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RENÉ WAGNER

70 Jahre Karl-May-Museum



Sehr geehrter Herr Staatsminister,1 meine Damen, meine Herren, liebe Gäste und Freunde,

   gestatten Sie mir hier, es bei dieser Begrüßung zu belassen, der Vorsitzende der Karl-May-Stiftung, Herr Dr. Volkmar Kunze, hat vor wenigen Minuten die Einzelbegrüßung vorgenommen; alle hier Anwesenden sind herzlich willkommen, und es verbindet Sie mit dem Karl-May-Museum eine von ganzem Herzen kommende Bindung, sonst wären Sie unserer Einladung zum heutigen Abend nicht gefolgt. Gleichzeitig ist Ihre Anwesenheit eine Wertschätzung für die Arbeit der Leitung und Mitarbeiter des Karl-May-Museums.

   Daß Karl May lebt, zeigten uns vor wenigen Minuten die Freunde der Spielgemeinschaft ›Gojko Mitic‹, Bischofswerda, mittlerweile mindestens die Ururenkel Old Shatterhands, von denen die meisten noch nicht einmal fünfzehn Lenze zählen.

   In wenigen Tagen, am 1. Dezember 1998, begeht das Karl-May-Museum sein 70. Gründungsjubiläum. Mit dem Namensträger Karl May verbinden sich für Millionen von Lesern in aller Welt unvergessene Kindheits- und Jugenderinnerungen. Karl May hat mit seinem Werk seine sächsische Heimat, insbesondere Radebeul und Hohenstein-Ernstthal, weit über die Grenzen Deutschlands bekanntgemacht, und mehr als sieben Millionen Menschen nutzten bislang die Gelegenheit, dieses in Europa einzigartige Museum mit seinen Ausstellungsteilen ›Indianer Nordamerikas‹ und ›Karl May - Leben und Werk‹ zu besuchen.

   Wir wissen sehr wohl, daß 70 Jahre keineswegs einen typischen Anlaß zum Feiern darstellen. Die Besonderheit dieses 70. Jubiläums ist, daß anläßlich des Abschlusses dieser Dekade erstmals nach der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes die Möglichkeit besteht und der Versuch unternommen wird, die Entwicklung des Karl-May-Museums von einem kleinen, eher provinziellen Museum zu einer international anerkannten und bekannten Museums- und Forschungsstätte im Wandel der Zeiten unter Berücksichtigung des jeweiligen historischen Kontextes darzustellen. Geschichte schreiben, das leisten wir täglich, Geschichte aufschreiben, das müssen und werden wir in den nächsten Jahren noch leisten. Dabei müssen wir bedenken, daß Geschichte, all das, was wir für wichtig hielten und was viel Arbeit, Kraft und Schweiß kostete, sich in der Betrachtung nach Jahrzehnten oftmals bis zur Fußnote verkürzt.


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Als am 1. Dezember 1928 das Blockhaus ›Villa Bärenfett‹als Karl-May-Museum seine Pforten öffnete, wurde die Stadt Radebeul bei Dresden um eine Sehenswürdigkeit und Attraktion reicher. Die inzwischen weltbekannte Ausstellung über die Indianer Nordamerikas war seinerzeit eine kleine Sensation.

   Wie bei den meisten historischen Gegebenheiten symbolisiert ein Datum den Beginn oder den Abschluß einer Entwicklung - die Geschichte des Karl-May-Museums, speziell seiner indianischen Sammlungsgegenstände, beginnt nicht mit jenem Dezembertag 1928, sondern setzt wesentlich früher ein. Karl May stattete sein Wohnhaus, die ›Villa Shatterhand‹, die er 1895 bezog, mit vielerlei exotischen ›Reiseandenken‹, Waffen und Jagdtrophäen aus, ein buntes, ungeordnetes Sammelsurium. Einiges davon besaß damals schon musealen Wert. Objekte aus dem Kultur- und Lebenskreis der nordamerikanischen Indianer befanden sich allerdings wenige darunter, wie zeitgenössische Abbildungen beweisen. Dazu zählen eine Halskette aus den Zähnen und Krallen des Grizzly, eine Zeremonialpfeife und ein Medizinbeutel. Einige Besucher der ›Villa Shatterhand‹ haben ihre Eindrücke in zeitgenössischen Presseberichten verewigt. »Schon das Vestibül bildete ein kleines Museum von Sehenswürdigkeiten aus aller Herren Länder«, wußte der Reiseschriftsteller Franz Sättler zu erzählen, der Karl May im Juli 1906 aufsuchte: »Ich sah hier kostbare Waffen, ein orientalisches Reitgeschirr, einen Mexikanischen Lasso, Vorhänge mit gold- und silbergewirkten Inschriften, einen mohammedanischen Rosenkranz mit sämtlichen Beinamen Allahs (...).«2 Im gegenüberliegenden Obstgarten hatte Klara May (1864-1944) ein Gartenhaus in ein ›Orientzelt‹ verwandelt. Aber auch hier entdeckte Sättler - im Jahre 1906 - lediglich kunsthandwerkliche und museale Gegenstände aus dem Vorderen Orient, Souvenirs der Orientreise Karl Mays der Jahre 1899/1900. Dieses von Klara May gehegte ›Orientzelt‹ ist die Keimzelle des späteren Karl-May-Museums gewesen. Seine 1908 unternommene Nordamerikareise gab May die Möglichkeit, weitere indianische Kultur- und Gebrauchsgegenstände zu erwerben. Gleich nach der Heimkehr (Anfang Dezember 1908) sorgte er für eine geeignete Unterbringung und Präsentation der neuerworbenen indianischen Gegenstände.

