Der Weg zum Glück - Teil 51

Lieferung 51

Karl May

16. Juli 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1201 //

»So wird es wenigstens schwer sein, ihn zu überführen. Aber auch das ist ja kein Trost für mich, wenn er doch der Mörder ist. Ob Zeugen da sind oder nicht, ob er bestraft werden kann oder nicht, das bleibt sich gleich; ich bin doch auf jeden Fall die Tochter eines Mörders.«

»Ja. Ich sage es aber sehr schwer und sehr ungern; aber ich muß Dir doch mittheilen, daß ich selbst gezwungen sein werde, als Zeuge gegen ihn aufzutreten.«

»Du! Du selbst?«

»Ja. Ich war zugegen, als er die Amme ermordete, da drüben, wo sie begraben liegt.«

»Du, Fex, Du warst selbst mit dabei?«

»Ja. Entsinnst Du Dich nicht dessen, was wir Dir vorhin am Zigeunergrabe sagten? Ich lag hinter dem Busche. Ich war ein kleiner Knabe und habe keinem Menschen Etwas davon gesagt, aus großer Angst vor Deinem Vater.«

»Und selbst mir nicht, auch mir nicht!«

»Konnte ich Dir diesen Schmerz bereiten? Dir hatte ich ja mein Leben zu verdanken.«

»Mir? Ich hätte Dir das Leben gerettet? Ich weiß kein Wort davon.«

»Du hast es gethan, ohne eine Ahnung davon zu haben. Dein Vater trachtete auch mir nach dem Leben. Er wollte mich tödten; das weiß ich ganz gewiß. Aber Du zeigtest eine so große Anhänglichkeit gegen mich, daß er es Deinetwegen unterließ. Ich wußte, daß ich in steter Todesgefahr schwebte.«

»Wie schrecklich, wie entsetzlich! Und Du hast mich lieb gehabt, hast so viel für mich ertragen und erduldet!«

»Je größer meine Angst vor Deinem Vater war, desto größer wurde meine Liebe zu Dir!«

»Zur Tochter des Mörders! Fex, Fex, ich habe geglaubt, einmal recht, recht glücklich sein zu können. Das war ein Traum; das war Täuschung; das ist nun nicht mehr möglich. Der Fluch heftet sich an meine Fersen. Ich muß verschwinden, dahin, wo Niemand mich kennt. Und Du wirst Deine lichten Pfade wandeln, und kein Strahl davon wird auf meine dunklen Wege fallen. Ich bin die Tochter eines Mörders, eines Mörders, eines Mörders.«

Sie schritt händeringend in dem Stübchen hin und her und stieß die letzten Worte in einem so jammervollen Tone hervor, daß es dem jungen Mann durch Herz und Seele schnitt.

Er sprang von seinem Stuhle auf, ergriff sie beim Arme und sagte:

»Paula, sprich nicht so, nicht so! Das kann ich nicht erhören. Es ist mir, als ob ich sterben müsse, wenn ich Dich so trostlos sehe. Bedenke, daß ich Alles gerade so tief und innig mit empfinde, wie Du es fühlst. Du hast von mir Aufrichtigkeit verlangt. Soll ich es bereuen, Dir diesen Wunsch erfüllt zu haben?«

Da faßte sie sich. Sie zwang sich zur äußerlichen Ruhe. Die Hand fest auf das stürmisch klopfende Herz pressend, seufzte sie:


// 1202 //

»Du hast Recht. Was nützt der Jammer und das Klagen. Es ist nichts mehr ungeschehen zu machen, und das Unglück muß, muß ja doch ertragen werden. Ich will mich also beherrschen, damit ich im Stande bin, auch das Uebrige zu hören, was Du mir zu sagen hast.«

»Was das betrifft, so wirst Du freilich nichts mehr hören.«

»Warum?«

»Weil - weil ich Dir - nichts mehr zu sagen habe,« antwortete er stockend und in einem hörbar unsichern Tone.

Sie blickte ihn forschend, fast streng an.

»Jetzt sagst Du mir abermals die Wahrheit nicht, Fex!«

Er senkte den Blick, behauptete aber dennoch:

»Du weißt ja nun Alles.«

»Nein. Ich sehe es Dir an, daß noch mehr gegen meinen Vater vorliegt. Und selbst wenn ich es Dir nicht anmerkte, könnte ich es doch mit Sicherheit errathen. Warum hat er die Beiden getödtet? Nur um sie zu ermorden? Nein. Er muß eine verbrecherische Absicht gehabt haben, eine Absicht, zu deren Erreichung der Mord nur das Mittel war. Und das Alles weißt Du genau. Ich verlange, daß Du es mir sagst. Vermuthe ich richtig oder nicht?«

Ihr Blick ruhte dabei so scharf forschend auf ihm, daß es ihm unmöglich war, aus liebevoller Rücksicht auf ihren Seelenzustand ihr eine Unwahrheit zu sagen.

»Ja,« antwortete er. »Deine Vermuthung ist freilich richtig.«

»Ich wußte es. Also warum hat er Deine Mutter ermordet?«

»Um sie zu berauben.«

»Zu berauben!« wiederholte sie tonlos. »Also nicht nur ein Mörder, sondern sogar ein Räuber, ein Raubmörder ist er! Es ist mir, als ob der Himmel über mir zusammenbrechen wolle.«

»So wollen wir doch jetzt nicht weiter über diesen Gegenstand sprechen. Später, wenn Du gefaßter bist, kannst Du ja Alles erfahren.«

»Nein. Ich habe vorhin gesagt, daß ich die Arznei ganz, bis auf den letzten Tropfen austrinken will. Ich mag sie nicht schluckweise zu mir nehmen. Also weiter! Warum tödtete er Deine Amme?«

»Weil sie wußte, was er gethan hatte. Sie war eine Zeugin gegen ihn, die er aus dem Wege schaffen mußte.«

»Deshalb also, deshalb! Und Du warst bei diesem Morde zugegen, und er leugnet trotzdem?«

»Ja. Vielleicht glaubt er, sich durch das Leugnen retten zu können.«

»Oder, ich wiederhole es, obgleich Du mir da bereits wiedersprochen hast - vielleicht hat er es doch nicht gethan!«

»Es ist kein Zweifel möglich. Ich habe es ganz deutlich gesehen.«

»Aber Du warst ein kleiner Knabe, noch unzurechnungsfähig.«

»Meine Augen waren dennoch scharf, doppelt geschärft von dem Schrecke, unter welchem mein ganzer Leib erzitterte.«


// 1203 //

»Wird aber Dein Zeugniß gelten?«

»Warum nicht?«

»Ich habe noch nicht gehört, daß man auf die Worte eines so kleinen Kindes hin einen Menschen zum Tode verurtheilt. Und zudem sind seit jener Zeit fast sechzehn Jahre vergangen.«

»Du magst Recht haben. Ich kann darüber keine Auskunft ertheilen und wünsche um Deinetwillen herzlich gern, daß meine Aussage gar nichts gelten möge.«

»Auch das läßt sich nicht erwarten. Daß sie gar nichts gelten werde, ist nicht denkbar. Die Richter werden sie vielmehr sehr beachten; aber den Vater zu überführen, dazu reicht sie nicht aus. Und giebt es denn in Beziehung auf die Ermordung Deiner Mutter Zeugen, welche ihm die That beweisen können?«

»Ich weiß es nicht. Die Amme ist todt, und sein Mitschuldiger, der Silberbauer hat die Flucht ergriffen.«

»Dieser wird, selbst wenn man ihn wieder ergreift, sich hüten, ein Geständniß abzulegen und sich dadurch selbst mit in Strafe zu bringen. Es scheint also doch, daß der Vater Recht hat, wenn er meint, daß das Leugnen ihm Nutzen bringen werde.«

»Mag es ihm gelingen. Ich gönne es ihm um Deinetwillen, wie ich bereits bemerkt habe.«

Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, holte tief und schwer Athem und entgegnete:

»Du verstehst mich falsch. Meinst Du, daß ich meinen Vater entschuldigen will?«

»Das ist doch natürlich.«

»Natürlich wohl, aber nicht gerecht.«

»Jedes Kind hat das Recht, den Vater zu vertheidigen, selbst wenn dieser gefehlt hat.«

»Meinst Du? Ich habe den Vater niemals so geliebt, wie eine Tochter ihren Vater lieben sollte; aber selbst wenn ich ihm mit der zärtlichsten Zuneigung zugethan gewesen wäre, muß mir der Wille Gottes höher stehen, als die Rücksicht auf den Vater. Keine Liebe zu irgend einem Menschen könnte mich vermögen, gegen die Stimme meines Gewissens zu handeln. Hat mein Vater gesündigt, so muß ich ihn verurtheilen, ganz gleich, ob ich ihn liebe oder nicht. Und ich werde es nicht dulden, daß er durch Lügen die Schuld noch erhöht, welche jetzt bereits auf ihm lastet.«

»Willst Du damit sagen, daß Du beabsichtigst, ihn zu einem offenen Geständnisse aufzufordern?«

»Ja.«

»Das wird vergeblich sein.«

»Wahrscheinlich. Aber es ist meine Pflicht, den Versuch zu machen. Wo befindet er sich?«

»In seiner Stube.«


// 1204 //

»Allein?«

»Nein. Es sind zwei Gensdarmen bei ihm.«

»Vor ihnen darf ich mich nicht scheuen. Nur fragt es sich, ob sie mir erlauben werden, zu ihm zu kommen.«

»Sie haben freilich den strengen Befehl, ihn mit keinem Bewohner der Mühle verkehren zu lassen. Aber sie wissen, wie sehr betheiligt ich bei dieser Angelegenheit bin, und werden Dir auf meine Befürwortung hin vielleicht die Erlaubniß geben.«

»So bitte, komm, geh mit hinab!«

Sie wendete sich zum Gehen. Er hielt sie noch zurück und sagte in besorgtem Tone:

»Unterlaß es lieber noch, Paula! Du bist bereits entsetzlich aufgeregt. Zu Dem, was Du vor hast, gehört eine Stärke, welche Du in diesem Augenblicke wohl kaum besitzest.«

Jetzt ging doch ein Lächeln, wenn auch ein sehr mattes, über ihr jugendlich schönes Gesicht.

