Lieferung 47

Karl May

13. Oktober 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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zeugung. »Wäre ich ein Heide, so würde ich sagen, er sei ein Halbgott oder ein Liebling der Götter. Niemand kann ihm genug danken!

Es verging einige Zeit, und dann erfolgte abermals ein Krachen, welches wegen der größeren Nähe fast ebenso gefühlt wie gehört werden konnte. Die Wände bröckelten, und aus der Decke brachen ganze Stücke, dann aber rief vorn an der Sprengstelle Donnerpfeils Stimme:

»Emma, wo bist Du?«

»Hier!« jubelte sie und eilte den Gang vor.

Dort stand er diesseits des Schuttes, zwar im Dunkeln, aber von der jenseitigen Laterne genügend erleuchtet. Sie flog an seine Brust, und er legte seine Arme um sie, so fest und innig, daß sie sein stilles Gelübde fühlen konnte, sie nie, nie wieder zu verlassen.

»Mein Antonio!« flüsterte sie. »Fast wäre ich gestorben.«

»Gott sei Dank, daß dieses nicht geschehen ist,« antwortete er mit tiefster Innigkeit. »Mein kranker Kopf hätte das nicht ausgehalten, und ich wäre wieder wahnsinnig geworden.«

Da tauchte neben ihnen die Gestalt Büffelstirns auf.

»Wo ist Karja, die Tochter der Miztekas?« rief er.

Da kam sie herbeigeflogen, und sie fanden sich zu einer glücklichen Umarmung. Nenne man nicht den Indianer einen Wilden. Er ist dasselbe Ebenbild Gottes, wie der Weiße, der sich doch unendlich höher dünkt.

Jetzt kam Sternau herüber und reichte Allen die Hand. Mariano umarmte ihn und sagte in innigster Dankbarkeit:

»Schon wieder rettest Du mich! Carlos, Du bist mein Schutzgeist für und für!«

Und der Steuermann meinte bewegt:

»Herr Doktor, wenn ich die Meinen wiedersehe, so habe ich das nur Ihnen zu verdanken. Gott vergelte es Ihnen; ich kann es nicht!«

Nun wurde in kurzen, abgerissenen Sätzen das Geschehene schnell erzählt.

»Wie, Du hast diesem Verdoja das Messer entrissen und ihm gedroht?« fragte Donnerpfeil seine Braut.

»Ja. Er durfte mich nicht anfassen; ich hätte ihn oder mich getödtet.«

»Meine Heldin!«

Mit diesem Ausrufe der Bewunderung drückte er sie an sich, fest und warm.

Und in demselben Augenblicke wurde hinter Karja eine halblaute Frage hörbar:

»Die Tochter der Miztekas hat diesen Pardero mit eigener Hand getödtet?«

Es war Bärenherz, der Apache, den sie jetzt liebte mit der vollen Gewalt ihres Herzens, obgleich sie einst so thöricht gewesen war, ihm Graf Alfonzo vorzuziehen.

»Ja,« antwortete sie leise.

»Und dann ihre Mitgefangenen losgemacht?«

»Ja.«

»Die Tochter der Miztekas ist eine Heldin; sie verdient, zu werden die einzige Squaw (Frau) eines großen Häuptlings.«

Er fuhr ihr mit der Hand liebkosend über das Haar und wendete sich dann ab; aber sie wußte, daß diese Worte und dieses fast unfühlbare Streichen ihres


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Haares bei ihm mehr zu bedeuten hatte, als bei einem Anderen eine Rede von tausend Worten.

Da aber kam noch Einer und sagte schüchtern:

»Sennorita, wie freue ich mich, Euch wiederzusehen!«

Emma blickte sich um und erkannte den Vaquero.

»Franzesco, Du auch hier?« sagte sie hocherfreut. »Du bist mir wie ein Gruß vom Vaterhause. Das werde ich Dir nicht vergessen!«

Sie reichte ihm die Hand, und dann sagte Sternau:

»Verschieben wir Alles für später und denken wir zunächst an die Gegenwart. Wir wollen die Zellen sehen, in denen sie gesteckt haben, und die Leichen.«

Mariano ergriff die eine Laterne und machte den Führer. Die Retter schauderten, als sie die engen, moderigen Zellen erblickten. Als sie zu den beiden Leichen kamen, sprach Keiner ein Wort. Sie fühlten, daß hier Gottes Strafgericht gewaltet habe.

Da ertönte ein entsetzlicher, lang gezogener Schrei.

»Was ist das?« fragte Donnerpfeil.

»Verdoja ist's,« antwortete Mariano.

»Fürchterlich!« meinte Sternau. »Ich muß ihn sehen!«

Sie schritten vorwärts und nur die beiden Mädchen blieben zagend zurück und baten den Steuermann, bei ihnen zu bleiben.

Gerade als sie an den Brunnen traten, ertönte ein neuer Schrei. Es giebt kein Thier, welches einen solchen Laut ausstoßen könnte. Er durchzitterte die Männer, welche oben am Rande standen, so daß sie sich schüttelten.

»Und er hat nicht sagen wollen, wie die Thüren geöffnet werden?« fragte Sternau.

»Nein. Wir sollten zu Grunde gehen.«

»So ist er wirklich ein Teufel. Ich gehe hinab zu ihm!«

Er rollte sein Lasso los und ließ sich noch denjenigen von Büffelstirn und Bärenherz geben. Er band sich fest, nahm die Laterne und wurde hinabgelassen.

Als er unten ankam, ließ er das Licht auf den Zerschmetterten fallen. Dieser öffnete die blutunterlaufenen Augen, starrte auf ihn, wie auf ein Gespenst, und rief dann:

»Hund, bist Du es!«

»Ja, ich bin es,« sagte Sternau. »Du Teufel in Menschengestalt sollst erfahren, daß Deine Pläne zu Schanden geworden sind. Wir sind gekommen, Deine Gefangenen zu befreien; die Thüren sind offen, sie sind erlöst.«

»So verdamme Euch -«

Er wollte sich vor Wuth aufrichten, aber diese Bewegung verursachte ihm solche Schmerzen, daß er seinen Fluch nicht aussprechen konnte, sondern einen seiner entsetzlichen Schreie ausstieß.

»Du stehst an der Schwelle des Todes, Du stehst vor dem ewigen Gerichte,« sagte Sternau, »bitte Gott um Erbarmen, statt zu fluchen!«

Verdoja wollte die Fäuste ballen, aber es ging nicht. Er knirschte mit den Zähnen, fletschte sie, wie ein Raubthier, und schrie:

»Fort! Ich mag keine Gnade!«


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Diese Gottlosigkeit ertödtete den letzten Funken von Mitgefühl in Sternau's Brust.

»Nun gut, so sollst Du auch keine Gnade haben,« sagte er, »wenigstens bei mir nicht. Gott hat Dich gestraft, und diese Strafe sollst Du auskosten bis zum letzten Tropfen. Du gehörst in die Hölle und sollst eine Hölle haben, eine Hölle voll unbeschreiblicher Qualen und Schmerzen bereits hier auf Erden. Ich werde Dich untersuchen und dann Alles thun, Dich mitsammt Deinen Schmerzen am Leben zu erhalten.«

Er bückte sich nieder und begann seine Untersuchung. Er gab sich keine Mühe, zart und behutsam zu sein, und so entfuhr dem Munde des Verruchten ein Schmerzgeheul, welches geradezu unmenschlich war.

Endlich war Sternau fertig.

»Das ist Gottes Gericht,« sagte er. »Du bist zermalmt am ganzen Leibe, Deine Glieder sind zerbrochen und können nie wieder vereinigt werden; aber dennoch ist dies Alles nicht tödtlich. Deine Eingeweide sind unverletzt und kräftig, Du wirst leben, aber den Schmerz, der Dich jetzt zerfrißt, nie los werden. Eine solche Strafe kann nur Gott, oder der Teufel ersinnen, und Du, Du sollst sie leiden, dafür will ich sorgen.«

Er band sich von den Lassos los und befestigte den Zerschmetterten daran, ohne die geringste Rücksicht auf dessen Zustand zu nehmen. Dann gab er das Zeichen. Die Männer oben zogen an, in dem Glauben, daß es Sternau sei, aber bald sagte ihnen ein näher kommendes Qualgebrüll, wen sie emporzogen. Als er oben war, legten sie ihn in den Gang, knüpften ihn ab und ließen die Lassos wieder in den Brunnen hinab. Sternau kletterte jetzt selbst daran empor.

»Aber was soll mit diesem Menschen werden?« fragte Donnerpfeil.

»Er soll nicht sterben, denn sein Tod wäre ja eine Belohnung für ihn. Er soll leben, aber dabei keinen Augenblick frei von Schmerzen sein.«

»Das ist recht!« stimmte Bärenherz bei. »Der Große Geist ist gerecht!«

»Er hat es verdient,« meinte Büffelstirn einfach; dann wendete er sich ab.

»Ich werde einige Apachen senden,« sagte Sternau, »die ihn nach dem vordersten Gange schaffen, dort soll er liegen, so lange es mir gefällt. Jetzt aber laßt uns an das Licht des Tages zurückkehren!«

Sie gingen zu den Frauen und führten sie durch die jetzt aufgesprengten Thüren nach dem Ausgange. Als Emma dort anlangte, blieb sie wie geblendet stehen. Dann füllten sich ihre Augen mit Thränen und sie breitete ihre Arme aus, um Sternau zu umfassen.

»Wenn ich Ihnen dies vergesse, Sennor, so möge mir die Seligkeit verschlossen sein!«

Auch Büffelstirn reichte ihm die Hand.

»Der Fürst des Felsens fordere mein Leben, es ist sein!« sagte er.

Sie Alle drängen sich an ihn, und er hatte Mühe, von all den Dankes- und Liebeserweisen nicht erdrückt zu werden.

Jetzt nun stieg man ein Stück an der Seite der Pyramide empor, um eine freie Aussicht zu erlangen. Die Comanchen waren weit zahlreicher geworden. Man konnte ihrer wohl bereits dreihundert zählen. Sie waren alle wohl beritten und, wie es schien, mit zahlreichen Waffen versehen.


