Lieferung 61

Karl May

19. Januar 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Licht hatte brennen lassen; dann ging er wieder hinaus, um den geliehenen Drücker an seine Stelle zu bringen.

Als er nun zu dem Besinnungslosen zurückkehrte, band er diesem die Arme und Beine fest zusammen, schlang sich den Lasso vom Leibe und ließ ihn damit durch das Fenster ins Freie hinab; auch sich selbst ließ er dann nach.

Nun ging er nach dem Stalle. Es brannte kein Licht darin, dennoch aber gelang es ihm, das Pferd des Capitäns zu finden und auch den Sattel, den er ihm auflegte. Er zog es heraus und band den Herrn fest auf das Thier. Dann holte er ein ungesatteltes Pferd für sich, schwang sich nach echter Vaqueroart auf und ritt, das andere Thier an der Leine führend, erst langsam und dann im gestreckten Galoppe davon.

Er hatte keine Zeit zu verlieren, denn er mußte in fünf Tagen wieder zurück sein. Daß er ein Pferd für sich genommen hatte, war keineswegs ein Diebstahl. Wo die Pferde frei herum laufen, darf man das erste beste für sich einfangen, wenn man es nur wieder frei giebt, damit es zurücklaufen kann. Ein jeder Besitzer erkennt seine Thiere an dem eingebrannten Zeichen.

Er setzte über den Puercos-Fluß hinüber und jagte weiter durch Thäler und über Berge und Prairien, immer nach Südwesten hin. Dem Capitän war jedenfalls schon längst die Besinnung zurückgekehrt, doch zog er es vor, sich schweigsam zu verhalten und keinen Laut von sich zu geben.

Während dieses Parforce-Rittes ging Gérard mit sich über das Schicksal seines Gefangenen zu Rathe. Ihm selbst war heute so viel Gnade und Vergebung zu Theil geworden, daß er sein Herz zur Milde gestimmt fühlte; aber die Klugheit und das Gerechtigkeitsgefühl geboten ihm streng das Gegentheil.

Noch während des nächtlichen Dunkels bemerkte er, daß der Capitän auch ohne seine Fesseln fest im Sattel saß und den Schenkeldruck ausübte, er mußte sich also wieder ganz wohlbefinden. Und als der Tag zu grauen begann, da sah er, daß der Gefangene die Augen offen hielt und wohlgemuth in die Ferne blickte.

Jetzt sprang Gérard vom Pferde und band auch den Anderen los; die Fesseln aber nahm er ihm nicht ab. Dies löste das bisher festgehaltene Schweigen.

»Ihr habt bisher Theater mit mir gespielt, Sennor,« sagte der Capitän. »Ich hoffe, daß Ihr mich nun endlich freigeben werdet.«

»Täuscht Euch nicht!« lautete die Antwort. »Ich halte nur an, um über Euch zu Gericht zu sitzen.«

»Pah!« lachte der Andere. »Macht keinen dummen Spaß!«

»Ich meine es sogar sehr ernst. Ich werde Euch die Beine entfesseln, damit Ihr wenigstens sitzen könnt. So, und nun mag es beginnen.«

»Na, wenn es Euch gefällt, so spielt Eure Rolle weiter!«

»Das werde ich. Ich mache Euch darauf aufmerksam, daß ich nur fünf Minuten für Euch übrig habe.«

»Das ist mir lieb!« lachte der Offizier.

»Und daß Ihr dann eine Leiche sein werdet.«

»Papperlapapp!«


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»Scherzt Euch immerhin in den Tod hinein; ich habe nichts dagegen. Doch sagt mir zunächst, ob Ihr mich kennt!«

»Nein, ich habe nicht die Ehre!«

»Nun, so erlaubt, daß ich mich Euch vorstelle! Man nennt mich den schwarzen Gérard.«

Als der Gefangene diesen Namen hörte, erbleichte er. Der Jäger aber fuhr fort:

»Wenn ein Gefangener in die Hände der Franzosen fällt, wird er ohne Barmherzigkeit erschossen, obgleich Präsident Juarez Eure Kameraden, die er gefangen nimmt, gütig behandelt hat. Ich gehöre zu Juarez, und Ihr seid mein Gefangener. Was wartet also Eurer? Der Tod!«

»Sennor! Ich bin Offizier!« brauste der Capitän auf.

»Ihr habt Euch nicht als Offizier betragen, werdet also auch nicht als solcher behandelt. Weiter, der zweite Anklagepunkt: Das Auge, welches die Reize von Sennorita Resedilla gesehen hat, darf nichts mehr sehen, und der Mund, der ihre Lippen geküßt hat, muß sich schließen. Also: abermals Tod!«

»Wer giebt diese Gesetze?«

»Das Letztere habe ich gegeben, denn die Sennorita ist ein Engel an Reinheit und ich bete sie an. Ihr habt sie Euren Begierden opfern wollen, also: Tod!«

»Ihr seid ein Teufel!«

»Das mag Gott entscheiden. Ferner: Ihr seid als Spion zu den Comanchen gegangen, um sechshundert Krieger zu holen - also: Tod!«

Der Gefangene erbleichte. Er wagte nicht zu widersprechen. Gérard fuhr fort:

»Ihr wolltet in fünf Tagen mit Eurer Compagnie das Fort Guadeloupe überfallen, also: Tod! Diese Gründe sind genug; die andern, welche ich noch habe, will ich fallen lassen. Habt Ihr an Jemand Etwas auszurichten?«

Gérard griff zu seiner Büchse, und nun erst sah der Gefangene ein, daß es vollständig Ernst sei mit dem Urtheilsspruche.

»Ihr werdet doch nicht!« rief er.

»Ich werde unerbittlich! Ihr habt meine letzte Frage nicht beantwortet. Ich habe keine Zeit mehr. Betet ein letztes, lautes Vaterunser!«

»Wenn Du mich tödtest, so bist Du nicht ein Richter, sondern mein Henker, ja mein Mörder.«

»Pah! Ein jeder Franzose, der sich jetzt in Mexiko befindet, ist ein Mörder!«

»Wer giebt Dir das Recht, mich zu tödten?«

»Das Prairiegesetz. Du vergissest, auf welchem Boden wir uns befinden. Du hast gestern die Waffe nach mir gezückt; Dein Leben ist mein Eigenthum auch ohne die Gründe, welche ich vorhin nannte. Bete!«

»Ich mag nicht,« sagte der Capitän trotzig. »Du wirst es nicht wagen, mir das Leben zu nehmen.«

»Du wirst sofort das Gegentheil erfahren. Da Du nicht beten willst, so mag Gott Deiner armen Seele gnädig sein. Eins - zwei - - drei!«

Bei »Drei« krachte der Schuß; die Kugel fuhr dem Gefangenen mitten durch die Stirn; er sank als Leiche nieder, der gestern noch so lebensbegierig gewesen war.

Jetzt untersuchte Gérard die Kleider des Gerichteten. Er fand weder Brief-


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tasche noch sonst Geschriebenes, wohl aber Uhr, Börse und Ringe; das Alles ließ er stecken. Nun betete er ein stilles Vaterunser, gab das Pferd des Todten frei, sprang auf das seinige und braußte davon. Sein Herz machte ihm nicht den geringsten Vorwurf.

Dieser einstige Schmied war im Laufe der Jahre ein ausgezeichneter Prairiemann geworden. Er saß auf seinem Pferde bis Mittag, dann fing er sich von der ersten besten Heerde, an welcher er vorüber kam, ein zweites ein. So ging es immer im Galoppe fort, bis er am nächsten Tage kurz vor Anbruch des Abends Chihuahua vor sich liegen sah.

Er durfte sich weder bei Tage in die Stadt wagen noch des Abends offen durch die ausgestellten Posten gehen, sondern er mußte sich mit Lebensgefahr einschleichen. Darum band er sein Pferd im Walde fest und wartete die völlige Dunkelheit ab. Dann näherte er sich der Stadt, in welcher er jedes Haus und jeden Schlich kannte.

Nur einem Manne wie ihm konnte es gelingen, durch die Postenketten und über die aufgeworfenen Befestigungen hinweg zu gelangen. Dann befand er sich an einer Reihe von Gärten, die ihm alle bekannt waren. Er voltigirte vorsichtig über den Zaun eines derselben, duckte sich zur Erde nieder und stieß dreimal hinter einander den Ruf des schwarzköpfigen Geiers aus, wenn er aus dem Schlaf erwacht. Dieses Zeichen mußte nicht gehört worden sein, denn er mußte es wiederholen, ehe er von Weitem ein Pförtchen gehen hörte.

Eine dunkle Frauengestalt kam langsam herbei, blieb in kurzer Entfernung stehen und fragte mit unterdrückter Stimme:

»Wer ist da?«

»Mexiko,« antwortete er.

»Und wer kommt?«

»Juarez.«

»Warte ein Wenig!«

Nach diesen Worten entfernte sich die Gestalt und kehrte erst nach Verlauf von wohl einer Viertelstunde zurück. Jetzt aber kam sie ganz zu ihm heran und sagte:

»Hier ist das Gewand; den Weg habe ich frei gemacht.«

Sie reichte ihm eine Mönchskutte, welche er über sein Gewand zog, und sagte dabei:

»Heut müßt Ihr Euch doppelt in Acht nehmen.«

»Warum?«

»Sie hat den Major zu sich bestellt.«

»Das ist mir lieb. Ist er bereits bei ihr?«

»Nein. Er kommt erst nach zwei Stunden.«

»Gut. Hier ist meine Büchse, bewahre sie gut auf.«

»Wann kehrt Ihr zurück?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich werde Dich wecken, wenn ich komme.«

Er schlug die weite Kutte um sich zusammen und schritt nach links davon. Dort befand sich in der Mauer eine kleine Thür, welche bereits geöffnet stand. Er trat in einen Hof, wo rings auf Säulen ein hölzerner Gang angebracht war.


