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III. Werke des Übergangs: "Weihnacht!" und "Am Jenseits"

1. Entstehung

Schon einen Monat, nachdem Fehsenfeld das Manuskript zu Band XXIII, "Auf fremden Pfaden", erhalten hatte, erkundigte sich May am 26.März 1897, ob der Verleger "einen interessanten Weihnachtsband" wünsche und präzisierte Anfang Mai, am 2. 5., seine Vorstellungen "betreffs des Weihnachtsbandes." (1)

Die folgenden drei Monate befand sich May auf der ersten seiner großen Lese(r)reisen, einer Mischung aus Bildungsfahrt, Publicity-Tour und Vortragsreise, von Hamburg über das Rheinland und Bayern nach Wien und über Böhmen wieder zurück nach Dresden (2). Nicht ganz einen Monat nach Rückkehr, am 13.August 1897, stellte er dann in "Dresden, Leipziger Bahnhof" dem Verleger in einem Brief auf kariertem Schreibpapier seine zwischenzeitlich entwickelten Ideen über den geplanten Weihnachtsband vor (3):

Im Bahnhofsrestaurant sitze ich und denke über den Weihnachtsband nach, den ich mit wahrer Begeisterung schreibe. Er wird fluschen; mehr will ich nicht sagen.

Nur muß die Ausstattung mir behilflich sein. Ich verlange von Ihnen nicht zu viel. Alles genau wie bisher, doch ohne Umschlag-Bild. Dafür aber Folgendes:

Titel:

"Weinacht" [!]

Darunter einfach, deutlich und ungekünstelt die 4 Zeilen:

Ich verkünde große Freude,
   Die Euch widerfahren ist,
Denn geboren wurde heute
   Euer Heiland Jesus Christ.


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Können Sie das machen? [...] Diese Strophe nämlich dominirt den ganzen Inhalt, zieht sich wie ein goldener Faden durch das ganze Buch und beherrscht in ergreifender Weise den Schluß desselben.

In einer Nachschrift wünscht sich May noch "die Strophe vielleicht in Goldschrift" und verspricht dafür "größeren Absatz als bei "allen bisherige[n]" Bänden. Trotz des skurrilen Kontrasts zwischen dem profanen Entstehungsort und dem Goldglanz im Inhalt bietet dieses Schreiben wertvolle Einblicke in den Entstehungsprozeß des Mayschen Werks. Sehr wahrscheinlich hatte er (sonst hätte er den Verleger sicher darauf hingewiesen) noch keine Zeile des eigentlichen Texts geschrieben, aber offenbar bereits intensive Überlegungen zum Inhalt und zur Komposition des Werks angestellt. Deutlich wird die Absicht, das (aus der Zwickauer Haftzeit stammende) Weibnachtsgedicht in leitmotivischer Funktion einzusetzen und damit einen streng-verfugten Aufbau zu erreichen. Mit der Schlußszene müssen auch die verschiedenen Handlungsstränge, die in ihr ihren Zielpunkt finden, im wesentlichen bereits konzipiert gewesen sein.

Durch die veränderte Aufmachung soll dem Leser von vornherein eine neue literarische Qualität suggeriert werden. Das Dominieren des Gedichttexts anstelle der gewohnten Umschlagbilder, die May übrigens gerade in dieser Zeit (1897 ff.) immer wieder wegen künstlerischer Mängel (4) scharf kritisierte, soll zu einer veränderten Rezeption einladen. Das Gedichtthema, Paraphrase eines Bibelworts (Lukas, 2,10 ff.), rückt ebenso wie die "Goldschrift" das Werk in die religiöse Sphäre, d.h. an die Stelle der Lektüre als Unterhaltungs- oder Abenteuerliteratur soll eine meditative Rezeptionshaltung treten.


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An dieser Absicht hielt May auch fest, nachdem der ursprüngliche Plan, das Gedicht auf die Titelseite zu setzen, fallengelassen worden war; an die Stelle der bisherigen "Abenteuer"-Bilder trat jetzt ein Gemälde des Renaissance-Malers Antonio Allegri da Correggio aus den Dresdener Kunstsammlungen, "Die heilige Nacht", von May ausgewählt. (5)

Bezeichnend die Mischung aus monomanischen Zügen und nüchternem Geschäftskalkül, mit der May am 12.Oktober, als er die erste Manuskriptsendung ankündigt, das Gedicht-Titelblatt verwirft (6):

Die Hauptsache ist der Name May, der muß besonders in die Augen fallen, denn er ist es allein, welcher zieht. Steht er blos auf dem Rücken, so ist es nichts. Die Käufer wollen zu Weihnachten weniger einen Weihnachts- als vielmehr einen May-Band haben; daß dieser Band ein Weihnachtsthema behandelt, kommt in zweiter Linie.

Das "fromme Gedicht", so May, werde "wohl auch Manchen abhalten [...], das Buch zu kaufen." (6)

In den folgenden (soweit erhaltenen) Briefen ist von "Weihnacht" nicht mehr die Rede; Ende November 1897 (28.11.) war der Text offenbar weitgehend abgeschlossen (7):

Ich erhielt auch erst Bogen 27 Correctur. Das Manuscript ist dort, nur die letzten Seiten Schluß behielt ich zur Abrundung zurück, bis ich Bogen 34 bekomme.

Am 3.Dezember 1897 meldete dann das "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel" als "neu erschienen": "May's, K., Reiseerzählungen. 231.u.232.Lfg. 80 . 24.Bd.Weihnacht". Der gesamte Band wurde im "Börsenblatt" schließlich erst nach Weihnachten, am 28. Dezember 1897, angezeigt.


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Nach einer erneuten längeren Deutschland-Tournee im Frühjahr 1898 befaßte sich May in einem Brief an Fehsenfeld vom 19.Mai 1898 erstmals mit der Planung des nächsten Bandes der "Gesammelten Reiseerzählungen". Einem ausführlichen Bericht über die Reiseerlebnisse (Regensburg als Beispiel: "wieder Sturmlauf der Leser; wurde als Wunderthier behandelt") und über Mays anschließenden Aufenthalt in Gartow an der Elbe (8) folgte der Hinweis (9):

Zunächst: Der nächste Band ist der 25te, also ein Jubiläumsband; da muß ich etwas Vorzügliches bringen, weiche also von meiner bisherigen Absicht ab und werde einen Band schreiben, der entweder den Titel

"Vom Tode erstanden" oder
"Am Jenseits"

hat. Welches von Beiden gefällt Ihnen besser? Ich hoffe, recht bald anfangen zu können. Vielleicht werden es gar 2 Bände.

Fehsenfeld strich im Brief den ersten Titel durch und vermerkte am Rand neben dem zweiten "Fein!".

Im gleichen Brief entwickelte May den Plan, Fehsenfeld solle zwei Kompositionen Mays und "May-Postkarten" drucken lassen. Nicht ganz zehn Tage später, am 28.Mai, folgte dann bereits "die Partitur des ersten Heftchens (oder N0 1) der 'Ernsten Klänge' " (10), verbunden mit dem Versprechen (11):

Über "Am Jenseits" werde ich mich baldigst machen, damit Ihr Wunsch erfüllt werde: zu Weihnachten Bücher, Postkarten und Lieder von May.

Die folgenden Briefe befassen sich, bei beharrlichem Schweigen über "Am Jenseits",vor allem mit der geplanten Postkartenserie. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion


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scheint völlig abhanden gekommen; der Brief ordnet sich ein in eine ganze Reihe anderer, in denen May die aberwitzigsten Auskünfte über seine Abenteuer als "Old Shatterhand" gibt (12):

Hauptsache ist, daß in der Serienbildern Old Shatterhands und Kara ben Nemsis Gesicht in jeder Stellung gut getroffen ist. Wenn Sie es wünschen, sende ich Ihnen Photographien zum Studium für die Künstler ein. Bitte Antwort! Ebenso möchte Winnetou ähnlich sein. Ich bin bereit, Ihnen eine Zeichnung anzufertigen, welche ähnlich ist. Bitte Antwort!

Nach langer Pause erfährt der ungeduldige Verleger schließlich, May sei an einen einsamen Ort geflohen (13), "um ungestört an Band 25 'Am Jenseits' arbeiten zu können." Nach dem Hinweis darauf, daß auch der deutsche Kaiser Karl May lese, werden die Illustrationsentwürfe zu den Postkartenserien einer scharfen, aber zugleich verräterischen, bis ins Detail gehenden Kritik unterzogen (14):

No 1. Bild nicht übel, doch kein Raum zum Schreiben. Und was soll der dumme Papagei? Gab es kein anderes, bezeichnenderes Thier als diesen Schwätzer, dessen Sympolik [!] doch beleidigend ist? Bitte dringend, weg damit!

Als noch während des Schreibens an dem Brief eine Depesche des Verlags eintrifft, die Bände 25 bis 27 anders zu zählen, braust May auf (15):

Was ist das mit Silberlöwe und Bd.25? Ich habe doch gesagt und geschrieben, daß "Am Jenseits" Bd.25 wird. Wir wollen doch das Dings mit "Old Surehand" (14,15,19) nicht wiederholen. "Am Jenseits" wird zur rechten Zeit fertig. Der Sprung einstweilen über eine Nummer ist doch kein Unglück und wird binnen 4 Wochen ausgefüllt [...]

Einen Tag später, bei der Fortsetzung des Briefs, entschuldigt zwar der Schreiber sein gestriges hartes Urteil


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mit seinen zerrütteten Nerven, nur, um aber sogleich wieder zu heftigen Angriffen überzugehen. May siedelt sich in den höchsten Höhen an; sein Narzißmus treibt seine Selbstüberschätzung ins Unermeßliche (16):

Wer solche [Post-]Karten zeichnen will, und zwar richtig zeichnen, der muß alle, aber auch alle unsere Bände intus und sich vollständig in sie hineingelebt haben. Er darf es sich nicht dadurch leicht machen, daß er mein Gesicht nicht mitbringt, denn grad das ist die Hauptsache, grad das will man sehen. [...] Der Zeichner darf um Gotteswillen nicht denken, daß er nur für unwissende Schüler arbeitet, die mit Allem zufrieden sind! Meine Werke sind für die Jugend und das erfahrene, kritische Alter geschrieben, und so hat auch er zu arbeiten. Der Künstler [...] hat sich zu sagen, daß selbst der deutsche, der österreichische Kaiser sich im Privatgebrauche unserer Karten bedienen werden, wie ich ganz genau weiß.

