Lieferung 71

Karl May

29. März 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1681 //

»In El Refugio? O, von dort her soll ja die erwartete Botschaft kommen!«

»Richtig! Und ich bin es, der sie bringt.«

»Ihr? Von Sir Henry?«

»Ja.«

»So ist er - - -?«

»Ja, er ist der geheime Bevollmächtigte Englands, den Sie erwarten, Sir.«

»Ah, wer hätte das gedacht! Sir Henry der Gesandte Altenglands! Er soll mir willkommen sein! Aber sagt, was bringt Ihr? Glück oder Unglück?«

In dem sonst so ruhigen Gesichte des Präsidenten drückte sich die größte Spannung aus.

»Glück,« antwortete der Amerikaner.

»Ah, Gott sei Dank!« rief, wie von einer großen Sorge befreit, Juarez.

»Ja, danken Sie Gott, aber auch dem wackeren Sir Henry!« sagte Geierschnabel.

»Ihm auch?«

»Ja. Ich habe einer Unterhaltung zugelauscht, aus welcher ich hörte, daß er sich in London die größte Mühe gegeben hat, für Sie zu wirken. Er ist auch in Paris, Berlin und Wien gewesen, um in Ihrem Interesse thätig zu sein. Er hat außerordentlich viel dazu beigetragen, daß England seine Drohung mit derjenigen der Vereinigten Staaten gegen Frankreich vereint. Jetzt ist er des Erfolges so gewiß, daß er behauptet, die Zeit sei nahe, in welcher Frankreich gezwungen werde, seine Truppen aus Mexiko zu entfernen.«

Da schlug Juarez die Hände zusammen und sagte, tief aufathmend:

»Wenn dies der Fall wäre!«

»Tragen Sie keine Sorge!« meinte der Jäger im bestimmtesten Tone. »Sir Henry gab mir den Auftrag, Ihnen, da er jetzt noch nicht selbst zugegen ist, an seiner Stelle die tröstliche Versicherung zu geben, daß England und Amerika sich, falls die Franzosen nicht freiwillig gehen, vereinigen werden, sie mit Gewalt fortzutreiben und dem Präsidenten Juarez Gerechtigkeit und Anerkennung zu verschaffen.«

Da streckte der Präsident dem Boten die Hand entgegen und sagte:

»Hier nehmt meine Hand, Sennor! Diese Botschaft ist mir lieber als viele Millionen in klingender Münze, obgleich mir das Geld sehr nothwendig ist.«

Geierschnabel drückte die dargebotene Hand und sagte:

»Keine Sorge, Sir! Für Geld wird auch gesorgt!«

»Ja. Ich habe vor kurzer Zeit von den Vereinigten-Staaten eine beträchtliche Summe erhalten, welche grad zu rechter Zeit in meine Hände kam.«

Da lächelte der Jäger verheißungsvoll und meinte:

»So? Denken Sie etwa, daß England zurückbleiben werde?«

»Was könnte ich billiger Weise von ihm erwarten außer dem, was Ihr mir soeben sagtet, Sennor?«

»O, haben die Vereinigten-Staaten Geld, so hat England gewiß auch welches!«


// 1682 //

»Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß - - -?«

»Daß England Geld schickt?«

»Ja, das meine ich.«

»Wie nun, wenn ich grad das sagen wollte?«

»Dann wären meine Erwartungen allerdings auf das Glänzendste übertroffen.«

»Nun, so will ich Ihnen sagen, daß Sir Henry einige Fässer voll goldener Souvereigns für Sie mitgebracht hat, lauter schöne, baare Goldstücke, Sir.«

»Ist es möglich?« rief Juarez.

»Möglich? Wirklich ist es. Ich habe die Fässer selbst gesehen und da rechne ich, daß es wahr sein muß. Das Geld kommt direkt aus der englischen Münze.«

»Welch ein großes, großes Glück! Nun kann ich zahlen und neue Kräfte werben!«

»Ja, das können Sie. Uebrigens weiß ich ganz genau, daß der Präsident der Union Ihnen von Kalifornien aus eine ganze Schaar tüchtiger Kerls sendet, welche sich nicht vor dem Teufel, noch viel weniger aber vor den Franzosen fürchten.«

»Sie kommen mir gelegen. Es soll ihnen an nichts fehlen. Ich werde sie gut ausrüsten, denn nun habe ich Geld, um Waffen und Munition kaufen zu können.«

»Was das betrifft, so nehmen Sie sich nur immer Zeit! Es fällt dem Präsidenten gar nicht im Traume ein, Ihnen Leute zu schicken, welche unbewaffnet sind. Uebrigens ist Sir Henry Lindsay mit einem Schiffe gekommen, welches ganz mit Waffen und Munition für Sie beladen ist.«

»Wirklich?«

»Ja. Ich habe Alles selbst gesehen.«

»Das geht weit, weit über meine Erwartungen hinaus. Welche Art von Waffen sind es?«

»Zwölf Kanonen mit Zubehör, einige Tausend Revolver nebst Patronen, ebenso viele Degen, zehnmal so viel Messer und endlich, was die Hauptsache ist, achttausend gute Gewehre, welche Ihnen prächtige Dienste leisten werden.«

Das Gesicht des Präsidenten glänzte vor Freude und in seinem dunklen Auge stand ein großer, heller Tropfen.

»Ich habe gelitten und geduldet, denn ich dachte, meine Zeit werde kommen. Ich sah das Land verwüsten und den Wohlstand meines Volkes zerrütten, aber ich zagte nicht, denn es giebt eine Gerechtigkeit, welche höher ist, als der Thron Frankreichs. Ich stehe an der äußersten Grenze des Landes, für dessen Wohl ich mein Leben geben würde, und nur wenige Getreue sind es, welche sich bei mir befinden. Gott aber giebt mir jetzt ein Zeichen, daß meine Gebete erhört sind. Ich werde meine Fahne wieder entfalten, und sobald meine Stimme erschallt, werden alle wahren Patrioten sich um mich versammeln, um den Feind hinaus zu werfen. Der Anfang ist gemacht, die ersten vier Compagnien des Feindes sind vernichtet, und nichts soll mich hindern, den begonnenen Lauf fortzusetzen. Ich werde von hier aus direct auf Chihuahua marschiren, um diese


// 1683 //

Stadt und dadurch die ganze Provinz von der Gewaltherrschaft der Franzosen zu befreien. Vorher aber muß ich wissen, wann und wo ich den Lord zu erwarten habe. Welchen Auftrag hat er Euch gegeben?«

»In dieser Beziehung gar keinen. Ich soll Ihre Wünsche hören und sie ihm bringen.«

»So wartet er auf Eure Zurückkunft?«

»Ja.«

»Wie lange Zeit braucht Ihr, um nach El Refugio zu gelangen?«

Der Yankee streckte seine sehnigen Arme aus, betrachtete seine Fäuste und antwortete:

»Ich rudere gut. In sechs Tagen werde ich unten sein.«

»Ah, dann seid Ihr ein Tausendkünstler!«

»Pah! Man hat gelernt, ein kleines, leichtes Canoe über das Wasser zu bringen!«

»Aber wie lange Zeit braucht man denn, um stromaufwärts nach hier zu kommen?«

»Donnerwetter; es kommt da eben ganz darauf an, welch' ein Fahrzeug man hat, Sir!«

»Nun, welches Fahrzeuges wird sich der Lord bedienen?«

»Er hat an Deck zwei kleine, seicht gehende und schnell fahrende Dampfboote. Er ist jetzt beschäftigt, sie zusammen zu setzen. Sie sind bestimmt, die Fracht des Schiffes auf dem Strome zu tragen und sie werden ihre Schuldigkeit schon thun.«

»Welchen Weg legen sie pro Tag zurück?«

»Ich glaube, daß sie in neun bis zehn Tagen hier sein können.«

»Das würde also in Summa mit den sechs Tagen, die Ihr abwärts braucht, Sechszehn Tage machen?«

»Ja.«

»Das dauert mir allerdings zu lange. Sechszehn Tage darf ich nicht vergehen lassen, ehe ich Chihuahua nehme.«

»Wer sagt, daß Sie so lange warten sollen!«

»Nun, was sonst?«

»Sie haben wackere Jäger und fünfhundert Apachen bei sich. Diese Leute genügen vollständig, um Chihuahua zu nehmen. Wie steht es aber denn mit Cohahuila?«

»Auch diese Stadt muß mit der gleichnamigen Provinz mein werden.«

»Liegen viele Franzosen dort?«

»Einige Compagnieen.«

»Nun, so calculire ich, daß es Ihnen nicht schwer fallen wird, auch diese Stadt in Ihre Hände zu bringen. In welcher Zeit von heute an können Sie in Chihuahua sein?«

»In drei Tagen.«

»Wie viele Tage braucht ein Reitertrupp, um von da nach Cohahuila zu kommen?«

»Fünf Tage.«


// 1684 //

»Nun gut. In drei Tagen in Chihuahua, zwei Tage dort bleiben, fünf Tage nach Cohahuila, macht zusammen zehn Tage. Vier Tage vorher komme ich nach El Refugio; wir brechen sofort auf, dampfen den Fluß herauf bis nach Belleville und Revilla, dann biegen wir links in den Sabinafluß ein, welcher gerade auf Cohahuila zuläuft. Da, wo er sich in zwei Arme theilt, warten wir auf Sie. Das ist ungefähr zwölf Meilen von Cohahuila entfernt. Ich glaube, diese Berechnung klappt so gut, daß wir für unser Zusammentreffen gar keinen passenderen Ort finden könnten.«

Der Präsident überlegte und sagte dann:

»Ihr habt recht, Sennor. Da sieht man wieder, daß Geierschnabel einer der besten Führer ist, die es giebt. Wir wollen es bei dieser Bestimmung bewenden lassen. Aber wie steht es mit der Sicherheit Eures Transportes?«

»O, da machen Sie sich keine Gedanken, Sir! Ich habe einige wackere Jungens zusammengebracht, welche für diese Sicherheit zu sorgen wissen. Uebrigens ist ja auf der ganzen Route nichts zu fürchten. Indianer giebt es dort nicht, und die Herren Franzosen werden uns wohl auch nicht im Wege herumlaufen.«

»Das ist auch meine Ansicht. Also der Lord kommt selbst mit?«

»Ja; er und seine Tochter.«

»Seine Tochter?« fragte Juarez erstaunt.