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Eine schmale Stiege führte hinauf, da wo der Hof am Dunkelsten war. Er stieg sie empor und fand dort oben in einem Winkel eine Holzthüre geöffnet. Hier trat er ein, ging im Finstern abermals durch einige bereits geöffnete Thüren und stand endlich vor einer, welche verschlossen war. Er klopfte an und ein lautes, von einer feinen Silberstimme gerufenes »Herein!« antwortete. Zugleich wurde ein Riegel zurückgeschoben und die Thür öffnete sich.

Ein glänzendes, blendendes Lichtmeer fluthete ihm entgegen, und mitten in diesem See von Glanz und Licht stand eine Frauengestalt, deren Schönheit ganz und gar unmöglich zu beschreiben war. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sich Jeder, der sie in dieser Toilette gesehen hätte, vor ihr niedergeworfen hätte.

Ein beispiellos reiches, schwarzes Lockenhaar war auf einem wahren Feenköpfchen zu einer hohen Krone geordnet und fluthete doch noch immer bis über die Hüften hernieder, und dieses herrlichen Schmuckes werth war jeder einzelne Theil der hohen, königlichen Gestalt. Keine Maria Theresia, Katharina oder Kleopatra, keine Melusine oder Märchenkönigin war mit diesem Weibe oder Mädchen zu vergleichen, welche eine Toilette trug, so raffinirt einfach und doch ausgesucht sinnlich, daß man staunend bewundern mußte. Da lag kein Puder auf den Wangen; da war nichts imitirt an der ganzen herrlichen Gestalt, und doch hätte man kaum glauben mögen, daß die Natur fähig sei, ein Weib in solch poetischer und doch zugleich üppiger Vollendung zu schaffen.

Wie arm und gering stand dagegen der Prairiejäger vor ihr, der im letzten Zimmer seine Kutte wieder abgeworfen hatte. Und doch hielt er seine Gestalt stolz erhoben, und doch leuchteten ihre Augen vor Glück und Wonne, ihn bei sich zu sehen. Sie trat ihm entgegen, streckte ihm beide Hände hin und rief:

»Endlich, endlich wieder einmal, lieber Gérard. Ich danke Dir, daß Du mir diese Freude machst. Komm, laß Dich küssen!«

Sie umarmte ihn und küßte seinen Mund mit der ganzen Innigkeit einer glücklichen Braut, während er sich nicht im Geringsten herbeiließ, diesen Kuß zu erwidern. Dann zog sie ihn nach dem Sammetdivan, schob ihn auf denselben nieder, setzte sich neben ihn, schlang die Arme um ihn und legte ihr Köpfchen, dieses von einem Maler gar nicht wieder zu gebende Köpfchen, an sein Herz.

So saßen sie da, er in seiner alten, schmutzigen und blutgetränkten Blouse, und sie im durchsichtigen Seidenkleide, durch dessen Stoff von der tief ausgeschnittenen Büste an bis herunter zu den üppigen Hüften die lebendige Haut des entzückenden Weibes hindurchschimmerte.

»Du wolltest ausgehen, wie ich sehe?« nahm er kalt das Wort.

»Ja. Ich wollte zwei Stunden zur Tertullia (Gesellschaftsvergnügen), und dann erwartete ich den Major. Doch verzichte ich herzlich gern auf das Vergnügen, wenn ich nur das Glück habe, Dich bei mir zu sehen.«

»Auf welches Vergnügen willst Du verzichten?« lächelte er. »Auf die Tertullia oder den Major?«

»Auf das Erstere; das Letztere ist kein Vergnügen.«

»Ich glaube es.«

»Und dieser häßliche Capitän - - ah, weißt Du, daß er seit mehreren Tagen nach auswärts ist?«


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»Wohin?«

»Niemand weiß es.«

»Auch Dein süßer Major nicht?«

»Nein.«

»Aber der Commandant muß es wissen!«

»Jedenfalls.«

»So ist dies ein böses Zeichen für uns.«

»Ah, für uns? In wiefern?«

»Der Capitän ist mit einer geheimen Recognition betraut worden und der Commandant hat dies dem Major verschwiegen; dies ist jedenfalls ein unabfehlbarer Beweis, daß er diesem Letzteren mißtraut und ihn nicht für verschwiegen hält.«

»Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet. Ich sehe, daß Du scharfsinniger bist, als ich, lieber Gérard.«

»Ein anderes Mal bist Du klüger als ich. Wir müssen uns eben ergänzen.«

»So möchte ich wissen, wohin der Capitän gegangen ist. Ich muß es auf alle Fälle zu erfahren suchen und werde mich da an den Commandanten halten müssen.«

»Ist er liebenswürdig gegen Dich?«

»Ja.«

»Ah, so hat er endlich angebissen!«

»Das freilich, aber leider nur wie ein großer, schwerer Fisch, der die dünne Angelschnur jeden Augenblick zerreißen kann. Kürzlich hat er mich um einen discreten Abend gebeten.«

»Hast Du zugesagt?«

»Noch nicht. Ich wollte die Schnur erst stärker werden lassen und dieses tête-à-tête bis zu einem Zeitpunkt aufheben, an welchem es gilt, etwas Wichtiges von ihm zu erfahren. Ich werde ihm den morgenden Abend gewähren und Du sollst dabei zugegen sein und den Lauscher machen.«

»Das geht nicht, denn ich muß unbedingt diese Nacht wieder fort.«

»O weh! So werde ich Dich heute nicht bei mir haben?«

»Leider nein.«

»Ist Deine Eile so dringend geboten?«

»Sehr dringend. Ich habe seit gestern Nacht oder vielmehr vorgestern Abend ohne Unterbrechung auf ungesattelten Pferden gesessen und wohl gegen fünfzig geographische Meilen zurückgelegt. Daraus magst Du sehen, wie dringlich die Sache ist.«

»Du Aermster!« sagte sie, ihm die Wangen zärtlich streichend und dann seinen Mund küssend. »Du wirst Dich dabei aufreiben. Du hast gar nicht geschlafen?«

»Nein.«

»Und mußt denselben Weg in derselben Weise ohne Schlaf zurücklegen?«

»Freilich. Doch habe ich eiserne Constitution; ich werde es aushalten.«

»Aber wenn Du schon heute wieder fort mußt, so wirst Du morgen nicht erfahren, weshalb der Capitän vom Commandanten ausgeschickt worden ist!«


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»O, das weiß ich bereits, liebes Kind,« sagte er lächelnd.

»Wirklich, wirklich?« fragte sie erstaunt.

»Sogar sehr genau weiß ich es. Ich habe nämlich den Capitän getroffen und Alles gehört und belauscht.«

»Gérard, Du bist wirklich ein ganz außerordentlicher Mensch!«

»O nein,« antwortete er bescheiden. »Es lag hier nur ein einfacher Glücksumstand vor, sonst hätte ich gar nichts erfahren. Ich wurde von Bärenauge aufmerksam gemacht.«

»Das ist der junge Apachenhäuptling, der seinen Bruder Bärenherz sucht und den Schwur gethan hat, wenn er ihn nicht findet, jede Woche und so lange er lebt, einen Weißen zu tödten?«

»Ja, derselbe. Er ist mein Freund und hat mir fünfhundert seiner Krieger versprochen.«

»Das ist gut, sehr gut, denn diese fünfhundert wiegen fünftausend Franzosen auf. Aber was hast Du auf Deinem Lauscherposten vom Capitän erfahren?«

»Er ist bei den Comanchen gewesen, die ihm sechshundert Krieger zugesagt haben.«

»O weh; das ist schlimm!«

»Pah! Ich werde sie aufreiben. Ferner kam er nach Fort Guadeloupe, als Goldsucher verkleidet, um dort eine Compagnie Franzosen zu erwarten, welche sich im Fort festsetzen sollten. Daß der Commandant es wagt, einen solchen Truppentheil so weit vorzuschieben, läßt mich fast vermuthen, daß er den Präsidenten Juarez in Paso del Norte aufheben will, und daß er ferner von der Geldsendung gehört hat, welche aus den Vereinigten Staaten für uns unterwegs ist.«

»Eine Geldsendung? Ah, käme sie doch an! Ich muß es dringend wünschen.«

»Warum?«

»Du mußt wissen, daß mir der Präsident bereits seit drei Monaten meinen Gehalt schuldig geblieben ist. Ich gelte hier für reich und muß ein großes Haus führen, um Eurer Sache dienen zu können. Und doch ist meine Kasse vollständig erschöpft. Ich weiß, daß Juarez jetzt selbst darben muß, aber ich bin wirklich bereits gezwungen gewesen, Anleihen zu machen. Der Nimbus, mit welchem ich verstanden habe, mich zu umgeben, wird da nicht mehr lange vorhalten.«

»Ja, der Präsident ist allerdings jetzt fast ganz von allen Mitteln entblößt; wenn er Dir trotzdem Geld sendet, so magst Du daraus ersehen, daß er die Vortheile, welche uns Deine Schönheit bringt, zu schätzen weiß.«

»Er schickt Geld?« fragte sie freudig.

