Der Weg zum Glück - Teil 80

Lieferung 80

Karl May

4. Februar 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1897 //

sie hier abermals schlecht. Da helfen weder gute Worte noch Ohrfeigen. Da hilfts nur, daß er an den Pranger stellt wird, damit eine jede Frau derfährt, daß sie sich vor ihm zu hüten hat. Also, Baumeister, antwort! Hast vorhin bei uns abbeten mußt?«

Er antwortete nicht, erhielt aber sofort einen Hieb, daß er mit beiden Beinen in die Luft sprang und rief:

»Au! Verflucht! Ja, ich habe abgebeten.«

»Hast zugestanden, daß es Lügen sind?«

»Ja.«

»Hast die Bäurin mal so sehen, wie Du vorhin sagtest?«

»Wie denn?«

»Nun, wie eine Göttin?«

»Hm!«

Da pfiff die Peitsche durch die Luft.

»Donnerwetter! Nein, ich habe sie nicht so gesehen.«

»Bist in ihrer Kammer gewest des Nachts?«

»Ja.«

»War ein Frauenzimmer drin?«

»Ja.«

»Wer war es?«

»Die - die - die - -«

»Na, heraus damit! Sonst kommt die Peitsch!«

»Die - die Christel.«

Ein allgemeines, unbeschreibliches Hallo brach los. Als dann Fritz das Uebrige erklärt hatte, wurde der Baumeister hinausgeworfen und erhielt den Rath, sich niemals wieder sehen zu lassen.

Nun trat wieder Ruhe ein. Der alte Sepp, welcher Allen willkommen war, mußte erzählen. So verging die Zeit, und es war nahe zur Dämmerung, als die Beiden heimkehrten.

Aber sie gingen nicht direct nach Hause. Als sie die Stelle erreichten, wo sich der Steig empor nach der Capelle wendet, lenkte der Sepp nach demselben ein.

»Wo willst hin?« fragte Fritz.

»Nicht weit fort. Nur bis ans Gebüsch, um uns dort niederzusetzen.«

»Warum das?«

»Weil ich gern ein Wengerl mit Dir plaudern möcht.«

»Können wir das nicht auch daheim?«

»Nicht so gut wie hier. Hier werden wir nicht gestört und auch nicht belauscht.«

Der Knecht wußte, daß der Sepp niemals Etwas ohne Absicht that; darum folgte er ihm, ziemlich gespannt auf das, was er jetzt hören werde.

Sie setzten sich da, wo sie den Kronenhof vor den Augen hatten, auf einen Grummetschober nieder. Dann sagte der Sepp:

»Fritz, ich kenne Dich nun bereits seit einer sehr langen Zeit, viel


// 1898 //

länger, alst denkst. Als ich Dich zum ersten Male schaut, da warst ein Huschibuschi mit dem Zulpen im Maul. Von da an hab ich Dich nie wieder aus den Augen lassen.«

»Wie ist das möglich? Du mußt Dich irren!«

»Nein.«

»Wie kannst mich kannt haben, als ich so klein war? Ich bin doch als großer Bub nach Kapellendorf kommen.«

»Vorher hab ich Dich sehen.«

»Wo?«

»In Chrudim.«

»Da hättst mich auch bereits sehen?«

»O, sogar noch früher.«

»Wast sagst!«

»Bei Deinem Vater und Deiner Mutter.«

Der Knecht sprang aus dem Grummet auf.

»Sepp, meine Eltern kennst?« rief er.

»Schrei nicht so!« warnte der Sepp. »Wir brauchen keinen Lauscher. Setz Dich niedern und bleib ruhig!«

»Da soll man ruhig bleiben!«

»Ich bin doch auch ruhig!«

»Ja, Du.«

»Oho! Ich, ich könnt nun auch bald mal aus dera Haut fahren. Ich hab in letzter Zeit nix Anderes zu thun habt, als Eltern ihre Kinder und Kindern ihre Eltern oder Geschwistern ihre Geschwister zurückzubringen. Das halt dera Teuxel aus. Der Allerletzt, zu dem ich komme, der bist halt Du.«

»Sepp, ich bitt Dich, mach keine lange Red! Lebt mein Vatern noch?«

»Ja.«

»Meine Mutter?«

»Nein.«

»Gott sei Dank!«

»Was, Gott sei Dank?«

»Ich hab keine Lust, sie kennen zu lernen.«

»Da bist ja ein sauberer Bub!«

»Hab auch saubere Eltern habt! Sie haben mich hinausworfen in die Welt und sich nimmer um mich kümmert.«

»Meinst? Da irrst Dich gewaltig. Deine Mutter hat sich um Dich zu Tode härmt. Sie ist storben aus Liebe zu Dir.«

»Was? Ists wahr?«

»Ja, das werd ich Dir verzählen.«

»So mach schnell!«

»Und Dein Vater hat sich um Dich kümmert und nach Dir schaut, so lange er Augen habt hat, und noch darüber hinaus.«

»Sepp, Du kommst mir so plötzlich. Du hast mich kannt von Kindesbeinen an und hast doch nie was sagt. Warum beginnst jetzt, grad heut?«


// 1899 //

»Weil ich denk, daß die Zeit da ist, in der ich reden muß.«

»Weiß es mein Vatern?«

»Nein. Dera weiß gar nicht, daß ich Dich kennen thu.«

»So ist wohl plötzlich was geschehen?«

»Ja, heut.«

»Was Böses?«

»Was Gutes nicht.«

»Um Gotteswillen! Was ists?«

»Für Dich ists ein sehr Böses; für Andere aberst ein sehr Gutes. Ich habe nämlich heut - -« er blickte sich vorsichtig um und fuhr dann fort: »den Samiel entdeckt.«

»Bist nicht gescheidt!«

»Ich bin grad gescheidt, sonst hätt ich ihn nicht entdeckt.«

»Und hat das was mit mir zu thun?«

»Ja, sehr viel.«

»Erkläre Dich! Du machst mir Angst!«

»Kannst dennoch ruhig sein. Eigentlich ists doch auch ein Glück. Freilich ists stets eine traurige Sachen, wann ein so reich begnadetes Menschenleben dera Sünd anheimfällt und an ihr zu Grunde geht. Wann ich Dich jetzt frag, wast nicht gleich verstehst, so wirsts dann bald begreifen. Vor allen Dingen aberst muß ich Dich bitten, aufrichtig mit mir zu sein. Willst, Fritz?«

»Ja.«

»Grad so, als ob ich Dein Vatern wär?«

»Ja, grad so.«

»So sag mir vor allen Dingen mal, obst die Kronenbäuerin für schön hältst.«

»Ja. Sie ist wohl sehr schön.«

»Das ist wahr. Könntest ihr so gut sein, wie man einem Dirndl gut ist, welches man heirathen will?«

»Nein.«

»Gewiß und wirklich nicht?«

»Nein.«

»Gott sei Dank! Das ist meine Angst gewest.«

»Daß ich mich in sie verlieben könnt?«

»Ja.«

»Das kann mir nicht einfallen. Sie hat mir trotz ihrer Schönheit immer eine Furcht und Scheu einflößt.«

»Das hat dera Herrgott than. Nun aber sag auch, ob sie nicht vielleicht wünscht hat, daßt ihr Liebster sein sollst!«

»Ja, das hat sie.«

»Hab mirs doch denkt! Sie hat da einen Plan, der ein wahrhaft gottloser, ein haarsträubend gottloser ist. Wann hat sie das than?«

»Heut zum ersten Male.«

»So! Droben bei dera Capellen?«


// 1900 //

»Ja.«

»Hab es mir denkt, als sie Dich hinauf befohlen hat. Ist die Red nur von Liebe gewest oder auch vom Heirathen?«

»Vom Heirathen.«

»Ganz richtig. Erst hat sie Dich haßt, und nun liebt sie Dich so sehr, daß sie Dich zum Mann haben will. Ich bin froh, daß sie Dir da nicht schon längst gefährlich worden ist.«

»Die? Könnt mir gar niemals gefährlich werden.«

»Hast wohl eine Andere?«

Fritz erröthete, antwortete aber aufrichtig:

