Lieferung 59

Karl May

5. Januar 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Du hast recht, nur in anderer Weise, als Du denkst. Ihr schlaft und ich arbeite. Ich habe sie heute in der Nacht gefangen.«

»Allah il Allah! Ist es wahr? Heute in der Nacht?«

»Ja,«

»Es fehlt Keiner?«

»Gar keiner. Sogar der Somali ist dabei, welcher mit dem abyssinischen Posten entflohen ist.«

»Mit dem ist er entflohen? Bei Allah, es wird den Beiden schlecht bekommen. Ich muß sie sehen, alle, alle! Ist die Sclavin auch dabei?«

»Ja. Ich sagte doch bereits, daß Keiner fehle.«

»So muß ich sie sofort sehen, sofort! Hörst Du? Wo sind sie? Wo?«

»Fahre mit uns an das Ufer, wenn Du sie sehen willst. Ich werde sogleich ein Boot herablassen für uns. Das Deinige, mit welchem Du an Bord gekommen bist, hängt noch hinten; ich werde es Dir an die Seite bringen lassen. Nimm alle Deine Leute mit, denn Du wirst sie gebrauchen können!«

Dies brachte Leben und Bewegung in den Sultan und den Gouverneur. Sie rannten von einem Ende des Schiffes zum andern; sie brüllten ihren Untergebenen die widersprechendsten Befehle zu und merkten dabei gar nicht, was für eigenthümliche Vorrichtungen an Bord getroffen wurden. Ihr Boot wurde längsseits gezogen und das Fallreep niedergelassen. Auf der anderen Seite that man so, als ob auch hier ein Boot für den Capitän ausgesetzt werde, doch wurde dasselbe nur bis zur halben Bordwand heruntergethan. An der Ankerwinde standen einige Mann und Andere machten sich in den Raatauen zu schaffen, um sich die Zeit zu vertreiben, wie es schien. Ein aufmerksamer Beobachter aber hätte sehen müssen, daß das Schiff fertig gehalten werde, in Zeit von einer Minute den Wind zu nehmen und in See zu gehen.

Endlich waren die Muhamedaner fertig und sahen sich nach dem Capitän um.

»Einsteigen!« kommandirte dieser und that zu gleicher Zeit, als ob er sich in das andere Boot hinablasse.

Kaum aber stand der Letzte der Diener auf der Falltreppe, so stand Wagner wieder auf dem Deck. Ein Wink von ihm genügte, der Anker hob sich vom Grunde, und die Segel bekamen Leben. Dann schritt er hinüber, blickte über die Brüstung in das Boot des Gouverneurs und sagte zum Sultan:

»Jetzt sollst Du sehen, daß ich Wort gehalten und alle Flüchtlinge in meine Hand bekommen habe. Welcher von ihnen ist Dir der Werthvollste?«

»Die weiße Sclavin,« antwortete der Gefragte. »Aber warum kommst Du nicht?«

»Weil ich sie Dir zeigen kann, ohne mit Dir zu gehen. Blicke her!«

In diesem Augenblicke trat Emma an die Brüstung und zeigte sich den Männern, welche sich unten im Boote befanden. Der Sultan fuhr erstaunt empor und rief:

»Allah il Allah, das ist sie; ja, das ist sie! Ich muß wieder hinauf!«

Er durchschritt das Boot, um wieder an die Falltreppe zu gelangen, an welcher das Letztere befestigt war. Da aber gab der Capitän einem seiner Leute einen Wink. Der Mann hatte das Tau, an welchem das Boot hing, bereits


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gelöst und hielt es in der Hand. Er warf es über Bord in das Boot hinab, welches nun frei wurde und unter den eiligen Schritten des Sultans so zu schaukeln begann, daß dieser niederstürzte. Doch raffte er sich schnell empor und rief:

»Halt, was ist das? Warum bindest Du uns los? Ich muß hinauf; ich muß die Sclavin holen; sie ist mein Eigenthum! Und wo sind die Andern?«

»Hier!«

Bei diesem Worte zeigte Wagner auf den Grafen Rodriganda und den Gärtner Bernardo, welche Beide jetzt auch an die Brüstung traten und sich in ihrer vollen Gestalt sehen ließen. Während der kurzen Dauer dieses Intermezzos hatte der Dolmetscher die Uebersetzung der Reden übernommen. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß die gesuchten Flüchtlinge sich an Bord befanden; jetzt nun bemerkte er dies und flüsterte dem Capitän höchst erschrocken zu:

»Was hast Du gethan, Herr! Es wird Dein und mein Verderben sein!«

»In wiefern?« fragte Wagner.

»Der Sultan und der Gouverneur werden sich furchtbar rächen.«

»Pah! Ich fürchte sie nicht.«

»Du wohl, aber ich! Ich komme ja öfters nach Zeyla und Berbera.«

»So gehst Du nicht wieder her.«

»So habe ich großen Schaden.«

»Der wird Dir vielleicht ersetzt werden.«

»Dennoch darf ich in dieser Sache nicht weiter Dein Dolmetscher sein.«

»Das ist auch nicht nöthig; ich werde selbst reden.«

Diese letzteren Worte hatte der Graf gesprochen, welcher die leise Rede des Dolmetscher verstanden hatte. Er trat näher an die Brüstung, so daß ihn der Sultan genau sehen konnte. Dieser machte eine überraschte Handbewegung und rief:

»Bei Allah, dort sind sie! Ich befehle Euch, mich wieder an Bord zu nehmen!«

»Das fällt uns gar nicht ein!« lachte der Graf.

»So kommt herab zu uns! Ich gebiete es Euch.«

»Bist Du toll! Was hättest Du uns zu befehlen? Wir sind jetzt freie Männer.«

»Schurken seid Ihr, elende Schurken! Wo habt Ihr mein Geld und meine Schätze?«

»Die haben wir bei uns auf dem Schiffe.«

»Gebt sie heraus!«

»Das wäre lächerlich. Ein Fürst der Christen ist gezwungen gewesen, Dir so lange Jahre zu dienen; er zwingt Dich jetzt, ihm einen fürstlichen Gehalt auszuzahlen. Lebe wohl und vergiß die Lehre nicht, welche Du heute von uns erhältst!«

Das Boot trieb vom Schiffe ab; aber die Wuth des Sultans war so groß, daß er in diesem Augenblick kein Wort sprechen konnte. Er brachte nur einige unarticulirte Laute hervor; an seiner Stelle aber befahl der Gouverneur:

»Ich gebiete Euch, uns wieder aufzunehmen! Oder soll ich Euch zwingen?«

»Versuche es!« lachte der Graf.


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»Der Sultan hat mir eine Schrift ausgestellt, daß ich den Preis erhalten soll!«

»Laß ihn Dir auszahlen. Die Bedingungen sind erfüllt. Du sollst den Preis erhalten, sobald wir in die Hände des Capitäns gekommen sind. Wir befinden uns jetzt in seiner Hand; also müssen die Kameelsladungen ausgezahlt werden.«

»Hund!« knirrschte der Gouverneur. »Ihr habt uns betrogen.«

»Aber Ihr uns nicht; dazu wart Ihr ja zu dumm. Ein Christ wird sich niemals von einem Moslem betrügen lassen: das merke Dir. Lebt wohl!«

Da zeigte der Gouverneur mit zorniger Geherde nach dem Schiffe und gebot seinen Leuten:

»Nehmt die Ruder. Wir legen wieder an!«

Sie gehorchten. Der Capitän merkte dies und kommandirte:

»Hollah, Männer! Die Segel in den Wind, und das Steuer zum Wenden!«

Dieser Befehl wurde sofort befolgt und eben als das Boot das Schiff wieder berühren wollte, machte dasselbe eine rasche Wendung, so daß die Berührung zu einem Zusammenstoße wurde, in Folge dessen das Boot umschlug. Seine ganzen Insassen stürzten in das Wasser und hatten Mühe, sich in demselben zu erhalten.

Da erscholl vom Ufer her ein lauter Freudenruf. Der Sultan, welcher von zweien seiner Leute unterstützt wurde, blickte hinüber und erkannte die beiden Somali, welche auf seinen Kameelen am Wasser hielten und laut seinen Fall bejubelten.

»Diese Hunde sind die Führer gewesen; sie haben meine Thiere!« pustete er, indem er Seewasser schluckte. »Schnell ans Ufer; wir müssen sie fangen!«

Die auf dem Decke des Schiffes Stehenden sahen, wie die im Wasser Schwimmenden sich Mühe gaben, das Ufer zu erreichen; kaum aber waren sie dort angelangt, so stießen die beiden Somali einen höhnischen Jubelruf aus und galoppirten auf ihren schnellfüßigen Thieren davon. Die beiden großen Herren hatten auch hier das Nachsehen.

»Man sieht es, daß er vor Wuth bersten möchte,« sagte der Graf. »Wehe denjenigen von seinen Leuten, über welche sich sein Zorn entladen wird!«

»Es wird ihnen gehen wie mir, wenn ich wieder nach Zeyla komme,« klagte der Dolmetscher.

»Wie so?«

»Der Gouverneur wird mich gefangen setzen.«

»So giebt es ein sehr vorzügliches Mittel: Du gehst ganz einfach nicht wieder hin und den Schaden, der Dir daraus erwächst, werde ich Dir ersetzen.«

Damit schien der Mann zufrieden zu sein.

Das Schiff hatte in kurzer Zeit die See wieder gewonnen, und die Küste verschwand nach und nach den Augen. Der Kiel war gegen Osten nach Indien gerichtet, da der Capitän ja wußte, daß seine neuen Passagiere nach Calcutta wollten. Es wurde wenig gesprochen, denn ein Jeder hatte mit seinen eigenen Gedanken zu thun.

Im Laufe des Nachmittags begegnete man einem englischen Kauffahrer, welcher aus Ceylon kam und nach Aden wollte. Er nahm den Dolmetscher, der nun


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nicht mehr gebraucht wurde, mit an Bord, nachdem derselbe von dem Grafen sehr reichlich beschenkt worden und für etwaigen Schaden also entschädigt worden war.