»Meinst Du auch, daß nur die Männer stark sein können?« fragte sie.

»Nein, das meine ich nicht. Es giebt ja Lagen, in denen selbst der stärkste Mann sich schwach fühlen kann, und die Deinige, in welcher Du Dich selbst befindest, scheint eine solche zu sein.«

»Ich habe gehört, daß oft dann, wenn es den Männern an Stärke gebricht, die Frauen eine Kraft zeigen, welche man ihnen nicht zugemuthet hat. Du wirst sehen, daß ich nur Dir gezeigt habe, wie mich die Kunde von den Verbrechen meines Vaters erschüttert hat. Dieser aber nicht, und auch kein fremder Mensch, soll bemerken, daß ich in's tiefste Leben hinein getroffen bin. Also komm mit hinab!«

Sie schritt voran, und er folgte ihr. Ihre Haltung war aufrecht, fast stolz, und ihr Gang sicher. Dieses junge, unerfahrene Mädchen hatte in den wenigen Augenblicken eine Schule durchgemacht, zu welcher Andere lange Jahre gebrauchen. Sie war in dieser kurzen Zeit zu der Erkenntniß gelangt, daß sie in Beziehung sowohl auf ihr inneres, als auch auf ihr äußerliches Leben von jetzt an nur auf sich selbst angewiesen sein werde. Und eigenthümlich war es auch, daß sie im Verlaufe ihres Gespräches mit dem Fex hochdeutsch gesprochen und sich nicht ihres ländlichen Dialectes bedient hatte. Es ist das keineswegs ein psychologisches Räthsel, welches nicht gelöst werden kann. Wenn fremde, bisher unbekannte Gewalten die Seele bewegen, ist es nur ganz selbstverständlich, daß auch die Sprache eine andere wird.

Als sie die Thür zu der Stube des Müllers öffneten, sahen sie diesen auf seinem Rollstuhle am Tische sitzen. Er hielt die Augen geschlossen, als ob er schlafe. Das war nur Verstellung. Er wollte ungestört über seine Lage und den Ausweg aus derselben nachdenken. Auch lag es ganz in seinem Character, die beiden anwesenden Gensdarmen keines Blickes zu würdigen.

Der Eine derselben kam auf die beiden Eintretenden zu und fragte nach ihrem Begehr.


// 1205 //

»Darf ich vielleicht einmal mit meinem Vater sprechen?« erkundigte sich Paula.

»Nein, Fräulein.«

»Warum nicht?«

»Ihr Vater darf überhaupt jetzt mit keinem Menschen verkehren. Es liegt das ganz in der Natur der Sache.«

»Aber ich verspreche Ihnen, daß ich kein Wort zu ihm sagen werde, was ich nicht zu ihm sagen darf.«

»Darauf kann ich leider nicht eingehen.«

»Aber ich werde mein Versprechen sehr gern und ganz genau halten!«

»Das können Sie nicht. Sie wissen ja gar nicht, was Sie sagen dürfen und was nicht. Und der Gefangene würde dieses Gespräch ganz gewiß nur zu Mittheilungen oder Winken benutzen, die wir unmöglich gestatten dürfen.«

Jetzt warf sie einen Blick auf den Fex, ihn stumm bittend, sich ihrer und ihres Wunsches anzunehmen. Der junge Mann wandte sich in flüsterndem Tone an den Gensdarmen:

»Sie können es ihr getrost erlauben. Ihre Absicht ist nur vortheilhaft für den Verlauf der betreffenden Untersuchung.«

»Inwiefern?«

»Sie will ihren Vater auffordern, ein offenes Geständniß abzulegen.«

Der Polizeibeamte zuckte die Achsel und antwortete:

»Wer giebt mir Garantie?«

»Ich.«

»Sie sind nicht Beamter.«

»Aber es liegt in meinem Interesse, daß nichts Störendes sich ereigne.«

»Das mag sein; aber ich kann das Risico doch nicht übernehmen. Selbst wenn sie die beste Absicht hat, kann ihr Vater das Gespräch zu einer Bemerkung benützen, welche schädigend in den Verlauf des Criminalprocesses einwirkt. Uebrigens ist der hartköpfige Alte nicht der Mann, welcher sich durch eine einfache Bitte seiner Tochter bewegen läßt, die Rettungsgedanken aufzugeben, mit denen er sich ganz sicher noch trägt.«

»Sie schlagen uns also die Bitte ab?«

»Nur ungern, aber doch ganz bestimmt. Meine Instruction ist so streng und gemessen, daß ich mich durch nichts bewegen lassen kann, gegen dieselbe zu handeln.«

»So müssen wir uns leider zurückziehen.«

»Ich ersuche Sie allerdings darum. Ich habe eigentlich bereits gegen die mir ertheilten Befehle verstoßen, indem ich Sie hier eintreten ließ. Ich darf keinen Menschen zu meinem Gefangenen hereinlassen.«

Der Fex nahm Paula bei der Hand und entfernte sich mit ihr. Gerade als sie aus der Thür traten, kam der Assessor zur Hausthür herein.

»Wie?« sagte er erstaunt. »Sie waren drin beim Müller?«

Seine Stirn legte sich dabei in Falten.


// 1206 //

»Wir wollten zu ihm,« erklärte der Fex, »sind aber von den Gensdarmen zurückgewiesen worden.«

Die Stirn des Gerichtsbeamten glättete sich wieder, und er bemerkte:

»Mein Befehl, welcher sehr streng ist, lautete allerdings, daß kein Mensch Zutritt nehmen dürfe, am allerwenigsten ein Bewohner dieses Hauses. Darf ich fragen, was Sie bei Ihrem Vater wollten?«

Diese Frage war an Paula gerichtet. An ihrer Stelle erklärte der Fex, welche Absicht das Mädchen verfolgt hätte. Der Assessor blickte eine Weile sinnend vor sich nieder, dann antwortete er:

»Sie verfolgen zwar einen sehr lobenswerthen Zweck, allerdings, ich habe nicht die mindeste Hoffnung, daß Sie ihn erreichen werden. Ihr Vater ist ein hartgesottener Character. Bei ihm wirken gute Worte gerade so wie hohle Gummibälle, welche von der Mauer abprallen, an welche man sie wirft.«

»Wollen wir es nicht wenigstens einmal versuchen?« fragte das Mädchen schüchtern.

»Sie haben wirklich nicht die Absicht, irgend eine Ungehörigkeit zu begehen?«

»Nein. Ich würde dadurch ja die Mitschuldige meines Vaters werden, und dazu habe ich freilich keine Lust.«

»Nun gut, so soll Ihre Bitte erfüllt werden, aber weniger in der Hoffnung, daß Ihr Zweck erreicht wird, sondern nur aus Rücksicht auf die Theilnahme, welche ich Ihrer Person widme. Kommen Sie also mit herein!«

Er öffnete die Stubenthür, damit Paula eintreten möge, und da er den Fex nicht hinderte, so nahm auch dieser mit Zutritt. Der Assessor schritt auf den Müller zu, welcher noch ebenso regungslos und mit geschlossenen Augen dasaß wie vorhin, und sagte:

»Müller, schlafen Sie?«

Es erfolgte keine Antwort.

»Kellermann!« rief nun der Beamte den Müller bei dessen Namen.

Auch das hatte ganz denselben Mißerfolg.

»Ihre Tochter ist da. Sie will mit Ihnen reden.«

Der Gefangene bewegte sich noch immer nicht und behielt auch die Augen geschlossen. Da gab der Assessor Paula einen Wink und trat zurück. Das Mädchen ging hin zu ihrem Vater. Ihre Schritte waren leise, aber fest und sicher. Ihr Gesicht war todesbleich und ohne bewegte Mienen.

»Vater!« sagte sie.

Trotzdem sie nur dieses eine Wort gesprochen hatte, hörte man doch, daß ihre Stimme zitterte. Der Angeredete aber that noch immer, als ob er nichts höre.

»Vater, ich bin da, die Paula!«

Keine Antwort.