   Der Schriftsteller verstarb am 30.März 1912. Bis ins Gründungsjahr der Karl-May-Stiftung, 1913, geht der Gedanke zurück, ihm zu Ehren ein Museum einzurichten. Das ist aus der Korrespondenz Klara Mays und des Leiters des ebenfalls 1913 gegründeten Karl-May-Verlages Radebeul, Dr. Euchar Albrecht Schmid (1884-1951), mit Ministerialdirektor Dr. Erich Wulffen (1862-1936) zu entnehmen. Zu diesem Zweck sollten Räumlichkeiten der ›Villa Shatterhand‹ museal ausgestattet werden. Ein glücklicher Umstand sollte die Pläne befördern. Der weitgereiste Wiener Artist Patty Frank (eigentl. Ernst Tobis) (1876-1959) bot seine umfangreiche Sammlung zur Kultur und Lebensweise der nordamerikanischen Indianer zum Kauf an. Während der wissenschaftliche Vorlauf für das zukünftige India-


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ner-Museum in Radebeul durch den Ethnologen Hermann Dengler (1890-1945) und Patty Frank beizeiten erarbeitet wurde, ließ die praktische Umsetzung auf sich warten. Das betraf sowohl das Blockhaus als auch den gesonderten Ausstellungsraum. Über beide Standorte gab es lange Zeit auseinandergehende Meinungen. Frau May favorisierte - Juni / Juli 1925 - den auf der anderen Seite der Straße liegenden ehemaligen Obstgarten. »Was das Blockhaus anbelangt«, äußerte sich Patty Frank im August 1925, »so komme ich langsam zu der Überzeugung, daß man wohl das Blockhaus mit dem Museum verbinden müßte, denn in der Villa ist unmöglich Platz dafür. Das war ja schon 'mal Frau Mays Idee. Dann wäre es am besten, man baut alles zusammen auf dem Grundstück Vis à Vis«.3 Nach einer Reihe von Diskussionen über Standort und Aussehen des Blockhauses wurde der Entwurf des Architekten Czopka gebilligt und das Blockhaus im Garten der ›Villa Shatterhand‹ gebaut. Mit Zustimmung der Karl-May-Stiftung wurde der Vertrag zwischen Klara May und Patty Frank bereits am 30. Januar 1926 besiegelt. Er sah die Übereignung von Franks Sammlungen mit ca. 450 indianischen Gegenständen im Schätzwert von 30.000 RM an Frau May vor. Als Gegenleistung verpflichtete sie sich, für Patty Frank dieses Blockhaus zu errichten und ihm darin lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht einzuräumen. Außerdem erhielt Frank auf Lebenszeit eine Rente von monatlich 300 Goldmark zugesichert. Im November 1926 konnte Patty Frank seine neue Heimstatt beziehen.

   Am 26. Januar 1926 schloß Klara May einen weiteren Erbvertrag ab, der im Zusammenhang mit dem Erwerb der Sammlung Patty Franks zu sehen ist. Darin setzte sie die Karl-May-Stiftung, die nach Klara Mays Ableben die Villa und das Blockhaus samt Inventar und Sammlung übereignet bekommen würde, auch zum Erben ihres persönlichen Vermögens ein. Sie verband damit die Auflage, »die Villa ›Shatterhand‹ und die dazu gehörigen Liegenschaften und Sammlungen im Sinne von Karl Mays literarischen Schöpfungen zu einem Karl-May-Museum (...) auszubauen«.4

