Man denke ja nicht, daß es in der Absicht dieser Beschreibung liegt, Roß und Reiter lächerlich zu machen. Ich habe ganz im Gegenteile zu konstatieren, daß die ungewöhnlichen Formen beider mich zwar überraschten, doch keineswegs nach der heiteren, sondern nur nach der ernsten Seite hin. Die Doppelfigur, die vor mir stand, machte den Eindruck der aufrichtigen ungekünstelten Natürlichkeit, der ungeschmälerten Kraft, der unbedingten Furchtlosigkeit, der überstrotzenden Gesundheit und - last not least - jener geraden, unbekümmerten Gutmütigkeit, die allen ihrem Ursprung nach ziemlich nahestehenden Wesen eigen ist. "Ursprung", ja, das war das richtige Wort für die Vorstellung, die man sich bei dem Anblicke dieses Mannes und dieses Pferdes machte. Hätte ich ein Märchen zu schreiben, in welchem der Urmensch auf dem Urpferde zu erscheinen hat, so würde ich ganz unbedingt zu dem Bilde greifen, welches ich hier vor Augen hatte.

Der Riese betrachtete mich ebenso still und forschend, wie ich ihn. Dann fragte er:

"Wo kommst Du her?"

Ich deutete hinter mich und antwortete:

"Daher."

"Vom Meere?"

"Ja."

"Wo willst Du hin?"

"Dorthin."

(Seite 21B) Indem ich dies sagte, deutete ich vorwärts. Da forderte er mich auf:

"Drücke Dich bestimmter aus! Daher und dorthin, das sind keine Antworten! Du scheinst mich nicht zu kennen?"

"Ich habe Dich allerdings noch nicht gesehen."

"So höre, was ich Dir sage, und merke es Dir! Ich bin Amihn, der oberste Scheik des unbesiegbaren Stammes der Ussul, hast Du das verstanden?"

"Ja."

"So verhalte Dich dementsprechend! Das ganze Land, von der Küste des Meeres an bis dort hinauf, wo die Berge beginnen, ist mein Eigentum. Alles, was in diesem Lande wächst, gehört mir. Jeder, der in diesem Lande wohnt, gehört mir. Und jeder, der dieses Land betritt, gehört mir. Also auch Du! Hast Du das verstanden?"

"Ja."

"Wenn mir der Mann gehört, so versteht es sich ganz von selbst, daß mir auch alles gehört, was er besitzt. Gibst Du das zu?"

"Ja."

"Das freut mich. Fremder, Du scheinst überhaupt nicht dumm zu sein! So schnell wie Du, hat bisher noch keiner eingesehen, daß ich der rechtmäßige Inhaber seines Eigentumes bin. Ich werde Dich einmal genau betrachten und Deine Sachen dann auch."

Er kam bis heran zu mir geritten und stieg von seinem Urpferde. Nun sah man erst, was dieser Mann für Füße, für Schenkel, für Arme hatte! Seine Hände waren noch einmal so breit als die meinigen. Diese Breite der Schultern! Ich stand fast wie ein Zwerg vor ihm! Er faßte mich hüben und drüben an den Oberarmen und drehte mich zweimal um mich selbst. Ich ließ mir dies ruhig gefallen, doch nicht etwa aus Angst, o nein! Hier stand der Körper dem Geiste, die rohe, ungefüge Kraft der geschulten Überlegung, der Muskel dem Gehirn gegenüber, und wer da schließlich die Oberhand behalten mußte, das kam gar nicht erst in Frage. Diese meine scheinbare Gefügigkeit schien ihn für mich einzunehmen, denn er sagte:

"Du gefällst mir! Du bist von jetzt an mein Knecht, hast also bei mir zu bleiben. Ich weiß zwar nicht, wozu Du mir dienen und welchen Nutzen Du mir bringen sollst, aber es wird sich wohl schon etwas finden, wodurch Du mir beweisen kannst, daß Du wenigstens nicht ganz und gar wertlos bist. Zeig her, was Du da hast!"

Um beide Hände frei zu bekommen, rannte er seinen Spieß in den Erdboden und griff nach meinen Gewehren, um sie zu betrachten. Den fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzen behielt er nur einen Augenblick in der Hand, dann warf er ihn weg; er war ihm zu leicht.

"Ich kenne diese Dinger nicht, mag sie auch nicht," sagte er in sehr verächtlichem Tone. "Spielzeug für Kinder!"

Die ungewöhnliche Schwere des Bärentöters aber imponierte ihm. Er wiegte ihn hin und her, nahm ihn dann bei den Läufen, schwang ihn durch die Luft, als ob er jemand mit dem Kolben erschlagen wollte, und ließ sich zu der lobenden Bemerkung herab:

"Diese Flinte ist besser! Die zerbricht nicht, wenn man sie einem Feinde auf den Schädel schlägt!"

Für ihn schienen Gewehre wohl nur als Keulen, nicht aber zum Schießen vorhanden zu sein. Dennoch gefiel es ihm, das Schloß der Büchse einer näheren Betrachtung zu unterziehen, doch sah ich ihm an, daß er sich gar nicht viel Kluges dabei dachte. Während der Urmensch sich mit dieser meiner Waffe beschäftigte, beliebte nun auch dem Urgaul eine Annäherung an mich. Er schob mit der Schnauze seinen Herrn ganz einfach zur Seite, kam zu mir heran, kurbelte mit dem Schwanze, beäugelte und beschnüffelte mich und schien mich für einen ganz annehmbaren Kerl zu halten, denn er tat mir die Ehre an, seine nasse Schnauze an meinem Gesicht abzutrocknen. Da gab ich ihm eine Ohrfeige, und zwar was für eine! Das beleidigte ihn aber nicht. Im Gegenteile, es schien ihm zu gefallen, denn er hob den ungeschlachten Kopf hoch empor, schloß vor lauter Glückseligkeit die beiden Äuglein zu, riß das Maul sperrangelweit auf und - - - wieherte etwa? O nein! Das, was (Seite 22A) ich da zu hören bekam, das war kein Wiehern, das war kein Trompeten eines Elefanten, kein Brüllen eines Löwen, kein Nebelhorn eines Seedampfers und auch keine Hupe eines Automobils; aber es hatte etwas von alledem, und das klang so außerordentlich überraschend, daß ich am liebsten umgefallen wäre, nur weiß ich nicht, ob vor Schreck oder vor Lachen. Da drehte sich sein Herr zu ihm um und fuhr es in strafender Weise an:

"Bist Du toll? So zu brüllen! Hier im freien Feld, wo man gar nicht weiß, ob nicht noch andere Fremde da sind, die nicht wissen dürfen, wo wir uns befinden! Schäme Dich!"

Da fiel der Kopf des Gaules schnell wieder herab, noch tiefer, als er vorher gehangen hatte; der Schwanz unterbrach seinen Radumlauf; die Äuglein näherten sich einander, um beschämt an der Nase lang herabzublicken, und aus dem Herzen stieg ein so langer, schwerer, unendlich tiefer Seufzer, als ob das liebe Vieh im Begriff stehe, aus lauter Scham und Reue in die Erde zu versinken. Ich fühlte mich im Innern meiner Seele aufrichtig gerührt. Es gab gar keinen Zweifel darüber, daß dieses Urpferd zugleich auch ein Gemütspferd war!

"Er heißt Nazik," erklärte mir der Scheik, indem er auf den Leierkasten deutete, dessen ersten Ton wir soeben zu hören bekommen hatten. "Er ist nicht der einzige, den wir haben; wir besitzen ihrer viele. Du wirst sie zu sehen bekommen."

"Wann?"

Er ahnte nicht, wie viele Erkundigungen in diesem kurzen, einsilbigen Worte steckten, und gab mir den Bescheid:

"Morgen oder übermorgen. Heut sind wir nicht daheim, sondern auf der Jagd."

"Wo?"

"Da drüben im Walde."

Er streckte den Arm nach der Richtung aus, in welcher Halef verschwunden war.

"Wie viel Jäger seid Ihr?"

"Zwanzig, ohne die Frauen. Die Männer jagen; die Frauen graben nach Wurzeln, die zum Fleisch gegessen werden."