»Vater,« rief sie nun mit laut erhobener Stimme, »hörst mich nicht oder willst mich blos nicht hören?«

Und als auch jetzt keine Antwort erfolgte, so fuhr sie fort:


// 1207 //

»Meinst etwan, ich soll denken, daßt schlafst oder nicht beim Bewußtsein bist? Gegen mich brauchst Dich nicht zu verstellen. Ich will mit Dir reden, und wannst mich nicht hören willst, so kann ich ja gehen. Aberst denk nur nicht, daß ich dann wiederkomm. Wann ich jetzund von Dir gehe, ohne daßt mich anhört hast, so bekommst mich im ganzen Leben nimmer wieder zu sehen.«

Da machte er eine leise Bewegung, ohne jedoch die Augen zu öffnen.

»Also, sag, obst mich hörst.«

»Ja,« antwortete er leise.

»So mach auch die Augen auf!«

Jetzt hob er langsam die Lider empor. Sein Blick glitt blitzschnell, so daß es kaum bemerkt werden konnte, im Zimmer umher und blieb dann an der Tochter haften. Wäre dieselbe unerwartet vor ihn hingetreten, vielleicht hätte er dann seine Verlegenheit für den ersten Moment nicht bemeistern können; jetzt aber, wo er bereits seit einigen Minuten wußte, daß sie mit ihm sprechen wolle, zeigte sein Auge ganz die gewöhnliche, kalte, gefühllose Strenge und Festigkeit. Er that, als ob er keine der anderen Personen sehe, und hielt das Auge nur auf Paula gerichtet.

»Was willst?« fragte er kurz.

»Hast jetzund schlafen, Vatern?«

»Nein.«

»Warum machst die Augen zu?«

»Weil ich keinen Menschen anschauen mag, der mich beleidigt, ohne daß ichs ihm verwehren kann.«

»So fürchtest Dich?«

»Was fallt Dir ein, alberne Kröten Du! Vor wem soll ich mich fürchten?«

»Oder hast Dich schämt?«

»Das ist eine noch viel dümmere Fragen als die vorhergehende. Dera Thalmüllern hat gar keinen Grund, sich vor irgend einem Menschen zu schameriren!«

»So kannst auch die Augen offen behalten.«

»So? Meinst? Ich schau keinen Menschen an, der es nicht werth ist, daß dera Thalmüllern ihn anschaut. Gegen Diejenigen vom Gericht und von dera Polizeien darf ich mein Hausrecht nicht anwenden, sonst hätt ich sie allbereits schon längst hinauswerfen lassen. Und weil ich es dulden muß, daß sie sich herstellen und mich anstaunen wie die Kuh das neue Scheunenthor, so hab ich kein anderes Mittel, mich gegen sie zu wehren, als daß ich die Augen zumachen thu. Auf diese Weis bekomm ich sie doch nicht zu sehen.«

»Und meinst wirklich, daßt ein Recht hast, gegen sie zornig zu sein?«

Er that, als ob er über diese Frage außerordentlich erstaunt sei.

»Natürlich hab ich das Recht.«

»So bist wohl unschuldig?«

»Dirndl, frag nicht so dumm!«

»Ich frag weder klug noch dumm. Ich bin Deine Tochtern, und als solche muß ich doch wohl wissen, was ich von Dir zu denken hab.«


// 1208 //

»Und das weißt wohl jetzund noch gar nicht?« fragte er in höhnischem Tone.

»Nein.«

»Sodann bist mir auch eine gar schöne Tochtern! Ich dank auch für so ein Kind! Eine richtige und brave Tochtern muß Stein und Bein schwören können, daß ihr Vatern unschuldig ist.«

»Aberst wann sie da nun gar einen Meineiden schwört?«

»Woher weißts, daß es einer ist?«

»Ich kanns mir denken.«

»So! Also hältst mich für schuldig?«

»Ja.«

Sie blickte ihm dabei fest und scharf in die Augen. Um nicht seinen Blick senken zu müssen, heuchelte er einen Zorn, den er gar nicht empfand, denn es war vielmehr der Schreck, in welchen ihn ihre Antwort versetzte. Er schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Stuhles und rief:

»Jetzt marsch sofort hinaus aus dera Stuben hier! Gleich und sofort! Ists nicht genug, daß fremde Leut sich Lügen aussinnen, die sie mir an denen Kopf werfen? Muß auch noch mein eigenes Kind so schlecht gegen mich sein!«

Sie ließ sich durch diese Worte keineswegs bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Den Blick noch immer fest auf ihn gerichtet, antwortete sie ihm:

»Kannst in aller Ruhe mit mir sprechen. Dera Zorn ist hier schlecht angewendet. Du siehst ja, daß auch ich ruhig bin.«

»Ja, das sehe ich schon! Und das ist auch wohl eine gar große Ehren für Dich? Wanns dem Vatern so gemacht wird wie mir, so kann ein richtiges Kind nicht ruhig bleiben. Ich, wann man meinen Vatern so beschuldigen thät wie mich, ich thät Alles zerschmeißen und würf die ganze Gesellschaften zum Haus hinaus. Odern hasts vielleicht noch gar nicht hört, was ich Alles begangen haben soll?«

»Habs gar wohl vernommen.«

»Von wem denn?«

»Vom Fex.«

»So! Vom Fex also! Ja, das kann ich ihm schon zutrauen. Anstatt daß er mir dankbar ist dafür, daß ich ihn zu mir nommen und füttert hab diese langen Jahre hindurch, geht er zu Dir, um mich schlecht zu machen und Dich gegen mich aufzuhetzen. Aberst dera Lohn wird ihm schon noch werden. Wann ich erst bewiesen hab, daß ich unschuldig bin, dann werd ich ihn einsperren lassen, ihn, verstanden? Er ist schuld daran, daß ich heut die Polizeien in meinem Haus sehen muß. Das hast von dera Freundschaft, die Du stets gegen ihn habt hast. Jetzunder will er mich unglücklich machen. Ein Mörder soll ich sein! Denk Dirs nur!«

»Und das bist nicht?«

»Nein.«

»Wirklich nicht?«

»Dirndl, wie kommst mir vor! Wann ich Dir sag, daß ich unschuldig bin, so mußts glauben, grad als obs ein König oder ein Kaiser sagt hätt!«


// 1209 //

»O, wie gern wollt ichs glauben, wie gern! Vatern, Du bist nicht immer so zu mir gewest, wies hätt sein können, und darum bin ich Dir auch lieber fern blieben. Aber mein Vatern bist doch, und ich bin Dein Kind. Wir Zwei gehören zusammen. Zu Dir muß ich mehr halten als zu einem Andern, und wann ich ihn noch so lieb hätt. Darum hat mich das, was man von Dir sagt, bis tief ins Leben hinein troffen. Es ist grad so, als ob ich den Mord soll ausführt haben. Wir wollen grad und ehrlich mit nander sein. Schau, wannst auch schuldig bist, mein Vatern bleibst doch, aberst sagen mußt mirs aufrichtig, wie es steht. Hasts than, so gesteh es ein. Du wirst die Straf erhalten, ich aber werd mich dem König zu Füßen werfen und ihn bitten, daß er Dich nicht tödten läßt. Wannst nachhero im - im - im Gefängnissen bist, so werd ich kommen und Dich besuchen, daß Dir es nicht gar so schwer fallen mag. Und beten werd ich für Dich, und - und - und - -«

Sie konnte nicht weiter, denn die hervorbrechenden Thränen erstickten ihre Stimme. Der Müller sah finster vor sich nieder. Er fühlte sich von dem Schmerze seines Kindes nicht im Geringsten berührt. Er war vielmehr ergrimmt über Paula's Verhalten. Seiner Meinung nach hätte sie ihn mit allen Kräften und gegen alle Wahrheit in Schutz nehmen und vertheidigen sollen. Darum blickte er, als er nun den Kopf wieder hob, sie finster an und herrschte ihr entgegen:

»Schweig! Was redest da für Dingen, die gar keinen Sinn und keinen Verstand haben! Dera König soll mich nicht tödten lassen? Ich möcht wissen, weshalb ich getödtet werden sollte! Und ins Gefängnissen soll ich kommen? Wer das sagt, der ist ein Wahnsinniger. Nun will ich wissen, obst den Verstand verloren hast oder nicht.«

»Es ist allerdings ganz darnach, den Verstand zu verlieren!« schluchzte sie.