»Ja,«

»Wann? Durch wen?«

»Jetzt, heute, durch mich.«

»Herrlich, herrlich! Komm, laß Dich küssen!«

Man sah es ihr an, daß ihre Freude nicht der Habsucht, sondern der wirklichen Noth entsprang. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn so fest an sich, daß ihr von dem ausgeschnittenen Kleide nicht bedeckter Busen sich durch seine vorn offene Blouse stahl und seine nackte Brust berührte. Bei einer solchen Innigkeit dieses prächtig schönen Weibes wäre kein Anderer gleichgiltig geblieben; er aber nahm ihre Umarmung und die darauf folgenden Küsse kalt hin und sagte:


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»Ich habe das Geld zwei Wochen lang mit mir herumgetragen. Du mußt entschuldigen, ich konnte wahrhaftig nicht eher kommen.«

»Du bist entschuldigt, lieber Gérard, denn ich kenne Deine Sorgfaltigkeit für mich. Aber sage mir, wie viel es ist?«

»Ein Halbjahrgehalt; drei Monate leider post-, aber dafür nun auch drei Monate pränumerando. Bist Du zufrieden, Kind?«

»Sehr, sehr! Ists in Papieren?«

»Ja. Wie könnte ich so viel in Münze bei mir führen?«

»In welchen Papieren? Die Nordamerikanischen könnten mich blosstellen.«

»Es sind gute Scheine der englischen Bank.«

»Ah, das ist prächtig; das ist sehr vorsichtig!«

»Hier hast Du sie.«

Er fuhr in den Schaft seines starken, elenndledernen Jagdstiefels und zog ein Packet hervor, welches er ihr überreichte. Sie öffnete es, zählte nach und sagte:

»Richtig; es stimmt! Nun bin ich wieder reich! Aber, lieber Gérard, Du mußt mir auch den Gefallen thun, eins dieser Papiere von mir anzunehmen!«

Sie hielt ihm mit aufrichtig bittender Miene eine Hundertpfundnote hin. Er schüttelte lächelnd mit dem Kopfe, schob ihre Hand zurück und sagte:

»Ich danke Dir, Emilia! Du meinst es herzlich gut mit mir, aber ich muß Deine Güte nicht mißbrauchen. Ich hätte keine Verwendung für das Geld.«

»Aber Gérard, keine Verwendung!« schmollte sie. »Siehe Dich nur an!«

Er warf einen lustigen Blick auf sich herab und dann im Boudoir umher und fragte:

»Du meinst, daß ich nicht ganz zu Dir passe?«

»Ganz und gar nicht!«

»Ja, Du hast recht. Aber wenn Du zu mir hinaus in den Wald kämst, würdest auch Du nicht zu mir passen. Ich gehe so, wie ich es nöthig habe.«

»Aber eine andere Hose, eine neue Blouse möchtest - - -«

Er unterbrach ihre Worte, die sie mit einem sorgenden, altmütterlichen Blicke begleitet hatte, der ihr sehr gut stand und fiel ihr in die Rede:

»Meine Kleidung ist sehr gut für meine Zwecke. Und glaubst Du, daß ich mit dieser Hundertpfundnote bezahlen könnte? Uebrigens brauchst Du Dich nicht um mich zu sorgen, ich bin nicht so ganz arm, wie Du zu denken scheinst.«

»Ah, Du bist reich?«

»Beinahe. Ich habe nämlich droben in den Bergen ganz zufällig eine Goldader entdeckt. Brauche ich Geld, so gehe ich hinauf und breche mir ein Stück heraus. Sei also bedankt für Dein Geschenk! Willst Du mich partout mit Etwas erfreuen, so gieb mir etwas zu essen; ich habe gewaltigen Hunger.«

Sie stieß ein lustiges, wohltönendes Lachen aus. Er stimmte ein und fragte:

»Du lachst über meinen Hunger?«

»Ja, soll ich denn nicht?«

»Immerhin! Die Herren, welche Dich besuchen, schwärmen von Schönheit, Glück, Entzücken und Liebe: sie möchten aus den Spitzen Deiner Finger Ambrosia beißen und von Deinen schönen Lippen Nektar küssen; ich Bär aber mag von alle-


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dem nichts und verlange ein kräftiges Essen, weil ich fünfzig Meilen geritten bin und gewaltigen Hunger habe. Das ist natürlich ein Unterschied. Ich werde sofort in Deinem Credite sinken und von jetzt an für einen Barbaren gehalten werden.«

Sie verschloß ihm den Mund mit einem Kusse.

»Still, Du Bär! Du weißt doch, daß Du mir tausendmal lieber bist, als alle die Anderen. Die kommen hereingeschniegelt zum ekelwerden; sie duften und äugeln, sie säußeln und flattern - pah! Wenn Du aber kommst, so sehe ich einen Mann. Wie gerne sehe ich zu, wenn Du die großen Bissen zwischen den Bart hineinschiebst und die Knochen zermalmst wie ein richtiger, ächter Bär. Ich sage Dir, Gérard, ich würde sofort diesen ganzen Plunder vom Leibe reißen und den ärmlichsten Rock anziehen, um Dir hinaus in den Hinterwald zu folgen und Kartoffeln, Schooten und Meis zu bauen. Aber ich bin Dir nicht gut genug, und Du hast leider Recht. Meine Liebe verschmähst Du, aber meine Freundschaft sollst Du doch annehmen müssen. Sag, was willst Du essen? Auftragen darf ich Dir nicht lassen, da Niemand wissen darf, daß Du bei mir bist.«

»Hole mir ein großes Stück trockenes Brot und etwas Fleisch dazu!«

»Weiter nichts?

»Nein.«

»Ist das ein Mensch!« lachte sie. »Er kann alle Delikatessen haben und verlangt trockenes Brot. Du sollst Deinen Willen haben.«

Sie erhob sich, um das Verlangte zu holen. Als sie durch das Boudoir schritt und zur Thür hinausging, so stolz, so schön wie eine Königin, blickte er ihr nach. Es war fast ein Ausdruck des Mitleides zu nennen, welcher dabei über seine Züge glitt, aber er schüttelte diese Regung ab und murmelte:

»Pa! Sie ist trotz dieser wahrhaft hundetreuen, unterthänigen Liebe dennoch nicht unglücklich. Sie liebt den Glanz und den Genuß; es ist ihr Beides geboten, und so ist sie mit ihrer gegenwärtigen Lage ganz zufrieden. Aber, bei Gott, ich habe gar nicht gedacht, daß ein Kerl wie ich einem so schönen Weibe solch eine Zuneigung einflößen könne. Die Liebe ist wahrhaftig ein launenhaftes Ding!«

Sie kehrte zurück und setzte ihm einen Teller vor, von welchem er rüstig zulangte. Sie beobachtete ihn mit sichtlichem Interesse und sagte:

»So, mein guter Gérard, erscheinst Du mir in meinen Träumen. Mitten im Urwalde eine kleine Farm, Du der Mann und ich die Frau - - -«

»O bitte!«

»Geduld! Es ist ja eben nur im Traume! Du kehrst von der Arbeit oder von der Jagd zurück, setzest Dich an den Tisch - - -«

»Ohne vorherigen Kuß?« lachte er.

»Zehn Küsse vorher, Gérard! Dann setze ich Dir eine rauchende Büffelzunge vor - -«

»Nein, kalt muß sie sein! Büffellende darf rauchen.«

»Gut, so bekommst Du also Büffellende und da beißest Du so kräftig hinein wie eben jetzt. Deine Zähne schimmern; Du bist ganz und gar bei der Arbeit und das ist so gut und behaglich, daß man selbst Appetit bekommt.«

»Willst Du?« fragte er, ihr das trockene Brot hinreckend.

»Nein, Brrr!« antwortete sie, sich schüttelnd.


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»Schöne Farmersfrau, die kein Brot essen kann!«

»Ich würde es wieder lernen.«

»Aber schwer. Du kannst es besser, viel besser haben.«

»Wie?«

»Suche nach einer wirklichen, ernstlichen Verbindung. Bei Deiner Schönheit und Deinem Geiste bist Du im Stande, den vornehmsten, den reichsten Mann zu fesseln. Dann hast Du einen Halt für Dein ganzes Leben.«

Sie blickte zum Boden nieder. Sie fühlte, daß er recht hatte, dennoch aber antwortete sie im Tone eines nicht zurückzudrängenden Vorwurfes:

»Und das sagst Du mir? Du, der der Einzige ist, den ich lieben kann?«

»Und der auch der Einzige ist, der es wirklich aufrichtig gut mit Dir meint!«

»Ja, ich glaube es Dir; Du bist stets gut zu mir gewesen, schon als Knabe.«

»Hm, warum sollte ich nicht? Deine und meine Eltern wohnten im Hinterhause. Ich war ein starker Bube und Du ein so kleines, allerliebstes Ding. Dann kam ich zum Schmied in die Lehre und Du warst reif zur Schule.«

»Und als ich die Schule verließ, warst Du Garotteur.«

»Leider! Aber als ich die Garotte verließ, warst Du Grisette, ließest Dich von einem amerikanischen Schwindler entführen und gingst über die See.«

»Der Mensch verließ mich und ich sank in das tiefste Elend. Da trafen wir uns des Abends in St. Louis am Flusse. Ich hatte das Leben satt und wollte mich in das Wasser stürzen; Du ahntest dies und tratst herzu. Wir erkannten uns und ich war gerettet. Du arbeitetest für mich; Du theiltest den Ertrag der Jagd mit mir; Du verschafftest mir endlich die Stelle als Gesellschafterin der Dame, mit welcher ich dann hierher nach Mexiko kam. Ich schulde Dir mein Leben und noch mehr.«

»Ist nicht der Rede werth, mein Kind. Du hast seitdem genug für mich und unsere Sache gethan. Ich hatte nie geglaubt, daß aus dem kleinen Kinde, das ich auf meinen Armen trug und aus dem verzweifelnden Frauenzimmer am Ufer des Missisippi eine solche Dame werden könnte. Emilia, Du bist schön, Du bist entzückend, ja berauschend.«

