Lieferung 48

Karl May

20. Oktober 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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beladen ist, Ballast mit sich führen muß. Dieser Ballast besteht in Steinen, Sand oder anderen schwer wiegenden Materialien, welche in dem tiefsten Raume aufgehäuft werden, damit das Schiff tief in das Wasser sinkt. Hat es keinen Ballast, so schwimmt es zu seicht, wankt herüber und hinüber, verliert den Halt und kann sehr leicht von Wind und Wogen umgeworfen werden. Vieles, wenn nicht gar das meiste Unglück zur See kommt davon her, daß man zu wenig Ballast eingenommen hat; das Fahrzeug folgt dann dem Steuer nicht exact, wird durch den Druck der Segel hinten emporgehoben, bekommt einen wankenden Gang, gerade wie ein Betrunkener, dessen Schwerpunkt ja auch im Kopfe liegt, und kann mit Mann und Maus an einem Augenblicke untergehen, an welchem ein gut beballastetes Schiff gerade die beste Fahrt machen würde. So verschwinden Fahrzeuge, von denen man nicht weiß, wohin sie gekommen sind, obgleich es keine Spur von einem gefährlichen Sturm oder gar Orkan gegeben hat.

Der betreffende Raum des gegenwärtigen Schiffes nun war bis zur Höhe von drei Ellen mit Sand gefüllt. Ein jedes, selbst das best gebaute Holzschiff leckt, das heißt, es dringt ein gewisser, immer aber ungefährlicher Theil Seewassers durch die Planken hindurch, und so kam es, daß dieser Sand eine nicht unbedeutende Menge Feuchtigkeit enthielt. In diesem nassen Sande lagen die Gefangenen. Es waren an die Rippen des Schiffes, an welchen die Planken befestigt sind, schwere Ketten eingeschraubt, an welche man die Männer befestigt hatte, und zwar in solcher Entfernung, daß sie einander zwar hören aber nicht erreichen konnten. Außerdem waren ihnen die Hände und Füße so mit festen Tauen zusammengebunden, daß sie den Gebrauch dieser Glieder vollständig verloren hatten.

Landola kam mit einer Laterne zu ihnen in den selbst am hellen Tage vollständig dunklen Raum und er fand da, daß sie Alle sich von der Besinnungslosigkeit bereits wieder erholt hatten. Er untersuchte jeden Einzelnen und setzte sich dann Sternau gegenüber, der ihn auf den ersten Blick erkannt hatte und nun wußte, daß von diesem Menschen nichts Gutes zu erwarten sei.

»Sennor Sternau, erkennen Sie mich?« fragte er höhnisch.

Der Gefragte antwortete nicht. Er that, als ob er seine Gegenwart ganz und gar nicht bemerkt habe.

»Ah, Sie spielen den Stolzen?« lachte Landola. »Nun, das muß ich mir gefallen lassen. Da mich aber die anderen Sennores wohl noch nicht gesehen haben, so will ich ihnen sagen, daß ich Henrico Landola bin, der Kapitän der berühmten »Pendola«. Man nennt mich auch zuweilen Kapitän Grandeprise vom Piratenschiff »Lion«. Nun habe ich mich Ihnen vorgestellt und hoffe, Ihnen bekannt zu sein. Antworten Sie!«

Aber keiner von Allen sprach ein Wort.

»Gut!« meinte der Seeräuber. »Ich bin überzeugt, daß ihnen nur die Angst die Sprache geraubt hat; darum will ich nachsichtig sein. Doch nehme ich an, daß Ihnen wenigstens das Gehör geblieben ist, und so will ich Ihnen mittheilen, was ich für Absichten mit Ihnen verfolge.«

Er ließ den Blick von Einem zum Anderen schweifen und bemerkte, daß ihn auch jetzt noch Keiner anblickte. Er nickte mit einem boshaften Lächeln und fuhr fort:


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»Ich habe den Auftrag erhalten, Sie Alle unschädlich zu machen, indem ich Sie tödte; Sie sind endlich in meine Hand gegeben und ich könnte Sie mit leichter Mühe tödten. Ich habe jedoch beschlossen, dies nicht zu thun, nicht etwa aus Mitleid, denn dies wäre eine Schwäche, welche Henrico Landola nicht kennt, sondern aus einer einfachen Berechnung, welche sich ganz von selbst ergiebt.«

Er warf abermals einen forschenden Blick auf sie, aber er bemerkte nicht die mindeste Miene, daß Einer auf seine Mittheilung gespannt oder neugierig sei. Er setzte also seine Mittheilung nach einer kurzen Pause fort:

»Ich habe nämlich, wenn ich Sie unschädlich mache, auf einen großen Lohn zu hoffen. Es ist aber sehr leicht möglich, daß man mir diesen Lohn verweigert, sobald man bemerkt, daß ich meinen Auftrag wirklich ausgeführt habe. In diesem Falle hätte ich keine Zeugen. Lasse ich Sie aber leben, obgleich ich Sie verschwinden lasse, so steht es mir später zu jeder Stunde frei, Sie wieder erscheinen zu lassen. Dadurch wird mein Auftraggeber gezwungen, mir meinen Lohn auszuzahlen. Erhalte ich ihn, so bleiben Sie verschollen für alle Ewigkeit, verweigert man ihn mir aber, so hole ich Sie ab und gebe Sie unter der Bedingung frei, daß ich meine Bezahlung dann von Ihnen erhalte und natürlich meine Begnadigung dazu.«

Er sprach in einem so geschäftsmäßigen Tone, als ob es sich um einen ganz geringfügigen Handel und nicht um das ganze Lebensglück so vieler Menschen handele. Er fuhr fort:

»Sie sehen, daß ich Ihnen ganz und gar nicht gefährlich werden will, ja daß Sie unter Umständen sogar später auf Ihre Befreiung rechnen können. Darum denke ich aber auch, daß Sie vernünftig und dankbar sein werden. Unter dieser Dankbarkeit verstehe ich besonders ein Verzichten auf jeden Versuch, sich zu befreien. Er würde nur zu Ihrem eigenen Schaden ausfallen. Auch die beiden Sennoritas sind gefangen. Man wird sie anständig behandeln, ebenso, wie man Sie nicht unnöthiger Weise quälen wird; aber ein jeder Rettungsversuch der Parteien, ich gebe Ihnen mein heiliges Wort, kostet der anderen das Leben. Droht mir von Ihnen Beschwerde oder gar Gefahr, so tödte ich die Damen, sind mir aber diese ungehorsam, so lasse ich Sie umbringen. Merken Sie sich das!«

Er hielt inne, um den Eindruck zu beobachten, welchen seine Worte auf sie gemacht hatten; aber sie lagen noch immer so regungslos wie vorher und gaben keinen Laut von sich, der ihn hätte vernehmen lassen, welchen Erfolg er erreicht hatte. Darum sagte er zum Beschlusse:

»Ich theile Ihnen endlich noch mit, daß Sie so liegen bleiben werden wie jetzt und daß täglich unter meiner Aufsicht jemand kommen wird, um für einen Augenblick Ihre Hände zu befreien, damit Sie essen und trinken können, sowie auch das Uebrige, was unumgänglich nöthig ist. Jetzt wissen Sie genug. Vergessen Sie nicht, daß Sie es mit einem Manne zu thun haben, der den kleinsten Ungehorsam mit dem Tode bestrafen wird. Gute Nacht!«

Er nahm seine Laterne auf, ging und verschloß die Lucke, deren schwere eiserne Riegel sie rasseln und klirren hörten.

Einige Minuten lang blieb in dem engen, dumpfen, feuchten Raume Alles ruhig. Man hörte nur die Ratten, welche auf jedem dieser Art Schiffe besonders


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im Ballastraume zahlreich zu finden sind, hin und her springen. Dann vernahm man die Stimme des Apachen, welcher nur das eine Wort ausstieß:

»Uff!«

»Uff!« antwortete nach einer Weile Büffelstirn, der Häuptling der Miztekas.

Wieder trat eine Stille von der Länge von vielleicht fünf Minuten ein, dann fragte Mariano Sternau, welcher sein Nachbar war:

»Was sagst Du dazu, Karlos?«

»Nichts!« lautete die ernste Antwort. »Oder könnte es Dir vielleicht noch während der Nacht gelingen, Dich von der Kette frei zu machen?«

»Unmöglich! Sie ist zu fest. Ueberdies sind wir ja auch an Händen und Füßen zugleich gefesselt!«

»Nun, so müssen wir uns fügen! «

Er sagte diese Worte mit ruhiger Stimme, aber das laute Knirschen seiner Zähne verrieth, was in ihm vorging. Sie alle waren Männer, welche dem Tod und allen Gefahren kühn in das Angesicht geschaut hatten; sie waren nicht gewohnt, zu heulen und zu lamentiren, denn sie wußten, daß es nur bei klarem Geiste und ruhiger Sammlung möglich sei, sich aus Fährlichkeiten zu retten. Dennoch aber kochte es wohl in einem Jeden von ihnen, obgleich sie zu stolz waren, dies äußerlich bemerken zu lassen. Erst nach einer längeren Weile sagte Büffelstirn:

»Dieser Räuber ist verloren, wenn er Karja, der Schwester des Häuptlings der Miztekas, nur ein Haar ihres Hauptes krümmt!«

Der berühmte Jäger dachte nicht an sich, sondern nur an seine Schwester.

»Er würde die größten Martern erleiden,« stimmte der Apache bei, der auch nicht an sich dachte, sondern an das Mädchen, welches er liebte, trotzdem ihr Herz auf eine kurze Zeit für den falschen Rodriganda geschlagen hatte.

Es war das von den Beiden so stolz und selbstbewußt gesprochen, wie es sich für Indianerhäuptlinge geziemt. Sie waren gefangen, sie konnten sich kaum bewegen, sie hatten nicht die kleinste Hoffnung, sich von ihren Fesseln befreien zu können, und dennoch drohten sie dem Feinde und sprachen davon, daß sie ihn bestrafen würden. Helmers, der berühmte »Donnerpfeil«, that ganz so wie sie.

»Der Teufel soll sie holen, wenn sie nur die kleinste Unhöflichkeit gegen Emma begehen!« sagte er. »Wir werden in diesem verdammten Schiffe nicht umkommen und dann werden wir ja sehen, was zu thun ist.«

Sternau, welcher immer an das zunächst Wichtige dachte, fragte ihn:

»Wie sind Sie überwältigt worden? Durch einen Griff um die Gurgel oder durch einen Hieb?«

»Man drosselte mich,« antwortete der Gefragte.