»Ja, Sir.«

»Was? Miß Amy Lindsay ist bei ihm?«

»Ja.«

»Welch eine Kühnheit! Haben Sie es gehört, Sennor?«

Mit dieser Frage wendete sich Juarez an Mariano. Dieser antwortete:

»Ich wußte es bereits. Sennor Geierschnabel hat es uns heute Vormittag erzählt.«

»Und was haben Sie bei dieser Botschaft gedacht?«

»Ich nahm mir vor, mit Geierschnabel den Fluß hinabzuschiffen.«

»Sie werden dies auch thun?«

»Es wird leider unmöglich sein.«

Bei diesen Worten zeigte er auf den schlafenden Grafen. Dieser war sein Oheim. Durfte er ihn in diesem Zustande verlassen?

Da wendete sich der Präsident an Sternau:

»Sennor, Sie haben mir alle Ihre Schicksale erzählt, aber Sie haben vergessen, mir zu sagen, was Sie zu thun gedenken.«

Sternau antwortete:

»Wir gedachten, nach der Hazienda del Erina zu reiten und dann diesen Cortejo beim Schopfe zu nehmen. Zugleich aber wollten wir eine Gelegenheit suchen, die Nachricht, daß wir noch leben und wieder frei sind, nach der Heimath gelangen zu lassen.«

»Und dies ist noch jetzt Ihr Vorsatz?«

»Ja.«

»So ersuche ich Sie dringend, sich mir anzuschließen. Ihr Weg führt ja über Chihuahua. Folgen Sie mir dann noch bis Cohahuila, so theilen wir uns


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in den Vortheil: Ich habe eine Anzahl tüchtiger Männer bei mir, und Sie reisen in meiner Gesellschaft sicherer, als allein. Uebrigens brauchte Sennor Mariano die beschwerliche Stromfahrt nicht zu unternehmen, sondern er könnte seine Braut mit uns von Cohahuila aus erreichen.«

»Dieser Plan ist gut,« meinte Geierschnabel. »Was übrigens die Stromfahrt betrifft, so könnte ich den Sir gar nicht mitnehmen.«

»Warum nicht?« fragte Mariano.

»Mein Canoe ist zu leicht, es trägt nur einen Mann, mich allein.«

»Man könnte ein größeres nehmen.«

»Dann würde die Fahrt langsamer von statten gehen. Nein, Sir, gehen Sie auf den Plan des Master Präsidenten ein. Ich calculire, daß es das Beste ist, was ich Ihnen rathen kann.«

»Aber wird unser Kranker mit nach Chihuahua können?« fragte Mariano Sternau.

»Es fragt sich, wann wir aufbrechen,« antwortete dieser.

»Ich breche bereits morgen früh auf,« sagte der Präsident.

»Das ist für den Grafen zu früh.«

»So müssen wir leider bleiben,« klagte Mariano.

»Das ist auch mir unlieb. Ich hätte Sie gern bei mir gehabt,« meinte Juarez.

Da meinte Sternau nach einigem Nachdenken:

»Vielleicht giebt es einen Ausweg, Sennor Juarez. Glauben Sie nicht, daß sich das Fort Guadeloupe jetzt in vollständiger Sicherheit befindet?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»So könnten wir den Grafen einstweilen zurücklassen?«

»Wo denkst Du hin!« rief Mariano. »Wer soll ihn pflegen?«

»Die beiden deutschen Aerzte, welche hier wohnen. Sie sind tüchtige Mediziner und werden gewiß nichts unterlassen, was zu seiner Genesung beitragen kann.«

»Aber wenn die Franzosen doch -«

»Die Franzosen?« fiel Juarez ein. »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß kein bewaffneter Franzose wieder nach Fort Guadeloupe kommen wird. Und wenn dennoch das Gegentheil geschähe, so wäre auch in diesem Falle nicht die mindeste Gefahr zu befürchten. Ein Graf Rodriganda kann von den Franzosen nie als Feind betrachtet werden, denn er ist ihnen ja niemals als Feind entgegen getreten.«

»Aber die Indianer, die Comanchen!« sagte Mariano vorsichtig.

»O, die haben eine solche Schlappe erlitten, daß sie Jahre lang nicht versuchen werden, wieder zu kommen, mein lieber Sennor.«

»Sie könnten sich gerade durch diese Schlappe zur Rache veranlaßt fühlen.«

»So werde ich Sie auch für diesen Fall beruhigen. Es kostet mich bei den beiden Häuptlingen der Apachen nur ein Wort, und sie legen eine genügende Anzahl von Kriegern in die Nähe des Forts, um dasselbe zu beschützen und zu bewachen.«

»Wollen Sie dieses Wort aussprechen?«


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»Gewiß, ich werde es thun.«

»So bin ich befriedigt, Sennor. Es handelt sich nur noch um die Frage, wie mein Oheim uns nachkommen und wieder treffen soll.«

»Die Apachen werden ihn nach Cohahuila bringen, wo wir ihn erwarten. Habe ich nicht recht, Sennor? Stimmen Sie bei?«

Diese letzten Fragen waren an Sternau gerichtet. Dieser nickte und antwortete:

»Ich stimme bei. Wir haben die Verpflichtung, den Lord in Cohahuila zu erwarten, wir müssen uns Ihnen anschließen. Der Graf liegt hier sicher und wird sich in ausgezeichneter Pflege befinden. In einigen Tagen hat er sich erholt und wird uns unter der Begleitung der Apachen sicher nachkommen. Du hast ganz und gar nichts zu befürchten, mein lieber Mariano.«

»Nun gut, so mag es geschehen,« meinte dieser. »Es ist nicht zu verwundern, daß man nach Allem, was wir erlebt und erfahren haben, vorsichtig wird.«

»So sind wir also einig,« sagte Juarez. »Wann werdet Ihr aufbrechen, Sennor Geierschnabel?«

»Sobald als möglich,« antwortete dieser.

»Doch nicht vor morgen?«

»Warum nicht, Sir? Am Liebsten stiege ich sofort in mein Canoe.«

»Jetzt, bei Nacht?«

»Ja. Ich habe keine Zeit zu verlieren.«

»Ah, Ihr seid ein wackerer Mann. Ihr nehmt Eure Pflichten ernst und ich will Euch da nicht hinderlich sein. Ich werde nach meinem Zimmer gehen, um Euch einige Worte aufzuschreiben, welche Ihr dem Lord übergeben sollt. Kommt mit!«

Die Beiden gingen.

»Und ich,« sagte Sternau, »werde einmal nach dem andern Patienten sehen. Don Ferdinando schläft; er bedarf jetzt meiner nicht; der schwarze Gérard aber liegt so schwer, daß ich ihn nicht vernachlässigen darf.«

Während dieses Gespräch oben bei dem Grafen geführt wurde, war Pirnero in die Küche und auch nach dem Verkaufsladen gegangen, um seine Tochter zu suchen, hatte sie aber nicht gefunden. Er kehrte daher mißmuthig in die Gaststube zurück und setzte sich an das geöffnete Fenster. Er blickte hinaus in die dunkle Nacht und dachte, er wußte selbst nicht, an was.

Es war still und menschenleer im Orte; aber von Fern her erscholl zuweilen ein wildes, hundertstimmiges Heulen. Es war das Klagegeheul der Apachen über ihre Gefallenen oder ihr Siegesgeschrei über die scalpirten Franzosen. Auch durch das Innere des Hauses zitterte zuweilen ein wilder, thierischer Ton. Es war der Schmerzlaut des französischen Sergeanten, welcher in der Bodenkammer eingeschlossen lag und sich in unendlicher Pein auf der Diele hin und her wälzte. Die Gluth des Wundfiebers hatte ihn ergriffen und ihm mitleidig das Bewußtsein geschwächt.

Da ging die Thür auf und Resedilla trat ein. Ihr Vater bemerkte dies, that aber zunächst doch so, als ob er es nicht gesehen habe. Sie machte sich leise


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im Zimmer zu schaffen, während er immer noch zum Fenster hinausblickte, obgleich er da draußen im Dunkel gar nichts sehen konnte. Es wurmte ihn gewaltig, Etwas zu sagen, was gegen seine früheren Worte war. Er hustete einige Male verlegen vor sich hin, begann aber dann doch das Gespräch:

»Dichte Finsterniß!«

Sie antwortete nicht; darum wiederholte er mit erhöhter Stimme:

»Schauderhafte Finsterniß!«

Als sie auch jetzt noch nichts sagte, drehte er sich um und fragte:

»Nun?«

»Was?« antwortete sie jetzt endlich.

