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II

»Die Kinder Karl May's«(1) · Eine Tragödie im Hause May

Von Hansotto Hatzig



Klara May, deren Psychogramm noch nicht geschrieben ist, gehört zu den zwielichtigsten Persönlichkeiten in Mays Leben und danach. Sie hatte ihm ein Jahrzehnt lang Glück und Liebe geschenkt und war sein Sprachrohr (Tagebuch ab 1902, Briefe bis zum 30.3.1912). Was aber war May für sie? Ohne ihn war sie jedenfalls ein Nichts, was sie durch Schrift und Tat über drei Jahrzehnte hin immer wieder bewiesen hat. Man muß unwillkürlich an Syberbergs Film denken, der die beiden Frauen durch Kristina Söderbaum (Emma) und Käthe Gold (Klara) in kongenialer Weise präsentiert hat. (Intuition? Oder wußte Syberberg mehr?) Die Gold hatte in ihrer Darstellung so viel im Hintergrund, daß man ihr - wenn der Film über Mays Tod hinausgeführt hätte - eine Wandlung ohne weiteres hätte abnehmen können. Härte, Unbarmherzigkeit, Wahnvorstellungen und eine gewisse Männlichkeit: Man beachte die Altersbilder Klaras! Schakara - soweit May in ihr überhaupt Klara sehen wollte - war mit Karl May gestorben.

Die ersten Anzeichen zeigten sich bereits in Mays Todesjahr. Wie sie mit >Karl Mays Kindern<, vor allem mit den Mädchen Marie Hannes und Marie-Luise (Lu) Fritsch, umgegangen ist, hätte May nie geduldet. Die zartbesaitete Marie hat am meisten darunter leiden müssen, während Lu ihrer »lieben Tante« noch ein paar Jahre lang »Sand in die Augen« hat streuen können, bis dann auch sie sich von ihr lossagte.

>Mays Kinder< - Marie und Ferdinand Hannes, Lu Fritsch und Willy Einsle - waren alle miteinander befreundet, Lu und Marie waren sogar >Blutsbrüder<; sie hatten die Zeremonie zwischen Winnetou und Old Shatterhand nachvollzogen, und Lu hatte May bereits durch eine Artikelserie in der >Stettiner Gerichtszeitung<(2) verteidigt. In einem Brief an Adele Einsle äußerte Klara aber schon sehr bald (im Sommer 1910) Vorbehalte gegenüber Lu Fritsch.(3) Marie hatte die von Klara herausgegebene Neufassung von >Mein Leben und Streben< eingerichtet. Lu am 2.7.1912 an Klara: »Das Hannele schrieb mir, daß sie mit der Umarbeitung von >Mein Leben und Streben< beschäftigt ist.«(4) Sie hat an den Kapitelnachworten und an der Rekonstruktion der Wiener Rede mitgearbeitet, ohne daß Klara das in irgendeiner Weise anerkannt hätte.


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L u  F r i t s c h, geboren am 15.1.1890 in Stettin, schrieb im Jahre 1903 ihren ersten Brief an Karl May.(5) 1908 wurde sie erstmals nach Radebeul eingeladen, wo sie seit dieser Zeit ein gern gesehener Gast war. Von der Presse als »schöne Spionin Karl Mays« kolportiert, hatte sie im Rahmen ihrer >Verteidigungsmaßnahmen< (zu denen die bereits genannte Artikelserie gehörte) auch einen Lebius-Strohmann, den falschen Indianer Brant-Sero, entlarvt. Nach Mays Tod heiratete sie den Lehrer Dr. Adolf Droop, der 1909 die erste Analyse zu Mays Reiseerzählungen veröffentlicht hatte.(6) Als Droop 1914 in den Krieg mußte, ging Lu nach Dänemark und wurde dort als Dramaturgin bei Nordisk-Film tätig. Nach dem Krieg kehrte sie zurück. Sie hat dann (als Marie-Luise Droop, einmal auch als Ludwig Fritsch) nahezu 50 Stummfilm-Drehbücher geschrieben, darunter drei zu Karl-May-Filmen. Nebenher war sie als Übersetzerin tätig-, neben Englisch und Dänisch beherrschte sie sieben weitere Sprachen. Von ihren Tonfilm-Drehbüchern wurden nur noch drei Filme realisiert. Nachdem >Die Reiter von Deutsch-Ostafrika< (1934) von Goebbels verboten worden waren (u.a. mit der Begründung, deutsche Soldaten weinen nicht usw.), hat man sie nicht mehr beschäftigt. Sie starb, vereinsamt, 1959 in Lahr im Schwarzwald.(7)