»Lieb hab ich eine; aberst ob sie auch mich liebt, das ist noch eine Frag!«

»Wer ists? Darf ichs wissen?«

»Die Martha beim Förster!«

»Du, da geb ich Dir meinen Segen dazu. Die ist nicht nur das allerschönst Dirndl rundum, sondern auch eine gar Brave. Da halt Dich dazu. Da es so steht, wird mir das Herz immer leichter. Soll ich mal den Freiwerber machen?«

»Nein, Sepp. Ich muß mit ihr sprechen. Und - eine Frau nehmen kann ich doch jetzt noch lange nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ein armer Kerlen bin. Ich hab mir zwar was spart, aber bis es langt, um was zu pachten, da müssen noch sechs, acht Jahren vorüber.«

»Wanns das ist, da red in Gottes Namen mit dera Martha. Du bist ein reicher Bub.«

»Ich? Machst doch nur Spaß?«

»Nein. Dein Vatern ist ein steinreicher Mann.«

»Ists möglich!«

»Freilich! Ich kenn ihn ganz genau.«

»Wo wohnt er? Dort drüben im Böhmen?«

»O nein, sondern hierüben.«

»Weit?«

»Nicht gar sehr weit von hier.«

»Aberst, wann er so reich ist, warum hat er mich fortgeben?«

»Das hat er nicht than.«

»O ja! Die Eltern müssen mich fortthan haben. In der Eisenbahn laßt kein Vatern oder Muttern ein Kind nur aus Versehen liegen.«

»Das ist wahr. Ich werd es Dir verzählen. Weißt, ich war sehr oft bei den Deinigen Eltern. Ich war ihnen stets willkommen, denn so bald ich kam, war dera Frieden im Haus.«

»Sonst nicht?«

»Nein. Deine Eltern lebten sehr bös mit nander, mehr als wie Hund und Katz. Sie waren gezwungen west, sich zu heirathen, obgleich sie sich haßten. Dein Vatern war ein braver Mann, aberst er wollt gern eine schöne


// 1901 //

Frauen haben. Deine Muttern war eine Sibylle und Xantippe, die schmutziger als die niedrigste Magd im Haus herumlief und sich keine Mühe gab, ihrem Manne zu Gefallen zu sein. Ists ein Wunder, daß sie ihm jetzunder nun ganz und gar zum Ekel ward?«

»Nein, gewiß nicht.«

»So wirst ihn auch nachhero milder beurtheilen. Du warst ihr einziges Kind, und ich hab Dich auch damals schon auf meinen Armen habt. Du warst und bist nach dem Vatern gerathen. Von dera Muttern aberst hast nix an Dir. Um dieselbige Zeit kam eine Verwandte ins Haus, ein gar junges Ding, aberst eitel, bildsauber, gefallsüchtig, ohne Gewissen und blutarm. So jung sie war, hat sie doch schon rechnen konnt und es auf einen reichen Mann absehen habt. Ich hab sie dort kannt und beobachtet, und sie hat mir niemals gefallen. Darauf bin ich lange Zeit nicht hinkommen; aberst bald, als ich zum letzten Male da gewest war, lief ich drüben im Böhmen herum und kam auch nach Pardubitz. Wen fand ich da im Bahnhofe? Die Verwandte.«

»Sie kannte Dich?«

»Natürlich. Ich bin sogleich zu ihr gangen. Sie hatte ein Kind bei sich, aberst fest verwickelt, so daß man das Gesichten nicht sehen konnt.«

»Ich errathe es. Das bin ich gewest.«

»Ja, Du warst es. Ich hab nur ein paar Worte mit ihr sprochen und bin dann gangen. Zufälliger Weise hats mir sagt, daß sie nach Chrudim fahren will.«

»Hast sie denn nicht fragt, was für ein Kind sie hat?«

»Ja. Das ihrige könnts freilich nicht sein. Sie hat sagt, daß es einer Base gehört, der sie es bringen muß. Nachhero, nach einer abermaligen Zeit, komm ich zu den Deinigen Eltern und hör, daßt raubt worden seist.«

»Raubt und von wem?«

»Von Zigeunern.«

»Grad wie dem Kronenbauern sein Sohn!«

»Ja, fast grad so. Es waren Zigeunern da gewest, und als sie fort waren, warst auch Du fort. In einigen Dörfern, wo Nachfrag halten wurde, hatten manche Leutln Dich sehen. Das ist aberst nicht wahr gewest.«

»Du meinst, daß die Verwandte mich heimlich fortschafft hat?«

»Ja.«

»Das hast Dir gleich damals denkt?«

»O nein. Wie hätt ich das denken konnt? Ich hab nicht wußt, daßt verschwunden warst grad zu derjenigen Zeit, an welcher ich sie mit dem Kinde troffen hatte. Auch konnt ich ihr eine solche Schlechtigkeiten gar nicht zutrauen.«

»Was haben meine Eltern sagt?«

»Die kränkten sich gar sehr. Deine Muttern, die immer kränklich war, hats sich so zu Herzen nommen, daß sie nachhero storben ist.«

»Und der Vatern?«


// 1902 //

»Der hat viel und lange nach Dir suchen lassen und sich nachhero die zweite Frau nommen.«

»Wohl die Verwandte?«

»Ja.«

»Beinahe grad wie bei meinem Kronenbauern, nur daß diese zweite Frauen die Mündel gewest ist.«

»So ists!« nickte der Sepp.

»Habens denn glücklich lebt?«

»Erst ja, dann aberst bald nicht mehr. Da bin ich wieder mal im Böhmen gewest und nach Chrudim kommen. Ich hab ein Bier trunken mit Einem, der an dera Bahn anstellt war. Bei dem war sein kleiner Bub. Dieser ist mir auffallen, denn er hat grad so eine Narben an dera Stirn habt wie Du.«

»Hatt ich eine?«

»Ja. Du warst mal von einer unvorsichtigen Magd tragen worden und hattst Dich an einen Nagel stoßen. Das gab eine tiefe Wunde, die nur schwer vernarben wollt. Also dieser kleine Bub hatt auch so eine Narbe an ganz derselbigen Stelle, nur wars fast ganz verheilt. Ich fragt den Mann, wie der Bub dazu kommen sei, aberst er hats nicht wußt, weil dera Bub ein Findelkind sei, und er war nur dera Pflegevatern.«

»Ach, so war ich dera Bub?«

»Ja.«

»Aberst ich kann mich nicht besinnen, daß ich Dich in Chrudim sehen hab.«

»Das war nur eine Viertelstunden lang, und Du warst noch sehr klein. Dera Pflegevatern hat mir verzählt, wie Du im Bahnwagen funden worden bist. Das Bettchen ist noch da gewest, und als ich es mir ansehen hab, da hab ich sogleich schaut, daß es ganz dasselbige sei, was damals die junge Verwandte in denen Armen trug.«

»Das ist ein großer Zufall!«

»Ja. Auch zufälliger Weis hab ich noch ganz genau wußt, an welchem Datum ich sie in Pardubitz troffen hab. Auf dera Bahn in Chrudim hat man sich auch den Tag aufschrieben, und das hat so Alles ganz genau zusammenstimmt.«

»Was hast da than?«

»Was sollt ich thun? Gings mich eigentlich was an?«

»Natürlich!«

»Oho! Diejenige, welche Dich im Bahnwagen verlassen hatte, war die zweite Frau Deines Vaters worden. Konnt ich da nicht denken, daß er einverstanden gewest sei?«

»Vielleicht. Aberst auch dann hättest ihn zwingen sollt, mich zu sich zu nehmen!«

»Nun, ich hab nicht Sturm laufen wollt. Zunächst hab ich mich derkundigt, ob er Freud haben werd, wann er sein verlorenes Kind wiederfinden


// 1903 //

thät. Er hat sagt, daß er ganz glücklich sein thät. Dann hab ich ihm sagt, daß ich es weiß. Und endlich hat er Alles derfahren.«

»Ah! Was hat er than? Warum hat er mich nicht sofort holen lassen?«

»War das möglich?«

»Natürlich! Warum sollt es nicht?«

»Weil es herauskommen wär, daß Deine Stiefmutter die Kindesräuberin war. Sie wär wohl aufs Zuchthaus kommen.«

»Also sie war die Zigeunerin!«

»Ja. Was nun zwischen Deinem Vatern und Deiner Stiefmuttern vorkommen ist, das weiß ich nicht; aberst denken kann ich es mir, daß er sie sehr lieb habt hat, weils sie sehr schön war, und daß er sie nicht hat unglücklich machen wollt. Darum hat er Dich einstweilen noch in Chrudim lassen und Alles für Dich zahlt.«

»So hat er sich wegen dera Stiefmuttern schwer an mir versündigt. Sind denn weitere Kinder vorhanden?«

»Nein.«

»Ich das einzige! Vielleicht hätt das nicht werden konnt! Wann er meine Stiefmuttern schonen wollt, so braucht er mich doch nur an Kindesstatt anzunehmen.«

»Das hat er doch than!«

»Wie?«

»Ich sag, daß er es than hat.«

»Mich hat aberst doch dera Kronenbauer annommen.«

»Ja freilich, der. Weißt, Deine Stiefmuttern war nicht eine Verwandte sondern eine Mündel von ihm.«

»Herr Jesus! So ist - -«

Er fuhr abermals aus dem Grummetschober empor, blieb starr vor dem Sepp stehen und fuhr dann fort:

So ist er mein Vater?

