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RUPRECHT GAMMLER


Literaturbericht I



Termingerecht liegt als vierter Band der Reihe ›Karl-May-Studien‹ ›Karl Mays »Ardistan und Dschinnistan«‹ vor,1 der zweite Titel, der nach dem ›Silberlöwen‹ bewußt dem Spätwerk gewidmet ist. Dies ist um so anerkennenswerter, als die Herausgeber Dieter Sudhoff und Hartmut Vollmer auch hier ihren bislang eingelösten hohen Ansprüchen gerecht werden. Im Vorwort zur 2. Auflage des Reprints ›Der Mir von Dschinnistan‹ (Hamburg 1997) hatte Hansotto Hatzig noch bedauernd feststellen müssen, daß es in den letzten beiden Jahrzehnten zwar eine Fülle neuerer Literatur gegeben habe, die jedoch nur in Teilaspekten befriedigend ausgefallen sei. In ihrer umfassenden, scharfsichtigen Bestandsaufnahme - bescheiden ›Einleitung‹ genannt - formulieren die Herausgeber ebenso deutlich ihre Bedenken, daß das Forschungsinteresse an diesem Werkkomplex sich gerade in den letzten Jahren auf eine »Handvoll abseitiger Enthusiasten« (S. 20) beschränke, und konstatieren: »Noch immer hat sich die Anerkennung des Spätwerks nicht wirklich durchsetzen können.« (Ebd.)

  Fünf der insgesamt zwölf Beiträge sind Altbeiträge, die - teils an entlegener Stelle gedruckt - zu Recht wieder zugänglich gemacht werden. Zwei Rezensionen bilden den Auftakt. Die erste ist ›Ardistân und Dschinnistân‹ von Franz Sättler, der May persönlich verbunden war und zu den sicher nicht wenigen Menschen gehörte, deren Leben entscheidend von ihm geprägt wurde. Sättler studierte Orientalistik und veröffentlichte ab 1912 u. a. fünf umfangreiche Reise- und Abenteuerromane, die ganz in der Tradition Mays stehen. Während Sättlers enthusiastische Besprechung doch mehr dem Allgemeinen verhaftet bleibt, weist Amand von Ozoróczys ›Neues von Karl May‹ bereits über den Roman hinaus und deutet auf die lebenslange Beschäftigung des Autors mit May.

  Zwei lesenswerte Arbeiten sind den alten Karl-May-Jahrbüchern entnommen. Werner von Krenskis ›Der Weg nach Dschinnistan‹ stellt schon 1928 die verwegene Reihung ›Goethe - Nietzsche - May‹ her, sein Hinweis auf Max Stirners ›Der Einzige und sein Eigenthum‹ ist bis heute folgenlos geblieben. Wilhelm Koch versuchte bereits 1918 mit ›Karl Mays Baukunst und ihre Symbolik‹ in einem ersten Ansatz die Gestaltung und Wirkung von Mays phantastischer Architektur zu skizzieren. Den Reigen der Altbeiträge beschließt Heinz Stoltes Vortrag


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›Karl Mays ›Ardistan und Dschinnistan‹ und sein Weltfriedensgedanke‹ (zum erstenmal abgedruckt im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1988. Husum 1988, S. 83-98).

  Bekanntlich hat May den Hausschatz-Text, der seit 1997 erfreulicherweise wieder als Reprint vorliegt, für die Buchausgabe gründlich überarbeitet. Die notwendige Vergleichslesung liefert Hansotto Hatzigs ›Der 'Mir von Dschinnistan. Karl Mays Textvarianten‹, eine korrigierte und beträchtlich erweiterte Neufassung seiner Ursprungsarbeit von 1976, die deutlich Mays künstlerische Formung dokumentiert.

  Mehrfach waren die Erzählanfänge der Reiseerzählungen Gegenstand einer Untersuchung. Helmut Schmiedt analysiert in seiner gewohnt knapp-präzisen und ertragreichen Manier ››Ardistan und Dschinnistan‹, Seite 1-3‹, deren Struktur und Inhalt dem kundigen Leser bereits die Perspektive auf das ganze vielschichtige Buch eröffnen.

