Ansicht doch aber nicht völlig beistimmen!«

»Laßt mich hören, was Ihr bezweifelt. Vielleicht vermag ich meine Worte zu beweisen!«

»Ihr sprecht von einer Vereinigung der dem Markgrafen feindlich gesinnten pommerschen Fürsten mit dem aufsässigen Theil der Ritterschaft in den Marken. Erachtet Ihr die Gegner des Markgrafen innerhalb der Marken, die, nebenbei bemerkt, sämmtlich der Wegelagerei huldigen, wirklich für fähig, eine Anzahl Mannen in's Feld zu führen, die den pommer'schen Fürsten den Vortheil zu bieten vermöchte, den diese von ihren Verbündeten erwarten? Ich bezweifle dies. Zwei wirklich namhafte Gegner sind zum mindesten unschädlich gemacht: Claus von


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Quitzow und Caspar Gans von Putlitz, der dem Bischof von Brandenburg demnächst wohl noch seine besondere Freundschaft bezeugen wird.

»Die übrigen Freunde Dietrich von Quitzow's aber werden es sich überlegen, ob es gerathen sei, sich zu tief in eine Angelegenheit zu verwickeln, die für sie die bedenklichsten Folgen nach sich ziehen muß. Wichtiger erscheint mir hier die Frage, wie die mächtigen Herren von Wedel und deren Anhang sich hierbei verhalten werden, und es dürfte meines Dafürhaltens wohl von Vortheil sein, sich darüber Gewißheit zu verschaffen, welche Gesinnung diese Herren hegen. Haben wir die Wedels, die Kremzow's, die Bork's für uns, dann sollte es, meine ich, den Fürsten doch schwer werden, zum Angriff gegen den Markgrafen vorzuschreiten. Selbst das verwegene Corps der Seeräuber vom »Wiking« mitsammt ihrem Rolf Vendaskiold würde ihnen kaum zum Siege verhelfen können!«

»Ihr hegt großes Vertrauen in die Kraft der Herren von Wedel,« bemerkte Suteminn mit einem flüchtigen Lächeln, »möge es nur nicht getäuscht werden. Soeben erwähntet ihr eines Mannes, der in den jüngsten Tagen, ja überhaupt seit unserer Rückkehr von Hamburg mich in Gedanken viel beschäftigt hat. Rolf Vendaskiold ist keinesfalls der wahre Name des Befehlshabers auf dem »Wiking«. Ebensowenig glaube ich aber auch, daß er ein Schwede, oder ein Däne, oder sonst irgend ein Nordländer ist. Ich halte ihn vielmehr für einen Deutschen!«

»Das ist auch meine Meinung, obwohl ich, offen gestanden, nichts anzugeben vermag, was die Richtigkeit meiner Annahme zu begründen vermöchte.»

Während Herr von Bismarck diese Worte sprach, hatte er einen Blick auf die Pergamentrolle gerichtet und in dieser dieselbe wieder erkannt, welche gelegentlich seines ersten Besuches im Zauberhause seine Aufmerksamkeit erregte.

»Glaubt Ihr vielleicht,« fragte er im Tone eines harmlosen Scherzes, »durch das alte Pergament da Aufschluß über die geheimnißvollen Seeräuber zu erhalten? Ihr seht ja so aufmerksam in die Rolle, als wenn Ihr dort wahrhaftig etwas Interessantes gefunden hättet!«

»Vielleicht ist dies in der That der Fall,« erwiderte Suteminn, die Rolle langsam zusammenlegend. »Sollte ich mich in dieser Sache nicht getäuscht haben, dann werdet Ihr später einmal erfahren, wer Vendaskiold eigentlich ist!«

»Wie? Ihr habt Gelegenheit, darüber Gewißheit zu erhalten, wer der Befehlshaber auf dem »Wiking« ist? Dann bitte ich Euch, mir, sobald als dies eben möglich, Mittheilung von dem zu machen, was Ihr erfahren habt!«

»Weshalb interessirt Ihr Euch denn so sehr für diesen Mann?«

»Weil ich mich des Gedankens nicht zu entschlagen vermag, Vendaskiold sei ein Mitglied einer hochachtbaren Mecklenburger Adels-Familie, mit welcher mein Vater engbefreundet gewesen und die durch unwürdige Schliche und Ränke Anderer um ihr Hab und Gut gebracht worden ist. Die beiden Söhne der unglücklichen Familie sollen später einer Liebschaft wegen erzürnt von einander weggegangen, und Gott weiß, ob und wo sie eine bleibende Stätte gefunden haben.«

Suteminn hatte den Sprecher einen Augenblick scharf, forschend betrachtet, sich dann aber rasch abgewandt und fragte mit dumpfer Stimme:

»Wollt Ihr mir den Namen dieser Familie nennen?«

»Moltke!«

Längere Zeit verging, ohne daß einer der Ritter wieder das Wort nahm. Herr von Bismarck ließ den Blick gedankenvoll auf der Pergamentrolle ruhen; er schien ohne Zweifel begierig zu sein, den Inhalt derselben in soweit zu erfahren, als er die genannte unglückliche Familie betraf. Suteminn blieb jedoch, ohne sich nach seinem Gast umzuwenden, am Fenster stehen und schwieg.

Seine stets ernsten Züge hatten sich merklich verfinstert und seine Stimmung war sichtlich erregt, die zusammengepreßten Lippen, das kurze Athmen und die unwillkürlich sich ballende Faust waren ja untrügliche Kennzeichen davon, daß die Erinnerung an irgend einen Vorfall sein Blut in Wallung gebracht. Was aber konnte diese Erinnerung anders betreffen, als die zuletzt besprochene Angelegenheit?

