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ANDREAS GRAF

»Habe gedacht, Alles Schwindel« · Balduin Möllhausen und Karl May –
Beispiele literarischer Adaption und Variation

»Habt wohl früher manche schöne Indianergeschichte von Cooper und anderen gelesen? Haben Euch wohl sehr gefallen, diese hübschen Sachen? ... Das liest sich so gut, das geht Alles so glatt und reinlich. Man brennt sich die Pfeife oder die Cigarre an, setzt sich auf das Sopha, legt die Beine hoch und vertieft sich in das schöne Buch, welches der Leihbibliothekar geschickt hat. Aber lauft nur einmal selbst hinaus in den Urwald, in den fernen Westen! Da geht es wohl ein wenig anders zu, als es in solchen Büchern zu lesen ist.«
Karl May: Der Scout (1889)(1)



Als sich am 2. Mai 1874, nach vier Jahren härtester Bestrafung unter meist menschenunwürdigen Bedingungen, die Tore des Zuchthauses Waldheim für Karl May öffneten, taten sich, von dem ehemaligen Delinquenten inständig erhofft und fleißigst erarbeitet, recht bald und glücklicherweise auch die Türen zu einem Leben als »freier« Schriftsteller für den mittlerweile Zweiunddreißigjährigen auf. Die folgende Zeit, die Redakteursjahre bei Münchmeyer (1875–77) und Radelli (1878/79) sowie die Anfänge als Zeitschriftenautor und Kolportageschreiber (bis etwa 1882/84), stand dabei ganz im Zeichen schriftstellerischer Selbstvergewisserung: May tastete sich gleichzeitig und allmählich an den populären Markt wie an die eigenen literarischen Möglichkeiten heran.

   Die Waldheimer Zuchthauspapiere vermerken als Plan und Wunsch des Entlassenen für sein – wie es unfreiwillig vieldeutig und vorausdeutend formuliert ist – »ferneres Fortkommen«: »Will nach Amerika auswandern«.(2) Fortgekommen ist er dann tatsächlich, wenn auch zunächst nicht so fern wie vielleicht gehofft. Das Flüchten im realen Raum von Plauen bis Chemnitz war vorbei; aus Waldheim fort, sollte die Ferne Amerika die Zukunft bringen. Die Auswanderung fand freilich nur auf dem Papier statt. Was andere, etwa Balduin Möllhausen, real vorgemacht hatten – Auswanderungen im Zusammenhang mit Revolution, Armut oder Strafverfahren; Amerikaabenteuer, schriftstellerisch aufbereitet – machte May nunmehr in seiner Phantasie nach.


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   Balduin Möllhausen (1825–1905) stand in jener Zeit, Mitte der 1870er Jahre, auf dem Höhepunkt seines Ruhms als Reise- und Abenteuerschriftsteller. Er hatte in den 1850er Jahren drei lange Reisen in den Westen Nordamerikas unternommen und mit den Reiseberichten darüber seinen Ruf als Amerikakenner begründet. Seit etwa 1860 hatte er sich als Schriftsteller in Potsdam niedergelassen und veröffentlichte von nun an alljährlich, vierzig Jahre lang, einen umfangreichen Roman, in deren abenteuerliche und geheimnisvolle Handlung er viele seiner wirklichen Erlebnisse einfließen ließ. Daneben war er regelmäßig mit literarischen Skizzen, Novellen und Erzählungen in den bekanntesten Unterhaltungszeitschriften vertreten, etwa in »Die Gartenlaube«, »Illustrirte Welt«, »Erheiterungen«, »Der Hausfreund«, »Nieritz' Volkskalender«, »Trowitzsch's Volkskalender«, »Allgemeine Familienzeitung«, »Westermann's Monatshefte«, »Das neue Buch der Welt«, »Das Buch für Alle« u. a. Als im Jahr 1872 Friedrich Gerstäcker starb, galt Möllhausen der Öffentlichkeit als der nunmehr einzige wirkliche Fachmann für den »Wilden Westen« unter den deutschen Romanciers. Der Einfluß seiner Werke auf die Romane Karl Mays, der in eben dieser Zeit im gleichen Genre wie Möllhausen zu schreiben begann, muß dementsprechend als sehr bedeutend angesehen werden.

   So allgemein diese Aussage aber ist, so schwer läßt sie sich präzisieren. Direkte, umfangreiche Plagiate ließen sich nicht nachweisen, sind auch eher unwahrscheinlich. Mays Arbeitsweise bestand in der Regel nicht in der direkten, kompletten und ungekennzeichneten Übernahme ganzer Erzählungen oder Erzählstränge – und nur dies wäre wohl ein Plagiat. Er arbeitete vielmehr meist mit kürzeren, aber wirkungsvoll eingesetzten Versatzstücken, die den eigenen Texten in Tonlage und Erzählabsicht angepaßt wurden. May tat dabei nur, was auch heute noch für die meisten Romanciers jedweden Genres selbstverständliche Praxis ist: er machte sich in der Fachliteratur kundig. Weit bedeutsamer als die Schilderungen Gerstäckers, der selbst den wirklich »Wilden Westen« Nordamerikas kaum gekannt hat, ist dabei die Gesamtheit der epischen Welt Möllhausens für den sächsischen Autor geworden. Viele der literarischen Landschaften Karl Mays sind dem ethno- und geographischen Kosmos Möllhausens entnommen. Wenn etwa bei May der Colorado-River erwähnt wird, dann kann man fast mit Sicherheit auf einer frühen Stufe der Textfassung Möllhausen als Hintergrundquelle vermuten. Niemand in Deutschland kannte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Colorado-Gebiet so gut wie Möllhausen.

   Als heuristische Grundvokabeln, die das Verständnis der Mayschen Möllhausenübernahmen erleichtern können, sollen im folgenden die


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aus Stilkunde und Rhetorik übernommenen Begriffe Adaption und Variation dienen. Unter Adaption wird gewöhnlich »die Anpassung eines literarischen Werkes an die Erfordernisse einer anderen Gattung oder eines anderen Mediums«(3) verstanden, etwa die Bühnen- oder Filmbearbeitung eines Prosatextes; als Variation gilt der Ausdruck eines Gedankens »in verschiedener sprachlicher Form«.(4) Beides wird für May wichtig; er adaptiert Sachtexte aus Reisebeschreibungen und gliedert sie der Romanform ein, und er variiert Beschreibungen, indem er sie sprachlich oder inhaltlich der eigenen Handlung angleicht. Diese enorme Adaptions- und Variationsfähigkeit Mays ist stets gesondert in Rechnung zu stellen. Sie erlaubte es ihm, sich traditionelle Stoffe, Motive, Handlungsverläufe, Erzählweisen und vor allem geographische Situierungen in großem Umfang anzueignen und auf einzigartige Weise, phantastisch amalgamisiert, zu eigenständigen Werken zu verarbeiten.

   Wenn es mit den vorliegenden Ausführungen gelänge, die Diskussion um den ungewöhnlichen Autor May, die sich gelegentlich etwas solipsistisch ausnimmt, wenigstens in einem Punkt an die literarische Gattungstradition und die historische Gesamtdiskussion anzubinden, dann hätten sie einen Zweck erfüllt. Die folgenden Bemerkungen können gleichwohl, aus Gründen der Stoffmenge und obwohl sie das Gesamtwerk beider Autoren berücksichtigen, nur beschränkte Gültigkeit beanspruchen und fernere Einzeluntersuchungen nicht ersetzen.(5)

I.

Karl Mays Bibliothek(6) enthielt die beiden Reisewerke Möllhausens in den Ausgaben von 1860 und 1861; das erste Reisewerk »Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee« (Leipzig: Mendelssohn 1858) also in der zweiten, preiswerteren Auflage mit dem geänderten Titel »Wanderungen durch die Prärien und Wüsten des westlichen Nordamerika vom Mississippi nach den Küsten der Südsee« (Leipzig: Mendelssohn 1860);(7) außerdem das zweite Reisewerk »Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas bis zum Hoch-Plateau von Neu-Mexiko« (Leipzig: Costenoble 1861) in der zweibändigen Costenobleschen Ausgabe.(8) Seit wann May die Bände besaß, ist nicht feststellbar. Inhaltlich bekannt waren sie May etwa seit Beginn der 1880er Jahre; beide könnten aber erst in den neunziger Jahren erworben worden sein. Sicher ist dagegen ein spätes Erwerbsdatum für die beiden einzigen Romane Möllhausens, die in Mays Bibliothek standen: er be-


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saß [besaß] zwei Bände der List-Ausgabe,(9) »Der Fährmann am Kanadian« und »Haus Montague« (erschienen am 3. Oktober 1906 bzw. am 30. April 1907), letzterer einer der drei Ich-Romane des Autors.(10)

   Die Aussagefähigkeit des Bestandsverzeichnisses der Mayschen Bibliothek ist allerdings sehr eingeschränkt, da einerseits dessen Witwe nach dem Tod des Schriftstellers dort wohl »Säuberungen« vorgenommen hat, die sich ganz offenbar besonders auf die Werke der Abenteuerliteratur erstreckten, und da andererseits die finanziellen Verhältnisse Mays erst in den neunziger Jahren den Aufbau einer größeren Bibliothek erlaubt haben dürften. Besonders für die Zeit, in der May als Redakteur von Unterhaltungszeitschriften gearbeitet hat, also ab 1875, muß man jedoch auf jeden Fall mit einer ausgedehnten Lektüre Mays im Bereich der Unterhaltungsliteratur allgemein und dem der Abenteuerliteratur im besonderen rechnen. Dies entsprach auch dem ökonomischen Interesse des eben aus dem Zuchthaus entlassenen mittellosen May, der sich eine bürgerliche Schriftstellerexistenz aufbauen wollte und zu diesem Zweck zunächst herauszufinden suchte, welche Ware das Publikum wünschte.

   Nicht zufällig fällt die einzige überlieferte Aussage Mays zu Möllhausen in den Zeitraum dieser persönlichen Aufbauphase. In Mays erstem großen Lieferungsroman »Das Waldröschen« (1882), der selbst möglicherweise bestimmte Strukturmerkmale dem Kontakt des Autors May mit Romanen Möllhausens verdankt – den Schauplatzwechsel von Heimat und Fremde, den Kontrast von Vertrautheit und Exotik – sagt eine Gestalt: »Habe viele Romane gelesen, Reisebeschreibungen. Cooper, Marryat, Möllhausen, Gerstäcker. Habe gedacht, Alles Schwindel. Aber doch anders. Hörte in Berlin beim Gesandten, daß Alles wahr. Gesandter früher selbst in Prairie gewesen. Berühmte Häuptlinge und Jäger gesehen.«(11) May vermochte mit der in diesem Zitat zusammengefaßten Kette von Signalbegriffen beim Publikum Assoziationen zu evozieren, die gewöhnlich mit der Person Möllhausens, der zur Bekräftigung selbst ja auch genannt wird, verbunden wurden: er hatte zwei bekannte Reisebeschreibungen verfaßt, war in Berlin eine bekannte Persönlichkeit, hatte als Bibliothekskustos dort auch am Hof (Gesandter) zu tun, war früher selbst in der Prairie gewesen und hatte dort berühmte Häuptlinge und Jäger gesehen. In der Tat konnte man, wie es an der gleichen Stelle im »Waldröschen« heißt, viel von Prairie erzählen hören. In Berlin – zwar vielleicht nicht ausgerechnet beim amerikanischen Gesandten, dafür aber mit Sicherheit stets in den »glänzenden Circeln« um den Potsdamer Hof, in denen Möllhausen verkehrte, und besonders in der sogenannten »Tafelrunde von Dreilinden«. Dies


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war ein lockerer Zusammenschluß hochrangiger Offiziere aus dem Kriegsministerium und einiger Wissenschaftler und Reiseschriftsteller (darunter gelegentlich auch Theodor Fontane), die vom Prinzen Friedrich Karl, dem obersten Heerführer Preußens in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71, regelmäßig in dessen Forsthaus in Dreilinden bei Potsdam eingeladen wurden.(12) Möllhausen gehörte zu den häufigsten Gästen dieser Runde; wenn also in Berlin von Prairie erzählt wurde, dann war Balduin Möllhausen, den man auch den »Gerstäcker von der Spree« nannte, beinahe unweigerlich dabei. Der schnoddrige Offizierston, den May in dem angeführten Zitat zu imitieren versucht, könnte ein zusätzliches Indiz dafür sein, daß diese in der damaligen Öffentlichkeit durchaus bekannten Tatsachen den Hintergrund des Zitats abgeben. Möllhausen wurde in der Dreilindener Runde tatsächlich immer wieder aufgefordert, von Savanne, von Trapper und Squatter, von Rothhaut und Bleichgesicht(13) zu erzählen,(14) denn er galt – zu Recht – vom Beginn der 1860er Jahre bis etwa Mitte der 80er Jahre in der Öffentlichkeit als  d e r  Fachmann für den amerikanischen Westen in Preußen. Karl May wußte dies.(15)

   Das angeführte Zitat hat im Rahmen dieser Zusammenhänge natürlich eine Beglaubigungsfunktion für May. Die vier aufgezählten Autoren, die sämtlich, wie im Publikum bekannt, wirklich den amerikanischen Westen – freilich unterschiedlich intensiv – bereist hatten, werden als Kronzeugen für alle zurückliegenden und noch kommenden Unglaublichkeiten der Handlung aufgeboten – Habe gedacht, Alles Schwindel. Aber doch anders. Die schiere Nennung der Namen sollte den Verfasser und seine überbordenden Unwahrscheinlichkeiten absichern gegen kompetente Kritik; daß dies nur im raschen Rausch einer verschlingenden Kolportagelektüre gelingen konnte, versteht sich. May selbst, dessen literarisch schlechtes Gewissen andererseits auch aus dieser Stelle spricht – ganz ohne Absicherung wollte er denn doch nicht fabulieren – wird dies am besten gewußt haben. Er benennt nur kurz seine Vorläufer, hebt sie aufs Podest und eilt hastig an ihnen vorüber. –

   Einen weiteren Hinweis auf möglichen Kontakt Mays mit Werken Möllhausens vermag dessen Bibliotheksverzeichnis dennoch zu geben. Es weist aus, daß der Autor zahlreiche Jahrgänge der von Petermann herausgegebenen Zeitschrift »Mitteilungen aus Justus Perthes' Geographischer Anstalt« besaß, darunter auch jene Bände der Jahre 1857, 1858 und 1861, in denen teils umfangreiche Rezensionen mit – damals durchaus üblich – seitenlangen Auszügen aus Möllhausens Reisewerken erschienen waren. (16) Es ist also immer damit zu rechnen, daß May


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Werken Möllhausens in Fach- oder Unterhaltungszeitschriften begegnet ist. Auch hier muß Mays Redakteurszeit als der eigentlich entscheidende Zeitraum gelten. Die Feststellung einer genauen Vorlage Mays kompliziert sich, im Falle Möllhausens, zusätzlich durch die wichtige und immer zu berücksichtigende Tatsache, daß dieser Autor zahlreiche der bereits in seinen beiden Reisewerken aufgenommenen Lagerfeuergeschichten, Trappercharakterisierungen, Reiseanekdoten, Präriebrand- oder Schneesturmbeschreibungen, Landschafts- und Indianerschilderungen etc. später, meist nur leicht modifiziert, in seinen Romanen wieder aufnimmt. Wenn also ein Vorbild Mays in einer der Reisebeschreibungen gefunden wird, dann könnte dieses eventuell auch aus einem Roman Möllhausens stammen und umgekehrt. Bei der Frage nach Mays Vorbild für Nscho-tschi werden wir diesem Problem begegnen.

