Lieferung 104

Karl May

26. Juli 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Ohne Weiteres wird es auch nicht geschehen. Man wird einen Gerichtshof constituiren.«

»Und dennoch darf dieser Gerichtshof nicht aus den Augen lassen, wer der Angeklagte ist. Ein Erzherzog von Oesterreich darf Rücksichten in Anspruch nehmen, welche ich hier wohl nicht weiter auszuführen brauche.«

»Wer Rücksichten in Anspruch nimmt, muß gelernt haben, selbst Rücksichten zu hegen. Ein Dieb, ein Verleumder, ein Fälscher, ein Mörder, ein Empörer oder Landsfriedensbrecher wird bestraft, mag er sein, wer er will. Und je höher an Intelligenz ein Mensch steht, desto härtere Strafe verdient er, wenn er gegen Gesetze fehlt, welche er besser kennen muß als ein jeder Andere.«

»Das ist der Grundsatz eines strengen Richters.«

»Das bin ich auch.«

»Aber nicht eines Regenten, welcher das schöne Recht hat, Gnade walten zu lassen.«

»Wer sagt Ihnen, daß ich nicht an Gnade gedacht habe?«

»Ihre eigenen Worte.«

Juarez erhob sich von seinem Stuhle, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und blieb dann vor Curt stehen.

»Junger Mann,« sagte er, »Sie sollen mir mittheilen, daß es der Wunsch Ihrer Regierung ist, ich möge Gnade walten lassen?«

»Sie errathen das Richtige.«

»Kennen Sie die Art und Weise, in welcher Mexiko von den Franzosen für Max in Beschlag genommen wurde?«

»Ja.«

»Wissen Sie, daß ich damals der von Gott eingesetzte und von den Mexikanern erwählte Regent dieses Landes war?«

»Ja.«

»Können Sie sagen, daß ich mein Volk unglücklich gemacht habe?«

»Ich bin vom Gegentheile überzeugt.«

»Hat mein Volk mich abgesetzt?«

»Nein, obgleich eine Deputation nach Paris kam und den Kaiser -«

»Das war Blendwerk und Spiegelfechterei,« fiel Juarez schnell ein. »Es war ein Puppenspiel, an welches nur Kinder glauben konnten. Aber wissen Sie, wie die Franzosen hier im Lande gewirthschaftet haben?«

»Leider!«

»Sie waren meine Feinde. Gegen Maximilian von Habsburg habe ich nur Zweierlei: erstens, daß er vertrauensselig auf die Intentionen eines Mannes einging, welcher selbst nur durch Blut und Revolution Kaiser wurde, eines Mannes, von dem wir niemals annehmen konnten, daß er der Beglücker seines Volkes sein werde, und zweitens, daß Maximilian nun jetzt, wo der letzte Franzose das Land verlassen hat, in ganz unbegreiflicher Verblendung diesen Leuten, welche an der Spitze der Civilisation marschiren, nicht sofort auf dem Fuße folgt. Nur sein Vertrauen auf die Hilfe Napoleons war es, welches ihn zu Schritten verleitete, deren Folgen zerschmetternd auf sein Haupt fallen werden. Ist Ihnen das berüchtigte Decret vom 3. October bekannt?«


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»Ja.«

»Und Ihrer Regierung auch?«

»Jedenfalls.«

»Nun, so lassen Sie mich katechetisch verfahren. Welchen Inhalt hat dieses Decret?«

»Ein jeder Feind des Kaiserreiches ist ein Landesverräther und Empörer und wird ohne vorheriges Urtheil mit dem Tode bestraft.«

»Dieses Decret hat Vielen, Vielen das Leben gekostet. Selbst meine treuen Generäle Arteaga und Salazar wurden ohne Urtheil und Recht gemordet. Wir lebten friedlich im Lande; wir waren glücklich. Da kamen die Franzosen und sagten, wir hätten kein Recht, Frieden und unsere Verfassung zu haben, Max müsse unser Kaiser sein. Das Blutvergießen begann. Wer waren die Empörer, junger Mann?«

Curt zuckte die Achsel.

»Etwa wir?«

»Hm!«

»Oder die Franzosen? Oder Napoleon und Max?«

»Sennor, Sie haben recht,« meinte Sternau mit seiner tiefen, kräftigen Stimme.

»Und dennoch waren wir es, welche als Räuber behandelt wurden,« fuhr Juarez erregt fort. »Der Inhalt jenes blutigen Decretes ist kein anderer, als der Spruch jenes alten Eroberers: »Wehe den Besiegten!« Wir waren die Besiegten, und das Wehe kam über uns. Jetzt aber hat unser gerechter Gott geholfen. Wir sind die Besieger. Wir könnten nun auch rufen: »Wehe den Besiegten!« Und mit wie größerem Rechte. Aber wir thun es nicht. Wir wollen nicht ungerecht, nicht grausam und unmenschlich sein. Aber unser Recht wollen wir, und wenn wir dies wollen, so wollen wir folgerichtig, daß auch einem jeden Anderen, also auch den Bedrückern unseres Landes sein und ihr Recht werde. Ist Ihnen das jus talionis der Bibel bekannt, Sennor Helmers?«

»Natürlich!« antwortete Curt.

»Dieses Recht herrscht und gilt noch in der Prairie und Wüste, allüberall, wo die Völker noch in guter, alter, patriarchalischer Weise beisammen wohnen -«

»Es ist grausam,« fiel Curt ein. »Diejenigen Nationen, welche Anspruch auf die Segnungen der Civilisation - -«

»Gehen Sie mir mit dieser Civilisation,« unterbrach ihn Juarez. »Zählen Sie die Franzosen auch zu diesen civilisirten Nationen?«

»Natürlich!«

»Ich habe es auch gethan. Aber sie sind ohne alle Ursache in Mexiko eingefallen wie die Räuber! Ist das ihre Civilisation, ihre Bildung? Wenn der Panther des Südens raubt und mordet, so ist er einfach ein Raubthier in Menschengestalt und wird seinen Käfig finden. Wenn dieser Cortejo erklärt, daß er Präsident sein wolle, so ist dies einfach wahnsinnig oder zum wenigsten lächerlich. Wenn aber Napoleon und Maximilian von Oesterreich mit Heeresmacht in ein Land einbrechen, dessen Bewohner ihnen nichts gethan haben, so gleichen sie nur den Botocuden, Comanchen, Kurden und anderen wilden Völkerschaften, die ich


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unter die Barbaren zähle. Und wenn ich Sie unterbrach, als Sie von den civilisirten Nationen begannen, so haben doch auch diese das Vergeltungsrecht in ihre Gesetzbücher aufgenommen. Sie sagen zwar nicht mehr, »Auge um Auge, Zahn um Zahn!« aber sie bestrafen jedes Verbrechen und Vergehen, den Tod mit dem Tode und jedes Andere mit einer congruenten Summe von Freiheitsentziehung oder Geld. Haben Sie die Tropfen Blutes gezählt, welche während der letzten Invasion in Mexiko geflossen sind?«

Curt schüttelte trüben Angesichtes mit dem Kopfe.

»Nun, sie sind nicht zu zählen. Es sind nicht Tropfen, sondern Ströme. Bin ich ungerecht, wenn ich dieser Ströme wegen den Schuldigen zum Tode verurtheile, während ein jeder Richter einen Mörder, welcher nur ein einziges Menschenleben zerstörte, zum Tode verurtheilt?«

»Ich wiederhole, daß Der, von welchem Sie sprechen, das Glied einer erlauchten Kaiserfamilie ist.«

»Erlaucht? Was nennen Sie erlaucht? Kommt dieses Wort nicht von dem deutschen Erleuchten her?«

»Ja.«

»Nun, so stelle ich es Ihnen anheim, den Betreffenden erlauchtet zu nennen, ich aber hüte mich, es zu thun. Und je höher er steht, desto strafbarer ist er. Was würde man in Oesterreich sagen, wenn ich plötzlich dort mit einem Heere einbräche, um dem Volke zu beweisen, daß ich ein besserer Regent sein werde als - -«

Er wurde unterbrochen. Die Thüre öffnete sich, und es trat, nein, es stürmte ein Mann herein, an dessen Kleidung man sofort den höheren Offizier erkannte. Nicht groß und nicht klein, nicht schmächtig und nicht dick, trug sein Aeußeres das echt mexikanische Gepräge. Seine Gesichtsfarbe spielte in das Gelbliche; seine Züge waren scharf, seine Augen schwarz und glänzend, und die raschen Schritte, mit denen er auf Juarez zueilte, verriethen ein feuriges Temperament und eine große Energie des Characters.

»Sennor Juarez,« rief er, beide Hände zum Gruße ausstreckend.