»Ganz und gar dicke Finsterniß!«

»Ja.«

»Man sieht nicht die Hand vor den Augen.«

»Das ist wahr.«

»Aber man hört desto mehr.«

»Was hört man denn? Es ist ja überall so still da draußen.«

»Still? Horch nur einmal! Hörst Du jetzt das Geheul?«

»Ja, jetzt höre ich es.«

»So Etwas kommt bei uns in Pirna ganz und gar nicht vor.«

»Dort giebt es ja keine Indianer!«

»Nein. Dort wird kein Mensch scalpirt. Höchstens hauen sie sich da einmal mit den Stuhlbeinen über den Kopf, daß der Schädel brummt, besonders bei Hochzeiten, Kindtaufen und Leichenschmäußen. Weißt Du, welches von diesen drei Festen das schönste ist?«

»Ich kann es mir denken.«

»Nun, welches denn?«

»Das Begräbniß.«

Fast wäre er vor Schreck vom Stuhle in die Höhe gefahren. Er sah sie an, als ob er an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifele und fragte ganz erstaunt:

»Ein Begräbniß? Ein Begräbniß soll das schönste Fest sein? Warum denn?«

»Weil es dem Menschen am wohlsten ist, wenn er todt ist.«

Sie war sehr ernst gestimmt; darum sprach sie in dieser Weise. Er aber konnte sie nicht begreifen. Er fixirte sie forschend und sagte:

»Am wohlsten, wenn er todt ist? Du bist nicht recht bei Troste. Du bist nicht recht gescheidt. Warst Du denn einmal todt, daß Du so genau weißt, wie wohl es Einem da ist? Mädchen, ich sage Dir, wenn man im Sarge liegt oder im Grabe und alle Viere von sich streckt, so ist es Einem ganz verteufelt unwohl zu Muthe. Ich mag um alle Schätze der Welt nicht in der Haut einer solchen Leiche stecken. Hast Du einmal Einen sterben sehen?«

»Ja doch.«

»Ah? Wo denn, wenn ich fragen darf?«

»Heute, droben auf dem Boden.«

»Ach, das ist nichts. Die sind ja nicht gestorben; die sind ja erstochen und todtgeschlagen worden. Ich meine, wenn Einer so langsam in seinem Bette stirbt. Hast Du das einmal gesehen?«


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»Nein.«

»Na also, da darfst Du auch nicht sagen, daß es einem Todten so wohl sein soll. So ein armer Kerl liegt da und weiß, daß er fort muß, fort ohne Paß, Impf- und Heimathsschein. Da hilft kein Jammern und Klagen, kein Strampeln mit Händen und Füßen; er muß fort, hinaus aus dem Leben, er mag sein wer er will, Minister oder Weichensteller. Er verdreht die Augen, er knirrscht mit den Zähnen; das Herz schläft ein, der Athem wird alle und der letzte Verstand hört auf. Nun liegt er da, wird in den Sarg gesteckt und in die Erde gescharrt. Hunderttausend Würmer zwicken und zwacken an ihm herum, ohne daß er sich wehren kann; da unten gibts keine Luft, kein Licht, keinen Julep. Und wenn so ein armer Teufel zehn oder zwanzig Jahre ausgehalten hat und er wird ausgegraben, so ist er zum reinen Gerippe abgemagert und wird in die Knochenmühle geschafft. Und da sagst Du, daß es ihm wohl gewesen wäre? Du bist verrückt! Nein, das schönste dieser drei Feste ist das Hochzeitsfest. Warst Du einmal dabei?«

»Ja.«

»Na also. Das ist ein Essen und Trinken, ein Springen und Tanzen, ein Herzen und Küssen, besonders zwischen Braut und Bräutigam. Als ich Deine Mutter heirathete, war ich vor Glück ganz dumm im Kopfe; später aber bin ich wieder gescheidter geworden. So eine Braut ist geradezu zu beneiden, denn ihr Bräutigam wird Schwiegersohn. Ich möchte eigentlich wissen, ob Du nicht auch Anlagen besitzest, eine Braut zu sein. Was meinst Du?«

Sie schwieg. Darum fuhr er fort:

»Bis jetzt bin ich darüber noch nicht ins Reine gekommen. Ich habe immer gehofft, daß Du mir einen Schwiegersohn bringen würdest. Dann wäre es ganz so geworden, wie sie bei uns in Pirna bei Hochzeiten singen. Hast Du den Vers schon einmal gehört?«

»Nein.«

»Das ist schade, jammerschade. Er hat eine wunderschöne Melodie und wird sogar im Theater gesungen und heißt:

Wir winden Dir den Jungfernkranz
   Mit veilchenblauer Freude;
Wir führen Dich zu Spiel und Tanz
   In lauter Sammt und Seide!

So wäre es geworden. In Sammt und Seide wärst Du gegangen und vor Freude wäre ich veilchenblau angelaufen; aber Du willst nicht. Nicht wahr?«

»Nein,« sagte sie leise.

Da ermannte er sich, nahm seinen ernstesten Ton an und fuhr fort:

»Ich habe mirs überlegt, daß Du recht hast. Du bist einmal nicht zum Heirathen geschaffen und das ist gut, denn da kann Dir Dein Mann nicht sterben, wie mir die Frau gestorben ist. Ich bin seit jener Zeit ledig geblieben und darum sollst Du auch ledig bleiben von wegen der Abstammung vom Vater auf die Tochter hinüber. Diese Abstammung ist mein festes Prinzip und das laß ich mir auch nicht vom Präsidenten nehmen. Ich mag keine Provinz und kein Land regieren; ich mag keinen Orden, ich brauche keinen; ich mag auch keinen Schwieger-


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sohn und wenn Du mir ja einen brächtest, so würfe ich ihn zur Thüre hinaus. Merke Dir das, es ist mein völliger Ernst.«

Er erhob sich vom Stuhle, trat auf sie zu und fügte mit erhobener Stimme hinzu:

»Vor allen Dingen verbiete ich Dir, den schwarzen Gérard zu heirathen. Ich kann den Kerl nicht leiden, nicht ersehen, nicht ausstehen. Als Schwiegersohn wäre er mir der Nagel zu meinem Sarge. Verstanden? Jetzt kennst Du meine Grundsätze und meinen festen Willen. Dabei bleibts.«

Mit stolzen Schritten ging er zur Thür hinaus.

Sie blickte ihm ganz verblüfft nach; sie konnte sich diesen plötzlichen Wechsel in der Gesinnung nicht erklären. Sein Verhalten war nicht allein sonderbar, sondern fast lächerlich zu nennen, aber sie vermochte nicht darüber zu lachen. Es war ihr so ernst zu Muthe und wenn sie sich nach dem eigentlichen Grunde gefragt hätte, so wäre sie sich die Antwort ganz sicher schuldig geblieben.

Sie trug eine große, große Liebe im Herzen, aber dieser Liebe gegenüber stand ein böses, schlimmes Wort, welches ihr immer in den Ohren klang: das Wort Garotteur. Auf ihrem Leben haftete kein Flecken, kein Mackel; sie hatte sich Den, der ihr Herz besitzen sollte, ebenso rein und vorwurfsfrei gedacht und nun lag es doch so ganz anders. Sie hatte dem Geliebten vergeben; sie wußte, daß er schwer gebüßt hatte, daß er nie im Stande sein werde, sich eines Verbrechens je wieder schuldig zu machen, aber sie hatte doch über das Wort Garotteur noch nicht vollständig hinwegkommen können.

Heute nun hatte er ihr bewiesen, wie lieb er sie habe. Seine Liebe war so stark, so mächtig, daß sie das entschwindende Leben festgehalten und ihm Kraft gegeben hatte, sich zu ihr zu schleppen, um sie aus den Händen der Feinde zu erretten. Nun lag er oben, zerschossen und zerstochen, kaum noch eine Spur des Lebens in sich tragend. Jetzt, jetzt endlich war der Klang jenes bösen Wortes in ihr verstummt; sie fühlte, sie wußte, daß sie sein eigen sein müsse ohne Fragen, ohne Zagen, mit unerschütterlichem, felsenfestem Vertrauen.

Und doch war sie nicht zu ihm gegangen. Warum?

Die Seele des Weibes ist ein ewiges Räthsel; hier aber lag die Lösung des Räthsels nicht im Verborgenen. Resedilla fühlte die Liebe über sich zusammenschlagen wie eine ewige, unendliche und unwiderstehliche Fluth. Sie fühlte und glaubte, daß sie sich über den Geliebten werfen müsse, um mit lauten Klagetönen sein schwaches Leben festzuhalten und gerade das konnte ihn, der vielleicht noch zu retten war, unwiederbringlich in den Tod treiben. Sie fürchtete die Macht ihrer Liebe und darum lag er oben, als ob es kein Herz gebe, welches von einem einzigen großen Gebete um sein Leben erfüllt sei.

So saß sie da und drückte die Hand fest auf den Busen, um das Wogen desselben zu besiegen. Da ging die Thür auf. Sie dachte, der Vater kehre zurück, aber als sie das Auge erhob, fiel es auf Sternau.