Er schob den leeren Teller von sich, um sie genau zu betrachten. Da flog sie von ihrem Sitze auf ihn zu. Sie setzte sich auf seinen Schooß, drückte seinen Kopf an ihren entzückenden Busen und sagte:

»Gérard, dies Alles nützt mir nichts. Nur Dich, Dich, Dich allein möchte ich erobern und berauschen; Dein Weib möchte ich sein, wenn auch nur für ein kurzes Jahr und dann glücklich sterben. O Gott, warum kann dies nicht sein!«

Sie hielt ihn fest an sich gepreßt und weinte. Er schob sie langsam von sich und sagte:

»Wir passen nicht zu einander. Wir Beide sind leidenschaftlich; wir Beide haben zu viel gelebt; wir können uns nicht ergänzen. Siehst Du dies nicht ein?«

Sie nahm ihre Arme von seinem Halse und antwortete:

»Leider sehe ich es ein, mein guter Gérard. Wer von uns Beiden sich verheirathet, der darf sich nur mit einem ruhigen, versöhnenden Character verbinden. Wir aber würden einander nur unglücklich machen. Aber - aber - -!«


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Sie schritt hastig einige Male im Zimmer auf und ab, dann blieb sie vor ihm stehen, zeigte mit den beiden schönen Armen rund umher und fuhr fort:

»Siehe, das Alles danke ich Dir. Blicke mich selbst an! Denkst Du, ich wisse nicht, wie schön ich sei? Denkst Du, ich wisse nicht, welchen Eindruck ich mache und welche Macht ich ausübe? O, ich analysire mich täglich selbst. Ich stehe vor dem Spiegel und betrachte mich. Ich lasse alle Kleider fallen und studire meine Formen, um zu erfahren, wie ich sie am vortheilhaftesten zu behandeln habe. Keine Falte meines Gewandes liegt ohne Berechnung; jedes einzelne Haar meines Kopfes muß sich der Aufgabe fügen, den möglichst großen sinnlichen Eindruck zu machen. Sieh mein Haar! Giebt es ein zweites von dieser Länge und Fülle?«

Sie zog die goldene Nadel heraus, und nun wallte die dunkle, verführerische Fluth fast bis zum Boden hinab.

»Sieh mein Auge, meine Nase, meinen Mund, mein Kinn, mein Profil, meinen Kopf! Hast Du jemals einen Kopf gesehen, der schöner wäre als der meinige, und wäre es auch ein Gemäldekopf?«

»Nein,« antwortete er mit voller Ueberzeugung.

»Sieh meinen Hals! So rein, so schlank und doch so üppig meine Schulter krönend. Sieh diese Schultern selbst! Du bist der einzige, der kalt bei ihrem Anblicke bleibt. Lege Deine Hand auf meinen Busen. Fühlst Du etwa, daß ich ein Corset trage, um die Schönheit zu unterstützen? Sieh diese Arme und Hände, diese Taille, diese Hüften, die auch den Blick des Kältesten nicht wieder von sich lassen. Nimm dazu meine Erfahrung, meinen Scharfsinn, meine eigene sinnliche Natur! Wer will mir widerstehen? Kein Anderer als nur Du! Und doch möchte ich, daß all diese Reize nur Dir allein gehörten, und dann sollten sie von keinem fremden Blicke bemerkt werden. Ich wollte in Seligkeit und Wonne schwelgen. Und dennoch darf dies nicht sein. Du willst mir auch nicht für eine Woche, für einen Tag gehören, ohne mein Mann zu sein. Ich war glühend und leidenschaftlich; ich wollte wenigstens diese Woche, diesen Tag genießen; ich griff Dich mit einem meiner Reize nach dem andern an; ich that Alles, um ein Verlangen, und wäre es auch nur ein augenblickliches, in Dir zu erwecken - vergebens! Du bliebst kalt und wurdest um so kälter, je mehr Du mein Bestreben merktest, nur einmal, nur ein einziges Mal alle Wonnen der Liebe mit Dir auszukosten. Meine Schönheit war zu schwach, Dich zu besiegen. Du hast Dir den Vorsatz gemacht, den Weg zur Tugend zu wandeln; ich kann Dich nicht verführen und stehe nur vor der Möglichkeit, in einer Reihenfolge kurzer Rausche unterzugehen, indem ich mich Jedem ergebe, der mich bezahlt, oder mich an einen reichen Popanz zu hängen, in dessen Umarmung mir das Herz gefriert. Ist das nicht schrecklich?«

Sie hatte sich in eine Aufregung hineingesprochen, welche ihre Reize zur verdoppelten Geltung brachte. Ihre Augen leuchteten, ihre Wangen glühten; ihr Busen wogte; die üppigen Hüften spannten sich unter der dünnen Hülle, und über die vollen, runden Schultern ging ein zitterndes Beben, als ob sie von hundert unsichtbaren Lippen geküßt würden. Gérard wendete sich ab; er fühlte, daß er nahe am Erliegen war. Es trieb ihn mit aller Gewalt, die Arme nach ihr auszustrecken und sie zu sich nieder auf das weiche Polster zu ziehen.


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Sie sah ihm dies an der Gluth seiner Augen an; sie fühlte sich dem langersehnten Siege nahe; ihr Herz bebte vor Entzücken. Ihr ganzer, wundervoller Körper strebte gegen die Hülle; man sah durch die Maschen der dünnen, seidenen Fäden die ganze Empörung des rosigweißen Fleisches - aber da wendete er sich ab.

Jetzt nun wußte sie, daß sie niemals seine Liebe erlangen würde, nämlich die glühende, rücksichtslose Liebe, nach der sie begehrte. Sie drehte sich mit einem energischen Rucke von ihm ab und trat an das Fenster. Sie blickte in die dunkle Nacht hinaus. Ihre Arme erhoben sich; ihre Finger erfaßten die Fransen der kostbaren Gardinen und rissen sie herab, ohne daß sie es beachtete. Obgleich sie von ihm abgewendet stand, sah er unter ihrem erhobenen Arme die Fülle ihres Busens auf und nieder steigen. Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte.

Endlich kehrte sie wieder zu ihm zurück und nahm auf einem Stuhle Platz. Ihr Gesicht war bleich, ihre Züge kalt und ihre Stimme hatte einen Ton wie Heiserkeit, als sie sagte:

»Das Wunderbarste ist, daß ich Dich fort liebe, daß keine Spur von Haß, kein einziger Gedanke an Rache in meinem Herzen Platz nimmt. Ich könnte mich für Dich aufopfern; ich könnte zu Deinen Füßen für Dich sterben wie ein Hund, den sein Herr tödtet und der ihm dafür noch im letzten Augenblicke die Hand leckt. Laß uns nicht weiter davon sprechen; reden wir lieber von unseren Geschäften!«

»Ja, das wird besser sein, liebe Emilia,« antwortete er.

»Weißt Du, daß es einen neuen Prätendenten giebt?

»Einen, der Präsident werden will?«

»Ja.«

»Ich hörte noch nichts davon. Wer ist es?«

»Ein gewisser Cortejo aus Mexiko. Ich glaube, er heißt Pablo Cortejo.«

Gérard horchte auf. Er kannte den Namen Cortejo nur zu gut. Er hatte ihn in dem Buche gefunden, welches er Don Alfonzo abgenommen hatte, nachdem er ihn vorher garottirt hatte, in demselben Buche, welches ihm später in Rheinswalden von dem Waldhüter abgenommen worden war.

»Cortejo? Was ist er?«

»Er war Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda.«

»Ah!«

»Kennst Du den Grafen, oder vielmehr, kanntest Du ihn?«

»Ich habe von ihm gehört.«

»Er ist gestorben, schon vor langen Jahren. Kennst Du auch diesen Cortejo?«

»Nur dem Namen nach. Aber wenn er in Mexiko ist, wie kann er da prätendiren? Die Hauptstadt befindet sich ja in den Händen der Franzosen!«

»Ich habe gesagt, daß er aus Mexiko sei, nicht aber in Mexiko. Er befindet sich gegenwärtig droben in der Provinz Chiapa.«

»Hat er Anhang?«

»Er war Einer der Ersten, welche sich für die Franzosen erklärten, er und der Panther des Südens. So lange Juarez noch mächtig war, trat dieser obscure Cortejo mit seinen wirklichen Absichten nicht hervor; jetzt aber scheint er zu denken, daß ihm die Zeit als auch die Verhältnisse günstig seien. Er agitirt in den süd-


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lichen Provinzen, in denen die Franzosen doch nie große Fortschritte gemacht haben.«

»Ist er denn der Mann dazu?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und stehen ihm die nöthigen Mittel zu Gebote?«

»Wahrscheinlich.«

»Und die Erfolge, welche er bereits erzielt hat?«

»Sie scheinen nicht zu groß zu sein. Aber der Panther des Südens hat sich für ihn erklärt, und Du wirst wissen, daß dieser einen großen Anhang besitzt.«

»Dieser Cortejo scheint uns nicht sehr gefährlich werden zu können.«

»Wer weiß es! Vielleicht hat er Geld, und für dieses ist der Mexikaner außerordentlich empfänglich. Das Sonderbarste aber ist, daß er selbst weniger agitirt als seine Tochter.«

»Er hat eine Tochter?«

»Ja.«

»So ist sie jung und schön?«

»Warum jung und schön?«

»Weil dies zwei Eigenschaften sind, welchen es selten schwer fällt, Propaganda zu machen, sobald sie nämlich geschickt in die Wagschale geworfen werden. Du zum Beispiel wärst ganz wie geschaffen dazu, einen Agitator zu unterstützen.«

»Ich thue dies ja bereits, indem ich für Juarez wirke. Was aber diese Tochter Cortejo's betrifft, so ist sie weder jung noch schön. Diese Sennorita Josefa - - -«

»Josefa heißt sie?« fragte er, sie unterbrechend.