»General Diaz,« entgegnete Juarez, indem sein Gesicht den Ausdruck des höchsten Erstaunens zeigte.

»Ihr wundert Euch, mich hier zu sehen?«

»Ihr hier in Zacatecas!« rief Juarez, indem er ihn bei den Händen nahm und ihn umarmte.

»Ja, hier, Sennor. Ihr seht es ja!«

»Ich vermuthete Euch doch jenseits der Hauptstadt!«

»Da war ich auch.«

»Und nun hier? Ist ein Unglück geschehen?«

»O nein. Ich komme im Gegentheile, Euch eine sehr gute Nachricht zu bringen.«

»Ah! So sprecht.«

Diaz sah die beiden Anderen an.

»Das ist Sennor Sternau und Sennor Helmers, zwei Freunde von mir, vor denen ich offen sein kann,« erklärte Juarez.


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Die Drei verbeugten sich stumm gegen einander und dann fragte der General den Präsidenten:

»Habt Ihr meine Botschaften alle erhalten?«

»Die beiden letzten nicht.«

»Sie wurden von dem Gegner aufgefangen. Darum komme ich selbst. Daß die Franzosen aus dem Lande sind, wißt Ihr?«

»Ja.«

»Daß Max in Queretaro ist, auch?«

»Auch.«

»Er hat nur noch drei Städte im Besitz. Mexiko, die Hauptstadt, Queretaro und Vera Cruz. In Mexiko kommandirt der Schuft Marquez, welcher die Bürger bis auf das Blut schindet.«

»Gott wird geben, daß er nicht lange mehr befehligt!«

»Ich hoffe es. Ich erwartete Nachricht von Euch. Da ich aber keine erhielt, weil die Boten weggefangen wurden, habe ich auf eigene Faust gehandelt.«

»Ah! Was habt Ihr unternommen?«

»Die drei Städte, welche dem sogenannten Kaiser noch gehören, müssen getrennt werden; ihre Verbindung muß unterbrochen werden. Darum habe ich Puebla belagert und erstürmt.«

»Wirklich?« fragte Juarez im Tone höchster Freude.

»Ja.«

»Und es ist in Eure Hand gefallen?«

»Natürlich ja.«

»Das ist herrlich! Das ist ein großer Fortschritt. Sennor Porfirio, hier meine Hand. Ich danke Euch mit vollem Herzen.«

»Und nun,« fuhr Porfirio Diaz fort, »komme ich selbst, um mit Euch und General Eskobedo das Weitere persönlich zu berathen. Ich will mich jetzt nur anmelden. Befehlt, wann Ihr zu sprechen seid.«

»Ich werde es Euch und Eskobedo wissen lassen. Jetzt seid Ihr mein Gast. Kommt und laßt Euch führen.«

Die Freude hatte den ernsten Zapoteken förmlich verjüngt und ganz verändert. Er entschuldigte sich gegen Sternau und Helmers, nahm den General beim Arme und führte ihn fort.

Erst nach einer längeren Weile kehrte er zurück. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen.

»Sennor Sternau,« fragte er, »habt Ihr schon von diesem Porfirio Diaz gehört?«

»Sehr viel,« antwortete der Gefragte.

»Wenn ich an ihn denke oder ihn sehe, erinnere ich mich stets eines Generals des ersten Napoleon, den dieser den Bravsten der Braven zu nennen pflegte.«

»Ah, Sie meinen den Marschall Ney?«

»Ja. Diaz ist mein Marschall Ney. Er ist nicht blos ein guter und außerordentlich zuverlässiger Militär, sondern auch ein nicht schlechter Diplomat. Ich


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bin ganz überzeugt, daß er einst mein Nachfolger sein wird.*) Kennt Ihr die Lage von Puebla?«

»Sehr gut. Ich bin ja durch die Stadt gekommen.«

»Sie liegt zwischen der Hauptstadt und dem Hafen von Vera Cruz. Nun wir sie erobert haben, ist Max von Habsburg verloren. Er ist vom Hafen abgeschnitten und kann uns nicht mehr entgehen.«

Da erhob Curt bittend die Hände und sagte:

»Sennor, ich flehe um Gnade für ihn.«

»Und ich vereinige meine Bitte mit diesem Flehen!« meinte Sternau.

Juarez blickte sie kopfschüttelnd an. Sein Gesicht hatte einen weichen Zug, einen Zug der Milde angenommen, wie er an ihm nur sehr selten zu bemerken war.

»Ich habe geglaubt, daß Sie mich kennen, Sennor Sternau,« sagte er.

»O, ich kenne Sie ja auch!« antwortete der Doctor.

»Nun und wie denn?«

»Als einen festen, unerschütterlichen Character, der unter allen Umständen das hinausführt, was er sich vorgenommen hat.«

»Weiter nichts?«

»Dessen Herz aber doch nicht völlig unter der Herrschaft seines strengen Verstandes steht.«

»Da mögt Ihr recht haben.«

»Darum hoffe ich, daß unsere Bitte keine ganz und gar vergebliche sei.«

»Hm. Was verlangen Sie denn eigentlich von mir?«

»Lassen Sie den Erzherzog entfliehen.«

»Und wenn ich dies nicht vermag?«

»So lassen Sie sein Urtheil wenigstens nicht ein Urtheil des Todes sein.«

Der Zapoteke schüttelte abermals den Kopf.

»Sennores, Sie verlangen zu viel von mir,« sagte er, »Maximilian hat sich in jenem blutigen Decrete sein Urtheil selbst gesprochen. Dennoch wollte ich Milde walten lassen, aber er hat mich nicht gehört. Ich darf keinen Kaiser von Mexiko anerkennen, wie er ja auch mich nicht als Präsidenten anerkannt hat. Ich sehe in ihm ebenso wenig eine Person, mit welcher ich in diplomatischen Verkehr treten möchte, wie er es mit mir auch nicht gethan hat. Aber ich bin nicht blos Präsident, ich bin auch Mensch, und weil auch er Mensch ist, so habe ich zu ihm als Mensch zum Menschen gesprochen, er aber hat nicht auf mich gehört.«

»Welche Verblendung!« rief Sternau.

»Ich habe jene Sennorita Emilia zu ihm gesandt. Sie hat ihn auf seine Umgebung aufmerksam gemacht. Sie hat ihm bewiesen, daß er nur Verräther oder schwachköpfige Abenteurer um sich hat - es hat nichts geholfen.«

»So ist er selbst schuld.«

»Er und kein Anderer. Ich habe ihm sagen lassen, daß ich ihm den Weg nach der See bis zum letzten Augenblicke offen lassen werde - er hat gelacht.

________

*) Diese Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen, denn jetzt, im Juli 1884 ist Porfirio Diaz Präsident von Mexiko geworden.
                                                                                                                                                                     Anmerkung des Verfassers.


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Ich habe ihm ferner gesagt, daß ich ihn nicht zu retten vermöge, sobald er als Gefangener in die Hände der Meinigen gerathe - er hat abermals gelacht!«

»Giebt es keinen weiteren Versuch?« fragte Curt.

Juarez blickte ihn forschend an.

»Vielleicht,« antwortete er nachdenklich.

»O, so versäumen Sie ihn nicht!«

»Hm. Wollen Sie ihn etwa machen?«

Bei diesen Worten war das Auge des Zapoteken forschend, fast stechend auf Curt gerichtet.

»Sofort!« erwiderte dieser freudig.

»Er wird auch umsonst sein.«

»Ich hoffe das Gegentheil!«

»So. Sie sind allerdings der einzige Mann, dem ich so etwas anvertrauen möchte. Glauben Sie, durch die Vorposten zu kommen?«

»Sie meinen die Vorposten der Kaiserlichen?«

»Ja. Für die meinigen gebe ich Ihnen Passepartout.«

»Ich bin gut legitimirt. Man wird mich nicht anhalten.«

»Und glauben Sie auch, vor Maximilian zu kommen?«

»Ganz bestimmt.«

Juarez blickte ihn noch einmal mit voller Schärfe an. Es war, als ob er in der tiefsten Tiefe seiner Seele lesen wolle. Dann machte er eine rasche Wendung und setzte sich an einen Tisch, auf welchem neben allerlei Scripturen die nöthigen Schreibrequisiten lagen. Er legte sich ein Blatt zurecht, tauchte die Feder ein und schrieb. Als er fertig war, gab er Curt das Papier hin und fragte:

»Wird das genügen?«

Curt las:

»Hiermit verbiete ich, dem Vorzeiger dieses und dessen Begleitern irgend welche Hindernisse in den Weg zu legen. Ich befehle im Gegentheile, sie  auf alle Fälle und ohne Weiteres alle Linien passiren zu lassen und ihnen allen möglichen Vorschub zu leisten, ihr Ziel schnell und sicher zu erreichen. Wer diesem Befehle zuwiderhandelt, wird mit dem Tode bestraft.
                                                                                                                 Juarez.«

»Das genügt vollständig, vollständig,« rief Curt, im höchsten Grade erfreut.

