Lieferung 100

Karl May

12. Juli 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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nach dem Abzuge der Franzosen die Stadt zu besetzen. Doch war die Disciplin so locker, daß zahlreiche Sehaaren von ihnen sich in die Stadt begaben, um während des Abends mit ihren französischen Waffenbrüdern ein wenig zu fraternisiren.

Durch dieses Gewühl hindurch mußte Curt sich mit seinen Begleitern Bahn brechen. Am Liebsten hätte er sich für diese Nacht draußen im Freien ein Lager gesucht, aber die beiden Jäger riethen davon ab. Sie wären doch zwischen die aufgelösten Truppen, bei denen auf rechte Mannszucht nicht zu rechnen war, gerathen und dabei vielleicht Unbilden ausgesetzt gewesen, welche sie in der Stadt umgehen konnten.

Aber diese Voraussetzung erwies sich als irrig. Die Stadt glich nicht einem Ameisenhaufen, sondern vielmehr einem Mehlwürmertopf, in welchem es von Käfern, Würmern, Larven und Milben »wibbelt und kribbelt«. Von Venta zu Venta, von Posada zu Posada und zuletzt gar von Haus zu Haus suchend, fanden sie nicht das kleinste Oertchen, wo sie, ihr Haupt niederlegend, auf eine Stunde der Ruhe hätten rechnen können. Und deren bedurften sie doch ebenso sehr wie ihre Pferde des Futters und des Wassers.

Glücklicher Weise erfuhren sie von einer alten »zahmen« Indianerin, welche in einem zerrissenen und schmutzigen Hemde vor einer zerfallenden Hütte hockte, daß draußen vor der Stadt ein Bach fließe, an dessen Ufern auch Gras in Menge zu finden sei. Sie beschlossen also, an diesem Wasser zu bivouakiren.

Leider aber war auch hier fast kein Plätzchen mehr zu haben. Die französische Reiterei hatte sich hier festgesetzt, und so mußte Curt froh sein, endlich ein schmales Stückchen Erde für sich zu erobern, welches zwei Schritte breit an den Bach stieß, so daß seine Thiere wenigstens zu saufen vermochten. Vor und hinter und neben der kleinen Gruppe brannten Wachtfeuer, von denen sie hell erleuchtet wurde, so daß ihre Gesichtszüge ganz deutlich zu erkennen waren.

Dies störte nicht nur ihre Behaglichkeit und Ruhe, sondern es zog auch die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich und sollte ihnen sehr verhängnißvoll werden.

Grad vor ihnen lag eine Gruppe von vielleicht dreißig Cavalleristen im Grase. Die Leute schmauchten den starken mexikanischen Tabak aus ihren kurzen Stummeln und unterhielten sich von den Thaten, welche sie zum Ruhme Frankreichs hier in diesem Lande »begangen und verschuldet« hatten. Ein ziemlich alter Sergeant-major (Feldwebel) befand sich bei ihnen, welcher der Unterhaltung mit großer Würde präsidirte.

Eben war eine Gesprächspause eingetreten, als Curt mit seinen drei Leuten herbeikam und sich in der Nähe niederließ. Ein leises Murren erhob sich unter den Franzosen.

»Was wollen diese Leute hier?« fragte Einer. »Haben sie ein Recht, hier zu sein?«

»Dulden wir Civilisten unter uns?« fragte ein Zweiter.

»Mexikanische Landstreicher gehören nicht in die Nähe der Söhne unseres schönen Frankreichs,« meinte ein Dritter.

Und ein Vierter wendete sich direct an den Feldwebel und sagte:

»Sergeant-major, dulden wir das?«

Der Alte strich seinen Schnauzbart eine ganze Weile lang und meinte dann:


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»Nöthig haben wir es wahrscheinlich nicht!«

»Nun, so ist es Ihre Pflicht, uns von diesen Leuten zu befreien.«

Und als der Alte zögerte, meinte ein junger Kerl zu ihm:

»Oder fürchten Sie sich vor diesem Civil?«

Da warf der Feldwebel dem Sprecher einen Blick zu, der wenigstens zerschmetternd oder zermalmend wirken sollte und sagte:

»Laffe! Als Du noch keine Hose trugst, trug ich bereits die Musquete. Ich werde Euch zeigen, wie schnell dieses Civil vor mir die Flucht ergreifen wird.«

Er schritt auf die vier Männer zu. Curt lag im Grase und hatte sich eine Cigarre angesteckt; die anderen drei lagen mehr am Rande des Baches und beaufsichtigten das Tränken ihrer Pferde.

»Was wollt Ihr hier? Auf und fort!«

Diese Worte donnerte der Alte Curt entgegen, indem er den Arm gebieterisch ausstreckte. Curt regte sich nicht.

»Habt Ihr es gehört? Augenblicklich fort!« wiederholte der Alte.

Auch jetzt gab Curt noch keine Antwort.

»Ah! Ihr wollt Euch widersetzen?« fragte der tapfere Reitersmann. »Gut, meine Leute werden Euch fortbringen.«

Curt sah, daß er sich anschickte, Leute herbeizurufen. Das hätte eine Scene gegeben. Darum sagte er ruhig:

»Sergeant-major, wo haben Sie für diese Nacht Ihr Quartier?«

Das empörte den Alten noch mehr. Er antwortete laut, so daß man es weithin hören konnte:

»Was? Er fragt mich nach meinem Quartier? Welches Recht hat Er dazu? Und weiß Er nicht, daß man sich erhebt, wenn man mit einem Helden Seiner Majestät, des Kaisers, spricht?«

»Gut, ich werde aufstehen, doch auf Ihre Verantwortung hin,« meinte Curt leichthin. »Ich bemerke aber, daß ich dies nur aus Rücksicht auf den Frieden thue, und wiederhole meine Frage, wo Sie für heute Abend Ihr Quartier haben.«

»Er hat sich darum nicht zu bekümmern!«

»O doch! Hat Ihre Truppe den Befehl, sich heute zu lagern, und ist Ihrer Abtheilung vom Commandanten diese Stelle angewiesen worden, so weiche ich gern; haben Sie aber Ihr Quartier in der Stadt, so daß Sie hier nur spazieren ruhen, so habe ich ganz dasselbe Recht wie Sie und werde bleiben.«

Der Alte sah den jungen Mann erstaunt an.

»Wer ist Er?« fragte er. »Er thut ja grad so, als ob Er auch gedient habe und vom Reglement etwas verstehe.«

Es hatte sich um die Beiden und die drei anderen Civilisten ein weiter Kreis von Soldaten gebildet, welche neugierig zuhörten.

»Können Sie lesen, Sergeant-major?« fragte Curt.

»Mille tonnerres!« fluchte da der Alte. »Tausend Donner. Wie kann Er es wagen, daran zu zweifeln!«

Curt antwortete ruhig:

»Weil ich viele Sergeant-majors kennen gelernt habe, welche nicht lesen konnten. Obgleich ich nach Ihrem Commandeur verlangen könnte, will ich mich doch herablassen, Ihnen Rede zu stehen. Hier, Kamerad, lesen Sie!«

Er zog von seinen Pässen denjenigen hervor, welcher in französischer Sprache abgefaßt war und gab ihm denselben hin.

»Wird auch viel Gescheidtes sein!« murrte der Alte.

Er trat näher an das Feuer, um besser lesen zu können. Kaum aber war er fertig, so kam er zurück, machte in kerzengrader Haltung sein Honneur und sagte im respectvollsten Tone:

»Verzeihung, mein Lieutenant! Das konnte ich nicht wissen!«

»So hätten Sie vorher sich ordnungsmäßig erkundigen sollen. Wo haben Sie Ihr Quartier?«

»In der Stadt.«

»So bleibe ich also hier. Treten Sie ab.«

Der Alte drehte sich stramm um und marschirte nach seinem Platze zurück, wo er sich kleinmüthig niederließ. Rund um ihn her begann ein Flüstern.

»Warum ging er nicht?« fragte Einer.

»Weil wir kein Recht haben, ihn fortzuweisen.«

»Sie gaben ihm das Honneur!«

»Donnerwetter! Er ist Offizier, und ich habe ihn Er genannt und so angedonnert. Ein Glück, daß wir morgen abmarschiren.«

»Ist er ein Franzose?«

»Nein, ein Deutscher.«

»A bah! Was für ein Deutscher?«

»Ein Preuße.«

»Hole sie alle der Teufel! Welchen Grad hat er?«

»Premierlieutenant.«

»Blos? Pah!«

»Sapperlot! Aber bei den Gardehusaren! Und beim Generalstabe ist er auch! Bei dieser Jugend!«

Das flößte Respect ein; aber man ärgerte sich doch, daß ein alter Sergeant-major von einem Civilisten abgewiesen worden war. Das Ereigniß sprach sich von Gruppe zu Gruppe; die Kinder des französischen Ruhms ereiferten sich darüber, und es entrirte sich eine Art von Wallfahrt nach dem Orte, an welchem der Deutsche lag und nach der Gruppe, in deren Mitte der Sergeant-major saß.