   Generell ist jedenfalls zunächst festzuhalten, daß zahlreiche einzelne Motive, die später entweder für May kennzeichnend wurden oder bei diesem vereinzelt eine besondere Rolle spielen, in den Reisebeschreibungen und Romanen Möllhausens vorgeprägt sind. Das gilt etwa für die Art der Indianerbeschreibung wie für die Figuren des schrulligen Gelehrten, des spleenigen Engländers, des salbungsvollen Pfaffen oder der Zigeunerin, für einzelne Motive wie Talkessel, Alligatorsee, Ku-Klux-Klan, Medizinmann, die Kneipe der Mutter Thick, Spuren lesen, Llano Estacado, Schießprobe,(17) die Mormonen,(18) Sichverstellen und Identitätswechsel(19) u. a. Ganz besonders aber stammt das Konstruktionsprinzip der Kontrastierung von Deutschland und Amerika, das May in seinen frühen Kolportageschriften ebenso verwendet wie in manchen seiner berühmten Abenteuerromane oder den ambitionierten Spätwerken, mit Sicherheit von Möllhausen. Auch die räumliche Aufwärtsbewegung, die in den besten Abenteuerepisoden Möllhausens stattfindet, etwa in »Der Flüchtling« (1862) und »Das Mormonenmädchen« (1864), hat May für sein Werk übernommen. Möllhausens Gestalt der sonderbaren Gräfin in »Die beiden Yachten« (1891), der nachgesagt wird, »daß das Exzentrische in ihrem Wesen zuweilen die Grenzen des Vernünftigen überschreitet«,(20) gehört zur gleichen großen Familie spleeniger Engländer – die seit dem 18. Jahrhundert durch die europäische Literatur geistern – wie Karl Mays Sir David Lindsay (»Durch die Wüste«), Lord Castlepool (»Der Schatz im Silbersee«) u. a. Etwa auch Robert Krafts Ellen Howard (»Ein moderner Lederstrumpf«, 1904) oder gewisse Helden Jules Vernes gehören hierhin.

   Möllhausens skurrile Gelehrte, besonders Dr. Bigelow (»Der Kesselflicker«, 1871), Dr. Kennerley (»Das Fegefeuer in Frappes Wig-


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wam [Wigwam]«, 1900), der Käferfink (»Das Finkenhaus«, 1872) und Dr. Bergmann (»Der Meerkönig«, 1866), finden bei May, etwa in den Gestalten des Dr. Pfotenhauer (»Die Sklavenkarawane«) oder Dr. Morgenstern (»Das Vermächtnis des Inka«), ihre Fortentwicklung. Gerade die historischen Transformationen dieses Motives verdienten eine Sonderuntersuchung; die romantischen und zugleich aufklärerischen Implikationen der Abenteuerliteratur ließen sich darin aufweisen. Möllhausens Kapitel »Am Alligator See« aus dem Roman »Die Hyänen des Capitals« (1876) erinnert passagenweise stark an die berühmte Szene am Alligatorteich im »Waldröschen«; das »Brechen« eines Pferdes, das in »Die Familie Melville« (1889)(21) eingehend beschrieben wird, könnte eine entsprechende Szene am Beginn von »Winnetou I« beeinflußt haben; Möllhausens Berichte über den Klu-Klux-Klan in »Das Finkenhaus« (1872)(22) könnten Mays ganz ähnliche Schilderungen im »Scout« (1888) inspiriert haben(23); die Beschreibung des Medizinmanns Wa-ki-ta-mone in »Die Mandanen-Waise« (1865), des Medizinbeutels und seines wunderlichen, gleichwohl magischen Inhalts dort könnte May zu seinen bekannten Schilderungen (etwa im »Scout«) angeregt haben, bei denen die Medizin geschickt zur Beherrschung ihres Besitzers eingesetzt wird; Mays berühmte Kneipe der Mutter Thick (»Three carde monte«, 1879) dürfte ihr Vorbild in der Kneipe der »Großmutter« in Möllhausens »Der Flüchtling« (1862) haben;(24) in »Das Hundertguldenblatt« (1870) wird, wie schon im »Tagebuch«, der Llano Estacado beschrieben;(25) der Kampf zwischen Panther und Bison am Beginn von »Das Vermächtnis des Inka« (1891) könnte inspiriert sein von Möllhausens Beschreibung eines Kampfes zwischen einem Bär und einem Stier;(26) Spuren ganz wie bei May werden etwa in Möllhausens »Das Mormonenmädchen« (1864),(27) im »Hundertguldenblatt« (1870)(28) oder in den »Reisen« gelesen. Dort wird, ganz im Stile Karl Mays, deduziert:

»Nicht wenig überraschte es uns, als wir, um Holz einzunehmen, auf dem rechten Ufer landeten, und dort die frischen Spuren von zwei Pferden und zwei Maulthieren entdeckten. Die genaue Untersuchung, welcher wir dieselben unterwarfen, ergab, daß die beiden Pferde und ein Maulthier von Weißen geritten wurden, während das andere Thier, ziemlich schwer bepackt, lose nebenher gelaufen war. Die Hufeisen der Pferde, die Art, in welcher die Thiere einander gefolgt, oder hindernden Gegenständen ausgewichen waren, bewiesen uns hinlänglich, daß wir die Spuren von weißen Steppenreisenden, und zwar sehr erfahrenen, vor uns hatten, und keineswegs, wie Einige in unserer Gesellschaft schon glaubten, die Merkmale räuberischer Indianer.«(29)

Auf diese und andere mögliche Übernahmen Mays von Möllhausen kann hier nur summarisch hingewiesen werden.(30) Die Konjunktive bleiben zunächst bestehen.


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II

Deutlicher werden Adaptionen Mays, überraschenderweise, bei den Schilderungen seiner Figuren Winnetou und Nscho-tschi. Ähnlichkeiten bestehen zwischen Mays Beschreibung des späten Winnetou(31) und Möllhausens Beschreibung des Gesichtes seines Halbindianers Joseph aus dem gleichnamigen Roman.(32) Josephs Gesicht hat einen »leichteren Bronzeanflug«, Winnetous einen leisen Bronzehauch, wie dieser hat er »große dunkele Augen« (Winnetou: in seinem ernsten, dunklen Auge), »schlichte, schwarze Haare« (Winnetou: blauschimmernde(s) schwarze(s) Haar) und zeigt »etwas Mädchenhaftes« (Winnetou kann von mancher Dame um sein Haar beneidet werden). Beider Züge sind weich und bartlos, wie Winnetou hat Joseph eine »sorgfältige Erziehung«(33) genossen, beide sind unerschrocken und von besonderem Stolz.

   Das Besondere, zunächst scheinbar wenig Bedeutsame der Möllhausen-Variation Mays in dieser Figur wird deutlich, wenn man beide Beschreibungen mit anderen Indianergestalten der Abenteuerliteratur vergleicht, die ebenfalls aus der Form, »mit der man Chingachgooks gießt«,(34) stammen, und die in anderer Weise bekanntermaßen ebenfalls als Vorbilder Winnetous gedient haben. Der Häuptling El Sol in Mayne-Reids »Die Skalpjäger« (1851) trägt wie Winnetou eine Saltillo-Decke, »rabenschwarze lange Haare«, seine Büchse ist »reich mit Silber ausgelegt«, er ist das »Ideal eines Wilden«.(35) Doch gerade weil El Sol ein prototypischer Indianer sein soll, fehlen bei ihm die feineren, weiblichen, bzw. – in der damaligen Romansprache – »zivilisierten« Gesichtszüge. Gleiches gilt für den edlen Komantschen Rayon Brûlant aus Ferrys »Der Waldläufer« (1851), der in den meisten sonstigen Eigenschaften und mit seiner Kleidung als Vorbild Winnetous gedient hat: Rayon Brûlant hat, wie es sich für einen Wilden gehört, »schwarze feurige Augen«, denen aber der sammetartige Glanz in Winnetous Augen noch völlig fehlt. Den herrischen Blick dieser Ferry-Figur hat May auch bei seiner 1879 veröffentlichten Bearbeitung des damals bereits weltbekannten Romans noch beibehalten; ergänzt wird das Bild jedoch dort schon durch die ausdrückliche Bemerkung der schönen Harmonie der Züge. Exakt diese Beschreibung des veredelten Rayon Brûlant hat May dann seit Beginn der achtziger Jahre, als er auch seinen Winnetou zu veredeln begann, für dessen Erscheinung übernommen.(36) Die zusätzlich wesentlichen Details des Weiblich-Zivilisierten, des betont Europäischen bzw. Ent-indianisierten in den Gesichtszügen seines Helden konnte May dagegen bei Möllhausen finden. Bei diesem hatte eine


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solche Beschreibung die Funktion, ein Halbblut zu schildern, einen Indianer also, in dessen Adern das Blut seines weißen Vaters fließt und dem deswegen – in Möllhausens Romansprache – die höhere Entwicklungsstufe auf dem Weg der Gesittung bereits im Gesicht abzulesen ist. Bei May entfällt diese eher pädagogische Funktion zugunsten einer ideologischen: Winnetou ist zwar, soweit bekannt, ein reinrassiger Indianer, doch hat er geistig längst weiße Normen – die der »Zivilisation« – angenommen.

   Exakt desselben Adaptions- und Variationsverfahrens bediente sich Karl May dann auch, als er während der Arbeit an »Winnetou I« nach einer Vorlage für die nun erstmals zu beschreibende Schwester seines indianischen Titelhelden suchte. Er fand sie in Balduin Möllhausens Beschreibung seiner indianischen Freundin Amalie Papin,(37) die dieser als eine der zahlreichen Einschaltungen mit Berichten von seiner ersten Amerikareise in seinen ersten Reisebericht, der ja eigentlich die zweite Reise beschreibt, aufgenommen hatte. Der Vergleich beider Texte ergibt zunächst einen eindeutigen Befund:

Möllhausen (1858)

»Ihr einfaches Kleid, nach amerikanischem Schnitt gearbeitet und eng an den Oberkörper anschließend, ließ eine Figur erkennen, an der auch nicht das geringste zu wünschen übrigblieb. Die Bewegungen und der natürliche Anstand des jungen Mädchens waren so ungekünstelt, so zart und dabei doch so geschmeidig, daß ich kaum meinen Augen zu trauen vermochte, wenn ich auf die dunkle Gesichtsfarbe schaute.

Auf dem schlanken Hals ruhte der reizendste Kopf, den man sich nur denken kann; pechschwarze Haare, die in zwei langen Zöpfen über die Schultern hingen, faßten ein rundes, bronzefarbenes Gesichtchen ein (...)

Die etwas vorstehenden Backenknochen verrieten die indianische Abkunft, ebenso der Schnitt der Augen, die groß und schwarz und von langen Wimpern beschattet waren. Der Mund war so wohlgeformt, so zierlich und so frisch (...)

Zwei Reihen der herrlichsten Zähne schimmerten wie echte Perlen unter

May (1893)

Die junge war schön, sogar sehr schön. Europäisch gekleidet, hätte sie gewiß in jedem Salon Bewunderung erregt. Sie trug ein langes, hellblaues, hemdartiges Gewand, welches den Hals eng umschloß und an der Taille von einer Klapperschlangenhaut als Gürtel zusammengehalten wurde.

Es war an ihr kein Schmuckgegenstand zu sehen, etwa Glasperlen oder billige Münzen, mit denen die Indianerinnen sich so gern behängen.

Ihr einziger Schmuck bestand aus ihrem langen, herrlichen Haare, welches in zwei starken, bläulich schwarzen Zöpfen ihr weit über die Hüften herabreichte. Dieses Haar erinnerte auch an dasjenige von Winnetou.

Auch ihre Gesichtszüge waren den seinigen ähnlich. Sie hatte dieselbe Sammetschwärze der Augen, welche unter langen, schweren Wimpern halb verborgen lagen, wie Geheimnisse, welche nicht ergründet werden sollen.

Von indianisch vorstehenden Backenknochen war keine Spur. Die weich und warm gezeichneten vollen Wangen


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den roten Lippen hervor, die Hände waren klein wie bei allen Indianerinnen, und Füßchen hatte sie, daß ein Paar ihrer abgelegten Mokassins verdient hätte, zur Weltausstellung nach London geschickt zu werden.

Das also war Amalie Papin, die schöne Halfbreed, in die ich mich in der ersten halben Stunde verliebt hatte.«(38)

vereinigten sich unten in einem Kinn, dessen Grübchen bei einer Europäerin auf Schelmerei hätte schließen lassen.

Sie sprach ... leise mit der Alten, und als sie dabei den schön geschnittenen Mund zu einem Lächeln öffnete, blitzten die Zähne wie reinstes Elfenbein zwischen den roten Lippen hervor. Die feingeflügelte Nase hätte weit eher auf griechische als auf indianische Abstammung deuten können. Die Farbe ihrer Haut war eine helle Kupferbronze mit einem Silberhauch.

Dieses Mädchen mochte achtzehn Jahre zählen, und ich wäre jede Wette darauf eingegangen, daß es die Schwester Winnetous sei.(39)

Das Prinzip Mayscher Adaption und Variation ist hier deutlich zu erkennen. Aus Möllhausens junger Halbindianerin Amalie, die »das fünfzehnte Jahr noch nicht erreicht«(40) hat, in deren Adern das Blut eines weißen Trappers fließt und deren europäische Attribute sich durch die Tatsache erklären, daß sie seit vielen Jahren auf einer von Weißen eingerichteten Indianer-Missionsstation erzogen wird, macht May eine vollblütige, erwachsene Indianerin, der aber im wesentlichen die gleichen Attribute beigegeben werden. Durch diese Variation per einfacher Vorzeichenänderung wird aus einem jungen Indianermädchen, das bereits von der Zivilisation deutlich beeinflußt ist, eine schöne Indianerin von gleichsam »natürlicher« Zivilisiertheit. Wo Möllhausen ausdrücklich sagt, »die etwas vorstehenden Backenknochen verrieten die indianische Abkunft«, da betont May fast trotzig: Von indianisch vorstehenden Backenknochen war keine Spur. May wandelt den erotischen Aspekt (»Kleid, (...) eng an den Oberkörper anschließend«) kurzerhand in einen züchtigen (Gewand, welches den Hals eng umschloß), und wo Möllhausen Schmuck schlicht unerwähnt läßt, da betont May ausdrücklich die Schmucklosigkeit. Frisur, Haarfarbe, Augenschnitt, Wimpern, Zähne, Lippen und Hautfarbe sind identisch adaptiert, May setzt nur gelegentlich noch eins drauf: Schimmern bei Möllhausen die Zähne »wie Perlen« zwischen den roten Lippen hervor, da blitzen sie bei May wie reinstes Elfenbein; hat Amalie ein »rundes, bronzefarbenes Gesichtchen«, so ist es bei Nscho-tschi helle Kupferbronze mit einem Silberhauch. Die Superlative dienen alle dem gleichen Ziel: aus einer realen, begehrenswerten Person eine ideale, von männlicher Lust nicht erreichbare Gestalt zu machen. So wird aus einer


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Halfbreed mit entsprechend gemischten Eigenschaften eine Vollblutindianerin mit weißer Seele.

   Daß May sich hier bei Möllhausen bedient hat, ist also unzweifelhaft. Ob aber als Quelle tatsächlich – wie wir vermuten – dessen Reisebericht aus dem Jahr 1858 (bzw. 1861), aus dem unser Zitat stammt, in Frage kommt oder ob May nicht doch einen der später erschienenen Romane Möllhausens – in denen literarische Abgüsse von dieser realen Urform immer wieder auftauchen – als Vorlage benutzte, muß, streng genommen, unsicher bleiben. Eine der letzten dieser »Schwestern« Amalies ist beispielsweise Daisy, die indianische Heldin in Möllhausens Roman »Der Spion«. Die Buchausgabe dieses Romans erschien 1893, also im selben Jahr wie Mays »Winnetou I«, der Vorabdruck war aber bereits 1891 in der vielgelesenen »Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens« erschienen. Die Beschreibung Daisys ist fast identisch mit der Amalies,(41) sie weicht allerdings an zwei Stellen von dieser ab – und trifft sich in einem dieser Punkte mit May. Daisy trägt »große silberne Ohrreifen, während eine Schnur gelber Glasperlen sich sechsfach um den Hals schlang«;(42) May hatte, wie wir sahen, ausdrücklich betont, daß Glasperlen oder billige Münzen nicht vorhanden waren; dagegen trägt aber Nscho-tschi ein langes, hellblaues, hemdartiges Gewand und Daisys Kleid ist »von blauem Flanell«. Das übereinstimmende Detail der blauen Farbe des Kleides könnte darauf hinweisen, daß May nicht Möllhausens Reisebeschreibung, sondern den Vorabdruck des »Spion« als Vorlage benutzt hat.

   Doch die Unsicherheit geht noch weiter. Eine der frühesten Beschreibungen literarischer Indianerinnen bei Möllhausen, fast dreißig Jahre vor dem »Spion« entstanden, ist die Schilderung Schanhattas in »Die Mandanen-Waise« (1865). Sie deckt sich ebenfalls in einigen wesentlichen Punkten mit der Beschreibung Nscho-tschis und erwähnt zudem, wie May, aber über die Beschreibung im Reisewerk hinaus: »Nicht einmal Spangen oder Perlenschnüre schmückten ihre kindlich geformten Arme oder den schlanken Hals«.(43) Weitere, allerdings stärker umgemodelte Abgüsse aus der Amalie-Form finden sich u. a. in den Beschreibungen Ojo Azuls in »Die Reiher« (1878),(44) Coralles in »Die Einsiedlerinnen« (1874) oder Tai-Otos in »Die Trader« (1884).