Um nicht aufzufallen, fragte ich nicht weiter; ich wußte schon jetzt genug. Die Weiber hatten hier auf der grasigen Lichtung nach Wurzeln gesucht; daher die Spuren. Diese Spuren führten nach dem Lager, wo es zwanzig riesige Ussul gab, die, wenn sie ihrem Scheik glichen, zwar gutmütige, für uns aber dennoch gefährliche Menschen waren. Halef blieb zu lange aus. Er hatte sich zu weit entfernt. Es war sehr leicht möglich, daß man ihn gesehen und festgenommen hatte. Wenn bei den Ussul der Grundsatz herrschte, daß jeder Fremde, der ihr Gebiet betritt, ihnen gehört, und zwar mit allem, was er besitzt, so hatte man diesen Grundsatz auch an Halef geltend gemacht, und wie ich ihn kannte, mußte ich annehmen, daß ihm gar nicht eingefallen war, sich dies gefallen zu lassen. Er hatte sich dagegen gewehrt, war überwältigt worden und befand sich nun in Gefahr. Ich mußte ihm folgen, um ihm beizustehen. Da gab es für mich eine Waffe, die besser und erfolgreicher als jede andere war, nämlich den Scheik selbst, den ich festzunehmen hatte, damit er mir als Geisel dienen möge. Das gab voraussichtlich einen Kampf zwischen ihm und mir, vor dem mir aber gar nicht bange war. Die körperliche Überlegenheit dieses Gegners fürchtete ich nicht. Er war das, was man einen Simpel, einen Tolpatsch nennt, und es gehörte gar keine große, geistige Anstrengung dazu, die Chancen gleichzustellen.

Nachdem er mich in Augenschein genommen hatte, tat er dasselbe auch mit unsern Pferden. Da stellte es sich denn sofort heraus, daß er kein Kenner war. Sein Urgaul galt ihm mehr als unsere beiden Rappen zusammengenommen. Er meinte, sie seien viel zu leicht, um ihn tragen zu können, und für die hiesige Gegend habe man überhaupt auf sie zu verzichten, weil sie bei der Kleinheit ihrer Hufe bei jedem Schritt in den Sumpf einbrechen und mit ihrem Reiter ertrinken und ersticken würden. Je größer und je breiter die Hufe, desto wertvoller sei das Pferd.

Als er mir das erklärte, schlich sich Nazik, der >Köstliche<, von hinten an mich heran, um mich liebkosend in den Nacken zu beißen. Er bekam sofort eine zweite Ohrfeige, die noch weit (Seite 22B) kräftiger als die erste war. Er hielt aber auch sie nur für ein Zeichen meiner Gegenliebe, denn er hob ganz genau wie vorhin den Kopf hoch empor, machte die Äuglein zu, sperrte das Maul dafür um so weiter auf, um den fürchterlichen Grundton seines Wesens zum zweiten Male hören zu lassen. Da aber fiel ihm noch im letzten Augenblicke ein, daß sein Herr ihn vorhin aufgefordert hatte, sich zu schämen; er schluckte das, was empor hatte klingen wollen, wieder hinunter, machte das Maul wieder zu, die Äuglein dagegen auf, senkte den Kopf und schielte uns beide schwanzwedelnd an, ob wir uns wohl als fähig erweisen würden, seine Selbstüberwindung zu bewundern. Das rührte mich. Das ging mir nahe und brach mir fast das Herz. Ich klopfte und klatschte ihm liebkosend den Hals. Das hatte aber grad den entgegengesetzten Erfolg. Er warf seine ganze Selbstüberwindung sofort über den Haufen, schwang den Kopf schnell wieder in die Höhe und fing an, zu brüllen, zu trompeten, zu hupen, zu wiehern, zu kreischen und zu tuten, daß mir hätte angst und bange werden mögen. Da zog der Scheik seinen Spieß aus der Erde, holte aus und schlug derart auf den Sänger ein, daß dieser sofort verstummte. Hieraus war wohl mit vollem Recht zu schließen, daß die Urpferde bei den Ussul in guter Zucht und Sitte standen.

Es war eine geradezu kindliche Naivität, mit welcher der Scheik alle Gegenstände, die ich bei mir hatte, betrachtete und sie sofort in Gedanken und Worten derart registrierte, als ob sie nun ganz zweifellos schon in seinen Besitz übergegangen seien. Meine Uhr gefiel ihm so, daß er sie mir gleich gar nicht wiedergab, sondern sie einfach zu sich steckte. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß sie in meine, nicht aber in seine Tasche gehöre. Da sah er mich fast ohne Verständnis an, schüttelte den Kopf und sagte:

"Ich begreife Dich nicht! Ich habe Dir doch gesagt, daß alle diese Gegenstände mir gehören, und Du hast Dich damit vollständig einverstanden erklärt!"

"Du irrst!" widersprach ich ihm.

"Ich irre nicht!" behauptete er. "Ich will zu Deiner Ehre annehmen, daß Du ein schlechtes Gedächtnis besitzest. Wenn ich das nicht täte, müßte ich Dich für einen Lügner halten, und Du gibst doch wohl zu, daß dies das Allerschlimmste ist, was einem Menschen geschehen kann! Oder hast Du etwa auch nicht zugegeben, daß jeder Mann mir gehört, der dieses mein Land betritt?"

"Nein, das habe ich allerdings nicht zugegeben."

"Du hast aber doch >Ja< gesagt!"

"Aber hierzu nicht! Du fragtest mich, ob ich verstanden habe, was Du sagtest; hierauf sagte ich >Ja<. Und darauf sagtest Du, wenn der Mann Dein Eigentum sein, verstehe es sich ja ganz von selbst, daß Dir auch alles gehöre, was er besitzt. Da habe ich allerdings zugestimmt. Aber bezieht sich denn das auf mich? Und wie willst Du mir beweisen, daß ich Dir gehöre, daß ich Dein Diener, Knecht oder Sklave bin?"

"Ich habe es Dir gesagt; das ist der Beweis. Eines anderen bedarf es nicht!"

"Da irrst Du eben!"

"Ich irre nie!" behauptete er. "Ich bin der oberste Scheik der Ussul, und was in meinem Stamme Recht und Sitte ist, das führe ich aus. Es ist Recht und Sitte, daß Du mein Eigentum geworden bist; dabei bleibt es!"

Er sprach jetzt in sehr bestimmtem Tone.

"Und wenn ich nicht will? Wenn ich mich dagegen wehre?" fragte ich.

Er sah mich von oben herunter an, lachte belustigt auf und antwortete:

"Du Dich wehren? Du Knirps! Schau nur hier meine Hände an! Sag noch ein Wort dagegen, so drücke ich Dir mit diesen Fäusten den dummen Kopf zusammen, daß er mir als Brei hier an den Fingern klebt!"

Bei diesen Worten hielt er mir seine Gigantenhände drohend vor das Gesicht.

"Es würde Dir keinen Segen bringen," warnte ich ihn. "Ich bin nämlich nicht allein!"

"Nicht allein?" fragte er, indem er rund um sich schaute. "Ich sehe niemand!"

(Seite 23A) "Aber Du siehst doch zwei Pferde! Hast Du wirklich noch nicht daran gedacht, daß einer der beiden Reiter fehlt?"

"Er fehlt? So? Warum? Wo befindet er sich?"

Das war mehr als kindlich naiv! Er verstellte sich nicht; es war keine Finesse, keine Kriegslist von ihm. Er dachte wirklich genau so, wie er sagte. Er suchte mit den Augen nach dem Verschwundenen. Ich aber meinte es weniger ehrlich. Ich beabsichtigte, ihn auszuforschen, und richtete meine Antwort daraufhin ein, obgleich sie keine Lüge, sondern die volle Wahrheit enthielt:

"Wo er sich jetzt befindet, weiß ich leider nicht. Er bemerkte die Spuren hier im Grase und wollte sehen, von wem sie seien. Darum ging er hinter ihnen her und ist noch nicht wieder zurückgekommen."

"Ging er hier geradeaus und dann links um die Ecke des Gebüsches?"

"Ja."