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Emma ward Angst beim Anblicke so vieler Feinde, doch versuchten die Männer, ihr Muth einzuflößen, was ihnen auch gelang. Was hingegen Karja betraf, so verachtete sie die Comanchen und verlangte eine Büchse, um an der Vertheidigung mit Theil zu nehmen.

»Wir haben einen großen Fehler begangen,« sagte später Sternau.

Die Frauen konnten das nicht hören, denn man hatte ihnen an einem geschützten Orte ein Lager bereitet, wo sie warm und weich ruhen konnten.

»Welchen?« fragte Büffelstirn.

»Erst waren es ihrer nur hundert, wir aber waren zweihundert. Griffen wir sie an, so hätten wir sie besiegt und konnten den Ort verlassen, oder die Uebrigen einzeln aufreiben.«

»Der Fürst des Felsens hat Recht,« sagte Bärenherz, »aber unsere Herzen kannten nur die Sprache des Mitleids mit unseren gefangenen Freunden. Doch werden diese Comanchen uns nichts thun. Wir sind hier sicher, und das fliegende Roß wird uns fernere Krieger senden, welche zu uns stoßen.«

»Sie mögen kommen, diese Comanchen,« sagte Büffelstirn. »Sie sind wie die Heuschrecken, welche man zertritt.«

Das war muthig gesprochen, aber kurz vor Sonnenuntergang sah man, daß die Feinde vollständig beisammen waren; sie zählten über vierhundert Mann, welche einen engen Kreis um die Pyramide geschlossen hatten.

Als es dunkel wurde, sah man ihre Wachtfeuer rundum brennen und auch die Apachen durften mehrere Feuer anzünden, um ihr Fleisch zu braten, denn es war ein Rind für sie geschlachtet worden. Diese Feuer ließ man später verlöschen, und auch diejenigen der Comanchen waren gegen Mitternacht am Verglimmen.

Jetzt nun galt es, aufmerksam zu sein. So lange die feindlichen Feuer brannten, war ein Angriff nicht zu befürchten, da man jede feindselige Bewegung sehen konnte. Jetzt aber war dies anders. Die Häuptlinge hatten beschlossen, daß die Leute des Tages schlafen, des Nachts aber alle munter bleiben sollten. Rings am Rande des Gebüsches lagen die Schützen im Anschlage, die scharfen, wachen Augen in das Dunkel hinaus gerichtet. Und Sternau hatte die Einrichtung getroffen, daß zwischen der freundlichen und feindlichen Position eine Postenkette placirt wurde.

Diese Leute krochen so weit hinaus, dem Feinde entgegen, als es nur möglich war. Sie trugen keine schweren Waffen, sondern nur ihre Messer bei sich. Sie hatten den Befehl, nicht zu kämpfen, sondern sich sofort zurück zu ziehen, sobald sie eine Angriffsbewegung des Feindes bemerkten.

Bärenherz kommandirte an der nördlichen, Büffelstirn an der südlichen, Donnerpfeil an der östlichen und Sternau an der westlichen Seite der Pyramide. Der Letztere hatte zugleich den Oberbefehl überkommen und vier gute Läufer dazu bestimmt, ihm als Adjutanten zu dienen.

So vergingen zwei Stunden nach Mitternacht, als Donnerpfeil einen Mann sandte, um Sternau sagen zu lassen, daß der Feind heimlich sich nach Nord und Süd ziehe. Kurze Zeit darauf ließen Bärenherz und Büffelstirn melden, daß die Comanchen alle nach der Westseite gingen. Daraus war zu schließen, daß sich alle vierhundert Feinde im Westen versammelten, um die Apachen auf dieser Seite mit Uebermacht anzugreifen. Sofort gab Sternau den Befehl, daß alle Apachen sich


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auf seine Seite ziehen sollten. Kaum war dies geschehen, so kamen die Außenposten herbeigekrochen und meldeten, daß von Westen her der Feind vorrücke.

Da wendete sich Sternau an Bärenherz:

»Mein Bruder nehme seine fünfzig Krieger, um die Comanchen zu umgehen und ihnen in den Rücken zu fallen. Er wird leicht ihre Pferde finden, auf diese setzt er sich mit seinen Leuten und reitet den Feind nieder.«

»Uff!« antwortete der Apache, dem dieser Auftrag außerordentlich behagte. »Der Fürst des Felsens ist ein großer Feldherr. Wir werden einen großen Sieg gewinnen.«

In kurzer Zeit war er mit seinen Leuten unhörbar verschwunden. Jetzt ertheilte Sternau seinen übrigen Hundertfünfzig den Befehl, nicht auf Reiter zu schießen, da dies ihre Brüder seien, und dann erwartete man in Stille den Beginn des Kampfes, dessen Ausgang noch sehr zweifelhaft war.

Es verging immer noch eine geraume Zeit, aber als es bleich im Osten zu werden begann und es wenigstens so viel Licht gab, daß man in der Nähe Freund und Feind unterscheiden konnte, da erscholl plötzlich ein fürchterliches, vierhundertstimmiges Kriegsgeheul, und die Comanchen stürmten im raschesten Schritte heran.

Der Indianer kämpft am liebsten zu Pferde, aber hier, wo es die Pyramide zu erobern galt, nutzten die Pferde nichts, darum waren die Feinde alle zu Fuß. Freilich ist der Rothe kein sehr guter Fußkämpfer: die Apachen hatten ein gutes Ziel, und als der Feind genug herangekommen war, wurden auf Sternau's hellen Ruf hundertfünfzig Kugeln oder Pfeile abgeschossen.

Das gab einen fürchterlichen Treffer; die Comanchen kamen in's Stocken, wurden aber von ihren Häuptlingen von Neuem vorwärts getrieben. Aber, so kurz das Stocken gewesen war, die Apachen hatten doch Zeit bekommen, wieder zu laden, und ihre zweite Salve hatte eine eben solche Wirkung wie die erste.

Ein entsetzliches Gebrüll zeigte die Wuth der Comanchen an. Sie rotteten sich abermals zusammen und drangen zum dritten Male vor. Die Apachen hatten jetzt nicht Zeit, ihre einläufigen Büchsen zu laden, es schien ein Kampf Mann gegen Mann bevorzustehen, und nun war der entscheidende Augenblick gekommen.

Wer eine Kugel im Lauf hatte, schoß ab und griff dann zum Tomahawk. Da aber, da brauste es plötzlich heran auf galoppirenden Pferden - es war Bärenherz mit seinen Fünfzig. Still, ohne einen Kriegslaut auszustoßen, drangen sie in den dicht zusammengedrängten Haufen der Comanchen ein und rissen Alles nieder, was ihnen in den Weg kam.

Es war fast Tag geworden, und Sternau konnte den ganzen Kampfplatz übersehen. Sein Scharfblick sagte ihm, was das beste sei. Er erhob seine Stimme und rief:

»Auf die Pferde, und d'rauf!«

Die Pferde der Apachen standen zufälliger Weise hier an der Westseite. In weniger als einer Minute brausten sie mit ihren Reitern auf die Comanchen ein. Einem solchen Angriff waren diese nicht gewachsen. Sie wandten sich, kämpften sich durch Freund und Feind hindurch und flohen in die Ebene hinaus. Die Wahlstatt gehörte den Apachen, welche eine furchtbare Ernte an Scalpen hielten.

Sternau hatte keinen einzigen Schuß gethan. Er hatte seinen Henrystutzen


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bis auf einen gefährlichen Moment auf heben wollen, war aber nicht dazu gekommen. Die Apachen hatten gegen zweihundert Scalpe erbeutet, selbst aber gegen dreißig Krieger verloren. Diesen Sieg hatte man der Umsicht Sternau's zu verdanken.

Während die Apachen sich ausruhten, sah man die Comanchen sich im Westen wieder sammeln; dann unternahmen sie dasselbe Manöver wie gestern, sie umzingelten die Pyramide, um die Apachen abzuschneiden.

Sternau hielt mit den Häuptlingen Rath.

»Jetzt können wir durchdringen,« sagte er, »die Comanchen können uns nicht aufhalten, die Niederlage hat ihren Muth geschwächt.«

»Warum sollen wir fort?« fragte Bärenherz. »Hier können die Comanchen uns nicht besiegen, und bald werden unsere Brüder zu uns stoßen.«

Auch die Anderen waren derselben Meinung, und so mußte Sternau nachgeben.

Verdoja war in die Nähe des Eingangs der Höhle geschafft worden, wo einer der Apachen die Aufsicht über ihn hatte. Er aß und trank wie ein gesunder Mensch, bot aber mit seinen geschwollenen, gebrochenen Armen und dem bewegungslosen Unterkörper einen schauderhaften Anblick.

Die gefangenen Dragoner wurden streng bewacht. Sternau wollte sie als Geiseln benutzen, falls von Chihuahua ein anderes Commando gegen ihn ausgesandt werde.

Der erste Tag verging und auch die darauf folgende Nacht, der zweite ebenso, ohne daß die erwarteten Krieger kamen. Die Comanchen hingegen schienen wieder zahlreicher zu werden. Da, in der nächsten Nacht sah einer der Außenposten einen Mann auf dem Bauche heranschleichen. Beide erblickten sich zu gleicher Zeit; sie lagen kaum acht Fuß von einander. Schon griff der Posten nach seinem Messer, als ein leiser Laut ihn aufmerksam machte - der Andere war auch ein Apache, aber nicht von demselben Stamme. Er kam heran und flüsterte leise:

»Mein Bruder hält die Wache?«

»Ja.«

»Welcher Häuptling hat den Befehl bei ihm?«

»Der Fürst des Felsens.«

Der Fremde schwieg betroffen, dann fragte er:

»Ist der Fürst des Felsens hier bei meinen Brüdern?«

»Ja.«

»So werden sie große Tapferkeit verrichten. Wo ist er zu finden?«

»Gehe weiter! Man wird Dich sehen und zu ihm führen.«

Der Fremde folgte diesem Gebote und gelangte an das Gebüsch, wo er angehalten wurde. Man führte ihn sofort zu Sternau, der eben eine Berathung hielt.

»Wer bist Du?« fragte er.

»Ich bin der fliegende Geyer, der Häuptling der Taracone-Apachen,« antwortete er.