   Doch auch jenseits solcher möglichen direkten Übernahmen sind die erwähnten Romane Möllhausens, »Die Mandanen-Waise« und »Der Spion«, von besonderer motivspendender Bedeutung für Karl Mays »Winnetou«. Etwa »Die Mandanen-Waise«: In beiden Romanen gibt es einen Deutschen, der in Nordamerika zum Westmann und Lehrer von Indianern wird. Klekih-petra, der weiße Lehrer Winnetous, ist, wie


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Gustav Wandel, der Lehrer Schanhattas, ein Flüchtling von 1848,(45) dessen politische Haltung – der Name deutet es an – sich deutlich gewandelt hat. Der Medizinbeutel Wakitamones, bei Möllhausen ein wichtiges Motiv der Rahmenhandlung, taucht bei May als Tanguas Medizin wieder auf, hier wie dort werden die Medizinen von den Weißen dazu benutzt, die Indianer zu erpressen. Möllhausens indianischer Verräter Blackbird findet bei May im Verräter Tangua seine Entsprechung. Schließlich ist besonders die sentimentale Kombination von Pflege und Liebe, die Mays Roman an einer zentralen Stelle ihr lyrisches Gepräge verleiht, bei Möllhausen gleich dreifach vorgebildet: Wie Nscho-tschi den Helden Old Shatterhand gesund pflegt, so heilt Wandels Verletzung durch die Fürsorge Schanhattas, so wird Johann Werker von der Mutter Schanhattas, seiner späteren Frau, gesund gepflegt, und so betreut Warukscha, eine Tochter des Medizinmanns, den Erzähler Nahanga, woraufhin dieser angeboten bekommt, eine der Töchter zu heiraten. In jedem Fall stellt die Frau dienend die Kraft des Mannes wieder her.(46) »Die Mandanen-Waise« ist zudem einer von insgesamt nur drei Romanen Möllhausens, die komplett in der Ich-Form erzählt sind, jener Erzählweise also, die später für Karl May geradezu zum Markenzeichen wurde. Ein bedeutsamer Platz in der Ahnenreihe von »Winnetou I« ist dem Roman also in jedem Fall sicher.(47)

   Ahnliches könnte auch für Möllhausens »Spion« gelten. In diesem Roman gibt es einen Talkessel und darin eingeschlossene Bösewichte, ähnlich wie so oft bei May, und die Befreiung des Trappers Nicodemo durch Tommy darin hat gewisse Ähnlichkeiten mit der Befreiung Winnetous durch Old Shatterhand in »Winnetou I«. Ein gleiches Schicksal wie Klekih-petra dort erleidet im »Spion« das bereits erwähnte Indianermädchen Daisy. Als der Marodeur Quinch – übrigens eines der vielen bei Möllhausen zu findenden Vorbilder für Mays »Rowdies« – auf Daisys Geliebten, den Trapper Markolf, schießt, wirft die Indianerin sich dazwischen und wird tödlich getroffen. May vertauschte, bei gleicher Aktion, die Persönlichkeiten der Akteure: In dem im selben Jahr wie die Möllhausen-Buchausgabe erschienenen May-Roman wirft sich der weiße Lehrer schützend vor seinen roten Schüler. Das Motiv selbst ist älter als beide Romane; es spielt beispielsweise schon in der Meyerbeerschen Oper »Die Afrikanerin« aus dem Jahr 1864 eine wichtige Rolle. Dort hatte es möglicherweise Möllhausen gefunden; der Autor verkehrte nämlich in den 1850er Jahren eine Zeitlang in den gleichen Künstler- und Gelehrtenkreisen um Alexander von Humboldt, denen auch Meyerbeer zeitweise nahestand. Vielleicht also hatte Möllhausen sein Motiv des Opfertods aus Liebe direkt aus dessen Oper. Möglicher-


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weise [Möglicherweise] erinnerte er sich aber auch seiner Cooper-Lektüre: in »Der letzte Mohikaner« (1826) versucht der Delaware Uncas seine weiße Freundin Cora vor einem Angreifer zu retten, sie werden aber beide von dem grimmigen Huronenkrieger Magua erstochen. Bei Cooper hat also die Wildnis noch einmal obsiegt. Bei May wie Möllhausen, die mehr als eine Generation später schreiben, ist dies anders: mit den Opfertoden von Klekih-petra und Daisy siegt die Zivilisation symbolisch über die Wildnis. Für Winnetou ist die notgedrungene Abnabelung von seinem Lehrmeister und geistigen Vater die entscheidende Voraussetzung seiner weiteren Entwicklung, hin zu jenem roten Gentleman, der sich sterbend sogar als Christ bezeichnen wird. Möllhausens Daisy dagegen gelingt es nicht, ihrer »wilden Natur« zu entsagen. Wohl hat sie sich bereits, wie der Missionar MacKinney bescheinigt, »einen verhältnismäßig hohen Grad der Gesittung«(48) angeeignet, doch durch ihre Liebe zu Markolf bricht das Wilde, die Wildnis in ihr, wieder durch. Beängstigende Träume verfolgen sie;(49) ihre Angst ist letztlich ihr Tod – doch rettet ihre Selbstlosigkeit den Geliebten. Anders als May, in dessen Roman das Opfer des Weißen das Weiterleben des Roten garantiert, läßt Möllhausen die Indianerin für ihren weißen Geliebten sterben. Die Szene von Daisys Tod steht stellvertretend für den von Möllhausen immer wieder geradezu beschwörend betrauerten, gleichwohl als unvermeidbar angesehenen baldigen Tod der roten Rasse. Anders als Florence Hanik in »Wildes Blut« (1886), die ihre wilde Seele zähmt und sich endgültig zu einer Weißen wandelt, muß Daisy sterben, weil sie einen solchen Akt der Selbstzivilisierung nicht vorzunehmen vermag.

III

Noch deutlichere Parallelen zu »Winnetou I« finden sich im Amerikateil von Möllhausens »Die Töchter des Consuls« (1880). Da ist zum Beispiel der Name des Mayschen Kiowa-Häuptlings Tangua: er weist nicht nur auffallende Ähnlichkeit mit dem Namen des eingebildeten Häuptlings Tenuga in Möllhausens »Monogramm« (1874) und der Indianerin gleichen Namens in »Der Talisman« (Vorabdruck in »Das Buch für Alle« 1893) auf – die wiederum zurückgehen auf zahlreiche echte Häuptlinge dieses Namens, denen Möllhausen begegnet ist oder von denen er erzählen hörte –, sondern auch mit den Namen der Eltern Lilacs, der indianischen Heldin der »Töchter«: Ihre Mutter heißt Tanuga, ihr Vater Tatonga.

   Auch ein May-Motiv, das zu den zentralen dieses beliebtesten May-


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Romans [May-Romans] zählt, scheint in Möllhausens »Töchtern« in modifizierter Form vorgeprägt: Mays Held Old Shatterhand schneidet, als er Winnetou befreit, diesem unbemerkt eine Locke ab, mit der es ihm später gelingt, seine uneigennützige Tat zu beweisen; damit ist der Grundstein zur Freundschaft des rot-weißen Paares gelegt. Möllhausens Indianerin Lilac schneidet auf Geheiß der Geisterseherin Rattel dem weißen Trapper Wenzel nachts heimlich eine Locke ab, um durch einen Teil vom Körper des Geliebten diesen per Zauber an sich zu binden – ein Motiv, das selbst wieder biblischen Ursprungs ist.(50)

   Besonders klare Übereinstimmungen May/Möllhausen finden sich in »Die Töchter des Consuls«, übrigens einem der insgesamt mißlungensten Romane des Autors, noch in einem anderen Komplex: Als der deutsche Trapper Wenzel mit dem deutschen Konsul Eichwerder und dessen beiden Töchtern aus dem Wilden Westen gen Osten fahren will, prophezeit die indianische Geisterseherin Rattel, die um Lilacs Liebe zu dem jungen Weißen weiß, daß diesem auf der Reise ein Unheil drohe, das nur abgewendet werden könne, falls der Weiße im Westen bliebe. Als ihre Prophezeiung die beiden weißen Mädchen nicht im angestrebten Maße beeindruckt, kerbt Rattel die Achse des Reisewagens ein, und der Wagen zerbricht während der Fahrt. Den abergläubischen indianischen Begleitern gilt diese Tatsache als Bestätigung der düsteren Vorhersage, und Wenzel sieht sich, um diese nicht gegen sich aufzubringen, tatsächlich zunächst gezwungen umzukehren. Ganz ähnlich prophezeit bei May der Medizinmann der Apachen den Abreisenden Unglück, als Nscho-tschi, die Häuptlingstochter, um des weißen Old Shatterhand willen gen Osten aufbricht. Auch seine Prophezeiung versetzt die indianischen Begleiter in Schrecken, auch dort spielt der Reisewagen eine wesentliche Rolle. Beide Male ist die Prophezeiung durchaus berechtigt: im einen Fall soll sie eine rot-weiße Verbindung ermöglichen, im anderen unterbinden. May hat diesen Roman Möllhausens wahrscheinlich gekannt und Motive daraus seinem ein Dutzend Jahre später entstandenen Roman – modifiziert – einverleibt.

   Auch den Deutschlandteil dieses – wie viele Romane Möllhausens – zweigeteilten Romans hatte May offensichtlich bereits fünfzehn Jahre früher für sich verwendet. Die Figur der Zigeunerin Marianne dort, die als europäisches Pendant zur indianischen Geisterseherin Rattel aus dem ersten Teil dieses Romans angelegt ist, hat verblüffende Ähnlichkeit mit der Zigeunerin Zarba aus Mays Roman »Scepter und Hammer« (1879/80): Marianne weissagt wie Zarba, daß der totgeglaubte Sohn des regierenden Fürsten erscheinen wird; beide dienen den


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»legitimen« Rechten der Monarchie gegen staatsfeindliche und erbschleicherische Umtriebe; beide haben durch eine Tapetentür bzw. einen Geheimgang Zugang zur Bibliothek des so loyal unterstützten Fürsten.

   An dieser Figur der Marianne läßt sich aber auch einmal mehr zeigen, wie schwierig es ist, Einflüsse eines Autors auf den anderen ausschließlich mit Hilfe ihrer Werke nachweisen zu wollen. Denn es erscheint einerseits unmöglich, daß Möllhausen den Mayschen Roman, der im August 1879 in der unbedeutenden Stuttgarter Zeitschrift »All-Deutschland« erschien und der zu Lebzeiten beider Autoren niemals in Buchform herausgebracht wurde, gekannt haben könnte. Andererseits ist die Buchausgabe der »Töchter des Consuls« auf das Jahr 1880 datiert, was umgekehrt auch die Annahme einer Kenntnis dieses Werkes seitens Mays zu verbieten scheint. Nun ist aber »Die Töchter des Consuls« einer der wenigen Romane Möllhausens, für den bisher, trotz langjähriger Suche, noch kein Zeitschriften- oder Zeitungsvorabdruck nachgewiesen werden konnte. Daß ein solcher Vorabdruck stattgefunden hat, dürfte außer Frage stehen; Möllhausen war in dieser Zeit auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und er verkaufte, wie etwa aus dem umfangreichen erhaltenen Briefwechsel mit Joseph Kürschner hervorgeht, seine Romane stets zusammen mit den Vorabdruckrechten. Nimmt man als Zeitspanne zwischen Abdruck und Buchausgabe ein bis drei Jahre an – wie dies für die meisten nachweisbaren Fälle zutrifft –, dann erhält man als Orientierungsdaten für einen möglichen Abdruck die Jahre 1877 bis 1879. Dieser Zeitraum deckt sich genau mit jener Phase, in der May, als beginnender Schriftsteller und Redakteur, nachweislich verstärkt Umschau im Zeitschriftenwesen hielt. Leicht hätte er dabei auf jenen von uns erschlossenen Vorabdruck des Möllhausen-Romans stoßen können. Eine vergleichende Spezialuntersuchung, die sich die Romane Möllhausens aus dem fraglichen Zeitraum gesondert vornähme und auch die in dieser Spanne veröffentlichten Erzählungen, Novellen und Skizzen des Autors berücksichtigte, könnte hier vielleicht noch genauere Ergebnisse liefern.(51) Denn andere Autoren, deren Werke May als Motivsteinbrüche dienten, werden in »Scepter und Hammer« bzw. dessen Fortsetzung »Die Juweleninsel« (1880–82) durchaus erwähnt: der Roman »Der Irre von St. James« von Philipp Galen – übrigens ein langjähriger, enger Freund Möllhausens – sowie Alexandre Dumas und Eugène Sue ausdrücklich, Retcliffe und Jules Verne indirekt.(52)

   Im zweiten Kapitel der »Töchter des Consuls« (1880), den May, wie wir sahen, möglicherweise kannte, blendet Möllhausen eine der dü-


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stersten [düstersten], stark autobiographischen Versionen von Kindheit auf, die sich in seinem umfangreichen Werk, das immer wieder Eltern-Kind-Konflikte beschreibt, finden läßt. Das Verhältnis des Sohnes zu seinem Vater ist schwer belastet. Der junge Wenzel über seinen Vater: »Im Uebrigen war er finster und wortkarg, gegen mich aber abwechselnd von einer so grausamen Strenge und überschwenglichen, an's Unsinnige grenzenden Nachsicht und Zärtlicheit, als ob zwei verschiedene Naturen in ihm gewohnt hätten.«(53) Der junge Wenzel träumt von Flucht. »Einmal entlief ich wirklich – ich zählte zwölf Jahre – aber wie weit kam ich? Schon am folgenden Tag holte mein Vater mich ein.«(54) Sollte May in dieser Beschreibung Möllhausens die literarische Paßform für die spätere Schilderung seiner eigenen Kindheit gefunden haben? Die Ähnlichkeit dieser Möllhausensätze mit manchen Passagen aus Karl Mays Selbstbiographie »Mein Leben und Streben« (1910), in der dieser seinen Vater schildert, ist jedenfalls verblüffend. May schreibt: Mein Vater war ein Mensch mit zwei Seelen. Die eine Seele unendlich weich, die andere tyrannisch, voll Uebermaß im Zorn, unfähig sich zu beherrschen.(55) Im gleichen Alter wie der junge – fiktive – Wenzel, reißt – angeblich – auch May aus. Nach Spanien, zu den Räubern. Meine Reise nach Spanien dauerte nur einen Tag. ... Vater wußte, nach welcher Richtung hin Spanien liegt. ... Dann ging er nach kurzem Ausruhen mit mir fort – – wieder heim.(56) Eine aufschlußreiche, wohl nicht nur zufällige Parallele in den autobiographischen Kindheitsschilderungen zweier Erfolgsschriftsteller und Vielschreiber.

IV

Versucht man, die besonders klaren Fälle von Möllhausenadaption und -variation seitens Karl May – bereits genannte wie noch zu erläuternde – chronologisch zu erfassen, so ergibt sich folgendes Bild:

MayMöllhausen
(1879/80Scepter und HammerTöchter: Zarba)
1880Deadly Dust (Winnetou II)Wanderungen: San Francisco
1882/84WaldröschenNamensnennung
1888/89ScoutWanderungen/Reisen: allgemein
1890/91SilberseeReisen: Black Canon u. a.
1892Millionendieb (Satan III)Wanderungen: Pueblo-Indinaner
1893Winnetou IWanderungen o. Spion: Amalie
1897»Weihnacht!«Wanderungen: Vermißter Freund


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May hat also zu Beginn der achtziger Jahre Möllhausen intensiver benutzt; dies ließ während der Nach-Kolportagezeit etwas nach, wurde in der ersten Hälfte der neunziger Jahre stark ausgeweitet und hörte dann auf.