"So kommt er überhaupt nicht wieder."

"Warum?"

"Er ist unser Gefangener."

"Du meinst, daß Deine Leute ihn gesehen haben?"

"Gesehen und festgenommen! Unbedingt. Von unserm Lagerplatze aus kann man grad bis an jene Ecke sehen."

"So lagert Ihr wohl da drüben, links, jenseits des Gebüsches, im Walde?"

"Nicht im Waldes selbst, sondern am Rande desselben. Man hat Deinen Kameraden sofort gesehen, als er um die Ecke gebogen war. Ist er ebenso klein wie Du?"

"Noch kleiner."

"Noch kleiner?" lächelte er."So hat man sich wohl überhaupt gar keine Mühe mit ihm gegeben."

"Und wenn er sich gewehrt hat - - -?"

Das war meine Hauptfrage. Ich war gespannt, was er hierauf sagen werde.

"So ist er tot," antwortete er.

"Wirklich?"

"Gewiß! Wir dulden keine Gegenwehr. Wir verlangen Gehorsam. Und so ein Zwerg, der sogar noch kleiner ist als Du, wenn der es wagt, uns widerstehen zu wollen, so machen wir es kurz, sehr kurz mit ihm. Die Erde braucht keine Zwerge. Sie sind unnütz. Alles, was zu klein ist und was krank ist, steht dem Großen, dem Gesunden im Wege. Es hat zu verschwinden. Also, wenn Dein Genosse ungehorsam gewesen ist, so ist er tot. Aber das geht Dich und mich doch gar nichts an! Ich habe nachzusehen, was Du alles besitzest. Wenn das vorüber ist, reiten wir nach dem Lager. Dort wird das, was Du bei Dir hast, geteilt. Ich aber will jetzt schon sehen, was mir gefällt, damit ich es dann bekomme."

Das war sehr aufrichtig, aber nicht sehr beruhigend! Daß ich allerdings das Lager betreten würde, aber nicht als Gefangener, das verstand sich ganz von selbst. Dazu gehörte zunächst die Überwältigung dieses Riesen. In welcher Weise sie zu bewerkstelligen sei, das war noch nicht bestimmt. Schuß- und Stichwaffen waren ausgeschlossen. Der Scheik war ein guter, lieber und zudem auch hochinteressanter Mensch, den ich weder verletzen noch gar töten durfte. Ich mußte im Gegenteile danach trachten, mir die Zuneigung der Ussul zu gewinnen. Dieser Stamm konnte mir als Stütz- und Ausgangspunkt für alles, was später zu geschehen hatte, dienen, und dazu war zunächst erforderlich, mich jeder nicht schonenden Behandlung ihres Anführers zu enthalten. Übrigens stellte es sich als gar nicht nötig heraus, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, in welcher Weise ich ihn in meine Gewalt bringen könne. Er kam mir nämlich hierin ganz von selbst entgegen, und zwar in so bequemer Weise, daß ich weiter gar nichts zu tun hatte, als nur zuzugreifen.

Indem er mich und meine Sachen untersuchte, fragte er nach jedem einzelnen Gegenstande, um den Gebrauch und den Wert desselben kennen zu lernen. Er wollte für die spätere Verteilung schon jetzt seine Auswahl treffen. Darum fragte er nach allem, was er sah, und ich erteilte die gewünschte Auskunft in so bereitwilliger Weise, als ob ich mich vollständig in das mir bestimmte Schicksal ergeben hätte. So kam er auch an (Seite 23B) den langen, höchst künstlich zusammengeflochtenen Fangriemen, der am Halse meines Syrr hing.

"Was ist das?" fragte er, indem er ihn betrachtete und betastete.

"Ein Lasso," antwortete ich.

"Ein Lasso? Noch nie hörte ich dieses Wort! Dieses Flechtwerk ist eine große Kunst. Auch wir flechten Riemen, aber kurz, nicht so lang. Und so fest, so gleichmäßig und so schön bringen wir es nicht fertig. Das heißt also ein Lasso! Wozu wird es gebraucht?"

"Zum Fangen der Menschen."

Es lag natürlich nicht in meiner Absicht, ihm zu verraten, daß sich dieser Gebrauch weniger auf Menschen als vielmehr auf Tiere bezog.

"Menschen fangen mit diesem Riemen?" fragt er schnell und angelegentlich. "Also doch wohl Feinde?"

"Ja."

"Während des Kampfes? Wenn sie entfliehen wollen?"

"Überhaupt bei jeder Gelegenheit, wenn man sie fangen will."

"Bei jeder Gelegenheit? Die Feinde fangen? Das ist ja wichtig, im höchsten Grade wichtig! Und Du weißt, wie man das macht?"

"Ja, natürlich."

"Kannst Du mir es zeigen?"

"Wenn Du es wünschest, gern."

"Gleich jetzt, hier? Nicht erst dann, wenn meine Leute dabei sind und es ebenso sehen wie ich?"

"Jetzt gleich," nickte ich.

"So tue es; ja, tue es schnell! Seine Feinde fangen, mit so einem Riemen! Das ist ja herrlich! Schau, hier an meinem Gürtel hängt auch ein ganzer Pack von Riemen. Die sind aber nicht, um die Feinde zu fangen, sondern nur, um sie zu binden; da muß man sie aber vorher erst haben. Also zeig es mir!"

"Aber an wem soll ich es Dir zeigen?" fragte ich, indem ich den Lasso vom Halse des Pferdes schlang. "Es ist ja kein Feind vorhanden, den ich fangen könnte!"

"Das schadet nichts," meinte er. "Denke einmal, ich sei einer! Dauert es lang?"

"Nur einige Augenblicke."

"Und tut es weh?"

"Gar nicht."

"So fang an! Mach los! Was habe ich dabei zu tun?"

"Setz Dich auf Dein Pferd und versuch, mir auszureißen!"

"Schön! Gut! Wohin soll ich fliehen?"

Ich deutete in die Richtung zurück, aus der ich mit Halef gekommen war, denn die kannte ich. Es kam mir darauf an, den Scheik von hier zu entfernen, wo das Lager seiner Leute so verhältnismäßig nahe war. Ein Hilferuf von ihm, den sie hörten, konnte meinen ganzen Plan vereiteln. Und zu seiner Ausführung brauchte ich einen versteckt liegenden Baum, an den ich den Riesen binden konnte, ohne befürchten zu müssen, daß man ihn sobald entdecken werde.

"Flieh dorthin zu," antwortete ich, "und zwar so schnell Du kannst!"

"Willst Du mich etwa einholen?" erkundigte er sich mit breitem Lachen.

"Ja."

"Und dann mich fangen? Zu Pferde?"

"Ja."

"Mit diesen kleinen Hunden, die gar keine Pferde sind? Hörst Du, ich lache Dich aus! Also versuche es! Die Schande, die Du erlebst, ist dann nicht mein, sondern Dein!"

Er hatte keinen Steigbügel, sich bequem aufzuschwingen; so kletterte er mühsam auf den breiten First seines Urgaules. Dort angekommen, setzte er sich in der behaglichen Weise zurecht, wie man es sich nach Feierabend auf den Kissen eines alten lieben Kanapees bequem zu machen pflegt, nickte dann zufrieden von oben herunter und forderte seinen Untertanen, der mit ihm davonjagen sollte, auf:

"Jetzt fort von hier! Aber schnell, sonst setzt es gewaltige Prügel!"

Das liebe Tier schien diese Worte weder zu verstehen noch auf sich zu beziehen. Es tat gar nicht, als ob es irgendwen (Seite 24A) auf dem Rücken habe, oder als ob außer ihm und mir noch irgend ein anderes Wesen vorhanden sei. Es richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf mich allein. Seine Blicke bewegten sich ausschließlich immer nur auf meiner Person herum, und zwar mit einem so entschiedenen Ausdruck von Wohlwollen, daß seine Zuneigung zu mir, dem Fremden, gar nicht zu verkennen war. Anstatt den Willen seines Herrn zu tun, kam es wieder auf mich zu, rieb seine Schnauze an meinem Arme und streckte dann die lange fette Zunge heraus, um mit ihr einen liebevollen Spaziergang über mein Gesicht zu machen. Da aber riß der Scheik den Kopf des Pferdes mit Hilfe des Zügelstrickes von mir weg und rief drohend aus:

"Was fällt Dir ein? Wenn Du nicht sofort galoppierst, werde ich mir Gehorsam verschaffen! Verstehst Du mich?"