»Verzeihung, Sennorita!« sagte er. »Ich komme als Bittender.«

Sie erhob sich und blickte ihn fragend an. Er war Menschenkenner. Warum antwortete sie nicht? Sein großes, schönes Auge ruhte forschend auf ihr; es ging ein leises Lächeln über sein Gesicht, und dann sagte er:


// 1690 //

»Haben Sie nicht ein Wenig Leinwand zum Verbinden?«

»Ja, gleich!«

Mit diesen Worten eilte sie nach der Küche. Als sie zurückkehrte und ihm das Gewünschte überreichte, fragte sie:

»Waren nicht bereits Alle verbunden? Wer nimmt Sie noch in Anspruch, Sennor?«

»Gérard.«

Sie erbleichte.

»Steht es schlimm mit ihm?« fragte sie.

»Sehr schlimm,« antwortete er.

»O Gott, giebt es keine Rettung?«

Diese Worte hauchte sie nur, und ihre Augen füllten sich mit den Thränen der Angst und des Schmerzes.

»Gott ist gnädig,« sagte der schöne, ernste Mann. »Hier aber ist außer von ihm nur von einem einzigen Arzte Rettung zu erwarten.«

»Wer ist dieser?«

»Die Liebe.«

Sie wurde noch bleicher als vorher; dann aber flog eine dunkle Röthe über ihr Gesicht, und zu gleicher Zeit floß ein Strom von Thränen über ihre Wangen herab.

Da ergriff er ihre Hand und sagte mit seiner milden, eindringlichen Stimme:

»Resedilla, er wollte sterben!«

»Gérard?« fragte sie schluchzend.

»Ja.«

»Er wollte?«

»Ja. Er ging mit Fleiß und Vorbedacht in den Tod. Wir Andern kämpften hinter den Palissaden, er aber blieb draußen vor denselben.«

»O Gott, warum?«

»Ich weiß es nicht, Sie aber werden es wissen oder wenigstens ahnen. Er gab sich den Kugeln der Feinde Preis. Er lag in einem förmlichen See von Blut, nachdem er Wunder der Tapferkeit gethan hatte. Da hörte er, daß Sie in Gefahr seien, und dieser Gedanke war hinreichend, seine Seele festzuhalten. Warum hassen Sie ihn?«

»Hassen? Ich ihn hassen!«

Bei diesen Worten legte sie beide Hände vor das Gesicht. Das Schluchzen erstickte beinahe ihre Stimme. Er fragte weiter:

»Kennen Sie ihn seit längerer Zeit?«

»Seit kurzer Zeit, aber lang genug,« antwortete sie.

»Wissen Sie, wo er früher lebte?«

»In Paris.«

»Und was er dort war?«

»Ja, Sennor,« antwortete sie.

»Er hat es Ihnen gesagt?«

»Ja. Er war aufrichtig. Auch Sie wissen es?«

»Auch ich weiß es, Sennorita. Warum wollen Sie ihm nicht vergeben?«

»O, ich habe ihm ja längst bereits vergeben!«


// 1691 //

»Und doch meiden Sie ihn, wo er der Hilfe so sehr bedarf!«

»Ich darf nicht zu ihm!«

»Warum nicht?«

»Ich - ich darf - - ich kann es nicht sagen,« antwortete sie.

»Das begreife ich nicht. Als heute der Kampf begann, bat er mich, Ihnen seinen Gruß zu bringen, wenn er gefallen sei. Er lebt noch, aber dennoch bringe ich Ihnen diesen Gruß; es ist der Gruß eines Sterbenden.«

Er wendete sich um und schritt langsam der Thür zu. Da eilte sie ihm nach.

»Sennor Sternau,« bat sie mit herzzerreißendem Tone.

»Was wünschen Sie noch?«

»Ich kann, ich darf ja nicht zu ihm.«

»Warum nicht?«

»Ich - ich würde ihn ganz sicher tödten.«

Da ging ein stilles Lächeln abermals über sein Gesicht. Er legte ihr die Hand aufs Haupt und fragte:

»Sie trauen sich nicht die Kraft der Selbstbeherrschung zu?«

»Mein Jammer würde ihm den Rest des Lebens rauben.«

»Mein Kind, Sie kennen sich nicht. Das Weib ist stark im Leide. Kommen Sie getrost! Sie werden ihn nicht tödten, sondern ihm das Leben geben.«

Er nahm sie bei der Hand und verließ mit ihr das Zimmer. Sie konnte nicht zurück, sie folgte ihm willenlos bis vor die Thür, hinter welcher der Geliebte lag. Dort aber blieb sie zaudernd und angstvoll stehen.

»Sennor Sternau, ich wage es nicht!« sagte sie, fast zitternd.

»Warten Sie; ich werde zuvor nachsehen,« antwortete er.

Er trat hinein und sie blieb außen zurück mit unaussprechlichen Gefühlen im Herzen. Nach einer kleinen Weile öffnete er die Thür.

»Treten Sie ein, Sennorita,« bat er leise.

Sie trat ein.

Sie trat ein. Sie sah das Bett und neben demselben eine weibliche Gestalt in der Stellung einer Wärterin sitzen. Es war Zilli.

Also diese Fremde saß bei ihm, während sie, die ihn doch so unendlich liebte, fern von ihm geblieben war. Es ging ein schmerzlicher Stich durch ihre Seele.

Sie wagte es, das Auge auf das Bett zu richten; es wurde ihr schwarz vor dem Blicke, so daß sie sich an einem Stuhle anhalten mußte. Nur langsam kam die Helligkeit zurück, so daß sie sehen konnte, was sich ihrem Blicke bot.

Da lag er, eingehüllt in Binden und Bandagen. Er war so vielfach verwundet, daß er aussah, wie eine Mumie, welche ganz in Stoff gewickelt ist. Auch sein Kopf war in weißes Leinen gebunden. Nur sein Gesicht war ganz frei. Es hatte die Blässe des Todes, gegen welche die Schwärze des schönen, vollen Bartes zum Erschrecken abstach. Die Wangen waren tief eingefallen und seine Augen geschlossen. Er hatte ganz das Aussehen einer Leiche, welche bereits wochenlang im Tode gelegen hat.

Es überlief sie eiskalt. Ja, Sternau hatte recht gehabt. Sie hatte geglaubt, daß sie sich beim ersten Anblicke auf ihn stürzen werde; aber jetzt fühlte sie, daß dies vollständig unmöglich sei. Ihr Körper schien ihr aus Eis zu bestehen; ihre


// 1692 //

Füße waren centnerschwer. Es kostete ihr die furchtbarste Anstrengung, sie zu bewegen, und es dünkte ihr, als vergehe eine Ewigkeit, ehe sie das Bett erreichte. Dort stand sie neben Zilli, welche sich vom Stuhle erhoben hatte. Sie versuchte, ob sie sprechen könne, und es gelang:

»Sie waren bisher bei ihm?« fragte sie das junge Mädchen leise.

»Ja, Sennorita,« antwortete Zilli in derselben Weise. »Wir haben ihn verbunden.«

»Ich danke Ihnen.«

Bei diesen Worten nahm sie auf dem Stuhle Platz, von welchem sich die Andere erhoben hatte. Diese fragte:

»Sie wollen bei ihm bleiben?«

»Ja,« antwortete Resedilla.

»Das geht ja nicht.«

»Warum nicht?«

»Sie werden unten gebraucht.«

Resedilla schüttelte langsam den Kopf.

»Mein Platz ist hier, bis er genesen ist,« antwortete sie. »Wollen Sie mir eine Wohlthat erzeigen, so fragen Sie den Vater, ob Sie ihm in Etwas helfen können.«

»Ich werde es gern thun.«

Sie ging.

Sternau nahm jetzt den Verband vom Kopfe des Verwundeten und begann, einen neuen anzulegen. Resedilla war ihm dabei behilflich, fast wie im Traume.

Dabei streifte ihre Hand leise, leise über die bleiche Wange Gérards. Als habe er an dieser Berührung durch ein sympathetisches Fluidum die Geliebte erkannt, flüsterte er matt und leise:

»Resedilla!«

»Antworten Sie,« bat Sternau. »Er hat, seit er hier liegt, die Augen noch nicht geöffnet.«

Da bog sie sich zu seinem Ohre hernieder und sagte mit lispelnder Stimme:

»Mein guter, lieber Gérard!«

Da hoben sich seine Lider langsam, langsam empor. Sein todtesmatter Blick fiel auf sie und schien sich für einen Moment zu beleben.

»O, nun sterbe ich nicht!« klang es fast hörbar von seinen Lippen.

Da kümmerte sie sich nicht um die Gegenwart Sternaus. Sie legte ihren Mund sanft auf diese blutleeren Lippen, um sie zu küssen.

»Nein,« sagte sie dann; »Du darfst nicht sterben, mein Gérard, denn ohne Dich würde auch ich nicht leben können. Du sollst genesen und sehen, daß Du mir lieber bist, als Alles auf der Erde.«

»O Gott, das ist der Himmel, das ist die Seligkeit!«

Mit diesen Worten schloß er die Augen wieder. Dieses plötzliche Glück war zu groß für seine schwachen Kräfte; eine Ohnmacht nahm ihn in ihre Arme.

»Sennor, Sennor, er stirbt!« sagte Resedilla voller Angst.