»So können Sie von Glück reden. Ein Hieb auf Ihre Kopfwunde hätte Sie unbedingt getödtet. Uebrigens wollen wir jetzt nicht klagen und drohen, sondern einmal allen Ernstes versuchen, ob denn wirklich Keiner seinen Ketten gewachsen ist. Mich hat man ganz besonders bedacht; ich bin doppelt so stark gefesselt als Ihr. Sonst würde es mir wohl gelingen, das bischen Eisen abzudrehen.«

Sie folgten seinem Vorschlage. Durch das Dunkel des Raumes hörte man jetzt nichts, als ein angestrengtes Klirren, Zerren, Drehen und Schrauben der Ketten, aber sie Alle mußten den Versuch als nutzlos aufgeben.


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»Es ist nichts!« sagte Mariano. »Wir müssen auf einen glücklichen Zufall rechnen.«

»Das werden wir kaum dürfen. Dieser Mensch wird noch während der Nacht mit uns in See gehen,« antwortete Sternau. »Sind wir bis dahin noch nicht frei, so bleiben wir seine Gefangenen, bis es ihm beliebt, uns zu ermorden oder an einer wüsten, unbewohnten Insel auszusetzen, wie aus seinen Worten ja deutlich hervorgeht. Unterwegs hätten wir nicht nur mit ihm und seinen Leuten, sondern auch mit den Elementen zu kämpfen. Die Fesseln sprengen wir nicht. Es gäbe höchstens die eine Möglichkeit, daß es den Damen gelänge, uns auf irgend eine Weise ein Werkzeug zuzustellen, mit welchem wir die Ketten lösen könnten. Das aber ist wohl unmöglich. Und wäre es möglich, so werden sie es doch nicht wagen, da ja ein solcher Versuch geradezu mit unserem Tode bedroht worden ist. Berücksichtigen wir zunächst, daß wir nicht getödtet werden sollen. Auch ich denke an mein Weib, an alle meine Lieben, aber ich halte es für das Beste und unser Würdigstes, diese neue Prüfung mit Festigkeit zu tragen. Halten wir den Muth und die Hoffnung fest, ermuntern wir uns, damit unsere Gesundheit nicht zu sehr leide, so wird uns ganz sicher eine Stunde der Freiheit und der Vergeltung schlagen. Das hoffe ich zu Gott!«

Diese festen Worte richteten die Anderen auf. Es entstand eine lautlose Stille. Man hörte nur zuweilen das Rascheln einer Kette im Sande, und wahrhaftig - bald bewiesen die geregelten Athemzüge, daß diese Männer schliefen, trotzdem sie heute eine der größten Täuschungen ihres Lebens erfahren hatten und sich in einer Lage befanden, in der ein Anderer verzweifelt wäre. Sie erwachten erst, als die Wasser des Meeres an die Planken rauschten, zum Beweise dafür, daß das Schiff unter Segel gegangen sei. Wohin, davon hatten sie keine Ahnung.

Warum die Stunden, die Tage und Wochen beschreiben, welche da unten im dunklen Raume vergingen? Warum die Gefühle schildern, welche während fast dreier Monate die Herzen der Gefangenen bewegten? Obgleich die beiden Damen Luft und Licht genießen durften, litten sie doch am Meisten. Es entging ihnen jenes zähe Selbstbewußtsein, welches die Männer besaßen, welche selbst in Ketten sich ihres Werthes vollständig bewußt waren und keinen einzigen Augenblick die Ueberzeugung verloren, daß der Tag der Rache einst ganz sicher kommen werde.

Man hatte längeres ruhiges Wetter gehabt, man hatte einige Stürme erlebt, doch nie war das Schiff angehalten worden. Da endlich, endlich schlugen die Wogen leiser und langsamer gegen die Planken, man hörte den Anker rasseln - eine tiefe Stille trat ein, und dann hörte man den Schritt mehrerer Männer zur Lukentreppe herabkommen.

»Jetzt naht die Entscheidung,« sagte Sternau. »Selbst das schlimmste Loos wird besser sein, als diese tödtliche Ungewißheit!«

Die Luke wurde entriegelt und geöffnet. Landola trat herunter mit mehreren von seinen Leuten.

»Macht ihnen die Ketten los!« gebot er. »Aber bindet sie vorher so, daß sie nicht stehen oder die Arme bewegen können.«

Dies geschah. Und nun wurden die Gefangenen auf das Deck geschafft, wo man sie wie Holzklötze niederlegte.


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Jetzt sahen sie nach so langer Zeit zum ersten Male wieder die Sonne und den Himmel; jetzt athmeten sie zum ersten Male wieder freie, reine Luft. Wie aber sahen diese Männer aus! Gehungert und gedürstet hatten sie nicht, aber seit Monaten nicht gepflegt, gewaschen, gekämmt, lagen sie da mit halb verfaulten Kleidern, welche von den Ratten zerfetzt worden waren.

In der Nähe standen die beiden Mädchen. Sie waren heute auch gefesselt, sonst hätten sie sich sicher vor Schmerz auf die Geliebten geworfen.

Zur Rechten lag die weite See, zur Linken erblickten sie eine Insel, welche von einem weiten Korallenkreise umgeben war, an welchem die Brandung haushoch emporschäumte. In diesem Brandungsringe gab es nur eine einzige Oeffnung, aber auch diese war jedenfalls nur von einem sehr stark gebauten Boote zu passiren.

Die Gefangenen hatten zunächst nur einen kurzen Blick für die Insel. Ihre Aufmerksamkeit galt jetzt der Bemannung des Schiffes, welche sich, den Kapitän an der Spitze, um sie geschaart hatte. Dieser sagte zu den Gefesselten:

»Sennores, wir sind am Ziele, denn diese Insel soll Ihre Wohnung sein. Sie werden nie erfahren, wie sie heißt und wo sie liegt, denn es kann Ihnen kein Mensch Auskunft geben, da das Eiland ganz außerhalb jeden Kurses liegt und niemals besucht wird. Sie werden nicht verhungern und verdursten, denn es giebt hier zwei frische Quellen und Früchte, Fische, Vögel und anderes Wild genug. Die Waffen, welche ich Ihnen abgenommen habe, erhalten Sie nicht wieder, doch können Sie ja Schlingen legen oder Bogen und Pfeile fertigen, um sich Nahrung und Häute zu Ihren Kleidern zu verschaffen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß wir uns unter Umständen wiedersehen werden. Wenn sich Ihnen jemals ein Schiff naht, so ist ganz sicher das meinige, glauben Sie nicht, daß es ein anderes sein werde. Ich lasse Sie jetzt durch die Brandung an das Land fahren. Wenn sich meine Leute dann entfernt haben, können Sie sich mit Hilfe spitziger und scharfer Steine sehr leicht von ihren Fesseln befreien. Adieu, Sennores! Adieu, Sennoritas!«

Die Matrosen griffen zu und legten die Gefangenen in die beiden Boote, welche dann vom Schiffe abstießen. Es gelang ihnen, durch die Brandung zu kommen. Am stilleren Ufer wurden die Gefesselten ausgeladen und hingelegt, dann kehrten die Matrosen zurück.

Sternau wälzte sich an eine scharfe Kante des Korallenufers und rieb den Strick, welcher seine Hände verband, so lange gegen dieselbe, bis er zerriß. Nun schlug er ein Stück dieser Kante ab. Er gebrauchte sie als Messer, befreite mit demselben auch seine Füße und war nun frei. Nach noch nicht zehn Minuten standen Alle aufrecht da, im vollständigen Besitze des Gebrauches ihrer Glieder.

Da erhob Büffelstirn die Hand, deutete auf das Schiff und fragte:

»Wünschen meine Brüder, daß wir das große Kanoue unserer Feinde erobern?«

Sternau mußte trotz des Ernstes ihrer Lage doch beinahe lächeln, als er antwortete:

»Das ist unmöglich, ganz und gar unmöglich!«

Da deutete Büffelstirn auf die Brandung.

»Fürchten sich meine Brüder vor diesem Wasser?« fragte er. »Der Häuptling der Miztekas schwimmt durch jedes Wasser!«


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»Aber ehe er hinauskommt, ist das Schiff bereits fort. Da zieht es schon die Segel wieder in den Wind. Es geht weiter. Welcher Schwimmer kann es erreichen!«

Es war so, wie er sagte. Das Schiff hatte seinen Lauf wieder aufgenommen. Es war ein guter Segler und machte eine so schnelle Fahrt, daß die Insel, besonders da sie nicht sehr groß war, bald aus den Augen der Bemannung verschwand.

Der Kapitän stand oben auf dem Quarterdeck und blickte noch mit dem Fernrohre nach ihr zurück. Als er sie nicht mehr erkennen konnte, schob er das Rohr zusammen und drehte sich zu dem Steuermanne.

»Fertig!« sagte er. »Diese Herrschaften sind sicher aufgehoben.«

»Sicher?« fragte der Mate. »Wie nun, wenn es ihnen doch gelingen sollte, sich zu befreien?«

»Das gelingt ihnen nie. Sie machen mir keine Sorge, wohl aber diese hier.«

Er deutete bei diesen Worten auf seine Matrosen.

»Man wird Maßregeln treffen müssen,« meinte der Steuermann mit verschlagenem Lächeln.

»Das werden wir,« nickte der Kapitän. »Halten wir unseren Kurs nach Westnordwest. Ich will die Insel Pitcairn anlaufen.«

»Hm!« brummte der Mate, indem er langsam mit dem Kopfe nickte. Er hatte seinen Gebieter vollständig verstanden.

Die Fahrt blieb auch jetzt eine gute. Pitcairn wurde glücklich erreicht und der Kapitän ging mit seiner Gig ganz allein an das Land.

»Das hat etwas zu bedeuten!« dachte der Steuermann. »Ich aber will mich in Acht nehmen.«

Als Landola zurückkehrte, machte er eine sehr ärgerliche Miene.

»Es war nichts!« sagte er. »Ich wollte unsere Kerls gegen neue Mannschaften umtauschen und mich gar nicht aufhalten. Aber das geht sehr langsam hier. Wir werden einige Tage warten müssen.«

»Soll ich es nicht lieber einmal versuchen, Kapitän?« fragte der Mate.