Er sah sich bereits als Retter des Kaisers drüben in der Heimath und allerwärts gefeiert.

»Ich glaube nicht daran,« sagte Juarez.

»O, man wird doch diesem Befehle gehorchen!«

»Sicher. Aber der Eine, auf den es eben ankommt, wird ihn nicht respectiren.«

»Maximilian?«

»Ja.«

»Er wäre wahnsinnig.«

»Versuchen Sie es.«

»Darf ich ihm diesen Passepartout zeigen?«

»Ja.«

»Auch Anderen?«


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»Nein. Sie dürfen sich dieses Papieres nur im Nothfalle bedienen. Uebrigens gebe ich Ihnen zu bedenken, daß ich verloren bin und von meinen Anhängern sicher verlassen werde, wenn sie erfahren sollten, daß ich meine Hand zur Rettung des Erzherzoges biete. Ich gebe mich trotz Ihrer Jugend in Ihre Hände, aber ich hoffe, daß Sie mein Vertrauen rechtfertigen.«

Curt wollte antworten. Der Zapoteke aber schnitt ihm die Rede mit der schnellen und kalten Bemerkung ab:

»Jetzt habe ich Alles gethan, was mir möglich ist; jetzt werde ich für nichts Weiteres verantwortlich sein und wasche meine Hände in Unschuld. Fällt Max dennoch in unsere Hand, so ist er nicht zu retten. Ich bin nicht König eines absolut regierten Landes. Ich hänge von Verhältnissen ab, denen ich mich nicht entwinden kann. Darum bitte ich Gott, Ihrem Vorhaben seinen Segen zu geben.«

Er reichte Curt die Hand und wendete sich dann zu Sternau:

»Ihr junger Freund wird nun Eile haben; er mag schleunigst abreisen, um nach Queretaro zu kommen. Vielleicht ist es ihm möglich, etwas für Sennorita Emilia zu thun, für welche ich Einiges befürchte, da dieser Pater Hilario, ihr Feind, zum Kaiser gegangen ist. Was Sie betrifft, so wissen Sie, daß ich gern für Sie thue, was möglich ist. Heute aber bin ich es, der eine sehr große Bitte an Sie hat.«

»Könnte ich sie doch erfüllen,« meinte Sternau.

»Sie können es.«

»Dann haben Sie meine Zusage im Voraus, Sennor.«

»Warten Sie erst. Wie haben Sie über Ihre nächste Zeit verfügt?«

»Ich habe mich zu noch nichts bestimmt. Ich kam, um Ihnen zu melden, was geschehen ist. Ich weiß ja, daß wir ohne Ihre gütige Hilfe mit dem Ordnen der Verhältnisse der Rodriganda nicht zu Stande kommen.«

»Das ist allerdings sehr wahr. Die Cortejo's, Josefa Cortejo, Landola, der Pater und sein Neffe, sie Alle müssen in Anklagezustand versetzt werden. Es handelt sich darum, ein umfassendes Geständniß von ihnen zu erlangen. Und selbst dann ist es nicht möglich, einen giltigen Urtheilsspruch zu erlangen.«

»Warum?«

»Bedenken Sie unsere gegenwärtigen Verhältnisse. Noch wissen wir ja nicht, was geschehen kann. Wo giebt es einen competenten Gerichtshof für Ihre Angelegenheit?«

»Ich denke, bei Ihnen.«

»Meine Gerechtigkeitspflege ist noch ambulant. Für Ihre Angelegenheit bedürfen wir eines Richterspruches, der auch von anderen Mächten, besonders von Spanien anerkannt wird.«

»Das ist allerdings sehr richtig.«

»Wir müssen also warten, bis sich die Verhältnisse Mexikos leidlich geordnet haben.«

»Das ist leider höchst unangenehm.«

»O, ich hoffe, bis zum Juni zu Ende zu sein. Bis dahin ist es eine nicht gar zu lange Zeit. Wie gedenken Sie, dieselbe zu verbringen?«

»Würden Sie mir gestatten, in Ihrer Nähe zu bleiben?«


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»Sehr, sehr gern. Das war es grad, was ich wünsche. Das ist ja die Bitte, welche ich an Sie richten wollte. Hätten Sie nicht Lust, in meinen Dienst zu treten?«

Sternau blickte überrascht auf.

»Als was?« fragte er.

»Als Offizier.«

Sternau schüttelte langsam den Kopf.

»Sennor, Sie sehen ein, daß ich -«

»Pst!« unterbrach Juarez ihn lächelnd. »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ihr Leben ist Ihnen und Anderen, die sich seit zwanzig Jahren vergebens nach Ihnen sehnen, zu kostbar, als daß Sie es an eine Sache wagen möchten, welche Ihnen unmittelbar doch nichts angeht.«

»Das ist allerdings meine Meinung. Ich hoffe, nicht falsch beurtheilt zu werden.«

»Gar nicht. Ich bezweifle weder Ihren Muth, noch Ihre außerordentliche Befähigung. Aber in meinem Dienste möchte ich Sie doch haben.«

»Als was, wenn nicht als Offizier?«

»Als Arzt.«

»Ah!«

»Ja. Wir kämpfen. Aerzte sind nothwendig und leider so selten. Und welche Aerzte haben wir! Kaum einen giebt es, der eine geschickte Operation vorzunehmen vermag.«

»Auf welche Zeit würden Sie mich engagiren?«

»Auf keine bestimmte Frist. Ich will Ihnen nicht hinderlich sein. Sie können gehen, sobald Sie es für nothwendig halten.«

»Gut, so acceptire ich.«

»Topp?«

»Topp!«

Sie schlugen die Hände in einander. Dann sagte Juarez:

»Abgemacht also. Sie bringen mir ein Opfer, für welches ich Ihnen dankbar sein werde. Welche Personen haben Sie noch bei sich?«

»Bärenherz und Büffelstirn nebst dem kleinen André.«

»Wie wollen sich diese beschäftigen?«

»Ich werde dafür sorgen. In Beziehung auf den André hätte ich bereits jetzt eine Idee.«

»Welche?«

»Sennor Helmers braucht einen Begleiter.«

»Ah, das ist wahr.«

»Einen der Häuptlinge kann er unmöglich mitnehmen, also würde ich ihm André vorschlagen.«

»Ich nehme ihn mit, wenn er mitgeht,« meinte Curt sehr rasch.

»Schön. Und nun noch eins. Erwähnten Sie nicht gewisse Gegenstände, welche Sie im Keller des Klosters erbeutet haben?«

»Allerdings.«

»Was war es?«


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»Der politische Briefwechsel des Paters und sodann die Meßgewänder, welche er unterschlagen hat.«

»Sind sie kostbar?«

»Sehr. Sie repräsentiren einen Reichthum von Millionen.«

»Sie werden mir diese Sachen vorlegen?«

»Ich bitte um die Erlaubniß dazu.«

»Sie haben dieselbe. Von jetzt an wohnen Sie mit in meinem Hause. Ich werde Ihnen sofort die nöthigen Zimmer anweisen lassen. Und dann, wenn Sie sich ausgeruht haben, werden wir uns wiedersehen.« -

Ein einsamer Reiter trabte auf der Straße von der Hauptstadt nach Queretaro dahin. Zwischen beiden Städten, ungefähr in der Mitte des Weges, liegt das Städtchen Tula.

Der Mann passirte dasselbe, ohne anzuhalten, obgleich sein Pferd müde zu sein schien. Aber als er Tula im Rücken hatte, verließ er die von Militär belebte Straße und bog seitwärts in das Feld ein.

Dort lag die Ruine eines Hauses. Die rußesschwarzen Mauern verriethen, daß dieses Haus ein Raub der Flammen geworden sei. Jedenfalls war dies während des gegenwärtigen Krieges geschehen, denn es schien, als ob die Ruinen nicht alt sein könnten.

Der Mann stieg ab, ließ sein Thier frei grasen und setzte sich in dem Schatten einer halb eingestürzten Wand nieder. Kaum war dies geschehen, so fuhr er zusammen.

»Pst!« hatte er es rufen hören.

Er blickte sich um, konnte aber nichts bemerken.

»Pst!« hörte er von neuem.

Er zog ein Pistol hervor und suchte mit dem Auge in allen seinem Blicke erreichbaren Winkeln herum - vergebens.