»Ja. Sie ist geradezu eine Vogelscheuche.«

»Kennst Du sie? Hast Du sie gesehen?«

»Nein. Ich kenne sie nur im Bilde.«

»So hast Du ihre Photographie?«

»Ja. Dieses Weib läßt nämlich Photographien von sich vertheilen.«

»Und ist weder jung noch schön? Welch eine Dummheit!«

»Ah, welches Weib, und wäre sie eine Megäre, wäre so objectiv, sich aufrichtig für häßlich zu halten? Man sagt, daß Sennorita Josefa sich im Gegentheile für schön hält. Und diese Ansicht muß sie auch wirklich von sich haben, sonst würde sie nicht ihre Visitenkarten zu Tausenden anfertigen lassen und vertheilen.«

»Hast Du das Bild da?«

»Ja, hier im Album.«

»Bitte, zeige es mir!«

Sie öffnete das Album, schlug es auf und legte es ihm vor.

»Da ist es; diese hagere Personnage!«

Er warf einen neugierigen Blick darauf und lachte dann laut auf.

»Wie findest Du sie?« fragte Emilia, in sein Lachen einstimmend.

»Außerordentlich interessant.«

»Ah, wirklich?«

»Ja, aber nur zum Zwecke eines Studiums der Häßlichkeit, oder um nur Dir,


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als dem graden Gegenstück zu dienen. Ich begreife einfach dieses Frauenzimmer nicht.«

»Gut, lassen wir ihr das Glück, von Tausenden gesehen und ausgelacht zu werden.«

»Welche Neuigkeiten hast Du sonst noch?«

»Daß Napoleon endlich beginnt, mit den Vereinigten Staaten über das Schicksal Mexikos zu unterhandeln.«

»So ist der Erzherzog Max am Ende seiner Kaiserlaufbahn.«

»Meinst Du?«

»Ja. Die Vereinigten Staaten werden keinen Kaiser von Mexiko dulden.«

»Das ist denn doch die Frage.«

»Nein, es ist gewiß. Das geht ja sehr deutlich aus der Note hervor, welche Seward, der Sekretair der Vereinigten Staaten, bereits im Jahre 1864 an Dayton, seinen Gesandten in Paris, übermittelte.«

»Wie lautete sie?«

»Ich sende Ihnen eine Abschrift der Resolution, welche am vierten dieses Monats im Repräsentantenhause einstimmig angenommen wurde. Sie bringt die Opposition dieser Staatskörperschaft gegen die Anerkennung einer Monarchie in Mexiko zum Ausdrucke. Nach Allem, was ich Ihnen schon früher mit aller Offenheit zur Information Frankreichs geschrieben habe, ist es kaum nöthig, noch ausdrücklich zu sagen, daß die in Rede stehende Resolution die allgemeine Ansicht des Volkes in den Vereinigten Staaten in Betreff Mexiko's feststellt.«

»Ah, das hast Du Dir gut gemerkt. Du hast es ja völlig auswendig gelernt!«

»Wer so zu Juarez hält, wie ich, der merkt sich solche Noten sehr genau.«

»Nach ihr ist allerdings alle Hoffnung für Max verloren. Was hat denn der Kaiser der Franzosen dazu gesagt?«

»Wollen Sie Krieg oder Frieden?«

»Diese Worte sind von ihm?«

»Ja. In seinem Allmachtsgefühle hat er diese Frage an den amerikanischen Gesandten gestellt. Er dachte, die Vereinigten Staaten hätten wegen des Bürgerkrieges so viel mit sich selbst zu thun, daß sie vor einem Kriege mit Frankreich zurückbeben würden; jetzt aber haben sie ihn eines Besseren belehrt, und er läßt sich, wie Du mir eben sagtest, in friedliche Unterhandlungen mit ihnen ein. Das ist ein untrügliches Zeichen, daß er den Erzherzog fallen lassen will. Giebt es sonst noch Neuigkeiten, welche ich Juarez bringen kann?«

»Nichts, das ich jetzt wußte. Die geheime Sendung des Capitäns ist das Einzige von Belang, was jetzt geschehen ist und davon warst Du ja besser unterrichtet als ich. Also er ist jetzt auf Fort Guadeloupe?«

»Nein.«

»Du sagtest es doch!«

»Ich sagte, daß er sich dort befunden habe, nicht aber, daß er sich noch immer dort befinde. Auf diesem Gebiete wird kein französischer Spion geduldet.«

»Wo ist er denn?«

»Im Walde.«

»Ah, also abermals bei den Indianern?«


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»Nein, sondern bei seinen Vätern, um mich eines Ausdrucks der Bibel zu bedienen.«

»Todt?«

»Ja.«

»Das ist überraschend! Wenn das der Commandant erfährt!«

»Er wird es erst dann erfahren, wenn es für ihn nutzlos ist.«

»Ich ahne, welchen Tod er gefunden hat!«

»Welchen?«

»Ihr habt Gericht über ihn gehalten.«

»Wir? Nein, sondern ich allein.«

»Und hast das Urtheil auch selbst ausgeführt?«

»Ja; er erhielt eine Kugel durch den Kopf.«

»Welches war sein letzter Wille? Denn Du bist doch freundlich genug gewesen, ihn nach demselben zu fragen?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Er aber glaubte, es beliebe mir, nur Kommödie mit ihm zu spielen und darum - -«

»Kommödie? Du, der schwarze Gérard? So kannte er Dich gar nicht?«

»Nein.«

»Und Du hast ihm Deinen Namen nicht gesagt?«

»O doch. Dann erkannte er, daß es Ernst war, denn ich sah ihn erbleichen. Aber er stritt mit mir über mein Recht, über ihn zu Gericht zu sitzen. Ich brachte ihn nicht zu der Mittheilung seines letzten Willens und gab ihm die Kugel.«

»So hat er nicht gebeichtet?«

»Wem sollte er beichten? Es war kein Geistlicher vorhanden.«

»Aber gebetet?«

»Auch nicht; er wollte nicht.«

»So ist er in seinen Sünden dahingefahren. Er war ein warmer Anbeter von mir, ich sollte eigentlich Mitleid mit ihm haben.«

»Ja, er war Dein Anbeter,« lächelte Gérard. »Ich hörte ihn sagen, daß er Dich besessen habe und dennoch zog er eine Andere vor.«

»Er mich besessen? Der Indiscrete! Und eine Andere vorgezogen? Wen?«

»Ein Mädchen in Fort Guadeloupe, wo er bereits einmal gewesen war.«

»Und mir schwor er Liebe und ewige Treue! O, diese Männer!«

»O, diese Weiber! Kannst Du von Jemand Treue verlangen?«

Sie wäre beinahe zornig geworden, jetzt aber lachte sie.

»Du hast recht! Ich selbst bin ja Keinem treu. Ich locke sie an und werfe sie dann von mir. Das soll meine Rache an den Männern sein, weil der Einzige, dem ich ausschließlich gehören möchte, meine Liebe von sich stößt. Aber, lieber Gérard, Du wirst Dich auf Deinen Posten begeben müssen. In zwei Minuten wird der Major erscheinen; er ist außerordentlich pünktlich.«

»So gieb mir die Nachschlüssel und die Laterne.«

»Hier. Die Kleidung liegt bereits draußen.«

Sie öffnete ein Fach ihres Schreibtisches, nahm zwei Schlüssel und ein elegantes Blendlaternchen hervor und reichte ihm Beides. Er nahm es und wollte sich damit entfernen; da aber sagte sie:


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»Wie unhöflich!«

»Was?«

»Wir trennen uns und Du umarmst mich nicht!«

»Ah!« lächelte er. »Diese ewige Trennung für eine kurze Zeit! Wie lange wird dieser Major bei Dir sein?«

»Ich möchte ihn am liebsten abweisen, da Du hier bist. Es fragt sich, welcher Zeit Du bedarfst, um mit seinen Papieren fertig zu werden.«

»Das kann ich vorher nicht wissen. Gieb mir eine Stunde!«

»Gut, genau in einer Stunde, von jetzt an gerechnet, wird mich der Major verlassen. Laß Dich nicht von ihm ertappen. Ich werde Migräne vorschützen.«

»Hast Du auch bereits diese schöne Erfindung gemacht?«

»Geh!« antwortete sie mit komischem Schmollen. »Eine jede schöne Frau hat das Recht, Migräne zu haben, so oft es ihr beliebt. Ich fühle sie schon jetzt.«

»So ergreife ich die Flucht!«

Er umarmte sie und ließ es zu, daß sie ihn zärtlich an sich zog und küßte. Ihre vollen Arme lagen bloß um seinen Nacken und ihr wallender Busen liebkoste seine Brust. Er konnte nicht anders, es war der Eindruck ihrer Reize, vermischt mit einer Art freundschaftlichen Mitleides; er legte nun auch die Arme um sie, drückte sie an sich und erwiederte ihre Küsse. Sie schob seinen Kopf mit beiden Händen von sich ab, näherte ihr Gesicht dem seinigen, sah ihm tief in die Augen und flüsterte mit glühendem Athem und fliegender Brust:

»Darf ich Dir denn gar nicht gehören?«

"Versuche mich nicht!" bat er.

»Versuche mich nicht!« bat er.

»Kein einziges Jahr lang?«

»Nein.«

»Keinen Monat lang, keinen einzigen?«

»Nein, Emilia.«

»O, dann nur einen Tag! Bleibe heut bei mir, dann will ich nie wieder klagen!«

Er war ein schwerer Augenblick. Alle ihre Schönheiten, ihre Bitte, ihre Gluth drang siegreich auf ihn ein; fast wollte er nachgeben, aber er ermannte sich und antwortete:

»Vergieb mir, Emilia! Ich darf nicht wortbrüchig werden.«

»Gegen wen würdest Du es?«

»Gegen mich selbst.«

»Dann hättest Du den strengsten Richter, den es geben kann, Dich selbst. So will ich Dich also nicht bestürmen; aber küssen will ich Dich, küssen, küssen.«

Sie drückte Kuß um Kuß auf seine Lippen, bis er sich ihr entwandt.

