Biarritz.
Von
Sir John Retcliffe.
(Verfasser des Romans »Sebastopol.«)
Erste Abtheilung:
Gaëta - Warschau - Düppel
Fünfter Band.
Königthum und Revolution.


Die Bärenjäger.

(Fortsetzung.)

Während dieser Zeit - die kaum fünf Minuten währte, - blieb der junge Offizier, das Gesicht in die Hände verborgen, auf dem Stein sitzen, auf den er sich niedergeworfen.
Der Abenteurer trat auf ihn zu.
»Jetzt - nachdem wir die Beweise Ihres Sieges gesichert - lassen Sie uns gehen, um zu sehen, ob noch Etwas für den armen Burschen gethan werden kann. Kommen Sie!«
Mechanisch erhob sich der Marquis - er hatte kaum die ersten Worte gehört, jedenfalls sie nicht verstanden; denn sein Geist befand sich noch immer in einem verwirrten schrecklichen Zustand durch die Selbstvorwürfe, die er sich machte. Nur der Gedanke, Tomaso durch einen glücklichen Zufall noch am Leben zu finden, ihn noch retten zu können, beherrschte ihn jetzt. Seine Schaam jedoch hinderte
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ihn, dies auszusprechen, ja überhaupt den Grafen anzureden, und er begnügte sich, diesem mit fieberhafter Eile zu folgen.
Als der Graf das Plateau verließ, sah er im Mondlicht die Büchse des Offiziers und nahm sie mit sich. Der helle Mondschein machte es ihnen möglich, ihren Weg rasch fortzusetzen. Don Juan, obschon er dieses Berg-Labyrinth noch niemals betreten, schien einen instinktartigen wunderbaren Ortssinn zu besitzen; denn ohne sich auch nur um einen Schritt zu irren, fand er den kürzesten Rückweg und es war kaum eine Viertelstunde verflossen, als die beiden Männer am Eingang der Schlucht standen, in der er mit dem Prinzen seinen Posten getauscht hatte.
Der Mond stand jetzt hoch genug, um mit seinem bleichen Schein bis auf den Grund der Schlucht zu reichen.
Don Juan ging voran. Willenlos, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, folgte ihm der Franzose.
Sie hatten etwa hundert Schritte vorwärts gethan, als sie zwei dunkle Körper dicht bei einander liegen sahen - der kleinere regte sich noch und wimmerte, - der größere lag regungslos und stumm.
Erschaudernd blieb der Offizier stehen, während sich Don Juan rasch der Stelle näherte und neben dem größeren Schatten niederkniete. Es war der Körper des unglücklichen Bräutigams.
Er untersuchte ihn sorgfältig, hob die Glieder, den Kopf empor - vergeblich, der Körper war noch warm, aber das Leben längst entflohen.
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Dann erhob sich der Graf und kam zu seinem Begleiter zurück.
»Es ist, wie ich fürchtete« sagte er, mit seinem Blick die Höhe messend, die er vorhin in wenig Minuten erklimmt hatte, - »er ist todt. Der Hirnschädel ist gespalten und beide Beine und ein Arm sind gebrochen. So ist der augenblickliche Tod denn eine Wohlthat für ihn gewesen und Señor Castillos, mein alter Freund, muß einen andern Eidam suchen!«
»Entsetzlich!«
»Que faire! Das Leben ist, wie Sie sich überzeugt haben werden, Monsieur, eine sehr unsichere Sache selbst zu andern Stunden, als denen der Schlacht oder eines Duells nach Ihrer Sitte. Erkennen Sie an, daß ich das unsere mannhaft ausgefochten habe und Sieger geblieben bin?«
»Tödten Sie mich! ich bitte Sie darum!«
»Nein!« sagte der Abenteurer mit harter Stimme. »Ihr Leben gehört mir, aber wohl verstanden Herr Marquis, Ihr Leben, nicht Ihr Tod. Sie wissen, daß ich mich anheischig machte, wenn Sie den Sieg davon trügen, fünf Jahre lang der Sclave Ihres Willens zu sein. Das Glück - ich achte den Edelmann, den Soldaten von Sebastopol und Solferino zu sehr in Ihnen, um einen anderen Ausdruck zu brauchen, - das Glück hat gegen Sie entschieden! ich fordere mein Recht!«
»Tödten Sie mich!«
»Daß ich ein Narr wäre, denn ich brauche Ihr Leben! Ihr Ehrenwort Herr Marquis, daß Sie keinen thörichten Versuch machen werden, eine Schwäche durch eine Thorheit
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auszulöschen. Ihr Ehrenwort, daß Sie nicht Hand an Ihr Leben legen!«
»Es gehört Ihnen Mylord auf fünf Jahre« sagte der Offizier mit dumpfer Resignation. »Aber Sie sind unbarmherzig und verdammen mich zu einem schrecklichen Dasein!«
»Etwas ruhigere Ueberlegung wird Sie anders denken lassen, Monsieur! Glauben Sie mir, das Leben ist zu schön, als daß man es ohne Noth und Ziel fortwerfen sollte, wie ein Schulknabe das Buch, weil die Lection ihm einmal mißlungen. Ich sage Ihnen offen, daß ich Ihr Leben brauche, - wozu, weiß ich noch nicht! vielleicht nur, um einen zuverlässigen Freund und Führer in den Salons von Paris zu finden - vielleicht zu andern Dingen! ich kenne die Zukunft nicht und will ihr nicht vorgreifen. Lassen Sie uns vergessen, was geschehen ist zwischen uns und Freunde sein!«
Er reichte ihm die Hand.
Der Marquis legte die seine auf den Rücken. »Nein« sagte er finster - »ich bin Ihr Sclave, aber nicht Ihr Freund. Befehlen Sie, Mylord, und ich werde jedes Ihrer Worte streng erfüllen, aber hüten Sie sich, die Kenntniß einer schwachen Stunde und die Gewalt über mich zu ehrlosen Diensten zu mißbrauchen; denn ich würde Rechenschaft dafür fordern, wenn die Zeit meines Sclavendienstes zu Ende ist, eine Rechenschaft, der Sie sich nicht wieder entziehen können, und bei der mein Fuß nicht zurückweichen, mein Geist sich nicht verwirren würde, wie vor dem erstickenden Athem der wilden Bestie.«
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»Ich wiederhole Ihnen« erwiderte der Andere nachlässig und stolz, »Sie handeln wie ein Thor, meine Freundschaft zurückzuweisen. Doch sei es denn, wie Sie wollen! Sie gehören in den nächsten fünf Jahren mir. So ersuche ich Sie denn, Folgendes zu thun.«
»Befehlen Sie!«
»Die Zeit kann kommen, wo ich befehlen werde, - jetzt bitte ich! Zunächst darf Niemand den wahren Hergang erfahren - ja nicht einmal meine Anwesenheit auf jenem Felsen. Haben Sie mich gehört?«
Der Marquis wies statt der Antwort nach dem Todten. »Sie werden mich sogleich verstehen. Er ist allerdings, gegen den Willen unseres Gastfreundes Ihr Begleiter gewesen, um Ihnen zu helfen, unsere Wette auszuführen, und mit seinem Beistand ist es Ihnen gelungen, verstehen Sie mich wohl, ist es Ihnen gelungen, die Bärin zu fangen und zu fesseln.«
»Sie mißbrauchen Ihre Gewalt über mich, Mylord, Sie zwingen mich zu einer Lüge, die mir meine Schmach doppelt schwer macht!«
»Ich zwinge Sie zu weiter Nichts, als zu einer Erklärung des unglücklichen Ereignisses und einer Verschweigung meines Antheils daran. Ich denke, ich bin doch wohl Herr meiner Thaten! - Meinetwegen geben Sie dem armen Burschen den Ruhm des größten Antheils und schreiben ihm das Verdienst des Sieges zu - das kümmert mich wenig. Aber mein Antheil daran muß hier verschwiegen bleiben, hören Sie wohl, er muß es.«
»Es wird geschehen!«
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»Ich habe mit dem Prinzen Bonaparte in dieser Schlucht den Posten getauscht. Ich werde ihn benachrichtigen, daß auf dem Ihren ein Unglück geschehen ist, indem Ihr Begleiter bei dem Haschen nach dem zweiten jungen Bären ausgeglitten und die Felsenwand herabgestürzt ist und werde Leute senden, den armen Burschen nach Hause zu schaffen. Bis dahin müssen Sie freilich hier die Wache halten.«
»Bei dem verstümmelten Leichnam?« sagte der Offizier schaudernd.
»Sie sind Soldat und mit dem Anblick der Schlachtfelder bekannt, wo es der Verstümmelungen hundert Mal schlimmere giebt. Ich kann Ihnen diese Wache nicht ersparen. Indeß mögen Sie eine Viertelstunde nachdem ich mich entfernt habe Ihre Büchse abfeuern und mit der Jagdpfeife, die Castillos an Alle vertheilt hat, das Signal geben, daß Sie Beistand bedürfen. Nicht weit von hier müssen ein Paar andere der Jagdgäste stehen, wenn ich nicht irre der spanische Oberst, oder mein Landsmann, Kapitain Welmore. Noch Eins! - Der Unglückliche dort darf nicht das Zeugniß der Art Ihres Kampfes an sich tragen. Wollen Sie mir helfen?«
Der Marquis machte eine abwehrende Bewegung.
»Bien! so will ich die Sache allein besorgen.« Er ging zu dem todten Körper zurück, zerschnitt die Bänder, welche noch den Strohküraß an dem zerschmetterten Leibe befestigten und nahm jene mit sich.
»So« sagte er - »dies Zeichen will ich unterwegs in eine der tiefen Klüfte werfen, die noch nie eines
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Menschen Fuß betreten hat, und somit, Marquis de la Houdinière, wird es nur an Ihnen liegen, wenn Jemand erfährt, warum jener Mann heute Nacht seinen Tod gefunden hat. Auf Wiedersehen in der Casa Castilla, die ich noch diesen Morgen verlasse.«
Mit einem leichten Gruß verließ der Graf den Platz. Der Ordonnanzoffizier des Kaisers blieb zurück.
Einen Augenblick faßte er krampfhaft die Büchse und der Gedanke, seinen Feind, jetzt seinen Herrn zu tödten, durchzuckte wohl seinen Geist. Er dachte an Theresa Legroni, das italienische Mädchen, von dem der übermüthige Abenteurer selbst erzählt, wie sie mit einer Kugel die schwere Beleidigung zu rächen und ihr Geheimniß zu wahren versucht hatte; - aber im nächsten Moment schon verwarf er den Gedanken und erinnerte sich, daß es ein feiger Mord sein würde, schlimmer als der an dem armen Tomaso.
Er wagte es nicht, nach dem zerschmetterten Körper einen Blick zu werfen, - er eilte nach dem Ausgang der Schlucht und schritt hier unruhig hin und her, das Nahen seiner Nachbarn erwartend, deren Beistand er nach der bestimmten Frist durch den Knall seiner Büchse und das verabredete Signal zu beschleunigen suchte.


Der schnelle Schritt des Grafen von Lerida trug ihn in kaum zwanzig Minuten zu dem Ort, an dem der Prinz so gefällig seinen Posten eingenommen hatte. Er fand jedoch zuerst nur den Jäger anwesend, der ihn
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bedeutete, daß sein Gebieter weiter vor zu einer Stelle gegangen war, wo man in einer Oeffnung die Eiche von Guipuzcoa sehen konnte.
In der That fand er dort den Prinzen auf einem Felsblock sitzend, das Gewehr auf den Knieen und mit Eifer das seltsame Schauspiel beobachtend, das sich wenigstens seinen Augen bot, indem er darüber ganz den Zweck vergessen zu haben schien, der ihn eigentlich in das Gebirge geführt hatte.
Don Juan berührte leicht seine Schulter.
»Ah - parbleu! Sie sind es Mylord? - Sind Sie des Wartens auf Ihre Bären und des einsamen Postens schon müde geworden und kommen Sie, um auch Ihren Theil an dem geheimnißvollen Schauspiel zu haben, dem Sie mich hier wie in einer Loge des ersten Ranges beiwohnen lassen, ohne daß ich - der Teufel soll mich holen - eigentlich recht weiß, was es bedeuten soll; denn es sieht mehr aus wie eine Art Vehmgericht oder eine Verschwörung, denn wie eine Zusammenkunft munterer Jäger!«
Er wies mit der Hand nach der Gegend der Eiche, wo allerdings ein seltsames Schauspiel sich bot.
Mit dem hellen Licht des Mondes mischte sich gespensterhaft der Schein von zwei oder drei in der Nähe der alten Eiche angezündeten Feuern. In dieser gekreuzten Beleuchtung bewegten sich um den mächtigen Baum eine Menge dunkler Gestalten, oder umgab denselben vielmehr in einem Kreise, während einzelne Männer in der Mitte unter den Bäumen standen und nach ihren Bewegungen
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zu schließen von hier aus den Kreis umher anzureden schienen. Die Entfernung war freilich zu groß, als daß auch nur ein Laut hätte bis zu den beiden Lauschern dringen können, - aber aus den lebhaften Geberden sah man, daß von erregenden wichtigen Dingen die Rede sein mußte, und der Prinz hatte durch seinen Taschenstecher erkannt, daß unter den Rednern sich wiederholt sein alter Freund, der Bärenjäger befand, sowie, daß vor dem Feuer das unter der Eiche brannte, drei bloße Schwerter kreuzweis in den Boden gesteckt waren.
»Gestehen Sie« sagte der Prinz, »sieht die Sache nicht aus, wie eine Verschwörung? Ich habe Castillos deutlich erkannt und es sollte mir leid thun, wenn er noch so thöricht wäre, in seinem Alter sich mit solchen Dingen abzugeben! Aber wer ist der Andere, der so eben spricht? Er ist voll Feuer und Leben und scheint eine Person von Bedeutung, denn Alle beweisen ihre große Ehrerbietung.«
»Es ist Don Felix Solano, der Bischof von Taragona, Prinz« erwiderte der Graf. »Ein Mann, mehr Soldat wie Priester, etwa wie vor 50 Jahren der Cardinal Ruffo!«
»Ei, und er conspirirt anscheinend wie dieser für die Bourbons!«
»Da Euer kaiserliche Hoheit nur französischer und italienischer Republikaner sind« sagte der Graf etwas spöttisch, »so kann es Ihnen wohl gleich sein, wer auf dem Thron von Spanien sitzt. Uebrigens werden Sie sich sogleich selbst davon überzeugen können, wenn Sie die Junta - denn was Sie dort sehen ist eine der alten, durch die
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Fueros meiner Nation zustehenden Volksversammlungen, - in der Nähe betrachten.«
»Bah, ich werde mich wohl hüten, meinen alten Freund Castillos zu stören!«
»Auch nicht, um ihm die Nachricht zu bringen, daß sein Eidam Tomaso verunglückt und seine Nichte Wittwe ist, noch ehe sie zur Frau wurde?«
Der Prinz wandte sich erschrocken um. »Um Himmelswillen, Mylord, was sagen Sie da? was ist geschehen? wo ist der Marquis?«
»Unverletzt! Er ist bei dem Todten, bis Beistand herbeikommt. Der Kapitain de la Houdinière hat Glück gehabt, und ich bin geschlagen. Es ist ihm und seinem Assistente Tomaso gelungen, einen Bären zu überwältigen und zu fesseln. Man wird sie auf dem Anstand finden, den ihm Castillos angewiesen hatte. Aber indem der arme Tomaso auch noch eines der Jungen der Bärin fangen wollte, ist er mit diesem dem Abhang der Felswand zu nahe gekommen und in den Abgrund der Schlucht zu meinen Füßen niedergestürzt, indem er sich an dem Gestein den Kopf und die Glieder zerschmetterte. Sie sehen Monseigneur, daß ich Ihnen ein sehr unangenehmes Schauspiel erspart habe.«
Der Prinz war sehr bestürzt. »Die arme, arme Frau!« rief er voll Theilnahme. »Und der Mann ist gänzlich todt?«
»Es wär' ein Wunder, wenn er einen Sturz von mehr als dreißig Metres überlebt hätte!«
»Mylord« sagte der Prinz ernst und faßte den Arm
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des Grafen, »und Sie haben in der That Nichts mit dieser unglücklichen Sache zu thun?«
»Wie sollte ich? Der Marquis wird es Ihnen bestätigen. Aber es ist unnöthig, daß Señor Castillos überhaupt erfährt, daß wir unsern Posten gewechselt hatten, und deshalb bin ich gekommen, Sie zu bitten, ihn von dem Unglück zu benachrichtigen, indeß ich sofort nach der Casa eile, um durch den Priester die arme Frau vorbereiten zu lassen. Der Kapitain hat übrigens bereits versucht, seine andern Nachbarn zu allarmiren.«
»Aber darf ich es wagen, unsern Wirth in jener Versammlung aufzusuchen?«
»Caramba, für was wären Sie denn kaiserlicher Prinz? denen ist Vieles gestattet, was wir Andern nicht thun dürfen. Doch hat man, glaube ich, Posten ausgestellt, und die könnten Sie allerdings hindern, bis zu Castillos zu dringen. Für diesen Fall will ich Euer kaiserlichen Hoheit, da ich doch Ihr Versprechen des Schweigens schon habe, das Paßwort sagen.«
»Thun Sie es immerhin!«
»Nun denn - es heißt: Triest!«
»Ah - ich begreife, - jetzt der Sitz der spanischen Bourbons. Teufel - ich sehe schon, wenn mein Herr Vetter in Paris eine Ahnung davon hätte, er würde verteufelt die Ohren spitzen!«
»Und ich will noch keineswegs dafür bürgen,« sagte der Abenteurer, »daß sie nicht bis hierher reichen. Es giebt keine Conspiration, in der sich nicht auch Verräther fänden. - Aber Monseigneur, lassen Sie uns Beide unsere traurige
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Aufgabe erfüllen, damit der arme Marquis von seiner unangenehmen Wache erlöst wird. Auf Wiedersehen, mein Prinz!«
Ehe dieser noch weitere Einwendungen machen konnte, war Don Juan verschwunden.
Es war dem Prinzen zwar sehr unlieb, der Ueberbringer einer so unglücklichen Nachricht zu sein, indeß fühlte er zu lange und warme Freundschaft für den alten Bärenjäger, um nicht die Sache als eine Pflicht zu betrachten. Ueberdies bedachte er, daß der unglückliche Vorfall nicht verfehlen könne, auf der ganzen Postenkette der Jäger Alarm zu machen, und daß dadurch leicht Personen herbeigezogen werden könnten, für deren Augen die Junta um die Eiche von Guipuzcoa noch weniger bestimmt wäre, als für die seinen.
So befahl er denn seinem Jäger, einstweilen seinen Posten einzunehmen, und machte sich dann, nachdem er sich gehörig über die Richtung orientirt hatte, auf den Weg, um seinen Gastfreund aufzusuchen.
Die Wanderung in der Nacht durch das öde wilde Gebirge war grade keine angenehme, und der Prinz brachte mehr als eine halbe Stunde dabei zu, ehe es ihm gelang, das Plateau der Eiche wieder zu Gesicht zu bekommen und sich ihm zu nähern. Er hatte jedoch kaum einen zu der Höhe führenden Fußweg betreten, als ihm der Ruf Alto! entgegenscholl und er im Mondlicht einen Flintenlauf blitzen sah, der sich über ein Felsstück hinweg gegen ihn richtete.
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»Was wollt Ihr? wer seid Ihr? gebt das Paßwort oder ich schicke Euch eine Kugel durch den Kopf!«
»Ich muß Señor Castillos sprechen« entgegnete der Prinz. »Hier ist das Wort: Triest!«
»Muy bien! Passirt weiter!«
Der Prinz schritt an dem Posten vorbei, einem Landmann, der mit Flinte und Messer bewaffnet war und ihn mißtrauisch anblickte. Der Anruf wiederholte sich noch einmal und dann näherte sich der Prinz dem dichten Kreise von Männern, der den Raum um den Baum umgab.
Nun zeigte sich ihm das volle Schauspiel.
Vor der Eiche standen die drei Männer, die er vorher bemerkt hatte, einer derselben war der Bärenjäger Ramiro, der zweite der Bischof von Tarragona, der dritte ein Greis von 70 Jahren in einfacher ländlicher Tracht mit der Chapela, dem baskischen Baret, die Faja, die spanische Leibbinde um den Leib geschlungen. Trotz dieser einfachen Kleidung lag Etwas in seinem Wesen, das den ehemaligen Soldaten und den Mann bekundete, der gewohnt gewesen sein mußte, zu befehlen.
Eine dicht gedrängte Menge horchte den Worten, die eben der Bischof an sie richtete.
Der Prinz wollte es nicht wagen, den Kreis gewaltsam zu durchbrechen, auch fesselte ihn einigermaßen die Neugier. Denn obschon der Redner in der baskischen Sprache die Versammelten anredete, die von der spanischen sich sehr bedeutend unterscheidet, konnte er doch einzelne Worte verstehen, und der Ausdruck, die feurige begeisterte
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Miene, die erregten Geberden, mit welchen der Prälat sprach, ersetzten ihm das Wortverständniß.
»Escalduni, Männer von reinem Blut« sagte derselbe mit erhobener Stimme, »sollen wir denn noch länger zusehen, wie die Saat des Verräthers Maroto1 ein Volk um seine Rechte kürzt, welche unsern Vätern vor Jahrhunderten verbrieft waren und die keiner der rechtmäßigen Könige Spaniens anzutasten gewagt hat? Wo sind Eure Fuero's, die verboten, daß ein Soldat oder ein Zollbeamter seinen Fuß über Eure Gränzen setzte, während jetzt der Verräther in jedes Haus dringt! Wo sind die Harmandadas2 von Alava, die Alcaldias von Biscaya und Guipuzcoa, wo Eure freien Juntas unter der heiligen Eiche von Guernia, die Juntas von Vit[t]oria, Ospetia und Ascoitia, die den Deputado-Generale wählten, der Euch vor allen Lasten und Forderungen zu schützen verstand! Aus dem Señor de Biscaya3 ist eine Königin geworden, die Eure Rechte mit Füßen tritt und mit feilen Höflingen und Weibern den Schweiß Eurer Arbeit in Madrid vergeudet. Während in alten Zeiten kein königlicher Scherge, kein Beamter, den nicht die Junta gewählt, den Fuß über Eure freien Gränzen zu setzen wagte, ohne vogelfrei der Hand jedes freien Mannes verfallen zu sein, ist das Land jetzt mit diesen Blutsaugern überschwemmt. Handel und Wohlstand sind untergraben. Mit einer Hand beraubt man die Kirche
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ihrer Güter und mit der andern füttert man gierige Mönche und vom Teufel besessene Betrügerinnen, die das klösterliche Gewand schänden. Und mit welchem Recht sitzt jenes Weib auf dem Thron, den ihre wollüstige Mutter von der Schwäche König Ferdinands erschwindelt? Wissen wir nicht Alle, daß er auf dem Todtenbett diesen Akt der Ungerechtigkeit und Intrigue, die pragmatische Sanction, widerrufen hat, welche den rechtmäßigen Erben vom Thron Spaniens ausschloß, König Karl, für dessen Rechte die meisten von Euch ihr Blut vergossen haben? Schon einmal hat das baskische Volk den Kampf für den legitimen Thron aufgenommen gegen Willkür und Verrath. Gott wollte es nicht, daß wir damals siegten; denn jene beiden Nationen, von denen Spanien stets das Unheil gekommen ist und der Verrath - England und Frankreich, sie die zuerst die Legitimität der Throne in Europa erschütterten und das Beispiel des Königsmordes gaben, - sie traten auch hier auf die Seite der Ungerechtigkeit und überflutheten das arme Baskenland mit dem Auswurf ihrer Armeen. Die Fahne des Rechts sank, der Vertrag von Bergara hat das vergossene Blut nutzlos gemacht und unser König ist in der Verbannung gestorben.
Ist es besser geworden mit uns? Der Molch hat den Molch geboren! Auf die schamlose Christine, die Zucht und Ehre mit Füßen trat, sich in die Arme der Feinde unseres Glaubens warf, die Schätze Spaniens ins Ausland schleppte und um eines Muñoz willen vom Thron Karls V. zum Bett eines Gardisten hinabstieg, - folgte die würdige Tochter, verderbt durch den Frevel der Mutter
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schon als Kind, in den Händen der Parteien, das Weib eines Schwächlings, und die Maitresse eines Küchenjungen, nicht voll Glauben, sondern voll des obscönen Aberglaubens, ein Spielwerk der Parteien, die das Land ruiniren und das Reich, in dem einst die Sonne nicht unterging, zum Spott der Länder gemacht haben! Wo sind Eure reichen Kolonieen, Ihr Indiano's, die Eure Väter über dem Meer gewannen? Wo sind die Eroberungen eines Columbus, Cortez und Pizarro? Die Inglese haben Euren Handel vernichtet und die Gavacchos Eure Kirchen und Paläste geplündert. Selbst das Amt des Schützers der heiligen katholischen Kirche hat uns der Franzose genommen und das stolze Spanien ist ausgestoßen aus der Reihe der großen Nationen!«
Ein Schrei der Wuth war die Antwort der wilden Männer.
»Und wollen wir die Gelegenheit vorübergehen lassen« fuhr der Redner begeistert fort, »die Europa jetzt uns bietet? Isabella ist aufs Tiefste dem Volke verhaßt, überall regt sich der Aufstand. Englands Macht ist gelähmt durch seine Kriege in Rußland und Indien, Frankreich ist bewacht von der Eifersucht der Nationen und darf keine neue Invasion wagen. In Italien läßt ein Bourbone die Fahne der Legitimität von den Wällen Capua's wehen und fesselt die Macht Sardiniens an diese Stätte. Waffen lagern an der Küste - der Sohn unseres rechtmäßigen Königs, jetzt unser König, ist bereit, mit seinen Brüdern sich an die Spitze zu stellen, sobald wir ihn rufen. Cabrera, der Löwe von Tortosa, hat sich willig
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erklärt, an die Spitze der königlichen Armee zu treten. Nur eines festen Entschlusses, nur eines Rufes an seinen legitimen König bedarf es, und der usurpirte Thron stürzt zusammen und Spanien feiert seine Auferstehung!«
Der Enthusiasmus, den die Rede erregte, war um so bedeutungsvoller, als der Ausdruck der Aufregung wenig in dem Charakter des baskischen Volkes liegt. Viele Männer drängten ungestüm in den Kreis, schlugen die Waffen zusammen, küßten dem kriegerischen Prälaten Hand und Kleid, und verlangten, daß der Tag der carlistischen Erhebung bestimmt werde. Andere zauderten jedoch und sprachen dagegen.
Diese Bewegung benutzte der ehrgeizige und kühne Prälat, das Eisen zu schmieden, indem es heiß war. Sofort wurde ein Baumklotz vor das Feuer gerollt und aufgestellt. Man breitete Papier darauf aus, brachte Dinte und Feder zum Vorschein und forderte die Angesehensten der vier Provinzen auf, die Einladung an den Grafen Montemolin und seine Brüder, sich an die Spitze eines nochmaligen Aufstandes zu stellen, zu unterschreiben.
Plötzlich ließ sich in der Menge der Ruf hören: »Laßt den Padre Cura sprechen! Laßt den Bruder des Ohm Ti reden!«
Die Menge öffnete sich und auf einen Stock gestützt schritt von zwei Mutils4 geführt ein alter Priester zu dem Baum.
Es war in der That der Bruder des großen baskischen
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Helden Zumala-Carregui, der vom ganzen Lande hochverehrte Pfarrer von Ormastegui, dem Geburtsort des Generals.
Der Pfarrer, der in Folge eines Fußleidens nur mit Mühe ging, sonst aber noch ein lebhafter alter Mann war, schüttelte die langen weißen Haare aus dem Gesicht und ließ seine noch immer feurigen Augen über die Menge gleiten. Jedermann wußte, welchen großen Antheil er an der Erhebung von 1833 genommen und wie er Beichtstuhl und Kanzel dazu benutzt hatte, die Begeisterung dafür zu schüren. Sein Wort mußte daher von großem Einfluß sein, und der Prälat, der darauf hoffte, sah mit Erstaunen, daß Castillos eine unwillige Bewegung machte und die Achseln zuckte, als wisse er besser, was kommen werde.
Der alte Cura oder Pfarrer hatte jetzt den Platz am Feuer erreicht, wo er von den Führern der Versammlung mit einer gewissen Ehrfurcht begrüßt wurde. Der Name Zumala-Carreguy übt noch immer seinen Zauber auf jeden Basken.
Der Bischof trat dem Greis entgegen mit der Feder in der Hand und wollte sie ihm reichen.
»Würdiger und verehrter Bruder in Christo« sagte er, »es wird gewiß unserer heiligen und gerechten Sache von größtem Nutzen sein, wenn ein Name an der Spitze dieses Blattes steht, von dem Jedermann in Spanien, ja in der Welt weiß, daß er den treuesten Kämpfern für den rechtmäßigen Thron gehört.«
»Wollen Sie, Señor obispo« sagte der alte Mann,
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»bevor ich die Ehre annehmen kann, die Sie mir erzeigen, mir gestatten, einige Worte an meine Landsleute zu richten?«
»Wir werden Sie Alle mit Freuden hören!«
Der Pfarrer wandte sich auf seinen Stab gestützt an die lauschende Menge.
»Freunde! Landsleute! Escalduni!« sagte er mit kräftiger Stimme, die man kaum noch in dem alten, von den Jahren, den Leiden und den Sorgen gebeugten Körper gesucht hätte. »Ich sehe manchen alten Freund in Euren Reihen, mit dem mein Bruder und ich zusammen gestanden in dem großen Kampfe der baskischen Nation für den rechtmäßigen König Spaniens. Aber auch unter Denen, die damals Knaben waren, als Männer schlugen und litten, ist wohl Keiner, der einen meines Stammes der Feigheit und des Verrathes an unserem Vaterland fähig halten wird!«
»Niemals! niemals!« klang es stürmisch durch den Kreis.
»Nun denn, bei diesem Vertrauen, das Ihr mir schenkt, bei der Liebe zu meinem Vaterland sage ich Euch, opfert nicht leichtsinnig das Blut seiner besten Söhne einem Unternehmen, das keine Aussicht auf Erfolg hat, das jetzt ein Frevel gegen Gott und Menschen geworden ist!«
Ein athemloses Schweigen, eine schwere Erstarrung lag auf der ganzen Versammlung bei dieser unerwarteten Wendung der Rede. Der Bischof wollte heftig dem Redner ins Wort fallen, aber der Dritte, der alte Soldat, der bisher noch nicht gesprochen, faßte seinen Arm.
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»Ruhig, Señor Obispo«5 sagte er, »der Cura hat vielleicht Recht. Jedenfalls wollen wir ihn hören!
»Männer des Baskenlandes!« fuhr der Greis unerschrocken fort. Als wir im Jahre 1834 die Fahne des Aufstandes erhoben, da geschah es für den König, den man um sein Recht betrogen, für die Kirche, die man beraubte, für unsere heiligen verbrieften Rechte, die man uns genommen. Unsere heilige Pflicht war es, für diese unser Blut zu vergießen und treu haben wir zu dem rechtmäßigen Monarchen gestanden, bis er selbst sich und uns verließ. Ich will Euch nicht sprechen von den Leiden, die wir damals erduldeten, nicht blos von dem Schwert unserer Gegner, sondern von dem Leichtsinn, der Thorheit und dem Undank Dessen, für den wir in erster Reihe unser Blut und Gut opferten. Ränkesüchtige und verdorbene Höflinge, tyrannische Priester, feile intriguante Weiber und jene Schaar gieriger Ojalatero's6 waren es, die das Land regierten und den tapfern Soldaten darben ließen, während sie schwelgten. Da zog Gott seine Hand ab von unserer Sache, und wir, die bisher gesiegt, wurden die Besiegten. Nicht der Verrath Maroto's war es, der den Vertrag von Bergara schloß, sondern die Feigheit des Königs, der bei Elorio floh, war es, die ihn erzwang.
Das Königthum hat nicht blos Rechte, es hat auch Pflichten. Soll das Volk sich für den König opfern, so muß der König dessen würdig sein. Ueber den Königen
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steht noch das Vaterland! Fünfzig karlistische Führer haben bei Bergara, als der König seine eigene Sache verlassen, gethan, was sie thun mußten, um das Land zu retten, und ich weiß, daß mein Bruder eben so gehandelt hätte, wenn Gott ihm nicht die Schmach erspart. Das Baskenland bedarf der Ruhe, um jene Wunden zu heilen, die noch nicht geschlossen sind. Wollt Ihr sie aufs Neue aufreihen? Mit welchem Recht und für wen? Für einen Prinzen, der niemals unser König war? Für Prinzen, die - es ist noch kein Jahr vergangen, - feig ihre Rechte abschworen und mit dem Blut ihrer Freunde ihre eigene Rettung erkauften? Gott ist nicht mehr mit dem Königsgeschlecht Spaniens, Laster und Thorheit sitzen auf dem Thron, Feigheit und Unfähigkeit haben das Regiment! Wohlan - so laßt uns das von Gott als entartet bezeichnete Geschlecht aufgeben, und allein an das Vaterland denken. Ich sage es Euch, ein Greis, das Bourbonen-Geschlecht, das gegenwärtig den Thron entehrt, wird ihn eben so verlieren, wie das, was unfähig war, ihn zu wahren, auch ohne unser Zuthun. Unsere Kraft, unser Blut gehört dem Vaterland, nicht einem entarteten von Gottes Hand verlassenen Geschlecht. Nicht ich will meine Hand leihen zu neuem unnützen wortbrüchigen Kampf. Und wenn meine Warnung auch nur das Wort eines armen, unbedeutenden Priesters ist - dort« - er wies nach dem Dritten der Leiter, - »steht Einer, an dessen Treue und Ehre und baskischem Herzen noch Niemand gezweifelt, ihn, den alten Waffengefährten meines Bruders - fragt, fragt den
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General Bartolomeo Yturbe,7 ob ich als ein Freund des Vaterlandes, oder als ein Verräther an ihm gesprochen habe!«
Die Aufregung, die Verwirrung, welche diese unerwartete Warnung aus so geachtetem Munde hervorbrachte, war unbeschreiblich. Der Bischof war außer sich, umsomehr, als der General sich in ein strenges Schweigen hüllte. Er wollte dem alten Pfarrer heftige Vorwürfe machen, aber dieser hatte sich sofort nach Beendigung seiner Rede fortführen lassen und befand sich bereits wieder im Kreise seiner Anhänger, wohin Don Felicio ihn nicht zu verfolgen wagte. Er wandte sich daher zu Castillos und dem General, der schweigend und nachdenkend an dem Stamm der Eiche lehnte, hinter welcher der Prinz dem Auftritt beigewohnt hatte.
»Dieser verdammte alte Narr« sagte der Bischof sehr ungeistlich und zwar in französischer Sprache, um nicht etwa von einem der nahen Männer untergeordneten Ranges gehört zu werden, - »dieser Mann droht uns die ganze Sache zu verderben, nachdem die Begeisterung so gut im Zuge war. Wer zum Teufel lud ihn hierher?«
»Ich!« sagte der General.
»Unmöglich! Sie, Señor Generale - Sie, einer der tapfersten und treuesten Heerführer des verstorbenen Königs? - oder Sie haben sicher die Gesinnung dieses alten Verräthers nicht gekannt!«
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»Sie irren, hochwürdigster Herr« sagte der alte General. »Der Pfarrer Zumala-Carreguy ist kein Verräther an der guten Sache, dafür bürgt schon, wie er selbst sagte, sein Name. Aber ich habe auch seine Gesinnung gekannt, und als ich Ihre Einladung zu dieser Junta erhielt, wünschte ich, daß Sie aus einem allgemein geachteten Munde offen jene Gesinnungen hören möchten, welche gegenwärtig wohl der größte Theil meiner baskischen Landsleute hegt. Was der Cura von der heillosen Wirthschaft des alten Hofes gesagt, ist leider nur zu wahr, ja noch viel zu wenig. Niemand kann das besser wissen wie ich, da ich vielleicht der Einzige war, der dem König die Wahrheit zu sagen wagte, freilich ohne Erfolg. Es ist ein Geschlecht, was Nichts gelernt hat im Unglück, und Nichts vergessen aus seinem Glück. Und was wollen Sie Señor Obispo? Der König ist seit 5 Jahren todt, der Graf von Montemolin und sein Bruder haben sich durch ihre Erklärung in Tortosa am 23. April für uns unmöglich gemacht.«
»Sie wissen wohl, daß diese von den beiden Gefangenen erzwungen und schon am 15. Juni von Köln aus durch den König zurückgenommen wurde!«
Der General lächelte verächtlich. »Die Feigheit und Ehrlosigkeit dieser Entsagung löscht kein Widerruf aus. Ihr eigener Neffe, Señor, der tapfere Ortega starb für ihn, und der Graf von Montemolin hatte nicht einmal den Muth, es darauf ankommen zu lassen, ob seine Base Isabella es wagen würde, ihn zu tödten. Caraï! sein Blut wäre das eines Märtyrers gewesen und hätte alle
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Sünden seiner Familie gesühnt. Corpo de dios! ich mag mit Leuten, wie Ihr Graf Montemolin Nichts zu schaffen haben.«
Der Bischof biß sich auf die Lippen. Die hartnäckige Verweigerung des königlichen Titels, die der alte Carlist dem Sohne seines Königs, für den er gekämpft und geblutet, entgegensetzte, zeigte ihm, wie tief das Ehrgefühl des alten Soldaten durch das feige Benehmen der beiden bourbonischen Prinzen verletzt worden war. »Aber« sagte er endlich, - »König Carlos hatte einen dritten Sohn!«
»Ah - es ist wahr! Don Juan de Bourbon. Aber was hat er gethan, daß dieses Land noch einmal sein bestes Blut hingeben und alle die alten erst halb verharschten Wunden aufreißen soll?«
»Er ist der Einzige, der unser altes Königsgeschlecht fortgepflanzt« erwiderte mit Erbitterung der Prälat, »denn Sie werden den jämmerlichen Bastard der Königin Isabella mit dem Küchenjungen Marfori doch nicht für den legitimen Erben der ältesten Krone der Christenheit halten?«
»Erkennt ihn doch der Herzog von Montpensier, sein Onkel, an!«
»Nein« sagte der Prälat heftig, »das thut er nicht! Wir haben noch nicht Zeit gehabt, Ihnen die Beweise vorzulegen. Aber hier, Señor Castillos kann Ihnen sagen, daß ich ihm den Brief gezeigt, worin der Schwager Isabellens die legitime Geburt des Prinzen von Asturien leugnet und sich zu Gunsten der Söhne und Enkel des Königs Carlos erklärt.«
Der unwillkürliche Zuhörer dieser Unterredung hinter
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dem Stamm der Eiche machte eine Bewegung der Ueberraschung. »Pardieu!« murmelte er - »mein Vetter Louis würde viel darum geben, an meinem Platz zu sein, um die Füchse von Orleans pfeifen zu hören! Diese guten baskischen Herrn scheinen mir verdammt leichtgläubig! - Aber hören wir weiter, da es sich doch einmal nicht ändern läßt!«
Er hatte sich doch getäuscht in seiner Annahme. Der alte General Yturbe schüttelte den grauen Kopf. »Ich traue dem Orleans nicht« sagte er. »Er sucht nur mit unserer Hilfe eine Umwälzung herbeizuführen, um bei der Gelegenheit selbst im Trüben zu fischen. Er spielt mit dem Intriguanten Prim unter einer Decke. Aber selbst angenommen, er meinte es ehrlich - dieser Infant Don Juan hat noch mit Nichts bewiesen, daß er fähig ist, sich an die Spitze einer Revolution zu stellen, die den Thron von Spanien an seine Familie zurückbringt!«
»Er hat es!«
»Ihr Wort in Ehren, Señor Obispo - aber ich fordere Beweise, daß wir nicht wieder nutzlos geopfert werden sollen!«
»Hören Sie mich an General. Die beabsichtigte Erhebung steht nicht allein. Es ist der letzte Kampf, den das legitime Königsthum in Europa, repräsentirt durch seine ältesten Vertreter, die Bourbonen, versucht. Auf sie hat sich vor Allem jener Haß der Revolutionaire und der Freigeister geworfen, die jetzt die Throne Europas umstürzen. Die Vertreibung des Königs von Neapel, der Herzöge von Parma, Modena und Toscana muß endlich
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den andern Monarchen Europas die Augen öffnen und ihnen zeigen, was sie zu erwarten haben, nachdem sie die Legitimität in Frankreich opferten. Sie fühlen, welchen Fehler sie damals begangen, und werden bereit sein, ihn gut zu machen. Eine große Coalition bereitet sich vor unter den europäischen Mächten, den Bourbonen wieder zu ihrem Recht zu helfen, und selbst der Kaiser Napoleon wird sich nicht weigern, ihr beizutreten, wenn er durch eine bourbonische Verbindung die Zukunft seines Sohnes sichern kann. Unsere eigene Landsmännin, die Kaiserin Eugenie, ist bereits für diese Idee gewonnen.«
»Diese Politik ist mir zu hoch« sagte ehrlich der alte General. »Ich war von jeher ein schlechter Diplomat. Zeigen Sie mir, ob eine Aussicht vorhanden ist, daß eine nochmalige Erhebung der Basken gelingt, und ich werde vielleicht meine Meinung ändern. Aber dazu fehlt Alles, Soldaten, Geld, Beistand!«
»Was sagen Sie zu 12 Millionen Dollars?«
»Dollars?«
»Ja - gutes amerikanisches Gold! Der amerikanische Gesandte in London bietet sie dem Infanten Don Juan zu dem Unternehmen.«
»Und der Preis?«
»Die Ueberlassung von Cuba!«
»Caraï! dachte ich's doch. Es sollte mich wundern, wenn die Herren in London nicht auch Ceuta und Tanger forderten, um sich mit den Säulen des Herkules zu arrondiren! Doch die zwölf Millionen Dollars schaffen uns noch keine Armee![«]
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»Die Königin Isabella selbst wird sie uns leihen! Glauben Sie, daß auf der Flotte und unter den Truppen der Usurpatorin die Millionen keinen Einfluß haben werden? Ueberdies ist der ganze Süden Europa's augenblicklich mit einer Menge Freiwilliger und Abenteurer überschwemmt, wie noch nie. Der König von Neapel hat seine Schweizer und fremden Regimenter zu seinem Unglück aufgelöst, und wenn ihm auch ein Theil nach Capua8 gefolgt ist, so ist doch die größere Hälfte dienstlos. Die päpstliche Armee ist bei Castelfidardo geschlagen, nach den neuesten Nachrichten Ancona genommen - die Armee ist aufgelöst, die Gefangenen werden über die Gränzen geschafft. Es bedarf nur einer Gelegenheit, eines Aufrufs, einer Aussicht auf Erfolg, und Sie werden zwanzigtausend tapfere Soldaten diesseits der Pyrenäen haben, bereit für die Legitimität ihr Blut zu verspritzen. Waffen liefert uns der Krämergeist Englands, selbst gegen seine eigenen Interessen. Die erste Schiffsladung ist bereits an der Küste von Biscaya gelandet und trotz aller Spürer von Madrid wohl geborgen; ich selbst habe Sorge dafür getragen, und wenn nicht ein unglücklicher Zufall oder vielmehr die Thorheit und Leichtfertigkeit eines Vertrauten des Infanten dazwischen getreten wäre, konnten wir vielleicht in drei Tagen schon die Fahne des legitimen Königthums aufpflanzen und gegen Madrid marschiren.«
»Und wie heißt der Verräther?«
»Kein Verräther Señor Generale« sagte der alte Bärenjäger, »sondern nur ein Tollkopf, dem der Eindruck
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des Augenblicks und seine eigenen Lüste über seine Pflichten gehen und den Verstand umnebeln. Es ist der Sohn unsers alten Freundes des Corregidor von Irun.
»Des Grafen von Lerida?«
»So ist es! Sie erinnern sich, daß der Graf, der in seiner Jugend ein schöner Mann war und am Hofe von Madrid eine Rolle spielte, nach dem Bruch mit seiner alten Flamme, der Gräfin von Teba, der Mutter der jetzigen Kaiserin von Frankreich, zu Anfang der Unruhen eine junge Engländerin heirathete, die er nach Ausbruch des Krieges nach London zurücksandte, wohin sie ihren Knaben mit sich nahm. Es ist dieser Juan, Graf oder Lord von Lerida, halb Spanier, halb Engländer, der nach dem Tode seines Oheims, des Lord von Heresford, ein sehr großes Vermögen geerbt hat und jetzt seinen Launen lebt. Er weigerte sich, an der Junta Theil zu nehmen, aber er hat seinen Posten keine halbe Legua von hier.«
»Ich bedauere, daß ich dies nicht früher erfahren« sagte der Bischof eifrig. »Ich muß ihn sprechen; denn bei all' seiner Thorheit ist er ein verschlagener und unternehmender Kopf!«
Der alte Jäger lächelte. »Ihnen eben, hochwürdigster Herr, scheint er aus dem Wege gehen zu wollen!«
»Aber doch hoffentlich nicht mir« sagte der General. »Ich habe ein Vermächtniß seines Vaters, das vielleicht von Wichtigkeit ist für ihn - ein versiegeltes Packet Briefe. Er vertrauete es mir kurz vorher, eh' er in die Hände der Christino's fiel und Espartero ihn erschießen ließ, man sagt auf den heimlichen Befehl der Königin Christine, zu
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deren ersten Günstlingen er doch früher gehört haben soll! - Aber Señores, wir vergessen über den jungen Mann ganz, um was es sich hier handelt. Wenn Alles wahr, was Sie uns gesagt, Señor Bischof, bin ich nicht abgeneigt, meinen Namen mit unter den Brief zu setzen. Wir müssen suchen, den Streit zu vermitteln, und die Gemüther wieder zu beruhigen. Lassen Sie uns unter die Männer gehen und ihre Meinung hören und beschwichtigen!«
Der alte General schritt nach den Worten geradeaus unter die Gruppen, die einzeln beriethen. Auch der Bischof und der alte Bärenjäger hielten es für das Zweckmäßigste und wandten sich nach verschiedenen Seiten. Als aber der Letztere dabei an dem Prinzen vorüberging, hielt es dieser für dringend geboten, die Gelegenheit zu ergreifen. Er berührte den Arm des Basken und winkte ihn zur Seite.
»Hierher Ramiro - ich muß Dich sprechen!«
Der Bärenjäger sah erstaunt um, er konnte den Prinzen nicht gleich erkennen, weil dieser sein Gesicht im Mantel verborgen hielt, aber die Stimme machte ihn stutzen.
»Wer ist es, der mich anspricht?«
»Still! kennst Du mich nicht?« - Der Prinz öffnete den Mantel.
Ein wilder Fluch entfuhr halb dem Munde des Basken und er griff unwillkürlich mit einer drohenden Geberde nach dem Messer in seinem Gürtel.
»Corpo de dios! Sie hier, Prinz! Wie kommen Sie hierher? Sie sind des Todes, wenn man Sie erkennt, und ich selbst müßte ...«
»Sei kein Thor, alter Freund« sagte der Andere.
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»Du kannst Dir denken, daß ich nicht ohne Ursach' Dich störe, und wenn Du meiner Ehre nicht Verschwiegenheit zutraust, so erinnere Dich wenigstens, daß ich das Baskische nicht verstehe.«
»Aber bei der gesegneten Madonna, was wollen Sie hier? Wie kamen Sie durch die Wachen?«
»Mit dem Paßwort, das mir der Graf von Lerida gegeben!«
»Der Unsinnige! wo ist er?«
»Fort nach dem Caserio, um Hilfe zu suchen!«
»Hilfe? zu was?«
»Ich denke, einen Arzt! Es ist ein Unglück passirt!«
»Ein Unglück? Sprechen Sie Altezza! Der französische Offizier - ich fürchtete es fast!«
»Nein, Kapitain de la Houdinière ist unverletzt. Aber ...«
»Reden Sie!«
»Dein halber Schwiegersohn, Freund Castillos - der Mann der hübschen Ines ...«
»Er ist zu ihr zurückgekehrt!?«
»Nein, - ich fürchte, er liegt todt oder lebensgefährlich verletzt von dem furchtbaren Sturz in der Schlucht, die Du mir zum Anstand auf die Bären angewiesen!«
Ein Ausruf des Schreckens entfuhr der Brust des Alten. »Tomaso?«
»Er ist, glaub' ich, zu dem Offizier zurückgekehrt, um mit ihm auf die Bären zu lauern, und hat das Unglück gehabt, bei dem Kampf mit der Bestie von der Felswand zu stürzen.«
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Der alte Jäger stieß ein tiefes Stöhnen aus und begrub das Gesicht in seine harten, schwieligen Hände.
»Was gedenken Sie zu thun, Freund? Wollen Sie nicht nach der Unglücksstelle kommen?«
Der Baske erhob sein Haupt. »Wissen es die andern Jäger bereits?«
»Ich glaube! - Die verabredeten Signale um Beistand sind gegeben. Kapitain de la Houdinière ist bei dem Todten. Ich selbst eilte hierher, um Dir die traurige Nachricht aus Freundesmund zu bringen.«
Castillos zögerte nur einen Augenblick. »Ich danke Ihnen Hoheit« sagte er dann rasch und ernst, »und bitte Sie, auf den Posten Don Lerida's zurückzukehren und Alle, die herbeikommen, dort zurückzuhalten. In einer Viertelstunde bin ich bei Ihnen, um die traurige Pflicht zu erfüllen. Gehen Sie jetzt, aber geben Sie mir zuvor Ihr Wort, daß, was Sie auch hier gesehen oder gehört haben mögen, Nichts davon über Ihre Lippen kommt, bis ich Sie Ihres Schweigens entbinden darf.«
»Mein Wort darauf!«
Der Prinz hüllte sich in seinen Mantel und schritt eilig durch die noch immer unruhig bewegte und streitende Versammlung in der Richtung, aus der er vorhin gekommen war. Als er sich an der Biegung des Gebirgspfades noch einmal umsah, erblickte er die Versammlung dicht um den Holzblock gedrängt, auf den vorhin der Bischof das verhängnißvolle Papier, das auf's Neue den Bürgerkrieg entzünden sollte, zur Unterzeichnung niedergelegt hatte.
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Bald darauf verlosch das Feuer unter der heiligen Eiche - die Junta war geschlossen.


Don Juan hatte seinen Weg nach dem Platz am Fuß des Hochgebirges genommen, wo die Jagdgesellschaft zuerst ihr Lager aufgeschlagen und die Muli's zurückgelassen hatte. Er hatte ihn bald erreicht, und nachdem er einige der dort harrenden Leute mit einer schnell improvisirten Bahre, Stricken und Decken nach der Seite des unheilvollen Schauplatzes geschickt, warf er sich auf eines der Muli und trieb es zu so raschem Gang als möglich an, um das Caserio zu erreichen.
Er wußte kaum selbst, warum er dies that; denn einerseits hatte er sich von dem Tode Tomaso's überzeugt, andererseits konnte er, selbst wenn der Verunglückte noch in's Leben zurückzurufen gewesen wäre, von den geringen Heilkenntnissen des Mönchs wenig mehr erwarten, als von denen der erfahrenen Jäger. So galt es ihm wohl mehr, sich von dem Schauplatz des Ereignisses zu entfernen und womöglich die Caseria mit französischem Abschied zu verlassen, wie er überhaupt zu thun liebte, noch bevor die Jagdgesellschaft mit dem traurigen Gefolge zurückkehrte. Padre Antonio wollte er beauftragen, die junge Frau auf das Unglück, das sie betroffen, vorzubereiten.
Während er seinen Weg fortsetzte, begann das helle Mondlicht zu verschwinden, dichte Wolken lagerten sich vor die Scheibe des nächtlichen Gestirns und vom Gebirge her fing der Wind an in gewaltigeren Stößen zu toben.
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Bald mußte er langsam reiten und konnte selbst den Pfad nicht mehr erkennen. Aber er kannte zur Genüge die wunderbare Sicherheit der Mulis und indem er es dem seinen überließ, selbst den Weg zu suchen und eine Gangart nach Belieben anzunehmen, hüllte er sich in den Mantel und dachte an die nächsten 8 Tage, die ihn am Hofe von Madrid finden sollten.
So war er fast überrascht, als das Maul[thier] plötzlich stehen blieb und er sich vor dem Schuppen sah, der wahrscheinlich seinen Stall bildete.
Obschon es jetzt ganz finster war und der Wind, zuweilen mit leichtem Regen gemischt, in gewaltigen Stößen forttobte, nur selten auf Augenblicke die Wolken lichtend, um einem Strahl des Mondes die Beleuchtung der Berggegend zu gestatten, gelang es doch dem Abenteurer bald, sich wenigstens im Allgemeinen zu orientiren. Er mußte vor einem der kleinen Casilla's sich befinden, deren mehrere unterhalb des Plateaus lagen, auf dem sich das Caserio, die Wohnung des alten Bärenjägers befand, denn dort sah er ein Licht durch die kleinen Fensterscheiben leuchten, beiläufig das einzige Zeichen, daß noch Bewohner der Gegend wach waren. Das Maulthier, das er ohne zu fragen, am Ort des Rendezvous gewählt, gehörte wahrscheinlich in die Casilla zu Hause.
Don Juan öffnete die Pforte des Stalles, um das Thier einzulassen, nachdem er den Sattelgurt gelöst, und schritt dann nach der Casa Castilla hinauf. Er kam dabei an dem Hause vorüber, das zu dem kleinen Gehöft gehörte, und wollte eben an der Thür vorüber schreiten, als
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plötzlich sein Fuß wie gebannt blieb und er athemlos in die Höhe starrte.
»Tomaso! lieber Tomaso!« flüsterte es von oben. »Der heiligen Jungfrau sei Dank, daß Du kommst, und dem Ohm, daß er Dich sendet!«
Ueber den Holzbalken des niedern Erkerfensters lehnte eine weiße Gestalt, ein entblößter Arm streckte sich ihm entgegen.
»Ines!«
»Du siehst, daß ich Dich erwartete! Komm geschwind herauf. Soll ich die Lampe anzünden?«
»Nein!«
»So eile, daß Du kommst. Maria santissima - es ist kalt und der Regen schlägt in unser Brautgemach. Ich husche in's Bett!«
Ein neckender Ton, wie der Klang eines zugeworfenen Kusses, dann schloß sich das Fenster.
Einen Augenblick blieb der Abenteurer wie erstarrt stehen, wilde Gedanken durchkreuzten sein Hirn, das Blut stieg ihm zu Kopf und wirbelte in glühenden Wolken vor seine Augen.
Die feine zierliche Gestalt der Fandango-Tänzerin trat vor seinen Blick, er glaubte ihr schmachtendes, wollustersterbendes Auge zu sehen, wie er sie in der letzten Phase des Tanzes in seinem Arm gehalten, - er dachte an sie, die jungfräuliche Frau, wie ihr süßer Körper auf dem Lager ruhte und sich verlangend dem Bräutigam entgegenwand - -
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Dem Bräutigam, dem Gatten, der draußen todt in der Bärenschlucht lag!
Mußte er sie nicht vorbereiten, das Leid ihr verkünden - der süßen, jungen, verlangenden, zärtlichen Frau - -


Einen Augenblick noch dauerte der Kampf, dann fiel der Mantel auf der Schwelle der Thür und diese öffnete sich unter seiner fieberbebenden Hand. - -
Diese kleinen Häuser des Baskenlandes haben alle ein und dieselbe Einrichtung, - es ist so leicht für Den, der sie kennt, sich darin recht zu finden, - selbst im tiefsten Dunkel! - -
»Tomaso!«