»Pater Hilario!« rief es jetzt halblaut.

Da sprang er auf. Wer kannte ihn hier?

»Pater Hilario!« wiederholte es.

An dem Tone hörte er jetzt die Richtung, aus welcher die Stimme kam. Er trat hinter die Mauer, vor welcher er gesessen hatte. Dort stand - der kleine, dicke Verschwörer, ihn mit einem freundlichen, breiten Grinsen seines Gesichtes empfangend.

»Nicht wahr, das ist eine Ueberraschung?« fragte er.

»Ihr? Ihr?« rief der Pater erstaunt. »Wie kommt Ihr hierher?«

»Der geheime Bund ist allgegenwärtig. Ich habe Euch hier erwartet.«

»Mich? Wie konntet Ihr wissen, daß ich nach der Ruine kommen werde, um auszuruhen?«

»Das wußte ich allerdings nicht. Aber seht Ihr denn nicht, daß man von hier aus die Straße überblicken kann?«

»Wußtet Ihr, daß ich jetzt diese Straße kommen werde?«

»Daß Ihr jetzt kommen würdet, wußte ich nicht, daß Ihr aber überhaupt diese Straße passiren müßtet, das konnte ich mir denken.«

»Wieso?«


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»Ich war in Santa Barbara.«

»Ah! Wirklich?«

»Ja. Ich sprach mit Eurem Neffen. Ihr wart kaum eine Stunde fort.«

»So konntet Ihr mir ja nachreiten.«

»Das war unsicher, da ich nicht wußte, welchen Weg Ihr eingeschlagen hattet. Ich hätte Euch sehr leicht verfehlen können. Da ich aber wußte, daß Ihr nach der Hauptstadt gingt und von da, weil Ihr dort den Kaiser nicht mehr treffen konntet, gezwungener Maßen Euch nach Queretaro wenden mußtet, so zog ich es vor, mir einen Punkt zwischen diesen beiden Städten auszusuchen, an welchem ich überzeugt war, Euch zu sehen. Dieser Punkt mußte, Verhältnisse halber, im Freien liegen, und so habe ich diese Brandruine gewählt.«

»So habt Ihr mir also etwas Nothwendiges mitzutheilen?«

»Ja.«

»Wie ging es in Santa Barbara?«

»Warum diese Frage?«

Der kleine Dicke blickte dabei den Pater erstaunt und forschend an.

»Nun, sie ist doch sehr natürlich. Wer von der Heimath fern ist, der will doch gern etwas von ihr wissen.«

»Ah pah! Ihr wißt doch, daß ich kaum eine Stunde nach Eurem Fortreiten dort war. Was konnte sich in dieser kurzen Zeit Wichtiges ereignet haben?«

»Das kann man doch nicht wissen.«

»Ihr scheint Euch dort mit geheimnißvollen Dingen herumgetragen zu haben, von denen ich nichts erfahren soll.«

»Da irrt Ihr Euch sehr. Aber wir leben im Kriege, da kann jeder Augenblick eine Aenderung bringen.«

Der Kleine blickte den Pater scharf an und fragte:

»Wollt Ihr etwa mit mir Versteckens spielen?«

»Fällt mir gar nicht ein.«

»Das sollte Euch auch schlecht bekommen.«

»Ich habe keine Angst. Also, was ist es, was Ihr mir zu sagen habt?«

»Seit dem Tage, an welchem ich Euch meinen Auftrag gab, hat sich Einiges verändert. Ihr kennt doch die Aufgabe, welche Euch geworden ist, noch ganz genau?«

»Das versteht sich.«

»Nun, ich komme, Euch dieselbe wesentlich zu erleichtern. Die Verbindung hat an einige Orte, welche im Rücken der Republikaner liegen, Truppen detachirt, um dort kriegerische Demonstrationen zu unternehmen.«

»Ah! Das wird den Lauf des Präsidenten aufhalten.«

»Ja, aber noch mehr als das. Es wird auch Euch beim Kaiser großen Nutzen bringen.«

»Wieso?«

»Könnt Ihr Euch das nicht denken?«

»Nein.«

»Es fehlt Euch doch mehr Scharfsinn, als ich dachte! Diese Demonstrationen geschehen scheinbar zu Gunsten des Kaisers -«


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»Ah, jetzt vermuthe ich,« fiel der Pater ein.

»Nun?«

»Max wird in Folge dessen glauben, daß die Zahl seiner Anhänger größer ist, als er angenommen hat.«

»Sehr richtig.«

»Sein Muth, sein Vertrauen wird wachsen.«

»Das eben bezwecken wir.«

»Und in Folge dessen wird er nicht daran denken, Mexiko als Flüchtling zu verlassen.«

»So ist es. Er wird seine Lage als viel besser nehmen, als sie in Wahrheit ist, und das wird ihn in die Hände der Republikaner liefern. Diese können ihn in Folge seines Decretes nicht begnadigen und er wird erschossen. Juarez steht dann als sein Mörder da und ist vor aller Welt gebrandmarkt.«

»Wo finden diese Kundgebungen statt?«

»Die erste in Santa Jaga.«

»In Santa Jaga?« fragte der Pater erschrocken.

»Ja.«

»Alle Wetter! Warum grad dort?«

»Der geheime Bund hat es beschlossen.«

»Wird das Kloster Santa Barbara davon berührt?«

»Sogar in sehr hervorragender Weise.«

»In wiefern?«

»Das Kloster ist wie eine Festung gebaut. Es gewährt genügenden Schutz gegen alle Angriffe. Darum ist es von den Unserigen besetzt worden.«

»Donnerwetter! Wann?«

»In der Nacht nach Eurer Abreise.«

»Und ich bin nicht dort!«

Der Pater machte ein Gesicht, auf welchem sich eine ziemliche Verlegenheit gar nicht verkennen ließ.

»Warum alterirt Euch das in solcher Weise?« fragte der Dicke, indem er ihn von der Seite fixirte.

»Nun, ich dächte, das wäre doch sehr leicht zu errathen.«

»Ich errathe es keineswegs.«

»So seid Ihr es dieses Mal, dem es an dem nöthigen Scharfblicke mangelt.«

»Ah, Ihr werdet spitzig,« lachte der Kleine. »Aber ich bitte, Euch deutlicher auszusprechen.«

»Nun, Ihr wißt doch, daß ich der Leiter der Klosteranstalt bin.«

»Freilich.«

»Ich bin also auch für Alles, was diese Anstalt betrifft, verantwortlich.«

»Das geht mich nichts an.«

»Aber mich desto mehr. Wie viele Soldaten habt Ihr hingelegt?«

»Zweihundert ungefähr.«

»Nun, ich habe Kranke da, schwere und leichte Kranke, Reconvalescenten und sogar geistig Kranke. Ihr könnt Euch denken, welchen Einfluß der Lärm und


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die Verwirrung, welche bei einer solchen militärischen Occupation des Klosters unvermeidlich ist, auf diese Patienten hervorbringen muß.«

»Pah! Sie mögen sterben.«

»Das sagt Ihr, ich aber nicht.«

»So sagt es mit.«

»Der Ruf meiner Anstalt wird geschädigt!«

»Pah! Seid Ihr Schuld an dieser Occupation?«

»Nein, aber die Folgen kommen dennoch über mich.«

»Ah!« lachte der Kleine. »Seid wann seid Ihr denn so zartfühlend und bedenklich? Ich denke mir, daß Euer Mißmuth noch einen ganz anderen Grund habe!«

Er hatte recht. Der Pater dachte an seine Gefangenen, welche er unter der Obhut seines Neffen hatte zurücklassen müssen. Was konnte da Alles geschehen. Wie leicht konnte Alles verrathen sein. Dennoch antwortete er:

»Ich wußte keinen Grund, den ich noch haben könnte.«

»Nun, so braucht Ihr Euch auch nicht aufzuregen. Also, dieses Militär ist des Nachts im Kloster eingezogen und hat dann des Morgens die Stadt Santa Jaga für den Kaiser in Besitz genommen.«

»Ist das gewiß?«

»Ja. Ich war zwar nicht dabei, aber es versteht sich ganz von selbst. Ich mußte noch des Abends fort, bin aber von dem Gelingen dieses Coupes vollständig überzeugt, da ja Niemand da war, Widerstand zu leisten.«

»O, der Teufel hat zuweilen sein Spiel.«

»Der ist ja unser Verbündeter!« lachte der Kleine. »Aehnliche Demonstrationen sind an noch neun anderen Orten geschehen.«

»Wo?«

»Hier ist das Verzeichniß dieser Orte.«

Er zog einen Zettel hervor, welchen er dem Pater gab.

»Soll ich dieses Verzeichniß behalten?« fragte dieser.