Da in jenen Breiten die Hitze eine fast unausstehlich drückende ist, so wurde der Tag entweder verschlafen oder verträumt, denn die Führung des Schiffes erforderte bei dem günstigen Winde keinerlei besondere Arbeit. Als aber der Abend nach der kurzen Dämmerung hereingebrochen war, versammelten sich auf dem Hinterdecke die Passagiere um den Capitän, um sich mit ihm über das Weitere zu besprechen.

Er war natürlich begierig, Etwas über die Schicksale der Leute zu vernehmen, zu deren Rettung er so viel beigetragen hatte. Er war ein biederer, gutherziger Deutscher, der gern einem Andern seine Hilfe angedeihen ließ. Das prächtige Geschäft, welches er in Zeyla gemacht hatte, erhöhte nebst seiner guten Stimmung auch die Bereitwilligkeit, zum Wohle seiner Nebenmenschen das Möglichste beizutragen. Er ahnte, daß hier ganz außerordentliche Verhältnisse statt haben müßten und lenkte in Folge dessen die Unterhaltung, welche zuerst ganz gewöhnliche Dinge zum Gegenstand hatte, auf Näherliegendes.

Der Graf seinerseits erkannte sehr wohl, daß er dem Capitän seine Rettung zu verdanken habe. Er hatte ihn als einen ebenso thatkräftigen, wie aufopferungswilligen Mann kennen gelernt. Er sagte sich ferner, daß ihm die weitere Mithilfe des Capitäns von sehr großem Nutzen sein könne und beschloß, aufrichtig gegen ihn zu sein und ihn zum Mitwisser seiner Schicksale zu machen. Aus diesem Grunde antwortete er auf die verblümte Anfrage des Seemannes:

»Sie haben bewiesen, daß ich Sie als Freund betrachten darf; ich bin nicht in der Lage, Ihre Bereitwilligkeit, uns Hilfe zu leisten, zurückzuweisen und ich muß Ihnen einige Geheimnisse aus meiner Familie mittheilen, damit Sie selbst beurtheilen können, in welcher Weise es Ihnen möglich ist, uns auch fernerhin nützlich zu sein.«

Jetzt sah sich der Capitän in das richtige Fahrwasser gebracht.

Er stieß ein höchst zufriedenes Brummen aus, streckte die Beine behaglich von sich, schob ein neues Stück Kautabak in den Mund und sagte dann:

»Sennor, ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie sich auf mich verlassen können. Was Sie mir erzählen werden, soll kein Mensch weiter erfahren, wenigstens ohne Ihre Erlaubniß nicht, und was ich als einfacher Mann für Sie thun kann, das soll ganz sicher geschehen. Der gute Wille dazu ist vollständig vorhanden.«

»Nun wohl, mein lieber Sennor Wagner! So sagen Sie mir zunächst, ob Sie vielleicht ein Schiff kennen, welches den Namen »La Pendola« führt.«

Der Capitän sann einen Augenblick nach und sagte dann:

»La Pendola? Ein spanisches Schiff? Ja. Ich habe es im Hafen von Portsmouth gesehen und bin ihm dann auch auf hoher See begegnet. Ich war damals noch zweiter Steuermann. Die Pendola war als einer der besten Segler bekannt.«

»Kannten Sie auch den Capitän dieses Schiffes?«

»Einen gewissen Landola? Ja. O, die Seeleute kennen einander alle. Er sollte ein Spanier sein, schien mir aber mehr das Aussehen eines Yankee zu haben.«

»Wie hat Ihnen der Mann gefallen?«


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»Hm! Ich habe ihn in Portsmouth in einer Hafentaberne gesehen. Mir hat er keineswegs gefallen. Der Mann hat etwas Abstoßendes an sich. Wir Wasserratten kümmern uns zwar nicht viel um das Gesicht anderer Leute, aber die Augen dieses Mannes sind mir doch aufgefallen, zu seinem Vortheil aber nicht.«

»Nun, dann frage ich Sie ferner, ob Sie nicht vielleicht ein anderes Schiff kennen, welches »Le Lion, der Löwe« genannt wurde.«

»Le Lion? Donnerwetter! Meinen Sie vielleicht den berüchtigten Seeräuber?«

»Ja. Capitän Grandeprise, nicht wahr?«

»Allerdings. Und da fragen Sie, ob ich den nicht kenne? Den kenne ich ebenso gut, wie jeden anderen Seemann, und vielleicht noch ein Weniges besser.«

Im Scheine der Schiffslaterne zeigte es sich, daß seine Brauen sich finster zusammenzogen und seine Augen zornig leuchteten. Erst nach einer Weile fuhr er fort:

»Warum fragen Sie mich nach diesem Hallunken?«

»Weil er in meiner Erzählung, überhaupt in meinem Leben eine große Rolle spielt.«

»In dem meinigen auch, Sennor. Zwar war diese Rolle nicht sehr groß, denn ich bin sehr bald wieder von ihm fortgekommen, aber - - -«

»Fortgekommen?« unterbrach ihn der Graf schnell. »Sind Sie bei ihm gewesen?«

»Ja freilich!«

»Als Seeräuber?«

»Ja,« nickte der Capitän. »Als was Anderes denn?«

Er erhob sich, um seinen Kautabak grimmig über Bord zu spucken, und fuhr dann fort:

»Das wundert Sie? Nicht wahr, nun ist Ihr ganzes Vertrauen weg? Nun können Sie mich nicht mehr für einen ehrlichen Menschen halten?«

»Warum nicht?«

»Nun, einen Seeräuber?«

»Pah! Ich kenne Einen, der ebenso wie Sie bei Capitän Grandeprise in Diensten stand und doch ein sehr ehrlicher Mann ist.«

»Ah, den möchte ich sehen!«

»Hier sitzt er.«

Bei diesen Worten zeigte der Graf auf den Gärtner, welcher bei ihnen saß. Der Capitän blickte diesen betroffen an und fragte:

»Sie? Sie sind auf dem Lion gewesen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Freiwillig?«

»Gott und die heilige Jungfrau sollen mich bewahren! Ich wurde gepreßt.«

»Gerade wie ich! Aber wie entkamen Sie?«

»Auf eine sehr schlimme Weise. Ich gehorchte nicht und wurde deshalb als Sclave verkauft. Auf diese Weise kam ich nach Härrär, von wo ich mit dem Herrn Grafen entflohen bin.«

»Alle Teufel, so sind Sie also doch ein braver Kerl! Na, mit mir war es


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ja aber eben ganz dasselbe. Auch ich wurde gepreßt und ließ mich nicht dazu bringen, an den Schandthaten dieser Kerls theilzunehmen.«

»Und wie entkamen Sie?«

»Hm! Eigenthümlich! Es war dies eben ein Beweis, daß es selbst unter Piraten noch Leute giebt, die ein gutes Herz besitzen. Kennen Sie Barcelona?«

»Ei freilich,« antwortete der Graf. »Rodriganda, mein Stammschloß liegt in der Nähe.«

»Nun gut. Dort war ich mit einer Barke von Stralsund. Sie gehört dem alten Walter Sömbaum und sollte Oel und Südfrüchte laden. Kam das Schiff glücklich nach Hause, so wollte mir der Alte seine Tochter geben. Wir hatten uns lieb und ich freute mich wie ein Junge auf die Hochzeit. Aber da in diesem unglücklichen Neste - ah, ich entsinne mich, daß da auch die Pendola lag, Capitän Landola, und neben ihr lag eine französische Brigg, ein nettes, schmuckes Ding, welches ich mir gern einmal genauer angesehen hätte. Ich bat den Alten, an Land gehen zu dürfen und erhielt die Erlaubniß dazu. In einer Tabagie traf ich einige Leute von der Brigg, machte mich mit ihnen bekannt und erhielt das Versprechen, ihr Schiff ansehen zu dürfen. Sie nahmen mich mit. Aber kaum war ich an Bord, so wurde ich in den Kielraum geführt und dort mit Tauen angefesselt. Des Nachts ging die Brigg in See und am andern Tage erfuhr ich, daß sie ein Seeräuber sei. Sie war erst kürzlich von Grandeprise gekapert worden und stand unter dem Commando seines ersten Steuermanns. Den Capitän selbst habe ich niemals gesehen, denn er hatte, wie ich hörte, mit seinem Hauptschiffe in Westindien zu thun.«

»Und wohin gingen Sie?« fragte der Graf.

»Erst nach dem mittelländischen Meere und dann, da hier nichts zu machen war, nach Südamerika. Wir gingen um Kap Horn herum, ohne eine Prise machen zu können und dann an Amerika hinauf. An der Küste von Peru gelang es mir mit Hilfe eines braven Kerls, der Erbarmen mit mir hatte, während einer stockdunkeln Nacht das kleine Boot in See zu lassen und nach der Küste zu entkommen. Er selbst wollte nicht mit; dennoch werde ich ihn nie vergessen. Er hieß Garbilot.«

»Garbilot? Jaques Garbilot?« fragte da Emma rasch.