  Christoph F. Lorenz konzentriert sich mit seinem Beitrag ›Die Weihnacht des Gewaltherrschers. Symbole, Motive, Assoziationen aus dem Weihnachtsfestkreis in Karl Mays ›Ardistan und Dschinnistan‹‹ auf einen Einzelaspekt, Weihnachten, ein Ereignis und Motiv, das Mays Leben und Werk bis zuletzt geprägt hat. Er zeigt auf, daß die Struktur des zweiten Bandes durchaus dem christlichen Weihnachtszyklus entspricht, was einen Ansatz zum Verständnis des Werkes bieten könnte. Ob darin aber der ›Schlüssel‹ des Ganzen zu suchen ist, muß offenbleiben. In letzter Zeit sind verstärkte Bemühungen zu notieren, vor allem von theologischer Seite und oft im Predigtstil vorgetragen, Mays Werk einseitig christlich zu deuten und zu vereinnahmen. Dieser einengende Zugriff wird aber weder dem unstreitig christlichen Autor noch seinem Werk gerecht.

  ›»Für mich sind Sagen heilig«‹ überschreibt Gudrun Keindorf ihre Arbeit ›Zu Idee und Programm der Sagen in ›Ardistan und Dschinnistan‹‹, die geradezu leitmotivisch das Werk durchziehen. Sie werden von May gegenläufig zur zeitgenössischen Ideologie analog zum utopischen Charakter des Romans zukunftbezogen angelegt.

  Unter dem Titel ›Das ›wilde Tier‹‹ stellt Joachim Biermann umfangreiche ›Überlegungen zur Darstellung des Bösen bei Karl May‹, personifiziert in einer einzelnen Figur des Romans, dem Panther, an, auch frühere Texte einbeziehend. Dabei arbeitet er drei Bedeutungsebenen heraus, den »böse(n) Gegenspieler« (S. 144), »das Böse schlechthin« (ebd.) und die »Verkörperung des Bösen (...) im Inneren des Menschen« (S. 145), die letztlich als die das ganze Werk Mays durchziehende Motive sichtbar werden.

  Über Mays Mathematikkenntnisse ist wenig bekannt. Desto verblüffender zeigt Martin Lowskys ›Geometrie und Utopie. Über Abstrakta in Karl Mays Altersroman ›Ardistan und Dschinnistan‹‹ ihn als einen


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Autor, dessen Schreiben zunächst von konventionellen geometrischen Formen beeinflußt war, um dann mit dem höheren Abstraktionsgrad seines utopischen Alterswerks eine entsprechende »neue Geometrie« (S. 198) zu erreichen.

  Fordert schon dieser Beitrag den Leser, so gilt das in noch höherem Maße vom Schlußbeitrag ›»aber ich kenne die Schrift und das geheime Zeichen des letzten Wortes«‹ von Jürgen Hahn, aber die Mühe lohnt wie stets bei diesem Autor. Seine ›Prolegomena zu einer Sprache der Zeichen und Bilder in Karl Mays Roman ›Ardistan und Dschinnistan‹‹ stellen May in eine Traditionslinie mit Künstlern, die vom 12. Jahrhundert ausgehend bis zu den Surrealisten mit der ›chiffrierten‹ Darstellung von Realität experimentierten, und versuchen, die zahllosen Bilder zu enträtseln, die in Mays Alterswerk ein erstaunliches Weltbild konstituieren.

  Gegenüber seinen Vorläufern weist der Band den geringsten Umfang (254 Seiten) auf, mit weiser Beschränkung auf Beiträge von weitgehend unbestreitbarer Qualität und Originalität. Damit markiert dieser Studienband eine weitere Etappe in der Erforschung dieses Spätwerks, die die Hoffnung der Herausgeber, zum Verständnis beizutragen und zur erneuten Beschäftigung aufzurufen, auf ein solides Fundament stellt.

  Im Berichtszeitraum war der Karl-May-Verlag sehr rührig mit vier Büchern, zwei von und zwei über May.