Sternau lächelte ihr gütig zu und antwortete:


// 1693 //

»Erschrecken Sie nicht, Sennorita. Es ist nur eine Ohnmacht. Sie schadet ihm nicht; sie wird ihn im Gegentheile stärken. Bleiben Sie bei diesem Kranken, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß er genesen werde.« - -

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Es war einige Tage später, da erzitterte die Ebene, welche sich nördlich von Santa Katarina ausbreitete, unter dem Hufschlage galoppirender Pferde.

Eine Anzahl von gegen dreihundert Reitern sprengte im Galoppe über die freie, von kurzem, dünnen Grase bewachsene Prairie. Sie waren verschieden gekleidet und verschieden bewaffnet, schienen aber eine zusammengehörige Truppe zu bilden.

An der Spitze ritten Drei, zwei Aeltere und ein Jüngerer. In dem Einen der Aelteren erkennen wir Pablo Cortejo; der Jüngere war Josefa, seine Tochter in Männertracht gekleidet und auch nach Männerart im Sattel sitzend. Es schien ihr dies nicht leicht zu werden, wie man aus ihrer unsichern Haltung ersah. Der Dritte war nicht ganz so alt wie Cortejo, hatte aber im schlechteren Sinne wohl ebenso viele Erfahrung wie dieser. Sein Gesicht war nicht nur kein Zutrauen erweckendes, sondern geradezu ein häßliches und abschreckendes. Er war bewaffnet bis an den Hals und hatte ganz das Aussehen eines Mannes, mit welchem nicht ungestraft verkehrt werden kann. Grad jetzt schien sein Gesicht einen noch finsterem Ausdruck zu besitzen, wie gewöhnlich. Seine stechenden Augen durchmusterten den Horizont und kehrten dann immer wieder mit einem unbefriedigten Blicke auf die nächste Umgebung zurück.

Endlich stieß er einen lauten, gotteslästerlichen Fluch aus und fügte dann hinzu:

»Wann hat denn endlich dieser verdammte Ritt ein Ende, Sennor Cortejo?«

»Geduldet Euch nur noch kurze Zeit,« antwortete dieser. »Wir werden sogleich links einbiegen und absitzen können.«

»Wo? Ich sehe doch die Hazienda nicht?«

»Seht einmal da scharf nach links hinüber! Seht Ihr den dunklen Streifen?«

»Ja. Was ist es?«

»Ein Wald.«

»Ein Wald? So meint Ihr, daß wir in einem Walde absitzen sollen?«

»Ja.«

»Warum?«

»Um uns auszuruhen und zugleich einen Kundschafter abzusenden.«

»Ihr seid wohl nicht recht bei Sinnen. Ich bin kein Bravo, der sich gern im Walde herumdrückt. Wozu einen Kundschafter, he?«

»Aus Vorsicht. Wir müssen doch erst sehen, wie es auf der Hazienda steht.«

»Das sehe ich nicht ein. Wozu diese lange Einleitung? Wir sind fast dreihundert Mann und brauchen nichts zu fürchten. Wir reiten einfach vor die Hazienda, dringen ein, säbeln Alles nieder, was sich uns widersetzt, und sind dann Herren des Ortes. Ich habe Euch meine Leute zugeführt, um in Eurem Dienste gute Beute zu machen, nicht aber, um uns in den Wäldern herumzudrücken.«

»Wer sagt Euch denn, daß Ihr das Letztere thun sollt?«

»Ihr soeben.«


// 1694 //

»So habt Ihr mich ganz verkehrt verstanden. Es handelt sich ja nur um einen kurzen Aufenthalt, nicht aber um ein längeres Bleiben im Walde.«

»Auch dieser kurze Aufenthalt ist unnöthig.«

»Meint Ihr? Wie nun, wenn sich Franzosen auf der Hazienda befinden?«

»Alle Teufel, das ist wahr! Diese Hunde kriechen überall herum. Aber ich denke, die Hazienda del Erina liegt so sehr einsam? Was wollen die Franzosen dort?«

»Ja, sie liegt einsam, aber doch immer auf dem großen Reitwege nach Cohahuila. Da ist es sehr leicht denkbar, daß der Feind sich ihrer bemächtigt hat, um ein Etappencommando hineinzulegen.«

»Dieses würde wohl nicht sehr stark sein.«

»Das steht allerdings zu erwarten; aber es ist zugleich höchst wahrscheinlich, daß in diesem Falle der Feind die Hazienda befestigt haben wird.«

»Hm, Ihr mögt recht haben. Senden wir also einen Boten ab, welcher Erkundigungen einzieht; aber wir wollen scharf reiten, damit wir rasch den Wald erreichen.«

Der vor ihnen liegende dunkle Streifen trat immer deutlicher hervor und ließ sich schließlich als ein Forst erkennen, auf welchen die Pferde zuflogen.

Es war derselbe Wald, in welchem die früher erzählten Ereignisse geschehen waren. Als er erreicht wurde, drangen die Reiter ein Stück in denselben ein und ließen die Pferde unter Aufsicht weiden. Sie selbst aber lagerten sich auf den Boden und zogen die Lebensmittel hervor, welche sie bei sich führten.

Die Drei, welche vorhin an der Spitze des Zuges geritten waren, saßen bei einander.

»Jetzt sucht einmal einen Mann heraus, auf den wir uns verlassen können,« sagte Cortejo. »Er muß Gewandtheit und Schlauheit besitzen.«

»Da kann ich den Ersten Besten nehmen. Meine Kerls sind Alle gescheidt. Vorher aber gilt es, uns klar zu werden über das, was ich haben soll.«

»Ich denke, darüber sind wir bereits im Klaren!«

»O nein!«

»Ihr bekommt ja Euren Sold!«

»Sold und Beute habe ich verlangt. Den Sold habt Ihr ehrlich bezahlt, die Beute aber hat bisher auf sich warten lassen. Wie steht es in dieser Beziehung auf del Erina?«

»Ganz gut für Euch: Ihr könnt Alles nehmen; nur Eins will ich für mich!«

»Was?«

»Die Kaufacte über die Besitzung.«

»Alle Teufel, Ihr seid kein dummer Kerl! Mit dieser Acte kommt ja wohl die ganze Besitzung in Eure Hände. Na, mir und den Meinigen würde sie doch keinen Nutzen bringen. Die Gebäude können wir auch nicht in die Taschen stecken; aber von dem, was sich darin befindet, wird für Euch wohl nicht viel bleiben.«

»Das ist mir gleich, wenn ich nur die Kaufacte bekomme.«

»Und wie ist es mit den Bewohnern? Geben wir ihnen die Kugel?«


// 1695 //

»Das macht ganz wie Ihr wollt.«

»Besser ist es, sie sind todt, dann können sie nicht mehr reden.«

»Meinetwegen! Zwei Personen aber müßt Ihr mir überlassen.«

»Wer ist das?«

»Der Haziendero Petro Arbellez und eine alte Frau, Namens Hermoyes.«

»Was wollt Ihr denn mit ihnen?«

»Ich habe ein ganz besonderes Hühnchen mit ihnen zu rupfen.«

»So rupft nur zu, ich will Euch nicht im Wege stehen. Im Gegentheile, wo es sich um eine alte Frau handelt, bleibe ich immer gern so weit wie möglich davon hinweg. Aber wie weit ist es von hier bis nach der Hazienda?«

»In einer kleinen Stunde ist sie zu erreichen.«

»Wird man den Mann aufnehmen, den ich hinschicke?«

»Jedenfalls, wenn er sich nicht etwa vor den Franzosen fürchtet.«

»Das wird ihm gar nicht einfallen. Als was aber soll er sich ausgeben? Etwa für einen Vaquero, der in die Dienste des Haziendero treten will?«

»Nein. Petro Arbellez ist ein Anhänger von Juarez, welchem er es zu verdanken hat, daß ihm auch noch die Hazienda Vandaqua zugefallen ist. Der Mann mag sich für einen Boten ausgeben, welcher zu Juarez will.«

»Ah, nach El Paso del Norte?«

»Ja.«

»Von wem soll er denn gesandt sein?«

»Von einem der bekannten Anhänger des Juarez, vielleicht vom General Porfirio Diaz, welcher der berühmteste Parteigänger des Indianers ist.«

»Gut. Was aber dann weiter?«

»Der Mann wird als Bote des Generals das Vertrauen des Haziendero erringen und Alles erfahren. Er wird hören, in welcher Weise die Franzosen, falls welche da sind, überrumpelt werden können. Des Mitternachts mag er die Hazienda heimlich verlassen und vom Thore aus in ganz schnurgerader Richtung vorwärts schreiten. Da wird er uns finden, und wir können thun, was den Umständen nach das Beste ist.«

»Dieser Plan ist nicht übel. Ich werde gehen, um Jemand auszuwählen.«

Er erhob und entfernte sich. Josefa hatte sich bisher schweigsam verhalten, jetzt sagte sie:

»Dieser Mann gefällt mir je länger, desto weniger. Dir nicht auch, Vater?«

»Du hast recht. Er spielt den Anführer, der ich doch bin.«

»Man muß sich seiner entledigen.«

»Habe keine Sorge, Kind. Er wird mich nicht lange mehr mit seiner Dreistigkeit ärgern. Erst muß ich den Engländer haben, dann brauche ich den Kerl nicht mehr. Er verdirbt mir auch die Leute, welche ich vorher bei mir hatte.«

»So glaubst Du wirklich, daß wir den Engländer erwischen werden?«

»Ganz gewiß. Meine Nachrichten sind zu sicher.«

»Welch' eine Wonne! Diese stolze Amy soll vor mir niederknieen und mich weinend um Gnade bitten; ich aber werde sie mit Füßen treten. Diese Brut muß vernichtet werden. Was aber thun wir mit Petro Arbellez?«


// 1696 //

»Er muß die Kaufurkunde herausgeben und wird dann unschädlich gemacht.«

»Todt?« fragte sie, indem ihre Eulenaugen funkelten.