Daß mit dieser so offenkundig hypertrophen Selbstdarstellung auch ein Wandel in der Auffassung vom eigenen Werk verbunden ist, den man nicht hinter der Maske des Show-Stars übersehen sollte, bekräftigt der Schluß des Schreibens:

Die Personen meiner Erzählungen sind zu Idealen geworden und dürfen vom Zeichner nicht travestirt werden.

Der Brief vom 17.November 1898 (17 engbeschriebene Seiten!) enthält dann noch einmal in ganz ähnlicher Weise wortreiche Klagen über die Postkartenentwürfe. Die Frage der Bilderqualität verbindet May hier erneut aufs engste mit der literarischen Einstufung seines Werks. Zugleich bemüht er Presseurteile sowie die im Sommer 1898 unter dem Pseudonym "Veremundus" erschienene kritische Broschüre Carl Muths über die katholische Belletristik (17) ebenso wie seine bisherigen Zeitschriftenverleger: sie alle


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müßten angesichts der geplanten Bilder, würden diese veröffentlicht, zu einem äußerst negativen Urteil über sein Werk kommen (18):

[...] wenigstens 90 Prozent [der Entwürfe] legen klar und ündig dar, daß meine Erzählungen in die Klasse der Schund-, Schauer-, Blut- und Hintertreppengeschichten gehören. Würgen, schlagen, hauen, schießen, fesseln, stechen, auf alle mögliche Weise einander abmurxen - das ist da mit erkennbarer Vorliebe ausgesucht worden!

Der Verdrängungsprozeß bezüglich des eigenen Werks, den diese Stelle dokumentiert (sie beschreibt ja durchaus treffend wesentliche Handlungselemente der Reiseerzählungen), ermöglicht es May, in grandioser Bescheidenheit seinen literarischen Rang neu zu bestimmen (19):

Ein Recensent sagt: "Wenn die Ibsen, Hauptmann, Sudermann etc. längst vergessen sind, wird May in jeder neuen Generation auch neu erstehen!" [...] Ist das nicht schön? Und von diesem Ruhm gehört Ihnen auch Ihr Theil! Wollen wir ihm entsagen, ihn durch Schauerbilder beschmutzen? Nein, nie!

Wie wichtig ihm die optische Präsentation seiner Werke inzwischen ist, belegen auch die Briefe der folgenden Monate. Sie befassen sich weit mehr mit dem Titelbild des geplanten Bandes als mit textlichen Problemen. Dabei sieht der Autor -völlig zu Recht - die Bilddarstellung und die künstlerische Qualität ihrer Ausführung in einer unlösbaren Verbindung mit der literarischen Bedeutung des neuen Werks (20):

[...]denn dieser Jubiläumsband ist, wie Sie auch lesen werden, derjenige, auf welchen alle anderen zugespitzt waren, das eigentliche Ziel meines literarischen Strebens. Er wird ungeheures Aufsehen erregen, und so sollte auch der Einband ein wirklich gutes Bild bringen.


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Bei allem Bombast und allem selbstgestreuten Weihrauch sollte man an diesen Briefen aber nicht nur die unfreiwillige Komik sehen, sondern auch die tragischen, aus jahrzehntelangem Mißerfolg herrührenden Defizite, die hier zu solch übersteigertem Ausdruck kommen. Darüber hinaus verdeckt Mays Diktion leicht, wie präzis er das Neue an seinen jetzt entstehenden Romanen erkennt und wie konsequent er sich den heißerstrebten Aufstieg in die Literaturgeschichten erarbeitet. Der auf den ersten Blick eher skurril anmutende Zwist mit dem Verleger wegen der Postkartenbilder ist bereits ein erstes Anzeichen für die weit tiefer gehenden Diskrepanzen nach 1900. Auch dann wird es um das Problem der angemessenen literarischen Einordnung und der 'richtigen' Rezeption des Mayschen Werks gehen.

Bei aller Selbstüberschätzung: als Schriftsteller hatte May in den neunziger Jahren eine neue Stellung gewonnen. Er hatte gelernt, seine Rechte als Autor selbstbewußt wahrzunehmen und seine urheberrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, nicht zuletzt durch mehrfache Auseinandersetzungen mit anderen Verlegern oder mit Plagiatoren (21):

Es ist ja richtig, wer nicht nachgeahmt wird, der ist kein guter Schriftsteller; aber man braucht es sich doch nicht gefallen zu lassen, daß so ein Mensch in unsern Geldschrank greifen und auf unsern Lorbeeren sein Dolce far niente halten will.

Bereits seit Mitte der neunziger Jahre wird May auch gegenüber Fehsenfeld immer mißtrauischer: er fordert immer wieder Auflagen- und Honorarlisten an, was er


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zwar stets mit äußeren Anlässen (Steuer, Testament etc) zu kaschieren sucht, ohne aber seinen Verdacht, er werde hintergangen, ganz verbergen zu können.

Von November 1898 bis Anfang März 1899 zieht sich die Arbeit am "Jenseits"-Roman noch hin; dann meldet May den bevorstehenden Abschluß des Werks mit den berühmt gewordenen Zeilen nach Freiburg (22).

Lesen Sie jetzt die Correcturen von Band 25? [ ... ] Ich sage Ihnen, die Namen Fehsenfeld und May werden der Zeitgeschichte so tief eingegraben sein, daß wir ruhig sterben können und doch weiterleben.


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2. "Weihnacht!": Aufbau und Erzähltechnik

Bis zu Gerhard Neumanns Aufsatz über "Weihnacht!" vor wenigen Jahren (1) wurde dieser Roman in der May-Forschung nur selten stärker beachtet. Abgesehen von Hans Wollschlägers Hinweisen zur psychischen Brisanz des Themas "Weihnachten" für May persönlich (2) und einem erbellenden Exkurs Helmut Schmiedts in seiner Dissertation (v.a. über die Figur des Carpio) (3) ist vor allem ein Aufsatz Martin Lowskys wesentlich, der sich mit der Frage auseinandersetzt, warum der amerikanische Westen, spätestens seit "Winnetou l" bei den Lesern beliebtester Schauplatz, nach "Weihnacht!" für über ein Jahrzehnt aus Mays Werk verschwindet (4).

Die Ursache sieht Lowsky in einer bewußten Absage des Autors an den Wilden Westen; May wolle nun - im Spätwerk - "persönliche Erlebnisse, gesellschaftliche Konflikte und psychologische Einsichten aus der realen Umwelt" gestalten (5). Damit überwinde er zwar einerseits " die kindlichen und pubertären Komponenten in seinem Fühlen, die in die Reiseerzählungen als tragende Bausteine eingingen", wende sich aber andererseits ab von den "ungefesselten Tagträumen", deren utopisch-"progressives Gedankengut" Rousseauscher Prägung verloren gehe (6).

Die Verlagerung des Handlungsraums ist ein Kennzeichen für eine schriftstellerische Neuorientierung Mays, deren Wurzeln, wie wir sahen, bereits im Frühwerk


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angelegt sind, und die spätestens mit "Winnetou I" eine neue Qualitätsstufe erreicht.

Zuletzt hat Gerhard Neumann in einer brillanten Analyse den "Weihnacht!"-Roman als einen Punkt charakterisiert, in dem die (in den neunziger Jahren immer intensiver vorbereitete) Annäherung von Autor und Romanfigur/Held endgültig vollzogen wird. In Neumanns Überlegungen bildet May ein Exempel innerhalb einer weiterreichenden Problemstellung: "Geburt des Helden aus der Autorschaft" bzw. "Selbstbegründung des Subjekts" durch Schrift (als weitere Autoren untersucht er etwa Kleist, Stifter oder Kafka) (7).

Ausgangspunkt ist für ihn die Lektüre des Romans als "Mythos" im doppelten Wortsinn: neben der Aufgabe, die "Geburt des Helden zu legitimieren" (8) , erfüllt die erzählte Geschichte auch den Zweck, "eine bestimmte menschliche Verhaltensordnung zu beglaubigen" (9).

Die entscheidende, alles andere übergreifende Regelung funktioniert dabei für Neumann in dem Roman nach dem "Modell der Schuldisziplin" (10):

Die Schule des Lebens ist, - so, wie sie sich im Wilden Westen präsentiert -, durch dieselben Rituale und Ordnungsformen bestimmt wie die Schule des Kindes in den europäischen Erziehungsanstalten.

Das ergebe sich aus den Initiationsriten, die zur "Neugeburt der Protagonisten führen": dem "Zwang zur Legitimation" (die Narben Old Shatterhands etc.) (11), der "Fähigkeit zur 'Lektüre'" (etwa Entzifferung des indianischen Lederbriefs (12) oder das Spuren-'Lesen' (13)) und aus den "Examina", die Old Shatterhand durchlaufen


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muß, damit "an deren Ergebnissen seine Identität ablesbar wird" (14). Dabei hat sich im Westen eines "dann doch geändert": Old Shatterhand ist vom Schüler zum "Rang des Lehrers aufgestiegen" (15).

Als entscheidenden Grundzug des Romans sieht Neumann die "Regelung der Handlung durch Schrift" (16), sowohl im positiven Sinn (durch das Weihnachtsgedicht) wie im negativen (die zu verfehlten oder verbrecherischen Zwecken benutzten Schreiben: Empfehlungsbriefe, Wechsel, Schulderklärungen).

Zutreffend wird die Handlung als Transformation der Biographie Mays begriffen ("vom Rechtsbrecher zum Rechtsverwalter" durch Amtsanmaßung (17)):

Was May also gewissermaßen biographisch inszeniert und vorgelebt hatte, schreibt der Roman "Weihnacht", als Geschichte von der Geburt des Helden und seiner Sozialisation, in der Form des Abenteuerromans nach [...]: die Schrift der Justiz als Form der Disziplin, die Schrift der Poesie als Form der Freiheit. (18)

Neumanns Analyse ist allerdings ergänzungsbedürftig, insbesondere aus zwei Gründen.