Es war gegen 5 Uhr Morgens, als sich die Thür der Casilla des jungen Pächters öffnete und eine dunkle Gestalt heraus in die Nacht trat.
Der Mann schwankte anfangs wie ein Taumelnder. Seine Kleidung war in Unordnung, hastig übergeworfen; - er raffte den Mantel auf, der noch immer auf der Schwelle lag, bot die Stirn, den Hals, die entblößte Brust dem kühlenden Wind, der noch immer vom Hochgebirge her herüberstrich, wenn auch der Sturm sich gelegt hatte und der Regen nicht mehr niederfiel. Dennoch hingen die Wolken noch immer schwer am Himmel und verbreiteten Dunkel umher, obschon der Morgen nahe war.
Einige Augenblicke blieb der Mann stehen, als überlege er, wohin er seine Schritte wenden sollte. Dann, als habe er seinen Entschluß gefaßt, schnalzte er leicht mit den
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Fingern und warf das Ende des feuchten Mantels über seine linke Schulter. »Caramba!« murmelte er - »sie mag denken, es sei sein Geist gewesen! - Aber es ist Zeit, mich nach Mauro und den Thieren umzusehen!«
Don Juan, - die Erwähnung seines Dieners konnte keinen Zweifel lassen, daß er es war, - wandte sich gegen das Caserio des Bärenjägers und begann die Erhöhung hinaufzusteigen, als er etwa zweihundert Schritt weiter sich anrufen hörte. »Pst! Señor - haben Sie Etwas gehört? Ich glaube nicht, daß der Schlingel der Tomaso schon zu Hause ist, und Sie brauchen also das Haus nicht bewachen zu lassen. Oder sollten sie bereits kommen? Aber es ist unmöglich!«
»Nicht so unmöglich, als Sie denken, Señor Padre« sagte der Graf.
Der Mönch, denn es war in der That Fray Antonio, prallte bestürzt zurück. »Maria santissima - Sie sind es Excellenza? Wo kommen Sie her? Aber ich errathe - von der schönen Inez, denn ich sah Sie von der Casilla herkommen. Ei Sie schlimmer Vogel! Aber Jugend hat nicht Tugend. Was wird der arme Tomaso sagen!«
Der Graf hatte den Mantel zurückgeworfen und seine rechte Hand lag an dem Griff des tunesischen Messers. Der Speckhals des Padre war in seinem Leben nie so nahe daran gewesen, mit blankem Stahl eine sehr unangenehme Bekanntschaft zu machen, als in diesem Augenblick.
»Padre!«
»Nun, nun Excellenza! Sie wissen, daß wir Priester
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ein Beichtgeheimniß zu verschweigen verstehen und ich gebe Ihnen mein Wort, es als solches zu betrachten!«
»Wie kommen Sie hierher, um diese Stunde, Pfaffe?« frug der Graf mit unheildrohendem Ausdruck, indem er dem erschrocken zurückweichenden Mönch näher trat und seinen Arm faßte.
»Oh - ganz zufällig. Ich schwöre es Ihnen!«
»Sie lügen! - Hören Sie Fray Antonio, sehen Sie sich diese Klinge an. Sie ist lang genug, um durch die dickste Fettschicht ein genügendes Loch zu machen, mittels dessen die Seele aus dem Leibe spazieren kann! Warum mischen Sie sich in meine Angelegenheiten? Warum wollten Sie das Haus des armen Tomaso bewachen lassen?«
Der Mönch stand mit schlotternden Knieen und bleichem Gesicht. »Bei der heiligsten Jungfrau, Señor Conde, ich schwöre es Ihnen! ich habe nicht das Geringste gegen Sie beabsichtigt. - Die Soldaten ...
»Welche Soldaten?«
»Oh Señor - die Soldaten und die Alguazils, die oben im Thurm sind!«
»Soldaten im Thurm? Was wollen sie?«
»Bei Gott, ich weiß es nicht! Sie sind vor einer Stunde angekommen und haben sich ohne zu fragen einquartiert und Posten ausgestellt! Sie lassen Niemand aus dem Hause.«
»Und doch befinden Sie sich hier?«
»Oh - ich, Señor Conde!« stotterte der Mönch verlegen. »Ich bin nur ein armer Mönch, der überall
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frei aus und eingeht. Ueberdies war ich im Begriff, mein Maulthier zu holen und abzureiten.«
»Aber was wollen diese Soldaten und Polizeidiener? Gilt es dem Señor Castillos?«
»Ich fürchte fast!«
»Und Sie haben Nichts gethan, ihn zu warnen und ihm Nachricht zu senden?«
Fray Antonio zuckte die Achseln. »Wie konnte ich? - ich wiederhole Ihnen Excellenza, der Offizier hat Posten auf den Wegen ausgestellt, so daß Niemand sie seit einer Stunde ungesehen passiren kann. Ich wundere mich deshalb, daß Euer Excellenza so unbemerkt kommen konnten.«
Der Conde fühlte den Stich. »Schurke« murmelte er, »ich fürchte sehr, daß Du die Hand bei dem armen Castillos im Spiel hast!« - dann fuhr er laut fort: »Ich hatte die Absicht Sie aufzusuchen und habe nur das Maulthier in den Stall des armen Tomaso gestellt. Es ist ein Unglück auf der Jagd passirt, Padre!«
»Ein Unglück?«
»Leider. Tomaso ist bei dem Kampf mit einer Bärin von einer Felswand gestürzt und hat den Hals gebrochen!«
»Maria santissima! Ist er todt?«
»So todt, wie ein Mensch nur sein kann. Ich glaube man wird ihn bald hierher bringen, und ich ritt voraus, um Sie zu bitten, die junge Frau auf das Unglück vorzubereiten und mit den Tröstungen der Kirche zu beruhigen.«
Der würdige Bruder schüttelte mit einem faunischen Grinsen den Kopf. »Ich müßte es lügen« sagte er, »wenn ich sagen sollte, ich trüge um den Schlingel großes Bedauern. Er gehörte zu den Neuerern, die keinen Respekt
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mehr haben vor der heiligen Kirche. - Und was die junge Frau anbetrifft, nun - ich hoffe, daß sie mit der Brautnacht nicht zu kurz gekommen ist und bereits einen bessern Trost gefunden hat, als ich ihr geben kann!«
Die wiederholte Anspielung war dem Grafen zu viel. Er faßte den dicken Pfaffen am Kragen und schüttelte ihn derb. »Picaro!« sagte er leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber sehr verständlich. »Wagt es nicht, mit mir Euer Spiel zu treiben, Ihr kommt da an den Unrechten. Ich kümmere mich den Henker darum, was Ihr erlauert haben wollt; aber merkt Euch, mischt Euch nicht in meine Angelegenheiten, oder es könnte geschehn, was ich Euch vorhin androhte. Ueberdies bin ich fest überzeugt, daß Ihr bei der Soldatengeschichte die Hand im Spiel habt und es bedurfte nur eines Wortes an die Freunde des Señor Castillos, und selbst die Mauern eines Klosters in Madrid würden Euch vor ihrer Rache nicht schützen! - Aber was erhitze ich mich erst! ich kenne die Leute Eures Schlages und werde schweigen, wenn Ihr Eure Zunge im Zaum haltet und Euch in Madrid treuer zeigt, als hier gegen Euren Wohlthäter. Ich brauche dort einen Kerl wie Ihr seid, dessen Schlechtigkeiten die Kutte deckt. Deshalb werd' ich mein Wort halten, und wir reisen zusammen nach Madrid!«
Der Padre räusperte sich und schöpfte Athem, der ihm unter der kräftigen Hand des Conde fast ausgegangen war.
Das Fehlschlagen seines letzten Versuchs, sich eine kleine Herrschaft über den Gast seines verrathenen Wohlthäters anzumaßen, belehrte ihn, daß dies ein zu gefährliches
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Spiel sei, und er zog es vor, den reichen und vornehmen Gönner lieber durch Gehorsam sich zu sichern.
»Maria purissima, was Sie für eine kräftige Faust führen, Señor Conde!« sagte er kriechend. »Ich werde mich wohl hüten, noch einmal Ihren Unwillen zu wecken, verlassen Sie sich darauf! - Nur in Beziehung des Señor Castillos thun Sie mir Unrecht. Doch wir wollen nicht streiten darüber, Excellenza - der arme Padre Antonio ist Ihr ganz ergebenster Knecht und wird thun, was Sie ihm befohlen. Soll ich zu dem armen Weibe gehn und sie auf das Unglück vorbereiten?«
»Nein - es ist zu spät! - Hören Sie!«
Der Wind vom Gebirge her trug auf seinen Schwingen die Töne eines fernen melancholischen Gesanges herüber.
»Oh oh!« sagte sehr unbehaglich der Mönch, - »das klingt wie der Leichengesang, den die baskischen Bauern bei dem Tode ihrer Verwandten anstimmen. Ich hoffe doch, daß sie nicht schon zurückkommen?«
»Dennoch scheint es so - der Tag wird überdies bald anbrechen. Hören Sie mich an, Padre. Der armen Ines können wir Beide nicht helfen, sie wird sich in ihr Schicksal finden müssen und es noch zeitig genug erfahren. Aber es liegt mir eben so wenig wie Ihnen daran, bei der Ankunft des Señor Castillos noch hier zu sein. Können Sie uns Reitthiere verschaffen, um auf der Stelle unseren Weg anzutreten?«
»Das meine steht fertig. Ich werde ein Anderes für Euer Excellenza besorgen, aber ...«
»Nun?«
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»Ich fürchte, der Herr Offizier, der von Ihrer Anwesenheit natürlich noch Nichts weiß, wird nicht darein willigen, Ihren Diener aus dem Hause zu lassen. Man hat die beiden Bedienten, die Sie und der französische Herr hier zurückließen, in eine Kammer gesperrt.«
»Das thut Nichts! Mauro kann mit dem Gepäck nach Pampluna und Madrid nachfolgen, sobald erst das Embargo hier aufgehoben ist. So hatte ich es schon gestern Abend bestimmt. Holen Sie die Thiere, damit wir fortkommen, denn jener traurige Gesang kommt näher!«
Der Pater bat ihn, einige Minuten im Schatten einer der kleinen Wirthschaftsgebäude zu verziehen, bis zu welchen sie jetzt vorgeschritten waren, und ging dann nach dem Hause und den Ställen.
Während der Zeit horchte Don Juan auf den aus der Ferne näher schwellenden Klagegesang. Obschon er Nichts von dem gefährlichen Dokument wußte, das die Junta der Basken an der Eiche von Guipuzcoa unterzeichnet hatte, konnte er doch leicht schließen, daß die Anwesenheit der Alguazils und Soldaten in dem Caserio des alten Bärenjägers sicher mit der Versammlung in Verbindung stand und wahrscheinlich auf eine der Plackereien und Untersuchungen hinauslaufen werde, mit welchen die Regierung in steter Furcht vor den carlistischen Umtrieben die baskischen Provinzen überwacht. Gern hätte er Castillos eine Warnung zugehen lassen, aber er wußte in der That nicht, wie das machen, ohne sich selbst zu compromittiren. und das wollte er in dem gegenwärtigen Augenblick grade gern vermeiden.
Während er noch darüber sann, hörte er neben sich
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in dem kleinen Schuppen, an dem er stand, ein klägliches Heulen und Winseln und zugleich ein Kratzen an der Bretterwand. Es fiel ihm ein, daß es der große Wolfshund des alten Basken sein könnte, den dieser ausdrücklich zurückgelassen von der Jagd.
»Caramba! - Negro, bist Du es?«
Ein kurzes freudiges Bellen des Hundes antwortete ihm. Der Graf dachte einen Augenblick nach, dann suchte er die Thür des Schuppens, öffnete sie und rief leise den Hund.
»Still, Negro! Kusch!«
Das edle Thier erkannte sofort die Stimme eines Freundes. Es war, als begriffe es, daß es seine Freude über die Erlösung aus der Gefangenschaft nicht laut werden lassen durfte. Schweifwedelnd, mit leisem Knurren drängte sich der Hund an die Füße Don Juans und leckte seine Hand.
Es war zu dunkel, um zu schreiben, auch kein Augenblick zu verlieren. Der Graf nahm aus der Tasche eine spanische Banknote, die das Bildniß der Königin tragen, heftete sie mit seiner goldenen Tuchnadel an das Halsband des Hundes und richtete den Kopf desselben nach der Seite, von welcher der Leichenzug herkam.
»Frisch, Negro! Such' den Herrn, mein Hund! such' den Herrn!«
Er ließ das Halsband los und das Thier jagte sofort in langen Sprüngen in der Richtung des Hochgebirges davon.
Don Juan hatte kaum die Thür wieder geschlossen,
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als er den Padre zurückkommen hörte. Er war begleitet von einem andern Mann, der zwei gesattelte Mulis am Zügel führte, aber in einiger Entfernung stehen blieb.
»Schnell, Señor Conde« sagte der Mönch. »Lassen Sie uns aufsteigen und aufbrechen, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Er selbst führte dem jungen Mann das eine Thier zu, das dieser rasch bestieg. Dann half der Fremde der feisten Gestalt des Pfaffen gleichfalls in den Sattel. Der Mann ging vor den beiden Reitern her, indem er dieselbe Richtung einschlug, die in der Nacht vorher der Padre zu seinem geheimen Rendezvous genommen hatte. An der Stelle, wo er mit dem Regierungs-Agenten zusammengetroffen war, stand eine Schildwache. Der Mann, den jetzt in dem freiern Licht der Graf als einen Reiter-Corpora erkennen konnte, sagte dem Pastor einige Worte und dieser machte den Reitern Platz.
»Zehn Minuten weiter, ehrwürdiger Herr« erinnerte der Corporal, »steht noch eine Schildwache. Das Passirwort ist: Aragon!«
»Dank mein Bester, und meinen Seegen! - Kommen Sie Señor.«
Der Soldat schien sich aus der billigen Gabe nicht viel zu machen, als dagegen der Graf ihm ein Goldstück reichte, salutirte er höflich und wünschte glückliche Reise.
Gleich darauf waren die beiden Reiter unter dem Felsenthor verschwunden.


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Langsam kam der Zug der Jäger heran, in dessen Mitte der zerschmetterte Körper des jungen Ehegatten auf der rasch improvisirten Bahre getragen wurde. Castillos hatte sich längst überzeugt, daß von einer Hilfe nicht mehr die Rede und jede Spur des Lebens entflohen war. Die Jäger, welche das Nothsignal der französischen Offiziers herbeigerufen, hatten den verstümmelten Körper nach dem Lagerplatz geschafft, wo alsbald die ganze Jagdgesellschaft, verstört durch den Unfall, sich eingefunden hatte, während der größere Theil der Versammlung an der Eiche sich nach verschiedenen Seiten zerstreute und in die Heimath zurückkehrte.
Die Männer des Gebirges waren übrigens zu eifrige Jäger gewesen, um die Ursache des Unheils, die einzige Beute der unglücklichen Jagd, die Bärin und ihre Jungen zurückzulassen, von denen das eine zerschmettert wie der unglückliche Tomaso, das andere aber lebenskräftig wie seine Mutter war. Mit deren Transport hatte man übrigens auf Kosten ihrer Haut und ihrer Knochen wenig Umstände gemacht. Man begnügte sich, die Knebelung des schnaubenden und beißenden Raubthiers noch fester zu machen, warf es dann auf ein Paar zur Schleife hergerichtete Aeste, wohl auch nur, um das Fell zu schonen, und schleppte es dann so das Gebirge herab. Die beiden jungen Bären, der todte wie der lebende wurden in die jetzt leeren Körbe eines der Maulthiere geworfen.
Der traurige Zug hatte wohl anderthalb Stunden später als der Graf den Sammelplatz verlassen, und da
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er nur langsam vorwärts kam, brach der Tag bereits an, als er sich dem Caserio näherte.
Castillos hatte einen Seitenweg einschlagen lassen, um die traurige Last, die sie mit sich führten, nicht an der Casilla des Verunglückten vorbeizubringen. Der am Tiefsten Bewegte war jedenfalls der junge Offizier, den die wiederholten Fragen über den Hergang auf das Peinlichste berührt hatten, während er mehr als einmal das Unglück in der Weise erzählen mußte, wie der Graf von Lerida es ihm empfohlen, während er zugleich sorgfältig bemüht sein mußte, jede Unvorsichtigkeit zu vermeiden und namentlich die Anwesenheit Don Juans an der Stelle nicht zu erwähnen.
Der Zug der Jäger war etwa noch zehn Minuten von dem Caserio entfernt, als plötzlich durch den Morgennebel ein dunkler Gegenstand heranflog und an dem Bärenjäger emporsprang.
»Negros, mein wackerer Hund! Wo kommst Du her? Hast du die Rückkehr Deines Herrn gewittert?«
Castillos streichelte das Thier, das bald sich an ihn drängte, bald bellend und schnaubend um ihn her sprang.
»Der Hund muß Etwas haben« sagte der Baske, - »er ist so aufgeregt und seltsam, wie ich ihn nie gesehen.«
»Es ist die Witterung des Bären da hinten, oder die Leiche seines alten Freundes, die uns folgt« meinte der Coronel. »Die Hunde haben einen sehr feinen Instinkt.«
»Nein Señor Don Ruez« erwiederte der Bärenjäger. »Das ist es nicht, denn der Hund verläßt mein Muli nicht und sein Bellen ist auch nicht die Todtenklage,
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welche ein Hund mit der feinen Ahnung, die Gott ihm gegeben, beim Tode eines Freundes zu erheben pflegt. Sein Wesen betrifft offenbar meine Person, weil er nicht von mir weicht. Ruhe, Negros, was ist dir mein guter Hund?!«
»Was trägt das Thier da am Halsband?« frug Kapitain Welmore.
»Cuerpo di Dios - das ist wahr! Komm her mein Hund, laß sehen!«
Während das Thier an ihm emporsprang, betrachtete der Bärenjäger das Halsband des Hundes, hielt ihn dann fest, indem er sein Maulthier zum Stehen brachte, und löste Nadel und Papier.
Die Jäger sammelten sich um ihn und es entstand ein Aufenthalt des Zuges.
»Seltsam!« meinte Castillos - »eine Banknote von hundert Realen - und angeheftet mit einer goldenen Nadel. Ich sollte sie kennen, - ein dunkler Diamant - -«
»Das ist die Nadel, die der Graf von Lerida gestern an seinem Halstuch trug« sagte der Prinz.
»Gewiß wieder einer seiner tollen Streiche!«
»Nein, Freund, ich glaube das nicht. Der Graf scheint zwar ein übermüthiger abenteuerlicher Charakter, der nur seinen Launen folgt, aber dabei ein Mann, der ein scharfes Auge hat für Alles um ihn her, und entschlossen jede Gelegenheit benutzt. Jedenfalls ist der Hund von ihm abgeschickt, das beweist die Nadel. Ohne Ursach' ist dies nicht geschehen. Es frägt sich nur, was er damit bezweckt. Die
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Nadel ist Nebensache, denn sie ist nur das Mittel gewesen, die Banknote zu senden.«
»Will der Bursche damit meine Gastfreundschaft bezahlen? Es ist eine von den schlechten Noten der neuen Isabella-Bank zu Madrid!«
Der Prinz hielt sein Maulthier an. »Parbleu, Gevatter« sagte er - »ich glaube, Du bist im Begriff, der Lösung nahe zu kommen. Das Bildniß der Königin auf der Note! Ha! hm! - das hat seine Bedeutung!« und er beugte sich näher zu dem Jäger und flüsterte einige Worte.
Castillos faßte unwillkürlich nach der Brusttasche seiner Jacke, als wollte er sich von dem Vorhandensein eines zusammengefalteten Papiers dort überzeugen.
»Lassen Sie uns zureiten Hoheit, desto eher werden wir wissen, was an der Sache ist!« und er trieb sein Maulthier vorwärts.
Aber ehe sie noch das Plateau erreichten, auf dem das Caserio liegt, das jetzt bereits im Morgenlicht vor ihnen lag, ohne daß irgend eine Spur im Hause oder auf dem Platz vor demselben zu sehen war, welche auf eine vorausgekommene Botschaft oder auf die Erwartung ihrer traurigen Rückkehr schließen ließ, wurde der Zug noch einmal aufgehalten, indem - als derselbe eben zu einer niedern Felswand bog, - ihm ein Mann entgegentrat.
Er war in der gewöhnlichen städtischen Tracht, grüßte höflich und frug, ob vielleicht der Señor Coronel Don Franzisko Ruez unter den Caballeros sei, er habe eine dringende Bestellung an ihn.
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Der Oberst des Lanzier-Regiments ritt sogleich näher. »Hier bin ich, Señor! - Ah - Señor Secretareo.«
Der Fremde beeilte sich, ihn zu unterbrechen.
»Ich habe eine Depesche für Sie, Señor Coronel. Sie haben wohl die Güte, einen Augenblick mit mir zur Seite zu treten. - Bitte, Caballero's, lassen Sie sich nicht stören in Ihrem Wege!«
Auf einen Wink des Hausherrn setzte sich der Zug wieder in Bewegung und näherte sich den Gebäuden.
Der Oberst war zur Seite geritten und wartete mit etwas zusammengezogenen Brauen auf die Anrede des Fremden, der erst die ganze Gesellschaft vorüberließ, jeden Einzelnen mit scharfem Blick musternd.
Er war ein Mann von etwa 40 Jahren, von schlanker mittelgroßer Figur mit etwas blassem und hagerem Gesicht, das scharfe nicht grade schöne Züge hatte. Doch besagte das ganze Gesicht etwas von der Bildung des Fuchskopfs, nur daß das kräftigere Kinn zugleich Zeuge von Willenskraft und Energie war. Die Lippen ließen, wenn sie sich öffneten, eine Reihe von weißen etwas spitzen Zähnen sehen.
»Nun Señor Cuerta« sagte der Oberst ungeduldig, »sehen Sie nicht, daß ich warte!?«
»Verzeihung Señor Coronel, aber ich muß einige Vorsicht anwenden. Hier ist eine Depesche Sr. Excellenz des Herrn General-Kapitains an Sie.«
Der Offizier nahm das Schreiben und sah nach dem Siegel. »Eine militärische Ordre« sagte er, »durch einen Beamten des Civil-Gouverneurs überbracht? Seit wann
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ist das Sitte, und giebt es keine Offiziere oder Ordonnanzen mehr?«
»Der Teniente Herrera befindet sich dort im Hause« sagte der Sekretair des Gouverneurs ruhig, »aber sein und Ihrer Soldaten Erscheinen hätte vielleicht zu früh Verdacht erregen können. Deshalb ersuchte ich ihn, mir die Uebergabe der Depesche zu überlassen.«
Der Oberst, ein Mann von schönem soldatischen Ansehen, hatte das Siegel erbrochen und das Papier gegen das Licht haltend, das bereits stark genug war, den Inhalt gelesen. Seine Stirn wurde sehr roth, während er zwei Mal die Ordre las, gleich als hätte er sie das erste Mal nicht recht verstanden.
»Mil demonios! Das mir, während ich hier als Gast bin? - Wenn Seine Excellenz Schergen braucht, einen ehrlichen Mann zu verhaften, warum schickt er nicht Polizeidiener oder beordert wenigstens einen andern Offizier!?«
»Die Verhaftung wird durch die Civilbehörde vorgenommen werden« sagte der Secretair kalt; »auf Befehl von Madrid soll das Militair sie gegen jeden Widerstand unterstützen und da der Generalkapitain wußte, daß Sie, Señor Coronel bereits an Ort und Stelle waren, hat er es wohl für das Kürzeste gehalten, eine halbe Esquadra Ihres Regiments Ihnen zu senden. Sollten Sie jedoch Anstand nehmen, der Ordre Folge zu leisten, Señor Coronel ...«
»Still Señor« sagte der Oberst streng. »Ich denke, wir kennen uns und ich kenne meine Pflicht. Ich werde
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sie erfüllen und was mir weiter zu thun bleibt auf diese Infamie ist meine Sache! - Wo sind meine Soldaten?«
»In dem Casillo des Rebellen versteckt!«
»Ha! - Teniente Herrera wird eine strenge Rechenschaft zu geben haben, daß er sich von Ihnen mißbrauchen ließ. Wir sind Soldaten, keine Jesuiten und Spione!«
Der Secretair verbeugte sich höhnisch. »Es ist unnöthig, mich zu beleidigen, Señor Coronel« sagte er.
»Kommen Sie und thun Sie Ihre Pflicht, wie ich die meine thun werde!«
Der Offizier trieb das Maulthier an, um die Reiter noch zu erreichen, ehe sie in das Haus traten. Vielleicht wollte er dem Hausherrn einen Wink geben, vielleicht auch nur den Beamten des Civilgouverneurs zwingen, die Verhaftung auf dem freien Platz vorzunehmen, weil es ihm zuwider war, die Schwelle noch einmal und in solcher Eigenschaft zu überschreiten, die ihn gastfreundlich aufgenommen. Doch der Secretair hielt sich dicht an seinen Fersen und als sie die Reiter erreichten, die eben vor dem Haupteingang des Hauses und unter der großen Eiche hielten, war Castillos bereits aus dem Sattel gesprungen und näherte sich, erstaunt und ärgerlich, daß Niemand ihm entgegenkam, der Thür.
»Caramba - was soll das heißen? Ist Niemand hier, der die Mulis nimmt? - Heraus da -«
Er stieß die Thür auf, prallte aber sofort zwei Schritte zurück.
Der große Hausflur war gefüllt mit Soldaten, den Karabiner in der Hand.
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»Tausend Teufel - mir das!«
Und der alte Jäger wandte sein feuersprühendes Auge auf den Obersten, der eben herankam.
»Señor Don Ramiro Castillos, ich verhafte Sie im Namen der Königin!« rief der Secretair Cuerta, indem er die Hand auf seine Schulter legte. »Leisten Sie keinen Widerstand, oder ich muß die bewaffnete Macht zu Hilfe nehmen.«
Der alte Baske schüttelte die Hand mit einer unwilligen Bewegung ab. »Das ist gegen die Fuero's der baskischen Provinzen« sagte er schroff. »Nach dem vierten Statut darf ein freier Grundbesitzer nur auf Befehl des Provinzial-Gerichts verhaftet werden von den Beamten des eigenen Sprengels.«
»Sie werden sich erinnern, daß Sie hier in Navarra und nicht auf biskaischem Boden stehen. Ueberdies sind die Fuero's nicht bestätigt. Machen Sie keine Umstände, Señor Castillos« - er winkte den Alguazils, die näher getreten waren, - »ich habe Befehl, mich Ihrer Person und aller Papiere zu bemächtigen, die Sie bei sich führen!«
»Also das ist's!«
Der Secretair erkannte, daß er in Gefahr war, den Zweck seines Auftrags zu verlieren.
»Auf ihn! ergreift ihn!«
Er sprang vorwärts, um den alten Jäger zu fassen und zugleich stürzten die Schergen von zwei Seiten auf den Bedrohten. Aber ein Faustschlag auf die Stirn warf den Secretair wohl drei Schritte zurück, daß er dem einen der Gerichtsdiener in die Arme taumelte; mit einem Satz
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war der Baske aus dem Bereich der anderen und hinter seinem Muli, während der Prinz und der Engländer ihre Thiere nach vorn drängten, den Verfolgern in den Weg.
»Im Namen der Königin Oberst, ich befehle Ihnen ...«
»Was, Señor?«
»Sehen Sie nicht, er entkommt - Lassen Sie schießen!«
»Sie vergessen sich! Ich bin Soldat und kein Meuchelmörder und habe überhaupt keine Befehle von Ihnen zu empfangen!«
»Aber sehen Sie nicht - er vernichtet das Papier!«
»Was geht das mich an?«
Der Baske, um den die Jagdgesellschaft eine Art von Mauer bildete, welche ohne offenen Widerstand doch die Gerichtsdiener hinderte, ihn zu ergreifen, hatte ein Papier aus der Brusttasche gezogen und es fest zusammengeballt.
»Hierher Negro!«
Der große Wolfshund sprang an ihm empor.
»Friß, mein Hund!«
Der Hund - als habe er Menschenverstand für den Willen seines Herrn - zerriß das Papier mit seinen Zähnen in Stücke und begann sie zu verschlingen.
Der Prinz lachte laut auf. Dann, als er sah, daß der Beamte in ohnmächtiger Wuth einen Revolver zog und nach dem edlen Thier schießen wollte, trat er ihm entgegen.
»Unterstehen Sie sich, Herr! - Sehen Sie nicht, daß Sie uns treffen werden? Ich bin Franzose und diese Unverschämtheit soll Ihnen schlecht bekommen!«
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»Aber ich will nicht Sie - gehen Sie aus dem Wege Hoheit ...«
Es war vergebens. Der wackere Hund hatte das letzte Stück Papier zwischen den Zähnen.
»Jetzt fort Negro - such' die Spur mein Hund! such' die Spur! Tuch vergessen! such'! such'!
Castillos wies nach den Bergen - wie ein Pfeil in gestreckten Sprüngen schoß der wohldressirte Hund auf dem Weg hin, den so eben der Zug gekommen war.
»Schießt in drei Teufelsnamen!«
Ein allgemeines Gelächter begleitete den Versuch, den der betrogene Beamte machte, mit seinen Revolverkugeln den frei dahin jagenden Hund zu erreichen.
Don Ramiro trat auf ihn zu.
»In zwei Stunden, Señor« sagte er, »wird Negro mir sicher ein Tuch zurückbringen, das ich auf dem Anstand habe liegen lassen. Es ist ein vortreffliches Thier, nur hat er die Leidenschaft, statt Gras, wie andere Hunde bei trübem Wetter, Papier zu fressen, und ich habe deshalb immer eine Portion Makulatur in der Tasche für ihn. - Sie wollten mich ja wohl verhaften, Señor Cuerta?«
»Sie kennen mich?« frug der Beamte zähneknirschend.
»Wer sollte den Geheimen Secretair Seiner Excellenz nicht kennen, auch wenn er erst kurze Zeit in unserem Lande ist« lautete die spöttische Antwort. »Wir sind hier so schlichte Leute, daß die Herren aus Madrid rasch bemerkt werden, namentlich ...«
»Was Señor?«
»Namentlich wenn sie Mitglieder der neuen Loge sind!«
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Eine dunkle Röthe flog über die Stirn des Beamten, aber er unterdrückte gewaltsam einen Ausbruch seines Zorns. »Da Sie mich kennen, Señor Don Ramiro Castillos« sagte er kalt, »werden Sie mir das Recht, diesen Verhaftsbefehl auszuführen, nicht weiter bestreiten und ihm Folge leisten. Ich habe Befehl, Sie nach Madrid zu bringen, und ich hoffe, der Señor Coronel wird mich wenigstens hierin unterstützen.«
»Ich glaube nicht« bemerkte der Oberst finster, »daß Señor Castillos sich gewaltsam widersetzen und mich dadurch zwingen will, die genoffene Gastfreundschaft durch Ausübung meiner - ich sage es offen, in dieser Angelegenheit mir sehr unangenehmen, von diesem Herrn mir aufgedrungenen - Pflichten als Soldat zu vergelten. - Sobald ich wieder in Pampluna bin, werde ich die Ehre haben, meinen Abschied aus einem Dienst zu fordern, in dem man keinen Anstand nimmt, durch Polizei-Spione und Büttel die Ehre eines Offiziers zu compromittiren.«
Der Baske reichte ihm die Hand. »Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt, Señor, daß Sie von diesem Vorgang Nichts wußten. - Ich bin bereit, Ihnen zu folgen, Herr, sobald ich die nöthigsten Anordnungen wegen der Beerdigung meines Neffen gegeben und meine arme Nichte unter den Schutz eines Nachbars gestellt habe.«
»Meine Pflicht zwingt mich, darauf zu bestehen, daß die Señora zu ihrer Vernehmung als Zeugin in Ihrem Prozeß uns nach Madrid begleitet.«
»Wollen Sie uns nicht vielleicht alle mitnehmen?« sagte der Prinz spöttisch.
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»Euer Hoheit - denn ich darf wohl annehmen, daß ich die Ehre habe, mit dem Prinzen Pedro Bonaparte zu sprechen, - und die fremden Herrn haben vollkommene Freiheit, ihren Weg zu wählen. Ich habe weder Auftrag, noch den Willen, sie zu belästigen und war nur gezwungen, die Dienerschaft einstweilen zu sistiren. Wenn Señor Castillos einige Anordnungen für seine Reise zu treffen wünscht und sein Ehrenwort giebt, keinen Fluchtversuch zu machen, werde ich ihm zwei Stunden dazu gestatten. Bis dahin muß das Haus jedoch unter Aufsicht bleiben.«
»Ich gebe mein Wort. Ich bitte Sie, Señor, den Padre Antonio, den Cura dieses Sprengels, rufen zu lassen, den Sie in meinem Hause gefunden haben werden.«
»Der Padre« sagte der Beamte kalt, »ist bereits auf dem Weg nach Pampluna. Er wünschte, sofort abzureisen und ich hatte keine Ursach', ihn daran zu hindern.«
»Ah!«
Zum ersten Mal schoß es wie ein Verdacht durch den Sinn des ehrlichen Jägers, doch unterdrückte er ihn rasch wieder. Er setzte sich auf die Bank unter der Eiche, wo ihn seine Freunde umgaben, und berieth mit ihnen, was zunächst zu thun sei.
Auf den Befehl des Obersten hatten, bis auf die Posten an den Eingängen, die Lanziers das Haus verlassen, holten ihre Pferde herbei und machten sich fertig zum Aufbruch. Unter den zurückkehrenden Posten, die in der Nacht alle Zugänge des Platzes bewachen gemußt, befanden sich auch die beiden Reiter, welche den Seitenpfad nach
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der Straße von Ostitz bewacht halten, den der Mönch und sein Begleiter eingeschlagen.
Sie rapportirten dem Offizier.
»Ich glaube, hier hören wir eine Nachricht von einem unserer Gefährten, den wir bereits vermißt« sagte der Oberst. »Hier ist ein Brief an Sie, Herr Kapitain, der wenigstens seinen Namen trägt.
»Von wem?«
»Von dem Grafen von Lerida. Es scheint, daß er bereits nach Pampluna zurückgekehrt ist, um sich die traurige Scene zu ersparen, der wir hier beiwohnen mußten. Nach dem Rapport des Unteroffiziers hat wenigstens ein Mann von seinem Aussehen mit dem Padre den Posten passirt und dort diesen Brief geschrieben und ihm zur Bestellung übergeben.
Der junge Marquis bemerkte, daß Aller Augen neugierig auf ihm ruhten. Er suchte sich mit Gewalt zu fassen und öffnete das mit Bleistift geschriebene, mit einer Oblate verschlossene und an ihn adressirte Billet.
Während er es las, wechselte trotz aller Anstrengung, die er machte, zwei Mal seine Farbe. Der Inhalt lautete:
»Der Herr Marquis de la Houdinière wird die Güte haben, meinen Diener Mauro zu beauftragen, mir sogleich nach Madrid zu folgen.
Er wird dem Señor Castillos sagen, daß ich in Madrid und sein dankbarer Schuldner bin.
Der Herr Marquis wird ferner die Güte haben, mich bei den andern Herren zu entschuldigen. Ich rathe ihm, die Bären, die er so tapfer gewonnen, lebendig nach Paris schaffen zu lassen und dem jardin des plantes ein Geschenk damit zu machen. Er wird meinen
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Respekt Ihren Majestäten dem Kaiser und der Kaiserin bezeugen und meine Huldigung seiner schönen Cousine zu Füßen legen, bis ich die Ehre haben kann, der kaiserlichen Einladung Folge zu leisten.
       Auf Wiedersehen in Paris.
               Don Juan.«
Der Marquis war sehr bleich, aber er fühlte, daß er nicht zögern durfte. Er reichte dem Prinzen, der ihn scharf beobachtete, den Brief. »Lesen Sie, Monseigneur - es ist in der That von unserem Freunde!«

Die Donner von Gaëta.

Wallende Nebel von Pulverdampf ballten sich und hoben sich in den blauen Aether, dort vor dem Felsengrat, der sich weit hinausstreckt in's tyrrhenische Meer - wo Aeneas landete und seiner Amme das Grab in das Gestein hieb. Zitterten die Könige von Gottes Gnaden auf den Thronen Europas nicht bei jedem dieser Donner? Ahnten sie nicht, daß die Eisenlast, die er warf, auch an die Fundamente ihrer Throne schlug?
Aber die legitimen Könige von Gottes Gnaden sind oft mit dem hochmüthigen Fluch der Blindheit geschlagen, und der constitutionelle Schwindel von der Themse her hat ihr Blut und ihr Gewissen bereits so viel angekränkelt, daß man zufrieden sein muß, wenn sie noch so viel Kronenstolz haben, um nicht ihren Herzögen und Fürsten und Grafen den Rang abzulaufen in der Jobber-Allianz der Eisenbahnen und Börsen-Aktien, die dem dummen Volke das Geld aus der Tasche saugen!
Heilige Aristokratie! Es ist heutzutage eine hohe befriedigende Freude, ein Royalist zu sein, und an Ideale
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zu glauben, die jeder schreibende Judenjunge im Kothe umherwischt! -
Leser - warst Du in Italien? hast Du Gaëta gesehen, Gaëta, Gaëta mit den klassischen Erinnerungen der Ghibellinen-Kämpfe bis herab zu dem Pfaffenasyl des Pontifex, das übermüthig den Isisschleier der Volksfreiheit heben wollte, und in jämmerliche Krämpfe verfiel beim Anblick des Medusenhauptes, um dessen wunderbare Schönheit sich züngelnde Schlangen ringeln!?
Hast Du es nicht, - so will ich Dir von Gaëta erzählen!


Zwischem dem Golf von Terracina und dem von Neapel, von Nordwest gegen Südost, löst sich von dem theilweise vulkanischen Gebirgsknoten der Apenninen bei Itri und Fondi eine trichterförmig sich verschmälernde Landzunge ab, welche amphitheatralisch von den 800 bis 300 Fuß hohen Berggruppen des Monte Ercole, Monte Christo, Conca, Tortone, - Monte Agatha, Lombone, und Capuc[c]ini zu einer kurzen sandigen, etwa 700 Meter breiten Hals dieses Trichters niedersteigt, und dann plötzlich einen Kopf dieses Halses in einem riesigen Felsenkeil bildet und seine schroffen Wände der Meeresfluth entgegenwirft.
Diese Landzunge bildet den Golf von Gaëta, - auf diesem Vorgebirge, das den 562 Meter hohen Monte Orlando bildet, liegt die Festung Gaëta.
Weit hinaus taucht hier der Blick in's tyrrhenische Meer, nach Norden hin das Vorgebirge des Monte Circe
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erfassend, das die berüchtigten pontinischen Sümpfe abschließt, schweift über die ponzischen Inseln am fernen Horizont und wandert an der Küste entlang an der Mündung des Volturno vorüber, bis in der verschwimmenden Ferne von 8 bis 10 Meilen9 Ischia, Procida und das Vorgebirge Mysene den Golf von Neapel abschließen.
Die Aquamarin-Farbe des Meeres verschwimmt in den weißen Nebel des Horizonts, in den brandenden Fluthen spielt der muntre Delphin und die lateinischen Segel der Fischerbarken tauchen in den Rauch der von Livorno kommenden Dampfer.
Jenes kräftige Vorgebirge, das gleichsam das Haupt der Landzunge bildet und um den Monte Orlando sich gruppirt, hat die Grundgestalt etwa eines Kameelkopfs, von dem die äußere - das Maul bildende und nach Osten sich krümmende - Spitze den größten Theil der Stadt und das alte Kastell trägt, während der westliche Theil den Schädel, als Auge den gewaltigen, mit mächtigen Thürmen gekrönten Dreifaltigkeitsberg, oder Monte Orlando, bildet und - um bei unserem Gleichniß zu bleiben - von dem Ohr, der Bastion della Transilvania her, die Linie der Bastionen und Batterien sich gleich einer Halfter quer über den Hals zur entgegengesetzten Küste zieht und den Kopf gegen die Ebene und die dahinter sich erhebenden Berge absperrt.
Von der Seeseite, dem Südwesten her gesehen, bieten die wild zerklüfteten Kalkfelsen einen grotesken Anblick. An den schroffen, schwarzbraunen Wänden - die hier
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nicht des Schutzes künstlicher Befestigung bedürfen, bricht sich die weißschäumende Brandung und schlägt ihre Zungen in die tief ausgehöhlten Risse und Grotten. Auf der halben Höhe erheben sich weiterhin die Etagen der Festungswerke mit umfangreichen Kasematten.
Wendet man sich in nordwestlicher Richtung um das vorspringende Cap - die Schnauze des Felsthiers - so kommt man aus der tosenden Brandung in das ruhige, blaue Gewässer der Bai. Der Halbkreis des Gestades, die untere Linie des Kopfes und Halses, biegt sich etwa 1\frac12 Meile lang bis Mola nordöstlich und folgt dann der südöstlichen Richtung des großen Küstenlaufs nach Neapel hin. Die Küste ist hier von ziemlich steilen Hängen eingerahmt und von Häusern und Villen besetzt. In verhältnißmäßig nur kurzer Entfernung, (kaum 500 Schritt) von der absperrenden Linie der Festungswerke, an dem diesen zunächst liegenden niedern Monte Atratino, dem dahinter liegenden höheren Monte Capuc[c]ini mit seinem Kapuziner Kloster, und dem beide bis zur Höhe von 337 Metern überragenden Agatha laufen die Häuserreihen der Vorstadt, Borgo di Gaëta, entlang, denen sich Albano und Spiaggia unterhalb des Agatha anschließen. Einzelne Häuser und Villen ziehen sich weiter an der Küste hin bis zu den antiken Resten, die als Cicero's Grab bezeichnet werden, wo er von den Schergen des Antonius erreicht und erschlagen wurde. Am anderen Flügel der Bai, der äußersten Spitze der Festung fast gegenüber, liegt Castellone und Mola di Gaëta, mit der auf den Trümmern des berühmten Landhauses des Cicero erbauten Villa Reale, dem Hauptquartier
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Cialdinis. Die Sehne dieses Halbbogens beträgt etwa drei Viertel deutsche Meilen, bei der Klarheit der Luft, also eine uns geringe Entfernung für das Auge.
Dies wäre etwa, was der Leser über die allgemeine Bildung des Terrains zu wissen hat, auf das wir die nächsten Scenen unserer Darstellung verlegt haben.
Das Innere der Stadt Gaëta macht auf den Besucher einen wenig günstigen Eindruck - in Italien ist es ja überhaupt die Zusammenfassung des Bildes, was entzückt. Die Stadt ist in ihrem oberen Theil so winkelig und gedrängt in die Felsmasse hinein gebaut, daß der Sonnenschein in ihren engen Gassen und Gäßchen kaum dem Namen nach bekannt ist. Eine einzige Straße durchläuft am Fuß der Felsmassen die Stadt und erweitert sich nur hier und da zu etwas freieren Plätzen. Die Wege, oftmals stufig in den Felsen gehauen, steigen bergauf, bergab, oft kaum breit genug, um den Begegnenden Raum zum Ausweichen zu lassen. Die hohen Häuser stützen sich gegenseitig durch Gewölbbogen; labyrinthische Gänge schlüpfen zwischen kahlen Felswänden und schroffen Festungswällen finster und einsam hindurch, und hier und da hat man den Felsengrund selbst als Mauerwerk benutzt. In den Gebäuden winden sich dunkle Stiegen empor, eine eisige Steinluft durchfröstelt die Räume, welche nur in den höheren Etagen vom Sonnenlicht erwärmt werden. Man ist froh, wenn man, dem donnernden Widerhall der Brandung folgend, bis zum Klippenrand vorgedrungen ist, auf welchem der Leuchtthurm sich erhebt, und wo das Auge frei über das Meer hinüber nach dem schönen Parthenope schweifen kann.
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Der untere Theil der Stadt zeigt zwar weniger diesen finstern - maurisch-arragonesischen - Charakter, aber von gemüthlicher Wohnlichkeit ist auch hier nicht die Rede; unerträgliche Hitze im Sommer, quälende Kälte ohne Schutz im Winter. Zu den hervorragenderen Gebäuden dieses Stadttheils gehört der sogenannte königliche Palast, ein einfaches zweistöckiges Wohnhaus, in dem Papst Pius IX während seines Exils im Jahre 1849 mit Antonelli residirte. Man ist überhaupt in Italien sehr freigebig mit der Benennung »palazzo«.
Non den Kirchen ist außer der von St. Francisco nur die aus der Zeit Kaiser Rothbart's stammende Kathedrale von St. Erasmo mit der Fahne des Siegers von Lepanto, und die außerhalb der Stadt auf jenem Berge am Meer stehende Kirche von Santa Trinita zu nennen, den nach der Sage der letzte Seufzer des sterbenden Heilands bis in seine Tiefen zerriß, gleich dem Vorhang des salamonischen Tempels.
Leser, warst Du im Stande, aus dem Vorgesagten Dir ein annähernd Bild der Felsenveste Gaëta zu machen, so höre kurz seine Geschichte, so reich an Wechseln, wie wohl kaum eine andere sie aufweisen dürfte!
Wie wir bereits erwähnt, verliert sich die Geschichte Gaëta's in's graue Alterthum.
Aeneas soll sie, als er von Troja floh und die liebesehnsüchtige schöne Königin Karthago's alberner Weise im Stich ließ, - eine Geschichte, die das stille Bedenken erregt, Madame Dido sei mindestens eben so alt gewesen, wie Frau Potiphar - Aeneas also soll es zu Ehren seiner Amme Cajeta erbaut haben. Erwiesen ist, daß die Stadt
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griechischen Ursprungs, also sehr alt ist. Während der Herrschaft des alten Roms war sie Municipalstadt und unter Kaiser Augustus gehörte sie zur Landschaft Campanien. Römische Patricier hatten ihre Villen hier, um die stärkende Meerluft in vollen Zügen zu trinken und sich von ihren Orgien wieder zu kräftigen.
Als im fünften Jahrhundert die Gothen zur Herrschaft über ganz Italien gelangten und nach achtzehnjährigem Kampf mit Belisar und Narses, den berühmten Feldherrn des Justinian, der letztere sie schlug, setzte der Eparch Longinus einen Duca oder Herzog auf die Felsenveste, deren bedeutsamere Geschichte für Italien mit dieser Erhebung beginnt; denn bald darauf, von der Herrschaft der Longobarden in Ober-Italien angeregt, erklärte sich der griechische Duca von Gaëta souverain.
Aus der Niederlage der Longobarden durch die Franken erwuchs die Macht des Papstthums. Anfangs von Pipin an Papst Stephan geschenkt, kam Gaëta bald an die griechische Herrschaft zurück und spielte in den zahllosen Kämpfen der Griechen, der Longobarden, der Sarazenen und des Papstes um die Herrschaft in Mittel- und Unter-Italien eine bedeutende Rolle, bis das Erscheinen der deutschen Kaiser und der Normannen eine neue Phase dieser ewigen Kämpfe und Intriguen schuf.
In dieser Zeit befreite Kaiser Heinrich III. Gaëta aus der Herrschaft des longobardischen Fürsten von Salerno, und Gaëta war es, das nebst Aquina allein für die Rechte des jungen Barbarossa Otto IV. zu widerstehen vermochte. In jener Zeit geschah es, daß der neugekührte
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Kaiser, der so lange als der Träger der deutschen Glorie dem deutschen Volke gegolten hat, bis in den gewaltigen Kämpfen der Gegenwart der greise Hohenzoller Wilhelm an die Stelle des großen Hohenstaufen getreten ist! - Gaëta besuchte und zu seiner Meeresfahrt ein gaëtanisches Schiff benutzte.
Treu dem Kaiser trotzte Gaëta in den darauf folgenden Kämpfen der Guelfen und Ghibellinen, der geistlichen und kirchlichen Macht lange selbst dem Bannfluch des päpstlichen Legaten, und als die Intriguen des päpstlichen Stuhls, um die Macht der deutschen Kaiser in Italien zu stürzen, Karl von Anjou nach Neapel rief und der letzte Hohenstaufe Conradin nach der unglücklichen Schlacht von Tagliacozzo sein junges Haupt auf dem Markt von Neapel dem Block opferte (1269), war es Gaëta, das treu bis zum letzten Augenblick zu ihm hielt.
Dreizehn Jahre später brachen die Dolche der sicilianischen Vesper zum ersten Mal die französischen Fesseln und es begannen um Neapel und seine Umgebung jene langen Kämpfe zwischen der französischen Usurpation der Anjou's und den Spaniern unter Peter von Aragon und seinen Nachfolgern, in denen die päpstliche Politik bald auf der einen, bald auf der anderen Seite stand, nur immer bemüht, ihre eigene Macht zu verstärken. Gaëta widerstand damals fünzehn Monate lang der spanischen Flotte und dem spanischen Heer, gewährte der Mutter des unmündigen Ladislaus von Ungarn seinen Schutz und sah den jungen König in seinen Mauern krönen. Zum zweiten Mal nach dem Tode der wankelmüthigen Johanna von Neapel trotzte
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es der spanischen Flotte in zahlreichen Stürmen, bis es endlich nach Befestigung der spanischen Macht im Frieden an diese fiel.
Später - zu jener Zeit, als das neapolitanische Volk fast so schmachvoll, wie in den Tagen der Gegenwart, seinen jungen König Ferdinand II. von Aragon verrieth und bedrohte, - verließ auch Gaëta die Sache seines Herrn und ergab sich dem Heere König Karl VIII. von Frankreich.
Im Besitz der Franzosen widerstand Gaëta zwei Mal der Belagerung durch den berühmten Gonsalvo di Cordova, bis Hunger es fallen machte.
Karl V. befestigte es in regelrechter Weise und erkannte zuerst die Wichtigkeit des Monte Orlando, so daß es Neapel gegen die französische Invasion Lautrec's unterstützen und 1640 die französische Flotte zurückschlagen konnte. Die Steuer, welche der spanische Vicekönig Herzog von Arcos den Neapolitanern auflegte, um von ihrem Ertrag die Befestigungen Gaëta's verstärken zu können, war es, die den berühmten Aufstand Masaniello's hervorrief. Gaëtanische Krieger waren es, welche den Anschlag des Herzogs von Guise auf Neapel vereitelten.
Als später, 1701, der spanische Erbfolgekrieg ausbrach, spielte auch Gaëta seine Rolle. Graf Daun erstürmte es am 30. September und erst am 6. August 1734 verloren es die Oesterreicher nach tapferer Vertheidigung unter Graf Tattenbach wieder, da die deutschen Verwickelungen keine Unterstützung erlaubten.
Der Wiener Friede von 1735 vereinigte beide
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Sicilien zu einem Reich, und Karl III. wurde der Begründer der bourbonischen Dynastie auf dem Thron von Neapel.
Unter ihr gab in dem Krieg mit der französischen Republik Gaëta jenes erste Beispiel feiger Ergebung, das fast den alten Ruhm ausgelöscht hätte, wenn nicht so heldenmüthige spätere Vertheidigungen dies gesühnt hätten. Ohne Widerstand öffnete es 1799 den 400 Reitern des General Rey seine Thore.
Die Republikaner theilten gleiche Schande mit den königlichen Truppen. - Gaëta ergab sich bald darauf wieder dem rechtmäßigen Herrn.
Als nach der Drei-Kaiser-Schlacht von Austerlitz Napoleon dekretirte: »Die Dynastie von Neapel hat zu regieren aufgehört!« und seinen Bruder Joseph auf den Thron des alten Parthenope setzte, war es Gaëta allein, das der französischen Invasion muthig Trotz bot.
Ein Deutscher, der Prinz von Hessen-Philippsthal, war es, der jene heldenmüthige Vertheidigung vom 8. März 1806 an gegen Regnier und Massena führte, bis am 7. Juli eine Bombe ihn unter den Trümmern der Bastion di Tre Piano begrub.
Am 18. Juli kapitulirte die Festung und fiel in französische Hände, um nun neun Jahre später noch eine andere heroische Vertheidigung zu finden, die den Strahlenglanz der Treue, würdig einer besseren Sache, auf das Grab eines königlichen Abenteurers werfen sollte, der selbst nicht Treue gehalten.
Der doppelte Verrath Mürats hatte nicht vermocht, ihm den Thron des schönen Neapel zu wahren.
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Nachdem Carrascosa die neapolitanische Armee den Oesterreichern überliefert hatte, Mürat nach Frankreich geflohen war und alle festen Plätze sich längst König Ferdinand IV. wieder unterworfen hatten, war es Gaëta, das allein dem Besiegten die Treue hielt und - nachdem selbst der corsische Gigant zusammengebrochen, - einer Welt in Waffen zu trotzen wagte.
Es ist uns kein ähnliches Beispiel von Heldenmuth eines Neapolitaners bekannt, wie es der von Mürat eingesetzte Kommandant von Gaëta, Baron Begani, gegeben hat.
Er war ein eifriger Anhänger des leichtsinnigen aber kühnen und chevaleresken Königs; Die[die] Besatzung der Festung bestand aus nur 2000 Mann, meist aus Oberitalien und den Marken, und gleich dem tapfern Kommandanten enragirten Müratisten. Vom 19. Mai ab wurde die Meerveste auf der Landseite von österreichisch-toskanischen Truppen und der altroyalistischen Bevölkerung, auf der Seeseite von einer englischen Flotte blokirt. Aber allen Aufforderungen zur Uebergabe antwortete Begani ein trotziges »Nein«! und den Aufstandsversuchen im Innern mit eiserner Strenge.
Selbst die Bedrohung mit dem Tode am Galgen, wenn die Festung im Sturm fiele, vermochte ihn nicht zu schrecken, eben so wenig wie die Nachricht von dem Einzug Ludwig XVIII. in Paris.
Erst nachdem drei Mal die Festung bombardirt worden war, am 8. August zog die Garnison die weiße Fahne
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auf und ergab sich. Siebenunddreißigtausend Kugeln und Raketen waren von Land und See auf die kleine Festung gefallen, die tapfere Vertheidigung hatte König Mürat eine Landung von Corsica aus sichern sollen; - die spätere, am 8. October in Pizzo in Kalabrien wurde bekanntlich sein Tod.
In späterer Zeit wurde der Name Gaëta's und Begani's noch einmal genannt - aber in Verbindung mit Schmach und Feigheit, zu jener Epoche der neapolitanischen Armee von der es hieß, daß das Heer »keinen Soldaten von Ehre mehr« besitze. Es war dies 1821, als die Oesterreicher dem Treiben der Carbonari's in Neapel ein Ende machen wollten und die Armee in colossaler Meuterei davon lief samt den Garnisonen, so daß selbst die Energie Begani's die von Gaëta nicht halten konnte.
Es war das würdige Vorspiel von 1860!
Erst durch die Gründung der vier Schweizer-Regimenter erhielt die neapolitanische Armee wieder einen Halt der Treue. In den Stürmen von 1848 blieb Gaëta ein Bollwerk für Thron und Glauben und gewährte Pius IX., der so unbedachtsam den Tiger entfesselt hatte, ohne die Kraft zu haben, ihm Schranken zu setzen, vom 25. November 1848 bis zum 4. September 1849 Schutz gegen das aufrührerische Rom, dessen »Republik« Garibaldi gegen dieselben Franzosen vertheidigte, denen er später gegen ihre Feinde zu Hilfe ziehen sollte.
Das Schicksal und die Gedanken der Menschen wechseln wunderlich!
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Die Tauben der Königin.