»Ja. Nur dann sind wir seines Schweigens sicher.«

»Und diese Maria Hermoyes?«

»Auch sie wird sterben. Sie ist zu tief in unser Geheimniß eingedrungen, als daß wir sie leben lassen könnten.«

»Du hast recht, Vater. Sterben müssen sie, aber nur nicht gleich.«

»Warum nicht?«

»Ist ein rascher Tod eine Strafe für sie? Können wir uns keine größere Genugthuung bieten? Können wir uns nicht an ihren Qualen weiden?«

»Ich nicht; Du aber kannst es.«

»Warum Du nicht?«

»Weil ich die Hazienda sofort wieder verlasse, um nach dem Rio Grande zu reiten und Lindsay zu suchen. Ich lasse auf del Erina eine tüchtige Besatzung zurück. Es werden sich auch Diejenigen hinzufinden, welche von meinen Agenten jetzt angeworben werden. Du bleibst in der Hazienda zurück und vertrittst meine Stelle, bis ich wiederkomme. Ich hoffe, daß wir in kurzer Zeit genug Leute haben werden, um öffentlich losbrechen zu können. Wenn ich dann die Franzosen angreife und als der Retter Mexikos auftrete, werden mir Tausende zuströmen.«

»Ja, Vater, Du der Retter und ich die Retterin. Ich werde von ganz Mexiko verehrt und angebetet werden; denn ich werde mir eine Fahne machen und mir eine Rüstung kaufen, um mich wie die Jungfrau von Orleans an die Spitze der Armee zu stellen und in den blutigen Kampf zu ziehen.«

»Mädchen, bist Du toll? Da wirst Du ja erschossen!«

»Fällt mir nicht ein! Wenn das Schießen beginnt, geht man auf die Seite! Sie konnten dieses höchst interessante Gespräch nicht fortsetzen, denn der Mexikaner kehrte zurück, nahm wieder bei ihnen Platz und benachrichtigte sie, daß der Bote, welchen er nach der Hazienda del Erina bestimmt habe, bereits abgeritten sei. - -

Die uns so wohlbekannte Hazienda hatte gegenwärtig noch ganz dasselbe Aussehen wie in früheren Jahren, bot aber heute einen nicht ganz friedlichen Anblick dar.

An einer jeden Ecke war eine Art von Verschanzung aufgeworfen, auf welcher ein französischer Posten Wache hielt, und im Hofe lagen eine ziemliche Anzahl Soldaten herum, welche unter dem Befehle eines Hauptmannes dazu bestimmt waren, die Hazienda zu beschützen.

Dieser Hauptmann saß droben in dem Speisesaale, welchen wir auch bereits kennen, und unterhielt sich mit dem Haziendero und dessen Freundin Maria Hermoyes.

Der Haziendero lag müde in einer Hängematte. Er war, seit er sein Kind verloren hatte, fürchterlich gealtert. Sein Haar war lang und schneeweiß, ja, es hatte fast den durchsichtigen Schein des Eises. Seine Gestalt war eingetrocknet und zusammengebogen. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der weit über hundert Jahre zählt.


// 1697 //

Auch die alte Maria war ergraut, aber sie erschien weit rüstiger als ihr Herr.

Der Hauptmann war ein nicht zu alter Mann, aber ein Dutzendmensch, nicht gut und nicht böse, nicht klug und auch nicht dumm. Soeben hatte ihn ein Soldat verlassen, welcher ein versiegeltes Schreiben, welches ein Kavallerist gebracht hatte, überreicht hatte.

»Verzeihung, daß ich öffne!« sagte er zu Arbellez. »Dienst geht vor Alles.«

Er machte den Brief auf. Während er las, nahm sein Gesicht einen höchst gespannten Ausdruck an. Dann legte er das Schreiben wieder zusammen, steckte es zu sich und sagte:

»Da erhalte ich eine Nachricht, welche mir fast ebenso lieb wie unlieb ist.«

Arbellez blickte ihn an, ohne ihn durch eine Frage zum Sprechen aufzufordern. Er hatte während der Anwesenheit der Franzosen sich gehütet, zu zeigen, oder ahnen zu lassen, daß er ein Freund des Vaterlandes, ein Anhänger von Juarez sei.

»Ich weiß,« fuhr der Franzose fort, »daß Sie uns nicht feindlich gesinnt sind und darum darf ich Ihnen sagen um was es sich handelt. Sie wissen wohl, wie weit unsere Truppen das Land besetzt haben?

»Bis Chihuahua,« antwortete der Haziendero mit einem unterdrückten Seufzer.

»Ja. Wir haben ein Bündniß mit den Comanchen geschlossen, welche bereit sind, als irreguläre Kavallerie unserer Sache zu dienen. Nun haben Sie vielleicht gehört, daß der Expräsident Juarez bis an die äußerste Grenze des Landes geflohen ist?«

»Ja, bis El Paso del Norte.«

»Ihn auch von dort zu vertreiben war unsere Aufgabe. Er mußte entweder gefangen oder hinüber nach Amerika getrieben werden. Das ist nun geschehen.«

»Ah, wirklich?« fragte Arbellez rasch.

»Ja.«

»Er ist - - gefangen?«

»Nein, leider nicht.«

»Also vertrieben?«

»Ja. Paso del Norte befindet sich in unserm Besitze, wie mir hier gemeldet wird. Außerdem kennen Sie vielleicht ein Fort, welches am Puercosflusse liegt und Guadeloupe heißt?«

»Ja, ich kenne es,« antwortete der Haziendero, noch aufmerksamer werden.

»Auch dieses ist in unsere Hände gefallen.«

»Ich gratulire, Sennor.«

»Ich danke, Monsieur. Es befindet sich also die Nordgrenze ganz in unseren Händen. Wir haben da, wie ich hier gelesen habe, mehrere bedeutende Siege erfochten. Paso del Norte und Guadeloupe sind unser. In einer Schlucht, welche die Teufelsschlucht genannt wird, haben wir einen Trupp von fast tausend Jägern


// 1698 //

und feindlichen Apachen aufgerieben und endlich ist uns auch ein General der Union, ein gewisser Hannert in die Hände gefallen, welcher Juarez Geld bringen sollte.«

Der Haziendero hatte Mühe, seinen Schreck zu verbergen.

»So haben Sie das Geld?« fragte er.

»Natürlich.«

»War es viel?«

»Man schreibt mir, daß es viele Millionen seien.«

»So gratulire ich abermals, Sennor Capitano!«

»Ich danke, Monsieur. Es steht ja gar nicht anders zu erwarten, als daß wir an allen Orten siegen müssen. Unsere glorreiche Armee hat an allen Orten der Erde ihre Schule erhalten. Wir haben in Afrika, Asien und Amerika gesiegt; Europa zittert vor uns; ein Juarez und ein Haufen wilder Apachen wird von uns einfach niedergetreten und zermalmt.«

Da trat ein Unteroffizier ein, welcher einen einfach und sorglos gekleideten Mann geführt brachte. Er meldete:

»Mein Capitän, dieser Mann ist soeben angekommen; er gab vor, mit dem Besitzer sprechen zu wollen.«

Während dieser Meldung war das Auge des Hauptmannes auf den Unteroffizier gerichtet. Dadurch gewann der Fremde Zeit, dem Haziendero einen unbemerkten Wink zu geben. Arbellez verstand diesen Wink allerdings nicht, aber er sagte sich, daß den Mann irgend eine Absicht, welche den Franzosen verborgen bleiben solle, herbeigeführt habe und beschloß, sich darnach zu verhalten.

Der Offizier wendete sich an den Mann:

»Wir sind hier auf Etappe und dürfen also nicht Jeden frei passiren lassen. Wer bist Du?«

»Ich bin ein armer Vaquero, Sennor,« antwortete der Gefragte.

»Woher?«

»Aus der Gegend von Castannola.«

»Was willst Du hier?«

»Mein Herr hat Unglück gehabt. Einige seiner besten Heerden sind ihm mit den Büffeln davongegangen und er braucht nun nicht mehr so viele Hirten wie vorher. Er hat eine Anzahl derselben entlassen und ich bin leider auch dabei. Ich kenne Sennor Arbellez als einen Mann, der gut bezahlt und seine Leute gut behandelt; darum kam ich her, um zu fragen, ob ich nicht bei ihm in Dienst treten kann.«

»Hast Du eine Legitimation, einen Entlassungsschein, ein Zeugniß bei Dir?«

Ein eigenthümliches Lächeln ging über das Gesicht des Mannes, aber er antwortete bescheiden:

»Sennor, das mag in Frankreich so gehalten werden, in Mexiko aber fragt man nicht nach solchen Dingen. Wollte ich ein Zeugniß verlangen, so würde ich ausgelacht.«

»Ja, ich habe mich leider nicht nach Euren Gebräuchen, sondern nach meiner Instruction zu richten. Ich darf hier nur solche Leute zulassen, welche sich legitimiren können.«


// 1699 //

Da legte sich der Haziendero in das Mittel. Er kannte den Mann nicht, sagte aber doch:

»Sennor, bei diesem Manne ist eine Legitimation unnöthig.«

»Warum?«

»Ich garantire für ihn.«

»So kennen Sie ihn?«

»Ja.«

»Das ist etwas Anderes, Sennor. Kennen Sie auch seinen Namen?«

Der Haziendero beschloß, den ersten besten Namen zu nennen.