Zum einen rückt er fast ausschließlich die Figur des "Helden" Old Shatterhand in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, ohne das übrige Figuren-Ensemble zu beachten. Damit vernachlässigt er die gerade hier besonders auffallende Vielfalt der Ich-Figurationen, vom Alter Ego des Helden, dem Anti-Helden Carpio, bis zu Nebenfiguren wie Rost oder Reiter.(19)

Zum anderen greift die Rückführung der Handlungsregeln allein auf die Schuldisziplin zu kurz: mindestens ebenso deutlich werden von May hier die Existenzregeln des


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freien Schriftstellers und des literarischen Markts thematisiert, was eine noch weitaus näherliegende Begründung der "Regelung durch Schrift" ergibt.

Die eigentliche Leistung Mays liegt in diesem Werk, neben der strengen Komposition, sicher in der virtuosen Aufspaltung der eigenen Persönlichkeitselemente auf mehrere Figuren, unter denen Old Shatterhand nur eine Erscheinungsform des Autor-Ichs ist.

Stärker noch als in "Winnetou I", wo die allegorischen Bezüge recht direkt und einperspektivisch in Handlung umgesetzt wurden, verschränkt May in "Weihnacht!" die unterschiedlichsten Ebenen. Neben authentisch-biographisches Material aus dem Leben des Autors May (wenn auch verändert und maskiert) treten Elemente der in "Winnetou I" entworfenen Idealbiographie sowie fiktive "bioi paralleloi", miteinander verflochtene Lebensschicksale. Sie begleiten und ergänzen die auf den Erzähler bezogenen Handlungsanteile.

Carpio und Reiter sind durch die gemeinsame Schulzeit mit dem Ich-Erzähler verbunden; beide sind in ihrem Leben - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - gescheitert, während ihr ehemaliger Mitschüler das selbstgesteckte Ziel erreicht hat. Nachdem in "Winnetou I" dargestellt worden war, wie der Held in die Gesellschaft des Wilden Westens eintritt und sich in ihr behauptet, verlängert "Weihnacht!" nun die Idealbiographie in die Jugend- und Schulzeit hinein. Carpios Verkündigung der Geburt des mythischen Helden-Schriftstellers spricht


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die Wahrheit über die Entwicklung "Old Shatterhands resp. Kara ben Nemsis" alias "Dr.Carl May" aus; nur wird diese Wahrheit nicht auf den Helden, sondern auf sein negatives Gegenbild Carpio bezogen:

Ja, das bist auch du! Du hast stets mit deinen vielen fremden Sprachen zu thun gehabt und nie derartige [lndianergeschichten-] Unterhaltungsbücher geliebt; ich aber habe es verstanden, die Geistesnahrung, welche sie enthalten, herauszuziehen und in mir aufzunehmen. Du hast deine freien Stunden damit vergeudet und deinen letzten Pfennig dafür hergegeben, um reiten, schießen, fechten, ringen, turnen und schwimmen zu lernen [...]

("Weihnacht!", S.380= HKA, S.323)

Während Carpio, das "Kind", "in die Rolle eines alter ego zum souveränen Shatterhand hineinwächst" (20), zusammengesetzt aus den schwachen, hilfsbedürftigen Persönlichkeitsanteilen Mays (bis hin zu realistischen Gleichsetzungen wie der Tätigkeit als "Kolporteur" nach immer erneutem beruflichem Scheitern), akzentuieren die Figur des Falkenauer Wirts Franzl und des Arztaspiranten Rost andere Teilvarianten der Biographie ihres Autors.

Als ein - wie May - 'erfolgreich' gescheiterter Lehrer erweist sich der trotz seines Scheiterns zu bürgerlichem Wohlstand und Ansehen gelangte Gastwirt:

Er hat auf Schulmeister studiert, die Sache aber aufgegeben, weil ihn die reiche Wirtin zum Mann genommen hat.

("Weihnacht!", S.29 = HKA, S.32)

Seine Vor- und Bildungsgeschichte weist wie die Mays dunkle Punkte auf; "er schien Gründe zu haben, nicht davon zu sprechen."(S.37 = HKA, S.38)

Der ambitionierte Mediziner Rost dagegen verkörpert auf andere Weise biographische Varianten seines Schöpfers. (21)


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Die lebenslang unerfüllte Neigung Mays zum Arztberuf, das Studium unter sehr schweren äußeren Bedingungen, der Wissenserwerb als Autodidakt und die intensive Wißbegier, verbunden mit dem festen Willen aufzusteigen, all das sind Elemente, die ebenso für Mays ideale wie für seine reale Biographie gelten.

Eine weitere biographische Variation trägt dann der Möchtegern-Westmann Watter vor. Auch seine Übertreibung legitimiert zwar, wie Carpios Aussagen, vordergründig den Ich-Erzähler, indem dessen Bescheidenheit sich positiv von der prahlerischen Art abhebt, in der Watter dem 'wahren' Old Shatterhand seinen 'fiktiven' Doppelgänger beschreibt, stellt ihn aber zugleich in Frage:

Old Shatterhand ist zweimal so breit und um anderthalb Kopf höher als Ihr: [...] Denkt Euch dazu eine Körperkraft, die es mit einem Ochsen aufnimmt [...] und dazu eine Schlauheit, vor welcher sich alle Füchse der Welt verstecken müssen, kurz und gut, denkt Euch grad das Gegenteil von dem, was Ihr seid und was Ihr könnt, so habt Ihr Old Shatterhand grad vor Euren Augen!

("Weihnacht!", S.190 f. = HKA, S.166)

Die übertreibende Beschreibung könnte auch von einem der Kritiker Mays nach der Jahrhundertwende stammen; in diesem Roman findet sich die reale "Wahrheit über Karl May" ebenso wie die mythische Fiktion, wobei der Übersteigerung des Helden bis hin zur Präfiguration als Erlöser auf der anderen Seite die gnadenlose Demaskierung entspricht. Der überirdischen Stärke korrespondiert die kindliche Hilflosigkeit und Schwäche.

Alle Figuren - mit Ausnahme der Schurken - sind Ich-Varianten des Autors bzw. verkörpern Phasen seiner Biographie.


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Dabei reichen die Parallelen bis in die Feinstrukturen des Textes, so daß sich auch die sprachlichen Gestaltungselemente und die Handlungsdetails in vielfältiger Weise bruchlos zusammenfügen und als geschlossener Kosmos mit durchgängigen Leitmotiven präsentieren.

Als Belege sind musikalische Metaphern ebenso anzuführen wie das Geldthema; beide durchziehen den ganzen Text und sind eindeutig im ersten Kapitel präformiert. Das Geld hat hier weitaus realistischere Züge als in früheren Werken; es gehört von Anfang an zu den wichtigsten Bewegungskräften der Handlung, allerdings nicht, wie Rainer Jeglin vermutet, als "Sehnsucht nach Geldgeschenken" (22), sondern in Ambivalenz zwischen bürgerlichem Geldverdienst (z.B. durch das Schreiben von literarischen Texten) und dem Streben nach unrechtem Gewinn durch Aneignung fremder Arbeit, wie sie der alte Lachner durch Wucherpraktiken oder die Banditen durch Raub praktizieren. Daß sowohl Winnetou wie auch Carpio außerhalb dieses Gegensatzfeldes stehen, hängt mit ihrer spezifischen Rolle zusammen: allein die Bedürfnislosigkeit des Wilden rechtfertigt seinen Uberfluß an Gold, während Carpio, dem Kind, folgerichtig die Fähigkeit zu bürgerlich-erwachsenem Gelderwerb abgesprochen wird, wie sie andere Figuren (z.B. Hiller, Rost) erfolgreich verkörpern.

Daß die Rolle des Geldes als Movens des Geschehens bis in die Mikrostruktur reicht, belegen beispielsweise die Münzmetaphern, etwa wenn Carpio in Anknüpfung an die


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Wechselkurserläuterungen des "Einleitungs"-Kapitels sich selber charakterisiert:

Ich bin der Gulden, für den man keinen Pfennig zahlt. Wenn es dir nicht gelingt, mich wieder in Kurs zu bringen, ist es für immer mit mir aus.

("Weihnacht!", S.390 = HKA, S.332)

Damit ist zugleich die eine Seite des Romans angesprochen: die Selbstübersteigerung des erzählenden Ichs als Heilbringer und Regler der Welt. Biblische Parallelen durchziehen von den ersten Sätzen an den Text, nicht nur im kanonischen Charakter des Einheit und Frieden stiftenden Gedichts und in der in ihm wirksamen "Struktur von Verheißung und Erfüllung" (23), sondern auch in den immer wiederkehrenden Christus-Bildern, im Rückgriff auf den biblischen Ton ebenso wie in der Gruppierung der Figuren als Krippenszene nach vorhergehender Herbergssuche oder als Christus-Johannes-Gruppe (der Ich-Erzähler und der erschöpfte Carpio) und schließlich als Pietä.