»Das wär bei Dir gar kein Wunder, weilst niemals viel davon habt hast. Nach mir bist da gar nicht gerathen.«

»Vater, Vater, spotte nicht! Versündige Dich nicht auch noch an mir mit dem Hohne, der mir in die Seele schneidet!«

»Das ist kein Hohn, sondern es ist der Zorn darüber, daßt mich für schuldig halten kannst.«

»Muß ich denn nicht?«

»Nein. Wer zwingt Dich dazu?«

»Das, was man von Dir sagt hat.«

»Willst also dem Fexen mehr glauben als mir, Deinem Vatern?«

»Er hat mir noch niemals eine Unwahrheiten sagt.«

»So! Aberst ich hab Dich wohl gar sehr oft und viel belogen?«

Und als sie auf diese Frage nicht gleich eine Antwort fand, welche ihn nicht beleidigen konnte, fuhr er fort:

»Wannst so gegen mich denkst, so brauchst gar nicht zu mir zu kommen. Was willst da bei mir? Du machst die Sach nur noch schlimmer für mich, denn wer Dich so dumm reden hört, der muß denken, daß ich wirklich das


// 1210 //

bin, wofür mich die Polizeien ausschreien will. Dazu brauch ich Dich nicht. Wannst nicht auf der meinigen Seite stehen willst, so bleib lieberst ganz weg. Ich kann mich schon allein vertheidigen. Und nachhero, wanns mich wieder frei haben lassen müssen, dann mag ich Dich auch nimmer sehen. Ich weiß nun schon: Ich hab mal eine Tochter habt; jetzt aber hab ich sie nicht mehr.«

Er hatte sich bemüht, einen gefühlvollen Ton anzuschlagen, und obgleich ihm dies nicht gelungen war, fühlte Paula sich doch von seinen Worten unendlich ergriffen. Sie trat ganz zu ihm heran, ergriff seine Rechte und sagte:

»Vater, lieber Vater, solche Worten mag ich nicht hören. Ich bin Deine Tochtern; ich will sie sein und auch bleiben. Ich will mit Dir leiden und dulden. Aberst ich muß auch wissen, woran ich mit Dir bin. Ich thät mein Leben geben, wann ich sagen könnt, daßt wirklich unschuldig bist.«

»Du glaubsts ja nicht.«

»Ich glaubs doch, ja, ich will es glauben, wannst es mir richtig sagst.«

»Ich habs Dir ja sagt! Odern war das vielleicht nicht richtig?«

»Nein.«

»So! Jetzund möcht ich es wissen, wie man es sagen muß, damit es richtig ist.«

»Wannst mir die wirkliche Wahrheiten sagst, so mußt mich auch dabei anschauen können.«

»Hab ich das nicht?«

»Nein, nicht so, wie es sein muß. Vater, ich bitt Dich, schau mir grad, ganz grad in die Augen.«

Er erhob den Blick zu ihrem Gesicht empor. Er gab sich alle Mühe, diesem Blicke die nöthige Festigkeit und Unbefangenheit zu verleihen, aber es gelang ihm doch nicht ganz.

»Grad mir ins Aug mußt schauen!«

»Das thu ich doch! Was willst eigentlich von mir! Meinst, daß ich Narrenspossen mit mir spielen laß?«

»Nein. Jetzund schaust mich also fest an, und nun sagst mir grad hinein in mein Gesicht, was ich Dich frag. Bist ein Mördern, oder bist unschuldig? Sags!«

»Ich bin unschuldig,« antwortete er.

»Hast also nicht die Mutter des Fex ermordet?«

»Nein.«

»Auch seine Amme nicht?«

»Von dera Ammen weiß ich kein Wort!«

»Das ist die Zigeunerin, welche da drüben am Wasser begraben liegt.«

»Ist mir gar nicht einfallen, sie zu dermorden.«

»So bist also wirklich, wirklich unschuldig?«

Es klang eine ungeheure Angst aus dem Tone, in welchem diese Frage nun wiederholt ausgesprochen wurde.

»Ja, freilich bin ich unschuldig.«

»Kannsts wohl auch beschwören?«


// 1211 //

»Ja.«

»So schwör einmal!«

»Madel, mach kein Theatern mit mir. Wannst meinst, daßt mich ins Gebet nehmen kannst wie ein Criminaler, so hast Dich geirrt! Jetzund soll ich auch noch einen Schwur ablegen?«

»Ja, das sollst auch! Und wannst es thust, so werd ich Dir Alles glauben, und hernach soll mich kein Mensch mehr von dera Ueberzeugung abbringen, daß man Dich unrechtmäßiger Weise beschuldigt hat.«

»So! Wanns so ist, so kann ichs freilich mit gutem Gewissen thun. Also hör mir mal zu, Paula! Hier hast meine Hand. Ich schwör Dir mit allen Eiden, die es nur geben kann, in Deine Hand hinein, daß -«

»Halt!« befahl da der Assessor, indem er rasch näher trat. »So weit kann ich meine Erlaubniß nicht ausdehnen. Nur allein die von Gott eingesetzte Obrigkeit hat das Recht, einen Schwur zu verlangen. Derjenige aber, welchen Sie von Ihrem Vater fordern, Fräulein, würde eine große Sünde gegen Gottes Gebote sein. Und dabei will ich gar nicht entscheiden, ob dieser Schwur nicht vielleicht gar ein entsetzlicher Meineid wäre.«

»Meineid!« rief der Müller. »Wer das zu sagen wagt, der ist ein Schur -«

Er hielt inne bei dem drohenden Blicke, den der Assessor auf ihn warf. Dann fuhr der Letztere, gegen Paula gerichtet, fort:

»Ich habe Ihnen Ihren Wunsch erfüllt, und es ist eingetroffen, was ich Ihnen vorhersagte. Ihr Besuch hier hat nun sein Ende erreicht. Sie können an die Unschuld Ihres Vaters glauben; es fällt mir nicht ein, Sie darin zu stören. Wir aber haben die Pflicht, nicht nach dem Glauben, nach Vermuthungen, sondern nach den Thatsachen zu richten. Es bleibt Ihnen unbenommen, jetzt von ihm Abschied zu nehmen.«

»Abschied? Schon? Nehmens ihn mit fort?«

»Ja. Er ist natürlich mein Gefangener.«

»Aberst er ist doch unschuldig! Habens denn nicht hört, daß er hat schwören wollen?«

»Darnach kann ich mich nicht richten.«

»Wo schaffens ihn dann hin?«

»Das wird Ihnen noch mitgetheilt werden. Ich bitte Sie, sich und uns diesen Augenblick nicht schwerer zu machen, als es unbedingt nöthig ist.«

Es war unmöglich, in diesem Augenblicke den Ausdruck ihres Gesichtes zu beschreiben. Sie sah wie eine Todte aus, als sie sich jetzt ihrem Vater wieder zuwendete. Dieser aber war keineswegs so todesbleich wie sie. Ihm war das Blut in das Gesicht gestiegen, und seine Augen blitzten voll Haß und Zorn auf, als er dem Assessor zurief:

»Also fortgeschafft soll ich wirklich werden? Nun gut! Ich kann mich nicht dagegen wehren; aberst wissen will ich, wohin ich transportirt werden soll.«

»Dahin, wo die Untersuchung gegen Sie geführt werden soll. Ich bin Ihnen keineswegs Rechenschaft schuldig. Verkürzen Sie sich die Zeit, welche


// 1212 //

ich Ihnen zur Verabschiedung von Ihrer Tochter gewähre, nicht durch unnütze Fragen!«

»So, also nicht wie ein Mensch werd ich behandelt, sondern wie eine Waar', die man hin und her schleppen kann, wie man will! Ich muß mit, das seh ich wohl. Doch vorher muß ich mein Haus und Geschäft in Ordnung bringen. Und Wäsch und Kleidern und Geld und Essen muß ich mir einpacken lassen. Dazu will ich Zeit haben!«

»Sie verreisen nicht in ein Seebad, Müller. Für das, was Sie brauchen, wird die Behörde sorgen. Und was Ihr Haus und Geschäft betrifft, so werde ich thun, was meine Pflicht von mir fordert. Sie haben noch eine einzige Minute Zeit. Wollen Sie Ihrer Tochter Ade sagen oder nicht?«

»Nein. Ich nehme keinen Abschied von ihr! Ich werd, wanns mich heut fortschaffen, morgen oder übermorgen bereits wieder da sein.«

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Abwesenheit, selbst wenn sich Ihre Unschuld herausstellen sollte, Monate lang währen kann.«

»Das wollen wir sehen! Das laß ich mir nicht gefallen! Ich weiß schon, was ich thu, wanns mich nicht schnell wieder frei lassen. Und anspannt wird! Ich laß mich nicht durch den Ort schleppen wie einen Mordspitzbuben! Fahren will ich in der neuen Kaleschen. Ich bin dera Thalmüllern und kann das machen!«

»Sie stellen meine Geduld auf eine harte Probe. Vielleicht führen Sie bereits sehr bald eine ganz andere Sprache. Uebrigens ist die Zeit nun abgelaufen. Bitte, Fräulein!«

Er deutete in höflicher Weise nach der Thür. Anstatt diesem Winke zu folgen, ergriff Paula nochmals beide Hände ihres Vaters und fragte abermals:

»Also Du hast mich nicht belogen? Du bist wirklich unschuldig?«

»Laß mich nun endlich mal aus mit denen Erkundigungen! Was ich sagt hab, das hab ich sagt!«

»So will ichs glauben. Und ich hoff auch so wie Du, daßt gar bald wiederkommen wirst. Ich werd mich schon fleißig derkundigen und Dir gern Alles bringen, wast brauchen kannst und was man Dir derlaubt. Und nun behüt Dich Gott, lieber Vatern! Vergiß nimmer, daßt eine Tochtern hast, die an Dich denken wird an jedem Augenblick!«

Ihre Thränen flossen. Sie beugte sich über ihn, als ob sie ihm einen Abschiedskuß geben wolle. Da aber schob er sie schnell von sich fort und antwortete:

»An mich wirst denken? Ja, das kennt man schon! An denen Fex wirst hangen, wann ich nimmer da bin. Was aber mit dem Vatern geschieht, das wird Dir wenig Sorg bereiten. Mir machst da gar nichts weiß, und -«

Er unterbrach sich, denn die Thüre wurde aufgerissen und der Fingerlfranz stürmte herein.