Herr von Bismarck sah endlich, als Suteminn noch immer schwieg, erstaunt auf und nahm nun die Aufregung wahr, in welcher der Letztere sich befand. Da Suteminn zuvor ohne jede Spur von Erregung gesprochen, durchfuhr Herrn von Bismarck wie ein Blitz der Gedanke, daß nur allein die Erwähnung der Mecklenburgischen Familie Moltke die Ursache dieses plötzlichen Stimmungswechsels bilden könne, und er war schon im Begriff, dieser Annahme Ausdruck zu geben, als er sich noch im letzten Moment daran erinnerte, daß der Ritter auf der Reise von Hamburg nach Hause gelegentlich der Berührung der Grenze des Gebietes der Mecklenburger Fürsten und Herren sich auf eine absichtslose Frage geäußert hatte, er trage kein Verlangen, mit Mecklenburger Herren jemals anders als in feindlicher Weise zusammenzutreffen. Ohne Zweifel trug irgend eine unliebsame Begegnung mit einem dieser Herren, oder die Erinnerung an einen unerfreulichen Vorfall die Schuld an dieser, nicht gerade sonderlich freundschaftliche Gefühle für die Mecklenburger verrathenden Gesinnung.

Er unterdrückte deshalb den Wunsch nach Befriedigung seiner Wißbegierde und schwieg.

Suteminn mochte indeß ahnen, welche Gedanken seinen Gast bewegten, denn er wandte sich hastig zu ihm um und bemerkte, gleich als sei nicht bereits einige Zeit verstrichen, seit Herr von Bismarck den Namen Moltke genannt:

»Man hat demnach niemals Kunde von einem der beiden heimathlos gewordenen Junker erhalten?«

»Niemals!«

Wieder gerieth das Gespräch in's Stocken und Herr von Bismarck, welcher nachgerade wahrnehmen mußte, daß Suteminn mehr von der Familie wisse, als er merken lassen wolle, suchte das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu leiten.

Leider gelang ihm dies nur sehr ungenügend, denn Suteminn blieb wortkarg und bald darauf verließ er das Haus, um in der Richtung nach Stendal weiterzureiten.

Suteminn blieb in der düstersten Stimmung in seinem Gemach zurück.

»Man hat niemals Kunde von den Moltke's erhalten!« murmelte er, hocherregt auf- und abschreitend. »Nun, mit meinem Willen soll dies auch noch nicht geschehen. Die beiden Junker sind verschollen und nur Wenige, Wenige


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erinnern sich noch Olaf Moltke's und seiner beiden Söhne.

Leben denn diese aber wirklich noch Beide? -

Weshalb kommt mir nur immer wieder der Gedanke, Rolf Vendaskiold sei der Gesuchte? Wie kommt Herr von Bismarck zu dieser selben Annahme? Wer giebt mir hierüber Gewißheit?«

Sinnend schritt er eine Zeit lang hin und her, dann blieb er plötzlich stehen und legte die Hand über die Augen.

»Der Himmel oder auch der Zufall scheint ein eigenthümliches Spiel mit mir zu treiben.

»Als wenn die Frage nach meinem Bruder mich nicht schon mächtig genug beschäftigte, muß nun auch in Gestalt der Unglücklichen ein lebendes Räthsel mir in's Haus und täglich vor Augen kommen.

»Wer ist diese Frau?

»Wie ist es nur möglich, daß sie Erinnerungen in mir zu erwecken vermag, die ich längst begraben wähnte? Wie in aller Welt kann diese, wie ich ja gern zugebe, in ihrer Jugend bildschön gewesene Frau mich an ein Mädchen erinnern, das ich vergessen wollte, vergessen mußte um meiner selbst willen.

»Ist meine Phantasie denn derart krankhaft erregt, daß sie den schönsten Sonnenschein sehen will da, wo Schatten und Dunkelheit vorhanden ist?

»Was endlich bedeuten die Vergleiche der Frau mit Marie? Beide haben, wie die Alte am Tage der Ankunft der Fremden bereits richtig wahrgenommen, so viel gleiche Züge, sind einander so ähnlich, daß ich oft bereits auf der Vermuthung mich ertappt habe, sie könnten wohl gar verwandt sein. Und wäre dies denn unmöglich? Die Mutter der Kinder wird durch den Schurken damals im Walde von diesen getrennt und entführt worden sein. Die lange, harte Kerkerhaft, und die Quälereien, welchen sie ohne Zweifel durch den wollüstigen Dietrich ausgesetzt gewesen, die furchtbare Erregung, in die sie hierdurch sowohl als durch die Trennung von den Ihrigen versetzt worden, mußten schließlich zu der geistigen Umnachtung der Unglücklichen führen, so daß es nun nicht möglich ist, die geringste Auskunft durch sie selbst zu erhalten.

»Die Mutter Marien's! wahrhaftig, je länger ich diesen Gedanken erwäge, desto glaubhafter erscheint er mir. Wird er doch, abgesehen von allem Anderen, dadurch schon lebhaft unterstützt, daß das Mädchen vom ersten Augenblick an eine Zuneigung zu der Frau zeigt, die sich nicht lediglich mehr als Bethätigung des Mitleids mit einer Leidenden bezeichnen läßt.