Die Wanderung der Familie Wagner im ersten Kapitel ist bis in die sprachlichen Details der Herbergs-Suche nachgebildet. Der alte Mann (24) (= Joseph), die (jüngere) Frau und der Knabe bitten um "einen Platz für uns im Stalle" und erhalten den Bescheid, hier sei "keine Herberge für Handwerksburschen und Leute, wie Ihr seid." ("Weihnacht!", S.42 f.= HKA, S.43). Allerdings wird die nahende Geburt durch den Tod des Greises substituiert, wobei Martin Lowsky zu Recht darauf hinweist, die Außerungen des Alten seien von der sprachlichen Form her "Angstrufe eines Kindes, das die grausame Züchtigung durch den Vater abwehren will."(25)

Auch nach dem Aufbruch aus Falkenau setzt sich die Herbergssuche fort: "Der Wirt wollte sie nicht umsonst behalten, und Geld hatte sie [=Frau Wagner] nicht."(S.108 HKA, S.97), so daß sie "mehreremale um Nachtlager gebeten hatten, aber immer abgewiesen worden waren."(S.109 HKA, S.98), bis sie schließlich in der alten, verfallenen Mühle eine Unterkunft fanden, "für welche aber der Ausdruck Stall [...] eine unverdiente Ehrung gewesen wäre." (ebd.). Wie sehr in Mays Text populäre Versionen der


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Weihnachtsgeschichte als Folie dienen, belegen etwa Beispiele aus Will-Erich Peuckerts Legenden-Sammlung, wo Joseph als der "alte Kerl" bezeichnet wird, oder der Wirt erklärt: "Hast du ein Geld bei dir, so kriegst du auch ein Nachtquartier. Für Arme und Landstreicher aber hab ich nichts." (26)

Der Krippen-Sterbeszene im ersten Kapitel entspricht die Weihnachtsabend-Sterbeszene im Schlußteil, die in der Gruppierung der Pietä nachgebildet ist wie bereits die Todesszenen Klekih-petras, Nscho-Tschis und Winnetous.(27)

Andererseits stehen diesen biblisch-pathetischen Zügen immer wieder Antithesen gegenüber: von der "kindische[n] Heiterkeit" in der Wirtsstube (S.49 = HKA, S.48), die der Ich-Erzähler schließlich selbst verurteilt, bis hin zur Selbstparodie in den frömmelnden Passagen des Prayerman, in die auch das Weihnachtsgedicht einbezogen wird. Eher beiläufig weist Gerhard Neumann auf einen Aspekt hin, der mindestens ebenso bedeutungstragend ist wie die Transformation der schulischen Regeln in den Wilden Westen: der Roman schildert nicht nur die "Geburt" des Helden, sondern vor allem auch die mythische "Geburt" des Autors May und die Bedingungen seiner Schriftsteller-Existenz. Die "Einleitung", das erste Kapitel, beschreibt ja gerade nicht die Schule, d.h. den Unterricht, als Disziplinierungs-Raum, sondern stellt ausschließlich außerschulische Bereiche in den Mittelpunkt. Mit schlechtem Gewissen verfaßt der Schüler in seiner Freizeit ein Weihnachtsgedicht und sendet es ein, wider seinen Willen gelangt seine Motette zum Kantor und damit zum Drucker: alles Aktivitäten, die nicht dem schulischen Alltag und seinen Regeln zuzuordnen sind. Auch hier erweist sich der Schüler - trotz aller verbalen Beteuerungen Über seinen Fleiß und seine Studien - als bereits ebenso fertig ausgebildet wie das 'Greenhorn' in


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"Winnetou I". In der "Einleitung" wird der Ich-Erzähler, obwohl Schüler, innerhalb kürzester Zeit zur geschehensregelnden Instanz. Er löst nicht nur durch seine Aktivitäten (Beteiligung am Preisausschreiben, Komposition der Motette) Reaktionen aus, die sogar den Lehrern über den Kopf wachsen wie die plötzlich durch ihn ausgelöste Begeisterung am Dichten, sondern übernimmt auch auf der Reise die Führung. Er bestimmt über Carpio, beeinflußt und lenkt den Wirt Franzl und regelt das weitere Schicksal der Familie Wagner durch seine verbalen Anweisungen ebenso wie durch seine finanzielle Unterstützung (S.113 ff. = HKA, S. 101 ff.). Neben die schulischen Rituale und weit stärker akzentuiert als sie treten die Gesetze des literarischen Marktes, und auch hier ist das Erzähler-Ich weit weniger "Opfer dieser [schulischen] Riten" (28) als vielmehr - schon im ersten Kapitel - ihr "Regler und Verwalter".

Er verdient sein erstes Geld und die Anerkennung als nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft durch Schreiben und Komponieren, wobei von Anfang an Fragen des Honorars und des Urheber-Rechts am eigenen Werk eine entscheidende Rolle spielen.

"Geschriebene Noten gegen Banknoten oder klingende Münze; anders thue ich es nicht." erklärt der Kantor dem angehenden Schriftsteller, und er erläutert dem 'Greenhorn', das - bei aller verbalen Bescheidenheit - bereits Meisterwerke schafft, die schriftstellerische/künstlerische Tätigkeit in einer verfremdeten Pegasus-Metapher als Unterschied zwischen dem "guten Sonntagsreiter" und dem "geübte[n] Reiter der Hohen Schule"(29). Kurz darauf erwerben


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die beiden "Studenten" auch die Freiplätze beim Wirt Franzl mit Literatur, indem sie in Reimen sprechen. Die Belohnungen für die Reimereien werden dabei immer opulenter: von einem kostenlosen Glas Buttermilch (S.34 f. =HKA, S.36) über freie Unterkunft "in der guten Stube" (S.36=HKA, S.37 f.) bis zu "Schankbier", "Wein", "Cigarren"(S.38=HKA, S.39) und schließlich 10 Thalern Reisegeld, das ausdrücklich mit dem literarischen Tun der Schüler verknüpft wird, indem der Geber das Geschenk durch ein Gedicht begleitet(S.100-104=HKA, S.91-94).

Noch ausgeprägter, wenn auch in Einzelzügen ideal überhöht, sind die Hinweise auf die Schreibtätigkeit des Erzählers im zweiten Kapitel: nun wird er als fertiger Autor beschrieben, mit zahlreichen, der Realität des Schriftstellers Karl May nachgebildeten Details, etwa dem Schreiben die Nacht hindurch (S.124 f.=HKA, S.111 f.; 215 = HKA, 186; 236 ~ HKA, 195 f. u.ö.) (30). Der Text ist durchzogen von Verwahrungen gegen Plagiatoren (S.118 ff.=HKA, S.105 ff.), und in einem längeren Exkurs erläutert May schließlich seinen Lesern die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Urheberrecht(S.157 f.=HKA, S.138 f.).

Die Auseinandersetzungen mit anderen Indianergeschichten und deren Abwertung greifen die Vorwürfe an Fehsenfeld wegen der Illustrationen auf: "Da sieht man nichts als Kampf, Mord und Gier nach Blut." (S.279=HKA, S.240). Ebenso kritisiert er der Konkurrenten "schauderhafte Illustrationen, gegen welche der Kenner und auch jeder andere vernünftige Mann einen Ekel empfinden muß."(Ebd.). Diese


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Passagen ordnen sich ein in die ästhetische Neubestimmung des eigenen Werks als pädagogisch akzentuierte "Predigten an die Völker", allerdings unter scharfer Verdrängung und Verleugnung der eigenen literarischen Vergangenheit.

Neben den Mythos von der Geburt der "Helden des Westens" tritt der Mythos von den 'Helden der Feder' und der Ungebundenheit des 'freien Berufs': in Old Shatterhands Gespräch mit Carpio artikulieren sich die gegensätzlichen Wünsche nach einem "Amt", einer festen "Anstellung" (so Carpio) und dem Streben des Erzählers nach einem ungebundenen Leben (S.372 ff.=HKA, S.317 ff.). Aus der Diskrepanz zwischen den Fiktionen eines "Romanschreiber(s)" bzw. der "Indianerbücher" und der Realität leitet der Ich-Erzähler seinem Schulfreund gegenüber die Gründe ab, warum er selbst keine "Anstellung" wollte, und deutet so zum Ergebnis eines freien Entschlusses um, was in Wirklichkeit bitteres Nebenprodukt von Mays Haftstrafen war: die 'Ideal-Biographie' wird komplettiert.

Statt der gewohnten Abenteuerelemente von Gefangennahme und Befreiung bzw. Verfolgung und Rettung, die für den Autor deutlich an Interesse verlieren, integriert er realistische Züge in die Darstellung sowohl in der Jugendepisode wie in der Schilderung des bürgerlichen Ambientes in Weston und verlagert den Schwerpunkt auf den psychischen Bereich. (31)

Auf überraschende Weise rückt dabei ein in Mays Werk neues Thema in den Mittelpunkt, das vorausweist auf das Spätwerk und zugleich die Gefängniszeiten aufarbeitet,


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nämlich das Problem der Kommunikation. Zum entscheidenden Kriterium für die Beurteilung der Figuren durch den Ich-Erzähler wird ihre Fähigkeit bzw. Bereitschaft zur Verständigung. Die Kampfhandlungen treten in den Hintergrund, sie werden möglichst schnell und perfekt abgemacht (die Auseinandersetzungen in Weston, das "Stii-poka" in den Bergen) (2./4.Kap.). Das Sprechen als Voraussetzung gegenseitiger Hilfe (besonders deutlich in der Figur der Frau Hiller) und auch als Möglichkeit des Interessenausgleichs wird als wirkungsvoll gezeigt. So überzeugt beispielsweise Old Shatterhand den Häuptling Yakonpi-Topa nicht durch den Kampf, sondern durch Argumente und beispielhaftes Handeln (4.Kap.). Der Häuptling ist überdies differenziert gezeichnet, er wird nicht mehr eindeutig dem feindlichen oder dem befreundeten Lager zugeordnet.


Der Überwindung der früheren Schwarz-Weiß-Malerei entspricht auch der weitgehende Verzicht auf das gewohnte komische Personal der älteren Erzählungen mit seinen "deutliche[n] Züge[n] schülerhaften Verhaltens": "Albernheit, Kichern, falsch gebrauchte Redewendungen und Bildungsklischees, [...] Unsicherheit der Geschlechterrolle.". (32) Das erste Kapitel, noch am ehesten von derartigen Gestaltungselementen durchzogen, enthält auch eine ausdrückliche Absage an "kindische Heiterkeit", die sich nur damit vergnügt, "die Zeit mit schülerhaften Witzen totzuschlagen." (S.49=HKA, 48).