Bei dieser Antwort erhob sich Bärenherz schnell und trat auf ihn zu.

»Der fliegende Geyer? Uff, ja, Du bist es, mein Bruder. Du bist uns willkommen. Wann kommst Du mit Deinen Apachen?«

»Ich komme als Bote.«

»Nicht als Häuptling?«


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»Nein. Das fliegende Roß hat die Häuptlinge aller Apachen versammelt, um ihnen zu sagen, daß Krieg sei in Mexiko, und daß Juarez ein Freund der Apachen sei. Es waren versammelt alle großen Krieger, aber sie wollen nicht Krieg beginnen mit dem rechten Häuptling von Mexiko. Darum haben sie das Kriegsbeil in die Erde gegraben, und ich bin abgesendet worden, Dir dies zu sagen.«

»So kommen keine Krieger zu uns?«

»Nein. Das fliegende Roß läßt Dir sagen, Du sollst mit Deinen Kriegern zurückkehren in die Jagdgründe, um Fleisch zu machen.«

Bärenherz senkte den Kopf, ohne etwas zu sagen. Da aber nahm Büffelstirn das Wort und sprach:

»Seit wann hat der Apache zwei Zungen? Erst sagt das fliegende Roß, daß wir das Kriegsbeil nehmen sollen, und dann sagt er, es soll vergraben werden. Wir haben einen großen Sieg erfochten, wir haben zweihundert Scalps erbeutet, und nun sollen wir wieder Fleisch machen?«

»Du brauchst nicht zu gehorchen, Du bist der Häuptling der Miztecas,« sagte der Bote.

»So schweige ich!« meinte Büffelstirn trotzig.

»Was sagt der Fürst des Felsens zu der Botschaft?« fragte endlich Bärenherz.

»Ich liebe den Frieden, obgleich ich dem Freund helfe. Mein Bruder Bärenherz mag thun, was ihm beliebt.«

Da sagte auch der Bote:

»Ich habe gesagt, was ich sagen sollte; meine Brüder mögen berathen. Ich aber muß noch in dieser Stunde zurück, das ist der Wille der Häuptlinge. Aber ich werde erzählen, daß ich gesehen habe den Fürsten des Felsens, den großen Häuptling der Bleichgesichter.«

Er nahm Abschied und verschwand, wie er gekommen war. Sein Weg war ein lebensgefährlicher; er mußte sich zwischen den Comanchen hindurch schleichen. Wurde er ergriffen, so war es um ihn geschehen.

Unter den Zurückbleibenden wurde die Angelegenheit vorläufig nicht weiter besprochen.

Gegen Morgen ließ sich im Lager der Comanchen ein außerordentliches Jubelgeschrei vernehmen, es mußte etwas für sie höchst Erfreuliches geschehen sein. Was das war, das sah man, als es hell wurde. Nämlich rings umher erblickte man eine Menge von Kriegern, welche während der Nacht angekommen waren. Da waren ja weit mehr als tausend Comanchen beisammen. Das war das Groß der Hilfstruppen, welche die Häuptlinge dem Präsidenten sandten.

Sternau erschrak, trotzdem er ein tapferer Mann war. Hier war an ein Entkommen nicht zu denken, hier konnte man nur sterben.

Auch die Krieger der Apachen blickten finster auf den weit überlegenen Feind. Sie hatten nun nichts mehr zu hoffen, denn Ersatz wurde ja nicht gesandt.

Doch dies war noch nicht Alles. Am Vormittage sprengte von Süden her eine Schwadron Dragoner herbei und saß mitten auf dem Felde ab. Zwischen ihren Offizieren und den Häuptlingen der Comanchen entspann sich ein lebhafter Verkehr, dessen Folge war, daß ein Lieutenant sich als Parlamentair näherte. Er


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trug auf der bloßen Degenspitze sein weißes Taschentuch zum Zeichen, daß er in friedlicher Absicht komme. Sternau ging ihm selbst entgegen.

»Wer ist der Anführer dieser Apachen?« fragte der Offizier nach einem höflichen Gruße, wobei er Sternau mit bewundernden Blicken betrachtete.

»Bärenherz, ihr Häuptling.«

»Ist ein Mann hier, den man den Fürsten der Felsen nennt?«

»Ja.«

»Wo ist er?«

»Er steht vor Ihnen.«

Der Lieutenant verbeugte sich tief und sagte im verbindlichsten Töne:

»Ich komme als Abgesandter meines Rittmeisters und der Häuptlinge der Comanchen. Wollen Sie mich hören?«

»Gewiß. Kommen Sie!«

Er führte ihn dahin, wo die anderen Häuptlinge saßen, hieß ihm, Platz zu nehmen, und forderte ihn dann durch ein Zeichen mit der Hand auf, zu sprechen. Der Mann begann:

»Erlauben Sie mir zunächst, Ihnen meine Hochachtung auszusprechen, Sennor. Ich bin -«

»Bitte,« unterbrach ihn Sternau. »Was haben Sie uns Dienstliches zu sagen?«

»Das ist freilich ein Wenig unangenehm, Sennor. Diese Apachen haben mit der Schwadron Dragoner gekämpft, welche in der Hazienda Verdoja lag?«

»Ja.«

»Sie haben sich an dem Kampfe betheiligt?«

»Nein.«

»Aber Sie haben eine Anzahl Dragoner gefangen genommen?«

»Ja.«

»Nun gut. Mein Rittmeister verlangt ihre Auslieferung und auch diejenige der sämmtlichen Anführer. Die anderen Leute haben freien, ungehinderten Abzug.«

»Weiter verlangt ihr Rittmeister nichts?«

»Nein.«

»Sie sagten, daß Sie auch im Auftrage der Häuptlinge kämen. Was lassen uns diese sagen, Sennor?«

»Sie verlangen ihre Todten nebst den erbeuteten Scalpen, sowie zehn Apachen, um sie den Martertodt sterben zu lassen. Dann können die Uebrigen abziehen.«

»Haben meine Brüder das gehört?« fragte Sternau seine Freunde.

Sie neigten zustimmend den Kopf.

»Was werden sie beschließen?«

»Sie werden kämpfen,« sagte Büffelstirn.

Bärenherz und Donnerpfeil stimmten ihm bei.

»Sie hören, was für eine Antwort Sie erhalten,« sagte Sternau zu dem Offizier.

»Und was ist nun auch Ihr Bescheid, Sennor?« fragte dieser.

»Hm, ich würde mich nicht ausliefern, selbst wenn ich ganz allein hier auf der Pyramide säße!«


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»Ich ehre dieses Wort als das Wort eines Helden, halte es aber doch für meine Pflicht, Sie daran zu erinnern, daß Sie gegen eine mehr als zehnfache Uebermacht kämpfen.«

»Ganz richtig; dafür aber ist unsere Position eine hundertfach stärkere, abgesehen davon, daß es unter uns Männer giebt, welche es mit zwanzig Feinden aufgenommen haben.«

»Dies ist Ihr fester Entschluß?«

»Ja. Aber Eins muß ich Ihnen bemerken. Ich habe den Hauptmann jener Dragonerschwadron nebst einigen Zwanzig seiner Leute als Gefangene bei mir. Bis jetzt sind sie meine persönlichen Gefangenen. Besteht Ihr Chef darauf, daß ich mich ihm mit den anderen Anführern ausliefere, so werden jene Leute dann Gefangene der Apachen, und was da ihr Schicksal ist, das können Sie sich denken.«

»Ah, Sie wollen sich mit Geiseln decken?«

»Ich gestehe, daß dies meine Absicht ist.«

»Es wird Ihnen nichts nützen. Im Süden stehen die Regierungstruppen; von Nord und Ost nähern sich neue Schaaren der Comanchen. Sie sind auf jeden Fall verloren. Uebrigens geben wir Ihnen Bedenkzeit bis morgen um dieselbe Stunde. Das thun wir, weil wir ganz genau wissen, daß Ihre Lage eine hoffnungslose ist. Sie erhalten keinen Ersatz; wir aber möchten Blutvergießen vermeiden.«

»Wir werden während dieser Bedenkzeit nicht angegriffen?«

»Nein.«

»Auch von den Comanchen nicht?«

»Nein; ich gebe Ihnen mein Wort.«

»Gut, so kommen Sie morgen wieder, um sich unsere Antwort zu holen, Sennor!«

Der Offizier entfernte sich. Sternau stieg auf die Spitze der Pyramide. Er wollte allein sein, um sich seine Lage zu überdenken. Er wußte, daß die Häuptlinge ganz dasselbe thun würden; so konnte man später zu einem klaren Entschlusse gelangen.

Seine Lage war eine kritische. Es handelte sich hier um die Freiheit, vielleicht gar um das Leben. Würde er seine Lieben jemals wiedersehen?

Er langte in die Tasche, um den letzten Brief Rosa's noch einmal zu durchlesen, zog aber statt dessen den Plan der Pyramide hervor. Er faltete ihn auseinander und überflog ihn mehr instinktiv als absichtlich nochmals mit den Augen.

Die Gänge waren überaus symmetrisch gebaut, nur einer, ein ganz kurzer, paßte nicht in die Ordnung. Es schien kein Gang, sondern eine lange, schmale Kammer zu sein. Auf der Zeichnung stand das Wort peta-pove, ein Wort, welches Sternau noch niemals gehört.

Während er nachdachte, kam Büffelstirn auch emporgestiegen. Mehr aus wirklicher Zerstreutheit als aus Ueberlegung fragte er ihn:

»Hat mein Bruder einmal das Wort peta-pove gehört?«

»Ja.«

»Was bedeutet es? «

»So sprechen die Jemes-Indianer. Es heißt »in das Thal gehen«. Warum fragt mein Bruder?«

Er bekam keine Antwort, denn Sternau hatte sich erhoben und blickte scharf


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nach Westen, wo sich die Cordilleren von Sonora erhoben. Ein Blitz durchzuckte sein Inneres, und dann wendete er sich rasch um.