»Natürlich!«

»Wozu?«

»Um es in Queretaro vorzuzeigen.«

»Bei wem?«

»Beim Beichtvater des Kaisers.«

»Ist dieser auch mit uns verbündet?«

»Das geht Euch nichts an. Ihr meldet Euch bei ihm, und das Uebrige wird sich dann ganz von selbst finden.«

»Sind auch diese anderen Demonstrationen gelungen?«

»Ja. Ihr könnt darauf schwören.«

»Nun, so bin ich sicher, daß wir den Kaiser festhalten.«

»Ich ebenso. Habt Ihr vielleicht noch eine Frage?«

»Nein.«

»Nun, so reitet in Gottes Namen weiter. Wir sehen uns wieder, sobald es nöthig ist.«

»Wohin geht Ihr jetzt?«


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»Darnach habt Ihr eigentlich gar nicht zu fragen. Da man aber doch zuweilen wissen muß, wornach man sich zu richten hat, so will ich Euch sagen, daß ich nach Tula gehe.«

»Also ebenfalls nach Queretaro!«

»Nein. Ich reise nicht durch, sondern um Queretaro herum.«

»Weshalb? Wir könnten ja mit einander reiten.«

»Nein. Man braucht uns nicht beisammen zu sehen. Adieu!«

Er verschwand zunächst hinter einem Trümmerhaufen und kam sodann mit einem Pferde zum Vorscheine, auf welchem er davonritt.

Der Pater setzte ebenso seinen Weg fort, indem er wieder nach der Straße hinüberlenkte. Das, was er gehört hatte, war ganz und gar nicht geeignet gewesen, ihn in eine gute Stimmung zu versetzen.

In Queretaro angekommen, begab er sich zum Beichtvater des Kaisers, dessen Wohnung leicht zu erfragen war. Dieser betrachtete ihn forschend und fragte dann:

»Man meldet Sie mir als Pater Hilario?«

»Ja, der bin ich.«

»Vom Kloster Santa Barbara?«

»Dort wohne ich.«

»Ich kenne Sie bereits längere Zeit.«

»Ich habe leider nicht die Ehre, mich zu besinnen, wann und wo - -«

»O,« fiel der Beichtvater ein, »ich meine nur, daß ich Sie per Distance kenne, nämlich als verdienstvollen Arzt - -«

»Sie beschämen mich.«

»Und als treuen Anhänger seiner Majestät des Kaisers. Oder sollte ich mich in letzterer Beziehung irren?«

»Nein. Ich bin bereit, mein Leben für meinen Kaiser zu opfern.«

»Ich habe das erwartet. Uebrigens ist mir Ihr Besuch gestern angekündigt worden.«

»Darf ich fragen, von wem?«

»Von einem Freunde, den auch Sie kennen, den ich aber jetzt nicht nennen will. Welche Botschaft bringen Sie mir?«

»Ich bringe die ebenso gute wie wichtige Nachricht, daß sich einige Ortschaften für den Kaiser erhoben haben.«

»Ah! Das wäre allerdings höchst werthvoll. Welche Ortschaften sind es?«

»Hier ist das Verzeichniß davon.«

Der Beichtvater nahm den Zettel in Empfang und las die Namen.

»Das sind ja lauter Städte, welche im Rücken des Heeres von Juarez liegen,« meinte er unter gut gespieltem Erstaunen.

»Allerdings.«

»Und sind diese Aufstände als gelungen zu bezeichnen?«

»Ja, sämmtliche.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ich kann es beschwören. Bei einem derselben bin ich selbst Zeuge gewesen.«

»Sie meinen Santa Jaga?«


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»Ja.«

»Sie haben den Putsch mit angesehen?«

»Ich war dabei, als das Militär einzog und die kaiserliche Fahne auf die Zinne des Klosters pflanzte.«

»Wie verhielt sich die Bevölkerung?«

»Ausgezeichnet. Als der Morgen anbrach, jubelte sie dem Zeichen des Kaiserreichs zu.«

»Würden Sie diese Worte in Gegenwart des Kaisers wiederholen?«

»Gern.«

»Ich werde Sie sofort zu ihm führen. Warten Sie einen Augenblick.«

Er trat in ein Nebenzimmer, scheinbar um sich in Beziehung auf seine Kleidung auf den Gang zum Kaiser vorzubereiten. Aber in diesem Zimmer stand - der kleine Dicke.

»Nun, wie verhält er sich?« flüsterte dieser.

»Tadellos.«

»Bestätigt er Alles?«

»Er sagt sogar, daß er bei dem Putsche in Santa Jaga gegenwärtig gewesen sei.«

»Ah, ich glaubte nicht, ihn so fügsam zu finden. Er ist das Werkzeug, welches man zerbricht, nachdem man es gebraucht hat.«

»Ah, Sie wollen ihn opfern?«

»Was anders? Oder sollen wir fallen anstatt seiner?«

»Würde dies nothwendig sein?«

»Sicher. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sämmtliche Demonstrationen, deren Verzeichniß er besitzt, eine Lüge sind, ausgenommen diejenige in Santa Jaga. Uebrigens ist es keineswegs schade um den Kerl. Er hat Geheimnisse in seinem Kloster, welche ich schon noch ergründen werde. Entweder er stirbt, oder wir Beide sind verloren und - - Miramon dazu.«

Er nannte diesen Namen so leise, daß er kaum gehört werden konnte.

»Ich werde ihn also zum Kaiser führen,« meinte der Beichtvater.

»Aber vorher zu Miramon.«

»Gut. Werde ich diesen in seinem Quartiere treffen?«

»Nein, er ist hier im Kloster in seinem Kabinete.«

Kaiser Max hatte nämlich in dem Kloster la Cruz in Queretaro sein Hauptquartier aufgeschlagen. Dort wohnte natürlich auch sein Beichtvater, bei welchem sich der Pater jetzt befand.

»Und wo treffe ich Sie wieder?« fragte der Beichtvater.

»Ich verlasse Queretaro sofort,« antwortete der Dicke. »Alle Botschaft senden Sie mir nach meiner geheimen Wohnung in Tula.«

Er verließ das Gemach durch eine entgegengesetzte Thür. Der Beichtvater aber trat in das Zimmer zurück, in welchem der Pater sich befand. Seine Miene war die eines freundlichen Protektors, als er diesen fragte:

»Wir werden zunächst zum General Miramon gehen. Sind Sie bereit dazu?«

»Warum nicht direct zum Kaiser?«


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»Sie wissen ja, daß man zu gekrönten Häuptern nicht direct gelangt, wie etwa zu einem einfachen Bürger.«

»Ich stehe zur Verfügung.«

Sie verließen das Gemach und gingen über einen Corridor, bis der Geistliche eine Thür öffnete. Sie traten ein und befanden sich in einer Art Vorzimmer.

Hierauf klopfte der Beichtvater an eine nach Innen führende Thüre, welche er öffnete, nachdem ein lautes, gebieterisches »Herein!« erschollen war. Nachdem er die Thür sorgfältig wieder hinter sich zugezogen hatte, stand er vor dem berühmten oder vielmehr berüchtigten Generale, den man mit dem besten Gewissen als einen Räuber und sogar Verräther bezeichnen kann.

Dieser warf einen forschenden Blick auf ihn und fragte dann, ohne seine tiefe Verbeugung weiter zu beachten:

»Was bringen Sie mir?«

»Einen Mann, den ich Ihnen vorstellen muß.«

»Wer ist es?«

»Pater Hilario aus Santa Jaga.«

Das Gesicht des Generals nahm einen gespannten Ausdruck an.

»Ah, dem wir jene zweihundert Mann schickten?«

»Ja.«

»Ist er zu Hause gewesen?«

»Nein, er war bereits unterwegs.«

»Schade. So wird er uns wenig nützen.«

»Und doch! Er schwört, bei dem Putsche zugegen gewesen zu sein.«

»Der natürlich gelungen ist?«

»Natürlich!«

»Das ist gut. Sie haben die Sache famos arrangirt. Wenn ich Präsident sein werde, erhalten Sie Ihre Belohnung.«

Er machte eine Pause, während welcher sein Gesicht einen bedenklichen, ja finsteren Ausdruck annahm, dann fuhr er fort:

»Aber, meinen Sie nicht, daß unser Spiel ein gewagtes ist?«

Der Geistliche schüttelte den Kopf.

»Ich kann das nicht einsehen,« sagte er.