»So ist dera Kronenbauer mein Vatern?«

»Ja.«

»Herr, mein Gott, wie dank ich Dir dafür. Dera Kronenbauer, dera Kronenbauer mein Vater. So hat mein Vater mich also nicht verlassen. Wie mich das glücklich macht. Darum hab ich ihn so lieb, und darum ist er stets so zärtlich gegen mich west, was ich hab gar nicht begreifen konnt.«

»Aberst die Bäuerin desto böser mit Dir!«

»Ja. Aberst es soll ihr vergeben sein. Ich bin so glücklich, so unendlich glücklich, daß ich Niemandem zürnen mag. Ich gehe jetzt nach Haus und -«

Er wollte fortstürmen, aber der Sepp rief:

»Fritz, bleib! Wir sind noch nicht fertig.«

»Noch nicht? O, für jetzt bin ich fertig. Ich brauch weiter nix!«

»Aber ich brauch noch was!«

»Was denn?«

»Dich. Lauf ja nicht fort, denn das Allerwichtigste kommt erst noch.«


// 1904 //

»Was kann wichtiger sein, als das, daß ich der richtige Sohn des Kronenbauers bin. Etwas für mich Wichtigeres kann es gar nicht geben.«

»Oho! Bald wirst einsehen, daß es noch viel wichtigere Dingen giebt.«

»Das glaub ich nicht.«

»Hör mir nur zu! Setz Dich wieder her.«

»Noch nicht, noch nicht. Erst muß ich mich austhun, sonst ists mir unmöglich, sitzen zu bleiben.«

Er rannte hin und her, schlug mit den Armen um sich, machte die possirlichsten Sprünge und wollte gar laute Jodler ausstoßen. Da aber kam der Sepp ihm in die Quere:

»Höre, Bub, wannst auch noch das ganze Dorf herbeirufen willst, so kann ich ja gehen. Von mir aber derfährst kein Wörtle mehr!«

»Gut, gut, Sepp! Ich werde gehorchen. Ich setz mich wieder zu Dir. Hier bin ich!«

»Schön! Nun wollen wir weiter reden. Also Dein Vatern hat Deine Stiefmuttern zwungen, Dich wieder herzunehmen. Sie hat Dich damals fortschafft, um kein Stiefkind zu haben, als sie ihn heirathen that. Verstehst mich wohl. Sie weiß, daßt das Kind ihres Mannes bist, ihr Stiefsohn. Und dennoch macht sie Dir den Antrag, sie zu heirathen, wann dera Bauer storben ist. Was sagst nun dazu, Fritz?«

»Das ist schrecklich! Das wird ja wohl eine Todsünde sein!«

»Das denk ich auch. Aberst Du darfst nicht meinen, daßt der Einzige bist, den sie lieb hat. Dera Förster ist auch ein Liebhaber von ihr. Mit ihm kommt sie zusammen wie Mann und Frau.«

»Herrgott! Ists wahr?«

»Ja.«

»Weißts gewiß?«

»Ich habs sehen, und damit ists gut. Sie ist eine Ehebrecherin, wie ich keine Zweite kennen lernt hab und wie es keine Zweite giebt viele Meilen in dera Runde, und sie ist noch mehr als das, noch viel, viel mehr!«

»Was denn?«

»Wirsts nachhero hören. Wie sie sich wegwirft, um ihren Lüsten zu fröhnen oder auch, wie ich noch eher glaub, aus noch viel entsetzlicheren Gründen, das kannst Dir denken, wann ich Dir noch Einen sag, der ihr Kebsmann ist.«

»Noch Einen! Wer ist das?«

»Dera Bastian.«

»Der Blödsinnige?«

»Ja.«

»Das zu denken ist doch dera reine Wahnsinn! Wer das glaubt, der muß gradezu auch blödsinnig und verrückt sein!«

»Ich denk mirs nicht, sondern ich habs sehen, mit diesen meinen Augen.«

»Unmöglich!«

»Ja. Es war ganz entsetzlich, so was anzuschauen.«

»Wann und wo ists denn gewest?«


// 1905 //

»Als ich das letzte Mal da war, draußen im Garten, im Grasgarten. Könntst mir die Beschreibung erlassen.«

»Nein. Ich muß es wissen. Ich muß es hören und derfahren.«

»Nun, das war so. Es war ein warmer Abend, und ich sollt in dera Kammer schlafen; aberst da war mir die Luft zu schwül, und so ging ich in den Garten, wo an demselbigen Tag gemäht worden war. Ich legt mich hin. Eben war ich am Einschlafen, da hört ich Schritte. Aufstehen that ich nicht, weil man mich sonst hätt sehen können, sondern ich wälzte mich hinüber an den Rand, ganz an den Zaun hinan. Da kam die Bäuerin und hinterher dera Bastian. Das Andre kannst Dir denken. Ich hab Alles geschaut und auch hört. Dera Blödsinnige war gradezu wahnsinnig vor Liebe und - nein, es ist nicht zu beschreiben. Sie haben dabei auch sprochen. Und das, was ich da von denen Beiden hört hab, das hat mich zuerst auf den entsetzlichen Gedanken bracht, daß die Kronenbäuerin - dera Samiel ist.«

Fritz stieß einen lauten Angstschrei aus.

»Sepp! Sepp! Sepp!«

Der Alte ergriff ihn beim Arme und gebot ihm:

»Schweig! Wast hören wirst, das ist freilich fürchterlich; aberst Du bist ein Mann und mußt Dich beherrschen!«

»Dera Samiel!«

»Ja. Sie ists, sie.«

»Was habens denn mit nander sprochen?«

»So einige Ausdrücke und Worte hab ich verstanden, nicht genug, um es genau zu wissen, aberst hinlänglich, um es für gewiß zu denken. Erst heut hab ich die richtige Sicherheit erhalten.«

»Sepp, Sepp, Du mußt Dich irren!«

»Nein, nein! Jetzund ist kein Irrthum mehr möglich. Die Beweise sind da.«

»Der Samiel kann doch keine Frau sein!«

»Warum nicht?«

»Eine Frau, eine Frau, eine so schöne Frau!«

»Wirsts schon glauben müssen!«

»Ich kann diesen Gedanken nicht fassen. Es ist mir zu ungeheuerlich!«

»Mir war er es auch. Jetzunder aber bin ich so vertraut mit ihm, daß ich in aller Ruhe meine Nachstellungen machen werd. Und dabei sollst mir helfen. Deshalb werd ich Dir Alles sagen, und deshalb hab ich Dir bereits schon so viel sagt.«

»Wanns wahr wäre! Diese Schand! Mein armer, armer Vater!«

»Jammere nicht um ihn. Er wird von einem Scheusal befreit. Es ist zu seinem Glück. Und vielleicht steht ihm auch ein noch viel größeres bevor. Weißt, dera Herr Ludwigen, der bei Euch wohnen soll, hat einen Herrn bei sich, der ein gar berühmter Arzt ist. Er heilt ganz besonders gern Blinde und hat schon Manchem, der auf das Augenlicht ganz und für immer ver-


// 1906 //

zichtet hat, dasselbige zurückgeben. Ihm hab ich verzählt, wie Dein Vatern blind worden ist, und er hat sagt, daß da vielleicht noch Hilfe möglich ist.«

»Kommt er mit?«

»Ja, morgen schon.«

»Mein Gott! Wann dera Vatern wiederum sehen lernen könnt. Dann thät er das Andere wohl ruhiger ertragen.«