»Ja,« antwortete der Capitän erstaunt. »Kennen Sie ihn?«

»Ja.«

»Das ist ja ganz unmöglich, denn es sind viele Jahre - ach, ich Dummkopf! Er kann ja noch leben! Wo haben Sie ihn kennen gelernt, Sennora?«

Die Mexikanerin antwortete:

»Ich meinte nicht, daß ich ihn persönlich kennen gelernt habe. Es wurde mir von ihm erzählt. Er lebt nicht mehr. Er ist im Gefängnisse zu Barcelona gestorben und ein Freund von mir, Namens Sternau, hat seine Beichte gehört.« Und sich zu dem Grafen wendend, fuhr sie fort: »Dieser Jaques Garbilot ist nämlich der Steuermann, welcher dem Doctor Sternau erzählte, daß er mit dem Seeräuber im Hafen von Vera Cruz gewesen sei. Dadurch kam Sternau zuerst auf die Vermuthung, daß Sie noch leben möchten und nicht gestorben, sondern an irgend einen sicheren und geheimen Ort gebracht worden seien.«


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»Gottes Wege sind wunderbar,« sagte der Graf. »Er zieht seine geheimnißvollen Fäden so, daß man erstaunt, wenn man sie bemerkt. Aber erzählen Sie, wie es Ihnen weiter erging, Capitän!«

»Wie es mir erging?« fragte dieser mit finsterer Miene. »Schlecht genug! Ich fand kein Schiff, welches mich aufnehmen wollte. Ich mußte hungern und kummern, bis sich endlich nach Dreivierteljahren ein Holländer mein erbarmte. So kam ich nach Amsterdam und von da nach Hause. Inzwischen waren zwei Jahre vergangen. Der alte Walter Sömbaum hatte mich für einen Ausreißer gehalten und seine Tochter beredet, einen Anderen zu nehmen. Als ich ihr erzählte, wie es mir ergangen war, weinte sie sich fast die Augen aus. Das Schlimmste aber ist, daß ich mir dann, freilich erst nach längeren Jahren, eine Niete gezogen habe, eine ganz gewaltige Niete. Und wer ist daran schuld? Der Grandeprise! Alles wollte ich ihm vergeben; aber daß ich die Anne Sömbaum nicht bekommen und an ihrer Stelle einen Schnabeldrachen geheirathet habe, das vergesse ich ihm nie. Hätte ich ihn nur einmal so recht hübsch zwischen meinen Fäusten! Ich wollte ihn kalfatern, daß ihm die Seele aus dem Leibe führe wie die Nudeln aus der Kartoffelquetsche!«

Seine Worte klangen komisch, aber sein Zorn war nichts desto weniger ein ganz ernsthafter. Man sah es ihm an, daß er ein tüchtiges Maß von Rachegefühl in seinem Herzen führte. Darum fragte ihn der Graf:

»Wann haben Sie den Capitän Landola in Portsmouth gesehen? Vor- oder nachdem Sie zum Piraten gepreßt worden waren?«

»Einige Zeit nach meiner Rückkehr. Es war auf meiner ersten Wiederfahrt.«

»Wie schade, wie jammerschade, daß Sie ihn nicht vorher gesehen hatten!«

»Weshalb?«

»Nun, weil Landola und Grandeprise eine und dieselbe Person sind.«

Der Capitän sprang erstaunt auf und rief:

»Unmöglich!«

»Nicht unmöglich sondern wirklich!«

»Ah, da geht mir ein gewaltiges Licht auf! Aber da schlage doch sogleich das Wetter drein! Da hätte ich ihn ja packen können! Na, zum zweiten Male soll mir es nicht passiren, daß ich ihn entkommen lasse!«

»Als Piraten werden Sie ihn wohl nicht fangen können. Seit jener Zeit sind lange Jahre vergangen und die Gegenwart ist diesem gefährlichen Handwerke nicht mehr günstig. Vielleicht hat er sein letztes Stück und zugleich sein Meisterstück an unsern Freunden gespielt, welche er auf die Insel aussetzte.«

»Auf die Insel? Auf welche?« fragte der Capitän.

»Das ist es ja eben, was ich Ihnen erzählen muß, Sennor Wagner. Hören Sie!«

Nach diesen Worten berichtete er dem deutschen Seemanne Alles, was er für nöthig hielt. Capitän Wagner hörte schweigend zu, ohne ihn zu unterbrechen. Nur das öftere, wechselseitige Ueberschlagen seiner Beine und sein häufiges, zorniges Ausspucken des Kautabaks verrieth, welchen Eindruck das Gehörte auf ihn mache. Aber als der Graf geendet hatte, stand er auf, machte zur Beruhigung seines Innern ein paar Gänge quer über das Verdeck und sagte dann:


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»Unerhört! Abscheulich! Entsetzlich! Und das Alles ist wahr, ist wirklich wahr?«

»Alles,« antwortete Don Ferdinando einfach.

»So soll ihn der Teufel holen! Nein, nicht nur einer, sondern tausend Teufel sollen ihn holen! Was ist da das, was er mir gethan hat, dagegen! Was ist da meine Anne Sömbaum dagegen! Schreit da nicht Ihr ganzes Herz nach Rache?«

»Das versteht sich! Rächen werden wir uns, wenn er noch lebt.«

»Noch lebt? Solche Hallunken sterben schwer, Don Ferdinando. Ich möchte wetten, daß er noch nicht in der Hölle bratet. Aber sagen Sie mir um Gottes willen, wie es Ihnen gewesen ist, als sie scheintodt dalagen!«

»Fürchterlich; ich darf kaum daran denken!«

»Ich glaube es Ihnen! Sie hörten Alles?«

»Jedes Wort.«

»Und sahen auch Alles?«

»Alles. Man hatte vergessen, mir das eine Auge zuzudrücken. Ich konnte die wahre Trauer von der falschen unterscheiden. Dieser Schurke Alfonzo, der sich jetzt für den ächten Grafen von Rodriganda ausgiebt, konnte seine teuflische Freude nicht verbergen, mich auf dem Paradebette liegen zu sehen. Es gab nur eine einzige Seele, welche mich wahrhaft beweinte; das war die gute Maria Hermoyes.«

»Und wir? Ich und mein Vater, Don Ferdinando?« fragte Emma vorwurfsvoll.

»Ich spreche ja nur von Personen, welche anwesend waren,« antwortete er; »Ihr aber befandet Euch auf Eurer Hazienda. Ich hatte mein Testament gemacht und mußte zusehen, daß es dieser Cortejo entwendete. Ich wurde unter großem Gepränge begraben, nachdem der Arzt constatirt hatte, daß ich wirklich todt sei. Ich will selbst meinem ärgsten Feinde nicht wünschen, das zu leiden, was ich in jenen Augenblicken gelitten und gefühlt habe; nur diesem Cortejo und diesem Landola möchte ich ein Gleiches gönnen.«

»Es muß wirklich entsetzlich gewesen sein,« sagte Emma, indem sie sich vor Grauen schüttelte.

»So entsetzlich, daß es nicht zu beschreiben ist,« antwortete der Graf. »Alles sehen, Alles hören und doch kein Glied rühren, kein Lebenszeichen geben können. Ich fühlte, daß meine Pulse stockten und mein Athem versagte. Das Blut lag mir wie kaltes Blei in den Adern und der Luftstrom kroch langsam und eisig wie ein Salamander aus meiner Brust. Das Leben zog sich bis in das Herz zurück, und doch waren alle meine Nerven in angestrengtester Thätigkeit. Ich hätte meine Seligkeit für einen einzigen Laut, für die Bewegung eines einzigen Fingers bieten mögen, und lag doch da, ohne Rettung und Hoffnung, das Opfer eines fürchterlichen Betruges, einer teuflisch raffinirten Gaunerbande.«

Er schüttelte sich. Es war, als ob das damalige Todesgrauen sich selbst auch in der Erinnerung seiner bemächtigen wolle. Doch über ihm glänzten die Sterne des Südens und unter ihm plätscherten die hell schaumigen Wogen der klaren, durchsichtigen See. Die Kühle des Abends umkoste seine Wangen und theilnahms-


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volle Augen blickten auf ihn. Er fühlte die warme Hand Emmas auf seiner Schulter, von einer Bewegung ihres Herzens nach dieser Stelle getrieben.

»Und dann, im Grabe?« fragte der Capitän.

»Fragen Sie Dante, den Dichter der Hölle; er wird Ihnen nicht sagen können, was ich fühlte. Es reicht ja keine Sprache und keine Zunge aus, dies zu beschreiben. Man grub mich aus und transportirte mich auf ein Schiff. Man stellte den Korb aufrecht in die Coje und erwartete mein Erwachen. Es kam langsam. Erst vermochte ich, die Zunge zu bewegen, doch ohne sprechen zu können. Von diesem Augenblicke an verging fast ein Tag, ehe ich des Gebrauches meiner Glieder mächtig wurde. Inzwischen hatte man mich in den Raum geschafft. Das Uebrige wißt Ihr. Landola sagte mir sehr aufrichtig, daß ich nur leben solle, um nöthigenfalls als Zwangsmittel zu dienen. Ich wurde in Berbera verkauft und nach Härrär gebracht, wo ich erst nach so langen Jahren Rettung fand.«

Er schwieg. Er hatte Alles erzählt, was nöthig war, auch das, was er während seiner Flucht nach der Küste von Emma über die Schicksale der jetzigen Bewohner der Insel gehört hatte. Der Capitän war der Erste, welcher das Wort ergriff.

»Was gedenken Sie nun zu thun, Don Ferdinando?« fragte er.

»Daß wir nach Calcutta wollen, wissen Sie - - -«

»Um ein Schiff zu miethen?« fiel Wagner ein.

»Oder zu kaufen,« antwortete der Graf.

»Alle Wetter, das kostet Geld!«

»Ich bin damit versehen.«

»War der Schatz des Sultans so groß?«

»Er reicht zu,« lächelte der Graf.

»Aber Sie möchten jedenfalls kein billiges Fahrzeug nehmen, kein Segelschiff, welches vielleicht gar nicht mehr gut seetüchtig ist.«

»Nein. Die Fahrt per Segelschiff währt mir zu lange. Es gilt, den armen Freunden so schnell als möglich Rettung zu bringen.«

»Aber ein Dampfer ist theuer, Sennor!«

»Ich bezahle jede Summe.«

»Es könnte sogar der Fall vorhanden sein, daß keiner zu verkaufen ist.«

»Auch nicht, wenn ich Millionen biete?« fragte Don Ferdinando.