»Und doch kommen mir allerlei Gedanken. Wir liefern den Kaiser in die Hände des Juarez. Wird dieser uns dankbar sein und uns dafür frei abziehen lassen?«

»Ganz sicher.«

»Bedenken Sie, daß wir, um den Löwen zu fangen, selbst vorher in die Falle gehen mußten. Fast möchte ich es eine Dummheit von Juarez nennen, wenn er mich, seinen Feind und Nebenbuhler frei ließe.«

»Ich kenne Juarez. Er ist edel und dankbar.«

»Sein Edelmuth ist mir sehr gleichgiltig, aber auf seine Dankbarkeit möchte ich rechnen. Lassen Sie den Mann ein.«

Der Pater durfte eintreten. Er ahnte keineswegs, daß er jetzt vor dem


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Obersten des Geheimbundes stehe. General Miramon fixirte ihn scharf und fragte dann:

»Sie nennen sich Pater Hilario?«

»Ja, Sennor.«

»Man sagt mir, daß Sie aus Santa Jaga seien?«

»So ist es die Wahrheit.«

»Was haben Sie mir von dort zu berichten?«

»Es ist ein Trupp Kaiserlicher dort eingezogen und hat die Fahne des Kaiserreichs entfaltet.«

Miramon legte die Stirn in Falten und meinte:

»Sie wollen sagen: Ein Trupp Wahnsinniger. Denn ein Wahnsinn ist eine solche Kundgebung, wenn sie nicht von anderen, ähnlichen Demonstrationen unterstützt wird.«

»Das Letztere ist ja eben der Fall.«

»Wie? Es hätten auch an anderen Orten solche Vorgänge stattgefunden?«

»Ja.«

»Wo?«

»Hier ist das Verzeichniß, Sennor. Ich glaube übrigens, daß diese Bewegung immer weiter um sich greifen wird.«

»Ah, Sie bringen mir da eine sehr gute Nachricht. Können Sie die Wahrheit derselben verfechten?«

»Ich stehe mit meinem Kopfe dafür.«

Man sieht, daß der Pater bei jeder Instanz mehr sagte als bei der vorigen, mehr, als er zu beweisen vermochte.

Der General las das Verzeichniß durch und fragte dann:

»Sind diese Demonstrationen überall geglückt?«

»Ja, vollständig.«

Miramon mußte sich alle Mühe geben, um ein halb mitleidiges, halb triumphirendes Lächeln zu verbergen, und fragte weiter:

»Ihre Antwort ist für mich bestimmt?«

»Nicht allein, Sennor.«

»Ah! Für wen noch?«

»Ich hoffte, daß meine frohe Botschaft mir den Zutritt bei Seiner Majestät öffnen werde.«

Miramon machte ein scheinbar erstauntes Gesicht und fragte:

»Zum Kaiser wollen Sie?«

»Ich bitte um die Erlaubniß dazu.«

»Warum?«

»Um ihm meine Nachricht zu bringen.«

»Es genügt, wenn sie mir gebracht wird. Sie wissen wohl, daß ich hier der Obercommandirende bin?«

»Ich weiß es, Sennor. Aber doch hat ein jeder brave Unterthan den Wunsch, seinen Herrscher einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und ich hegte die Hoffnung, daß meine Botschaft geeignet sein werde, zur Erfüllung dieses Wunsches beizutragen.«


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»Hm! So haben Sie den Kaiser noch nicht gesehen?«

»Noch nie.«

»Ich gebe zu,« meinte Miramon unter gut gespieltem Zögern, »daß das, was ich von Ihnen höre, einige Belohnung verdient. Also, Sie können Alles verbürgen?«

»Mit meinem Kopfe. Mit meinem Leben.«

»Und Sie werden dem Kaiser Alles wiederholen?«

»Alles!«

»So bin ich nicht abgeneigt, Ihnen den Zutritt zu ihm zu eröffnen.«

Er schnallte den Säbel, welcher in einer Ecke lehnte, um und sagte zu dem Beichtvater, welcher wartend an der Thüre stand:

»Ich danke Ihnen. Wir sehen uns wieder.«

Der Geistliche verschwand, und der General winkte dem Pater, ihm zu folgen.

Um dieselbe Zeit, oder vielmehr einige Minuten zuvor, stand Kaiser Max am Fenster und blickte unter einem ernst sinnenden Ausdruck seines Gesichtes hinab in den Klostergarten. In der Mitte des Zimmers aber stand ein untersetzt gebauter Mann in reicher, mexikanischer Uniform. Dieselbe trug die Abzeichen des Generales, und sein Gesicht, ebenso ernst wie dasjenige des Kaisers, war vom Wetter tief gebräunt und gegerbt. Der Mann, dem man die indianische Abstammung leicht ansah, war - General Mejia.

Als Juarez gegen Sternau den Marschall Ney, den Bravsten der Braven, erwähnt hatte, hatte er seinem Generale Porfirio Diaz dieselbe Bezeichnung gegeben. Kaiser Max aber hätte ganz mit eben demselben Rechte den General Mejia den Bravsten der Braven, den Treuesten der Treuen nennen können.

Die beiden Herren hatten augenscheinlich ein sehr ernstes Gespräch durch eine Pause unterbrochen. Endlich beendete der Kaiser diese Pause, indem er, ohne sich umzudrehen, fragte:

»Und Puebla ist also auch verloren?«

»Unwiederbringlich, Majestät.«

»Sagen Sie dieses Wort mit voller Ueberzeugung?«

»Leider.«

»Und doch denke ich, daß dieser Ort wieder zurück zu erobern sei.«

»Ich sehe keine Möglichkeit ein.«

»Ah! Haben wir hier nicht fünfzehntausend Mann zur Verfügung?«

»Wir können keinen einzigen Mann entbehren.«

»Warum?«

»Weil uns Eskobedo bedroht.«

»Er liegt noch in Zacatecas.«

»Aber er hat seine Avantgarde so weit vorgeschoben, daß er uns in drei Tagen erreichen kann, vielleicht sogar in zweien.«

Da drehte sich der Kaiser schnell um und sagte:

»Ah! Sie fürchten Eskobedo?«

Mejia antwortete nicht.

»Nun?« fragte Maximilian ungeduldig.

»Ich fürchte ihn nicht, aber er ist einer der besten Generäle, die ich kenne,«


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antwortete Mejia. »Uebrigens glaube ich, niemals gezeigt zu haben, daß ich Furcht besitze.«

»Aber Sie sind zu bedenklich.«

»Nicht für mich, sondern für meinen Kaiser.«

»Ihre Bedenklichkeit ist es ja, welche Puebla für immer aufgiebt.«

»Weil ich keine Mittel sehe, es zurück zu nehmen.«

»Nun, wenn wir unser Militär brauchen, so kommandirt ja Marquez in der Hauptstadt. Er ist im Besitze verfügbarer Kräfte.«

»Er braucht diese Kräfte. Er ist von Diaz bedroht.«

»So halten Sie Diaz auch für einen so vorzüglichen General wie Eskobedo?«

»Für noch vorzüglicher!«

»Marquez wird ihm gewachsen sein.«

»Majestät gestatten mir, zu zweifeln. Marquez ist verhaßt. Er regiert die Hauptstadt durch Angst und Schrecken. Er ist zu langsam, er ist nicht treu. Grad sein Zögern, sein Hinhalten trägt die Schuld, daß es Porfirio Diaz gelang, Puebla wegzunehmen.«

»Mein Gott! Welche Perspective eröffnen Sie!«

»Leider! Majestät, wir sind eingeschlossen.«

»Sie meinen, wir können nicht nach der Küste?«

»Jetzt nicht mehr.«

»Auch vereint nicht?«

»Nein.«

»Pah! Ich verfüge über dreißigtausend Mann guter Truppen. Wenn ich mich entschließe, die Hauptstadt und Queretaro zu räumen, so bringen diese Truppen mich sicher nach Vera Cruz. Was meinen Sie? Zweifeln Sie auch noch da?«

»Leider ja.«

»Warum?« fragte Max ungeduldig oder vielleicht sogar unwillig.

»Erstens traue ich diesen »guten Truppen« nicht. Und zweitens hat uns Porfirio Diaz den Weg verlegt.«

»Wir sind stärker als er. Wir werfen ihn über den Haufen.«

»Eskobedo würde ihm sofort durch einen eiligen Flankenmarsch zu Hilfe kommen.«

»So schlagen wir erst den Einen und sodann den Anderen.«

»Bedenken Majestät, daß, wenn wir Queretaro und die Hauptstadt aufgeben, wir in freier Feldschlacht ohne alle Stütze sind, während wir jetzt wenigstens unter Deckung stehen.«

Max war kein Kriegsmann. Seine Ansichten bewegten sich bald auf der höchsten Sprosse der Hoffnungsleiter, bald sanken sie wieder und rasch bis auf die unterste herab.