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Die negativen Gestalten sind vor allem durch ihre Verweigerung der Kommunikation gekennzeichnet. Der alte Lachner entzieht sich bis zuletzt jedem Gespräch mit Old Shatterhand und dessen Gefährten; sein ganzes Denken ist vom Geld beherrscht, dem für ihn einzig kommunikationswürdigen Gegenstand. Diese Figur knüpft zwar an ein moralisierendes Sujet der europäischen Literaturtradition, die Charakterrolle des 'Geizhalses' an, stellt aber eben nicht die dafür typischen Züge, nämlich Geiz und Geldgier, in den Vordergrund, sondern Lachners Ablehnung jeglichen Gesprächs und den damit verbundenen festen Willen, sich von keinem anderen helfen zu lassen und sich damit niemandem zu verpflichten, extremer Gegenpol sowohl zu Carpios Abhängigkeit wie auch zu Old Shatterhands hilfsbereiter Selbständigkeit. Auch an Hiller hebt der Erzähler schon gleich bei der ersten Begegnung seine "Verschlossenheit und Härte" hervor (S.521=HKA, S. 440), die sich allerdings im Schlußtableau in kindlicher Rührung auflösen.

Die drei Schurken Sheppard, Eggly und Corner verweigern die Kommunikation schon allein durch ihre ständigen Namenswechsel, die einen kontinuierlichen Kommunikationszusammenhang unmöglich machen. Zudem sprechen sie durchweg auf zwei Ebenen: der ihrer Opfer, denen sie etwas vortäuschen, und auf der ihrer Verbrechensplanung mit ihrer eigentlichen Redeweise. Der Gegensatz zu allen anderen geht bis in die Personenbeschreibung: Old Shatterhand erkennt die Doppelbödigkeit sogleich am Aussehen, bevor


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sie (etwa der "prayer-man") den Mund öffnen (S.139 ff.= HKA, S.123 ff.).

Die 'gebrochenen' Figuren Reiter, Welley und Hiller haben (wie der Autor May selbst) Schuld auf sich geladen. Erlösung wird ihnen durch das Aussprechen der Schuld, durch das Geständnis.

Carpio, gescheitertes Ergebnis väterlicher Fremdbestimmung, ist in seiner Kommunikationsfähigkeit ebenso schwer geschädigt wie in seinem Selbstvertrauen (33). Zwar gewinnt May der Figur und ihrer extremen Zerstreutheit in der "Einleitung" durchaus noch komisch-liebenswürdige Seiten ab, doch im Wilden Westen entpuppt sich dieses Gegenbild des Helden als tragische Gestalt, nämlich als flehend-verzweifeltes Kind, das in ergreifender Weise das Elternpaar Old Shatterhand/Winnetou um Hilfe anfleht. Aus Carpios Kind-Rolle ergibt sich zwangsläufig die Konstellation der Kleinfamilie: die Vatergestalt Old Shatterhand beschert die 'Schrift', d.h. das aus psychischen Krisen errettende Gedicht sowie die juristischen, Strafverfolgung suspendierenden 'Schrift-Stücke' für Welley, Reiter und Hiller, während die Mutter-Gestalt Winnetou mit den Nuggets und den Nahrungsmitteln der Schoschonen die materielle Versorgung beisteuert und der ganzen Gruppe fürsorglichen Schutz gewährt. Nicht zuletzt aus dieser Rolle des Apachen als Mutter-Imago rührt die Feminisierung des Häuptlings, als seine Gestalt bei seinem ersten Auftritt so beschrieben wird, daß sie als "Vexierbild für die Mutter gelesen werden kann." (34) Mehrfach wird Winnetous 'Mutterliebe',


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auch schon vor dem letzten Akt am Pa-ware, erkennbar, besonders ausgeprägt im dritten Kapitel, wo er "das verborgene Mitleid unserer Herzen" beschwört:

Wozu wäre die Liebe auf Erden, wenn sie sich nicht bereit zeigte, die unverschuldeten Leiden und Schwächen der Brüder und Schwestern tragen zu helfen. (S.383 = HKA, S.326)

Das Thema der gestörten Kommunikation und der sich in ihr ausdrückenden Zerstörung der menschlichen Beziehungen bestimmt aber nicht nur die Handlung und die Dialoge, es durchzieht auch in dramatischer Metaphorik die Landschaftsbeschreibung, besonders ausgeprägt bei der Schilderung der Rocky Mountains (S.540 f.=HKA, S.45S f.). Die Berge als "Giganten" einer "Shakespeare-Landschaft" werden mit dem Vokabular psychischer Konflikte gezeichnet: Vorgänge seelischer Versteinerung bestimmen den Eindruck, den diese "sprachtote, stumme Einsamkeit" beim Betrachter/Leser hinterläßt:

sprachtote, stumme Einsamkeitkeine Spur von Freude und Scherz
Schauerfestgeklammert
Hilferufeversteinert/gellend
Todesschreie
Aechzen und Stöhnen
zerschmettert/niedergerungen
Schmerzentsetzlich zu Fels geworden

Die Landschaftsbeschreibung weist hier bereits voraus auf die großen Kommunikationsmythen des Spätwerks wie 'Das versteinerte Gebet', 'Die Stadt der Toten' oder die Vulkane von Dschinnistan, die zu reden beginnen. Uber diesen inhaltlichen Neuansatz hinaus verwendet May in "Weihnacht!" auch eine ganze Reihe äußerer Stilmittel, um eine geschlossene Komposition des Bandes zu erreichen.


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Hans Wollschlägers Aussage, "Am Jenseits"sei "das erste Buch, an dem May formal mit hoher Kraft und Absicht gearbeitet hat" (35), gilt weitaus mehr noch als für den Orientroman für "Weihnacht!". Zwar ist in "Am Jenseits" die psychische Gestaltungsintensität weitaus stärker als in dem Amerika-Roman, aber die Großkonstruktion und die Detailverarbeitung litten bei "Am Jenseits" doch sehr unter der Entstehung in gedrängtester Zeit kurz vor dem Antritt der wegen des Werks mehrfach verschobenen Orientreise. Demgegenüber zeigt "Weihnacht!" einen weitaus strengeren Gestaltungswillen und eine präzisere Durcharbeitung der Einzelheiten.

Dabei ist an erster Stelle das auf Mays Haftzeit in Zwickau zurückgehende Weihnachtsgedicht zu nennen, für den Autor offenbar eines der meist-bedeutenden seiner Frühwerke (36). Es durchzieht nicht nur als "goldener Faden" in verschiedenstem Kontext das Geschehen, sondern strukturiert durch seine allmähliche Enthüllung auch die Handlung selbst. May gewinnt dem Gedicht dadurch, daß es in unterschiedlichen Zusammenhängen zitiert wird, jeweils spezifische Bedeutungsnuancen ab; der Situationsbezug eröffnet verschiedene Interpretationsperspektiven bis hin zur Ironisierung des Erbauungsstils, wenn der prayer-man den Text zwischen übertrieben schwülstige Erweckungsgedichte einreiht.

Die ersten vier Strophen trägt der Ich-Erzähler als Schüler dem Kantor vor, bevor er von diesem seine im Druck erschienene Motette überreicht bekommt. Hier erscheint das Gedicht als literarisch wenig eigenständige Bibelparaphrase, eben eine Schülerarbeit, da zwei der vier Strophen Bibelworte versifizieren, die beiden übrigen, im Ton deutlich dem Vorbild Schillers verpflichtet, religiöse Versatzstücke aneinanderreihen. (37))


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Eine neue Dimension gewinnt das Gedicht, als Carpio es der verarmten Familie Hiller vorträgt: dem Verfasser selbst kommt sein eigenes Opus nun vor, "als ob es nicht von mir, sondern von einer ganz andern Person, einem ganz andern Wesen stamme" (S.50=HKA,S.49). Dabei wird nach der Eingangsstrophe zunächst der Schluß des "zweiunddreißigstrophigen" Werks (also die Strophen 29-32) vorgetragen. Der alte Hiller, krank und geschwächt dem Tode nahe, zitiert anschließend Textbruchstücke und läßt Carpio dann einzelne Strophen wiederholen. Dadurch werden dem Leser zwei weitere, bisher unbekannte Strophen mitgeteilt. Sie enthalten konzentriert sowohl die zentralen Konflikte in der "Weihnacht!"-Erzählung wie auch Mays biographische Probleme auf engstem Raum: die Frage des Kindes nach der verzeihenden Liebe des Vaters und die Bitte des "Verlorne[n]" Sohns um Gnade im "Gericht".

Blicke auf dein Kind hernieder,
   Das sich sehnt nach deinem Licht;
Der Verlorne naht sich wieder;
   Geh mit ihm nicht ins Gericht! --

Noch ein weiteres Mal taucht das Gedicht, allerdings innerhalb des fortlaufenden Prosatexts, in der "Einleitung" auf: der alte Hiller zitiert kurz vor seinem Tod in Visionen versunken eine Strophe und findet dadurch Frieden beim Sterben, so wie ihm vorher schon, in der Wirtsstube, die Rezitation Befreiung von seinen gehetzten Angstträumen beschert hat, den Schlaf nach "doppelte[r] Müdigkeit", "von dem weiten, schweren Wege und von der innern Erregung jetzt." (S.53=HKA, S.S2)

Scharf kontrastiert damit der nächste'Auftritt'des Gedichts, ironisch-persiflierend maskiert durch einen neuen Titel:

Weihnachtslust am Kindleinsstall zu Bethlehem.- Reuegedicht eines verlorenen, aber durch das Lesen unserer Schriften wiederbekehrten Sünders. (S.143 f.)

Auffallend ist hier einerseits die Nähe der vom prayer-man fingierten Entstehungsgeschichte (ein irischer Pferdedieb habe das Gedicht kurz vor seinem Tod am Strang im Gefängnis geschrieben) zur tatsächlichen Entstehung während der Haftzeit Mays, andererseits die Technik, diesen Kontext durch die vom Leser als parodistisch empfundenen übersteigerten Erklärungen des prayer-man zu verhüllen, ein von May in "Weihnacht!" immer wieder angewandter Stilzug.

Alle bisher dem Leser bekanntgewordenen Strophen, ergänzt um eine weitere, erscheinen, nachdem Old Shatterhand Frau Hiller aufgesucht und sie als die Frau aus der Graslitzer Mühle wiedererkannt hat. Die neue Strophe, doppelt beziehbar auf Frau Hillers damalige Situation in Böhmen und auf ihre jetzige Sorge um ihren verschollenen Mann, begleitet den Bericht über das Schicksal der Familie seit der Falkenauer Begegnung mit dem Erzähler.