»Mein Bruder folge mir!«

Mit diesen Worten eilte er an der Seite der Pyramide hinab nach dem Orte, wo die beiden Mädchen ihr Lager hatten. Auch ihnen war die Menge der Comanchen, die Anwesenheit der Dragoner und die Sendung des Lieutenants aufgefallen. Sie wollten die Beiden mit Fragen bestürmen, aber Sternau ließ sich auf keine Antwort ein. Er nahm ein kleines Fäßchen Pulver, welches zum Vorrath der Dragoner gehört hatte, rief einige kräftige Apachen herbei, denen er Hammer und Hacke nebst Brecheisen gab, bat Bärenherz, wohl Acht zu haben, und verschwand mit Büffelstirn und den Apachen in der Eingangsöffnung zum Inneren der Pyramide.

Verdoja stieß bei ihrem Anblicke einen Schrei aus, wurde aber gar nicht beachtet. Man brannte einige Laternen an und vertiefte sich dann in das Innere.

Da, wo man zum erstenmale rechts eingebogen war, schritt Sternau geradaus, bis er an eine Thüre kam. Sie leistete der Hacke und Brechstange Widerstand und wurde dann gesprengt. Mit einer zweiten Thür ging es ebenso. Dann gelangte man an eine Treppe, welche abwärts führte. Hier traf man auf die Thür, welche den Raum verschloß, den Sternau der Zeichnung nach für eine lange, schmale Zelle gehalten hatte. Als auch sie gesprengt worden war, gab es einige Stufen niederzusteigen, und man gelangte in ein schmales, hohes Gewölbe, welches kein Ende nahm. Es war - - ein unterirdischer, aus Backsteinen gemauerter Gang, welcher in schnurgerader Richtung grad' nach West führte.

Das war es, was Sternau gedacht hatte, als er die Uebersetzung des fremden Wortes hörte. Das Herz wurde ihm froh und leicht. Er eilte voran, immer den finsteren Gang hinein, den seine Laterne nur nothdürftig erhellte. Wie lange das so fortging, das wußte er gar nicht, bis er plötzlich wieder vor Stufen stand, aber sehr lang war es gewesen. Er stieg die Stufen bergan und fand da die Wölbung mit großem Steingeröll gefüllt.

Hier war die Hacke und das Brecheisen zu gebrauchen. Das Geröll wurde zur Seite gestoßen, nach unten geworfen, und - plötzlich brach das Tageslicht herein. Sie machten die Oeffnung weiter, stiegen heraus und standen in einem kleinen Thälchen, welches nur aus Steingeröll bestand und nicht die Spur der Vegetation zeigte.

Sie bestiegen vorsichtig die eine Seite des Thälchens und gewahrten in einer Entfernung von mehr als einer englischen Meile die Pyramide im Osten und zwischen ihr und dem Thale die Menge der Comanchen. Die Pferde derselben weideten kaum fünf hundert Schritte von dem Thale entfernt.

»Was sagt mein Bruder zu dieser Entdeckung?« fragte Sternau den Miztekas.

»Sie ist viele Menschenleben werth,« antwortete dieser mit ruhiger Stimme, aber man sah es seinem Auge an, daß ihm das Herz leicht geworden war.

»Die Söhne der Comanchen werden glauben, wir sind Zauberer.«

»Sie werden uns suchen und nicht finden, denn wir sind mit ihren Pferden fortgegangen. Karja, die Tochter der Miztekas, braucht nun nicht zu sterben von der Hand ihres Bruders, der sie erlösen wollte von der Schande, das Weib eines Comanchen zu sein.«


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Er, der Bruder, dachte doch immer sogleich an seine Schwester.

»Nun müssen wir zurückkehren,« warnte Sternau. »Man darf uns hier nicht sehen.«

Sie stiegen wieder in den Gang hinab und legten soviel Geröll wie möglich vor die Oeffnung. Dann kehrten sie auf dem unterirdischen Wege nach der Pyramide zurück. Wer weiß, was dieser Weg früher alles gesehen hatte! Gewiß hatte er dazu gedient, das gläubige Volk zu mystificiren; die Priester waren ihn hin- und hergewandelt, wenn droben auf der Pyramide das Blut der Menschenopfer in Strömen vergossen wurde.

Jetzt nun wurde eine große Berathung gehalten, zunächst unter den Häuptlingen, und dann zog man auch die Krieger dazu heran.

Sie alle hatten sich bereits verloren gegeben, nun, da sich ihnen ein solcher Ausweg bot, gab es keinen Einzigen, der widersprochen hätte. Am glücklichsten waren die beiden Mädchen, welche auch der Berathung mit beiwohnten.

Es wurde beschlossen, daß man insgesammt die Cordilleren ersteigen wolle, um sich dann zu trennen. Aber Bärenherz fügte hinzu:

»Bärenherz liebt seine Freunde; er wird sie begleiten bis Guaymas.«

Die Wangen Karja's rötheten sich. Sie wußte recht gut, wem diese Aufmerksamkeit eigentlich galt.

Auf den Bergen war wenig Proviant zu finden, darum war es gut, daß man mit demselben reichlich versehen war. Da man die Pferde nicht mit durch die unterirdischen Gewölbe nehmen konnte, so mußte man sie zurücklassen und dafür die der Comanchen zu bekommen suchen.

Ein Jeder war beschäftigt mit den Vorbereitungen zur Abreise. Alles, was man fortbringen konnte, sollte mitgenommen werden, und so legten sich die Apachen sogar ihre Sättel zurecht, in welche sie sich eingewöhnt hatten.

Als die Sonne zu sinken begann und bereits den Horizont erreichte, stieg Karja zur Höhe empor. Sie stand da oben hoch und schlank wie eine mexikanische Priesterin. Ihr Gewand flatterte im Winde, und ihre dunkeln Wangen belebten sich unter dem Abschiedskusse der scheidenden Sonne. Woran dachte sie?

Ihr Auge blickte nach Norden. Dort lag nicht Guaymas, das nächste Ziel ihrer Reise, dort lag auch nicht die Hazienda del Erina, ihre Heimath, in welche sie zurückwollte, aber dort lagen die Jagd- und Weidegründe der Apachen, und Bärenherz, der Häuptling derselben, hatte es ihrem Herzen angethan.

Wie hatte sie nur glauben können, den Grafen Alfonzo zu lieben. O, könnte sie doch jene Abende aus dem Leben streichen, jene Abende am Bache hinter der Hazienda, jene Abende, an denen sie dieser Mensch geküßt und an sich gedrückt hatte!

Wie anders war dagegen Bärenherz! Sie hätte für ihn sterben können.

Sie hörte nicht, daß auf der anderen Seite der Pyramide auch Jemand emporgestiegen kam; es war kein Anderer, als der, an den sie dachte.

Nicht Ueberlegung oder Absicht führte Beide hier herauf, sondern der unbewußte Instinkt des Herzens, welcher oft richtiger führt, als die raffinirteste Ueberlegung. Bärenherz sah sie und blieb stehen. Er sah die Sonne auf ihrem Scheitel und ihren Wangen glänzen; er sah ihre dunklen Augen in träumerischer Wehmuth nach


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Mitternacht gerichtet; er sah die schönen, runden Linien ihrer vollen schlanken Gestalt, und jetzt begriff er, wie Pardero um dieses Mädchens willen so Vieles wagen konnte.

Es stieg ihm heiß zum Herzen. Wenn dieses schöne Mädchen, diese Tochter der Edelsten ihres Volkes, unterlegen wäre! Wenn Pardero durch Hunger, Durst oder Gewalt ihren Widerstand besiegt hätte! Das war jetzt ein fürchterlicher Gedanke für den Apachen, und er legte unwillkürlich die Hand an den Tomahawk.

Er trat ihr näher; da hörte sie seine Schritte und wendete sich um. Als sie ihn erblickte, ward sie trotz ihres dunkeln Teint's bis tief in den Nacken roth. Das war ja der, an den sie soeben gedacht hatte; er mußte es ihr ja sofort ansehen!

Er sah ihre Verwirrung, trat einen Schritt zurück und sagte:

»Die Tochter der Miztekas erschrickt, wenn Bärenherz erscheint. Er wird wieder gehen, aber er weiß nicht, womit er sie beleidigt hat.«

Sie schwieg, und erst als er sich wirklich von ihr wendete, sagte sie, kaum hörbar:

»Der Häuptling der Apachen hat mich nicht beleidigt.«

Er drehte sich wieder um, blickte sie forschend an und fragte:

»Aber sie haßt ihn, sie möchte fort sein, wenn er kommt?«

Jetzt nahm sie sich den Muth, zu antworten, wenn auch nur ein kleines Wörtchen:

»Nein.«

»Kann Bärenherz dafür, daß er immer ihre Fährte trifft? Kann der Mann die Gedanken aus seiner Brust schneiden? Kann er dem Träume befehlen, was er bringen soll und was er nicht bringen darf? Warum sieht das Auge in den Wellen des Flusses, in den Wolken des Himmels immer nur das eine Haupt und die eine Gestalt? Bin ich Manitou, bin ich ein Gott, daß ich das Leben tödten kann, welches in meiner Seele wohnt?«

Sie schwieg, aber er sah, daß sie leise, ganz leise bebte. Er zog die Brauen finster zusammen; er, der Heldenhäuptling, wußte nicht, daß es auch ein Beben des Glückes, der Wonne, der Erwartung giebt.

»Warum antwortet Karja nicht?« fragte er. »Wie lange wird Bärenherz noch Diejenige sehen, welche er liebt? Einige Tage, einige Stunden. Dann wird sie das Weib eines Anderen, und er geht, um dies an seinen Feinden zu rächen.«

»Sie wird nie das Weib eines Anderen sein!« flüsterte sie.

Da trat er schnell näher.

»Nie, sagst Du, nie?« fragte er.

»Nie!« antwortete sie.

»Weißt Du das wirklich, weißt Du das genau?«

»Wer Bärenherz liebt, kann keinen Anderen lieben!«

Da faßte er sie bei der Hand und fragte:

»Und kennst Du Eine, die ihn liebt?«

Sie schwieg.

»Du willst es nicht sagen; Du willst mich nicht glücklich sehen!«

»O,« antwortete sie, »ich möchte Dich glücklich sehen; aber Du willst ja nicht glücklich sein!«

»Weshalb glaubst Du das?« fragte er.