Unter Anderem kam auch ein leichter Reiter herbei, welcher mit im Norden des Landes gefochten hatte. Er erkundigte sich nach dem Ereignisse und betrachtete sich dann die Reisenden.

»Sacré bleu!« meinte er überrascht. »Den sollte ich kennen!«

»Den Offizier?« fragte der Sergeant-major.

»Nein, den Anderen.«

»Welchen?«

»Den mit der großen Nase!«

»Wirklich?«

»Bei Gott, ich kenne ihn. Ich will mich erschießen lassen, wenn ich ihm nicht gegenübergestanden habe! Ich sah von seinen Kugeln viele unserer Braven


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fallen. Es war das im Gefecht bei Cerro Sonores.«

Diese Worte brachten eine ungeheure Wirkung hervor.

»Was? Er ist ein Feind?« fragte der Alte.

»Ja. Er war bei Juarez. Er ist ein amerikanischer Jäger und wird Geierschnabel genannt.«

»Dann ist er ein Spion!« rief Einer halblaut.

»Bist Du Deiner Sache gewiß?« fragte der Alte.

»Ganz und gar. Aber ich werde gehen, um Mallou und Rénard zu holen. Sie haben damals an meiner Seite gefochten und werden ihn wiederkennen.«

»Gehe, mein Sohn! Mir geht ein Licht auf. Ein deutscher Offizier in Civil mit einem Spion des Juarez und noch zwei Anderen, welche wohl auch Spione sind, das wäre ein Fang, wie er gar nicht besser gemacht werden könnte.«

»Dann würden wir diesem Deutschen zeigen, daß er doch vom Wasser fort muß. Aber wohin! Hahaha!«

»Still, Jungens!« befahl der Alte. »Diese Personen dürfen nicht ahnen, was hier vorgeht, sonst könnten sie doch suchen, uns zu entkommen, und das wäre jammerschade.«

»Uns entkommen?« fragte der Junge, welcher vorhin so voreilig gewesen war. »Dies ist ja ganz und gar unmöglich. Wir sind ja da!«

»Halte den Mund, Knabe!« sagte der Alte. »Lerne erst diese Jäger kennen, dann wirst Du erfahren, was so ein Kerl zu bedeuten hat. Wenn Juarez dieses Land wieder erobern sollte, so hat er es nur der Disciplin, der Ausdauer und der eisernen Tapferkeit und Bravour dieser amerikanischen Jäger zu verdanken.«

In diesem Augenblicke kehrte der Soldat mit seinen zwei Kameraden zurück, er stellte sie dem Sergeant-major vor und sagte:

»Hier sind Rénard und Mallou. Sie mögen sehen, ob ich recht habe oder nicht.«

»Ja, Jungens,« meinte der Alte; »seht Euch doch einmal den Kerl da drüben an, welcher die lange Nase hat! Der da, Euer Kamerad meint, daß Euch diese Nase bereits bekannt sei.«

Die beiden Soldaten folgten dieser Aufforderung. Kaum hatten sie Geierschnabel erblickt, so meinte Rénard:

»Sacré gout! Den Kerl kenne ich.«

»Und ich auch!« fügte Mallou hinzu.

»Wirklich?« fragte der Alte, welcher sehr gespannt aussah.

»Ja,« antwortete Rénard. »Er hat uns in der Bataille von Cerro Sonores gegenübergestanden.«

»Es ist Geierschnabel, der berühmte, amerikanische Jäger,« erklärte Mallou. »Er gehört zu den Truppen des Juarez, und wir Drei haben mit unseren eigenen Augen gesehen, wie viele von den Unserigen von seinen Kugeln gefallen sind.«

»Was! Wirklich? Ihr kennt ihn also genau?« fragte der Sergeant-major, welcher es für angezeigt hielt, in einem solchen Falle, der jedenfalls ein sehr wichtiger war, so sicher wie möglich zu gehen.

»Natürlich, natürlich ist er's! Man kann sich ja gar nicht irren. Wer


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dieses Gesicht gesehen hat, für den ist eine Täuschung geradezu unmöglich, mein Sergeant-major.«

»Hm!« brummte der Alte. »Das kann diesen Leuten verdammt gefährlich werden. Kennt Ihr vielleicht noch einen Anderen von ihnen?«

»Nein.«

»Na, das thut auch weiter nichts zur Sache. Nun aber ist es unsere Pflicht, uns dieser Leute zu versichern. Aber das muß mit Vorsicht geschehen, da der Eine von ihnen ein Offizier ist. Man muß dem Generale Meldung machen. Das werde ich versorgen, und Ihr Drei geht mit. Ihr Anderen laßt Euch einstweilen nicht das Mindeste merken, habt aber ein scharfes Auge auf sie. Sollten sie sich entfernen wollen, so haltet Ihr sie zurück, und zwar sogar mit Gewalt, wenn das nothwendig sein sollte.«

Er entfernte sich mit den drei Soldaten, welche als Zeugen dienen sollten, und es trat nun eine Pause der Spannung ein, während welcher Curt nicht das Mindeste ahnte von dem, was ihm und den Seinigen bevorstand.

Es mochte ungefähr eine halbe Stunde vergangen sein, als ein Capitain de cavalerie (Rittmeister) in Begleitung von Bewaffneten erschien. Der Sergeant-major befand sich als Führer bei ihm; die Anderen aber waren von dem Generale als Zeugen zurückbehalten worden.

Während seine Begleitung sich einige Schritte zurück aufpostirte, trat der Rittmeister direct zu Curt, welcher sich, wißbegierig, was der Mann von ihm wolle, aus dem Grase erhob. Der Offizier betrachtete sich den Deutschen einige Augenblicke lang stillschweigend und fragte dann:

»Monsieur, es scheint, Sie sind kein Einwohner dieser Stadt?«

»Allerdings nicht,« antwortete Curt in höflichem Tone.

»Sie befinden sich auf Reisen?«

»Ja.«

»Woher kommen Sie?«

»Jetzt zunächst aus der Hauptstadt.«

»Und vorher, also überhaupt?«

»Aus Deutschland.«

Der Offizier kniff die Augen zusammen und meinte gedehnt:

»Aus Deutschland? Ah! Sie meinen wohl Oesterreich?«

»Nein, sondern Preußen.«

»Preußen? Hm! Glauben Sie, daß dies hier gut für Sie sein wird?«

Curt warf dem Manne einen erstaunten Blick zu und antwortete:

»Gestatten Sie, Ihnen zu gestehen, daß ich Ihre Frage nicht begreife und auch nicht verstehe!«

Der Rittmeister warf den Arm in einer Weise in die Luft, daß damit das gerade Gegentheil von Vertrauen und Achtung ausgedrückt wurde und sagte dann, indem er fortfuhr:

»Sie werden das wohl sehr bald verstehen und begreifen. Für jetzt aber muß ich Sie bitten, mir zu sagen, wohin Ihre Reise gerichtet ist.«

»Zunächst nach Santa Barbara.«

»Zunächst also! Und dann?«


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»Nach der Hazienda del Erina.«

»Ah, ich erinnere mich dieses Namens. Dies ist dieselbe Hazienda, welche sich so ausgezeichnet als Etappenstation eignet?«

»Ich weiß das nicht, denn ich bin noch niemals dort gewesen.«

»Welchen Zweck verfolgen Sie bei dieser Reise?«

»Er ist rein privater Natur.«

»Darf ich fragen, welcher Art diese Natur ist?«

»Ich gedenke, Verwandte oder Freunde dort zu treffen, oder wenigstens etwas über sie zu vernehmen.«

»Einen anderen Zweck verfolgen Sie nicht?«

»Nein.«

»Diese Personen, welche ich hier bei Ihnen sehe, werden Sie begleiten?«

»Ja.«

»Es sind Diener von Ihnen?«

»Dieser Ausdruck wird nicht ganz genau bezeichnend sein.«

»Also Freunde?«

»Ich möchte sie allerdings beinahe so nennen.«

»Ah! Hm! Freunde! Ist nicht Einer dabei, welcher Geierschnabel heißt?«

»Ja.«

»So möchte ich Sie ersuchen, mir zum commandirenden General zu folgen.«

Curt blickte befremdet auf.

»Was hat dies zu bedeuten?« fragte er.