   Nachdem Patty Frank das noch namenlose Blockhaus bezogen hatte, dauerte es noch gute zwei Jahre, ehe am 1. Dezember 1928 aus diesem Blockhaus das Karl-May-Museum in der ›Villa Bärenfett‹ wurde. Schon bevor das Museum eröffnet wurde, begrüßte Patty Frank am 17. Januar 1928, zwei Tage vor seinem 52. Geburtstag, in seinem Blockhaus Sioux-Indianer des Zirkus Sarrasani. Unter den Gästen befanden sich neben Klara May der Dresdner Generalkonsul der Vereinigten Staaten, Arminus T. Haeberle, der Zirkusdirektor Hans Stosch-Sarrasani (1873-1934) und Euchar Albrecht Schmid als Leiter des Karl-May-Verlages. Bei aller Begeisterung ließ sich eines nicht übersehen: das neue Museum war keinesfalls eine Gedenkstätte für seinen Namensträger. Das Karl-May-Museum des Jahres 1928, das die ›Villa Shatterhand‹ nicht mit einbezog, zeigte keine literarisch-biographische, sondern eine rein völkerkundliche Ausstellung.

   Einer, der sinnbildlich an der Wiege dieses Museums als 14jähriger stand,


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ist heute unserer Einladung gefolgt. Johannes Hüttner, Freund von Patty Frank, ist mittlerweile selbst zur Legende geworden, steht er doch für einen Menschen, der sein Freizeitleben den Indianern Nordamerikas gewidmet hat, und für den sprichwörtlichen Pioniergeist, der in den 50er Jahren notwendig war, den ersten Indianerclub in der DDR zu gründen und damit für über 40 Clubs und mehrere Tausend Indianerfreunde in Folge den Weg zu ebnen. Die meisten dieser Clubs sind dem Karl-May-Museum seit Jahrzehnten in Freundschaft verbunden, unter unseren Gästen sind heute Vertreter der Clubs aus Radebeul, Röderau, Weinböhla und Meißen. Sie sind aus dem Veranstaltungsprogramm des Museums nicht mehr wegzudenken.

   Zurück zum Geschichtsablauf. Nach Klara Mays Nordamerikareise 1930 und wegen umfangreicher Neuerwerbungen reichte der vorhandene Museumsraum nicht mehr aus,Erweiterungen wurden angedacht und 1936/37 realisiert. Das Diorama ›Heimkehr von der Schlacht‹ und das Gemälde ›Indianerschlacht am Little Big Horn‹ von Elk (eigentl. Emil) Eber (1892-1941) und weitere künstlerisch wertvolle Indianerfiguren von Elk Eber und Vittorio Güttner (1869-1937) bereicherten die Ausstellungspräsentation. Diese Verbesserungen konnten den Kenner nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich das Karl-May-Museum von der ethnologisch einheitlichen, museologisch orientierten Konzeption Hermann Denglers (1890 - 1945) immer weiter entfernte.

   Nach dem Tod von Klara May (31. 12. 1944) fiel testamentarisch der gesamte Nachlaß von Karl und Klara May an die Karl-May-Stiftung. Das Karl-May-Museum hatte Glück, der zweite Weltkrieg und die sowjetische Besetzung führten im Museumsbereich zu keinen nennenswerten Verlusten. In die Tage des Untergangs des ›Dritten Reiches‹ und der sowjetrussischen Besetzung fallen Begebenheiten, in denen junge Menschen das Museum mit den ihnen zur Verfügung stehenden bescheidenen Mitteln - oft hatten sie nur ihre Zivilcourage - vor Übergriffen und Zerstörung bewahrten und Patty Frank ihre Hilfe anboten. Frau Ursula Beyrich, heute in Frankfurt am Main lebend, setzte sich als Dolmetscherin bei der Sowjetischen Kommandantur für die Belange der deutschen Bürger und auch für das Karl-May-Museum ein. Bis Anfang 1946 wohnte sie mit ihrem Mann in der ›Villa Shatterhand‹. Carl-Heinz Dömken wollte mit Patty das Museum retten, erlebte aber statt dessen die Zerstörung Dresdens. Auch Heinz Richter, den seine Freunde unter dem Spitznamen ›Aladin‹ kennen, und Horst Matthey seien in diesem Zusammenhang genannt. Allen vier ist gemeinsam, daß sie die SBZ bzw. DDR unter Zwang verlassen haben, zum Teil qualvolle Jahre in Haft verbrachten und ihre mit kindlich-jugendlicher Liebe gesammelten Karl-May-Kleinodien, wie Bücher, Büsten und anderes, zurücklassen mußten. Auch das ist ein Stück unserer Geschichte, eher am Rande, aber es sollte nicht vergessen sein.