  Roland Schmid wollte seinerzeit die verdienstvolle Fehsenfeld-Reprintedition mit einem Titel ›Aus allen Zonen‹ abschließen, in den als wichtigster, bislang ungedruckter Text ›In der Heimath‹ aufgenommen werden sollte - jener vom Hausschatz-Redakteur Keiter ausgeschiedene Teil aus ›Krüger Bei‹, der von May auch später nicht in die Buchausgabe ›Satan und Ischariot‹ übernommen wurde. Schmids allzu früher Tod vereitelte dieses Vorhaben. Nun liegt als Band 79 der Gesammelten Werke ›Old Shatterhand in der Heimat und andere Erzählungen aus der Werkstatt von Karl May‹ vor,2 der sich an den »anspruchsvollen Leser«, ja den »Karl-May-Freund und -Kenner« (S. 7) richtet. Der Karl-May-Kenner wendet sich enttäuscht ab. Alle Texte außer ›In der Heimath‹ sind schon im Originalwortlaut veröffentlicht worden, und wenn hier an einer Stelle betont wird, die »Orthographie der Manuskripte« sei »unverändert beibehalten« (Fußnote S. 255), so gilt dies ausgerechnet für diesen speziellen Text nicht, über den Christoph F. Lorenz zunächst schreibt, er werde »erstmals nach dem Original im Druck vorgelegt« (S. 14), und über den wir nur vier Seiten später erstaunt lesen können, daß »stilistische Korrekturen auf ein im Interesse des breiten Publikums unverzichtbares Mindestmaß beschränkt« (S. 18) seien. Diese Formulierung läßt nur einen Schluß zu: Der Text ist nicht zitierfähig und damit wissenschaftlich unbrauchbar. Vorsicht ist auch hinsichtlich der Entstehungsgeschichte geboten (S. 16-20), wo es u. a. heißt, Keiter


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»strich« und »kürzte« (S. 17). Wer sich umfassender und vor allem präzise informieren möchte, greife besser zu der Dokumentation von Wilhelm Vinzenz: ›Karl Mays Reichspost-Briefe. Zur Beziehung Karl Mays zum ›Deutschen Hausschatz‹‹ (in: Jb-KMG 1982. Husum 1982, S. 211-33), wo ausdrücklich festgestellt wird: »Als Redakteur trägt Keiter die Verantwortung für die Textänderungen. In welchem Umfang er sie selbst vorgenommen hat, bleibt offen: Die Einträge in M II [Manuskript ›Krüger Bei‹] zeigen nicht seine Handschrift (...)« (ebd., S. 231). Was einem das ganze Buch jedoch besonders verleidet, sind die zahlreichen Fehler und Ungereimtheiten in den »fundierten Kommentaren« (Verlagsprospekt) des o. g. Verfassers, der doch sonst Gediegenes abzuliefern vermag, und die hier sämtlich zu notieren und zu korrigieren einfach der Platz mangelt. Es beginnt bereits im Vorwort, wo an zwei Stellen das hier recht unvermittelt auftauchende Gedicht falsch und damit das Versmaß zerstörend zitiert wird (1. Strophe »Anderer« statt Andrer, S. 10 und 5. Strophe »offenen« statt offnen, S. 13). 1902 war den meisten Kritikern die kriminelle Vergangenheit Mays noch nicht bekannt, also konnten sie in ihm auch nicht »bloß den gefallenen Ex-Kriminellen (...)« (S. 10) sehen. Die Formulierung, daß May »zumindest in den 1890er Jahren den Doktortitel gänzlich zu Unrecht« (S. 11) geführt habe, impliziert die Frage, ob denn später zu Recht? Seine Autobiographie ist 1910 erschienen, und er hat sie wohl kaum »1908 (...) drucken lassen« (ebd.). Das Pseudonym von Keiters Frau lautete nicht »T.« (S. 17), sondern ›M. Herbert‹. Das May zugeschriebene Gedicht (Fußnote S. 188) ›Wenn sich zwei Herzen scheiden‹ stammt bekanntlich von Geibel. Wird als Jahr der Untersuchungshaft in Mittweida falsch »1875« (S. 256) angegeben, so steht nur wenige Seiten weiter richtig »1870« (S. 263). Mays Haftentlassung war auch nicht im »Mai 1875« (S. 255), sondern bereits 1874 - usw. Bei dieser Fülle wirkt die ausführliche Kritik (S. 264) an einem fehlerhaften Abdruck im Jb-KMG 1971 mit genauer Stellenbenennung, den Balken im eigenen Auge souverän verkennend, besonders peinlich. Merkwürdig mutet auch an, daß sich der Verfasser bei der im gleichen Zusammenhang vorgetragenen inhaltlichen Kritik offensichtlich scheut (»An anderer Stelle«, S. 263), diese Stelle und den Kritisierten zu benennen, obwohl sie sich in eben demselben Jahrbuch auf S. 8 findet. Sonst fehlt konsequent der Hinweis auf Abdrucke der KMG, ja nicht einmal auf die eigenen gelungenen Reprints des Karl-May-Verlags wird verwiesen. Als Fazit bleibt nur der dringende Wunsch eines buchstaben- und zeichengetreuen Abdrucks von ›In der Heimath‹, der ja in ähnlicher Form wie die Bamberger Publikationen ›Merhameh‹ (1958) oder ›Frau Pollmer, eine psychologische Studie‹ (1982) erfolgen könnte.