»Das ist auch die meinige Meinung.«

»Hast ihm schon was sagt von dem Arzte?«

»Kein Wort. Man soll nicht eine Hoffnung erwecken, von der man nicht weiß, daß sie in Erfüllung gehen kann. Er darf gar nicht wissen, daß dieser Herr ein Arzt ist, nicht eher, als bis derselbige die Augen anschaut hat.«

»Weiß denn übrigens dera Vater, daß Du mir erzählt hast, wer ich bin?«

»Nein.«

»Darf ers erfahren?«

»Nein, heut noch nicht. Ich werds Dir schon sagen, wann die richtige Zeit dazu gekommen ist.«

»Werd ichs aberst auch vermögen, gegen ihn ruhig zu sein?«

»Du mußt. Du weißt gar nicht, wie heimlich er damit zu jeder Zeit than hat. Es ist, als ob sein Gedächtnissen ihn verlassen hätt. Ich bin es gewest, der Dich aufifunden hat und doch thut er gegen mich, als ob ich gar nix davon wissen thät.«

»Redet er mit Dir davon?«

»Seit damals nie wieder. Aberst vorhin hat er es mit erwähnt, freilich auch so, als ob ich ein ganz Fremder sei, der gar nix weiß.«

»Das wird sich Alles aufklären. Nun aberst wollen wir zu dem Schlimmen schreiten. Was hast für Beweisen dafür, daß die Bäuerin dera Samiel ist?«

»Das sollst hören. Wir werden da von vorn anfangen, als Dein Vatern blind worden ist.«

»Herrgott, das fallt mir nun erst ein!«

»Was?«

»Wann meine Stiefmuttern wirklich dera Samiel ist, so ist sie es doch west, die ihn blind macht hat!«

»Freilich ist sie es!«

»Hilf Himmel! Welch ein Abgrund thut sich da auf! Weshalb soll sie es denn than haben?«

»Damit er sie nicht beobachten kann, wanns mit anderen Männern ihr Wesen treibt.«

»Darum! Darum also!«

»Ja, das ist der Grund.«

»Und mein Vatern, hat er eine Ahnung?«

»Nicht die Spur davon. Er hat mir am Nachmittag, alst in dera


// 1907 //

Küchen warst, Alles verzählt und mir auch die Briefen anvertraut, welche er damals erhalten hat.«

»Briefe? Davon weiß ich nix.«

»Er hats heimlich behalten. Ich werd es Dir berichten.«

Er erzählte dem Knecht Alles, was der Bauer ihm mitgetheilt hatte. Fritz hörte ihm mit einer Spannung zu, welche ganz unbeschreiblich war. Er las ihm förmlich die Worte vom Munde und sagte, als der Alte geendet hatte:

»Die Briefe, die hast erhalten?«

»Ja. Ich hab dem Bauer versprochen, zu forschen; darum hat er sie mir anvertraut.«

»Zeig her, zeig her!«

»Hier sind sie. Lies!«

Es war noch hell genug, die Zeilen zu lesen. Fritz las sie mehrere Male.

»Kennst die Schrift?« fragte Sepp.

»Nein. Ich hab sie noch nie sehen.«

»Ich auch nicht und Dein Vatern ebenso nicht. Ich könnt wohl ahnen, wer dera Schreiber wär.«

»Wer?«

»Der Bastian.«

»Der kann nicht schreiben!«

»Du, sei still! Der Kerl ist ein Doppelmensch. Den werd ich ganz genau beobachten. Wie alt ist er jetzt?«

»Der ist nicht mehr jung. Er kann fast an die Dreißig sein.«

»Diente er damals schon bei Euch, als Dein Vatern blind wurde? Ich kann mich nicht mehr genau besinnen.«

»Ja, er war bereits da.«

»Schön! So möcht ich daraufi schwören, daß er dera Schreiber ist.«

»Ich kanns nicht denken.«

»Er ist das willenlose Werkzeug dera Bäuerin, die ihn durch Liebe blind macht hat. Er stellt sich blödsinnig, damit er nicht in Verdacht kommen mag, Verbrechen begangen zu haben, welche nur Einer thun kann, der geistig gesund und kräftig ist. Aberst ich werd ihm hinter die Coulissen schauen! Für mich ists ganz sicher, daß er dera Schreiber ist. Da ist die Bäuerin am Sichersten. Bei ihm wird nicht nach einer Schrift forscht. Mir aber soll er schon was schreiben. Wie oft, wann dera Samiel was begangen hat, liegt nicht ein Zettel dabei, auf dem schrieben steht, daß dera Samiel es gewest ist. Ich glaub, diese Zettels alle schreibt dera Bastian.«

»So glaubst als sicher, daß meine Stiefmutter der Samiel ist?«

»Ja. Geht das nicht deutlich aus denen Briefen hervor?«

»Fast.«

»Denk weiter! Fünf Minuten, bevor Dein Vater schossen worden ist, will sie noch bei dera Wäsch gewest sein. Dann hat sie schon so schlafen, daß sie den Schuß nicht hört haben will. Glaubst das?«

»Nein.«


// 1908 //

»Bedenk auch die Gestalt des Samiels!«

»Es ist die ihrige; das ist wahr. Aberst die Kleider!«

»Die liegen jedenfalls irgendwo versteckt und werden vorgezogen, wanns braucht werden.«

»Gut! Ich will mal denken, daß diese Briefen damals von dera Bäuerin stammen. Hast noch andere Beweise?«

»Ja.«

»Nun, so sag einen!«

»Die Wette heut.«

»Alle Teufel, ja!«

»Thät sie fünftausend Markln riskiren, wann sie nicht selberst dera Samiel wär?«

»Hast Recht.«

»Warum wird dera Samiel nicht derwischt? Weil derselbige Officier bei ihm wohnt, der ihn fangen will, und weil dera Förster dera Liebhaber ist vom Samiel.«

»Herrgott! Wie leuchtet mir das Alles ein! Es wird ganz licht um mich!«

»Siehst! Ja, so ists mir auch gangen. Hättst nur den Blick sehen sollt, den sie auf den Diamantring werfen that. Den nimmt sie ihm ganz gewiß ab.«

»Aberst wo thut sie den ganzen Raub hin?«

»Dazu braucht sie gar nicht viel Platz. Dera Samiel raubt niemals Sachen, die einen großen Raum beanspruchen.«

»Sagtst Du nicht, daß ihr Vater ein Wildschütz gewest sei?«

»Ja.«

»Und als Wilddieb hat dera Samiel anfangen.«

»Ja, und ist immer weiter kommen bis zum Einbrecher. Ich denk, daßt nun auch überzeugt bist, wer er ist?«

»Ja, ja, vollständig! Nun denk ich an Dinge, welche ich früher gar nicht beachtet oder verstanden hab, und Alles steht in einem anderen Lichte.«

»So haben wir also ganz dieselbige Meinung und wollen mit nander handeln.«

»Ja. Was gedenkst zu thun?«

»Ich glaub, es ist am Gerathensten, die Bäuerin und den Bastian gar nicht aus dem Aug zu lassen.«

»Freilich wohl. Aber wer kann sich hinstellen Tag und Nacht und Wach halten!«

»Das ist nicht nöthig. Bei Tag unternehmen sie gewißlich nix. Und des Abends, wann es dunkel ist, da ist es leichter, Jemand zu beobachten.«

»Aber ich werd so oft braucht.«

»Ich gar nicht. Wir lösen einander ab, so gut wir können.«

»Wollens wir noch Jemand anvertrauen?«


// 1909 //

»Keinem Menschen, keinem einzigen. Je weniger außer uns davon wissen, desto sicherer können wir handeln.«

»So wollen wir nun heim gehen. Es ist jetzt Essenszeit.«

Sie kehrten nach dem Gute zurück, wo das Abendessen fast vorüber war. Man hatte heute etwas eher gegessen, warum, das wußte Niemand, als nur die Bäuerin und ihr Gehilfe. Es war fast neun Uhr und da brach der Officier auf.

Es war mittlerweile Abend geworden. Der Bastian ging in den Stall zu den Pferden, um nochmals nachzusehen, ob Alles in Ordnung sei. Dann war er plötzlich verschwunden.