M a r i e  H a n n e s wurde am 3.3.1881 als Tochter eines Arztes geboren. May lernte sie - wahrscheinlich 1894(8) - während einer Harzreise in Wernigerode kennen. Mariechens erste Anwesenheit in Radebeul ist erst für das Jahr 1906 zu belegen. Späterhin war sie nachweislich 1910 bei May zu Besuch. Er ließ in diesen Jahren einen Band >Gedichte von Mariechen< drucken.(9) Seit 1909 studierte sie in Leipzig Philologie. 1912 widmete sie dem Verstorbenen einen in mehreren Zeitungen erschienenen Nachruf.(10) Familiären Differenzen zufolge liegen die weiteren Lebensjahrzehnte von Marie Hannes ziemlich im Dunkeln. Dr. Marie Hannes (1915 promovierte sie) war in Süddeutschland jahrelang als angesehene Graphologin tätig. Zuletzt lebte sie in einem Altersheim in Herrenalb, wo sie 1957 verstarb.

F e r d i n a n d  H a n n e s, geboren am 12.2.1879 in Bremen, gestorben am 19.11.1968 in Bad Hersfeld, studierte bis 1904 Medizin, promovierte dann und fuhr nach kurzer Tätigkeit am homöopathischen Krankenhaus in Berlin in den Jahren 1905 und 1906 als Schiffsarzt zur See.(11) Danach ließ er sich in Swinemünde als Homöopath nieder. Auch er lernte May möglicherweise schon 1894 kennen.(12) Nachgewiesen ist ein Besuch 1903 in Radebeul; ein weiteres Mal war Ferdinand 1906 in der >Villa Shatterhand< zu Gast. Nach seiner Heirat (1909) besuchte er mit seiner Frau die Mays noch einmal. Karl May schenkte seinem >Neffen<


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u.a. den Gedichtband >Himmelsgedanken<, in den er ihm folgende Widmung schrieb:

Lies nicht so obenhin, schau tief hinein.
Such nach dem Sinn. Verweile nicht beim Wort(e)!
Der Himmel will so gern dein eigen sein,
doch nur wer sucht, dem zeigt sich seine Pforte.

Zum Andenken an Deinen alten Onkel May.(13)

>Mays Kinder< waren - wie die in diesem Jahrbuch abgedruckten Dokumente belegen - schon damals davon überzeugt, daß man May nur dadurch dienen könne, wenn man nun endlich die ganze Wahrheit sage. Und solange sie Klara noch nicht durchschaut hatten, meinten sie, daß sie als seine Frau dazu berufen wäre, eine dieser Idee gewidmete Biographie zu schreiben. Mariechen wollte darüber hinaus eine Doktorarbeit über Karl May schreiben und die an sie gerichteten Briefe von Karl May veröffentlichen. Klara verhinderte nicht nur die Dissertation (die dann über den vergessenen Friedrich von Sallet geschrieben wurde), sondern verbrannte auch die Briefe, die ihr wohl von Mariechen überlassen worden waren; sie bekundet das selbst in dem Brief vom 30.6.1912 an Willy Einsle.

