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KARL MAY


Das Otto-Victor-Fragment



Der Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen stand am geöffneten Fenster, die lange, holländische Thonpfeife in der Hand, und hüllte sich in ein wahres Gebirge von undurchdringlichen Tabakswolken. An der Thür lehnte Heinrich, sein - - - 

   »Halt,« ruft hier gar mancher unsrer Leser, welcher entweder den alten Herrn persönlich gekannt oder wenigstens von ihm gehört hat, erfreut aus, »das ist ja unser alter, guter Knaster mit seinem Confusionsheinrich! Wenn da der Studentenkarl und das Wiannerlinchen noch dazukommen, so giebt das ganz gewiß eine jener sonderbaren und possierlichen Geschichten, wie sie auf, in und um Wildauen so oft passirt sind, als der selige Herr noch lebte. Paßt auf, denn so Etwas bekommt man nicht immer zu hören!«

   Errathen! Aber wer da weiß, daß unsre Geschichte der Wirklichkeit angehört, der wird hiermit gebeten, ja nicht aus der Schule zu plaudern. Die Klage, daß die Alles nivellirende Zeit keine Originale mehr dulde, ist keineswegs eine vollständig berechtigte, und wenn hiermit zu dieser Behauptung der Beweis geliefert werden soll, so ist es doch keineswegs nothwendig, Personen und Verhältnisse indiscret mit ihrem eigentlichen Namen zu bezeichnen.

   Also, der Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen stand am geöffneten Fenster, die lange, holländische Thonpfeife in der Hand, und hüllte sich in ein wahres Gebirge von undurchdringlichen Tabakswolken. An der Thür lehnte Heinrich, sein Leibdiener, und zwar in der bequemsten Haltung von der Welt. Nicht etwa, daß es ihm an dem nöthigen Respecte gefehlt hätte, o nein, ganz das Gegentheil, aber man hatte ihm Anno Vierzehn das rechte Bein weggeschossen, und er durfte sich in Folge dessen seinem nachsichtigen Herrn gegenüber schon eine kleine Mesattitude erlauben.

   »Heinz!« ertönte es nach langem Schweigen aus den Wolkenmassen heraus.

   »Was denn, Dorchlaucht?«

   »Klingle einmal der Jungfer Adelinchen!«

   »In wiefern denn, Dorchlaucht?«

   »Sie soll die blauen Zimmer in Stand setzen.«

   »Worauf denn, Dorchlaucht?«


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   »Ich erwarte Besuch.«

   »Besuch? Wovon denn, Dorchlaucht?«

   »Das werde ich Dir nachher erklären. Klingle nur!«

   Der Diener richtete einen Blick auf die Wolken, in welchem sich sehr deutlich das Bedenken aussprach, zu klingeln, ehe er vollständig über den erwähnten Besuch unterrichtet sei. Da sich aber trotz seines Zögerns nichts Weiteres vernehmen ließ, so griff er nach dem Glockenzuge. Aber noch ehe er denselben in Bewegung gesetzt hatte, ertönte es von Neuem:

   »Heinz!«

   »Was denn, Dorchlaucht?«

   »Wie viel Uhr ist es?«

   »Ja, die Schwarzwälder ist stehen geblieben. Da hat Jungfer Krakehlinchen wieder einmal das Aufziehen vergessen, und meine geht zwanzig Minuten zu spät. Bei mir ist es grad halb acht.«

   »Da wird es nun bald Zeit! Oder willst Du Dich dieses Mal von der Jungfer ausstechen lassen?«

   »Wogegen denn, Dorchlaucht?«

   »Du weißt es wohl gar nicht?«

   »Was denn, Dorchlaucht?«

   »Von wegen heut!«

   »Von wegen heut?« Er zog bei dieser Frage sein breites, ehrliches Gesicht in eine so schauderhaft nachdenkliche Miene, als müsse er binnen jetzt und fünf Minuten bei Todesstrafe das Perpetuum mobile erfinden; dann rieb er sich mit einem verzweiflungsvollen Grinsen die Nase und frug: »Wofern denn von wegen heut, Dorchlaucht?«