Es war ihm jetzt nicht so recht geheuer auf dem Schiffe. Landola wollte die Zeugen seiner That unschädlich machen, und er selbst, der Steuermann, befand sich ja in derselben Gefahr, da er auch ein solcher Zeuge war. Landola machte ein freundliches Gesicht, als sei er einer großen Sorge überhoben, und antwortete:

»Das wäre mir das Liebste. Es können noch Einige mitgehen, und wenn Ihr bis morgen Abend bleibt, so könnt Ihr genug Leute finden. Vier Mann im Boote werden genug sein.«

»Völlig. So werde ich mich sogleich fertig machen.«

»Aber die Waffen nicht vergessen, denn mit diesen Eingeborenen ist nicht zu scherzen.«

Der Steuermann ging. Als er sich entfernt hatte, lachte der Kapitän höhnisch und brummte leise vor sich hin:

»Dieser Kerl durchschaut mich. Er soll der Erste sein, der dran muß. Wie gut, daß ich gleich die Mannschaft des gescheiderten Wallfischfängers fand, welche froh ist, aufgenommen zu werden. So kann ich kurzen Prozeß machen.«


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Er stieg dem Steuermanne nach. Dieser stand im Begriffe, seine gute, mit blanken Ankerknöpfen besetzte Jacke anzuziehen. Auf dem kleinen, angeschraubten Tischchen lag ein Doppelterzerol. Der Mate hatte es bereits geladen, um eine Waffe gegen etwaige Ueberfälle der Eingeborenen zu haben.

»Bereits scharf geladen?« fragte der Kapitän, indem er die Waffe ergriff, wie um sie zu besehen.

Der mißtrauische Steuermann ahnte etwas. Er griff schnell zu und sagte:

»Halt, Vorsicht, Kapitän! Mit dem Dinge ist nicht zu spaßen!«

»Das will ich auch nicht!«

Mit diesen Worten riß der Kapitän seine Hand, welche das Pistol fest gefaßt hatte, los und drückte ab. Die Kugel fuhr dem Steuermanne durch das Auge in das Gehirn. Er stürzte sofort todt zusammen.

Nun sprang der Kapitän rasch an Deck und rief die Leute zu Hilfe.

»Der Mate hat sich verwundet!« rief er. »Er ist mit seinem Gewehre unvorsichtig umgegangen.«

Alles eilte hinab. Man fand, daß von einer bloßen Verwundung keine Rede war; er war vollständig todt. Die gefühllosen Kerls machten sich nicht viel daraus, denn nun avancirten sie ja um einen Grad empor. Die Leiche wurde in einen Sack gesteckt und ohne Ceremonie in das Wasser geworfen. Der Hauptzeuge war unschädlich gemacht. Nun blieben die Anderen übrig.

Er rief sie zusammen und theilte ihnen mit, daß nun das eigentliche Geschäft erst beginnen solle, und aus diesem Grunde habe er sich die hier befindliche Bemannung eines verunglückten Wallfischfahrers engagirt.

»Sie halten uns für friedliche Kauffahrer und müssen erst nach und nach eingeweiht werden. Darum müßt Ihr zunächst verschwiegen und vorsichtig gegen sie sein. Sie dürfen jetzt meinen Namen noch gar nicht ahnen.«

Sie versprachen ihm, schlau zu sein, Als dann die Wallfischfahrer an Bord kamen, wurden sie von der Bemannung des Schiffes freundlich empfangen. Der Kapitän nahm den Steuermann zu sich in die Kajüte und sagte:

»Ich habe Euch bereits gesagt, daß meine Leute revoltirt haben. Sie tödteten mich nur deshalb nicht, weil ich der Einzige bin, der die Seerechnung versteht. Wollt Ihr mir behilflich sein, so seid Ihr morgen Steuermann. Der meinige hat sich vorhin unvorsichtiger Weise erschossen.«

»Ich bin bereit,« lautete die Antwort.

»Gut. Ich gebe Euch als Willkommen einen tüchtigen Trunk. Ihr macht sie total betrunken, fallt dann mit Euren Leuten über sie her und wir fesseln sie im Kielraume fest. Dann übergeben wir sie dem nächsten Kriegsschiffe oder Konsulate zur Verurtheilung.«

Von diesem Vorschlage wurde die erste Hälfte ausgeführt. Die Piraten wurden in der Betrunkenheit überwältigt, aber Einer nach dem Anderen erhielt von Landola Gift, so daß in acht Tagen Keiner mehr lebte. Der Kapitän hatte alle Zeugen bei Seite geschafft. Er galt bei seiner neuen Bemannung für einen ehrlichen Mann und ließ sich auch nicht merken, daß er das gerade Gegentheil sei.

Er fuhr nach dem Mendana-Archipel. Dort gelang es ihm, zu veräußern, was er bei sich hatte, und eine gute Ladung einzunehmen, mit welcher er nach


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Valparaiso ging. Dort brachte er es durch seine Schlauheit fertig, sich als Eigenthümer des Schiffes zu legitimiren. Er verkaufte es mit sammt der Ladung und bestieg dann mit einer bedeutenden Summe einen Dampfer, über Rio de Janeiro nach Spanien in seine Heimath zu gehen, wo er auch glücklich anlangte.

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Siebentes Kapitel.

Die Blume des Waldes.

»Um Tannen schlingt sich eng die Ranke,
   Sie trägt ein Röschen, zart und mild;
Der Unschuld lieblichster Gedanke
   Verkörpert sich in ihrem Bild.
Du fragst, was man der Helden, Lieben,
   Für einen Namen geben mag?
Die Antwort ist sehr bald geschrieben:
   »W a l d r ö s c h e n« ist's, im grünen Hag!

Es wohnt im stillen Heiligthume
   Des Forsts ein zartes, frohes Kind.
Wie eine süße Menschenblume,
   Um die des Märchens Zauber spinnt.
Welch' Name soll dies Duftbild preisen
   Dort in der Tannen dunklen Schlag?
»W a 1 d r ö s c h e n«, ja, so soll es heißen,
   »W a 1 d r ö s c h e n« ist's, im grünen Hag!«

Während Henrico Landola mit seinen Gefangenen nach dem großen Oceane segelte, um die Unglücklichen zur tiefsten Einsamkeit und Verlassenheit zu verurtheilen, erwartete man in der Heimath vergebens ein Lebenszeichen von ihnen. Aber auch noch Andere warteten, und zwar ganz ebenso vergebens.

Da waren zunächst Lindsay und Amy, welche sich nach einer Nachricht von Mariano und seinen Gefährten sehnten. Und da waren ferner Pablo Cortejo und seine ebenso häßliche Tochter Josefa, denen ganz außerordentlich daran lag, über das Schicksal dieser Männer etwas zu erfahren.

Und dennoch vergingen Wochen und Monate, ohne daß eine Kunde kam. Das lag nun zwar daran, daß man sie hatte verschwinden lassen, aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, lagen die höchst verwickelten politischen Verhältnisse Mexiko's so im Argen, daß die Sicherheit von Sendungen und Nachrichten eine höchst problematische war, denn das an und für sich so schöne Land war von Wirren heimgesucht, deren Lösung bisher noch keiner Hand gelungen war.

Einen freilich gab es, welcher das Geschick dazu hatte; das war Benito Juarez, der Indianer aus dem Stamme der Zapoteken, dem wir im Verlaufe unserer Erzählung ja bereits begegnet sind. Viele kennen ihn nicht und beurtheilen ihn falsch. Darum ist es die Pflicht des unparteiischen Lesers, sein Bild der reinen Wahrheit nach zu zeichnen.

Ein gerechter Beurtheiler vermag in Juarez freilich nicht einen außerordentlichen


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Träger jenes Genies erkennen, welches einer Periode, einem Volke das Gepräge seines Geistes und Willens aufdrückt, aber dieser nicht geniale Mann besaß einen gesunden Verstand, eine eiserne Willenskraft und neben seiner Rechtlichkeit, Entschlossenheit, Nüchternheit und Vaterlandsliebe eine Menge anderer Eigenschaften, welche ihn befähigten, seinem Volke größere Dienste zu leisten, als wenn er nichts als blos ein Genie gewesen wäre, welches wie eine Wetterfahne von den dortigen Verhältnissen herumgedreht und herumgerissen worden wäre.

Er wurde in dem kleinen Orte San Petro in der Sierra de Oaxaca geboren und hat in seinen Jugendjahren gelernt, sich wacker mit den Hindernissen der Armuth, Zurücksetzung und nationalen Verachtung herumzuschlagen. Unter vielen, fast unüberwindlichen Beschwerden gelang es ihm, die Rechtswissenschaft zu studiren und dann am Collegium von Oaxaca Lehrer dieser Wissenschaft zu werden. Das war für einen Indianer, für eine verachtete Rothhaut, bereits sehr viel erreicht.

Neben diesem Lehramte widmete er sich der Advocatur, und dieses sein Wirken brachte ihm weithin den Ruf eines streng ehrlichen und tadellos redlichen Mannes. Daher kam es, daß er zum Gouverneur des Staates Oaxaca gewählt wurde, und selbst seine Feinde müssen zugeben, daß niemals dieses Amt so selbstlos und kraftvoll verwaltet wurde, als von ihm. Er erwarb sich eine so bedeutende Achtung, daß ihm die alte, berühmte Kreolenfamilie Mazo ihre Tochter Margarita zur Frau gab, während sonst die stolzen Kreolen jede Vermischung mit Indianern streng vermeiden.

Er zeichnete sich als Gouverneur aus durch Besserung der Rechtspflege, Hebung der Finanzen, Abstellung von Mißbräuchen und Schlendrian des Beamtenthums, Förderung des Gewerbefleißes und Mehrung der Verkehrsmittel. Der Wohlstand und die Sicherheit der von ihm beherrschten Provinz erhob sich dadurch so schnell und hoch, daß er im ganzen Lande berühmt wurde, und so war es gar nicht zu verwundern, daß er bald zum Vorsitzenden des höchsten Nationalgerichtshofes erwählt wurde, und zwar in Folge einer unmittelbaren Volkswahl, was eine um so größere Ehre für ihn ist.

Sodann wurde er gar Justizminister, als welcher er den bösen Praktiken des Präsidenten Commonfort entschieden entgegentrat und als strenger Rechtsmann, einsichtiger Patriot und edler, redlicher Staatsdiener seinen bereits erworbenen Ruf befestigte und behauptete.