»Ists wahr, Müller?« rief er hastig. »Ists wirklich wahr?«

»Was?«


// 1213 //

»Daßt arretirt bist? Daßt fortschafft werden sollst?«

»Ja.«

»So! Also ists doch wahr! Und auch ich bin verarretirt worden Deinetwegen, und den Brief hat man mir abnommen, und ins Unglück hättst mich beinahe bracht! Das hat man davon, wann man sich mit einem Schuften und Schurken abgiebt. Ich hab mir zwar schon längst denkt, daßt kein Guter bist, aber so schlimm, wie es ist, hab ichs mir doch nicht ausmalt. Jetzt nun komm ich, um Dir zu sagen, daß unsere Freundschaft vorüber ist. Mit einem Zuchthäuslern mag ich nichts zu thun haben. Hasts hört und verstanden?«

Dieses Hereindringen in die Stube und diese Auslassung trotz der Gegenwart der anderen Anwesenden war so roh und kam dem Müller so unerwartet, daß er zunächst kein Wort der Entgegnung fand. Der Assessor hatte es in seiner Macht, den Menschen fort zu weisen; aber er mochte vielleicht denken, daß einige Worte fallen würden, welche für ihn als Untersuchungsrichter von Nutzen sein könnten, und darum verhielt er sich zunächst schweigsam.

»Nun, was starrst mich an?« fuhr der Fingerlfranz fort, zu dem Müller gewendet. »Hasts hört, was ich Dir sagte, oder soll ichs noch einmal sagen?«

»Ah! Ah! Oh!« stieß der Angeredete hervor. Er fand vor Grimm gar keine richtigen Worte.

»Also seufzen thust! Nun ja, das kannst schon billig haben. Ich hab auch seufzen mögen, als ich vorhin verarretirt worden bin, weilst mich belogen hast.«

»Belogen?« fragte jetzt der Müller. »Davon weiß ich halt gar nix.«

»Nicht? Hast mich nicht mit einem Briefen zu dem Silberbauern senden wollen wegen einem Geschäft? Und weils kein Geschäft gewest ist, sondern ein Verbrechen, so hat mich dera Schandarm mitnommen.«

»Was sagst, was!«

»Ich habs deutlich genug sagt!«

»Zum Silberbauern hätt ich Dich schicken wollt?«

»Ja. Willsts wohl gar leugnen?«

»Ja, leugnen muß ichs, denn es ist gar nicht wahr. Das hast Dir nur selberst aussonnen.«

»Was! Ich mir aussonnen! Thalmüllern, was fallt Dir ein! Daßt ein schlechter Kerlen bist, das weiß alle Welt; aberst daßt eine so gar große Lügen machen kannst, das geht schon über alle Begriffen!«

»Ich, Lügen machen? Wer ist dera Lügner? Du bists, Du allein!«

»Oho! Soll ich Dir diese Beleidigung gleich etwan ins Gesicht hinein schlagen? Jetzund willst wohl gar sagen, daß ich selberst den Brief schrieben hätt?«

»Ja, das sag ich. Odern hast Dir ihn von einem Anderen schreiben lassen. Ich aberst weiß gar nix von ihm!«

Da riß der Franz seinen Mund weit auf, blickte mit dem Ausdrucke des dümmsten Erstaunens im Kreise umher und sagte:

»Sollt man so was denken! Und Dem sein Schwiegersohn hab ich


// 1214 //

werden sollen. Aber ich sag es ja, daß ich sein Dirndl gar nicht hab haben wollen. Die Dirn ist sogar für denen Fex noch viel zu schlecht. Sie steckt mit ihrem Vatern unter einer Decken und muß mit ihm sogleich verarretirt werden!«

Das war dem Fex zu viel. Zwar ärgerte er sich nicht über die unsinnigen Reden des rohen Menschen, aber er kam doch von seiner früheren Absicht zurück, keinen Strafantrag gegen ihn zu stellen. Darum sagte er jetzt zu ihm in scheinbar freundlichem Tone:

»So! Also sie ist noch zu schlecht für mich? Und erst heut Morgen noch hast sie zwingen wollen, freundlich mit Dir zu sein.«

»Das war nur ein Gespaß. Ich mag sie gar nimmer. Ihr Vatern gehört ins Zuchthaus hinein und sie auch.«

»Und Du? Wohin gehörst Du?«

»Wie meinst das? Warum fragst so?«

»Ich glaube nämlich, daß auch Du in dasselbe Haus gehörst.«

»Ich? Höre, Fex, wannst etwan meinst, daßt mir mit so einem albernen Spaßen kommen kannst, so kommst an den Unrechten! Ich möcht Den sehen, der mir was Unrechts nachzusagen vermag.«

»Nun, da schau Dir ihn an! Hier steht er; ich bins selberst.«

»Du? Was fallt Dir ein! Was könntst von mir wissen?«

»Ich weiß, daß dera Mord mit dem Zuchthaus bestraft wird.«

»Das weiß ich auch, aberst es geht mich doch gar nix an.«

»Gar viel geht Dichs an! Oder hasts vielleichten bereits vergessen, daßt mich hast dermorden wollen?«

Der Fingerlfranz machte das erstaunteste Gesicht, welches ihm möglich war, und antwortete:

»Ich? Dich? Das hast wohl träumt?«

»Dann hättst wohl auch nur träumt von denen Hieben, die Du damals von mir erhalten hast?«

»Wo?«

»Drüben an dera Fähre, als Du Dich mit denen Händen im Fuchseisen fangen hattst.«

»Ach so! Daran hab ich schon gar nimmer dacht. Ja, ich möcht wissen, wers damals war, der sich den albernen Witz macht hat. Ich wollt mich überfahren, und da lag ein Fuchseisen, ohne daß ichs wußt hab.«

»O nein! Ueberfahren hast Dich nicht wollt, sondern mich hast dermorden wollen. Das weiß ich ganz genau.«

»Jetzund weiß ich gar nicht, ob ich auch richtig hört hab. Wie könnt es mir denn einfallen, Dich zu dermorden!«

»Weil ich Dir bei dera Paula im Weg gewest bin.«

»Das ist nicht wahr. Ich mag sie doch gar nicht.«

»Das sagst nun jetzt erst. Aber das war auch nicht dera einzige Grund. Die Hauptsach ist gewest, daßt mir die Brieftasch hast abnehmen wollen.«

»Die Brieftasch? Keinen Buchstaben weiß ich davon!«


// 1215 //

»Nicht? So dauerst mich sehr, daßt so ein gar schlechtes Gedächtnissen hast. Dera Müller hat sie Dir ja sehr genau beschrieben. Und Du bist auch drüben an dera Fähr gewest und hast nach ihr sucht, sie aber nicht funden. Dann als ich von dem Concert kommen bin, hat Dir dera Müller sagt, daß ich sie in dera Taschen hab, und dann bist zu mir schlichen, um sie mir abzunehmen und mich in das Wassern zu werfen. Versuchs doch mal, obsts leugnen kannst!«

Nicht nur der Fingerlfranz allein, sondern auch der Müller war ebenso darüber erstaunt und erschrocken, daß der Fex Alles so genau wußte. Dem Müller versagte geradezu die Sprache. Es war auch wirklich zu viel, was heut auf ihn eindrang. Der Franz starrte dem Fex in das Gesicht. Er wußte zunächst nicht, was er sagen solle; dann aber entfuhr es ihm:

»Wer hat Dir das Alles verrathen?«

»Weißts nicht?«

»Nein.«

»So kannsts Dir doch aber denken!«

Das war sehr schlau angefangen. Der Fex beabsichtigte, den Fingerlfranz gegen den Müller aufzubringen und ihm, der ja kein sehr gescheidter Kerl war, ein unvorsichtiges Geständniß zu entlocken. Der Franz ging auch sogleich in die Falle, denn er antwortete, indem er nach dem Müller blickte:

»Das könnt nur ein Einziger sein.«

»Meinst?«

»Ja, denn nur dieser Einzige hats wußt. Hat ers bereits verrathen und einstanden?«

»Könnt ichs sonst so genau wissen?«

»Das ist wahr; das ist wahr!« rief der Franz. »Aberst das hat man davon, wenn man einen solchen Freunden hat! Erst stiftet er es an, und nachhero will ers von sich herab schieben und auf mich herüber. Müller, Müller, was bist doch für ein gar so großer Schuft!«

»Ich?« antwortete der Genannte. »Halts Maul! Was hab ich Dir etwa than? Nix, gar nix!«

»So? Verrathen hast mich!«

»Das ist eine Lügen!«

»Oho! Nur Du allein hasts wußt, und wanns nun auch Andere wissen, so hasts verrathen!«

»Kein Wort!«

»Schweig! Und ich kanns mir denken, daßt nun Alles auf mich schoben hast. Und doch bist Du es west, der den Anschlag macht hat, den Fex zu dermorden.«

Da war das verhängnißvolle Wort heraus. Alle waren still; nur Paula ließ einen halb unterdrückten Schrei hören. Was jetzt der Fingerlfranz sagte, das war gewiß keine Lüge. Und wenn ihr Vater den Fex hatte ermorden wollen, so war er auch der anderen Verbrechen fähig, deren er angeklagt war.