Die Witterung war bis zu dem Weihnachtsfeste sehr ungünstig gewesen, hatte sich aber seit dem 25. December geändert, und ein heller blauer Himmel wölbte sich über der schwer bedrohten Festung. Die von den Batterien der Belagerten bekränzten Höhen hatten ihr Schneehaupt verloren und das neue Jahr schien im Gewande des Friedens und der Milde auftreten zu wollen, denn auf beiden Seiten schwieg seit dem Morgen der Donner der Geschütze.
Seit dem 5. November war Gaëta von den Piemontesen belagert und auf der Landseite cernirt, während bisher die französische Flotte unter Admiral Barbier de Tinan nebst einigen spanischen Kriegsschiffen die Blokade und das Bombardement von der Seeseite verhindert und die Flotte des Generals Persano - die im Golf so verrätherisch gestohlenen und feig überlieferten neapolitanischen Schiffe, - in ehrerbietiger Entfernung auf der Höhe des Meeres gehalten hatten.
Es war ein prachtvoller Nachmittag, - die Sonne bereits im Sinken, - und wenn auch zu dieser Jahreszeit der üppige Reichthum der südlichen Vegetation mit seiner
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warmen Färbung fehlte, so ist sie einerseits auf dieser felsigen Küste ohnehin geringer, und andererseits bot die klare Durchsichtigkeit der Luft mit der weiten Aussicht auf die pittoresken Steinformationen, die wunderbare Bläue des Meeres und die kriegerische Staffage von Land und See ein reich entschädigendes Bild.
Das schienen auch die beiden Männer zu empfinden, die um die vierte Stunde von einer Terrasse des Monte Orlando, grade über der Batterie, die man unterhalb des Thurmes errichtet hatte, standen, denn von Zeit zu Zeit schwieg ihre sonst sehr eifrige Unterhaltung und sie betrachteten das Rundbild zu ihren Füßen.
Die Unterhaltung, die sie führten, geschah in der deutschen Sprache, und Beide bewiesen durch ihre Uniformen, daß sie zu den Vertheidigern der Festung gehörten. Der Eine trug den dunklen Rock der Artilleristen mit dem Abzeichen eines Feuerwerkers, der Andere die Uniform eines der drei Fremdenbataillone, deren Mannschaften zum größten Theil aus Schweizern - den Resten der von der Revolution so schlau beseitigten Regimenter Siegrist, Brunner, Muralt und Riedmatten, - Deutschen, Franzosen und Belgiern bestand.
Der Artillerist war ein Mann von einigen vierzig Jahren und sein tief gebräuntes Gesicht zeigte den Stempel eines wüst und unruhig verbrachten Lebens. Er hatte kleine, funkelnde Augen und bereits ergrauendes Haar - ein struppiger Bart bedeckte den unteren Theil des von Blatternarben entstellten Angesichts. Es lag in diesem Gesicht etwas Unangenehmes, wenig Vertrauen Erweckendes, und doch
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zeigte der ganze Ausdruck wieder eine sorglose Kühnheit und übermüthige Sicherheit, die sich auch in den leichten, ungezwungenen Bewegungen der untersetzten, kräftigen Gestalt wiedergab. Obschon diese Ungebundenheit wenig mit soldatischer Regelung übereinstimmte, lag doch Etwas darin, das bewies, man habe einen vielgedienten Soldaten vor sich, einen jener Landsknechte des neunzehnten Jahrhunderts, die Politik, Eisenbahnen und Dampfschiffe nach allen Zonen verschlagen haben.
Einen starken Gegensatz zu ihm bildete sein Begleiter. Er konnte etwa 18 bis 19 Jahre zählen, war von hoher, aber muskulöser Gestalt, an der man freilich, wie an dem Ganzen noch das Unfertige, Werdende wahrnahm. Dem entsprach auch das gutmüthige, frische Gesicht mit großen, blauen Augen und der kräftigen Stirn unter dem braunen Kraushaar. Form und Teint dieses Gesichts bewiesen, daß er kein Südländer, sondern von jenseits der Alpen war, und der gemüthliche weiche Dialekt bekundete ihn als Sohn der oberbayerischen Gebirge.
Das Panorama zu ihren Füßen war in der That fesselnd. Selbst wenn das Auge nicht nach der Ferne schweifen wollte zwischen die Höhen des Monte Christo, Tortone und Capuccini, deren südliche Abhänge mit den Batterien der Piemontesen besetzt waren, oder weiter über den Spiegel des Golfs nach den Zelt- und Barackenlagern von Mola di Gaëta, bis es sich an den fernen parthenopischen Bergwänden verlor, war schon das Schauspiel zu ihren Füßen ein reich interessantes. Von dem Standpunkte, den Beide einnahmen, konnten sie das Innere fast aller Werke und
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Batterien der Vertheidigung übersehen, von der Bastion della Trinita mit ihren zehn sechzigpfündigfündigen Haubitzen, bis zur Porta di Terra und der See-Batterie San Antonio.
An ihren Geschützen lagerten die Kanoniere - hier und da wurde trotz des Festtags die Ruhe benutzt, um die von den piemontesischen Kugeln gepflügten Wälle auszubessern; aus anderen Gruppen hörte man heiteres Lachen und Gesang und namentlich waren es die treu gebliebenen Seeleute, die den heitersten Muth zeigten. Daneben wurde keineswegs der Dienst vernachlässigt; denn überall standen die Wachen auf ihren Posten, die Munitions-Kommandos schleppten neuen Vorrath aus dem Arsenal und den bombensichern Gewölben in die Batterien, und die Offiziere machten die Runde.
Auch in viele der engen Straßen und Gäßchen, mit den hohen, an die Felswand hinein gebauten Häusern reichte der Blick und sah den Verkehr der durch die Auswanderung nach Civita vecchia ziemlich geschmolzenen Bevölkerung, welche die Pause des Bombardements benutzte zu Gängen durch die Stadt, oder um sich am schmalen Quai umherzutreiben und von den Soldaten sich Rath und Hoffnung zu holen, oder mit den Seeleuten, die von der Flotte herüber gekommen, allerlei Geschäfte zu machen.
Auf dem nach und nach vergrauenden Azur der Rhede aber wiegten sich die mächtigen Dampfer und Fregatten, grade über der Batterie di Santa Maria das französische Geschwader, der St. Louis, der Impérial, der Bretagne und die anderen Schiffe, während weiter ab einige spanische Fahrzeuge ankerten und weit draußen am
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Horizont die Mastspitzen der kreuzenden Schiffe des piemontesischen Admirals verschwanden. Boote kreuzten zwischen dem Lande und der französischen Flotte, und von Süden her um die Felsenspitze zog in langer Dehnung der Rauch eines zum Hafen steuernden Dampfers.
»Beim Propheten!« sagte nach einem längeren Umblick der Artillerist, indem er sich den Bart strich, »ich fürchte, Neffe Max, die Expedition, von der Du mir sagtest, könnte ein Hinderniß erfahren.«
»Wie so, Ohm Hradek?«
»Bah! Ich bin zwar eine Landratte, wie sie's heißen, aber ich verstehe doch genug von der See, die mich zehn Mal zwischen den Küsten der alten und neuen Welt hin und her getragen, um zu wissen, daß die Herren von der Flotte da drüben sich auf eine unruhige Nacht gefaßt machen. Wenn man ein Bauer wie Du geblieben und nie aus seinen Bergen hervorgekommen ist, hat man freilich kein Auge dafür und merkt höchstens, wenn der Regen das Heu zu verderben droht oder es Zeit ist, die Kühe in den Stadel zu treiben.«
»I bin kein Bauer, Ohm Hradek!« sagte der junge Mann unwillig, »sondern a Jäger, und i hab a Gucker so gut wie der beste Bursch in der Jachenau, das a Gamsthier auf hundert Gänge weit von an Bock unterscheiden kann!«
»Ein Jäger willst Du sein?« sagte der Aeltere höhnisch. »Beim heiligen Nepomuk und beim Blutbrunnen von Cawnpoor - das ist mir ein großer Jäger, der höchstens einen elenden Rehbock oder einen Hasen für die Tafel seines gnädigen Herrn schießt! Lern' erst dem schwarzen
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Löwen des Atlas beim Sprung die Kugel durch's Auge in's Gehirn zu schicken, den bengalischen Tiger, ohne mit den Wimpern zu zucken, auf's Korn nehmen, oder dem wilden Nashorn durch einen kecken Seitensprung zu entgehen, wenn es auf Dich losstürmt, als wollte es mit seinem Gewicht Felsen zermalmen, - dann werde ich sagen, daß Du ein Jäger bist und ein sicheres Auge hast.«
»Schau« sagte der junge Mann, »i hab zwar mei Lebtag noch kei Rindozeros gesehen und a ka'n Tiger nit, weil i nit so weit g'reist bin, wie Du, Ohm, aber i sollt' denken, wer den Gamsbock auf der äußersten Spitze vom Zuckhorn verfolgt hat, der fürcht halt kei andre Jagd nit. Dös müßt Oes doch am besten wissen, daß die Gamsjagd kei leicht und ungefährlich Ding is.«
»Still, Bursche« sagte der Andere mit einem bösen Seitenblick. »Willst Du mich d'ran erinnern, daß ich fast zwei Jahre im Zuchthaus zu Ingolstadt gesessen, weil Dein Vater den Mann seiner eigenen Schwester beim Gericht wegen einem Paar lumpiger Thiere, die ich schoß, denuncirt hat?«
»Unser Vater« sagte der junge Soldat trotzig, »is geschworener herzoglicher Förster und darf ka Wilddieberei nit dulden, und wenn's sei eigner Bruder wär'. Ueberdies habt Oes auf den Stoffel geschossen und was Euch geschehn is, is zu recht geschehn, so sehr auch Selbiges Vater und der Mutter zu Herzen gangen is. I war damals noch a junger Bua - aber ich weiß, daß alle Leut sagt haben, der Vater hat recht gethan und es mußt a End gemacht werden mit Eurem schlimmen Thun.«
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»Meinst Du?« knirschte höhnisch der Andere. »Nun - es ist lange her, daß ich's vergessen konnt' über hundert schlimmern Dingen, die mir in drei anderen Welttheilen passirt sind, die ich seitdem gesehen - freilich, nichts Schlimmeres, als daß mein Weib starb, als ich damals im Zuchthaus saß, aus Angst und Gram darüber.« Es zuckte wie ein Kampf zwischen grimmigem, Rache dürstendem Haß und einem tiefen Schmerz über sein zerrissenes Gesicht, aber er unterdrückte ihn gewaltsam. »Daß ich's nicht nachgetragen, Neffe Anton, zeigt Dir, daß ich mich Dir zu erkennen gab, als Du hierher kamst und ich Deinen Namen hörte.«
»Es war halt schön von Euch, Ohm« sagte der junge Mann, »daß Oes zu der gnädigen Königin gestanden habt in Ihrem Unglück und nicht zu dem welschen Volk.«
»Larifari! Ich dien', wer mich bezahlt und hab' den Dienst so oft gewechselt, daß mir die Sache, für die ich grade fechte, sehr egal ist, wenn's nur Geld und lustiges Leben giebt. Der kaiserliche Dienst hat mich wenigstens zu einem tüchtigen Artilleristen gemacht, und ein solcher findet überall sein Brod, wo Kanonen knallen. Das haben die Preußen empfunden in der Pfalz und die Engländer in Lucknow und Cawnpoor. Der Nena wußte das Verdienst eines Mannes zu schätzen. Weißt Du, Bursch, daß ich dort den Rang eines Hauptmanns hatte und viele Hunderte meinem Befehle gehorchten, während ich hier nichts als ein erbärmlicher Unteroffizier bin.«
»Aber geht's, Ohm,warum seid Oes denn nit da blieben?«
»Narr! Wenn mich die Rothjacken gefaßt hätten, würden
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sie mich vor eine meiner eigenen Kanonen geschnürt und in die Luft geblasen haben, wie die armen Seapoy's. - Ich merkte es bei Zeiten, als es schief ging. So salvirte ich mich auf einem holländischen Schiff nach der afrikanischen Küste.«
Der noch wenig lebenserfahrene junge Mann sah mit einer gewissen Bewunderung zu dem Oheim auf. Grade dessen abentheuerliches, bewegtes Leben hatte ihm einen großen Respekt, eine Theilnahme für den Verwandten eingepflanzt, die diesem einen Einfluß verschafften, den seine moralischen Eigenschaften sonst schwerlich gewonnen hätten. Der welterfahrene Strolch hatte das bald gemerkt und sich zu Nutze gemacht. Seine selbstsüchtigen, mit den Gesetzen der Ehre und der Ordnung grade nicht sehr harmonirenden Ansichten und Pläne drohten in der That einen verderblichen Einfluß auf das Gemüth des jungen, unverdorbenen Menschen zu gewinnen, der keine Ahnung hatte, daß er das Werkzeug seines Verwandten sei.
»In Afrika, da wohnen ja wohl die Mohren? Und da seid Oes auch 'west, Ohm?«
»In Egypten, Toni. Es giebt zwar genug Schwarze dort, aber für gewöhnlich sind sie nur kaffeebraun. Ja, Bursch, ich hab' Menschen von allen Farben gesehn, von denen Ihr freilich Euch Nichts träumen laßt in Euren Bergen.«
»Und was thatet Oes in Egypten?« frug der junge Mann, der gar zu gern erzählen hörte. »Wart Ihr dort auch ein Hauptmann wie drüben in Indien?«
Der Landsknecht lachte. »Nicht ganz, aber ich hätte
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es sicher dazu gebracht und hoffentlich noch weiter, zum Aga oder Pascha. Es ist ein gutes Land, um sein Glück zu machen, wenn auch meist verdammt kahl und öde. Ich könnte Dir hundert Abenteuer da erzählen aus der Wüste und von den braunen Schurken, den Beduinen, obschon die weißen Schurken in den Städten noch über sie kommen. Ein ander Mal davon! Weiß nicht, wie's kommt, aber ich hab' einmal nirgends Ruhe, seit Deines Vaters Schwester da im Grab auf dem Dorfkirchhof liegt und die Berge auf sie niederstarren, auf denen ich einst friedlich die Gemse pürschte.«
»So gingt Oes wieder fort aus dem Egypterland, wie der Moses mit dem auserwählten Volk, wie's in der Bibel steht?«
»Nicht ganz so, mein Junge, denn die Ebräer waren klug genug, mit vollen Säcken sich zu drücken, während ich so ratzenkahl mich salviren mußte, daß mir kaum die Mittel blieben, den italienischen Padrone zu bestechen, der mich in Brindisi an's Land setzte, obschon ich die Taschen voll Gold und Edelsteinen hatte, als ich aus Indien ging. Aber es dauerte freilich nicht lange, obgleich ich den besten Willen hatte, mein Geld mit nach Europa zu nehmen und dort wie ein großer Herr zu leben - in Inspruck, in München - oder in meiner Heimath, im alten Prag. Wär's so gegangen, beim Brunnen von Cawnpoor! ich hätte mir leicht selbst eine Herrschaft und meine eigenen Jägersleute halten können, der ich von Anfang doch nur ein armer Soldat und Wildschütz war, den Dein Vater, der gestrenge Förster, in's Zuchthaus stecken ließ!«
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Er kam unwillkürlich immer wieder auf den Punkt zurück und ein Menschenkenner hätte leicht gemerkt, wie schwer ihm dieser gleich einem Wurm am Herzen fraß. Der junge Mann dachte jedoch gutmüthig nur daran, ihn von diesen Erinnerungen abzulenken.
»Schad' ist's, daß Euch die schlimme Leut 's viele Geld so 'stohln hab'n. Dös wär' doch bei uns im Bayerland nit g'schehn!«
Der Ohm lachte. »Mit dem Stehlen hat's gute Wege, wenn ich mich nicht selbst bestohlen hätte! Es ist auch nicht schlecht unter den Soldaten des Khedive, denn es giebt manche Streiferei und manche Expedition, wobei ein kluger Kerl sich die Taschen füllen kann, und wenn die verfluchte Geschichte in Alexandrien mit dem Engländer nicht gekommen wäre, - Gott verdamme die Kerle, die ihre Nase überall haben und wie der ewige Jude sind! - ich wäre wohl noch da. So mußt' ich Fersengeld geben, wie gesagt, ratzenkahl, und froh sein, daß ich beim kleinen Bombino Handgeld in der Fremdenlegion erhielt.«
»Pfui, Ohm - Oes dürft nit despektirlich sprechen von Seiner Majestät. I leid's nit!«
»Pah - das ganze Bataillon nennt ihn so und der Name würde ihm keinen Schaden machen, wenn er nur sonst ein Mann wäre und die Hosen anhätte, statt sie den Weibsleuten zu überlassen. Aber so viel ist sicher, daß hier in dem alten Bergnest nicht viel zu holen ist, als piemontesische Kanonenkugeln; denn mit dem Traktament hapert's gewaltig, und wenn's nicht etwa Knauserei ist, wie die Leute meinen, da die Keller der Citadelle voll Gold liegen
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sollen, so hätt' ich besser gethan, mich bei den Päpstlichen anwerben zu lassen, wo's trotz der Schläge doch wenigstens fette Peterspfennige giebt. Hätt's auch gethan, wenn ich Dich nicht zufällig am Volturno getroffen hätt'. - Bist noch das Einzige, was ich in's Herz geschlossen habe!«
»Ihr vergeßt Eure Tauben, Ohm!«
Der Aeltere warf ihm einen raschen, mißtrauischen Seitenblick zu. »Was meinst Du mit den Tauben, Bursch?«
»Na, i mein' halt, wer die lieben, unschuldigen Geschöpfe da so hegt und pflegt, wie Oes thut, Ohm, der Ihr die halbe freie Zeit auf dem Taubenschlag sitzt, den Ihr Euch da gebaut habt auf dem Thurm, der hat noch a Herz auch für sei Mitmenschen und Oes macht Euch schlimmer, als Ihr selber seid!«
Der Landsknecht lächelte verächtlich. »Magst's glauben - 's hat jeder Mensch seine Passion, und wenn die meine früher war, einen Hirsch oder eine Gems zu pürschen, was mich in's Unglück gebracht hat, so ist sie jetzt unschuldigerer Natur - ein Taubenschlag, der auch seinen Vortheil hat, denn die barmherzigen Schwestern holen sich mehr als eine meiner munteren Dinger, um eine Suppe daraus zu kochen für ihre Kranken, und kosten thut der Spaß Nichts, da sich das Zeug selbst sein Futter holt in den Bergen.«
»I wund're mich nur« antwortete der junge Mann, daß sie das G'schieß aushalten und nit längst auf und davon geflogen sind.«
»Sind an's Haus gewöhnt wie der Tyroler an die Berge! Kommt freilich vor, und darum schaff' ich mir auch Ersatz, wenn das Proviantschiff kommt von Civita
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vecchia!« Er that einen gellenden Pfiff, und ein Taubenschwarm, der seither über ihnen munter in der Luft gekreist hatte, senkte sich nieder auf die Mauerstücke und Steine umher und der alte Soldat streute ihnen Brodkrumen und Gerstenkörner aus, die sie vertraulich zu seinen Füßen aufpickten. -
Der Böhme wandte seine Blicke wieder auf das Meer. »Bismillah wie die braunen Hallunken da drüben sagen, - da stößt schon wieder ein Nachen mit Offizieren vom Strande ab und rudert eilig nach der Flotte. Wärst Du ein Seeverständiger, würdest Du sehen, daß alle Mann an Bord an den Raaen beschäftigt sind, jeden Fetzen Leinwand zu bergen. Ehe zwei Stunden um sind, wird von der afrikanischen Küste her ein ganz strammer Wind blasen, der es den beiden alten Transportschiffen schwer machen möchte, den Dampfern des Admirals zu entwischen, ohne an der Küste zu zerschellen.«
»Aber die Truppen sind bereits an Bord!«
»Dobre! so werden sie wieder sich ausschiffen, oder hübsch warten. Wie viel Mann sagtest Du doch, daß die Expedition mitmachen sollen?«
»Zwei Compagnien des ersten Fremden-Bataillons und dreihundert Mann von den Jägern.«
»Welches Bataillon?«
»Das achte unter Oberstlieutenant Nunziante.«
»Teufel, der? Aber sein Bruder ist ja für den Sardinier?«
»Eben deshalb! Der Herr ischt gut königlich und will halt gut mache, daß der Lump, sei Bruder in Neapel, a Verräther 'wesen is!«
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»Ich hab' davon gehört,« meinte der Andere. »Es hat an Schurken nicht gefehlt, Kerle mit vornehmen Namen und hohem Amt und so niederträchtig schuftig, daß der Tugh[Thug], der seinem Opfer die Schlinge unversehens um den Hals wirft, noch ein ehrlicher Feind dagegen ist! Wir haben in der Batterie einen Sechspfünder, auf dessen Rohr der Name Nunziante steht. Bombino war neulich dort, und als er zufällig den Namen las, traten ihm die Thränen in die Augen.«
»Der König hat halt a gut Herz und s'is Schand' g'nug, daß sie em so verrathen hab'n.«
»Weißt Du, wo die Expedition landen soll?«
»S'is a Stadt, Reggio thun's heißen!«
»So - so! - und Dein guter Freund, der neugebackene Lieutenant, geht der auch mit?«
Der junge Soldat erröthete unwillkürlich. »I wa's nit, Ohm!«
»Lüge nicht, Toni - Du solltest das nicht wissen?«
»Nu - i glaub nit, daß er aa mitgeht!«
»Glaub's wohl. Und wer ist denn eigentlich der Herr Max?«
»I hab' Euch schon g'sagt - i weiß nit! i kenn em nit anders, wie jeden andern Soldaten aa!«
»Mach' das dem Teufel weiß, aber nicht einem alten Fuchs, wie ich bin. Du und Deine Schwester, die Fratz, die immer thut, als wär' ich Gift, wenn ich ihr die Hand reiche, kennt ihn mehr als irgend einer, - vielleicht die Bombina ausgenommen!«
»Ohm!«
»Nun, die kleine Königin, wenn Du's einmal lieber
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hörst. S'ist mir aufgefallen, daß sie sich stets von ihm wendet und nie ihm ein Wort gönnt, wie sie's doch jedem Andern thut, der sich wacker zeigt, und Courage hat der Bursche, das muß man ihm lassen. Als neulich die Granate kaum drei Schritte von ihm krepirte, zuckte er nicht mit den Wimpern. Mir hat's manchmal geschienen, als suche er den Tod, so keck exponirt er sich auf den Wällen. Aber rechter Ernst mit der Gleichgültigkeit und dem Haß scheint mir's doch nicht. Denn als die Compagnie - ich hörte es zufällig mit an - ihn einstimmig für den gefallenen Schweizer Offizier zum Lieutenant vorschlug und General Bosco ihn trotz seiner Ablehnung dazu ernannte, indem er sagte, jeder Soldat habe die Pflicht, den Posten einzunehmen, den ihm der König angewiesen, - sah ich es ganz eigenthümlich leuchten in dem Auge der kleinen Königin, und sie machte ein Zeichen mit dem Kopfe, er möge es annehmen, worauf er kein Wort mehr dagegen sprach. Deshalb eben, Bursche, möchte ich wissen, ob der Lieutenant nicht noch einen andern Namen trägt, als den bloßen nomme de guerre, wie die Franzosen es heißen, Max!«
»Oes thut am Besten, en selber zu fragen!« meinte der junge Mann trocken.
»Narr - glaubst Du, ich will mir bloßer Neugier halber den Mund verbrennen? Das ist kein Mann dazu - darauf versteh' ich mich - er hat etwas im Auge, das jede Vertraulichkeit zurückhält. Deswegen hat er auch wenig Umgang mit den anderen Offizieren oder seinen früheren Kameraden. Du allein machst eine Ausnahme, deshalb glaub' ich, Du mußt ihn kennen!«
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»Oes irrt, Ohm!«
»Larifari - Du willst nur nicht beichten. Die Ausrede, daß Du ihn im Bataillon kennen gelernt, glaub' ich nicht, seit ich gesehn, daß die Kathi am Weihnachtsabend so vertraulich mit ihm sprach, während sie zu hochmüthig scheint, weil sie die Milchschwester einer Königin ist, obschon sich's mit der bald ausgekönigt hat, selbst ihrem Verwandten ein freundliches Wort zu gönnen! - Der Mensch ist ja erst seit vier Wochen in der Festung, kein Anderer kennt ihn - während Ihr von vornherein mit ihm vertraut war't.«
Der junge Mann wurde einer ihm offenbar unangenehmen Erwiderung enthoben; die Taubenschaar stob plötzlich auseinander und erhob sich bis auf einige schöne, weiße Pfauentauben, und als die Beiden emporsahen, stieg um die Wallecke eben eine Gesellschaft empor und auf den freien Platz des Abhangs, deren Näherkommen sie bisher nicht bemerkt hatten.
»Ihre Majestät!« rief der junge Waidmann aufspringend.
»Der Teufel verderbe ihre Mutter!« fluchte der Artillerist. »Es wär eine so schöne Gelegenheit, ihm die Würmer aus der Nase zu ziehen.« Dennoch richtete er sich in altgewohnter straffer Soldatenhaltung empor, als die Gesellschaft näher kam.
Es war in der That die junge Königin - die Heldin von Gaëta, Marie von Bayern.
Marie Sophie Amalie, Herzogin von Bayern, die Tochter des Herzogs Maximilian von Bayern, und auch von
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mütterlicher Seite aus dem edlen und tapferen Hause der Wittelsbacher stammend, am 4. October 1841 geboren, die jüngere Schwester der Kaiserin von Oesterreich, hatte ihre Jugend in ungetrübtem Glück im Schooße ihrer Familie und der herrlichen Natur des bayerischen Hochgebirges - auf Schloß Possenhofen am Staremberger See - verlebt, und wurde - noch nicht 18 Jahr - am 8. Januar 1859 durch Prokuration, am 3. Februar mit dem Kronprinzen von Neapel vermählt, der, nur 5 Jahre älter als sie, nach dem Tode König Ferdinand's II. als Franz II. am 22. Mai 1859 den Thron beider Sicilien bestieg. Sie zählte also damals - an dem Neujahrstag 1861 - erst wenig über 20 Jahre und hatte kaum sechszehn Monate das dornenvolle Glück einer Königskrone genossen, als das Schicksal sie zu so harten Prüfungen berief.
Die junge Königin ist nicht schön, sie hat ein ernstes, schmales Gesicht mit kräftiger Stirn und feiner, länglicher Nase, dem nur der hübsche, geschlossene Mund und das zierliche Kinn wieder etwas Angenehmeres verleiht. Ihre Gestalt ist nicht hoch, aber zierlich und schlank. Ihre Kleidung war etwas amazonenhaft, aber passend für die Lage und die Anstrengungen, denen sie sich unterzog, gewählt - ein dunkler, bis an die feinen Knöchel reichender Sammetrock, ein kurzes Zouavenjäckchen über dem weißen, gefalteten Hemd der Brust, feine glanzlederne Stulpenstiefeln auf dem zierlichen Fuß, die ihr das Wandern durch allen Schmuz der Batterien und der Straßen ermöglichten, ein niederer grauer Filzhut mit herabhängender Feder auf dem dunklen, einfach gescheitelten und in ein Netz gefaßten Haar, und
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ein grauer, carbonariartiger Mantel über Schultern und Gestalt gezogen und halb erhoben, - das war die einfache Kriegerkleidung der jungen Heldin auf dem Thron.
Sie kam am Arm ihres Gemahls, des gutmüthigen, vom besten Willen beseelten jungen Monarchen, dem sie allein Energie einzupflanzen gewußt, und dem sie vielleicht die Krone gerettet hätte, wenn nicht die Intriguen und der Neid seiner Verwandten, ja der eigenen Stiefmutter, dies gehindert hätte.
Man weiß, daß - als es sich darum handelte, Neapel ohne Kampf den Banden Garibaldi's zu übergeben und die bestochenen und verrätherischen Generale dem armen unentschlossenen Monarchen vorlogen, die Garde- und die Fremdtruppen verweigerten den Gehorsam, - die junge Königin sich erbot, allein unter sie zu treten, und sie zur Treue und Pflicht aufzurufen - und daß jedes Mittel der Feigheit und des Verraths aufgeboten wurde, sie daran zu hindern!
Der König trug eine einfache Uniform nur mit dem Stern des St. Ferdinands-Ordens, so wie, dem Gast zu Ehren, den Großcordon der Ehrenlegion, und das Käppi. Er ist mittelgroß und gut gewachsen, sein bis auf den kleinen Lippenbart bartloses Gesicht gutmüthig, aber energielos. Ihn begleiteten seine beiden jüngeren tapferen Brüder der 22jährige Graf Trani, Brigade-General, der sich in der Schlacht am Volturno heldenmüthig geschlagen hatte, und der 19jährige Graf von Caserta, welcher seit Beginn der Belagerung die wichtige Fremden-Batterie kommandirte und dieselbe fast nie verlassen hat.
In der Begleitung der königlichen Herrschaften befanden
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sich der zweite Gouverneur der Festung, Brigadier Marulli, und der Kommandant der vor dem Hafen liegenden französischen Flotte, Admiral Barbier de Tinan, der zur Abstattung der Neujahrs-Gratulation von dem Admiralsschiff gekommen war mit seinem Adjutanten Bastard und dem Almosenier Abbé Bourgade. Die Königin war allein von der Gräfin Jurien de la Gravière, der edlen Dame, welche von Terracina in einer offenen Barke herübergeschifft war, die Verwundeten zu pflegen, und einer Dienerin, einem jungen Mädchen, nicht älter als sie, begleitet, das die eigenthümliche Kleidung der Landbewohner des bayerischen Hochlandes trug und, als sie den jungen Freiwilligen erblickte, ihm vertraulich zunickte, während ihr Auge mit Verdruß den alten Artilleristen streifte.
Die Augen der königlichen Frau wandten sich sogleich auf die schönen weißen Tauben und ein glückliches heiteres Lächeln, wie in den Tagen, als sie noch unbekümmert durch die heimathlichen Berge schweifte, flog - wenn auch nur auf Augenblicke, - über ihr kummervolles blasses Gesicht.
»Sieh da, meine Lieblinge,« sagte sie freundlich, »zu den Wenigen gehörend, die uns treu geblieben. Gieb mir das Brod, Franz, ich weiß, daß Du immer davon in der Tasche trägst!«
Der junge König brachte in der That ein kleines Weißbrot zum Vorschein und zugleich eine Hand voll Erbsen, die er seiner Gemahlin reichte. »Ich bin vorsorglich gewesen, Marietta!« sagte er - »da nimm!«
»Ah, das ist schön! ich danke Dir! - Nicht so nahe heran, lieber Caserta. Du bist jetzt ein großer Held und
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meine Täubchen fürchten sich vor so gewaltigen Herren, obschon sie den Kanonendonner so wenig scheuen, wie Du!« Und die königliche Frau streute den Tauben, zu denen sich allmählig auch wieder viele der aufgeflogenen gesellten, die Brodkrümchen und das Futter, kniete nieder auf den harten kalten Felsboden und lockte sie zu sich. Bald fraßen auch zwei oder drei der Tauben aus ihrer Hand und eines der schönen weißen Geschöpfe hatte sich sogar auf ihre Schulter gesetzt und pickte an der lang von ihrem Hut wallenden Feder.
Es war ein eigenthümlich ergreifendes Bild - die junge Frau, noch vor Kurzem die Gebieterin von Palästen und Millionen, die Königin eines der schönsten Reiche der Erde, aufgewachsen in jedem Reichthum des Lebens, im Schutz vorsorglicher Liebe der Ihren - dann umgeben von jeder Pracht und Ueppigkeit der Macht - und jetzt ihr Reich beschränkt auf den öden rauhen Felsvorsprung, den sie mit täglicher Einsetzung ihres Blutes, ihres Lebens als den letzten Stein ihrer Krone vertheidigte gegen wilden fanatischen Haß und Eroberungssucht, sie, die Fremde, die nie ein Kind dieses Landes beleidigt hatte.
Und für was? - Für die Liebe eines Gemahls, dem sie durch kalte Politik und Familienstolz angetraut worden, an dessen Seite sie mit dem ersten Schritt in das sonnige Neapel jedes Recht, selbst das geringste der Bürgerfrau, von den Intriguen und dem Neid der eigenen Familie hatte erkämpfen müssen!?
Für die Wahrung der sinkenden Legitimität? - der Legitimität, die das »Avanti!« eines kecken Abentheurers
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die veränderliche Laune eines leichtfertigen Pöbels hatte in Trümmer brechen können - einer Legitimität, die den stolzen Dom der Herrschaft nur trägt, wenn jeder Pfeiler feststeht und zum Himmel strebt, kalter Stein, unverrückt, - und die das Gewölbe in Stücke brechen läßt, wenn auch nur einer der Pfeiler wankt und nachgiebt! - der Legitimität, die Nichts zu thun hat mit den Forderungen des einzelnen Herzens und dem freien Recht der Tausende, - die sich fortzeugt ohne Liebe in kalter Berechnung, oft hohe und warme Herzen sich opfernd, - und an der doch etwas Gewaltiges und Gottbegnadetes sein muß, weil Millionen für sie geblutet haben mit Gottes Willen, und immer wieder Großes und Hohes aus den von der Staatsberechnung fortgezeugten Geschlechtern hervorgeht.
Für was?
Es giebt ein Wort - das heißt Pflicht und Ehre! und wahrlich, Pflicht und Ehre hat herrlich diese junge Königin in den Donnern und dem Kugelregen von Gaëta gewahrt.
Vielleicht mochte manchem der Männer, die jetzt ihre Begleitung bildeten, ähnliche Gedanken gekommen sein und Erinnerungen an das, was das Leben zum Ersatz des Herzens dieser jungen Fürstentochter versprochen und was es gehalten hatte, daß ihre Freude auf das kurze Spiel mit girrenden Tauben beschränkt war, - denn mit stillem Ernst sahen sie auf die kleine Scene und in dem Auge des königlichen Gatten glänzte es feucht.
Die Königin hatte sich erhoben. »Sehen Sie, mein Gemahl,« sagte sie, zum Scherz sich zwingend - »die
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Treue und Ergebenheit bleibt doch nicht ohne Einfluß. Wie viele Fremde haben sich zu meinen lieben Täubchen gefunden und trotz der donnernden Galanterien des Herrn Cialdini in dem alten Gemäuer des Orlando-Thurms eingewöhnt.«
Die Königin hatte sich auf die Bank gesetzt, die unter einem jetzt blätterlosen und von einer Granate der Belagerer gespaltenen Kastanienbaum stand und auf welcher vorhin der Böhme mit seinem jungen Freunde gesessen hatte. Beide waren bei der Annäherung des vornehmen Kreises in respektvolle Entfernung zurückgetreten und dort in militärischer Haltung stehen geblieben, da der junge Jägersmann noch auf eine Gelegenheit hoffte, mit seiner Schwester einige Worte zu wechseln.
»Kommen Sie zu mir, liebe Gräfin,« sagte die Königin, mit der Hand auf den Platz neben sich deutend. »Wir haben es jetzt selten so gut, uns einer ruhigen Stunde freuen und diese prächtige Aussicht bewundern zu können. Sieh da - Toni - es freut mich, Dich gesund und munter zu sehen. Tritt näher, mein Junge. Ich habe Gutes von Dir gehört und daß man Dich zum Korporal befördert hat! - Die Kathi ist fast närrisch vor Freude geworden.«
Sie hatte dem jungen Landmann gewinkt und reichte ihm die Hand zum Kuß, als er ehrerbietig näher kam. »Ich habe Dich mehrere Tage nicht gesehen!«
»Unser Bataillon hatte halt den Außendienst, Majestät!«
»Richtig - und Ihr habt Euch wacker mit den
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Piemontesen herumgeschossen. Ist keiner von den Offizieren verwundet?«
»Keiner, das i wüßt!«
»Auch ...«
»Auch er nicht!« Frage und Antwort geschahen mit leiserer Stimme.
»Wie kommst Du hierher?« fuhr die Königin fort - »wir haben Dich und Deinen Begleiter doch nicht vertrieben? Wer war es?«
»Euer Majestät kennen ihn halt - es ist der Ohm, der - -«
Die Königin warf einen Blick auf den alten Artilleristen zurück und ein Zug des Mißmuths flog über ihr Gesicht.
»Ich muß gestehen, ich mag den Mann nicht leiden, und ich wünschte wohl, Dich weniger in seiner Gesellschaft zu wissen, obschon man mir allgemein sagt, daß er ein tüchtiger Soldat und ein geschickter Artillerist ist. Aber man hat mir erzählt, daß ihm der Taubenflug gehört, dem sich meine armen Täubchen zugesellt haben, und daß er für ihre Fütterung sorgt in dieser schlimmen Zeit?«
»Das is halt so, Majestät, und der Ohm is a großer Freund von dem Viehzeug.«
Die Königin nestelte an ihrer Börse und nahm ein Goldstück heraus. »Gieb ihm das, Toni, und sag' ihm, ich ließe ihm danken für seine Mühe. Es ist nicht viel, - aber wir sind in dem Augenblick nicht reich an Geld. Ihr armen Bursche, die Ihr schon einen ganzen Monat keinen Sold erhalten habt, wißt es am Besten. Gieb's ihm, Toni,
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- aber denke an das, was ich Dir gesagt. Auch die Kathi mag den finstern wüsten Menschen nicht leiden. - Ah, Herr Admiral, Sie wollen uns verlassen?«
Der König war mit dem Commandeur der französischen Flotte näher getreten, der, den Hut in der Hand, sich ehrerbietig vor der Königin verbeugte.
»Im Gefecht gehört jeder Offizier auf seinen Posten, Majestät« sagte der alte Legitimist. »Unsere Feinde sind zwar diesmal nur jene Wolken, aber sie kommen mir etwas zu rasch herauf, und ich fürchte, wir werden einen harten Stand haben.«
»Wie, Herr Admiral? Sie fürchten bei dem herrlichen Sonnenschein ein Unwetter?«
»Trauen Euer Majestät dem Sonnenschein nicht - er ist trüglich, namentlich wenn die Sonne im Westen steht.«
Die Königin blickte den alten Seemann scharf an.
»Das Wetter, das Sie fürchten, wird Sie doch hoffentlich nicht zwingen, die Anker zu lichten?«
»Im Gegentheil, Majestät, ich hoffe, daß ein so tüchtiger Sturm heraufkommt, daß er es mir möglich macht, auch ferner auf meinem jetzigen Posten zu bleiben.«
Es war offenbar, daß die Worte des alten Seemanns einen versteckten Sinn hatten. Die Gräfin hatte sich erhoben und war zur Seite getreten, mit dem Aumonier der kaiserlichen Flotte ein Gespräch anknüpfend, - der Adjutant des Admirals stand in ehrerbietiger Ferne, nur der König selbst befand sich in der Nähe.
»Herr Admiral,« sagte die Königin mit gepreßter
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Stimme, »Sie sind unser Freund! Sie haben doch nicht etwa Ordre aus Paris bekommen, uns zu verlassen?»
»Noch nicht,« erwiederte der Admiral mit halber Stimme, »aber ich bitte Sie, Nichts zu thun, was mich dazu zwingt.«
»Wir verstehen Sie nicht, um Himmels willen, Sie wissen, was auf dem Spiele steht - sprechen Sie sich deutlicher aus, wenn es möglich ist.«
»Ich begrüße den heraufziehenden Sturm deshalb mit Vergnügen,« sagte der alte Marine-Offizier, »weil er eine gewisse Expedition, von der ich gehört habe, verhindern muß, auszulaufen.«
»Die Expedition nach Calabrien?« rief die Königin erschrocken.
»Ich weiß nicht, ob nach Calabrien oder sonst wohin, Majestät,« sagte vorsichtig der Seemann, »aber ich will - auf meine Gefahr - Ihnen so viel sagen, daß mein Instruktion mich anweist, die Annäherung der sardinischen Flotte an die Festung zu hindern - aber auch jedes Verlassen des Hafens seitens der Kriegsschiffe der Festung.«
»Ah! - - und das nennt Ihr Kaiser Beistand?«
Der Admiral zuckte die Achseln. »Ich wiederhole Euer Majestät, daß ich erfreut bin, dem Wetter diesen Theil meines Auftrags überlassen zu können, - Euer Majestät sind gewarnt!«
»Aber wenn uns nicht Entsatz von unseren Getreuen aus dem Innern des Landes kommt, ist der Fall unseres letzten Haltes doch nur eine Frage der Zeit,« sagte unwillig der König. »Es war so gut vorbereitet!«
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»Das Kriegsglück, Sire, und die Politik, sind sehr launenhaft. Warum wollen Euer Majestät nicht die Kräfte die Sie auf eine sehr ungewisse Expedition nach der Ferne verwenden wollten, zu einem sicheren Schlag in der Nähe benutzen?«
»Wie meinen Sie das?« frug eifrig die Königin.
»Glauben Euer Majestät denn, daß Admiral Persano oder General Cialdini nicht längst so gut wie ich von der beabsichtigten Expedition Kenntniß haben?«
»Oh, mein Herr,« rief die Königin bitter, »ich zweifle nicht daran, daß wir von Verräthern umgeben sind, seit selbst die Uniform französischer Marine-Offiziere dazu diente, Spione in unsere eigenen Batterien zu führen!«
Der bittere Unmuth der jungen Heldin bezog sich auf einen Vorfall, der sich wenige Tage vorher zugetragen. Zwei kecke piemontesische Offiziere hatten sich in der Uniform französischer Marine-Offiziere von der Seeseite her in die Festung geschmuggelt, waren auf das Freundschaftlichste aufgenommen und durch alle Batterien geführt worden, ja sie hatten die Täuschung soweit getrieben, selbst ein Geschütz gegen die Trancheen ihrer Landsleute zu richten und abzufeuern. Nur durch einen Zufall wurde - zu spät - der Betrug entdeckt, denn Niemand wußte, wie die Kecken wieder entkommen waren.
»Majestät,« sagte der alte Seemann ernst, »wenn ich jene beiden Männer je erwischen sollte, werden sie trotz der unbezweifelbaren Kühnheit ihrer That an den Raaen meines Flaggenschiffes baumeln für den Mißbrauch der französischen Uniform. Aber bleiben wir bei der Sache. Ich
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wiederhole meine Frage, und ich dächte, der italienische Charakter sollte Ihnen bereits bekannt genug sein, um mich dazu berechtigt zu halten. Also, glauben Sie nicht, daß Ihre Feinde längst Wind von dieser Expedition haben?«
Die Königin mußte sich begnügen, ungeduldig die Achseln zu zucken. Das arme junge Paar hatte in der letzten Zeit so viele Beispiele von Treubruch und Verrath um sich her gesehen, daß es fast Niemand mehr trauen konnte.
»Ich kann demnach,« fuhr der Franzose fort - »den Admiral Persano wohl hindern, sich der Festung zu nähern und den treu gebliebenen Theil Ihrer Marine aus dem Hafen zu holen, aber ich kann ihm nicht wehren, Ihre Schiffe anzugreifen, wenn sie den Hafen der Festung verlassen.«
»Wir müssen das Gott überlassen!«
»Er selbst wird es durch jene Wolken verhindern. In drei oder vier Stunden werden wir einen tüchtigen Sturm haben, der - wenigstens neapolitanischen Schiffen - das Wagniß verwehrt. Trotzdem wird sowohl vom Lande aus, wie von der See die Aufmerksamkeit Ihrer Feinde auf das Auslaufen Ihrer Schiffe gerichtet bleiben. Was, Madame, hindert Sie, diese Aufmerksamkeit nach der See und die Gunst des Unwetters zu einem Angriff auf der Landseite zu benutzen, der vielleicht« - er zögerte einige Augenblicke, dann fuhr er leise fort - »mit einem Schlage dem ganzen Krieg eine andere Wendung geben könnte!«
Die Königin war aufgesprungen und hatte den Arm des alten Offiziers gefaßt.
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»Mein Herr - ich weiß, Sie sind ein treuer Legitimist!«
Eine tiefe Röthe flog über das wettergebräunte Gesicht des alten Seemanns in der Erinnerung, wem er jetzt diente. »Madame,« sagte er - »die Mitglieder der Familie Barbier dienen seit Jahrhunderten der Krone Frankreich!«
Die deutsche Fürstin erwiederte Nichts auf die ausweichende Antwort. »Ihre alten Könige waren die Bourbons - hier steht der letzte Bourbon, der um seinen Thron kämpft. Bei den alten Traditionen Ihrer Familie beschwöre ich Sie, mir eine Frage zu beantworten.«
Der Seemann verbeugte sich. »Wenn es in meiner Macht steht!«
»Wohlan - können Sie mich vergewissern, ob jener Mann - jener ehrgeizige Usurpator Italiens, der sein eigenes Geburtsland verkauft hat, um sich König von Italien nennen zu können, noch im Lager Cialdini's ist?«
»Ich werde die Ehre haben, morgen früh 10 Uhr von Seiner Majestät den König Victor Emanuel in der Villa Albano empfangen zu werden.«
Der König und die Königin wechselten bei diesen Worten einen raschen Blick, den der Seemann nicht zu bemerken schien. »Darf ich Ihro Majestäten jetzt meine gehorsamste Empfehlung zu Füßen legen?«
»Gehen Sie mit Gott, Herr Admiral,« sagte die königliche Frau, ihm die Hand zum Kuß reichend, »und wiederholen Sie in Ihrem Rapport dem Kaiser, Ihrem Gebieter, unsere besten Wünsche für sein Wohlergehen. Möge er nie
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ein Gaëta haben! - Sieh wir haben Glück, Franz, denn indem uns ein aufrichtiger, wenn auch stiller Freund verläßt, schickt uns der Himmel gleich einen andern, und grade den, den wir in diesem Augenblick herbeiwünschten.«
Indem sie den Admiral und seine Begleiter huldvoll zum Abschied grüßte, wandte sie sich gegen die andere Seite des Aufgangs, wo von dem Thurm herab ein Offizier in Generals-Uniform mit einer Ordonnanz herbeikam.
Es war ein stattlicher Mann von imponirendem Aussehen, mit braunem, markirtem Gesicht und stolzer Miene, eine jener männlichen Schönheiten, denen trotz ihres halbwilden Charakters doch die Herzen der Weiber und die Sympathien des Volks sich zuneigen. Zwischen den dunklen buschigen Brauen lag jener eigenthümliche Zug eingeschnitten, von dem die Volksmeinung behauptet, daß er einen gewaltsamen Tod verkündet.
Ein solches Schicksal wäre freilich bei dem Stand und bei dem Charakter dieses Mannes sehr natürlich gewesen. Es war der General Bosco!
Der General Bosco war die Hoffnung des Königs, der Abgott der Soldaten gewesen, - er war es noch immer, trotzdem seine Anwesenheit in Gaëta nicht hielt, was seine Vergangenheit, der er dies Vertrauen verdankte, versprochen hatte.
Oberst Bosco war es gewesen, der am 17. Juli Medicis mit seinen Freischaaren von Messina abdrängte und - auf der Halbinsel Milazzo von der Uebermacht Garibaldi's und dem Verrath des neapolitanischen Kriegsdampfers Veloce unter seinem schurkischen Kapitain Anguissola von
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jeder Hilfe abgeschnitten, - Fort und Stadt lieber in die Luft sprengen wollte, als der Befehl von Neapel, der Sizilien preisgab, ihn zur Uebergabe zwang.
Mit vollen Kriegsehren in Waffen hatte der Oberst mit seiner Schaar das tapfer vertheidigte Milazzo geräumt und war von seinem König bei der Rückkehr nach Neapel zum General ernannt worden. Als er später nach jenen rühmlichen, aber unglücklichen Gefechten in Sizilien schwer krank in Neapel auf dem Siechbett lag und seinem Gebieter nicht hatte folgen können, war der neue Diktator - Garibaldi - unedel genug, einen seiner Condottieri's zu ihm zu schicken und ihn zu dem Gelöbniß zwingen zu lassen, innerhalb dreier Monate seinen Degen nicht wieder im Dienst des Königs Franz zu ziehen.
Der berühmte Freikämpfer der Revolution hatte aber falsch gerechnet, - die drei Monate waren vergangen, ohne daß es gelungen war, das Königthum völlig zu vernichten; am 19. November war General Bosco unter dem Jubel der Soldaten aus Frankreich in Gaëta eingetroffen und hatte das General-Commando der Truppen übernommen.
Dies war der Mann, den die Königin so eifrig näher winkte und so freudig willkommen hieß.
Es mußte Etwas von hoher Wichtigkeit sein, was sie mit ihm und dem Könige verhandelte, denn der General horchte aufmerksam zu, schien anfangs einige Einwürfe zu erheben, aber dann von dem Feuereifer der Königin fortgerissen, mit voller Energie auf den Vorschlag einzugehen.
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Die beiden Prinzen waren mit den anderen Begleitern zurückgetreten - jetzt aber winkte die Königin selbst sie zu ihrer Unterredung herbei, die bisher ziemlich leise geführt worden war, von der man aber jetzt lautere Bruchstücke vernahm.
»Es ist am Besten,« bemerkte der König Franz laut, »wir begeben uns sogleich nach dem Gouvernementshaus und versammeln den Kriegsrath. Schumacher, Riedmann, Ussani müssen sogleich benachrichtigt werden.«
»Und warum erst diese Form?« rief die Königin heftig. »Sind Eure Majestät nicht oberster Kriegsherr und können Ihre Befehle ertheilen? Wenn wir die Sache einer langen Berathung unterwerfen, wird es kaum möglich sein, das Unternehmen verborgen zu halten.«
»Sire« sagte der General - »Ihre Majestät haben Recht. Nur Schnelle und Verschwiegenheit können das Unternehmen gelingen lassen; als der Oberbefehlshaber Ihrer Truppen nehme ich das Recht in Anspruch, die Expedition zu leiten.«
»Und ich verlange dabei zu sein!« rief Trani.
»Euer Königliche Hoheit werden sich entschließen müssen meinen Anordnungen Folge zu leisten. - Ich bitte Euer Majestät um Ihre Genehmigung.«
Die Augen der Königin hingen besorgt an den Lippen ihres Gemahls, dessen Neigung zum Zaudern und große Unentschlossenheit sie kannte und mit aller Kraft und nicht ohne Erfolg bekämpfte, seit er nicht mehr unter dem Einfluß seiner Stiefmutter stand. Eine leichte Röthe überzog das Antlitz des jungen Monarchen, während er mit einer
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gewissen Verlegenheit rechts und links die Blicke umherstreifen ließ. Endlich nahm er sich mit Gewalt zusammen und sagte: »Wenn Sie denn auf der alleinigen Ausführung bestehen, General - gut - ich lege die Sache in Ihre Hand. Aber ich verbiete Dir, Ludovico ohne meine besondere Erlaubniß Dich den Truppen anzuschließen.[»]
»Seine Königliche Majestät wird die Reserve kommandiren!« sagte mit bestimmtem Ton der General.
»Und haben Sie bereits einen Plan?«
»Sie werden ihn sogleich vernehmen Sire. Erlauben Sie, daß ich einige Befehle ertheile, denn dieser Punkt hier eignet sich vortrefflich, um die nöthigen Dispositionen auszugeben.«
»Welche Truppen bestimmen Sie zu dem Unternehmen?« frug die Königin.
»Mit Seiner Majestät Erlaubniß werde ich sie aus den Jägern, den Fremden-Bataillonen und der Artillerie zusammenstellen. Es wäre Unrecht, eines der braven Corps zurückzusetzen. - Hierher Ordonnanz und he - Ihr Beide dort - tretet näher - Verzeihung Majestät, aber ich hatte meinen Adjutanten bereits nach der Stadt mit einem Auftrag geschickt.«
»Ich bitte über mich zu verfügen, General!« sagte der Prinz. Die Ordonnanz des Generals, und die beiden Unteroffiziere, denen der Ruf gegolten, waren heran getreten.
Der General wandte sich zu seiner Ordonnanz.
»Oberstlieutenant Migy lasse ich bitten, sich sofort hier herauf zu bemühen!«
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Der Sergeant salutirte, machte Kehrt und entfernte sich.
»Also vom zweiten Bataillon?« frug die Königin.
»Das erste hat die Truppen zur Einschiffung gegeben, das zweite hat den Dienst in den Werken - ist also am Besten bereit. Du bist von der Fremden-Batterie, wenn nicht irre?« wandte sich der General an den Artilleristen.
»Mein bester Bombardier« sagte der Prinz. »Ich habe ihn wunderbare Schüsse thun sehn!«
»Verstehst Du Dich auf Sprengladung?«
Der Böhme lächelte. »Ich habe in Delhi die große Kaserne in die Luft gesprengt Excellenza« sagte er.
»Gut. Du wirst Deine Kameraden am Besten kennen. Mit Erlaubniß Seiner Hoheit wirst Du acht der Entschlossensten und Gewandtesten aussuchen und mit ihnen Punkt 8 Uhr am großen Thor des Arsenals Dich einfinden. Bringe Capitain Steiner die Ordre, in einer Stunde bei mir zu sein. - Korporal, Du bist vom zweiten Bataillon?«
»Zu Befehl Excellenza!«
»Dein Capitain?«
»Graf Christen!«
»Ich kenne ihn als einen unerschrocknen Mann. Die Offiziere der Compagnie?«
»Lieutenant Méricourt, Lieutenant Max!«
»Max - Max! Das ist ja wohl der junge Deutsche, der kürzlich zum Offizier ernannt wurde?«
»Ich glaube« sagte rasch die Königin »Sie können ihm vertrauen!«
»Für diese Seite wäre demnach gesorgt. Major
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Simonetti soll die Kolonne führen. Suche sofort den Major auf, mein Sohn, und führe ihn hierher. Rasch!«
Toni, der Corporal, entfernte sich. Im Vorübergehen nickte er seiner Schwester zu. »Bleibst hier, Kathi?«
»Denk wohl!«
»Schau, dann sprech' i Dich wohl noch!«
Er eilte davon.
»Darf ich fragen, General« sagte die Königin, »was Sie beabsichtigen? - Reich mir mein Glas, Kathi!«
Die Milchschwester und Lieblingsdienerin der Königin trat herbei und reichte ihr den Stecher, dessen Etui sie an einem Riemen um die Brust geschlungen trug.
»Euer Majestät haben mir gesagt die Villa Albano?«
»So, sagte der Admiral!«
»Aber ob er die Nacht dort zubringen wird?«
Die Königin zuckte die Achseln.
»Das Haupt-Quartier Cialdini's befindet sich in der Villa Reale in Mola - und das wär zu weit zu einer Expedition - wir würden abgeschnitten werden. Aber - man muß das zugestehen - er ist ein tapferer Mann und liebt es, dem Gegner in's Auge zu sehen. So wäre es nicht unwahrscheinlich, daß er in dem Borgo bleiben wird, um morgen in der Frühe bei der Eröffnung des Bombardements zur Hand zu sein. Er liebt es, in der Mitte der Soldaten zu sein.«
»Aber die Villa Albano befindet sich am Ende der Vorstadt und es läßt sich nicht annehmen, daß unsere Tapfern unentdeckt auch nur den vierten Theil der Straße passiren werden.«
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Der General lächelte. »Man hat mir vorgeworfen, daß ich wohl ein tapfrer Soldat, aber kein Taktiker sei, sonst hätte ich mich nicht nach Milazzo geworfen. Es mag sein - aber ich denke diesmal zu beweisen, daß mir auch die Gesetze der Taktik nicht ganz fremd sind. Euer Majestät können von hier aus die Terrasse des Monte-Agatha erkennen?«
Die Königin hatte ihr Glas dahin gewendet - die letzten Strahlen der sinkenden Sonne vergoldeten die Ruinen des Klosters auf der Höhe des Berges.
»Unsre Geschütze reichen leider nicht bis dahin« sagte sie. »Es ist ein schwerer Nachtheil für uns, daß wir so schlecht mit gezogenen Kanonen versehen sind, während der Feind mit ihnen aus unerreichbarer Ferne uns seine eisernen Grüße in die Stadt schickt.«10
»Eben deshalb, Majestät, beabsichtige ich nach dem Sprüchwort zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, oder wenigstens, wenn uns das eine Ziel entgehen sollte, einen anderen Erfolg zu erreichen.«
»Sie wollen doch nicht St. Agatha angreifen?«
»Das eben ist mein Plan. Euer Majestät Glas wird Ihnen zeigen, daß der Feind dort mit Arbeiten beschäftigt ist. Er baut auf dem Abhang des Klosters zwei Batterien und wie ein Mann, der sich unter der Maske eines Fischers vor einer Stunde glücklich in die Festung geschlichen hat, berichtet, sollen diese Batterien in dieser Nacht
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mit acht gezogenen Zwölfpfündern armirt werden. Euer Majestät sehen demnach, daß wenn es uns gelingt, diese Arbeiten zu zerstören oder mindestens aufzuhalten, schon dies ein großer Vortheil sein würde. Außerdem ...«
»Nun?«
»Außerdem liegt der Monte Agatha jenseits der Villa Albano, kaum Tausend Schritt vom Ufer. Es wird uns demnach leicht sein, den Weg am Ufer entlang abzusperren.«
»Aber wie wird es möglich sein, St. Agatha zu erreichen? Sie sehen mit bloßem Auge, daß die Batterien des Monte Atratina und dahinter die des Capuccini den Weg versperren.«
»Eben deshalb Majestät erstieg ich sofort nach dem Erhalten jener Nachricht, den Orlando-Thurm, um das Terrain zu recognosciren. Der Plan Ihrer Majestät hat sich nur mit dem meinen gekreuzt und ich brauche die beiden nur zu vereinigen.«
»Ich begreife noch immer nicht, wie Sie es möglich machen wollen.«
»Ich habe meinen Adjutanten bereits in die Stadt gesandt, um Herrn v. Salvy aufzusuchen.«
»Ach - meinen tapfern Franzosen vom >Protis »Denselben Majestät, der, wie ich gehört, in der Nacht des 14. November mit den vier im Hafen liegenden Handelsdampfern die piemontesische Fregatte überfallen wollte.«
»Ich erinnere mich dessen - es war eine furchtbare Gewitternacht, und Del Re verbot es?«
»Eben deshalb habe ich mir erlaubt, den Herrn
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Marine-Minister nicht erst um Erlaubniß zu fragen, sondern mich mit Capitain Salvy direkt in Verbindung zu setzen!«
»Aber Signor Generale« sagte der König - »ich muß Sie, abgesehen davon, daß das heraufziehende Unwetter ohnehin jede Expedition zur See verhindern wird, von einem Umstande in Kenntniß sehen, den wir leider selbst erst jetzt erfahren haben. Die Instruktionen des Herrn Barbier gebieten ihm, uns auf den Hafen zu beschränken. Er will das Auslaufen unserer Schiffe so wenig dulden, als die Annäherung der sardinischen Flotte. Deshalb müssen wir die Expedition nach Calabrien aufgeben.«
Der General lächelte. »Der Herr Admiral bewacht den Hafen« sagte er - »aber ich denke ihn nicht zu inkommodiren. Wir haben zwischen den Klippen der Bastion della Trinita eine genügende Anzahl von Fischerbarken!«
»Aber was wollen Sie damit?«
»Zwei Compagnien des Fremden-Bataillons im Schutz der Dunkelheit an der westlichen Küste entlang bis an die Shiappa schaffen. Von dort sollen sie sich im Rücken des Monte Capuccini nach dem Agatha durchschleichen und im gegebenen Augenblick, wenn die Jäger das Borgo angreifen, die Batterie überfallen.«
»Ah« rief die Königin - »der Plan ist kühn aber vortrefflich. Was sagst Du dazu Alfons?«
»Ich würde ihn billigen, wenn ich dabei wäre!« erwiderte der Prinz. »Und wem geben Sie das Kommando? - denn ich hoffe, daß Sie nicht etwa daran denken, sich selbst zu exponiren.«
»Oberstlieutenant Migy mit einer schweizer und einer
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französischen Kompagnie ist zu dem Unternehmen bestimmt. Offiziere und Soldaten erfahren erst im Augenblick der Abfahrt, um was es sich handelt. Die Schweizer unter Kapitain Steiner werden den Strand besetzen und Albano absperren - die Franzosen St. Agatha überfallen.«
»Und ich?«
»Sie, Königliche Hoheit, werden mit 500 Mann die Reserve bilden und am Monte Secco Stellung nehmen, um Major Simonetti zu unterstützen, oder die beiden Trupps aufzunehmen. Ah - lupus in fabula - da kommt mein Bote bereits mit dem Major!« - - -
Der Jäger Toni war nach der Meldung zurückgetreten zu seiner Schwester.
»Schau Kathi - i glaub' es giebt heut' Abend was und i freu mich, daß i dabei bin! Unsre Compani und der junge gnädige Herr a!«
»Willst schweigen, Toni, - weißt, daß er nur der Herr Max ist und Niemand anders nit. Du wirst Di sicher noch a mal verplauschen und gar gegen den wüsten Dalk, den Ohm! Hören thust' nit, und es wird sicher noch Dein Unglück sein, der schlimme Umgang. Gut's kannst nit bei ihm lernen!«
»Si'st[S'ist] so schlimm nit, Kathli« lachte der junge Mann, »un i müßt halt kein gelernter Jagger sein, wenn er mich über'n Weg holen sollt. Und unser Verwandter ist's doch halt a mal! Aber sag', Kathi, hast D'nit gehört, was's giebt?«
»A Ueberfall, weißt, 's muß a hohe Perschon dorten sein, i hab' was tuscheln hören davon und von Schiffen
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haben's auch sprechen. Nehm Di halt in Acht Toni für Dei' Leben!«
»Mein Leben g'hört der Königin Majestät!«
»Dos is schon recht, und i wollt um aller Welt willen nit a Bruder haben, der ka Schneid hat und nit raufen will. Aber ma kann's doch mit Verstand thun und i bitt' Di, hab' a Aug auf den jungen Herrn; denn i mein halt immer, er sucht den Tod und i weiß, es würd ihr groß Herzeleid thun, wenn sie a ka'n Blick ihm gönnt. Und nu behüt Di Gott Toni und die heil'ge Veronl, und wenn i Dich glücklich wiederschau, will i Deinem Schutzpatron a Kerz weihen eine Elle hoch.«
Sie drückte dem Bruder eilig die Hand und näherte sich ihrer Gebieterin, die sich zum Verlassen des Platzes anschickte.
Die Sonne war untergegangen mit einem eigenthümlichen fahlen Schimmer. Ueber das Meer her kam es wie ein Schnauben und Stöhnen und die Wolken im Süden hatten sich zu einer dunklen Bank zusammengezogen, die weiter und weiter stieg. Bis zur Höhe herauf hörte man das Kreischen der Möven, die ängstlich über die mit leichtem Schaum sich bedeckenden Wogen strichen.
Die Königin zog den kurzen Reitermantel fester um ihre Gestalt. »Der Herr Admiral hatte Recht« sagte sie nach dem Horizont deutend. »Sehen Sie dort wetterleuchtet es - ich bitte Sie Excellenz - seien Sie vorsichtig! Die Brandung ist jenseits der Transilvania heftig und die Küste steiler Fels. Wir dürfen nicht leichtsinnig das Leben tapferer Männer in Gefahr bringen.«
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Der General verbeugte sich. »Wer für den König und das Recht stirbt, Majestät, erwirbt die Krone Gottes, gleichviel ob er in den Wellen sein Grab findet, oder unter den Kugeln der Piemontesen!«