Nach dem Falle dieses Präsidenten wurde Juarez selbst Präsident. Hiermit erhielt der einst so verachtete Indianer nicht nur die höchste Würde des Staates, sondern er erbte mit derselben von seinen Vorgängern die ganze, unglückselige Corrumption der Verhältnisse, an welcher er weder Theil noch Schuld hatte. Er erbte ebenso die fürchterliche Last des Krieges mit den Armeen und Flotten Frankreichs, die tiefen Zerwürfnisse mit Spanien und England, die schiefe Stellung mit den Vereinigten-Staaten, den hartnäckigen Widerstand seiner inneren Feinde und - den armen Maximilian von Oesterreich, welcher von Napoleons des Dritten Gnaden zum Kaiser von Mexiko ausgerufen wurde.

Diese Aufgabe war eine geradezu ungeheure. Hat er sie gelöst? Welche Frage! Konnte sie von einem Einzigen, konnte sie in einem Menschenalter, in der kurzen Zeit einer Präsidentschaft gelöst werden? Er erkannte, daß ein Kaiser von


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Napoleons Gnaden in Mexiko unmöglich sei. Er widmete dem guten Max seine persönliche Sympathie und Theilnahme, aber er war ein echter Mann des Principes, ist auf seiner Ueberzeugung stehen geblieben und hat für sie gekämpft, ohne sich von dem Franzmanne blenden zu lassen, zäh, muthig und ausdauernd und doch in persönlichen Angelegenheiten immer eine ruhige, sichere Würde, ein feines Gefühl und eine gewinnende Sanftmuth und Milde zeigend. Einer unserer neueren bedeutendsten Geschichtsschreiber fällt das Urtheil über ihn:

»Alles in Allem: Benno Juarez ist die bedeutendste geschichtliche Gestalt, welche innerhalb des Kreises der europäischen Civilisation bisher aus der indianischen Rasse hervorgegangen ist.«

Während Juarez noch Kriegsminister war und bereits vorher, saß Commonfort auf dem Präsidentenstuhle. Dieser war früher Zöllner in Acapulco gewesen und erhielt einen Gegenpräsidenten, welcher Miramon hieß und jene traurigen Eingriffe in das Eigenthum fremder Staatsangehörigen begann, welches schließlich das englisch-französisch-spanische Einschreiten veranlaßte. Man plünderte sogar das Hotel des englischen Gesandten, und die Ansprüche der also Geschädigten beliefen sich zuletzt auf die ungeheure Summe von beinahe fünfhundert Millionen Mark.

Dieser Miramon war Freund mit dem früheren Präsidenten Juan Alvarez, auch ein Indianer, welcher seiner außerordentlichen Grausamkeit wegen der »Panther des Südens« genannt wurde. Diesen Beiden werden wir leider sehr bald begegnen. -

Seit dem Tage, an welchem Sternau mit Mariano und Helmers Mexiko verlassen hatte, war nun beinahe ein Jahr vergangen. Da kam von Norden her ein Reiter in die Stadt. Er war sehr bestaubt und alle Anzeichen verriethen, daß er einen langen und beschwerlichen Ritt zurückgelegt habe. Hinter ihm trabten mehrere Vaqueros; sie waren, ebenso wie er, gut bewaffnet, doch bedeutend jünger als er und führten ein kräftiges Maulthier bei sich, welches eine sorgfältig verpackte Last trug, welche zwar nicht groß war, aber sehr schwer zu sein schien.

Der alte Mann ritt durch mehrere Straßen und hielt vor dem Palaste des Obertribunals. Dort stieg er vom Pferde und fragte den Thürsteher, ob seine Gnaden, Sennor Benito Juarez, zu sprechen sei. Der Thürsteher betrachtete den Alten mit einem geringschätzigen Blicke und sagte:

»Für Euch jedenfalls nicht!«

»Warum nicht?«

»Hat er befohlen, heut zu ihm zu kommen?«

»Nein.«

»So wartet! Ohne Anmeldung empfängt er nur Freunde bei sich.«

»So melde mich an. Uebrigens darf ich mich sehr wohl zu seinen Freunden zählen!«

Die sichere Antwort des Greises machte Eindruck auf den Diener. Er fragte:

»Welchen Namen tragt Ihr, Sennor?«

»Ich heiße Petro Arbellez und bin Besitzer der Hazienda del Erina.«

»O, das ist etwas Anderes, Sennor! Ihr seid sehr weit geritten und Euer Aussehen machte mich irre. Man hat zu sorgen, daß der Herr nicht zu sehr


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überlaufen wird. Alle Welt will zu ihm, weil es bei einem Anderen keine Gerechtigkeit giebt. Tretet ein und laßt Eure Diener in den Hof reiten!«

Die Vaqueros begaben sich mit ihren Pferden nach dem Innenhof des Hauses und Arbellez wurde von einem Domestiken nach einem geräumigen Zimmer geführt. Es hatte trotz seiner Größe nur ein Fenster, zwei Hängematten und einen Tisch. Auf dem Tische stand ein Schreibzeug neben einem Stoße Papier. In der einen Hängematte saß ein Mann, welcher eine Cigarrette rauchte, und in der anderen saß ein Zweiter, der auch eine Cigarrette rauchte. Der Erstere war Benito Juarez, der oberste Richter des Landes. Er erhob sich beim Eintritte des Gastes ein wenig und sagte:

»Ah, Sennor Petro Arbellez! Euch habe ich seit einem Jahre nicht gesehen, wißt Ihr, seit ich Euch die Hazienda Vandaqua in Pacht gab. Was bringt Ihr mir?«

»Eben den Pachtzins bringe ich, Sennor,« antwortete der Gefragte. »Und außerdem möchte ich Euch eine große Bitte vorlegen.«

»Privat?«

»Nein. Ich komme zu Euch als Richter.«

»So sollt Ihr gehört werden; vorher aber muß ich die Angelegenheit dieses Sennors erledigen, da sie keinen Aufschub erleidet. Legt das Schreibzeug zu Boden und setzt Euch auf den Tisch. Ich habe keinen anderen Platz!«

Arbellez hielt es für unmöglich, sich auf den Tisch zu setzen, aber Juarez machte eine so kurze und gebieterische Handbewegung, daß er gehorchte. Nun wendete sich der Oberrichter an den Anderen, der ein mittel bejahrter Mann war, ein dicht behaartes Gesicht und dunkle, stechende Augen hatte:

»Also, Sennor, ich habe Euch aus dem Gefängnisse rufen lassen, um Eure Sache schnell zu erledigen. Es ist sehr unhöflich, Jemand warten zu lassen, und ich bin nicht gern unhöflich. Brennt Eure Cigarrette noch?«

»Ja, Sennor.«

»Schön!« fuhr Juarez im Tone der heiteren Conversation fort. »Wie lange hält man Euch bereits gefangen?«

»Volle drei Wochen, Sennor!«

»Ah, das ist unartig; ich muß es gestehen. Ich werde diese Unterrichter bitten, zuvorkommender zu sein. Euer Urtheil ist noch gar nicht gefällt?«

»Leider noch nicht. Ich hoffe, daß ich mit demselben zufrieden sein werde!«

»Ich bin überzeugt davon,« sagte Juarez freundlich. »Ich werde Keinem Unrecht thun, weder Euch noch Eurem Gegner. Also es handelt sich um einen kleinen Schuß?«

»Allerdings.«

»Traf dieser Schuß?«

»Die Dame gerade in den Kopf. Ich hatte gut gezielt.«

»Ah, so seid Ihr also ein sehr sicherer Schütze! Das freut mich, denn gute Schützen sind in dieser bösen Zeit sehr gut zu gebrauchen. Warum aber habt Ihr auf die Dame geschossen?«

»Weil sie mir sagte, daß sie einen Anderen heirathen werde. Ich bat sie höflich, sich zu besinnen; aber sie blieb dabei und so schoß ich sie nieder.«


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»Das ist klar!« nickte der Oberrichter höflich. »Sie wollte Euch nicht und so schoßt Ihr sie nieder. Ein Jeder hat die Folgen seiner Handlung zu tragen. Eure Cigarre ist alle, Sennor. Darf ich Euch eine von den meinigen anbieten?«

Er schenkte dem Anderen eine Cigarrette, welche dieser sich anbrannte, und fuhr dann fort:

»Der Vater der Dame hat Euch leider angezeigt und so müssen wir über die Sache reden. Ihr sagt also, daß Ihr sie wirklich erschossen habt?«

»Allerdings.«

»Nun, so werden wir gleich fertig sein. Auf Tod steht Todesstrafe; ich werde Euch also auch erschießen lassen. Ist Euch dies recht so, Sennor?«

Der Andere machte doch etwas andere Augen. Er hatte an die Möglichkeit dieses Urtheils gar nicht gedacht, da Juarez die Untersuchung, welche fast eine freundschaftliche Unterhaltung zu nennen war, in dieser freundlichen Weise geführt hatte.

»Aber, Euer Gnaden, ich denke doch -«

»Bst!« unterbrach ihn Juarez. »Unter Männern macht man nicht viele Worte bei einer so einfachen, klar liegenden Sache. Ihr habt sie erschossen und werdet wieder erschossen; ein Jeder hat eben die Folgen seiner Handlung zu tragen, das sagte ich bereits vorhin. Wollet Ihr mir ein wenig Feuer geben? Das meinige ist ausgegangen.«

Juarez brannte seine Cigarrette an derjenigen des Mörders an, steckte dann den Finger in den Mund und stieß zwei schrille Pfiffe aus. Sofort erschienen zwei Alguazils (Polizisten).

»Gebt mir ein Stück Papier und taucht die Feder ein!« gebot er.

Die Männer kamen der Aufforderung nach; der Oberrichter legte das Papier auf sein Knie, schrieb einige Worte darauf und reckte es dem Mörder hin.

»Hier, Sennor, lest! Das ist Euer Urtheil. Es ist Euch doch recht, daß ich Euch sogleich erschießen lasse?«

Der Mann erhob sich bleich aus der Hängematte und sagte:

»Euer Gnaden, ich muß denn doch bitten -«

»Bst!« unterbrach ihn Juarez abermals und zwar mit einem Lächeln voll Nachsicht und Gefälligkeit. »Ihr habt vorhin geklagt, daß Ihr volle drei Wochen wartet, ich habe Euch also eine Genugthuung zu geben. Man muß immer möglichst gefällig sein! Also, sofort, Sennor. Brennt Eure Cigarrette noch?«

»Ja, ich danke!« stotterte der Mann.