Die Bäuerin saß ganz allein unter der Tanne. Sie hielt die Augen scharf nach den zur Wohnung des Officiers gehörigen Fenstern gerichtet.

Da verlöschte dort das Licht. Sie stand auf und ging am Zaune des Gartens langsam dahin. Der Mond war noch nicht aufgegangen.

Da kam ihr Jemand vom Hause her entgegen. Sie hatte sich nämlich wieder zurück gewandt. Der Graf war es. Er erkannte sie.

»Nun, Bäurin, wollen Sie mit?« fragte er.

»Danke sehr!«

»Heute kann der Samiel mich fangen. Ich geh ganz allein erst nach der Försterei und dann nach der Kupferhöhle.«

»Spottens nicht! Was man an die Wand malt, das kann leicht kommen.«

»Nun, ich wollte, der Samiel käme. Ich habe mir sogar eine Blendlaterne mit genommen, um ihn anleuchten zu können, wenn er mir begegnet.«

Er hielt ihr die kleine Laterne nahe an das Gesicht, damit sie dieselbe kennen könne.

»Vielleicht leuchtet er Sie an, anstatt Sie ihn!« sagte sie.

»Wollen es abwarten.«

»Was hilft Ihnen die Laterne, wann kein Licht darinnen ist!«

»Das wird später schon noch angezündet werden. Oder meinen Sie, daß der Samiel sich so nahe am Dorfe umhertreiben werde?«

»Das kann man nicht wissen.«

»In diesem Falle wäre er längst in unsere Hände gefallen. Also gehen Sie heut nicht so zeitig schlafen. Vielleicht bringe ich Ihnen den Kerl.«

»So wünsche ich Ihnen viel Glück!«

»Donnerwetter! Kennen Sie den alten Aberglauben? Einem Jäger darf man niemals Gutes wünschen, sonst widerfährt ihm Böses. Gute Nacht!«

Er ging.

Nur zwei Secunden lang blieb die Bäuerin lauschend stehen, dann huschte sie über den Weg hinüber, wo ein Rain zwischen zwei hochhalmigen Roggenfeldern nach dem Walde führte. Als sie den Rain erreicht hatte, ließ sie den einzigen Rock, welchen sie jetzt anhatte, fallen. Es kam eine Männerhose zum Vorscheine. Sie raffte den Rock auf, rollte ihn zusammen und sodann ging es beinahe im Galopp dem Raine entlang, dann über eine kahl


// 1910 //

geschoorene Wiese hinüber, zwischen Ginsterbüschen hin - ein Dauerlauf von über fünf Minuten.

Auf diese Weise war sie dem Officier voran gekommen. Sie blieb hinter einem Baume stehen.

»Pst!« hörte sie es.

»Bastian?«

»Ja.«

»Schnell her damit!«

Er hatte ein Päcktchen in der Hand. Er trug hohe Stiefel, breitkrämpigen Hut, schwarze Maske, kurz, ganz so, wie man den Samiel zu beschreiben pflegte. Ganz dieselben Stücke hatte er auch für die Bäuerin da.

Sie zog ihre Frauenjacke aus und dafür eine Männerjacke an. Es waren seit ihrer Ankunft noch nicht zwei Minuten vorüber, so hatte sie sich in den Samiel umgewandelt.

»Kennst Deine Rolle?« fragte sie den Bastian.

»Ja.«

»Den Todtschläger nehm ich. Nun mach Deine Sach gut. Ich geh auf die andere Seiten.«

Sie huschte über den Weg hinüber, welcher hier auf der einen Seite mit lichten Bäumen und auf der anderen mit dichtem Besenginster eingefaßt war. Dort kauerte sie sich erwartungsvoll nieder, den Todtschläger in der rechten Hand.

Der Oberlieutenant war den gewöhnlichen Weg gegangen, welcher viele Windungen machte. Daher kam er um so viel später als die Bäuerin.

Jetzt erklangen seine langsamen Schritte. Er schien sich Zeit zu nehmen. Er kam heran. Da ertönte zu seiner linken Hand:

»Grüß Gott, Graf Münzer! Sie wünschen, mich fest zu nehmen?«

Da, wo die dumpfe Stimme erklungen war, trat der Samiel aus dem Dunkel der Bäume heraus - Bastian.

»Alle Teufel!« entfuhr es dem Officier. »Nun, greifens zu!«

»Das werde ich thun!«

Der Graf war wirklich keine Memme. Den Revolver in der Linken schußfertig, faßte er den Samiel an der Brust.

"Ergieb Dich!"

»Ergieb Dich!« gebot er. »Widerstand würde vergeblich sein.«

»Graf und Wurm! Ich mich Dir ergeben! Komm her!«

Der Samiel faßte ihn mit riesiger Kraft hüben und drüben an den Hüften und hob ihn empor, um ihn zur Erde zu schmettern.

Diese Situation benutzte der Graf, den Lauf des Revolvers nach dem Kopfe seines Feindes zu richten. Er gab Feuer - ohne Wirkung; kein Schuß ging los.

»Ah, willst mich derschießen!« klang es dumpf unter der Maske hervor. »So schieß. Ich hab nix dagegen!«

Der Samiel setzte den Grafen behutsam wieder auf die Erde nieder.


// 1911 //

Sofort riß der Letztere den anderen Revolver hervor und drückte ab - mit demselben Mißerfolge. Er schäumte vor Wuth.

»Verdammte Patronen!« schrie er. »Aber hier ist ein Anderes. Ergiebst Du Dich oder nicht?«

Er trug ja stets den Degen bei sich und zog jetzt blank.

»Fallt mir nicht ein! Stich zu!« antwortete der Samiel.

»So fahre zum Teu-«

Er konnte nicht aussprechen. Die Bäuerin hatte sich ganz an ihn geschlichen, von hinten natürlich, und ihm mit dem Todtschläger einen Hieb versetzt, der ihn sofort betäubte. Er fiel zur Erde nieder.

»Jetzt schnell, die Stricke heraus!« flüsterte sie dem Knechte zu.

Sie selbst aber kniete neben dem Grafen nieder, nahm ihm die Uhr, den Geldbeutel, die Brieftasche und zog ihm sodann sämmtliche Ringe von den Fingern. Das Alles steckte sie ein. Die Taschen der Hosen waren wahre Säcke. Es ging da viel hinein.

Nun wurde er hart am Wege an einem Baume aufgerichtet und aufrecht dort angefesselt. Die Laterne wurde angebrannt und ihm in eins der Knopflöcher befestigt.

»Hast einen Zettel schrieben?« fragte die Bäuerin.

»Zwei. Wir brauchen ja heut Abend noch einen.«

»So steck ihn an.«

Der Graf erhielt ein viereckiges Stück Papier mittelst einer Nadel angeheftet. Darauf stand in ungelenker, unorthographischer Schrift:

»Der Samiehl ießts gewäsen.«

»Jetzt fort!« gebot die Bäuerin.

Sie huschten nach dem Orte, an welchem sie sich umgezogen hatten. Dort legte die kühne, verbrecherische Frau die männliche Kleidung ab, welche Bastian zu verstecken hatte, und kehrte nun spornstreichs auf demselben Wege, den sie gekommen war, wieder zurück.

Als sie wieder unter der Tanne vor dem Kronenhofe anlangte, war seit ihrer Entfernung von dort gar nicht viel über eine Viertelstunde vergangen. Sie setzte sich grad so wieder hin, wie sie vorher dort gesessen hatte.

Von ihrem Platze aus konnte man das Licht des brennenden Laternchens ganz deutlich sehen. Die Luftlinie von hier bis dort war keine beträchtliche.

Sepp und Fritz hatten, weil sie später zum Essen gekommen waren, auch später aufgehört. Dann waren sie recognosciren gegangen. Sie hatten weder die Bäuerin noch den Bastian gesehen.

Als sie dann abermals in den Stall kamen, lag er auf der Streu.

»Wo warst Du?« fragte der Fritz.

»Garten,« war nach der lakonischen Art und Weise der Geistesschwachen seine Antwort.

»Was hast dort macht?«

»Birnen sucht.«

»So! Liegen welche?«


// 1912 //

»Nein.«

Sie traten aus dem Stalle.

»Komm in den Garten,« meinte der Sepp.

»Wozu?«

»Wenn Birnen liegen, so war er nicht hier und hat uns belogen.«

Es lag Fallobst genug am Boden, als sie hinaus kamen. Der Bastian hatte also gelogen und war irgend wo anders gewesen. Aber wo?