// 1216 //

Sie sah also ein, daß sie seiner Versicherung keinen Glauben schenken dürfe. Ihr Glaube zu ihm verschwand mit einem Male wieder.

Auch der Müller war bei der so offen und direct ihm ins Gesicht geschleuderten Anklage verstummt. Doch durfte er sie unmöglich auf sich ruhen lassen. Darum brach er auf das Heftigste los:

»Willst gleich still sein, Du armseliger Hallunken Du! Was soll ich than haben? Ich soll Dich anstiftet haben, den Fex umzubringen? Denk nur mal genau nach! Da wirst Dich gleich derinnern, daß Du Dirs selber außsonnen hast.«

»Das ist eine Lügen!«

»Nein. Ich hab Dich sogar sehr verwarnt, es nicht zu thun!«

»Oho! Du hast mir versprochen, wann ich ihn umbring, so soll gleich hernachen die Hochzeiten sein. Warum sollt ich ihn dermorden wollen? Wegen der Paula etwa?«

»Ja.«

»Oho! Das machst Niemandem weiß.«

»Es ist doch wahr, und ein Jeder, der nachdenken kann, wirds glauben.«

»Nein, sondern wer nur ein Wenig nachdenken will, der wird gleich finden, daß die Paula ihren Verdacht doch gleich auf mich worfen hätt, und dann hätt sie mich erst recht nicht mocht.«

»Das ist eine Ausred, an die kein Mensch glauben wird.«

»Wann ich weiter sprech, wird man mir schon glauben. Dir war die Brieftaschen verschwunden mit denen Papieren drinnen. Der Fex hat sie habt, und das war für Dich so gefährlich. Darum hab ich ihn dermorden und Dir die Brieftaschen bringen sollen.«

»Wer das glaubt, der ist noch viel dümmer als Du selber.«

»Red nicht von dera Dummheit anderer Leut! Wie klug Du selber bist, das beweist eben jetzt, wot als Gefangener hier verarretirt worden bist. Ich aberst bin frei. Und wann Du im Zuchthaus Wolle spinnen mußt, werd ich mit dem reichsten Dirndl im Land die Hochzeit machen!«

Das war dem Müller denn doch zu viel. Dieser Hohn brachte ihn so in Harnisch, daß er die nöthige Vorsicht vergaß und augenblicklich erwiderte:

»Daran ist nicht zu denken. Wann ich einmal ins Zuchthaus soll, so wirst auch Du keine Hochzeit ausrichten. Dafür werd ich sorgen.«

»Wie wolltst das wohl anfangen?«

»Das kannst Dir nicht denken?«

»Nein.«

»So will ichs Dir sagen: Du mußt auch mit hinein, um Wolle zu spinnen.«

»Fallt mir nicht ein!«

»Ja, wann man Dich erst fragen thät, so würds Dir wohl freilich nicht einfallen. Aberst Du wirst eben gar nicht fragt, denn ich mach die Anzeig gegen Dich. Ich klag Dich an!«

»Das kannst meinetwegen thun, aberst kein Mensch wird darauf hören!«


// 1217 //

Er stand da, siegesgewiß lächelnd und sah hochmüthig auf den in seinem Rollstuhle sitzenden Müller hernieder. Dieser Letztere aber blickte höhnisch lächelnd zu ihm empor und antwortete:

»Dir zu Gefallen werd ichs nun gleich sagen, wie es gewest ist. Ich gesteh ein, daßt hinüber zu der Fähr gangen bist, um den Fex umzubringen.«

»Aberst Du hasts anstiftet.«

»Nein, Du selbst. Ich hab Dich sogar warnt.«

»Darauf hab ich gar keine Antwort.«

Da trat der Assessor zu ihm heran und sagte in sehr ernstem Tone:

»Ich werde mir aber dennoch eine Antwort ausbitten müssen.«

»Sie? Was hab ich mit Ihnen zu thun?«

»Wenig wohl, desto mehr aber ich mit Ihnen.«

»Sie haben nur mit dem Müller zu schaffen, mit mir aberst gar nix. Behüt Gott!«

Bei den Worten des Beamten war ihm plötzlich ein großes Licht aufgegangen, daß er sich in außerordentlicher Unvorsichtigkeit in die Höhle des Löwen gewagt habe. Es kam nun darauf an, aus derselben so schnell wie möglich zu entkommen, und darum wendete er sich bei den letzten beiden Worten nach der Thür, um zu gehen. Aber schon hatten ihm die beiden Gensdarmen den Weg verlegt, und der Assessor befahl:

»Bleiben Sie noch! Sie sind mir einige Antworten schuldig.«

Franzens Gesicht war bleich geworden. Er war trotz seiner großen, breiten Gestalt gar nicht etwa ein Held, und jetzt sah man es ihm an, daß sein Herz begann, ihm in die Strümpfe zu sinken. Gar nicht mehr in dem frühern selbstbewußten sondern vielmehr in sehr höflichem Tone antwortete er:

»Wanns mich was fragen wollen, so will ich wohl gern antworten; aberst ich hab gar nicht lange Zeit, sondern ich muß schnell wiederum fort. Darum bitt ich gar schön, mich nicht lange aufzuhalten.«

»Wird sich finden! Also Sie behaupten, von dem Müller veranlaßt worden zu sein, den Fex zu ermorden?«

»Ja.«

»Und ihm die Brieftasche abzunehmen?«

»Ja.«

»Sind Sie auf dieses Ansinnen eingegangen?«

Diese Frage hatte Franz freilich nicht erwartet. Sie verblüffte ihn so, daß er gar keine Antwort fand.

»Nun, bitte!«

»Ja,« stammelte der Gefragte, »eingegangen darauf bin ich schon.«

»Mit dem festen Willen, es zu thun?«

»O nein. Ich hab dem Fex gar nix thun wollen. Das könnens mir glauben.«

»Aber dennoch sind Sie zu der Fähre gegangen, sogar zweimal.«

»Nur zum Schein.«

»Ach so! Also haben Sie die Fähre zunächst nur zum Schein durchsucht?«


// 1218 //

»Ja,« nickte der Franz, ganz froh, daß der Beamte so schnell auf seine Ausrede einging.

In seinem beschränkten Geiste bemerkte er gar nicht, daß er damit nur an die Leimruthe geführt werden solle.

»Und dann später sind Sie auch nur zum Schein nach der Fähre geschlichen?«

»Freilich, freilich!«

»Und sind nur zum Schein in dieselbe gestiegen?«

»Ja, nur zum Schein!«

»Das war ja aber nun gar kein Schein mehr, sondern es war die Wirklichkeit!«

»Wie so? Ich habs doch thun müssen, damit dera Müllern denken sollt, daß ich den Fex wirklich dermorden will.«

»Der Müller war gelähmt und konnte seine Stube nicht verlassen, um Sie zu beobachten. Sie hatten, wenn Sie ihn wirklich täuschen wollten, blos nöthig, sich für kurze Zeit zu entfernen und dann bei der Rückkehr ihm zu sagen, daß Ihre Absicht nicht ausführbar gewesen sei.«

»Ganz recht. Das wollte ich auch.«

»Warum aber sind Sie denn da in Wirklichkeit nach der Fähre gegangen?«

Der Fingerlfranz machte ein förmliches Schafsgesicht. Er begann einzusehen, daß er mit aller Gemüthlichkeit in eine Falle gekrochen sei, aus welcher zu entschlüpfen, ihm wohl kaum gelingen werde.

»Warum? Hm! Ja! Darum!« brummte er.