»Und ist nicht auch Detlev in gleicher Weise um die Frau besorgt? Leider findet sich in der Erinnerung Mariens und Detlev's gar kein Anhaltspunkt, von dem aus ich noch einen Heilungsversuch mit der Aermsten vornehmen könnte. -«

»Hm!« fiel er, nachdem er wieder eine Weile geschwiegen, noch einmal aber unwillig ein:

»Hugo, Du wirst ein Träumer und fängst an schwach zu werden!

»Graf Warwick war mir ja ebensowenig bekannt, als die Frau, bevor sie hierher gebracht wurde, und doch hegte ich im ersten Moment unserer Begegnung bereits das Gefühl, als sei er mir kein Fremder. -

»Widersinniges Spiel einer, aus weiß Gott welchen Gründen, erregten Phantasie!«

In diesem Augenblick klopfte Jemand an die Thür.

Detlev trat ein und meldete, ein Herr sei angekommen, welcher den Ritter zu sehen und zu sprechen verlange.

»Wie heißt er?«

»Graf Warwick!«

Ueberrascht trat der Ritter Detlev einen Schritt näher.

»Wie nanntest Du den Herrn?«

»Graf Warwick!« erwiderte Detlev jetzt nicht weniger erstaunt; »darf ich ihn hier einführen?«

Auf ein bejahendes Zeichen des Ritters eilte Detlev hinaus und Suteminn rief überrascht:

»Will der Zufall mir behülflich sein zur Lösung des Räthsels oder soll der Knoten vielleicht noch mehr geschürzt werden?«

Er hatte nicht mehr lange Zeit zum Grübeln, denn die Thüre sprang auf und der Graf trat ein.

Nach den ersten Begrüßungen und nachdem Suteminn seiner aufrichtigen Freude, den Grafen hier empfangen zu dürfen, Ausdruck gegeben, fragte der Graf hastiger, als er sonst zu sprechen pflegte:

»Wer ist der junge Mann, welcher mir die Pforte öffnete? - Eine herkulische Gestalt!«

»Er ist mein Pflegesohn!«

»Wunderbar, wie ein vollkommen fremder Mann durch seine Züge, sein Auge sofort für sich einnehmen kann! Ich hoffe ihn vor meinem Weggange von hier kennen zu lernen!«

»Mein Pflegesohn wird sich freuen, Kenntniß von Eurem Verlangen zu erhalten!«

»Erlaubt mir vorerst noch andere Dinge zu erwähnen. Die Hamburger Angelegenheit wird jedenfalls bereits erledigt sein, denn der Vorstand der Hafenbehörde, welchem ich die Verbrecher übergeben habe, gab mir die Versicherung, daß er ungesäumt und mit ganz besonderer Strenge gegen die Elenden vorgehen wolle, um die etwa vorhandene Neigung zur Wiederholung derartiger frecher Streiche zu unterdrücken.

»Ich habe mich in Hamburg in Folge dieser Angelegenheit länger aufgehalten, als ich ursprünglich beabsichtigte, und meinen Reiseplan dementsprechend geändert!«

»Darf ich fragen, nach welcher Richtung? Die Reise wird doch nicht etwa auf längere Zeit verschoben?«

»Durchaus nicht. Ich werde nur, statt am Rhein mich, wie ich es wollte, aufzuhalten, in Berlin und Potsdam einige Zeit verweilen, und hoffe dann in Eurer Gesellschaft abreisen zu können!«

Suteminn gab sichtlich erfreut zustimmende Antwort und bald befanden sich die beiden Herren im lebhaftesten Gespräch.

Während sie sich noch unterhielten, wurden im Nebenzimmer Stimmen laut.

Marie sprach, wie Suteminn deutlich verstand, besänftigend zu der Fremden, worauf diese verwundert fragte:

»Glaubt Ihr vielleicht, daß ich mich vor den beiden Hunden fürchte? Die kennen mich ja schon und werden mich ungehindert gehen lassen. Ich will einmal hinaussehen, ob -«

Die Fortsetzung blieb unverständlich, weil die Frau


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plötzlich anfing, flüsternd zu sprechen. Marie verließ dann mit der Letzteren die Stube.

Auch der Graf hatte die Worte verstanden.

Bei den ersten Lauten schon zuckte er zusammen, dann horchte er, alles um sich vergessend, angestrengt; sein erst milder doch ernster Blick wurde im Moment starr, dann aber rief er mit allen Zeichen der denkbar höchsten Erregung:

»Mein Himmel, wer sprach dort? Diese Stimme -!«

Suteminn war, als er die auffallende Unruhe des Grafen bemerkte, erschrocken aufgefahren.

Er zwang sich jedoch, als er sah, daß der Graf selbst sich gewaltsam zu mäßigen suchte, im nächsten Augenblicke schon zur Ruhe und erwiderte:

»Eine unglückliche Frau, welche durch das Ungeheuer, den Dietrich von Quitzow, in langjähriger Gefangenschaft gehalten und in Folge der ihr auferlegten Qualen dem Wahnsinn überliefert worden ist.

»Ein günstiges Geschick verhalf ihr aus ihrem Kerker, mein Pflegesohn fand sie auf dem Wege noch in der Gewalt der Quitzow'schen Knechte und nahm sie mit hierher.

»Leider haben alle Heilversuche noch nicht den erwünschten Erfolg gehabt!«

»Hat die Aermste niemals von ihrer Vergangenheit gesprochen? Habt Ihr nicht erfahren, woher sie ist oder wie sie heißt?«

Die Aufregung des Grafen steigerte sich aufs Neue und Suteminn hielt befremdet mit der Antwort zurück.