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Die nächste Rezitation der ersten Strophe durch Rost gibt May Gelegenheit, den Text durch Hiller als "geistige Jungenstreiche" abqualifizieren zu lassen. Die dadurch ausgelöste Konfrontation und Vorhersage Hillers, wenn es einen Gott gebe, "so mag mir der erste, beste Grizzlybär das Gehirn ausfressen", weist bereits voraus auf das letzte Kapitel.

Hier erfährt das Gedicht seine Apotheose: immer wieder wird es genannt oder zitiert, bis es in voller Ausführlichkeit als Abschluß der Weihnachtsfeier beim Pa-ware und als Begleitung beim Sterben Carpios die Erzählung beschließt. Der allmählichen Erweiterung des Gedichttexts entspricht im Verlauf der Geschichte die fortschreitende Enthüllung des Schicksals der einzelnen Figuren, von der Familie Hiller über Carpio bis zu Reiter, dem Sohn des früheren Kantors und Förderers des jungen Dichter-Komponisten. Dabei werden die einzelnen Erzählstränge durch immer erneute Hinweise oder Andeutungen im Bewußtsein des Lesers lebendig gehalten, bis mit dem letzten Vortrag des Gedichts alle Teilhandlungen zum Abschluß oder zur Aufklärung gelangt sind.

Die geographische Bewegung im Text schließt sich an das Aufbauprinzip der beiden ersten "Kamerad"-Erzählungen an: der Aufstieg in die Berge und die Naturbeschreibungen entsprechen in der Gestaltung dem "Sohn des Bärenjägers", während der 'locus amoenus', das Pa-ware der Schoschonen, zugleich 'paradiso' und 'inferno', sein Äquivalent in der Llano-Oase des Bloody-Fox hat, wo ebenfalls die Guten Zuflucht finden und die Verbrecher bestraft werden. Unübersehbar sind jedoch auch die Unterschiede; nicht nur die psychischen Implikationen der Naturschilderung, sondern auch die Verstörung und Gefährdung der Idylle durch menschliche Bosheit und feindliche Naturkräfte bestätigen Martin Lowskys Hinweis auf die größere Bewußtheit und Realitätsnähe des Spätwerks (38).

Die Zeitabfolge des Erzählten basiert auf dem Prinzip einer zunehmenden Kontraktion der erzählten Zeit. Die ersten beiden Kapitel - im wesentlichen punktuelle


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Wiedergaben zeitlich auf wenige Tage begrenzter Ereignisse in Falkenau bzw. Weston - sind voneinander sowie vom dritten Kapitel ("Old Jumble") durch größere Zeitsprünge getrennt. Im vierten und fünften Kapitel beschleunigt sich dann die Abfolge der Ereignisse und kulminiert "Im Schnee" (5.Kap.) an einem durch vielfache Vorausdeutungen vorbereiteten Höhepunkt, dem Weihnachtsfest im Wilden Westen.

Der Folgerichtigkeit in den geographischen Arrangements und in der zeitlichen Anordnung der Ereignisse korrespondiert der Gesamtaufbau, wie er sich in der Kapiteleinteilung widerspiegelt. Hier läßt sich eine durchgehende Balance zwischen Symmetrie und Asymmetrie beobachten, die über die Kapitelfolge hinaus auch die thematischen Details bestimmt. Im Zentrum der um die Achse des 3.Kapitels gespiegelten Anfangs- und Schlußkapitel steht jeweils eine Weihnachtsfeier samt obligatem Gedicht und dazugehörigen Requisiten (Schnee, Christbaum, gastliche Stätte usw.).

Hervorzuheben ist schließlich auch die sprachliche Gestaltung des Bandes, die zeigt, daß sich Mays sprachlicher Radius infolge erweiterter Bildungsmöglichkeiten und vielfältiger kultureller Kontakte entscheidend geweitet hatte. Der Wortschatz ist ebenso durch zahlreiche termini technici und Fremdwörter bereichert wie die Treffsicherheit und Plastizität der Metaphorik zugenommen haben. Daneben ist auch eine Verknappung des Ausdrucks


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zu beobachten wie eine - in den Werken kurz vor 1900 mehrfach festzustellende - Neigung zu Sprachspielen.

So fallen etwa im ersten Kapitel mythologische Begriffe ("Odins-Augen", S.279=HKA,S.239), Ausdrücke der Schülersprache und die verballhornten lateinischen Zitate auf, später die medizinische Terminologie Rosts oder auch die ausführliche Rechtfertigung des Erzählers gegenden Vorwurf, er habe in einem früheren Werk fälschlicherweise den Ausdruck "leise rufen" verwendet (S.457=HKA,S.388).

Ausgefallene Fremdwörter etwa: "inseparable Sympathievögel" (S.272=HKA,S.233; S.296=HKA,S.253 f.); "Kaskaden und Kaskadellen"(S.SSS~HKA,S.468); "Villegiatur"(S.590=HKA,S.496); "Ocular-Inspection" (S.89=HKA,S.81).

Auf die musikalischen Metaphern wurde bereits hingewiesen: ein Streit zwischen dem Wirt Franzl und seiner Frau wird als "Duett" beschrieben (S.45 f.=HKA,S.45), der Indianer Peteh hält eine "lange Posaunenrede" (S.496=HKA,S.420)und der alte Kantor und seine Frau sehen mit ihrem unterschiedlichen Leibesumfang aus "wie eine dünne Achtelpause und sie wie eine Vierviertelnote mit einer großen Fermate darüber" (S.621=HKA,S.522).

Auch die Beschimpfung des Gegners durch den Indianer Peteh ist beispielsweise mit konsequenter Metaphorik durchgeführt: "Auf mit diesem räudigen Hund [...]; er hat auf seinen Pfoten stehen zu bleiben!" (S.484=HKA,S.410). Für die Wortspiele sei schließlich noch als Beispiele angeführt: "Ich wollte mich nicht als Panorama-Bild betrachten lassen."(S.523=HKA,S.441); "Eure ganze Bonanza-Brühe vorgequatscht" (S.273=HKA,S.234), wobei auch auf die Sprachspielereien der Wirtshausszenen im ersten Kapitel zu verweisen ist.

Insbesondere ist es aber der Bibelton, der in verschie denen sprachlichen Variationen auftritt. Neben die echte Ergriffenheit und das Pathos im ursprünglichen Sinn des Mitleidens tritt die kindlich-schülerhafte bzw. veralbernde Abwandlung religiöser Sprache ebenso wie die schwülstige Übertreibung.

Ob möglicherweise "Weihnacht!" als zusammenfassendes Resümee des Amerika-Frühwerks konzipiert ist, ähnlich wie "Am Jenseits" ganz ausdrücklich als "Abschluß" der Orient-"Wanderstudien" bezeichnet wird (Jenseits, S.9), läßt sich kaum mit letzter Sicherheit entscheiden.


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Deutlich tritt dagegen die erzähltechnische Problematik zutage, die der strenge Aufbau des Textes mit sich bringt. Durch die Diskrepanz zwischen den realistischen Elementen und der strengen formalen Gestaltung erscheint der Handlungsablauf willkürlich und überdeterminiert, von formalen, nicht von inneren Gesetzen bestimmt. Hier stößt May an Grenzen, und er löst den möglicherweise auch von ihm erkannten Konflikt dadurch, daß er im folgenden Werk, "Am Jenseits", die imaginativ-symbolischen Handlungselemente auf Kosten der realistischen Darstellung in den Vordergrund stellt.


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3. "Am Jenseits": Zur Struktur des Romans

Da zu "Am Jenseits" neben einem Aufsatz Hans Wolischlägers (39) auch eine ausführliche Interpretation durch Hartmut Vollmer vorliegt, soll hier auf eine eingehende Analyse verzichtet werden. Stattdessen seien die wesentlichen Ergebnisse der beiden Arbeiten hier knapp referiert und - soweit nötig - ergänzt.

Wollschläger rückt insbesondere die formalen Qualitäten des Werks sowie seine psychologische Tiefendimension in den Vordergrund. Das Prinzip der Symmetrie bestimme nicht nur die Einteilung der vier Kapitel (mit ihren bewußt fremdartig klingenden arabischen Uberschriften (40)), sondern auch die Figurenkonstellation (Doppelfamilie Halefs und des Ghani mit jeweils drei Personen; Komplementärfiguren) und die "Handlungs-Doubletten" (41). Selbst einzelne Erzählelemente wie die Stimmenspaltung in den Visionen des blinden Münedschi oder das Bild von der Gerichtswaage "El Mizan" seien symmetrisch konstruiert. Die "Engführung und Kulmination aller Motivlinien" liege in der Sterbeszene des Persers Khutab Agha. Erstmals erreiche May hier, in "Am Jenseits", die visionäre Kraft der "große[n] Bilderrede"; in ihr ebenso wie im Handlungsablauf seien unterschiedliche Materialien biographischer, werkgeschichtlicher und mythologischer Art verschränkt (42).

Dabei sei der Rückbezug auf das bisherige Orientwerk, besonders auf dessen ersten Band, "Durch die Wüste",


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bewußt gesetzt: erneut wählt der Ich-Erzähler zum "Abschluß der Wanderstudien" (Jenseits, S.9) Mekka als Ziel. Es wird nicht erreicht und die lineare Bewegung der Reiseerzählung verwandelt sich in eine Kreisbewegung innerhalb der Wüste.

Hartmut Vollmer untersucht das Werk auf verschiedenen Lese-Ebenen und faßt dabei übersichtlich die bisherigen Interpretationsansätze zusammen, ohne zu einer neuen, umfassenderen Deutung zu kommen. Er unterscheidet drei Ebenen in "Am Jenseits": neben die eigentliche Handlungsebene trete die autobiographische und die philosophisch-religiöse Ebene. Abschließend kennzeichnet er die "Strukturmerkmale" des Romans im Vergleich "mit dem Typus der Reiseerzählung" (43) und beschreibt den "symbolisch-allegorischen Charakter des Spätwerks".