»Wer glücklich sein will, der muß Liebe haben, Liebe, blos für Eine.«

»Du hast Recht. Und habe ich Dir nicht bereits unten in dem Gewölbe ge-


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sagt, daß Du werth bist, die einzige Frau eines Helden zu sein? Wäre ich ein Held, so würde ich Dich bitten, meine Frau zu sein!«

»Du bist ein Held!« sagte sie, ihn mit stolzem, entzücktem Auge betrachtend.

»Bin ich wirklich Einer, so sag', ob Du mich lieb hast, Karja!«

»Ich habe Dich lieb,« flüsterte sie, erglühend.

»Und ich Dich auch. Du sollst das Weib des Apachen sein, sein einziges Weib, das schönste, stolzeste und glücklichste Weib unter den Rothen. Du sollst nicht arbeiten wie andere Frauen, sondern Du sollst es haben wie eine weiße Sennora, deren Wunsch ist wie ein Befehl!«

Er schlang die Arme um sie, drückte sie an sich und küßte sie, ganz unbekümmert darum, daß sie auf der Höhe der Pyramide standen und von allen Comanchen gesehen werden konnten. Da unten lauerte der Tod auf sie, und hier oben ruhten die Herzen warm aneinander. Da unten sprach man bereits das Todesurtheil über sie, und da oben schlossen sie einen Bund für das Leben. Die Liebe kennt keinen Tod, denn sie selbst ist ja das Leben.

So standen sie, eng verschlungen, sich selbst und alles Andere vergessend, beleuchtet vom Abendrothe, welches nach und nach im Westen verglimmte. Da drehten sie sich erschrocken um, denn eine bekannte Stimme hatte gefragt:

»Wer von Euch ist der Kranke, daß ihn der Andere stützt?«

Büffelstirn war es. Es war fast Zeit zum Aufbruche, darum hatte er die Schwester gesucht, er hatte allerdings nicht geahnt, sie in den Armen des Apachen zu finden.

Dieser wurde für einen Augenblick verlegen, doch faßte er sich schnell und fragte mit fester Stimme:

»Ist Büffelstirn noch mein Freund und Bruder?«

»Er ist es,« antwortete der Gefragte ernst.

»Zürnt er mir, daß ich ihm das Herz seiner Schwester raube?«

»Er zürnt nicht, denn das Herz der Schwester kann mir Keiner rauben. Im Herzen eines guten Weibes haben Beide Platz, der Gatte und der Bruder.«

»Erlaubst Du mir, nach der Hazienda del Erina zu kommen und die Morgengabe zu bringen?«

»Ich erlaube es.«

»Worin soll sie bestehen?«

»Bestimme es selbst! Büffelstirn verkauft seine Schwester nicht.«

»Soll ich Dir bringen hundert Scalps Deiner Feinde?«

»Nein; ich nehme mir diese Scalps selbst.«

»Oder zehn Felle des grauen Bären?«

»Nein; ich habe der Felle genug.«

»So sage, was Du von mir forderst!«

Da wurde das Auge des Königs der Ciboleros feucht; er legte dem Apachen die Hand auf die Schulter und sagte:

»Ich verlange von Dir nicht Scalpe und Häute, nicht Gold und Silber, sondern ich verlange von Dir, daß Karja, die Tochter der Miztekas, glücklich sei in Deinem Hause. Du bist mein Freund und Bruder, aber wäre meine Schwester nicht glücklich bei Dir, so würde ich mit diesem meinem Tomahawk Dir den Kopf


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spalten und Dein Gehirn den Ameisen zur Speise geben. Geh' nach Deinem Weidegrund und sprich mit den Deinen; dann komme nach der Hazienda del Erina, und Du sollst sie haben!«

Er drehte sich um und schritt hinab. Bärenherz forderte von der Geliebten noch einen Kuß, dann folgte er ihm, hoch und stolz, wie ein Mann, der nie ein süßes Wort mit einem Weibe gesprochen hat.

So lange es noch hell war, durfte man den Lagerplatz nicht verlassen, sobald es aber dunkel war, sollte der Aufbruch beginnen.

Vor allen Dingen galt es, Verdoja nichts wissen zu lassen. Er wurde aus der Höhle heraus und an einen Ort geschafft, von wo aus er nichts bemerken konnte. Seine Schreie hallten da wie die Rufe böser, gequälter Geister hinaus in die stille Nacht, und die Comanchen schüttelten die Köpfe über die fürchterlichen Laute, welche sie zu hören bekamen.

Jetzt war nun der Weg frei, und die Apachen betraten die Gänge, ein Jeder seine Waffen bei sich und das, was er nicht entbehren zu können glaubte. Als der Letzte eingetreten war, wurde der Stein wieder vorgeschoben, und dann setzte sich der lange Zug in Bewegung, voran Büffelstirn und hintenan Sternau.

Dieser Letztere hatte Pulver mitgenommen. Als der Zug die Treppe passirt hatte, legte er eine Mine in den Gang und zündete die Schnur an. Dann folgte er den Andern. Sie passirten den unterirdischen Gang ohne alles Licht und gelangten glücklich an den Ausgang desselben, der sofort wieder verschüttet wurde.

Eben als sie damit fertig waren, vernahmen sie ein leises Rollen, wie von einem fernen Erdbeben, aber es war kein verrätherischer Luftblitz dabei zu sehen, so fest Sternau auch seine Augen auf die Ruinen richtete - die Mine war explodirt und hatte den Gang eingestürzt. Jetzt konnte Niemand sagen, wie sie entkommen waren.

Nun galt es vor allen Dingen, ungefähr hundertsiebenzig Pferde zu verschaffen, eigentlich keine Kleinigkeit, hier aber doch nicht schwer, da viele Hunderte derselben gar nicht weit von dem Thälchen weideten.

Es wurden zunächst Kundschaftet ausgesandt, um zu sehen, ob die Thiere sehr sorgfältig bewacht seien. Sie kamen mit der Meldung zurück, daß sie nur drei Wächter bemerkt hätten. Sie wurden also voran geschickt, diese Wächter unschädlich zu machen, und nun folgten die Anderen, ein Jeder sein Eigenthum gleich bei sich.

Es waren Indianerpferde, sie ließen also die Indianer heran zu sich, ohne zu schnaufen oder sonst ein Zeichen der Unruhe zu geben. Auf Sternau's Befehl ging man sehr vorsichtig zu Werke. Es durften nicht Alle auf einmal aufsitzen und im Trupp wegreiten; dadurch wären ja die Comanchen aufmerksam gemacht worden, sondern es holte sich ein Jeder sein Pferd einzeln und leise weg, führte es eine genügende Strecke weit fort und stieg erst dann auf.

Da es hier weichen Prairieboden gab, so wurde kein Mensch etwas von dem Pferderaube gewahr, und als der nächste Morgen graute und man die Leichen der drei erstochenen Wächter fand, hatten die Apachen schon fast eine halbe Tagereise zurückgelegt. Sie kümmerten sich wenig um die Aufregung und um die Enttäuschung der Comanchen, als diese ihre Feinde verschwunden wußten. Es wurde nach Erklärungen gesucht, und schließlich wurde allgemein angenommen, daß der Fürst des


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Felsens die Macht besitze, durch die Luft zu fliegen und seine Freunde mitzunehmen. Sein Ruhm war jetzt größer als längst vorher. - - -

- - - Unterhalb von Colima in Westmexiko bildet der gleichnamige Fluß bei seinem Austritte in den großen Ocean einen ausgezeichneten Hafen, den Puerto de Colima, auch Manzanillo genannt. Colima ist eine Stadt von beiläufig 35,000 Einwohnern, liegt in einer sehr fruchtbaren Gegend und betreibt einen nicht unbedeutenden Handel, so daß in der Mündung des Flusses auch Schiffe mit nicht geringem Tonnengehalte vor Anker gehen.

Grad' jetzt lag ein solches Schiff da vor Anker. Es schien ganz neu zu sein, war wie abgeleckt und bot dem Auge des Kenners einen sehr erfreulichen Anblick dar. Dies schienen auch die beiden Männer zu fühlen, welche jetzt mit einander am Ufer standen und das Schiff betrachteten.

»Goddam, ein schmuckes Ding!« sagte der Eine. Er war längst nicht mehr jung, war lang und dürr aufgeschossen und trug einen ziemlich gemischt-modigen Anzug an seinem Leibe. »Das ist auf einer amerikanischen Werft gebaut!«

»Das sieht man auf den ersten Blick,« meinte der Andere, eine starkknochige, viereckige Gestalt, die man für einen Steuermann hätte halten können, wenn die Füße nicht in zerrissenen Lackstiefeletten und die Hände in aufgesprungenen Glacéhandschuhen gesteckt hätten.

»Ob sich da wohl ein verborgenes Kanonenbord anbringen ließ, he?« meinte der Erstere.

»Fragt nur nicht, Kapitän; Ihr versteht das Ding ja besser als ich!«

»Meinst Du? Hahaha! Aber nenne mich nicht Kapitän, sonst versprichst Du Dich auch dann, wenn wir nicht belauscht sind. Ich bin der ehrenwerthe Schauspieldirektor Guzman, und Du bist mein - na - - - wie heißt es doch - »Regisseur!«

»Ja, mein Regisseur Hermilio Martinez. Verstanden?«

»Jawohl, Herr Direktor!« antwortete der Andere mit einer furchtbar mißlungenen Verbeugung.

Der Direktor fragte weiter:

»Wohin muß das Schiff bestimmt sein?«

»Wer weiß es! Aber man kann es ja erfahren. Der Schiffsjunge da im Boote scheint zu der Equipage zu gehören.«

Sie traten näher an das Ufer hin, wo ein Kapitänsboot vor dem Taue lag. In demselben saß ein etwa sechszehnjähriger Junge und blickte den beiden sonderbaren Gestalten mit jugendlichem Muthwillen entgegen. Als sie das Boot erreicht hatten, fragte der Direktor:

»Ah, Sennor, gehört Ihr zu dem Schiffe da?«

Es war dem Jungen noch nie passirt, Sennor genannt zu werden, aber grad' aus diesem Grunde bekam er plötzlich eine ganz passable Meinung von den beiden Männern, die ihn mit solcher Höflichkeit behandelten.