»So ist also Ihre Ansicht, daß Alles verloren sei?« fragte er muthlos.

»Alles!« antwortete Mejia in tiefem Tone.

Da strich der Kaiser sich den Bart, seine Augen ruhten vorwurfsvoll auf dem General, und er sagte:

»Wissen Sie, daß Sie auch ganz und gar nicht ein klein wenig Hofmann sind?«


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»Majestät, ich bin es nie gewesen. Ich bin Soldat und meines Kaisers treuer, wahrheitsliebender Unterthan.«

Da reichte Max ihm die Hand und sagte mit dem mildesten Tone seiner Stimme:

»Ich weiß das. Sie sind zwar immer ein Unglücksrabe gewesen, aber Sie haben es gut gemeint.«

»Ein Unglücksrabe?« fragte Mejia unter überströmendem Gefühle seines Herzens. »Nein, nein, Majestät. Ich habe Majestät gewarnt, seit Sie den Fuß auf den Boden dieses Landes setzten. Meine Warnungen verhallten ungehört. Nun werde ich mit meinem Kaiser untergehen.«

Wieder trat eine Pause ein, während welcher der Kaiser trüben Sinnes zum Fenster hinabblickte. Dann drehte er sich schwer und langsam um und sagte:

»General, ich will gestehen, daß ich jetzt wünsche, mich zuweilen Ihrer Ansicht gefügt zu haben.«

Da ergriff Mejia des Kaisers Hände, küßte und benetzte sie mit Thränen und rief aus:

Dank, tausend Dank für dieses Wort, Majestät. Es entschädigt mich für Alles, was ich im Stillen erlitten habe.«

»Ja, Sie sind treu und zuverlässig. Und Sie glauben wirklich, daß wir weichen müssen?«

»Weichen? O nein, das können wir gar nicht.«

»Wieso?«

»Wohin wollen wir weichen?«

»Hm! Ich weiß es nicht.«

»Es giebt keinen Ort. Man wird Mexiko und Vera Cruz nehmen und uns hier erdrücken.«

»So werden wir kämpfen.«

»Kämpfen, aber sterben.«

»Dieses letztere Wort mag ich nicht hören. Ich scheue nicht den Heldentod auf dem Schlachtfelde; aber man wird es niemals wagen, Hand an das Leben eines Sohnes des Hauses Habsburg zu legen.«

Da streckte Mejia abwehrend seine Hand aus und rief:

»Man wird es wagen, Majestät.«

»Meinen Sie?« fragte Max fast drohend und indem er seine Gestalt stolz aufrichtete.

»Ich bin überzeugt davon.«

»Das wäre Kaisermord.«

»Die Bewohner dieses Landes sagen, daß sie keinen Kaiser kennen.«

»Man würde mich rächen.«

»Wer?«

»Die Mächte.«

»Hat England und Spanien etwas vermocht? Sie haben ihre Truppen bereits im ersten Augenblicke zurückgezogen. Hat Frankreich etwas erreicht? Napoleon hat seinen Kopf aus der Schlinge gezogen und die unserigen darin zurückgelassen. Welche Macht wollte uns rächen?«


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»Die Stimme der Geschichte.«

Diese Worte waren im Tone tiefster Ueberzeugung gesprochen.

»Die Geschichte?« fragte Mejia. »Ist sie stets unpartheiisch?«

»Nicht immer, aber die Nachwelt müßte unsere Richter verurtheilen.«

»Vielleicht verurtheilte die Nachwelt uns.«

»Wieso?«

»Indem sie sich auf die Seite der Mexikaner stellt.«

»Also auf die Seite unserer Mörder?«

»O, Majestät, gestatten Sie mir in Gnaden, diesen Punkt mit objectivem Auge zu betrachten. Der echte Mexikaner kennt keinen Kaiser von Mexiko. Er nennt den Erzherzog von Oesterreich einen Eindringling, der widerrechtlich das Land mit Blut übergossen hat.«

»General, Sie ergehen sich in starken Ausdrücken.«

»Aber diese Ausdrücke bezeichnen die Stimme der Republikaner sehr genau. Und dazu bitte ich, an das Decret zu denken.«

»Erwähnen Sie es nicht,« rief Max unter der Geberde eines tiefen Unmuthes.

»Und doch muß ich es erwähnen. Ich rieth Ihnen damals von der Unterschrift ab, sie wurde dennoch vollzogen. Von dem Augenblicke an aber, als wir die Republikaner als Mörder bezeichneten und behandelten, hatten sie, von ihrem Standpunkte aus betrachtet, das doppelte Recht, dies auch mit uns zu thun. Geräth der Erzherzog Max von Oesterreich in ihre Hände, so machen sie ihm den Proceß, ohne nach dem Urtheile der Mächte oder nach der Stimme der Geschichte zu fragen.«

»Das wäre schrecklich.«

»Ja, man wird uns als gemeine Mörder behandeln und erschießen.«

»Eher sterbe ich, mit dem Degen in der Faust.«

»Nicht immer hat man die Gelegenheit zu einem solchen Tode.«

»So giebt es also kein Mittel, einem so gräßlichen Schicksale zu entrinnen?«

»Es giebt eins.«

»Sie meinen den Rückzug?«

»Ein Rückzug? Wohin? Es giebt keinen. Ein Rückzug war möglich, als Bazaine wartete, Sie an Bord aufzunehmen. Ein Rückzug war möglich, noch immer und zum letzten Male möglich, als uns Puebla noch gehörte und der Weg nach Vera Cruz noch offen stand. Jetzt ist das nicht mehr der Fall.«

»Nun, welches Rettungsmittel meinen Sie?«

»Die - - Flucht.«

»Die Flucht?« fragte Max, sich abermals stolz emporrichtend.

»Ja.«

»Nie, niemals!«

»Sie ist der einzige Weg der Rettung.«

»Ich verschmähe, ihn zu betreten.«

»Und ich würde ihn nicht verschmähen.«

»Man würde Sie für feig erklären.«

Da richtete Mejia sich stolz empor.


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»Majestät,« sagte er, »ich hoffe, man kennt den General Mejia zu gut, als daß es möglich sei, ihn für einen Feigling zu halten.«

»Und dennoch würde man dies thun.«

»Hielt man Bonaparte für einen Feigling, als er aus Egypten flüchtete? In beiden Fällen ließ er sein Heer zurück, welches nichts zu erringen vermochte.«

»Er rettete die Kaiseridee, nicht sich.«

»Sie haben ganz dieselbe zu retten.«

»Ich halte aus.«

»Oder noch ein Beispiel. War der schwedische Karl ein Held, als er verzichtete, nach der Heimath zurückzukehren?«

»Er war ein Tollkopf.«

»Und doch war er wenigstens seines Lebens sicher. Hier aber lauert der Tod in seiner schrecklichsten Gestalt auf Sie.«

»Ich halte auch diese Rettung für unmöglich.«

»Darf ich fragen, warum?«

»Das ganze Land ist vom Feinde besetzt.«

Da legte Mejia unter blitzenden Augen seine Hand an den Degen und antwortete:

»Haben Sie nicht mehrere hundert ungarische Husaren, welche bereit sind, ihr Leben für Sie zu lassen? Stellen Sie mich an die Spitze dieser Leute und ich hafte mit meinem Ehrenworte und mit meinem Kopfe dafür, daß ich Sie wohlbehalten an die Küste und auf ein Schiff bringe.«

»Ich darf diese Treuen nicht opfern.«

»Sie opfern sie auch, indem Sie hier bleiben.«

»Was wird aus den Anderen, aus meinen Generälen, wenn es mir gelingt, zu entkommen? Man wird sie ergreifen.«

»Man wird dies auch thun, wenn Sie bleiben.«

»Aber dann wird es mir möglich sein, für sie zu sprechen.«

»Man wird nicht auf diese Befürwortung hören.«

»Sie würden verloren sein, Alle, Marquez, Miramon -«

Mejia wagte, den Kaiser zu unterbrechen, indem er fragte:

»Getrauen sich Majestät wirklich, diesen Miramon durch Ihre Fürsprache zu retten?«

»Ja.«

»Er ist der Erste, dem man den Proceß machen wird.«

»Er steht unter meinem Schutze.«

»Man wird diesen Schutz nicht anerkennen. Miramon gilt im Lande als Verräther.«

»General!«

»Ich weiß es, ich darf es behaupten.«

»General!« rief Max abermals in strengem Tone.