»Schön! Es giebt nichts Unangenehmeres, als wenn Einem bei einer wichtigen Angelegenheit die Cigarre ausgeht. Es kann das fälschlicher Weise leicht für einen Mangel an Selbstzufriedenheit oder Behaglichkeit genommen werden. Und das muß man vermeiden. Verzeiht nur, Sennor, daß ich leider nun nicht länger Zeit habe. Adios!«

Er machte dem Manne eine sehr höfliche Verbeugung; dieser erwiderte sie und verschwand mit den Alguazils. Juarez horchte einige Augenblicke - da fielen einige Schüsse; er legte sich in die Hängematte zurück und meinte:

»Er ist todt! Was meint Ihr zu meiner Art und Weise, Gericht zu halten, Sennor Arbellez?«


Der Gefragte hatte der interessanten Verhandlung mit dem größten Staunen beigewohnt. Er antwortete:

»Sennor, sie scheint mir ganz und gar ungewöhnlich zu sein!«

»Aber praktisch, mein lieber Arbellez!« nickte der Oberrichter. »Gerecht, freundlich und schnell, so muß die Justiz handeln, anders nicht. Darum wollen auch wir Beiden keine Zeit versäumen. Also Ihr bringt mir den Pacht?«

»Ja. Ich werde ihn vorzählen; ich habe das Geld noch auf dem Maulthiere.«

»Laßt das, Sennor! Schickt mir das Geld nachher herein, wenn wir uns verabschiedet haben. Ich weiß, daß ihr mich nicht betrügen werdet. Gehen wir lieber jetzt gleich zu Eurer Bitte über!«

»Aber, Euer Gnaden, sie wird nicht so schnell zu behandeln sein, wie das Todesurtheil.«

»Das wird uns nicht hindern, denn jedes Ding bedarf seiner Zeit. Also Ihr kommt zu mir als zum Richtet?«

»Ja, ich flehe um Gerechtigkeit.«

»Für wen?«

»Für mich und die Meinen.«

»Und gegen wen?«

»Gegen Viele! Es wird das eine sehr umfangreiche Erzählung werden; aber, Sennor, ich habe so Schweres gelitten und ich leide auch jetzt noch so sehr, daß mein Vaterherz bitten muß, mir aufmerksam zuzuhören.«

»Sprecht nur, mein guter Arbellez,« sagte der Oberrichter. »Ich werde Euch bis zum Ende anhören. Aber brennt Euch vorher eine von meinen Cigarretten an.«

»Wie kann ich das thun, Euer Gnaden! Ich würde vor Schmerz und Thränen keinen Zug thun können!«

»Eben gerade darum sollt Ihr rauchen. Ich ehre den Schmerz und auch die Thränen, wenn sie ehrlich gemeint sind, aber sie machen den Richter leicht irre und parteiisch. Er braucht vor allen Dingen eine wahrheitsgetreue Darstellung der Sache. Darum sollt Ihr rauchen, denn dann werden Eure Thränen den Eindruck Eurer Erzählung nicht stören und benachtheiligen können. Hier, nehmt Feuer und beginnt dann Euern Bericht!«

So sah Arbellez sich gezwungen, zu rauchen. Er erzählte. Er begann von vorn, von seinen Jugenderfahrungen, von den späteren Erlebnissen; er schilderte die Personen, wie er sie gefunden hatte, er theilte seine Ansichten und Vermuthungen mit, und - wunderbar, es war keine einzige Thräne geflossen, als er geendet hatte.

Der große Indianer hatte ihm ruhig, beinahe wortlos zugehört; jetzt erhob er sich aus der Hängematte und schritt im Raume auf und ab, um zu recapituliren. Er dachte lange nach, er verglich und folgerte; dann blieb er vor dem alten Haziendero stehen und sagte:

»Sennor Arbellez, wenn Ihr es nicht wäret, der mir diese Geschichte erzählt, so würde ich sie nicht glauben, da ich Euch aber für einen nüchternen, wahrheitsliebenden Mann halte, so glaube ich Euch Wort für Wort und verspreche Euch meine ganze Hilfe. Wo dieselbe anzufassen hat, weiß ich freilich selbst noch nicht. Ich habe mir vorher Vieles zurechtzulegen, ich muß verschiedene und sehr genaue


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Erkundigungen einziehen, bin ich damit aber zu Ende, so soll auch, das verspreche ich Euch, Schlag auf Schlag kommen, bis dieses ganze schändliche Complott aufgedeckt und bestraft worden ist. Bleibt Ihr für einige Zeit hier?«

»Ja, bei Sir Lindsay.«

»Ah, bei dem! Warum gerade bei ihm?«

»Weil ich auch ihm das Alles erzählen muß und weil er mir eine Bitte erfüllen soll.«

»Darf ich erfahren, welche dies sein soll?«

»Gewiß, Sennor. Ich habe erwähnt, daß Donnerpfeil ein Geschenk aus der Höhle des Königsschatzes erhalten hat. Sein Bruder besitzt drüben in Deutschland, seiner Heimath, einen hoch begabten Knaben, welcher aber arm ist. Donnerpfeil, der Bräutigam meiner Tochter, hat nun vor einem Jahre, das heißt, seit er verschwunden ist, beschlossen, daß dieser Knabe die Hälfte dieses Geschenkes erhalten soll. Es konnte ihm nicht geschickt werden, und so geht gerade die Zeit verloren, in welcher dieser Reichthum dem Knaben den meisten Nutzen bringen wird. Darum habe ich die Kostbarkeiten aufgeladen und mitgebracht. Ich werde sie dem Lord bringen, der sie nach Deutschland senden mag.«

»Wo wohnt der Knabe?«

»Bei Mainz auf einem Schlosse, dessen Namen ich vergessen habe. Doch ist es leicht zu finden, denn es gehört einem Hauptmanne und Oberförster von Rodenstein. Diesen Namen habe ich behalten.«

»So überlaßt diese Sendung lieber mir als dem Engländer. Ginge sie von ihm aus, so würde sie von unseren Bravos (Räubern) nicht respectirt. Kommt sie aber aus meiner Hand, so will ich den Mexikaner sehen, der sich an ihr vergreift. Ich werde das Sicherste wählen und sie an ein Bankhaus in Mainz adressiren. Der Bankier wird den Knaben ausfindig machen.«

»O, wie bin ich Euch dankbar, denn Ihr nehmt mir da eine große Last vom Herzen!«

»Wie heißt der Knabe?«

»Kurt Helmers. Sein Vater ist Steuermann.«

»Ich werde mir das notiren. Uebrigens ersuche ich Euch, lieber bei mir als bei dem Engländer zu wohnen, so lange Ihr in Mexiko bleibt. Es ist möglich, daß ich Euch in Eurer Angelegenheit öfters zu sprechen habe, und da ist es bei mir bequemer. Ich werde Euch ein gutes Zimmer anweisen lassen und Sir Lindsay wird es uns nicht übel nehmen, Ihr könnt ihn ja immerhin besuchen. Bringt einmal den Schatz herein! Und da es nun in Einem geht, könnt Ihr auch gleich den Pacht mitbringen.«

Der Haziendero entfernte sich und brachte bald mit Hilfe eines seiner Vaqueros die Maulthierlast herein. Sie enthielt zwei Packete, beide in ungegerbtes Büffelleder eingeschnürt. Die eine Hälfte enthielt den Pachtbetrag in vollwichtigen Goldstücken, den der Oberrichter rasch quittirte. Als die andere Hälfte geöffnet worden war, wurden von dem Inhalte die durch das Fenster einfallenden Sonnenstrahlen aufgefangen und in tausend funkelnden Reflexen durch das Zimmer geworfen. Benito Juarez stieß einen Ruf der Bewunderung aus.

»Dios! Welche Pracht und Herrlichkeit!« rief er. »Welche Kostbarkeiten!


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Welch ein Reichthum! Welch einen Werth repräsentirt dieses seltene Geschmeide! So etwas habe ich noch gar nicht gesehen!« Und mit finsterer Miene fügte er hinzu: »Dieser Schatz in der Höhle der indianischen Könige könnte Mexiko groß machen; aber seine Bewohner sind es nicht werth. Der Häuptling der Miztekas hat Recht. Sein Geheimniß mag mit ihm sterben. - Und diese Sachen sind nur die Hälfte, was Euer Schwiegersohn bekam?«

»Ja.«

»Habt Ihr die andere Hälfte gut verwahrt?«

»Ja. Sie ist an einem Orte vergraben, an welchem sie von Niemand gefunden wird.«

»Und diesen Theil wollt Ihr wirklich nach Deutschland senden? Ein Knabe soll ihn bekommen, der den Werth nicht kennt und der auch kaum den rechten Gebrauch davon machen wird?«

»Ja. Der Häuptling der Miztekas hat es selbst so gewollt und ich muß ihm gehorsam sein. Sollte er ja zurückkehren, so wird er mich loben, daß ich seinen Willen befolgt habe.«

»So können wir nichts dagegen machen. Dieser Schatz geht aus dem Lande. Vielleicht aber kommt er in würdige Hände.«

Er trat an den Tisch, öffnete den Kasten und nahm ein Buch heraus, welches er öffnete. Es enthielt ein Namensverzeichniß, bei welchem die Course von Actien und den verschiedensten Werthpapieren angegeben waren. Juarez suchte eine Zeit lang und sagte dann:

»Hier steht Mainz. Ich finde da das Bankhaus Wallner verzeichnet. Dorthin wird die Sendung gehen, und ich bin überzeugt, daß bei dem großen Werthe derselben der Mann sich Mühe geben wird, den Adressaten ausfindig zu machen. Wollt Ihr einen Brief beilegen?«

»O, Sennor, das Schreiben fällt mir jetzt sehr schwer. Aber Miß Amy Lindsay wird die Güte haben, es für mich anzufertigen.«

»So bringt denselben heute noch zu mir, denn diese Sendung soll morgen mit dem Frühesten bereits abgehen. Ich werde ihr eine genügende Eskorte geben und sie auch gut versichern lassen. Jetzt aber wollen wir ein Verzeichniß anfertigen, und sodann erhaltet Ihr die Bescheinigung, daß Ihr mir die Gegenstände übergeben habt.«

Dies geschah, und dann erhielt der Haziendero ein Zimmer angewiesen, welches er bewohnen sollte und in welchem er sich von dem Staube der Reise befreite, um dann Sir Lindsay aufzusuchen. Dort war nur Miß Amy zu Hause, von welcher er mit herzlicher Freude empfangen wurde.

Der alte, brave Mann hatte als ein glücklicher Vater bisher seine Tochter für das schönste Mädchen der Welt gehalten, aber als er die Engländerin erblickte, wie sie in einem schneeweißen, von rosaseidenen Spitzen verzierten Anzuge vor ihm in der Hängematte lag, da glaubte er, die Madonna sei vom Himmel herabgestiegen, um mit ihm zu sprechen.