»Laß uns weiter nach der Bäuerin suchen,« meinte der Sepp.

Sie fanden sie nun auf der Bank unter der Tanne.

»Setzt Euch nieder,« sagte sie freundlich. »Es ist so schön im Freien heut Abend.«

»Da hast Recht,« antwortete der Sepp. »Bist wohl bereits lange hier?«

Die Bäuerin glaubte, die Beiden seien erst jetzt aus der Stube gekommen, und darum antwortete sie unbesorgt:

»Schon seit dem Abendessen.«

Das war nicht wahr. Sie hatte also mit dem Bastian ein Geheimniß gehabt. Aber was für eins war das?

Der Sepp hatte sich dicht neben sie gesetzt. Da für den Augenblick Niemand sprach, war es sehr still rund umher. Da hörte er das leise, unterdrückte Ticken einer Uhr.

Das Geräusch schien von unten zu kommen. Das mußte er untersuchen. Er nahm also seinen kurzen Tabaksstummel heraus, that, als ob er ihn stopfen wolle und ließ ihn fallen. Es war finster unten, darum fand er den Stummel nicht sogleich, als er sich niederkauerte, um ihn zu suchen.

Bei dieser Gelegenheit hielt er sein Ohr ganz nahe an diejenige Stelle, wo unter dem Rocke der Bäuerin das Geräusch zu hören war. Ja, richtig! Es tickte eine Uhr!

Er setzte sich wieder hin und stopfte sich die Pfeife.

»Wie hoch an dera Zeit wird es sein?« fragte er.

Dabei gab er dem neben ihm sitzenden Fritz einen Stoß, daß dieser ja nicht antworten solle. Da er schwieg, so meinte die Bäuerin:

»Zwischen neun und zehn.«

»Weißts nicht genau?«

»Nein.«

»Könntst doch mal an die Uhr schauen. Ich will die meinige stellen.«

»Das kannst doch auch.«

»An Deine Uhr sehen?«

»Ich meine die drinnen in dera Stuben.«

»Und ich meine die Taschenuhr, die Du einstecken hast.«

»Ich hab keine.«

»Freilich! Ich hör sie ja ganz deutlich schlagen.«

Er bückte sich nieder, um sein Ohr an die betreffende Stelle zu bringen. Sie stand sofort erschrocken auf, sagte aber geistesgegenwärtig genug:


// 1913 //

»Das ist dera Käfer hier im Holz, dens halt die Todtenuhr nennen. Wann der da drinnen ist, so bleib ich nicht hier sitzen. Ich gehe fort.«

Sie ging in das Haus.

»Was hattst denn mit dera Uhren?« fragte Fritz.

»Sie hat eine einstecken.«

»Das glaub ich nicht, denn sie trägt keine Uhr. Sie kann das nicht leiden.«

»Ich habs aber deutlich hört!«

»Wirst Dich täuschen. Es wird die Todtenuhren gewest sein.«

»Nein. Sie hat eine Uhren einstecken. Ich hab extra meine Tabakspfeifen fallen lassen, um mich bücken zu müssen, damit ich horchen konnt.«

»Sapperment! Sie ist fort gewesen! Hat eine Uhr einstecken! In welcher Gegend erklang sie denn?«

»Da, wo bei denen Mannsbildern die Hosentaschen sind.«

»Sollte sie Männerhosen anhaben!«

»Als Samiel? Warum nicht?«

»Wann wir dies derfahren könnten.«

»Das ist gar nicht nothwendig. Ich kann mir bereits auch ohne nähere Untersuchung denken, daß sie Männerhosen unterm Rocke hat, wanns beabsichtigt, auszugehen. Aberst komm, schnell, schnell!«

»Wohin?«

»Komm nur! Reden können wir nachhero auch.«

Sie eilten nach dem Hofe. Dort stand ein hohes Fuder Grummet, welches noch nicht abgeladen war, weil es heut Sonntag war.

»Da hinauf.«

Mit diesen Worten ergriff der alte Sepp das Seil und turnte sich hinauf. Fritz folgte ihm sofort.

»Leg Dich platt nieder,« flüsterte der Alte.

Fritz that es und fragte:

»Warum kletterst aberst hieraufi?«

»Weil ich die Bäuerin belauschen will.«

»Wie denn?«

»Von hier aus. Dera Wagen steht hart an dera Mauer. Schau, wir haben bis zu ihrem Fenster kaum zwei Ellen.«

»Denkst, daß sie heraufkommen wird?«

»Ganz gewiß.«

»Warum?«

»Das ist doch sehr einfach. Sie ist verschrocken, daß ich die fremde Uhr merkt hab, und wird dieselbige schnell verstecken.«

»Das kann sie auch unten thun.«

»Wird sich hüten!«

»Wollte sie es überhaupt hier oben thun, so wäre sie bereits herauf gekommen.«

»Schau, wie so klug Du bist!«


// 1914 //

»Denkst nicht so?«

»Nein. Die ist gar vorsichtig. Wann sie wegen dera Uhr vor mir ausreißt und sogleich nach ihrer Stuben rennt, so muß mir das auffallen. Also wird sie noch ein Weilchen unten warten.« »Kannst Recht haben. Bist kein alberner Kerlen!« »Meinst! Hm!«

»Aberst wanns nun auch heraufi kommt und aberst kein Licht mit hat.«

»O Du talketer Bub! Was denkst von ihr! Ich bin überzeugt, daß sie diese Uhr erst jetzt irgendwo holt hat. Du nicht?«

»Ich auch. Sie ist mit dem Bastian fort gewest.«

»Nun, so ist sie ein Weib. Sie kann die Uhr nicht verstecken, ohne sie erst genau betrachtet zu haben.«

»Das ist möglich.«

»Hab nur Geduld. Wir warten.«

»Aberst wann sie nun aus dem Fenster schaut!«

»Das müssen wir uns gefallen lassen. Kriech nur weiter eini ins Grummet, daß man Dich nicht sehen kann. Ich steck so weit drin, daß ich nur noch mit dera Nasen herausschau.«

Sie hatten nur noch eine ganz kleine Weile zu warten, da sahen sie Licht erscheinen, erst in der vorderen Stube und dann in der Schlafstube der Bäuerin. Sie konnten ganz deutlich sehen, was sie that.

»Paß auf,« flüsterte der Sepp. »Erst schaut sie aus dem Fenster.«

Er hatte ganz richtig gerathen. Sie öffnete einen Fensterflügel, athmete hörbar laut den Duft des Grummets ein und schaute sich dann nach rechts und links um. Der Wagen schien ihr gar keine Bedenklichkeiten zu verursachen. Vielleicht hielt sie ihn ganz im Gegentheile für einen ganz praktischen Fensterschirm, welcher die Leute verhinderte, in ihre Stube zu blicken.

Sie machte das Fenster wieder zu.

»Nun wirds wohl den Vorhang herunter lassen,« meinte Fritz.

»Nein. Das glaub ich nicht. Das ruhige Gesicht, was sie machen that, war ein sicheres Zeichen, daß sie kein Mißtrauen hegt. Schau!«

»Sapperment!«

»Sie hat Hosen!«

»Männerhosen! Wahrhaftig!«

Die Zwei hatten ihre Köpfe, wie bereits gesagt, kaum zwei Ellen weit von dem Fenster entfernt. Sie hätten selbst kleinere Gegenstände ganz deutlich erkennen können.

Die Bäuerin schlug ihren Rock zurück, und da kamen nun freilich zwei schwarze Hosenbeine zum Vorscheine.

Die Beiden lauschten mit angestrengten Sinnen.