»Ich bin nicht befugt, mich darüber zu äußern.«

»Soll ich Ihnen etwa in der Eigenschaft eines Arrestanten folgen?«

»Ich möchte mich dieses Ausdruckes allerdings nicht bedienen. Der General sandte mich, Sie und Ihre Begleiter zu ihm zu holen!«

»Augenblicklich?«

»Ja.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Ich will nicht befürchten, daß Sie dies thun werden.«

»Und wenn ich es dennoch thue?«

»Ich muß Sie bringen. Folgen Sie mir nicht freiwillig, so werde ich allerdings zur Anwendung von Gewalt gezwungen sein.«

»Also bin ich doch arretirt!«

»Es steht Ihnen frei, es zu nennen, wie es Ihnen beliebt, nur ersuche ich Sie dringend, von allem Widerstand abzusehen. Blicken Sie sich gefälligst um. Das ganze Feld wimmelt von unseren Soldaten. Es ist ganz unmöglich, zu entkommen.«

Curt warf einen schnellen Blick umher. Seine drei Begleiter hatten sich auch vom Boden erhoben. Sie standen neben den Pferden, den Zügel in der Linken und die Rechte im Sattel, also bereit, aufzuspringen und davon zu jagen. Er aber schüttelte verächtlich den Kopf und sagte:

»Nicht entkommen? Monsieur, wenn es ein Wette gelte, so wollte ich sicher sein, sie zu gewinnen. Läge es in meiner Absicht, zu fliehen, so würde Niemand im Stande sein, uns aufzuhalten. Aber ich habe ein reines Gewissen; ich bin


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mir nicht bewußt, etwas Unrechtes gethan zu haben, und so verzichte ich auf jeden Entweichungsversuch. Wir stehen zu Diensten, Herr Rittmeister.«

»Gut! Folgen Sie mir!«

Der Offizier war mit seinen Begleitern zu Fuße gekommen.

»Dürfen wir aufsteigen?« fragte Curt unter einem leisen Lächeln.

»Nein!« antwortete der Gefragte schnell.

Sie nahmen also ihre Pferde am Zügel und folgten, bewacht von den Soldaten, dem Rittmeister.

»Verdammt! Was werden wir sollen?« flüsterte Geierschnabel dem Jäger Grandeprise zu, indem er sein Primchen ausspuckte und ein neues von riesigen Dimensionen in den Mund schob.

»Wer weiß es!« antwortete der Gefragte. »Vielleicht hat man uns gar in dem Verdachte, Spione zu sein!«

»Das wäre ja eine ganz verteufelte Christbescheerung! Ich hörte, daß der Kerl meinen Namen nannte.«

»Ich hörte es auch.«

»Was geht dem General mein Name an?«

»Wir werden es jedenfalls sehr bald erfahren.«

»Nun, da genießen wir wenigstens das große Glück, mit einem französischen General reden zu können. Hole ihn der Teufel!«

Der Weg führte sie durch zahlreiche Militärgruppen nach der Stadt zurück bis vor das Gebäude, in welchem der Commandirende sein Quartier aufgeschlagen hatte. Sie wurden sofort zu ihm geführt. Es befanden sich mehrere Offiziere bei ihm, welche die Eintretenden mit finster forschenden Blicken musterten. Der Rittmeister blieb mit seinen Leuten an der Thür halten, um die Arrestanten genau im Auge zu behalten.

Der General wendete sich zunächst an Geierschnabel, dessen ungewöhnliche Physiognomie er einige Augenblicke unter sichtlicher Belustigung musterte. Dann fragte er:

»Ihr Name?«

Geierschnabel nickte ihm außerordentlich freundlich zu und antwortete:

»Ja, mein Name!«

Der General machte eine Miene des Erstaunens und wiederholte:

»Ihr Name!«

Sein Ton war jetzt ein bedeutend strengerer als vorher; aber der Jäger schien dies gar nicht zu bemerken. Er schmunzelte den General abermals höchst vertraulich an und antwortete kopfnickend:

»Freilich, freilich! Mein Name!«

»Mann, was fällt Ihnen ein! Ihren Namen will ich wissen!« rief jetzt der Offizier erzürnt.

»Ah! Wissen wollten Sie ihn? Ja, das konnte ich doch nicht errathen. Sie sagten: »Ihr Name!« Ich habe gedacht, er gefällt Ihnen so ausnehmend. Nun erfahre ich aber, daß Sie ihn noch gar nicht wissen.«

»Sind Sie des Teufels? Es versteht sich doch ganz von selbst, daß ich wissen will, wie Sie heißen!«


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»Ganz von selbst? O nein! Wenn Jemand zu mir sagt: »Hochgeehrtester Sennor, wollen Sie nicht die Gewogenheit haben, mir zu sagen, wie Ihr geehrtester Name lautet?« so weiß ich, was er will; aber wenn Einer blos sagt: »Ihr Name!« so kann ich doch nur vermuthen, daß er in Beziehung meines Namens irgend eine Absicht verfolgt, welche sie aber ist, das weiß der Teufel!«

Der General wußte nicht, was er denken sollte. Hatte er hier einen äußerst frechen oder einen geistig beschränkten Menschen vor sich? Er hielt noch an sich und sagte:

»Nun, also jetzt wissen Sie, daß ich Ihren Namen hören will.«

»Den richtigen oder den anderen?«

»Den richtigen!«

»Den richtigen? Hm! Das wird schwer halten!« meinte Geierschnabel höchst nachdenklich.

Der General runzelte die Stirn und sagte:

»Wieso? Sie haben wohl Ursache, sich des richtigen gar nicht zu bedienen? Sie tragen falsche Namen? Das ist sehr verdächtig!«

»Schwerlich!« antwortete Geierschnabel leichthin. »Aber man hat mich so lange Zeit nicht bei meinem richtigen Namen genannt, daß ich ihn fast ganz und gar vergessen habe.«

»Nun, so besinnen Sie sich! Wie lautet er?«

»Hm! Ich glaube, ich heiße William Saunders.«

»Woher?«

»Woher ich so heiße?«

»Nein, sondern woher Sie sind!« fuhr ihn der General an.

»Aus den Vereinigten-Staaten.«

»Und wie heißt der andere Name?«

»Geierschnabel.«

»Ah! Ein nom de guerre, wie ihn die Verbrecher unter einander zu führen pflegen. Wer hat Sie so genannt?«

»Meine Kameraden.«

»Ich dachte es mir. Diese Kameraden waren wohl Bewohner der hintersten Quartiere?«

»Der hintersten Quartiere?« fragte Geierschnabel erstaunt. »Diesen Ausdruck habe ich noch nicht gehört. Was hat er zu bedeuten?«

»Ich meine, daß es Menschen waren, welche das Licht des Tages zu scheuen hatten.«

»Ah! Sie meinen wohl Spitzbuben und Consorten?«

»Ja,« nickte der General.

»Pfui Teufel! Pchtichchchchch!« Dabei spuckte er so hart am Kopfe des Offiziers vorüber, daß dieser erschrocken zur Seite sprang und mehr erstaunt als zornig ausrief:

»Mensch, was fällt Ihnen ein! Wissen Sie, vor wem Sie stehen?«

»Ja,« nickte Geierschnabel ganz gemüthlich.

»So betragen Sie sich auch darnach. Also, wer waren Ihre Complicen?«


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»Complicen? Ich will getheert und gefedert werden, wenn ich dieses Wort verstehe! Meinen Sie etwa meine Kameraden?«

»Ja.«

Die mir den Namen gegeben haben?«

»Ja.«

»Nun, das waren wackere Jungens, lauter Jungens, lauter tüchtige Kerls, denen es ganz egal war, ob sie mit einem Pferdediebe oder mit einem Generale redeten. Jäger waren es, Trapper, Squatter und Indianer. Sie müssen nämlich wissen, daß es in der Savanne fast keinen Jäger giebt, der nicht einen Beinamen hat. Der Eine erhält ihn in Folge irgend eines Vorzuges, der Andere in Folge eines Fehlers. Mein größter Vorzug nun ist meine Nase. Ist es da zu verwundern, daß mich da die verteufelten Kerls Geiernase oder Geierschnabel genannt haben?«

Der General wußte noch immer nicht, wie er diesen eigenthümlichen Menschen zu taxiren habe. Er ging zur Hauptsache über, indem er fragte:

»Also ein Prairiejäger sind Sie?«

»Ja.«

»Haben Sie sich stets blos mit der Jagd allein beschäftigt?«

»Nicht ganz allein.«

»Womit noch?«

Ich habe nebenbei auch noch gegessen, getrunken, geschlafen, die Hosen ausgebessert, Tabak gekaut und verschiedenes Andre mehr.«

»Mille tonnerre! Wollen Sie sich etwa einen Spaß mit mir machen?«

»Nein.«

»Das will ich Ihnen auch nicht gerathen haben! Kennen Sie Juarez?«

»Ja. Sehr gut sogar.«

»Persönlich?«

»Natürlich!«

»Haben Sie unter ihm gefochten?«

»Nein, sondern geschossen.«

»Das ist gleich. Sie haben uns gegenüber gestanden?«

»Den Franzosen? Ja. Ich ihnen und sie mir.«

»Sie haben Franzosen getödtet?«

»Das ist möglich. Während des Gefechtes kann man nicht hinter jeder Kugel herlaufen, um zu sehen, ob sie trifft.«

»Waren Sie im Gefechte von Cerro Sonores?«

»Ja.«

»Kennen Sie diese Männer?«

Der General zeigte auf die drei Soldaten, welche als Zeugen reservirt worden waren. Geierschnabel sah sie an und antwortete:

»Ja, die kenne ich.«

»Von woher? «

»Ich habe sie vorhin draußen auf dem Felde gesehen.«

»Vorher nicht?«

»Kann mich nicht besinnen! Ist mir auch ganz und gar egal.«


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»Diese drei Männer haben Sie bei Cerro Sonores gesehen.«

»Das ist möglich.«

»Sie behaupten, daß Ihre Kugeln sehr gut getroffen haben!«

»So? Das freut mich! Für einen alten Jäger ist es verdammt ärgerlich, zu erfahren, daß er nur in's Blaue geschossen hat.«

»Scherzen Sie nicht,« rief der General in ernstem Tone.