   Zu den interessantesten Phantasieräumen Karl Mays gehört sicherlich der Llano Estacado. Möllhausen hatte dieses Gebiet in seinem »Tagebuch«/»Wanderungen« beschrieben und möglicherweise mit seiner Bemerkung »Nur wenig von dieser ausgedehnten Fläche ist bis jetzt bekannt«,(57) Mays Phantasieproduktion sehr angeregt. Von »Ein Dichter« (1879) und »Deadly Dust« (1880) über »Der Geist der Llano Estakata« (1888) bis zu »Winnetou III« (1893) und »Old Surehand« (1894) verlegte May immer wieder seine Handlung in dieses geheimnisvoll-unbekannte Gebiet. Daß Möllhausen May in diesem Punkt als Vorbild gedient hat, kann allerdings nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. In dem zwei Jahre vor Möllhausens Reisebericht in Deutschland erschienenen Roman »Der weiße Häuptling« (1856) von Thomas Mayne-Reid, dessen »Skalpjäger« ja bereits das Winnetou-Bild nicht unwesentlich mitgeformt hatte, ist ebenfalls eine umfangreiche Schilderung dieser Hochebene enthalten, die gleichfalls als Vorbild Mays in Frage kommt.(58)

   Für die Erzählung »Deadly Dust«, die May in der Buchausgabe später für »Winnetou II« (1893) verarbeitete, hat der Autor aber auch für andere Teile reichlich aus der gewaltig sprudelnden Möllhausen-Quelle geschöpft – und eben nicht, wie viele May-Enthusiasten noch meinen, ausschließlich aus dem »Phantasiebrunnen«. So stammen etwa seine Beschreibungen der wilden Rinder, der Stadt San Francisco und der dortigen Chinesen von Möllhausen ab. Da auf diesen Zusammenhang schon früher hingewiesen wurde, hier nur ein Beispiel:(59)

Möllhausen (1858)

»Wenn man plötzlich nach einer Seereise, auf der man mit aller Ruhe seinen Gedanken nachhängen konnte, in die Straßen von San Franzisko versetzt wird, so vermag man sich einer gewissen Befangenheit nicht zu erwehren. Es ist nicht allein das wilde Treiben, das schwindlig zu machen droht, sondern auch die Umgebung, die aus so vielen verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt ist. Man befindet sich im Gedränge zwischen Amerikanern aller Gattungen und Europäern jeder Nation; man erblickt Kalifornier

May (1880)

Allüberall sieht man das geschäftige Treiben, ein unbeschreiblich wirres Durcheinanderlaufen der buntesten Bevölkerung, die man sich nur vorstellen kann. Zu den Europäern aller Nationalitäten gesellen sich die wilden oder halbcivilisirten Rothhäute, welche ihr Wild hier zu Markte bringen und dafür vielleicht zum ersten Male einen Preis erhalten, der nicht geradezu ein betrügerischer genannt werden kann. Hier geht der stolze, malerisch gekleidete Mexikaner neben dem schlichten Schwaben, der langweilige Engländer


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in ihren Serapes, Mexikaner mit ihren betreßten Calcineros und Chilenen mit ihren Sombreros; man erkennt den Kanaken von Hawaii, den Chinesen mit dem langen Zopf und Goldgräber, deren Physiognomien unter der gebräunten Haut und dem verwirrten Bart kaum mehr herauszufinden sind; und alle diese Menschen stürzen und eilen durcheinander, jeder seiner eigenen Geschäfte gedenkend und keiner sich um den anderen kümmernd. Man ist endlich froh, dem Getümmel zu entrinnen und in einem Gasthof ein Unterkommen zu finden.«(60) neben dem beweglichen Franzosen; der indische Kuli im weißen Baumwollenkleide begegnet dem schmutzigen polnischen Juden, der elegante Dandy dem rauhen Hinterwäldler, der handelnde Tyroler dem Goldsucher, dessen Haut gebräunt, dessen Haar ungekämmt und unter dessen wirrem Barte Alles verschwunden ist, was man gewöhnlich mit dem Ausdruck »Phyisognomie« zu bezeichnen pflegt. Hier ist zu treffen der Mongole aus den Hochebenen Asien's, der Parsi aus Kleinasien oder Indien, der Malaye der Sunda-Inseln und der Chinese vom Strande des Yang-dse-kiang.(61)

Auch die Erwähnung des Platte-River,(62) des Vogels Whipp-poor-will(63) oder der magischen Wirkung eines Skizzenbuchs(64) gehen wohl unmittelbar auf Möllhausen zurück. Man kann also sicher davon ausgehen, daß May seit spätestens 1880 Möllhausens »Wanderungen« benutzt hat. Für die vor diesem Zeitpunkt geschriebenen, bislang bekannt gewordenen Wild-West-Erzählungen Mays ließ sich ein eindeutiger Zusammenhang nicht nachweisen. Doch offenbar blieb, wegen der überbordenden Kolportageproduktion für Münchmeyer, auch für die 1880er Jahre Mays direkte Möllhausenrezeption zunächst Episode. Genaueres könnte nur eine systematische Sichtung der Kolportageromane unter diesem Aspekt ergeben. Viel Zeit zum Nachschlagen oder gar Lesen wird May in diesen Jahren nicht gehabt haben. Außer der zitierten Namensnennung im »Waldröschen« waren direkte Adaptionen bislang nicht nachweisbar. Erst bei den Naturbeschreibungen in »Der Schatz im Silbersee« (die Zeitschriftenfassung stammt aus den Jahren 1890/91) griff Karl May wieder verstärkt nach Möllhausen; diesmal benutzte er allerdings dessen zweites Reisewerk, den Colorado-Reisebericht. So variierte er beispielsweise, die Namen verraten es bereits, den bei Möllhausen beschriebenen Black Canon zu seinem Night Canon:

Möllhausen (1861)

»Die Canons, gebildet von dem Durchbruch des Stromes durch einzelne dieser Bergketten, übertreffen an Schönheit und Erhabenheit jede andere Formation. In dem Schwarzen Canon (Black Canon) fließt der tiefe und schmale Strom zwischen mächtigen

May (1890/91)

»Das ist der Night-Cañon«, erklärte Old Firehand, indem er auf diese Spalte deutete. »Er trägt diesen Namen, weil er so tief und schmal ist, daß das Licht der Sonne nicht hinabzudringen vermag und es in seiner Tiefe selbst am hellen Tage fast Nacht ist; daher der Name


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Felswänden dahin, welche sich unmittelbar aus den Fluthen über tausend Fuß erheben, und sich in der schwindelnden Höhe zu begegnen scheinen. Der gewundene Lauf des Stromes, der sich durch diese geheimnisvollen Tiefen, welche selten durch einen Strahl der Sonne erhellt werden, dahindrängt, zeigt beständige Abwechslung in den majestätischen Außenlinien der überhängenden Massen, die sich zu einem Ganzen verbinden, dessen kolossale Verhältnisse und phantastische Erhabenheit weder dargestellt noch beschrieben werden können.«(65) Nachtcañon. Man reitet da um die Mittagszeit in einer ziemlichen Dämmerung« ... Es war wie ein Ritt durch die Unterwelt. Vor und hinter sich den engen Spalt, unter sich den starren, steinbesäeten Felsen und das dunkle, unheimliche Wasser und rechts und links die geradeauf strebenden Felsenwände, welche so hoch waren, daß sie den Himmel nicht sehen ließen, sondern oben zusammenzustoßen schienen.(66)

Mays Variation, die hier – wie so oft – fast einer eigenständigen Transformation gleichkommt, betont einerseits rhetorisch das Gigantische der Colorado-Landschaft (etwa durch mehrfache Betonung der Lichtlosigkeit), andererseits verniedlicht er deren – ihm offenbar völlig unvorstellbare – wirkliche Größe, indem seine Schilderung suggeriert, man könne dort etwa so ungefährdet hindurchreiten wie durch ein Felsentor im Elbsandsteingebirge. Von Talkesseln ist in Mays »Silbersee« gleichermaßen oft die Rede wie in Möllhausens »Reisen« von Felsenkesseln.(67) May blätterte bei dem berühmten Kollegen, fand eine Stelle, die seinen Vorstellungen entgegenkam, und eignete sie sich variierend an. Etwa auch am Beginn des achten Kapitels seines Romans, »Am Silbersee«. Dort schweißte er zwei Stellen, die bei Möllhausen sechs Seiten voneinander getrennt sind, zusammen; allein noch die zweimalige, nur durch wenige Zeilen getrennte Betonung von einem Farbenglanze, welcher die Augen beinahe blendete und der geradezu unbeschreiblichen Farbenpracht(68) weisen in ihrer sinnlos-engen Doppelung in Mays Text darauf hin, daß hier dem Autor und Ex-Redakteur beim Zusammenschreiben zweier Fremdtexte eine verräterische Stilflüchtigkeit unterlief, die auf die beidmalige Farbenerwähnung in den benutzten Möllhausenvorlagen hinweist.

Möllhausen (1861)

»Als wir so dahinritten, und der Höhenunterschied zwischen unserer Straße und dem Plateau sich mit jeder Meile bedeutend vergrößerte, die gigantischen und zugleich erhabenen Felsmassen immer dichter um uns zusammenrückten, neue Formationen und

May (1890/91)

Es war eine gewaltige Scenerie, welche sich den Augen der Weißen bot, als sie sich nach einigen Tagen dem Ziele ihres beschwerlichen Rittes näherten. Sie ritten in einem langsam aufsteigenden Cañon, an dessen beiden Seiten mächtig hohe Felsenmassen aufstarrten, und


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neue Farben dem Boden gleichsam entstiegen und sich zu prachtvollen und wie drohend überhängenden Gebilden vereinigten, da fühlte ich nicht die sengende Gluth der Sonne, deren Kraft sich in dem engen Felsenkessel verdoppelte; ich hatte nur Gedanken und Blicke für die erhabene Scenerie, die scheinbar im wildesten Durcheinander, von Meisterhand zu einem so schönen Ganzen geordnet war. Tiefer hinab führte unsere Straße, höher empor ragten die Felsen, schmaler wurde der Streifen des blauen, sonnigen Himmels, der so freundlich auf uns niederblickte, und mit jedem Schritte veränderten sich die Bilder, die ich nur der Erinnerung einzuprägen vermochte. Da standen Tempel mit wunderbaren Architekturen, lange Säulenhallen und mächtige, aber zierlich geformte Pyramiden; da öffneten sich weite Gewölbe, Bogenfenster und Thore, aber unten in der Schlucht, dem trockenen Bett eines zeitweise niederschäumenden Gießbaches, befand sich dürrer Sand und glattgewaschenes Gerölle.«(69) zwar in einem Farbenglanze, welcher die Augen beinahe blendete. Kolossale Sandsteinpyramiden, eine neben der andern stehend, oder sich coulissenartig vor- und hintereinander schiebend, strebten in einzelnen, verschieden gefärbten Lagerungen und Stockwerken zum Himmel empor. Bald bildeten diese Pyramiden gradlinige senkrechte Wände; bald waren sie mit ihren vielen Pfeilern und vorspringenden Ecken, Spitzen und Kanten mit steinernen Schlössern oder phantastischen Citadellen zu vergleichen.(70)

Die zweite, bei May nun unmittelbar anschließende »Farben«-Stelle fand ihr Vorbild, wie erwähnt, ebenfalls bei Möllhausen, dort einige Seiten später.

Möllhausen (1861)

»Ein eigenthümliches Farbenspiel zeigte sich an den schroffen Wänden, denn während auf den ersten achttausend Fuß dunk[l]es Braun und Blauschwarz vorherrschend war, spielten die Höhen im schönsten Rosa, Gelb, Blau und Grün, je nachdem die Formationen verschiedener Epochen sich übereinander reihten und von der Abendsonne malerisch beleuchtet wurden.«(72)

May (1890/91)

Die Sonnestand hoch, schräg über diesen großartigen Formationen und ließ dieselben in einer geradezu unbeschreiblichen Farbenpracht erglänzen. Gewisse Felsenschichten schillerten im hellsten Blau, andre tief goldigrot; zwischen ihnen lagen gelbe, olivengrüne und im feurigsten Kupfer funkelnde Lagerungen, während in den Furchen ein gesättigt blauer Schatten ruhte.(71)

Auch die bei May nun anschließenden Passagen sind bei Möllhausen vorgebildet oder von diesem inspiriert. Mays Ausführungen über das trockene Strombett, das sich zu Zeiten in einen reißenden Bach ver-


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wandelt [verwandelt], haben ihr Vorbild in Möllhausens »zeitweise niederschäumenden Gießbach« aus dem ersten Zitat; »dürrer Sand und glattgewaschenes Gerölle« transformiert May so: Die Sohle des Cañon bestand dementsprechend aus einer tiefen Lage rundgescheuerter Steine, deren Zwischenräume mit Sand ausgefüllt waren.(73)

   Auch seine Beschreibung der Präriehund-Kolonie im »Silbersee« destillierte May aus einer Möllhausenvorlage, die er diesmal allerdings wieder in dessen erstem Reisewerk fand. Möllhausens drei Seiten lange Beschreibung zieht May auf einer halben Seite zusammen und wandelt die die Jagbarkeit der Tierchen betreffende letzte Aussage Möllhausens in ihr Gegenteil um:

Möllhausen (1858)

»Eines der merkwürdigsten lebenden Wesen, die auf den Prärien und den hohen Tafelländern gefunden werden, ist unstreitig der Präriehund, der in der Tat nichts anderes ist als ein Murmeltier. Die alten kanadischen Trapper nannten ihn zuerst Petit chien, wozu der Lärm, den er zu machen pflegt und der dem Bellen eines kleinen Hundes nicht unähnlich ist, wohl den ersten Grund gegeben hat (...)

Eine kleine Erdeule ist die Mitbewohnerin dieser unterirdischen Ansiedlungen (...) Die Prärieklapperschlange wird ebenfalls vielfach in solchen Dörfern angetroffen (...)

Einen merkwürdigen Anblick gewährt eine solche Kolonie, wenn es glückt, von dem Wachtposten unbeobachtet in ihre Nähe zu gelangen. So weit das Auge reicht, herrscht ein reges Leben und Treiben; fast auf jedem Hügel sitzt aufrecht wie ein Eichhörnchen das kleine gelb-braune Murmeltier (...) Nähert sich der Beschauer um einige Schritte, so unterscheidet er die tieferen Stimmen älterer und erfahrener Häupter, aber bald wie durch Zauberschlag ist alles Leben von der Oberfläche verschwunden (...)

Das Fleisch dieser Tiere ist schmackhaft, doch die Jagd auf diese ist so schwierig und so selten von Erfolg gekrönt, daß man selten aus anderer Ab-

May (1890/91)

Dort gab es eine Kolonie von Prairiehunden, wie die amerikanischen Murmeltiere wegen ihrer kläffenden Stimme genannt werden. Sie sind harmlose, unschädliche und sehr neugierige Geschöpfe und wohnen sonderbarerweise gern mit Klapperschlangen und Eulen beisammen.

Wenn sich ihnen jemand naht, so richten sie sich auf, um ihn anzuäugen; dabei gibt es sehr possierliche Stellungen und Bewegungen.

Schöpfen sie Verdacht, so tauchen sie blitzschnell in ihre Röhren nieder und sind nicht mehr zu sehen.

Der Jäger, wenn er einen andern Brocken bekommen kann, verschmäht das Fleisch dieser Tiere, nicht etwa aber, weil es ungenießbar ist, sondern weil er ein Vorurteil gegen dasselbe hat.