»Ihr seid so auffallend erregt, Herr Graf, daß ich annehmen muß, Ihr fühlt Euch unwohl. Unmöglich kann ich annehmen, daß die Erwähnung der unglücklichen Frau einen derartigen Eindruck auf Euch macht!«

»Doch! doch! mein lieber Ritter,« erwiderte der Graf hastig. »Erinnert Euch, daß ich während unserer Fahrt von Neuwerk bis Hamburg mich unter Anderem auch sehr eingehend nach dem sogenannten »schwarzen Dietrich« und dem Raubgesindel erkundigt, das vor einer Reihe von Jahren in den Marken und zwar in der Nähe der Havel ihr Unwesen trieb. Ihr fragtet mich, ob ich vielleicht selbst einmal mit dem Gesindel in Conflict gerathen wäre, und ich beschränkte mich, weil wir eben in den Hafen einliefen und unsere Aufmerksamkeit anderweit in Anspruch genommen wurde, auf eine kurze Bejahung der Frage.

»Erlaubt mir, da die Frau, welche ich zu meiner eigenen Beruhigung bald sehen muß, leider noch nicht zurückgekehrt ist, die Beweggründe zu meiner Frage Euch jetzt mitzutheilen.

»Vor etwa 12 Jahren reiste ich mit meiner Gattin und meinen beiden Kindern von Potsdam aus nach Hamburg. Auf einer, nahe am Wege gelegenen Lichtung des zu beiden Seiten der Straße von Tremmen bis Zachow sich hinziehenden Waldes hatten wir mit Rücksicht auf die Kinder kurze Rast gemacht und waren eben im Begriff, unsere Reise fortzusetzen, als wir uns von Räubern umgeben sahen, die unter Führung eines Mannes standen, welcher mir nachmals als der gefürchtete Räuberhauptmann bezeichnet wurde, der damals unter dem Namen der »schwarze Dietrich« sein Unwesen trieb. Kurze Zeit vermochte ich mich zu wehren und meine hinter mir am Stamme einer Eiche lehnende Gattin mit den Kindern zu schützen; bald erhielt ich auch noch Hülfe durch einen aus dem Gebüsch hervorbrechenden Knecht, welcher nach Kräften an meiner Seite focht. Wir mußten aber schließlich doch, und trotzdem uns noch ein zufällig des Weges daher kommender, durch den Lärm des Gefechts auf uns aufmerksam gewordener Ritter beistand und nicht nur unter den Räubern gewaltig aufräumte, sondern auch den »schwarzen Dietrich« vom Kampfplatze entfernte, der Uebermacht erliegen. Ich wurde durch einige Schläge über den Kopf betäubt, und als ich erwachte, lag ich gefesselt mitten unter den auf einer freien Stelle im Walde lagernden Räubern, unter denen sich wiederum der genannte Anführer befand. Neben mir bemerkte ich, ebenfalls gefesselt, den Knecht, welcher mir zur Hülfe herbeigeeilt war. Meine Gattin und meine Kinder aber waren verschwunden und ich habe ungeachtet der eifrigsten Nachforschungen nichts mehr von ihnen erfahren können!«

»Wie ist es Euch gelungen, der Gewalt der Räuber zu entrinnen? Aus eigenem Antriebe haben sie Euch sicher nicht freigelassen. Habt Ihr Lösegeld beschafft?«

»Der Knecht, welcher mit mir gefangen und gefesselt worden war, vermochte in der Nacht mit Hülfe des von den Räubern aus Versehen ihm belassenen Messers unbemerkt seine Fesseln zu lösen. Er durchschnitt dann auch die Stricke, mit denen man mir Hände und Füße gebunden, wir sprangen auf und vermochten den uns hart und mit wüthendem Geschrei Verfolgenden zu entrinnen.

»Am andern Tage durchforschten wir recht genau noch einmal den Platz, auf welchem der Kampf stattgefunden.

»Wir fanden die Spuren der Räuber und folgten ihnen bis an einen breiten Sumpf, an welchem die Fußspuren plötzlich verschwanden. Jedenfalls war ein quer über den Sumpf nach der an der entgegengesetzten Seite desselben liegenden Anhöhe führender Fußweg vorhanden. Wir vermochten diesen indeß nicht zu finden und würden allein, ohne weiteren Beistand im besten Falle auch kaum hinübergekommen sein, denn waren wir auf richtiger Fährte, dann mußten die sicher aufgestellten Wachtposten uns bemerken und wir hätten uns nutzlos geopfert. Andernfalls aber wäre jede weitere Verfolgung durch inzwischen erfolgte Verwischung der Fußspuren unmöglich geworden. Wir stellten deshalb nothgedrungen die fernere Verfolgung der Elenden ein.

»Ich kehrte, als alles Suchen und Forschen nach meiner Gattin und meinen Kindern vergeblich blieb, dem Rufe der Pflicht folgend, nach England zurück und nahm den Knecht mit mir. Ihr habt ihn selbst gesehen. Er hat sich durch seine Fähigkeiten bis zum Capitän der »Schwalbe« emporgearbeitet.«

»Ah!« warf Suteminn ein, »er ist also der Bruder des Wachtmeisters bei Hans von Uchtenhagen, welcher sich mit dem Capitän auf Neuwerk in so seltsamer Weise begrüßte?«