»Alle Teufel, dann jedenfalls!« rief der Capitän. »Ein entflohener Sclave, der mit Millionen nur so um sich wirft, ist jedenfalls eine Merkwürdigkeit!«

»Nun gut. Verstehen Sie sich auf die Führung eines Dampfers?«

»Ich sollte es meinen. Die Hauptsache ist ein tüchtiger Maschinist, denn mit der Maschine hat der Capitän wenig oder gar nichts zu thun.«

»Ich bin Ihnen bereits zu großem Danke verpflichtet und darum mag ich Sie kaum fragen, ob Sie den großen Ocean kennen.«

»Kennen?« lachte Wagner. »Ob ich ihn kenne! Wie meine Tasche! Ich bin als Schiffsjunge und dann später fast jeden Längen- und Breitengrad durchsegelt. Ich kenne alle Wasser und Wässerchens; nur in der hiesigen See, die wir jetzt vor uns sehen, bin ich noch nicht gewesen. Aber warum fragen Sie?«


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»Weil ich Vertrauen zu Ihnen habe. Ich möchte wünschen, daß Sie es seien, der uns nach der Insel bringt.«

»Ich? Halloh! Ist das Ihr Ernst?«

»Mein vollständiger.«

»Gern, von Herzen gern!« rief da der Capitän. »Don Ferdinando, Sie sprechen mir aus der Seele. Ihre Schicksale sind so außerordentlich, daß Ihnen meine vollste Theilnahme gehört. Wollen Sie es wirklich mit mir altem Seehund versuchen, so hoffe ich, daß Sie mit Gottes Hilfe mit mir zufrieden sein werden.«

»Aber dieses Schiff hier?«

»Keine Sorge! Wir haben ganz unvergleichliche Geschäfte gemacht. Ich brauche nur in Calcutta eine Ladung zu nehmen, so bin ich fertig. Mein Steuermann bringt sie glücklich heim. Er ist zuverlässig und wird mich bei meinem Rheder entschuldigen.«

»Prächtig! So sind wir einig?«

»Einig!« nickte der Capitän.

»Topp?«

»Topp!«

Die Hände der Beiden schlugen kräftig zusammen und so war das Engagement getroffen, welches sich in der Folge als so günstig erweisen sollte.

Der Wind wehte außerordentlich günstig und das Schiff war kein schlechter Segler; darum wurde Calcutta nach nicht viel über drei Wochen erreicht. Capitän Wagner fand dort passende Ladung, und während seine Leute beschäftigt waren, dieselbe zu stauen, sah er sich nach einem Dampfer um. Leider war keiner zu finden, der für irgend einen Preis verkäuflich gewesen wäre. Diejenigen, welche im Hafen lagen, waren Eigenthum von Regierungen oder Gesellschaften, so daß nicht eigenmächtig über sie verfügt werden konnte. Schon wollte Wagner zweifeln, ob er hier überhaupt seinen Zweck erreichen könne, als ein Engländer auf einem eigenen Steamer ankam und, da er als Offizier hier bleiben wollte, das Fahrzeug zum Verkauf bot.

Diese Gelegenheit kam so günstig und unerwartet, daß sie von Wagner augenblicklich benutzt wurde. Er untersuchte das Fahrzeug, fand es neu und vortrefflich, kaufte es zu einem nicht zu hohen Preise und behielt das sämmtliche Personal in seinem Dienste, was diesen Leuten vollständig willkommen war.

Bei den ungeheuren Reichthümern, welche in Calcutta aufgespeichert liegen, den zahlreichen Millionären, welche es dort giebt und dem bedeutenden Handel, den man daselbst mit Edelsteinen und Perlen treibt, wurde es dem Grafen nicht schwer, seine Kostbarkeiten so weit zu verkaufen, daß er eine hinreichende Summe in die Hand erhielt.

Der Dampfer wurde sogleich bezahlt, verproviantirt, mit Kohlen und allem Anderen versehen, was nothwendig war. Auch sich selbst rüsteten die Reisenden aus. Emma erhielt nun wieder Damenkleider und der Graf gönnte sich und dem treuen Bernardo alle Annehmlichkeiten, auf welche zu verzichten sie Beide so lange Zeit gezwungen gewesen waren.

Ueber sein Vorhaben beobachtete er die größte Verschwiegenheit, da man nicht wissen konnte, ob das Gegentheil von nützlichen Folgen sein werde. Nur dem


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spanischen Consul vertraute er sich an, der ihn mit Legitimation und anderen nothwendigen Papieren versah und ihm auch außerdem in jeder Hinsicht förderlich war. Dann endlich konnten die Anker zur rettenden Fahrt gelichtet werden.

Die Hauptsache war, die Lage der einsamen Insel zu wissen. Emma hatte dieselbe zwar so angegeben, wie sie von Sternau bestimmt worden war; aber dieser hatte nicht die nöthigen und genauen Instrumente gehabt, und so mußte trotz des Reichthumes seiner Kenntnisse seine Angabe eine mangelhafte sein. Es galt also, in der angegebenen Gegend so lange zu suchen und zu kreuzen, bis die Insel gefunden war.

Da jetzt ein glücklicher Passatwind wehte, so ging die Fahrt unter Zuhilfenahme der Segel rasch von Statten. Es wurden an mehreren Stellen Kohlen eingenommen, und endlich erreichte der Dampfer Ducie, die östlichste der Pomutu-Inseln.

Fünfzehn Grad nach Süden und dreizehn Grad nach Osten von hier, ganz in der Länge der Osterinseln, sollte nach Sternaus Berechnung das Eiland liegen. Capitän Wagner begann also zu kreuzen. Dies that er mehrere Tage lang, aber ohne allen Erfolg. Da man hier sehr leicht auf unterirdische Korallenklippen stößt, so mußte man sehr vorsichtig sein; darum gab er des Nachts keinen Dampf und ließ das Schiff vor schleppendem Anker treiben. Auf diese Weise wurde ein doppelter Zweck erreicht: man vermied die Gefahr, aufzulaufen und man ersparte Kohlen, von denen der Dampfer, da seine Größe keine bedeutende war, nur einen derselben entsprechenden Vorrath aufzunehmen vermochte.

Eines Nachts stand Wagner, der jetzt nur am Tage einige Stunden ruhte, auf der hohen Kommandobrücke und musterte den mit glänzenden Sternen besäten Horizont. Neben ihm stand der Graf, das Nachtrohr am Auge. Da machte der Capitän eine rasche Bewegung und sagte:

»Bitte, Don Ferdinando, lassen Sie mir einmal das Rohr!«

»Hier! Sehen Sie Etwas?« fragte der Graf.

»Hm! Da hinten, ganz am Meere bemerke ich einen Stern, dessen Licht mir ungewöhnlich erscheint. Fast möchte ich wetten, daß er unter dem Horizonte steht.«

»Dann wäre es ja kein Stern!«

»Nein, sondern ein künstliches Licht, eine Flamme.«

Er nahm das Rohr an das Auge und blickte lange Zeit forschend hindurch. Endlich setzte er es ab, und sagte im Tone bestimmtester Ueberzeugung:

»Es ist kein Stern.«

»Ah! Vielleicht die Laterne eines Schiffes, welches uns entgegenkommt?«

»Nein. Es ist die Flamme eines Feuers, welches am Lande brennt.«

»Mein Gott, wir nähern uns also einer Insel?«

»Jedenfalls.«

»Und Sie glauben nicht, daß Sie irren, Capitän?«

»Nein, ich irre nicht. Mein Rohr hat mich noch nie betrogen. Zwar weiß ich es aus meiner heutigen Rechnung ganz genau, an welchem Punkte wir uns befinden und an demselben ist auf meiner sonst ausgezeichneten Karte keine Insel


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verzeichnet: aber daraus ist doch nur zu schließen, daß wir uns einer bisher unbekannten Insel nähern.«

»Gott, wenn es die gesuchte wäre!«

»Ich wünsche es von Herzen!«

»Soll ich Sennora Emma wecken?«

»Nein, noch nicht. Sehen Sie jetzt hin. Das Feuer scheint zu verlöschen.«

Der Graf bemerkte auch, daß der Lichtschein langsam zusammensank. Er sagte:

»Vielleicht war es irgend ein Meteor, aber kein künstliches Feuer.«

»Es war ein Feuer von Menschenhänden angebrannt. Sehen Sie, jetzt ist es vollständig verlöscht, während es vor kaum zwei Minuten hoch aufloderte. Was würden Sie aus diesem Umstande schließen, Graf?«

»Daß das Brennmaterial ein sehr leichtes ist.«

»Richtig! Und dies paßt ganz auf das gesuchte Eiland. Ein Feuer, welches durch Holzstämme oder ein anderes kräftiges Material genährt wird, fällt nicht so schnell zusammen und Sennora Emma hat uns gesagt, daß Holz da eine Seltenheit ist.«

»Sie wollen also behaupten, daß dort, wo wir das Licht gesehen haben, jetzt Menschen vorhanden sind?«

»Ja.«

»Werden sie unser Licht sehen?«

»Nein. Das Licht war meiner Schätzung nach ungefähr drei Seemeilen von uns entfernt. Ihre Flamme flackerte hoch, unsere Laterne giebt nur ein kleines, ruhiges Licht.«

»Und wenn sie es dennoch bemerken, werden sie es für einen Stern halten.«

»Jedenfalls. Ich werde ihnen aber ein Zeichen geben.«

Er befahl, mehrere Raketen steigen zu lassen. Dies geschah, doch ohne allen Erfolg.

»Man bemerkt uns nicht,« sagte Wagner. »Hätten sie unser Signal gesehen, so würden sie jedenfalls geantwortet haben, indem sie die Flamme wieder anfachten. Wir werden bis morgen warten müssen.«

»Wer kann dies aushalten!« sagte der Graf im Tone der Ungeduld.

»Wir, Sennor,« antwortete der Capitän.

»Können wir nicht Dampf geben, um näher zu kommen?«

»Nein. Sennora Emma hat gesagt, daß die Insel von gefährlichen Klippen umgeben ist, vor denen wir uns hüten müssen. Wir haben Windstille, aber einen leichten Seegang von West nach Ost. In Folge dessen treiben wir vor Anker langsam aber stetig weiter und werden bei Tagesgrauen sehen, was wir vor uns haben.«

Der Graf blieb eine Weile ruhig. Es setzte sich in ihm die Ueberzeugung fest, daß das Ziel endlich erreicht sei, und darum beendete er diese Pause mit der Frage:

»Wollen wir nicht eine Kanone lösen, Capitän?«

»Ich möchte davon abrathen,« meinte der Gefragte.