»Ja,« antwortete er.

»Wie heißt das Schiff?«

»Die Lady. Da steht's ja mit goldenen Buchstaben!«


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»Ja, ja, ich sah das nicht gleich, Sennor. Hat dieses schöne Schiff vielleicht auch einen Kapitän?«

»Das versteht sich!« lachte der Bube. »Was soll es denn haben?«

»Ich dachte, vielleicht einen Lieutenant.«

»Das ist bei Kriegsschiffen der Fall.«

»Wie heißt denn dieser Kapitän, Sennor?«

»Master Wilkers.«

»Ah, er ist ein Nordamerikaner?«

»Ja, ein ächter. Ich auch!«

»Das glaube ich. Was habt Ihr denn geladen?«

»Verschiedenes, nebst einer hübschen Fracht nach Guaymas.«

»Nach Guaymas? Hm! Vielleicht könnte man mit Euch fahren. Wir wollen auch nach Guaymas. Wo ist der Kapitän?«

»Der ist an Land, wird aber bald wiederkommen. Ah, dort kommt er!«

»Welcher? Der Kleine?«

»Ja, der die Hände in den Hosentaschen hat.«

Die Beiden stellten sich am Ufer auf und blickten dem Nahenden entgegen. Er war ein kleiner, dürrer Mann, und aus seinen gerötheten Wangen, dem wankenden Gange und den wässerigen Augen konnte man leicht schließen, daß er heute einen Schluck zuviel getrunken habe.

»Hollah! Coq, mach los! Ich komme!« rief er bereits von Weitem dem Jungen zu.

»Nicht so schnell, Sir!« antwortete dieser.

»Nicht? Ah, warum nicht schnell? Wenn ich komme, so muß es schnell gehen; dreißig Knoten in einer Viertelstunde. Das merke Dir!«

»Aber jetzt nicht, denn diese Herren, diese Gentlemen, wollen mit Ihnen reden.«

»Mit mir? Hm! Mit mir? Wer sind sie denn?«

Er betrachtete sich die Beiden mit gemüthlicher Naivität, lachte dann ein Wenig, schnipste mit den Fingern und sagte:

»Landratten! Nicht?«

Die beiden Männer hatten die Hüte tief gezogen und standen in demüthiger Haltung vor ihm, als ob er ihnen Audienz ertheile. Der Lange sagte dabei:

»Verzeihung, Capitano! Ich bin der Theaterdirector Guzman, und dieser ist mein Regisseur, Martinez.«

»Schauspieler? Hm, gemüthliche Leute, spaßhafte Leute! Was wollt Ihr von mir?«,

»Wir hören, daß Sie nach Guaymas segeln. Auch ich will nach Guaymas, mit meiner ganzen Gesellschaft.«

»Donnerwetter! Wie viele Personen sind es?«

»Sechs Herren und fünf Damen, alle jung, schön und munter, Sennor!«

»Alle Wetter, das gäbe einen Spaß!« lachte der Kapitän. »Könnt Ihr denn auch zahlen, he?«

»Wenn's nicht zu viel ist!«

»Fünf Dollars pro Person, aber nur die Fuhre. Alles andere ist Eure Sache.«


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»Dies machte fünfundfünfzig Dollars? Geht es mit fünfzig, Sennor?«

»Fünfzig? Hm, eigentlich nicht. Aber weil Ihr Künstler seid und Damen bei Euch habt, so mag es sein. Gezahlt wird sofort beim Besteigen des Bords, sonst werfe ich Euch in's Wasser.«

»Wann geht es fort?«

»Heut Abend noch. Der Fluthwechsel ist um neun Uhr; um Elf geht's fort.«

»Wir danken sehr, Sennor, für Ihre freundliche Bereitwilligkeit! Halb zehn werden wir an Bord sein.«

Sie verbeugten sich tief und entfernten sich. Er blickte ihnen vergnügt lächelnd nach und stieg dann in das Boot.

Die beiden Künstler schlenkerten ein Wenig durch den Ort, gingen dann mehr landeinwärts und kamen da an ein einstöckiges Gebäude, welches außerordentlich verfallen aussah. Es war eine Schänke, und so hatten die beiden Männer wohl kein Bedenken, einzutreten. Sie schienen überhaupt hier nicht unbekannt zu sein, denn sie wurden von einigen Kerls, welche am zerbrochenen Tische, bei dem Safte der Agave, saßen, mit Freude begrüßte.

»Nun, Director, noch nichts?« fragte der Eine.

»Doch, heute endlich!« antwortete der Director.

»Es wird Zeit. Aber wie?«

»Schauspieler, sechs Herren und fünf Damen.«

»Schön! Hahaha! Das wird doch 'mal ein Witz.«

Der Director trank ein einziges Glas und verließ dann die Schänke wieder, und zwar mit der Bemerkung, daß er die Gesellschaft abholen werde.

Der Tag verging; der Abend brach an, und die »Lady« machte sich segelfertig. Es war bereits neun Uhr vorüber, und die Matrosen lugten über Bord nach den Passagieren. Da endlich kamen sie, elf Personen, eine immer hinter der Andern. Da sie nicht in das kleine Boot gingen, so mußte es zweimal fahren; es nahm erst die Herren und dann die Damen.

Kapitän Wilkers stand an der Schiffstreppe und streckte die Hand aus; der Director bezahlte, und der Kapitän begab sich auf das Hinterdeck; das war die ganze Zeremonie. Nach einem Passe oder sonstiger Legitimation wurde nicht gefragt; ein Platz für sich oder ihre Sachen wurde ihnen nicht angewiesen, aber sonderbar, sie zogen sich zusammen, sie machten sich klein, und wo sie etwas hinthaten oder sich selbst hinsetzten oder stellten, da waren sie sicherlich nicht im Wege, darum sagten die Matrosen bereits nach einer Stunde, daß diese Gentlemen und Ladies doch recht anständige Leute seien.

»Aber ob's die Ladies aushalten!« meinte Einer. »Es ist eine hohe See und da kommt die dumme Seekrankheit stets drein.«

Er hatte sich umsonst gesorgt, weder einer der Gentlemen noch eine der Ladies bekam einen Krankheitsanfall. Das war nun eigentlich sonderbar, fiel aber den Seeleuten nicht auf. Sie saßen im Vorderdeck und erzählten. Der Steuermann stand hinten, liebäugelte mit den Sternen, und der Kapitän lag in der Kajüte und verschlief seinen Rausch.

»Die Künstlergesellschaft saß zusammengerückt auf einem Segel und alle schienen


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zu schlafen. Da, es mochte zwei Stunden nach Mitternacht sein, machte der Director eine Bewegung.

»Es wird Zeit,« flüsterte er, »wir haben bereits die Breite von Guadalaxara hinter uns.«

»Alle zugleich?« fragte eine der Damen.

Aber trotzdem sie nur flüsterte, klang es doch nicht wie eine Frauenstimme.

»Ja,« antwortete der Director. »Seht die Wolke dort. Sie kommt näher. Sobald sie über dem Schiffe steht, nimmt ein jeder seinen Mann. Das Messer grad in das Herz, und drin stecken lassen; das giebt keinen Tropfen Blut.«

Es vergingen noch einige Minuten, da hatte die Wolke die Höhe des Schiffes erreicht, und es wurde um einige Schatten dunkler als bisher.

»Auf! Vorwärts!« flüsterte der Director.

Die Leutchens warfen auf einmal alles Weiße von sich ab, so daß die Kleidung vollständig schwarz war, und huschten wie die Schatten davon. Man hörte hier einen Seufzer und dort ein lautes Athmen; dann war es still wie vorher.

Der Director war nach dem Hinterdeck geglitten. Dort stand der Steuermann, hatte sich nach hinten gewendet und schaute der vorübereilenden Wolke nach. Da fühlte er einen Druck auf das Herz; etwas Kaltes, Starres drang in dasselbe ein, er wollte rufen, brachte es aber nicht fertig. Er sank zu Boden, und in demselben Augenblicke stand der Director am Steuer.

Er stieß einen leisen Pfiff aus, und sofort stand der Regisseur vor ihm.

»Wie steht es?« fragte er diesen.

»Alles gut, Sennor!«

»Nehmt das Steuer. Ich will zum Kapitän.«

»Was wird mit dem Jungen? Er schläft unten.«

»Können ihn nicht gebrauchen!«

»Schade. War so ein netter Frosch.«

So war über zwei weitere Menschenleben entschieden. Der Director ging nach der Kajüte. Sie war nicht verschlossen. Er öffnete und trat ein. Der Kapitän schlief. Der Mörder hob ganz ruhig die Decke auf, setzte die Spitze des Messers mit furchtbarer Genauigkeit auf das Herz und stieß zu. Er ließ das Messer stecken und trug den Kapitän auf das Deck.

Nach einigen Minuten brachte er auch die Leiche des Schiffsjungen.

Nun wurde im Ballastraume nach schweren Steinen gesucht; diese hing man den Leichen an die Füße, und versenkte sie in das Meer.

»Vor Cap Lucas kreuzen wir,« sagte der Director zu seinem Regisseur, dann ging er in die Kajüte.

Dort studierte er mit der allergrößten Aufmerksamkeit die Schiffsbücher, Tabellen und alle Scripturen, welche er vorfand. Dies dauerte, bis es Tag war; dann kehrte er auf das Deck zurück.

Ein Stoß in eine kleine, silberne Pfeife brachte alle Mann nach dem Hinterdeck.

»Der Spaß ist gelungen, Jungens,« sagte der Mann. »Nun soll ein Leben losgehen, um das Euch ein König beneiden könnte. Zunächst aber müssen wir noch vorsichtig sein. Wir haben Fracht nach Guaymas. Dort ist das Schiff noch


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unbekannt und seine Bemannung auch. Wir behalten also die Namen, welche in dem Buche verzeichnet sind. Ich bin der Kapitain Wilkers.«

Er gab einem jeden seinen Namen und machte ihn mit seiner Rolle bekannt. Dann befahl er, nicht mehr zu kreuzen, sondern in den engen Meerbusen von Kaliformen einzulaufen.