Will er trotzdem einen Prairiehund erlegen, so darf er nicht versuchen, sich heimlich anschleichen zu können, denn diese Geschöpfe sind zu aufmerksam, als daß ihm dies gelingen könnte. Er muß ihre Neugierde erwecken und so lange zu fesseln suchen, bis er in Schußweite gekommen ist. Das kann er aber nur dadurch erreichen, daß er selbst auch die lächerlichsten Stellungen annimmt und die possierlichsten Bewegungen macht. Der Prairiehund weiß dann nicht, woran er ist


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sicht [Absicht] den Versuch macht, eins zu erlegen, als um die Neugierde zu befriedigen. Da der Präriehund kaum die Größe eines guten Eichhörnchens erreicht, so würden auch zu viele Exemplare dazu gehören, um für eine kleine Gesellschaft ein ausreichendes Mahl zu beschaffen, und manches getötete Tierchen rollt außerdem noch in die fast senkrechte Höhle tief hinab, ehe es gelingt es zu erhaschen.«(74) und was er von dem Nahenden zu halten hat. Das wußte Old Shatterhand.(75)

Aus der von Möllhausen beschriebenen Sinnlosigkeit der Jagd auf diese Tiere läßt May ein Vorurteil der Menschen werden, aus der von Möllhausen angesprochenen Neugierde des Menschen konstruiert May eine Neugier der Tiere. May »korrigiert« also Möllhausen, wie er in ähnlicher Weise auch schon dessen Bemerkungen zum Einfluß des Christentums(76) oder über die indianische Gesichtsform Amalie/Nscho-tschis in seinem Sinn umgewandelt hatte. Dagegen ist ganz im Sinne Möllhausens, was Old Shatterhand über die Zukunft der Indianer sagt:

»... wenn Ihr im Fort von der Begegnung mit uns erzählt, so sagt dabei, daß Old Shatterhand kein Feind der Roten ist und es lebhaft bedauert, daß eine reichbegabte Nation zu Grunde gehen muß, weil man ihr keine Zeit läßt, sich nach den Gesetzen menschlicher Kultur natürlich zu entwickeln, sondern von ihr verlangt, sich nur so im Handumdrehen aus einem Jägervolke in eine moderne Staatsgemeinschaft zu verwandeln.«(77)

Solche bedauernden Aussagen zum Einfluß der Zivilisation auf das Leben der Indianer, bei gleichzeitiger Konstatierung der »Unvermeidlichkeit« dieses Prozesses, finden sich bei Möllhausen immer wieder.(78)

   Auch für seinen im nächsten Jahr entstandenen Roman »Die Jagd auf den Millionendieb« (1892), dessen Buchausgabe erst 1895 unter dem Titel »Satan und Ischariot III« erschien, hat May Möllhausens Reisebeschreibungen, vorwiegend wieder die »Wanderungen«, als Informationsquelle benutzt. Etwa für die Bauweise der Pueblos:

Möllhausen (1858)

»Nur in den oberen Stockwerken befanden sich Eingänge, zu denen von jeder Wohnung Leitern von der Straße aus hinaufführten, die, wenn es die Sicherheit der Bewohner erforderte, eingezogen werden konnten; durch eine Öffnung im flachen Dach des ersten Stocks ging es hinab in die untersten

May (1892)

Oft haben auch diese terassenförmig übereinander liegenden Geschosse weder Thür noch Fenster, sondern nur Löcher in der Decke. Man muß also, um in eine Wohnung zu gelangen, in das höhere Stockwerk hinauf- und dann durch das betreffende Loch wie in einen Keller heruntersteigen. Das Erd-


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Räume, während andere Leitern von der Plattform des ersten Stockwerkes aus auf das Dach der zweiten Etage und in die Wohnungen des dritten Stockwerks führten. Die Räume auf ebener Erde schienen ausschließlich zum Aufbewahren der Vorräte bestimmt zu sein, wogegen in den oberen die Bewohner sich auf ihre Art bequem eingerichtet hatten und hinlängliches Licht durch kleine, viereckige Öffnungen erhielten.«(79) geschoß [Erdgeschoß] ist stets nur durch eine Leiter zu erklettern, welche außen in die öffnungslose Mauer gelehnt ist. Wird sie auf das platte Dach gezogen, so ist der Zutritt für einen Feind zwar nicht unmöglich gemacht, aber doch außerordentlich erschwert.(80)

Über die Pueblo-Indianer:

Möllhausen:

»Eine Vermischung der katholischen und der Aztekenreligion trat überhaupt deutlich hervor, und vielseitig fand man dort die Heilige Jungfrau in Verbindung mit einer Indianerfigur, die das unwissende Volk in diesem Norden, wohin nie die mexikanische Macht vom See Tezcuco aus gedrungen war, Montezuma nennt.«(81)

May:

Sie sind gutmütige, genügsame, ganz unwissende Menschen, wahrscheinlich verkümmerte Abkömmlinge der alten Azteken. Meist Katholiken, sind sie doch eigentlich keine Christen. Sie beten noch immer heimlich zu ihrem Manitou und hängen an alten, heidnischen Gebräuchen, welche dem Christentume widerstreben.(82)

Oder über den Häuptling:

Möllhausen:

»Natürlich war die erste Frage nach dem Alkalde der Stadt, doch wurde mit geringschätziger Miene erwidert daß sich wohl ein Gobernador, aber kein Alkalde in den Mauern von Santo Domingo befinde. Der Verstoß gegen die Eitelkeit der guten Leute wurde indessen wieder doppelt gut gemacht (...) nach kurzer Zeit erschien der Gobernador, ein würdiger Indianer, mit seinem ganzen Gefolge, auf das er mit Stolz herabsah, als wären es seine Untertanen. Er wurde sogleich herzlich willkommen geheißen, und ein buntes Treiben entstand nunmehr im Lager. Alles wurde mit neugierigen Blicken betrachtet.«(83)

May:

Da, wo man spanisch spricht, hat selbst der kleinste Beamte einen hohen, volltönenden Titel, und spanisch verstehen die meisten Puebloindianer mehr oder weniger geläufig zu reden. Die ganze Bevölkerung war zusammengelaufen und betrachtete uns mit nicht eben freundlichen Augen ... Wir wollten nichts fordern und verlangen, und fragten nur deshalb nach dem Governor, weil wir beabsichtigten, ihn um Auskunft über die drei Meltons zu bitten. Als wir abgestiegen waren, zeigte sich niemand bereit, unsere Pferde zu halten, uns Wasser zu zeigen und uns zum Governor zu führen.(84)


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Die Verlegung der Handlung zu den Yuma-Indianern, einem für May ganz untypischen Stamm, dürfte ebenfalls auf Möllhausen, der diese Indianer gelegentlich beschreibt, zurückgehen. Auch bei seinen Ausführungen über Ackerbau und Viehzucht der Pueblo-Indianer(85) und über das Innere eines Zuni-Hauses(86) hat May sich von Möllhausen belehren lassen. Immer wieder kehrt er dabei, unter dem Diktat seiner Handlung, Möllhausens Aussagen in ihr Gegenteil um – gelegentlich auf verblüffende und amüsante Weise. Möllhausen wurde beispielsweise auf seiner Reise von dem Zuni-Indianer, der ihn in das Innere seines Hauses einlud, sehr freundlich behandelt, weil die beiden sich einige Jahre zuvor bereits einmal begegnet waren. Bei May liest sich das dann so:

Und dennoch war ich von diesem Zuniindianer nicht vollständig befriedigt. Ich vermochte mir freilich nicht gleich zu sagen, warum; aber als ich länger darüber nachdachte und ihn weiter beobachtete, kam ich auf den Grund des Argwohnes, der trotz alledem in mir lag. Es war die große Freundlichkeit, welche er gegen uns zeigte. Der Indianer ist in jeder Beziehung zurückhaltend; ganz besonders aber zeigt er sich gegen Fremde erst dann wohlwollend, wenn er sie näher kennen gelernt hat. Von dem Zuni aber wurden wir wie alte, liebe Bekannte behandelt.(87)

Daß May auch im folgenden Jahr, für »Winnetou I«, Möllhausens »Wanderungen« benutzt hat, wurde anläßlich der Nscho-tschi-Beschreibung bereits gezeigt. Durch diesen Fund einmal auf die Spur gesetzt, erhält man leicht das Gefühl, daß sogar ein Gutteil der Abenteuersequenz in diesem May-Roman in ihrer Abfolge von Möllhausens erstem Reisewerk initiiert worden ist. In beiden Büchern ist der Erzähler Mitglied eines Vermessungstrupps für eine Eisenbahnlinie, bei beiden besteht die Gruppe aus zwölf Personen (Möllhausen: »zwölf Personen im ganzen«(88); May: zwölf auf uns wartende »Westmänner«(89)); Mays Handlung beginnt angeblich an den Quellen des Kanadian(90), die auch bei Möllhausen eine Rolle spielen. Möllhausen schildert, ähnlich wie dann May, in drei aufeinanderfolgenden Kapiteln am Beginn seines Buches (Kap. 8–10) eine Büffel-, eine Bären- und eine Mustangjagd. Sam Hawkens' bekannte Tirade über die Vernichtung der Indianer mittels sinnloser Ausrottung der Büffel durch die Weißen(91) ist offenbar durch Möllhausens umfangreiche Beschreibung inspiriert;(92) die Bemerkung von Mays Ich-Held – Wie man den Bison jagt, das hatte ich sehr oft gelesen; darüber konnte man mir nichts Neues sagen(93) – wäre dann als Möllhausenreferenz zu verstehen.(94) Aus einer Bemerkung Möllhausens während der Beschreibung des Mustangfangs (»Es folgte dann ein kurzer Kampf, und der Mustang, unfähig zu atmen, stürzte


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zusammen«(95)) macht May eine spannende, weitaus längere Zähmungsbeschreibung eines Maultieres, das sich in einer Mustangherde befindet, die mit dem Satz endet: Es verlor den Atem und stürzte zu Boden.(96) Auch Möllhausens Pueblo-Beschreibung, die May schon im Jahr zuvor für den »Millionendieb« verwendet hatte, baute er hier erneut nahezu wortgetreu ein;(97) alle Orts- oder Indianerbeschreibungen oder -erwähnungen, einschließlich der Kiowas, finden sich in ähnlicher Form in Möllhausens »Wanderungen«. Mir scheint, daß letztlich sogar das seltsame, der Wirklichkeit völlig widersprechende, für diesen Roman Mays und für den »Silbersee« aber besonders auffällige geographische Neben- bzw. Ineinander von Prärie- und Südwestgeographie und -ethnologie (Grasprärie/Pueblos) auf Möllhausen zurückzuführen ist. Möllhausen hatte in die chronologische, tagebuchartige Beschreibung seiner Vermessungsexpedition im Süden der USA immer wieder umfangreiche Berichte und Erzählungen eigener oder fremder Erlebnisse, die an ganz anderen Orten, meist am Missouri/Mississippi/Platte-River spielen, eingebaut; aus einem solchen Einschub, der in den Council Bluffs am Missouri spielt, stammte etwa auch die Nscho-tschi-Beschreibung. May, dessen Vorstellungsvermögen, wie wir bereits sahen, der wirklichen Größe der nordamerikanischen Landschaft und der Weitläufigkeit der dortigen Entfernungen in keiner Weise gewachsen war, hat offenbar bei seiner fieberhaft-blätternden Suche nach »Stoff« diese beiden geographisch und ethnisch völlig unterschiedlichen Landschaften, die bei Möllhausen noch erzählerisch hintereinander – abwechselnd – abgehandelt werden, endgültig miteinander zu  e i n e r  Landschaft vermischt.

   Auch für seinen 1897 geschriebenen Roman »"Weihnacht!"« ließ May sich von Möllhausens »Wanderungen« anregen. Direkte Adaptionen sind zu dieser Zeit schon nicht mehr nachzuweisen; May war bei der Konstituierung seiner Abenteuerwelt nunmehr offenbar weitgehend von Vorlagen unabhängig. Dennoch kommt noch vieles in diesem späten Wild-West-Roman Karl Mays dem Möllhausenkenner bekannt vor. Eine Reihe von Örtlichkeiten, die in ihrer Kombination allein für Möllhausen typisch waren, werden genannt. Besonders Möllhausens lebensgefährliches Abenteuer am Sandy Hill Creek – dem fast archetypisch gewordenen »Nukleus« aller seiner Abenteuer –, wo der Reisende am Jahresende 1851 sechs unvorstellbar strapaziöse Wochen allein in einem Zelt verbringen mußte, und wo er, auf der Rückreise von Fort Laramie am Platte River vom Winter überrascht, von seinem einzigen Reisebegleiter Herzog Paul schmählich verlassen wurde und ein trauriges und einsames Weihnachtsfest(98) begehen mußte, hat wohl


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May inspiriert. Das Weihnachtsfest im Schnee, das dieser am Ende seines Romans »Weihnacht« feiern läßt, ist entschieden versöhnlicher.(99) Old Shatterhand reist, wie Möllhausen, immer an dem Nord-Platte hin(100); Möllhausen wurde hinter Fort Laramie, dem Wendepunkt seiner Reise, vom Winter überrascht: Old Shatterhand gibt zu bedenken: Der Winter konnte schon heut oder morgen im stöbernden Schnee herniedersinken und den Rückweg nach der Laramie unmöglich machen(101); sogar ein Sand Creek und ein Big Sandy Creek – bei Möllhausen Sandy Hill Creek – werden von May mehrfach erwähnt.(102) Wie ein direkter Kommentar – in der nun bereits bekannten »korrigierenden« Manier – zur Möllhausen/Herzog Paul-Episode wirkt, was Old Shatterhand dem Goldsucher Watter, der seinen Gefährten ebenfalls in unsicherer Situation am Platte verlassen hat, zu denken gibt:

»Weil dort der Platte in den Missouri mündet und Euer Kumpan unbedingt dort gewesen sein muß, wenn er die Fahrt auf dem Platte-River glücklich vollendet haben sollte. Ich würde unbedingt dort die sorgfältigsten Erkundigungen einziehen und, falls diese resultatlos wären, den Platte aufwärts gehen, um mich weiter zu erkundigen. Das seid Ihr Welley schuldig, der so lange Zeit ein treuer Freund von Euch gewesen ist.«(103)

V

Doch auch jenseits solcher konkreten, direkten Überlappungen in den Schilderungen Mays und Möllhausens, jenseits also dieser Vorbild-Abbild-Beziehung sind beide Autoren in ihrem Genre und im Deutschland ihrer Zeit jene zwei Hauptpole, zwischen denen die Feilspäne literarinterpretatorischen Scharfsinns sich erst zu überzeugenden Kraftlinien ordnen können. In bemerkenswerter Weise ähneln sich etwa der elegische Ton des Schlußwortes von Möllhausens »Mormonenmädchen« (1864), in dem dieser den gemeinen Tod seines indianischen Freundes Kairuk beklagt,(104) und der melancholische Duktus jenes berühmten Vorwortes, das Karl May seinem »Winnetou I« (1893) beigegeben hat und in dem er den Tod der gesamten indianischen Rasse beklagt. Zwei entgegengesetzte Bewegungen literarischer Produktion – Möllhausens Fiktionalisierung realer Abenteuer und Mays Bemühen um die Glaubwürdigkeit fiktivster Traumgestalten – führen mithin in diesen zeitlich durch eine ganze Generation getrennten Fällen zu ähnlichen Ergebnissen.

   Auch die erzählerische Vorgehensweise Möllhausens läßt sich im Kontrast zu der Mays besonders deutlich charakterisieren. May fabu-


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liert [fabuliert] und träumt hemmungslos, er baut seine Menschen, Situationen und Landschaften nach eigenen seelischen Bedürfnissen. Seine Talkessel sind Talkessel, weil nur diese selbstgeformte Landschaft das unverletzte Einfangen großer Gruppen von Feinden glaubwürdig erzählbar macht: unverletzt müssen sie aber sein, weil dies die Voraussetzung ist zu ihrer Flucht, zu abermaliger Gefangennahme und abermaliger Flucht und damit zum Funktionieren der reißenden Endlosigkeit des Abenteuers. Mays Landschaften sind also »Fluchtlandschaften«,(105) die zunächst den seelischen Bedürfnissen ihres Autors zu genügen haben; Möllhausens Landschaften dagegen sind reale, die ihre Beschreibung dem deutlich didaktischen Interesse ihres Autors verdanken. Wenn May, als Ruhepunkt seiner atemlosen Handlung, eine Beschreibung San Franciscos benötigt, dann greift er zum Lexikon – oder, wie gesehen, zu Möllhausen. Dieser dagegen hatte eine solche Möglichkeit, sich an ein Vorbild anzulehnen, nicht. Er mußte sich, umgekehrt, auf die Suche nach einer Handlung machen, die es ihm erlaubte, möglichst viele der von ihm auf seinen Reisen besuchten Orte und der dort beobachteten »Szenen aus dem Volksleben« halbwegs einleuchtend miteinander zu verbinden.

   Als Gerüst und Motor seiner Handlung griff Möllhausen meist zum Geheimnisschema, dessen chronologisch rückwärts orientierte Dynamik es erlaubt, den Zeitstrang beliebig aufzusplittern und damit eine logische Begründung auch für die Durchbrechung des Raumkontinuums zu liefern. Ein Geheimnis, das zu Beginn eines Romans auftaucht, wird im Verlauf der Handlung durch tief in die Vergangenheit hineinreichende Recherchen nach und nach aufgeklärt. Schauplatz- und Personenwechsel, die zunächst willkürlich und unmotiviert zu erfolgen scheinen, stellen sich im Fortlauf der Handlung als durchaus folgerichtige Schritte in Richtung auf eine allmähliche Aufhellung aller Geheimnisse heraus. Bei May bleibt dieses strenge Schema, das Möllhausen in nahezu jedem Roman verwendet und das als direkte Vorläuferversion der Gattung Detektivroman zu gelten hat, eher die Ausnahme.