Sie erhob sich, reichte ihm ihr Händchen entgegen und sagte:

»Sennor Arbellez! Aus del Erina! Welch eine Ueberraschung, welch eine Freude! Was für Nachrichten bringt Ihr mir?«


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Ihre Schönheit entzückte ihn trotz seines Alters so sehr, daß er die Beantwortung der letzteren Frage einstweilen vergaß. Er drückte einen Kuß auf ihre Finger und sagte:

»O, Sennora, wie schön seid Ihr! Wer kann es unserem gnädigen Herrn verdenken, daß er Euch so lieb hat!«

»Euerm gnädigen Herrn? Wen meint Ihr?«

»Nun, den rechten, wahren Herrn von Rodriganda, der bisher fälschlicher Weise Mariano oder Herr de Lautreville genannt wurde.«

»Ah!« rief sie erfreut. »So seid auch ihr überzeugt, daß er es wirklich ist?«

»Seine Aehnlichkeit und seine Schicksale sind Beweises genug. Außerdem hoffe ich zu Gott, daß es uns gelingt, auch andere Beweise zu finden, welche vor dem Richter noch wirkungsreicher sind.«

»Wir Alle hoffen es. Aber, was thut Mariano? Wo befindet er sich jetzt? Warum hat er mich während einer solchen Ewigkeit ohne alle Botschaft gelassen?«

»Sennorita, er hat jedenfalls nicht gekonnt. Es scheint, die Sachen stehen so, daß ich der einzige Bote bin, der Euch von ihm erzählen kann. Dies ist freilich nur wenig und nicht tröstlich, und zudem war der Weg von der Hazienda nach hier während langer Monate so unsicher, daß ich mir weder getraute, einen Boten zu senden noch aber auch selbst zu gehen.«

»Untröstlich?« fuhr sie auf. »Mein Gott! Setzen Sie sich und erzählen Sie!«

Er nahm bedächtig Platz und erzählte. Sie hörte ihm mit größter Spannung zu. Beide vergaßen ganz, daß sie nicht allein seien. In einer anderen Hängematte saß nämlich ein Mädchen, welches vor der Ankunft des Haziendero beschäftigt gewesen zu sein schien, der Miß vorzulesen. Es war ihre Duenna, ihre Gesellschafterin. In Mexiko ist es unabweisbare Sitte, daß jede anständige Dame eine Duenna habe.

Dieses Mädchen war sehr schön. Sie war augenscheinlich eine Mestize, das heißt, sie stammte von einem weißen Vater und einer indianischen Mutter ab. Diese Mischlinge sind gewöhnlich sehr schön, erben aber oft nur die schlechten Eigenschaften ihrer Eltern, welche sie unter der glänzenden Hülle ihres Aeußeren geschickt zu verbergen wissen.

Sie hielt die Augen niedergeschlagen und blickte scheinbar aufmerksam in das Buch. Aber wer sie schärfer beobachtet hätte, der konnte bemerken, daß sie den Worten des alten Mannes mit außerordentlicher Theilnahme folgte. Ihr Auge warf zuweilen durch die langen, verhüllenden Wimpern einen blitzähnlichen Blick auf die Beiden, und ihre Mundwinkel zuckten dabei zu beiden Seiten empor, daß man den herrlichen Schmelz ihrer Zähne sehen konnte. Sie hatte dabei ganz das Aussehen eines bissigen Köders, welcher sehr gern zufahren möchte, aber aus Furcht sich nicht getraut, es zu thun. Ein Menschenkenner hätte diesem Mädchen niemals seine Zuneigung oder gar sein Vertrauen schenken können.

Während derselben Zeit gab es in einem anderen Hause eine Unterredung, welche sich ganz auf denselben Gegenstand bezog. Es war das im Palaste des Grafen de Rodriganda. Dort befand sich Josefa Cortejo in ihrem Zimmer. Auch sie lag in der Hängematte hingestreckt, aber welch einen anderen Anblick bot ihre


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Erscheinung gegen derjenigen der lieblichen Amy Lindsay! Das Jahr, welches vergangen war, hatte nicht dazu beigetragen, ihre Häßlichkeit zu verschönern. Sie war womöglich noch hagerer geworden, ihre Finger schienen aus langen, dünnen Todtenknochen zu bestehen, und da sie noch nicht Besuchstoilette gemacht hatte, so fehlten ihr die falschen Zähne. Ihr schwarzer, brandiger Mund glich einem ausgestorbenen Krater, und während die falschen Locken noch auf der Toilette lagen, hing ihr natürliches Haar in kurzen, dünnen, spärlichen Strähnen über den scharfen, wirbeligen Hals herab, so daß man die Kopfhaut hindurchscheinen sah. Sie schien bei schlechter Laune zu sein, denn als ihre Dienerin jetzt eintrat, um sie zu frisiren, erwiderte sie deren höflichen Gruß mit keinem Worte.

Die Dienerin war noch immer jene Indianerin, welche wir bereits bei ihr gesehen haben und die den Namen Amaika führte. Sie begann, stillschweigend ihre Herrin anzukleiden. Es wurde dabei kein Wort gesprochen, und erst als die Indianerin die letzte Hand an die Toilette legte, fragte die Herrin:

»Hast Du mit Deiner Tochter gesprochen?«

»Nein,« lautete die Antwort.

»Warum nicht?«

»Weil ich, wenn ich uns nicht verrathen will, doch nicht zu ihr gehen darf. Und zu mir ist sie jetzt nicht gekommen.«

»Ich sehe, daß Ihr Beide nachlässig seid! Ich höre, daß diese Amy Lindsay eine Duenna sucht; ich lasse es mir Geld, Mühe und andere Opfer kosten, um ihr von anderer Seite Deine Tochter empfehlen zu lassen. Ich sehe zu meiner Freude, daß mir die Intrigue gelingt, daß sie sie engagirt. Aber nun ich durch die Spionin etwas von Bedeutung endlich einmal erfahren will, läßt sie sich nicht sehen!«

»Sie wird kommen, sobald sie etwas Wichtiges erlauscht hat, darauf könnt Ihr Euch verlassen, meine liebe, schöne Sennorita!«

»Schön!« rief da Josefa. »Lüge nicht!«

Da schlug die Alte ganz erstaunt die Hände zusammen und sagte:

»Lügen? Mein Gott, sehen Sie doch in den Spiegel, Sennorita! Der wird Ihnen sagen, ob ich lüge oder nicht!«

Josefa warf wirklich einen Blick in den Trumeau und da sie frisirt, gepudert und geschminkt worden war, so ließ sie sich wirklich von ihrem eigenen Bilde täuschen.

»Ich will Dir glauben,« sagte sie. »Aber warum halten mich Andere nicht für schön?«

»Andere? Wer sollte denn das sein?«

»Nun - dieser - dieser Herr de Lautreville, weißt Du, der vor Jahresfrist mit jenem Sternau alle unsere Preise weggewann.«

»Der? O, der war blind! Ja, bei der heiligen Madonna, ich glaube fast, daß er blind gewesen ist!«

Die Herrin zuckte verächtlich mit der Achsel und sagte:

»Nein, blind war er nicht, aber verliebt. Und das ist ja ganz dasselbe.«

Die Indianerin war die Vertraute ihrer Herrin. Sie hatte mit ihr täglich


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über diesen Gegenstand gesprochen und darum wußte sie sehr genau, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie meinte in einem höchst geringschätzigen Tone:

»Verliebt? Wohl gar in jene Engländerin? Das glaube ich nicht! Er war ein gar so hübscher Sennor und wird sich nie in dieser Weise wegwerfen.«

»Aber man redet doch heimlich davon, daß Verlobung gefeiert worden sei, ehe er von hier abreiste!«

»Ich glaube nicht daran; diese Amy will sich nur rühmen.«

»Doch warum sagte er denn da draußen auf der Fantasia zu mir, daß er nicht von ihr lassen möge, daß er keine Andere lieben könne!«

»So war er verrückt! «

»Ja, verrückt. Sie hat ihm mit ihren großen, lichten Augen den Verstand genommen. Ich bot ihm meine Schönheit und meine Liebe an und er wies mich zurück. Ich bot ihm ein Grafenthum an und er wies mich zurück. Ich bot ihm Glück, Reichthum und Ehre und er wies mich zurück. Ich drohte ihm, daß seine Amy verloren sei, wenn er nicht von ihr lasse, und er wies mich zurück. Er hatte einen Helfershelfer hinter sich, der mich fangen und demasciren wollte, und ich bin ihm nur mit Hilfe meines Dolches entgangen. O ja, wir Mexikanerinnen haben Dolche und wissen sie zu gebrauchen! Verdammt sei diese Amy, verdammt und verflucht dreimal, nein, tausendmal! Ich richte sie zu Grunde. Wenn nur Deine Tochter ihre Pflicht thun wollte! Sie weiß ja, daß ich sie königlich belohnen werde.«

Sie hatte sich erhoben und stand in Mitten des Zimmers, wie eine Furie, mit blitzenden Augen, zusammengekniffenen Lippen und geballten Händen.

»Sie wird aufpassen, Sennora!« sagte die Dienerin in beruhigendem Tone. »Ihr müßt nur bedenken, daß sie sich zuerst in das Vertrauen dieser kalten Engländerin einzuschmeicheln hat.«

»Ich weiß das. Aber sie ist nun lange genug bei ihr und soll mir nun endlich einmal zeigen, daß ich mich auf sie verlassen kann. Diese Amy muß fallen, muß verschwinden oder sterben. Wenn ich nur zuvor wüßte, was aus Lautreville und seiner Gruppe geworden ist. Da, horch! Ich höre den Vater kommen. Er wird mir die Zeitungen und Neuigkeiten bringen. Du kannst gehen.«

Die Alte entfernte sich.

Die Alte entfernte sich. Sie begegnete Cortejo draußen vor der Thüre. Dieser überzeugte sich genau, ob sie auch wirklich verschwunden sei und nicht etwa zum Lauschen zurückkehren werde; dann trat er bei der Tochter ein. Ihr fiel seine vor Freude glänzende und triumphirende Miene auf, und als sie bemerkte, daß er in der Hand einen geöffneten Brief hielt, fragte sie rasch:

»Einen Brief ? Von wem? Ist's die ersehnte Nachricht? «

»Ja,« antwortete er, tief aufathmend.