Im Anschluß an diese beiden Darstellungen und zum Teil über sie hinaus sei hier noch auf einige weitere Punkte hingewiesen, die den Stellenwert des Romans innerhalb der "Gesammelten Reiseerzählungen" bezeichnen:

1. Der Handlungsablauf zeigt einen - im Vergleich mit "Weihnacht!" besonders stark auffallenden - improvisatorischen Charakter. Das hängt einmal mit der gehetzten Entstehung kurz vor der Abreise in den Orient zusammen, läßt zum anderen aber auch experimentelle Züge erkennen. Ganz im Gegensatz etwa zu der "Turm zu Babel"-Episode aus "Im Reiche des silbernen Löwen", etwas vor "Am Jenseits" entstanden, liefert May hier nicht eine Montage aus Handlungselementen früherer Reiseerzählungen, die den Ablauf der Ereignisse mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersehbar macht. sondern er produ-


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ziert [produziert] aus der Rekapitulation neue, unverbrauchte Motive und unvorhersehbare Fortsetzungen (44).

2. Damit verbunden ist, daß nun bewußt Ereignisse und Gegenstände mehrdeutig gestaltet werden. Besonders deutlich wird dieser Neuansatz, wenn man den "Schatz der Glieder" ("Kanz el AŽ da") mit dem Schmugglerschatz aus dem "Turm zu Babel" vergleicht: glich dieser weitgehend den Räuberschätzen des Märchens, etwa aus "Tausendundeiner Nacht" (45), und ließ keine tiefere symbolische Bedeutung erkennen, so erlaubt der "Kanz el A'da", wie Hartmut Vollmer im Anschluß an Hans Wollschläger dargelegt hat, mehrere auf verschiedenen Ebenen liegende Deutungen, ähnlich wie der Teppich, in den der Schatz eingehüllt ist (biographisch, handlungsbezogen, philosophisch usw.) (46)

3. Im Mittelpunkt des Romans steht der Tod in verschiedenen Erscheinungsformen. Ursache dafür ist einmal Mays bevorstehende Orientreise, als tiefer Lebenseinschnitt (Testament!) empfunden und vorbereitet, zum anderen aber auch die krisenhafte Zuspitzung der eigenen biographischen Entwicklung ('01d-Shatterhand-Legende') und der Situation als Schriftsteller. Bereits der Titel des Romans ist mehrdeutig beziehbar: auf den Tod ebenso wie auf einen neuen Lebensabschnitt oder auf die Schwelle zur Hochliteratur, die May mit diesem "Jubiläumsband" zu überschreiten hoffte.

4. Auch die Notizen zu "Am Jenseits" belegen das stark abnehmende Interesse am Reisemuster; sie zitieren zwar Eduard Noldes "Reise nach Innerarabien", verwenden aber ebenso wie der Roman selbst nur die ersten Seiten des


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Buches als Quelle, um einige Versatzstücke der Szenerie daraus zu übernehmen (47). Ausführlicher sind dagegen besonders charakteristische oder symbolträchtige Sachverhalte/Motive in den Notizen festgehalten. Dabei ist nicht ganz klar zu entscheiden, ob die Aufzeichnungen als Gedächtnisstütze bei der Niederschrift des Werks selbst dienen sollten, oder ob sie für die geplante Fortsetzung "Im Jenseits" festgehalten wurden (48).


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Anmerkungen zu: III.1. Werke des Übergangs. Entstehung

1 Brief an Fehsenfeld, 2.5.1897; zit. nach F-R KMV "Jenseits"(XXV), N 4.

2 Zu den Stationen dieser Reise vgl. Maschke, 1973, 67-76, sowie die Nachträge dazu von Hatzig (MKMG 18-20), Wollschläger (MKMG 20), Ozoroczy (MKMG 25 f.) und Maschke selbst (MKMG 27-29) sowie das Faksimile MKMG 39.

3 Faksimile und Transkription wie Anm.1, N S-N 9.

4 Die Kritik Mays an den Titelbildern setzte bereits 1893 ein (Brief an Fehsenfeld, 26.11.1893), also kurz nach der Fertigstellung der "Winnetou"-Trilogie, mit deutlicher Abgrenzung gegenüber den Reutlinger Billigbuch-Produzenten "Bardtenschlager, Franz Neugebauer"; sie zieht sich in den folgenden Jahren kontinuierlich durch den Briefwechsel, wobei durchweg ästhetische Argumente dominieren. Für "Old Surehand" schlägt May selbst einen Zeichner vor (F-R KMF, "Surehand l"(XIV), N2-5), den er Fehsenfeld als "der 'deutsche Dorb', unstreitig der beste Illustrateur Deutschlands" vorstellt (Brief an Fehsenfeld, 17.7.1894).

5 Correggios Bild zeigt links anbetende Hirten, rechts Maria mit dem Kind; im Hintergrund Josef mit einem Esel. Das Bild, in Blau- und Brauntönen wiedergegeben, hat wie alle Fehsenfeld-Titel einen Goldrand; die Schrift (Titel und Verfasser) ist ebenfalls in Gold, blau unterlegt.

6 Brief an Fehsenfeld, 12.10.1897.

7 Brief an Fehsenfeld, 28.11.1897; zit. nach F-R KMV "Jenseits"(XXV) , N 9.

8 Vgl. Heinemann, JbKMG 1971, 259-268.

9 Brief an Fehsenfeld, 19.5.1898; Faksimile und Transkription in F-R KMV (XXV), N 14 f.

10 Ein zweites Heft wurde zwar von May noch vorbereitet und der Text dafür an Fehsenfeld übersandt, aber es ist nicht mehr erschienen.

11 Brief an Fehsenfeld, 28.5.1898.

12 Brief an Fehsenfeld, 8.7.1898.

13 Nach Roland Schmid, der sich auf Fritz Maschke bezieht, war der "einsame Ort" Kirchheim u.d.Teck (F-R KMV "Jenseits"(XXV), N 17, mit Faksimile des Briefs).


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14 Brief an Fehsenfeld, 1.10.1898. - Weitere Bemerkungen Mays zu Bildentwürfen finden sich in der Universitätsbibliothek Freiburg (Nachlaß Konrad Guenther, ohne Sign.), z.T. veröffentlicht in "inform" der KMG, Nr.21/22 Karl May in Freiburg" (1977), 12-14.

15 Brief an Fehsenfeld, 1.10.1898.

16 Fortsetzung des Briefs vom 1.10.1898 am darauffolgenden Tag.

17 Vgl. Cornaro, JbKMG 1975, 200-219, sowie Plaul, JbKMG 1978, 174-255 (bes.184-191).

18 Brief an Fehsenfeld, 7.11.1898: "Die Scenen ohne mich gewählt und schlecht ausgeführt." Das Geldverdienen sei zwar auch der Zweck der Postkarten, aber höher stehe der "Leitgedanken ( ... ), der sich durch alle meine Bücher zieht: Mein Zweck ist, meine Leser zu Gott zu führen und sie für alles Gute, Edle, Schöne und Erhabene zu begeistern. Hieran haben sich auch die Bilder zu halten."(Auch hier die einzigartige Mischung aus Geschäftstüchtigkeit, ästhetischen Erwägungen und Idealismus aus dritter oder vierter Hand).

19 Ebd.

20 Brief an Krais, 2.3.1899. May übt hier in aufschlußreicher Weise Kritik an der Engelsdarstellung in dem von ihm ausgewählten Entwurf: "Daß die starke Querfalte grad über dem Punkt liegt, den man verbirgt, und ihn also scheußlich hervorhebt, das stört ungemein; das hätte der Zeichner wissen sollen. Vielleicht tritt dies aber in der Ausführung nicht so hervor oder ist vorher noch zu ändern." (Zu Mays komplizierter Beziehung zum Geschlecht von Engeln vgl. Hatzig, 1967, 65 f.,232). Bereits am 25.11.1898 hatte May in einem Brief an die Druckerei Krais einen früheren Entwurf zurückgewiesen: die Lichtstrahlen müßten duftiger gezeichnet werden, der echte Künstler wisse nämlich "vor allen Dingen (...) daß Lichtstrahlen keine undurchsichtigen Latten oder Pfosten sind. Die Palmen sind nothwendig, weil characteristisch,

stehen aber, Allah, siehste,
grade mitten in der Wüste,
wo, das wees man hier in Sachsen,
niemals kann e Beemchen wachsen!

Ich hatte geglaubt, daß doch wenigstens das Bild dieses Jubiläumsbandes sich über das gewöhnliche Niveau etc.etc. etc. Was sieht man bei anderen Werken oft für hübsche, sogar schöne Sachen!"

21 Brief an Fehsenfeld, 28.5.1898: F. soll eine literarische Agentur verklagen, die unberechtigterweise mit May Reklame macht. Vgl auch Steinmetz/Hecker, JBKMG 1977, 218-230, über die Kontroverse Mays mit dem Prager Verleger Vilimek; die Briefe Mays ebd., 231-242.


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22 Brief an Fehsenfeld, 13.3.1899; z.T. zit. in F-R KMV "Jenseits"(XXV), N 18. - Die hohe Stillage hindert May übrigens nicht daran, am Schluß des Briefes noch einmal eine genaue Aufstellung über die bisher gedruckten Bände, "vom ersten bis zum letzten Bande Datum, Ziffer jeder Auflag und Datum, Ziffer der Honorare" zu fordern.

Anmerkungen zu: III.2. Werke des Übergangs: "Weihnacht!"

1 Neumann, 1983, 335-363; Nachdruck in: JbKMG 1987, 69-101. Die Seitenzahlen dieses Nachdrucks im folgenden jeweils in Klammern; der "Weihnacht!"-Text selbst wird jeweils nach der Erstausgabe und nach der historisch-kritischen Ausgabe (Bd. IV.21 = HKA) zitiert.