Er bückte sich bei diesen Worten zu dem Kopf des Pferdes nieder, um ihm seine drohende Faust zu zeigen. Das Tier schien ihn dieses Mal verstanden zu haben, denn es versuchte, ihm einen strafenden Blick nach hintenüber zu werfen, stieß ein höchst unwilliges, antediluvianisches Getöse aus, was ich jedenfalls als Wiehern hinzunehmen hatte, trat ganz rasch an mich heran und machte mir mit der Zunge so schnell, daß es nicht zu verhindern war, einen Querstrich über das Gesicht.

"Er hat Dich lieb; wahrhaftig, er hat Dich lieb!" wunderte sich der Scheik. "Wie es nur kommen mag, daß grad Du ihm so gefällst?"

Ich nahm diese Worte hin, ohne mich lange zu fragen, ob ich mich über sie freuen oder ärgern sollte. Doch schien das mit der Zunge auch mir eine Art von Liebeserklärung zu sein. Es fiel mir dabei ein kleines Ereignis aus meiner Jugendzeit ein, welches mir damals psychologisch hochinteressant gewesen war. Das geschah während meiner Schülerzeit. Ich ging während einer Ferienwanderung an einer langgestreckten Gebirgswiese hin, auf der das Gesinde des Besitzers >Heu machte<, wie man das da oben auszudrücken pflegt. Die Leute verrichteten ihre Arbeit sehr ernst und fleißig, einen einzigen Knecht ausgenommen, der mit der vor ihm postierten Großmagd in einem fort schäckerte. Sie war ein großes, starkes, ungeschlachtes Frauenzimmer. Eben als ich vorübergehen wollte, umfaßte er ihre riesenhafte Taille, hielt sie fest und gab der Magd einen Kuß. Dann warf er mir, dem Zeugen seiner Heldentat, einen triumphierenden Blick zu, der aber nicht von langer Dauer war, denn die Magd holte aus und gab ihm eine so gut gesalzene Ohrfeige, daß er das Gleichgewicht verlor und, so lang er war, in das Heu zu liegen kam. Ein allgemeines Gelächter erscholl, und nun war es die Magd, die mir, dem Zeugen ihrer Heldentat, einen triumphierenden Blick zuwarf. Ich kleines, gern auch einmal lustiges Männchen blieb stehen und lachte mit. Als er das sah, sprang er zornig auf und rief mir zu: "Was hast denn Du zu lachen, Du Knirps, Du nichtsnutziger, Du? Daß sie mir die Maulschelle 'geben hat, is doch der Beweis, daß sie mich gern hat! Wannst es net glaubst, so geh her und frag sie doch gleich selber!" Sie aber wartete es gar nicht ab, ob ich das tun werde, sondern sie stemmte die Arme in die Hüften, nickte mir sehr überlegen zu und belehrte mich: "Is richtig, alles richtig! Er is der Meinige. Einen andern hau ich net!" Meine damalige Menschenkenntnis (Seite 24B) reichte noch lange nicht an das Verständnis dieser eigenartigen Logik heran. Darum machte ich mich schleunigst auf den Weg, um im stillen darüber nachzudenken, welche Gründe man haben kann, nur immer >den Meinigen< zu hauen, aber keinen anderen. Daß dieses scheinbare psychologische Rätsel etwas psychologisch sehr leicht Begreifbares ist, das sah ich erst nach Jahren ein. Und jetzt, wo der Scheik sich über die Zuneigung seines Urpferdes wunderte, kehrte mir die Erinnerung an jenen Ferientag zurück. Sollte das Urpferd den Ohrfeigen, die ich ihm gegeben hatte, dieselbe Bedeutung beigelegt haben? Sollte es mich für >den Seinigen< halten? Der Scheik trieb es von neuem an, zu laufen. Es blieb stehen und äugelte mit mir. Er stieß ihm die Fersen in die Weichen. Es blieb stehen und äugelte mit mir. Er schlug es mit der Faust auf den Schädel, daß ich glaubte, es müsse ein tiefes Loch entstehen. Es rührte sich nicht von der Stelle und äugelte mit mir. Da begann er, es mit dem schweren Spieß zu bearbeiten. Als auch das nichts half, rief er mir zornig zu:

"Siehst Du denn nicht, daß es nicht will? Treib es doch an! Gib ihm eins hintendrauf!"

"Ich soll es antreiben, ich?" fragte ich. "Bin denn ich der Reiter?"

"Nein. Aber es scheint seinen Narren an Dir gefressen zu haben. Es will nicht von Dir fort. Da bist Du doch verpflichtet, es von Dir fortzujagen. Es ist doch nicht Dein, sondern mein!"

Ich hatte Mühe, das Lachen zu unterdrücken, und antwortete:

"Ist das vielleicht die Schande, die Du mir vorausgesagt hast? Was soll das für ein Wettrennen werden, wenn Dein Pferd überhaupt nicht von der Stelle will! Hast Du es denn nicht in der Gewalt?"

"Natürlich habe ich es! Und wie! Wenn es vorwärts soll, drücke ich ihm meine Schenkel an den Leib - - -"

"Da geht es vorwärts?" fragte ich.

"Ja. Wenn es nach rechts soll, ziehe ich an der rechten Leine - - -"

"Da geht es nach rechts?"

"Ja. Wenn es nach links soll, ziehe ich an der linken Leine - - -"

"Da geht es nach links?"

"Ja. Wenn es stehenbleiben soll, ziehe ich an der rechten und an der linken Leine zugleich - - -"

"Da bleibt es stehen?"

"Ja."

"Das glaube ich nicht. Beweise es mir! Du treibst es ja an; es geht aber nicht!"

"Weil ich die Einleitung vergessen habe. Ich wollte nicht wieder herabsteigen, um es nachzuholen. Darum bat ich Dich um Deine Hilfe. Aber, um Dir zu beweisen, daß es gehorcht, muß ich dennoch wieder hinunter. Paß auf!"

Er arbeitete sich schwerfällig vom Pferde zur Erde nieder, drehte seinen Spieß um, hob ihn hoch empor und schrie dem Gaule zu:

"Ich weiß, was Du willst! Du willst erst Prügel haben! Ich muß Dir jedesmal, ehe ich aufsteige, zeigen, daß ich der Herr bin, nicht aber Du; sonst glaubst Du es nicht. Da hast Du die Hiebe, da - da - da - da - und da!"

Er schlug mit aller Gewalt auf das Tier ein, daß es nur so klatschte und puffte. Das Tier senkte den Kopf, steckte ihn, (Seite 25A) damit er nicht getroffen werde, so weit wie möglich zwischen die Vorderbeine und nahm im übrigen die Hiebe wie etwas Alltägliches und Vertrautes hin, das einem gewohnt und lieb geworden ist. Als es sein Deputat aufgezählt bekommen hatte, turnte sich der Scheik wieder auf seinen Sitz hinauf und sagte:

"Nun paß auf, wie es laufen wird! Wenn es durchbrennen soll, muß ich vorher Feuer machen. Dann läuft es, und wie! Keine Möglichkeit, mich einzuholen! Komm!"