»Derselbe! Obwohl ich auf alle mögliche Weise versucht habe, den Schmerz über den mir nicht mehr zweifelhaften Verlust der Meinigen möglichst zu mildern, ist mir dies doch nicht im Laufe der Jahre gelungen und auch heut' hat mich nur der Wunsch, wenigstens zu erfahren, was aus meinen Lieben geworden und Rache an dem Schurken zu nehmen, der sich der »schwarze Dietrich« nennt, wieder hierher getrieben. Ich wollte erst von Constanz aus hierher kommen, dann aber nicht eher nach Hause zurückkehren, bis ich nicht nach irgend einer Richtung Gewißheit über das Geschick der Meinigen erhalten. Der un-


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freiwillige Aufenthalt in Hamburg hat mir jedoch Anlaß geboten, auf der Hinreise nach Constanz schon die Marken zu durchwandern -

»Gebe der Himmel, daß meine heißen Wünsche endlich in Erfüllung gehen!«

Suteminn hatte erst neugierig, dann aber mit wachsendem Erstaunen der Erzählung des Grafen gelauscht. Forschend betrachtete er sein Gegenüber und schien in der Erinnerung zu suchen, denn obwohl er den Blick oft von ihm wandte, so kehrte dieser doch immer wieder zu ihm zurück. Schließlich mußte er doch aber wohl die erwünschte Gewißheit erlangt haben, denn das starre Erstaunen schwand aus seinen Zügen, es bemächtigte sich des harten, in den Stürmen des Lebens erprobten Mannes eine so weiche, doch aber weniger wehmüthige, als vielmehr freudige Stimmung, daß er, um seiner selbst Herr zu bleiben, sich gezwungen sah, vom Stuhle aufzustehen und sich abzuwenden.

Hierdurch wurde die Aufmerksamkeit des trübe vor sich hinschauenden Grafen erregt.

»Die kurze Schilderung meiner Erlebnisse in den Marken scheint Euch nahe zu gehen! Habt Dank für das mir gezollte Mitgefühl und erweist mir später auch die Freundschaft, mir suchen zu helfen!«

Die Augen Suteminn's waren feucht geworden, und mit durch innere Erregung bewegter, weicher Stimme fragte er:

»Erinnert Ihr Euch wohl noch des Ritters, welcher Euch bei dem Ueberfalle an jenem für Euch verhängnißvoll gewordenen Tage zu Hülfe kam?«

»Nur noch unklar kann ich mich seiner entsinnen. Doch glaube ich nicht irre zu gehen, wenn ich behaupte, der Ritter war sehr groß und stark. Die Lanze, welche er gegen den »schwarzen Dietrich« einlegte, war von gewaltiger Stärke und sein Pferd war, wie ich ziemlich bestimmt zu sagen vermag, ein Falben!«

»Großer Gott!« murmelte Suteminn leise und mehr für sich; »welch' glückliche Fügung!«

Zum Grafen gewandt fuhr er lauter fort:

»Den Ritter wieder zu erkennen, würde Euch nicht möglich sein?«

»Ich glaube nicht. Meine Aufmerksamkeit wurde ja durch die auf mich eindringenden Knechte zu sehr in Anspruch genommen, so daß ich ihn nur flüchtig zu betrachten vermochte. Unterdeß trug er, so viel ich mich entsinne, nicht das geringste besondere Abzeichen an sich!«

»Ebensowenig wäret Ihr natürlich auch im Stande, das Pferd zu erkennen.«

»Ich weiß nur noch, daß es ein riesig starker Falben war, da es aber dergleichen Pferde noch mehr giebt, so - -«

»Natürlich! Ist es Euch aber möglich, mir die Lichtung genau zu beschreiben, auf welcher Ihr überfallen wurdet?«

»Das vermag ich allerdings, denn dieser Platz wird mir ewig getreu im Gedächtniß bleiben.«

Als er mit seiner Schilderung zu Ende war, erklärte Suteminn:

»Jeder Zweifel ist nun wohl behoben und ich darf offen sagen, daß ich, Herr Graf, dieser Ritter war!«

»Ihr, Herr Ritter?« rief der Graf in freudigem Erstaunen; »o, Gott sei Dank, daß ich Euch wiedergefunden. Mit Eurer Hülfe werde ich - eine innere Stimme sagt mir dies - nicht wiederum vergeblich suchen!«

»Das ist auch meine Meinung!« erwiderte Suteminn. »Eure beiden Kinder waren ein Knabe und ein Mädchen?«

»Ja, ein Knabe im Alter von 7 Jahren und ein Mädchen von etwa 5 Jahren!«

»Und wie hießen diese Kinder?«

»Detlev und Marie!«

Der Graf war während dieses kurzen Gesprächs immer unruhiger geworden. Aengstlich forschend blickte er auf den vor ihm stehenden Ritter. Plötzlich schrie er laut auf:

»Ihr wißt, wo meine Kinder hingebracht worden sind! Großer Gott, täusche ich mich? Nein, nein, es kann ja nicht sein, ich sehe es Euch an, daß sie leben und daß Ihr mich zu ihnen führen wollt! Sprecht, um Gottes Willen bitte ich Euch, sprecht schnell, wo sind sie?«

Suteminn bezwang die Rührung, welche sich seiner wieder zu bemächtigen drohte, und entgegnete mit allerdings gepreßter Stimme:

»Ja, Eure Kinder leben und sind gesund. Ihr werdet sie bald sehen. Um Euch aber auch gleich vollständige Aufklärung zu geben, muß ich anfügen, daß der Aufenthalt Eurer Gattin mir noch nicht bekannt ist, doch hoffe ich mit Bestimmtheit, daß wir ihn finden werden. Die beiden Kinder habe ich damals vom Kampfplatze aus mit mir genommen, wo die Räuber bei ihrer Flucht sie ganz allein zurückgelassen hatten und - hier sind sie auferzogen worden!«

»Ich hoffe mit Euch auf die Auffindung meiner Gattin, Freund,« rief der Graf zitternd vor Erregung, und Suteminn beide Hände bietend, »nehmt jetzt schon meinen Dank, meinen innigsten Dank für Eure Güte - wo aber sind die Kinder? o Gott -!«

»Habt einen Augenblick Geduld; ich werde sie bald in Eure Arme führen!«

Mit diesen Worten verließ Suteminn das Gemach.