  Vor längerer Zeit erschien in einem auf Pferdebücher spezialisierten Verlag ›Karl May. Mein Rih‹ (Friedberg o. J.), wobei Carl-Heinz Döm-


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ken alle Rih-Episoden aus den ersten sechs Bänden geschält und durch eigene Texte verbunden hatte. Diese Edition erschien nun als Neuauflage im Gewand der grünen ›Gesammelten Werke‹ - jedoch ohne Bandnummer -, vermehrt um ein Nachwort von Erich Heinemann.3 Einen Dichter derart als Steinbruch zu benutzen und sozusagen eine - wenn auch thematisch geprägte - ›Reader's-Digest-Fassung‹, ›Karl May light‹, herzustellen, mag geteilte Aufnahme finden. Aber was macht der Hundeliebhaber - der May bekanntlich auch war -, wo bleibt z. B. ›Mein Dojan‹? Hier eröffnet sich ein weites Feld.

  Dieses, ja den ganzen Karl-May-Kosmos, soll der ›Karl-May-Atlas‹ umspannen.4 Schon in den dreißiger Jahren hatte der Karl-May-Verlag drei schöne ›Landkarten mit Reisewegen zu Karl May's Erzählungen‹ ediert. Nun liegt ein weitaus ambitionierteres Unternehmen vor mit über 350 Seiten Karten, Ansichten, Stadt- und Schlachtplänen, Porträts, ja sogar einem Brieffaksimile Blüchers; Inhaltsverzeichnis und Register sollen das Material erschließen. Der Verfasser will nicht nur die exotischen Schauplätze und Reiserouten des Mayschen Œuvre abbilden, sondern auch Mays Biographie illustrieren und Hintergrundmaterial liefern.

  Die Darstellung der raumgreifenden Reisewege wird jedoch schon rein äußerlich durch das gewählte - zu kleine - fast quadratische Format (17 cm x 17,5 cm) bedeutend erschwert, das Kartenausschnitte entstehen ließ, die nur sehr mühsam zuzuordnen sind. Dem Benutzer wird nur eine Übersichtskarte pro Kontinent im Weltmaßstab geboten, in die - wenige Millimeter groß - die Detailkarte mit Seitenzahl eingezeichnet ist. Es fehlt - wie sonst bei Atlanten üblich - eine Zwischengröße, die eine geographische Einheit, z. B. die Arabische Halbinsel, darstellt mit Einzeichnung der Einzelkarten oder die über die in beide Objekte eingetragenen Namen einen Bezug erlaubt. Finden wir auf der linken Kartenseite eine blaue Fläche, die an eine gelbe angrenzt (z. B. S. 203), so bleibt nur zu vermuten, daß es sich wohl um das Rote Meer und die Westküste handelt, umgekehrt um den Persischen Golf und die Ostküste Arabiens (S. 199), aber wohin das Ganze einzuordnen ist, bleibt offen. Die nächste Seite (S. 200) läßt uns erst recht rätseln; eine einzige große gelbe Fläche wird nur ganz unten rechts durch eine winzige blaue Linie unterbrochen, die uns belehrt, daß hier der Nil fließt - wir befinden uns irgendwo in Nordafrika.

  Bei diesem Abschnitt ist die sinnvolle Einteilung in Kontinente aufgegeben, die Überschrift lautet »Osmanisches Reich«, bekanntlich Südosteuropa, den Orient und Nordafrika umfassend. Dem Leser steht jedoch noch eine sensationelle Entdeckung bevor, die sein bisheriges Wissen als Makulatur ausweist. Dieser Atlas ordnet z. B. auch Äthiopien (S. 222), ja sogar Transvaal (S. 232) diesem Oberbegriff zu und als krönenden Abschluß ›Ardistan und Dschinnistan‹ (S. 233). Speziell die-