»Also eine Stunde?« sagte er.

»Ja, länger nicht,« antwortete sie, vor Anstrengung hoch glühend. »Und noch einmal, laß Dich nicht ertappen!«

Er verließ das Zimmer durch eine Seitenthür und befand sich in einem kleinen Raume, welcher zur Aufbewahrung überflüssiger Geräthschaften diente. Es war kein Licht da und er brannte sich die Laterne an. Beim Scheine derselben


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sah er die Kleidung eines Dieners auf einem Stuhle Liegen. Er zog die seinige aus und legte diese an; dann horchte er.

Bald vernahm er Stimmen. Der Major war gekommen. Er hatte ihn von diesem Stübchen bereits einige Male belauscht und kannte seine Stimme.

»O dios, wie schön, wie schön sind Sie heute, Sennorita!« hörte er ihn sagen.

»Sie schmeicheln,« antwortete Emilia, »ich muß im Gegentheil ein recht müdes und angegriffenes Aussehen haben.«

»In wiefern, meine Gnädige?«

»Ich leide bereits den ganzen Tag an den allerheftigsten Kopfschmerzen.«

»Ah, Migräne!«

»Ja. Ich würde gar nicht zu sprechen sein, wenn ich Ihnen die Erlaubniß, mich zu besuchen, nicht so bestimmt gegeben hätte.«

»Welch ein Unglück! Sie werden mich fortschicken?«

»Nicht sogleich, wenn Sie artig sind. Jede Berührung, auch die leiseste erschüttert mein Gehirn und bereitet mir die fürchterlichsten Schmerzen. Aber ich will sehen, wie lange meine Nerven gutwillig sind. Nehmen Sie Platz!«

Gérard war mit dieser Einleitung sehr zufrieden. Er schob das Laternchen zu und steckte es in die Tasche. Dann verließ er das Stübchen.

Er trat auf einen hellerleuchteten Corridor und forschte, ob sich Jemand da befinde. Als er Niemanden bemerkte, huschte er schnell denselben hinab, zog einen der Schlüssel hervor, welchen er erhalten hatte, steckte ihn in das Schloß einer Thür und öffnete dieselbe. Der Schlüssel war der Hauptschlüssel; er öffnete alle Thüren. Rasch trat Gérard ein. Er befand sich in den Räumen, welche der Major bewohnte. Er kannte sie, denn er war heimlich bereits hier gewesen.

Emilia hatte dieses Haus gemiethet und dem Major diese Wohnung abgetreten.

Gérard zog die Laterne wieder hervor und öffnete sie, nachdem er die Thür nach abgezogenem Schlüssel wieder von innen verschlossen hatte. Er befand sich in einer Art von Vorzimmer, in welchem er sich nicht aufhielt.

Neben demselben lag das Arbeitszimmer des Majors, wenn in Mexiko überhaupt bei einem französischen Major von Arbeit die Rede sein konnte. Es hatte zwei Fenster, deren Läden geschlossen waren, so daß kein Lichtschein hindurchdrang. Gérard brauchte also keine Sorge zu haben, von draußen entdeckt zu werden.

Es standen drei Tische da, auf welchen Karten, Pläne, Bücher und Notizen lagen. Mit diesen Dingen begann der Prairiejäger, sich eingehend zu beschäftigen.

Er durchsuchte Alles, er mußte Wichtiges finden, denn er zog Papier aus einem Schubfache und fing an, sich schriftliche Notizen zu machen und gar von verschiedenen Scripturen Abschriften zu nehmen.

Dies ging Alles in fliegender Eile, denn die Zeit von einer Stunde schien ihm kurz bemessen zu sein für das wichtige Material, welches er hier vorfand. Sie war beinahe verflossen, als er endlich fertig war.

Er brachte Alles ganz genau in dieselbe Lage, in welcher er es vorgefunden hatte, und steckte seine Notizen und Abschriften zu sich. Die leeren Bogen, welche er dazu verwendet hatte, würde der Major wohl schwerlich vermissen, da deren eine ganze Menge vorhanden waren.


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Nun löschte er die Laterne aus und steckte sie ein. Er brauchte sie nicht mehr. Im Dunkeln begab er sich zur Vorzimmerthür zurück und öffnete sie leise. Ein Diener kam den Corridor herabgeschritten. Er ließ ihn erst vorüber, trat dann hinaus, verschloß eilig und huschte nach der Thür des Kämmerchens, von welchem seine Recognition ausgegangen war.

Er kam dort glücklich und unbemerkt an und wechselte die Kleidung. Er pflegte, wenn er sich hier befand und nach der Wohnung des Majors ging, andere Kleidung anzulegen, um im Falle, daß er gesehen werde, für einen Bediensteten gehalten zu werden.

Erfreut, daß sein Streich gelungen sei, trat er nun an die andere Thür, und horchte. Der Major schien aufbrechen zu wollen, denn er hörte ihn sagen:

»Ich bin wirklich ganz unglücklich, nicht länger verweilen zu können.«

»Und ich fühle mich ebenso unglücklich, Sie wegen meines Leidens verabschieden zu müssen,« antwortete Emilia.

»Sie haben mir heute nicht die mindeste Gunst erwiesen, Sennorita!«

»Sie wissen, daß Patienten nicht liebenswürdig zu sein pflegen.«

»Ich gebe das zu; eine Bitte aber werden Sie mir doch erfüllen!«

»Welche?«

»Sie ist nicht groß.«

»Sagen Sie!«

»Nicht groß, sondern sehr bescheiden.«

»Keine Einleitung. Ich bin zu nervös, um viel sprechen oder viel anhören zu können. Ich bedarf dringend der Stille und Ruhe.«

»Einen Kuß!«

»Ah!«

»Ein einziges, kleines Küßchen, Sennorita!«

»Ich muß verzichten!«

»O bitte, bitte!«

»Es geht nicht. Ich sagte Ihnen bereits, daß ich jede Berührung schmerzlich empfinde.«

»Ich werde Ihre Lippen so ganz leise berühren, daß Sie es gar nicht bemerken.«

»Ich muß es Ihnen trotzdem versagen. Gute Nacht!«

»Sie sind wirklich grausam!«

»Und Sie unhöflich!«

»So verzeihen Sie! Wann darf ich wiederkommen?«

»In vier Wochen.«

»In vier Wochen?« fragte er erstaunt. »Warum erst nach so langer Zeit?«

»Weil ich hoffe, mich dann erholt zu haben.«

»Ah, sie läßt ihn an der Angelschnur zappeln!« dachte der Lauscher.

»Eher nicht?« fragte der Major.

»Die Migräne ist ein hartnäckiges Uebel.«

»Sagen wir vierzehn Tage, Sennorita Emilia!«

»Ich will es versuchen.«

»Oder acht Tage!«


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»Das ist zu kurz. Ich kenne meine Kopfschmerzen.«

»Gut! Bestimmen wir lieber gar keine Zeit. Ich komme sobald Sie genesen sind.«

»Ich stimme gern bei.«

»Sie werden die Güte haben, es mir zu wissen thun zu lassen, Sennorita?«

»Gewiß,«

»Ich danke! Dann komme ich auf den Flügeln der Liebe herbeigeeilt, um Ihnen zu Ihrer Genesung freudigst zu gratuliren.«

»Kommen Sie mit vier Flügeln, wie ein Schmetterling?«

»Sie scherzen!«

»Oder mit zweien, wie ein Stoßvogel?«

»Wollen Sie mich verlegen machen?«

»Oder mit Flughäuten wie eine Fledermaus?«

»Sie werden sogar boshaft!«

»Oder mit Flossen wie ein fliegender Fisch?«

»Halten Sie mich für den Inhaber solch kalten Blutes, wie die Fische haben? Ich versichere Ihnen, daß grad in diesem Augenblicke das Gegentheil stattfindet.«

»Ah, Sie sind heiß?«

»Sie stehen trotz Ihres Unwohlseins so reizend, so unwiderstehlich vor mir, daß sich mein ganzes Blut in der heftigsten Wallung befindet.«

»So rathe ich Ihnen einen Aderlaß! Solche Wallungen sind gefährlich.«

»Allerdings. Fast möchte ich sagen, daß Ihre Schönheit mich in Fieber versetzt.«

»So nehmen Sie zu dem Aderlaß noch Blutegeln!«

»Sie sind heut wirklich boshaft, fast möchte ich sagen sogar heimtückisch! Ich thue wirklich am Besten, Sie zu verlassen.«

»Für immer?«

»Was glauben Sie! Sie ziehen mich an, wie das Licht die Motte.«

»Also doch Flügel und keine Flossen! Das tröstet mich. Gute Nacht, Herr Major!«

»Gute Nacht, boshafte Emilia!«

Er ging. Diese Unterredung hatte Gérard sehr viel Spaß gegeben. Er zögerte, einzutreten, da der Major ja unter irgend einem Vorwande oder aus irgend einer Ursache zurückkehren konnte. Da aber öffnete Emilia selbst die Thür.

»Bist Du da?« fragte sie in das dunkle Zimmer hinein.