»Du, Fritz, schau! Jetzund greift sie in die Tasche. Paß aufi, was sie heraus bringt.«

»Eine Uhr.«

»Ja, das ist sie.«


// 1915 //

»Einen Geldsack!«

»Und was für einen! Dera Bügel muß gar von Silber sein. Sie schaut hinein.«

»Sie zählt. Weiter! Eine Brieftaschen. Die macht sie auch auf. Sapperment! Da sind wohl gar große Geldscheine drin!«

»Ja, man sieht sie. Und Jetzt?«

»Ringe! Siehsts?«

»Ja. Schau, jetzt hat sie einen, einen großen. Sie steckt ihn an; sie läßt ihn funkeln. Was sagst dazu?«

»Daß es dem Grafen seiner ist.«

»Ja. Sie haben ihn angefallen. Wo mag er sein!«

»Irgendwo. Todt macht habens ihn nicht. Schau, jetzunder packts zusammen. Nun bin ich begierig, zu derfahren, wohin sie den Raub stecken wird.«

»Ich auch. Paß auf!«

»Ah, in den Schrank.«

»Himmelsakkerment! Hast sehen?«

»Natürlich! Du doch auch?«

»Ja. Wo ist sie?«

»Das weiß dera Teuxel.«

Die Bäuerin war nämlich durch den bereits erwähnten Schrank in das geheime Cabinet gestiegen. Darum war es nun in der Schlafstube finster. Das Cabinet hatte bekanntlich kein Fenster.

»Du,« sagte der Sepp, indem er die Mauer forschend betrachtete, »ich weiß, woran ich bin.«

»Woran denn?

»Dieser Schrank ist dera Eingang zu einer verborgenen Stuben.«

»Meinst?«

»Ja. Das neue Gebäud ist an den Giebel des alten gebaut, wo dera Frau ihre beiden Stuben liegen. So war es leicht, sich vom Baumeister, ohne daß wer was derfuhr, die Mauer durchbrechen und ein Stück vom neuen Gebäude dazugeben zu lassen.«

»Ja, nur so kann es sein.«

»Schau Dir nur die Fenster an! Da neben dera Schlafstuben ist ein fast zu großer fensterloser Raum. Gott sei Dank! Wir sind dem Versteck des Samiel auf dera Spur!«

»Nicht nur auf der Spur, sondern wir haben es bereits.«

»Noch nicht. Wir müssen wissen, wie geöffnet wird.«

»Das werden wir schon bald merken. Schau, jetzt kommt sie bereits wieder, mit dem Licht in dera Hand. Wie sie lächelt! Sie scheint gar zufrieden zu sein mit dem Fang, dens macht hat.«

»Ja. Das ist ein guter gewest! Ein Ring von über zehntausend Markln! Na, sie wird Alles wieder hergeben müssen!«

»Komm! Wollen auch wieder hinab. Man darf uns nicht hier sehen.«


// 1916 //

Sie stiegen wieder hinab, säuberten sich von den anhängenden Grummetfäden und kehrten unter die hohe Tanne zurück. Kaum hatten sie sich niedergesetzt, so hörten sie einen eigenthümlichen, lauten, getragenen Ton.

»Was ist das?« fragte Fritz.

»Horch nur erst!«

Sie lauschten.

»Du, das ist ein Hilferuf!« sagte der Sepp.

»Denkst wirklich?«

»Ja. Es ist heut nicht das erste Mal, daß ich um Hilfe rufen hör.«

»Wo ists? Wo kommt es her?«

»Es scheint mir, dort vom Walde, wo - - siehst das kleine Licht?«

»Ja.«

»Das muß eine Laternen sein.«

»Aberst sie bewegt sich nicht.«

»So ist sie aufgehängt irgendwo.«

»Horch, horch! Ja, dorther kommts. Wir müssen hin. Wollen gleich noch die Tagelöhnern mitnehmen. Wann ein Unglück geschehen ist, so ist es gut, daß die Hilfe so schnell und zahlreich wie möglich erfolgt.«

Sie eilten hinein in die Stube und meldeten, daß man drüben am Waldesrande um Hilfe rufe. Diese Nachricht brachte die Wirkung hervor, daß sämmtliche Tagearbeiter aufsprangen und sich bereit erklärten, hinzueilen.

Sepp warf einen beobachtenden Blick auf die Bäuerin. Sie betheiligte sich mit an der allgemeinen Aufregung, gab guten Rath und wollte schließlich selber mit.

»Bleib nur da!« sagte der Sepp. »Kannst uns doch nix nützen. Es ist dera Graf.«

Sie sah ihn groß an.

»Der? Warum meinst das?«

»Weilst hast Deine Wette gewinnen wollen.«

»Ich versteh Dich nicht.«

»Nun, dera Samiel wird ihn haben fangen nommen.«

»Sepp, wie kannst Du das wissen?«

Er machte seine unbefangenste Miene und antwortete:

»Wissen kann ich es nicht, aberst errathen möcht ich es. Wer Unglück haben will, der muß mit einem Frauenzimmern wetten. Da verliert er sicherlich.«

Er schloß sich den Davoneilenden an. Die Bäuerin aber stand an der Hausthür und blickte und horchte ihnen nach.

»Was war das?« fragte sie sich. »Ists wirklich nur eine blose Vermuthung, oder - oder beginnt der alte Schlaukopf, mir in die Karten zu schauen? Ich muß ihn mehr beobachten als bisher, wenn er da ist.«

Die Retter liefen natürlich so schnell wie möglich. Je näher sie der Stelle kamen, desto deutlicher wurde das Rufen.


// 1917 //

»Wir kommen; wir kommen!« antwortete Sepp. »Nur still!«

Alle waren höchst gespannt, zu erfahren, wer es sei und was ihm widerfahren sei. Wie erstaunten sie, als sie in dem an den Baum Gefesselten den Grafen erkannten. Sepp las den Zettel, der ihm angeheftet war.

»Himmelsakkerment!« sagte er. »Das ist doppeltes Pech! Herr Oberlieutenant, wie sinds denn eigentlich da an den Baum kommen?«

»Davon später!« knirrschte der vor Wuth und Aufregung bebende Officier.

»Wars wirklich dera Samiel?«

»Ja.«

»Warum habens nicht schossen?«

»Ich habe geschossen; aber nichts ging los. Ich kann das nicht begreifen.«

»Nun ist auch die Wette verloren!«

»Und Alles fort, Alles, Ringe, die Uhr, die Brieftasche! Ich bin vollständig ausgeraubt. Das ist eine schöne Bescheerung. Doch zum Erzählen ist keine Zeit. Ich habe einen Hieb auf den Kopf bekommen. Ich weiß nicht, ob ich heut dienstfähig bleiben werde. Will mich Jemand nach dem Forsthause führen? Da ist das Rencontre. Es muß sofort eine großartige Suche durch den Wald veranstaltet werden. Die Einwohnerschaft sämmtlicher umher liegender Dörfer hat sich daran zu betheiligen. Alle Hunde sind mitzubringen und -«

»Und alle Katzen und Affen auch!« lachte der Sepp.

»Was? Wollen Sie sich über mich lustig machen?« rief der Officier.

»Nein. Aberst Sie müssen doch Zweierlei wissen: Erstens, daß dera Samiel nun längst über alle Berge ist und sich nicht hersetzen wird, bis die Manns- und Weibsleutln dera ganzen Umgegend bis morgen Abend hier versammelt sein werden. Und zweitens müssens wissen, was für ein Beamter das Recht hat, ein solches Aufgebot zusammenzubringen. Sie können den Wald noch Jahre lang mit Ihrem Militär besetzen, den Samiel fangens doch nicht. Das will anderst anfangt sein.«

Der Graf wußte nicht, was er sagen solle. Er fühlte, daß der Alte Recht habe, wollte aber doch auf seiner Autorität bestehen und antwortete deshalb:

»Wer in dieser Beziehung zu befehlen hat, ich oder ein Anderer, das kann ich jedenfalls auch entscheiden. Dazu brauche ich keines guten Rathes.«

»Nun,« meinte der Alte, »einen guten Rath hab ich Ihnen auch gar nicht geben wollen. Es war mehr als ein guter Rath. Es war eine Warnungen. Es ist jedenfalls nicht angenehm für den Herrn Grafen, wann er ein Aufgebot ergehen läßt an alle Dörfer dera Umgegend, und kein Einziger kommt. Nachhero wird man höchstens nur auslacht.«

»Oho! Ich möchte Den sehen, der es wagen wollte, mich auszulachen!«

»Nun, das könnens Keinem verbieten. Freilich ins Gesichten hinein wird Ihnen sogleich Niemand lachen, sondern ohne daß Sie es zu sehen bekommen, nämlich hinter dem Rücken. Und das ist viel schlimmer als wann man es bemerkt und sieht. Nehmens meine Worten auf ganz nach dem Ihrigen Wohl-


// 1918 //

gefallen. Mir kann es ja ganz egal sein, was Sie denken und was Sie thun.«

»Was ich zu thun habe, das weiß ich genau. Ich werde zunächst mit dem Förster sprechen. Dann wird sich das Andere finden. Also mag mich Einer von Euch hinführen.«

Einer der Tagelöhner erklärte sich bereit dazu. Mit ihm entfernte er sich, fluchend und grollend über den Streich, der ihm gespielt worden war. Er hatte sich denselben selbst zuzuschreiben.