   Auch die Erlebnisweise des Abenteuers und seine erzähltechnische Funktion ist bei beiden Autoren grundverschieden. Bei Möllhausen ist das Abenteuer de facto und stets Teamwork; bei May dagegen wird das Team, sobald der Held den Schauplatz betreten hat, zu dessen Zuschauer degradiert. Mays Romane belegen, wie wirkungsvoll die Konzentration aller Abenteuer auf die Figur des Haupthelden für die Spannungsdramaturgie sein kann. Der Held ist stets präsent, eine Neuvorstellung beim Beginn eines neuen Abschnitts, Kapitels oder gar Romans erübrigt sich faktisch. Die Abenteuerfolge kann ohne zeitliche


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oder räumliche Schnitte stattfinden, wodurch sich das Tempo der Darstellung ohne logische oder personelle Brüche erhöhen läßt. Auch die Identifikation des Lesers mit dem Schicksal ein und desselben Helden ist umfassender als bei mehreren, die emotionale Wirkung des einzelnen Abenteuers damit intensiver.

   Das charakteristische Absinken auch der fähigsten Westleute zu Statisten – sobald sie in die Gegenwart Old Shatterhands gelangen – erweist sich also, im Vergleich mit dem Kollektivabenteuer bei Möllhausen, als Ergebnis einer Mayschen Spannungsmanipulation. Bei Möllhausen herrscht bewußte Diversifikation. Etwa im zweiten Teil von »Das Loggbuch des Kapitäns Eisenfinger« (1887): Der Matrose Martin hat in der Matrosenschänke ein Würfelabenteuer bestanden, sein Freund Demetrius das Abenteuer seiner Flucht von zu Hause; beide gemeinsam und arbeitsteilig überstanden eine Meuterei. Hans und Werner, zwei weitere Figuren, die sich an der Reise beteiligen, müssen sich erst beweisen. Die Aufmerksamkeit des Lesers wird vom Erzähler (= Möllhausen) gezielt immer wieder neu von der gerade handelnden Person abgezogen und auf eine andere gelenkt. Dies hat zunächst den Vorteil, daß sich die pure Wahrscheinlichkeit des Erzählten erhöht; eine noble Geste, die freilich den Spannungsbogen immer neuen Unterbrechungen unterwirft. Karl May geht anders vor. Er beugt der Gefahr von Leserzweifeln angesichts der schieren Omnipotenz seines Helden durch die gewählte Ich-Perspektive vor. Damit entfällt die Distanz einer möglichen Außenperspektive; die immer wieder vorgetragenen, eher rhetorischen Selbstzweifel des Ich-Erzählers überrumpeln zusätzlich den kritischeren Leser. Möllhausen dagegen dosiert das Abenteuer. Jeder Figur wird höchstens eine Episode im Alleingang zugestanden. Das gemeinsame Vorgehen aller Abenteurer erhöht die Plausibilität eines positiven Ausgangs auch der schlimmsten Gefahrensituationen. Barnabas, die Titelgestalt des »Loggbuch«, schreibt aus Deutschland an Demetrius in Nordamerika: »Außerdem sind sie jetzt (...) Ihrer vier; das ist günstig, weil Sie in Lagen geraten können, in denen Sie sich Ihrer Haut wehren müssen.«(106) Jede Figur findet Einsatz im Rahmen ihrer Möglichkeiten: Der Seemann Martin leitet die Meuterei, dem weltgewandten Demetrius obliegen die Aufgaben an Land.(107)

   Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Karl May und Möllhausen wird an diesem Abenteuerbegriff leicht deutlich: Bei May beginnt das Abenteuer stets neu, es ist niemals wirklich überstanden. Möllhausen dagegen funktionalisiert nicht selten seine Abenteuer und verkauft sie unter Wert, als Retardation einer »eigentlichen« Handlung; er läßt sie Begründungselement sein für eine Sinnkonstruktion


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der Geheimnishandlung (Zusammenführung von Familien, Produktion von privatem Glück) und umgibt deshalb den Abenteuerteil meist mit einem erzählerischen Rahmen, den das Abenteuer nicht verlassen kann. Mays Abenteuer bleiben nie im Rahmen. Eine bürgerliche Existenz, wie sie die meisten Abenteurer Möllhausens anstreben und erreichen, ist für seine Helden nicht denkbar. Sam Hawkens als Fabrikant wäre lächerlich, für Möllhausens Trapper Stabbord in »Die Einsiedlerinnen« (1874) ist der neue Beruf kein Problem. Dies entspricht durchaus historischen Tatsachen: Nicht wenige Trapper, die in Diensten der Pelzhandelsgesellschaften reich geworden waren, hängten den alten Beruf später an den Nagel und gründeten sich – z. B. in St. Louis, wo die ersten Familien der Stadt noch heute auf solche Leute zurückgehen – ein bürgerliches Heim. Gerade dieser Realismus Möllhausens ist es, der den Autor aus heutiger Sicht im Vergleich zu Karl May so unendlich bürgerlich und damit so unendlich historisch erscheinen läßt. Der Selbstzweck des Abenteuers als romantische Fiktion hatte mit May erneut und endgültig gesiegt.

   Die ideologischen Unterschiede beider Autoren rühren wohl nicht zuletzt auch aus ihrer Herkunft aus unterschiedlichen sozialen Klassen. Möllhausens Personentableaus am Schluß seiner Romane – die Vereinigung aller Getrennten – sind die literarische Erfüllung einer privaten Sehnsucht, die zugleich den Träumen eines bürgerlichen Publikums entsprach, das die fortschreitende Aufspaltung und zunehmende Unerkennbarkeit der Welt als größtes Dilemma der Kapitalisierung empfand. May dagegen hatte eine proletarische Herkunft, war Sohn erzgebirgischer Weber: sein Traum war stets die ewige Weite, Ausbruch aus den Beengtheiten der Not, der Weberstube, der kindheitlichen Täler, der Zelle von Waldheim und anderswo. Die Reise war bei May das eigentliche Ziel.

VI

Eine Reihe von Motiven hat Möllhausen dem Bildkanon des Abenteuergenres neu hinzugefügt: die Felsenschlucht, die indianische Terrassenstadt, die Colorado-Landschaft, den malerischen Navaho-Häuptling, den finalen Sturz in die Tiefe u. v. a. m. Gerade diese scheinen Karl May, als seinen bedeutendsten Nachfolger in der Gattung, besonders beeindruckt zu haben. Ob das Pueblo in »Winnetou I«, die ständigen Talkessel oder die von der poetischen Gerechtigkeit inszenierten Todesstürze eines Douglas (»Old Surehand III«), Santer (»Winnetou III«)


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oder Schut (»Der Schut«): in ähnlicher Form findet sich dies alles bereits bei Möllhausen.

   Auch die Erzählstruktur von Rahmen- und Binnenerzählung, wie sie etwa die ersten beiden Bände des »Surehand«-Romans bestimmt, konnte May innerhalb des Abenteuergenres nur bei Möllhausen finden; der ständige Wechsel von Reisejournal und Lagerfeuererzählung in dessen beiden Reisewerken wurde bereits erwähnt. Das »Lagerfeuer«, bei Möllhausen dort einfach nur immer wiederkehrender Anlaß zum Erzählen, wurde bei May zu einer beinahe mythischen Begründungsinstanz, die erzählerisch die Fabelhaftigkeit der Helden glaubhaft machen half: Wenn der Leser zunächst am Lagerfeuer vom Ruhme Winnetous hört, kommt ihm dieser später, tritt er erst selbst auf, bereits bekannt-vertraut und ein wenig glaubwürdiger vor. Rahmen- und Binnenerzählung strukturieren auch die Möllhausenromane »Die Mandanen-Waise« und »Familie Melville« (1889) und besonders dessen Erzählungssammlung »Reliquien« (1865),(108) in der insgesamt dreizehn eigenständige Erzählungen mittels Erzählrahmen über drei Bände verbunden sind.

   Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Zweikämpfe: Der Abenteuerteil von Möllhausens »Die Reiher« (1878) endet mit dem Kampf zwischen dem Vaquero Juan und dem Navajo-Häuptling Dalchu-pesch als Höhepunkt. Auch in anderen Romanen hat Möllhausen, genau wie später May, immer wieder Zweikämpfe beschrieben (z. B. Juan gegen Nintsa-pesch in »Der Mayordomo«, 1863). Auswirkungen auf May hatte dabei besonders die Tatsache, daß Schußwaffen im Werk Möllhausens keine über die Jagd hinausreichende Rolle spielen. Zweikämpfe werden stets mit anderen Waffen ausgetragen, hier mit Lasso und Speer. Diese Aussage scheint zunächst paradox, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Schußwaffen – Winnetous Silberbüchse, Old Shatterhands Henrystutzen und Bärentöter – bei May eine fast mythische, an Siegfrieds magisches Schwert Balmung erinnernde Bedeutung bekommen. Oft genug jedoch ist dies bei Zweikämpfen anders: da ist Old Shatterhand seiner Schußwaffen, die einen wesentlichen Bestandteil seiner Identität ausmachen, entledigt. Er kann, wie Möllhausens Helden auch, nur noch auf Geschicklichkeit, Mut und Kraft vertrauen (z. B. Old Shatterhand gegen Blitzmesser oder gegen Intschu tschuna in »Winnetou I«). Damit streift May seinem Helden jedesmal das zivilisationsabhängige Gewand der Technik ab und versetzt ihn zurück in eine handwerklich – von Messer, Lasso, Tomahawk – geprägte, dem Entwicklungsstand der »Wilden« ebenbürtigere Phase der eigenen bürgerlichen Herkunft. Zugleich bedeutet dies


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auch einen Schritt zurück in der Tradition des Genres. Die Abenteuerhandlung vieler Möllhausen-Romane, selbst derjenigen, die zeitlich ausdrücklich in den sechziger oder siebziger Jahren angesiedelt sind, atmet fast stets den Geist der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts, jener Zeit also, in der der Autor selbst aktiv das Abenteuer suchte: der Zeit vor Colt, Henry oder Winchester. Möllhausens Gewehre sind Vorderlader, einschüssig und von geringer Tragweite; Faustfeuerwaffen spielen beinahe überhaupt keine Rolle. Zwangsläufig dominieren Taktik und Geschicklichkeit die Zweikämpfe. Zudem hat Möllhausen nicht so profilierte Helden wie Karl May; dessen libidinös-neurotischer Charakter des Waffentragens und -zeigens entfällt bei ihm. Gewehre werden bei Möllhausen zur Jagd und manchmal zur Verteidigung (etwa in »Die Reiher« bei der Flucht vor den Tonto-Apachen) benutzt; immer werden sie, wie in den Werken Gerstäckers auch, sachlich behandelt. Waffen dienen nicht zur Stilisierung der Protagonisten. Dieses unterschiedliche Verhältnis zu Waffen mag in der Biographie der Autoren begründet liegen: Gerstäcker und Möllhausen waren beide ebenso leidenschaftliche wie gute und treffsichere Jäger, May dagegen ist in dieser Beziehung ein Leben lang Laie und damit anfällig für Legenden geblieben.

   Zum deutlichsten und nachhaltigsten Einfluß Möllhausens auf May gehört freilich die Schauplatzteilung in ein Deutschland-Amerika-Schema. Karl Mays erster Roman »Auf der See gefangen« (1878) arbeitet ebenso mit diesem Kontrast wie »Die Juweleninsel« (1880–82) oder »Das Waldröschen« (1882), Kolportageromane aus der Frühzeit des Autors. Auch spätere, berühmte Romane des Schriftstellers bieten dieses Muster: »Satan und Ischariot« (geschrieben vermutlich 1891–92) und »"Weihnacht!"« (1897). Ein umfangreiches Deutschlandkapitel aus »Satan«, »In der Heimath«, wurde vom Redakteur des Zeitschriftenvorabdruckes gestrichen und auch in die Buchausgabe nicht mit aufgenommen. May war die Episode und besonders der Schauplatzkontrast aber so wichtig, daß er diese Strukturmethode für »"Weihnacht!"« erneut aufgriff. Ein Vergleich des gestrichenen Kapitels(109) mit dem Deutschlandteil von »"Weihnacht!"« würde vermutlich zeigen, daß die Verwandtschaft beider Teile sehr eng, beinahe programmatisch ist und bis in Formulierungen hinein geht. Selbst in seinem symbolisch-allegorischen Spätwerk arbeitet May mit diesem von Möllhausen entlehnten Schema: Auch in »Winnetou IV« (1909–10) beginnt die Handlung, bevor sie nach Amerika springt, mit einem Deutschlandkapitel. Und noch der symbolische Kontrast der Phantasieländer »Ardistan und Dschinnistan« (1907–09) im gleichnamigen Roman kann als Reflex auf


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die einstigen Schauplatzteilungen Möllhausens gelesen werden. Möllhausen hatte diese Form, die letztlich auf Thomas Morus' didaktisch-zeitkritische Schrift »Utopia« (1516), die – sicher nicht zufällig – kurz nach der Entdeckung Amerikas verfaßt wurde, zurückgeht, im Verlaufe seines Romanschaffens zu einer reproduzierbaren Gattung entwickelt. Geschichte, Struktur und ideologiekritische Momente dieser Romangattung können hier nicht näher erläutert werden;(110) eine Untersuchung der entsprechenden May-Romane, etwa im Vergleich zu einigen Werken Möllhausens, könnte aber wichtige Aufschlüsse über Welt- und Wunschbild dieser Autoren – und damit zweier Generationen – liefern.

   Möllhausen selbst soll auf Karl May nicht sonderlich gut zu sprechen gewesen sein. Er sah in May einen üblen Plagiator und sprach angeblich davon, daß im Reichstag ein Gesetz eingebracht werden müsse, um Leuten wie ihm das Handwerk zu legen.(111) Das ist vorstellbar, denn Gründe für eine Abneigung gab es genug. Es ist zum Beispiel auffällig, daß die Presse bei ihren zahlreichen Berichten über Möllhausen – etwa zu dessen Geburtsjubiläen 1895, 1900 und 1905 – niemals offen Bezug auf Karl May nahm. Offenbar sollten als peinlich empfundene Parallelen zwischen beiden Schriftstellern nicht angesprochen, der »arrivierte Bürger« Möllhausen nicht dem »windigen Kolportage-Schriftsteller« May zur Seite gestellt werden. Interessant ist vor diesem Hintergrund die May-Erwähnung Preston A. Barbas in seinem Möllhausenbuch aus dem Jahr 1914:(112) Barba, der sich selbst offensichtlich einer gewissen Faszination Mays nicht entziehen konnte, läßt aber anklingen, viele hielten diesen für einen Schwindler. Es ist nicht auszuschließen, daß Barba, dessen Buch in enger Zusammenarbeit mit der Witwe Möllhausens entstand, mit dieser Bemerkung »offiziös« die Einstellung des Hauses Möllhausen zu May kundtat. Balduin Möllhausen, der den Wilden Westen aus eigener Anschauung bestens kannte und der selbst Trapper gewesen war, dürfte die Maysche Old Shatterhand-Legende der neunziger Jahre schnell als Schwindel durchschaut haben. Dagegen hatte May aber paradoxerweise mit ganz ähnlichen Sujets wie Möllhausen gegen Ende des Jahrhunderts entschieden mehr Erfolg als dieser; zumal in den neunziger Jahren, als Möllhausens Stern literarisch allmählich im Sinken begriffen war, feierte May seine größten Triumphe. Kurioserweise waren beide Autoren einmal sogar kurzzeitig im selben Jahr Kollegen innerhalb desselben Verlages: Im Jahr 1890 erschien bei der Stuttgarter Union Deutsche Verlagsgesellschaft Balduin Möllhausens Roman »Der Fährmann am Kanadian«,(113) im gleichen Jahr veröffentlichte dort Karl May sein Buch »Die Helden des Westens«.

   Wie auch immer der Erfolg gerade dieser beiden Bücher gewesen


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sein mag: May nahm Möllhausen in jedem Fall dessen Publikum – was umgekehrt nicht mehr gelingen konnte. Als der List-Verlag seit 1906 – im Jahr zuvor war Möllhausen gestorben – seine dreißigbändige Möllhausen-Ausgabe herausbrachte, geschah dies unter wechselnden Signets. Zunächst hieß die Ausgabe im Untertitel »Illustrierte Romane. Reisen und Abenteuer«, dann fiel der zweite Teil weg; schließlich versuchte man »Illustrierte Reise-Romane«, und später sogar »Illustrierte Reiseerzählungen« – letzteres jener Gattungsterminus, der längst für May zu einem Markenzeichen geworden war. Damit hatte die zeitliche Entwicklung Möllhausen endgültig und postum eingeholt. Hatte früher May von Möllhausen profitiert, so sollte nun der Rheinpreuße am Erfolg des Sachsen partizipieren. Dies war vergeblich, wie man weiß. Ein Verleger vom Format E. A. Schmids, der Mays Erfolg über die Zeiten retten half, war Möllhausen nicht beschieden.(114)



1   Karl May: Der Scout. In: Deutscher Hausschatz. XV. Jg. (1888/89), S. 462; in: Karl May: Der Scout – Deadly Dust. Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Regensburg 1977

2   Hainer Plaul: Resozialisierung durch »progressiven Strafvollzug«. Über Karl Mays Aufenthalt im Zuchthaus zu Waldheim von Mai 1870 bis Mai 1874. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1976. Hamburg 1976, S. 105–170 (151) – dort ein Faksimile der Eintragung in den Entlassungspapieren

3   Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 1979 (6. Auflage), S. 6

4   Ebd., S. 874

5   Vorliegender Aufsatz versteht sich als Ergänzung zu dem Beitrag von Volker Griese: Karl Mays »Wanderungen« durch Möllhausens Prärien und Wüsten. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 79/1989, S. 26–30, u. 80/1989, S. 31–37. Grieses Ergebnisse wurden, soweit sie konkret überzeugen konnten, einbezogen.