»Es handelt sich hier um Leben und Tod!«

Geierschnabel machte ein erstauntes Gesicht und fragte:

»Um Leben und Tod! Wieso denn?«

»Sehen Sie das nicht von selbst ein?«

»Nein.«

»Dann sind Sie um Ihres mangelhaften Fassungsvermögens zu bedauern. Sie sind überführt, Franzosen erschossen zu haben.«

»Ich hoffe es!«

»Sie sind also Mörder.«

»Mörder?« fragte Geierschnabel rasch.

»Ja. Und mit Mördern pflegt man kurzen Prozeß zu machen.«

»Ja, man giebt ihnen eine Kugel oder den Strick,« nickte Geierschnabel. »Aber wer will mir nachweisen, daß ich ein Mörder bin?«

»Es ist bereits nachgewiesen.«

»Oho! Ich bin Combattant, aber kein Mörder. Jetzt geht mir ein Licht auf. Diese drei Kerls haben mich im Gefecht gesehen und hier wieder erkannt und angezeigt.«

»So ist es. Ein kaiserliches Decret befiehlt, einen jeden Empörer sofort zu erschießen.«

»Empörer? Pchtichchchchch!«

Er spuckte grad an dem General vorüber nach dem Tische, wo der braune Saft ein brennendes Wachslicht auslöschte.

»Ich ein Empörer?« wiederholte er. »Herr General, wollen Sie die Güte haben, dieses Schriftstück zu lesen?«

Er zog einige Documente aus der Tasche und reichte eines davon dem Offizier hin. Dieser las und sagte dann:

»Ah! Sie wären also Dragonercapitän? Vereinigter-Staaten-Offizier?«

»Ja. Das kann man nämlich werden, trotzdem man eine lange Nase hat.«

Der General that, als habe er diese letztere Bemerkung gar nicht vernommen und sagte:

»Das kann Sie doch nicht retten. Sie haben sich einer mexikanischen Bande beigesellt.«

»Bande? Ist das Heer des Juarez eine Bande? Hier! Ich bitte, auch dieses zu lesen!«

Er gab ein zweites Schriftstück hin, und der General nahm Einsicht davon, meinte aber achselzuckend:

»Es ist Ihr von Juarez ausgefertigtes Patent als Capitän der freiwilligen Jäger.«

»Ja, freilich. Ich traf mit Juarez zusammen; er konnte mich brauchen, und da sein Weg zufälliger Weise auch der meinige war, so schloß ich mich ihm an und erhielt den Befehl über eine Jägercompagnie.«


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»Sie sind also Deserteur?«

»Wer sagt das?«

»Ich! Sie haben unter Juarez gefochten, trotzdem Sie Offizier der Vereinigten-Staaten sind.«

»Das nennen Sie Deserteur? Selbst wenn ich desertire, ist dies nur Sache des Präsidenten aber nicht eines Franzosen. Ich habe unbestimmten Urlaub; ich habe vom Präsidenten die Erlaubniß, unter Juarez zu fechten. Ich bin weder Deserteur noch Mörder.«

»Befleißigen Sie sich eines anderen Tones! Selbst wenn ich das Bisherige fallen lasse, so bleibt doch der Umstand, daß Sie als Combattant dieses Juarez hier mitten in unserem Lager betroffen worden. Sie werden wissen, was das zu bedeuten hat.«

»Kriegsgefangen etwa?«

»O nein! Viel schlimmer. Sie haben sich hier eingeschlichen. Sie sind natürlich Spion!«

»Oho!« rief da Geierschnabel. »Ich bin nicht mehr Combattant. Hier ist der Beweis.«

Er gab ein drittes Papier hin.

»Das ist allerdings die Zufertigung Ihres Abschiedes von Seiten des Juarez,« sagte der General, als er es gelesen hatte; »aber das kann Nichts ändern. Sie sind im Lager betroffen worden, Sie sind Spion!«

»So muß ein jeder Fremde, welcher zufälliger Weise an einen Ort kommt, an welchem sich französische Truppen befinden, ein Spion sein!«

»Ihr Argument ist kein geistreiches. Ich habe übrigens weder Zeit noch Lust, mich mit Ihnen weiter zu unterhalten. Das bereits angezogene kaiserliche Decret sagt, daß ein Jeder, welcher den Truppen des Kaisers gegenübersteht, nämlich mit den Waffen in der Hand, ein Aufrührer und ein Räuber ist und als solcher behandelt, das heißt, erschossen werden soll. Ihr Urtheil ist gesprochen.«

Da richtete sich die Gestalt des Jägers stolz in die Höhe.

»General,« sagte er, »Sie sind Unterthan des Kaisers von Frankreich, welcher den Erzherzog Max von Oesterreich als Kaiser von Mexiko anerkennt; für Sie mag also das, was Max oder Napoleon decretiren, Geltung haben. Ich aber bin Unterthan der Vereinigten-Staaten, deren Präsident einen Kaiser von Mexiko nie anerkannt hat; was also der Erzherzog von Oesterreich decretirt, ist meinem Präsidenten und auch mir ganz egal.«

»Es wird sich zeigen, daß es Ihnen nicht ganz und gar egal zu sein braucht. Sie befinden sich innerhalb unseres Machtbereiches und werden nach den Gesetzen behandelt, welche hier Geltung haben.«

»Man versuche es! Ich protestire gegen jede Gewaltsamkeit. Mein Präsident wird sich und mir Genugthuung zu verschaffen wissen.«

»Pah! Der Präsident von Krämern,« rief der General verächtlich.

»Pchtichchchchch!« spie Geierschnabel einen Strahl aus, welcher über das ganze Zimmer hinüber und gegen die Wand spritzte. »Krämer?« rief er. »General, sagen Sie mir doch, weshalb die Franzosen jetzt aus Mexiko gehen? Dieser Präsident der Krämer hat Napoleon mitgetheilt, daß er keinen Franzosen mehr


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in Mexiko dulde, und Ihr großer Kaiser läßt Sie abmarschiren. Diese Krämer müssen also doch Kerls sein, die nicht auf den Kopf gefallen sind, und welche man in Paris zu respectiren gezwungen ist.«

So hatte noch Niemand gewagt, mit dem General zu sprechen. Auf seine Büchse gestützt, stand Geierschnabel in stolzer, selbstbewußter Haltung da, als ob er der Commandirende, der General aber der Arretirte sei. Dieser Letztere hätte den muthigen Jäger am Liebsten sofort erschießen lassen, aber er kannte gar wohl die Macht der von diesem vorgebrachten Argumente. Er befleißigte sich daher eines hochstolzen, eisigen Tones und sagte:

»Ich habe mich herabgelassen, Ihren Fall direct zu untersuchen. Sie haben nun zu schweigen und das Weitere zu gewärtigen.«

»Bin neugierig darauf,« meinte Geierschnabel.

Der General wendete sich zu Grandeprise:

»Wie heißen Sie?«

»Grandeprise,«

»Woher?«

»Aus New-Orleans.«

»Also auch Unterthan der Vereinigten-Staaten?«

»Ja, ursprünglich, dann aber nicht mehr, jetzt aber wieder.«

»Wie habe ich das zu verstehen?«

»Ich bin Jäger und wohne am texanischen Ufer des Rio Grande.«

»Kämpften Sie unter Juarez?«

»Nein.«

»Was thun Sie hier?«

»Ich bin von dem Herrn Lieutenant Helmers engagirt.«

»Und Sie?« fragte der Franzose den Seemann Peters.

»Ich bin Matrose, heiße Peters und habe einen Privatauftrag in Mexiko auszurichten. Hier meine Legitimation.«

Das war eine ebenso kurze wie exacte Auskunft. Der General las die Legitimation und fragte:

»Aber Sie sind wohl auch von diesem Herrn engagirt?«

»Ja.«

»Trotz Ihres privaten Auftrages?«

»Ja. Unsere privaten Absichten sind zufälliger Weise ganz dieselben.«

»So werde ich wohl hier darüber Aufklärung erlangen.«

Bei diesen Worten wendete er sich Curt zu. Dieser hatte bisher ganz ruhig dagestanden und gar nicht gethan, als ob das Gesprochene ihn berühre. Jetzt wurde auch er gefragt:

»Sie heißen?«

»Hier meine Legitimation!« sagte Curt mit scharfer Kürze.