»Warum?«


// 1405 //

»Aus mehreren Gründen. Ist diese Insel eine andere als die gesuchte, so sind die Menschen, welche da wohnen, wahrscheinlich Wilde, welche sich aus Furcht verstecken würden, wenn sie die Schüsse hörten. Ueberraschen wir sie aber mit Tagesanbruch, so können wir bei ihnen Erkundigungen einziehen, die uns vielleicht nützlich sein werden.«

»Ist es aber dennoch die gesuchte - - -?«

»So erreichen wir durch die Schüsse nichts weiter, als daß wir den Schlaf dieser armen Leute und auch den von Sennora stören. Dies ist zwar kein stichhaltiger Grund, da er mehr als zur Genüge aufgewogen würde durch die Freude, endlich die ersehnte Rettung nahe zu wissen; aber ich bin ein Egoist; ich möchte diese Leute überraschen.«

»Ah, ich verstehe!« nickte der Graf.

»Ja, und die Sennora auch. Darum werde ich sogar die Laterne auslöschen lassen.«

Er gab den Befehl dazu und beorderte zugleich einen Mann hinaus in die Sprietwanten, um auf das Geräusch der Wellen zu horchen und vor einer etwaigen Brandung zu warnen.

So verging eine Viertelstunde nach der andern. Der Capitän bat den Grafen, sich zur Ruhe zu begeben, dieser aber konnte sich nicht dazu entschließen. Er wanderte unruhig auf dem Verdecke hin und her. Die Minuten wurden ihm zu Stunden und die Stunden zu Wochen, bis endlich kurz vor Anbruch des Morgens der Ausguck warnte:

»Brandung im Steuer vor uns!«

»Fall ab nach Backbord!« kommandirte der Capitän.

Das Schiff drehte sich gehorsam nach links und ließ die gefährliche Stelle rechts liegen. Nach einiger Zeit begann es, am östlichen Horizonte zu grauen, und wenige Minuten später erkannte man die noch unbestimmten Umrisse einer Insel, welche von einem Ringe von Korallenklippen umgeben war, durch den es nur eine einzige Pforte zu geben schien. Die See war so ruhig, daß dieser Eingang, wenigstens heut, nicht schwer zu passiren war. Nach einigen Minuten konnte man die Masse der Insel deutlich erkennen. Man bemerkte eine mit Sträuchern bewachsene Höhe, aber keine Spur von einer menschlichen Wohnung, trotzdem diese Sträucher so regelmäßig in Reihen standen, daß anzunehmen war, sie seien auf künstliche Weise gepflanzt worden. Der Graf kam auf die Kommandobrücke herauf und fragte:

»Nun, Capitän, was denken Sie?«

Seine Stimme zitterte unter einer Erregung, deren er nicht Herr werden konnte.

Da sah ihm der Capitän ernst und feuchten Blickes in das Auge und antwortete:

»Wir sind am Ziele, Don Ferdinando.«

»Wirklich? Glauben Sie das bestimmt?« rief der Graf in lautem Tone.

»Pst!« warnte Wagner. »Sie werden mir die Sennora wecken!«

»Warum soll sie nicht geweckt werden?«


// 1406 //

»Weil ich sie überraschen will. Sie soll die Gefährten an Bord sehen, wenn sie erwacht.«

»Ah, so wollen Sie vorerst ohne sie an das Land?«

»Ja.«

»Aber mich nehmen Sie mit?«

»Das versteht sich ganz von selbst!«

»Aber welche Gründe haben Sie, zu glauben, daß diese Insel die gesuchte ist?«

»Weil sie ganz mit der Beschreibung stimmt, welche die Sennora uns von ihr gegeben hat. Ich beginne, auch in nautischer Beziehung alle Achtung vor diesem Sternau zu haben. Er hat trotz des Mangels aller Instrumente die Lage des Eilandes fast ganz genau angegeben. Ich hätte diesen Punkt eher aufsuchen sollen.«

»Ich sehe aber keine Wohnungen!«

Der Capitän zuckte lächelnd die Achsel und antwortete:

»Sie werden hinter der Anhöhe liegen, wo sie vor den Stürmen geschützt sind. Lassen Sie uns Anker werfen und leise ein Boot aussetzen. Die Bewohner dieses Ländchens werden im tiefsten Morgenschlafe liegen.«

Die Hälfte der Mannschaft, welche noch zur Ruhe lag, wurde vorsichtig geweckt und dann führte man mit möglichster Vermeidung alles Geräusches den Befehl des Capitäns aus. Er stieg mit dem Grafen und vier Ruderern in das Boot. Die Mannen kannten alle den Zweck der Fahrt und waren begierig, zu erfahren, ob die gesuchte Insel endlich gefunden sei. Sie freuten sich bereits im Voraus ganz so, als ob sie eigene Freunde und Verwandte zu entdecken hätten.

Das Boot stieß ab und gelangte glücklich durch die Oeffnung der Klippen. Am Strande wurde es angelegt; die Ruderer blieben zurück, während der Capitän und der Graf langsam und vorsichtig vorwärts schritten.

Sie umgingen den Hügel und erblickten nun zunächst eine Reihe von niedrigen Hütten, welche aus Erde und Zweigen errichtet waren. Die Thüren derselben waren durch Felle verhängt, und ringsum bemerkten sie eine Menge Gegenstände, deren Zweck nicht sogleich zu erkennen, sondern erst zu errathen war. Rings um die Hütten standen die Sträucher kräftiger als oben auf dem Hügel. Sie waren meist ihrer Aeste beraubt, so daß deutlich das Bestreben zu erkennen war, Stämme aus ihnen zu ziehen, jedenfalls um ein Floß zu bauen.

Die beiden Männer bemerkten aber noch Etwas.

Gerade vor ihnen stand nämlich an dem letzten der Büsche eine ungewöhnlich hohe und breitschulterige Gestalt. Sie war in eine Hose und eine Jacke gekleidet, welche ganz aus Kaninchenfellen gefertigt waren; die Füße steckten in einer Art von Sandalen und auf dem Kopfe saß ein Hut, welcher augenscheinlich aus einer langblätterigen Grasart geflochten war. Der volle schwarze Bart dieses Mannes reichte bis weit über die Brust herab und ebenso floß sein reiches, dunkles Haupthaar über die Schultern herab. Seine Gesichtszüge waren von den Stürmen gegerbt, aber edel, und sein großes offenes Auge, welches mit dem Ausdrucke der Andacht an der aufsteigenden Morgenröthe hing, zeigte Intelligenz, welche mit seiner primitiven Kleidung außerordentlich im Widerspruche stand. Es war Sternau.

Was dachte dieser Mann? Welche Gefühle waren es, unter denen seine breite


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Brust sich sichtlich hob und senkte? Da im Osten, wo die Röthe des neuen Tages zu erglühen begann, lag Amerika, und noch weiter hinüber die Heimath mit all den Lieben, mit Mutter und Schwester, mit Weib und - - Kind. Ja, hatte er wirklich ein Kind? Lebten sie noch, die seinem Herzen so unendlich theuer waren, oder waren sie gestorben vor Gram und Herzeleid? Hier an dieser Stelle hatte er, als Erster, der des Morgens seine Hütte verließ, täglich im Gebete gelegen, lange, lange Jahre hindurch. Hier knieete er auch jetzt wieder. Er hatte die beiden Männer, welche seitwärts hinter den Büschen standen, nicht bemerkt; er konnte auch das Schiff nicht sehen, da der Hügel dazwischen lag. Er nahm den Hut ab, faltete die Hände und betete, ohne zu ahnen, daß ein jedes seiner Worte gehört werde, in deutscher Sprache:

Befiehl Du Deine Wege
   Und was Dein Herze kränkt
Der allertreusten Pflege
   Deß, der den Weltkreis lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden
   Giebt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
   Wo Dein Fuß gehen kann!

Seine Stimme klang zwar nur halblaut, da er die in ihren Hütten noch schlafenden Gefährten nicht aufwecken wollte, aber voll und wohlthönend der nahenden Sonne entgegen. Es lag in diesem Tone eine Erhebung, eine Demuth und doch auch ein so freudiges Vertrauen, daß dem Capitän die Thränen in die Augen traten und auch der Graf von Rührung überwältigt wurde. Der Beter fuhr mit der sechsten Strophe des bekannten Liedes fort:

Hoff, o bedrängte Seele,
   Hoff, und sei unverzagt!
Gott wird Dich aus der Höhle,
   Da Dich der Kummer nagt,
Mit großen Gnaden rücken;
   Erwarte nur die Zeit,
So wirst Du schon erblicken
   Die Sonn der schönsten Freud!

Jetzt wollte der Graf hervortreten, aber der Capitän hielt ihn zurück, denn der Knieende betete weiter:

»Ja, Herr, Du Vater aller Deiner Kinder, Du Trost der Traurigen, Du Hilfe der Bedrängten, Dein bin ich und auf Dich baue ich. Hier in der Oede des weiten Weltmeeres ertönt eine Stimme zu Dir, ein Schrei aus tiefster Noth, ein Ruf um Gnade und Erbarmen. Mein Herz will brechen und mein Leben möchte in Gram zerfließen. Rette, rette uns, o Weltenherrscher! Führe uns fort von hier, wo die Fluten des Elends uns zu ersticken drohen. Sende einen Menschen, der Dein Engel sei und uns erlöst vom Verschmachten in der Tiefe der Verzweiflung. Ist es aber in Deinem Rathe beschlossen, daß wir hier ausharren sollen bis zum Tode, so erbarme Dich Derer, die daheim für unsere Erlösung beten! Gieb ihnen ein starkes Herz, zu ertragen, was Du über sie beschieden hast; träufle Trost und Frieden in ihre Seelen; trockne ihre Thränen und stille ihren Jammer! Du aber sei gelobt und gepriesen für Alles, was Du uns sendest; denn


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Deine Wege sind wunderbar und Deine Weisheit ist unerforschlich von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!«

Jetzt erhob er sich. Die Thränen liefen ihm über die Wangen, aber das Gottvertrauen erhellte seine Züge. Da aber zuckte er plötzlich zusammen, so jäh und so heftig, als hätte er einen schweren Schlag erhalten, denn es hatte sich, obgleich er wußte, daß die Andern noch alle schliefen, eine Hand, also eine fremde auf seine Schulter gelegt und eine Stimme sagte in deutscher Sprache:

»Ihr Gebet ist erhört, und der Engel ist da, der Sie erlösen soll!«

Er zuckte plötzlich zusammen.