Klara hat auch Wulffens >Inferno< verbrannt. Doch dank der damaligen Verlagsangestellten Katharina Barthel, spätere Frau Schmid, ist der Wulffen-Text dennoch erhalten geblieben: Sie hat ihn zuvor noch abgeschrieben - er wurde jedoch bis heute noch immer nicht veröffentlicht!

Die Taten der Klara May gingen weiter; sie duldete nicht nur, daß der Kaplan Paul Rentschka anfangs der 20er Jahre Mays >Und Friede auf Erden!< im Gegensinne bearbeitete,(14) sie schrieb auch Huldigungsbriefe an den >Führer des deutschen Reiches<, zu denen sie niemand aufgefordert hatte und womit May keineswegs >genützt< werden konnte, denn jeder Schüler wußte ohnehin, daß Adolf Hitler Karl May >auf dem Nachttisch< liegen hatte: Vor einer Bücherverbrennung war er also einstweilen gefeit. Wenn damalige Schriftsteller durch Huldigungsgedichte an A. H. ihre Mitgliedschaft bei der Reichschrifttumskammer zu retten versuchten, war das etwas ganz anderes. 1930 unterschrieb Klara einen Vertrag, in dem sie zugestand, daß das Werk der Karl-May-Bearbeiter als >editio ne varietur< zu gelten habe.(15) Dann kam es zum Höhepunkt: 1942 ließ sie ihren ersten Mann, den >Halbjuden< Richard Plöhn, in dessen Grabanlage auch Klaras Mutter und 1912 dann noch Karl May bestattet worden waren, aus der Grabstätte entfernen und ihre Mutter gleich mit (war diese auch nicht >rasserein


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Sie wollte damit bezwecken, daß die Nazis bei einer geplanten Hundertjahrfeier - die dann doch nicht stattgefunden hat - am >Inhalt< der Grabstätte nicht etwa Anstoß nehmen könnten.(16)

Aber zurück zu >Mays Kindern<. Über W i 1 l y  E i n s 1 e hat uns seine Tochter, Frau Dr. Gertrud Mehringer-Einsle, eingehend informiert.(17) Er ist, wie Ferdinand Hannes, Mediziner geworden. Mays >Neffen< haben ihm also seine Wünsche erfüllt, während die >Nichten< daran gehindert wurden, ihren edlen Bestrebungen nachzugehen.

Willy lernte Marie Hannes erst im Jahre 1911 kennen, wie aus seinem Brief vom 29.4.1911 an Klara May hervorgeht.(18) Wie lange die jungen Mayvertrauten noch Kontakt untereinander hatten, ist nicht bekannt. Lu schrieb noch bis in das Jahr 1913 hinein Briefe an Klara May. Daraus über Karl May zwei Sätze:

»Welche Leuchtkraft von dieser einzigen Gestalt ausgeht, das nachzuweisen ist Sache des Künstlers.« (2.7.1912)

»Ich weiß auch wohl, daß er, wenn er, wie er selbst einmal gesagt hat, in die Lüge und in den Schein fiel, unter bitter harter Notwendigkeit gehandelt hat, daß er nicht anders konnte, wenn er leben wollte.« (15.7.1912)(19)

1920 - im Rahmen ihrer Bemühungen um die drei Karl-May-Stummfilme - nahm sie wieder Kontakt mit Klara May auf. Danach ist nichts mehr überliefert. Kurz vor ihrem Tode äußerte sie sich in einem Tonbandinterview über den Fall May so: »Dieser Prozeß gehört, wie der Judenhaß und der Nationalsozialismus, mit zum wichtigsten Bestandteil der deutschen Tragödie.«(20)