Das war auch das Thema, welches unter den Männern verhandelt wurde, welche nun wieder nach Kapellendorf heimkehrten. Der Graf handelte als Soldat aber nicht als Polizist. Ein Räuber und Dieb ist nicht zu fangen, indem man aller Welt und also auch ihm wissen läßt, welche Maßregeln man ergreift, um ihn zu fangen.

Die Bäuerin stand unter der Tanne, um die Rückkehr ihrer Leute zu erwarten. Sie that natürlich, als ob sie gar nicht wisse, was geschehen sei, doch große Neugierde fühlte sie, es zu erfahren.

»Nun?« fragte sie bereits aus der Ferne, »wer war es denn?«

»Ganz so wie ichs mir denkt hab, nämlich dera Graf,« antwortete der Sepp.

»Der Graf! Und warum hat er um Hilfe gerufen?«

»Weil er fangen worden ist, fangen und an einen Baum bunden.«

»Das ist doch gar nicht möglich! Von wem denn?«

»Vom Samiel. Du hast also Deine Wette gewonnen, Kronenbäuerin.«

»Das glaub ich halt nicht.«

»Frag diese Leutln hier!«

»Ists denn auch wahr?« wendete sie sich an dieselben.

»Ja freilich,« antwortete ein Tagelöhner. »Dera Sepp hat die Wahrheiten sagt.«

»Das ist doch gar nicht zu begreifen! So zeitig am Abende! Da wird der Samiel also immer frecher.«

»Ja. Es wird bald Zeit, daß ihm das Handwerk legt wird. Er treibts halt von Tag zu Tag ärger.«

»Vielleicht gelingt es, ihn heut zu ergreifen.«

»Heut nicht, aberst bald.«

»Denkst? Hast vielleicht einen Grund zu dieser Vermuthungen?«

»Ja. Daß er heut nicht derwischt wird, das versteht sich ganz von selberst. Er wird sich natürlich aus dem Staub macht haben, denn er hat heut einen solchen Raub macht, daß er vorläufig genug haben kann.«

»Und warum denkst, daß er bald ergriffen werden mag?«

»Hm! Ich selbst werd ihn fangen.«

»Du? Bist etwa auch Einer von dera Polizeien? Vielleicht so ein heimlicher?«

»Ja.«


// 1919 //

Er sagte das in einem Tone, daß man diese Antwort leicht für einen Scherz nehmen konnte. Das that auch die Bäuerin, denn sie antwortete:

»Ja, das hab ich mir immer denkt. Du hast ganz das Aussehen von einem Gerichtsamtmann oder gar von einem Polizeiministern.«

»Das glaub ich schon, denn womit man halt umigeht, das hängt Einem an.«

»So hast wohl den Samiel entdeckt?«

»Freilich.«

»Wann hast ihn denn entdeckt?«

»Schon vor längerer Zeit.«

»Und da nimmst ihn nicht fangen, sondern lässest ihn weiter machen?«

»Ja. Das ist aberst nur so eine feine und kluge Polizeifinessen von mir. Ich will ihn sogleich auf frischer That ertappen. Bis mir dieses gelingt, muß ich natürlich warten.«

»Ach so! Ja, Du bist wirklich ein Schlauer. Sogar dera Samiel hat sich vor Dir in Acht zu nehmen. Vielleicht fangst da auch gleich seine ganze Bande mit!«

»Natürlich! Das will ich ja.«

»Du mußt aberst nachforschen, wer dazu gehörten thut, Sepp!«

»Das hab ich freilich allbereits than.«

»Alle, Alle mit nander!« rief die Bäuerin, vor ironischer Verwunderung die Hände zusammenschlagend. Und in kaum unterdrücktem Hohne fuhr sie fort:

»Da kannst gar noch ein berühmter Mann werden. Vielleicht erhältst einen Orden und eine hohe Belohnungen vom König!«

»Einen Orden mag ich nicht, und ein Geldl brauch ich nicht. Wann ich den Samielen fang, so hab ichs halt nur than, um mir selbst eine Freuden zu machen. Aberst mit dem König, da hast wirklich Recht. Er wird wohl vielleichten gar mit dabei sein, wann ich den Samiel dergreifen thu.«

»Dera König! Meinst wohl Einen, welcher König heißt?

 »Nein, sondern den richtigen, welcher König ist.«

»Unsern Herrn Ludwigen?«

»Ja.«

»Sepp, Sepp! Was bist für ein berühmter Kerlen, daßt Dir gar auch den König kommen lassen kannst, wannst ihn brauchst!«

»Das ist weiter nix. Ich und dera König, wir sind zwei so gute Bekannten, daß er gern kommt, wann ichs ihm wissen laß, daß ich ihn bei mir haben will.«

»So kann ichs mir allbereits denken, was es für ein Aufsehen im Land erregen wird, wann es heißen thut: Dera Wurzelsepp und unser König Ludwigen, diese Beiden haben mit nander den Samiel fangen.«

»Ja, so wird es heißen, ganz genau so. Wann dera König Zeit habt hätt, so hätt ich den Samiel bereits schon ergriffen.«

»Und seine Bande auch mit. Er muß gar viele Leut haben. Nicht?«

»Ja.«

»Hast sie zählt?«


// 1920 //

»Schon längst.«

»Wie viele sinds?«

»Grad hundert.«

»Himmelsakra! Gar so viele?«

»Freilich!«

»Das ist kaum zu glauben.«

»O, ich werd Dir schon noch beweisen, daß ich Recht hab. Du sollst diese Hundert zu sehen bekommen.«

»Wirst sie mir zeigen?«

»Ich werd es so einrichten, daßt sie zu sehen bekommst, und dann wirst staunen, wie genau ich Alles wußt hab.«

»Aber hundert! Das kann man sich kaum denken.«

»O doch! Die beiden Nullen haben doch nix dabei zu bedeuten.«

»Wie meinst das?«

»Wannst mich jetzunder nicht verstehst, so wirsts nachhero begreifen.«

»Und wo wohnt denn dera Samiel? Das mußt doch auch wissen!«

»Natürlich weiß ich es, und zwar ganz genau. Er wohnt in Kronsdorf.«

»Kronsdorf? Das kenn ich doch gar nicht.«

»Bist noch nicht dort west? Sollt mich gar sehr wundern. Es ist ein allbekannter Ort.«

»Ich hab noch nix davon hört. Was ist er denn, dera Samiel?«

»Räuber ist er.«

»Geh, Sepp! Das weiß man ja. Aberst er muß ja einen Stand haben; er muß einen Beruf treiben.«

»Das thut er schon; aberst Du fragst mich zu viel. Du kannst Dir natürlich denken, daß ich nicht alle meine Geheimnissen so ausplaudern darf.«

»Da hast Recht. So ein Mann wie Du, der es gar mit dem Samielen aufnehmen will, der muß fein verschwiegen sein.«

»Freilich. So, wie dera Graf darf man es nicht machen. Der sagt ganz öffentlich, was er vorhat. Wann man das thut, muß man gewärtig sein, daß dera Samiel mit dabei sitzt und Alles hört. Nachhero ists auch kein Wunder, wann der Graf fangen wird, anstatt dera Samiel.«

»Dieser Ansicht bin ich auch west, und darum hab ich die Wette mit macht.«

»Und nun hast sie schon gewonnen. Du bist ein Glückskind, Bäuerin. Ich möcht nicht an Deiner Stellen sein.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Weil es mir immer unheimlich wird, wann Einer gar ein zu großes Glück hat. Gewöhnlich brichts dann mal ganz plötzlich zusammen.«

»Was sollt bei dera Kronenbäuerin zusammenbrechen!«

»Hast Recht. Dera Kronenhof ist ein gar festes Gebäuden, den kann Dir Niemand einreißen. Nimm Dich nur in Acht, daß Dir dera Samiel nicht mal hinein geräth.«


Ende der achtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Impressum Datenschutz