»Können Sie mir keine deutlichere Antwort geben?«

»Ich kanns doch gar nicht deutlicher sagen.«

»So! Also Sie geben zu, die Fähre nach der Brieftasche durchsucht zu haben?«

»Ja.«

»Und dann später haben Sie sich wieder ganz leise hingeschlichen und sind hineingestiegen?«

»Ganz hinein nicht, denn ich bin mit denen Händen gleich im Fuchseisen hängen blieben.«

»Aber wenn dieses Fuchseisen nicht da gelegen hätte, wären Sie doch wohl ganz in die Fähre gestiegen. Das ist doch von so einem couragirten Manne, wie Sie sind, zu erwarten.«

Ein couragirter Mann genannt zu werden, das schmeichelte dem Franz gewaltig. Darum nickte er freundlich zustimmend mit dem Kopfe und antwortete ohne alles Bedenken:

»Natürlich wär ich ganz hineinstiegen. Ich werd mich doch vor dem Fexen nicht fürchten!«

»Ganz richtig, nämlich für den, der das auch wirklich glaubt.«

»Glaubens es etwan nicht?«

»Nein.«

»Warum denn nicht?«


// 1219 //

»Weil der Fex Ihnen bereits einmal gezeigt hatte, daß er stärker ist als Sie.«

»Oho! Das war nur ein Zufall.«

»Schwerlich. Ich bin doch der Ansicht, daß Sie ihn fürchten müssen.«

»Fallt mir nicht ein! Das hab ich ja auch wohl bewiesen.«

»So? Wann denn?«

»Eben grad an jenem Abend hab ichs genau bewiesen.«

»Hm!« lächelte der schlaue Assessor ungläubig. »Wie wollen Sie es uns wohl beweisen, daß Sie es da bewiesen haben?«

»Das ist doch sehr leicht! Ich bin in die Fähre stiegen, obgleich ich dacht hab, daß dera Fex darinnen liegt.«

»So? Ist das wahr?«

»Ja. Freilich ist ers nicht west, sondern es war nur eine Decken, die so zusammenlegt war, daß man denken mußt, es sei ein Mensch!«

»Das haben Sie für den Fex gehalten?«

»Natürlich!«

»Und da hatten Sie wirklich einen solchen Muth, daß Sie allen Ernstes beabsichtigten, ihn zu überfallen?«

»Ja. Ich hatt mit dera Hand nach ihm langt, ihn bei dera Gurgeln faßt, und mit dem ersten Griff war es aus mit ihm gewest, und nachhero -«

Er hielt inne, durch alle die Gesichter aufmerksam gemacht, welche mit dem gespanntesten Ausdruck auf ihn gerichtet waren.

»Bitte, fahren Sie fort!« forderte der Assessor ihn auf, noch immer freundlich lächelnd.

»Himmeldonnerwettern!«

»Was? Warum fluchen Sie?«

»Weil ich glaub, ich hab, hab, hab - - -«

»Nun, was haben Sie?«

»Ich hab mich verschnappt!«

Es kam ihm jetzt die riesige Erleuchtung, daß der Assessor ihn an der Angel ganz leise und sanft auf das trockene Land gezogen habe. Er hatte, ohne es zu ahnen, das allerschönste Geständniß abgelegt. Darüber war er nun so consternirt, daß er ganz offen gestand, sich verschnappt zu haben. Und dabei machte er ein Gesicht, wie kein Maler das Conterfei eines Dummkopfes besser hätte liefern können.

»Ja,« nickte der Beamte ihm freundlich zu, »verschnappt haben Sie sich allerdings.«

»Das ist eine ganz verfluchtige Geschichten!«

»Freilich. Es kann sehr leicht recht unangenehme Folgen für Sie haben.«

»Das mag ich freilich nicht hoffen!«

»Nun, wir werden ja sehen. Da Sie ein so freiwilliges Geständniß abgelegt haben, so steht zu erwarten, daß die Richter die möglichste Milde walten lassen. Ihre Strafe wird allerdings nicht die härteste sein. Es ist


// 1220 //

immer vortheilhafter, man zeigt sich geständig, als daß man durch Verstocktheit und Lügenhaftigkeit die Richter veranlaßt, zum höchsten Strafmaße zu greifen.«

Das Gesicht, welches der Fingerlfranz jetzt machte, war gar nicht zu beschreiben. Er schlang und schlang, als ob er irgend einen Gegenstand im Halse stecken habe. Er schnappte nach Luft und schien keine zu bekommen. Dann riß er sich den Hut, welchen er bisher nicht abgenommen hatte, vom Kopfe, um sich die Schweißperlen mit dem Aermel seiner Joppe von der Stirn zu trocknen, und dann endlich brachte er die kurze Frage hervor:

»Strafe? Strafe?«

»Natürlich!«

»Das ist doch nur ein Gespaß!«

»O nein. Ich pflege in solchen Angelegenheiten niemals zu scherzen. Uebrigens muß ich bemerken, daß ich mich in amtlicher Eigenschaft hier befinde. In dieser Eigenschaft habe ich auch meine Fragen an Sie gerichtet.«

»Himmelsakra! Sie sind doch dabei so ganz und gar freundlich gewest!«

»Das ist so meine Art und Weise.«

»Grad so, als ob wir alte Bekannten und gute Freunden wären!«

»Gute Freunde weniger, aber Bekannte, ja, die sind wir. Wir haben uns bereits vorhin gesehen, und außerdem habe ich mir von Ihnen erzählen lassen. Sie sehen nun wohl ein, warum ich gefragt habe?«

»Hm! Ich weiß nicht, ob ich Recht haben werde.«

»Womit?«

»Mit der Meinung, daß am End gar Ihre Fragen ein Verhör gewest sind?«

»Ja, das waren sie allerdings, ein richtiges amtliches Verhör, bei welchem freilich der Protokollant gefehlt hat.«

»Alle tausend Teufeln! So gilt wohl gar Alles, was ich sagt hab?«

»Natürlich!«

»Na, wann ich das so vorher wußt hätt!«

»So hätten Sie hoffentlich ebenso aufrichtig gesprochen!«

»Den Teuxel auch! Das wär mir gar nicht in denen Sinn kommen. Man soll sich nicht in Gefahr begeben, und das hätt ich vorhin beinahe gethan.«

Jetzt lächelte der Assessor nicht nur freundlich, sondern beinahe herzlich.

»Meinen Sie? Sie sind also der Ansicht, daß Ihnen eine Gefahr gedroht habe, wohl verstanden, blos gedroht?«

»Ja. Aberst ich bin doch klug gewest. Ich hab nix sagt.«

»O, ich meine, daß Sie im Gegentheile ein sehr umfassendes Geständniß abgelegt haben.«

»So? Dann habens wohl gar viel mehr hört, als ich wirklich sagt hab?«

»Nein. Das, was Sie gestanden haben, genügt so vollständig, daß man sich gar nicht das Geringste dazu zu denken braucht.«

»Das denk ich nicht. Was ich sagt hab, das ist gar nix Unrechtes gewest. Was soll ich denn einstanden haben? Sagens mir doch mal das Verbrechen, das ich einräumt hab?«

»Mordversuch.«


// 1221 //

»Donnerwetter! Das ist nicht wahr!«

»Bitte! Sie sind von dem Müller angewiesen worden, den Fex zu ermorden, und dann stiegen Sie in die Fähre, indem Sie glaubten, daß der Fex darinnen liege. Wollen Sie das jetzt leugnen?«

»Nein. Aberst ich hab ja gar nix than, gar nix begangen!«

»Weil der Fex nicht da war. Hätte er im Schlafe so da gelegen, wie die alte Decke, die Sie für ihn hielten, so hätten Sie ihn mit der Faust bei der Gurgel genommen und mit einem einzigen Griffe erwürgt.«

»Oho! Woher wissens das?«

»Sie selbst haben es uns erzählt und es also eingestanden.«

»Wann denn?«

»Vorhin, als Sie uns erzählten, daß Sie sich vor dem Fex nicht gefürchtet haben. Die Herren, welche hier stehen, haben Wort für Wort mit angehört und können es beschwören.«

Da fuhr sich der Franz mit beiden Händen nach dem Kopfe, raufte sich in den Haaren und rief:

»Na, wer hat das denkt, daß ich so ein riesiger Schafskopfen sein kann! Bin ich so ganz ohne alles Bewußtsein in eine Patsche hineinstiegen, aus der ich mich nur schnell wieder heraus machen kann!«

»Das wird so schnell, wie Sie es meinen, wohl nicht gehen.«

»Oho! Wer nix than hat, kann auch nicht bestraft werden.«

»Hier ist bereits der Versuch strafbar. Und Sie haben sich eines sehr vollendeten Versuches schuldig gemacht.«

Der Franz kam noch immer nicht aus seiner Fassungslosigkeit heraus.

»Was?« fragte er. »Wer soll das begreifen! Ein vollendeter Versuch? Wanns nur ein Versuch ist, kanns doch nicht vollendet sein!«

»Das Verbrechen freilich nicht, aber der Versuch ist vollendet.«

»Und das wird auch bestraft?«

»Natürlich!«

»Nein, das ist gar nicht so natürlich! Wann ich versuch, ins Wirthshaus zu gehen, um ein Bier zu trinken, und ich gehe aberst gar nicht hinein, so hab ich auch nix zu zahlen.«

»Dieser Vergleich hinkt an verschiedenen Stellen. Aber ich habe Ihnen zu Ihrer Beruhigung ja bereits mitgetheilt, daß man in Anbetracht Ihres offenen Geständnisses zu dem möglichst niedrigen Strafmaße greifen werde.«

»Der Teuxel mag dies offene Geständniß holen! Wann ich nicht so offen und so geständig gewest wär, so hätt ich nun keine Straf zu zahlen!«

»Zahlen? Damit wird es wohl nicht abgemacht sein,« lächelte der Assessor.