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se letzte Karte weist noch einen Luxus auf, auf den ansonsten verzichtet wird: sie enthält genaue Maßstabsangaben. Überhaupt sind einige Merkwürdigkeiten innerhalb dieses Kapitels wohl darauf zurückzuführen, daß auch dieser ganze Teilabschnitt in der Türkei und aufgrund türkischen Kartenmaterials entstanden sein dürfte. Wie sonst sind die großen weißen Flächen bei den Karten »Kurdengebiete 1-6« (S. 146-51) zu erklären? Ein anderes Beispiel ist die Insel Zypern. Die Karten auf S. 126 und 130 präsentieren korrekt die zeitgenössischen Ortsnamen, jedoch auf dem Blatt mit der »heutigen Schreibweise« (S. 127) sind für die ganze Insel ausschließlich Bezeichnungen der international nicht anerkannten türkischen ›Republik Nordzypern‹ verwandt. Der Behauptung im Vorwort, daß ab 1874 die Übernahme der »jeweiligen Namen auch in lateinischer Schrift im Poststempel (...) auch Karl May dazu führten, Stambul anstatt Istanbul zu schreiben« (S. 17), muß widersprochen werden. Schon ein flüchtiger Blick etwa in Hackländers Reisebericht ›Daguerreotypen‹ (1842), das ›Handbuch für Reisende in den Orient‹ (1846) oder den Historisch-Politischen Roman ›Sebastopol‹ (1856) von Sir John Retdiffe zeigt, daß ›Stambul‹ durchgängig als Bezeichnung für ›Constantinopel‹ Verwendung findet.

  Schon die Zeichenerklärung stiftet Verwirrung, die Farbe ›rot‹ soll eigentlich für fiktive Orte, Namen, Reisewege etc. reserviert sein. Jedoch schon hier finden sich die Namen historischer Stämme wahllos in schwarz (Atafrah) und rot (Schammar) aufgeführt, die entsprechende Karte (S. 143) druckt ›Schammar‹ richtig in schwarz ab; blaue Varianten gibt es im Kartenmaterial auch noch. Zu Irritation lädt auch das Kapitel »Die Indianischen Völker Amerikas« ein. Sind in Nordamerika und Mexiko alle Stammesnamen schwarz geschrieben (S. 298-334), geht die Schreibweise in Mittel- und Südamerika unvermittelt in rot über. Ein Grund oder ein System ist nicht erkennbar. Rote Linien und Strichellinien sollen die Reisewege markieren, die Zerstückelung in kleinformatige Karten und die unübersichtliche Anordnung führen zu teilweise grotesken Ergebnissen wie auf der Doppelseite 176/177, wo sich eine rote Linie völlig zusammenhanglos exakt 1,3 cm lang rechts unten quer an einer Seitenecke hinzieht. In diverse andere Karten (z. B. S. 46, 60, 61) sind rote Linien eingezeichnet, bei denen der geneigte Leser entscheiden mag, ob es sich um Wege, Straßen, Eisenbahnlinien o. a. handeln könnte. Der Geschlossenheit des Kartenbildes eher abträglich sind die zahlreich eingestreuten Beilagen, wobei sich der Eindruck einer gewissen Wahllosigkeit aufdrängt. Wozu soll ein Stadtplan von Köln (S. 66) dienen, das doch allenfalls als Geburtsort von Karl Sternaus Mutter Bedeutung besitzen mag? Überhaupt scheint der Verfasser eine Vorliebe für Schlachtpläne und Eisenbahnkarten zu haben.

  Das ganze Unternehmen scheitert letztlich an seinem Anspruch. Der Verfasser hätte sich entscheiden müssen, ob er einen Atlas präsentieren


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wollte, dann wäre für eine sinnvolle und nachvollziehbare Darstellung der Reiserouten ein größeres Format mit besserer Einteilung unverzichtbar. So ist im Ergebnis ein Zwitter entstanden, der zwar - oft zusammenhanglos - viele interessante Einzelheiten bietet, insgesamt den Benutzer aber eher im Stich läßt. Die zahlreichen Ungereimtheiten, von denen hier nur einige erfaßt werden konnten, lassen die Bitte des Verfassers im Vorwort, darob »nicht ungehalten« (S. 18) zu werden, leider ungehört verhallen. Eine revidierte Neuauflage der alten Landkarten der dreißiger Jahre bleibt wünschenswert.