An der südwestlichen Ecke jenes eigenthümlich gestalteten Vorgebirges, welches die Festung Gaëta bildet, die schroff hinaus tritt in's Meer, verbinden sich die Wälle der Bastion della Transilvania mit dem Gestein zu einer unnahbaren Felsenmauer, die jede Landung auf dieser Seite unmöglich macht. Die unzugänglichen Werke ziehen sich eine kurze Strecke an den Windungen des Ufers entlang, bis sie das hohe Festungsterrain von der zu nur 60 Fuß Höhe über der Meeresfläche niedersinkenden Ebene absperrend, quer hinüber zum andern Ufer laufen. In jenem Theil der Befestigungswelke zwischen der Bastion della Trinita und der Bastion di Secco befindet sich eine kurze, vor dem Anprall der Wogen und dem Ungestüm der Winde, die von der afrikanischen Küste herüberstoßen, völlig geschützte Einbuchtung.
Hier war es, wo die Fischerbarken lagen, welche zum heimlichen Transport der kühnen Schaar bestimmt waren, die ihren Weg zwischen den Posten und Batterien der Belagerer suchen sollte.
Die Zahl der Barken betrug sechs - jede von ihnen sollte 20 bis 30 Mann aufnehmen, die dann freilich so gedrängt die Boote füllten, daß die Schiffer selbst kaum Platz zum Steuern fanden. Um Raum zu ersparen war
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angeordnet worden, daß die Soldaten beim Rudern helfen und sich darin abwechseln sollten - denn man durfte es nicht wagen Seegel aufzuhissen, aus Furcht, von den Posten der Belagerer bemerkt zu werden.
Nach 8 Uhr sollte die kleine Expedition in See stechen - man rechnete eine Stunde zur Fahrt, zwei zu dem schwierigen Landweg durch die Berge, der Umgehung des Monte Capuccini und dem Versteck, bis das Aufsteigen einer blauen Rakete von der überall sichtbaren Höhe des Orlando-Thurms den Aufbruch der andern Abtheilung der Expedition gegen den Borgo verkünden würde.
Der Abend war überaus dunkel und kalt, die Voraussagung des französischen Admirals hatte sich erfüllt und die Wolkenbank, welche sich bei dem Untergang der Sonne in Westen erhoben hatte, überzog bereits das ganze Firmament und ließ auch nicht das Licht eines Sternes durchschimmern. Der Wind verstärkte sich von Minute zu Minute, trieb stoßweise scharfe Schlossenschauer über Wasser und Land, und wenn auch die elektrische Schwängerung der Luft sich vorerst nur durch das ferne Wetterleuchten bemerklich machte, so wußten die erfahrenen Küstenschiffer doch sehr wohl, daß es kaum eine Stunde dauern würde, bis der Wind zum Sturm anschwellen und dann bis Mitternacht seine Heftigkeit in einer Weise steigern würde, die jede Fahrt am Ufer entlang unmöglich machen mußte.
Schon jetzt begannen sie zu murren über den Verzug und nur die sechs Matrosen, die Herr von Salvy von seinem früheren Schiff Protis mit hinüber genommen in
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den Dienst der neapolitanischen Marine und die er in die Barken vertheilt hatte, hielten einen offenen Ausdruck des Mißvergnügens zurück, denn es waren Männer von einem entschlossenen Aussehen, dem nicht zu trauen war.
Aber auch der Schiffslieutenant selbst ging ungeduldig innerhalb des Walles hin und her und trat wiederholt zu der Gruppe der höheren Offiziere, die an der Treppe standen, welche zu dem Ufer hinab führte.
»Wenn die Herren nicht kommen, Excellenza sagte er endlich, »so müssen Sie entweder die Abfahrt befehlen, oder die ganze Expedition aufgeben. Ich stehe für Nichts mehr!«
Es war der General Bosco selbst, den er angeredet, der mit dem Obersten Grafen Garofalo, welcher diesen Theil der Küstenforts kommandirte, und mit einigen anderen Offizieren der Abfahrt beiwohnte.
Der General strich sich unwillig den Schnurbart. »Es sind Ihre Landsleute, Herr Lieutenant« sagte er. »Diese vornehmen Herren glauben für die Ehre, der Vertheidigung ihre aristokratischen Namen geliehen zu haben, sich jeder Disciplin überheben zu dürfen. Ich bin in der That gewillt, Oberstlieutenant Migy, Sie zu bitten, sich mit den schweizer Offizieren zu behelfen, die seit einer Stunde auf ihren Posten sind, und die Mannschaften unter diese zu vertheilen.«
»Es ist eine Schande!« murrte ein alter Hauptmann - »diese Stutzer aus Paris und Brüssel sind die Pest der Festung und wenn ich zu kommandiren hätte ...«
»Was beliebt, Herr Kapitain?« fragte der See-Offizier
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scharf, obschon er sich eben noch selbst bitter beschwert hatte. »Sie scheinen zu vergessen, daß auch ich die Ehre habe, Franzose zu sein!«
Oberstlieutenant Migy legte sich rasch in's Mittel. »Keinen Streit meine Herren! Es sind junge Kameraden und man muß ihnen etwas zu Gute halten. Seine Majestät hat ausdrücklich genehmigt, daß die Herren als Volontaire die Expedition mitmachen dürfen und - ich glaube, da sind sie endlich!«
Ein lustiges Gelächter und der Ton lauter Stimmen, die sich wenig um das Verbot der strengsten Stille zu bekümmern schienen, klang von der Kehle der Bastion her.
Eine Gesellschaft von sechs oder acht Offizieren wurde im Licht der im Thor schwankenden und im Innern der Wallmauern angebrachten Laternen sichtbar.
»Ventre Saint gris! wie der Ahnherr meines kleinen Bourbons zu sagen pflegte« rief munter eine Stimme, »dieses Rattennest ist so voll Winkel und Ecken und diese blaue italienische Nacht so pechschwarz, daß man jeden Augenblick auf die Nase fallen kann. - He, Pozzo di Borgo, wo stecken Sie?«
»Hier Graf! Hol der Teufel den Champagner!«
»Ich bin der Edle von Saint Bris!« sang der etwas unsicher auf den Füßen stehende Inhaber der ersten Stimme. »Heraus mit den Schwertern und kreuzt sie zum Verschwörungschor! Wenn ich diesen Herrn Cialdini erwische, schneid' ich ihm die Ohren ab, weil er uns bei so schandbarem Wetter von der kleinen Lucia fortgetrieben hat!«
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»Schade, daß das Kloster von St. Agatha keine Nonnen mehr birgt - wir könnten bei ihnen soupiren!«
»Und sicher besser, als in diesem Hundenest! - zum Henker Gauthier, sein Sie nicht so stumm und kalt, als hätte Ihnen ein altes Weib prophezeit, daß eine Kugel sie heute Nacht treffen müßte. Kaum zwei Gläser haben Sie getrunken - ich hab Ihnen auf den Durst gepaßt, Sie Duckmäuser!«
»Ich habe den Dienst Herr Graf, und den vernachlässige ich nie!« Der Halbtrunkene war stehen geblieben. »Beim heiligen Napoleon, sticheln sie auf uns? Glauben Sie, daß wir in einem solchen Wetter uns bloß zum Vergnügen den Schnupfen holen wollen? - Wenn sich ein St. Brie für die Maccaroni-Majestät tödten lassen soll, will er wenigstens noch eine lustige Stunde vorher haben! Und um so mehr, da uns Signor Bosco, der große Held von Milazzo, vorher mit Seewasser abspülen will!«
»Kapitain Gauthier!«
»Hier! - Ah - der General ...«
»Sie sind der kommandirende Offizier?«
»Zu Befehl Excellenz!«
»Dann bitte ich Sie, den Herrn Grafen und Ihre andern Freunde auf meine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Ohnehin verdienen Sie einen ernsten Verweis, daß Sie so lange die Abfahrt durch Ihr Ausbleiben verzögert haben!«
Der Offizier ertrug schweigend den Vorwurf.
»Wer kommandirt den zweiten Zug?«
»Marquis de la Chesnay!«
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»Ich kenne hier keinen Marquis, sondern nur den Lieutenant Chesnaye. Die Böte warten auf Sie - nur wünsche ich in Gegenwart dieser Herren die Ordre zu wiederholen, die ich bereits Oberstlieutenant Migy gegeben habe.«
Der Ton des Generals war so ernst und fest, daß selbst die übermüthige Champagnerlaune der französischen Cavaliere schwieg.
»Meine Ordre ist,« fuhr der General fort, »daß der kommandirendo Offizier des Bootes ohne jede Zögerung den Mann tödtet und über Bord wirft, der durch sein Verhalten und seine Unvorsichtigkeit die Entdeckung der Expedition befürchten läßt. Es versteht sich von selbst, Oberstlieutenant Migy, daß Sie in gleicher Weise über die Herren Offiziere Ihrer Expedition selbst zu wachen haben. Nur die strengste Vorsicht kann sie gelingen machen. Und nun meine Herren, ist Alles bereit?«
»Zu Befehl, Excellenza!«
»Die beiden Führer sind in den Booten?«
»In meinem eigenen!«
»Und die Artilleristen sind mit allem Nöthigen zur Vernagelung der Geschütze versehen?«
»Alles in Ordnung!«
»Dann an Ihre Plätze, meine Herren, und Gott und die heilige Jungfrau mögen Sie in ihren Schutz nehmen. Merken Sie auf die Rakete!«
Es folgte eine kurze Bewegung in der dunklen Gruppe. Die vier französischen Offiziere reichten ihren Freunden, die ihnen das Geleit gegeben, die Hand.
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»Au revoir, Méricourt,« flüsterte der Graf St. Bris - »sollten Sie mehr Glück haben als ich, so wissen Sie, daß ich Ihnen mein kleines Logis in der Avenue Hortense vermacht habe!«
Der junge Legitimist sprang die Stufen hinab.
Der Baron Laroche folgte ihm - Kapitain Gauthier und Herr v. Chesnaye saßen bereits an ihren Plätzen.
»Fertig?« frug der See-Offizier.
»Fertig, Signore!«
»Dann abgestoßen!«
Die Barke des Schiffslieutenant Salvy war die erste, welche, von kräftigen Armen getrieben, hinausschoß aus der Mündung der kleinen Buchtung und durch die hier unverhältnißmäßig ruhige Brandung.
Der muntere Cavalier, der als Freiwilliger die Expedition begleitete und neben dem Kapitain Gauthier saß, bemerkte, daß sein junger Kamerad aus dem Ledergürtel seines Säbels einen kleinen länglichen Gegenstand zog und auf seiner Hand probirte?«
»Was haben Sie da, Kamerad?«
»Mein Mailänder Stilet - ich kaufte es bei unserem Einzug zwei Tage vor Magenta! - ich probire, ob die Spitze noch gut ist.«
»Wozu?«
»Für Jeden, lieber Graf, der von jetzt ab ein zu lautes Wort spricht!«
Das Donnern der Brandung, die weiterhin an der steilen Küste tobte, übertönte die Antwort.
Gleich finstern Schatten glitten die sechs Barken über
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die unruhig wogende Fläche - nur in dem flüchtigen Schein des sich verstärkenden Wetterleuchtens vermochten die einzelnen Fahrzeuge einander zu sehen und die Linie des führenden Bootes zu halten.
Kapitain Salvy, der Marinelieutenant, wandte sich zu dem Manne an seinem Steuer.
»Zwei Striche West, Sylvain,« sagte er - »wir müssen auf alle Fälle aus dem Bereich des Ausgucks ihrer Posten, obschon die Augen einer piemontesischen Landratte sicher auf zwanzig Faden einen Stein nicht von einem Boot unterscheiden werden.«
»All recht, Kap'tain!«


Die Vorbereitungen zum Ausfall waren in aller Stille getroffen worden, um jeden Verrath zu verhindern. Nach völliger Dunkelheit war Befehl gegeben worden, die zur Expedition nach Kalabrien bestimmt gewesenen Mannschaften wieder auszuschiffen und dies war nicht ohne Unfall geschehen, denn da das Meer bereits sehr unruhig war, schlug eines der Boote um, und sieben Mann ertranken.
Selbst von den oberen Offizieren wußten nur Wenige, um was es sich eigentlich handle. Nur der Befehl, der an die beiden französischen Offiziere gekommen war, sich mit ihrer Compagnie zu einer Expedition bereit zu halten und die Leute ohne Aufsehen in der Transilvania zu versammeln, hatte die anderen französischen und belgischen Freiwilligen veranlaßt, um die Erlaubniß zur Theilnahme nachzusuchen - doch nur zwei hatten sie erhalten, und in dem
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munteren Kreise, der sich in der »Colonie«, zu versammeln pflegte, der einzigen Restauration, wo einiger Verkehr für gut gespickte Börsen herrschte, hatte das Loos für den Grafen von Saint Bris und den einen Laroche entschieden.
Es war jedoch nicht zu verhindern gewesen, daß sich das unbestimmte Gerücht von einer Unternehmung verbreitete. Auf den wenigen Plätzen der Stadt, an den Zugängen der Werke und der Kasernen versammelten sich trotz der unangenehmen Witterung Gruppen von Einwohnern und Soldaten, und steckten flüsternd die Köpfe zusammen oder frugen einander, was geschehen solle.
Die Posten auf den Wällen und am Hafen waren verstärkt - Niemand durfte über bestimmte Linien hinaus passiren.
Es war zehn Uhr vorüber, als sich in der Citadelle und an der Bastion d'Assia eine stärkere Bewegung bemerklich machte. Ein Trupp Artilleristen kam etwas unordentlich marschirend von der Rückseite des Monte Orlando her, wo sich die Pulvermagazine befanden. Die acht Männer, an deren Spitze sich ein Offizier befand und zu denen auch der Böhme gehörte, trugen Regenmäntel und unter diesen einen größeren Gegenstand, den die Mäntel jedoch verbargen. Sie machten an der Kathedrale Halt, der Offizier befahl ihnen, hier zu warten und verließ sie, nachdem er die Aufsicht dem Unteroffizier übertragen hatte.
Dieser schien sehr unruhig und ärgerlich und die wiederholten Blicke nach allen Seiten, das genaue Aufmerken auf die Vorübergehenden bewiesen, daß er Jemand erwarte,
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während seine Leute ihre Last auf den Boden in den Schatten des Portals der Kirche niedergesetzt hatten.
Endlich kam ein munterer Schritt die Straße herauf und ein leichtherziger Jodler klang durch das leichte Klirren der Waffen, das zwischen den rauhen Windstößen von verschiedenen Seiten her bewies, daß eine militärische Bewegung im Ganges war.
»Toni?«
»Ah Ohm - seid Oes? - ich dacht halt, Ihr wärt schon am Thor, denn ich sucht Euch vergebens an der Citadell, wo Ihr mich hinbestellt.«
»Schon gut - wir mußten eher abmarschiren und es kann gleich weitere Ordre kommen. Einstweilen hat uns Dein guter Freund, der Herr Maximilian, oder wie er sonst heißt, hier warten heißen. Hast Du die Kathi gesprochen?«
»I hab halt Abschied von ihr g'nommen. Gott und die Heili wissen's am Besten, ob wir zurückkommen!«
»Es ist also was Großes - ich dacht' mir's wegen des Fragens um das Sprengen und wegen des Pulvers. Aber weißt Du Näheres?«
»Die Herrn Offiziere werden's uns schon sagen, was wir zu thun haben.«
»Narr - die nehmen die Ehre für sich und lassen uns die Gefahr. Unsereins kann viel thun, wenn er genau weiß, um was sich's eigentlich handelt. Man hat einen besondern Plan - die Kathi muß es wissen, denn sie hört die Königin von Allem reden.«
»Aber sie plauscht nit, selbst nit mit mir. Nur das hab' i erfahren, daß wir weit vor sollen, womöglich über
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die Vorstadt hinaus, und daß sich's um einen vornehmen Herrn handelt!«
»Bei Mahomed! - am Ende den General - aber nein, das ist unmöglich, die Villa Reale ist zu weit.«
»Ich glaub', 's ist was Vornehmeres noch als ein General. Wir sollen Hilf' erhalten aus den Bergen her - die Kathi schwätzt ganz geheimnißvoll vom End' des Kriegs und hat der heiligen Mutter Gottes von Plein ein goldnes Herz'l gelobt, wenn's recht geht.«
»Hast Du mir die Taube gebracht?«
»Ihr seid närrisch Ohm! Was thut Oes mit dem Vogel, wenn's heißt eben gegen den Feind gehn!«
»Was kümmert's Dich! - Ich hab' sie für einen schwer Kranken, der im Lazareth ist und Stärkung braucht, der Schwester Renata verkauft und will nicht als ein Lügner angesehn werden, wenn mich vielleicht eine Kugel trifft. Hast Du die Taube?«
»Freili hab' i. Wenn i was zusag, thu ich's halten. Aber närrisch bleibt's doch, daß Ihr mich den Abend noch hinaufsprengt zu dem alten Gemäuer, bloß um Eure Tauben im Schlag einzusperren und eine heraus zu greifen.«
»Du wirst doch nicht eine nach Belieben gegriffen haben? Ich hieß Dich die aus dem Korb zur Linken nehmen. Hätte mich der Dienst nicht in's Arsenal gebannt, wär ich selbst gegangen.«
»I hab' schon die rechte. Das Viehzeuch ist Alles besorgt, aber i hätt' mir schwerlich die Müh' mit gegeben, wenn unsere Majestät nit selber gar so ein Plaisir d'ran
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hätt'.« Er holte die kräftig mit den Flügeln schlagende Taube unter seinem Kapotrock hervor.
»Einen Augenblick, ich bin gleich wieder hier.«
Der Feuerwerker trat um den Vorsprung der Kirche, wo er von seinen Leuten nicht beobachtet werden konnte. Der Jäger Toni bemerkte von dort einen schwachen Lichtschein, wie das Aufblitzen eines Schwefelholzes.
Nach einigen Minuten kam der Böhme zurück und nahm ihm die Taube ab, die er dem Anschein nach hin und her wandte, als betrachte er sie genau, wobei er wiederholt die Schwanzfedern auseinanderstrich.
»Du hast doch die rechte nicht gebracht, oder vielmehr ich hab' mich geirrt, Toni,« sagte er endlich - »und es wäre schade um diese! ich will morgen eine fettere in die Lazarethküche schicken.«
Ein eiliger klingender Schritt kam heran.
»Still - der neugebackene Lieutenant kommt! - So mein Thier - such' Dir selber das Nest wieder auf!«
Er warf die Taube in die Luft, während der Offizier, der vorhin den kleinen Trupp angeführt, eilig herbeikam.
»Was geschieht da?«
»Was soll denn geschehen, Herr Lieutenant! Eines von meinen Täubchen hat sich verirrt und ich sende es zurück nach seinem Nest. Das ist doch hoffentlich kein Vergehen gegen das Dienst-Reglement?«
In Ton und Worten lag ein gewisser Hohn, doch schien der Offizier dies nicht zu bemerken. Er begnügte sich zu sagen: »Erinnern Sie sich, daß Niemand ohne Erlaubniß die Stadt verlassen darf, selbst eine Taube nicht!«
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Der Böhme erblaßte leicht unter dem festen und ernsten Blick des Offiziers. Derselbe war von hoher, schlanker Gestalt, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, seine Hände und Füße, soweit sich im Scheine der am Kirchenportal schwankenden Laterne erkennen ließ, waren auffallend klein.
Es lag etwas Ernstes, Festes in der ganzen Erscheinung, obschon er höchstens 26 bis 27 Jahre zählen konnte. Das Gesicht war wohlgebildet, die Farbe aber von einer gewissen Blässe, Nase und Stirn kräftig, das Auge blau, das Haar von jenem Blond, das den Uebergang zur röthlichen Farbe bildet und einen braunen, goldigen Schimmer hat, fast wie die Flügeldecken mancher Käfer; Mund und Kinn sprachen von Kraft und festem Willen.
Obschon der Offizier, wie wir oben gesagt, kaum über die Mitte der Zwanziger hinaus war, lag eine Falte herber Erfahrung um die Mundwinkel, und zwischen den Brauen der tiefliegenden Augen eine leichte Furche.
»Wenn die Leute ausgeruht sind,« sagte er, »so können wir die Fässer wieder aufnehmen. Aber Vorsicht! Es hat doch etwa Niemand eine Cigarre angesteckt, ich sah, als ich kam, wie Lichtschein an der Kirchenwand.«
Keiner antwortete, die Artilleristen nahmen ihre Last, die aus acht kleinen Tönnchen, wie etwa die Geldfässer verpackt werden, bestand, wieder auf und unter ihre Mäntel.
»Seht, Ohm,« sagte der junge Korporal, »die Taube will nit fort!«
In der That schien das Thierchen vor den Windstößen, die vom Meere scharf herüberkamen, und dem Wetterleuchten
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sich zu fürchten. Die Taube war einige Male umhergekreist, als könne sie keine Richtung finden, und flüchtete sich dann vor dem eben niedersprühenden leichten Hagelschauer unter ein Gesims des Portals.
»Verdammtes Thier!« murmelte der Feuerwerker, und er bückte sich rasch, hob einen Stein auf und warf ihn nach dem Vogel.
Der Wurf mußte wenigstens in die unmittelbare Nähe der Taube getroffen haben, denn sie flatterte sofort aus ihrem Versteck und schien jetzt davonfliegen zu wollen, aber im selben Augenblick knallte auch ein leichter Revolverschuß.
Es war der Offizier, welcher geschossen aber nicht getroffen hatte, und der zu seinem Verdruß sehen mußte, daß der Knall die Taube noch mehr erschreckt hatte und sie mit raschem Flügelschlag in die Höhe stieg.
Der Feuerwerker, der bei dem Schuß anfangs zusammengefahren war, lachte jetzt hämisch auf. »Im Taubenschießen, Herr Lieutenant, namentlich mit der Kugel und einem solchen Puffer muß man sehr geübt sein! Es ist übrigens gut, daß Sie nicht getroffen haben, denn meine Täubchen stehen unter ganz besonderer Protektion Ihrer Majestät der Königin, und die werden Sie doch sicher nicht betrüben wollen!«
Der Offizier biß sich in die Lippen, zog es aber vor, keine Erklärung seines eigentlich sonderbaren Verfahrens zu geben, sondern begnügte sich, seinen Befehl zu wiederholen.
»Vorwärts, Leute, man erwartet uns. - Korporal, Sie werden gut thun, uns gleich zu begleiten, denn in einer halben Stunde tritt die Compagnie zusammen.«
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Der kleine Zug setzte sich in Bewegung und verschwand in den Eingängen der Werke.


Die sechs Barken unter der Führung des Marine-Lieutenants und früheren Dampfer-Kapitains v. Salvy hatten sich ziemlich weit hinaus auf die Rhede gewendet; denn obschon man dort den Windstößen voll ausgesetzt war und die Wogen hoch gingen, war für ein aufmerksames Steuern ihnen doch leichter auszuweichen und die Gefahr geringer, als in der Nähe der Brandung.
Der Graf von Saint Brie hatte in dem Boot des Kapitain Gauthier Platz genommen. Der Graf war ein Mann von etwa fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, das vollendete Bild eines Roué's der alten Legitimistenschule, blasirt, leichtsinnig bis zum Exceß, elegant, voll aristokratischen Stolzes, aber von liebenswürdigen Manieren. Er hatte es verschmäht unter dem Bürgerkönigthum wie unter dem Kaiserreich in die Armee zu treten, aber er war nicht zu stolz gewesen, mit der jeunesse dorée des Kaiserreichs die Reste seines Familienvermögens im Jockei-Klub und den Orgien des Café anglais und des Maison dorée zu verschwenden. Als der Aufruf des päpstlichen Stuhls um Hilfe und Beistand gegen die Revolution vom Thron her durch Europa und Amerika ergangen war, hatte er sich mit vielen andern Legitimisten Frankreichs, Belgiens und Westphalens zur päpstlichen Fahne gestellt, mehr weil es Modesache war, als weil er große politische Begeisterung fühlte, und er hatte es daher auch für dankbarer gehalten, als Freiwilliger in Gaëta zu dienen, als nach der Zertrümmerung
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der päpstlichen Armee dem mühsamen Ding der Wiederherstellung des Heeres sich zu unterziehen.
Uebrigens hatten die meisten dieser Repräsentanten des ehemaligen legitimistischen Frankreichs es vorgezogen, ohne eine andere Charge unter den Vertheidigern der Kirche und des Thrones zu dienen, als derjenigen, welche ihre exclusive Verbindung sich selbst erwählte. In dem päpstlichen Elitecorps war jeder Soldat ein Edelmann von sechszehn Ahnen, und die Ansprüche, die sie erhoben, die Ueberhebung über die Befehle anderer gedienter Offiziere waren der Hauptgrund, daß ihre Anwesenheit unter den Vertheidigern trotz ihres unbezweifelten Muthes, ja ihrer heroischen Aufopferung dem Ganzen mehr schadete als nützte.
Trotz alle diesem, trotz ihres Hochmuths, ihrer Willkür und ihres Leichtsinns waren diese Männer doch bei den Soldaten und den jüngeren Offizieren sehr beliebt.
Der Offizier an seiner Seite, der dem vornehmen Herrn so eben noch eine so drohende Lection gegeben, war - obschon nur von demselben Alter - doch ganz anders geartet.
Kapitain Emile Gauthier war der Sohn eines jener alten Afrikaner, die noch aus der Zeit des ersten Napoleon mit ihren Jugenderinnerungen stammend, unter dem Herzog von Orleans, Bugeaud und Cavaignac eine ernste militairische Laufbahn der Gefahr und der Anstrengungen durchgemacht, und der es bis zum Kommandanten gebracht hatte, als ihm bei einem unglücklichen Gefecht, gegen den Stamm der Beni Azub der Kopf abgeschnitten wurde.
Der junge Emile, der damals sechs Jahre zählte,
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fand durch die Verwendung des unglücklichen Herzogs von Orleans, wenige Wochen vor dessen, am 23. Juli 1842 erfolgten Tode in der Avenue von Neuilly, Aufnahme in der Militair-Akademie von St. Cyr und war nach dem bald erfolgten Tode seiner Mutter von einem Oheim adoptirt worden, der als Schiffskapitain lange Zeit von Brest aus die Welt durchstreift und dann auf Guadeloupe sich niedergelassen und die einzige Tochter eines reichen Pflanzers geheirathet hatte. Der Oheim war, als der Knabe sechszehn Jahr zählte, herübergekommen, um ihn aus der Militair-Schule mit sich zu nehmen auf seine Pflanzung, da er keinen eigenen Sohn hatte; aber Emile hatte sich standhaft geweigert, die militairische Laufbahn seines Vaterlandes zu verlassen, und so mußte sich der alte Seekapitain begnügen, ihn mit reichen Mitteln auszustatten, die ihm vollkommen erlaubten, später im Regiment mit seinen vornehmen und reichen Kameraden auf gleichem Fuß zu leben.
Der Lieutenant Gauthier hatte, wie die Krimmedaille auf seiner Brust bewies, den Feldzug gegen Sebastopol mitgemacht und war in der Schlacht von Solferino so schwer verwundet worden, daß man ihn für todt hielt und nur ein Zufall verhinderte, daß er lebendig in dem großen Grab, das Freund und Feind deckte, verscharrt wurde.
Aber obschon dem Wiedergenesenen das Kreuz der Ehrenlegion und das Kapitainspatent auf seine Wunden gelegt wurde, und Jeder ihm eine rasche und glänzende Karriere prophezeite, hatte er doch aus unbekannten Gründen
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sofort nach seiner Wiederherstellung seinen Abschied genommen.
Der Franzose hatte, wenn auch nicht äußerlich, doch in seinem Wesen eine gewisse Aehnlichkeit mit dem deutschen Fremden-Offizier, den wir vorhin erwähnten. Beide waren noch jung, nur wenige Jahre unterschieden, und beide schienen dennoch, wenn auch vielleicht aus verschiedenen Ursachen, mit den Freuden des Lebens gebrochen zu haben, denn beide waren gleich ernst und zurückweisend.
Kapitain Gauthier war von mittlerer Größe und dunklem Teint mit schwarzen Haaren und einem feurigen entschlossenen Auge.
Trotz der Lektion, die der Graf über das Schweigen von seinem Nachbar erhalten hatte, konnte er es doch nicht länger bewahren, als absolut nöthig schien.
»Kapitain!«
»Herr Graf?«
»Ich dächte, wir wären weit genug von der Küste entfernt, daß wir uns die langweilige Fahrt wohl etwas verkürzen könnten, ohne weiter die Trappisten zu spielen.«
»Sie vergessen, daß das Wasser den Schall weithin trägt.«
»Bah - der Ton eines leichten Gesprächs reicht nicht eine volle Lieue durch das Donnern der Brandung.«
»Dann müssen wir als Offiziere des Beispiels wegen schweigen.«
»Ventre saint gris, so entkommen Sie mir nicht. Ich habe nicht die Ehre Offizier zu sein, die Ermahnung paßt also nicht auf mich!« -
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»Wohlan« sagte der junge Kapitain, der einsah, daß er seinen Begleiter sonst nicht los würde, »wenn Sie denn einmal sprechen müssen, so thun Sie es, aber nicht so laut und nur so lange, als es ohne Gefahr geschehen kann.«
»Das will ich und wäre es auch nur, um bei diesem höllischen Schaukeln der Barke nicht seekrank zu werden. Aber Kapitain, ich muß Ihnen gestehen, ich habe weniger Lust, selbst zu sprechen, als Sie sprechen zu lassen.«
»Mich?«
»Ja wohl, Sie - der Sie den Schweigsamen spielen, während Sie, als ich Sie vor drei Jahren in Paris kannte und wir manche lustige Nacht zusammen verbrachten, Nichts weniger als das waren. Ich wiederhole Ihnen, ich habe Sie genau beobachtet diesen Abend, obschon ich selbst den Champagner nicht schonte, und Sie haben kaum ein Glas getrunken, wenn Sie unabweislich Bescheid thun mußten.«
»Der Dienst, Graf!«
»Bah - wir hatten ihn alle vor uns, mehr oder weniger. Glauben Sie, daß - um bei uns Franzosen zu bleiben - Méricourt weniger gewissenhaft ist, als Sie?«
»Gewiß nicht, aber - ich vertrage nicht so viel als er!«
»Oh - dann müßte sich Ihre Natur gewaltig geändert haben. Sie sind Norman glaub' ich, und die haben einen starken Kopf. Ich erinnere mich, daß ich Sie Bernouillac unter den Tisch trinken sah, und der trank wie ein alter deutscher Ritter, oder wie ein Engländer, der den Spleen hat, sich in Klaret zu ersäufen.«
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»Dann - ich habe es mir abgewöhnt, ich trinke nicht mehr!«
»Das ist, als wenn man sagen wollte: ich liebe nicht mehr! Teufel, was Sie sich geändert haben gegen damals! Erinnern Sie sich noch an das Souper nach dem Ball in der Oper?«
»Ich erinnere mich« sagte der Offizier und zog den Kragen seines Kapots höher um das Gesicht, als wolle er sich vor dem Spritzwasser schützen, das in das Boot schlug.
»Sie mit Cora Pearl, die Sie an dem Abend als guter Orleanist dem großen Kriegshelden Plonplon weggefischt hatten; ich mit Metella, die Offenbach das Motiv zu einer allerliebsten Zotise gegeben hatte, die man diesen Winter in den Bouffes giebt, während wir uns auf diesem schmuzigen Wasser von Sturm und Hagel zausen lassen, und - wer war doch gleich das vierte Paar?«
Der Andere gab keine Antwort.
»Richtig - Ventre saint gris - ich habe der Abende so viele gehabt, daß ich nicht gleich mich zu orientiren wußte; der arme Castelane war es, der später bei Magenta oder in einem der andern Gefechte gefallen ist, und die tolle Therese, die Chansonniere!«
Der Offizier zuckte zusammen, als habe ihn ein Schlag getroffen.
»Sie müssen sich der kleinen Bachantin mit rothen Haaren noch erinnern, die ganz Paris den Kopf verrückte, und die selbst die Fürstin Metternich, unsere Excentrice, besucht hat. Sie war ja an diesem Abend ganz rasend
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in Sie verliebt, daß Cora förmlich eifersüchtig wurde. - Vielleicht haben Sie sie später noch gesehen, in Italien, denn Sie werden wissen, daß Seine Majestät unser allgnädigster Kaiser vom Plebiscit- und Kartätschen-Gnaden, sie zur Erholung von seinen Feldherrnthaten mit zum italienischen Feldzug nahm, wie sein Vetter Plonplon Cora Pearl nach Constantinopel!«
»Ich weiß es!«
»Nun endlich beginnen Sie aufzuthauen, mein Bester! O es war damals eine göttliche Saison in Paris. Das Gold oder vielmehr die Banknoten rollten, denn es war die Saison der großen Bankunternehmungen, des Credit mobilier und der Eisenbahnen, bei denen ich leider meine letzten hunderttausend Frank los wurde, statt sie zu verzehnfachen. Deshalb mußte ich eben die Saison abbrechen und für zwei Jahre nach den Kolonien gehn, während Sie Glücklicher bleiben durften. Aber im Grunde - Ventre saint gris - es war dort auch nicht ganz schlecht und ich habe mich vortrefflich unterhalten, während meine alte Tante aus dem Faubourg St. Germain durch Herrn Perier meine Schulden arrangirte.«
»Sie waren in Martinique Herr Graf?« frug der der Offizier zerstreut, vielleicht um dem halblaut geführten Gespräch eine andere Richtung zu geben.
»Auf Martinique und Guadeloupe. Meine Tante, die Marquise d'Esteyrac, die ich zu beerben hoffe, wenn ich mich bis dahin bessern kann und gut bourbonisch bleibe, hat auf der ersten Insel noch einige Besitzungen.«
»Waren Sie lange auf Guadeloupe?«
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»Drei Monate - also lange genug, um mich zehnmal zu verlieben, drei Duelle und einen Anfall vom gelben Fieber zu haben, und einen Messerstich von einem eifersüchtigen Mulatten zu empfangen, dessen Folgen mich zwangen, wieder in ein verständigeres Klima zurückzukehren. Abgesehen von einigen kleinen Vergiftungsversuchen, die ich nicht rechnen will.«
»Sollten Sie vielleicht dort in die Gegend von Basse-Terre gekommen sein?«
»Oh - Parbleu - der gebirgige Theil der Insel ist der Hauptplatz meiner Thaten gewesen.«
»Und haben Sie dort zufällig einen Pflanzer Namens Lautrec kennen lernen?«
»Lautrec? den alten Kapitain? Ventre saint gris, wer würde denn nicht den Vater der schönen Königin von Guadeloupe kennen?«
»Der Königin von Guadeloupe?« -
»Seiner Tochter!«
»Seiner Tochter? - Der Kapitain Lautrec hat also eine Tochter?«
»Alle Donnerwetter und was für eine! Ich sage Ihnen Herr Kapitain, obschon eine Quadrone und erst fünfzehn Jahr ist sie in Wahrheit die Königin der Schönheiten von Guadeloupe und dazu in Gold und Juwelen gefaßt. Ventre saint gris - ich wünschte, ich könnte Ihnen die Zartheit und doch Ueppigkeit dieser Formen beschreiben, oder das schmachtende Auge, das seidene Haar und die schwellenden Lippen, oder vielmehr den ganzen Eindruck. Auf meine Ehre, sie ist eine Parthie eines Herzogs oder
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Marschalls werth und glücklich Der, dem sie der alte Seebär anvertraut. Ich hätte sie auf den Fleck geheirathet, wenn mich nur der Alte gewollt hätte. Aber der Bär hat einen ganz unsinnigen Bürgerstolz!«
Der Offizier hatte in tiefem Nachdenken dieser Extase zugehört.
»Aber um wieder auf unser Frankreich zu kommen« - fuhr der Graf fort - »und uns an die erreichbare Wirklichkeit zu halten, was zum Teufel mag unser Louis denn mit der tollen Therese angefangen haben? Es gingen die seltsamsten Gerüchte darüber in Paris und man erzählte sogar von einer geheimen Anwesenheit der Kaiserin in Mailand und einer imperialistischen Ohrfeige. Nur so viel ist gewiß, daß er sie nicht wieder mitgebracht hat nach Paris. Da Sie Beide damals unter den Garde-Zuaven dienten, also immer in der Nähe des kaiserlichen Hauptquartiers waren, müssen Sie doch etwas von der Geschichte gehört haben, Sie oder der arme Castellane.«
»So viel ich vernommen, soll Mad[e]moiselle Therese fromm geworden und in ein Kloster gegangen sein!«
Der Graf schlug ein so munteres Gelächter auf, daß der Kapitain ihm rasch die Hand auf den Mund legte und von dem nächsten Boot aus, in dem sich der Marine-Lieutenant befand, ein unwilliger Ruf zur Vorsicht herüber kam. »Also doch wahr und wahrhaftig! ich wollte es nicht glauben, als man mir's erzählte und beifügte, daß es aus Gram über den Tod ihres Anbeters Castellane geschehen sei! Als ob diese Person je etwas Anderes geliebt hätte, als die Verschwendung und das Vergnügen!
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Aber Sie haben mir noch Nichts von dem Tode unseres Freundes erzählt - Sie waren ja wohl dabei?«
»Ich - war - in der Nähe!«
»Dann kennen Sie also die näheren Umstände?«
»Ich kenne sie.«
»Gut, dann erzählen Sie mir. Er ist in der Schlacht von Magenta gefallen?«
»Am Tage vorher!«
»Also bei den Recognoscirungen? Im Einzelngefecht? Zum Henker, seien Sie doch nicht so schweigsam - man muß Ihnen jedes Wort heraus holen.«
»Man hat ihn todt - unweit des Hauptquartiers gefunden.«
»Erschossen?«
»Erstochen!«
»Er hat sich also überraschen lassen? Aber eigenthümlich ist die Geschichte doch. Haben Sie denn keine Vermuthung ...«
Der Kapitain zögerte zu antworten. Er wurde dessen enthoben durch die rauhe Stimme des Marine-Offiziers.
»Kapitain Gauthier, ich muß Sie an den Befehl des Generals erinnern! Die Barken steuern jetzt dem Ufer zu und jeder unvorsichtige Laut kann das Verderben der Expedition sein.«
Der Offizier nickte schweigend Zustimmung.
»La la!« meinte leichtsinnig der junge Aristokrat - »wir haben noch Zeit, denn mich soll der Satan holen, wenn ich auch nur eine Spur von Küste sehen kann.
Der Kapitain faßte energisch seinen Arm. »Still
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Kamerad - von jetzt ab gilt nur der Dienst und Sie kennen den Befehl!«
Die Barken waren auf der Höhe des Punktes angekommen, den Lieutenant von Salvy zur Landung gewählt hatte, und die Steuerung wurde dahin gerichtet. Die Electrizität, die die Luft erfüllte, machte die hochgehenden Wogen so stark phosphoresciren, daß die Barken gleich riesigen schwarzen Ungethümen der Tiefe über sie dahin taumelten. In Millionen leuchtender Perlen bedeckte das Spritzwasser die Mannschaften, während die Kiele auf den Kämmen der Wogen der Brandung zu flogen, deren donnernder Schall bald darauf hörbar wurde.
Leise erging von Mund zu Mund der Befehl, die Munition und die Schlösser der Gewehre möglichst unter den Kleidern vor der Durchnäsfung zu schützen.
Es war ein furchtbares Wagniß, das nächtliche Anlaufen an eine brandende Felsküste. Ohne jene in die verschiedenen Barken zu ihrer Unterstützung vertheilten Matrosen vom Protis hätten die neapolitanischen Schiffer das Wagniß nicht unternommen oder fortgesetzt.
Jeder fühlte, daß die nächste halbe Stunde über Leben oder Untergang entschied, und es brauchte daher kaum der weiteren Aufsicht der Offiziere, um das strengste Schweigen aufrecht zu erhalten. Selbst der schwere Anfall von Seekrankheit, an der Viele in der letzten Stunde gelitten, war vor den Schrecken der wirklichen Gefahr verschwunden.
Unterhalb der Schiappa liegen zwei kleine Inseln oder vielmehr Eilande, und deren Schutz gegen die Außenwogen
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war es, auf welchen der erfahrene Seeoffizier gerechnet hatte, um an der gefährlichen Küste zu landen. Grade die Gefährlichkeit des Unternehmens mußte sein bester Schutz sein, denn neben solcher Brandung hatten die Piemontesen sicher nicht daran gedacht, hier noch Schildwachen auszustellen.
Die Barke, in welcher sich der Marine-Lieutenant mit dem Oberstlieutenant Migy befand, bildete jetzt die Tête, - der wackere Marine-Offizier hatte selbst das Steuer genommen.
Es waren Augenblicke bangen Zweifels, ob es den gewaltigen Anstrengungen der Ruderer gelingen würde, die Spitze der mehr einem einzeln aus dem Meer hervorragenden Felsen gleichenden Vorinsel zu umfahren, oder ob der Sturm sie auf diese und die Küste weiter hinauf werfen würde.
In dem starken Wetterleuchten konnte man jetzt gleich einem weißen beweglichen Bande den Schaumgürtel der Brandung erkennen. Links stieg aus der dunklen wogenden See eine noch dunklere aber unbewegliche Masse empor.
»Das ist die Stelle!« murmelte der Offizier - »jetzt Leute arbeitet für Euer und Euer Kameraden Leben!«
Er hatte die leichte Steuerpinne mit beiden Händen gefaßt, und lehnte mit der ganzen Wucht des Körpers darauf.
»Auf mit den Riemen!«
Die sechs Ruder hoben sich, auf dem Kamm einer hinter ihr her rollenden Woge flog die Barke vorwärts - jetzt - der Felsen flog am Backbord vorüber! - »Eingesetzt Leute - streicht um Euer Leben!« - Die Steuerpinne
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hielt fest, in zwei Minuten ruderte die Barke in verhältnißmäßig ruhigem Wasser.
Hochaufathmend richtet sich der ehemalige Kapitain der Protis auf und gab das Steuer einem seiner Matrosen, um nach den anderen Schiffen zu spähen.
Das zweite und dritte vermochten glücklich dasselbe Manöver auszuführen, wie die leitende Barke. - Die vierte jedoch schoß an dem entscheidenden Punkte vorüber und trieb unaufhaltsam der Felswand der Küste zu. Das von zu leichtem Holz gefertigte Steuer war unter dem gewaltigen Druck gebrochen.
Der Marine-Offizier warf einen entsetzten Blick auf das dahin fliegende Fahrzeug. »Ewiger Gott, sie sind verloren, der brave junge Kapitain mitsamt dem aristokratischen Schwätzer! In die Riemen Jungens, und wenn sie brechen! Wir müssen zusammen mit ihnen an der Küste sein.
Die Ruder bogen sich wie Peitschenstäbe unter den kräftigen Schlägen der Männer - kaum weniger schnell als das verlorene Fahrzeug auf den brandenden Wellen flog die Barke in paralleler Richtung dem ruhigeren Theil der etwa noch 500 Ellen entfernten Küste zu. Die anderen Barken folgten in mehr oder weniger größerem Winkel.
Jene Barke, die der unglückliche Steuermann wegen der Zersplitterung des Steuers nicht in das ruhigere Wasser zu drängen vermocht hatte, war die, welche den Kapitain Gauthier und den Grafen von Saint Brie trug.
Die furchtbare Lage und ihre Folgen waren sofort auch
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dem Laien deutlich erkennbar, als hätte sie ihnen der Matrose und der Fischer, dem die Barke gehörte, in Worten auseinander gesetzt.
Der Letztere geberdete sich mit all' jener leidenschaftlichen Heftigkeit, welche den Süditalienern schon in gewöhnlichen Lagen, viel mehr noch in dem Augenblicke der Erregung eigen ist. Er warf sich auf die Knie, rang die Hände und begann, seine Schutzheiligen anzurufen. Die Franzosen starrten entsetzt auf ihn - viele beteten.
»Still - keinen Laut! Sterbt wie Männer!«
Die Worte waren fast geflüstert, aber in einem so eigenthümlichen Ton, daß er trotz des Tobens des Windes und des Brausens der nahen Brandung in jedes Ohr der zitternden Mannschaft drang.
Der junge Aristokrat, der so oft mit dem Leben frivol gespielt hatte, saß bleich auf der Bank des Bootes, hielt sich fest geklammert an diese und sah mit gesträubtem Haar, aber nicht ohne eine gewisse Bewunderung zu dem Offizier auf, der sich halb erhoben hatte und mit der Linken sich auf den an den Bootrand klammernden nächsten Ruderer stützte, während seine Rechte den funkelnden Stahl hielt, mit dem er Jedem den Tod gedroht, der einen Schrei ausstoßen würde. Seine Augen funkelten gleich zwei Kohlen, wie sie bald über die kleine, dem Verderben geweihte Schaar liefen, bald die mit jeder Secunde näher kommende Gefahr maßen. Der Graf von Saint Brie war gewiß ein Mann von unbezweifeltem Muth, - er hat es in vier Duellen bewiesen; aber zu ertrinken hier, an der öden Küste, oder an dem Gestein zerschmettert zu werden, ohne einen Ruf
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der Hilfe, einen Schrei des Schmerzes ausstoßen zu dürfen, machte ihn schaudern, und er bereute vielleicht, sich mit Gewalt zu der nächtlichen Expedition gedrängt zu haben.
Außer dem Offizier war in der That nur der bretonische Matrose, den Lieutenant von Salvy dem Boote beigegeben hatte, der Einzige, der seine volle Fassung und Kaltblütigkeit bewahrt hatte. Er hatte eines der Ruder ergriffen und hielt sich im Spiegel der Barke, die blauen, runden Augen fest auf die Brandung und die heranfliegende Felswand gerichtet, um womöglich eine Chance der Rettung zu erspähen. Er war ein Mann von nahe an den Sechzigen, aber muskulös und kräftig, der heulende Wind, der spritzende Schaum spielten mit seinen langen, grauen Haaren und brachen sich an der entblößten Brust.
»Heiligste Jungfrau!« schrie der Fischer auf.
»Still!«
Die zurückfluthende Brandung rauschte um die Barke und machte sie einen Augenblick wie auf der Spitze der Wogen halten - im starken Wetterleuchten weiß wie ein Leichentuch sich erhebend und ihre Farbe mit dem weißen Gischt der Brandung vermischend, lag die etwa 50 Fuß hohe Kalksteinmauer der Küste vor dem Fahrzeug.
Der gellende Angstschrei verlor sich in einen gurgelnden Laut, das warme Blut aus der durchstoßenen Kehle mischte sich mit dem kalten Schaum des Meeres - gleich zwei Wänden stürzte von rechts, links die Brandung über das unglückliche Fahrzeug, während ein furchtbarer Stoß es erschütterte und seine Planken aus ihren Fugen riß.
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Aber die Kaltblütigkeit und Aufmerksamkeit des alten Matrosen war nicht ohne Frucht geblieben. Ohne einen Laut ließ er das Ruder fallen, mit dem er im entscheidenden Augenblick den Bug des Fahrzeuges zwischen zwei von ihm in dem Gischt bemerkte Steinblöcke gerichtet hatte, und drängte mit der ganzen herkulischen Kraft seiner ausgebreiteten Arme die vor ihm Stehenden und Kauernden nach vorn. Die Spitze der Barke war nach oben gerichtet, während der Spiegel wohl drei Fuß tiefer lag; - drei der Soldaten waren von dem furchtbaren Stoß über Bord geschleudert und entweder an dem Gestein zerschmettert, oder von der rückfluthenden Woge in die See zurückgewirbelt worden, aber das Brüllen des Meeres, das Heulen des Windes waren zu stark gewesen, als daß auch das aufmerksamste Ohr an der Küste den Todesschrei derselben hätte vernehmen können, und überdies - gleich als wolle der Himmel das kühne Unternehmen selbst begünstigen - war in den letzten Minuten einer jener leichten Hagelschauer losgebrochen, welche dem Gewitter voran gingen.
Der Kapitain Gauthier hatte sofort die Absicht des alten Matrosen und die einzige Aussicht der Rettung begriffen. Indem er den Grafen von Saint Brie emporriß und ihn nach vorn warf, drängte er mit aller Macht nach dem Bug der Barke. Ein Krachen hinter ihnen beschleunigte diese Anstrengung - die Barke war mitten durchgebrochen, und als der Kapitain auf einen Augenblick lang zurückzuschauen versuchte, sah er, daß der heldenmüthige alte Seemann, dessen Energie sie vielleicht die Rettung verdanken sollten, lautlos verschwunden war.
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In den Augenblicken der höchsten Todesgefahr ist der Instinkt Alles. Die Soldaten, die durch die Vorsicht ihres Offiziers ihre Gewehre am Riemen umgehängt trugen, hatten sich, fast ohne zu wissen, was sie thaten, einer von dem anderen gedrängt über den Bug der Barke in das Wasser geworfen. Einer von ihnen war dabei unter die Füße getreten und ertrank unter den fortwährend über ihn weg schlagenden Wellen.
Aber indem sie sich blindlings in das Meer stürzten mit der Aussicht, an den schroffen Felswänden zerschmettert zu werden, fanden sie Boden unter ihren Füßen.
Zwischen den Steinblöcken, zwischen welche ihr zertrümmertes Fahrzeug geworfen worden, und der Küstenwand hatten die Wogen vielleicht schon seit Jahrhunderten das Geröll der bröckelnden Steine zusammengehäuft, und die Fluth ragte den Mannschaften nur bis an die Brust, während der aufwärts gekehrte Bug des Bootes und die Felsblöcke hinter ihnen den Anprall der Wogen schwächt, der sie sonst ohne Zweifel niedergeworfen hätte.
Kaum empfand der Kapitain, daß die Aussicht auf Rettung der übrig gebliebenen Mannschaft vorhanden war, als er auch sofort mit Energie die nöthigen Maßregeln traf. Mehr mit Stoßen und Schieben, als mit Worten drängte er den Haufen zusammen, um fester der zurückwirbelnden Brandung Widerstand leisten zu können, und schob ihn vorwärts. Mit jedem Schritt weiter kamen sie höher hinauf und hoben sich mehr aus dem Gischt. Nach dem Kämpfen von wenig mehr als zwei Minuten stießen sie an die Küstenwand selbst.
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Die Gefahr war zwar keineswegs vorüber, aber doch athmete jede Brust freier und sicherer.
Kapitain Gauthier war hier wieder an der Spitze seines Haufens. Er machte Halt, theils um die Leute ruhen zu lassen, theils in der Hoffnung, noch Einem oder dem Anderen, welche die Wogen fortgerissen, Beistand leisten zu können. Ja er wagte es auf jede Gefahr hin, von hier aus einen leichten Ruf in das Brüllen der Wogen zu mischen.
Doch nur dieses antwortete ihm.
Dann wandte er all' seine Aufmerksamkeit der Steinwand zu, welche ihrer weiteren Rettung anscheinend eine unübersteigliche Schranke setzte.
Das Warten und jeder Versuch, noch ein Leben zu retten, erwiesen sich zwar als vergeblich, dagegen bemerkte der scharfe Blick des jungen Offiziers, daß es ziemlich leicht sein würde, die Uferwand zu erklimmen, da ein breiter von oben herab führender Spalt genügenden Anhalt gab.
Nur bedacht, zunächst sich zu überzeugen, daß das Plateau an dieser Stelle nicht von piemontesischen Posten besetzt sei, begann er sofort die Erklimmung, gefolgt vom Grafen St. Brie und den geretteten Mannschaften.
Er hatte jedoch kaum die Höhe erreicht, wo Alles im Schatten der sich vom Monte Lombone bis hier herunter ziehenden Berggelände in tiefem Dunkel lag, als ungeachtet des Brausens der Brandung und des Rasseins der Schlossen die Schritte eilig herankommender Menschen deutlich gehört wurden.
Der Augenblick war entsetzlich - noch Niemand hatte Zeit gehabt, zu untersuchen, wie weit seine Waffen noch
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brauchbar wären - zum Glück aber löste sich der Zweifel bald in der Frage: »Landsleute? Kapitain Gauthier?«
Es war Lieutenant Salvy, welcher fast eben so rasch, als die Barke Schiffbruch gelitten hatte, mit der seinen das Ufer an einer günstigen Stelle erreicht hatte und herbeigeeilt war, um zu sehen, ob Etwas zu retten wäre.
Die Freude war um so größer, als man es kaum noch für möglich gehalten. Nachdem Kapitain Gauthier seine Leute gesammelt und sofort nach seiner Seite zwei Schleichpatrouillen ausgesandt hatte, um die Sicherheit der Terrains zu prüfen, beeilte man sich, zu der Landungsstelle der fünf Barken zu gehen.
Hier hatte die Ausschiffung der ganzen Mannschaften bereits stattgefunden und Oberstlieutenant Migy dieselben Vorsichtsmaßregeln genommen, wie sein untergebener Offizier. Der Schlossenschauer hatte wieder aufgehört, und als sich das Auge mehr an die Dunkelheit gewöhnt hatte, vermochten die beiden Führer sich zu orientiren.
Man befand sich am Fuße des 367 Meter hohen Monte Lombone, auf dessen Abdachung die äußerste Batterie der Piemontesen nach dieser Küste hin lag. Man wußte, daß der von der Festung herkommende Weg sich um die östliche Seite des Berges wand und später in zwei Richtungen den Monte Agatha umgab und nach Albano und zur östlichen Küste führte. Es galt vor Allem, diesen offenen Weg zu vermeiden, da man ja erwarten mußte, hier auf feindliche Wachen oder Patrouillen zu stoßen.
Alle Verabredungen und Kommando's durften natürlich
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nur in möglichster Stille erfolgen. Die Schweizer-Kompagnie übte diese, als die bestdisciplinirte, ohne Schwierigkeit, die französischen Legionaire waren durch die furchtbare Energie eingeschüchtert worden, die ihr junger Führer in Mitten der Gefahr geübt hatte.
Man prüfte zunächst die Feuerwaffen, wie weit sie von dem eingedrungenen Seewasser gelitten. Da kein Gewehr aus Vorsicht geladen worden und die Läufe geschlossen und die Schlösser genügend umwickelt gewesen waren, fand man die meisten in gutem Zustand - auch die unter den kurzen wasserdichten Radmänteln geborgene Munition war gerettet. Dagegen befand sich die Mannschaft der gestrandeten Barke selbst natürlich in der traurigsten Beschaffenheit, alle Kleider vom Meerwasser durchdrungen, das in dem scharfen Seewind eine lähmende Kälte übte.
Nach kurzer Berathung beschloß man, daß die Schweizer-Kompagnie des Hauptmann Steiner, welcher die Aufgabe zugefallen war, Albano zu überrumpeln - den wirklichen Zweck dieses Ueberfalls kannten nur die beiden oberen Offiziere - unter dem Geleit eines der Führer voran marschiren und damit zugleich das Terrain sondiren sollte, während die französische Kompagnie mit dem zweiten ortskundigen Führer folgen und sich an passender Stelle in der Nähe der Klosterruinen in Hinterhalt legen sollte, bis das Zeichen vom Monte Orlando sie benachrichtigen würde, daß der Ausfall der Truppen aus dem Landthor der Festung im Gange sei.
Nachdem Oberstlieutenant Simonetti seine letzten
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Anordnungen getroffen, zog die erste Abtheilung der kecken Expedition ab und verschwand im Dunkel.
Kapitain Gauthier benutzte die verabredete Zeit des Wartens, um seine Leute ihre Fußbekleidung trocknen und ihre Oberkleider wenigstens ausringen zu lassen, indeß er sich mit dem Führer besprach, in dem er einen anscheinend eben so umsichtigen, als kühnen Mann fand, der auf alle Fragen rasche und von voller Kenntniß seiner Aufgabe zeugende Antworten gab. Doch wunderte ihn einigermaßen der halb spöttische, halb vertrauliche, eine gewisse Gleichstellung beanspruchende Ton, den der ihm sonst Unbekannte gegen ihn anschlug, während gewöhnlich die Italiener der unteren Stände gegen Höhergestellte und Vorgesetzte sich in der Redeweise einer gewissen Devotion befleißigen.
Der Mann war von untersetzter Gestalt, hatte einen schwarzen, krausen Bart und die ärmliche Tracht eines Landmannes, über welche er den zottigen Mantel von Ziegenfell geworfen, welchen die Hirten der pontinischen Sümpfe gewöhnlich tragen. Kapitain Gauthier bemerkte, daß er im Gehen etwas lahmte und deshalb einen tüchtigen Bergstock führte. Anscheinend war er ohne Waffen. Das Gesicht konnte der Offiziere nicht näher erkennen, da es eben zu dunkel war und der Mann den zerrissenen spitzen Hut tief in's Gesicht gedrückt trug.
Trotz seiner Lahmheit schritt der Mann rüstig der kleinen Schaar voran, und da das Terrain offenbar von den vorauf marschirten Schweizern sicher befunden worden, glaubte der Kapitain sich mit dem Führer in ein längeres
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Gespräch einlassen zu können, das freilich mit gedämpfter Stimme geführt wurde.
Jetzt zuerst auch redete der Graf von Saint Brie ihn an, denn bisher hatte es an Zeit und Gelegenheit dazu gefehlt.
»Kapitain« sagte er, »nehmen Sie meine Hand! Sie haben eine verteufelte Manier, einem Menschen das Leben zu retten. Die Art und Weise, wie Sie einen der ältesten Namen kopfüber aus dem Boot warfen, ohne zu sagen: Vorgesehen! muß Ihnen die Hochachtung des ganzen Faubourg Saint Germain sichern. Saint Brie ist Ihr Schuldner!«
»Der, welchem wir Alle unsere Rettung verdanken, ist leider ein Opfer seiner Hingebung geworden!«
»Sie meinen den alten Seebären? Bah - diese Bursche sind an's Ersaufen gewöhnt, während unser Einem das ein fataler Tod gewesen wäre. Ich bin naß wie ein Pudel und werde morgen so salzig aussehen, wie ein holländischer Häring!«
»Sie werden heute noch Gelegenheit genug finden, trocken zu werden, Monsieur!« mengte sich ungenirt der Führer in das Gespräch.
»Ah, mein Alter! Ihr versteht französisch?«
»Ein Wenig - was man en passant von den Fremden lernt, die in besseren Zeiten ihre Nasen an unseren Ruinen reiben. Aber, mein Kapitain, hier einige Vorsicht, wir müssen diesen Fußweg hinauf!«
»So seid Ihr aus der Gegend?«
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»Das gerade nicht - aber ich kenne doch die Berge sehr genau!«
»Eurem alten Ziegenfell nach seid Ihr aus den pontinischen Sümpfen« meinte der Graf. »Ich erinnere mich, in Terracina ähnliche Vogelscheuchen am Wege gesehen zu haben.«
»Auch darin irren Sie, Herr Kamerad!«
»Kamerad? Seid Ihr toll?«
Der Führer lachte. »Per bacco, Signor! Diene ich nicht auch als Freiwilliger Seiner Majestät dem König von Neapel?«
»Der Bursche hat in der That Humor! - Was meinen Sie, Gauthier?«
»Oberstlieutenant Migy sagte mir, daß wir ihm vollkommen vertrauen könnten - wir wollen deshalb über Begriffe nicht rechten.«
Der Führer blieb plötzlich stehen und erhob die Hand.
»Silenzio!« sagte er.
Auf ein Zeichen des Kapitains machten die Nächsten sofort Halt und der Befehl pflanzte sich rasch durch den ganzen Trupp fort.
Der Führer wandte sich an den Offizier.
»Signor« sagte er, »haben Sie das Vertrauen zu mir, das man Ihnen anempfohlen?«
»Warum?«
»Weil es nothwendig ist, daß ich mich auf zehn Minuten entferne, und daß Sie mich allein gehen lassen!«
Kapitain Gauthier bedachte sich einige Augenblicke, er fühlte die schwere Verantwortlichkeit, denn er kannte nur
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die allgemeine Lage der Berge, aber unter seiner Compagnie war Keiner, der Weg und Steg wußte.
Dennoch blieb ihm keine Wahl.
»Ich will Euch das Vertrauen schenken auf die Gefahr meines Vorgesetzten hin, denn wir selbst kennen uns noch zu wenig. Aber Ihr werdet begreifen, daß ich die Nothwendigkeit erkennen muß.«
»Cospetto, das versteht sich, Herr Kamerad!«
»Ihr sprecht unverschämt!«
»Oh, nichts weniger als das! Kapitain Chevigné ... kennen Sie Kapitain Chevigné? ...
»Ich habe von ihm gehört!«
»Ich kenne ihn persönlich sehr gut« fügte der Graf bei. »Und ich ...«
»Nun denn, ich versichere Sie, Kapitain Chevigné, der hoffentlich jetzt glücklich wieder in Frankreich ist, hat sich noch vor sechs Wochen ein Vergnügen daraus gemacht, mich Kamerad zu nennen! Aber das sind Nebensachen. Hören Sie!«
Er deutete nach dem Hügelkamm über ihnen.
Jetzt - als sie aufmerksam lauschten - vernahmen auch der Kapitain und seine Gefährten das, was die schärferen Sinne ihres Führers schon früher wahrgenommen hatten: das Geräusch von Schritten bewaffneter Männer und das Sprechen derselben.
Kapitain Gauthier griff nach seinem Säbel.
»Halten Sie sich still, Signor!« flüsterte der Führer. »Es ist eine Ablösung von der Batterie her - wir werden uns gleich überzeugen und dabei noch profitiren.«
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Die Herankommenden, die in dem Schatten der höher liegenden Berge allerdings nicht zu sehen, aber wohl zu hören waren, machten Halt.
»Trippe del papa!« sagte eine barsche Stimme - »Dieser Halunke von Emanuele - mit allem Respekt vor Seiner Majestät - muß in dem Hundewetter irgendwo untergekrochen sein, denn ich sehe ihn nirgends!«
»So rufen Sie doch, Caporale!« meinte eine andere Stimme.
»Es bleibt uns wirklich Nichts übrig, da er selbst uns nicht anruft, und in der Nähe muß er sein. Aber ich werde den Schurken dem Kapitain zur Bestrafung anzeigen! - He, Sentinella! - Emanuele Vicotti! Schläfst Du oder hat Dich der Hagel erschlagen?«
»Chi va là?« ertönte der schwache Anruf der Schildwach aus einiger Entfernung.
»Ah - dort steht der Bursch - ich hatte mich in der Richtung geirrt! Aber der Halunke hätte uns hören müssen und ich werde ihm die Ohren aufknöpfen!«
Der Korporal schritt mit seiner Begleitung vorwärts.
»Kommen Sie!« flüsterte der Führer. »Aber vorsichtig!« und er zog den Kapitain sich nach, indem er den Grafen und die Mannschaften durch ein Zeichen bedeutete, zurückzubleiben.
Sie schlichen geräuschlos in der Richtung nach, welche die Ablösung eingeschlagen.
»Chi va là?« klang es zum zweiten Male kräftiger von jenseits des Hügelkammes.
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»Smontare la guardia!«11
»Signale?«12
»Tumulo di Cicero!«13
»Il signo?«14
»Nunziante!«
Der Kapitain hörte, wie sein Führer bei diesem Namen eine Verwünschung leise in den Bart murmelte.
Es folgten die gewöhnlichen militairischen Formalitäten der Abwechselung und dann ermähnte der Korporal den Posten, hübsch Acht zu haben auf die bei seinem Standpunkt sich kreuzende Straße, um so mehr, als die Offiziere keine Lust hätten, bei diesem Hundewetter sich mit Ronden zu befassen und alle überflüssigen Posten eingezogen wären. Auch sei die Hälfte der Offiziere hinüber nach San Agatha, wo sie zur Feier der Armirung der Batterie ein Trinkgelage hätten, indeß sie hungern und dürsten müßten. Unter diesen Anempfehlungen und diesen Klagen zog das Ablösungskommando wieder ab, ziemlich dicht an den beiden Versteckten vorüber.
Erst als die Feinde in hinreichender Entfernung waren, schlichen Kapitain Gauthier und der Führer mit gleicher Vorsicht, um nicht von dem Posten, den sie pfeifend auf und nieder gehen hörten, bemerkt zu werden, zu den Ihren zurück.
»Bei dem heiligen Collegium« sagte endlich stehen bleibend der Führer, »wir haben Glück, Monsieur! Wir wissen jetzt das Paßwort und wo der Posten steht. Und
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da derselbe frühstens erst in zwei Stunden auf Ablösung hoffen darf und der einzige auf dieser Seite des Berges ist, so brauchen wir ihn blos bei Seite zu schaffen, um offen und bequem auf dem Heerweg marschiren zu können, statt unseren Weg durch Stein und Gestrüpp nehmen zu müssen.«
»Aber wie?«
»Das überlassen Sie mir. Ich glaube, Sie haben sich jetzt überzeugt, daß ich Vertrauen verdiene?«
»Vollstes!«
»Optime! Dann will ich meine Vorbereitungen treffen.«
Er zog aus einem Sack unter dem Mantel eine jener Rohrpfeifen, auf denen die Hirten der Sümpfe wie die Bewohner der Apenninen-Thäler trotz der Einfachheit des Instruments so hübsche Melodien zu blasen wissen, und fühlte, ob er das in seinen Beinkleidern verborgene Messer auch handgerecht habe.
Der Kapitain schauderte bei dieser letzten Bewegung, deren Bedeutung er ahnte, machte aber keine Bemerkung, da er die furchtbare Nothwendigkeit einsah.
»A reviderci, Kamerad! Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden, denn ich muß mit ihm plaudern.«
Der Führer, der so beharrlich die Offiziere seine Kameraden zu nennen liebte, nahm seinen Weg in der Richtung, welche die gebahnte Straße laufen mußte, und gelangte etwa fünfhundert Schritte unterhalb der Stelle auf dieselbe, wo sich der belauschte Posten auf dem Gelände befand, das den Weg einschloß.
Der Piemontese, zu einer Compagnie Bersagliere
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gehörig, die bei den Batterien des Monte Lombone bivouaquirte, hatte das Pfeifen daran gegeben - er summte ein Lied, dessen schwermüthige Melodie ihm Erinnerungen an die Heimath in's Gedächtniß zurückzurufen schien, denn er war ganz in dieselben versunken.
Plötzlich hob er den Kopf und horchte.
Durch die Windstöße, welche den Weg, der fast ein Hohlweg genannt werden konnte, entlang heulten und sich an den Bergwänden brachen, klang die muntere Melodie einer Saltarella, von einer Hirtenflöte mit großer Kunst geblasen.
Gleich darauf wurden auch kräftige Männerschritte hörbar, die sich durchaus nicht verbergen zu wollen schienen.
Der Bersagliere schlug den Kragen seines Mantels von den Ohren, nahm sein Gewehr in die Hand und richtete sich an dem Steinhaufen empor, hinter dem er bisher gesessen.
»Chi va là?«
Statt der Antwort blies die Flöte die in der piemontesischen Armee übliche Reveille.
»Steht und gebt Antwort, oder ich gebe Feuer! Wer kommt da?«
»Jesu Maria! Wer soll es anders sein, als der arme Giacobbe, der Pfeifer?!« antwortete der Ankommende im vollen Dialekt der Campagna. »Sind Sie vielleicht ein Herr Soldat?«
»Versteht sich, und eben darum bleibt stehn und setzt keinen Fuß weiter, bis ich herunter gekommen bin und mich überzeugt habe! Die Nacht ist so verflucht dunkel, daß man
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kaum die Hand vor den Augen sehen kann, wenn das Wetter nicht zufällig leuchtet!«
Gerade geschah dies und der Soldat, der gegen die Gewohnheit der Piemontesen ziemlich redseliger Natur zu sein schien, sah in dem Heruntersteigen von dem Gelände mitten auf der Straße einen Mann im Ziegenmantel mit der Pickelpfeife und einen Bergstock in der Hand stehen, dem Anscheine nach ein Bewohner der Gegend und ganz unbewaffnet.
»Wer bist Du?«
»Heilige Jungfrau, ich habe es Ihnen ja schon gesagt, Herr Soldat, ich bin Giacobbe, der arme Giacobbe, der Pfeifer aus dem Casa Pietra dort unten an der Schiagga! Sie müssen mich ja kennen, denn die Herren Soldaten kommen alle Tage zu uns und haben uns überdies nur meinen Ziegenstall zum Wohnen gelassen!«
»Schweig, Narr! Wie sollen wir jeden Vagabonden kennen?! Ueberdies ist unsere Compagnie erst gestern auf Wache kommandirt. Wo willst Du hin?«
»Nach San Agatha, Herr Soldat! Die Herren Unteroffiziere, die vorhin hier vorbeigekommen, es kann noch keine halbe Stunde her sein, wollten mich mitnehmen, weil ich so schön blasen kann, aber ich mußte der Fittacuola15 erst helfen, die Ziegen melken, die armen Thiere. Euer Schießen hat sie ganz scheu gemacht, und sie wagen sich gar nicht mehr in die Berge, obschon wir zu Hause kaum für uns selbst zu essen haben!«
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»Genug des Geschwätzes! Du kannst hier nicht passiren, wenn Du die Losung nicht hast!«
Der angebliche Ziegenhirt kraute sich am Kopf. »Die Herren Soldaten, die mir nachzukommen befahlen, haben mir zwar Etwas gesprochen, was ich sagen sollte, wenn man mich anhalten thäte, aber ich habe es vergessen. Der heilige Januario, mein Schutzpatron, hat mir ein so schlechtes Gedächtniß gegeben! Aber könnten Sie mich nicht so vorbei lassen, Herr Soldat? Ich will Ihnen zum Dank noch eine schöne Tarantella blasen!«
»Nein - es ist gegen die Ordre! Du mußt warten bis der Korporal mit der Ablösung kommt.«
»Und wie lange wird das dauern?«
»Pardiou - sie werden sich nicht beeilen - zwei bis drei Stunden. Vielleicht erst morgen früh!«
»Dann ist es freilich zu spät, um noch ein Paar Bajocchi in dieser schlimmen Nacht zu verdienen. - Aber Verzeihung, Herr Soldat Excellenza, Sie sind wohl nicht von hier?«
»Dummkopf - versteht sich, daß wir nicht aus Euren Sumpflöchern sind! Wo ich her bin, da sehen die Berge anders aus, als Eure Maulwurfshügel!«
»So, so - also sind Sie vielleicht drüben aus den Apenninen, vom Monte Meta, dem höchsten Berge in der Welt?«
Dem Bersagliere schien die Unterhaltung wenigstens ein Mittel, sich die Zeit zu vertreiben und die trüben Gedanken, die ihn vorher gequält, aus dem Sinn zu schlagen. »Ich hab Dir schon gesagt, daß Du ein einfältiger Tölpel
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bist. Ihr römischen Schweine wißt von der Welt in der That Nichts, als was Euch Euer Bettelpfaffe im Beichtstuhl sagt. Der Monte Meta ist gegen unsern Montblanc und Monte Viso grade so hoch, wie ein Bergwiesel gegen einen Steinbock.«
»Was Sie nicht sagen, Herr Soldat! und wo ist denn das, wenn ein armer Ziegenhirt und Flötenbläser danach fragen darf?«
»In Savoien, Mann! In den savoiischen Alpen, wo ich noch vor achtzehn Monaten die Mouffles und den Steinbock gejagt habe!«
»Lieber Himmel, das sind alles Thiere, die ich nicht kenne und von denen ich im Leben Nichts gehört habe. Aber sagen Sie, Herr Soldat, Savoien, ist das nicht das Land, was kürzlich der heilige Vater an den mächtigen Kaiser von Frankreich verkauft hat?«
»Du irrst in der Adresse mein Bursche - aber komm mir nicht so nahe auf den Leib - wir können auch in einiger Entfernung mit einander reden!«
»Ganz wie Sie befehlen, Herr Soldat. Aber wissen Sie - da fällt mir ein, war nicht das Wort, das mir der Herr Unteroffizier gesagt hat, Tumulo di Cicero?«
»Richtig, mein Alter - ich sehe, daß ich Dich am Ende doch noch passiren lassen kann, wenn Du Dich auch auf das andere Wort besinnen kannst!«
Er schien mit der Nennung der Losung größeres Vertrauen zu der Ungefährlichkeit des Mannes gefaßt zu haben, kam ihm selbst näher und plauderte weiter.
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»Also aus Savoien sind Sie, Herr Soldat?« frug der Hirt - »das ist wohl sehr weit her?«
»Freilich! - ich hätt' es auch nicht nöthig gehabt, hier Schildwach zu stehn, denn ich bin eigentlich aus dem Theil, der damals schon französisch war, - aber ich hatte Unglück gehabt im Streit, und - Mordioux, - wenn auch jener corsische Schurke in Legroni's Osterie mich werfen konnte - Pierre Ladreux war nicht der Mann, der sich von einem Dritten darüber foppen ließ. So zerschlug ich meinem besten Freunde den Kopf, und mußte froh sein, bei den Alpenjägern des tapfern General Garibaldi Dienste nehmen zu können, statt in's Loch zu kriechen.«
»Ich verstehe Herr Soldat - das passirt unter Freunden - so ein kleiner Stoß, etwa - aber ich glaube, dort kommen von Ihren Kameraden -«
Der ehemalige Jäger und Schmuggler, den einst der würdige Bandit Sta Lucia vor den Augen der schönen Therese Legroni im Stockkampf so gewaltig besiegt hatte, drehte sich unvorsichtig um, nach der andern Richtung des Weges hinzusehen.
Mit dem Sprunge eines Tigers - diesen Augenblick benutzend - warf sich der angebliche Hirt auf den unglücklichen Mann und stieß ihm, mit der Linken die Büchse ihm entreißend, das bisher verborgen gehaltene lange und starke Messer bis an das Heft durch Mantel und Rock in die Seite.
Der Jäger Ladreux war ein kräftiger entschlossener Mann - er drehte sich mit einem kurzen Aufschrei, den ihm
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der Schmerz entlockte, gegen seinen Feind und versuchte ihm die Büchse wieder zu entreißen.
»Schurke vermaledeiter - Mord! zu Hilfe Kameraden! zu Hilfe!« Aber der Gegner, den er gefunden, war - selbst wenn er keine so schwere Wunde empfangen gehabt hätte - ihm vollkommen gewachsen und sein Schicksal wollte, daß - nachdem er von einem der berühmtesten Banditen Corsika's schmählich besiegt und seines Rufes beraubt worden war, - er von der Hand eines zweiten getödtet werden sollte.
»Spar' den unnützen Lärmen, Bursche« sagte der Führer, indem er die Büchse zu Boden schleuderte und den Unglücklichen an der Kehle faßte. »Ein Schuft wie Du, der vom Monte Viso hierher kommt, um gegen den rechtmäßigen König und die Kirche zu fechten mit den Bösewichtern Garibaldi und Cialdini, verdient wie ein Hund zu sterben!« und er stieß ihm zum zweiten Mal das Messer in die Brust.
Der Alpenjäger sank in die Knie. »Gott erbarme sich mein - ich sterbe ...«
»O Gott und die Heiligen hören die Stimme eines Kirchenräubers nicht! Fahre zur Hölle ohne Absolution!«
Und er stieß den sich an ihn Klammernden mit dem Fuß zurück.
»Therese ... heilige Jungfrau ... ich Sünder ...«
Ein Blutstrom kam aus seinem Munde, - krampfhaft schlugen seine Glieder den Boden im Todeskampf.
Der Sieger in dem kurzen aber schrecklichen Ringen hob zunächst die Büchse des Sterbenden auf, damit dieser
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nicht etwa noch die Kraft gewinnen möchte, sie als Signal für seine Kameraden abzuschießen, und ging dann seinen Gefährten entgegen.
»Avanti! Unbesorgt, der Weg ist frei!«
Kapitain Gauthier erschien auf den Ruf mit seinen Leuten, sich nach der Richtung haltend, aus der er gekommen, und bald war die ganze Kompagnie auf der Straße versammelt.
»Das Glück will uns wohl, Herr Kamerad« sagte der Führer - »der Posten, der hier stand, wird uns nicht mehr geniren!«
»Sie haben ihn getödtet?«
»Es blieb kein anderes Mittel, wenn wir unseren Auftrag erfüllen wollen. Dafür können wir jetzt bis an den Fuß des Monte Agatha ungehindert auf der offenen Straße marschiren! Und um das desto sicherer thun zu können, wollen wir eine Vedette vorausschicken, die uns von jeder Gefahr benachrichtigen kann. Haben Sie einige Italiener in der Kompagnie oder Leute, die wenigstens fertig italienisch sprechen?«
»Mehr als Einen!«
»Bene! Dann wählen Sie den Gewandtesten aus und schicken ihn die Straße hinauf. Fünfhundert Schritt etwa von hier wird er den armen Teufel finden, den ich erdolchen mußte, und der wahrscheinlich jetzt seinen letzten Athemzug gethan hat. Ist's noch nicht geschehn, so bleibt Nichts übrig, als ein wenig nachzuhelfen, der Teufel kommt so nur rascher zu einer Seele. Er muß seinen Mantel, Patrontasche und Hut nehmen und hier ist die Büchse. -
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Da wir die Parole wissen, wird kein Mensch den Tausch ahnen.«
»Und die Leiche?«
»Per bacco, wir werfen sie in die nächste Kluft. - Und nun, Signor Capitano, da ich mich auf genügende Manier bei Ihnen eingeführt habe, lassen Sie mich Ihnen erklären, daß ich mit einigem Recht Sie Kamerad zu nennen mir erlaubte; denn wenn wir ein anderes Licht bei der Hand hätten, als das Wetterleuchten, das beiläufig bald zu einem tüchtigen Gewitter werden dürfte, könnte ich Ihnen das Patent von des Königs eigener Hand zeigen, das Luigi Antonelli, gewöhnlich genannt Tonelletto zum Kapitain in Seiner Majestät Diensten, so gut und berechtigt wie irgend ein anderer, ernennt!«
»Wie - Sie sind der Kapitain Tonelletto, von dem wir so viel gehört?«
»Zu dienen, Excellenza, in ganzer Person, nur etwas lahm noch von dem Schuß eines Bersagliere in den Bergen von Balzorano. Und wenn ich auch freilich nur eine Freicompagnie zu kommandiren die Ehre habe, so versichere ich Sie doch, daß meine Burschen mit jedem regulairen Soldaten es aufnehmen können, was Muth und Zuverlässigkeit betrifft.«
»Oh gewiß, das ist bekannt!«
»Und wir freuen uns, Ihre eigene Bekanntschaft gemacht zu haben, Kapitain Tonelletto, obschon ich nicht die Ehre habe, das >Herr Kamerad< Ihnen erwiedern zu können, denn ich bin nur der Graf von St. Brie, und
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nichts weiter. Aber zum Henker - wir hatten keine Ahnung davon, daß Sie in Gaëta waren!«
»Ich bin diesen Mittag erst mit dem Dampfer von Civita vecchia gekommen, und habe nur General Bosco gesprochen. Aber lassen Sie uns vorwärts marschiren, Signori, um womöglich das Versteck zu erreichen, das ich im Auge habe.«
Der Kapitain ordnete rasch nach dem Rath des Banditenchefs die nöthigen Vorsichtsmaßregeln an; einer der Leute wurde mit den Kleidern und Waffen des armen Alpenjägers ausgestattet, den man bereits nach der Voraussage Tonelletto's verschieden fand, und dann setzte die kleine aber kecke Schaar eilig ihren Marsch fort.
So gelangte man ungehindert in die Nähe der Stelle, wo sich der Weg in zwei Richtungen um den Monte Agatha theilt, indem der eine zwischen diesem und dem Monte Capuccini zur Küste des Golfs und nach Albano und Spiaggia hinabsteigt, und der andere ihn auf der Nordseite umgeht und die Verbindung nach dem hinterliegenden Monte Tortone und dem niedrigen Gelände des Monte Tonea bildet.
Hier mußte auch die Schweizer Compagnie mit Oberstlieutenant Migy sich in der Nähe verborgen haben, doch konnte man keine Spur von ihr entdecken, und da man jetzt verdoppelte Vorsicht nöthig hatte und das so lange drohende Gewitter mit Blitz und Donner herauf kam, beeilte sich Tonelletto, die Schaaren in das Versteck zu bringen, das ihm seine frühere Kenntniß der Gegend an die Hand gab.
Es war dies ein am westlichen Fuß des Berges in der
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Nähe des hier sehr wenig benutzten Verbindungsweges belegenes verfallenes Gemäuer einer kleinen Kapelle, die wahrscheinlich früher, als das Kloster noch von Nonnen bewohnt war, als Station betrachtet wurde. Obschon es eben nur noch ein halbes Dach hatte und sehr eng war, gewährten die Mauern doch einigen Schutz gegen den seine Heftigkeit immer mehr steigernden Sturm, und die Leute lagerten sich, dicht zusammen gedrängt, in dem tiefen Schatten.
Der Banditenhauptmann war trotz des Ungewitters auf weitere Kundschaft ausgegangen, und Kapitain Gauthier harrte auf den verfallenen Altarstufen sitzend in tiefem Sinnen seiner Rückkehr, während der Graf von Saint Brie sich leise mit dem Lieutenant der Compagnie, dem Marquis de la Chesnaye, unterhielt.
Auf den früheren Zuaven-Offizier schienen jetzt, nachdem er gewissermaßen einige Ruhe gewonnen und seine unmittelbare Thätigkeit für den Augenblick nicht mehr in Anspruch genommen war, die letzten Vorgänge einen ziemlich trüben Eindruck gemacht zu haben. Die zwar von der Pflicht und der Noth gebotene Tödtung des armen Fischers, die sich später als unnöthig erwiesen hatte, da in der Nähe ihres Schiffbruchs keine feindlichen Posten gestanden hatten, belastete seine Seele und er machte sich lebhafte Vorwürfe darüber. Ja er begann selbst den Tod der unglücklichen Schildwache, da sie nicht im Kampf, sondern hinterrücks gefallen war, sich zur Last zu legen, obschon seine Hand daran unschuldig war.
An unheimliche finstere Erinnerungen knüpften sich ahnende Todesgefühle, mit denen er sich schon lange trug,
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und der Gedanke, daß er ohne Schuld und Absicht bestimmt sei, unschuldiges Blut zu vergießen, wurde immer mehr zur fixen Idee.
Der Kapitain Gauthier wußte, daß er in der Schlacht von Solferino in den fast gewissen Tod geschickt worden war, aber er hatte diesen Tod zugleich als eine Sühne gesucht.
Er war zum Leben wieder erstanden, und er hatte sich den Vertheidigern von Gaëta angeschlossen, den Tod, der ihn bei Solferino wieder aus der Hand gelassen, an den Felsenwällen des tyrrhenischen Meeres zu finden.
Deshalb hatte er auch sich und seine Compagnie dem General Bosco zu dem verzweifelten Unternehmen angeboten.
Nach einer Weile erhob er sich, ging auf die beiden legitimistischen Edelleute zu und faßte Saint Brie am Arm.
»Haben Sie eine Minute Zeit für mich, Herr Graf?«
»Mit Vergnügen!«
»So lassen Sie uns einige Schritte weiter gehen, ich habe Ihnen Einiges zu sagen. Sie entschuldigen, Herr Marquis!«
Der Graf folgte ihm ziemlich erstaunt, er war diese Vertraulichkeiten nicht mehr gewohnt.
Kapitain Gauthier entfernte sich etwa fünfzig Schritte von dem Lagerplatz seiner Leute. Der Sturm heulte an der ungeschützten Stelle, an der sie jetzt standen, mit verdoppelter Wuth um die beiden Männer.
»Haben Sie einen Auftrag für mich, Kapitain?«
»Nein - ich habe Sie um eine Gefälligkeit zu bitten. - Wir sind Bekannte, vielleicht mehr, aus alter Zeit
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und ich habe Niemand, den ich um einen solchen Dienst ersuchen könnte.«
»Sprechen Sie, Sie wissen, daß ich der Ihre bin!«
»Lieutenant de la Chesnaye,« fuhr der Offizier fort, »steht mir zu fern, er gehörte damals noch nicht zu unseren Kreisen. Ueberdies hat er an andere Dinge zu denken, denn er muß das Kommando übernehmen, wenn ich falle, und ist von der uns gewordenen Aufgabe vollkommen unterrichtet.«
»Bah - was sind das für alberne Gedanken! Nachdem wir dieser verdammten Brandung glücklich entkommen sind, wird uns ein Scharmützel mit den Herren Piemontesen höchstens das Blut erwärmen.«
»Ich denke und - hoffe anders. - Ueberdies, Graf, haben Sie ein Anrecht, einige Dinge zu wissen, ob ich lebe oder sterbe.«
»Ich werde mich stets durch das Vertrauen eines Mannes von Ehre und tapfern Offiziers geehrt fühlen!« sagte der Edelmann nicht ohne Würde.
Der Kapitain lächelte trübe.
»Sie sagten bei unserer Unterhaltung auf dem Meer, daß Sie, Herr Graf, auf Guadeloupe gewesen?«
»Drei Monate lang!«
»Und daß Sie dort den Kapitain Lautrec auf seiner Pflanzung la belle Josephine kennen gelernt hätten?«
»So viel ich mich erinnere, habe ich den Namen seiner Plantage nicht erwähnt.«
»Es thut wenig zur Sache - da ich ihn kenne. Der Kapitain Lautrec ist mein Onkel!«
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»Ihr Onkel?«
»Ja - denn er ist der Bruder meiner Mutter. Ihm verdanke ich die reichen Mittel, die es mir möglich machten, bei den Garden zu dienen und mich in Ihren Cirkeln zu bewegen. Ich hielt mich bisher für seinen Erben, und ich habe sie deshalb ohne Zögern angenommen. Jetzt weiß ich durch Sie das Gegentheil und es ist daher gut, wenn es so kommt, wie ich hoffe.«
»Wie, Kapitain, Sie haben Nichts von Ihrer liebenswürdigen Cousine gewußt?«
»Ich wiederhole Ihnen, daß ich ihre Existenz nicht kannte. Aber diese erklärt mir Manches. Sie sind lange genug in Guadeloupe gewesen, um die dortigen Verhältnisse zu kennen und zu wissen, daß - obschon die Farbigen längst volle politische und bürgerliche Gleichberechtigung genießen, - doch immer noch gewisse Vorurtheile in der Gesellschaft existiren.«
»Nicht gegen so liebenswürdige Wesen wie Ihre Cousine, Kapitain« sagte der Graf hastig.
»Es mag sein - in gewissen Fällen! - Wissen Sie gewiß, daß meine Cousine, denn ich erkenne sie unter allen Umständen als solche an, - die rechtmäßige Tochter meines Oheims, das heißt, ob dieser wirklich mit ihrer Mutter, nach Ihrer Erwähnung einer Mulattin, gesetzlich verheirathet war?«
»Ich bin nicht der Advokat Ihres Verwandten,« erwiderte der Graf ziemlich kühl.
»Sie mißverstehen mich gänzlich, Graf von Saint Brie!« sagte der bürgerliche Offizier. »Von dem Augenblick an,
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wo ich von der Existenz dieser Cousine weiß, ob legitim oder nicht, würde ich - auch wenn ich in diesem Kriege nicht falle - auf jeden Anspruch an das Vermögen meines Onkels verzichten. Aber ich kann mir jetzt erklären, warum er so sehr auf meinen Besuch in Guadeloupe drang und noch in jedem Briefe ihn verlangt. In der That, ich bin undankbar gewesen, aber Sie wissen nicht, was mich nach dem Krimkrieg in Paris zurückhielt. - Aber das Alles ist gleichgültig jetzt. Ich bin meinem Onkel Dank schuldig und habe ihm denselben wenigstens schriftlich zu sagen. Seit ich in Gaëta bin, trage ich für diesen Fall einen Brief bei mir. Wollen Sie, Herr Graf, diesen im Fall meines Todes meinem Onkel senden oder - besser« fügte er lächelnd hinzu, - »ihn selbst überbringen? Er würde Ihre beste Empfehlung sein! - Hier ist er.«
Er nahm aus seiner Brieftafel einen versiegelten Brief und reichte ihn seinem Gefährten.
»Aber Sie thun in der That, Kapitain« sagte dieser zögernd, »als ob Sie Ihres Todes gewiß wären - oder, ich will es heraus sagen, den Tod suchten!«
»Und wenn dem so wäre?«
»Dann - ich bin zwar kein großer Kirchgänger, - dann wäre dies unchristlich und thöricht. Das Leben ist immer schön und man hat nur das Recht, es für die Ehre und eine Pflicht zu opfern!«
»Oder als Sühne - ich habe heut nutzlos Blut vergossen!«
»Thorheit, Kapitain, das war der Befehl! Es wäre
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eben so Ihre Pflicht gewesen, mich zu tödten, wenn ich der Furcht nachgegeben hätte.«
»Es ist nicht das erste unschuldige Blut, das ein Befehl mich zu vergießen gezwungen hat - Castellane
»Um Himmelswillen, Kapitain, was wollen Sie damit sagen?«
»Daß Castellane nicht von der Hand eines Oesterreichers, sondern von der Hand eines Franzosen, eines Freundes gefallen ist!«
Der Graf stieß ein Stöhnen aus, das zeigte, wie tief er von dieser Nachricht bewegt wurde.
»Eines Freundes?«
»Graf von Saint Brie - von der meinen!«
»Es ist unmöglich - ein unglücklicher Zufall -[«]
»Nein Herr Graf - es war der Degen des Kaisers - das heißt, sein Befehl, und der Arm, der diesen Degen führte, war der meine!«
»Entsetzlich! - aber wie geschah es - wie kam es ...«
»Das, Herr Graf, wissen bis jetzt nur drei lebende Wesen, der Kaiser von Frankreich, die Sängerin Theresa und der Mann, der sich selbst anklagt. Jetzt werden Sie begreifen, daß nur mit meinem Tode jenes Blut zu sühnen bleibt. Daß es nicht bereits früher geschehen, ist nicht die Schuld des ersten Mitwissers, denn General Bourbaki hatte den Befehl, mir den verlorenen Posten beim Sturm auf die Höhe des Kirchhofs zu geben.«
»Sie betäuben mich Kapitain - jetzt begreife ich Ihre Veränderung! - Aber es ist unmöglich, daß ein
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Mann, wie Sie, eine schlechte, verrätherische Handlung, einen Mord an einem Freunde begangen haben sollte. Ich bitte, ich beschwöre Sie, theilen Sie mir die näheren Umstände mit!«
»Sie sollen sie hören, und mögen dann urtheilen! Bei der Hand Gottes, die jene Blitze über uns durch die Wolken schleudert! bei der gewaltigen Stimme der Natur, die im Donner über unsern Häuptern rollt - ich werde Ihnen streng die Wahrheit sprechen - so weit ich sie selbst weiß, und dann mögen Sie mir sagen, ob ich ein Verbrecher oder ein Unglücklicher bin!«
»Ich höre!« - -
»Signori« sagte eine Stimme hinter ihnen - »ich bedauere, daß ich Sie stören muß - aber der Augenblick scheint mir gekommen, und es bedarf Ihrer Gegenwart, Kapitain, um die nöthigen Anstalten zu treffen. Da der Herr Graf das Italienische so vortrefflich spricht, wie ein geborener Florentiner, mache ich ihm den Vorschlag, mich zu einem Abenteuer zu begleiten.«
Es war Tonelletto, der Banditenchef, der sie gestört hatte.
Der Kapitain Gauthier drückte schweigend dem Edelmann des Faubourg St. Germain den Brief in die Hand, den er an seinen Oheim jenseits des atlantischen Meeres gerichtet hatte und folgte ihrem bisherigen Führer zur Kapelle.
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Hohe Politik!