Sobald er oben war, zog der Gaul seinen Kopf zwischen den Vorderbeinen hervor, warf ihn hoch empor, ließ herausfordernd seine unbeschreibliche Stimme erschallen und schoß dann vorwärts, aus Leibeskräften und in einer Art und Weise, als ob er sich vorgenommen habe, mit dem Kopfe durch alle Mauern von Ardistan zu rennen. "Komm! Hol mich ein!" rief der Scheik nochmals zurück. Dann war es aus mit dem Reden, denn er hatte sich alle Mühe zu geben, nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden. Das ebenso plötzliche wie eilige Vorwärtsschießen des unbeholfenen, massigen Pferdekörpers machte einen so unwiderstehlich heitern Eindruck, daß ich laut auflachen mußte. Mit der Verfolgung brauchte ich mich nicht zu übereilen. Halefs Ben Rih war mehr auf Lasso eingeübt als mein Syrr. Den ersteren hatte ich jahrelang geritten, den letzteren aber nur erst kurze Zeit, und den starken, die Knochen sehr angreifenden Ruck, den der Lasso kurz nach dem Wurfe gibt, wollte ich dem hochedeln Syrr ersparen. Ich sorgte also dafür, daß die Gewehre und alles, was an Riemen hing, nicht schleudern und schlagen konnte, band Syrrs Zügel am Sattelknopfe fest, warf den Lasso in Schlingen und schwang mich auf Ben Rih. Der Lasso wurde im Sattelringe eingehakt; dann ging es vorwärts. Rih folgte ganz von selbst, ohne alle Aufforderung. Die klugen Tiere begriffen, daß es sich darum handelte, den vor uns hinstürmenden Reiter einzuholen.

Der Urgaul leistete, was er leisten konnte. Als ich in den Sattel stieg, hatte er gewiß schon vierhundert Pferdelängen zurückgelegt; aber ihn einzuholen, erforderte für uns, selbst ohne daß ich meine Pferde anzustrengen brauchte, nur eine so kurze Zeit, daß es gar nicht nötig war, sie zu berechnen. >Kleine Hunde< hatte der Scheik meine Pferde genannt, und wie Hunde, die ein Wild zu erjagen haben, flogen sie nun hinter ihm her, ohne daß es nötig gewesen war, sie vorher erst durch eine >Einleitung< mit dem Spieße zu begeistern.

Das Terrain war gar nicht ungeeignet zu einer solchen Jagd, rechts und links entweder Wald oder hoch aufstrebendes Gebüsch. Und nun schossen wir über ein Meer von Wohlgerüchen, dahin, welches niedrigen Papilionaten entströmte, die einen schmalen, sich lang hinschlängelnden, baumlosen Strich ausfüllten. Es waren zwei Arten der orientalischen Genista, die eine hochgelb, die andere metallisch weiß blühend. Diese letztere wird auch in der Heiligen Schrift erwähnt. Die gelbe glänzt genau wie Gold, die weiße wie reines, schmelzendes Silber. Ob beiden oder nur einer von ihnen der herrliche Duft entströmte, das war bei der Eile, die ich hatte, nicht festzustellen.

Die goldig silberne Bahn, der ich folgte, lief nicht gerade, sondern in häufigen Biegungen. Darum verschwand der Scheik bei jeder dieser Krümmungen vor meinen Augen. So oft er dann wieder erschien, konnte ich deutlich ersehen, um wie viel ich ihm näher gekommen war. Das ging unbeschreiblich schnell. Es waren wohl kaum zwei Minuten vergangen, seit ich ihm folgte, so trennten mich nur noch acht oder neun Pferdelängen von ihm.

"Hier bin ich!" rief ich ihm zu. "Paß auf!"

Er drehte sich um. Als er sah, wie nahe ich ihm war, rief er aus:

"Das schadet nichts. Ich fange ja nun erst an zu galoppieren!"

Das war einfach lächerlich. Sein Pferd strengte sich ehrlich an, konnte aber schon fast nicht mehr. Es stöhnte bei jedem Sprung, den es tat; das hörte ich. Es war bereits außer Atem. Und nun trieb er es mit den Füßen, mit den Fäusten und mit dem Spieße derart an, daß ich schon aus Mitleid mit dem Tiere der Sache ein Ende zu machen hatte.

"Halte Dich fest!" warnte ich ihn. "Jetzt fasse ich Dich!"

Er nahm sich gar nicht Zeit, sich wieder umzuschauen. Er rief die Antwort, die er mir gab, so vor sich hin, daß ich sie (Seite 25B) nicht verstand, schlug aber mit verdoppeltem Eifer auf sein Pferd ein. Da nahm ich die wohlgeordneten Schlingen des Lasso so leicht, daß sie schnell ablaufen konnten, in die offene, linke Hand, hob die Schleife über meinen Kopf empor, gab ihr den nötigen, genau berechneten Schwung und ließ sie fliegen. Der Augenblick hiezu war günstig gewählt, denn der Scheik hatte grad jetzt seine beiden Arme gesenkt. "Andak!" rief ich meinen Pferden zu. Nur noch ein Sprung, da standen sie still. Die unzerreißbare, lederne Schleife schwebte grad über dem Kopfe des Scheiks. Eine kleine Bewegung meiner Hand und dann ein kräftiger Ruck, so fiel sie nieder und legte sich ihm um die Oberarme. Im gleichen Moment bekam Behn Rih den schon erwähnte Ruck, den er aber sehr wohl kannte. Er stellte sich schief, um nicht umgerissen zu werden, und so wurde der Scheik von dem scharf angespannten Lasso vom Pferde geschleudert. Sein Gaul tat noch einige Sprünge und blieb dann mit schlagenden Flanken stehen, um zunächst wieder zu Atem zu kommen. Als dies geschehen war, drehte er sich um, jedenfalls in der Absicht, nachzuschauen, wohin sein Herr so plötzlich verschwunden sei. Dieser aber lag so tief in den duftenden Schmetterlingsblüten, daß er gar nicht zu sehen war. Dafür sah der Gaul mich, der ich soeben aus dem Sattel sprang. Er kam augenblicklich auf mich zu, blieb vor mir stehen, warf den Kopf empor, riß das Maul auf und begann eine derartige welterschütternde Lamentation über die Zumutung, die an ihn gestellt worden war, daß höchst wahrscheinlich Steine erweicht worden wären, wenn sie dagelegen hätten. Leider durfte ich mir nicht die Zeit nehmen, die Triller und Läufer dieser noch etwas ungeschulten Stimme zu genießen, denn der Scheik stand nicht wieder auf. Er lag vollständig bewegungslos an der Stelle, auf die er gefallen war. Ich ging hin und kniete bei ihm nieder. Er lag in tiefer Ohnmacht. Jedenfalls war er mit dem Kopfe auf die Erde geprallt, und zwar so stark, daß er die Besinnung verloren hatte.

Ihm war diese Ohnmacht zu glauben. Bei einem Indianer hätte ich sie zunächst für Verstellung gehalten, in der Absicht, mich zu überlisten. Der Scheik der Ussul aber besaß wohl keine Veranlassung zu einer solchen Komödie. Seine Ohnmacht war jedenfalls echt, obwohl ich seinen Puls ziemlich deutlich schlagen fühlte. Und mir war sie hochwillkommen, denn durch sie wurde es mir möglich, ihn so vollständig und so mühelos unschädlich zu machen, wie es mir nicht möglich gewesen wäre, wenn er die Besinnung behalten hätte. Da kam mir denn der Pack Riemen gelegen, den er, wie bereits erwähnt, an seinem Gürtel hängen hatte. Ich machte ihn von meinem Lasso los, band ihm mit Hilfe dieser Riemen die Beine eng zusammen und die Arme fest an den Leib und schnitt aus dem nächsten Buschwerk einige Stangen, an die ich ihn lang ausgestreckt fesselte, um seinen eigenen Körper als Tragbahre zu benutzen, die ich meinen beiden Pferden aufladen wollte. Eben als ich die letzten Knoten schlang und er mir nun vollständig sicher war, kam er wieder zu sich. Er öffnete die Augen, die er zunächst ganz ausdruckslos auf mich richtete. Bald aber kehrte ihm auch das Gedächtnis zurück. Er erkannte mich, er besann sich.

(Seite 26A) Des Scheiks erste Frage war: "Wo ist Smihk? Ich sehe ihn nicht!"

"Wer ist Smihk?" erkundigte ich mich.

"Mein Pferd," antwortete er. "Das weißt Du noch nicht?"

"Nein, ich konnte es mir aber denken."

Smihk heißt nämlich soviel wie >Der Dicke<.

"Du hast mich also dennoch eingeholt!" fuhr er fort. "Unglaublich!"

"Und Dich sogar gefangen genommen!" fügte ich hinzu.