Er fuhr herum und sah den weinenden Capitän vor sich stehen, hinter ihm den Grafen. Er taumelte zurück und fiel wieder auf die Kniee. Seine Augen waren weit geöffnet; seine Lippen bewegten sich; sie wollten sprechen, brachten aber kein Wort hervor. Er machte beinahe den Eindruck eines geistig gestörten, von einem furchtbaren Schrecke gelähmten Menschen.

Der Capitän erkannte seinen Fehler. Er hatte nicht daran gedacht, daß auch die Freude einen Menschen tödten könne; er war höchst unvorsichtig gewesen.

»Mein Gott, was habe ich gethan!« sagte er. »Fassen Sie sich, ja fassen Sie sich!«

Da endlich gurgelte aus Sternaus Munde ein im Anfang noch unverständliches Gemurmel, welches aber dann nach und nach in Laute und Worte überging:

»Oh - oh - -! Ah - -! O Gott, o Gott! Ists möglich! Wer sind Sie?«

»Ich bin ein deutscher Seecapitän, der Sie von hier wegbringen will. Mein Schiff ankert dort hinter der Höhe.«

Er hatte erwartet, daß Sternau sich nun aus seiner knieenden Stellung erheben werde; aber dies geschah nicht; dieser sank vielmehr langsam und wie vernichtet zusammen. Seine Arme fielen herab; sein Kopf neigte sich und sein doch so starker, riesenkräftiger Körper legte sich matt in das Gras nieder. Die beiden Männer sahen, daß seine ganze Gestalt bebte; sie hörten sein herzbrechendes Schluchzen und sie störten ihn nicht. Der Capitän ahnte, daß sich in dieser Thränenfluth die schlimme Wirkung seines unvorsichtigen Thuns auflösen werde, und er hatte recht.

Nach einer Weile stand Sternau langsam auf, sah die Beiden mit noch immer dem Ausdrucke des Zweifels an und fragte:

»Ists wahr, ists denn wirklich wahr, daß ich Sie sehe? Es sind Menschen da? Es ist ein Schiff gekommen? Gott, mein Gott, welche Seligkeit! Ich danke Dir, aber fast hätte sie mich getödtet!«

»Verzeihen Sie!« bat der Capitän. »Ich bin ganz unverzeihlich unvorsichtig gewesen; aber Sie wurden mir als ein Mann beschrieben, bei dem ich es mir zu getrauen glaubte, ein Wenig unvorbereitet zu erscheinen.«

»Ich? Ihnen beschrieben? Unmöglich!«

»Und doch! Ich müßte mich sehr irren, wenn ich Sie an Ihrer Gestalt nicht sofort als Herrn Doctor Sternau erkennen wollte.«

»Wahrhaftig, Sie kennen mich! Welch ein Räthsel! Wer hat mit Ihnen von mir gesprochen? Woher kommen Sie?«


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»Dieser Herr hat mir von Ihnen erzählt.«

Er zeigte dabei auf den Grafen. Sternau betrachtete denselben. Seine Wangen rötheten sich und seine Augen leuchteten.

»Sie sagen »dieser Herr,« aber Sie wollten statt dessen »dieser Sennor« sagen?« fragte er.

»Allerdings,« antwortete der Capitän erstaunt.

Da richtete sich die Gestalt Sternaus hoch empor; seine Brust that einen tiefen, kräftigen Athemzug und dann rief er:

»Ich bat Sie, mir zu sagen, woher Sie kommen; aber ich will - - -«

»Wir kommen aus - - -« wollte der Capitän antworten.

»Aus Härrär,« fiel aber Sternau ein.

»Ja, aus Härrär,« antwortete der Capitän noch erstaunter als vorher.

»Und dieser Sennor ist Don Ferdinando de Rodriganda?« fuhr Sternau fort.

»Ja, der bin ich!« sagte jetzt zum ersten Male der Genannte und zwar in spanischer Sprache.

»O mein Gott, ich zog aus, Sie zu retten und nun kommen Sie, mich selbst zu erlösen! Ich habe Sie an Ihren Zügen erkannt; Sie sind Don Emanuel so außerordentlich ähnlich.«

Er breitete die Arme aus und die beiden Schwergeprüften, die einander noch nie gesehen hatten, lagen einander so fest und innig am Herzen, als ob sie bereits von ihrer Geburt an Freunde gewesen seien.

»Uff!« rief es da von einer der Hütten her. Und diesem Rufe folgte nach einer Pause übermächtigen Erstaunens ein dreifaches »Uff! Uff! Uff!«

Bärenherz, der Häuptling der Apachen war aufgewacht, hatte die Stimmen vernommen und bei seinem Austritte aus seiner Hütte diesen Ruf ausgestoßen. Sogleich wurden die Thürfelle der nebenstehenden Hütte zurückgeschoben und es erschien Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas. Sein Blick fiel auf die beiden Fremden und blieb auf dem Grafen haften. Er that einen gewaltigen Sprung vorwärts und rief:

»Uff! Don Ferdinando!«

Er hatte ihn früher einmal auf der Hazienda del Erina bei Petro Arbellez gesehen und jetzt sofort wieder erkannt. Auch der Graf erkannte ihn.

»Büffelstirn!« rief er.

Seine Arme ließen Sternau los und im nächsten Augenblicke lag der Häuptling an seiner Brust. Ein spanischer Graf und ein halb wilder Indianer; das Entzücken macht Alle gleich und in Beziehung auf das Herz waren sich diese Beiden vollständig ebenbürtig. Keiner von den Anwesenden dachte in diesem Augenblicke an die Unterschiede, welche doch nur auf äußerliche Rangverhältnisse gegründet sind.

Die Ausrufe der beiden Indianer waren so laut gewesen, daß auch die anderen Schläfer erwachten. Die beiden Helmers erschienen und nach ihnen eine Frauengestalt - Karja, die Tochter der Miztecas. Sie Alle trugen ähnliche Kleidung wie Sternau, nur daß die Hüte fehlten, doch machten sie keineswegs den Eindruck von Wilden oder verwilderten Menschen.

Die nun folgende Scene läßt sich ahnen, aber nicht beschreiben. Keine Hand


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ist geschickt und keine Feder mächtig dazu. Laute Jubelrufe erschollen und dazwischen hunderte von Fragen. Einer flog aus den Armen des Andern in die des Dritten. Sie eilten um die Anhöhe hinum, um das Schiff zu sehen, und als sie es erblickten, schlugen sie die Arme in die Luft und machten Bewegungen, als ob sie unsinnig seien.

Nur Einer verhielt sich, obzwar auch erfreut, doch ruhiger wie die Andern - Anton Helmers, von den Indianern Donnerpfeil genannt. Auch in seinen Augen glänzten die Thränen des Entzückens, aber seine Freude war mit Schmerz gemischt.

Der Capitän bemerkte dies. Er trat zu ihm und sagte:

»Sie freuen sich nicht auch, endlich Erlösung zu finden?«

»O, ich freue mich,« lautete die Antwort; »aber meine Freude würde eine hundertfache sein, wenn - - -«

Er vollendete den Satz nicht, sondern schwieg.

»Wenn - - -? Bitte, fahren Sie fort!«

»Wenn sie noch von Jemand getheilt werden könnte.«

»Darf ich fragen, wer dieser Jemand ist?«

Anton Helmers schüttelte wehmüthig den Kopf und wendete sich ab. Der Capitän fand nicht weiter Zeit, in ihn zu dringen, denn Sternau trat zu ihm und fragte:

»Herr Capitän, dürfen wir an Bord gehen?«

»Natürlich! Freilich!« lautete die Antwort.

»Aber gleich, sofort?«

»Um die Insel zu verlassen?« lächelte Wagner.

»Nein, sondern um den Fuß auf das Fahrzeug setzen zu können, welchem wir unsere Rettung zu danken haben werden.«

»Gut! Kommen Sie! Es ist im Boote Raum für uns Alle.«

Jetzt begann ein wahrer Wettlauf nach dem Boote; Sternau war der Erste, welcher es erreichte. Selbst die beiden, sonst doch so ernsten Indianer, sprangen wie die Schulknaben. Als Alle eingestiegen waren, schoß das Boot dem Schiffe zu. Der Capitän hatte dort seine Befehle zurückgelassen. Die Kanonen waren geladen worden und als das Boot durch die Klippen ging, donnerte ein Schuß an Bord. In demselben Augenblicke stiegen alle Flaggen und Wimpeln in die Höhe und Schuß auf Schuß wurde gelöst, bis die Geretteten an Bord erschienen.

Emma hatte ruhig geschlafen und nicht gemerkt, daß vor einiger Zeit das Boot vom Schiffe gestoßen war. Erst der erste Schuß weckte sie aus dem Schlummer. Sie erschrak. Was war geschehen? Sie mußte es wissen. Sie sprang vom Lager auf, legte in größter Eile die Kleidung an und stieg aufs Deck. Da sah sie die lang gesuchte Insel liegen. Wild aussehende Gestalten stiegen an Bord. Eine derselben blieb erstaunt stehen, stürzte aber dann in desto größerer Eile auf sie zu. Es war Donnerpfeil.

»Emma!« rief er.

»Anton!« jubelte sie.