Er gab seine Documente ab. Der General las, behielt sie in der Hand und betrachtete den jungen Mann eine Weile mit neugierigen Blicken. Dann fragte er:

»Sie heißen also Curt Helmers?«

»Ja.«


// 2389 //

»Sind Oberlieutenant der Gardehusaren in Berlin?«

»Ja.«

»Commandirt zum Stabe des jetzt so berühmten Moltke?«

Bei dieser letzten Frage zuckte ein höhnisches Lächeln um seinen Mund. Curt antwortete in aller Ruhe:

»Warum diese Frage, General? Sie haben meine Legitimation gelesen; meine Personalien sind Ihnen also bekannt. Eine jede Wiederholung ist unnöthig.«

»Ah, Sie sprechen ja höchst peremtorisch,« lachte der General. »Dieser Ton scheint den Herren Preußen zur zweiten Natur geworden zu sein; bei mir aber verfängt er nicht. Ich spreche meine Fragen aus, weil ich Ihren Documenten nicht gut glauben kann. Ein Offizier, wie Sie sein wollen, und - Spion.«

Curts Wangen färbten sich, aber er behielt seine Ruhe doch noch bei.

»General,« sagte er, »Sie sprachen da ein Wort aus, welches Ihnen nur die Wahl läßt, mir entweder zu beweisen, daß Sie recht haben, oder mir Genugthuung zu geben.«

»Ah, nicht so stolz, mein junger Lieutenant. Sagen Sie mir doch gefälligst, woher Sie jetzt kommen?«

»Aus Mexiko.«

»Haben Sie dort Deutsche besucht?«

»Ja.«

»Wen?«

»Den Geschäftsträger Preußens.«

»Ah! Wohl gar in amtlicher Eigenschaft?«

»Nein.«

»Wie sonst?«

»Privatim, natürlich.«

»Und wohin wollten Sie von hier aus?«

»Nach Santa Jaga und der Hazienda del Erina.«

»Sacré! Nach dieser berühmten oder vielmehr berüchtigten Hazienda. Wissen Sie vielleicht, daß sie sich jetzt in den Händen des Juarez befindet?«

»Ja.«

»Das genügt. Sie kommen aus der Hauptstadt und wollen zu Juarez.«

»Ich komme aus der Hauptstadt und will in privater Angelegenheit nach Santa Jaga,« antwortete Curt. »Später gehe ich wohl nach der Hazienda. Wer aber hat gesagt, daß ich zu Juarez will?«

»Das steht zu erwarten.«

»Vermuthung also! Ich hoffe nicht, daß eine bloße und noch dazu unbegründete Vermuthung hinreichend ist, einen Offizier und Ehrenmann zu beleidigen und ihn in Arrest zu nehmen.«

»Ich werde Beweise finden,« sagte der General. »Man suche diese Leute aus.«

»Ich protestire gegen eine solche Behandlung,« rief Curt empört.

»Ihr Protest gilt nichts. Ich habe befohlen und man wird gehorchen.«

Die Mantelsäcke der vier Reisenden wurden geholt, und sodann durchsuchte man sogar die Taschen der Letzteren. So sehr Curt gegen eine solche Behandlung protestirte, es half ihm nichts.


// 2390 //

»Selbst wenn Sie kein Spion sind,« sagte der General, »und selbst wenn ich diesen Geierschnabel begnadigen wollte, müßte ich Sie in Gewahrsam halten.«

»Warum?« fragte Curt.

»Meinen Sie, daß ich Sie zu Juarez gehen lasse, damit er erfahre, was bei uns vorgeht? Rittmeister, weisen Sie diesen vier Männern ihr Logis an. Das Uebrige wird sich finden.«

Es folgte nun eine sehr heftige Scene. Die vier Reisenden mußten Alles von sich legen, was nicht ganz und gar unentbehrlich war, und dann wurden sie in einen Raum geschlossen, aus welchem kein Entrinnen war. Der Franzose hatte sich viel sagen lassen, ohne sich direct zu revanchiren; aber jetzt begann seine Rache.

Am anderen Tage wurde Curt mit seinen Begleitern mitgeschleppt. Er hoffte auf rasche Erledigung dieser Angelegenheit - umsonst. Er meldete sich; er verlangte eine Untersuchung - kein Mensch hörte ihn. Er wurde weiter geschleppt, bis er sich wieder in Vera Cruz befand. Erst als der letzte französische Soldat auf dem letzten französischen Schiffe den Hafen verlassen hatte, sahen die Vier ihre Freiheit wieder und erhielten Das zurück, was ihnen confiscirt worden war.

Man kann sich denken, welcher Grimm sich der vier Männer bemächtigt hatte. Sie beschlossen zwar, sich sofort an die Vertreter ihrer Regierungen zu wenden, aber was sie verloren hatten, das blieb ihnen doch unwiderbringlich verloren - die kostbare Zeit, welche nicht zurückzurufen war.

Sie sagten sich mit wirklicher Wuth im Herzen, daß Cortejo und Landola ihnen entgangen seien. Was konnte seit jenem Tage Alles vorgegangen und geschehen sein. Sie tauschten ihre abgematteten Pferde gegen bessere um und flogen nach der Gegend zurück, welche zu verlassen man sie so schmählich gezwungen hatte.

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Wer an einen Gott, an eine Vorsehung glaubt, der wird sehr oft die Erfahrung machen, daß der Lenker der Ereignisse die Fäden derselben grad dann zusammenzieht, wenn man es am Allerwenigsten erwartet und wenn die Hoffnung darauf verschwinden will.

Im Fort Guadeloupe ging es jetzt recht einsam zu. Die Comanchen hatten wiederholt recht beherzigungswerthe Lehren erhalten, und in Folge dessen hatten ihre Häuptlinge beschlossen, sich nicht mehr in die Angelegenheiten der Weißen zu mischen. So hatte das Fort nichts mehr von ihnen zu befürchten. Die Apachen hielten für Juarez die Grenzdistrikte besetzt, und die Jäger und kriegsfähigen Männer, welche sonst im Fort verkehrt hatten, waren alle auch dem Zapoteken gefolgt. Darum also gab es kein Leben mehr im Fort, und die Langeweile war als böser Gast nun eingekehrt.

Es war am Spätnachmittage. Resedilla saß an dem Fenster der Schänkstube, an welchem sie ihren gewohnten Platz hatte, und strickte. Sie war etwas bleich geworden; aber diese Bleiche gab ihr etwas ungemein Sanftes und Liebes. Der Grund ihres schönen Auges schien sich vertieft zu haben, und um ihren Lippen lag ein Zug stiller Ergebenheit und Resignation, welcher sie nicht so lebensfroh, aber fast noch schöner, noch weiblicher erscheinen ließ, als sie früher gewesen war.


// 2391 //

An dem anderen Fenster saß Pirnero. Er hatte ein Buch in der Hand, aber er las nicht in demselben, sondern seine Augen schweiften hinaus, wo die Sonne sich dem Horizonte näherte. Auch er hatte sich verändert. Es war fast, als ob sein Kopf kahler geworden sei. Seine Stirne lag in Falten; seine Lippen waren zusammengepreßt und seine Augen blickten finster.

Es herrschte eine tiefe, unerquickliche Stille in der Stube, die keins von den Beiden unterbrechen zu wollen schien.

Endlich, endlich räusperte sich der Alte.

»Hm!« machte er. »Miserables Wetter!«

Resedilla antwortete nicht.

»Ganz miserables Wetter!« wiederholte er nach einer Weile. Sie antwortete jetzt ebenso wenig als vorher.

»Nun!« rief er da im zornigen Tone.

»Was, Vater?« fragte sie jetzt.

»Miserables Wetter!«

»Es ist ja ganz schön draußen!«

Da drehte er das Gesicht nach ihr herum, blickte sie so erstaunt an, als ob sie etwas ganz und gar Unbegreifliches gesagt hätte, und fragte sie in piquirtem Tone:

»Wie? Was? Schön soll das sein?«

»Natürlich, Vater!«

»Wieso denn, he?«

»Nun, so blicke doch nur hinaus!«

»Das habe ich bereits den ganzen Tag gethan; aber etwas Schönes sehe ich nicht. Da ist die Sonne, da sind Bäume und Sträucher, der Fluß, einige Häuser und Vögel, aber Menschen, Menschen sehe ich nicht. Oder siehst Du etwa welche?«

»Ja,« lächelte sie.