   Das Leben normalisierte sich über die folgenden Jahre, das Karl-May-


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Museum konnte seine Besucherzahlen von 4.900 im Jahre 1945 auf 58.572 im Jahre 1957 steigern. 1956 erschien achtundzwanzig Jahre nach dem Museumsführer von Hermann Dengler wieder eine Broschüre zur Ausstellung in der ›Villa Bärenfett‹.5 An diesen Fakten konnte die Kulturpolitik der DDR nicht vorbei, die Diskussionen ›Für und wider Karl May‹ konnten nicht unterdrückt werden. Leider setzte sich Ende der 50er Jahre die Karl-May-feindliche Linie in der SED und in den Ministerien zunehmend durch, und es kam zu für das Museum folgenschweren Entscheidungen. Die Umbenennung des Karl-May-Museums in ›Indianermuseum der Karl-May-Stiftung‹ im Jahr 1956 war für Patty Frank und alle Karl-May-Freunde ein schwerer Schlag, deutete sie doch an, daß Karl May für viele Jahre in der DDR trotz seiner allgemeinen Beliebtheit von den Regierenden zur Unperson gestempelt wurde.

   Nach Patty Franks Tod (23. 8. 1959) wurde im April 1960, geschuldet einer ignoranten ›Kulturpolitik‹, ein Vertrag zur Trennung von Karl-May-Stiftung und Karl-May-Verlag geschlossen, in dessen Folge große Teile des Nachlasses Karl und Klara Mays, unter anderem die Bibliothek, das ›Sascha-Schneider-Zimmer‹, und das Arbeitszimmer und der schriftliche Nachlaß von Karl und Klara May, in ein mehr als 34jähriges Exil in den Karl-May-Verlag nach Bamberg verbracht wurden. Damit war eine Karl-May-Ausstellung zur Würdigung des Schriftstellers für Jahrzehnte verhindert bzw. entscheidend behindert worden. Die Liebe der großen Leserschar zu ihrem Karl May konnte aber nicht gebrochen werden. Viele Anwesende erinnern sich sicher noch gut an die Freude, die wir empfanden, als am 31. Oktober 1994 nach einem opferreichen Rückkauf diese Kleinodien, allerdings ohne den schriftlichen Nachlaß von Karl und Klara May, in die ›Villa Shatterhand‹ zurückkehrten. Hier in diesem Saal haben wir am 30. März 1995 dieses für alle Karl-May-Freunde wichtige Ereignis gebührend gefeiert.

   Nach einem Interregnum von nahezu zwei Jahren6 übernahm Paul Siebert (geb. 1921) die Leitung des Museums, und das Staatliche Museum für Völkerkunde in Dresden führte unter der sachkundigen Leitung von Dr. Peter Neumann (1928-1989) mit einer neuen Gestaltung die Sammlung wieder auf die wissenschaftlichen Grundlagen der Ausstellungskonzeption von Hermann Dengler zurück.

   Am 1. Mai 1962 wurde die neue von Dr. Neumann erarbeitete Ausstellungsgestaltung im Blockhaus ›Villa Bärenfett‹ vorgestellt. Diese Ausstellungskonzeption wurde bei nachfolgenden Modernisierungs- und Rekonstruktionsmaßnahmen der ethnologischen Schauräume prinzipiell beibehalten. Unter der Leitung von Paul Siebert entwickelte sich das Museum zu einer international anerkannten Einrichtung, die sich einen festen Platz in der vielseitigen Kultur- und Museumslandschaft im Umfeld von Dresden erarbeitete. Hier fanden nicht nur Wissenschaftler aus aller Welt in Paul Siebert einen Ansprechpartner, auch die zahlreichen Indianerhobbyisten fanden freundschaftliches Entgegenkommen, Rat und manche wichtigen


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Hinweise auf erschienene Literatur und Trends in der Hobbyistenwelt. Paul Siebert gelang es, die Popularität des Karl-May-Museums im In- und Ausland, vor allem in der `īCSSR, so zu entwickeln, daß mehr als 100.000 Besucher pro Jahr ab den 70er Jahren üblich waren. Ein Vierteljahrhundert prägte Paul Siebert mit seiner Familie, vor allem mit seiner Frau Gerda, seinem Sohn Heinz und seiner Schwiegertochter Anita, die erfolgreiche Geschichte des Museums. Äußere Zeichen sind die beiden imitierten Totempfähle, die vor der ›Villa Bärenfett‹ stehen. In diesen Jahren wurden in und an der ›Villa Bärenfett‹ im wesentlichen die räumlichen An- und Umbauten vorgenommen, wie wir sie heute vorfinden.