An der Porta di Terra standen in dichten Reihen die zwei ersten Compagnien des zweiten Fremden-Bataillons, eine Abtheilung Jäger und die Artilleristen, die vor einer Stunde unter dem Portal der Kathedrale Halt gemacht hatten, um ihre Last einige Minuten abzusetzen.
Vor den Bastionen an der Fremden-Batterie war das dritte Bataillon Jäger aufmarschirt.
Wie bei der Einschiffung der beiden Compagnien an der Transilvania standen die Offiziere in Gruppen unter den Vorsprüngen und Dächern, sich noch einige Augenblicke vor dem üblen Wetter zu schützen, dem sie doch gleich darauf trotzen wollten.
Es war eilf Uhr vorüber.
»Auf was warten Sie noch, Excellenza?« frug der Graf von Caserta, der, wie der General versprochen hatte, das Bataillon kommandirte, das bestimmt war, den beiden Expeditionen als Soutien vor dem Glacis der Festung zu dienen. »Ich könnte vielleicht bereits meine Stellung einnehmen, - das Defiliren durch das enge Thor wird viel Zeit brauchen.«
»Man könnte Sie bemerken Königliche Hoheit und Lärm machen. Ueberdies könnte die Truppe Simonetti's dabei in Verwirrung gerathen; - ich habe immer gefunden, daß bei nächtlichen Expeditionen die ausgegebenen Befehle nicht geändert werden sollten.«
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»Aber es ist bereits halb zwölf!«
»Ihre Majestät die Königin wünscht die Truppen noch zu begrüßen - ich erwarte sie jeden Augenblick.«
»Ah« sagte der Prinz - »das ist etwas Anderes. Sie sprach mir kein Wort davon, als ich ihr Gutenacht sagte. Wenn es sich um meine königliche Schwester handelt, dann müssen wir warten.«
»Da kommt Ihre Majestät!«
Die Königin kam nicht allein - der König und der junge Graf Trani begleiteten sie, der Letztere sehr unwillig, daß man ihm die Theilnahme an der Expedition verweigert hatte. Die Königin hatte sich fest in ihren Mantel gehüllt, den der Sturm in allen Falten zauste - das Wetter hatte sie, die zarte Frau mit dem energischen Geist nicht abhalten können, das zu thun, was sie ihre Pflicht nannte.
Die Offiziere waren rasch an ihre Stelle getreten, und als das junge königliche Paar an den Reihen vorüberging, klirrten wie auf der Parade die Gewehre zum Präsentiren und leise lief es die Glieder entlang: »Dank, Majestät!«
Bei den Jägern, die den Ausfall begleiten sollten, blieb die Königin erschrocken stehen.
»Wie Major Bianchetti - Sie beabsichtigen doch nicht, das Wagniß mitzumachen?«
»Ich habe mir die Ehre von General Bosco erbeten!«
»Das ist nicht recht,« sagte die Königin, und sich an diesen wendend leise fortfahrend: »Erinnern Sie sich, daß der König ausdrücklich bestimmt hat, Major Bianchetti und
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alle anderen Offiziere, die das Unglück haben, Söhne oder Verwandten in den Reihen unserer Gegner zu wissen, nur im innern Dienst zu verwenden!«
Der General zuckte die Achseln. »Die Leute sind von seinem Bataillon, Majestät, ich habe es ihm nicht verweigern können!«
Die junge Königin senkte den Kopf, dann schritt sie trauernd weiter.
In der That hatte der Bürgerkrieg schreckliche Verhältnisse hervorgerufen, und den Bruder dem Bruder, ja den Vater dem Sohn gegenüber gestellt!
Sie hatte Caserta die Hand gegeben. Als sie an dem Bruder ihrer Milchschwester vorüber kam, blieb sie einige Augenblicke stehn. »Sei tapfer, aber nicht unvorsichtig, Toni. Du weißt, wie sehr ich das Leben aller meiner Freunde bedarf. Gott mit Dir!« und sie reichte ihm eine Granatblüthe, die sie in der Hand getragen.
Der junge Soldat drückte sie an die Lippen. [»]Gott segne Euere Majestät, wir werden halt schaffn, was wir können!«
Die Königin war zurückgetreten - zu dem General-Kommandanten, der eben in Gegenwart des Königs Major Simonetti seine letzten Anempfehlungen machte. Sie nahm den Arm ihres Gemahls.
»Es ist Zeit,« sagte der General nach der Uhr sehend - »unsere Leute müssen seit einer Stunde auf ihren Posten sein, wenn -« fügte er leise hinzu - »sie nicht auf dem Grunde des Meeres liegen. Der Sturm ist
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entsetzlich und das Meer muß auf der andern Seite der Küste rasen!«
Die Königin machte das Zeichen des Kreuzes. »Gott und die Heiligen werden mit ihnen gewesen sein,« sagte sie fest. »In seiner Hand ist unser Aller Schicksal.«
»Befehlen Euer Majestät den Leuten noch Etwas zu sagen?«
Der König wollte sprechen, aber die Königin, die wußte, daß das Extemporiren nicht seine Sache war, drückte leise seinen Arm.
»Seine Majestät,« sagte sie laut, »vertraut ihren Getreuen und bittet Gott, daß er ihre Waffen und ihre Aufopferung segnen möge. Jetzt Herr General geben Sie das Zeichen zum Aufdruch!«
Ein greller Blitz schien das ganze Firmament zu spalten, und der Donner rollte in hundertfachen Echo's über die Felsenwände. Man hörte das Knarren der sich öffnenden Thore und das Klirren der Brücke.
»Das Wetter ist furchtbar,« sagte dringend der General, »ich bitte Euer Majestät, sich zurückzuziehen!«
»Nein, Herr - ich werde auf den Wällen bleiben, um für diese Männer zu beten!«
Die dunklen Kolonnen hatten sich in Marsch gesetzt und verloren sich unter den finstern Gewölben des Thors.