»Ja.«

»So komm! Ich habe, um ganz sicher zu gehen, die Unterhaltung etwas länger ausgesponnen, als ich eigentlich sollte. Hast Du es gehört?«

»Ja.«

»Ah, Du hast gelauscht?«

»Natürlich! War es unrecht von mir, boshafte Emilia?«

»Wahrhaftig, dieser Mensch hat gehorcht!« lachte sie. »Denkst Du, Du bist im Urwalde, wo es gilt, verdächtige Leute zu beschleichen?«

»Pah, das war keine Urwaldscene! Aber, mit Respect gesagt, dieser Major scheint mir ein großer Esel zu sein.«


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»Warum?«

»Es war Dir die Malice ja anzuhören!«

»Die Liebe macht blind und taub, mein Guter!«

»Mich nicht.«

»O, denke an Mignon!«

»Ja, damals war auch ich ein Esel; jetzt aber bin ich vorsichtiger geworden. Warum hast Du dem armen Teufel keinen einzigen kleinen Kuß erlaubt?«

»Weil Du da bist.«

»Ah!« rief er mit scheinbarer Verwunderung. »Das ist mir schwer zu begreifen.«

»Nun erstens konnte ich mir denken, daß Du lauschen würdest, Du Neugieriger.«

»Und zweitens?«

»Und zweitens gehören meine Küsse heut nur Dir.«

»Aber zu anderer Zeit?«

»Schweig, sonst bist Du noch boshafter als ich! Uebrigens haben wir uns vorher den Abschiedskuß gegeben, so dürfen wir jetzt die Begrüßung nicht vergessen.«

Sie umarmte ihn und hielt ihm den schönen Mund entgegen. Ihre Lippen waren leise geöffnet, so daß einen reizenden Strich breit das reine Schmelz ihrer Zähne zwischen ihnen hindurch schimmerte. Dieser Anblick war ein außerordentlich verführerischer.

»Nun!« sagte sie ungeduldig.

Da neigte er sich ihr zu und küßte sie auf den liebedürstenden, reizenden Mund.

»Ah, endlich!« sagte sie. »Endlich einmal ein freiwilliger Kuß! Dafür muß ich Dich augenblicklich belohnen, Du Guter!«

Sie drückte sich mit aller Gewalt und Innigkeit an ihn und küßte ihn so oft, daß es ihm Anstrengung kostete, sich ihrer zu erwehren.

»Laß ab!« bat er.

»Was würde der Major geben, nur den viertel Theil dieser Küsse zu erhalten!«

»Er würde Alles wagen und Alles verrathen,« sagte sie. »Ich habe ihn fest.«

»Hat er Dir heut Etwas erzählt?«

»Nein.«

»O weh! Grad da ich hier bin, um Vieles zu erfahren!«

»Ich sah mich ja zur Einsilbigkeit gezwungen und durfte nicht so viel sprechen, als nöthig gewesen wäre, ihn auszuhorchen. Uebrigens dachte ich, daß Du selbst finden würdest, was Du brauchst.«

»Zum Glück ist es gelungen.«

»Ah, Du hast Etwas entdeckt?«

»Ja, sehr viel.«

»Was? Komm her zu mir!«

Sie zog ihn nach dem Divan, setzte sich auf seinen Schooß, schlang die Arme um ihn und blickte ihn erwartungsvoll an.


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»Zunächst mußt Du wissen, daß die Compagnie bereits nach Fort Guadeloupe abgegangen ist,« sagte er.

»Davon weiß ich kein Wort! Wann?«

»Heut früh beim Morgengrauen.«

»So ist das tiefste Geheimniß dabei bewahrt worden. Aber ich denke, daß der Capitän gesagt hat, der Major soll nichts davon erfahren!«

»Er kennt auch wirklich den Ort nicht, wohin die Leute marschiren sollen.«

»Woraus schließest Du das?«

»Ich habe nur eine kurze Bemerkung darüber vorgefunden. Sie lautet: »Zweite Compagnie heute früh vor Tage abmarschirt auf Recognition.««

»Das ist bedenklich; das ist sogar schlimm!«

»Warum?«

»Die Leute haben nun einen Vorsprung von einem vollen Tag vor Dir.«

»Das ficht mich wenig an. Ich werde sie sicher einholen. Sie können die Pferde nicht so wechseln wie ich, und sie können ebenso wenig so anhaltend galoppiren wie ich. Eine Compagnie braucht Platz; sie kann nicht jede beliebige Richtung und jeden beliebigen Weg wählen; ich aber reite grad aus durch Dick und Dünn.«

»Wer hätte dies früher in dem schwerfälligen Schmied gesucht!«

»Hm! Man muß Etwas lernen, und das Schicksal nimmt den Menschen in die Schule!«

»Aber dennoch kann die Compagnie nur zur Recognition ausgeritten sein.«

»In wiefern?«

»Du hättest ihr begegnen müssen.«

»Dies ist nicht der Fall. Ich hörte von dem Capitän, daß sie am linken Ufer des Rio Conchos hinabreiten würde; ich bin daher am rechten Ufer heraufgekommen, um nicht von diesen Leuten bemerkt zu werden. Diese Angelegenheit befindet sich ganz in Ordnung.«

»Was hast Du noch erfahren?«

»Daß der Kommandant bereits von den dreißig Millionen weiß, welche der Präsident der Union unserm Juarez zugesagt hat.«

»Das bringt uns fürs Erste doch in keine nahe liegende Gefahr!«

»O doch, denn er weiß, daß ein Theil dieses Geldes unterwegs ist. Morgen gehen zwei Compagnien nach der Grenze der Llano estacado ab, um diesen Transport aufzufangen.«

»O weh! Werden sie ihn bekommen?«

»Nein. Ich werde im Gegentheil dafür sorgen, daß wir sie bekommen.«

»Wenn Ihr sie findet!«

»Keine Sorge! Ich kenne die Marschroute; ich habe sogar Einsicht in ihre Karten und Pläne genommen. Es ist unmöglich, daß sie uns entgehen.«

»Weiter?«

»Weiter dann sollen diese beiden Compagnien sich mit derjenigen vereinigen, welche inzwischen Fort Guadeloupe weggenommen hat. Diese Kriegsmacht nimmt die sechshundert Comanchen auf, welche ihnen versprochen worden sind und macht


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damit einen Eilritt nach Paso del Norte, um Juarez gefangen zu nehmen und den letzten Rest der Seinigen zu vernichten.«

»Das ist kühn ausgedacht!«

»Es würde trotzdem gelingen, wenn ich es nicht erfahren hätte.«

»Diese Franzosen vergessen ganz, daß Juarez sich noch lange nicht am Ende seiner Macht befindet. Halb Mexiko wartet nur auf seinen Ruf, um aufzustehen.«

»Und das soll in kurzer Zeit geschehen; darauf kannst Du Dich verlassen. Aber nun bin ich hier fertig; ich muß aufbrechen.«

»Schon!« sagte sie erschrocken. Und ihn an sich pressend, fügte sie hinzu: »Warte nur noch eine Stunde. Ich bekomme Dich ja so selten bei mir zu sehen.«

»Unmöglich! Die Pflicht ruft und Du sagst es ja selbst, daß der Feind einen Vorsprung von einer vollen Tagereise hat. Ich darf keine Minute versäumen.«

»Gut, ich sehe es ein. Wenn wir die Feinde baldigst vertreiben, wird auch baldigst die Zeit kommen, in der ich Dich öfters sehe. Aber wenigstens so lange kannst Du noch warten, bis ich Dir einen Vorrath von Proviant eingepackt habe.«

»Ich danke Dir; ich brauche nichts. Ich muß so leicht wie möglich sein und bekomme auf jeder Hazienda gern das, was ich brauche. Ich kann nicht warten.«

Er erhob sich und stand auf. Sie standen einander gegenüber, Eins so hoch und stolz wie das Andere, er ein Bild männlicher Kraft und sie ein Beispiel weiblicher Schönheit.

»O Gérard, warum haben wir uns nicht in Paris geliebt!« klagte sie.

»Es wäre unser Unglück gewesen,« antwortete er.

»Meinst Du wirklich?«

»Ja.«

»Warum?«

»Ein Garotteur und eine Grisette? Wo denkst Du hin! Wir wären elend gewesen.«

»Kann ein Garotteur sich nicht bessern und eine Grisette sich ändern?«

»Das Erstere kann geschehen, das Zweite aber nicht.«

»Du bist grausam!«

»Nein, ich sage die Wahrheit. Selbst der ärgste Bösewicht kann ein ehrlicher Mann werden, denn er hat Character. Ein Mädchen aber, welches einmal die Freuden der Liebe gekostet hat, wird nie ein treues Weib. Der Bösewicht sündigt mit der Gesinnung, also psychisch, das Mädchen aber mit dem Körper. Dieser Körper bleibt zur Lust geneigt; der Geist ist willig, aber das Fleisch bleibt schwach. Ich war ein Bösewicht, aber ich habe mich geändert; Mignon war eine Grisette; sie versprach mir, sich zu ändern; sie hatte auch den Willen dazu; aber sie war ein Weib. Als die Versuchung kam, fiel sie wieder in den Sumpf zurück.«

»Und dennoch irrst Du. Hättest Du mich geliebt, so wäre ich Dir eine brave, treue Frau geworden. Bringe mir einen Mann, den ich lieben kann, so werde ich Dir beweisen, daß ich die Wahrheit rede!«

»Wollte Gott, ich fände einen! Nichts würde mich so freuen, wie Dich glücklich zu sehen. Aber meine Zeit ist da. Lebe wohl, Emilia!«

»Lebe wohl!«

Sie umschlang ihn und drückte ihn an sich. Ihre Lippen legten sich so


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fest auf seinen Mund, als ob sie nicht wieder von ihm lassen könnte. Dann bat sie:

»Denke an mich, Gérard!«

»Gewiß, Emilia!«

»Sehr oft?«

»Sehr!«

»Und schone Dich! Ich würde vor Gram sterben, wenn ich erführe, daß Du Deinen schweren Aufgaben erlegen seist. Wann kommst Du wieder zu mir?«

»Das weiß ich nicht, denke aber, so bald wie möglich. Also gute Nacht!«

Er sah sie so traurig vor sich stehen. Sie biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuweinen, aber ihre Augen waren ganz von Thränen verhüllt. Da kam eine unendlich theilnehmende Regung über ihn. Er trat auf sie zu, schloß sie in die Arme und küßte sie.