Die »Lady« war ein ausgezeichneter Segler, und am nächsten Tage lief sie in den Hafen von Guaymas ein.

Guaymas ist ein hübsches, freundliches Hafenstädtchen, welches zur mexikanischen Provinz Sonora gehört. Seine hübsche Umgebung wird von den Seeleuten auf fleißigen Ausflügen genossen.

Kapitain Wilkers besorgte seine Obliegenheiten bei der Hafenpolizei und bei dem Kaufmanne mit einer Unverfrorenheit, als ob er der rechtmäßige Eigenthümer dieses Namens und des Schiffes sei. Dann gestattete er sich einige Tage des Genusses. Er war dies auch seinen Leuten schuldig, obgleich der Ort hier so nahe am Schauplatze des Verbrechens ein gefährlicher genannt werden mußte.

Er machte an einem dieser Tage eine Landparthie und nahm seinen Steuermann dazu. Sie mietheten sich zwei Maulthiere und ritten in die Berge. Nachdem sie den ganzen Tag umhergestreift waren, kehrten sie gegen Abend zurück. Sie brachten noch einige Stunden in einer Kneipe zu und gingen dann nach dem Schiffe. Unterwegs kam ihnen eine männliche Gestalt entgegen. Als sie nahe heran war, fiel durch ein unverschlossenes Fenster der Lampenschein auf den Fremden, zwar nur auf einen Augenblick, aber doch so, daß man das Gesicht erkennen konnte.

Alle Beide stutzten, sowohl der Kapitain wie auch der Steuermann.

»Alle Teufel!« sagte der Erstere. »War das ein Geist?«

»Welche Aehnlichkeit!« fügte der Zweite bei.

»Der Teufel soll Euch holen, wenn er es nicht war! Kommt, Steuermann; wir müssen ihm nach!«

Sie wendeten um und eilten dem Manne nach. Er schwenkte eben nach einem Wohnhause ein, welches inmitten eines Gartens lag. Dort klingelte er. Nach ganz kurzer Pause wurde geöffnet, und es erschien eine sehr schöne, junge Dame, welche eine Lampe trug. Das Licht derselben fiel voll auf den Ankommenden, und man hörte deutlich den Gruß der Dame:

»Ah, Sennor Mariano! Willkommen! Sennor Sternau erwartet Sie schon.«

»Beim Teufel, er ist's!« sagte der Kapitän.

»Ja, er ist's,« stimmte der Steuermann bei.

»Und wißt Ihr, wer hier wohnt?«

»Wer?

»Jener Sternau, der uns an der Küste von Jamaika mit seiner verdammten Yacht angriff und dann alle meine Offiziere niederschoß, mich aber nur verwundete. Ihr rettetet Euch damals, und darum seid Ihr mein Steuermann geworden.«

»Donnerwetter, könnten wir denn da nicht ein Wenig das Chor der Rache spielen? Ich hätte große Lust dazu!«

»Ich habe nicht nur Lust, sondern für mich ist's sogar eine Lebensfrage, ob ich diese beiden Hallunken wieder in meine Hand krieche oder nicht. Horch, sie kommen auf die Gartenveranda! Da können wir lauschen. Schnell, über den Zaun!«


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Sie schwangen sich über den Zaun hinüber und versteckten sich hinter einigen üppig wuchernden Zierbüschen.

Die Bewohner des Hauses kamen allerdings auf die Veranda. Es wurden zwei Tische zusammengeschoben und mit einem weißen Tuche bedeckt. Man stellte die Lampe darauf, präsentirte einige Früchte und begann eine lebhafte Unterhaltung. Um die Tische saßen Sternau, Büffelstirn, Bärenherz, Donnerpfeil, der Steuermann Helmers, Emma und Karja.

Sie waren erst gestern hier in dem Orte angekommen, und da es nicht sogleich ein Schiff gab, welches sie benutzen konnten, so hatten sie sich in verschiedene Privatwohnungen eingemiethet und hielten hier bei Sternau ihre Zusammenkunft.

Das Gespräch erstreckte sich auf verschiedene Privatsachen, welche die Lauscher nicht interessirten; endlich aber bekam es doch eine höchst spannende Wendung, denn Emma fragte:

»Und wenn Sie Mexiko erreicht haben, Sennor Sternau, was werden Sie dann thun?«

»Ich werde ein wenig nach Afrika fahren,« antwortete er.

»Ah, Sie kühner Mann! Was wollen Sie denn dort?«

»Ich will den alten Grafen Ferdinando de Rodriganda suchen.«

»So glauben Sie also wirklich, daß er noch lebt?«

»Ich glaube, daß er in Mexiko nicht gestorben ist. Sie haben doch von jenem schuftigen Henrico Landola gehört?«

»Dem Seeräuber, den Sie bei Jamaika mit in den Grund schossen?«

»Ja. Dieser hat den alten Grafen nach Afrika geschafft, an die Ostküste dieses Erdtheiles. Ich weiß ganz genau, wo ich ihn zu suchen habe. Wenn er nicht gestorben und verdorben ist, werde ich ihn in Härrär finden.«

»Und dann, meinen Sie, ist die Schlinge gegen diese Cortejo's zum Zusammenziehen fertig?«

»Nein. Erst muß der alte Graf Emanuel de Rodriganda, mein Schwiegervater, aufgefunden werden. Ich hin überzeugt, daß er noch lebt. Aber, weg mit diesen Traurigkeiten! Heute habe ich an meine Frau geschrieben und ich will mir ihr liebes Bild nicht durch solche Schatten schwärzen lassen.«

Von jetzt an nahm die Unterhaltung einen so einfachen Verlauf, daß die Lauscher gar nicht mehr auf sie hörten.

»Dieser Schuft, dieser Sternau!« knirschte der Kapitän, in dem wir ja schon längst Landola wieder erkannt haben.

»Nehmen wir ihn fest, Kapitän!« meinte der Steuermann.

»Das thue ich, und soll es mir den Hals kosten. Aber wie es anfangen!«

»Das findet sich. Es gilt zunächst, die jetzigen Verhältnisse und Absichten der ganzen Sippe kennen zu lernen. Ihr dürft Euch nicht sehen lassen.«

»Pah, ich habe meine falschen Bärte!«

»Auf die kann man sich solchen Leuten gegenüber nicht verlassen. Ich werde für Euch handeln. Ich werde bereits morgen zu spioniren beginnen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht eine Durchfahrt finden ließe!«

»Ich hoffe es. Aber hört, sie brechen auf. Wir müssen diesem Mariano nachgehen; ich muß unbedingt wissen, wo er wohnt. Schnell wieder über den Zaun,


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und dann stecken wir uns da drüben in den Winkel. Es ist am besten, wir bleiben nicht zusammen, folgen ihm aber Beide. Sollte ihn der Eine ja verlieren, so wird ihn der Andere desto sicherer halten.«

Sie warteten, bis Mariano vorüber war, und folgten ihm dann nach, getrennt von einander und sich den Anschein von unbefangenen Spaziergängern gebend. Er schritt nach dem Strande zu und trat da in das Haus, in welchem er sich eingemiethet hatte. Sie beobachteten ihn, bis er verschwunden war, dann trat der Kapitän zu dem Steuermanne und sagte:

»Jetzt wissen wir, wo er wohnt, und die Logis der Anderen kennen wir auch. Es handelt sich also nun darum, zu erfahren, was sie beabsichtigen.«

»Ich werde mich erkundigen,« meinte der Steuermann. »Mich kennt weder Sternau noch ein Anderer dieser Leute.«

»Das muß aber bald geschehen, möglichst morgen früh bereits.«

Sie begaben sich nach Hause, und am anderen Morgen beabsichtigte der Steuermann, seine Nachforschungen anzustellen, begab sich aber vorher nach dem Hafen, um zu sehen, ob an Bord Alles in Ordnung sei. Das Glück lächelte ihm, denn am Ufer stand Sternau mit Mariano. Beide betrachteten das Schiff, und als sie bemerkten, daß der Steuermann die Absicht habe, an Bord zu gehen und also wohl zu der Bemannung des Fahrzeuges gehöre, fragte Sternau:

»Kennen Sie vielleicht die Bestimmung dieses Schiffes, Sennor?«

Den Steuermann durchzuckte ein Gedanke, welcher für die Absichten seines Kapitäns außerordentlich vortheilhaft war; er beschloß, denselben auszuführen, sich aber vorher über die Intentionen Sternau's zu informiren. Darum antwortete er:

»Warum fragen Sie, Sennor? Wollen Sie vielleicht als Passagier an Bord gehen, oder können Sie uns eine Ladung überweisen?«

»Das Erstere ist der Fall,« antwortete Sternau. »Ich beabsichtige, mit einigen Gefährten nach Acapulco oder einem anderen südlichen Hafen zu gehen.«

»Hm!« nickte der Steuermann, »das dürfte passen, denn ich habe allerdings die Absicht, auf meiner Fahrt den Hafen von Acapulco anzulaufen.«

»Ah, Sie sind der Kapitän?«

»Allerdings.«

»Wann lichten Sie die Anker?«

»Morgen mit dem Frühesten. Die Passagiere müßten noch heute gegen den Abend an Bord kommen. Wollen Sie sich das Schiff ansehen?«

»Ich werde dies in vielleicht einer Stunde thun; dann können wir ja uns über Ihre Bedingungen einigen.«

Er wollte sich das Schiff nur in Gegenwart seines Steuermannes Helmers betrachten, da dieser ja in solchen Angelegenheiten der Erfahrenste war. Während er jetzt mit Mariano zur Stadt ging, um Helmers zu holen, ruderte der Steuermann nach dem Schiffe. Es war ihm außerordentlich lieb, daß Sternau erst später kommen wollte, denn auf diese Weise bot sich die nöthige Zeit, alles Verdächtige zu entfernen und das Innere des Schiffes so einzurichten, daß die Passagiere nicht abgeschreckt wurden. Das Personal erhielt die nothwendigen Instructionen, und als Sternau mit Helmers kam, wurden Beide in der entgegenkommendsten Weise em-


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pfangen und die Besichtigung fiel so günstig aus, daß Sternau sogleich den Handel abschloß und auch das Passagegeld bezahlte.