Wir haben bereits erwähnt, daß Borgo di Gaëta, die Vorstadt der Festung, sich in geringer Entfernung von den Außenwerken, eine lange Straße bildend, an der Küste
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unterhalb des Monte Alratina und Cappucini hinstreckt. Albano beginnt mit einem kleinen Vorsprung, der die grade Aussicht auf die Citadelle der Festung bietet, und auf diesem Vorsprung hatten die Piemontesen eine Batterie angelegt, deren Bedeutung und Wirkung jedoch untergeordneter Natur war.
Hinter der Batterie begann wieder die Häuserreihe, meist vereinzelte villenartige Gebäude - mit ihren Höfen oder Garten-Terrassen an das Meer stoßend.
Es war Abends 8 Uhr - dieselbe Zeit, zu welcher die Barken des Herrn von Salvy die kleine Bucht der Transilvania verließen.
Trotz des unangenehmen Wetters trieben sich zahlreiche Soldatengruppen auf der Straße und zwischen den Gebäuden umher. Das Feuer der Belagerten hatte während der vorangegangenen Tage die Piemontesen genöthigt, sich in den Kellern und untern Stockwerken der Gebäude des Borgo zusammenzudrängen, und das Ruhen des gegenseitigen Bombardements während des Neujahrstages bildete daher auch für die Belagerer eine willkommene Pause, die sie zum freien Verkehr in der Vorstadt benutzten.
Im Allgemeinen ist der Charakter der piemontesischen Soldaten - entgegen dem der Soldaten des Südens - ernst und verschlossen.
Die Auflösung der garibaldischen Armee, die der König Victor Emanuel am 27. November in Neapel ausgesprochen, hatte jedoch die sardinischen Truppen mit einer Menge Elementen überschwemmt, Offizieren und Soldaten, die keineswegs einem gut disciplinirten Corps zur besonderen Ehre
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oder zum Vortheil gereichten, - Abenteurern und Legionairen aus den verschiedensten Ländern, darunter offenbares Gesindel, das in seinem Anhang ähnliche noch schlimmere Gesellschaft herbeizog. Hiervon war namentlich das Hauptquartier des Kommandirenden in Mola di Gaëta und das vorliegende Castellone überschwemmt.
Eben so war es noch nicht möglich gewesen, die einzelnen Freicorps, die Ungarn, Engländer und so weiter in geordnete militärische Formen zu bringen, und obschon allerdings der größere Theil es vorzog, in den gefahrlosen Ueppigkeiten Neapels sich zu amüsiren, mit den Lazzaroni's sich zu schlagen oder zu verbrüdern, und an den mazzinistischen Demonstrationen sich zu betheiligen, welche der neuen Regierung die Herstellung der Ordnung erschwerten, fehlte es doch auch keineswegs an diesen Leuten vor der belagerten Festung.
In den Osteria's und Wirthschaften der Vivandiera's,16 die sich während des Tages wieder aufgethan, gebrach es daher nicht an Trinken, wüstem Lärmen und Streit - und man hörte hier die Sprachen und Flüche ziemlich aller Nationen Europa's, ja selbst einiger Stämme der außereuropäischen Küsten des mittelländischen Meeres.
Eine der größeren Villen fast am Ende des kleinen Orts hatte - die gewöhnliche halb orientalische Bauart des Südens - nach der Straße zu einen mit einer Mauer umgebenen Vorhof. Man hätte das dahinter liegende Haus fast für unbewohnt halten können, denn die nach der Straße
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hinausgehenden Fenster waren mit Jalousieen dicht geschlossen und nur an einzelnen Stellen blitzte durch deren Spalten und die Oeffnungen der Vorhänge ein heller Lichtschein - aber an dem Gitterthor, das den Vorhof von der Straße aus schloß, standen zwei Schildwachen, und auf dem Hof selbst hielten zwei Ordonnanzen zu Pferde, während ein dritter Reiter, abgestiegen, mehre Pferde am Zügel führte. Im Hof zur Seite standen außerdem eine Art unbedeckter leichter Jagd-Kalesche und ein Fourgon.
Von Zeit zu Zeit öffnete sich die auf einer niederen Rampe in das Haus führende Thür, und man sah dann an dem dunklen Schatten der heraustretenden Personen, daß das Vestibüle der Villa hell erleuchtet war.
Die Reiter plauderten mit einander und zuweilen mit den Schildwachen.
»Bei der Seele des Papstes, Ihr werdet den Pelz gewaschen bekommen, wenn Ihr noch lange zögert« sagte der eine Carabinier zu dem Reiter, der die Pferde hielt. »Der General ist nun schon volle zwei Stunden beim Alten!«
»Es werden wohl wieder Federfuchser dabei sein« meinte die Ordonnanz »von Turin oder Neapel, - wenn die Kerle dazwischen kommen, ist kein Ende.«
»Hm!« machte der Andere, sich vorbeugend, daß ihn sein Kamerad nicht hören konnte, der eben mit einem der Bersaglieri's sprach - »ich könnte Dir sagen, daß ganz andre Leute als Federfuchser drinnen sind. Vögel mit Federn, aber bunten, wie ein Papagei. Der Küchenwagen, der vor einer Stunde kam, war nicht schlecht bepackt.
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Schwerenoth, ich möchte wohl einen der Körbe zum Abendbrod haben. Ist es wahr, daß er morgen fortgeht?«
Er wies mit dem Daumen über die Schulter nach dem Hause. »Der General sagte es zu dem Adjutanten. Der Dampfer sollte morgen früh von Neapel kommen und in Mola anlegen. Aber bei dem Hundewetter bezweifle ich's. Hast Du denn gar Nichts zu trinken, Kamerad?«
»Ich darf nicht absteigen - wir müssen im Sattel bleiben, - oder es giebt drei Tage Arrest. Er ist verteufelt streng im Dienst und die Offiziere dürfen Niemand etwas nachsehn. Es ist ein Hundeleben, daß man im Felde wie auf der Parade sein soll.«
»Beim Kreuz von Savoien, - es ist nur gut, daß es nicht lange dauert. Aber das löscht mir den Durst nicht!«
»Gieb die Zügel her und geh dort um die Ecke, wo Du Licht aus dem Kellerfenster siehst. Da ist die Küche - klopfe an und bitte Monsieur Fleury, ein paar arme Kavalleristen nicht dursten zu lassen. Das ist noch das Einzige, was man bei dem verdammten Stabsdienst hat - zuweilen eine Flasche aus dem königlichen Keller. Und man muß gestehen, darin ist der Alte nicht geizig - der Wein und die Weiber!«
Die Ordonnanz - es war ein Mann von den stattlichen Genua-Lanciers - reichte ihrem Kameraden die Zügel und that, wie er geheißen. In der That kam sie auch nach fünf Minuten sehr vergnügt zurück mit zwei Flaschen in der einen Hand, ein gewaltiges in eine
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Serviette gewickeltes Stück Pastete in der anderen und einen Laib Weißbrod unter'm Arm.
»Evviva il Re gentilhuomo und sein Koch!« sagte er lachend - »hierher Kameraden, ich bringe uns einen Zeitvertreib!«
Selbst die Posten am Thor traten einige Schritte näher.
Der Lanzier reichte ihnen und dem andern Reiter eine der Flaschen, die mit dem köstlichen rothen Wein von Salerno gefüllt waren. Die andere behielt er für sich und den älteren Carabinier.
»Was meintest Du vorhin, Kamerad, mit den Vögeln mit bunten Federn?« frug er. »Ich habe da einen Blick in die Küche gethan und - ich will drei Jahrhunderte im Fegefeuer braten, wenn da nicht ein Essen steht, das für eine Gesellschaft Prinzessinnen geeignet wäre.«
»Prinzessinnen sind's nun grade nicht. Aber - -«
»Nun?«
»Ich habe heute Abend, als die Sonne eben untergegangen war, eine Barke an der Gartenterrasse anlegen sehen, in der sich mindestens ein halbes Dutzend Weiberröcke befand.«
»Ja - aber sie sind nach San Agatha hinauf! Einer der Offiziere giebt einen Schmaus - auch für die Artilleristen, welche die Vierundzwanzig-Pfünder in die Batterie bringen. Jacopo hat mir's erzählt und wischte sich schon im Voraus den Mund!«
»Maulwurf - aber nicht alle! - Drei sind in unseren Garten getreten.«
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»Du meinst doch nicht ...«
»Schafskopf! - ich meine gar Nichts. Es war die tolle Comtessa Della Torre, die schon bei Capua und am Garigliano bei uns war. Aber die dritte kannte ich nicht, sie trug eine Mantille um den Kopf.«
»Vielleicht die Principessa Belgio[jo]so?«
»Narr - die alte Hure mit ihrer Fahne und ihrem Säbel würde ich auf eine Miglie weit gekannt haben. Wenn ich der König oder auch nur der General Cialdini wäre, ließe ich die Weibsleute auspeitschen, wenn sie mir in's Lager kämen. Ich glaube, die halbe Armee ist angesteckt! - Nein - es war eine Junge, das konnte man sehen. Aber ich weiß, was sie wollen - die della Torre trotz ihres schönen Namens ist die verrückteste von allen! Bei den Franzosen soll's auch einmal ein solches Frauenzimmer gegeben haben, vor vielen hundert Jahren, die Jungfrau von Orleans hat sie geheißen. Nicht einen Bajocchi geb' ich für ihre Jungfernschaft!«
»Ich habe auch davon gehört - aber was meinst Du, das sie wollen?«
»Seiner Majestät Vittorio Emanuele die Hölle heiß machen, weil er den Garibaldi wieder nach Caprera geschickt hat. Aber weißt Du nicht, wer die Beiden sind, die heute Nachmittag von Turin oder Rom gekommen sind?«
»Ich hörte den Großen sagen, er sei drei Tage und zwei Nächte unterwegs!«
»Mordioux! - dann muß er's eilig gehabt haben, daß er nicht warten konnte. - Aber gieb mir die Flasche her, Bursche - Du hast einen verteufelten Zug ...«
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Er sollte nicht zum Trinken kommen. Die Thür der Villa öffnete sich und mehre dunkle Gestalten traten aus dem erleuchteten Vestibüle auf die Schwelle.
»Die Pferde! Schnell!« sagte eine befehlende Stimme. »Es giebt ein Gewitter!«
»Hoffentlich nicht eher, als bis wir unter Dach sind! - Auf Wiedersehen morgen!«
Zwei der Fremden bestiegen die herbeigeführten Pferde - beide schienen höhere Offiziere.
»Um wie viel Uhr muß ich den König wecken?« frug ein Dritter, der sie herausbegleitet hatte und der ebenfalls Uniform trug.
»Sismondi sendet noch Nachricht, wenn die Geschütze gebettet sind. Ich denke, wir wollen Bombino um acht Uhr aus dem Schlaf wecken.«
[»]Dann muß es um Sechs geschehen. Um 9 Uhr wird der Admiral kommen, wir können also um eilf Uhr uns bei Ihnen einschiffen. Gute Nacht!«
Der Reiter bog sich zu ihm nieder. »Halten Sie ihn um Himmelswillen fest den Franzosen gegenüber - Lamarmora darf um keinen Preis die Oberhand gewinnen!«
»Unbesorgt, General - wenn kein schlimmerer Unterhändler zu fürchten wäre, als der aus Paris! - Dafür stehe ich.«
»Ich rechne auf Sie und Macchiavelli.«
»In der That, er führt mit Recht den Namen, und Cavour hätte keinen Klügern wählen können, ihn zu vertreten. Gute Nacht, Signori!«
Der General gab seinem Pferde die Sporen und trabte
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von seinem Begleiter und der Ordonnanz gefolgt aus dem Thor. Die Schildwachen salutirten.
Der Offizier, welcher dem kommandirenden General das Geleit gegeben, blieb einige Minuten unter der Thür stehen, in das Dunkel hinaus sehend.
»Endlich!« sagte er - »es war Zeit. Herr Cialdini ist kein großer Politiker und vergeudet die Zeit mit Säbelschnallen und Gewehrgriffen. Was zum Henker hat Italien davon, ob die Hosennaht eines Soldaten einen Zoll weiter vor oder weiter hinten sitzt! - Aber so blind er ist und so wenig er weiß, wem er die Zeit gestohlen, hat er Recht darin, daß die Sache abgethan sein muß, ehe Seine Majestät sich mit diesen Damen zur Tafel setzen oder den Priester empfangen. - Bertano« - die Worte waren an einen Mann gerichtet, dessen eigenthümliche Kleidung und Haltung fast etwas Komisches hatte, da sie halb einen Kammerdiener und halb einen Unteroffizier zeigte - »melden Sie gefälligst dem großen Herrn da links, daß Seine Majestät ihn erwarten.«
Signor Bertano, der durch eine eigenthümliche Vorliebe des Königs aus einem ehemaligen Fechtmeister und Unteroffizier, als er das linke Auge bei einer Uebung, wie man wissen wollte durch eine ungeschickte Parade eines sehr hohen Schülers, verloren hatte, - zum Kammerdiener erhoben worden und ein großer Liebling des Königs war, obschon er von dem ganzen Hofe wegen seiner oft pöbelhaften Grobheit und Bullenbeißernatur eben so gehaßt als gefürchtet wurde, trug eine französische Papiermütze, weiße Cravatte und schwarzen Frack und darunter eine sehr
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ordinäre Militair-Commißhose mit Stiefeln, die weit eher geeignet schienen, einen ungepflasterten Dorfweg zu durchwaten, als das Parket eines königlichen Vorzimmers zu beschreiten. Sein Gesicht, durch einen Hieb quer über die früher vielleicht sehr stattliche gebogene Nase in zwei schiefe Hälften getheilt, bildete mit dem schwarzen Pflaster über dem linken Auge eine ganz abscheuliche Fratze, und er liebte es keineswegs, deren Ausdruck etwa zu mildern, sondern verstand es meisterhaft, ihn zur wahren Scheuche für Kinder und Frauenzimmer zu machen.
»Hätten immerhin sagen können Signor Bertano, oder Monsieur Bertano, oder Signor Sergente« sagte er grob - »Es ist ein Maulaufsperren und im ...loch bin ich der liebe Bertano von jedem Narren von Adjutanten!«
Damit schleifte er fort, denn das eine Bein war in Folge einer Verwundung im Schenkel, die er bei einem seiner Duelle davon getragen, etwas steif, eine Zugabe seiner Schönheit, die er durch die weiten Militairhosen zu verbergen glaubte; denn jener Zweikampf schien zu seinen unangenehmsten Erinnerungen zu gehören, und wehe Dem, welcher ihn etwa durch Bedauern seiner Lahmheit daran zu erinnern wagte. Eine Fluth der gröbsten und gemeinsten Schimpfreden brach sicher über das Haupt des Unvorsichtigen aus. Dennoch machten sich oft die jüngeren Offiziere den Spaß, - namentlich, wenn er sie beim König verklatscht hatte - ihn auf diese Weise zum Dank in Harnisch zu bringen.
Während Signor oder Sergeant Bertano nach einer
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anderen Seite ging, kehrte der Flügeladjutant in das Vorzimmer zurück.
Einige Augenblicke darauf machte der ehemalige Fechtmeister die Thür auf, trat ein und ließ hinter sich einen Herrn folgen, der mit einiger Verwunderung über diese Probe von Höflichkeit sich genöthigt sah, selbst die Thür zu schließen.
»Da ist er! - Sieht er nicht beinahe so häßlich aus wie ich? - Kreuz-Millionensackerment, was mich das freut! He?«
Der Offizier, so sehr er seinen Mann kannte, konnte doch einige Verlegenheit, über diese fabelhafte Unverschämtheit nicht unterdrücken und wurde roth bis über die Stirn.
»Herr Graf« sagte er - »ich bitte tausend Mal um Entschuldigung, ich hätte Sie selbst holen sollen, aber ...«
Der Fremde lächelte sarkastisch. »Keine Excusen, Herr Oberst,« sagte er - »ich weiß, daß ich in ein Feldlager komme. Der ehrliche Mann hat Recht, wir sind beide keine Schönheiten.«
In der That, konnte man das auch von ihm nicht behaupten, obschon es ihm keineswegs an einer vornehmen Haltung fehlte. Er war von großer überaus hagerer Gestalt und sein schmaler Kopf mit der hohen Stirn hatte etwas Eulenartiges. Doch lag in den finsteren Zügen und den großen runden Augen Klugheit und Entschlossenheit ausgeprägt.
»Soll ich ihn melden? - Wie heißt er?« frug der Kammerdiener, mit dem Finger auf den Gegenstand seiner Höflichkeit deutend.
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»Ich werde es selbst thun,« sagte der Offizier und ging nach der gegenüberliegenden Thür. Aber der Fechtmeister kam ihm trotz seines lahmen Beines zuvor, riß die Thür auf und rief hinein: »Der Mensch mit der Schnabelnase ist da, Majestät! Aber ich weiß seinen Namen nicht.«
Eine heftige Stimme aus dem Innern des Zimmers gab Antwort. »Schurke, wirst Du denn nie Manieren lernen! Ich jage Dich morgen fort, wenn Du Dich nicht änderst! - Wo ist der Oberst?«
»O der ist auch da - ich habe die Sache nur selber besorgt, weil ich ihn holen mußte, was er auch hätte thun können. Na, treten Sie ein und thun Sie nicht, als ob Sie Dreck an den Stiefeln hätten.«
Der Adjutant drängte aufs Höchste unwillig den Invaliden bei Seite und hielt die Portière geöffnet.
»Der Herr Graf von Conti, Majestät, bittet um die Gnade!«
»Sehr willkommen!«
Der Genannte trat ein und der Offizier schloß hinter ihm die Thür und Portière, indem er dem liebenswürdigen Anmelder einen zornigen Blick zuwarf.
Signor Bertano erwiederte diesen mit einem boshaften Grinsen. »Ich wußte, daß ich den Namen doch erfahren würde, trotz Ihnen!« sagte er, die Hände reibend und damit schlurfte er aus dem Vorzimmer.
In dem Zimmer, das der Nachfolger Mocquards, der Vertraute und künftige Kabinetschef des Kaisers von Frankreich betrat, befanden sich zwei Personen.
Die eine derselben trug eine Interims-Uniform, war
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von starkem kräftigem Wuchs und zeigte jene Physiognomie, die mit ihrem mächtigen Kopf, dem starken Untertheil desselben und dem famosen gedrehten Schnurbart seit 1858 eben so bekannt durch die ganze Welt geworden ist, als die Garibaldi's oder des Kaiser Louis Napoleon.
Ein Tisch in der Mitte, an dem dieser Herr, die Hand fest darauf gestützt, stand, war mit Karten, Rapporten, einem Kavalleriesäbel und einem Käppi bedeckt.
An einem Seitentisch mit Schreiben emsig beschäftigt saß ein hagerer kleiner Mann mit sehr spitzer Physiognomie, die etwas Fuchsartiges gehabt hätte, wäre nicht die schmale Stirn so kräftig gewölbt gewesen. Die scharfen blitzenden Augen waren von einer dunklen Brille verdeckt.
Der Herr, der sich in der Mitte des Zimmers befand, kam dem Eingetretenen lachend entgegen. »Liebster Graf, Sie müssen die Ungezogenheit dieses Schlingels verzeihen. Ich habe ihn verzogen und er behandelt mich selbst um kein Haar breit besser. Aber ich werde ihn nächstens fortschicken!«
»Ein Original, Sire? - hoffentlich um meinetwillen nicht, das würde mir Kummer machen. Es giebt in unserer Zeit der Gleichmacherei so wenig Originelles, daß man es sorgsam pflegen muß!«
»Sie haben Recht, aber er wird manchmal zu originell und wir armen Leute am Hofe hängen von den Formen ab. Doch ich habe Sie noch nicht gefragt, Herr Graf, wie es Ihnen ergangen, seit wir uns nicht gesehen haben. Es war ja wohl nach dem Krieg in der Krim?«
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»Zu Befehl Sire und ich lege Ihnen meinen Dank für die gnädige Erinnerung zu Füßen!«
»Ach lieber Graf - Sie gehören ja so halb mit zu uns - Corsica und Genua! Sie haben noch immer die Präfectur in Corsica?«
Der Graf verbeugte sich.
»Ich muß nächstens wieder einmal nach Sardinien, um in den Bergen den Moufflon zu jagen. Da bin ich Ihnen nah - obschon ich leider Ihren Besuch nicht erwiedern kann. Es liegt etwas dazwischen?«
»Was meinen Euer Majestät?«
»Eine Kleinigkeit - Caprera!«
Der Unterhändler konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Haben Sie den Kaiser gesehen?«
»Ich komme direkt von Paris!«
»Nun desto besser. Da wird man endlich wissen, woran man sich zu halten hat. Nehmen Sie Platz.«
Er setzte sich in das Strohsopha und winkte dem Abgesandten, auf einem nahe stehenden Sessel Platz zu nehmen.
Der Graf warf einen etwas verlegenen Blick auf den Mann in der Ecke, der eifrig weiter schrieb.
»Geniren Sie sich nicht - es ist nur Macchiavel. - Sie wissen wahrscheinlich, daß er diesen Namen führt - und es ist also so gut, als ob Cavour selbst da wäre, nur daß Mac etwas weniger eigensinnig mit mir umgeht!«
Der Vertraute des italienischen Premiers schrieb eifrig weiter.
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»Sire,« sagte der Abgesandte, »das Vertrauen Sr. Majestät des Kaisers hat auf den Vorschlag des Herrn Grafen Benedetti mich gewählt, um Eurer Majestät Befehle entgegen zu nehmen.«
»Zum Henker - wenn mein verehrter Herr Vetter so bereit ist, auf unsere Wünsche zu hören, warum liegt denn die französische Flotte noch immer vor Gaëta?«
Der Graf zuckte die Achseln. »Die politischen Rücksichten, die Frankreich auf die Mächte zu nehmen hat ...«
»Ach machen Sie mir Nichts weiß! - Sagen Sie ganz offen, was der Preis ist für Gaëta und Rom? - Ich will nicht hoffen: Sardinien! - Der Wiege meiner Familie habe ich mich bereits entledigt, ohne daß man mir den Kaufpreis vollständig bezahlt hat - man wird meinem Königshaus doch wenigstens den Namen lassen!«
»Euer Majestät gehen sehr hart mit einem treuen ergebenen Verehrer um! - Nachdem der Kaiser in dem Frieden von Villafranca die Abtretung der Lombardei erzwungen und der Erwerbung der Herzogthümer zugestimmt hat, werden Euer Majestät seine aufrichtige Freundschaft nicht bezweifeln.
»Die Krim!« sagte halblaut, wie für sich, der Mann am Schreibtisch.[«]
»Richtig, unser Beistand im Krimkrieg, den der Kaiser von Rußland jetzt mit der Abberufung seines Gesandten von Turin erwidert hat. - Ueberdies Herr Graf, vergessen Sie nicht die Heirath meiner Tochter.«
»Euer Majestät erinnere ich ferner daran, daß Frankreich den Einmarsch in Umbrien und den Marken zugab.«
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»Das Telegramm!«
»Sehen Sie, was Mac für ein vortreffliches Gedächtniß hat! In der That, Herr von Grammont hatte die größte Lust, uns einen Stock zwischen die Füße zu schieben und nur England, das der italienischen Nation das Recht der Selbstbestimmung gewahrt wissen wollte, hat es verhindert. Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, daß der geheime Vertrag von Paris uns Ober-Italien bis zur Adria garantirt.«
»Euer Majestät werden zugeben, daß die Haltung Preußens zur Zeit die Fortsetzung des Krieges nicht erlaubte. Frankreich war damals, so kurz nach dem Krimkrieg und der Haltung Englands durchaus nicht sicher, noch nicht gerüstet, zugleich am Rhein zu schlagen. Aber die Zeit wird kommen, wo wir unsere Revanche nehmen, und wir werden dann, wie an Euer Majestät, einen Bundesgenossen an Oesterreich haben, das sich nicht weigern wird, die venetianische Frage auf eine geeignete Weise zu lösen.«
»Metternich!«
»Mac hat wiederum Recht. Cavour würde sagen, er höre Metternich aus Ihnen sprechen! - Man hat in den Tuilerien eine gewaltige Freundschaft für Oesterreich, seit Herr von Metternich dort accreditirt ist. Ich muß Nigra darauf aufmerksam machen. - Aber das sind Alles Versprechungen der Zukunft, während ich mein liebes Savoien los geworden bin.«
Der französische Agent nahm aus der Brieftasche einige Druckbogen und überreichte sie. »Belieben Euer
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Majestät einen Blick auf diese Schrift zu werfen, deren Erscheinen bevorsteht!«
>Kaiser Franz Joseph und Europa< las der König den Titel. »Aus der Fabrik des Herrn Mocquard. Ich halte nicht viel von dem Herrn, seit seinem Theaterstück für die Juden. - Was ist der Inhalt?«
»Die Brochüre schlägt vor, Oesterreich möge Venetien für eine entsprechende Summe, etwa für 600 Millionen Franken an Italien abtreten.«
Der König lachte laut auf. »Sechshundert Millionen? Sie haben ein gutes Zutrauen zu den italienischen Finanzen. Bedenken Sie, daß der ganze Peterspfennig aus Europa und Amerika nur 10 Millionen 700.000 Franken ergeben hat! Also selbst wenn ich die heilige Kirche etwas schröpfen wollte - Mac, werden Sie nicht unruhig, ich weiß, daß der Herr von Conti Ansprüche auf den römischen Fürstenmantel hat! - würde nicht der zehnte Theil der Summe herauskommen.«
»Eine National-Subspription[Subscription]...[«]
»Da kennen Sie unsere Italiener schlecht - Garibaldi hat es erfahren! Diese neapolitanischen Bankiers haben mir für die paar Millionen Vorschuß ganz heidenmäßige Wucherzinsen abgenommen. Aber Frankreich ist ja reich, das könnte ein erhabenes Beispiel der Sympathie geben!«
»Die Pariser Börse, Majestät, wird sich nicht weigern, in Verbindung mit den englischen Kapitalisten eine solche Anleihe zu reguliren, die für den Frieden Europa's von hoher Bedeutung wäre. Aber gestatten Euer Majestät,
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daß wir auf die zunächst liegende Angelegenheit zurückkommen.«
»Auf Gaëta also und Rom!«
»Zunächst auf Gaëta. Euer Majestät haben durch Herrn Ritter von Nigra, die etwas kathegorische Forderung gestellt, die französische Flotte solle den Golf von Gaëta räumen, damit die Festung zugleich von der Seeseite angegriffen werden kann.«
»Ich denke, das wäre nicht mehr als billig - ich möchte doch schließlich wissen, ob ich Freunde oder Feinde vor mir habe.«
»Euer Majestät vergessen, daß der König Franz nicht zu unseren Feinden gehört, und bisher im besten Einvernehmen mit Frankreich stand!«
»Bis auf den Krimfeldzug, dem er sich anzuschließen verweigerte, während ich mich beschwatzen ließ, ohne alle Ursach mir die Feindschaft Rußlands auf den Hals zu laden!«
»Der Kaiser mein Gebieter ist der Ansicht, die Lombardei sei keine gering zu schätzende Vergütigung für die damalige Hilfleistung der sardinischen Truppen!«
»Peste! dann habe ich doppelt bezahlen müssen! Was meinst Du dazu, Mac?«
Der hagere Abbé lächelte überaus freundlich. »So viel ich weiß, Sire, besagt die zweite geheime Clausel des Vertrages vom 26. Januar 55, daß für den Beitritt Euerer Majestät zu dem Bündniß gegen Rußland die französische Regierung sich verpflichte, Sardinien bei einem
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Angriff Oesterreichs beizustehen. Es war damals noch nicht die Rede von der Abtretung zweier Provinzen.«
»Richtig - so ist's.«
»In dem späteren Vertrag,« fuhr der Namensvetter des berühmten Florentiners fort, »ist ausdrücklich die Einigung Italiens unter dem Hause Savoien vorgesehen und jeder Einmischung entsagt gegen die Abtretung der beiden Provinzen.«
»Und dennoch halten Ihre Truppen Rom besetzt und Ihre Flotte stellt sich zwischen die meine und dieses Bergnest!«
»Euer Majestät haben in Ihrem Nutzen das Recht solcher passiven Interventionen selbst anerkannt,« sagte der französische Unterhändler etwas spitz.
»Ich? den Teufel auch! Was wollen Sie damit sagen, Herr Graf?«
»Ich meine, daß die beiden englischen Kriegsschiffe am 6. Mai sehr glücklich sich zwischen die neapolitanischen Kanonen und die Ausschiffung des Generals Garibaldi vor Marsala stellten.«
Der König, der stets einen guten Schachzug des Gegners anerkennt, lachte. »Ich könnte Ihnen erwidern: was habe ich mit den Sympathien der Engländer für Revolutionen in allen andern Ländern, außer den ihren, zu thun? Aber wir kommen so nicht weiter. Ich begreife, daß ich dafür zahlen muß, daß Frankreich etwas weniger loyal in den Augen der Welt sein wird. Genug, ich brauche die Rhede von Gaëta, ich brauche Venedig, ich
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brauche Rom, oder vielmehr Italien braucht es. Sagen Sie mir offen den Preis!«
Diese derbe Art der Politik schien dem corsischen Diplomaten etwas zu imponiren, denn er schwieg einige Augenblicke, ehe er einige Papiere aus der Tasche zog.
»Hier ist der eigenhändige Befehl Sr. Majestät des Kaisers an Admiral Barbier de Thynan, die Rhede von Gaëta zu räumen!«
»Der Preis! der Preis!«
»Euer Majestät verpflichten sich zunächst, dem König Franz und seiner Familie freien Abzug zu gestatten. Admiral Barbier ist beauftragt, ihm einen französischen Dampfer hierzu zur Disposition zu stellen!«
»Für den Zweck kann er all die meinen haben! Weiter!«
»Euer Majestät verpflichten sich, während der nächsten fünf Jahre weder selbst das noch übrige Gebiet Seiner Heiligkeit des Papstes anzugreifen, noch einen Angriff durch die revolutionaire Partei zu dulden.«
Der König blickte zaudernd auf den kleinen Secretair seines Premier-Ministers.
»Euer Majestät werden zunächst zu wissen wünschen,« sagte dieser, »ob nach dieser Zeit das Kabinet der Tuilerien gedenkt, die französische Besatzung aus Rom zu entfernen?«
»Der Kaiser versteht sich dazu unter der Bedingung, daß die Souveränität Seiner Heiligkeit in allen kirchlichen Dingen nicht angetastet wird.«
»Gott bewahre mich vor jeder Einmischung in das Handwerk der Pfaffen! - Fünf Jahre sind freilich eine schöne Zeit, aber Rom ward in sieben Jahren gebaut,
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wenn ich mich recht erinnere. Doch, Herr Graf, ich bin zwar kein großer Diplomat, aber ich begreife, daß dies Alles passive Bedingungen sind, und ich zweifle, daß man sich mit solchen begnügen wird.«
»Euer Majestät werden es ganz in der Ordnung finden, daß der Kaiser, mein Herr, Ihnen für dieselbe Dauer ein Schutz- und Trutzbündniß zu Land und See vorschlägt.«
»Teufel - das ist etwas viel, da Frankreich sich gegenwärtig in Syrien, in China und allem Anschein nach auch in Nordamerika und Mexiko engagirt hat!«
»Die Ausdehnung des Bündnisses umfaßt daher auch nur die europäischen Staaten.«
»Ah, ich verstehe! Die Rheingränzen und Belgien! Das heißt ein Krieg mit England und Deutschland?«
»Wir haben alle Ursach zu glauben, daß England bei einer Umgestaltung der Karte des Festlandes von Europa neutral bleiben wird. Was Deutschland betrifft, so sind wir Oesterreichs und damit der deutschen Südstaaten sicher.«
»Also Preußen und der Norden! Aber was wird Rußland dazu sagen?«
»Man erwartet jeden Augenblick den Tod des gegenwärtigen Königs von Preußen. Sein Nachfolger ist unpopulair noch von 1848 her bei der demokratischen Partei, durch die Principien seiner Regentschaft auch bei der conservativen. Die Ohnmacht Preußens hat sich in unserem Kriege mit Oesterreich durch die bloßen Drohungen gezeigt. Seine Staatsmänner sind Nullen, seine Generale
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unbedeutend und ohne kriegerische Erfahrung. Ueberdies wird Oesterreich ihm sein Verhalten in dem letzten Kriege nicht vergessen!«
»Aber wenn Sie auf ein Bündniß mit Oesterreich oder wenigstens auf dessen Neutralität rechnen, hat Italien keine Aussicht mehr auf Venetien.«
»Ebendeshalb wünscht der Kaiser eine friedliche Ausgleichung dieser Frage und ist bereit, alles Mögliche dafür zu thun. Wir bezweifeln nicht, daß für die vorgeschlagene Entschädigung von 600 Millionen und den Wiedergewinn von Schlesien, Oesterreich in die Einigung Italiens willigen wird. Das neue Ministerium Schmerling ist uns Bürge dafür. Einstweilen verpflichtet sich der Kaiser, Euer Majestät von allen Staaten die Anerkennung des Königreichs Italien zu verschaffen.«
»Auch von Rußland, das seinen Gesandten abberufen hat?«
»Fürst Gortschakoff ist ein zu alter Diplomat um einem fait accompli nicht Rechnung zu tragen. Ueberdies steht es in Euer Majestät Hand, seine Nachgiebigkeit zu beschleunigen.«
»Wie das?«
»Rußland hat so gut seine Achillesferse wie England. Sie heißt bei ihm Polen. Eine neue Erhebung in Polen ist vorbereitet und wartet nur auf das Signal zum Aufbruch. In Euer Majestät Staaten befindet sich eine große Anzahl polnischer Emigranten.«
»Immer diese verdammten mazzinistischen Kniffe! - Es ist in der That wahr, wer sich einmal mit dieser
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Propaganda eingelassen hat, kommt aus ihren Schlingen nicht heraus.«
»Sire, man benutzt sie und zertritt sie dann!«
»Das ist leicht gesagt aber schwer gethan, und der Kaiser Louis Napoleon weiß davon auch ein Lied zu singen. Ich will nur wünschen, daß sie ihm nie über den Kopf wächst. - Das ist doch hoffentlich Alles?«
»Die Zustimmung Eurer Majestät zu dem Kauf von Mentone und Roccabruna wird voraus gesetzt. Es bliebe demnach für die Präliminarien des stillen Bündnisses zwischen Frankreich und Italien nur ein Punkt noch zu erwähnen.«
»Und der ist?«
»Euer Majestät werden jede Action des Grafen Montemolin und seiner Brüder von Ihren Staaten aus gegen Spanien zu verhindern wissen.«
Der ehemalige Abbé rückte etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
»Was zum Teufel kümmern mich die Bourbons! Sie sehen ja, daß ich gegen dem[den] Einen Krieg führe, und ich habe gar keine Ursache, mich für eine andere Linie dieser Familie zu echauffiren.«
»Um so mehr,« sagte kaltblütig der schlaue Unterhändler, »darf Frankreich darauf rechnen, daß Euer Majestät jeder Unterstützung fern bleiben werden. Die Königin Isabella besitzt die Freundschaft des Kaisers.«
Der König sah sich gefangen - es war kein Geheimniß, daß von Genua und anderen norditalienischen Häfen aus die carlistischen Agitationen betrieben wurden, ein
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Umstand, der hauptsächlich auch das Auftreten Spaniens für den vertriebenen König von Neapel erklärte.
»Sei es denn, Herr Graf! - ich kehre morgen nach Turin zurück und wir können dort weiter verhandeln. Sie wissen, daß ich ein constitutioneller König bin und ohne meine Minister keine Verträge schließen kann.«
»Euer Majestät vergessen, daß es sich hier nicht um einen Staatsvertrag, sondern um ein persönliches Bündniß handelt. Dies Papier, um dessen Unterschrift ich gegen die Ordre an Admiral Barbier de Thynan zu bitten wage, enthält auch nur die Präliminar-Bestimmungen.«
»Aber mein Himmel - ich muß doch wenigstens mit Cavour sprechen ... was soll das, Mac?«
Der Abbé hatte sich erhoben und stand neben dem König, ihm eine Feder präsentirend.
»Wie - Sie sind der Meinung, ich soll unterzeichnen?«
Der diplomatische Agent hatte sich bei der Bewegung des Secretairs erhoben, da diese seinem Zwecke offenbar günstig erschien, und war mit einer Verbeugung zurückgetreten, gleich als wollte er eine Berathung nicht stören.
Er betrachtete am andern Ende des Zimmers einige jener Gouachezeichnungen, die in Italien so vortrefflich gefertigt werden.
Der Namensvetter des berühmten fiorentiner Politiker hielt noch immer die Feder hin.
»Aber bedenken Sie doch Venedig, Signor,« sagte unmuthig halblaut der König - »wir opfern jede Aussicht auf Venedig mit diesem Vertrag.«
»Im Gegentheil Sire - wir gewinnen es!«
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»Wie? - haben Sie nicht verstanden, daß der Kaiser mit unseren und Oesterreichs Beistand einen Krieg gegen Preußen beabsichtigt?«
»Gewiß - früher - oder später!«
»Aber als Alliirter von Oesterreich wird sich Frankreich hüten, diesem das Opfer von Venetien zuzumuthen!«
»Sire,« sagte der Abbé so leise, daß eben nur das Ohr des Königs die Worte zu verstehen vermochte, - »Graf Cavour, Euer Majestät treuer Diener und mein hoher Gönner, meint, wenn wir Venetien nicht durch französischen Beistand Oesterreich abnehmen können, werden wir es durch Preußen erhalten. Fünf Jahre sind keine Ewigkeit und überdies - jeder Vertrag hat eine Hinterthür. Wir haben es an dem von Zürich gesehen und werden es auch an dem Pariser erleben. Unterzeichnen Sie Sire - die Entfernung der französischen Flotte ist in diesem Augenblick das Dringendste! Wir hätten selbst Sardinien dafür geopfert.«
Der König ergriff rasch die Feder und setzte mit dem ihm eigenen kräftigen Zug seinen Namen unter das Papier.
»Herr Graf nehmen Sie!«
Der Unterhändler verbeugte sich tief. »Euer Majestät sind so weise als gnädig! - ich habe die Ehre, Euer Majestät zuerst als König von Italien zu begrüßen! - Hier ist die Ordre an den Herrn Admiral und eine Abschrift des Vertrages.«
Der König that einen tiefen Athemzug - dem offenen kühnen Soldaten hatten alle diese Winkelzüge und Machinationen der Politik nie sehr behagt und er konnte
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einen Seufzer nicht unterdrücken bei dem Gedanken, was ihm diese französische Bundesgenossenschaft bereits kostete.
»Abgemacht!« sagte er dann, mit der Hand über das Gesicht fahrend und den langen Schnurbart streichend - »und nun Herr Graf lassen wir alle Politik und seien Sie mein Gast als Graf Conti, und nicht als der außerordentliche Geschäftsträger des Herrn an der Seine. Ich würde ohnehin morgen nicht Zeit haben, Ihnen in dieser Eigenschaft noch Audienz zu geben, denn ich muß zeitig in die neuen Batterieen, um die Eröffnung des Feuers zu inspiziren, und um 11 Uhr in Mola sein, wo mich der Dampfer erwartet. Wir haben schönen Besuch bekommen - die heroischen Unterröcke von Neapel haben uns überfallen - und wollen mit Gewalt das Bombardement sehen. Der Henker hole diese Barrikadenheldinnen, die uns Herr Garibaldi über den Hals gebracht - einstweilen aber wollen wir mit den Damen soupiren, da dies Landhaus einem Verwandten der Fürstin Belgio[jo]so gehört, sie also auf ihrem Grund und Boden ist!«
»Die Fürstin befindet sich hier?«
»Direkt von Neapel gekommen zur Plage Cialdini's! Sie und die Comtessa della Torre mit ihrem Flederwisch von Säbel, mit dem sie bei Capua die ausreißenden Rothhemden fuchtelte! Aber sie haben eine Dritte mitgebracht, gegen welche die beiden wie Krähen neben einem Paradiesvogel aussehen.«
Der König öffnete die Thür des anstoßenden, nach dem Meer gehenden Salons, aus dem heiteres Lachen von Frauenstimmen erklang.
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Im Salon befanden sich drei Frauen, von denen zwei eine Cigarre rauchend an einer reich mit Silbergeschirr und Kerzen besetzten servirten Tafel in bequemen Lehnstühlen saßen, während die dritte, den Rücken gegen das Zimmer gewendet, an den großen Glasthüren der Veranda stand und sich an dem prächtigen Schauspiel ergötzte, das die Erregung von Himmel und Meer bot.
Die eine der beiden Frauen war groß, mit einer hübschen Adlernase und - obschon sie erst wenig über Dreißig zählen mochte, - sehr verblühtem Aussehen, dessen gelber Blässe selbst die reichlich aufgetragene Farbe nicht aufzuhelfen vermochte. Sie hatte große dunkle Augen, die von jenen tiefen Schattenkreisen umgeben waren, welchen die kräftigen Marmorformen der berühmten Venus in der paphischen Rotunde des Museo borbonico zu Neapel zwar Trotz bieten konnten, die aber ihren Jüngerinnen von Fleisch und Bein nicht erspart bleiben. Die Dame trug auf den langen, ziemlich schlapp an beiden Seiten herabfallenden schwarzen Locken eine rothe phrygische Mütze gleich den Lazzaroni's mit einer handtellergroßen Kokarde in den italienischen Nationalfarben, eine rothseidene Blouse und unter dem ziemlich kurzen schwarzsammetnem Kleide eine Art von bis an das Knie reichenden faltigen Ritterstiefeln von Hirschleder.
Man konnte die letzteren sehr wohl bemerken, da sie die Füße in sehr ungenirter Stellung auf einen zweiten Stuhl gelegt hatte.
Vor ihr stand ein Glas mit Marsala, aus dem sie von Zeit zu Zeit trank.
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Die andere Dame, die am Tisch ihr gegenüber saß, war klein und zierlich gebaut; sie hätte für eine pikan[n]te Schönheit gelten können, wenn sie nicht etwas geschielt hätte. Sie schien sehr lebhaften und unruhigen Temperaments, naschte von dem Confitüren-Aufsatz der Tafel und nippte dazu den süßen Wein des Vesuvs. Sie trug auf dem Kopf sehr kokett eine ungarische Husarenmütze mit einer Reiherfeder, und eine Art von goldbeschnürtem Attila über dem lichtblauen Rock. Einen leichten reichvergoldeten türkischen Säbel mit feiner Kuppel hatte sie an die Lehne ihres Sessels gehangen.
Die dritte Dame war einfach in Schwarz gekleidet. Man konnte bei ihrer Stellung eben nur die wunderbar schönen Linien ihrer Formen und das köstlich reiche blonde Haar sehen, das von einem Netz aus Goldfäden in schwerer Welle zusammen gehalten wurde.
»Auf meine Ehre, Fürstin,« sagte die kleine bewegliche Dame mit dem Säbel, - »ich fange an mich zu langweilen, und wir hätten am Ende besser gethan, der Einladung Sismondi's nach der Batterie mit unseren Kameradinnen zu folgen. Ich habe eine große Freundschaft zu der Signorina Theresa gefaßt!«
»Das Frauenzimmer ist eine Kokette - ich mag sie nicht leiden - eine Plebejerin - eine Bacchantin!«
»Cara mia« lachte die Kleine - »Sie verleugnen ja alle unsere Grundsätze! Es lebe die Freiheit und Gleichheit - wenn sie uns nicht genirt! Aber gestehen Sie es nur, Sie sind eifersüchtig, - der kleine Pole, den Sie Ihnen weggeschnappt, - und jetzt Sismondi ...«
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»Ich würde sie ohrfeigen oder auf Pistolen fordern, wenn mir ein solches Geschöpf wirklich in die Quere zu kommen wagte! - Aber sie ist gefährlich für Italien und unsere erhabene Sache!«
»Ihre Gesellschafterin schlug ein lautes Gelächter auf. »Für Italien?«
»Per baccho! hat es nicht schon fünf Duelle um sie gegeben, wobei der hübsche Jutrowski erschossen worden und Kapitain Rocca für immer Invalide geworden ist!? Es ist Nichts als Zank und Streit, seit diese Dirne in das Hauptquartier gekommen ist!«
»Aber wo kam sie her? - ich war damals bei dem Comte in Neapel!«
»Es heißt, Sismondi hätte sie mitgebracht - aber sie war eher da, als er! Doch muß er sie kennen - es soll eine ganz gemeine Soldatendirne gewesen sein!«
»Ei nun,« meinte die Dame, sehr philosophisch, - »wenn die Soldaten jung und hübsch waren - ich habe mir in Neapel einige Anekdoten erzählen lassen, daß selbst Principessa's nicht abgeneigt sind zu einer kleinen Zerstreuung mit einem hübschen kräftigen Schweizer! - Das ist etwas Anderes als unsere Abbé's und Cicisbeo's. Es lebe die Freiheit, Fürstin, vor Allem in der Liebe!«
Sie hob ihr Glas und winkte bedeutsam nach der Dame am Balkon.
»Bei der Nachtmütze des Papstes,« rief die Dame der hohen Aristokratie, geschwind die Gelegenheit benutzend, das Thema zu wechseln, - »Lady Howard hören Sie denn gar nicht auf uns? Was, bei allen Bomben und Kanonen
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des ungalanten Cialdini's, der uns kaum ein buen sera gesagt, giebt es denn so Interessantes da draußen, daß Sie wie blind und taub da hinaus starren, mein Kind?«
Die blonde Dame wandte sich um und lächelte mit einer überaus süßen und naiven Stimme: »Ich sehe so gern die Blitze des Himmels, Altezza! ich fühle mich dann so behaglich und sicher unter Ihrem Schutz!«
Der Ton war, wie gesagt, so überaus süß und kindlich, daß man zweifeln konnte, ob die Worte wirklich eine Naivetät oder eine Verhöhnung waren. Wer in dies reizende Gesicht mit dem sanften unschuldigen Aufschlag der Augen blickte, hätte sicher auf das Erstere geschworen.
Kapitain Chevigné, der geheime Lauscher auf der Höhe der Kirchwand des Klosters der Verdammten hätte vielleicht anders gedacht, wenn er die schöne Lady Howard gesehen, wie sie so graciös und demüthig zu ihrer gereiften und vielerfahrenen Patronesse heranschwebte.
Er hätte vielleicht gedacht, daß ganz dasselbe Wesen oder sein Ebenbild damals so wollüstig die Arme in die Luft breitete nach dem unsichtbaren Etwas, - damals, als dieser wunderbare Körper aus dem Bassin erstiegen war, in dem er den Schmuz des lebendigen Grabes zurückgelassen!
Nummer Vier!
Elena! -
In dem Augenblick öffnet sich grade die Thür des Salons und der hohe Gast der Villa machte dem Diplomaten ein Zeichen, näherzutreten.
Hinter dem Grafen Conti schloß sich jedoch wieder
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die Portière. Ein leises Hüsteln hatte den König veranlaßt seinen Gast allein eintreten zu lassen.
»Was zum Henker, mein lieber Machiavell, wollen Sie denn noch? Irgend eine Unterschrift, die ebenso gut auf morgen bleiben kann!«
»Sire - Sie vergessen den Mann aus Rom, der mit dem Herrn Grafen gekommen ist.«
»Den Bettelmönch oder was er sonst ist, der wegen eines lumpigen verbrannten Klosters um Entschädigung queruliren will? Aber so machen Sie doch die Sache selbst ab!«
»Sire - ich bitte Sie, den Pater zu empfangen. Sie werden es nicht bereuen.«
»Meinetwegen denn,« sagte der König ungeduldig sich wieder setzend, - »aber machen Sie wenigstens rasch. Ich kenne Sie gar nicht wieder, Mac - Sie pflegen doch sonst Ihre alten Kollegen von der Kutte nicht gerade besonders zu protegiren!«
Der Florentiner - denn der Abbé theilt die Vaterstadt mit seinem berühmten Namensvetter - ging ohne auf den Vorwurf zu antworten nach der Thür, öffnete sie und flüsterte einige Worte.
Man hörte die brummende Stimme Bertano's ihm antworten. Nach etwa fünf Minuten führte der ehemalige Fechtmeister die Person ein, wegen deren der Abbé den Gebieter zurückgehalten hatte.
»Kommt nur herein ehrwürdiger Vater,« meinte der alte Brummbär. »Ihr seht zwar aus wie ein Bettelpfaffe, der jedem ehrlichen Menschen den letzten Lire für
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irgend ein fettes Kloster abnimmt, aber in all' dem Sündenleben ist's immer gut, wenn man die Absolution gleich zur Hand hat. Sie bestehlen den heiligen Vater alle Tage mehr, die Politiker. He - wo ist denn das Eulengesicht geblieben?«
Der Abbé winkte ihm hinaus zu gehen.
»Gewiß steckt er da drinnen bei dem Weibsvolk und frißt Wachteln und Schneppenkoth, indeß ein ehrlicher Mann sich in dem Nest vergeblich nach einem erträglichen Abendbrod umsieht!«
»Hinaus!«
»Na - fressen mich Euer Majestät nur nicht, ich möchte etwas zäh sein!«
Ein Buch, das im Bereich der königlichen Hand gelegen, flog hart an seinem Kopf vorbei.
Der unverschämte Patron verzerrte das häßliche Gesicht zu einem ganz abscheulichen Grinsen, als er das Buch aufhob und auf einen Seitentisch legte. »Ich gehe ja schon!« murrte er - »Euer Majestät sollten anständige Gesellschaft nicht so fortjagen, statt all der Soldaten, Diplomaten, Kutten und Unterröcke.«
Bei all seiner Frechheit und Grobheit wußte er jedoch sehr gut, daß es die höchste Zeit sei, sich zu trollen, und brummend aber eiligst zog er sich zurück.
»Der Schurke treibt mir regelmäßig die Galle in's Blut!«
Der Abbate lächelte - es war bekannt, daß Bertano oft von der Umgebung als Ableiter für den manchmal etwas heftigen Charakter des Königs gebraucht wurde.
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»Wer dem Zorne fröhnet, der wird nicht eingehn in das Himmelreich, denn er ist schlimmer als die Blinden die nicht sehen, sagt der Apostel Paulus.«
Die tiefe, eintönige Stimme machte den Monarchen stutzen. Nur der Geistliche, der eben eingeführt worden, konnte gesprochen haben und der König warf einen erstaunten und fragenden Blick auf ihn.
Es war ein Mann in der Größe des Königs, - offenbar alt, denn ein weißer Bart kam aus der braunen Kapuze hervor, die er über den Kopf gezogen hatte, und die sonst sein Gesicht verbarg. Trotz der Winterkälte trug der Mönch nur Sandalen, um seine na[c]kten Füße zu schützen.
»Was wollt Ihr? wer seid Ihr?«
»Der demüthige Bote eines Mächtigeren, denn sein Thron steht auf dem Felsen Petri, an dem Niemand ungestraft rüttelt, und reichte seine irdische Macht von einem Ozean zum anderen.«
Der Klang der Stimme, obschon durch die Kapuze gedämpft, schien etwas Eigenthümliches zu haben, eine besondere Erinnerung zu erwecken.
»Sonderbar! - Schlagen Sie Ihre Kapuze zurück, ehrwürdiger Vater, - ich wünsche Ihr Gesicht zu sehen.«
»Mein Antlitz ist das eines armen Greises - ein Gelübde bindet mich, es vor den von Gott gestraften Menschen zu verhüllen.«
»Sind Sie ein Italiener?«
»Ich kam von Oporto!«
»Das ist in der That sonderbar - ich glaubte diese Stimme nie mehr zu hören. - Indeß, Pater - um der
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Aehnlichkeit Ihrer Stimme willen mit der Eines, der nicht mehr ist, sollen Sie bei mir ein freundliches Gehör finden. Nochmals - wer sind Sie und woher kommen Sie?«
»Von Rom.«
»Daher kommt manches Gute und manches Ueble! - Habt Ihr einen besonderen Auftrag an mich? - Da Ihr in der Gesellschaft des Herrn Grafen Conti gekommen seid, wie man mir sagte, muß es eine besondere Bewandniß haben.«
»Der Herr Graf kennt mich nicht - Die welche mich senden, haben Nichts mit dem Boten eines falschen Mannes zu thun.«
»Aber Sie kamen zusammen in Mola an?«
»Durch Zufall.«
»Wer seid Ihr?«
»Ein armer Mönch - der Pater Alberto.«
»Merkwürdig - selbst der Name! Wer sendet Sie?«
»Der - vor dem sich die Könige der Erde beugen sollen, da Gott der Herr selbst seinen sichtbaren Thron errichtet hat. In seinem Auftrag der Cardinal Antonelli.«
»Ha - also hoffentlich die Antwort auf unsere Vorschläge. Da der Herr Cardinal-Staatssecretair Sie zu seinem Boten oder Unterhändler gemacht, muß er Vertrauen zu Ihnen haben, obschon ich mich nicht erinnere, unter der römischen geistlichen Diplomatie Ihren Namen gehört zu haben.«
»Ich bin ein einfacher Mönch, der Reue und Büßung allein gehörig, und nur der Befehl meiner Oberen hat
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mich zu dieser Mission aus der Stille meines Klosters beschieden.«
»Zur Sache denn - ist Euer Auftrag mündlich oder schriftlich und wo ist Ihre Beglaubigung?«
»Hier ist Beides!«
Der Pater nahm aus dem Aermel seiner Kutte ein zusammengefaltetes Papier und überreichte es dem König, der es aus einander schlug.
Unwillkürlich hatte der Florentiner einen Schritt näher gethan.
»Aber - was soll das heißen? - das ist der Vertrag, den Rosetti nach Rom gebracht hat!«
»Lies, König!«
Der König drehte das Papier um. Drei Worte in festen kräftigen Zügen standen darunter:
»Nunquam! - Nunquam! - Nunquam!«
»Ha - bei meinem Schwert - das klingt ja grade wie das berühmte Habet, habet, habet! - Da nimm Euer Machwerk und seht, wie weit Ihr kommt, diesen Pfaffen gegenüber! Nur Hochmuth und Falschheit! - Das Schwert des geeinigten Italiens allein kann diesen Knoten zerhauen!«
Er schleuderte unwillig und spöttisch lachend das Dokument dem Vertrauten zu.
Der Mönch stand ruhig und unbeweglich bei diesem Ausbruch des Unwillens. »Die Schneide des Schwertes,« sagte er langsam, »und ist sie auch noch so scharf, wird schartig und stumpf an dem Felsen, gegen den sie thörichter
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Weise schlägt! Die heilige Kirche steht auf dem Felsen Petri!«
»He guter Freund,« sagte der König lachend und damit plötzlich seine gute Laune wieder gewinnend - »heutzutage ist man nicht mehr so einfältig, mit einem guten Degen gegen die Steine zu schlagen. Man bohrt sie an und sprengt sie in die Luft - dazu hat man seine Ingenieure! - Der Herr Cardinal-Staatssecretair möge sich gefälligst erinnern, daß wir am Mont Cenis die Alpen durchbohren, um französischer Aufklärung freieren Eingang in Italien zu verschaffen, wenn das überhaupt noch nöthig wäre!«
»Wer in den schnöden Verkauf seines Heimathlandes an den Erbfeind willigen konnte,« sagte der Mönch mit fester Stimme, »wird sich nicht scheuen, auch dem Antichrist die Seelen Derer preiszugeben, für die ihn Gott verantwortlich gemacht hat. Aber erinnere Dich König, daß der Blitzstrahl des Ewigen Babel zerstörte, und das Feuer, das Sodom und Gomorrha verzehrt, wird auch den Sündenpfuhl Paris nicht verschonen, wenn seine Zeit gekommen ist!«
Die Adern an der runden Stirn des Königs hatten sich dunkel gefärbt bei den kühnen Worten des Mönch's und er drückte die geballte Faust schwer auf den Tisch. »Pfaff!« sagte er - »danke es Deiner einfachen Kutte und einer Erinnerung, die eine zufällige Aehnlichkeit in mir geweckt hat, wenn ich Dich für Deine Unverschämtheit nicht in den Golf werfen lasse! - Aber wie kann ich mich ärgern über das niedere Werkzeug, das nur Worte
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spricht, die ihm befohlen sind. - Mac, reden Sie mit diesem Manne weiter, wenn es nöthig ist!«
»Ich spreche nur mit Königen - nicht mit den Dienern!« sagte der Mönch ruhig.
»Potz Blitz, das ist zu stark! - Nun gut! - Seine Heiligkeit weist also die Vorschläge zurück, die ihm meine Regierung gemacht hat? Wiederhole sie mir noch einmal, Mac!«
Der König hatte sich wieder niedergelassen, seine Hand spielte mit dem französischen Tractat, der noch immer vor ihm lag.
Der ehemalige Abbé und jetzige Geheimsecretair und Vertraute des sardinischen Ministerpräsidenten hatte das von der königlichen Hand ihm zugeschleuderte Dokument aufgenommen und geglättet. Er las kurz die Punkte - dieselben, welche wenige Wochen später die inspirirte Brochüre des Herrn von Laguerronnière unter dem Titel »Frankreich, Italien und Rom« vorschlug: Die Uebertragung des Vicariats über den Kirchenstaat an König Victor Emanuel.
Hierzu: Die Krönung des Königs zum König von Italien in Rom; die Beschränkung der Klöster in dem Kirchenstaat auf eine gewisse Zahl;
die Uebung der Polizei und der Justiz durch den königlichen Vicar über die nicht geistliche Bevölkerung.
Dagegen: Die Garantirung der persönlichen Souveränitätsrechte des heiligen Vaters und der Unverlehlichkeit der Kirchenfürsten;
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eine Dotirung des heiligen Stuhls mit zehn Millionen Lires;
die Unterhaltung einer päpstlichen Leibwache;
die Heirath des dritten Sohnes des Königs mit einer Verwandtin des Cardinal Merode.
»Und auf diese Vorschläge hat der Pontifex keine andere Antwort, als dieses >Nunquam?
»Der heilige Vater,« erwiederte bedächtig der Mönch, »ist in seiner christlichen Liebe und Milde bereit, die bisherigen Eingriffe in das weltliche Gebiet der heiligen Kirche zu vergeben und in Deine Krönung zum König von Italien zu willigen, auch Dich nach dem alten Recht des päpstlichen Stuhls mit der Krone von Neapel und Sizilien zu belehnen, wenn das Gebiet der Kirche sofort in den alten Gränzen von Deinen Soldaten geräumt, die Souveränität des heiligen Stuhls auch als weltliche Macht anerkannt und gegen jeden Angriff von Außen geschützt und als Buße für die geschehene Unbill eine Summe von zwanzig Millionen an den päpstlichen Stuhl gezahlt wird.«
»Aber wenn ich nicht zu Alledem bereit wäre?«
»Dann Vittorio Emanuele, König von Sardinien, wird der große und kleine Bann der heiligen Kirche Dich treffen, Dich und Deine Rathgeber! - O mein Sohn - hüte Dich vor dem Fluch, denn der Zorn Gottes ist schrecklich!«
Der König, der zu den ersten Androhungen ziemlich verächtlich gelächelt hatte, war von dem seltsamen, von dem vorher gebrauchten so ganz abweichenden Ton der letzten
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Worte so merkwürdig ergriffen, daß er in tiefer Bewegung aufsprang und die Hand gegen den Pater ausstreckte.
»Mönch - Mann - wer bist Du? Geben die Gräber ihre Todten heraus ...?«
»Es geschehen jetzt Frevel auf der Erde, die mehr thun könnten, als die Pforten der Grüfte sprengen. Ich bin ein armer Mönch und der Bote der heiligen Kirche, aber von Weh' und Schmerz durchdrungen, Dich, o König, den Weg der Räuder und Kirchenschänder wandeln zu sehen. O kehre um! kehre um und rette Deine Seele und die Seele Deines Erzeugers aus den Qualen der Verdammniß! - Verdorren wird die Hand, die sich nach dem Erbe Petri streckt. Gedenke des Unglücks, das Deinen Vater schlug, der besiegt und verbannt auf fremder Erde starb!« -
Ein lustiges Gläserklingen drang wie rufend aus dem Gartensalon herüber - eine weibliche Stimme intonirte Orsini's Trinklied aus der Lucrezia.
»Euer Majestät befinden sich nicht in der Lage, dem heiligen Stuhl auf so bedeutende politische Fragen sofort eine Antwort geben zu können,« sagte der Vertraute halb zu dem König, halb zu dem seltsamen Abgesandten der Kirche. »Die Erklärung des päbstlichen Stuhls, unter Umständen auf die Frage von Neapel und der Herzogthümer verzichten zu wollen, die wir aus der etwas - unklaren Unterhandlungsweise des ehrwürdigen Bruders herauslesen dürfen, ist eine so wichtige, daß sich auf ihr jedenfalls fortbauen läßt.«
»Du hast Recht Mac,« sagte der König zerstreut, »führe den Mann hinweg und sorge für alle seine Wünsche.«
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»Gott behüte das Ohr der Könige vor der Zunge falscher Freunde!« sagte mit dumpfer Stimme der Mönch. »Nicht irdische Macht und Ehren trösten in der Stunde der Noth für begangenes Unrecht!«
»Gehen Sie, Pater,« sagte der König, der in der Person des römischen Boten nicht mit Unrecht die absichtliche Wahl eines Schwärmers ahnte, um ihm auf diese Weise Bitterkeiten zu sagen, »meine Regierung wird dem Herrn Cardinal-Staatssecretair antworten. Einstweilen drängt die Sache nicht.« Er blickte mit Beziehung auf das Papier unter seine Hand. Der Mönch streckte die Hand aus, wie um seinen Seegen zu ertheilen, aber er schien sich eines Andern zu besinnen und ließ sie wieder sinken, während der Secretair des Ministers ihm die Thür öffnete. An dieser wandte sich der Mönch noch einmal um.
»Vittorio Emanuele« - sagte er mit dumpfer Stimme - »lebe wohl für diese Welt und gedenke der Worte Deines unglücklichen Vaters in der Nacht des 24. März.17 Wehe Dem, der Rom angreift! Wehe! Wehe!«
Der König antwortete nur durch ein abwehrendes Zeichen, - die Thür schloß sich hinter dem geistlichen Boten.
Der Secretair winkte dem im Vorzimmer befindlichen Flügeladjutanten.
»Seine Majestät wünschen, daß dem ehrwürdigen Herrn hier jede Freundlichkeit erwiesen werde. Bei dem Unwetter kann er Albano heute nicht mehr verlassen.« Und
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leise fügte er hinzu: »Wir müssen mehr von ihm wissen - ich weiß nicht, weshalb er einen so großen Eindruck auf den König gemacht hat, daß ich einen Augenblick für seine Festigkeit fürchtete. Indeß - die Botschaft aus Frankreich hat die römische Frage vertagt und Gaëta ist unser. - Uebergeben Sie den Mönch an Bertano!«
Er kehrte zurück in das Kabinet, wo der König unruhig auf und nieder ging.
»Was denkst zu der Sache, Mac?«
»Daß sie uns sehr gerufen kommt!«
»Gerufen?«
»Ja, Sire! - Glauben Sie denn, daß der Vatican, umgeben von inneren und äußeren Feinden, diese Sprache gegen Sie wagen würde, wenn er nicht einen starken Hinterhalt hätte?«
»O gewiß, er vertraut auf Louis Napoleon oder vielmehr auf die Kaiserin, da mit ihrer Rückkehr aus Schottland die Versöhnung geschlossen ist, welche die kleinen Erinnerungen an die schöne Theresella von Mailand fast mehr gefährdeten, als die Interessen des heiligen Stuhls.«
»Der heilige Vater traut dem Kaiser Napoleon nicht über den Weg und hat auch keinerlei Ursach dazu.«
»Also auf Oesterreich?«
»Die österreichische Politik hat durch Herrn von Schmerling eine andere Richtung erhalten. Sein Augenmerk geht jetzt darauf, Preußen zu überwachen.«
»Dann, lieber Mac, verstehe ich Sie und Ihren Chef nicht!«
»Sie vergaßen England, Sire!«
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»Das ketzerische England?«
Der Vertraute lachte.
»Die Engländer sind nur so lange Ketzer und liberal, als es in ihren Kram paßt und der Liberalismus ihnen nicht an die eigene Haut geht. Ihre Staatsmänner sind klug genug, um zu sehen, daß Englands materielle Macht seit dem Krimkrieg und dem indischen Aufstand im Sinken ist. Deshalb suchen sie dieselbe künstlich aufrecht zu erhalten, indem sie aus dem Hinterhalt her Europa, Amerika und Asien in Bewegung halten. Es giebt seit 12 Jahren keinen Krieg, keine Volkserhebung, wo nicht englische Agenten mitgespielt haben. Alles unter dem Mantel der Freiheit, der Humanität und der Neutralität. Die Situation ist indeß jetzt ziemlich schwierig geworden. Wer beschäftigt Frankreich, das sich am rothen Meer angekauft hat, so eifrig in China und Syrien? - England! wer putscht heimlich die amerikanischen Südstaaten in der Sclavenfrage? - Offenbar England. - In nächster Zeit werden Euer Majestät Rußland in Polen, Oesterreich durch einen neuen Christen-Aufstand in der Türkei beschäftigt sehen. Und nehmen Sie unsere eigenen Vorgänge. England hat uns in Sicilien und Neapel die besten Dienste geleistet - der Graf unterhandelt in diesem Augenblick in London wegen Ausweisung des bisherigen neapolitanischen Gesandten. Um so mißtrauischer mußten wir sein. In der That, während Lord Palmerston uns mit einer Hand hilft, Italien zu einigen, hat er dem heiligen Vater im Geheimen bereits ein Asyl auf Malta oder Gibraltar anbieten lassen!«
»Aber das hieße wahrscheinlich einen Religionskrieg
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gegen uns entzünden! Rom muß der Sitz der katholischen Kirche, also des Pabstes bleiben!«
»Aus eben diesem Grunde, Sire, habe ich den Tractat des Herrn Grafen von Conti willkommen geheißen! - Er gewährt uns die Gelegenheit in der Nothwendigkeit, zu temporisiren. Wir müssen die päpstliche Regierung glauben machen, daß ihre Existenz von uns abhängt, und für das Aufgeben von Neapel und der Herzogthümer in den nächsten fünf Jahren ihr die Herren Mazzini und Garibaldi vom Halse halten. - Es ist nur eine Frage der Zeit!«
»Du hast Recht, Mac, wie immer. Ich müßte aber Deinen Chef schlecht kennen, wenn er für diese Zweizüngigkeit Englands nicht eine kleine Revange in seinem Portefeuille haben sollte?«
»Euer Majestät sollen nicht lange zu warten brauchen. Das nächste ionische Parlament wird den Muth fassen, seinen britischen Protektoren, die bisher jede von ihren Interessen abweichende Meinung mit dem Strick zu bezahlen pflegten, vor Europa zu erklären, daß die britische Schutzherrschaft für die ionischen Inseln ein großes Uebel sei! Die italienische Presse wird dazu das Ihre thun!«
Diesmal war es der König, der lachte. »Cavour und Du, Ihr seid ein paar Schlauköpfe. - Aber nun ist's genug für heute mit der Politik, Mac, und nun will ich zu Tische! Rufe mir den Schlingel Bertano! Ich werde ihn nächstens zum Gesandten machen - in Paris oder Madrid, denn für Rom inklinirt er zu sehr zur Heiligkeit.«
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Santa-Agatha.