Sie lag weich und willenlos an seinem Herzen und nahm die Küsse entgegen wie die verschmachtende Blume, auf welche das Licht der Sonne fällt.

»O Gott, könnte es stets so sein!«

Mit dieser Klage war es aber auch um ihre Beherrschung geschehen. Sie wurde von einem krampfhaften Schluchzen erfaßt und riß sich von ihm los.

»Lebe wohl, Gérard! Gott sei mit Dir!«

Mit diesen Worten und einem Blicke, mit welchem die Verzweiflung einer tiefen und doch verschmähten Liebe durch die Fluth von Thränen brach, eilte sie aus dem Zimmer fort. Ein verlängertes Scheiden hätte sie niedergeworfen.

Er stand da und blickte die Thür an, hinter welcher sie verschwunden war.

»Bin ich denn wirklich so hart, wie ich mir jetzt selbst vorkomme?« murmelte er. »Es ist mir, als ob ich mich verabscheuen müsse und doch kann ich nicht anders. Nein, nein, es geht nicht, es geht nicht! Ich liebe eine Andere, und ein Gefallener, der mit schwerer Anstrengung aufgestanden ist, darf sich nicht mit dem Laster, sondern mit der Tugend verbinden.«

Er verließ das Zimmer auf demselben Wege, den er gekommen war, um sich von der alten Gärtnerin, welche ihn zu empfangen pflegte, gegen die Mönchskutte sein Gewehr wieder einzutauschen. Er ahnte nicht, daß er einer schweren Gefahr geradezu in die Hände lief.

Vorhin, als er sich durch die Vorpostenkette geschlichen hatte, war er sehr nahe an einem der Posten vorübergekommen. Dieser hatte ein leises Geräusch gehört und dann gelauscht, ohne etwas Weiteres zu vernehmen.

»Fast war es, als ob Jemand hier vorübergegangen wäre,« sagte er zu sich. »Es wird wohl irgend ein Thier gewesen sein.«

Er schritt leise auf und ab und nach einiger Zeit kam ihm die Lust eine Cigarrette zu rauchen. Die Franzosen befanden sich im Lande der Cigarretten; sie selbst sind große Liebhaber des Genusses und gaben sich demselben ohne Anstand hin. Selbst wenn ein Posten einmal rauchte, wurde gern ein Auge zugedrückt.

Der Mann zog also eine Cigarrette und Feuerzeug hervor. Beim Scheine des Hölzchens war es ihm, als ob er in dem zu einem Graben aufgeworfenen Lande einige tiefe Fußspuren bemerkte. Er bückte sich nieder und leuchtete hin.


// 1463 //

»Ah, richtig!« murmelte er. »Diese Spuren sind noch ganz frisch. Der Kerl ist hier vorübergekommen. Wer mag es gewesen sein?«

Er brannte nach einander mehrere Zündhölzer an und sah nun ganz deutlich die Richtung, welche der Mann genommen hatte.

»Dieser Kerl hat sich zwischen uns hindurch und in die Stadt geschlichen,« brummte er. »Er hat also etwas Gefährliches vorgehabt und ich muß diese Geschichte sogleich melden.«

Er rief den nächsten Posten an und theilte ihm mit, was er bemerkt hatte. Diese Meldung ging von Mann zu Mann bis zu dem Offizier, der sie sofort dem Commandanten vermittelte. Dieser nahm die Sache ernst. Er kommandirte hier auf dem äußersten Posten der französischen Machtentfaltung. Er begab sich sofort unter gehöriger Bedeckung an Ort und Stelle, um seine Maßregeln zu treffen.

»Erzähle!« gebot er dem Soldaten.

»Ich hörte ein Geräusch - - -« begann dieser.

»Und riefst nicht an?« unterbrach ihn der Commandant.

»Es war nur so leise wie von einer Maus; ich konnte nicht denken, daß es von einem Menschen hergerührt habe,« entschuldigte sich der Mann.

»Und dann?«

»Dann kam mir doch der Gedanke, einmal nachzusehen. Das Land ist hier tief. War es ein Mensch gewesen, so hatte er sicherlich Spuren hinterlassen. Ich zündete ein Hölzchen an und fand die Fährte.«

Gut! Deine anfängliche Nachlässigkeit soll Dir verziehen sein, weil Du sie wieder gut gemacht hast. Brennt die Laternen an!«

Dies geschah, und nun konnte man die ganze Fährte bis dahin verfolgen, wo sie auf festem Boden verlief.

»Der Kerl ist in die Stadt aber noch nicht wieder heraus,« sagte der Commandant. »Wo es ihm gelungen ist, hinein zu kommen, wird er auch wieder heraus zu kommen versuchen. Ihr bleibt Alle hier. Sobald er kommt, ergreift Ihr ihn, ohne ihn vorher anzurufen. Aber legt Euch auf die Erde nieder. Die Leute dieser Gegend sind erfahrene Kerls. Wenn er kommt und Ihr steht, könnte er Euch sehen. Ich werde unterdessen den übrigen Außenposten die größte Vorsicht anbefehlen.«

Er ging. Es waren fünfzehn Mann, die er zurückgelassen hatte, alle bewaffnet, also mehr als genug, um einen Einzigen zu ergreifen, der ahnungslos in die Falle ging.

Sie lagen lautlos an der Erde und warteten. Stunde um Stunde verging. Schon glaubten sie, daß der, den sie erwarteten, die Stadt gar nicht verlassen werde, oder sie bereits an einer anderen Stelle verlassen habe; da ließ sich ein leichtes Geräusch hören, als ob Erdbrocken von einer Stiefelsohle geschleudert würden.

»Er kommt. Aufgepaßt!« flüsterte der Anführer.

Im nächsten Augenblicke sahen sie eine Gestalt, welche leise und vorsichtig vorüber wollte; in demselben Momente aber lag diese Gestalt auch bereits an der Erde und dreißig Fäuste waren bemüht, sie fest zu halten.


// 1464 //

»Donnerwetter,« sagte der Mann in französischer Sprache, »was wollt Ihr denn von mir?«

»Dich selbst!« antwortete der Anführer.

»Ah, seht zu, ob Ihr mich bekommt!«

Er machte eine gewaltige Anstrengung, los zu kommen, aber es gelang nicht; es waren zu Viele, die auf ihm lagen.

Gérard, denn dieser war es natürlich, sah ein, daß er sich fügen müsse. Die Waffen wollte er nicht gebrauchen, da dies seine spätere Lage nur verschlimmern konnte. Ging er freiwillig mit, so war noch Alles zu hoffen. Uebrigens war es dunkel; er konnte seine Gegner nicht zählen, und es schien ihm die Anzahl derselben weit höher als sie eigentlich war; darum sagte er:

»So laßt doch ab, Ihr Leute! Ich will ja gar nicht fliehen. Ich habe ja gar keine Veranlassung, mich vor Euch zu verbergen!«

»Oho!« sagte der Anführer. »Soeben sagtest Du noch, wir sollten zusehen, ob wir Dich bekommen würden. Brennt die Laternen an und leuchtet her!«

Es wurde Licht gemacht und nun besahen sie sich den Mann.

»Ah, er ist bewaffnet. Nehmt ihm die Waffen ab und bindet ihn!«

Einer der Soldaten nahm seinen Gürtel und schnallte dem Gefangenen damit beide Arme an den Leib, fest glaubend, daß diese Vorsichtsmaßregel genüge.

Aber ein erfahrener Prairiejäger weiß jeden Umstand zu benutzen. Als man ihm den Gürtel um den Leib und die Arme legte, preßte er dieselben nicht etwa fest an, sondern er hielt sie möglichst weit ab, so daß die Fessel dann nicht fest schloß. Zudem hatte man, um seiner Hände sicher zu sein, den Gürtel nicht um die Brust und die Oberarme, sondern weiter unten um die Unterarme gelegt, so daß es Gérard leichter wurde, die Arme zu bewegen. Bereits als er von der Erde aufstehen mußte, fühlte er, daß es ihm vielleicht mit einem angestrengten Rucke gelingen würde, den rechten Arm aus dem Gürtel zu reißen, und dann ging der linke ja von selbst heraus.

»Wer bist Du?« fragte der Anführer, ihn verhörend.

»Ein Vaquero,« antwortete er.

»Du siehst nicht so aus. Woher?«

»Von Chiricote.«

Chiricote liegt nur wenige Stunden von Chihuahua entfernt.

»Was wolltest Du in der Stadt?«

»Mein Mädchen besuchen.«

»Warum kamst Du nicht auf dem richtigen Wege?«

»Bist Du nicht auch verstohlen zu Deinem Mädchen gegangen?«

»Kerl, nenne mich nicht Du, sonst bekommst Du meinen Kolben zu kosten!«

»Ich nenne einen Jeden ganz so, wie er mich nennt.«

»Aber ich bin Soldat des Kaisers! Uebrigens sprichst Du ein verteufelt gutes Pariser Französisch. Wie kommt das?«

»Sehr einfach, weil ich ein Pariser bin.«

»Und Vaquero in Chiricote? Das kommt mir verdächtig vor. Der Herr Commandant mag sehen, was er aus Dir machen kann. Vorwärts mit Dir!«


Ende der einundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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