Sie lagen sich in den Armen. Sie jubelten und weinten. Sie herzten und


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küßten sich wie Kinder, welche ihr Entzücken nicht beherrschen können. Daneben stand der brave Capitän. Er weidete sich an ihrem Glücke und fragte endlich:

»Nun, Herr Helmers, ist Ihre Freude jetzt eine hundertfache?«

»O, eine tausend-, eine millionenfache!« lautete die Antwort. »Aber sagen Sie mir um Gotteswillen, wie Emma auf Ihr Schiff kommt. Wir glaubten sie Alle todt, mit dem Flosse elend untergegangen.«

»Das werden Sie später ganz ausführlich erfahren. Jetzt aber kommen Sie herunter in die Cajüte. Das Frühstück steht bereit und Sie sollen nach langen Jahren wieder einmal menschlich essen können.«

Da unten ging es nun fröhlich zu. Es wurde einstimmig beschlossen, jetzt nur das Glück der endlichen Rettung und des Wiedersehens zu genießen, sich aber noch aller Fragen zu enthalten. Man hielt auch Wort, obgleich dies jedenfalls Einem so schwer fiel, als dem Andern. Das Mittagsmahl sollte auf der Insel abgehalten werden und dann wollte der Capitän sogleich in See stechen.

»Aber wohin?« fragte Sternau.

»Nach Mexico, zu meinem Vater,« antwortete Emma.

»Nach Mexico, zu Cortejo, dem Betrüger,« drohte Don Ferdinando.

»Nach Mexico, zu meinen Miztecas,« sagte Büffelstirn.

»Nach Mexico, zu den Apachen,« fügte Bärenherz hinzu.

»Nun wohl, nach Mexico! Wir Alle gehen mit!« entschied Sternau.

»Und wo landen wir?« fragte der Capitän.

»Da wo wir in See gingen oder vielmehr in unser Unglück.«

»Also in Guaymas?«

»Ja. Sind wir dort, so werden wir erfahren, was weiter zu thun ist.«

Das Frühstück verlief unter Lachen und Thränen. Das Entzücken über das Glück des Augenblickes wechselte mit dem trauernden Gedanken an die daheim Weilenden. Später kehrte man auf die Insel zurück. Der Capitän nahm die deutsche Flagge mit und gab so vielen seiner Leute Erlaubniß, mitzukommen, als an Bord entbehrt werden konnten. Es gab während des Diners die feinsten Speisen und Weine, welche er von Calcutta mitgebracht hatte. Die in Felle gekleideten Robinsons speisten wie die Fürsten; aber als die Reihe an den Champagner kam, schob er ihn bei Seite und sagte:

»Meine Damen und Herren, dieses flüchtige Mousseux nachher. Ich ersuche Sie, vorher mit mir etwas Ernsteres und Gehaltvolleres zu kosten. Folgen Sie mir!«

Sie erhoben sich mit ihm von ihren mitten im Grün improvisirten Sitzen und folgten ihm auf den Hügel, wo sich der höchste Punkt der Insel befand. Dort stand der Bootsmann mit der deutschen Flagge, neben ihm ein Korb edlen Rheinweines. Die Flaschen wurden entkorkt und die Gläser gefüllt. Dann sagte der Capitän:

»Meine Damen und Herren. Ich habe, bevor wir scheiden, eine ernste und heilige Pflicht zu erfüllen. Diese Insel ist auf keiner Karte verzeichnet und liegt ohne Namen und Gebieter im weiten und einsamen Meere. Deutschland, das Vaterland von vier Personen aus unserer Versammlung, hat nie ein Volk aus seinem Lande verdrängt und um seinen Besitz gebracht. Es hat der Fürsten viele,


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aber keinen einigen Herrn; es besitzt nur sich allein, aber keine Colonie. Doch wird die Zeit kommen, wo es Beides besitzt, und nur zur Bekräftigung dieser meiner Ueberzeugung nehme ich diese kleine, an sich werthlose Insel im Namen des zu erwartenden deutschen Kaisers für mein Vaterland in Besitz und gebe ihr den Namen Rodriganda. Erheben Sie Ihre Gläser. Hoch Deutschland! Hoch sein Herrscher! Hoch unser Rodriganda!«

»Hoch, dreimal hoch!« erscholl es jubelnd im Kreise.

Die Gläser klangen. Der Capitän schwenkte die Flagge, und während auf dieses Zeichen hin auf dem Schiffe die Kanonen erdonnerten, steckte er den Schaft derselben tief in den Boden.

»So,« sagte er dann; »ich werde den Namen Rodriganda in meine Karte zeichnen und dafür sorgen, daß er verbreitet wird. Jetzt nun kommen Sie zurück, zum Champagner. Ich liebe die Franzosen nicht, aber ich trinke ihren Wein!«

Was nun noch besprochen und beschlossen wurde, das wird der liebe Leser später erfahren. Es gab viel, sehr viel zu erzählen. Die Gesichter wurden ernster. Manches wurde mitgenommen, an sich werthlos, aber als ein Andenken an die traurige Zeit, welche jetzt endlich hinter den Verbannten lag. Noch in der ersten Hälfte des Nachmittages lichtete das Schiff den Anker und trug, einen langen Rauchschweif hinter sich werfend, seine glücklichen Passagiere einer neuen, hoffentlich besseren Zukunft entgegen. - - -

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Drittes Kapitel.

Kaiser Max von Mexico.

  
Ich zieh ins weite, ferne Land;
   Der Zukunft denk ich mit Entzücken.
Des Friedens Scepter in der Hand,
   Will ich ein blutig Volk beglücken.

Ich trotz der Franken Trug und List
   Und glaub an seines Schwures Treue.
Wie doch mein Herz so selig ist!
   Geh Gott, daß nicht ich es bereue!

Im Osten von Neu-Mexico liegt eine weite Ebene, welche am Besten mit der Sahara zu vergleichen ist. Viele Tagereisen weit ist kein Baum, kein Strauch zu finden; kein Quell dringt aus dem Boden, um eine grüne Vegetation zu erzeugen. Nur der Cactus fristet ein einsames, farbloses trockenes Leben; er bildet Felder von ungeheurem Umfange; aber er wird ebenso vom Menschen, wie vom Thiere gemieden, denn seine Stachel sind gefährlich. Tritt sich ein Pferd einen solchen Stachel in den Huf, so ist es unrettbar verloren. Es beginnt zu hinken; der Huf schwillt; es tritt Brand dazu, und der einsame Reiter, seines treuen, schnellen Thieres beraubt, kann zu Fuße das Ende der Wüste nicht erreichen und muß elend verschmachten. Er fällt den Geiern zur Beute, welche hoch oben in der glühenden Luft ihre weiten Kreise ziehen, um mit scharfem Auge ihren Fraß zu suchen.


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Aber auch noch in anderer Beziehung ist diese Wüste gefährlich. Da nämlich weder Baum noch Strauch als Wegweiser dienen kann, so hat man den Weg, welcher durch sie führt, mit langen, kahlen Stangen bezeichnet; daher sie den Namen Llano estacado, das ist die abgesteckte Wüste, führt. Nun giebt es dort allerlei Gesindel, deren Anführer diese Pfähle herausreißen und in falscher Richtung stecken lassen. Wer ihnen dann folgt, geräth immer tiefer in die Oede hinein, muß elend verhungern und verdursten, und ist er dann todt, so wird sein Leichnam von den feigen Räubern beraubt.

Diese Wüste geht mit ihrem Westrande fast bis zum Rio Puercos, der ein Nebenfluß des Rio grande del Norte ist. An diesem Rio Puercos liegt das Fort Guadeloupe, welches unseren Lesern bereits aus dem I. Theile, Capitel 11, Seite 379 bekannt ist. Emma Arbellez war damals mit ihrer Freundin Karja in Guadeloupe auf Besuch gewesen. Die Erstere hatte dort eine befreundete Familie besucht, war auf dem Rückwege von den Comanchen überfallen und gefangen genommen worden, dann aber von Anton Helmers und Bärenherz befreit worden.

Die erwähnte Familie war diejenige des einzigen Waarenhändlers in Fort Guadeloupe. Er war mit dem Haziendero Petro Arbellez verwandt, hieß Pirnero und galt als der reichste Mann der ganzen Gegend. Er war in das Land gekommen, man wußte nicht recht, woher, hatte sich eine hübsche, wohlhabende Neumexikanerin, eine Cousine von Petro Arbellez zur Frau genommen und dann einen Handel angefangen, der immer größeren Aufschwung nahm, bis er sich einen gemachten Mann nennen konnte.

Seine Frau war ihm bald gestorben und hatte ihm ein einziges Kind, eine Tochter hinterlassen. Dieser Todesfall traf ihn nicht tief. Er besaß ein oberflächliches, heiteres Gemüth, welches nicht zum Grame geschaffen war. Er lebte glücklich und sorgenlos, das heißt ohne alle Sorge außer einer einzigen. Seine Tochter, die hübsche Resedilla, machte nämlich keine Anstalt, sich einen Mann zu nehmen. Dies war ihm früher ziemlich gleichgiltig gewesen; jetzt aber trat das Alter an ihn heran, und er wünschte sich einen tüchtigen Nachfolger, um die Tochter versorgt zu wissen. Sie hatte Anbeter genug gehabt, das hübsche, blonde Mädchen, auch mit Allen gescherzt und gelacht, aber Keinen vorgezogen und begünstigt. So war sie zwanzig Jahre geworden, dann fünfundzwanzig, endlich sogar fast dreißig. Sie war noch immer hübsch; es war gar nicht, als ob sie zu den Mexikanerinnen gehöre, die ja bekanntlich in diesen Jahren bereits vollständig abgeblüht sind. Ihr hellblondes Haar zeigte auch auf eine andere, vielleicht gar germanische Abstammung, doch war es selten, daß sie oder ihr Vater darüber sprach, denn er wußte, was zu seinem Vortheile diente.