Erst durch diese meine Worte wurde er darauf aufmerksam, daß er sich nicht bewegen konnte. Er versuchte zwar, die Glieder zu rühren, doch ohne Erfolg. Da rief er aus:

"Richtig! Ich bin sogar auch gefangen!"

"Wer hat also die Schande? Etwa ich?"

"Nein, Du nicht, sondern ich!" antwortete er, indem er einen grimmigen Blick an sich herniedergleiten ließ. "Das werde ich bestrafen!"

"An wem?" erkundigte ich mich.

"An Smihk! Das kannst Du Dir doch denken! Oder meinst Du etwa, ich sei schuld daran? Er ist eine faule Bestie! Ich schlage ihn tot! Wo ist er denn? Ich sehe ihn noch immer nicht!"

"Da steht er, gleich hinter Dir. Wenn er Deine Worte verstehen könnte, würde er Dich auslachen."

"Auslachen? Warum?"

"Weil Du, der berühmte, tapfere Scheik der Ussul, nicht Mut genug besitzest, einen kleinen Fehler, den Du gemacht hast, einzugestehen, sondern ihn auf ein unschuldiges Wesen wirfst, welches sich nicht dagegen wehren kann. Das ist eine Feigheit. Ja, das ist noch mehr als Feigheit; das ist Lüge, und Du hast doch behauptet, daß die Ussul die Lüge hassen und verachten!"

"Ja, das tun wir; ja, die hassen wir! Der Lügner ist ein Feigling! Aber ich kann doch nicht einsehen, daß ich unwahr gesprochen habe. Wäre Smihk schneller gelaufen, so hättest Du mich nicht einholen und vom Pferde werfen können. Sogar gebunden und gefesselt hast Du mich! Wer ist also schuld daran? Nicht ich, sondern er!"

"Nein! Nicht er, sondern Du! Du kanntest meine Pferde nicht, die mit dem Winde um die Wette laufen. Und Du kanntest auch mich nicht, der ich weder Lust noch Veranlassung habe, mich wegen Deiner Körpergröße vor Dir zu fürchten! Es war eine unbegreifliche Unvorsichtigkeit von Dir, mich und meine Pferde gegen Dich und Deinen dicken Gaul herauszufordern. Wenn Du Verstand hast, so siehst Du das ein!"

"Hm!" brummte er nachdenklich. "Da hätte ich also diesen Smihk um Verzeihung zu bitten? Gut, ich tue es! Ich lüge nicht! Und ich habe Verstand! Ich bin der Scheik der Ussul, die nur die Wahrheit reden! Also, es war eine Dummheit (Seite 26B) von mir! Das ändert aber daran nichts, daß Du ohne meine Erlaubnis in mein Reich getreten bist, und daß ich folglich Dein Gebieter bin, dem Du zu gehorchen hast. Ich befehle Dir also, mich loszubinden!"

"Sehr gern, aber jetzt noch nicht!" antwortete ich in meinem freundlichsten Tone.

"Warum nicht?" fragte er.

"Weil ich noch nicht ganz damit fertig bin, Dich gefangen zu nehmen."

"Wieso?"

"Weißt Du denn nicht, daß die Gefangennahme eines Menschen erst dann vollendet ist, wenn er im Gefängnisse steckt?"

"Hältst Du mich etwa für so dumm, daß ich das nicht weiß?"

"Oder Du mich für so dumm, daß ich es nicht ausführe? Du hast über mich gelacht. Du hast es für unmöglich gehalten, daß ich Dich in meine Gewalt bringe. Ich muß Dir also beweisen, daß ich es kann. Daraus folgt, daß ich Dich in das Gefängnis zu schaffen habe."

"Wo gibt es denn eins?"

"Hier ganz in der Nähe."

"Du irrst. Das einzige Gefängnis, welches in dieser Gegend vorhanden ist, das gibt es in meinem Schlosse?"

"Wie?" fragte ich. "Du hast ein Schloß?"

"Ja. Ein großes, herrliches Schloß. Und rund um wohnt die Menge meiner Leute. Dieses Schloß kannst Du doch wohl nicht meinen?"

"Nein."

"Ein anderes Gefängnis aber gibt es doch nicht!"

"Du irrst."

"So sag nur, wo?"

"Ganz in der Nähe hier."

Er lachte und rief aus:

"Du kennst als Fremder Orte, die ich als der Besitzer dieses Landes niemals sah! Und nach diesem Gefängnisse, welches ich nicht kenne, willst Du mich bringen, um Deinen Sieg zu vollenden?"

"Ja."

"Wie willst Du das anfangen? Ich bin ja gefesselt!"

"Ich lasse Dich als Sänfte von meinen Pferden tragen. Oder ich binde Dich an den Schwanz Deines Smihk und lasse Dich durch ihn an Ort und Stelle schleppen."

"Das muß ich mir verbitten! Ich bin weder eine Sänfte, die getragen, noch ein Holzbündel, welches geschleppt werden muß. Ich werde reiten!"

"Und mir entfliehen? Nein! Darauf gehe ich nicht ein!"

"So werde ich gehen!"

"Auch das nicht."

"Warum nicht?"

(Seite 27A) "Weil ich Dich da losbinden müßte."

Das leuchtete ihm ein. Er war fast ebenso ein Urgeschöpf wie sein famoser >Dicker<. Er sann einige Zeit sehr beträchtlich nach und sagte dann:

"Du hast recht! In das Gefängnis muß ich, falls Du Wort halten willst. Wenn Du mich aber ganz losbindest, werde ich Dir unbedingt entfliehen. Da gibt es nur ein Mittelding, auf welches wir uns einigen können. Du gibst mir nämlich nur die Füße frei, die Arme aber nicht."

"Gut! Einverstanden!" stimmte ich bei. "Dafür aber darfst Du Dich nicht dagegen wehren, daß ich Dich, sobald wir das Gefängnis erreichen, in festen Gewahrsam nehme!"

"Das verspreche ich Dir sehr gern," lachte er. "Dieses Gefängnis existiert ja nur in Deiner Einbildung. Wieviel hat es Löcher?"

"Keins. Es ist so gebaut, daß die Gefangenen nicht hineingeschafft, sondern nur außerhalb, also im Freien, untergebracht werden können."

"Im Freien? Bist Du verrückt? Und das nennst Du ein Gefängnis? Höre, daß ich Dich getroffen habe, das beginnt, mir großen Spaß zu machen. Es wollte mir erst so gar nicht passen, daß ich gefesselt und gefangen bin; in der Weise aber, wie Du es treibst, fängt es an, mir zu gefallen. Gib mir die Füße frei! Dann gehen wir."

"Das heißt: Du gehst, ich aber reite!"

"Ich habe nichts dagegen!"

Er nahm an, daß ich mich auf eines meiner Pferde setzen werde. Ich führte sie aber zur Seite, pflockte sie an und gebot ihnen, sich zu legen. Sie gehorchten sofort, und ich wußte, daß sie hier bleiben und erst bei meiner Wiederkehr aufstehen würden. Als der Scheik das sah, fragte er verwundert:

"Du lässest sie hier? Ich denke, Du willst reiten?"

"Allerdings, aber nicht auf einem von diesen beiden Pferden."

"So wohl gar auf meinem Smihk?"

"Allerdings."

Da schlug er ein schmetterndes Gelächter auf und rief dabei:

"Auf meinem Smihk will er reiten! Er, der Knirps! Auf meinem Smihk, der nicht einmal mir gehorcht! Eine solche Verrücktheit ist ganz unerhört! Das Pferd schmeißt ihn doch gleich beim ersten Schritt, den es tut, herunter!"

"Wollen sehen!"

Bei diesen Worten trat ich nahe zum Gaul heran. Ich warf ihm die beiden herabhängenden Enden des Zügelstrickes nach oben, griff in den Kamm und schwang mich hinauf. Es ging vor Überraschung mit den beiden Vorderbeinen in die Höhe, stand dann aber ganz still und legte die Ohren derart nach hinten, als ob es mich mit ihnen besichtigen wolle. Auf diese kurze, schnelle und wenig umständliche Art war ihm noch niemand auf den Rücken gekommen.