Der Graf blieb in unbeschreibbarer Aufregung zurück.

Detlev weilte im Hofe und Marie stand mit der Fremden in der Thüre.

Dem Gebote des Ritters folgend, ging die Frau allein in das Wohngemach und Detlev und Marie standen erwartungsvoll vor dem sie liebevoll, doch aber fast wehmüthig betrachtenden Ritter.

»Kinder, Eurer wartet eine große Freude, eine Freude, an deren Eintritt ich kaum mehr geglaubt habe!

Marie blickte fragend, Detlev aber mit unverhohlenem Mißtrauen zu ihm auf.

»Eine Freude wartet unser, die Euch, so viel ich sehe, nur halb mit diesem Gefühl erfüllt? Was Euch, unsern Wohlthäter, unsern zweiten Vater nur halb zu erfreuen scheint, kann schwerlich geeignet sein, uns sonderlich froh zu stimmen!«

»Du wirst bald erfahren, daß ich Recht habe, lieber Detlev. Aber bist auch Du, Marie, nicht im Stande, zu denken, was Dir und Detlev die höchste Freude machen würde? Wenn nun plötzlich Jemand käme, der nähere Anrechte an Euch Beide besitzt, als ich?«

»Noch nähere Anrechte?« wiederholte Detlev, während Marie die Hand auf das pochende Herz legte und mit ängstlich fragendem Blick in dem Auge des Ritters zu lesen suchte.


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»Das ist wohl unmöglich,« fuhr Detlev fort, »denn Vater und Mutter sind im Walde getödtet worden -«

»Halt, Detlev,« unterbrach ihn der Ritter, »woher weißt Du das so genau?«

»Heiliger Gott!« schrie Marie plötzlich auf und auch in Detlev schien eine Ahnung dessen zu erwachen, was der nächste Augenblick ihm wohl schon bringen würde.

Unwillkürlich stieß er bebend die Frage hervor:

»Kommt mit mir, Kinder!«

Zitternd vor Aufregung folgten Detlev und die unbewußt sich an ihn anklammernde Marie dem voranschreitenden Ritter in das Gemach, wo sie sich plötzlich dem Grafen gegenüber sahen. Suteminn hatte noch nicht vermocht, ein erklärendes oder vermittelndes Wort zu sprechen, als fast zu gleicher Zeit der Ruf erscholl:

»Vater!« »Vater!«

»Meine geliebten Kinder!« und Vater und Kinder sich in sprachlosem Entzücken umschlossen hielten.

Leise, unbemerkbar zog Suteminn sich zurück.

Als er eine geraume Zeit später wieder eintrat, lehnte Marie leise weinend im Arme des die Freudenthränen nicht verbergenden Grafen, während dessen Rechte die Hand des vor ihm stehenden Sohnes umfaßt hielt.

Freudetrunken ruhte der Blick des glücklichen Vaters bald auf der stattlichen Gestalt des Sohnes, bald auf der liebreizenden Gestalt der blühenden Tochter, und noch hatten die Ueberglücklichen sich kaum so weit zu fassen vermocht, daß sie ihren Gefühlen nicht nur in abgerissenen Sätzen und Ausrufen Ausdruck geben konnten.

Suteminn wollte sich schnell wieder zurückziehen, der Graf bemerkte ihn jedoch, noch ehe er diesen Vorsatz auszuführen vermochte.

»Kommt, lieber Freund, und nehmt an unserem Glück Theil! Euch verdanke ich ja nur allein das unbeschreibbare Glück, meine Kinder wieder bei mir zu haben. Ihr habt Ihnen das Leben gerettet und eine lange Reihe von Jahren Vaterstelle bei ihnen vertreten, Ihr habt ihnen eine Erziehung angedeihen lassen, durch die sie zu brauchbaren Menschen herangebildet worden sind - wie soll ich auch nur annähernd aussprechen, wie sehr ich mich Euch zu Dank verpflichtet fühle?«

Thränen der Freude erstickten seine Stimme und er beschränkte sich darauf, Suteminn stumm die Hand zu bieten.

Dieser fühlte sich selbst tief ergriffen durch die Freude der Wiedervereinten und wandte sich, um nicht etwa noch weicher gestimmt zu werden, als er es ohnehin schon war, an den neben dem Vater stehenden Detlev mit der Frage:

»Nun, Detlev, hatte ich Grund nicht zu der Behauptung, Du würdest mit Marie eine Freude haben, die alles, was Dir und Marie seither Freude bereitet hat, weit, weit zurückläßt?«

»Das ist allerdings gewohnterweise in der Art eingetreten, wie Ihr, mein theurer Pflegevater, es vorher gesagt habt. Das jedoch, was ich zu gleicher Zeit in Eurem Blick las, will mir noch nicht einleuchten!«

»Was hast Du denn gelesen?« fragte der Graf lächelnd.