»Wie lautet sie? Zeig her!«

Sie griff nach dem Schreiben, aber er zog die Hand zurück, hielt sie hoch empor und rief mit einem Ausdrucke, in welchem sich der ganze Triumph eines hart gesottenen und herzlosen Bösewichtes aussprach:

»Gewonnen! Endlich gewonnen! Wir können nun vollständig ruhig sein!«

»Ah! Ist's wahr? Gieb her; gieb her!«


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Ihre dürren Finger zitterten vor Aufregung, als sie sich abermals nach dem verheißungsvollen Schreiben ausstreckten. Der Vater ließ es ihr mit den Worten:

»Ja, nimm hin und lies! Es ist die größte Freude und Genugthuung meines Lebens, welche mir heute wiederfahren ist.«

Sie warf einen Blick auf das Papier und sagte einigermaßen enttäuscht:

»Ah, von Deinem Bruder, dem Oheim? Von ihm hatte ich die entscheidende Nachricht nicht erwartet. Ich denke, diese soll von hier aus Mexiko kommen, und zwar von Verdoja und Pardero, den beiden Offizieren!«

»Lies nur, mein Kind! Es wird Dir dann Alles erklärlich sein!«

Sie konnte sich nicht niedersetzen; die Aufregung trieb sie im Zimmer hin und her, und so las sie im Auf- und Niederschreiten Folgendes:

      »Lieber Bruder.
Endlich, endlich kann ich Dir eine Nachricht geben, welche ungeheuer werthvoll ist. Gestern war Landola bei mir. Er ist um die Südspitze von Amerika herum nach Spanien gekommen. Er hat im Hafen von Guaymas folgende Personen getroffen: Sternau, Mariano, zwei Deutsche, Namens Helmers und zwei Indianer, von denen der eine Büffelstirn und der andere Bärenherz heißt. Ferner sind bei ihnen gewesen zwei Mädchen, nämlich die Schwester dieses Büffelstirn und sodann Emma, die Tochter des alten Petro Arbellez, des Haziendero auf del Erina.
   Diese Personen haben nach Acapulco gewollt und den Kapitän nicht gekannt. Er hat sie Alle auf sein Schiff genommen, scheinbar, um sie nach dem verlangten Hafen zu bringen. Sie sind von ihm in Fesseln geschlagen worden, und da hat er von den Mädchen erfahren, daß sie dem Kapitän Verdoja glücklich entgangen sind, dem Du den Auftrag gegeben hattest, sie zu vernichten. Am ersten Abende der Fahrt, während Alles schlief und nur eine Wache an Deck war, hat Landola eine Lunte an die Pulverkammer gelegt und sich unbemerkt auf dem kleinen Boote davongemacht. Das Schiff ist in die Luft geflogen und mit Mann und Maus zu Grunde gegangen. Der Kapitän hat sich genau überzeugt, denn er ist bis zum Tagesanbruch an Ort und Stelle geblieben. Kein Einziger ist gerettet worden.
   Durch diesen kühnen Streich des Kapitäns sind wir nun alle Sorgen los. Ich theile Dir es schleunigst mit und behalte mir vor, Dir noch ausführlicher darüber zu berichten.
      Dein Bruder
      Gasparino Cortejo.«

Josefa ließ die Hand mit dem Briefe sinken. Sie fühlte sich in diesem Augenblicke von den widersprechendsten Empfindungen in Beschlag genommen und wußte nicht, ob sie zunächst lachen oder weinen solle. Sie war leichenblaß, ob vor Freude oder vor Schreck, das ließ sich nicht bestimmen.

»So sind sie todt?« fragte sie, die Augen starr auf ihren Vater gerichtet.

»Jawohl! Freilich! Du hast es ja gelesen!« rief er, vor Freude glühend.

»Alle?«

»Alle!«

»O Dios! Also auch er!« hauchte sie.

»Er? Wer?« fragte er.


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»Lautreville!« antwortete sie.

Da trat er näher an sie heran, faßte sie am Arme und sagte beinahe drohend:

»Mädchen, ich hoffe, daß Du den Verstand nicht ganz und gar verloren hast! Er liebte Dich nicht, er hat Dich von sich gewiesen. Und selbst wenn wir ehrlich mit ihm gewesen wären und ihn zum Grafen von Rodriganda gemacht hätten, würde er uns einige Tausend Duros gegeben haben, weiter nichts; Dich aber hätte er nicht angesehen. Diese Engländerin war ihm lieber. Sie wäre seine Gräfin Rodriganda geworden«

»Ja,« stimmte sie mit funkelnden Augen bei. »Sie hätte sein Glück getheilt; darum soll sie auch sein jetziges Schicksal theilen!«

»Wie meinst Du das?«

»Sie soll untergehen wie er!«

»Pah!« lachte er. »Willst Du sie in die Luft sprengen, wie der Kapitän ihren Anbeter?«

»Es giebt noch andere Wege.«

»Von denen Du keinen einzigen betreten wirst. Ich verbiete es Dir auf das Strengste! Wir dürfen den Sieg, welchen wir gewonnen haben, nicht durch die Unvorsichtigkeit eines Mädchens wieder in Gefahr bringen. Ich habe ganz andere Dinge vor; ich darf das Gelingen meiner Pläne nicht durch einen Jugendstreich in Frage stellen.«

»Deiner Pläne? Welche wären denn das?«

Er warf sich stolz in die Brust und erklärte:

»Ich habe bisher gegen Dich geschwiegen, sehe aber, daß ich nun endlich sprechen muß, um Dich vor Dingen zu bewahren, welche uns großen Schaden machen können. Du weißt, daß wir jetzt zwei Präsidenten haben, von denen ich keinen für geschickt halte, sich zu behaupten. Das Land bedarf einer einheitlichen Regierung, Jetzt aber ist es zwischen diesen beiden Männern gespalten. Es ist ein Mann von Nöthen, der bei einer rücksichtslosen Schlauheit auch die Geldmittel besitzt, seine Gegner zu bestechen; er wird dann Präsident und dann stehen ihm alle Reichthümer der Nation zu Gebote. Und dieser Mann werde ich sein.«

»Du?« fragte sie mit dem Ausdrucke des unverhohlensten Erstaunens.

»Ja, ich!« antwortete er im Tone stolzen Selbstbewußtseins. »Oder wunderst Du Dich darüber? Ich habe meinen Neffen zum Grafen von Rodriganda und meinen Bruder zum Verweser von dessen Einkünften gemacht. Das Haus Rodriganda besitzt über hundert Millionen. Soll ich leer ausgehen? Nein, sondern ich werde die mexikanischen Besitzungen erhalten. Sie repräsentiren einen Werth von vierzig Millionen. Ich stehe schon längst in Unterhandlung mit dem »Panther des Südens«. Wenn ich ihm eine Million zahle, fällt mir sein ganzer Anhang zu. Er will mich in diesen Tagen aufsuchen; vielleicht kommt er bereits heute Abend. Er beherrscht sämmtliche Bewohner der Gebirge und die freien Indianer des Südens. Sobald ich ihm seine Million gegeben habe, wirbt er an und erscheint mit über zehntausend Mann dann hier in der Stadt. Benito Juarez wird gefangen genommen und erschossen; mit den Anderen habe ich dann leichtes Spiel.«

Die Augen des Mädchens glänzten vor Entzücken.

»Und das ist wahr, wirklich wahr?« fragte sie.


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»Glaubst Du, daß ich träume?«

»O nein, sondern mir ist ganz so, als ob ich es sei, welche träumt. Ich, Josefa Cortejo, von der sich die Anderen stolz zurückziehen, die Tochter des Präsidenten, die höchste Dame des Landes! Wer hätte das gedacht! O, wie werde ich sie Alle mit Verachtung strafen, die sich jetzt einbilden, hoch über mir zu stehen! Sie sollen ihren Stolz büßen müssen, Alle, Alle, Alle!«

Er nickte jetzt, wohlgefällig zustimmend, und sagte:

»So will ich Dich hören und sehen, denn so bist Du eine echte Cortejo. Wir sind stets gewohnt gewesen, unsere Herren zu leiten und zu beherrschen und uns an unseren Widersachern zu rächen. Was ist dann mein Bruder, was ist sein Sohn, der falsche Rodriganda, gegen mich und Dich! Was wäre auch jener Mariano, der echte Rodriganda, wenn er nicht in die Luft geflogen wäre, gegen uns? Ich werde der Beherrscher von Mexiko sein. Ich werde dieses Land zu einem erblichen Königreiche machen und für Dich wird dann nur ein königlicher Prinz gut genug sein. Du siehst, daß wir vor einer Aufgabe stehen, deren Lösung wir uns nicht durch leichtsinnige Jugendstreiche unmöglich machen dürfen. Ich hätte nichts dawider, wenn Du Dich an dieser Amy und ihrem stolzen Vater rächen wolltest, wenn es nur ohne Gefahr für uns geschehen könnte. Aber wie leicht könnten wir verrathen werden, und dann wäre das Gelingen unseres Planes sehr in Frage gestellt. Ich darf mich nicht blamiren oder gar unpopulär machen.«

»Ich gebe Dir Recht! O, wäre es doch bereits so weit. Also um eine Million handelt es sich?«

»Ja, gerade um eine Million.«

»Aber woher diese ungeheure Summe nehmen, bevor Dir die mexikanischen Besitzungen zugesprochen worden sind?«

»Ich verkaufe eine derselben im Namen des Besitzers, oder, was noch besser und müheloser ist, ich schenke sie dem Panther des Südens. Nun unsere gefährlichsten Feinde vernichtet sind, darf ich Alles wagen.«

»Aber haben wir wirklich keine Feinde mehr, durch welche es entdeckt werden kann, daß Alfonzo nicht der richtige Sohn des alten Rodriganda ist?«

»Diejenigen, welche noch übrig geblieben sind, habe ich nicht zu fürchten.«

»Auch nicht den Haziendero Petro Arbellez und die schändliche Maria Hermoyes, welche von uns zu ihm geflohen ist?«

»Bin ich Präsident, so sind sie in meine Hand gegeben!«

»Rosa de Rodriganda, welche jetzt Frau Sternau heißt?«

»Sie hat ihr Erbtheil ausgezahlt erhalten und ist unschädlich!«

»Der Kapitän Henrico Landola, welcher das ganze Geheimniß kennt?«

»Er erhält seinen Lohn und wird schon um seiner selbst willen verschwiegen sein!«

»So haben wir also keinen Menschen eigentlich mehr zu fürchten und können ruhig sein, Aber wenn ich mich an dieser Amy Lindsay rächen könnte, ohne uns Schaden zu machen, so würde ich mein Glück vollständig nennen.«

»Vielleicht ist es möglich. Man kann eben nicht in die Zukunft blicken. Sollte sich eine Gelegenheit bieten, so hoffe ich, daß Du nicht handelst, ohne mich vorher um Rath gefragt zu haben. Jetzt weißt Du Alles. Ich muß zum Präsi-


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denten gehen. Je mehr ich mich bei ihm einschmeichele, desto fester habe ich ihn im Sacke. Adios, meine Tochter!«

»Adios, mein Vater!