»Nicht? Na, auspfänden laß ich mich nicht. Da zahl ich lieberst gleich. Wanns nur nicht gar zu viel ist.«

»Die Kosten werden Sie wohl zahlen müssen. Das Andere aber, nämlich die eigentliche Strafe, kann nicht mit Geld abgemacht werden.«

»Was, nicht mit Geld?«

»Nein.«


// 1222 //

Da warf der Franz seinen Hut in die Stube, trat zornig darauf und rief:

»Jetzt seh ich, was man davon hat! Ich glaub gar, daß ich nun brummen muß!«

»Was nennen Sie brummen?«

»Im Loch sitzen.«

»So! Das werden Sie freilich.«

»Tod und Teufel! Jetzund wirds mir fast zu arg. Wie lange denn? Doch nicht etwan länger als einen Tag oder zwei? Denn mehr hab ich keine Zeit übrig. Und da wollen wir auch gar keine großen Sachen machen, sondern ich geh gleich heut, um es abzusitzen. Je schneller man anfängt, desto rascher wird man fertig.«

»Das ist nicht möglich. Eine richtige, actenmäßige Untersuchung muß geführt werden, und ich muß Ihnen auch sagen, daß Sie mit zwei Tagen nicht wegkommen können.«

»Wie? Nicht? Wohl gar eine ganze Woche?«

»Mehr.«

»Noch mehr? Da bleibt mir gleich dera ganze Verstand stille stehen! So was ist doch gar nimmer möglich!«

»Mordversuch ist eine schlimme Sache. Er wird natürlich sehr streng bestraft.«

»So sagens doch gleich, wie groß meine Bestrafung sein wird!«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Nicht? Sie sind aberst doch Einer von dem Gericht. Sie müssen doch die Gesetze kennen!«

»Das freilich. Aber ich kann nicht vorher wissen, welches Strafmaß bei Ihnen in Anwendung kommen wird. Der Mord wird mit dem Tode bestraft.«

»Das geht mich nix an, denn ich hab Keinen dermordet.«

»Wird ein Verbrechen, welches mit dem Tode bestraft wird, nur versucht, so wird dieser Versuch mindestens mit drei Jahren Zuchthaus bestraft, mindestens.«

Jetzt stand der Franz ganz steif, so bewegungslos wie eine Bildsäule. Die Worte des Assessors hatten ihn wie ein Keulenschlag getroffen. Erst nach einiger Zeit begann er sich zu regen. Er fuhr wie aus einem Traume empor, strich sich mit der Hand über die Stirn, als ob er seine Gedanken sammeln müsse, und sagte in beinahe leisem Tone:

»Was Sie da sagt haben, das ist doch nicht wahr!«

»Es ist wahr.«

»Drei Jahre Zuchthaus?«

»Mindestens.«

»Herrgott! Weniger kann ich also gar nicht bekommen?«

»Keinen Tag, keine Stunde, ja sogar keine Minute weniger.«

»Aber wohl gar mehr?«

»Möglicher Weise!«


// 1223 //

»Das - das - - das kann ich mir aberst doch gar nicht denken! Ich hab ja gar nix than!«

»Sie haben es thun wollen. Uebrigens habe ich nicht sagen wollen, daß Sie die Ihnen zufallende Strafe auch völlig abbüßen müssen. Die Gnade des Königs kann Ihnen einen Theil derselben schenken.«

»So! So! Und wanns mir das sagen, so meinens wohl, mir einen Trost sagt zu haben? Wann ich einmal so lang im Zuchthaus sein muß, ein Jahr oder zwei Jahren, so kann ich das dritte Jahr auch noch dort bleiben. Du mein Himmel! Ich weiß halt gar nicht, ob ich leb, ob ich todt bin! Wer hätt so was dacht! Und die Schand! Dera Fingerlfranz drei Jahren oder gar noch länger in das Zuchthaus! Daß mir so was passiren könnt, das hab ich all mein Lebtag nicht für möglich halten. Und wer ist - - -«

Er hielt inne. Er hatte seine Worte wie nur im Traume, wie abwesend gesagt. Jetzt aber, als er die unterbrochene Frage aussprechen wollte, kam Leben und Bewegung in ihn. Er reckte sich plötzlich empor; seine Augen erhielten das frühere Feuer, und in sein erbleichtes Gesicht kehrte die entschwundene Röthe zurück. Und als er jetzt fortfuhr, wurde seine Stimme immer stärker und sein Ton immer drohender:

»Und wer ist Schuld daran? Wer hat mich dazu verführt? Wer hat mir die Paula als Lohn dafür versprochen? Dera Thalmüller, der Schuft. Soll ihm das so gelungen ausgehen? Nein, nein, nein! Wann ich einmal drei Jahren sitzen muß, so mögens auch gleich viere werden, und für das vierte werd ich jetzt den Müller durchhauen, daß ihm die Seel im Leibe schreien soll!«

Er stürzte sich auf den Genannten, um seine ausgesprochene Drohung wahr zu machen. Aber schnell stand der Fex hinter ihm, ergriff ihn und riß ihn zurück.

»Laß mich!« schrie der Franz. »Was gehts Dich an, wann ich noch ein Jahr länger brummen will! Dir kanns nur lieb sein, wann ich dem Müllern ein Andenken geb, das er niemals wiedern verlieren kann.«

»Machen Sie keine Dummheiten!« warnte der Assessor.

»Dummheiten hab ich macht; aber was ich jetzt thun will, das ist keine Dummheiten, sondern so was Kluges, daß alle Leuteln mich dafür loben werden!«

Er wollte sich von dem Fex losringen; da aber nun auch die beiden Gensdarme mit zugriffen, gelang es ihm nicht. Aber er schäumte vor Wuth. Die Erkenntniß, welcher Bestrafung er entgegengehe, war wie etwas ganz Unglaubhaftes über ihn gekommen, und anstatt offen einzugestehen, daß die Schuld nur an ihm selbst liege, warf er dieselbe auf seinen Verbündeten.

Dieser, nämlich der Thalmüller, hatte, seit der Assessor das eigenthümliche Verhör mit dem Fingerlfranz begonnen hatte, sich ganz schweigsam verhalten. Er hätte es von Herzen gern gesehen, wenn der Franz bestraft würde. Und bei diesem Gedanken vergaß er ganz, sich zu überlegen, daß diese Strafe ihn selbst auch mit treffen müsse.


// 1224 //

Jetzt nun, als er sich außer Gefahr sah, von dem Franz maltraitirt zu werden, rief er diesem höhnisch zu:

»Nun kannst zufrieden sein! Mich hast einen Zuchthäusler nannt, und Du kommst selbst hinein. Das ist Dir zu gönnen. Warum hast vorhin auf mich schimpfiret!«

»Schweig!« brüllte der zornige Franz. »Wann ich drei Jahre drinnen bin, so wirst Du so lang gefangen sein, wie Du lebst. Vielleicht kommst gar auf das Schaffoten, denn verdient hasts wohl mehr als nur einmal!«

»Kennen Sie vielleicht eine That, durch welche er diese Strafe verdient hat?« fragte ihn da der Assessor schnell.

»Nein.«

»So schweigen Sie!«

»Oho! Wann ich auch nix weiß, so ists doch sicher und gewiß, daß er gar Vieles auf dem Gewissen hat, womit er den Tod verdienen thät!«

»Das geht Sie nichts an! Es wird sehr vortheilhaft für Sie sein, wenn Sie sich nur mit Dem beschäftigen, was Sie auf Ihrem eigenen Gewissen haben!«

Dieser strenge Ton war so verschieden von seiner vorhin gezeigten Freundlichkeit, daß der Franz ihn ganz betroffen anblickte und sodann weiter raisonnirte:

»An Dem, was ich than hab, ist nur er allein schuld. Aberst die Vergeltung wird auch ihn noch treffen. Jetzt nun will ich wissen, wann ich auf's Gericht zum Verhör zu kommen hab!«

»Das sollen Sie sogleich erfahren, denn ich muß Sie ersuchen, sich vorläufig sogleich einmal hin zu verfügen.«

»Ja, das werd ich thun. Ich mag gar nicht eher nach Haus gehen und meinem Vatern vor die Augen treten, als bis ich genau weiß, woran ich bin. Also geh ich jetzt sogleich.«

Er machte in gemüthlichster Unbefangenheit einige Schritte nach der Thür zu, um sich zu entfernen.

»Warten Sie noch einen Augenblick,« gebot der Assessor. »Warum? Habens mich vielleicht noch um was zu fragen?«

»Nein. Aber Sie wissen doch gar nicht, zu wem Sie sich beim Gericht zu verfügen haben.«

»Ja, das ist freilich wahr. Seins also mal so gut, es mir zu sagen!«

»Das reicht nicht aus. Ich werde Ihnen einen der Herren Gensdarmen mit geben, welcher den betreffenden Herrn zu benachrichtigen hat. Wenn ich das nicht thue, werden Sie einfach abgewiesen, und das werden Sie in Ihrem eigenen Interesse doch nicht wollen.«

»Nein. Je schneller, desto besser. Der Schandarm mag also mitgehen.«

Der Assessor riß ein Blatt aus seinem Notizbuche, schrieb einige Zeilen darauf und übergab es dann dem Gensdarm, diesem zugleich leise zuflüsternd:

»Er ist natürlich arretirt und wird sofort in eine Zelle für Untersuchungsgefangene isolirt. Aber behandeln Sie ihn unterwegs sehr vorsichtig,


Ende der einundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Impressum Datenschutz