»Wo denn?«

»Nun, zunächst sind ja wir Beide da -«

»Wir Beide? Das ist auch was Rechtes!«

»Und sodann sehe ich grad jetzt drüben die Lydia.«

»Die Lydia? Die alte Negerin, welche dort Wäsche aufhängt? Wir Zwei und Die? Sind das etwa Menschen?«

»Ich denke doch!«

»Unsinn!«

»Nun, was verstehst Du denn eigentlich unter Menschen?«

»Leute, welche bei mir einkehren und einen Julep trinken, oder im Laden irgend etwas kaufen, Leute, mit denen man sich unterhalten kann, Leute, mit denen man ein Geschäft macht.«

»Ach so! Dann hast Du recht, dann allerdings giebt es hier bei uns keine Menschen mehr,« sagte sie, fast traurig.

»Ja, keine Menschen, keinen einzigen, nicht einmal einen Schwiegersohn.«

Er blickte sie bei diesen Worten scharf an. Sie senkte das Gesicht, über welches sich eine tiefe Röthe verbreitete, aber sie antwortete nicht.

»Nun!« sagte er.


// 2392 //

»Was?« fragte sie.

»Was sagst Du zu diesem Worte?«

»Zu welchem?« erkundigte sie sich, obgleich sie ganz genau wußte, welches er meinte.

»Zu dem Worte Schwiegersohn?«

»Rechnest Du so einen auch zu den Menschen?« versuchte sie zu scherzen.

»Na und ob! Ein Schwiegersohn ist ein höchst bedeutungsvoller Mensch. Ohne ihn giebt es keinen Schwiegervater, keine Schwiegermutter und keine Schwiegertochter. Wo er fehlt, da giebt es weder Großvater noch Enkel, da giebt es weder Hochzeit noch Kindtaufe noch Pathengeld. Eine solche armselige Geschichte mag der Teufel holen.«

Ein leiser Seufzer ertönte von ihrem Platze her. Er achtete gar nicht darauf und fuhr fort:

»Grad so ist's bei uns.«

Er mochte eine Aeußerung erwartet haben, denn er horchte nach ihr hin, da er aber nichts zu hören bekam, rief er:

»Nun!«

»Was?«

»Grad so ist es bei uns.«

»Ja, Pathenbriefe giebt es nicht, die sind alle geworden.«

»Dummes Ding! Rede ich denn von meinem Laden, in welchem mir allerdings grad die Pathenbriefe ausgegangen sind. Ich rede ja von weiter Niemand als von Dir.«

»Von mir?«

»Ja. Und das merkst Du nicht? Wo hast Du denn Deinen Verstand und Deine Ohren, he? Und wer ist Schuld daran?«

»An dem Verstande?«

»Den meine ich nicht, denn den hast Du von mir; das kommt von dem Forterben vom Vater auf die Tochter hinüber. Ich meine vielmehr den Schwiegersohn. Was habe ich mir da für Mühe geben müssen. Weißt Du es noch?«

»Ja,« antwortete sie, damit sich seine Laune nicht verschlimmere.

»Da war dieser kleine André. Besinnst Du Dich auf ihn?«

»Ja.«

»Ein hübscher, niedlicher Kerl!«

»Hm!«

»Was hast Du denn? Der Kerl paßte ganz gut. Er war Brauer und hatte ganze Beutel voll Nuggets. Dann kam der Nächste.«

Sie fragte nicht, wen er meine. Darum rief er zu ihr hinüber:

»Nun!«

»Was?«

»Der Nächste. Weißt Du, wer das war?«

»Nein.«

»Ja, so ist es! Unsereiner giebt sich die größte Mühe, um es zu einem Schwiegersohn zu bringen, und sie weiß nicht einmal, welche Anbeter sie gehabt hat. Den Amerikaner meine ich.«

»Welchen Amerikaner?«


// 2393 //

»Nun, der auf dem Canoe den Fluß heraufkam.«

»Ah! Geierschnabel etwa?«

»Ja.«

»Pfui!«

»So? Ah! Was pfuist Du denn? Er war ein berühmter Scout, und der Lord hatte ihn geschickt. Wegen der Nase hättest Du keine Sorge zu haben gebraucht; die hätten nur Deine Töchter bekommen, nicht aber Deine Söhne. Das ist die Folge der Abstammung vom Vater auf die Tochter und von der Mutter auf den Sohn hinüber. Und dann kam der Dritte.«

Sie senkte das Köpfchen noch viel tiefer als vorher.

»Nun!« sagte er.

»Was?«

»Der Dritte kam!«

»Ja.«

»Wer war das?«

»Meinst Du - meinst Du Gérard?« fragte sie stockend.

»Ja. Der war mir der liebste. Dir nicht auch?«

»Ja,« hauchte sie, nachdem sie eine Weile gezögert hatte.

»Donnerwetter. Ein berühmter Kerl! Nicht?«

»Ja.«

»Tapfer!«

»Ja.«

»Stark und hübsch!«

»Ziemlich.«

»Und dabei doch sanft wie ein Kind und fromm wie ein Lamm.«

»Das ist wahr.«

»Und reich! Diese Büchse mit dem Kolben von Gold. Weißt Du noch, als er ein Stück davon herabschnitt?«

»Ich war ja dabei.«

»Er war erst incognito da; aber ich hatte ihn längst durchschaut.«

»Du?« fragte sie.

»Ja, ich! Glaubst Du das etwa nicht?«

»Ich habe nichts davon bemerkt.«

»Natürlich! Weißt Du, was ein Diplomat ist?«

»Ja.«

»Ein Diplomat ist ein Mann, der Rußland seine Gedanken verbirgt, weil Frankreich nicht weiß, was England von Schweden und Norwegen denken soll. Verstanden?«

»Ja.«

»Grad so habe ich es auch gemacht. Ich habe Euch meine Gedanken so fein, so gut versteckt, daß Ihr gar nicht ahntet, daß ich überhaupt welche hatte.«

»Ja, so sahst Du aus,« lachte sie.

»Nicht wahr? Das war ein Meisterstück. Ja, ich habe die ganze Politik im Kopfe. Die Schlacht da draußen am Flusse habe ich lange vorher gewußt.


// 2394 //

Auch den Sieg habe ich mir im Stillen vorher geweissagt. Darum schoß ich so tapfer mitten unter die Franzosen hinein.«

»Du?« fragte sie.

»Ja. Oder zweifelst Du etwa?«

»Hm!«

»Na, was hast Du denn? Alle Welt weiß, daß ich Acht oder Neun erschossen und auch Einige erstochen habe. Und dann die Massacre droben auf der Bodenkammer.«

»Hast Du da auch Einige erschossen?«

»Hm!« brummte er verlegen.

»Nein.«

»Oder erstochen?«

»Nein. Ich fand keine Gelegenheit dazu, denn der Gérard war damit fertig, ehe ich nur anfangen konnte. Der arme Teufel! So lange zwischen Leben und Tod zu schweben. Das war eine Sorge! Nicht?«

»O, Vater, eine sehr große!«

»Ja. Endlich, endlich war wieder Hoffnung da. Weißt Du, was ich mir da einbildete?«

»Nun?«

»Daß er Dir einen Heirathsantrag machen würde.«

Sie zog vor, zu schweigen.

»Oder wenigstens eine Liebeserklärung.«

Auch jetzt gab sie keine Antwort.

»Nun!« rief er.

»Was denn?«

»Ist nichts Derartiges vorgekommen, he?«

»Nein.«

»Also kein richtiger Antrag?«

»Nein.«

»Auch kein kleines, verstohlenes Anträgelchen?«

»Nein.«

»So ein Kuß auf die Hand oder auf die Wange?«

»Nein.«

»Oder so ein Bischen in den Arm oder in das Ohr gezwickt?«

»Auch nicht.«

»Oder so ein gelinder, heimlicher Liebestritt auf die Füßchen?«

»Nein.«

»Donnerwetter! Hat er Dir denn nicht wenigstens einmal die rechte oder die linke Hand gequetscht?«

»Als er fortging.«

»Da war's bereits zu spät. Aber mit den Augen hat er wenigstens einmal gezwinkert?«

»Ich kann mich nicht besinnen.«

»Da hat man's. Was habe ich gezwickert und gezwinkert, gequetscht und gezwickt, gekniffen und gepufft, als ich Deine Mutter kennen lernte. Wir Alten hatten die Liebe viel besser weg als Ihr Jungen. Dieser Gérard. So ein feiner


// 2395 //

Kerl. Und nur erst, als er fortgegangen ist, hat er Dir die Hand gequetscht. Der Esel. Herrjeh, wäre das ein Schwiegersohn gewesen. Hat er Dir denn nicht gesagt, wohin er wollte?«

»O ja.«

»Was! Dir hat er's gesagt?«

»Ja.«

»Und mir nicht? Sakkerment! Das will ich mir verbitten! Solche Heimlichkeiten, solche Tächtelmächteleien kann ich nicht leiden und dulden. Das ist ja grad so verschwiegen, als ob Ihr ein Liebespaar wärt. Das will ich mir verbitten. Aber, he, wie kommt es denn, daß es Dir erst jetzt einfällt?«

»Erst jetzt?« meinte sie verlegen.