   Mit der Gründung des ›Nationalen Rates der DDR zur Pflege und Verbreitung des deutschen Kulturerbes‹, 1979, an dem auch namhafte Künstler und kirchliche Kreise teilnahmen, gab es vorsichtige Veränderungen bei der Bewertung historischer Persönlichkeiten von Martin Luther, Friedrich dem Großen, Otto von Bismarck bis Karl May. So wurde für Außenstehende nahezu unmerklich eine positive Hinwendung zu Karl May vollzogen, indem seine humanistischen Aussagen in den Mittelpunkt gestellt, gleichzeitig aber die seit Mitte 1982 wieder erscheinenden Bücher in ihren christlichen Inhalten beschnitten wurden. Das Museum wurde buchstäblich über Nacht im Februar 1984 wieder das Karl-May-Museum. Ein Jahr später, der mit für die sonstigen DDR-Verhältnisse untypischer Schnelligkeit und großem wirtschaftlichen Aufwand - diese Aufgabe wurde mit der Prioritätsstufe ›LVO‹ (Landesverteidigungsordnung) unter persönlicher Kontrolle von Egon Krenz durchgeführt -, stellte sich nunmehr die Ausstellung ›Indianer Nordamerikas‹ in der ›Villa Bärenfett‹ modern und besucherfreundlich vor. In der ›Villa Shatterhand‹, dem Wohnhaus des Schriftstellers, wurde seit dem 9. Februar 1985 die lange vermißte biographisch-literarische Exposition ›Karl May - Leben und Werk‹ mit Hilfe von Leihgaben und den spärlichen Teilen Mayschen Mobiliars, die nicht nach Bamberg verbracht wurden, gezeigt. Bei allen Unzulänglichkeiten - für alle Karl-May-Freunde war es ein Sieg, und die Freude war groß, Tagesrekorde an Besuchern und stundenlange Wartezeiten beim Einlaß waren nicht selten. Mit 4.005 Besuchern am 26. Februar und 4.408 am 7. August wurden bislang unübertroffene Rekordmarken gesetzt, die wir heute wie einen Traum empfinden; damals waren es eher Alpträume, denn die räumlichen und baulichen Verhältnisse waren im gesamten Museum niemals auf solche Größenordnungen ausgelegt: In den folgenden vier Jahren zog mehr als eine Million Besucher durch die Räume. Mit den Höhepunkten des Jahres 1985 ging, bedingt durch Krankheit, die aktive Tätigkeit von Paul Siebert zu Ende. In der Zeit bis zur Pensionierung und danach stellte er seine Erfahrungen und Kraft dem Museum und dem neuen Direktor zur Verfügung. Dafür bin ich Paul Siebert dankbar, übergab er doch eine Einrichtung, die er zu einem ernst zu nehmenden Museum entwickelte, in jüngere Hände.

   Mit dem Jahr 1987 änderte sich nicht nur das äußere Erscheinungsbild


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des Karl-May-Museums, indem es mit dem von dem Grafiker Klaus Schmidt entwickelten Logo, welches mittlerweile in vielen Ländern der Welt als Markenzeichen geschützt ist, auftrat. 1987 begann die eigenständige wissenschaftliche Forschungstätigkeit des Karl-May-Museums, aus der eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen entstand. Dr. Klaus Hoffmann wurde Wissenschaftlicher Leiter des Karl-May-Museums, da er zu den Wegbereitern der modernen Karl-May-Forschung gehört. Seine Spezialkenntnisse und Forschungsleistungen brachte er für die Ausstellungs- und Publikationstätigkeit des Karl-May-Museums in großem Maße ein. Darüber hinaus erwarb sich Dr. Klaus Hoffmann einen international guten Namen als Autor und Herausgeber wichtiger Karl-May-Literatur und Verfasser von historischen Biographien und Sachbüchern.

   Im Frühjahr 1987, etwa zum Zeitpunkt des 75. Todestages Karl Mays, deuteten sich Lockerungen in den Möglichkeiten der Kultureinrichtungen zur Zusammenarbeit mit Institutionen in westlichen Staaten an. Die Einreise der Vorstandsmitglieder der Karl-May-Gesellschaft, Erich Heinemann und Erwin Müller, wurde möglich. Das Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR warf seine Lichtblicke voraus und machte die Teilnahme von Karl-May-Stiftung / Karl-May-Museum am 9. Internationalen Kongreß der Karl-May-Gesellschaft in Wien, 1987, möglich. Damit betraten die Karl-May-Stiftung und ihr Museum erstmals nach Jahrzehnten wieder internationales Parkett. Die Absprachen, die in Wien zwischen dem Vorstand der Karl-May-Gesellschaft und der Gruppe aus der DDR getroffen wurden, erleichterten wesentlich die Arbeit, Bekanntschaften wurden vertieft und wirken bis in die heutigen Tage. Das heißt nicht, daß die Verfahrensweisen einfacher wurden, die Kapriolen der in der DDR geltenden Gesetze und Regelungen waren allgegenwärtig spürbar.