Die Ruinen des Klosters der heiligen Agatha auf dem nach ihr benannten etwa 330 Meter hohen Berge sind noch ziemlich wohl erhalten und geräumig genug, die Bedienung und Bedeckung der Batterie aufzunehmen, die man hier erbaut hatte, um die Festung aus sicherer Entfernung mit den gezogenen Geschützen zu beschießen.
Man hatte während der Waffenruhe den ganzen Tag gearbeitet, die Erdwerke aus dem harten Gestein zu hauen und die Bettungen herzustellen.
Die Nacht war gekommen, und die Arbeiten wurden bei dem Schein der Fackeln fortgesetzt, deren Lohe von dem beginn[en]den Regen zu sprühenden Funken gepeitscht wurde. Im Laufe des Tages hatte man mit unsäglicher Anstrengung die schweren Geschütze auf die ziemlich steile Höhe geschafft. Man wußte, daß der König befohlen hatte, daß am nächsten Morgen das Feuer eröffnet werden sollte und daß in militairischen Befehlen er unnachsichtlich war, während allen andern Dingen gegenüber er eine Freiheit gewährte, die oft bis zur Zügellosigkeit ausartete.
Wir versetzen den Leser in die Batterie von Santa-Agatha.
Es war eilf Uhr Nachts - der größte Theil der mühsamen Arbeit vollendet.
Wir haben früher schon Gelegenheit gehabt, zu bemerken, daß der sardinische Soldat, wenn er eben nicht durch
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fremde Elemente verdorben wird, treu, thätig, umsichtig und schweigsam ist. In dem Krieg in der Krim wie bei Solferino gegen Benedeck hat er seine guten Eigenschaften bewiesen.
Es ist aber eine Thatsache, daß mit dem neapolitanischem Krieg, namentlich mit der Belagerung von Gaëta der Charakter der sardinischen Armee sich bedeutend verschlechtert hat. - -
Aus dem ehemaligen Refectorium des Klosters, einem noch ziemlich wohlerhaltenen, wenigstens noch bedachten weiten Gemach der Ruinen blitzte durch die scheibenlosen Bogenfester, die mit Militairmäntel verhängt oder mit Brettern und Stroh verbarrikadirt waren, zuweilen ein blendendes Licht, und ein übermüthiger Gesang mischte sich in Töne toller Lust.
Ein alter bärtiger Artillerie-Unteroffizier, der schon in der Schlacht bei Novara gefochten, leitete an einer Stelle die letzten Arbeiten, die von den ab und zugehenden Offizieren inspizirt und angegeben wurden.
»Angefaßt, Michele - bei den Kaldaunen des Pabstes, spitzt der Kerl nicht die Finger, als gälte es, ein rohes Ei anzurühren, während eine Laffette ein gutes Stück von einer Steineiche ist! - Hebt, Kerle, oder ich will die Richtstange auf Euren Köpfen tanzen lassen!«
»Tanzt lieber da drinnen, Sergente, mit dem Weibervolk und dem Freischaaren Gesindel,« brummte ein Kanonier. »Indeß wir uns hier placken müssen, daß das Blut unter den Nägeln vorspritzt, saufen die Rothhemden uns den Wein vor der Nase weg!«
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»Maul gehalten und nicht raisonnirt! Wirst den Wanst noch voll genug kriegen, wenn das Geschütz feststeht. Hinten an der alten Sakristei liegt ein Fäßchen extra für uns, Oberstlieutenant Sismondi hat es dem Fourier ausdrücklich befohlen. Oder hast Du mehr Lust mit dem ungarischen und polnischen und was weiß ich für Gesindel zu trinken, das bei Capua und Milazzo davon gelaufen ist?«
»Die heilige Jungfrau von Aosta bewahre mich davor!«
»Sie ist besser und klüger als die von Loretto,« meinte ein Dritter, »denn da kommt Carlo mit einem Krug vorläufig zur Erwärmung von Innen, während der Wind und der Regen uns die Haut schaudern machen!«
Einer der Artilleristen, der fouragirt hatte, kam mit einem großen Krug eben herbei.
Der Zwölfpfünder lag in seiner Bettung - es blieben nur noch zwei Geschütze heran zu führen und mit ihren Unterlagen zu versehen. Selbst der alte Murrkopf, der die Arbeiten beaufsichtigte, glaubte sich einige Ruhe gönnen zu können, da er der andern Abtheilung den Rang abgewonnen. Die Hauptsache war, daß er selbst gern einen Schluck that.
»Wo liegen die Legionaire?«
»Drüben in der Kirche. Sie ducken in allen Winkeln umher, denn das Feuer, das sie angemacht, will so wenig brennen, wie die Fackeln hier!«
»Zünd' eine neue an!«
»Hat sich was! Der Wind löscht sie immer von Neuem! Er macht Einen das Mark in den Knochen frieren!
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- Drinnen mag's besser sein! Hört Ihr's wie sie lachen und jubeln?«
»Wenn da der Alte dazu käme!«
»Dummkopf! Der ist längst auf dem Weg nach Turin!«
»Oder der General! - Pietro Staccole hat ihn heute Nachmittag in Mola gesehen, als er unten war!«
»Narr - wenn er kommen wollte, hätt' er nicht seine Adjutanten geschickt.«
»Das ist auch wahr. Es ist ein lustiger Herr, der Graf, so jung und schon Oberstlieutenant.«
»Davor ist er ein Nobile - übrigens soll ihm der Alte mit dem Patent ein Pflaster aufgelegt haben.«
»Wie so? was weißt Du davon?«
»Der Michele hörte es, als er seinem Herrn, unserem Maggiore, davon sprach. Er hat einen großen Streit gehabt drüben in den Bergen, nachdem er in die Hände der Ladroni's gefallen war. Sie hätten ihn erschossen, wenn er sich nicht selbst ranzionirt hätte, denn der wilde Pinelli weigerte sich, einen lumpigen Briganten für ihn loszugeben.«
»Die sind seine schwache Seite! Man sagt er müßte alle Tage wenigstens zehn füsiliren oder hängen lassen, wenn er ruhig schlafen soll!«
»Nun ganz so hoch wird er wohl nicht kommen. Aber einen Major und einen Conti im Stich zu lassen gegen einen lausigen Briganten, das ist stark, und da verdenk ich's dem Grafen nicht, wenn er mit ihm zusammen gerathen und den Abschied nehmen wollte, um ihn fordern zu können!«
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»Cospetto - und um deshalb der Oberstlieutenant? jetzt begreife ich! Aber der alte Pinelli ist ein Teufelsbraten, es heißt, er soll früher eben so gut die Muskete getragen haben, wie wir.«
»Sein Vater war ein Schuster in Brescia! - Aber der Conte hat sich doppelt entschädigt, mit dem Patent und den Weibsleuten, die er heute mit hierher gebracht.«
»Da sind sie wenigstens sicher - unten in Mola sollen sie's zu arg getrieben haben. Na - wenn die Offiziere ihrer müde sind, fällt vielleicht für Unsereinen auch was ab. Ich habe sagen hören, daß sie nicht stolz sind!«
»Wisch Dir den Mund Petro - die Rothhemden werden schon sorgen, daß Nichts an uns kommt!«
»Der Teufel hole die Schnapphähne! Dem ersten, der mit mir Handel anfängt, renn ich mein Faschinenmesser in die Eingeweide!«
»Ich glaube, das besorgen unsere Offiziere selber,« meinte der Sergente. »Aber nun ist's genug geschwatzt, der Krug ist leer! Angepackt Jungens, um Mitternacht müssen wir fertig sein.«
Eben kam wieder in seinen Mantel gehüllt, einer der Offiziere aus der Ruine, um die Artilleristen anzutreiben. Im Schein der Blitze und der Pechfackeln konnte man sehen, wie sein Gesicht von Wein und Aufregung geröthet war, und die Hast, mit der er die nöthigen Befehle gab, ließ erkennen, wie eifrig er wünschte, bald wieder bei seiner Gesellschaft zu sein.
»Sergente!«
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»Signor Luogotenente!«
»Ist die Munition zu Ihren Geschützen in Ordnung? Sie wissen, daß um acht Uhr das Feuer beginnen muß!«
»Alles in Ordnung!«
Der Offizier sah flüchtig die Geschütze nach. »Lassen Sie hier noch einen Balken unterschieben, der Rückprall könnte sonst das Rohr herunterwerfen. Halten Sie die Zündröhren gut geschützt. Verflucht sei das Hundewetter! In einer halben Stunde kommt der Major, denn sein Vetter muß noch diese Nacht zurück nach Mola! Was ist dort?«
In das Rollen des Donners mischten sich die Töne einer Rohrpfeife.
Mehre der Soldaten hatten sich um zwei Personen gesammelt, einen Hirten und einen Bersagliere.
»Was ist das für ein Kerl?« frug der hinzutretende Offizier.
»Der Bursche behauptet, hierher bestellt zu sein und ich bin vom Patrouillen-Führer kommandirt, ihn bis zu Ihren Wachen zu begleiten,« rapportirte der Soldat.
»Excellenza, ich bin ein armer Pfeifer von Atratina. Ich möchte gern ein Paar Carlini verdienen, wenn's die Herren Soldaten erlauben. Ich habe sonst meine Ziegen hier oben gehütet, - aber die armen Thiere fürchten das viele Schießen.«
»Kannst Du etwas Lustiges blasen?«
»Die Tarantella, Excellenza und die Saltarella und den Radetzky-Marsch!«
»Tölpel - untersteh Dich! Aber komm mit. Dich
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können wir grade brauchen. Laßt Euch einen Becher geben, Bersagliere, ehe Ihr zurückgeht. An Wein fehlts nicht, und bei diesem Hundewetter verträgt sich's.«
Der Hirt drückte verstohlen seinem Begleiter die Hand und ging hinter dem Offizier her. Der Bersagliere wechselte einige gleichgiltige Worte mit den schwer arbeitenden Artilleristen und schlenderte dann hinter jenen drein nach den Ruinen. - -
Das Innere des Refectoriums bot trotz seines verfallenen Zustandes einen heiteren Gegensatz zu dem unangenehmen Aufenthalt draußen, dem Toben des Wetters und dem tiefen nur von den Blitzen zerissenen Dunkel. Die Pioniere hatten eine ziemlich feldmäßige Einrichtung hergestellt, einen großen rohen Tisch aufgeschlagen, den der Koch des Hauptquartiers für das Gelag des Abends mit Teppichen aus Neapel, mit leidlichem Tischzeug und einer Anzahl wohl zubereiteter Speisen und Aufsätzen versehen hatte, da man in Mola bei der Nähe Neapels nicht bloß gut sondern selbst mit Ueppigkeit lebte. Eine Menge dunkelhalsiger Flaschen mit dem köstlichen Wein von Salerno, dem edlen Falerner, dem braunen Traubensaft von Marsala, dem lieblichen Montefiascone bedeckte zwischen Früchten und Speisen den Tisch und selbst an den Silberhälsen des Champagners in den improvisirten Eiskübeln fehlte es nicht.
Drei große silberplatirte Leuchter, die man aus den beiden Kapellen im Borgo entlehnt hatte, trugen schwere Wachskerzen, die auf zwanzig Schritte weit nach der der Kirche dufteten.
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Etwa fünfzehn Männer, Offiziere verschiedener Waffengattungen und Civilisten, und sechs Frauen waren um die Tafel, oder vielmehr in dem Raum versammelt. Einige Burschen der Offiziere und zwei Civilisten machten die Aufwärter dieser Orgie, die bereits drei Stunden im Gange war.
Es war in der That eine Orgie der schlimmsten und gefährlichsten Art. Die Gruppirung der einzelnen Theilnehmer zeigte die Leidenschaften, denen man sich dabei hingegeben.
Auf einem Ende des langen Tisches war das Geschirr fortgeräumt, der Teppich zurückgeschlagen und auf dem Holz des Tisches mit Kreide jene ominöse Figur gezeichnet, welche allen Spielern so wohl bekannt ist.
Ein dicker Artillerie-Kapitain machte hier den Bankhalter. Ihm gegenüber saßen zwei Frauen - ein kaum dem Kindesalter entwachsenes sehr hübsches Mädchen mit braunem Gesicht und glühenden Augen, vielleicht von Reggio oder der sicilianischen Küste, die solche glühende Lebenslust schon im halbentwickelten Körper zeugt, und eine kleine schmächtige blasse Frau, nicht mehr jung, etwa sieben oder achtundzwanzig Jahr, etwas Nervöses, Rastloses in ihrem ganzen Wesen, in den nach dem Golde zuckenden Fingern, in dem beweglichen Mienenspiel; dabei hatten die wunderbar schönen schwarzen Augen den dämonisch funkelnden Blick des Auges der Ratten oder Schlangen.
Um diese beiden Frauen, zu denen von Zeit zu Zeit sich eine dritte gesellte, eine schlanke graziöse Gestalt, mit
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feingeschnittenem Kopf und spöttischer Miene, saß, hockte und stand die Hauptgruppe der Offiziere, zwei in der Uniform der Bersaglieri, - ein hoher nicht mehr junger Mann in dem knappen Waffenrock der Lanziers von Genua mit spitz gedrehtem prächtigen Schnurbart, - ein großer, starker Mensch von wüstem rothen Gesicht, von dem ein flachsgelber in langen Mähnen zu beiden Seiten des Mundes bis auf die rothe Garibaldi-Blouse herabhängender Bart um so sel[t]samer abstach, als das kurz geschorene Haupthaar von pechschwarzer Farbe war; - und ein junger elegant gekleideter Mann in Civil, dessen sonst hübsches Gesicht in diesem Augenblick die gespenstige Abspannung der größten Seelenangst zeigte.
Neben dem Bankhalter und neben dem Mann mit dem weißen Bart, dessen gebrochene Redeweise und wilde Flüche den Magyaren bekundeten, lagen ziemlich ansehnliche Haufen von Gold und Banknoten, während die ganze andere Gesellschaft Unglück zu haben schien.
Weiter hinauf am Tisch lag in einem Schaukelstuhl eine üppig gebaute Frauengestalt, das schwarze Sammetkleid in herzförmiger Form tief über dem wirklich wunderbar üppigen Busen ausgeschnitten, die Augen halb geschlossen, während die mit kostbaren Ringen bedeckte weiße Hand zuweilen langsam, fast träge, nach dem Tisch hinüber langte, einen flachen Kelch mit dem wie dunkler Rubin funkelnden Wein von Salerno nahm und mit eben so schleppender Bewegung zum Munde führte. Die vollen Lippen saugten dann langsam den feurigen Nektar, die Augenlider erhoben sich einen Augenblick, und es lag etwas von
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unbeschreiblich wollüstigem Wohlbehagen in dieser Art des Genusses. Auf einem Holzschemel neben der schönen Carlotta saß ein kleiner schmächtiger Genie-Offizier mit kahlem Schädel und überaus lüsternem Blick, der die andere weiche Hand der Jüdin nicht aus der seinen ließ und von Zeit zu Zeit sie an seine etwas welken Lippen drückte.
Diesen Beiden gegenüber am Tisch und sie oft mit verächtlichem Blick streifend, saß mit einem silbernen Messer spielend die Spanierin Giuliana, jenes schöne gebieterische Weib mit hochgeschwungenen dunklen Brauen, die einer gebornen Fürstin glich und deren Sünde und Verderben die Hoffart gewesen war. Ein Mann im Anfang der Dreißiger von etwas blassem geistvollem Gesicht mit mächtiger Stirn, in einen einfachen polnischen Schnürrock gekleidet, saß neben ihr und richtete seine von lebhaften Bewegungen begleitete Rede bald an sie, bald an einen blonden Herrn in einem weitem ge[l]blichen Surtout, dessen süffisante pflegmatische Miene und feiner vornehmer Teint den Sohn Albions bekundeten.
Zwischen dieser Gruppe und der Gesellschaft der Spieler bewegte sich die bereits erwähnte junge Frau mit der spöttischen Miene und den graciösen Formen hin und her, indem sie zuweilen mit einem Mann in der etwas leichtfertig und mit einer gewissen Eleganz getragenen dunklen Kleidung eines jener Abbate's oder Hausgeistlichen einige Worte sprach, deren Typus man vor der letzten Revolution zahlreich in allen Straßen von Neapel sehen konnte, welche die öffentliche Gesellschaft und die Familienkreise bis
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zum Unerträglichen beherrschten, und die mit dem Einzug der Garibaldiner fast spurlos verschwunden waren.
Der Abbate trug aber keineswegs das Gepräge eines hochmüthigen oder ascetischen Geistlichen, er hatte vielmehr ganz das Aussehen eines gemüthlichen Lebemannes mit rundem frischem Gesicht und jovialen Manieren. Die Augen blinzelten sehr behaglich und nachsichtig durch die goldene Brille auf die so wenig der Gesellschaft eines Klerikers würdige Scene um ihn her, und er verschmähte weder das Weinglas, noch die Theilnahme an den oft sehr lasciven Scherzen mit den Frauen, die mit ihm auf sehr cordialem Fuß zu stehen schienen; denn häufig kam eine oder die andere, lehnte sich vertraulich über seine Schulter oder setzte sich wohl gar auf seinen Schoos.
Nur ein sehr scharfer Beobachter hätte bemerken können, daß trotz dieser Vertraulichkeit die meisten dieser koketten und frivolen Frauen eine gewisse geheime Furcht vor ihm zu haben schienen und daß sein Blick hinter der Brille sie gleichsam beherrschte.
Die Hauptgruppe der Gesellschaft befand sich in der Nähe des Abbé am andern Ende des Tisches.
Auf der Ecke desselben, in jener beliebten Stellung, in welcher sich die pariser Loretten im Debardeur-Kostüm photographiren zu lassen lieben - das rechte Bein über das linke Knie gehoben und die feine Fußspitze in der Hand, - saß eine junge etwa vierundzwanzigjährige Frau, von mittelgroßer schlanker Gestalt, unruhig in den vollen Hüften hin und her wiegend. Das bei ihrem ersten Auftreten in unserem Buch blasse und abgemagerte Gesicht
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mit den kussigen Lippen und der kecken leicht gebogenen Nase hatte seit den wenigen Wochen wieder die Rundung und die Farbe des üppig pulsirenden Lebens angenommen, und die dunklen übermüthigen Augen funkelten so herausfordernd, so trotzig und übermüthig, daß das ganze Aeußere im grellsten Widerspruch zu dem Kostüm stand, das ihre tolle Laune oder irgend eine Erinnerung gewählt hatte, - einem vollständigen Nonnenhabit. Die Kleidung war vielleicht nicht ohne Bedacht und Koketterie gewählt, denn obschon die Kapuze halb zurückgeschlagen war, verbarg die Stirnbinde doch den Umstand, daß ihr Haar ziemlich kurz abgeschoren war. Die vollen rothen Lippen hielten eine Cigarre, deren Dampf sich nur unterbrach, wenn die Hand einen Champagnerkelch hob, oder um irgend einen frivolen Scherz oder ein tolles Lied zu sprudeln.
Zu ihren Füßen am Boden lag, den müden trunknen Kopf an die Arme gedrückt, eine passirte Frau mit sehr verlebten Zügen und gesucht romantischem Kostüm, deren Lebensgeister bereits der Champagner überwältigt hatte. Vier Männer saßen um die Schöne her - der Graf Sismondi, dem wir zuerst in der Osteria von Balzorano begegneten, - sein Vetter der kommandirende Offizier der Batterie, die man draußen eben vollendete, und zwei Offiziere, der eine in der Marine-Uniform der neapolitanischen Flotte, der andere ältere in der Uniform der früheren Garden des so treulos verrathenen Königs.
Die Unterhaltung, die Witzworte und frechen Scherze, die Lieder und der Lärmen flogen von einer Gruppe zur andern über die ganze Breite des Raumes hin.
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»Major - schicken Sie Champagner herunter - dem Duca wird schwach!« klang die Stimme des dicken Kapitains, der die Bank hielt, vom andern Ende des Tisches. - Cospetto - diese Herren denken Spieler zu sein und lassen den Bankier einschlafen. - Vorwärts Cavalieri - ich wette das Glück wendet sich!«
»Hat der Duca wieder verloren?«
»Lumpige fünfhundert Ducati auf Ehrenwort. Seiner Tante gehört der halbe Vesuv!«
Der junge Mann in Civil bei der Spielergruppe stieß einen wilden Fluch aus und krallte mit der Hand durch das krause schwarze Haar.
»Der alte Satan enterbt mich - wenn sie wieder Schulden für mich bezahlen soll! ich darf die fünfhundert nicht sitzen lassen! Va banque Signor Capitano!«
Die übermüthige Nonne am andern Ende des Tisches warf ihre Cigarre fort, ergriff die neben ihr stehende Champagnerflasche und setzte ihren Fuß auf das Knie des Garde-Offiziers.
»Mit Erlaubniß!«
»Sind Sie toll Theresella!« Der Graf versuchte sie aufzuhalten, aber sie war schon über ihn weggesprungen und hüpfte zu den Spielern.
Der Abbate hielt sie einen Augenblick fest. »Will unsere heilige Magdalena vor der Buße dem Laster des Spiels fröhnen? Ich bin zwar nur ein armer Diener der Kirche, aber mein schmaler Geldbeutel steht zu Diensten.«
Der leise Druck seiner weißen fleischigen Hand hatte die Uebermüthige gebannt.
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»So geben Sie heiliger Vater - wenn Sie Cardinal sind erstatte ich es Ihnen wieder! Pfui wie pauvre!« und sie warf die allerdings ziemlich leichte Börse in die Luft und beugte sich fangend zu dem Abbaten nieder. »Was befehlen Sie?«
»Hetzen Sie sie aneinander!«
»Welche?«
Ein böser Blick des Geistlichen mit der jovialen Miene flog über den ganzen Kreis. »Je mehr desto besser!«
»Uenn die Signora mir erweisen will die Ehre, zu spielen mit meinem Geld,« sagte der Engländer von gegenüber, »so uerden ich sein sehr erfreut!«
Er zog langsam sein Portefeuille und öffnete es.
Die kleine blasse Frau mit den schwarzen Augen bei der Spielergruppe hatte sich mit gierigem Blick erhoben. »Soll ich für Sie setzen, Mylord?«
»No! No! - die Kleine da, ueil sie kann sein so lustik! Da sein ein Chek von hundert Pounds!«
Die schöne Spanierin, die noch so eben mit dem angehenden Diplomaten gesprochen hatte, drehte ihm unwillig den Rücken. »Erzählen Sie mir weiter Herr Kapitain,« sagte sie herrisch zu dem Mann im Schnürrock. »Dieser Engländer handelt mit Geld, nicht mit Blut - und Ihr Vaterland braucht Männer, die das letztere opfern. Sie müssen einen Führer haben, einen hohen glänzenden Namen an der Spitze!«
»Wir haben ihn, Señora!«
»Einen Prinzen von Geblüt?«
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»Besseres Señora!«
»Also einen König? O man hat mir gesagt, daß es in Ihrem kalten Norden - in Deutschland - viele Könige giebt, wenn auch ihr Land kein solches ist, in dem die Sonne nicht untergeht!«
»Die Sonne, die über Polen aufgehen soll, Señora wird nie wieder untergehen! Sie leuchtet gewaltiger als der Purper der Könige!«
»Es giebt nichts Glänzenderes als eine Krone!«
»Gewiß Señora - die Sonne der Freiheit!«
Die stolze Schöne lächelte verächtlich. »Sie sind ein Republikaner, Kapitain und die Republikaner sind Schwärmer. Nur in der Liebe gestatte ich Schwärmerei nicht in der Politik.«
Die schöne Carlotta hatte die Augen geöffnet als der Engländer die Banknote über den Tisch herreichte.
»Sagen Sie dem Herrn, Baron,« sprach sie schläfrig zu ihrem Nachbar, »daß ich ihm eine Cavatine für ein ein gleiches Honorar singen will!«
Der kleine ältliche Generalstabsoffizier gerieth bei dieser Offerte ganz in Extase und klatschte in die Hände. »Brava, Brava Signora! - Hören Sie es Mylord und Sie meine Herren - die göttliche Carlotta, gegen die die Grisi eine Amsel ist, will uns eine Cavatine zum Besten geben!«
»Ja,« sagte die Sängerin - »aber nur gegen Honorar! ich singe nie umsonst.«
»Vielleicht thun Sie es diesmal mir zu Gefallen,« bemerkte ruhig der Abbate.
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»Oh gewiß Signor!« und sie richtete sich langsam in dem Stuhl empor.
»Warten Sie noch einen Augenblick.«
Mademoisella Theresa hatte sich den Chek bei dem dicken Kapitain, der die Bank hielt und der eben mit dem Zählen des Inhalts derselben beschäftigt war, gewechselt. Die meisten Anwesenden, durch die Herausforderung des jungen Duca aufmerksam gemacht, drängten sich um den Tisch.
Graf Sismondi hatte sich erhoben um Theresa zu folgen. »Sie wird noch dumme Streiche machen, sie ist ein wahrer Teufel, wenn es ihr beliebt zu rumoren« sagte er zu seinem Vetter, »und ich kann sie nicht einmal überwachen, denn ich muß fort sobald Deine Leute fertig sind.«
Der Major sah nach der Thür. »Ich habe Lieutenant Rosate geschickt um nachzusehen. Dein Pferd steht mit der Ordonnanz hinter der alten Klosterkirche. Aber warum solltest Du nicht bleiben? Der General erhält morgen Deine Meldung zeitig genug, und wir sind längst fertig mit Allem, ehe der Befehl zum Beginn des Feuers eintrifft.«
Der Oberstlieutenant sah ihn bedeutsam an. »Nimm Dich in Acht Rafaël,« sagte er ernst. »Ich darf nicht mehr sagen, aber - Ihr könntet unerwartet strengen Besuch bekommen.«
»Cialdini selber? Er liebt es doch sonst nicht, zeitig zu Pferde zu sein!«
»Dienstgeheimniß! - jedenfalls muß ich die Meldung noch diese Nacht machen und Dir die Sorge über das tolle
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Ding überlassen, bis sich morgen Gelegenheit findet, sie wieder nach Mola zu schaffen.«
»Wo zum Teufel hast Du die Dirne aufgetrieben? Sie scheint voll Lust, Unheil zu stiften.«
»Leider nur zu viel. Der brave Rocca ist ihretwegen flügellahm geschossen worden. Ich erzähle Dir ein ander Mal, wo ich sie fand. In einem Kloster - obschon sie mit der Sprache nicht recht heraus will. Und jetzt trägt sie das Nonnenhabit zum Trotz und Scandal. - Die Sache hängt mit der unangenehmen Geschichte mit General Pinelli zusammen.«
»Cospetto - für ein Avancement möchte ich schon einen Streit mit dem Bluthund riskiren.«
Der Oberstlieutenant sah finster vor sich hin. »Glaube mir, Rafaël, ich wollte gern zwei Grade verlieren, wenn ich das was jenem Streit folgte, ungeschehen machen könnte. Ein wackerer Kamerad, wenn auch ein Fremder, wurde darüber zum Mörder, und ein hochherziges Mädchen, das - obschon unsere Feindin, - hundert Mal mehr werth war, als die ganze Weibergesellschaft hier, das Opfer einer schändlichen Brutalität. Dieser Kerl ist eine Schande für die sardinische Armee und verdient seinen blutigen Ruf mehr als Chiavone oder Tonelletto!«
»Du mußt mir die Geschichte ein Mal erzählen! Aber da kommt Lieutenant Rosate.«
Der junge Offizier trat in dienstlicher Haltung zu seinem Vorgesetzten.
»Die Geschütze Nummer Fünf und Sechs sind
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gebettet, Sieben und Acht werden eben gehoben. In einer halben Stunde ist die Arbeit beendet.«
»Haben Sie sich überzeugt, daß die Munition gut untergebracht ist?«
»Alles besorgt - es ist ein Hundewetter draußen!«
»Das sehe ich an Ihrem Mantel,« sagte lachend der Major. »So bald die letzte Kanone steht, sollen die Leute nach dem Kirchenraum und auch ihr Theil haben. Sorgen Sie dafür - und jetzt für sich selbst.«
»Wenn der Herr Major es gestatten - ich habe einen Beitrag zur Gesellschaft mitgebracht.«
»Wie so - doch keine Schöne? wir haben deren genug.«
»Einen Flötenbläser hier aus den Bergen, er kann einige lustige Tänze blasen.«
Der ältere Offizier lachte. »Per Baccho, Lieutenant, Sie wollen am Ende noch einen Ball arrangiren! Meinetwegen, wenn ich nur verschont bleibe! - Wo ist der Kerl?«
»An der Thür. Darf ich ihn eintreten lassen?«
Ein prachtvoller Triller, der wie Lerchenflug in die Luft stieg, unterbrach die Antwort. Er jubelte durch den wüsten Raum und wandelte sich dann zur lang getragenen Cadenz, aus der wunderbar schön und rein die ersten Töne der herrlichen Arie emporstiegen, mit der Norma die keusche Göttin grüßt. - -
Die Frau, welche ihre Aufmerksamkeit zwischen der Spielergruppe und der Gesellschaft der Sängerin getheilt, hatte sich dieser und dem Mann im Schnürrock genähert.
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Sie hatte die letzten Worte, die Apologie an die Freiheit gehört.
»Sie haben Recht, Kapitain - Polen braucht zu seinem Kampf keinen Fürsten und Aristokraten. Was sollen uns die Czartoriski's und Radziwil's, die in Paris intriguiren oder in Berlin schlafen! Das Volk will Männer wie Sie und Miroslowski!«
Der Pole zuckte ungeduldig die Achseln. »General Miroslowski« sagte er, »ist bei aller Achtung vor seinem Muth und seinen Talenten, doch nur ein Werkzeug der Aristokratie. - Wir wollen unsere Sache rein halten! - Nur die Liebe zum heiligen Vaterlande, nicht ehrgeizige Pläne und Absichten sollen uns das Schwert in die Hand drücken.«
»Und ein solcher Mann sind Sie, Michael Langiewicz,« sagte die Frau in polnischer Sprache. »Aber moj Boze, warum sind Sie hier, Kapitain, statt in Warschau? - Diese Italiener werden untereinander fertig, ohne daß es der polnischen Legion bedarf. Das Vaterland ruft seine Söhne und es fehlt in diesem Lande nicht an Polen, die auf den Ruf bereit sein sollten!«
»Was wissen Sie davon!« sagte er halb verächtlich.
»Was ich davon weiß? Ich will Ihnen sagen, daß 14 unserer Freunde allein in Bardoneche, Doktor Borzobohaly in Brescia, 5 in Florenz, Skultecki und Fabjoni in Genua, 9 in Rom, 39 in Turin des Aufrufs warten. So geben Sie ihn, geben Sie das Beispiel!«
»Es ist noch nicht an der Zeit!«
»Moj niebiskiojcze!18 es wäre noch nicht an der Zeit? Dann täuscht man Sie von Paris her. Meine Nachrichten
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von Warschau lauten anders. Ich sage Ihnen, schon der nächste Monat wird nicht ohne Blut vorübergehen. Es wird freilich vielleicht polnisches Blut sein, das von unsern Henkern vergossen wird, aber das Opfer wird seine Früchte tragen und aus Schwankenden und Zögernden Männer machen!«
»Aber wer sind Sie selbst? Seit den zwei Wochen, die ich im Lager von Mola bin, drängen Sie sich an mich und ich kenne Sie nur unter dem Namen Matilda, einem Namen, den ich nie als den einer unserer Patriotinnen weder in den Listen des Centralkomité's noch in denen der freien Patrioten gesehen habe.«
»Ich könnte Ihnen einen andern Namen nennen, der Ihre Zweifel beruhigen würde - aber noch ist es nicht Zeit. Sagen Sie selbst, haben meine Nachrichten und Winke Sie je getäuscht?«
»Nein - ich muß es gestehen. Dennoch ...«
»Wohlan - so sage ich Ihnen, daß am Jahrestag der Schlacht von Grochow19 das polnische Volk in Warschau, unsere Priester voran - eine Demonstration für die Wiederherstellung seiner Nationalität machen wird. Was weiter kommt - steht bei Gott und den Heiligen. Aber Männer wie Sie und Ihre Freunde sollten in solchem Augenblick nicht fehlen!«
»Sie wollen also?«
»Daß alle Polen Italien verlassen und ihre Hand nicht länger einem Kampfe zur Unterdrückung der heiligen
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Kirche leihen, welche auch die unsere ist. Denn darum, nicht um den Königsthron von Neapel handelt es sich!«
Ihr Blick streifte bei diesen Worten flüchtig hinüber zu dem Abbate. Ein leichtes Zucken der Augenlider zeigte ihr, daß sie gehört worden.
Der Kapitain, der künftige Dictator Polens, schwieg nachdenkend.
Die Spanierin Giuliana hatte, als die Polin ihr eigenes Gespräch ziemlich rücksichtslos unterbrach, ihre Aufmerksamkeit wieder dem englischen Diplomaten zugewendet, der mit seinem Lorgnon die Pariserin verfolgte.
Die schöne Theresa flüsterte einige Augenblicke mit der Frau, deren Schlangenaugen so gierig den Spieltisch bewachten und die sich vergeblich dem Briten zur Partnerin angeboten hatte.
Ein Hand voll Goldstücke glitt in die der Spielerin.
»Sie sagten vorher Sir William,« bemerkte die Spanierin, »daß der Bruder des Grafen Montemolin, der Prinz Fernando in Triest erkrankt ist?«
»Yes, Mylady, so lauten unsere Nachrichten.«
»Und der Graf Montemolin mit seiner Gemahlin befindet sich jetzt gleichfalls in Triest?«
»Yes, Yes! Aber diese tolle Miß ist allerliebst.«
»Der dritte Sohn des Don Carlos, der sich unberechtigt, wie die Königin Isabella, König von Spanien nannte, ist noch immer in London?«
»Yes - uenn er in diesem Augenblick nicht in Biscaya ist, um einen Aufstand anzuzetteln! - Diese Spanier,
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Ihre Landsleule[Landsleute], Mylady, halten nicht einen Augenblick Ruhe!«
»Die Ruhe würde nicht gestört sein, wenn fremde Staaten nicht sich einmischten - vor Allem Ihr Kabinet. Warum hat England so perfid die Intriguen der Königin Christine unterstützt, während man doch wußte, daß ein rechtmäßiger Erbe vorhanden war!«
»Ah, Miß - Sie sind eine kleine Karlistin!«
»Verdammniß über ihn, der die öffentliche Meinung gefälscht und von dem rechten Wege abgeleitet hat. Der Earl von Russel, Ihr Namensvetter, würde Ihnen sagen können, wenn er sprechen wollte, daß ein näherer Erbe als der Prätendent Don Carlos vorhanden war.«
Der junge Diplomat ließ den Kneifer fallen und wendete sich erstaunt zu der Dame. »Wie, Miß - was meinen Sie damit? Ich habe allerdings von einer dunklen Geschichte sprechen hören, indeß Sie sind zu jung dazu, um davon zu wissen.«
»Sollte eine Tochter die Rechte ihrer Mutter nicht kennen?«
»Ihrer Mutter?«
»Ja, Sir. Oder kennen Sie in der That so wenig die Genealogie des Hofes von Madrid und die Heirathen des König Ferdinand III. von Spanien?«
»Das ist für die politischen Beurtheilungen ein zu interessanter Punkt Señora, als daß ich Ihnen dieselben nicht sollte an den Fingern herzählen können.«
»Ich bitte darum.«
»Very well. Seine Majestät der König Ferdinand,
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geboren 1784, vermählte sich vier Mal und zwar zuerst im Jahre 1801, also mit 17 Jahren, mit der Prinzessin Antoinette Therese von Sizilien, die aber bereits in Folge der ihr von dem Herzog von Alcudia und der Königlichen Familie angethanenen Kränkungen schon am 21. Mai 1806 starb.«
»Richtig! die Ehe blieb ohne Kinder.«
»Zum zweiten Mal wollte sich der König, damals noch Infant, in Folge der Zwistigkeiten mit seinem Vater, dem König Karl IV., mit der Prinzessin Lucian Bonaparte vermählen. Durch seine Verhaftung im Escurial am 28. Oktober 1807 wurde dies verhindert und die Sache gab dem ersten Napoleon Gelegenheit zur Einmischung in die spanischen Angelegenheiten, als die Revolution von Aranjuez den König Karl zwang, der Krone zu Gunsten seines Sohnes zu entsagen.«
»Euer Herrlichkeit sprechen wie ein Buch,« bemerkte die Spanierin mit Hohn.
»Aus der Heirath mit der Tochter des Prinzen Lucian wurde Nichts. Erst nachdem Napoleon den jungen König seinerseits zur Thronentsagung gezwungen und ihn auf dem Schloß Valencay des Herrn von Talleyrand bis zum März 1814 festgehalten hatte, vermählte er sich zum zweitenmal im Jahre 1816 mit der Prinzessin Maria Isabella von Portugal.«
»Was Sie sagen, Sir! also die Portugiesin war seine zweite Frau! Wiederum ohne Kinder!«
»Sie starb schon nach zwei Jahren. Auch die dritte Gemahlin des Königs, die Prinzessin Josephe von Sachsen,
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starb nach zehnjähriger Ehe, im Jahre 1829, und der König vermählte sich dann nach wenig Monaten zum vierten Mal und zwar mit der Prinzessin Marie Christine von Sizilien, der Mutter der Königin Isabella und der Frau Herzogin von Montpensier.«
Die Señora lachte. »So steht's wahrscheinlich im Almanaque diplomatique! Aber ich wiederhole Ihnen, Ihre Rechnung ist falsch, und der edle Graf, Ihr Namensvetter wird Ihnen wahrscheinlich sagen können, daß der König Ferdinand fünf Frauen gehabt hat.«
»Vielleicht eine tendre liaison, die Folgen gehabt hat.«
»Nein Sir, eine rechtmäßige Ehe und zwar mit einer Dame, deren Familie, wenn sie auch keine Krone trug, er sich wahrhaftig nicht zu schämen brauchte.«
»Und wann sollte dies geschehen sein?«
»Im Jahre 1812 - als Napoleon in Rußland war, und König Ferdinand mit seinem Bruder dem Infanten Don Carlos, seinem Oheim Don Antonio, dem Domherrn Escoiquiz und dem Herzog von San Carlos in Navarra in Gefangenschaft lebte.«
»Aber die Ehe wurde nicht anerkannt - sie blieb unbekannt und hatte keine Folgen.«
»Sie gab einer Tochter das Leben - meiner Mutter! - Die Ehe war kirchlich geschlossen und legal, aber als Napoleon aus Rußland zurückkehrte und die Sache erfuhr, zwang er den König zu einer Trennung und fügte dem Vertrag vom 11. December die geheime Bedingung der Annullirung dieser Ehe aus nichtigen Gründen bei. König
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Ferdinand war schwach genug, darein zu willigen und die Geistlichkeit sorgte dafür, daß er es nicht widerrief.«
»Ihre Erzählung ist seltsam, Señora,« sagte der Diplomat mit einer größeren Höflichkeit, als er bisher der Spanierin bezeigt hatte. »Ich gestehe, daß ich wohl gehört hatte, König Ferdinand habe sich die Zeit seiner Gefangenschaft auf französischem Boden nicht allzulang werden lassen, aber ich habe nie Näheres, - am Wenigsten von einer wirklichen Ehe gehört. War die Frau - nach Ihrer Bemerkung von vorhin und Ihren Jahren zu schließen, Ihre Großmutter, - eine Französin?«
»Sie war von spanischem Blut - eine Tante des General Prim, Grafen von Reuß!«
Der Diplomat pfiff durch die Lippen. »By Jove - das ist eine kleine Erläuterung! - Sie sagten, Señora, daß aus dieser Ehe eine Tochter geboren wurde?«
»Im Jahre 1813 - meine Mutter!«
»Und was wurde aus dieser?«
»Sie ist nach dem bald nach der gewaltsamen Scheidung erfolgten Tode meiner Großmutter - wenigstens soll diese damals gestorben sein und ihre Familie hat nach der Rückkehr des Königs nach Madrid und während der Herrschaft der Camarilla Nichts wieder von ihr gehört, - auf Sorge des Vaters des jetzigen General Prim in Frankreich erzogen worden. Dort lernte sie einer Ihrer Landsleute kennen, entführte sie von dem Ort, an dem man sie verborgen hielt und heirathete sie. Sie ist meine Mutter geworden und lebte also zur Zeit, als König Ferdinand 1839 das salische Gesetz durch die pragmatische Sanction änderte und
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die Thronfolge auf die Töchter übergehen ließ. Wenn er das durfte, so mußte die Krone auf seine älteste Tochter übergehen, also auf meine Mutter, nicht auf die Infantin Isabella, die volle 17 Jahre jünger ist.«
»So lebt Ihre Mutter noch?«
»Quien sabe! - es geschehen viele Dinge in Spanien! Man hat mir gesagt, daß sie todt sei, wie meine Großmutter!«
»Und Ihr Vater?«
»Bah - der Rausch der Liebe war bald verflogen, meine Mutter hat sich bald von ihm getrennt oder er sie verlassen. Ich habe ihn nie gekannt. Der edle Viscount soll ein Excentric gewesen sein. Vielleicht daß er von meinem Dasein gar Nichts wußte, denn ich wurde erst nach seiner Trennung von meiner Mutter geboren und sie haßte ihn.«
»So kennen Sie auch seinen Namen nicht?«
»Doch!«
»Ist es erlaubt, danach zu fragen?«
Ein Räuspern des Abbate unterbrach das in englischer Sprache geführte Gespräch.
Die Señora Giuliana warf einen Blick hinüber und ihre stolze Stirn zog eine unwillige trotzige Falte.
»Ich werde Ihnen denselben später nennen, wenn Sie sich wirklich dafür interessiren sollten!«
»Es ist eine seltsame Sache die Sie mir erzählt haben, Señora,« - meinte der Diplomat. »Aber selbst wenn Sie für alle diese Angaben Beweise haben ...«
»Ich hatte sie!«
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»Und sie existiren nicht mehr?«
»Sie existiren!«
»Wo?«
Die Spanierin warf einen raschen Blick hinüber nach dem Abbate. Dieser schien mit dem Gespräch der beiden Polen beschäftigt, und hatte sich eben zu der Sängerin gewendet.
»Im Besitz der heiligen Kirche,« sagte sie leise aber mit Ingrimm. »Diese kennt meine Rechte eben so gut wie die Usurpatorin Isabella selbst und wie sie der Prätendent Don Carlos kannte. Sie benutzt sie, um Beide in Schach zu halten, von Beiden Zusagen zu erpressen. Aber, so wahr königliches Blut in meinen Adern ist ...«
Die letzten Worte waren so laut gesprochen, daß der Abbate rasch sich gegen sie kehrte und den Zeigefinger der linken Hand erhob.
Der Diplomat hatte den Wink entweder nicht gesehen, oder er that wenigstens so, und wollte seine Fragen fortsetzen.
In diesem Augenblick war es, wo die Triller der Signora Carlotta emporwirbelten! - - -
Die ehemalige Primadonna des Alcazar hatte, wie wir bereits erwähnt, ihren Chek mit gebührenden oder vielmehr sehr ungebührlichen Abzugsprozenten bei dem großen Garibaldiner mit dem weißen Bart gewechselt, der so merkwürdig im Glück gegen die Bank geblieben war.
Der Kapitain, der diese bisher gehalten hatte, war soeben mit dem Zählen der Kasse fertig geworden. »Wie Sie sehen, Altezza, beträgt die Kasse, Papier und Gold
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zusammen gerechnet, ungefähr 300 Doppelpistolen oder zweitausend siebenhundert und vierzig Ducati's.«
»Ich halte sie!«
»Dann bitte ich den Betrag zu deponiren!«
Der junge Mann wurde noch bleicher als zuvor. »Sie können leicht denken, Kapitain Ruspoli, daß ich diese Summe nicht bei mir führe. Ich habe den ganzen Inhalt meiner Börse bereits an Sie verloren.«
Die Stirn des dicken Artillerie-Kapitains röthetee sich. »Was wollen Sie damit sagen, Signor Principe?«
»Nichts was Sie beleidigen kann. Ich wollte nur erklären, warum meine Börse leer ist,« stammelte der junge Verschwender. »Aber ich denke, ich bin bekannt genug und Jedermann weiß, daß ich der Erbe der Bracciani's bin, und daß meinem Vater das halbe Palma gehört! - Hier dieser Ring ist mindestens seine tausend Pistolen werth!«
»Ach der prächtige Stein! wie dieser Rubin zwischen den großen Diamanten funkelt!« rief mit gierigen Blicken die Spielerin mit den schwarzen Augen, indem sie danach langte.
Der Garibaldiner schlug sie auf die Finger. »Laß das Ding liegen, Hexe, das ist zu kostbar für Dich!«
»Nun Signor, ich warte!« sagte vornehm der Nobile.
»Signor Principe, ich bin kein Wechsler vom Rialto oder aus dem römischen Judenviertel, der auf Pfänder leiht!«
Die Züge des jungen Verschwenders übergossen sich mit Gluth und er ballte ingrimmig die Faust. Es war
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bekannt genug, daß seine Familie aus dem römischen Ghetto stammte und erst vor zwei Generationen durch den stets des Goldes bedürftigen König Murat in den Adelstand erhoben worden war und bei der Restauration mit einer Anleihe den Fürstentitel erkauft hatte, obschon seine Mutter und Großmutter dem besten Blute von Neapel gehörten.
Der Garibaldiner legte sich eilig in's Mittel. »Ich werde Ihnen das Geld mit Vergnügen auf den Ring leihen, Duca!«
»Tausend Dank. Ich versichre Sie auf Ehrenwort, daß die Juweliere der Chiaga den Ring auf mindestens tausend bis zwölfhundert Pistolen geschätzt haben. Der Principe, mein Vater, wird ihn mit Vergnügen dafür einlösen!«
Der Dalmatiner hatte den Ring genommen und ließ das Feuer der prächtigen Steine im Licht der Kerzen spielen. »Hier ist das Geld Duca, ich wünsche, daß es Ihnen Glück bringen möge!« Er zählte das Gold ab und vervollständigte die Summe durch einige Scheine der Bank von Neapel, die er aus seiner wohlgefüllten Brieftasche nahm, worauf er den Ring an den kleinen Finger seiner linken Hand steckte zum großen Neid der Dame.
»Nun, Signore?«
Dem Kapitain war offenbar die Taille sehr unangenehm, aber er konnte die Aufforderung nicht mehr zurückweisen. Doch erklärte er, daß er mit diesem Abzug die Bank schließen werde.
Die Aufmerksamkeit der Umstehenden war jetzt im
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höchsten Grade erregt. Der Hauptbetheiligte selbst fuhr sich wiederholt mit dem Tuch über die Stirn, auf der große Schweißtropfen perlten.
»Wünschen Sie frische Karten?«
»Nein - ich danke! - dem König!«
Der Abzug begann unter athemloser Stille. Sieben Karten fielen - dann der König zur Rechten!
»Gagné - perdu! - Ich bedauere Altezza, ich habe Sie gewarnt!«
»Victoria - halt Part Signor Capitano!«
Der dicke Kapitain zuckte die Achseln bei diesem Vorschlag der kleinen Frau mit den habsüchtigen Augen und steckte das Gold und die Banknoten ein.
»Baszom - ein unverschämtes Glück« murmelte der Garibaldiner, indem er die Diamanten des Ringes spielen ließ. »Aber soll denn unser Vergnügen schon zu Ende sein, während wir im besten Zug sind?«
»Ich spiele weiter!« rief mit fieberhafter Erregung der Nobile. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, seine Hand zitterte, als er den großen Kelch nahm, in den Theresella ihre Champagner-Flasche geleert hatte, und den sie ihm reichte.
»Muth, Signor! Nur dem Muthigen gehört der Sieg! Bah - der Teufel soll mich holen, wenn ich im Café anglais nicht ganz andere Summen habe verspielen sehen! Es ist Alles lumpig in diesem Neapel mit Ausnahme von Land und Meer! - Hören Sie, kleiner Don Juan, wie der Donner rollt? das bedeutet Glück beim Spiel!«
[Absatz] Der Artillerie-Kapitain war aufgestanden. »Wenn einer der
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Signori die Bank übernehmen will - ich bin gezwungen Wort zu halten!«
Der Garibaldiner, ein Ungar, war rasch zur Hand. »Wenn Sie erlauben, Herr Kamerad, der Teufel soll meine Mutter verführen, wenn ich sie nicht halte, so lange es unserer kleinen Altezza beliebt!«
Sie wechselten die Plätze.
Es wurden rasch einige Sätze gemacht und gewonnen und verloren - die Frau mit den gierigen Augen hatte zehn Goldstücke verloren und ihre spitze Nase wurde noch weißer und spitzer als sie schon gewesen war, ihre glänzenden prächtigen Rattenaugen klammerten sich förmlich an die großen aber sehr gewandten Finger des neuen Bankhalters.
»Corragio, Signori!«
Und die tolle Theresa kredenzte ihm wieder den Pokal, nachdem sie selbst einen vollen Zug gethan hatte.
Der junge Duca hatte sich aufgerafft. »Sie kennen den Werth des Ringes, Signor Bela! - ich nehme ihn zu tausend an! - Wollen wir um den Rest spielen?«
»In einem Satz, Altezza?«
»In einem Satz - entweder oder!«
»Istem terembete[teremtete] - es sei! ich will neue Karten nehmen - es lohnt der Mühe!«
Der neue Bankhalter holte aus der Brusttasche seiner rothen Blouse ein verschlossenes Spiel Karten, zeigte das Siegel umher und öffnete es.
Er ließ das Spiel drei Mal durch die Hand gleiten, um die Blätter zu lösen, dann warf er einen kurzen lauernden Blick auf seinen Gegner, mischte und ließ coupiren.
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Die Karten blieben auf dem Tisch liegen.
Alle Umstehenden waren in der höchsten Erregung, die kleine Spielerin holte zehn Goldstücke aus der Tasche.
»Welche Nummer besetzen Sie, schöner Duca?«
Der junge Mann stieß einen wilden grade nicht sehr anständigen Fluch aus. »Da mich der König im Stich gelassen hat, soll's der Bube sein, und der Teufel hole ihn, wenn er nicht mit mir ist!«
»Ich halte mit Ihnen auf den Buben! - Fünfzig Scudi!«
Der Ungar warf ihr einen bitterbösen Blick zu und murmelte Etwas zwischen den Zähnen. Dann nahm er mit absichtlicher Zurschautragung der größten Vorsicht und Genauigkeit das Spiel in die Linke und begann die Taille.
Der eine der beiden Bersaglieris und der Lanzier-Offizier hatten gleichfalls Karten besetzt.
Nach einigen Zügen kamen diese heraus. »Gagné! Bravo - wir sind im Glück! - vorwärts! vorwärts!«
Wie Basilisken hafteten die Augen der Frau an der Hand des Bankiers.
»Gagné - perdu! - gagné - perdu!«
Es war der Bube!
In diesem Augenblicke zitterten die Triller der Primadonna durch die athemlose Stille und die langgezogene Prächtige Cadenz füllte gleichsam den weiten Raum.
Aber sie wurde von einem gellen Aufschrei unterbrochen. »Betrug! Betrug! er hat falsch abgezogen!«
»Kanaille!«
Ein gewaltiger Faustschlag fiel in das Gesicht der
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Frau, daß das helle Blut aus Mund und Nase spritzte, aber sie hielt fest, mit dem Oberleib über den Tisch gebeugt, die Hände über die gezogenen Karten gepreßt, das Gesicht zähnefletschend ihm entgegen, während es wieder und wieder über die schmalen Lippen gellte:
»Betrüger! er hat falsch gespielt!«
Der Ungar griff in die Tasche seiner Beinkleider, im nächsten Augenblick funkelte ein spitzes Messer in seiner Faust.
»Die Hände weg Kanaille, oder ich nagle sie Dir auf den Tisch!«
»Wenn Sie ein Mann sind, Duca,« schrie die Cancansängerin, »so stehn Sie ihr bei. Martina hat Recht - die Taille ist falsch abgezogen - ich sah Ihren eigenen Ring blitzen bei der Volte!«
»Hure! Metze! Du wagst es ...«
Die Theresella schmiß ihm den Kelch in's Gesicht, den sie noch in der Hand hatte und sprang zurück. »Haltet ihn! Zu Hilfe, Graf!«
Ueber den Kopf Martina's hinweg funkelte der Stahl, als die Faust des Freischärlers einen raschen Stoß nach ihr that. Dem Tobenden fielen der Kapitain und einer der Jäger-Offiziere in den Arm.
»Es ist wahr - die Signora hat Recht - wenn kein Betrug so muß ein Irrthum vorliegen,« rief sich ermannend der junge Millionair. »Kapitain Béla möge zurücktreten und uns die Karten nachsehen lassen.«
»Den Teufel sollst Du, Hundssohn verfluchtiger!«
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»Laßt sie ihn nicht anrühren - er vertauscht sie!« rief die Sängerin.
»Dirne - hüte Dich!«
»Keine Beleidigung, Signor - die Dame steht unter meinem Schutz!« klang die strenge Stimme des Generalstabsoffiziers.
»Den Henker frage ich danach! Schande genug für Sie, Signor!«
Der Graf wandte sich an seinen Vetter. »Laß den Ausgang bewachen, Rafaël, die Sache muß sofort untersucht und der Schimpf geahndet werden. Treten Sie zurück, vom Tisch, Signor, wenn Sie sich als Mann von Ehre zeigen wollen.«
Der Artillerie-Major war nach dem Ausgang geeilt um einige seiner Leute zu rufen. Als er die Bretterthür öffnete sah er im Dunkel zwei Männer davor stehen - den Hirten, den Pfeifer, und einen Soldaten.
»Bleibt an der Thür! laßt Niemand heraus und herein!« Dann sprang er zurück, um Ruhe zu stiften.
Die Scene am Spieltisch drohte in ein Handgemenge auszuarten; die Offiziere stritten für und gegen und harte Worte fielen. Mit gewaltiger Anstrengung und aller Kraft rang der Ungar gegen die beiden Offiziere, die ihn festhielten; ein ruhiger Beobachter wie der Abbate würde bemerkt haben, daß dieses Ringen hauptsächlich bestrebt war, die Hände des blutig geschlagenen Weibes von den Karten zu stoßen und in der That war es einen Augenblick gelungen, ehe die Offiziere ihn zurückdrängten.
So wüthend er geschienen, so ruhig war er plötzlich
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geworden. »Die Hand weg von mir, Signori! Ich fordre Untersuchung! Ist das die Art, wie Sie Ihre Gäste und Kameraden behandeln?«
Es kommt darauf an, welcher Art sie sind!« sagte stolz der Graf. »Rafaëlo, übernimm Du die Feststellung der Sache!«
»Ich bitte darum, Signori! - das Weitere wird sich finden!«
»Er hat die Karten unter einander geworfen, er hat mich fortgestoßen!« kreischte die Spielerin. »Ich weiß es bestimmt, der Abzug war falsch!«
»Treten Sie zurück, Signora!«
Wie eine Wölfin, die von ihrer Beute vertrieben wird, zog die Signora Martina ihre Hände zurück. Das Mädchen, was mit ihr zwischen den Spielern gesessen, war bemüht, ihr das Blut vom Gesicht zu trocknen.
Die Primadonna hatte sich wieder in den Schaukelstuhl zurückgelegt, die Trägheit hatte über ihre Neugier und die verletzte Eitelkeit, ihren Gesang unterbrochen zu sehen, gesiegt. Der kleine ältliche Stabsoffizier, der ihr so eifrig den Hof machte, war bemüht, sie zu beruhigen. Mehr als seine Versicherungen trug wahrscheinlich das Benehmen des Abbate bei, der ruhig, mit einem leichten Zug des Hohns auf dem vollen behäbigen Gesicht der Scene der Verwirrung zusah, nachdem ein ernster Blick die Spanierin getroffen und sie mit einem leichten Wink von der Seite des Diplomaten fort und an die seine gerufen hatte.
Die beiden Polen, der Mann und die Frau, standen
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nebeneinander, während der Britte langsam auf einen Stuhl stieg und den Kneifer festrückte, um besser zu sehen.
Der Major - der am anderen Ende des Tisches sitzend und in der Unterhaltung mit seinem Vetter begriffen, anfangs nur wenig auf die Scene und den Streit geachtet hatte, - ließ sich von den Offizieren den Hergang erläutern.
»Sehen wir vor Allem die Karten nach, wir sind es der Ehre aller Betheiligten schuldig!«
»Martina hat Ihnen Ihren Ring gerettet, mein schöner Duca« flüsterte die Pariserin dem jungen Verschwender in's Ohr. »Was schenken Sie ihr dafür?«
»Ihnen selbst Signora den Ring - wenn ich ihn einlösen kann!«
»Ah bah - kleiner Schelm!«
Sie drehte sich auf dem Absatz herum - plötzlich blieb sie wie erstaunt oder erschrocken unbeweglich. Ihr Blick hatte zufällig den Soldaten gestreift, den Major Sismondi hereingerufen und der jetzt an der Thür Posten stand und aufmerksam den Streitenden zusah.
Die Blicke der Chanteuse blieben auf dem Manne haften und wurden immer aufmerksamer und erstaunter. Dann glitt sie gleich einer Katze hinter dem Lehnstuhl der Primadonna weg nach dem Eingang hin.
»Wie oft hatte die Bank abgezogen?«
»Vier - bei der fünften Taille fiel der Bube!«
»Nein, bei der sechsten!«
»Lassen Sie uns zählen. Hier sind fünf Blätter auf einander« sagte der Major, nachdem er die aus dem Rest
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des Spiels über den Tisch gestreuten Karten vorsichtig entfernt hatte. Und hier - sechs - die sechste ist der Bube!«
»Verzeihen Sie« bemerkte der Bersaglieri, der eben die sechs Abzüge behauptet hatte, »es sind sieben Karten - also zwölf!«
»Aber die siebente gehört nicht dazu« kreischte Martina - »der Schuft hat sie darauf geworfen, als er mich schlug und fortstieß!«
»Still Signora! Was ist Ihre Meinung, meine Herren?«
Es folgten einige Bemerkungen - die meisten schienen wohl der Meinung der Frau zu sein, aber der Legionair war als ein Raufbold und brutaler Mensch bekannt, und man wagte es nicht, den Verdacht offen auszusprechen.
»Meine Herren« sagte endlich der Major, »ich bin überzeugt, daß Kapitain Béla selbst darauf bestehen wird, daß die Taille nicht gelten darf, so sehr wir von der Ehrenhaftigkeit seines Spiels überzeugt sein dürfen; und wenn Sie meinen Rath annehmen wollen, so werden Sie den Satz überhaupt nicht erneuern. - Nehmen Sie Ihr Geld an sich, Signora. Wir verlangen nicht, daß Sie den Herrn Kapitain um Verzeihung bitten, da Sie bereits eine etwas - harte Strafe erlitten haben.«
Die Signora Martina wollte Einspruch erheben, aber ein strenger Blick des Offiziers wies sie zur Ruhe und sie begnügte sich, mit einem giftigen Seitenblick auf den
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Legionair ihre zehn Goldstücke wieder in die Tasche zu schieben.
Dieser hatte mit der Miene eines Bullenbeißers, dem man den Knochen entreißt, die Entscheidung angehört. Der kalte Ton des Stabsoffiziers und sein gemessenes Benehmen zeigten ihm deutlich dessen wahre Meinung, und sein brutales Gesicht blieb bis zu den kurzen schwarzen Haaren dunkel geröthet.
»Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, Signor Maggiore« sagte er finster, »und es ist abgemacht, daß ich nicht auf mein Recht bestehe oder weiterspiele. Aber einer oder der andere der Herren Kameraden wird ja wohl Pistolen zur Hand haben - sonst können wir unsere Revolver nehmen!«
»Wie so - was meinen Sie damit?«
»Baszom teremtete - Sie werden doch wohl nicht glauben, daß ich die mir angethanen Beleidigungen verschlucken soll?«
»Aber was in der Aufregung des Streites vielleicht gesagt worden, können Sie unmöglich der Art auffassen, um ihm blutige Folge zu geben. Ich habe Ihnen im Namen dieser Herren erklärt, daß Ihre Ehre gerechtfertigt ist.«
»Es ist mir gleichgültig, wie Sie und diese Herren denken« sagte brutal der Ungar. »Ich bin um ein Paar liederlicher Weibsbilder willen mehrfach beschimpft worden und ich verlange Genugthuung!«
»Aber - -[«]
»Wenn der Herr Freischaaren-Kapitain für seine
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Unverschämtheit gegen eine Frau noch eine Züchtigung wünscht« unterbrach der Generalstabsoffizier die Vermittelung seines Vetters, so wird er sie erhalten. Er weiß, wo ich zu treffen bin!«
»Seien Sie versichert, Signore, daß ich Sie zu finden wissen werde! Zunächst habe ich es mit dem hier zu thun!«
Er wies mit drohender Geberde auf den unglücklichen Spieler.
»Was wollen Sie von dem Duca?«
»Wenn dieser Duca aus der Münze nicht ein erbärmlicher Feigling ist, so wird er sich mit mir schlagen!«
Der junge Nobile wurde bald blaß wie der Tod, bald roth vor Zorn und Erregung. Er war in der That kein besonderer Held, das Gold seines Vaters hatte die Revolution in Neapel machen helfen und die Rothhemden in's Land gebracht, und dies hatte ihn in die soldatische Gesellschaft geführt. An einem andern Ort würde dasselbe Gold auch den Streit ausgeglichen haben, aber hier war die Beleidigung zu groß, als daß er sie nicht hätte aufnehmen müssen. Ueberdies kreuzte sich das heißere Blut seiner Mutter mit dem vorsichtigeren des Vaters in seinen Adern.
»Wenn Sie sich von mir beleidigt halten, werde ich Ihnen Genugthuung geben. Ihre Sekundanten werden mich zu finden wissen.«
»Und die nächste Nacht in den Kerkern von St. Elmo schlafen! Nein Bursche - ich will Dein Ghetto-Blut auf der Stelle haben. Hier - augenblicklich!«
»Das ist unmöglich - wir sind im Dienst!« erklärte
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der dicke Kapitain, der den Bankhalter gemacht und die Anleihe auf den gefährlichen Ring gewonnen hatte.
»Wenn der Dienst es gestattet, hier Bank zu halten« höhnte der Ungar, »muß er auch gestatten, eine Beschimpfung zu rächen. Dieser Bursche ist ein feiger Lump, wenn er sich weigert. Ich appellire an Ihre Ehre als Kavaliere!«
Die Offiziere traten zusammen und es folgte eine kurze Berathung zwischen ihnen.
»Wer hat den Herrn Kapitain eingeladen?« frug der Major. Der Bersaglieri-Offizier meldete sich zu der sehr zweifelhaften Ehre.
»So werden Sie dem Herrn als Zeugen dienen« - entschied der Chef der Batterie. »Kapitain Ruspoli wird dasselbe bei dem Signore Duchino thun. - Die unangenehme Sache ist nicht zu vermeiden und möge uns als Warnung dienen. - Entfernen Sie die Frauen, Signore Abbate!«
Die Spanierin hatte es gehört. »Ich fürchte solche Dinge nicht« erklärte sie bestimmt. »Um einen Pistolenschuß habe ich keine Lust, mich solchem Wetter auszusetzen. Ich bleibe!«
In der That verkündeten die rasch auf einander folgenden Donnerschläge und das Heulen des Sturms durch die schlecht verwahrten Fenster, daß das Unwetter seinen höchsten Grad erreicht hatte.
Man sah, daß der Bersagliere heftig auf seinen Mandanten einredete und dieser trotzig auf seinem Willen bestand.
Endlich wandte der Offizier sich zu der Gruppe seiner
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Kameraden. »Kapitain Béla« berichtete er, »besteht darauf, sich zur Stelle und zwar über die Tafel hinweg zu schießen. Ich habe drei Schritt Barrière für Jeden gefordert. Da keine Duellpistolen zur Hand sind, sollen Revolver gebraucht werden. Zwei Kugeln in jedem - die anderen werden entladen.«
Der Major zuckte die Achseln. »Es ist mit dem Menschen Nichts zu machen - er ist im Stande, uns Alle zu blamiren! Hol' Sie der Teufel, daß Sie ihn mitgebracht. Es ist am Besten, Sie verständigen sich mit Kapitain Ruspoli, und die Sache wird so rasch wie möglich abgethan. Im Grunde sind Revolverkugeln nicht allzu gefährlich. In keinem Fall darf der Herr sich des seinen bedienen!«
Das schien allerdings die Absicht des Raufbolds gewesen, denn er machte einige Einwürfe, als sein Sekundant ihm das Resultat der Besprechung mittheilte. Es wurde ihm jedoch sehr ernst bedeutet, daß er sich zu fügen habe und er stimmte endlich fluchend zu.
Zwei gewöhnliche Offizier-Revolver, beide mit sechsläufigen Kammern wurden jeder an verschiedenen Stellen von vier Schüssen entladen. Dann nahm sie der Kapitain mit einem Tuch verdeckt und bot sie den beiden Duellanten, die man drei Schritte von der Tafel aufstellte.
Der junge Börsen-Nobile hatte die Zähne fest zusammengebissen, er war bleich und erregt, benahm sich aber ziemlich gut. Die Sympathien der Offiziere waren offenbar auf seiner Seite und sein Sekundant gab ihm verschiedene Rathschläge.
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Wir haben einen Augenblick zu den Bewegungen der Chanteuse zurückzukehren.
Sie hatte den Soldaten an dem Eingang erreicht, der im Halbdunkel lag. Neben ihm stand der Ziegenhirt, der Flötenbläser.
»Es scheint, hier giebt es andere Musik als die meine,« flüsterte dieser. »Cospetto - ich hoffe, Kapitain Gauthier greift nicht eher an, als der Spaß hier zu Ende ist! Es wird mir Vergnügen machen, zu sehen, wie sich die Kirchenschänder untereinander abthun!«
Eine leichte Hand berührte die Schulter des Soldaten. »Graf von Saint Brie, wie kommen Sie hierher?«
Der Kavalier zuckte zusammen, - die Ueberraschung hatte ihn verrathen.
»Also wirklich - ich durfte mich auf meine Augen verlassen!«
»Still Mademoiselle - ich hoffe, Sie werden nicht zur Verrätherin an mir werden wollen!«
»Oh ventre saint gris, wie Sie zu sagen lieben, gewiß nicht! Aber ich muß wahrhaftig lachen, Sie in diesem Rock zu sehen!«
»Vorsicht, Theresa - unser Leben hängt an einem Faden! - Wenn Sie wüßten wer in Ihrer Nähe ist ...«
»Diavolo - machen wir uns fort Kamerad - man sieht hierher!«
Es war zu spät.
Ein Revolverschuß vermischte sich mit einem Ruf des Erstaunens. Der Legionair war mit langsamem festem Tritt, den Revolver halb gehoben, seinen Gegner scharf
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fixirend auf die Tafel zugetreten und der junge Nobile hatte von seinen Platz aus geschossen, die Kugel aber nur eine Flasche auf dem Tisch getroffen, die in hundert Stücke klirrte. Zugleich stieß Graf Sismondi jenen Ruf aus. Sein eifersüchtiges Auge hatte nach der Sängerin gesucht und sie verwundert im Gespräch mit dem Soldaten getroffen. Dabei war sein Blick auf den angeblichen Ziegenhirten gefallen.
Das Gesicht war ihm zu gut bekannt geworden, um es je vergessen zu können und er erkannte auf der Stelle den Träger wieder trotz seiner Verkleidung.
»Höll und Teufel! halten Sie ein Signori - hier ist Verrath! Ein Brigante unter uns! - Nehmt ihn fest!«
Er sprang auf den Tisch und darüber hinweg, ohne sich Zeit zu nehmen, nach seinem Säbel zu greifen.
Die Offiziere fuhren erstaunt auseinander. Der Kapitain wollte zwischen die Duellanten springen, aber auch hier war es zu spät - der Legionair hatte den Revolver erhoben und zielte mit rachsüchtiger Bosheit. Der erste Druck versagte, der zweite Schlag des Hahnes traf auf eine Patrone und der lüderliche Erbe der Bracciani ließ seine Waffe fallen.
»Gott im Himmel - ich bin getroffen!«
Es war, als ob der Schuß ein zehnfaches Echo geweckt. Während der Kapitain den Taumelnden auffing krachte es draußen wie eine Gewehrsalve und wildes Geschrei mischte sich mit dem Donner des Himmels, so daß die Offiziere einige Augenblicke in der That nicht wußten,
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was sie eigentlich hörten, Flintenschüsse oder die Schläge des Gewitters.
»Verrath! - haltet ihn fest! Es ist der Bandit Tonelletto - die Briganten haben uns überfallen!«
Der Bandit erwartete seinen Gegner festen Fußes. »Diesmal Signor Conte sollen Sie nicht entwischen! - Evviva il Re! Hierher Kameraden, wir fangen das ganze Nest!«
Der falsche Bersagliere hatte die Sängerin zurückgedrängt, die Büchse des erdolchten Soldaten lag in Anschlag ...
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Der Graf von Palikao.

Niemals wohl sind Kriege aus einer schändlicheren und schimpflicheren Ursache geführt worden, als diejenigen, welche das liberale, humane und hochherzige England gegen jene Nation auf der andern Seite des Erdballs, gegen die Chinesen begonnen und angezettelt hat, damit diese sich ohne Widerstand vergiften lasse!
In alter und neuer Zeit haben Kriege aus Eifersucht und Nationalhaß der Völker, aus Eroberungslust und Fanatismus stattgefunden. Dem »stolzen England« ist die Ehre geblieben, Menschenschlächtereien en gros für die Geldbeutel seiner Kaufleute zu veranstalten.
Niemals ist eine Politik hochtrabender und ruhmrediger - und niederträchtiger, gemeiner und selbstsüchtiger gewesen, als die englische, selbst seinen eigenen Kolonien gegenüber.
Die Engländer verloren Amerika, weil sie die Bewohner zwingen wollten, den verfälschten Thee der Londoner Kaufleute zu trinken! Sie bekämpften Holland, Spanien, bloß um ihnen den Welthandel zu stehlen.
Sie haben acht Jahre lang Krieg mit dem ersten
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Napoleon geführt, um den europäischen Markt in Baumwollenwaaren, in Kaffee und Zucker zu beherrschen.
Sie zettelten den Krimkrieg an - in dem sie eine so schmählich untergeordnete Rolle spielten, daß sie zur Restitution ihrer militairischen Ehre einen armen Negerfürsten am rothen Meer abschlachten mußten! - bloß um Rußland von der Handelsstraße nach Indien abzuhalten.
Ueberall in der englischen Geschichte und Politik: Hochmuth und Niedertracht, - Falschheit und Egoismus, - Neid und Mißgunst, - Königsmord und Zwietracht, - Schacher und Habsucht, - Machtgier und Hinterlist, - Stänkerei und Brutalität, - Unterdrückung Schwacher und Unterwühlung Starker.
Treulos in seiner Freundschaft, - krämerisch in seiner Neutralität, - stinkend in seinem Selbstlob - verdankt England es nur seiner Insellage, daß es so lange eine Rolle in der Welt spielen durfte. Aber das Weltgericht überbrückt die Meere und das stolze England ist im Begriff, trotz aller Tiraden seiner Parlamente zur Macht zweiten Ranges herabzusteigen, zum Auxiliar-Corps!
Seine Rolle ist ausgespielt, sein Einfluß nur noch in dem Dünkel seiner Botschafter und Gesandten.
Welche Regierung ist wohl die barbarische, welche die Trägerin christlicher Mission und Civilisation? Diejenige, welche die Einfuhr des entnervenden, geisttödtenden Mohngiftes verbietet, oder Diejenige, welche schamlos durch den Mund ihres Ministers20 erklärt:
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»Der Opiumhandel sei den englischen Kaufleuten unentbehrlich; die Chinesen sollten das Opium nur mäßig genießen, dann sei es ihnen unschädlich!«
Pfui der Schande!