1 Der Titel dieses Textes, »Die Kinder Karl May's«, ist dem Brief Klara Mays vom 3.7.1912 an Willy Einsle entnommen.

2 Diese Artikel bezogen sich auf die Lebius-Angriffe in verschiedenen Zeitungen, noch bevor sein Pamphlet >Die Zeugen Karl May und Klara May. Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte unserer Zeit<, Berlin 1910, erschienen war. - Lu Fritsch: >Die Wahrheit über die Prozesse des Schriftstellers Karl May gegen den Gewerkschaftssekretär Redakteur Rudolf Lebius<. In: Stettiner Gerichtszeitung Nr. 4 vom 26.8.1910, Nr. 5 vom 2.9.1910, Nr. 6 vom 9.9.1910, Nr. 11 vom 7.10.1910 u. Nr. 21 vom 16.12.1910. Nachgedruckt in: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 33/1977, S. 22f.; 34/1977, S. 22ff.; 35/1978, S. 19-22; 36/1978, S. 22-25; 37/1978, S. 20 u. 25f.

3 Vgl. Brief Klara May an Adele Einsle. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1992. Husum 1992, S. 77f.

4 Zitiert nach: Hans-Dieter Steinmetz: Mariechen, Ferdinand und Onkel Karl. In: M-KMG 69/1986, S. 20

5 Zwei Antwortbriefe Mays sind nachgedruckt in M-KMG 35/1978, S. 3f.

6 Adolf Droop: Karl May. Eine Analyse seiner Reiseerzählungen. Cöln-Weiden 1909. -Vor mehr als einem Jahrzehnt wurde vom KMV ein Reprint dieses wichtigen Werkes angekündigt, der aber bis heute noch nicht erschienen ist.


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7 Vgl. Rudolf W. Kipp: Die Lu-Droop-Story. In: M-KMG 37/1978 u. 38/1978.

8 Vgl. zu dieser Hypothese Steinmetz, wie Anm. 4, S. 10f., dort finden sich auch ausführlichere Biographien zu Marie und Ferdinand Hannes.

9 Ursprünglich im Archiv des KMV; neuere Anfragen wurden jedoch negativ beantwortet.

10 Z. B. in Radebeuler Tageblatt vom 4. 4. 1912. Nachgedruckt in M-KMG 69/1986, S. 3ff.

11 Vgl. dazu auch den Brief Karl Mays an Willy Einsle vom 23.3.1905. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 28-33 (29), und Hans-Dieter Steinmetz / Helmut Hannes: Dr. Ferdinand Hannes als Schiffsarzt beim Norddeutschen Lloyd. In: M-KMG 90/1991, S. 24-29 (Berichtigung in M-KMG 92/1992, S. 59).

12 Vgl. Steinmetz, wie Anm. 4, S. 10f.

13 Ebd., S. 11

14 Siehe dazu die Dokumentation von Ernst Seybold: Paul Rentschka: Karl Mays Selbstenthüllung. In: Jb-KMG 1987. Husum 1987, S. 138-159, und Karl May: Briefe an Paul Rentschka. Mit einer Einleitung von Ernst Seybold. Ebd., S. 160-187.

15 Siehe Vorwort zu Karl May's Gesammelte Werke Bd. 74: Der verlorene Sohn. Bamberg 1985.

16 Nach einem mündlichen Bericht von Katharina Schmid (um 1956); Genaueres über diese Angelegenheit muß einer späteren Dokumentation vorbehalten bleiben. Klaras Antrag wurde zunächst nicht genehmigt; Wochen später stellte sie ihn nochmals, diesmal mit Erfolg. »Unter Abriegelung des Friedhofes« fand die Exhumierung statt; die Überreste wurden »zur Einäscherung nach Dresden überführt«.

17 Gertrud Mehringer-Einsle: Zum Lebensweg meines Vaters Wilhelm Einsle. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 97-106 - Vgl. auch die nachfolgenden Ausführungen Ulrich Schmids.

18 Brief Willy Einsle an Klara May vom 29.4.1911. In: Jb-KMG 1992. Husum 1992, S.98

19 Quelle: wie bei Steinmetz, wie Anm. 4, S. 24, Anm. 50

20 Vgl. Kipp, wie Anm. 7, M-KMG 38/1978, S. 15, Zitat-Quelle wie bei Steinmetz, wie Anm. 4, S. 24, Anm. 50.


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