   Eine kleine Episode soll das Gesagte illustrieren: Familie Käufl aus Marbach schrieb dem Karl-May-Museum, daß sie ihm einen vierseitigen Originalbrief Karl Mays schenken und in Radebeul übergeben wollte. Zu diesem Zeitpunkt besaß das Karl-May-Museum außer einem kleinen Gedicht unter einem Bild kein Autograph, und wir freuten uns über die großzügige Geste der Familie Käufl. Doch an Formalitäten der Einreise drohte alles zu scheitern - eine Hotelunterkunft konnte das Museum nicht zur Verfügung stellen, denn Bürger aus dem ›NSW‹ (nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet), so hieß das seinerzeit, mußten in konvertierbarer Währung die Zimmer bezahlen, auch wenn sie auf Einladung einreisten. Wir hatten keine derartigen Währungen. Nach längerem Hin und Her mit den Behörden erreichte ich, daß sie bei mir privat übernachten durften. Mein Problem war, daß unsere Familie mit zwei Kindern in einer 37 m2 großen Wohnung in einem zum Abbruch vorgesehenen Haus wohnte.

   Ein Jahr später, zum 60. Geburtstag des Museums, lockerten sich die Verhältnisse so, daß es fast selbstverständlich schien, daß wieder zwei Vor-


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standsmitglieder der KMG, Erwin Müller und Walther Ilmer, zu den Festtagen unsere Gäste sein durften. Daß wir unsere Gäste auch an dem kleinen Treffen der eben gegründeten Freundeskreise von Cottbus, Leipzig, Hohenstein-Ernstthal und Radebeul teilnehmen lassen durften, grenzte in der DDR an ein Wunder.

   Diese Ereignisse stellte ich Ihnen in dieser Breite dar, da die Geschichte der sogenannten runden Jubiläen des Museums eher trist zu nennen ist: das 25. - 1953 - wurde nicht gefeiert, auch vom50. - 1978 wurde von offizieller Seite kaum Notiz genommen; die Ablehnung in den Ebenen der SED und des Staates war spürbar. Das klingt wie aus einer fernen fremden Welt - weltfremd war es schon -, aber es liegen nicht einmal ein Dutzend Jahre zwischen dieser gesschilderten Welt und heute.

   Weitere Erleichterungen konnten, dank freundschaftlicher Hilfe der Karl-May-Freunde aus der Bundesrepublik, genutzt werden. Ab Anfang 1989 durften Geschenke, an die keine Bedingungen geknüpft waren, angenommen werden. Das Karl-May-Museum war stolz darauf, mit einem ›Schneider Euro-PC‹, mit 20 MB externer Festplatte und einem Nadeldrucker, einem Geschenk, in das Computerzeitalter überzuwechseln.

   Die politischen Veränderungen nach 1989 erweiterten die Möglichkeiten der Karl-May-Stiftung und des Museums, das Erbe Karl Mays zu verwirklichen. Der Weg in die Marktwirtschaft war chancen- und dornenreich zugleich, und dies in einem atemberaubenden Tempo. Nach der Öffnung der Mauer: das sofortige Arbeiten mit zwei Währungen; die Währungsunion und damit das Wegbleiben von einem Drittel unserer Besucher, die bis dahin aus den osteuropäischen Staaten kamen - immerhin reichlich 100.000 Besucher jährlich -; die komplette Änderung aller gesetzlichen Grundlagen, die bei der Leitung einen extremen Nachholstau erzeugte und in ›learning by doing‹, wie man heute ›neudeutsch‹ sagt, bewältigt werden mußte. Dazu kam in den Monaten der Konsolidierung der neuen Verhältnisse eine große Unsicherheit bei den neuen Verwaltungen, so daß einfache Rechtsakte, wie die Beleihung von Liegenschaften, abenteuerlich abliefen. Manchmal hing der Fortgang des Museumsbetriebes an weniger als einem seidenen Faden. Unser Karl-May-Museum konnte aber nicht immer mit Sympathien rechnen, und mit den sächsischen Ministerien oder in einer kritischen Phase sogar mit dem Landtagspräsident Iltgen wurden Wege gesucht und gefunden, anstehende, oft existentielle Probleme zu lösen. Wirtschaftliche Hilfe gab es nicht nur durch großzügige finanzielle Zuwendungen, z. B. der Peter-Dussmann-Stiftung, München, oder der Hermann-Gutmann-Stiftung, Nürnberg, sondern auch durch geduldige Wissensvermittlung, wie sie durch den Lionsfreund Herrn Peter Grübner der Leitung zuteil wurde.