6   Alle Angaben hierzu bei: Franz Kandolf/Adalbert Stütz/Max Baumann: Karl Mays Bücherei. In: Karl-May-Jahrbuch (KMJB) 1931. Radebeul o. J., S. 212–291

7   Bei diesem  e r s t e n  Reisewerk Möllhausens handelt es sich um den Bericht von seiner  z w e i t e n  Amerikareise, in den einzelne Episoden seiner – besonders wichtigen und abenteuerlichen –  e r s t e n  Reise eingeflochten waren.

Zitiert wird nach der neueren, nur orthographisch modernisierten Ausgabe: Balduin Möllhausen: Wanderungen durch die Prärien und Wüsten des westlichen Nordamerika (...) München o. J. (ca. 1978) (Verlag Lothar Borowsky) (künftig: »Tagebuch« bzw. »Wanderungen«).

Zur Biographie Möllhausens vgl.: Andreas Graf: Der Tod der Wölfe. Das abenteuerliche und das bürgerliche Leben des Amerikareisenden und Romanschriftstellers Balduin Möllhausen (1825–1905). Berlin 1991 (Duncker & Humblot).

8   Bei diesem  z w e i t e n  Reisewerk handelt es sich um den Bericht von Möllhausens  d r i t t e r  Amerikareise, in den aber wiederum Episoden der  e r s t e n  Reise eingeflochten waren.

Zitiert wird nach dem Reprint: Balduin Möllhausen: Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas (...) Leipzig 1861 (Hermann Costenoble). Reprint mit einer Einleitung von Erich Heinemann. 2 Bände. Hildesheim 1975 (Verlag Gerstenberg). Die Seitenangaben der Borowsky-Ausgabe dieses Werkes werden in Klammer beigegeben: Balduin von [!] Möllhausen: Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas (...) München o. J. (ca. 1978) (Verlag Lothar Borowsky) (künftig: »Reisen«).

9   Die Romane und Erzählungen Möllhausens werden grundsätzlich nach den jeweili-


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gen [jeweiligen] Bucherstausgaben zitiert. Nur gelegentlich wird aus Gründen der bequemeren Zitierbarkeit auf einen Band der zwischen 1906 und 1913 im Leipziger Verlag Paul List erschienenen 30bändigen Möllhausen-Ausgabe zurückgegriffen. Die List-Ausgabe, die in mindestens vier verschiedenen Aufmachungen und als Lieferungswerk erschien, ist bis heute die bekannteste und verbreitetste Möllhausen-Ausgabe. Die Romane sind dort jedoch gegenüber den Erstausgaben zwischen 10 % und 40 % gekürzt worden. Vgl. Andreas Graf: Abenteuer und Geheimnis. Struktur und Wirkung der ethnographischen Gesellschaftsromane Balduin Möllhausens. Freiburg i. Br. 1991 (Rombach-Verlag).

10   Beide Romane sind gegenüber den Erstausgaben (Stuttgart: Union 1890; Jena: Costenoble 1891) um etwa 18% bzw. 21 % gekürzt.

11   Karl May: Das Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde. Dresden 1882, S. 736, Reprint Leipzig 1988

12   Vgl. Andreas Graf: Fontane, Möllhausen und Friedrich Karl in Dreilinden. Zu Entstehungshintergrund und Struktur des Romans »Quitt«. In: Fontane-Blätter. Heft 51 (1991).

13   May: Waldröschen, wie Anm. 11

14   Vgl. Friedrich Freiherr von Dincklage: Balduin Möllhausen und der »Rote Prinz«. In: Die Kundschaft 1895. Neudruck in: Preston Albert Barba: Balduin Möllhausen, the German Cooper. University of Pennsylvania 1914 (Americana Germanica, Vol. 17) S. 185–188. Daraus geht hervor, daß der Prinz die Erzählungen Möllhausens so oft von diesem hatte hören wollen, daß er schließlich den Erzähler, wenn er einmal etwas ausließ, »verbessern« konnte.

15   Daß May mit den Verhältnissen in Berlin zu jener Zeit recht gut vertraut war, geht auch aus der Wahl seines Verfasser-Pseudonyms »Diaz de la Escosura« hervor: dies war der Name des kurz zuvor verstorbenen spanischen Gesandten in Berlin gewesen. Vgl. Klaus Hoffmann: Nachwort (zu »Das Waldröschen«). In: Karl May: Das Waldröschen oder Die Verfolgung rund um die Erde. Dresden 1882; Reprint einer späteren Ausgabe; Hildesheim-New York 1968ff., S. 2622.

16   Vgl. Mittheilungen aus Justus Perthe's Geographischer Anstalt [Petermann's Mittheilungen]. Gotha, Bd. 3 (1857) S. 545, Bd. 4 (1858) S. 303; Bd. 7 (1861) S. 126.

17   Vgl. Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 435.

18   Vgl. ebd., S. 477–482.

19   Sehr interessant in bezug auf May ist die von Möllhausen erzählte Geschichte des Mr. Charrot, vgl. ebd., S. 475f.

20   Balduin Möllhausen: Die beiden Yachten. Roman. 3 Bände. Stuttgart-Berlin-Leipzig: Union Deutsche Verlagsgesellschaft o. J. (1891), Bd. II, S. 51

21   Vgl. Balduin Möllhausen: Die Familie Melville. Roman aus der Zeit des nordamerikanischen Bürgerkrieges. 3 Bände. Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger o. J. (1889), Bd. II, S. 280–290.

22   Vgl. Balduin Möllhausen: Das Finkenhaus. Roman. 4 Bände. Berlin: Otto Janke 1872. Vgl. bes. Bd. I, S. 222ff. , u. Bd. II, S. 147ff.

23   Vgl. Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988, S. 191–193; Heermann geht davon aus, vor May habe kein deutscher Schriftsteller diese Verbrecherorganisation geschildert

24   Vgl. Balduin Möllhausen: Der Flüchtling. Erzählung aus Neu-Mexico und dem angrenzenden Indianergebiet, im Anschluß an den »Halbindianer«. 4 Bände. Leipzig: Hermann Costenoble 1862. Vgl. Bd. IV, S. 202–205 (List-Ausgabe, vgl. Anm. 9, S. 423ff.)

25   Vgl. ebd., Bd. I, S. 10–13.

26   Vgl. Balduin Möllhausen: Scenen aus dem Volksleben in Neu Orleans. In: Die Gartenlaube. 8. Jg. (1860), Nr. 26, S. 411–414 (mit einer Illustration nach Vorlage von Möllhausen). Buchausgabe: Balduin Möllhausen: Palmblätter und Schneeflocken. Erzählungen aus dem fernen Westen. Leipzig 1863. 2 Bde. (Hermann Costenoble) Bd. 1, S. 222–236.

27   Vgl. Balduin Möllhausen: Das Mormonenmädchen. Eine Erzählung aus der Zeit des Kriegszuges der Vereinigten Staaten gegen die »Heiligen der letzten Tage« im Jahre 1857–1858. 6 Bände. Jena und Leipzig 1864 (Hermann Costenoble). Bd. VI, S. 100f.


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28   Vgl. Balduin Möllhausen: Das Hundertguldenblatt. Erzählung. 6 Bände. Berlin 1870 (Otto Janke), Bd. III, S. 1–3.

29   Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8, Bd. 1, S. 396 (Borowsky Bd. 1, S. 319)

30   Auch die im Zusammenhang mit May ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Schiffbarkeit des Colorado (vgl. M-KMG 84/1990, S. 52f.) oder des Begriffs Lasso (M-KMG 81/1989, S. 40f., 82/1989, S. 53 u. 84/1990, S. 58ff.) ließen sich, nähme man Möllhausens »Wanderungen« zur Hand, vermutlich sehr schnell zugunsten Mays – der auch in diesen Fällen nur seiner Quelle vertraute – entscheiden.

31   Vgl. Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VII: Winnetou der Rote Gentleman I. Freiburg 1893, S. 110.

32   Vgl. Balduin Möllhausen: Der Halbindianer. Erzählung aus dem westlichen Nord-America. 4 Bände. Leipzig 1861 (Hermann Costenoble), Bd. I, S. 34f.

33   Ebd., Bd. I, S. 226

34   Michael Koser: Nachwort (zu »Der Waldläufer«). In: Gabriel Ferry: Der Waldläufer. Frankfurt/Main 1974 (Fischer-Tb. 1487), S. 823

35   Thomas Mayne-Reid: Die Skalpjäger. Frankfurt/Main 1974 (Fischer-Tb. 1578), S. 95f.

36   Vgl. Franz Kandolf: Der werdende Winnetou. In: Anhang (zu »Old Surehand III«). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XIX. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1983, S. A17–A20. Der Aufsatz stammt ursprünglich aus den zwanziger Jahren; er wird jetzt in einer vom Herausgeber Roland Schmid erweiterten »Fassung« geboten.

37   Amalie = Emily Papin heiratete, nachdem sie eine feste Verbindung mit Möllhausen abgelehnt hatte, den Omaha-Häuptling Henry Fontenelle. Sie starb hochbetagt am 24. Dezember 1932 in Decatur/Nebraska (Vgl. Omaha Bee-News, 24. Dez. 1932, Seite 1, Spalte 1. Das dort angegebene Geburtsjahr 1824 ist allerdings offensichtlich falsch. Denn wenn Amalie im Jahr 1852, während ihres Zusammenseins mit Möllhausen, etwa 15 Jahre alt war, dann muß sie um 1837 geboren worden sein.)

Einigermaßen kurios ist in unserem Zusammenhang die Tatsache, daß Amalie, also diejenige Person, deren Beschreibung Karl May zu seiner Nscho-tschi anregte, diesen Autor um fast eine Generation überlebte. Wenn May also gewollt und um die Zusammenhänge gewußt hätte, hätte er bei seiner Amerikareise im Jahr 1910 tatsächlich seine »Nscho-tschi«, die zu dieser Zeit bereits lange Witwe war, besuchen können.

38   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 215

39   May: Winnetou I, wie Anm. 31, S. 308f., die Absätze in beiden Zitaten wurden zur Verdeutlichung eingefügt.

40   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7»S. 215

41   Vgl. Balduin Möllhausen: Der Spion. Leipzig 1909 (Paul List Verlag), S. 300f.

42   Ebd. S. 301

43   Balduin Möllhausen: Die Mandanen-Waise. Frankfurt/Main 1974 (Fischer-Tb. 1449), S. 210; dieser Text folgt der Listausgabe, vgl. Anm. 9. – Die weiteren Details: »ein schönes, edel geschnittenes Profil (...) die sanft gebogene Nase, die langen Wimpern an den gesenkten Lidern und die vollen Lippen (...) das lange, rabenschwarze Haar, das nicht schlicht, wie sonst bei den Eingeborenen, sondern in Wellenlinien zu beiden Seiten des abgehärmten Antlitzes tief über die Schultern niederfiel.«

44   Vgl. Möllhausen: Die Reiher, List-Ausgabe, vgl. Anm. 9, S. 69.

45   Möllhausen vermischt bei der Beschreibung bewußt zwei Ereignisse: Wandel beteiligt sich einerseits am Frankfurter Wachensturm 1833, andererseits haben die Umstände seiner Flucht und die Terminierung der Vorkommnisse auf den März in den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848/49 ihre Vorlage.

46   Nachdem sie ihm, wie der freudgeschulte Arno Schmidt vielleicht angemerkt hätte, zuvor während des Kampfes die (Mannes-)Kraft genommen hatte: »Als sie (...), als ob sie sich gescheut habe, mich zu berühren, das Gewehr, welches ich zwischen meinen Knien hielt, schüchtern mit beiden Händen umklammerte«, heißt es von Schanhatta. Balduin Möllhausen: Die Mandanen-Waise. 4 Bände. Berlin 1865 (Otto Janke), Bd. II, S. 214.


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47   Vgl. Helmut Schmiedt: Balduin Möllhausen und Karl May: Reiseziel St. Louis. In: Karl May. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 1987, S. 127–145 (Sonderband Text + Kritik). Die inhaltlichen Übereinstimmungen beider Autoren kamen Schmiedt, dessen Ergebnissen im übrigen weitgehend zuzustimmen ist, nicht in den Blick, da er eher um die Erhellung der ideologischen  U n t e r s c h i e d e  beider Autoren bemüht war.

48   Möllhausen: Spion, wie Anm. 41, Bd. II, S. 197

49   In der List-Ausgabe des Romans sind nur noch neun Stellen mit Hinweisen auf diese Träume enthalten: S. 206, 208, 211, 218, 227, 303, 304, 307 und 312. Die Originalausgabe enthält einige mehr. – Reale Basis dieser Schilderung sind Möllhausens vor Ort erworbene Kenntnisse der tatsächlichen Bedeutung von Träumen für die meisten Indianerstämme; Kenntnisse, die ansonsten in Deutschland so gut wie nicht vorhanden waren.

50   Vgl. 1 Samuel 24, 5–7.

51   Es muß aber immer auch die gemeinsame Abhängigkeit von einem dritten Autor in Betracht gezogen werden.

52   Im Indienkapitel der »Juweleninsel« schimmert Retcliffes »Nena Sahib« (1858/59) durch, die Erwähnungen eines Schatzes der Begum dort spielen auf den kurz zuvor in Deutschland erschienenen Roman Jules Vernes »Die 500 Millionen der Begum« (1879, dt. 1880) an.

53   Balduin Möllhausen: Die Töchter des Consuls. Roman. 3 Bände. Berlin o. J. (1880) (Otto Janke), Bd. I, S. 24

54   Ebd., S. 27

55   Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 9, Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul

56   Ebd., S. 92f.

57   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 117 – wie beeindruckend Mays Schilderungen für das Publikum waren, beweist ein Plagiat aus dem Jahr 1928: »Mein Llanoabenteuer«. Reiseskizze von Hanns Walther Kappler, Görlitz. In: Teuke's Illustrierter Familienfreund. Kalender für die Abonnenten von Versicherungszeitschriften 1928. Rostock: Bücher- und Zeitschriftenvertrieb Gustav Teuke. o. P. Diese zwei Seiten lange Schilderung ist ein kaum verhülltes Plagiat der Llano-Episode (Trinken von Kojotenblut) in »Winnetou II«!

58   Vgl. Reid: Der weiße Häuptling. Leipzig 1856. Bd. 1, S. 94–103 (Kap. 10). Möllhausen und Reid erklären wie May die Herkunft des Namens dieses Gebietes durch die bekannten Pfähle. Möglicherweise kannte May beide Texte; Reid könnte jedenfalls das Vorbild geliefert haben für die Oase des Bloody Fox auf dem Llano Estacado: »Gegen das südliche Ende der [!] Llano Estacado zeigt die Oberfläche eine merkwürdige Erscheinung. Dies ist ein Gürtel von Sandhügeln, welcher beinahe zwanzig Meilen breit und volle fünfzig Meilen lang ist, und sich von Norden nach Süden über eine Ebene hinzieht. Diese Hügel sind rein weißer Sand, der reihenweise aufgeworfen ist, mitunter aber auch Kegel von hundert Fuß Höhe bildet, aber kein Baum, kein Busch keine Pflanze unterbricht ihre weichen Umrisse oder die Einförmigkeit ihrer Farbe. Die größte Anomalie dieses geologischen Räthsels ist jedoch die, daß man mitten unter ihnen, ja selbst auf ihrem höchsten Rücken Wasserteiche findet, und zwar nicht gelegentlich, wie es nach dem Regen vorkommt, sondern in »Laguna's«, worin Binsenröhrig, Schilf und Wasserlilien wachsen, und dadurch den Beweis liefern, daß das Wasser das ganze Jahr über darin bleibt! Wer sollte denken, daß hier Wasser vorkommen könnte?« (Ebd., S. 96)

59   Hierauf hat Griese, wie Anm. 5 (M-KMG 80/1989), S. 33–35, bereits hingewiesen. Weitere Parallelstellen: Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 485/Karl May: Deadly Dust. In: Deutscher Hausschatz. VI. Jg. (1879/80), S. 615, Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Regensburg 1977 (Rinder); Wanderungen, S. 506/Deadly Dust, S. 628 (Chinesen).