»Natürlich!« antwortete er. »Dieser Vaquero heißt Pablo Rebando. Sein Bruder hat bei mir in Dienst gestanden und ich bin sehr mit ihm zufrieden gewesen.«

»So haben Sie vielleicht die Absicht, ihn zu engagiren, Monsieur?«

»Allerdings.«

»Gut, ich gebe Ihnen meine Erlaubniß dazu und werde seinen Namen in die Hausstandsliste, welche ich über die Hazienda zu führen habe, eintragen.«

»Ich danke Ihnen, Monsieur und bitte um Verzeihung, daß ich Ihnen solche Mühe bereite.«

»Ah, wenn man weiter keine Mühe hätte!« sagte der Offizier, indem er sich zum Gehen erhob, »so wäre es sehr bequem und leicht, Etappencommandant zu sein. Was ich Ihnen noch sagen muß, ist, daß ich vielleicht recht bald Abschied von Ihnen zu nehmen habe.«

»Das würde mir unendlich leid thun, Sennor!« zwang sich Arbellez zu sagen.

»Es scheinen Truppenzusammenziehungen bevorzustehen, vielleicht eines großen kräftigen Vorstoßes wegen. Es wurde mir in dem Briefe der Befehl, mich bereit zu halten.«

»Ist dies bald zu erwarten, Sennor?«

»Heut und morgen noch nicht. Es vergehen ja Tage, ehe ein Befehl aus Chihuahua oder Cohahuila hier anlangen kann. Adieu für jetzt, Sennor!«

Er ging. Es war ihm gar nicht eingefallen, daß der große Truppenvorstoß und seine eigene Marschbereitschaft mit den erfochtenen Siegen, von denen er erzählt hatte, nicht so recht in Einklang zu bringen seien.

Jetzt befanden sich Arbellez und Maria Hermoyes mit dem angeblichen Vaquero allein.

»Nun, mein Freund, ich hoffe, daß Du mit mir zufrieden bist,« sagte der Haziendero zu ihm. »Ich habe Deinetwegen eine Unwahrheit gesagt, was ich sonst niemals thue.«

»Ich danke Euch, Sennor,« antwortete der Mann. »Ich denke, diese kleine Unwahrheit rechtfertigen zu können. Es war mir nicht gleichgiltig, zu sehen, daß Eure Hazienda von den Franzosen besetzt ist.«

»Du wußtest das nicht?«

»Nein. Und als ich es erfuhr, glaubte ich doch nicht, von den Franzosen förmlich verhört zu werden. Eine Legitimation, ein Zeugniß, in Mexiko. Es ist unerhört.«


// 1700 //

Der Mann lachte herzlich und Arbellez stimmte ein.

»Nun sage mir aber auch, wer Du bist,« meinte der Letztere.

»Mein Name ist Armandos, Sennor. Ich komme aus Oaxaca.«

»Aus Oaxaca? Ah, wo jetzt der helle Aufstand herrscht?«

»Ja. Ihr habt doch von General Porfirio Diaz gehört?«

»Viel, sehr viel, mein Freund. Er ist der tüchtigste und bravste General, den es jemals in Mexiko gegeben hat und ein ehrlicher Mann dazu, was leider eine Seltenheit ist.«

»Nun, so wißt Ihr vielleicht auch, daß Diaz die Fahne gegen Frankreich erhoben hat.«

»Ich weiß es. Wie man erzählt, ist er siegreich gewesen?«

»Ja. Diaz hat überhaupt noch nie ein Treffen verloren. Er faßt die Franzosen im Süden des Landes an und wünscht nun, daß Juarez im Norden losbreche.«

»Wenn Gott nur geben wollte, daß dies möglich wäre.«

»Warum sollte dies nicht möglich sein? Diaz hat mir wichtige Depeschen anvertraut, welche ich dem Präsidenten bringen soll.«

»Ah, so bist Du ein Bote des Generals?« fragte Arbellez erstaunt.

»Ja, Sennor. Ich komme aus dem Süden und bin in einer Tour bis hierher geritten.«

»Mann, das ist ein Meisterstück.«

»Da habt Ihr recht. Es war nicht wenig Schlauheit und Vorsicht nöthig, um unentdeckt durch die von den Feinden besetzten Provinzen zu kommen. Ich bin vor Anstrengung halb todt und bedarf einen oder zwei Tage der Ruhe. Ihr wurdet mir als ein guter und treuer Patriot geschildert und so beschloß ich, Euch um Gastfreundschaft anzusprechen.«

»Daran hast Du sehr recht gethan. Du bist mir willkommen und ich denke, daß für Dich und Deine Depeschen nichts zu befürchten ist, trotzdem Du Dich bei mir in Mitten der Franzosen befindest. Soll ich sie Dir vielleicht verwahren?«

»Was?«

»Die Depeschen?«

»O nein, Sennor. Das ist nicht nothwendig. Sie sind bei mir so gut versteckt, daß sie Niemand finden wird. Ich danke Euch sehr für Euren guten Willen.«

»Es war gut gemeint. Wo gedenkst Du, Juarez zu treffen?«

»In El Paso del Norte.«

»Dort ist er nicht mehr.«

»Wo sonst?«

»Ich weiß es nicht. Der Capitano hat vorhin die Nachricht erhalten, daß der Präsident aus El Paso vertrieben worden ist.«

»Durch wen, Sennor?«

»Durch die Franzosen.«

»Der Teufel soll sie holen. Nun wird meine Aufgabe doppelt schwer.«

»Das ist sehr richtig, lieber Freund. Wie willst Du erfahren, wo Juarez sich befindet?«


// 1701 //

»Ich muß nach El Paso und hoffe, es dort zu hören.«

»Dies ist aber sehr gefährlich für Dich.«

»Ich bin die Gefahr gewohnt, Sennor.«

»Das will ich glauben. Wärst Du furchtsam, so hätte Diaz Dir nicht eine so sehr wichtige Angelegenheit anvertraut. Bist Du gut beritten?«

»So leidlich, aber mein Pferd ist durch den weiten Ritt sehr heruntergekommen.«

»Nimm Dir aus meiner Heerde ein besseres.«

»Ich danke Euch, Sennor und werde Euer Verhalten gegen Juarez zu rühmen wissen. Wollt Ihr mir sagen, wo ich mich hier aufzuhalten habe?«

»Das kommt ganz auf Dich an. Bist Du wirklich nur ein Vaquero?«

»Hm! Ich mußte mich für einen solchen ausgeben.«

»Gut, so mußt Du Dich auch in dieser Rolle zeigen. Ich habe Dich in Dienst genommen; Du wirst also bei meinen Vaqueros sein. Sie liegen entweder in einem Raume des Erdgeschosses oder draußen vor dem Hause.«

»Wird man mich ungehindert heraus und hinein passiren lassen?«

»Jedenfalls. Da Du als Vaquero auftrittst, darf ich Dich auch nicht bedienen lassen. Für Speise und Trank werden Deine Collegen sorgen. Hast Du sonst einen Wunsch, so brauchst Du ihn mir nur mitzutheilen.«

»Ich danke Euch, Sennor. Ich brauche nichts, als Ruhe und ein besseres Pferd. Beides habt Ihr mir bereits gewährt; ich bin also zufrieden gestellt.«

Er zog sich zurück. Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, sagte Maria:

»Wißt Ihr, Sennor, daß Ihr Euch da in eine gefährliche Sache eingelassen habt?«

»Gefährlich? Wieso?«

»Wenn nun die Franzosen entdecken, daß dieser Mann ein Bote von Diaz ist?«

»Das wäre sehr zu beklagen; aber was sollte es mir schaden?«

»Ihr habt ja gesagt, daß Ihr ihn und seinen Bruder kennt.«

»Das ist wahr. Aber ich sehe mir da noch keine Gefahr voraus. Kann ich denn wissen, daß dieser Mann, der in meine Dienste treten will, so zu sagen ein Spion ist?«

»Hm. Habt Ihr ihn Euch richtig betrachtet?«

»Ja.«

»Wie gefiel er Euch?«

»Wie er mir gefiel? O, ich bin kein Frauenzimmer, Sennora,« lachte Arbellez.

Sie zuckte lächelnd die Achseln, fuhr aber in besorgtem Tone fort:

»So ist es natürlich nicht gemeint. Ich habe doch nicht gefragt, ob Ihr Euch in diesen Mann verliebt habt.«

»Nun, zum Verlieben war er auch nicht.«

»Nicht wahr? Habt Ihr sein Auge betrachtet?«

»Ich weiß nicht, welche Farbe es hatte.«

»Ach, Sennor, auch das meine ich nicht. Sein Blick war nicht gut, gar nicht gut.«


// 1702 //

»In wiefern?«

»So unstät.«

»Hm, ja. Sein Auge war sehr unruhig, es fuhr im Zimmer herum, als ob er Etwas suche und doch nicht finden könne; das habe ich allerdings auch bemerkt.«

»Er hatte ein falsches, treuloses Auge. Ich könnte ihm kein Vertrauen schenken.«

»Das ist auch gar nicht nöthig. Er ist ein Bote; er ruht sich bei uns aus und wird wieder gehen. Ob er einen guten oder bösen Character hat, das geht uns nichts an.«

Damit war die Sache abgemacht. Der gute Arbellez ahnte nicht, wie sehr Maria Hermoyes mit ihrem Mißtrauen recht hatte. Er sollte es leider erfahren.