"Paß auf! Jetzt fliegt Du wieder herab!" warnte mich der Scheik.

Es fiel aber dem >Dicken< gar nicht ein, sich gegen mich zu sträuben. Als er fühlte, daß ich die beiden Strickenden in die Hände nahm, warf er den Kopf in die Höhe und ließ ein so außerordentliches Triumphgeheul hören, als ob er im Begriffe stehe, vor Wonne zu platzen. Ich gab ihm beiderseitigen Schenkeldruck; er ging. Ich zog rechts, und ich zog links; er gehorchte augenblicklich. Er trabte und galoppierte, je nachdem ich den Schenkeldruck verstärkte. Und er blieb sofort stehen, als ich beide Zügel zugleich spannte. Dann stieg ich wieder ab. Da drehte er den Kopf zu mir herum und ließ ein behaglich brummendes Schnauben hören, welches sehr deutlich sagte: "Das war mir eine Freude! Ich danke Dir! Steig nur bald wieder auf!" Der Scheik gestand aufrichtig ein:

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll! So etwas hat er noch nie getan, noch nie! Wie mag das wohl kommen?"

"Davon später. Jetzt haben wir keine Zeit, uns mit den Gedanken und Gefühlen der Tiere zu beschäftigen."

"Gedanken und Gefühle?" fragte er. "Meinst Du, die haben sie auch?"

"Natürlich!"

"Aber die gehen uns doch nichts an! So ein Vieh hat zu gehorchen, weiter nichts!"

(Seite 27B) "Du irrst. Doch wiederhole ich, hiervon später! Jetzt habe ich Dich nach dem Gefängnisse zubringen."

"Ja nach dem Gefängnisse, welches keine Gefängnisse hat!" lachte er. "Da hast Du mich aber von den Stangen loszubinden!"

"Das nicht," erwiderte ich.

"Warum nicht? Da kann ich doch den Körper nicht bewegen!"

"Das sollst Du auch nicht. Zum Gehen brauchst Du nur die Beine. Es genügt also, wenn ich nur sie freigebe. Halt still!"

Ich entfernte den Riemen von den Füßen an bis herauf zu den Hüften, schob ihm die Stangen höher an den Leib hinauf, daß sie unten nicht zu lang waren, und stand ihm dann bei, sich von der Erde aufzurichten. Er nahm diese seine Hilflosigkeit mit außerordentlich guter Miene hin. Die Situation machte ihm sichtlichen Spaß. Das war eine Naivität, die nur im Lande der Ussul möglich sein konnte. Er hatte in seiner Einfalt eben nicht den allergeringsten Zweifel daran, daß er mein Herr und Gebieter sei und daß ich es nicht wagen werde, ihm in irgend einer Weise zu widerstehen. Seine Harmlosigkeit ging sogar so weit, seine Fesseln als etwas ganz Selbstverständliches und zum heiteren Spiel Gehöriges hinzunehmen. Ich band ihn an das eine Ende seines Spießes, nahm das andere fest in die Hand, um ihn dirigieren zu können, und schwang mich wieder auf den breiten Rücken seines Urgaules. Dann traten wir den Weg nach dem >Gefängnisse< an. Meine Pferde konnte ich unbesorgt hier zurücklassen, denn erstens hatte ich gar nicht die Absicht, mich sehr weit von ihnen zu entfernen, zweitens wußte ich, wie bereits gesagt, daß sie liegen bleiben würden, und drittens war mit Gewißheit anzunehmen, daß es ringsum keinen Menschen gab, der hier zu erwarten war.

Ich habe schon angedeutet, daß ich unter dem mehrfach erwähnten Gefängnis einen Baum verstand, an den ich den Scheik binden wollte. Ich sah einen hierzu passenden in der Nähe. Aus einem Gebüsch von Tamarix gallica erhob sich eine hohe Pappel von der Art Populus euphratica. Die war fest, und das Gebüsch bildete einen dichten Schirm, hinter den ich meinen Gefangenen verschwinden lassen konnte, ohne daß er zu sehen war.

Als wir die Stelle erreichten, hielt ich an, stieg vom Pferde und führte den Scheik durch das Gesträuch hindurch bis zur Pappel.

"Lehne Dich an den Stamm, aber recht fest!" forderte ich ihn auf.

"Warum?" fragte er.

"Ich muß Dich anbinden."

"Gehört das auch noch mit dazu?"

"Ja."

"So tue es!"

Er lehnte sich, um es mir möglichst bequem zu machen, so fest wie möglich an die Pappel und sah ganz ruhig zu, daß ich erst seine eigenen Riemen und dann auch meinen Lasso dazu benutzte, ihn so an den Stamm zu befestigen, daß es ihm nur mit fremder Hilfe möglich war, wieder loszukommen. Dabei sagte er treuherzig:

"Ich sehe aber ganz und gar nicht ein, warum Du mich hier an diese alte Pappel bindest. Wenn Du die Zeit hier verschwendest, wie lange soll es da dauern, bis wir an das Gefängnis kommen, welches Du mir versprochen hast?"

"Gar nicht mehr dauert es," antwortete ich. "Wir sind schon da."

"Schon da? Wieso?" fragte er erstaunt, indem er um sich schaute.

"Diese Pappel ist das Gefängnis."

Ich hatte ihn jetzt ebenso fest wie sicher und setzte mich nieder.

"Diese Pappel - - -!" fuhr er fort. "Ist das Gefängnis - - -? Höre, Fremder, ist das Scherz oder ist es Ernst?"

Sein Gesicht nahm jetzt einen Ausdruck an, der bedenklich und immer bedenklicher wurde.

"Es ist mein Ernst," antwortete ich.

"Und ich habe es so halb und halb für einen Scherz genommen, obwohl der Scheik der Ussul eigentlich kein Mann ist, (Seite 28A) mit dem man ungestraft Scherze treiben darf. Aber merke Dir, daß ich den Scherz mit Dir getrieben habe, nicht etwa Du mit mir! Also dieser Baum ist das Gefängnis! Und also darum hatte es keine Löcher, in die man gesteckt wird! Und also darum werden die Gefangenen nur außen herum untergebracht, im Freien! Der jetzige Gefangene bin ich?"

"Ja, Du!"

"Wie lange? Wann werde ich wieder frei?"

"Sobald Du willst."

"Das ist gut! Das freut mich! Ich fordere Dich also auf, mich augenblicklich wieder loszubinden. Ich muß zu meinen Leuten in das Lager, und Du mußt mit!"

"Das eilt nicht so!"

"Du hast mir aber doch gesagt, sobald ich will. Und ich will!"

"Das hast Du zu beweisen."

"Beweisen? Warum? Wieso?"

"Dadurch, daß Du dafür sorgst, daß meinem Begleiter, der sich höchstwahrscheinlich in Eurem Lager befindet, nichts geschieht, was mir nicht gefällt."

"Allah 'l Allah! so würde ich verwundert ausrufen, wenn ich Mohammedaner wäre. Da ich aber keiner bin, so rufe ich es nicht, sondern sage Dir nur, daß ich Amihn heiße und der Scheik der Ussul bin. Du bist mein Eigentum, und darum ist alles mein, was Du besitzest."

"Mit welchem Rechte?"

"Mit dem Rechte der Gewohnheit, der Sitte, des Gebrauches."

"So hat also jedermann das zu tun, was Recht und Gepflogenheit seines Stammes ist?"

"Natürlich!"

"Auch ich und Du?"

"Ja, auch ich und Du!"

"Schön! Einverstanden! So sind wir also einig!"

"Gewiß sind wir einig! Bei den Ussul ist es Recht und Sitte, daß die Person und das sämtliche Eigentum jedes Menschen, der ohne besondere Erlaubnis zu uns kommt, uns gehört. Darum bist Du mein und hast mir zu gehorchen. Herrscht diese Sitte bei Euch nicht auch?"

"Gewiß! Doch aber in etwas anderer Weise?"

"In welcher?"

"Bei uns heißt es nicht: Jeder Mensch, der zu uns kommt, sondern: Jeder Mensch, zu dem wir kommen."

"Ich verstehe Dich nicht ganz."