Mejia achtete nicht darauf. Er fuhr fort:

»Man giebt ihm die Schuld an Allem, was geschehen ist.«

»Beweisen Sie es!«

»Tausend Stimmen sind zu hören!«


// 2494 //

»Ah! Was sagen diese tausend Stimmen?«

»Haben Majestät von Jecker gehört?«

»Natürlich!«

»Dieser naturalisirte Franzose borgte Miramon, welcher damals Gegenpräsident war, sieben Millionen Franken, gab ihm aber nur drei Millionen baar und die anderen vier in werthlosen Papieren. Hierfür erhielt Jecker von Miramon Schuldbriefe, welche auf die Republik Mexiko lauteten, und zwar im Betrag von fünfundsiebzig Millionen Franken. Ueber achtundsechzig Millionen also waren erschwindelt.«

»General!«

»Diese Schwindelschuld kaufte Herr Morny, Halbbruder Napoleon's. Und weil Juarez diese Summe nicht bezahlen wollte, so - -«

»General!« rief Max noch drohender.

Aber Mejia ließ sich in seinem ehrlichen Feuereifer nicht irre machen, sondern er fuhr fort:

»So überzog Napoleon unser schönes Land mit Krieg.«

»Ah, Sie machen mich zum Mitschuldigen,« rief Max.

Nein. Das sei ferne von mir. Davor mag unser Gott mich in Gnaden behüten. Ich halte es nur für meine Pflicht, Sie auf die Stimme des Landes, des Volkes aufmerksam zu machen, welche vielleicht einmal die - Stimme der Geschichte sein wird.«

»Sie sind mehr als kühn!«

»Ich bin es nur, um Sie zu retten. Ich muß Ihnen beweisen, daß Miramon nichts zu erwarten hat, weder Gnade noch Barmherzigkeit. Und Marquez, Larez und die Anderen, unter denen jetzt die Bewohner der Hauptstadt seufzen, werden auch nicht gerettet, indem Sie sich für dieselben opfern. Ein einziges Haar Eurer Majestät ist theurer und mehr werth als alle diese Männer zusammen. Majestät, Sie sehen mich hier zu Ihren Füßen. Ich vereinige mein Flehen mit den Bitten aller Ihrer treuen Diener und Unterthanen. Lassen Sie das Wort Flucht nicht den schlimmen Klang haben, den es zu besitzen scheint. Vertrauen Sie sich mir an. Kehren wir zurück nach Europa, um Kräfte zu sammeln, das hohe Spiel, welches uns die Klugheit räth, einstweilen aufzugeben, von neuem zu beginnen und dann zu gewinnen.«

Er war vor Max niedergekniet und hatte dessen Hände ergriffen.

»Ich - kann nicht!« antwortete dieser.

Da spielte Mejia seinen letzten und besten Trumpf aus. Er sagte:

»Denken Sie unserer hohen Kaiserin. Noch ist vielleicht Rettung für sie möglich. Vielleicht belebt sich ihr Auge, wenn es auf den Mann fällt, dem ihre Seele, ihr Herz, ihr Leben gehört. Soll sie in die Nacht unrettbaren Geistestodes fallen, wenn sie vernimmt, daß dieser Mann gestorben sei, gestorben am Kreuz im dunklen Winkel, gestorben den Tod des Verbrechers?«

Da entzog der Kaiser ihm seine Hände und legte sie sich vor das leichenblasse Angesicht.

»Wen - wen erwähnen Sie da!« rief er.


// 2495 //

»Diejenige, welche Sie vielleicht retten können und retten müssen, indem Sie sich selbst retten.«

»Charlotte, o, Charlotte!«

Bei diesem Schmerzensrufe rollten dem Kaiser schwere Thränentropfen zwischen den Fingern herab. Er war tief, tief bewegt. Seine Brust hob und senkte sich und hinter den vorgehaltenen Händen ließ sich ein tiefes Schluchzen hören.

»Majestät!« rief der noch immer knieende General in bittendem Tone.

Da ließ Max die beiden Hände sinken und sagte unter noch immer strömenden Thränen:

»Mejia, Sie haben da eine Saite berührt, deren Klang ich niemals widerstehen konnte.«

Da sprang der treue Mann auf und rief:

»O mein Gott, wäre es möglich, daß Du das Herz meines Kaisers gelenkt hättest?«

»Ja, er hat es gelenkt,« antwortete Max. »Mein Weib, meine Charlotte soll nicht dem unheilbaren Wahnsinne verfallen, wenn es mir möglich ist, ihrem Geiste das Licht wiederzugeben. Also Sie halten die Rettung für möglich?«

»Ja.«

»Aber nur durch die Flucht?«

»Nur durch sie.«

»Sie meinen heimliche Flucht?«

»Nein. Heimlich zu fliehen, bin auch ich zu stolz. Freilich braucht nicht Jedermann vorher zu erfahren, daß Sie im Begriffe stehen, das Land zu verlassen. An der Spitze Ihrer treuen Husaren bringe ich Sie sicher an das Meer.«

»Aber die Republikaner?«

»Ich fürchte sie nicht.«

»Sie werden es erfahren und uns den Weg verlegen.«

»Sie werden uns ziehen lassen.«

»Nachdem wir sie zurückschlagen, ja. Aber ich will so wenig wie möglich Blut vergießen.«

»Es soll keins vergossen werden. Juarez wird uns beschützen.«

»Juarez?« fragte der Kaiser erstaunt.

»Ja.«

»Welch ein Räthsel! Juarez wird meine Flucht beschützen?«

»Ja,« antwortete Mejia im Tone größter Zuversicht.

»In wiefern?«

»Darf ich an die Dame erinnern, welche Majestät bereits einige Male gesprochen haben?«

»Jene Sennorita Emilia etwa?«

»Ja.«

»Sie ist mir noch einige Male absichtlich in den Weg getreten.«

»Haben Majestät mit ihr gesprochen?«

»Nein. Sie hat mir jedesmal ein Schreiben übergeben.«

»Darf ich erfahren, was diese Schreiben enthielten?«

»Die dringende Mahnung zur Flucht.«


// 2496 //

»War Juarez nicht erwähnt?«

»Ja. Ich hielt sie für eine Abenteurerin.«

»Vielleicht ist sie das auch. Aber Juarez bedient sich ihrer zu Aufträgen, welche nicht den Character des Offiziellen tragen dürfen.«

»Ah! So ist sie seine Spionin?

»Nein, sondern seine Agentin.«

»Verkehren Sie noch mit ihr?«

»Ja.«

»Das könnte Sie verdächtig erscheinen lassen, General!«

»Majestät, Juarez will nicht Ihren Tod. Er weiß, daß er Sie nicht zu retten vermag, wenn Sie einmal in die Hände der Republikaner gefallen sind, und so sendete er diese Dame als Botin, welche seinen Wunsch in discreter Weise zu erkennen geben soll. Sie hat sich an mich gewendet.«

»Hat sie bestimmt formulirte Aufträge?«

»Die kann sie noch nicht haben. Aber sobald sie weiß, daß Majestät auf sie hören wollen, wird sie um eine kurze Audienz bitten.«

»Wo wohnt sie? Kennen Sie ihre Wohnung?«

»Ja.«

»Sie sehen ein, daß es höchst unklug sein würde, der Vertrauten des Juarez wissen zu lassen, daß ich fliehen will. Aber ich will doch sehen, was sie mir mitzutheilen hat. Lassen Sie sie holen.«

»Sie ist bereits da.«

»Ah! Wo?«

»Im Garten.«

»Ich ahne, Sie haben sie bestellt oder mitgebracht.«

»Verzeihung, Majestät. Ich habe Gott gebeten, meinem Flehen bei meinem Kaiser Erhörung zu schenken. Ich war überzeugt, daß Gott Ja und Amen sage, und so beorderte ich die Sennorita nach dem Garten, damit sie nöthigenfalls sofort zur Hand sei.«

»Gut. Gehen Sie, um sie zu holen.«

Mejia ging. Draußen begegnete er Miramon, welcher ihm mit einem fremden Menschen entgegenkam. Beide Generäle grüßten einander kalt und schritten gleichgiltig an einander vorüber.

»Warten Sie hier,« meinte Miramon zu dem Pater.

Er ließ sich melden und trat dann ein.

Im Angesichte des Kaisers lag ein Etwas, was der General sich nicht zu erklären vermochte. Mejia war hier gewesen. Jedenfalls galt es jetzt, den Eindruck, welchen dieser zurückgelassen hatte, wieder zu verwischen.

»Was bringen Sie?« fragte der Kaiser ernst.

»Eine außerordentlich wichtige Nachricht, Majestät,« antwortete der General unter einer tiefen Verneigung.

»Wichtig? Aber doch wohl nicht erfreulich?«

»Im Gegentheile, ganz außerordentlich erfreulich.«

»Das bin ich leider gar nicht mehr gewöhnt.«


Ende der einhundertvierten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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