   »Heinz, Du bist ein Esel!«

   »Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich nicht! Sowohl ich ein Esel wäre, brauche ich mir das von Niemandem sagen zu lassen, von keinem Menschen nicht, Dorchlaucht, damit ich ein Kerl bin, dem der Wind auch um die Nase gepfiffen hat! Das war dazumal Anno Vierzehn, als Sie mit mir in Frankreich standen, und wir lagen bei einer jungen Wittwe, die theils ganz verteufelt hübsch war, sondern auch ein Auge auf mich geworfen hatte. Eines Tages stehe ich an der Hausthür und putze mein Lederzeug; ich hatte mein Bein noch und war ein Bursche, der sich sehen lassen konnte; da kommt plötzlich ein ­ - - «

   »Heinz!« unterbrach ihn hier der Prinz, welcher unterdessen eine von den gestopften Pfeifen aus dem Kasten genommen und sich dieselbe angesteckt hatte.

   »Was denn, Dorchlaucht?«

   »Fällt Dir wirklich gar nichts ein, von wegen heut?«

   »Auf wen denn, Dorchlaucht?«


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   »Heinz, Du bist wahrhaftig ein Esel!«

   »Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich ja nicht! Unterdessen bin ich Ihnen seit vielen Jahren ein treuer Diener gewesen, gleichwohl ich auch mit Ihnen habe zufrieden sein können, zumal sich Unsereiner nicht schimpfen zu lassen braucht. Wer dagegen für das Vaterland zuweilen ein Bein verloren hat und nämlich aus diesem Grunde immer große Stücke auf Sie gehalten hat, Dorchlaucht, so sehe ich nicht ein, wiewohl ich ein Esel genannt werden soll! Deswegen bin ich, schon ehe ich Sie gekannt habe, niemals ein Freund von - - - «

   »Gut,« fiel ihm der Prinz in die unvergleichliche Rede, »so klingle also der Jungfer!«

   Kaum war die Glocke erschollen, so öffnete sich die Thür und die Gerufene rauschte herein. Sie hätte unmöglich so schnell erscheinen können, wenn sie von ihrer Ungeduld nicht schon längst in das Vorzimmer getrieben worden wäre. In der einen Hand trug sie einen riesigen Blumenstrauß und in der andern eine noch monströsere Papierdüte.

   »Ist Er auch schon da?« raunte sie dem Diener zu, indem sie ihm mit dem ausgespreizten Ellbogen einen Rippenstoß applicirte, der ihn fast aus der Balance gebracht hätte. »Erfreut sich wohl, mich wieder ausgestochen zu haben?« Dann bewegte sie sich mit wehendem Morgenrocke und fliegenden Haubenbändern auf den Prinzen zu, pflanzte ihre kugelrunde Figur in die möglichste Nähe des Qualmgebirges auf und frug mit spitzem Tone: »Hat etwa Der dort schon gratulirt, gnädiger Herr?«

   Kaum war das Wort gesprochen, so ertönte hinter ihr das eilige Stampfen des Stelzfußes, sie fühlte sich gepackt und bei Seite geschoben, und hastig ertönte es:

   »Dorchlaucht, jetzt weiß ich es, was es ist von wegen heut! Dessen ungeuchtet gratulire ich also zum Geburtstage und wünsche Ihnen, daß ich ihn noch oft bei Ihrem Wohlbefinden erleben möge. Ich weiß noch ganz genau von Ihrem


*


Die beiden handschriftlichen Seiten des ›Otto-Victor‹-Fragments wurden geringfügig verkleinert. Dadurch war es möglich, den gesamten Text auf den folgenden vier Jahrbuch-Seiten wiederzugeben. Allerdings mußte dabei auf die »- 1 -« über dem Text-Beginn verzichtet werden. Außerdem waren die vier ersten Zeilen der 2. Manuskript-Seite der ersten Seite zuzuschlagen, die im Original mit folgender Zeile endet: »und meine geht zwanzig Minuten zu spät. Bei mir ist es grad halb acht.«


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(Hier endet der Handschriften-Text am unteren Rand der Blatt-Rückseite)



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