Er küßte sie und sie ihn, ein Zärtlichkeitserguß, welcher zwischen diesen beiden Verwandten seit langer Zeit nicht mehr stattgefunden hatte.

Als er sich entfernt hatte, eilte sie an den Spiegel, um sich zum tausendsten Male zu betrachten und dabei heute allerdings zum ersten Male zu beurtheilen, ob ihre Schönheit einer Präsidenten- oder gar Königstochter würdig sei. Sie war noch mit dieser Untersuchung beschäftigt, als es leise an die Thüre klopfte. Auf ihr »Herein!« trat jene Halbindianerin ein, welche als Duenna jetzt im Dienste von Amy Lindsay stand. Sie war die Tochter der alten Amaika und hatte ihre jetzige Stellung nur zu denn Zwecke angetreten, Josefa Cortejo als Spionin zu dienen.

»Ah,« sagte diese, »endlich! Ich dachte bereits, daß Du vergessen hast, daß Du in meinem Solde stehst. Hast Du etwas Wichtiges erfahren?«

»O, etwas sehr Wichtiges, Sennorita t« antwortete die schöne Spitzbübin.

»So erzähle schnell!«

»Darf ich mich vorher setzen?«

»Setze Dich!«

Das Mädchen nahm in der Hängematte Platz, und zwar in einer Stellung, in welcher alle ihre Reize zur Geltung kamen. War sie eine natürliche Kokette, oder beabsichtigte sie, der Sennora zu zeigen, welche von Beiden die Schönere sei?

»Nun?« fragte Josefa in einem nicht sehr freundlichen Tone, da sie unwillkürlich die Schönheit dieser Dienerin mit der ihrigen vergleichen mußte.

»Ich hoffe, heute eine sehr gute Belohnung zu erhalten, Sennorita,« sagte das Mädchen, »denn ich bringe wirklich einige Neuigkeiten von größter Bedeutung. Nämlich Petro Arbellez war jetzt bei uns.«

»Der Haziendero von del Erina?« fragte Josefa erstaunt.

»Ja. Er ist auch beim Oberrichter gewesen, der ihn sogar eingeladen hat, bei ihm zu wohnen.«

»Santa Madonna! Was hat dies zu bedeuten?«

»Nicht sehr viel. Ich habe Alles gehört, denn ich war bei Miß Amy als er kam und ihr Alles erzählte. Zunächst hat er den Pacht gebracht, den er dem Oberrichter zu bezahlen hat. Sodann hat er goldenes Geschmeide gebracht, welches fortgeschickt werden soll. Und drittens hat er ihm erzählt, daß seine Tochter geraubt worden ist und daß Alle verschwunden sind, welche den Entführern nachjagten.«

Josefa verbarg den Eindruck, den diese Mittheilung auf sie machte, und fragte nur:

»Was hat Benito Juarez dazu gesagt?«

»Er will die Sache untersuchen und über sie Erkundigungen einziehen.«

»Wer sind Diejenigen, welche verschwunden sind?«

»Es war eine lange Reihe von Namen, und Namen kann ich nicht gut merken.«


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»Das ist die eine Nachricht. Sie interessirt mich nicht sehr. Und nun die andere?«

»Wenn Ihr Euch für die erste nicht interessirt, so werdet Ihr es für die zweite noch viel weniger thun. Es liegen nämlich große Schätze im Hause des Lord.«

»Ah!« fuhr Josefa auf.

»Ja, mehrere Millionen.«

»Woher weißt Du das?«

»Miß Amy hat es zu dem Haziendero gesagt. Dieser hatte nämlich den Lord bitten wollen, einige Kostbarkeiten für ihn nach Deutschland zu schicken, aber der Oberrichter hat dies übernommen, weil Werthsachen, welche der Lord schickt, nicht sicher bis an die Küste gehen. Miß Amy stimmte dem bei. Sie sagte, daß ihr Vater wohl an die fünf Millionen Pesos im Keller liegen habe und nicht fortsenden könne, weil er die Bravos fürchten müsse. Dieses Geld gehört nicht ihm, sondern den englischen Kapitalisten, welche an Mexiko Geld geborgt haben. Es sind theils Zinsen und theils zurückgezahlte Kapitalbeträge.«

»Auch das geht mich nichts an,« sagte Josefa, obgleich sie ihre Freude kaum beherrschen konnte. »Kennst Du diesen Keller?«

»Ja. Ich muß zuweilen Eingemachtes aus demselben holen.«

»Ist er groß?«

»Sehr groß. Vorn ist der Küchenkeller, dann kommt der Weinkeller und hinter diesem liegt noch ein kleines Loch, vor welchem eine starke, eiserne Thüre ist. Da drin steht das Geld in eisernen Kisten.«

»Woher weißt Du das?«

»Miß Amy sagte es dem Haziendero, um ihm zu zeigen, wie vorsichtig man hier mit dem Gelde sein müsse.«

»Und gerade dadurch handelt sie außerordentlich unvorsichtig. Wenn es nun Jemand erfährt und in den Keller dringt!«

»Das geht nicht, denn stets Abends müssen die Schlüssel zu den Vorkellern an den Lord abgegeben werden. Den Schlüssel zu dem hintersten hat er stets und giebt ihn niemals aus der Hand. Er schließt sie alle in das geheime Fach seines Toilettentisches ein, welcher in seinem Schlafzimmer steht.«

»Dann allerdings ist er sicher, daß Niemand zu dem Gelde kann. - Und nun das Dritte, was Du mir mitzutheilen hattest?«

»Es war ja nur dies Zweierlei. Ich dachte, daß es Euch interessiren würde, Sennorita, weil ich Euch bisher nichts Anderes mittheilen konnte.«

»Nun, ich sehe wenigstens Deinen guten Willen. Hier hast Du fünf Goldstücke. Paß auch ferner auf und sage mir besonders Alles, was von der verschwundenen Tochter des Haziendero und einem gewissen Mariano oder Herrn von Lautreville gesprochen wird. Jetzt kannst Du gehen.«

Das Mädchen schlüpfte aus der Hängematte heraus, schlug die Mantille graziös um sich, machte eine Verbeugung und verließ das Zimmer. Josefa lauschte, bis die Tritte verklungen waren, schlug dann die Hände frohlockend zusammen und sagte:


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»Gefunden! Die Rache ist da! O, wenn doch der Panther des Südens bald käme!«

Aber dieser kam weder heute noch morgen. Erst am dritten Abende überraschte er Cortejo. Josefa hatte am Tage wieder den Besuch ihrer Spionin gehabt und von derselben erfahren, daß Petro Arbellez wieder abgereist sei. Sie erzählte das ihrem Vater, als sie noch sehr spät am Abende bei einander saßen. Von dem Uebrigen aber hatte sie ihm noch nichts mitgetheilt. Da öffnete sich vollständig geräuschlos die Thüre und eine dunkle Gestalt huschte herein, so unhörbar, als ob sie nur ein Schatten sei.

Josefa stieß einen lauten Schrei des Schreckens aus; selbst ihr Vater fuhr empor. Da trat der Fremde aus dem Dunkel in den Lichtkreis der Lampe und winkte den Beiden mit der Hand Beruhigung zu. Er war in die einfache Tracht eines gewöhnlichen Peon (Reitknechtes) gekleidet, doch zeigten seine Waffen mehr als den Reichthum eines Dieners. Sein langes, dunkles, schlaffes Haar, seine braune Haut und die Bildung seines kühnen, von Leidenschaften zerrissenen Gesichtes zeigten, daß er von indianischer Abstammung sei. Er war der Wütherich, Juan Alvarez, der Panther des Südens.

»O, Sennor Alvarez, wie habt Ihr uns erschreckt!« sagte Josefa. »Wir erwarten Euch bereits seit vorgestern. Seid willkommen!«

Der Indianer blickte sie mit kaltem Staunen an und sagte zu Cortejo:

»Ich komme im Dunkel der Nacht, um keinen Zeugen zu haben! Und Ihr gebt mir ein Weib zum Zeugen!«

»Sie ist meine Tochter,« entschuldigte sich Cortejo.

»Ist eine Tochter kein Weib?« klang es scharf zurück.

Da trat Josefa einen Schritt auf ihn zu. Wenn es sich um solche Dinge, welche das Licht zu scheuen hatten, handelte, so war sie ganz an ihrem Platze. Darum sagte sie in einem stolzen, selbstbewußten Tone:

»Glaubt Ihr etwa, daß ich mich vor dem Panther des Südens fürchte? Bin ich denn Schuld, daß ich ein Weib bin? Giebt es nicht unter den Männern Weiber? Warum soll es nicht unter den Weibern Männer geben? Ein solcher Mann bin ich. Mein Vater vertraut mir Alles an, und er hat es noch nie zu bereuen gehabt. Auch Ihr sollt noch heute erfahren, daß ich Eures Vertrauens würdig bin und wie ein Mann zu handeln weiß!«

Auf die schmalen Lippen des grimmigen Mannes trat ein leises, höhnisch zuckendes Lächeln und er antwortete:

»Sie spricht wie ein Mann, Sennor Cortejo. Wenn sie aber nicht wie ein Mann handelt, so ist es Euer Schaden. Der Panther des Südens giebt seine Geheimnisse nur so vielen Ohren kund, als es ihm beliebt. Laßt uns von unserer Angelegenheit reden!«

»Setzt Euch, Sennor!« bat Cortejo, indem er dem Gaste einen Stuhl hinschob.

»Nein,« antwortete dieser kopfschüttelnd. Er schlug die Hände über die breite Brust zusammen, leuchtete den Spanier mit seinen Flammenaugen an und fuhr fort: »Ich werde im Stehen sprechen. Da Ihr eine Mitwisserin habt, ohne mich vorher um Erlaubniß zu fragen, so können wir kurz sein. Habt Ihr das Geld?«

»Baar allerdings nicht.«


Ende der achtundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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