»Ja. Du hast ja immer gesagt, daß Du nicht weißt, wohin er ist.«

»Ich habe es gewußt.«

»Ah, sieh doch einmal an. Und warum sagtest Du es mir nicht?«

»Es war ja Geheimniß!«

»Himmelelement! Geheimnisse habt Ihr mit einander?«

»Nur dieses eine, lieber Vater.«

»Das geht nicht. Das würde ich nicht einmal von meiner Tochter und von meinem Schwiegersohn dulden. Ich müßte Alles wissen, Alles, sogar wie viel Küsse sie sich pro Viertelstunde geben. Dadurch bekommt man eine gewisse Uebersicht, die sehr nothwendig ist, wenn man die Ehe der Tochter mit der eigenen vergleichen will. Also was für ein Geheimniß ist es?«

»Ich sollte nichts sagen, Vater, aber die Zeit, in welcher er zurückkehren wollte, ist vorüber, und nun bekomme ich Angst.«

»Angst? Sapperlot, das klingt schlimm! Ist's denn gefährlich?«

»Ja, zumal er noch so schwach war, als er ging.«

»Nun, so rede, um was handelt es sich denn?«

»Um - - er wollte - - o, mein Gott!«

Sie hielt mitten im Satze inne. Ihr Auge starrte durch das Fenster; ihr Gesicht hatte die Starrheit und Bleichheit des Todes angenommen und ihre beiden Hände waren nach dem Herzen gefahren, wo sie fest liegen blieben.

Pirnero bemerkte die Richtung ihres Blickes. Er trat zum Fenster und sah hinaus. Da kam ein Reiter langsam die Gasse herauf. Ihm folgten fast ein Dutzend schwerbepackte Maulthiere, und hinter diesen ritt ein zweiter Reiter neben einer Reiterin.

»Kreuzhimmelbataillongranatenbombenstiefelknecht, das ist er ja,« schrie Pirnero und stürmte zur Thür hinaus.

Da erhielt auch Resedilla wieder Leben. Ihr Busen begann sich zu bewegen, ihre Hände sanken herab, fuhren aber sofort wieder empor nach den Augen, denen eine Thränenfluth der Erleichterung entstürzte.

"Er ist's!" schluchzte sie.

»Er ist's, er ist's,« schluchzte sie. »Gott sei Dank! Gott sei Dank! O, so darf ich ihn nicht sehen, so nicht, nein, so nicht!«

Sie fühlte, daß sie sich ihm laut jubelnd an die Brust stürzen würde, und darum floh sie hinauf in ihre Kammer, welche bereits Zeuge von tausend geweinten Thränen gewesen war.


// 2396 //

Pirnero aber stand unter der Thür und streckte beide Hände aus, um den Jäger zu empfangen.

»Willkommen, tausendmal willkommen, Sennor Gérard,« rief er. »Wo habt Ihr denn nur gesteckt?«

»Das sollt Ihr bald hören, mein lieber Sennor Pirnero. Erlaubt nur, daß ich vom Pferde steige.«

Ja, das war Gérard, der Alte, der Frühere. Hoch, stark und breit, fast so riesig wie Sternau gebaut, hatte er nicht die mindeste Spur seiner Krankheit mehr in Haltung und Bewegung. Seine Kleidung war abgerissen; er mußte ungewöhnliche Strapazen hinter sich haben; aber sein sonnverbranntes Gesicht zeigte eine Frische, und sein Auge zeigte einen Glanz, welche es nicht errathen ließen, daß er vor kurzer Zeit noch mit dem Tode gerungen habe.

Er sprang vom Pferde, und anstatt dem Alten die Hand zu geben, zog er ihn in die Arme und drückte ihn an sich und gab ihm sogar einen schallenden Kuß auf die Wange.

»Grüß Gott, Sennor Pirnero!« rief er dabei im Ausdrucke des Glückes. »Wie herzlich froh bin ich, wieder bei Euch zu sein.«

Das war dem Alten noch nicht passirt. Seine Augen wurden vor Freude und Rührung augenblicklich naß. Er hielt die beiden Hände des Jägers fest und fragte:

»Wirklich? Ihr seid froh darüber?«

»Ja.«

»Ihr umarmt mich sogar vor Freude?«

»Natürlich!«

»Ihr gebt mir einen Schmatz und quetscht mich an Euch grad so, wie Ihr der Resedilla die Hand gequetscht habt, als Ihr fortgegangen seid. Sennor, Ihr seid ein tüchtiger Kerl und ein gutes Gemüth. Ich wünschte nur - - na, davon darf man bei Euch nun einmal nicht anfangen, da Ihr partout ledig bleiben wollt. Aber sagt mir doch, wer der Sennor ist und die Sennora, welche Ihr bei Euch habt?«

»Das werde ich Euch drin erzählen. Aber sagt mir lieber, ob Sennorita Resedilla munter ist.«

»Munter? O leider nein.«

»Ah! Sie ist doch nicht krank?«

»Das eigentlich nicht. Aber sie muß sich den Magen verdorben haben, denn sie kann fast gar nichts mehr essen. Sie magert ab, und im Stillen, da stöhnt und seufzt sie, da piept und pfiept sie, als wenn's bald zu Ende gehen solle. Ich habe ihr schon Senfteig gerathen, Senfteig auf den Magen und die Schulterblätter mit Melissengeist einreiben; aber sie hört nicht eher, bis es zu spät ist. Hier gehört eben ein tüchtiger Schwiegersohn her, der ihr den Standpunkt klar macht, was Senfteig und Melissengeist zu bedeuten haben, wenn man einen kranken und übergesperrten Magen hat.«

Der schwarze Gérard kannte den Alten. Auf ihn wirkten die Worte des Alten nicht so, wie es bei einem Anderen gewesen wäre. Er sagte:

»Wo befindet sie sich jetzt?«


// 2397 //

»Drinnen in der Stube.«

»So erlaubt, daß ich sie zunächst begrüße.«

Er trat in den Flur, öffnete die Thür der Stube und blickte hinein.

»Hier ist Niemand,« sagte er.

»Freilich ist sie drin,« behauptete der Alte.

»Nein.«

»Donnerwetter, seid Ihr denn blind? Sie steht ja da am Fenster, guckt Euch an und macht ein Gesicht, als ob sie ein halbes Dutzend Maulwürfe lebendig verschluckt hätte.«

»Aber wo denn nur?« fragte Gérard lachend.

»Da! Hier!«

Der Alte kam an die Thür, um nach der Stelle zu zeigen, an welcher er Resedilla verlassen hatte; aber sie war allerdings leer.

»Weiß Gott, sie ist nicht da,« rief er ganz erstaunt.

»Seht Ihr!«

»Sie ist fort. Reine weg fort. Ist das ein Benehmen. Himmeldonnerwetter! Was habt Ihr ihr denn eigentlich gethan?«

»Gethan? Wieso?«

»Nun, weil sie Euch so ganz und gar nicht leiden kann.«

»Ja, das kann ich mir auch nicht erklären.«

»Ja, Ihr müßt es mit ihr verdorben haben, ganz gewaltig verdorben. Als sie Euch kommen sah, stieg ihr gleich die Galle in die Höhe; das sah ich ihr an. Darum ist sie ausgerissen. Sie will von Euch gar nichts wissen.«

»Leider. Aber sagt, mein lieber Sennor Pirnero, kann ich unsere Pferde und Maulthiere bei Euch unterbringen?«

»Das versteht sich.«

»Und die Ladung auch?«

»Jawohl!«

»Aber ich kann sie nicht im Freien liegen lassen, ich möchte sie vielmehr einschließen.«

»Ah, ist sie werthvoll?«

»So ziemlich.«

»Worin besteht sie denn?«

»Es ist Blei.«

»Blei? Sapperlot, das ist ja gut. Blei wird außerordentlich gesucht. Wo wollt Ihr es denn hinschaffen?«

»Zunächst will ich es hier lassen. Ich dachte, mit Euch ein kleines Geschäftchen zu machen.«

»Schön! Aber woher habt Ihr das Blei?«

»Ich kannte eine Bleimine da oben in der Sierra. Und da ich nächstens in die Lage kommen werde, viel Geld zu gebrauchen, so reiste ich hinauf und holte mir so viel, bis ich genug hatte.«

»Na, ich denke, daß Ihr mir den Preis nicht gar zu hoch stellt. Aber, was ist es denn, weßwegen Ihr so viel Geld braucht?«

»Etwas sehr Eigenthümliches!«


// 2398 //

»Wirklich?«

»Ja. Sogar etwas sehr Wichtiges.«

»Alle Teufel! Ihr macht mich ja ganz bedeutend neugierig.«

»Nun, so rathet einmal.«

»Rathen? Hm, sagt es mir doch lieber gleich!«

»Meinetwegen. Ich werde heirathen.«

Der Alte sprang vor Erstaunen einen Schritt zurück.