Pirnero besaß ein großes Haus und außerhalb des Forts bedeutende Weiden, auf welchen er eine tüchtige Anzahl Vaqueros (Rinderhirten) beschäftigte. Sein Haus hatte außer dem Erdgeschosse bedeutende Kellereien und ein Stockwerk. In den Kellern befand sich seine Niederlage; im Erdgeschosse war ein Verkaufsladen und eine Schänkstube, und das Stockwerk enthielt seine Wohn- und Schlafzimmer.

Heute wehte draußen ein steifer Wind über den Fluß herüber, ein Wind, wie ihn kein Jäger und kein Hirte liebt, und dennoch befand sich kein einziger Gast in dem Schänkzimmer, welches doch bei solchem Sturme den besten Aufenthalt bot.


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Darum war Sennor Pirnero in nicht ganz guter Laune. Er saß am Fenster und blickte schweigend in die Gegend hinaus, über welche der trockene Staub in dichten Wolken wirbelte. Resedilla saß am anderen Fenster und nähte an einem rothen Busentuche herum, welches eine der Mägde zum Geschenk erhalten sollte.

Da begann der Vater, an die Fensterscheibe zu trommeln. Dies war ein sicheres Zeichen seiner schlechten Laune, und wenn er an dieser litt, so bekam sie stets die bekannten Vorwürfe zu hören, aus denen sie sich aber nicht viel machte. Es gab ihr vielmehr Spaß, zu beobachten, mit welchen wunderbaren Einleitungen und Sprüngen er immer wieder auf das Heirathsthema kam.

»Fürchterlicher Wind!« brummte er verdrießlich.

Sie antwortete nicht; darum fügte er nach einer Weile hinzu:

»Fast ein Sturm!«

Sie zog auch jetzt noch vor, zu schweigen; daher richtete er die directe Aufforderung an sie:

»Nicht wahr, Resedilla?«

»Ja,« antwortete sie einsilbig.

»Ja? Was denn?« fragte er, aufgebracht über die Kürze ihrer Antwort.

»Nun, fürchterlicher Sturm.«

»Gut! Und ebenso fürchterlicher Staub!«

Sie antwortete abermals nicht; darum wendete er ihr das Gesicht zu und sagte:

»Wenn Du Dir kein besseres Mundwerk anschaffst, wie willst Du denn da mit Deinem Manne verkommen, wenn Du einmal heirathest?«

»Eine schweigsame Frau ist besser als eine Plaudertasche!« antwortete sie.

Er hustete einige Male. Er fühlte sich geschlagen und war nun verlegen um die Fortsetzung des Gespräches. Darum fing er nach einer Weile abermals an:

»Außerordentlicher Wind! Unendlicher Sturm!«

Sie hielt diese geistreiche Bemerkung keiner abermaligen Antwort für werth. Er schüttelte den Kopf, trommelte an die Scheibe und sagte:

»Und kein einziger Gast da!«

Da sie auch hierauf keine Antwort hatte, drehte er sich ihr wieder zu und fragte:

»Habe ich etwa nicht recht? Oder siehst Du etwa einen Gast hier in der Stube?«

»Hältst Du mich etwa für blind?« lachte sie jetzt.

»Na also! Kein Gast, gar keiner! Das ist schlimm für ein Mädchen, die sich nach einem Manne umzusehen hat! Oder hast Du etwa bereits - - -?«

»Nein,« antwortete sie abweisend.

»Nicht? Warum nicht?«

»Ich mag keinen!«

»Keinen? Hm! Dummheit! Ein Mann ist für ein Mädchen das, was für einen Schuh die Sohle ist.«

»Man muß auf ihn treten, nicht?« lachte sie.

»Dummheit! Ich meine, man kann ohne ihn nicht laufen.«

Aber trotz seiner letzteren Rechtfertigung fühlte er doch den Stich, den er er-


// 1415 //

halten hatte. Das wurmte ihn und er sann darüber nach, wie er von Neuem auf eine unbemerkte Weise auf sein Thema kommen könne, als ein Holzriegel draußen herabfiel, welchen der Sturm vom Dache gerissen hatte.

»Hast Du es gesehen?« fragte er.

»Was?«

»Den Riegel da draußen?«

»Ja.«

»Nun ist ein Loch im Dache. Wer muß es repariren, he? Ich, ich allein!«

»Wer sonst? Doch wohl nicht ich!«

»Du? Dummheit! Der Schwiegersohn! Denn seine Pflicht ist es, auf Ordnung zu sehen. Wo kein Schwiegersohn ist, da ist auch keine Ordnung. Verstanden?«

Der gute Papa Pirnero war ein Wenig sparsam, und der kleine Schaden, den ihm der Sturm verursacht hatte, ärgerte ihn. Wenn etwas Derartiges vorlag, dann wurde er doppelt sprachfertig, und dann sprach er auch von Dingen, über welche er sonst sein gewöhnliches Schweigen zu beobachten pflegte. Darum fuhr er jetzt fort:

»Aber ein ordentlicher muß es sein, Schwiegersohn nämlich! Nicht so ein abgerissener und zerlumpter wie der lange Kerl, der jetzt zuweilen kommt!«

Er bemerkte gar nicht, daß ein leichtes Roth die Wangen der Tochter überflog. Dieser zerlumpte Kerl schien ihr denn doch nicht so ganz gleichgiltig zu sein.

»Du weißt doch, wen ich meine?« fragte der Vater.

»Ja,« antwortete sie.

»Nun also, den nicht; den bringst Du mir nicht. Ich bin Ambition gewöhnt, schon von meinen seligen Eltern her. Weißt Du, was mein Vater war?«

»Ja,«

»Nun, was denn?«

»Schornsteinfeger.«

»Gut! Das sind Leute, welche hoch hinaus müssen. Und mein Großvater?«

»Meerrettighändler.«

»Schön! Du siehst also, daß schon in ihm das Spekulationstalent gesteckt hat, durch welches ich zum reichen Manne geworden bin. Man kann eine Tochter gar nicht genug an eine solche Abstammung erinnern, das Vaterland und die Vaterstadt mit eingerechnet. Oder hast Du etwa vergessen, aus welchem Lande ich bin?«

»Nein,« sagte sie, das Lachen verbeißend.

»Nun?«

»Aus Sachsen.«

»Ja, aus Sachsen, wo die schönen Mädchen wachsen. So schöne giebts nirgends, aber heirathen müssen sie, sonst werden sie schimmelig. Verstanden? Auch Du bist nicht weit vom Stamme gefallen. Ich war ein hübscher Kerl, schon von meiner Mutter und Großmutter her, und darum kannst Du Dich auch sehen lassen; das liegt so in der Natur der väterlichen Abstammung zur Tochter hinüber.


// 1416 //

Darum habe ich Dich auch Reseda oder Resedilla genannt. Und was meine Vaterstadt betrifft, so kennst Du ja wohl ihren Namen?«

»Jawohl.«

»Nun?«

»Pirna.«

»Ja, Pirna. Das ist die schönste Stadt in der ganzen Welt. Sie ist besonders berühmt wegen ihrer schönen Sprache; darum habe ich auch hier das Spanische so leicht gelernt, denn das Pirnsche und Spanische sind einander sehr verwandt; Pirnsch und Spansch ist beinahe egal; das siehst Du schon aus dem Namen, den ich hier zu Ehren meiner Vaterstadt angenommen habe: Pirna und Pirnero. Darum hat mich Deine Mutter sogleich geheirathet. Du aber magst Keinen, ich glaube, selbst dann nicht, wenn er aus Pirna wäre! Wer soll mir da die Dachriegel fest machen, die der Wind herunterreißt!«

Er hätte in seinem Sermon noch weiter fortgefahren, wenn nicht von draußen Pferdegetrappel zu hören gewesen wäre. Ein Reiter kam herbeigesprengt, sprang aber nicht draußen vor dem Fenster vom Pferde, sondern ritt sein Thier in die offene Umzäunung hinein, welche sich an der Giebelseite des Hauses befand. Dann erst schritt er an den Fenstern vorüber, um nach der Stube zu kommen. Der Wirth hatte ihn im Vorübergehen bemerkt und sagte höchst ärgerlich:

»Das ist er, der Lump. Der braucht gar nicht zu kommen, selbst wenn ich keine Gäste habe. So Einer soll mir nicht sagen, daß er mein Schwiegersohn werden will!«

Resedilla beugte sich tiefer auf ihre Arbeit herab, um die Röthe ihres Gesichtes nicht merken zu lassen, und unterdessen trat der Gast in die Stube.

Er grüßte höflich, setzte sich auf einen der Stühle und verlangte ein Glas Julep, welcher in den Vereinigten Staaten und deren Grenzgebieten gern getrunken wird.

Er war hoch und stark gebaut und sein Gesicht wurde von einem dunklen Vollbarte eingerahmt. Er mochte bereits ein Stück in die dreißig hinein sein, konnte aber recht gut als bedeutend jünger gelten. Er trug eine sehr fadenscheinige mexicanische Hose und darüber eine wollene Blouse, welche vorn offen stand und die bloße Brust sehen ließ, welche er dem Sturmwinde geboten hatte. Ein schmaler Ledergürtel ging um seine Hüften. In demselben steckten zwei Revolver und ein Messer. Die Büchse, welche er neben sich an den Tisch gelehnt hatte, schien keinen Groschen werth zu sein, wie überhaupt seine ganze Bekleidung einen abgeschabten Eindruck machte. Wer aber in seine kräftigen, etwas melancholischen Züge blickte, und sein großes, dunkles Auge sah, der hätte ihn sicher nicht nach diesen Kleidern beurtheilt.

Als er jetzt den breitkrämpigen Hut auf den Tisch legte, sah man, daß eine tiefe, kaum erst zugeheilte Narbe quer über seine Stirne lief. Doch war seine Blouse und seine Hose von so neuen Blutflecken beschmutzt, daß man leicht sehen konnte, diese Flecken stammten nicht von der Stirnwunde her.

»Was für Julep wollt Ihr?« fragte der Wirth rauh. »Münze oder Kümmel?«

»Ich bitte, Sennor, gebt mir Münze,« lautete die Antwort.


Ende der neunundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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