"So paß auf: Jeder Mensch, zu dem wir kommen, gehört uns, und zwar mit allem, was er besitzt."

"Wirklich?" fragte er erstaunt.

"Ja," antwortete ich mit besonderer Betonung.

"Da seid Ihr schöne Kerle! Pfui Teufel!"

Er machte eine Gebärde des Abscheus und spuckte dabei aus.

"Findest Du das etwa nicht richtig?" erkundigte ich mich.

"Ganz und gar nicht richtig! Es müßte denn sein, daß ich Dich falsch verstanden habe. Nach Deinen Worten ist es doch folgendermaßen: Wenn Ihr in ein fremdes Land kommt, so ist dieses Land Euer, samt allen seinen Bewohnern und aller ihrer Habe. Ist es so?"

"Ja."

"So sage ich noch einmal Pfui Teufel! Ihr Räuber, Ihr Gauner, Ihr Schufte, Ihr Schurken!"

Er spie jetzt wieder aus. Dann fuhr er fort:

"Was seid Ihr denn eigentlich für Menschen? Wie heißt Dein Stamm?"

"Dscherman heißt er."

"Das wundert mich. Ich habe von diesem Stamm gehört. Die Dschermanen sollen im fernen Westen des Abendlandes wohnen und sehr gute, sehr kluge, sehr tapfere und sehr vernünftige Leute sein."

"Das sind sie allerdings!"

"Nein, das sind sie nicht, wenn sie so sind, wie Du sagst! Wenn Du als Deutscher hierherkommst, so bin ich also Dein?"

"Ja."

"Pfui Teufel! Was habt Ihr für eine Religion?"

(Seite 28B) "Wir sind Christen."

"Das will ich glauben! Denn wohin die Christen nur kommen, so stehlen sie alles, alles weg, was sie nur finden."

"Woher weißt Du das?"

"Das weiß doch die ganze Welt! Erst sind die Christen Bettler gewesen, blutarme Leute, haben gar nichts gehabt und ihren Hunger von den Ähren des Getreides gestillt. Isa Ben Marryam, der Stifter ihrer Religion, hat nicht einmal gehabt, wohin er sein Haupt lege. Und heute gehören ihnen die meisten Länder und die meisten Völker der Erde. Das alles haben sie sich zusammengeraubt und zusammengestohlen, teils mit List und teils mit Gewalt. Und sie sind hiermit nicht etwa zufrieden, sondern sie rauben und stehlen weiter, und sie werden mit ihren Listen und Gewalttaten nicht eher aufhören, als bis sie alles besitzen, was es auf Erden gibt! Und zu diesen Räubern, Mördern und Gaunern gehörst auch Du?"

"Ja."

"Pfui Teufel!"

Er spuckte wieder aus. Dann wollte er mich höchst verächtlich ansehen, brachte es aber nicht fertig, denn er sah das ruhige Lächeln meines Gesichtes, regte sich darüber auf und fuhr also zornig fort:

"Und da bist Du so ruhig dabei, wenn ich Pfui Teufel sage? Und da lächelst Du so freundlich, so gütig und so selbstbewußt, als ob Du einer der vielen Engel seist, von denen das Christentum und der Islam berichten? Hast Du kein Gewissen, keine Scham?"

"Ich habe beides."

"Unmöglich!"

"Ich bitte Dich, diese Frage nach dem Gewissen und nach der Scham erst Dir selbst vorzulegen, ehe Du sie an mich richtest!"

"Willst Du mich beleidigen?"

"Nein. Ich will nur einmal der Spiegel sein, in dem Du Dich selbst erkennst. Gesetzt, Du hättest recht, daß wir den fremden Leuten, zu denen wir kommen, alles nehmen, was ihnen gehört, so berauben wir eben doch nur fremde Leute. Du aber bestiehlst nicht fremde Leute, sondern die Menschen, die zu Dir kommen und also Deine Gäste sind. Wer ist also der größere Räuber, Gauner, Schuft und Schurke?"

Er machte ein sehr überraschtes Gesicht, gestand aber ehrlich, wenn auch allzu schnell ein:

"Wir, natürlich wir! Denn den Gastfreund berauben, das ist die größte Schlechtigkeit, die es auf Erden gibt. Ich habe nicht gedacht, daß wir so schurkische - - -"

Da hielt er plötzlich im Satz inne, dachte nach und fuhr dann langsamer fort:

"Aber - - - aber - - - da sehe ich plötzlich, daß Du mich mit Deiner Rede überrumpelt hast, deren Wahrheit erst zu prüfen ist, bevor man an sie glaubt! Beraube ich wirklich meine Gäste?"

"Gewiß!"

"Beweise es mir! Bist Du etwa mein Gast? Indem ich nach Deinem Eigentum greife, nehme ich es einem Menschen, der mir vollständig fremd ist. Und sind denn alle die, die Ihr um ihre Länder bringt, Euch fremd, vollständig fremd gewesen? Gibt es keinen einzigen Fall, in dem Ihr ihre Gäste gewesen seid? Ich bitte Dich also, Dich ja nicht etwa zu brüsten. Es ist ein Räuber wie der andere und ein Spitzbube wie der andere! Seien wir ehrlich und lügen wir uns nicht an! Wer in des anderen Hände fällt, der hat unrecht, immer unrecht. So ist es bei Euch und auch bei uns. Und da Du es bist, der in meine Hände fiel, so habe ich recht, Du aber unrecht. Ist das etwa nicht richtig?"

"Nein."

"Wieso?"

"Zeig mir doch einmal Deine Hände, in die ich gefallen bin!"

"Das kann ich augenblicklich nicht, denn Du hast sie mir ja gebunden."

"So sieh hier meine Hände! Die sind nicht gebunden, sondern frei."

(Seite 29A) Ich stand vom Boden auf, zeigte sie ihm hin, faßte ihn bei beiden Armen und fuhr dann fort:

"Und nun schau und fühle, wer es ist, der mir in diese meine Hände fiel! Sag mir, wen halte ich fest?"

"Mich," antwortete er, schon wieder erstaunt.

"Befinde ich mich also in Deiner Gewalt? Oder Du Dich in der meinen?"

Das ging ihm über alle Begriffe. Er warf den Kopf hoch und öffnete den Mund, fast ebenso weit, wie sein >Dicker< zu tun pflegte, doch nicht in derselben Absicht, um zu wiehern. Er machte ihn im Gegenteile sehr bald wieder zu, ließ den Kopf wieder sinken und sagte:

"Höre, Fremder, Du sprichst Gedanken aus, denen man unmöglich folgen kann. Ich werde besorgt um Dich. Du bist kein guter, sondern ein gefährlicher Mensch, ein sehr gefährlicher!"

"Und da wirst Du nicht besorgt um Dich, sondern um mich?" lächelte ich.

"Lächle mich nicht in dieser Weise an," zürnte er mir. "Ich kann es nicht leiden! Weißt Du, man sieht bei diesem Deinem Lächeln ein, daß man unrecht hat. Und das will ich nicht! Und man gewinnt Dich bei diesem Deinen Lächeln lieb. Und das will ich auch nicht! Ich beginne zu ahnen, daß Du mir nicht gehorchen willst. Sei aufrichtig und sag mir: Was hast Du für Gedanken?"

"Das sollst Du gleich erfahren. Zunächst sage ich Dir, daß ich ein freier Mann bin und nicht etwa Dir gehöre. Ich stehe im Begriff, Dir das zu beweisen. Ferner sind auch die Gegenstände, die ich bei mir habe, nicht Dein Eigentum. Darum hole ich mir zurück, was Du mir vorhin genommen hast."

Ich griff ihm in die Tasche und steckte meine Uhr wieder zu mir.

"So ist sie also nicht mehr mein?" fragte er naiv.

"Nein."

"Schadet nichts! Ich nehme sie mir wieder!"

"Versuche, es zu tun! Jetzt reite ich nach Eurem Lager, um mit - - -"

"So mach mich los!" unterbrach er mich.

"Geduld, Geduld! Ich reite zunächst allein."


Inhaltsverzeichnis

Übersicht der verfügbaren May-Texte.

Titelseite KMG

Impressum Datenschutz