»Der Herr Ritter hat niemals eine Freude gehabt, an welcher wir nicht Theil nehmen durften, umgekehrt haben wir aber auch keine wirkliche Freude gehabt, an welcher er sich nicht selbst betheiligte; wir würden gar nicht im Stande gewesen sein, uns wirklich an oder über etwas zu freuen, wenn wir nicht gewußt hätten, daß unser gütiger zweiter Vater mit uns war. Vor unserem Wiedersehen sagte uns nun der Herr Ritter, wir hätten eine sehr große Freude zu erwarten, blickte dabei aber so wehmüthig auf uns, daß ich sofort erkannte, er würde die hohe Freude nicht völlig mit uns theilen. Weshalb, ist mir freilich nicht klar!«

»Das will ich Dir wohl sagen. Sieh, Detlev, ich habe mich im Laufe der Jahre an Dich und Marie so sehr gewöhnt, daß ich mir heut' noch gar nicht vorzustellen vermag, wie ich ohne meine beiden Pflegebefohlenen, ohne Dich und Marie, auskommen werde. Und doch wird die Nothwendigkeit gar bald an mich herantreten, mich mit dem Gedanken hier anvertraut zumachen. Der Kampf zwischen Gewohnheit und Nothwendigkeit wird sehr hart, wird schwerer werden, als eine Begegnung mit einer Anzahl der erbittertsten Gegner; doch, er muß bestanden werden!«

Marie war inzwischen langsam zu ihm herangetreten.

»Weshalb, mein gütiger Pflegevater, sprecht Ihr von Trennung? Müssen wir von einander weggehen?«

»Leider muß ich diese Frage bejahen, mein Kind. Du wirst mit Deinem Vater und Deinem Bruder und hoffen wir auch mit der Mutter nach England in Deine eigentliche Heimath gehen und ich - werde mich bescheiden, wenn ich einst zu hören vermag, Du lebtest so glücklich, wie Du es in der That verdienst! Uebrigens glaube ich, daß wir uns heut mit Besprechung der Trennung nur vorzeitig das Herz schwer machen. Gar so schnell dürfte der gefürchtete Augenblick wohl nicht herankommen!«

»Sehr richtig,« bemerkte der Graf. »Der Termin meiner Rückreise nach England dürfte sich zum mindesten ein Jahr hinziehen, und in welcher Weise wir uns dann einigen werden, wollen wir später in Berathung ziehen. Ich denke, unser edelmüthiger, treuer Freund wird mit dem Vorschlage, den ich dann machen werde, einverstanden sein.

»Lassen wir also die Sache bis auf Weiteres gänzlich außer Betracht!«

Mit Freuden wurde diesem Wunsche beigestimmt und der Graf lenkte das Gespräch bald auf die ihn am meisten interessirende Frage des Ergehens seiner Kinder während der langjährigen Trennung. Zu seinem Erstaunen wurde er inne, daß Marie eine Erziehung erhalten, die weit über den Stand der Bildung der Edeldamen damaliger Zeit hinausragte, und daß Detlev nicht nur in den ritterlichen Kämpfen trotz seiner Jugend bereits Meister sei, sondern auch in wissenschaftlicher Hinsicht etwas Tüchtiges gelernt habe. War er durch diese außergewöhnlichen Wahrnehmungen schon hoch überrascht, so wurde er es noch viel mehr, als er bemerkte, daß weder Detlev noch auch Marie auf den ihnen gebührenden Rang den Werth zu legen schienen, den der Adel damals in noch höherem Grade wie heut' den bereits existirenden Abstufungen in den Adelstiteln beimaß.

Graf Warwick war selbst zu gebildet, um die im Anfange des 15. Jahrhunderts üblichen Anschauungen über die absolute Macht der Gebietenden völlig zu theilen.


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Er hatte aber die märkischen Junker und Ritter und ihre zumeist rohen Sitten und Gebräuche, andererseits auch ihre Selbstüberhebung, ihre auf der Zahl der kriegsdienstfähigen Mannen und auf der Körperkraft der Streitmacht lediglich beruhende, angebliche Machtvollkommenheit, endlich auch ihre crasse Unwissenheit in allem, was nicht zur Ausübung der damals üblichen Methode des Kriegführens, oder zur Veranstaltung roher Zechgelage gehörte, hinlänglich kennen gelernt und hegte, da er ja den Ritter Suteminn noch zu wenig gesehen und gesprochen, um bereits befähigt gewesen zu sein, sich ein richtiges Urtheil über denselben zu bilden, die leise Besorgniß, er werde sich nicht völlig frei gehalten haben von dem bereits erwähnten, vorzugsweise den märkischen Junkern anhaftenden unberechtigten Dünkel, den Größten ihrer Zeit in allem zum Mindesten völlig gleich zu stehen.

Wie sehr erstaunte er, als er wahrnehmen mußte, daß Suteminn bei der Erziehung der beiden Kinder sich nur von den Principien hatte leiten lassen, die wirklich und nur allein dem Adel allezeit zur Zierde gereicht haben!

Mit Thränen der Freude im Auge sprach er ihm später, als Detlev und Marie sich bereits zurückgezogen hatten, nochmals seinen wärmsten Dank aus für diese ganz in seinem Sinne geleitete Erziehung und gab gleichzeitig, wenn auch versteckt, seiner Verwunderung darüber Ausdruck, inmitten der bereits characterisirten märkischen Junker einen Mann zu finden, der vermöge seiner Kenntnisse, seiner Bildung alle seine Standesgenossen weit, weit überragt, und, wie er während der Zeit seines jetzigen Aufenthalts in den Marken allseitig und einstimmig gehört habe, durch seine Tapferkeit von den Wegelagerern und seinen Feinden gefürchtet, von seinen Bekannten aber hochgeachtet und geehrt wurde, trotz alledem aber, und ungeachtet er wissen müsse, wie hoch er über den Rittern und dem Adel der Marken erhaben dastehe, sich so in selbstgezogenen engen Grenzen hält, wie dies der Fall sei.