   Neun Sonderaustellungen im eigenen Haus und über 40 Beteiligungen an namhaften Ausstellungen anderer Museen und Einrichtungen des In- und Auslandes seit 1989 zeugen von der Leistungsfähigkeit des Museums und


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seines Teams. Auch die Gästebucheintragungen in den sieben Jahrzehnten sprechen für sich. Deutsche Spitzenpolitiker der jeweiligen Regierungen haben dieses Museum nie besucht, dafür um so mehr Künstler und Schauspieler, Vittorio Güttner, Elk Eber, Gojko Mitic, Rolf Hoppe, Pierre Brice, Marie Versini, Terence Hill u. a.

   Wenn Amerikaner und speziell nordamerikanische Indianer sich zu unserer Präsentation ihrer Kultur im Museum positiv äußern, erfüllt es uns mit Stolz oder wenigstens Genugtuung für unsere Arbeit.

   Nach dem 12. Kongreß der internationalen Karl-May-Gesellschaft 1993 in Dresden bemühte sich die Stiftung offiziell um die Rückführung der nach Bamberg verbrachten einzigartigen Gegenstände. Ermöglicht wurde die Heimkehr durch die Vereinbarung zwischen Herrn Lothar Schmid und der Karl-May-Stiftung vom 26. Juli 1994. Für den Erwerb dieser wertvollen persönlichen Gegenstände des Autors waren insgesamt 3,5 Millionen DM erforderlich. Dieses Geld wurde vom Bund, dem Freistaat, dem Landkreis, der Stadt Radebeul, der Kreissparkasse Dresden und der Stiftung gemeinsam mit privaten Spendern aufgebracht. Beim Sichten der Bücher wurden bisher unbekannte handschriftliche Anmerkungen und Gedichte Karl Mays entdeckt. Von großem wissenschaftlichen Interesse wird eine in Vorbereitung befindliche Dokumentation im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe7 über die Bibliothek Karl Mays sein, die tiefere Einblicke in die Arbeitsweise des Schriftstellers ermöglichen wird. Am 30.März 1995 wurden die originalgetreu restaurierten Räume der ›Villa Shatterhand‹ eröffnet. Damit wurden diese Räume, die gewissermaßen die ›Seele‹ des Museums darstellen, erstmals in der Geschichte des Karl-May-Museums gemeinsam mit großen Teilen der Sascha-Schneider-Kunstsammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Einige Wochen später wurde die Neugestaltung der ›Villa Shatterhand‹ durch die Einrichtung des ›Klara-May-Zimmers‹ abgerundet. Es war unser Bestreben, auch in der ›Villa Bärenfett‹ einen baulichen Zustand zu erreichen, der die Identität des Hauses wieder herstellt und eine Nutzung unter den Verhältnissen der heutigen Zeit zuläßt. Das ›Tiroler-Zimmer‹, wie Pattys Wohnzimmer auch genannt wurde, ist in Anlehnung an den Zustand der 30er Jahre hergerichtet; ausgestattet mit der technischen Infrastruktur der 90er Jahre könnte es ein würdiges Geschäftszimmer der Karl-May-Gesellschaft abgeben. Eine kleine Indianerbibliothek in der ehemaligen Diele, die vor allem deutschsprachige Fachliteratur zu dem Kulturkreis der Indianer Nordamerikas beinhaltet, wird von den Freunden unseres Museums sicher als gute Ergänzung empfunden und angenommen. Der ›von Quitzow-Keller‹ (ehemaliger Zechkeller bzw. Verlies) wird die Möglichkeiten der Gestaltung von geselligen Abenden in Anlehnung an Karl-May-Erzählungen erweitern und den Themenkreis um das Ritterthema vergrößern. Damit sind unter den gegenwärtigen räumlichen Bedingungen die Nutzungserweiterungen der ›Villa Bärenfett‹ abgeschlossen.


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   Diese Umbauten, die oftmals initiiert wurden durch technische Anforderungen, die notwendige Begleiterscheinungen des Rückerwerbs der Karl-May-Gegenstände und der schrittweisen Übernahme der noch im Staatlichen Museum für Völkerkunde Dresden befindlichen ethnologischen Gegenstände, belasteten die Karl-May-Stiftung zusätzlich mit ca. 750.000 DM.

   Auf dem Geburtstagstisch liegt auch eine Biographie von Wolfgang Seifert über Patty Frank, die eine Lücke in der Darstellung der Geschichte des Museums und seines ersten Verwalters, so nannte man Patty, schließt.8 Die freundschaftliche Kooperation mit Herrn Seifert, der uns wichtige historische Fotos zur Verfügung stellte, ermöglichte uns eine detailgetreue Wiederherstellung des ›Tiroler Zimmers‹.