»Heirathen? Unsinn!« rief er.

»O, doch,« antwortete Gérard.

»Wann denn?«

»In einigen Tagen.«

»Und wen denn?«

»Die Sennorita, welche ich mitgebracht habe.«

Er deutete auf die verschleierte Frauengestalt, welche noch im Sattel saß, während ihr Begleiter bereits abgestiegen war und sich mit den Thieren zu schaffen machte. Pirnero warf einen forschenden Blick auf sie. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ebenso wenig die Gefühle seines Herzens zurückhalten.

»Seid Ihr denn verrückt oder gescheidt?« fragte er.

»Wieso?«

»Daß es Euch einfällt, zu heirathen.«

»Nun, man will doch endlich einmal glücklich sein.«

»Glücklich? Hole Euch der Teufel! Wird man denn durch das Heirathen etwa glücklich?«

»Natürlich.«

»Unsinn. Das fällt keinem Menschen ein. Man verliert nur seine Freiheit und Selbstständigkeit; der Character, das Temperament und das Ehrgefühl gehen verloren, und man sinkt nach und nach zu einem Dinge herab, mit dem die Frau machen kann, was ihr beliebt. Ich rathe Euch ab.«

»Es ist zu spät.«

»Sapperlot! Es ist nicht zu spät. Jagt sie zum Teufel! Hat denn diese dort Eltern?«

»Leider nicht mehr.«

»So müßt Ihr sie auf alle Fälle fortjagen.«

»Warum?«

»Weil Ihr ja durch diese Heirath nicht einmal zu einem Schwiegervater kommt. Weshalb heirathet man denn? Um einen Schwiegervater zu haben, mit dem man sich gut steht.«

»Das möchte ich zugeben. Aber wie gesagt, es ist bereits zu spät.«

»Na, so bedaure ich Euch von ganzem Herzen. Willkommen, Sennor und Sennorita. Tretet gefälligst ein!«

Diese Worte waren an den Begleiter und die Begleiterin Gérards gerichtet, welche jetzt näher traten, um sich nach der Gaststube zu begeben.

»Könnten wir die Ladung nicht in Eurem Magazin unterbringen?« fragte Gérard.

»Ja. Ich werde gleich meine Leute rufen. Sapperment, seid Ihr vorsichtig. Ihr habt diese Bleisäcke doch sogar zugesiegelt.«


// 2399 //

»Sicher ist sicher. Seht darauf, daß mir die Siegel nicht beschädigt werden, und sorgt dann für ein gutes Abendbrod!«

Erfolgte den beiden Anderen in die Stube. Pirnero holte seine Leute herbei, und dann eilte er nach der Küche, um seiner Tochter die nöthigen Befehle zu geben.

»Wo ist Resedilla?« fragte er die alte Magd, welche allein vorhanden war.

»Ich weiß es nicht,« antwortete die Gefragte, »aber ich hörte, daß sie die Treppe hinaufging.«

»So ist sie ausgerissen,« meinte er. »Hm, ich nehme es ihr auch nicht gerade übel. Der Kerl ist doch zu dumm!«

»Warum?« fragte die Alte, der es sehr selten passirte, ihren Herrn einmal mittheilsam gegen sein Gesinde zu finden, und die daher diese Gelegenheit schleunigst ergriff.

»Weil er heirathet,« antwortete er.

»O, Madonna, sollte das wirklich dumm sein?«

»Natürlich!«

»Sennor, ich halte es ganz und gar nicht für eine Dummheit, Sennorita Resedilla zur Frau zu nehmen. Erstens ist sie jung, zweitens ist sie hübsch, drittens wohlhabend, viertens -«

»Erstens, zweitens, drittens und viertens hast Du das Maul zu halten,« unterbrach er sie zornig. »Resedilla ist es ja gar nicht, welche er heirathen will.«

»Nicht?« fragte die Magd ganz erstaunt.

»Nein.«

»Wer denn?«

»Eine Andere natürlich. Aber da kommt er bei mir zum Richtigen. Wenn er etwa geglaubt hat, daß ich ihm meine Resedilla zur Frau geben werde, da hat er sich ganz gewaltig geirrt. Der könnte vom Kopfe an bis zu den Füßen herab in Gold gefaßt sein, er kriegte dennoch meine Tochter nicht. Ich habe mir einen ganz anderen Schwiegersohn eingebildet, und den bekomme ich auch. Ich habe meine Tochter nicht so fein vom Vater auf die Tochter herüber erzogen, daß sie einen Jäger heirathen soll. Sie wird einen Mann bekommen, der sich gewaschen hat.«

Er hatte sich in einen gewissen Zorn hinein geredet, der sich von Wort zu Wort immer mehr steigerte. Der Umstand, daß der schwarze Gérard eine Andere heirathen wolle, hatte ihm seine liebste Hoffnung zerstört und versetzte ihn in einen Grimm, wie er ihn lange Zeit nicht gefühlt hatte. Er that nun so, als ob ihm an dem früher Gewünschten gar nichts gelegen habe und fuhr fort:

»Wenn Du überhaupt wüßtest, was ich vorhabe, so würdest Du Dich nicht wenig wundern.«

»Wundern? Hm, Sennor, ich wundere mich gar zu gern ein Bischen. Wollt Ihr es mir nicht sagen?«

»Warum nicht! Ich werde verkaufen.«

»Verkaufen?« fragte sie ganz erstaunt. »Was denn?«

»Nun was denn sonst als mein Geschäft und meine Besitzungen.«

»Heilige Madonna! Was soll denn da aus uns werden!« rief sie, die Hände zusammenschlagend.


// 2400 //

»Na, Ihr bleibt da. Der Käufer muß Euch mit übernehmen.«

»Habt Ihr denn schon einen Käufer?«

»Nein.«

»Gott sei Dank!«

»Gott sei Dank? Dumme Liese. Ich will vielmehr Gott danken, wenn ich einen finde. Dann ziehe ich fort.«

»Wohin denn?«

»Weit fort, fort aus Mexiko, fort aus Amerika, dahin, wo es noch andere Schwiegersöhne giebt als diesen Gérard. Jetzt freue ich mich darüber, daß Resedilla so klug gewesen ist, mit ihm gar keinen großen Kram zu machen. Wir wollen sie lassen, wo sie ist. Er will zwar ein Essen haben, aber was der bekommen wird, das bringen wir auch ohne sie ganz gut fertig.«

So begann er denn, sich mit Hilfe der Alten über die Zubereitung eines Mahles herzumachen. Unterdessen brachten seine Leute die Thiere und die Ladung der Angekommenen unter. Diese Letzteren aber befanden sich im Gastzimmer, wo sie sich miteinander unterhielten.

Die Dame hatte den Schleier abgenommen und sah, trotzdem, daß sie nicht mehr weit von der Vierzig stehen konnte, noch ganz acceptabel und reputirlich aus. Dem aufmerksamen Beobachter mußte es auffallen, daß sie eine große Aehnlichkeit mit Gérard besaß.

Was diesen Letzteren betrifft, so ließ er jetzt die Beiden allein, indem er aus dem Zimmer ging und die Treppe hinaufstieg.

Da oben gab es ja Resedilla's Schlafstube, welche er so gut kannte und in welcher er so glückliche Augenblicke verlebt hatte.

Er klopfte leise. Ein ebenso leises »Herein« ertönte von innen, und so trat er ein. Resedilla stand am Fenster. Ihre schönen Augen waren noch feucht. Er trat näher und fragte:

"Seid Ihr bös?"

»Seid Ihr bös, daß ich es wage, Sennorita?«

»Nein,« hauchte sie.

»Ah, Ihr habt geweint!«

»Ein wenig,« flüsterte sie unter einem halben Lächeln.

»O, wenn ich doch wüßte, worüber Ihr geweint habt.«

Sie antwortete nicht. Darum fuhr er fort:

»Ihr wart unten, als ich kam?«

»Ja.«

»Und Ihr seid schleunigst geflohen. Auch jetzt sagt Ihr kein Wort, mich zu bewillkommen. Bin ich Euch denn so verhaßt?«

Er sagte das in einem so traurigen Tone, daß sie sofort auf ihn zutrat und ihm mit herzinnigem Ausdrucke ihres Gesichtes beide Hände entgegenstreckte.

»Willkommen, Sennor,« sagte sie.

»Wirklich?« fragte er, ihre Hände rasch ergreifend.

»Ja, herzlich willkommen.«

»Und dennoch seid Ihr geflohen? Nicht wahr, vor mir?«

»Ja,« antwortete sie, langsam und zögernd.

»Warum?«


Ende der einhundertsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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