2 Wollschläger, JbKMG 1972/73, 37 f.

3 Schmiedt, 1979, 159-163.

4 Im Anschluß an Gerhard Neumanns Aufsatz hat "Weihnacht!" in den letzten Jahren ein zunehmendes Interesse gefunden. Heinz Stoltes Vortrag "Der Fiedler auf dem Dach. Gehalt und Gestalt des Romans 'Weihnacht!'" (JbKMG 1986, 9-32) ordnet das Werk in die gesamte schriftstellerische Entwicklung Mays ein und betont die strenge Komposition des Ganzen ebenso wie seine bedeutsame Stellung innerhalb der Biographie des Autors, ohne daß Stolte allerdings eine umfassende Strukturanalyse lieferte. Walther Ilmers "Weibnacht!"-Serie dagegen (JbKMG 1987 ff.), die derzeit noch im fortgesetzten Erscheinen begriffen ist, verliert sich in ihrem ersten, 1987 erschienenen Teil weitgehend in phantastisch-willkürlichen Spekulationen, die nicht nur von großer methodischer Fragwürdigkeit, sondern auch von beunruhigender Nähe, sowohl sprachlich wie inhaltlich, zur Sphäre des Trivialliterarischen gekennzeichnet sind (z.B. JbKMG 1987, S.109, 111 u.ö.).

5 Lowsky, MKMG 36 (1978), 3-16 (Zitat S.4).

6 Ebd., 5.

7 Wie Anm.1, 350 (JbKMG 1987, 89 ff.).

8 Ebd., 336 (JbKMG 1987, 70). - G. Neumanns Uberlegungen be rühren sich hier sehr eng mit Gunther Sehms Analyse von "Winnetou I", wo ebenfalls die "Geburt des Helden", aller dings in auf bezeichnende Weise von "Weihnacht!" abweichende Weise, dargestellt wird.

9 Wie Anm.1, 336 (1987, 70).

10 Ebd., 340 (1987, 74).


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11 Ebd.

12 Ebd., 341 (1987, 75).

13 Den Umschlag des "Lesens" in das "Bestehen von Abenteuern", den Neumann hier diagnostiziert, vollzieht May dann nach 1900 im "Silberlöwen III/IV" in umgekehrter Richtung: die Abenteuerhandlung wird zur Verschlüsselung für Vorgänge des Schreibens und Lesens; vgl. unten Kap. VI.

14 Wie Anm.1, 341 (1987, 76).

15 Ebd., 342 (1987, 76). - Die Übernahme der Lehrerrolle gehört zu den wesentlichen Wandlungen der "Ich"-Figur vom "Scout" (wo der ich-Erzähler als Lehrling/Schüler erscheint) bis zu "Winnetou I"; sie ist in Mays Werk nicht von Anfang an gegeben, sondern Ergebnis einer längeren Entwicklung. "Weihnacht!" bedeutet in dieser Hinsicht einen vorläufigen Endpunkt; nach 1900 steigert sich Mays Lehrerrolle ins Weltumspannend-Kosmische, er selbst wird zum praeceptor mundi bzw. Winnetou zum Welterlöser.

16 Ebd., 343 (1987,78).

17 Ebd., 348 (1987, 84).

18 Ebd.

19 H.Schmiedt weist in seiner Analyse auf die Vielfalt der Figurationen hin, stellt aber dann vor allem die Carpio-Gestalt, in ihrer völligen Hilflosigkeit ausgeprägtes Gegenbild zur "maßlosen Überlegenheit" (Neumann, wie Anm.1, 342) des Ich-Erzählers, in den Mittelpunkt seiner Analyse.

20 Schmiedt, wie Anm.3, S.160. - Carpio darf - nicht nur hier!aussprechen, wie es sich mit Mays Entwicklung wirklich verhielt; seine Aussagen über den Ich-Erzähler geben Mays Idealbiographie wieder, die Beschreibungen eines eigenen Lebens aber Mays realen Bildungsgang, soweit er sich auf die Unterhaltungslektüre und ihre Folgen bezieht.

21 Vgl. E.Asbach: Die Medizin in Karl Mays Amerika-Bänden. Düsseldorf 1972.

22 KMHb, 275.

23 Neumann, wie Anm.1, 344 (1987, 79). - Dort auch weitere Hinweise auf die "souveräne Säkularisierung des Schrift-Prinzips" in "Weihnacht!".

24 Auch die beiden 'Alten' sind komplementär angelegte Vaterbilder: Frau Hillers "alter, lieber Vater", unschuldig bis in den Tod leidend durch ungerechte Verfolgung, ist das Gegenstück zum verstockten, bösartigen alten Lachner, der das 'Kind' Carpio quält und ausbeutet.


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25 M.Lowsky, JbKMG 1978, 111-141 (Zitat S.133).

26 Peuckert, 1957, 11-15.

27 Zum Pietä-Motiv bei May vgl.I.Winter, MKMG 67(1986), 38-40.

28 Neumann, wie Anm.1, 342 (1987, 76).

29 Die Stelle ist ein Indiz dafür, daß für May bereits zu dieser Zeit der Begriff "Reiten" privates Symbol für literarische Tätigkeit/Schreiben war, abgeleitet wahrscheinlich aus einer in die Abenteuersphäre verlegten Pegasustradition; auch der Exkurs "Ein nächtlicher Ritt durch die im Mondenscheine sich dehnende Wüste" (Surehand I, 396 f.) ist möglicherweise auf das Schreiben übertragbar. Nach 1900 wird diese Metapher dann in "Am Tode" oder im Bild vom "Roß der Himmelsphantasie" (SL IV, 208 f.) strukturbestimmend: das Wettrennen am Schluß des vierten "Silberlöwen"-Bands ist ohne jeden Zweifel eine literarische Konkurrenz.

30 Daß May bevorzugt die Nacht hindurch schrieb, ist vielfach bezeugt.

31 Zum 'Realismus' in "Weihnacht!" vgl. Lowsky, wie Anm.5 S.5 f., und Roxin, JbKMG 1974, 55-63. Sowohl Lowsky wie auch Roxin weisen auf das Thema der Kommunikation in den 'späten Reiseerzählungen' (1896-1899) hin.

32 Neumann, wie Anm.28. Der Vorwurf trifft gerade auf "Weihnacht!" kaum zu, weniger noch als auf "Am Jenseits", wo immerhin Halefs Komik zu vermerken ist.

33 H. Schmiedts Analyse (wie Anm.3) stellt die Figur umfassend dar, so daß hier auf eine ausführliche Analyse verzichtet werden kann.

34 Bossinade, in JbKMG 1986, 255.

35 Wollschläger, JbKMG 1974, 165.

36 Zur Geschichte des Gedichts vgl. F-R KMV "Weihnacht!" (XXIV), A 1 - A 23; zur Entstehungszeit auf Plaul, JbKMG 1975, 175. Das Gedicht wird in Mays Werk mehrfach zitiert; Nachweise in: Deutscher Herzen Liederkranz. Zusammengestellt von Hedwig Pauler. Sonderheft der KMG, Nr. 41 (1983), 29-31.

37 Die erste Strophe paraphrasiert die Engelsbotschaft (Lukas 2,10 f.), die vierte den Lobgesang des Simeon (ebd., 2,29). - Zur Bewertung vgl. auch Stolte (JbKMG 1986, S.21): "Die Verse als solche zeugen keineswegs von einem meisterhaften poeta laureatus (...)"

38 Lowsky, wie Anm. 5.


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Anmerkungen zu: III.2. "Am Jenseits"

39 Wollschläger, JbKMG 1974, 153-171. - Hartmut Vollmer: Karl Mays "Am Jenseits". Exemplarische Untersuchung zum "Bruch" im Werk. Ubstadt: KMG-Presse 1983 (Materialien zur KM-Forschung 7).

40 Wollschläger, ebd., 165 f. - Daß diese Überschriften um 1900 selbst auf einen gutwilligen und May positiv gegenüber stehenden Leser verstörend wirkten, belegt Adolf Droops Analyse, in der ausdrücklich die arabischen Begriffe kritisiert werden: "Ich frage: wozu ist eine Inhaltsübersicht gegeben, wenn nicht dazu, daß man vor der Lektüre sich über den Inhalt des Buches orientieren kann und nach der Lektüre, wenn man etwa eine Episode, eine Person, eine Ortsbeschreibung etc. sucht, an jener Übersicht einen Führer hat? Was nützen da die arabischen Worte?" (Droop, 1909, 15).

41 Wollschläger, ebd., 156 f.

42 Ebd., 166 f.

43 Vollmer, wie Anm.39, 95 - 101.

44 Besonders eindrucksvoll das Motiv des Scheintods und der Auferstehung (Jenseits, 64 ff.; 504 ff.), ebenso die Visionen des blinden Münedschi (vgl.dazu Vollmer, ebd., 50-56) oder der Tod des Sohns des Ghani.

45 Mays Übernahmen aus "Tausendundeine Nacht" sind noch kaum untersucht; erste Anhaltspunkte bieten R.Schweikert, MKMG 63 (1985), 3-7, sowie Ch.F.Lorenz: Von der'Messingstadt' zur 'Stadt der Toten'. Bildlichkeit und literarische Tradition von "Ardistan und Dschinnistan". In: Text+Kritik-Sonderband, 1987, 222-243.

46 Vollmer, wie Anm. 39, 69-75.

47 Baron Eduard Nolde: Reise nach Innerarabien, Kurdistan und Armenien. 1892. Mit dem Bildnis des Reisenden und einer Karte. Braunschweig: Vieweg 1895. - In seinen Notizen (vgl. F-R KMV "Jenseits" (XXV), N 19) "zur Vegetation und zu den Tieren der Euphrat-Gegend" verzeichnet May nur Fakten aus den ersten Seiten des Nolde-Buchs (bis zu dessen S.32).

48 May notierte zum einen Inhaltsstichworte zu "Am Jenseits" nach Kapiteln geordnet, zum anderen aber unter einer Kapitelüberschrift, die in "Am Jenseits" nicht vorkommt, Stichworte aus Noldes Reisebeschreibung, die v.a. "Thiere" und "Vegetation" Arabiens betreffen.


Karl Mays Werk 1895-1905

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