   Nicht verschwiegen werden kann, daß die Karl-May-Stiftung und ihr Museum heute finanzielle Engpässe haben. Deshalb können sie in absehbarer Zeit nicht alle ihre satzungsgemäßen Aufgaben vollständig aus eigener Kraft finanzieren. Mit dieser ehrlichen Einschätzung wird die Leistungsfähigkeit unseres Museums nicht herabgesetzt. Mit mehr als 75 % Deckungsbeitrag zu unseren Gesamtkosten, einschließlich der Investitionen, können wir ein beachtenswertes Ergebnis vorweisen. Um so höher sind die Unterstützung des Kulturraumes ›Kulturraum ELBTAL‹, eine speziell sächsische Gesetzgebung zur Förderung der Kultureinrichtungen im Freistaat Sachsen, und die Unterstützung der Stiftung durch private Spender zu bewerten, die uns helfen, die Defizite auszugleichen. Der Initiative von Dresdner und Radebeuler Firmen ist es zu danken, daß unter dem Leitgedanken ›Für Radebeul‹ die Einrichtung eines ›Karl-May-Förderstipendiums‹ und eines ›Karl-May-Preises‹, mit jeweils 10.000 DM dotiert, Wirklichkeit werden konnte. Die Verleihung des ›Karl-May-Förderstipendiums‹ wird jährlich erfolgen, und der ›Karl-May-Preis‹ wird entsprechend den Möglichkeiten verliehen. Diese Sympathieträger und Sponsoren bemühen sich ebenso wie der 1988 gegründete Freundeskreis unseres Museums um den Erhalt der für Europa bedeutenden Sammlungen im Karl-May-Museum. Das Museum und sein Freundeskreis werden im Jahr 1999 wiederum mit einer Reihe von interessanten Veranstaltungen und Ausstellungen den Erwartungen Rechnung tragen. Mit dem Einstieg in das Internet - die Seiten werden von unserem Freundeskreismitglied Ralf Harder liebevoll betreut - bedient sich das Karl-May-Museum in der Präsentation der Einrichtung und im Vertrieb seiner Souvenirartikel moderner Medien. Karl May - in Sekundenschnelle weltweit präsent: das hätte sich der Mayster nicht träumen lassen.

   Wie überall im Leben ziehen erfüllte Wünsche mindestens ebenso viele neue Wünsche nach sich: die Möglichkeit der Präsentation weiterer Ausstellungsteile, die bislang nur in dem Depot schlummern oder auf Sonderausstellungen gezeigt werden konnten, ein stilechter ›Westernsaloon‹ in Anlehnung an ›Big Nose Kate Saloon‹ in Tombstone und weiteres. Wir


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wären keine würdigen ›Enkel‹ Karl Mays mit seiner grenzenlosen Phantasie, wenn wir nicht auch mit phantasievollen Vorstellungen in 765 Tagen in das neue Jahrtausend treten würden.

   Wie auch in den vergangenen Jahrzehnten können sich die Besucher an diesem Museum erfreuen, da unsere Mitarbeiter ihren Ehrgeiz in ihre Arbeit legen, damit dieses Museum ein romantisches, ein klein wenig exotisches Kleinod Radebeuls bleibt. Hierfür meinen Mitarbeitern herzlichen Dank.

   Bei Ihnen, meine Damen und Herren, liebe Freunde und liebe Gäste, möchte ich mich für ihre Aufmerksamkeit und Geduld bedanken. Einen schönen, unterhaltsamen und interessanten Abend wünsche ich uns allen.



Der vorstehende Text ist die leicht überarbeitete Fassung des Festvortrags, den ich am 27. November 1998 im Gasthof Serkowitz, Radebeul, gehalten habe.



1 An dieser Festveranstaltung nahm Dr. Matthias Rößler, Staatsminister für Kultus, teil.

2 Klaus Hoffmann: Indianer Nordamerikas. Ausstellung im Blockhaus ›Villa Bärenfett‹ des Karl-May-Museums. Radebeul 1992, S. 90

3 Ebd., S. 100

4 Klara May: Zweiter Erbvertrag, Radebeul und Dresden 26. 1. 1926, § 3 (Standort: Archiv der Karl-May-Stiftung, Radebeul)

5 Günter Rehschuh/Peter Neumann/Willi Sowinski: Indianer-Museum Radebeul. Dresden 1956

6 Nach dem Tod von Patty Frank hielt seine Witwe Marie Tobis (1902-1961) bis zu ihrem Tod am 18. 4. 1961 das Karl-May-Museum offen. Bis zum Amtsantritt von Paul Siebert am 1. 9. 1961 wurde das Museum von Mitarbeitern der Karl-May-Stiftung (Sammelstiftungen des Bezirkes Dresden) betreut.

7 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe, begonnen 1987, erscheint jetzt, hrsg. von Hermann Wiedenroth, im Verlag Bücherhaus, Barfeld.

8 Wolfgang Seifert: Patty Frank - der Zirkus, die Indianer, das Karl-May-Museum. Bamberg-Radebeul 1998




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