Der Vaquero, welcher sich Armandos genannt hatte, gesellte sich unterdessen zu den Rinderhirten, welche ihren Aufenthalt im Erdgeschosse hatten. Er erhielt zu essen und zu trinken und erfuhr im Laufe des Gespräches Alles, was zu wissen er beabsichtigte.

Später verließ er das Haus und begab sich hinaus auf das Feld, wo andere Hirten nach ihrer Gewohnheit am Feuer saßen. Hier vervollständigte er seine Erkundigungen, so daß er am Abende genügend orientirt war.

Nun streckte er sich in das Gras, wickelte sich in seine Decke und that, als ob er schlafe. Niemand bekümmerte sich um ihn und das war ihm sehr recht.

So kam die Mitternacht heran. Die Vaqueros schliefen und er konnte sich entfernen, ohne daß sein Gehen auffiel. Er schlug, um von den französischen Posten nicht bemerkt zu werden, einen Bogen, bis er sich dem Eingange gegenüber befand, und schritt dann in schnurgerader Richtung in die Nacht hinein.

Er war noch gar nicht weit gegangen, so bemerkte er eine dunkle Masse vor sich.

»Halt. Wer da?« fragte halblaut eine Stimme.

Die dunkle Masse bestand aus den Leuten, welche er suchte.

»Ich bin es,« antwortete er.

»Endlich.«

Dieses letztere Wort kam von Cortejo, welcher in der Nähe hielt. Er trat mit seiner Tochter und dem Mexikaner, welcher heut an seiner Seite geritten war, näher.

»Wie steht es?« fragte er.

»Schlecht und gut zu gleicher Zeit,« antwortete der Mann.

»Warum schlecht?«

»Weil die Hazienda von den Franzosen besetzt ist.«

»Alle Teufel, das ist höchst unangenehm. Ich habe also recht gehabt. Sind es viele?«

»Ich habe gegen dreißig Mann gezählt.«

»Dann ist es ja gar nicht so schlimm. Wer ist ihr Anführer?«

»Ein Capitano, der gar nicht wie ein großer Held aussieht.«

»Ich werde mit ihm fertig werden. Aber hast Du nicht gehört, warum man auf den Gedanken gekommen ist, gerade die Hazienda zu besetzen?«


// 1703 //

»Sie ist Etappenstation.«

»Das ist nicht gut. Es ist so, wie ich dachte. Die Hazienda liegt am großen Reitwege nach Cohahuila. Wenn wir sie wegnehmen, werden wir bald wieder Besuch erhalten und uns tüchtig herumzuschlagen haben.«

Da meinte der mexikanische Anführer, der bisher geschwiegen hatte:

»Das müssen wir mit in den Kauf nehmen. Die Sache hat auch ihr Gutes. Indem wir diese Etappe fortnehmen, zerreißen wir die Verbindungslinie des Feindes. Das ist ein großer Vortheil für uns.«

»Recht habt Ihr. Es ist nur nothwendig, eine so starke Besatzung in die Hazienda zu legen, daß sie uns nicht wieder genommen werden kann. Sie soll ja den Punkt bilden, von welchem meine Operationen ausgehen. Wird sie gut bewacht?«

»Sehr nachlässig,« antwortete der Spion. »Es sind an den vier Ecken Schanzen aufgeworfen; auf jeder steht ein Posten; das ist Alles.«

»Und die Andern?«

»Die liegen im Hofe und schlafen.«

»Der Capitano auch?«

»Nein; der bewohnt ein Zimmer im Gebäude.«

»Kennst Du es?«

»Nein. Ich wollte nicht unvorsichtig fragen. Der Kerl kann uns ja nicht entwischen.«

»Und wie steht es mit den Vaqueros?«

»Einige schlafen im Erdgeschosse und einige im Freien.«

»Hast Du mit dem Haziendero selbst gesprochen?«

»Ja. Er ist ein sehr einfältiger Mensch; er glaubte Alles, was ich ihm sagte. Uebrigens brauchen wir uns vor seiner Tapferkeit gar nicht zu fürchten. Er ist krank und schwach, er sieht aus, als ob der Tod bereits hinter ihm stehe.«

»Wir werden keine schwere Arbeit haben,« meinte der Anführer. »Wir lassen die Pferde einstweilen zurück und schleichen uns vor. Die vier Posten werden mit dem Messer erstochen, daß sie keinen Lärm machen können, und dann geht es über die Andern her, Alles möglichst ruhig mit dem Messer. Aber wie steht es mit den Vaqueros? Tödten wir sie auch?«

»Natürlich!« meinte Josefa.

»Eigentlich ist es nicht nöthig,« meinte Cortejo. »Ich werde Besitzer der Hazienda, und brauche diese Leute zum Schutze der Heerden.«

»So lassen wir sie meinetwegen leben,« meinte der Mexikaner. »Wir brauchen nicht gerad zum blosen Vergnügen zu morden. Die Hauptsache ist, daß wir Beute machen, und da bleibt es natürlich bei unserer Abmachung, daß Alles uns gehört, was sich in dem Gebäude befindet.«

»Den Haziendero und Maria Hermoyes ausgenommen,« sagte Josefa.

»Zugestanden. Laßt uns also beginnen.«

Einige Minuten später rückten die Leute gegen die Hazienda vor. Diese wurde umzingelt, und dann begannen die Mexikaner, die Planken vorsichtig zu übersteigen. Es sollte ihnen dies aber nicht so ganz unbemerkt gelingen.

Einer der Posten stand auf der Erhöhung und blickte in das beinahe un-


// 1704 //

durchdringliche Dunkel hinaus. Da war es ihm, als ob er ein unbestimmtes, eigenthümliches Geräusch vernehme. Sehen konnte er bei dieser Finsterniß nichts, daher legte er sich auf die Erde und horchte. Das Geräusch wurde jetzt stärker und bestimmter; es war ganz nahe; es klang wie Schritte vieler Menschen, und - da knackte es auch grad vor ihm an den Planken.

»Halte-là! Qui vive?« rief er laut. »Halt, werda?«

Er blieb vorsichtig am Boden liegen, hielt aber sein Gewehr schußbereit und lauschte auf eine Antwort. Es erfolgte keine. Einige Sekunden lang blieb Alles still; dann aber war das Knacken der Planke von Neuem zu hören.

»Wer da?« fragte er abermals. »Antwort, oder ich schieße! Da sah er grad über sich einen Kopf über der Planke erscheinen. Ein Mensch wollte hereinklettern. Er richtete sein Gewehr empor und drückte ab.

Der Schuß erschallte weithin durch die Nacht. Die Soldaten, durch ihn alarmirt, sprangen von ihren primitiven Lagern auf und griffen zu den Waffen, aber bereits zu spät. Als der Schuß erschollen war, rief draußen eine laute Stimme:

»Zum Teufel! Wie dumm! Aber hinein, vorwärts! Es war der mexikanische Anführer. Seine Leute gehorchten.

Kaum hatten sie den Ruf gehört, so sprangen sie von allen Seiten über die Planken und fielen über die Franzosen her, welche trotz der Dunkelheit leicht von den eigenen Leuten zu unter scheiden waren. Einige vergebliche Schüsse krachten; Flüche er schollen; ein Todesschrei ertönte hier und da; dann war es still.

Aber an einigen Fenstern der Hazienda wurde es licht. Eins derselben wurde geöffnet. Der Capitän, vom Schlafe aufgeschreckt, hatte schnell Licht angebrannt und blickte herab. Sein Kopf war im Scheine des Lichtes deutlich zu sehen.

»Was giebt es da unten? Warum wird geschossen?« rief er herab.

»Um Deinen Kopf zu sehen, Tölpel!« rief der Mexikaner von unten hinauf.

Bei diesen Worten zielte er empor und drückte ab. Seine Kugel fuhr dem Offizier mitten durch den Kopf. Es lebte kein einziger Franzose mehr.

Die Vaqueros, welche im Erdgeschosse lagen, hatten sich beim ersten Schusse erhoben und sofort einige Kienspähne angebrannt. Sie eilten hinaus; aber bereits an der Thür trat ihnen Cortejo entgegen.

»Zurück!« sagte er. »Wir sind Freunde!«

»O Dios! Sennor Cortejo!« rief ein alter Hirte, der ihn kannte.

»Ja, ich bin es. Wir haben die Franzosen nieder gemacht. Ich hoffe, Ihr seid gute Mexikaner und haltet Euch zu uns. Wo ist Arbellez?«

»In seinem Schlafzimmer jedenfalls.«

»Gieb mir den Spahn!«

Der Alte ließ sich den langen, brennenden Spahn aus der Hand nehmen. Als er sah, wer hinter Cortejo folgte, rief er überrascht:

»Sennorita Josefa! Welch ein Wunder!«

Das Mädchen beachtete sein Erstaunen gar nicht. Sie folgte ihrem Vater nach oben.

Petro Arbellez war natürlich von dem Schießen erwacht. Er sprang aus dem Bette und brannte ein Licht an. Es ertönten mehrere Schüsse; es handelte


Ende der einundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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