Um nach der Hazienda del Erina zurückzukehren, hätten die beiden Damen unter der Begleitung Donnerpfeil's und der beiden Häuptlinge den Landweg einschlagen können, aber dieser war zu gefährlich und anstrengend, darum entschlossen sie sich, mit nach Acapulco zu fahren und von da aus nach Mexiko zu gehen, wo es dann leichter war, die Hazienda zu erreichen. Büffelstirn und Bärenherz jedoch schlossen sich nicht mit an. Sie wollten den directen Landweg wählen, um auf demselben eher nach del Erina zu gelangen und dem Besitzer die gewiß heiß ersehnte Nachricht zu bringen, daß seine Tochter gerettet sei und über die Hauptstadt Mexico wohlbehalten zurückkehren werde. Beide jedoch wollten vor ihrer Abreise mit an Bord gehen, um den Abend noch mit den Freunden vereinigt sein zu können.

Als Kapitän Landola hörte, wie glücklich sein Steuermann gewesen sei, konnte er seine Freude kaum beherrschen.

»Das fügt sich ja günstiger, als man erwarten konnte,« sagte er zu ihm. »Auf diese Weise habe ich weder einen falschen Bart noch irgend eine Verkleidung nöthig. Ich komme an Bord, wenn es ganz dunkel ist. Dann nehmen wir sie gefangen.«

»Sollen sie leben bleiben?«

»Ja. Es ist vortheilhafter für mich.«

»Aber das wird einen fürchterlichen Kampf geben! Ein jeder dieser Kerls nimmt es mit einigen von uns auf.«

»Pah, wir überrumpeln sie einzeln. Man wird das nicht schwer zu bewerkstelligen wissen. Sternau ist der Gefährlichste; er muß zunächst unschädlich gemacht werden.«

»Aber doch erst dann, wenn die beiden Indianer das Schiff verlassen haben?«

»Sie werden es gar nicht verlassen, sondern auch mit gefangen werden. Ich bin dazu gezwungen, damit später kein Mensch weiß, auf welche Weise die Gesellschaft verschwunden ist. Haben wir uns ihrer bemächtigt, so segeln wir nach Westen. Ich kenne eine einzelne Insel, welche so ganz und gar verloren in der See liegt, daß kein Schiff in ihre Nähe kommt. Dort setzen wir sie aus. Sie können sich erhalten, denn es giebt Quellwasser und Früchte genug für sie. Es wird ein jeder Fluchtversuch vergebens sein, und so bleiben sie unsere Gefangenen entweder auf Lebenszeit oder bis ich vielleicht Gründe finde, ihrer zu bedürfen.«

»Wo liegt die Insel?«

»Sie liegt weit von jedem Schifffahrtskurse entfernt unter dem vierzigsten Grade südlicher Breite auf der Höhe der Osterinseln und ist ein sichereres Gefängniß, als eine von den stärksten Mauern umgebene Bastille. Sie hat noch keinen Namen und besteht aus Korallen. Die auf ihr vorhandenen Bäume sind nicht so groß, daß man ein Schiff bauen könnte, und selbst wenn dies den Gefangenen gelänge, so würden sie mit einem so unvollkommenen Fahrzeuge nicht durch die fürchterliche Brandung kommen, welche Tag und Nacht sich an den Korallenriffen bricht.«


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»Aber wir werden zu viele Zeugen haben. Ein jeder Einzelne von unseren Leuten kann später das Geheimniß ausplaudern.«

Der Kapitän warf seinem Steuermanne einen mitleidigen Blick und sagte dann langsam und mit Nachdruck:

»Wir werden keinen Zeugen haben, denn wir Beide werden die Einzigen sein, welche, von dieser Fahrt zurückgekehrt, lebendig das Schiff verlassen.«

Das war sehr deutlich gesprochen. Dem Steuermanne schauderte. Wie nun, wenn der Kapitän gar keinen Zeugen haben wollte und in Folge dessen auch ihm das Leben nahm? Er beschloß, sehr vorsichtig zu sein.

Gegen Abend kamen die Passagiere an Bord und wurden mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen. Sie erhielten eine sehr reichliche Abendmahlzeit servirt, welche in der Kapitänskajüte eingenommen wurde. Während derselben stellte sich Landola ein, und sofort begann das Werk.

Es war sehr finster und zugleich lag ein so dichter Nebel auf dem Wasser, daß man nicht drei Schritte weit zu sehen vermochte. Einige der stärksten Matrosen stellten sich am Gangspill auf und dann ging ein Anderer hinab zur Kajüte, wo er von dem angeblichen Kapitän, also dem Steuermanne, mit verstellter Barschheit angeredet wurde:

»Was hast Du hier in der Kajüte zu suchen, he?«

»Verzeihung, Sennor Kapitano,« entschuldigte sich der Mann. »Es kam jetzt in einem Boote ein Fremder, welcher mit Sennor Sternau sprechen will.«

»Mit mir?« fragte Sternau.

»Ja.«

»Wer ist er?«

»Er sagte, daß er der Wirth sei, bei dem Ihr gewohnt habt. Er hat Euch unter vier Augen eine nothwendige Mittheilung zu machen.«

»Gut, ich komme!«

Er erhob sich und folgte dem Matrosen, der ihn auf das Deck führte. Als sie an dem Gangspill vorüberkamen, fühlte er plötzlich zwei Fäuste an seiner Kehle und zu gleicher Zeit erhielt er mit einer Handspeiche einen solchen Hieb auf den Kopf, daß er besinnungslos zusammenbrach, ohne nur einen Laut ausgestoßen zu haben.

»Der ist expedirt!« lachte Landola halblaut. »Bindet ihn und schafft ihn hinunter in den Raum. Dann holen wir zunächst den einen Indianer, der in Büffelleder gekleidet ist. Er scheint mir nach Sternau der Stärkere zu sein.«

Nach einiger Zeit erschien der Matrose wieder in der Kajüte und sagte Büffelstirn, daß er einmal hinauf zu Sennor Sternau kommen solle. Er folgte dem Führer nichts ahnend und wurde ebenso widerstandslos niedergemacht. Nach kaum zwei Minuten kam Bärenherz an die Reihe und erlitt das gleiche Schicksal. Da stand Mariano auf und sagte:

»Das sieht ja ganz aus, wie eine sehr wichtige Neuigkeit, von welcher man nichts wissen soll. Ich werde mich einmal erkundigen.«

Er stieg die Kajütentreppe empor. Die beiden Brüder Helmers, welche nun mit den zwei Damen und dem angeblichen Kapitän allein am Tische saßen, hörten seine sich entfernenden Schritte und warteten vergeblich auf seine Rückkehr. Da


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verließen auch sie die Tafel und versprachen Emma und Karja, ihnen Nachricht zu bringen, was es da oben für eine so wichtige Unterredung gebe.

Es dauerte eine geraume Zeit, bis sich nahende Schritte hören ließen. Die Thüre wurde geöffnet und Landola trat ein. Die Damen sahen ihn mit ängstlichem Erstaunen an. Er machte ihnen eine sehr höfliche Verbeugung und meldete:

»Sennoritas, haben Sie die Güte mir zu folgen. Die Herren wollen gern mit Ihnen sprechen!«

Die beiden Mädchen kamen seiner Aufforderung ahnungslos nach. Er führte sie aus der Kajüte hinauf auf das finstere Verdeck, wo sofort zwei Männer zu ihnen traten und sie erfaßten. Als sie dabei einen Schrei des Schreckens ausstießen, gebot er ihnen Ruhe und sagte:

»Schweigen Sie! Sie haben lautlos das anzuhören, was ich Ihnen jetzt sage! Sie und die Männer, welche bei Ihnen sind, haben sich so feindselig gegen mich und meine Freunde benommen, daß ich mich Ihrer Personen versichern muß. Die Herren befinden sich bereits in meinem Gewahrsam und auch Sie sind meine Gefangenen!«

»Mit welchem Rechte?« fragte Karja, die sich als geistesgegenwärtige Indianerin schnell faßte.

»Mit dem Rechte des Stärkeren,« lachte er. »Ich weiß nicht, ob Sie mich kennen. Mein Name ist Landola.«

»Landola, der Seeräuber!« hauchte Emma erschrocken.

»Ja, der Seeräuber,« antwortete er in rohem Stolze. »Es ist ein jeder Widerstand unnütz. Es soll den Damen nichts geschehen; ja, sie sollen sogar unter Aufsicht auf dem freien Verdecke promeniren dürfen, aber sobald Sie die geringste Miene machen, gegen meine Befehle zu handeln, tödte ich die Sennores. Sie werden diese während unserer Fahrt nicht zu sehen bekommen; sie liegen gefesselt unten im Räume und ich werde ihnen sagen, daß sie sich allen Widerstandes zu enthalten haben, weil sonst die Sennoritas getödtet werden.«

»Und was soll unser Schicksal sein?« fragte Karja sehr gefaßt.

»Ich werde Sie mit den Herren auf einer unbewohnten Insel aussetzen, damit mir Niemand keinen Schaden mehr machen kann. Es wird Ihnen unterwegs nicht das Mindeste geschehen, keiner meiner Leute wird Sie anrühren; aber ich verlange dafür einen unbedingten Gehorsam und alles Aufgeben eines Versuches der Flucht oder der Meuterei, die Sie nur unglücklich machen würde. Jetzt kommen Sie; ich werde Ihnen den Raum anweisen, welcher Ihnen als Aufenthaltsort dienen wird.«

Er führte sie durch die Fockmarsluke hinab in einen engen, festen Verschlag, in welchem er sie einschloß. Sie fielen einander dort im Finsteren in die Arme. Ein einziger Augenblick hatte sie vom Gipfel des Glückes wieder in eine grauenvolle Tiefe hinabgeworfen.

Jetzt nun begab sich der Pirat nach dem Raume zu seinen männlichen Gefangenen. Sie befanden sich nicht etwa in dem Güterraume, in welchem die Fracht aufgestapelt zu werden pflegt, sondern ganz unten auf dem unter dem Wasser liegenden Boden des Schiffes.

Es muß nämlich erwähnt werden, daß ein Schiff, selbst wenn es schwer


Ende der siebenundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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