  Karl May gehört zu den Autoren, an die der Leser eine - oft lebenslange - Bindung bewahrt. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs wurde er geradezu belästigt, denn seine Leser wollten ihn nicht nur persönlich kennenlernen, sondern wandten sich auch mit ihren Sorgen und Nöten an den Mann, den sie für die Verkörperung seiner Helden hielten, nicht zuletzt von ihm selbst provoziert. Er wiederum hielt lebhaften Kontakt zu seiner Lesergemeinde durch Briefe, Besuche und persönliche Begegnungen. 1986 hatte Hans-Dieter Steinmetz mit dem Aufsatz ›Mariechen, Ferdinand und Onkel Karl‹ ein unbekanntes ›Kapitel im Leben des Ustad‹ (Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 69/1986, S. 6-24) aufgeschlagen, dem 1991 noch eine Ergänzung folgte (Hans-Dieter Steinmetz/Hellmut Hannes: Dr. Ferdinand Hannes als Schiffsarzt beim Norddeutschen Lloyd. In: M-KMG 90/1991, S. 24-29). Mit der Schilderung einer solchen Verehrerinnenbeziehung zwischen der jungen Marie Hannes und dem alternden May schien die Episode erschöpfend behandelt. Nun legen Hans-Dieter Steinmetz und Dieter Sudhoff eine umfangreiche Dokumentation von über 400 Seiten vor, ›Leben im Schatten des Lichts‹,5 die - sorgfältig recherchiert - mit einer Vielzahl von Briefen an und von May und weiterem reichhaltigen Material ein völlig neues Bild der Qualität dieser Beziehung entwirft. Stand am Anfang der übliche Verehrerbrief des jungen Backfischs, kommt es bald zu persönlichen Begegnungen und intensiver Korrespondenz; es entwickelt sich eine tiefe innere Beziehung, was schon rein äußerlich daran abzulesen ist, daß die May übersandten Gedichte in seiner eigenen Transkription überliefert sind. 1903 löst May dieses jahrelange enge Verhältnis jäh, als Marie Hannes mit einer Veröffentlichung ihrer in naivem Überschwang verfaßten Verteidigungsschrift ›Allerlei von Karl May‹ dem bedrängten Dichter zu Hilfe eilen will. Dem heutigen Leser zeigt dieses aufschlußreiche, hier erstmals abgedruckte Manuskript exemplarisch, wie May auch im engen Bekannten- und Freundeskreis seine Legende aufrechterhielt und seine Vergangenheit ausschmückte. Zwar hätte eine Publikation seinen Gegnern beträchtliche Angriffsfläche geboten, aber die Schroffheit und Kälte, mit der er hier zu Werke ging, werfen einen düsteren Schatten auf May. Über Jahre hinweg bleibt ein Kontakt nur über Klara bestehen, später kommt


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es zwar zur Aussöhnung, aber die frühere Innigkeit ist dahin; Marie Hannes, die einige Jahre lang May nahegestanden hatte wie kaum jemand, bleibt innerlich für den Rest ihres Lebens an ihn gebunden.

  Die anfängliche Skepsis wegen des großen Umfangs dieser Dokumentation verwandelte sich durch das Studium dieser Fülle bislang unbekannter Briefe, Gedichte, persönlicher Erinnerungen, unveröffentlichter sowie an entlegenster Stelle gedruckter, hier versammelten Schriften schnell in Bewunderung der umfassenden, mosaikartigen Rekonstruktion dieser außergewöhnlichen Beziehung und eines ›Lebens im Banne Karl Mays‹. Die Tatsache, daß eine solche Leistung nach Jahrzehnten, nachdem im entscheidenden Zeitraum bis 1945 die biographische Forschung weitgehend unterblieben war, heute noch möglich ist durch die überaus gründliche Recherche der Herausgeber - allein die Liste der bemühten Personen und Institutionen umfaßt zwei Seiten -, verdient uneingeschränkte Anerkennung. Diese Leserbiographie leistet einen wesentlichen Beitrag zur May-Forschung.

  Mit diesem - auch äußerlich wohlgelungenen - Titel legt der Karl-May-Verlag ein Buch vor, dem hoffentlich bald weitere von gleicher Qualität folgen werden, was jedoch wesentlich von der Wahl der Verfasser bzw. Herausgeber abhängig ist, wie die oben besprochenen Werke belegen.



1 Karl Mays »Ardistan und Dschinnistan«. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1997

2 Karl May's Gesammelte Werke Bd. 79: Old Shatterhand in der Heimat und andere Erzählungen aus der Werkstatt von Karl May. Bamberg-Radebeul 1997

3 Mein Hengst Rih. Aus Karl Mays Reiseerzählungen. Zusammenfassung von Carl-Heinz Dömken. Bamberg-Radebeul 1997

4 Hans-Henning Gerlach: Karl-May-Atlas. Bamberg-Radebeul 1997

5 Leben im Schatten des Lichts. Marie Hannes und Karl May. Eine Dokumentation. Hrsg. von Hans-Dieter Steinmetz/Dieter Sudhoff. Bamberg-Radebeul 1997





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