60   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 504

61   May: Deadly Dust, wie Anm. 59, S. 628

62   Vgl. ebd., S. 433.


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63   Vgl. ebd., S. 487. Möllhausen erwähnt diesen Vogel ständig; eine seiner Erzählungen aus der Sammlung »Reliquien. Erzählungen und Schilderungen aus dem westlichen Nordamerika« hat den Namen sogar als Titel (Zeitschriftenabdruck: Deutsche Roman-Zeitung 1864, Buchausgabe: Berlin: Janke 1865).

64   Vgl. May: Deadly Dust, wie Anm. 59, S. 590 – Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8, Bd. 1, S. 234 (Borowsky-Ausgabe S. 196f.).

65   Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8, Bd. 1, S. 380 (Borowsky-Ausgabe Bd. 1, S. 307). Die Stelle ist bei Möllhausen selbst ein Zitat.

66   Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 4: Der Schatz im Silbersee. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 484f.

67   In Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8, Bd. 2, Kap. 25, sind zwei Abschnitte mit der Überschrift »Der Felsenkessel« und »Ausflug nach einem andern Felsenkessel« versehen.

68   May: Silbersee, wie Anm. 66, S. 576

69   Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8, Bd. 2, S. 45f. (Borowsky-Ausgabe Bd. 2, S. 42f.) – eine ähnliche Stelle folgt bei Möllhausen einige Seiten später, dem Vorbild für Mays zweiten Farbenteil unmittelbar vorausgehend: »Gleich nach unserer Ankunft kletterte ich nach einer vorspringenden Felswand hinauf, und von dort aus, wo ich eine Aussicht auf das Thälchen, und die dasselbe einschließenden Gebirgsmassen gewann, zeichnete ich eine Skizze von der ganzen prachtvollen Scenerie. Nicht wenig Mühe verursachten mir die zahlreichen Linien des über zweitausend Fuß hohen Berges, der gegen Südwesten den Lauf des Diamant-Baches zu hemmen schien, und dessen Fuß durch einen Vorsprung meinen Blicken entzogen wurde. Derselbe glich einem mächtigen, unbeendigten Bau, welchen entsprechende Strebepfeiler und Thürme umgaben. Bis zum Gipfel hinauf erkannte ich die regelmäßig übereinander liegenden Schichten, die wie künstliches Mauerwerk über die ganze Breite des kolossalen Felsens reichten.« Ebd., S. 50f.

70   May: Silbersee, wie Anm. 66 S. 576

71   Ebd., S. 576 – auf diese Steile weist auch Griese, wie Anm. 5 (M-KMG 79/1989), S. 29, bereits hin.

72   Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8., Bd. 2, S. 51 (Borowsky-Ausgabe Bd. 2, S. 46)

73   May: Silbersee wie Anm. 66 S. 577

74   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 126–128 – Möllhausen hat diese Beschreibung später immer wieder verwendet, zuletzt für seine Sammlung »Bilder aus dem Reiche der Natur«, Berlin: Reimer 1904. Nach seinem Tod wurde sie noch einmal im »Großen Volkskalender des Lahrer Hinkenden Boten für das Jahr 1906« anonym abgedruckt.

75   May: Silbersee, wie Anm. 66, S. 354f. – die Abschnitte wurden eingefügt.

An dieser Präriehund-Adaption läßt sich zusätzlich eine der besonderen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Verhältnisses von Quelle und Abbild beispielhaft demonstrieren. Daß Texte Möllhausens – unter dessen Namen – oft auch über das Feuilleton von Zeitungen oder Zeitschriften verbreitet wurden und dort für May greifbar waren, wurde bereits erwähnt, illegale und ungekennzeichnete Übernahmen sind indes ein Sonderfall dieser Kategorie. Im zweiten Jahrgang (1879) von Hermann Schönleins extrem weit verbreiteter Feuilleton–Beilage »Illustrirtes Unterhaltungs-Blatt«, das in fast achtzig Parallelausgaben im gesamten deutschsprachigen Gebiet vertrieben wurde! – und in dem wenige Monate vorher übrigens Karl Mays »Der Dukatenhof« erschienen war –, findet sich beispielsweise folgender, mit einer Illustration versehener Text:

»Die Prairie-Hunde.
(Mit Bild auf S. 401.)

In den ausgedehnten Prairien Nordamerika's findet sich zahlreich der sogenannte Prairie-Hund, welchen Namen das etwa 40 Centimeter lange, gelblich-braune Thierchen mit gedrungenem Leib und kurzem buschigem Schwanz den kanadischen Pelzjägern verdankt, die es wegen seiner bellenden Stimme so nannten. Sonst hat es im Aeußeren nicht die mindeste Aehnlichkeit mit einem Hunde, sondern gehört vielmehr


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zu den Murmelthieren. Die Prairie-Hunde hausen in unterirdischen Bauten, die ausgewühlte Erde häufen sie stets neben dem oberen Ausgang an, wodurch ihre oft aus mehreren Hunderten solcher Baue bestehenden Kolonien, eben dieser Größe wegen »Dörfer« genannt, leicht erkennbar werden. Einzelne der Wohnungen, die meist fünf bis sechs Meter von einander entfernt sind, haben blos einen, andere dagegen zwei Eingänge und überall führen festgetretene Pfade von einem Bau zum andern, woraus man wohl auf die zwischen den Angehörigen eines solchen »Dorfes« herrschende gute Kameradschaft schließen darf. Bei schönem Wetter sonnen sich die harmlosen Thierchen mit Vorliebe auf oder neben jenen Hügeln, spielen dort mit einander und machen »Männchen«, wie die obere Parthie unseres Bildes auf S. 401 gewahren läßt. Kaum aber läßt sich das geringste verdächtige Geräusch vernehmen, so stoßen sie ihren bellenden Angst- und Warnlaut aus und huschen im Nu in das Innere der Baue. Letztere bestehen, wie unsere Illustration zeigt, zunächst aus einer in schräger Richtung etwa sechs bis sieben Fuß tief unter die Erde führenden Röhre, die dann in einen geräumigen runden Kessel mit flacher Wölbung ausmündet. Hier hausen nun die Prairie-Hunde mit ihren Jungen und zwei seltsamen Genossen: Erdeulen und Klapperschlangen, die man sehr häufig mit jenen in demselben Loche findet. Alle drei sollen ganz friedlich zusammenleben, wenngleich es auch wohl manchmal zu einzelnen Zwistigkeiten kommen mag, wie der Streit des Erdkauzes mit der Klapperschlange auf unserer Illustration zeigt. Im Oktober verschließen die Prairie-Hunde den Ausgang ihrer Höhle und geben sich dem Winterschlafe hin, der bis zum Frühjahr dauert.« (Illustrirtes Unterhaltungs-Blatt [der Hessischen Morgenzeitung] Nr. 51 (1879), S. 403)

Der Vergleich dieses Textes mit der kompletten Beschreibung in Möllhausens »Tagebuch«/»Wanderungen« (also auch mit den im obigen Vergleichstext ausgesparten Passagen) beweist eindeutig, daß der Redakteur des »Illustrirten Unterhaltungs-Blattes« in diesem mehr als zwanzig Jahre zuvor erschienenen Buch hemmungslos abgeschrieben hat. Der mehrfache Hinweis auf die Abbildung vermag dies nur notdürftig zu kaschieren. Ob die Illustration, die in der Tat das Beschriebene zeigt, eigens für dieses Plagiat angefertigt wurde, sei dahingestellt; das Verfahren hatte jedenfalls Methode. Früher schon war etwa Möllhausens Beschreibung der kalifornischen Riesenbäume im selben Blatt abgekupfert worden, zwei Jahre später geschah das gleiche mit seiner Schilderung des Riesenkaktus. (Vgl. »Der Riesen-Cactus«, ebd., Jg. 1881, S. 161 (Abb. S. 161). Als Vorlage diente Möllhausens Beschreibung in »Wanderungen«, S. 403–406, die auch schon mit Namensnennung gesondert durch die Feuilletons gewandert war; vgl. etwa »Der Riesenkaktus«. In: »Die Illustrirte Welt«, 11. Jg. (1863), S. 105/106.

Möllhausens Werke wurden also nicht nur von May als willkommene sachkundige Quelle angesehen, die man weidlich ausschlachten konnte. Mays Präriehundschilderung im »Silbersee« beruht nun zwar direkt auf Möllhausens Text und nicht auf einem solchen Plagiat; sein Hinweis auf die (Nicht-)Jagbarkeit, der in dem Zeitschriftentext fehlt, beweist dies. Doch das Beispiel zeigt auch, daß in anderen Parallelfällen May sich nicht immer unbedingt wissentlich bei Möllhausen bedient haben muß. Dessen Ruf als Kenner des Westens erlaubte es den Redakteuren offenbar, manche seiner Schilderungen als universal verfügbar anzusehen. Die fortwährende anonymisierende Reproduktion verlieh diesen Passagen dann fast den Status des »Allgemeinwissens«. Dem Autor war sein Text ein für alle mal entwendet. Der von May unternommene Schritt zur eigenschöpferischen Übernahme, ja zur Verwandlung in sein Gegenteil, zur »Korrektur« – wie oben gesehen – wäre von einer solchen Basis aus schon entschieden kleiner.

76   Vgl. Griese, wie Anm. 5 (M-KMG 80/1989), S. 32f.

77   May: Silbersee, wie Anm. 66, S. 365 – ähnlich ebd., S. 85

78   Vgl. Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 29ff., S. 425f. u. S. 432 – Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8 (Borowsky-Ausgabe), Bd. 1, S. 194, S. 238 u. 352ff.

79   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 246

80   Karl May: Die Jagd auf den Millionendieb. In: Deutscher Hausschatz. XXII. Jg. (1895/96), S. 187; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Regensburg 1980 – man ver-


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gleiche [vergleiche] – abgrenzend – das Kapitel 8 »Der Pueblo« in: Gustave Aimard: Die Bienenjäger. 2 Bde. Leipzig 1865 (Kollmann), Bd. 1, S. 150–171.

81   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 250

82   May: Millionendieb, wie Anm. 80, S. 187

83   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 247

84   May: Millionendieb, wie Anm. 80, S. 188

85   Vgl. ebd., S. 187/Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 318f.

86   Vgl. May: Millionendieb, wie Anm. 80, S. 219/Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8, Bd. 2, S. 198.

87   May: Millionendieb, wie Anm. 80, S. 220

88   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 21

89   May: Winnetou I, wie Anm. 31, S. 38 – auch die »Finders« im »Ölprinz«, der teilweise parallel zu »Winnetou I« entstand, sind zu zwölft!

90   Ebd., S. 57

91   Vgl. ebd., S. 59.

92   Vgl. Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 101–105. Möllhausens Beschreibung der Büffel war für Deutschland so einzigartig und genau, daß sie von Alfred Brehm in sein bekanntes »Thierleben« aufgenommen wurde.

93   May: Winnetou I, wie Anm. 31, S. 60

94   Möllhausen spricht von der Jagd »an die Seite einer fetten Kuh oder eines jungen Stieres« (Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 103), was May zum Anlaß nahm, einen sehr alten Bullen zu beschreiben und sodann zu bemerken: »Jeder erfahrene Westmann zieht eine Kuh dem Ochsen vor, weil ihr Fleisch zarter und saftiger ist.« (May: Winnetou I, wie Anm. 31, S. 69).

95   Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 140

96   May: Winnetou I, wie Anm. 31, S. 87

97   Vgl. ebd., S. 324f.

98   »Die Weihnachtszeit rückte heran, die Einsamkeit war mir fast zur Gewohnheit geworden, und mechanisch fristete ich auf die dürftigste Weise mein Leben (...) Wehmütig gedachte ich dann der Vergangenheit und wanderte in Gedanken weit, weit zurück, bis dahin, wo mich zum ersten Mal der Glanz des Weihnachtsbaums entzückte und freundliche, liebende Menschen mich umgaben; meine Weihnachtsfreuden waren jetzt einfacherer Art: etwas Tee mischte ich unter die dürren Weidenblätter und erfreute mich an dem Duft (...)« Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 111f. – Erwähnung auch in: Möllhausen: Reisen, wie Anm. 8, Bd. 1, S. 353 (Borowsky-Ausgabe Bd. 1, S. 286)

99   Möllhausen beschreibt in den »Wanderungen« noch ein zweites ebenfalls versöhnliches Weihnachtsfest in einem verschneiten Wilden Westen (vgl. Möllhausen: Wanderungen, wie Anm. 7, S. 353–359).

100   Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 21: »Weihnacht!«. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 252

101   Ebd., S. 368

102   Vgl. ebd., S. 159 u. S. 366.

103   Ebd., S. 163

104   In der List-Ausgabe des Romans (vgl. Anm. 9) komplett gestrichen.

105   Vgl. Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 39–73.

106   Balduin Möllhausen: Das Loggbuch des Kapitains Eisenfinger. 3 Bände. Stuttgart 1887 (Herrmann Schönlein), Bd. II, S. 248

107   Ähnlich »typengerecht« ist nicht selten der Einsatz der Indianerfiguren bei Möllhausen: sie töten.

108   Vgl. Balduin Möllhausen: Reliquien. Erzählungen und Schilderungen aus dem westlichen Nordamerika. 3 Bde. Berlin 1865 (Otto Janke).

109   Dieses Kapitel ist bis heute unveröffentlicht. In Sammlerkreisen ist aber eine unautorisierte Abschrift des Manuskriptes im Karl-May-Verlag, Bamberg, bekannt.

110   Beispiele: Daniel Defoe: »Robinson Crusoe« (1719) und »Moll Flanders« (1722), Henriette Frölich: »Virginia oder die Kolonie in Kentucky« (1821), Carl Spindler:


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»Der Jesuit« (1829), Thomas Mayne Reid: »Blanche. Roman aus zwei Welten« (1856), W. M. Thackeray: »The Virginians« (1859), Wilhelm Raabe: »Die Leute aus dem Walde« (1862), Otto Ruppius: »Zwei Welten« (1863), Friedrich »Armand« Strubberg: »Carl Scharnhorst« (1863), Hans Wachenhusen: »Rouge et Noir« (1864) Karl Frenzel: »Freier Boden« (1868), Friedrich »Armand« Strubberg: »In Südcarolina und auf dem Schlachtfeld von Langensalza« (1869) und »Die Fürstentochter« (1872), Arthur Conan Doyle: »Study in Scarlett« (1887) und »The Valley of Fear« (1915) Theodor Fontane: »Quitt« (1890), Joseph Roth: »Hiob« (1930), John Dos Passos: »1919« (1932), Martin Cruz-Smith: »Gorky Park« (1982). Eine gesonderte Studie zu diesem Thema ist in Vorbereitung.

111   So Frau Wentscher, eine Urenkelin Möllhausens, 1972 in einem Interview mit Erich Heinemann. Vgl. Griese, wie Anm. 5 (M-KMG 80/1989), S. 36.

112   Vgl. Barba, wie Anm. 14, S. 14.

113   Balduin Möllhausen: Der Fährmann am Kanadian. 3 Bände. Stuttgart o. J. (1890)

114   Zusätzlich verhinderten die Kriege jeweils eine Neubelebung der Werke Möllhausens. Die List-Ausgabe (vgl. Anm. 9) verschwand sang- und klanglos während des ersten, eine umfangreiche, vom Heyne-Verlag geplante Neuausgabe während des zweiten Weltkrieges. Eine Neuausgabe Möllhausens, die nicht nur für die Karl-May-Forschung von Interesse wäre, müßte wenigstens die beiden Reisewerke, die vier Erzählungssammlungen (»Palmblätter und Schneeflocken«, 1863; »Reliquien«, 1865, »Nord und Süd«, 1867 und »Westliche Fährten«, 1873), die Romane »Halbindianer«, »Flüchtling«, »Mandanen-Waise«, »Meerkönig«, »Hochlandpfeifer« und »Reiher« enthalten sowie zwei Bände mit den niemals in Buchform erschienenen Novellen und Erzählungen. Eine ausführliche Möllhausen-Bibliographie ist enthalten in: Graf: Tod der Wölfe, vgl. Anm. 7.


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