»Ihr überhebt meine geringen Kenntnisse sowohl, als auch meine Stellung den märkischen Rittern gegenüber,« erwiderte Suteminn mit leisem Lächeln. Dies verschwand jedoch schnell, als er fortfuhr: »Was indeß meine Zurückgezogenheit anlangt, aus der ich nur heraustrete, wenn ich Anlaß habe, im speciellen Falle mich für oder gegen Jemand zu entscheiden, so darf ich diese Eigenschaft oder wenn Ihr sie so nennen wollt, diese Bewegung innerhalb selbstgezogener Grenzen wohl auf meinen Lebensgang zurückführen!«

»Das Schicksal wandelt allerdings, wie ich an mir selbst ja recht deutlich erfahre, oft recht sonderbare und gefährliche Wege, und auch Euch scheint es nicht immer auf ebener Straße geführt zu haben. Nur Wenige sind so glücklich, nicht von Schlägen heimgesucht zu werden, die geeignet sind, Frohsinn und Heiterkeit, wenn nicht für immer, so doch für lange Zeit zu bannen, und ob selbst diese Wenigen das Glück wirklich genießen, welches wir Uebrigen, weniger Bevorzugten bei ihnen zu finden vermeinen, mag lieber ununtersucht bleiben -!«

»Ihr habt vollkommen Recht; nur werden Manchem Prüfungen auferlegt, die - gar zu hart erscheinen. Ich will damit keinesfalls sagen, daß gerade ich in meinem Leben vorzugsweise dazu verurtheilt gewesen sei, nur immer mit trüben Erfahrungen ringen zu müssen. Dies würde der Wahrheit wenig entsprechen, denn eben so traurig, wie meine Jugendzeit vergangen ist, eben so reich wie mein Aufenthalt im elterlichen Hause und dann in der ersten Zeit mein Leben in der Fremde an furchtbaren Ereignissen war, eben so ruhig, ich möchte sagen friedlich, habe ich seither als Mann gelebt.

Ihr seht also, daß ich noch keineswegs am schlimmsten daran gewesen bin, und auch Euch wird, wie ich fast glaube, die Sonne bald wieder voll scheinen. Heut' hege ich die Ueberzeugung, daß Ihr die Marken nicht eher verlassen werdet, als bis Ihr Eure Gattin wiedergefunden und Eure Rechnung mit dem schwarzen Unhold ausgeglichen habt. Fragt mich nicht, woher mir plötzlich dieser, wie ich gern zugebe, jedes festen Grundes noch entbehrende, doch aber, wie ich fühle, unerschütterliche Glaube kommt; ich vermöchte Euch keine genügende Antwort zu geben. Das aber weiß ich, meine Erwartung wird in Erfüllung gehen und Ihr werdet Eure Heimath zufrieden, ja glücklich wieder betreten!«

»Möge Eure Vorhersagung in Erfüllung gehen!« rief der Graf leise, wobei ein leichter Seufzer seinen Lippen entfloh. »Arme, arme Wanda,« fuhr er im leisen Selbstgespräch fort, »welch' furchtbare Leiden werden Dir auferlegt worden sein! Werde ich Dich wirklich noch einmal wiedersehen? - Ja! ja!« rief er nach minutenlangem Schweigen plötzlich laut, »ich glaube es, daß ich noch einmal ganz glücklich, daß ich mit Gottes und Eurer Hülfe mein Ziel erreichen werde. Ihr habt mir die Kinder, meine geliebten Kinder nicht nur erhalten, sondern auch vortrefflich erzogen, Ihr werdet mir auch ferner noch beistehen und mir zur Rettung meiner unglücklichen Gattin Euren Beistand nicht versagen. Dank, Dank Euch, edler Freund!«

Suteminn war, als der Graf den Namen seiner Gattin nannte, leicht aufgefahren. Der Name Wanda mußte Erinnerungen in ihm erweckt haben, die nicht ausschließlich freundlicher Natur waren.

Er beherrschte sich zwar so weit, daß der Graf keinen Anlaß fand, nach dem Grunde der Erregung des Ritters zu fragen, doch vermochte er nicht leicht die Ruhe wiederzufinden, welche ihm so plötzlich geraubt worden war, und er fühlte sich erst erleichtert, als auch der Graf sich in sein Schlafgemach begeben hatte.

Noch lange wanderte er jetzt in seinem Gemach auf und ab.

»Wanda! Wanda!« murmelte er wehmüthig, »seit wie langer Zeit hörte ich diesen Namen zum erstenmale wieder! Welche Fluth der Erinnerungen weckt er in mir! -«

»Thorheit!« brummte er nach kurzem Schweigen, »wie konnte ich nur so schwach sein, durch einfache Nennung eines Namens Zeiten, Tage und Erinnerungen wach werden zu lassen, die am besten begraben bleiben? Hat die Trägerin dieses Namens, an welche ich wider Willen denken muß, hat Wanda von Löwenholm denn verdient, daß ihrer jetzt von mir noch gedacht wird? Trägt sie nicht die Schuld an der Entzweiung der Brüder?


Ende des achtundzwanzigsten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der beiden Quitzows letzte Fahrten

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