Der Handel Englands mit China erstreckt sich hauptsächlich auf die Ausfuhr chinesischer Erzeugnisse, namentlich des Thees, und auf die Einfuhr von Baumwolle und Opium.
Dem Leser wird es vielleicht willkommen sein, Einiges über die Entstehung und Ausdehnung des letzteren schändlichen Handels zu hören.
Es giebt drei Arten von Opium: Palua, Benares und Malwa. Die beiden ersten werden aus Bengalen, die letztere aus Bombay verschifft, wohin das Opium aus dem Innern des Landes, wo die Produktionsorte liegen, gebracht wird. Großentheils ist der Anbau Privilegium der ostindischen Compagnie, also der englischen Regierung; für den unabhängigen Bau erhebt sie wenigstens bei dem Transport durch ihr Gebiet eine Abgabe von 187 Piaster (120 Thlr.!) für jede Kiste.
Die Zubereitung ist höchst einfach. Die unreifen Fruchtköpfe des Mohnes werden mit einem Messer geschlitzt, der Saft, welcher aus den Wunden herausquillt, wird einen Tag dem Trocknen überlassen, dann von der Fruchtkapsel losgelöst und, noch bevor er ganz getrocknet ist, zu Kugeln oder Kuchen zusammengedrückt, die dann mit dürren Mohnblättern umwickelt und in Kisten
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gepackt werden, von denen jede ein Pikul oder 133\frac13 Pfund aufnimmt. Die Waare ist nun zur Verschiffung fertig und wird an den Meistbietenden verkauft. Der Transport nach China geschieht auf eigens dazu erbauten schnellsegelnden Fahrzeugen mit starker Besatzung. Da das Opium als Einfuhr in China verboten war, wird es nie direkt in's Land geführt, sondern in gut erbaute und an passende Stellen liegende, wohlbewaffnete Magazin-Fahrzeuge (receiving-ships) abgeliefert, von wo es sodann durch die Chinesen selbst in's Land geschmuggelt wurde. Mit den Paket-Dampfboten wird jetzt eine große Menge direkt in's Land geführt. Bei dem Transport in's Land sind die Boote stark bewaffnet, um den Zollmandarinen Widerstand leisten zu können. In den fünfziger Jahren existirten nach amtlichen Quellen in Hongkong, Kumsingmun, Schanghai und anderen Orten nicht weniger als 26 solche Magazinschiffe mit einer Tragkraft von 9000 Tonnen, und es wurden jährlich ungefähr 60,000 Kisten ins Land gebracht, für welche der Preis durchschnittlich 450-600 Piaster (640 bis 860 Thlr.) betrug. Allerdings ein sehr schöner Gewinn für die Engländer - einige fünfzig Millionen Thaler! Gewannen doch bei der gewaltsamen Einfuhr durch den Krieg von 1853 die Theilhaber an einem englischen Hause allein jeder zwischen 4-800,000 £ (über 5 Millionen Thaler) an reinem Ueberschuß!
Das ehrenwerthe honorable Haus Jardine, Matheson & Comp. besaß allein zwei Siebentel der Magazinschiffe, Dent & Comp. ein anderes Siebentel!
Nachdem die englischen Waffen durch das Bombardement
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unbeschützter Städte und die Niedermetzelung von Tausenden von Menschen die Freiheit des Opiumhandels erzwungen haben, ist die Einfuhr natürlich noch gestiegen!
Während das türkische Opium - bei Weitem schwächer und schlechter - meist nur auf andere Weise genossen wird, besteht die Benutzung in China ausschließlich in dem weit gefährlicheren Rauchen.
Dies geschieht, indem von dem in zinnernen Dosen verwahrten Opium, das präparirt zähem Syrup gleicht, mit einer langen Nadel eine kleine Portion herausgeholt und um das feine Loch der Schaale gestrichen wird, welche den Kopf der Opiumpfeife bildet. Der Schaft derselben ist etwa einen Fuß lang. Der Pfeifenkopf wird gegen eine Lampenflamme gehalten, und der Rauch in tiefen Zügen eingesogen, gewöhnlich sogar niedergeschluckt.
Hören wir, was ein englischer Arzt, der sie mehrere Jahre in Penang beobachtete, über die Wirkungen des Rauchens sagt, das dies Gift mehr und unmittelbarer in die Blutmasse übergehen läßt:
»Hospitäler und Armenhäuser sind hauptsächlich mit Opiumrauchern angefüllt. In dem von mir vorgestandenen bestand die Zahl der Kranken zu fünf Siebentel aus solchen! Der zerstörende Einfluß des Rauchens auf die Organisation des Menschen zeigt sich deutlich durch Erschlaffung, Verfall aller Seelenkräfte, Abmagerung, gelblich blasse Hautfarbe, bläuliche Färbung der Lippen und Augenlider, verschleierten Blick und zerstörte oder unnatürlich gesteigerte Eßlust. Am Morgen haben die unglücklichen Wesen ein höchst elendes Aussehen, gleichsam so, als ob kein Schlaf sie gestärkt habe. Eine eigenthümliche Trockenheit oder Brennen im Halse reizt sie fortwährend
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das Rauchen zu wiederholen. Wenn die gewöhnliche Dosis nicht zur gewöhnlichen Zeit genommen wird, folgt eine äußerste Erschlaffung, Taumel und gänzliche Verstimmung, und die Augen fangen zu thränen an. Ein plötzliches gänzliches Entsagen ruft noch schauderhaftere Symptome hervor; der ganze Körper erkaltet und Schmerzen machen sich in allen seinen einzelnen Theilen fühlbar, Diarrhöe stellt sich ein, das ungeheuerste Gefühl des Elends bemächtigt sich des Opfers, dessen Dasein nur noch durch fortgesetzte Benutzung des Giftes einige Zeit hindurch erhalten werden kann.«
Zu solchem Ende verurtheilt das honorable Parlament von Großbitannien jährlich 400,000 Menschen; denn da nur wenige Individuen, welche sich dem immer steigenden Genuß des Opiums ergeben haben, länger als 10 Jahre von dem Beginn desselben leben und nach Ermittelungen21 in China sich 4 Millionen Opiumraucher befinden, wird diese ungeheure Zahl, gegen welche die Opfer auch der blutigsten Kriege verschwinden, alljährlich absichtlich der englischen Geldgier zum Opfer gebracht.
Und diese Nation wagt es, sich als das humanste und liberalste Volk des Erdbodens zu geriren!
Verfolgen wir, was die englische Regierung seit 20 Jahren zum Schutz ihrer verfluchten Spekulanten gethan hat!
Auch mit dem stets Hergebrachten kann sich dieses England nicht entschuldigen, denn der privilegirte Opiumhandel ist noch keine hundert Jahre alt.
Der planmäßige Anbau des Mohnes für die Opiumbereitung
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schreibt sich aus dem Jahr 1767 her, vor welchem Zeitpunkt nur höchst unbedeutende Quantitäten, selten über 200 Kisten türkischer Waare, von portugiesischen Kaufleuten nach China eingeführt worden sind, woselbst sie unter der Firma Arzeneimittel versteuert wurden. In dem genannten Jahr schlug ein Mr. Watson der Regierung der ostindischen Compagnie in Calcutta vor, durch Monopolisirung und Erweiterung eines derartigen Handels der Compagnie ein bedeutendes Einkommen zu verschaffen. Die ersten Sendungen gaben eben kein besonders glänzendes Resultat, bald aber wurde die Waare mehr verlangt, und ein oder das andere Fahrzeug lag gewöhnlich in Whampao mit dem Verkauf desselben beschäftigt. Macao trieb auch einen Handel damit, im Jahr 1821 legte sich aber das Magazinschiff nach Kumsingmun, das seitdem eine Hauptstation für den Opiumschmuggel blieb. Zu dieser Zeit hatte die Verschiffung noch in keinem Jahr 7000 Kisten überstiegen, aber im Jahr 1824 hatte sie sich schon auf 12,639 erhoben, und 1834 stieg sie bereits auf 21,785. Sie fuhr dann fort mit großer Geschwindigkeit zu steigen und kam im Jahr 1838 auf nahe 40,000 Kisten, die in ihrem baarem Werth der Summe von 25 Millionen Piaster gleich waren.
Zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts hatte die chinesische Regierung noch keine besondere Aufmerksamkeit auf diesen ganzen Handel gerichtet, da sie dessen tiefgreifende Folgen für die Nation noch nicht begriff. Im Jahr 1800 wurde das erste Verbot sowohl gegen die Einfuhr wie gegen den Gebrauch des Opiums erlassen. Beide
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Theile, der Verkäufer wie der Käufer, sollten wegen Uebertretung mit Bastonnade und in Wiederholungsfall mit dem Block, ja selbst mit dem Tode bestraft werden. Aehnliche Verbote sind seitdem stets in kurzen Zwischenräumen wiederholt und verschärft worden, aber die steigende Neigung zu dem verbotenen Genuß und die Bestechlichkeit der Beamten hat sie zu todten Buchstaben gemacht.
Durch die sich immer mehr ausbreitende Zerstörung beunruhigt sandte der Kaiser Tark-wang im Jahr 1839 einen Kommissarius, Lin, nach Canton, der durch energische Maaßregeln die fremden Kaufleute zwang, allen Opium, den sie in den Magazinen oder an Bord der im Fluß liegenden Schiffe hatten, abzuliefern, und der hierauf diesen ganzen Vorrath, 20,000 Kisten, öffentlich vernichten ließ. Der englische Repräsentant in China, Kapitain Eliot, hatte sich für diesen Schaden, der auf 12 Millionen Piaster abgeschätzt wurde, den englischen Kaufleuten verbürgt, und diese verlangten nun von der englischen Regierung Schadenersatz.
Das Kabinet von St. Jam[e]s, statt die Schmuggler zurückzuweisen und sie den verdienten Schaden tragen zu lassen, hielt es für vortheilhafter, den Chinesen den Krieg zu erklären.
Es herrscht bekanntlich ein eigenthümlicher Stillstand in dem großen Reich der Mitte, dessen Ausdehnung fast die doppelte Größe von Europa umfaßt und 350 Millionen Bewohner trägt. Während vor Jahrhunderten, vielleicht schon vor Jahrtausenden die chinesische Cultur weit voraus der europäischen Entwickelung war, scheint sie auf
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dieser Stufe stehen geblieben und vermag dem europäischen Fortschritt nicht mehr die Spitze zu bieten.
Dies ist vor Allem auch in der Seefahrt und in den Kriegswissenschaften der Fall, und das große chinesische Reich ist deshalb fast kraftlos in die Hände der maritimen und militärischen Mächte Europa's gegeben.
England und Rußland haben sich das vor Allem zu Nutze gemacht.
Hören wir also kurz den Gang der englischen Kriege gegen China in den letzten 20 Jahren.
Wegen der erwähnten Vernichtung des geschmuggelten Opiums, dem in Folge weiterer Zwistigkeiten das Verbot alles Handels mit den Engländern und des Verkaufs von Lebensmitteln an dieselben folgte, wurde der Krieg im Anfang des Jahres 1840 erklärt. Die Küstenstädte wurden bombardirt, eine Flotte unter Admiral Eliot lief in den Pehofluß ein und bedrohte Peking. Ein Frieden folgte, bei dem die Insel Hongkong den Engländern abgetreten, 6 Millionen Dollars ihnen gezahlt und der Handel wieder geöffnet werden mußten.
Aber England begnügte sich mit diesen Vortheilen nicht und rüstete eine weitere Expedition unter Admiral Parker und General Gough, die Amoy eroberte, Tahia, Ning-po und Tscha-pu, den Stapelplatz des chinesischen Handels mit Japan (letzteres am 18. Mai 1842), und Shanghai nahm und bis zum Kreuzpunkt des großen Kaiser-Kanals mit dem Yang-tse-kiang vordrang. Hier leisteten in der Stadt Tschin-kiang-fu die Bewohner vergeblichen Widerstand, - sie tödteten sich mit Weib und
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Kind, ehe sie in die Hände ihrer europäischen Feinde sich geben wollten.
Die so erzwungenen neuen Friedensverhandlungen am 26. August 1842 öffneten den Europäern außer Kanton die Häfen Amoy, Fu-chan-fu, Ning-po und Shanghai, ließen die Insel Hongkong in dem Besitz der Engländer und verschafften ihnen 21 Million Dollars Kriegsentschädigung.
Von da ab dauerte die Überschwemmung des Landes mit Opium und Missionairen jeder Sekte ungehindert fort, bis nach dem am 24[.] Februar 1850 erfolgten Tode des Kaisers Tao-kuang die große Revolution der Ming's das chinesische Reich zu zersplittern drohte.
Der Opiumhandel war nach wie vor verboten geblieben. Dem Vorschlag einiger Minister, dem nicht zu verhindernden Schmuggel die Spitze dadurch abzubrechen, daß die Einfuhr gegen eine mäßige Zollabgabe gestattet würde, hatte der verstorbene Kaiser die hochherzige Antwort gegeben: »Ich weiß, daß ich die Einführung dieses hinreißenden Giftes nicht verhindern kann, habgierige und verderbte Menschen werden aus Gewinnsucht oder um ihre Begierden zu befriedigen, meinen Wünschen entgegenarbeiten; aber Nichts soll mich bewegen, mir ein Einkommen aus dem Verderben und dem Elende meines Volkes zu bereiten.«
Fortwährend seit dem Frieden von 1842 gab es durch die Willkür und Anmaßung der Engländer, den Nationalhaß und die Treulosigkeit der Chinesen Reibereien, die gewöhnlich durch englische Gewaltmaßregeln unterdrückt
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wurden, bis diese auf den wachsenden russischen Einfluß noch eifersüchtiger wurden, als auf die Bewahrung ihres Opiumhandels. Die Verhaftung von zwölf eingebornen Matrosen, welche auf einer chinesischen, aber unter britischer Flagge segelnden Lorcha beim Schmuggeln erwischt wurden, durch den Statthalter Yeh gab den längst erwünschten Anlaß. Obschon die chinesischen Behörden der Forderung der Freilassung nachgaben, wollten sie sich doch dem erniedrigenden Verlangen nicht fügen, die zwölf Halunken mit öffentlichen Ehren wieder auf das Schiff zu bringen. Dies gab dem Admiral Seymour Gelegenheit, wieder einmal das offene Canton zu bombardiren und mehrere befestigte Punkte zu erstürmen. Erbittert über das 4 Tage nachher, am 3. November 1856 wiederholte Bombardement, zündete der chinesische Pöbel 21 europäische Faktoreien an und plünderte sie.
In Folge der - selbst in England von den anständigeren Parteien entschieden gemißbilligten - Beschießung von Canton verbot der chinesische Gouverneur von Heangschan den Eingebornen allen Verkehr mit den Engländern. Diese eilten nun, den unterdeß immer weiter gewachsenen Aufstand der Taipings sich zu Nutze zu machen, und beschossen zum dritten Mal Canton, das die ihnen günstigen Rebellen nicht zu nehmen vermocht hatten. Vom 12. bis zum 30. Januar 57 wurden nicht weniger als siebentausend Häuser eingeäschert, eine so schändliche Barbarei, daß selbst das Unterhaus nicht umhin konnte, in der Sitzung vom 3. März auf den Antrag Cobden's mit 263 gegen 247 Stimmen seine Mißbilligung dieses Verfahrens der
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Regierung auszusprechen. Aber Lord Palmerston hatte die geldgierige City Londons hinter sich. Die City und die andern Handelsstädte Englands beeilten sich, durch Zustimmungsadressen das wankende Ministerium zu unterstützen und das widerhaarige Parlament wurde aufgelöst.
Sofort wurden Verstärkungen nach China gesandt mit einem besondern Kommissar in Person des Lord Elgin. Aber die Franzosen waren rasch bei der Hand, sich für die Vermittelung des Friedens mit Persien bezahlt zu machen und die Verlegenheiten Englands durch den indischen Aufstand zu benutzen. Sie schlossen sich der Expedition mit 12 Schiffen und 1000 Mann an, so ungern England das auch sehen mochte. Am 2. Juli erschien die englische Flotte vor Hongkong, bomdardirte zur Abwechselung wieder einmal Canton 48 Stunden lang, nahm dann mit leichter Mühe die fast 1 Million Einwohner zählende Stadt und führte den Feind Englands, Yeh, gefangen nach Calcutta, nachdem man in Canton der Revolution zur Regierung verholfen und 65000 £ Sterling in Silberbarren erbeutet hatte. - Ein Jahr darauf war die englisch-französische Flotte schon wieder an der Mündung des Pehoflusses, um Peking zu bedrohen. Da Rußland durch den Vertrag Murawiew's zu Ajjhun das linke Stromufer des Amur abgetreten erhalten hatte, mußte man auch seinen Theil haben und nahm ihn im Vertrag von Tientsin (28 Juni) mit neuen Handelsconcessionen und 3\frac12 Millionen £ wovon die Franzosen 1\frac12 Million erhielten.
Die Beute hatte den Appetit gereizt. Als ein kleines englisches Geschwader unter Admiral Hope, welches eine
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englisch-französische Gesandtschaft nach Peking bringen sollte, mit Kanonenschüssen zurückgetrieben wurde, weil es gegen alles Recht nicht auf dem angewiesenen Flußarm hinauffahren wollte, sondern mit Gewalt die Kette sprengte, welche wegen der Revolutionaire auf dem andern Flußarm gezogen war, versuchte der Admiral das chinesische Fort zu stürmen. Aber diesmal hatte sich das Blatt gewandt, die chinesische Artillerie, wie man argwohnte von Russen bedient, schoß ungewöhnlich gut, und mit Verlust von 464 Mann wurden die 1300 Engländer auf ihre Schiffe zurückgeworfen.
Das forderte natürlich Rache. Der Minister für Indien, Wood, ertheilte dem Anti-Opium Verein auf seine Petition um Abstellung des schändlichen Handels, den selbst Metternich und Montalembert einen Schandfleck auf dem Wappen Englands genannt hatten, jene charakteristische Antwort, deren wir an der Spitze unseres Kapitels Erwähnung gethan haben, und eine neue Expedition gegen China wurde ausgerüstet.
Damals war es, wo plötzlich nach den Siegen Frankreichs über Oesterreich in Italien sich in England die panische Furcht vor einer französischen Invasion verbreitete, weil der gute Freund jenseits des Kanals so eifrige Seerüstungen betrieb und die Schwäche Englands in der Krim und Indien zur Genüge hatte kennen lernen. Wir werden vielleicht später noch Gelegenheit finden zu constatiren, was wahr an dieser Furcht und warum das Kabinet der Tuilerien das alte Rachegelüst nicht durchführte. Genug, der Kaiser Napoleon hatte den Plan aufgegeben und beeilte
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sich, die öffentliche Meinung durch eine erste Truppensendung nach China (21. November 1858) zu beruhigen. Die Königin Victoria hielt ihre Revue über 20,000 Mann der Londoner Freiwilligen im Hyde-Park ab, die damit Soldaten zu sein glaubten, und der Kaiser sandte seinen besten und dreistesten Fourageur, den General Montauban mit 7500 Mann nach China ab. Am 21. August nahm die vereinigte Expedition unter Montauban und General Hope-Grant die Inseln Chusan und Kintang, wobei die Franzosen das Beste thaten aber sich auch durch Grausamkeiten und Plünderung auszeichneten. Nach der Einnahme der Taku-Forts, erschienen chinesische Kommissaire und bewilligten alle Forderungen; aber bald zeigte sich, daß man in Peking nur laviren wollte, und so rückten am 9. September 6000 Mann gegen Tungchao vor, einer nur 4 Meilen von Peking entfernten Stadt. Hier kam es zum Kampf zwischen der Stadt Leost und dem Kanal und am 21. September zu dem Treffen von Palikao.


Die genannte Entscheidungs-Schlacht von Palikao war am 21. November geschlagen, 6000 Europäer hatten die 40,000 Mann zählende chinesische Armee - darunter 20,000 tartarische Reiter, der Kern der chinesischen Soldaten - zurückgeworfen.
Der chinesische General Sang-ko-lisin war ein umsichtiger und tapferer Mann. Er hatte das Städ[t]chen Toung-chao wohl befestigt und besetzt; auch der Ort
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Gua-kaua-jé war von Schanzen geschützt, um den Marsch der »rothen Barbaren« nach der Hauptstadt des Reichs der Mitte zu hindern.
Die Alliirten waren 6000 Mann stark, darunter 4000 Franzosen unter General Cousin de Montauban, von zwei kolossalen Reiterschwärmen jeder von 10,000 Mann angegriffen worden, aber die Taktik der europäischen Quarré's hatte ihrem Anprall glücklich widerstanden. Die französische und englische Artillerie schmetterte die Reihen der Reiter zu Boden und als die Franzosen mit dem Bayonnet das Städtchen Gua-kaua-jé erstürmt hatten und General Collineau den Kanal überschritten hatte, war die Flucht allgemein und der Weg nach dem 4 Meilen entfernten Peking frei.
Nochmals versuchte der Bruder des Kaisers, der Prinz Kong die Alliirten durch Verhandlungen aufzuhalten - aber man wartete nur bis die von Tientsin herangezogenen, durch die großen Verluste von Palikao nöthig gewordenen Verstärkungen eingetroffen waren. Dies war am 9. October zum größten Theil geschehen und die kleine Armee der Europäer, die Franzosen an der Spitze, lagerte an den Ufern des Kanals, der den Kaiser-Kanal mit dem Flüßchen Yu-ho, an welchem Peking liegt, verbindet.
Peking liegt unter'm 40. Grade nördlicher Breite und hat also das Klima von Madrid und Neapel. Die Kälte ist während des Winws durchschnittlich 3 Grad. Die Hauptstadt des chinesischen Reichs liegt in einem weiten nach Norden zu von hohen Gebirgszügen geschützten Thal und hat einen Umfang von sechs Meilen.
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Es war Abend - die Luft noch frisch und angenehm, ohne kalt zu sein. Myriaden von Sternen funkelten am Firmament - am Ufer des Kanals brannten mächtige Feuer und spiegelten ihre Flammen in dem trägen Wasser des Kanals, das von hundert Dschonken belebt war, die mit ihren zahllosen bunten Laternen, dem Schreien und Lärmen ihrer Bevölkerung einem Jahrmarkt glichen.
In der That war es auch ein solcher. Trotz allem Nationalhaß, dem Abscheu und der Furcht vor den »rothen Barbaren« überwog die Habgier dieses Volkes alle Bedenken, und der Lagerplatz der feindlichen Truppen war kaum bestimmt und durch die auf dem Kanal folgenden Fahrzeuge kenntlich, als zahllose Dschonken herbeigeströmt waren, um Lebensmittel und allerlei Handelsgegenstände den Soldaten anzubieten.
Der General Montauban war gezwungen einen strengen Cordon durch Posten zu ziehen, über den hinaus die aufdringlichen Langzöpfe sich nicht bewegen durften, und die Schildwachen waren bereits genöthigt gewesen, wiederholt von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Dieser Cordon, der dem Befehl nach auch die Soldaten hindern sollte, sich unter die fremde Bevölkerung zu mischen und sich bei dem verrätherischen treulosen Character derselben unnützen Gefahren auszusetzen, - erfüllte jedoch diese Bestimmung nur zum Theil; denn Offiziere wie Soldaten wußten den Befehl zu umgehen und trieben sich zwischen den schnell improvisirten Buden oder auf den Fahrzeugen umher, von denen mehrere der berüchtigten Klasse der »Flower-boats« oder Blumenböte angehörten.
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Das Hauptquartier der Oberstkommandirenden befand sich in einem großen Pavillon, der mitten in einem großen Garten lag, welcher auf einer Seite das Wasser berührte. Diese Seite war stark mit Wachen besetzt.
Ungefähr zweihundert Schritt von der Linie derselben hatten an der Thür eines jener kleinen Kiosks, deren bizarre Formen sich aus dem himmlischen Reiche zuerst über Holland in unsere Gärten und Parks fortgepflanzt haben, die Soldaten ein kleines Feuer angezündet. Ein junger Offizier saß daran in Gesellschaft eines älteren nicht militanisch gekleideten Mannes, der an den Flammen einen Kessel Thee bereitet hatte und diesen eben in kleine Becher von alterthümlicher Form goß.
»In der That, Bonifaz,«22 meinte der Lieutenant, nachdem er das Getränk gekostet hatte, »seit wir in China sind, bin ich ein Theetrinker geworden wie die Langzöpfe und Kahlköpfe. Komische Kerle das - die uns mit Gesichterschneiden und albernem Lärmen schlagen wollen! Und doch muß ich gestehen, haben diese Reiter gestern nicht schlecht gefochten. Sie sprengten mit vieler Courage gegen unsere Quarré's.«
»Corbioux - was will das sagen! Du würdest anders denken, Lieutenant Louis, wenn Du ein einziges Mal die Apachen mit ihrem wilden Kriegsgeheul gegen einen Trupp ehrlicher Leute hättest ansprengen sehen.«
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Der junge Mann, der dem Anschein nach noch keine zwanzig Jahre zählte, obschon sein hübsch und kräftig gebildetes Gesicht schon von Sonne und Wetter gebräunt den Ausdruck der Männlichkeit zeigte, lachte herzlich. »Es ist wahr, ich vergaß Bonifaz, daß Du Alles nach Deinen mexikanischen Erinnerungen abmißt. Es muß ein abenteuerliches Land sein, wenn man all' Deinen Erzählungen Glauben schenken kann, unter denen, nimm's nicht übel mein Alter, mir doch die Phantasie mir manchmal einen starken Zusatz zu machen scheint. - Eh bien - vielleicht komme ich auch einmal dahin, denn die französischen Adler tragen gegenwärtig die gloire unseres Vaterlandes durch alle Welttheile!«
»Vielleicht eher, als Du denkst, Lieutenant Louis!«
»Das sind wieder Deine geheimnißvollen Anspielungen Alter, die Du seit einigen Wochen zu machen pflegst. Ich hoffe, Du denkst nicht im Ernst daran, nach Mexiko zu reisen, um Deine rothen Bekanntschaften zu besuchen - wie heißen die Bursche gleich - Bras de fer, Kreuzträger, Falkenherz und die schöne Windenblüthe, in die Du wahrhaftig trotz Deiner vierundfünfzig Jahre noch immer verliebt zu sein scheinst!«
»Spotte nicht, Lieutenant Louis« sagte der Andere ernst, »spotte nicht über Leute, die zehn Mal ehrlicher und besser sind, als diejenigen, in deren Gesellschaft ich mich jetzt befinde. Gewiß denke ich, wenn mir Gott das Leben schenkt, noch einmal nach Mexiko zurückzukehren.«
»Und Du wolltest mich verlassen?«
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»Niemals. Weswegen habe ich darauf bestanden, daß Du Spanisch lernen solltest?«
»Nun aus demselben Grunde, weswegen ich Englisch gelernt habe. Du siehst, daß es mir einen schlechten Dienst geleistet hat, denn ich muß hier deshalb warten, um den Dolmetscher mit irgend einem hochnäsigen Goddam zu machen, während meine Kameraden sich draußen auf dem Wasser oder im Lager amüsiren.«
»Ich ließ es Dich lehren, weil Du mich begleiten wirst und man in Mexiko spanisch spricht.«
»Par dieu - wie oft soll ich Dir wiederholen, daß ich französischer Soldat bin und meinen Adler niemals verlassen werde.«
»So müssen wir dafür sorgen, die französische Armee nach Mexiko zu schicken!«
Der junge Offizier lachte wieder auf das Herzlichste. »Vraiement - Meister Bonifaz, ich sehe Dich wirklich schon in Stelle des Herrn Thouvenel als Minister des Aeußern, oder des Marschall Randon mit dem Kriegs-Portefeuille unter'm Arm! - Meine Tante die Frau Marschallin Saint Arnaud hat nicht Unrecht, wenn sie behauptet, Du littest manchmal an den Folgen eines kleinen Sonnenstichs, den Du in Afrika oder Mexiko bekommen haben mußtest. Aber à propos bei Gelegenheit meiner Tante - wir wollen, wenn wir erst in Peking sind, ihr eine ganze Kiste von diesem vortrefflichen Thee schicken.«
»Deiner Tante?«
»Nun ja, der Frau Marechal de France. Du weißt
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aus Erfahrung, wie gern sie seit dem Tode ihres Gatten einen kleinen Theeklatsch hält.«
»Die Frau Marschallin ist so wenig Deine Tante, Lieutenant Louis, wie ich Dein Onkel bin.«
»Das weiß ich wohl, aber sie will, daß ich sie so heiße, weil sie mich, ihren entfernten Anverwandten, hat erziehen lassen und ich ihr so viele Güte schulde.«
»Die Arnaud's sind niemals mit Dir verwandt gewesen.«
»Die Saint Arnaud's nicht - aber die Verwandtschaft schreibt sich, so viel ich weiß, von ihrer Seite her.«
»So gut das Blut der Trazegnies d'Ittre's auch sein mag, so hat es sich doch nie mit dem Deinem vermischt. Die Frau Marschallin hat nicht die Ehre mit Dir verwandt zu sein!«
»Na höre, alter Brummbär, die Ehre scheint mir etwas zweifelhaft! - Aber wenn Du Näheres über meine Verwandtschaft weißt, so rede endlich. Du weißt, daß ich mich meiner lieben armen Mutter noch sehr gut erinnere, denn es sind erst neun Jahre, daß sie mich in die Militairschule brachte und nach England reiste, wo sie leider gestorben ist. Manchmal, alter Freund, kommen mir freilich besondere Gedanken, obschon mir verboten wurde, weiter zu fragen!«
»Die Zeit ist gekommen, mein Sohn, wo Du Alles erfahren sollst.«
»So sprich!«
»Nein - nicht heute! Uebermorgen, an Deinem Geburtstag, wo Du zwanzig Jahre alt bist!«
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»Und was Du mir sagen wirst, meinst Du, soll mich bewegen, mit Dir nach Mexiko zu reisen?«
»In drei Jahren - ja!«
»Aber ...«
Die Einwendungen des jungen Mannes wurden unterbrochen durch einen Corporal, der mit einem Mann von der Seite des Wassers her kam.
»Lieutenant 5!«
»Corporal Dodillot - was bringen Sie?«
»Diesen Langzopf, mein Offizier, der in einem Kahn am Ufer bei den Posten landete und dessen Kauderwelsch wir nicht verstehen können, da er kein vernünftiges Wort spricht, als >General< und sich doch nicht abweisen läßt.«
Der Offizier hatte sich erhoben. »Vielleicht unser Mann!« sagte er halblaut. »Sprichst Du Englisch, Bursche?«
Der Angeredete war in der That ein Chinese in dem langen, dunkelblauen Rock und den weiten, violetten Beinkleidern mit den unbehülflichen Schnabelschuhen, wie sie die niederen Klassen tragen. Er hielt die Hände in den weiten Aermeln verborgen und verneigte sich tief vor dem Offizier.
»Wie heißest Du?«
»Mein unwürdiger Name ist Tsin-Yang.«
»Nun wohl, Herr Tsin-Yang, was wollt Ihr?«
»Den mächtigen Feldherrn sprechen, der die unüberwindlichen Krieger der Sonne des Weltalls wie der Taifun den Schaum des Meeres vor sich her gefegt hat.«
»Sie scheinen demnach nicht so unüberwindlich gewesen zu sein« meinte lachend der Offiziere. »Um es kurz zu
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machen, Herr Tsin-Yang oder Yang, seid Ihr der Mann, der diesen Mittag an General Montauban geschrieben hat?«
»Tsin-Yang küßt Deine Fingerspitzen, tapferer Fremdling. Ich habe geschrieben.«
»Dann kommt mit mir. - Warte hier auf mich, Bonifaz!«
Der junge Offizier winkte dem Chinesen zu folgen und ging ihm voran nach dem Pavillon. Nach einigen Worten mit den in der vorderen Abtheilung desselben verweilenden Stabswachen wurde er mit seinem Begleiter in das innere Gemach geführt, das der kommandirende General in Beschlag genommen.
General Cousin de Montauban, der später für seine chinesischen Verdienste zum Grafen von Palikao ernannt wurde und unter diesem Titel zehn Jahre später eine so klägliche Rolle spielen sollte, - war zur Zeit unserer Darstellung ein Mann von bereits 60 Jahren. Er gehörte zu den militairischen Abenteurern, deren Frankreich so viele zählt und zu hohen Stellungen erhoben hat. Bis zum Jahre 1846 war er fast gänzlich unbekannt und auch später nur unter dem Namen Cousin gekannt, als er sich nach abenteuerlichem und wildem Kriegsleben im December 1847 bei der Gefangennahme Abdelkaders ausgezeichnet hatte. Er war ein tollkühner Soldat und geschickter Führer und hatte sich als solcher mehrfach in Afrika bewährt. Seine Herkunft ist in Dunkel gehüllt, - man hält ihn in Frankreich für einen natürlichen Sohn Louis Philipp's. Jedenfalls verdankte er diesem seine erste Carrière und er galt daher für einen eifrigen Orleanisten. Schon
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in seiner afrikanischen Laufbahn hatte er durch verschiedene Erpressungen und tyrannische Handlungen seine Habsucht bemerklich gemacht, doch fanden alle diese Geschichten in jenem System allgemeiner Feilheit und Spekulation ihre Entschuldigung, das zuerst und zumeist den Thron des »Bürgerkönigs« untergrub.
Bei dem Sturz desselben beeilte sich General Montauban aus einem Royalisten ein Republikaner zu werden, und als Louis Napoleon der Republik den Daumen auf's Auge setzte, wurde er ein begeisterter Bonapartist und von dem neuen Kaiser zu verschiedenen Diensten benutzt, die möglichst wenig Gewissen erforderten.
Der General hat ein kühnes und schlaues Gesicht, von weißem Haar umgeben und zeigte - wenigstens damals noch - in seinem ganzen Wesen trotz seiner Jahre etwas Wildes, Barsches. Er lag, als der Offizier mit seinem Begleiter eintrat, wie man zu sagen pflegt, gestiefelt und gespornt auf einem von Rohr geflochtenen Divan und dampfte eine Cigarre.
»He, Lieutenant Clément, da sind Sie ja! Bringen Sie mir den Kerl, der heute seine Krakelfüße an mich gemalt hat?«
»Zu Befehl, Excellenz, der Mann hier behauptet, daß er es sei. Er hat sich bei dem Posten am Wasser gemeldet.«
»Tritt näher, Bursche - ah so - er versteht kein Französisch und mir ist das Quatschen und Spritzen unserer lieben Bundesgenossen ein chinesisches Dorf. Deshalb müssen Sie schon den Dolmetscher machen, Lieutenant, da
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Sie ein Studirter sind. Heiliges Sakrament, wir alten Pulverriecher hatten andere Dinge in unserer Jugend zu thun, als die Nase in viele Grammatiken zu stecken. Lassen Sie also den Kerl näher treten. Er ist doch nicht bewaffnet?«
»So viel zu sehen, nein. Soll ich ihn untersuchen lassen?«
»Gott bewahre! Ich lasse ihn lebendig schinden, wenn er auch nur den Finger rührt. Wie heißt der Kerl und was ist er?«
Der Chinese hatte sich auf den Wink des jüngeren Offiziers in demüthiger Haltung genähert, warf sich jetzt nieder auf die Knie und schlug drei Mal mit der Stirn den Fußboden.
»Der Mann heißt Tsin-Yang und ist, wie er behauptet, Mandarin von der Pfauenfeder!« erläuterte der Offizier nach dem Befragen.
»Meinetwegen von zwanzig Flederwischen! Die Kerle sind verrückt mit ihren Hutknöpfen und Pfauenschwänzen. Aber was ist er sonst und was will er von mir?«
Der Offizier verdolmetschte die Frage.
»Dein demüthiger Knecht ist der Oberaufseher und Schatzhüter in Jung-ming-jun!«
»Jang myn Jong - spricht der Kerl holländisch? - Was ist das?[«]
»Jung-ming-jun, oder die >Perle des Reichs<, erläuterte der Offizier, »ist der kaiserliche Sommerpalast, der außerhalb der Mauern von Peking liegt.«
»Ah!« sagte der General und zog eines seiner Beine
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von dem Kanapee. »Ich habe davon gehört. Die Kaiser von China sollen dort gewaltig viel Schätze aufgehäuft haben. Fragen Sie ihn doch danach, Lieutenant Clément!«
Es folgten einige Fragen und Antworten zwischen dem Offizier und dem würdigen Mandarinen, der noch immer auf den Knieen lag.
»Herr Tsin-Yang erklärt, daß der Palast an Gold und Silber und allen Schätzen der Welt seit Jahrhunderten so reich sei, daß jedes sterbliche Auge von ihrem Glanze geblendet werden würde.«
»Hoho,« meinte der General, der jetzt auch sein anderes Bein herunterzog und sich aufrecht setzte, »wir haben gute Augen und sie nicht durch eine Brille verdorben. Also Gold und Silber in Menge, sagt der Kerl?«
»In Masse, General.«
»Und auch Edelsteine - Diamanten, Perlen und was sonst damit zusammenhängt?«
»Er macht eine fabelhafte Beschreibung von den Reichthümern.«
»Teufel! Teufel! das klingt verführerisch! - Aber was will der Langzopf? etwa wieder unterhandeln und uns Flunkereien vormachen, wie dieser langweilige Kerl von Prinzen, den wir noch im Lager haben? - Fragen Sie den Burschen kurz und bündig, warum er so geheimnißvoll an mich geschrieben hat. Ich will ihm rathen, daß er genügende Entschuldigungen hat, oder ich lasse ihm das Fell von den Knochen hauen.«
Es folgte eine neue Unterredung zwischen dem Offizier
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und dem Mandarin, bei welcher der Unwille des jungen Offiziers sehr erregt zu werden schien.
»Nun - was giebt's?«
»Der Mann erklärt zunächst, er sei ein Mitglied der geheimen Gesellschaft der >Wasserlilie<, also ein Feind seiner Regierung.«
»Ah - was bei uns zu Hause etwa ein Carbonari, oder sonst ein spitzbübischer Rebell heißt!«
»Ungefähr so. - Aber er besteht, ehe er weiter reden will, darauf, daß Euer Excellenz ihm zwei Dinge eidlich versprechen, bevor er seine Mittheilungen macht.«
»Seh' mir Einer die Frechheit an. Was will der Kerl denn?«
»Zuerst Zusicherung seines Lebens und seiner Freiheit.«
»Zugestanden! kaum der Mühe werth!«
»Dann - aber Euer Excellenz verzeihen, daß ich eine so entehrende Zumuthung auch nur wiederhole.«
»Ach was, - geniren Sie sich nicht! Heraus damit!«
»Der Schurke erklärt, daß er im Stande sei, Euer Excellenz oder vielmehr der französischen Armee eine Beute von vielen, vielen Millionen - hundert Millionen, wie er sich ausdrückt, - nachzuweisen, wenn ...«
Der General war aufgesprungen, seine Augen leuchteten wie Karfunkel. »Hundert Millionen, sagen Sie?«
»Er spricht davon.«
»Das muß die Schatzkammer des Kaisers sein! Es ist gut, Lieutenant - Sie können gehen, ich werde mit dem Kerl selbst reden!«
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Lieutenant Clément salutirte lächelnd und machte einen Schritt nach dem Ausgang.
Der General hielt ihn auf, indem er sich vor die Stirn schlug, die ganz geröthet vor Aufregung war. »Diable, was ich für ein Dummkopf bin! Ich kann ja nicht Chinesisch und der Teufel mag es meiner Mutter danken, daß sie mich nicht hat Englisch lernen lassen. Aber hören Sie, Lieutenant Clément - Sie können doch schweigen?«
»Bestimmt, Excellenz!«
»Sie sollen, so jung Sie sind, Kapitain werden und das Kreuz erhalten, wenn die Geschichte sich bewahrheitet.«
»Ich würde vorziehen, Excellenz, Beides an den tartarischen Reitern zu verdienen,« sagte der junge Offizier kalt. »Und wenn Euer Excellenz es nicht als Dienstpflicht verlangen, würde ich bitten, lieber einen Andern mit der Weiterführung dieser Verhandlung zu betrauen, etwa einen Engländer selbst.«
»Damit diese mich bestehlen! Sie sind nicht gescheut. Nein, Nichts da - ich will auch keinen Andern, es ist schon genug, wenn Einer solche Dinge weiß!«
»Aber, offen gesprochen, Euer Excellenz, die Sache scheint mir nicht verträglich mit der Ehre eines Offiziers.«
»Larifari, dummes Zeug! Das muß Ihr General besser wissen. Also fahren Sie fort, ich kommandire Sie hiermit zu dem Dienst und erinnern Sie sich gefälligst, daß der Soldat nur eine Maschine in der Hand seiner Vorgesetzten sein soll und Sie Alles zu vergessen haben, was Sie im Dienst etwa hier hören und sehen.«
»Zu Befehl!«
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»Warten Sie!«
Der General ging selbst nach der dünnen Eingangsthür, steckte den Kopf in das Vorzimmer und schloß dann wieder sorgfältig die Thür.
»Kommen Sie hierher und reden Sie etwas leiser. Die Spitzbuben, die Chinesen machen ihre Thüren so dünn wie Kartenblätter, und die Bursche da draußen haben mir etwas zu lange Ohren. Also, was sagt der Kerl von den Millionen? - aber genau!«
»Er verlangt zunächst,« fuhr der Offizier fort, dem die Sache und die Habgier seines Chefs jetzt Spaß zu machen anfing, »daß Euer Excellenz ihm den zehnten Theil der Beute, die er Ihnen nachzuweisen sich erbietet, zusichern!«
»Den zehnten Theil? Ist der Schurke verrückt! Das ist ja reiner Diebstahl. Heiliges Kreuz-Donnerwetter, was diese Halunken habsüchtig sind. Ich will ihn lieber lebendig schinden lassen, dann soll er schon mit seinen Geheimnissen herausrücken, ohne mich so infam zu bestehlen!«
»Euer Excellenz vergessen, daß bei einer solchen Operation auch Andere die Geheimnisse des Herrn Tsin-Yang, Mandarin vom blauen Knopf und der Pfauenfeder, erfahren würden.«
»Morbleu - das ist auch wahr! - Aber reden Sie dem Kerl in's Gewissen, lieber Clément. Sie wissen, daß ich ein Freund Ihres Vormunds und Verwandten, des seligen Saint-Arnaud, war, und ich habe Sie immer leiden mögen und protegirt, deshalb Sie auch in diesem Fall zu meinem Dolmetscher gemacht, wo ich zehn Andere hätte
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kriegen können. Reden Sie Herrn Yank zu, daß er christlich mit uns verfährt und lassen Sie ihn vor Allem sich niedersetzen.«
Und der Commandeur en chef schob selbst mit dem Fuß einen jener kleinen Rohrsessel ohne Lehne herbei, drückte den widerstrebenden Chinesen fast mit Gewalt darauf und begann dann zu feilschen wie ein Jude.
Aber der würdige Mandarin schien eben so zäh wie der französische General und beharrte auf seine Forderung, deren Zusicherung er sogar schriftlich verlangte.
Der General tobte wie ein angeschossener Eber in dem Gemach umher und nur die Besorgniß, von seinen Leuten draußen gehört zu werden, dämpfte seinen Zorn. Zuletzt bequemte er sich endlich zur Ausstellung des Versprechens, gerieth jedoch auf's Neue in heftigen Zorn, als der schlaue Chinese, der sehr wohl den Charakter der beiden Männer, mit denen er verhandelte, durchschaute, von dem Offizier auf sein Wort verlangte, Sylbe für Sylbe richtig zu übersetzen und dieser es denn trotz der Winke des Generals lachend und so aufrichtig that, daß der Mann sich gradezu weigerte, auf diese Verclausulirungen hin weitere Eröffnungen zu machen.
Herr Tsin-Yang dictirte hierauf selbst den Inhalt der Schrift und der General unterzeichnete sie stöhnend und fluchend.
»Nun aber gnade Gott dem Kerl, wenn er nicht Wort hält mit den Millionen.«
»Du bist ein Tapferer« fuhr der Verräther nach der Beendigung dieser Präliminarien fort, indem er das
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kostbare Papier in einen seidenen Lappen wickelte und in den Busen schob, »und der arme Tsin-Yang vertraut Dir, daß Du ihn nicht betrügen wirst. So höre denn.«
Und der Verräther berichtete nun, daß der Prinz Kong nur beauftragt sei, die Alliirten hinzuhalten, bis die in dem Palast des Kaisers aufgehäuften Schätze in das Innere des Landes in Sicherheit gebracht worden wären. Der Kaiser Hien-fong habe bereits am heutigen Tage Jung-ming-jun, seinen Sommerpalast mit seinem ganzen Gefolge verlassen und es sei augenblicklich nicht ein Mann Besatzung dort. Er aber, Tsin-Yang, habe Befehl, die kostbarsten Sachen zusammen zu packen, namentlich eine große Anzahl von Silberbarren, deren Aufbewahrungsort ihm allein bekannt sei, und damit dem kaiserlichen Hof zu folgen.
Der treue Diener seines Herrn schlug vor, daß die Franzosen am andern Tage Mittags den Palast besetzen und ihn plündern sollten, wobei er sich anheischig machte, die verborgenen Kostbarkeiten in die Hände des Generals zu liefern. Herr Tsin-Yang behielt sich vor, mit seinem Antheil an der Beute später die Europäer zu begleiten, und auf Java oder sonst an einem geeigneten Orte sich ihrer zu erfreuen.
Der General rieb sich bald vergnügt die Hände, als ihm diese Vorschläge stoßweise übersetzt wurden, bald schimpfte er auf die habsüchtigen Chinesen und den Verräther insbesondere und der Offizier, für den die sorgsam besprochenen Details der Verhandlung etwas sehr Widriges hatten, schloß aus verschiedenen Aeußerungen, daß
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Herr Tsin-Yang trotz seines Scheines schwerlich lange persönlichen Vortheil von seinem Verrath haben würde. Er beschloß, sich jedoch nicht darum zu kümmern und war herzlich froh, als die Unterredung endlich endete und er den Auftrag erhielt, den treuen Wächter der kaiserlichen Schätze wieder nach seinem Boot zurück zu geleiten.
»Ihr Ehrenwort, Lieutenant Henry, daß Sie über Alles das strengste Schweigen beobachten, was Sie gehört haben!«
»Parole d'honneur!«
»Gut. Ich weiß, Sie sind ein guter Soldat und es soll Ihr Schaden nicht sein. Schicken Sie mir Düvalet von den Zuaven sofort her, ohne erst meinen Adjutanten draußen zu inkommodiren. Sie müssen zusehen, wo Sie ihn finden. Vielleicht in den chinesischen Wasser-Bordells, aber ich muß ihn haben.«
Der Lieutenant salutirte.
»Und noch Eins. Sorgen Sie um Himmelswillen, daß Herr Tsin-Yang oder Schlang auf's Beste und unbelästigt zurückkehrt. Es darf um keinen Preis dem Mann jetzt etwas passiren. Späterhin - - - na Gutenacht und legen Sie sich auf's Ohr, wenn Sie Düvalet gefunden haben, Sie werden Ihre Kräfte brauchen!«
Der Offizier freute sich, endlich draußen zu sein, - obschon ihm noch ein grade nicht angenehmer Auftrag zu besorgen blieb. Oberst Düvalet, der die Zuaven kommandirte, war eine, nicht bloß in der Armee, eben so bekannte Person wie der Kommandant en chef. Wenn man diesen
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le premier coquin de la france nannte, so verdiente der würdige Oberst sicher le second genannt zu werden.
Als Lieutenant Clément in Begleitung des Chinesen zu dem Feuer zurückkehrte, an dem er vorhin mit dem Avignoten gesessen, der mehr ein Freund als ein Diener für ihn war, obschon er unter dieser Firma ihn begleitet hatte, fand er Meister Bonifaz im Gespräch mit einem jungen Husaren-Offizier.
»Wo zum Henker kommst Du mit einem Langzopf her, Freund Louis?« frug munter der Husar, der mit dem jungen Mann zugleich die Militairschule durchgemacht hatte und in die Armee getreten war. »Ich habe Dich schon den ganzen Abend gesucht, bis mich Jeannon auf die Spur brachte, daß Du zu dem künftigen Marschall kommandirt wärest. Ich hoffe doch nicht, daß Du Dienst hast?«
»Nur noch kurze Zeit. Ich muß diesen Mann zu seiner Dschonke bringen und Oberst Düvalet aufsuchen!«
»Mordi - das trifft sich gut, denn den finden wir sicher da, wohin ich mit Dir ein Wenig sianiren wollte. Darf man wissen, was das für ein Langzopf ist?«
»Dienstgeheimniß, Henry.«
»Ah, ich verstehe, ein Spion! Sieh zu, daß Du den schlitzäugigen Kerl loswirst und komme bald zurück!«
Meister Bonifaz rückte sehr unruhig auf der Schwelle des Kiosk hin und her. Obschon er den jungen Offizier, der aus einer der besten Familien der muntern Touraine stammte, wohl leiden mochte, kannte er doch sehr gut seinen Leichtsinn und hatte schon mehr als einmal Gelegenheit
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gehabt, für die Moral seines Zöglings aus dieser Gesellschaft zu fürchten.
Als daher Lieutenant Clément zurückkehrte und sich anschickte, mit seinem lustigen Freund an das Aufsuchen des Obersten zu gehen, hatte der Alte allerlei Bedenken und gute Lehren und hätte am Liebsten die beiden Offiziere begleitet, wenn diese ihn nicht freundlich aber bestimmt bedeutet hätten, daß dies nicht anginge.
Der Lagerplatz der Zuaven war bald erreicht, aber wie Henry de Thérouvigne vorausgesehen, war der Oberst nicht dort und nach einigem Hin- und Herfragen ermittelten sie, daß er mit einer Gesellschaft Offiziere nach dem Kanal gegangen und wahrscheinlich in einer der dort etablirten Cantinièren oder auf den Dschonken zu finden sein werde.
»Nun, Bruderherz« lachte der Husar, »jetzt kommst Du in das Rayon der leichten Kavallerie und da bin ich Dein Mentor, dem Du am Besten thust, blindlings zu folgen. Wärst Du für einen zwanzigjährigen Offizier und Franzosen nicht so albern gewesen, Dich zu weigern, die hübschen Chinesinnen auf den Blumenböten zu besuchen, so wüßtest Du selber Bescheid. Jetzt hat Dir alle Tugend Nichts genutzt, und der Befehl unsers großen coquin liefert Dich mir auf Gnade und Ungnade in die Arme.«
»Unsinn, Henry! Du weißt, daß ich kein Kopfhänger bin, aber ich mag diese zu allen Lüsten der Männer sclavisch erniedrigten Weiber nun einmal nicht leiden. Ich bitte Dich darum, führe mich so rasch wie möglich dorthin, wo ich den Oberst treffen kann.«
Der Husar, den Säbel unter'm Arm, blies sehr
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philosophisch den Rauch seiner Cigarre in die Nachtluft, indem er mit dem Freunde aus den Zeltgassen des Lagers nach dem Ufer des Kanals bog, von woher der Lärm des lustigen Lebens drang. »Das, Freund Louis, ist in der That eine schwere Sache und fordert Ueberlegung und Erfahrung. Wir wollen daher ganz taktisch zu Werke gehen und unsere Tirailleurs, das heißt unsere Augen und Nasen zunächst einmal in das große Spielzelt des wackern Mung-Ming, oder wie der langzöpfige kleine Kerl aus Hongkong heißt, stecken, der uns so gewandt unser Geld abnimmt, daß wir bald von allem Antheil der Contribution Nichts mehr übrig haben werden. Ist der würdige Oberst da nicht zu finden, wollen wir zu Mademoiselle Mariette gehen, die den vortrefflichen schwarzen Wein hat und wenn auch keine Ratten und Eidechsen, die chinesischen Leckerbissen, so doch sibirische Lapins brät. - Aber ich fürchte, mein tugendhafter Freund, wir werden ihn auch da nicht finden!«
»Mach' ein Ende,« sagte halb ärgerlich halb lachend der Offizier. »Ich weiß schon, wo Du hinaus willst!«
»Du hast Recht, alter Freund, es ist stets das Ende vom Liede und von allem Vergnügen. Und ich versichere Dich, keuscher Joseph, der Du von alledem Nichts wissen und mit Gewalt nicht in unsern süßen geheimen Orden treten willst, - diese Chinesen verstehen den Rummel und sind die raffinirtesten Jungferndiebe, die mir je vorgekommen sind!«
Der andere Offizier begnügte sich, ungeduldig die Achsel zu zucken. »Vorwärts! vorwärts!«
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Lieutenant Henry ließ das Spielzelt und die Cantine der Mad[e]moiselle Mariette, trotz des verlockenden Lärmens, der aus beiden klang, unbeachtet liegen und führte den Freund direkt zu dem Ufer, wo in Entfernung von mehreren Metres, aber durch schwanke Rohrbrücken zu erreichen und untereinander verbunden eine Reihe von großen glänzend mit bunten Papierballons erleuchteten Dschonken lag.
So unbehilflich diese Fahrzeuge im Ganzen auch zu regieren sind, so leicht sind sie zu den Zwecken einzurichten, denen sie hier dienten.
Die schon früher erwähnten »flower boats« oder Blumenböte sind gewissermaßen schwimmende Vergnügungshäuser, welche alle an größeren Kanälen oder Flüssen liegenden Städte oft in Masse besitzen, und wohin sich die reicheren Bewohner öffentlich oder heimlich begeben, um ihren Magen mit all' den seltsamen Leckerbissen der chinesischen Küche zu kitzeln, oder in anderer Weise der Sinnenlust zu fröhnen. Es giebt solche Boote für die verschiedensten Klassen der Müßiggänger und Lüstlinge und ihre Einrichtung wechselt nach dem Reichthum ihrer Stammgäste.
Der Husaren-Offizier schritt gleich über die nächste der fliegenden Brücken mit einer Sicherheit, die auf häufigen Besuch dieser Höhlen des Lasters schließen ließ, ging auf dem schmalen Rand entlang, den die breite mit Zechenden und Schmausenden untergeordneten Ranges besetzte Kajüte an beiden Seiten vom Bord übrig ließ, trat in ein zweites und drittes Schiff und blieb erst auf dem vierten der Reihe, vor dem von grünem und vergoldetem
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phantastischem Schnitzwerk gebildeten Portal der großen Kajüte stehen, welche den ganzen Raum bis zum Stern des Fahrzeugs einnahm.
Schon der äußere Anblick des Schiffs erinnerte an die Erzählungen in Tausend und Einer Nacht und an die glänzenden Illuminationen, die man in Bombay oder Kairo sieht.
Die Taue und Wanten, welche die zwei Mäste des Fahrzeugs untereinander und mit den Nächstliegenden verbanden, glichen Guirlanden von bunten Laternen und Ballons, denen die chinesische Geschicklichkeit in diesen Arbeiten oft die barokste Form gegeben. Thiergestalten und Blumenkelche wechselten mit den crassesten Gebilden der Phantasie ab, und neben einer weit geöffneten Rose fletschte das scheußlichste Teufelshaupt die weißen Zähne. Ein brauner Knabe mit einer Handtrommel stand vor dem Eingang und rumorte mit seinem Instrument, während er in näselndem Ton ohne Unterbrechung eine Art von Einladung absang.
Lieutenant Henry schob den Vorhang von schwerer rother und mit goldenen Blumen gestickter Seide, welcher den Eingang bildete, zur Seite und schritt seinem Freunde voran.
Sie betraten zunächst einen kleinen von Teppichen und kostbaren Vorhängen gebildeten Vorraum, in dem an einem jener prachtvollen kleinen runden Tische mit eingelegtem Perlmut, welche oft die Zierden europäischer Salons bilden, ein dicker Chinese saß. Eine kleine
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Filigranschaale mit Gold- und Silbermünzen gefüllt, stand vor ihnen.
Der Herr des Boots oder Hauses, - denn als solchen erwies ihn sein Gebahren, - erhob sich bei dem Eintritt des jungen Husaren auf das Schleunigste, murmelte unter den gewöhnlichen ceremoniösen Verbeugungen seinen Gruß und deutete auf den Teppich, der den Zugang zu den Raum schloß, indem er die Filigranschaale klingen ließ.
Der Husar suchte sich ihm verständlich zu machen und da der Mann durch seinen Verkehr mit allen seefahrenden Nationen von den meisten gangbaren Sprachen wenigstens einige Redensarten verstand, geschah dies ohne Mühe.
»Nun Langzopf - frische Waare heute?«
Der Chinese küßte die langen Nägel seiner Finger. »Hoën-lang war noch gestern in Lao-tsching23 und hat zehn Müttern ihre Töchter abgekauft für das Vergnügen seiner großmüthigen Freunde. Sie singen wie die Buribul24 der Barbaren und tanzen wie die Bayaderen der ungläubigen Hindu's!« Der Chinese, der einen großen Widerwillen gegen die Bekenner Bramah's bezeigt, versäumte nicht, bei deren Erwähnung verächtlich auszuspucken, ehe er in der Anpreisung seiner Waare fortfuhr. »Sie haben Augen wie die Mandeln und Kinderfüße, und ihre Schenkel sind so dick wie Kissen.«25
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»Genug genug, würdiger Héu - wir werden ja selbst sehen. Aber kannst Du uns sagen, ob Colonel Düvalet in Deinem chinesischen Himmel ist?«
»Héu-lang kennt den Namen der Gönner nicht, die ihn besuchen. Sie sind so zahlreich wie die fetten Heuschrecken, wenn sie über die Gebirge von Abend herkommen.«
»Ein netter Vergleich, in der That! Aber ich meine den Offizier mit dem langen schwarzen Bart, der in Vergleich zu Dir so dürr und mager ist, wie eine Gazelle zu einem Elephanten!«
»Ah« machte der Chinese - »Munsieur Colell - mit große Bart. Oui,oui! ich kennen ihn wohl. Großer Freund von Héu-lang und seinen schönen Töchtern. Wie könnt Munsieur Colell fehlen, wenn der Abend der Hahnenkämpfe sein!«
»Desto besser - ich dachte nicht daran! Da triffst Du es gut, Louis, bei Deinem Debüt!«
Er wollte den Vorhang heben, aber Herr Héu-lang erlaubte sich, ihn leise am Aermel zu zupfen und auf die bedeutsame Sammlung von Münzen zu deuten.
»Ah - es ist wahr! Wir müssen Entrée zahlen so gut wie in der grand opéra in Paris. Es ist Nichts umsonst in der Welt, lieber Kerl, selbst den Ruhm, ein Franzose zu sein, bezahlen wir mit Steuern und Blut. Aber vielleicht hast Du zwei Napoleon's bei Dir, Freund, denn ich muß Dir sagen, ich bin so abgebrannt wie eine Kirchenmaus.«
Lieutenant Clément zog seine Börse, deren goldblitzende wohlgefüllte Rundung der Chinese mit sehr lüsternen Blicken betrachtete, und warf zwei Goldstücke auf den Tisch,
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indem er den Freund zu Eile ermahnte, um seinen Auftrag auszuführen.
»Wenn ein guter Hahnenkampf im Gange« meinte der Husar, »wird sich General Montauban wohl etwas gedulden müssen. Vorwärts, stürzen wir uns in den Sündenpfuhl.«
Sie traten Beide in den Raum, aus dem ihnen schon die ganze Zeit Gelächter, Fluchen und Schwören und Beifallklatschen in die Ohren geklungen hatte.
Obschon Lieutenant Clément auf die Szene, die sich seinen Augen bot, durch die Erzählung seiner Kameraden, und das was er in den Küstenstädten selbst gesehen und erlebt hatte, vorbereitet war, hatte das Bild durch die wirkliche Pracht der Ausstaffirung doch einen ganz besondern Reiz.
Die Kajüte oder der Salon nahm, wie bereits erwähnt, die ganze Breite und fast die ganze Länge der ansehnlichen Dschonke ein, bot also hinreichenden Raum für die zahlreiche Gesellschaft, die sich hier zusammengefunden hatte.
Dieselbe bestand aus Offizieren und Armee-Beamten aller Grade und einigen europäischen Kaufleuten und Händlern, welche die Lieferanten machten oder in der Hoffnung guter Geschäfte an der Beute und deren gewöhnlich sehr leichtsinnigen Verschwendung sich der Armee angeschlossen hatten, - und etwa zwanzig chinesischen Frauen von verschiedenstem Alter, darunter offenbare Kinder von 10 bis 12 Jahren.
Alle diese traurigen Geschöpfe waren in die weiten
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chinesischen Gewänder von rosa und grünen Seidenstoffen gekleidet, die in einen Knoten aufgebundenen Haare mit Blumen, Korallen und Perlen oder glänzenden Insekten und jenen farbenprächtigen Schmetterlingen besteckt, an denen China so reich ist, die Ohren mit goldenen Ringen, Hals und Arme mit Spangen geschmückt. Emailartig bedeckte die Schminke einen Theil des Gesichts und die hohen Augenbraunen waren mit einer Schärfe und Schwärze gezogen, daß man auf zehn Schritte weit das Werk des Pinsels erkennen konnte.
Während ein Paar der älteren Frauen auf einem kupfernen Becken Thee bereiteten, oder ein berauschendes Getränk von destillirtem Reis, Milch und Zucker bereiteten, lagen andere unthätig oder rauchend auf den breiten Divans von Seide umher, die rings um den Salon liefen und nur an zwei Stellen von den schweren Vorhängen unterbrochen wurden, die einander vis à vis die Stelle der Zugänge vertraten, wobei der des Hintergrundes mehr als die Hälfte der Breite einnahm. Die Wände waren mit kostbaren Teppichen und gestickten seidenen Tapeten behangen, auf denen mehre große Spiegel sich abhoben. Den Boden bedeckte eine feine Bastmatte und in den Ecken standen prächtige große Vasen mit stark riechenden Blumen gefüllt, oder jene zierlichen Möbel mit dem wundervollen Lack und den eingelegten Arbeiten, welche alle europäische Kunst nicht nachzubilden vermochte. Kostbare Pelzmatten, Kissen, Tücher, Shawls und einige jener sehr unvollkommenen musikalischen Instrumente, deren sich die sehr wenig ausgebildete chinesische Tonkunst bedient, lagen überall
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auf den Divans und dem Fußboden umher und wurden oft unachtsam von dem Tritt der Männer zerquetscht oder bei Seite geschoben.
Den bizarrsten Anblick gewährte die Decke des Salons.
Die seltsamsten Dinge, wie sie eben nur der crasse chinesische Geschmack erfinden und zusammenzustellen vermag, hingen von dieser fast bis auf die Köpfe der Bewohner herab, bemalte Eier, getrocknete Eidechsen und Paradiesvögel, Fratzenköpfe von Holz oder Porzellan und tönende Silber- oder Kupferschellen.
Der Rest der Mädchen, jedenfalls der jüngere und hübschere Theil, war in allerlei Stellungen unter die männlichen Gäste gemischt, die sich liegend, sitzend, stehend - wie es Jedem beliebte oder Jeder Platz gefunden hatte, - fast ohne Ausnahme um eine lange sehr niedere Tafel drängten, welche die Mitte des Gemachs einnahm.
Eben als die beiden Freunde ohne weitere Cermonie in diesen Raum eintraten, brach die ganze Gesellschaft in ein wüthendes Beifallklatschen und Rufen aus. »Bravo, Bravo! Drauf Schwarzer - gieb's ihm - noch einmal. - Hurrah - zehn Napoleons auf den Schwarzen!«
Da die Tafel so niedrig war, konnte Lieutenant Clément die ganze erregte Scene übersehen.
Es handelte sich um einen jener Hahnenkämpfe, die bei den Chinesen so beliebt, bei den Javanen und einigen andern Volksstämmen wahre Leidenschaft sind.
Zwei Chinesen, die Züchter und Besitzer der Thiere, von denen Jeder zwei oder drei in einem Sack neben sich hatte, knieten zu beiden Seiten des Tisches und feuerten
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mit Gestikulationen und einem Eifer die Vögel an, der nicht größer hätte sein können, wenn es einen Kampf zwischen zwei tapfern Kriegern gegolten hätte. Ein solcher Wettkampf mußte bereits stattgefunden haben, denn die Tischplatte war mit Federn und Blutflecken bedeckt, und aus dem Sack, den der Eine der beiden Chinesen unter'm Arm trug, hing der zerzauste Kopf eines todten Hahns.
Die beiden Vögel, die eben im Begriff waren einander zu massakriren, waren malayische Kampfhähne von der schönsten Art und deshalb die Aufmerksamkeit und Theilnahme eine sehr rege. Der eine Hahn war groß und kräftig und von einer so schön schwarzen Farbe, daß das Licht der Papier-Laternen in grün und blauen Metallreflexen von den Federn strahlte, wenn dieselben nicht, wie eben jetzt, hoch gesträubt waren. Der Vogel war ein überaus kräftiges Thier von gedrungenem Bau mit einem prächtigen Schweif und hatte an seinem mit langen Federn bis auf die Klaue bedeckten rechten Fuß einen wohl 4 Zoll langen, wie ein Rasirmesser geschliffenen Sporn befestigt.
Sein Gegner, kleiner und kürzer als der Schwarze, aber eben so kräftig gebaut, zeigte im Gegentheil eine weiße, nur leicht an der breiten Halskrause und den Flügeln mit gelben Schatten gemischte Farbe, wogegen sein hochgetragener Schweif vom schönsten Weiß war. Einige Tropfen Blut, die von seinem Kamm am Hals herunterliefen und den rothen Behang gleichsam zu verlängern schienen, bewiesen, daß er so eben von seinem Gegner hart getroffen worden war.
Das kleine muthige Thier schien dadurch jedoch Nichts
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an seiner Herzhaftigkeit verloren zu haben. Den Schnabel fast auf die Platte des Tisches gedrückt, mit seinen schwarzen Augen jede Bewegung des Gegners verfolgend, schien es auf einen günstigen Moment zur Rächung seiner Niederlage zu erspähen.
»Zehn Napoleon's auf den Schwarzen!« rief eine Baßstimme. »Wer hält sie?«
»Zwanzig für den Weißen!«
»Leichtsinniger Mensch« lachte der Colonel mit dem langen Schnauzbart, »ich hätte mir's denken können, daß Sie es sind! Aber da Sie es denn nicht anders haben wollen - Dreißig für den Schwarzen!«
»Fünfzig für das Banner der Lilien!«
Es war, als ob die beiden gefiederten Kämpfer auf den Abschluß der Wette förmlich gewartet hätten, denn sie war kaum geschlossen, als sich der größere Hahn im Gefühl seiner Kraft mit einem Sprung auf seinen Gegner stürzte, um ihn unter seine bewaffnete Klaue zu bringen und die scharfe Spitze ihm in den Kopf zu stoßen.
Aber mit fast wunderbarem Instinkt hob sein kleinerer Gegner, statt dem Sprunge auszuweichen, Hals und Kopf in die Höhe, während der Körper geduckt blieb, und empfing mit dem starken dicken Schnabel voll die Brust des Gegners, der verwundet und knischend zurücktaumelte.
Diesen Augenblick benutzte auf einen Pfiff seines Herrn, der mit ängstlichen Blicken den Angriff des stärkeren Gegners belauert hatte, der weiße Hahn, um sich seinerseits auf den Feind zu werfen, den er so gewandt und heftig
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mit Schnabelstößen und Spornschlägen angriff, daß sich dieser nur mit ängstlichem Flügelschlagen wehren konnte. Der erschrockene Chinese, der die Niederlage seines geliebten Thiers voraussah, wollte, um es zu retten, es zurückziehen, indem er sich für besiegt erklärte, aber der Oberst, ein leidenschaftlicher Wetter und Spieler, gab dem armen Langzopf einen derben Schlag auf die schon ausgestreckte Hand und erklärte, mit einem Fluch, daß der Schurke von Hahn fechten oder sterben solle.
Die Sache war übrigens jetzt rasch entschieden. Obschon der Weiße gleichfalls nicht ohne Wunden fortgekommen war, gelang es ihm doch, auf seinen ermatteten Gegner zu springen. In dieser Stellung versetzte er ihm Hiebe mit seinem scharfen Sporn in den Hals und Kopf und ruhte nicht, bis der Feind todt unter seinen Füßen lag. Dann stieß er wie im Siegesgefühl mit den Flügeln schlagend ein lautes Krähen aus und fiel taumelnd seinem Herrn in die Hände, der sich bald mit ihm entfernte.
Der Sieg war zweifellos und der Zuaven-Colonel holte seine Brieftasche hervor, um seine Wetten zu bezahlen.
»Hol Sie der Teufel Lieutenant, - was brauchen Sie hierher zu kommen, um mir mein Geld abzunehmen? Aber ich werde Sie Milchbart dem General en chef denunciren, daß Sie für die bourbonische Kokarde Propaganda machen!«
Der Husaren-Lieutenant strich lachend das Geld ein. »Sie vergessen, Colonel, daß General Montauban seiner Zeit selber ein Legitimist gewesen ist. Aber das erinnert
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mich daran, daß wir eigentlich hierher gekommen sind, um Sie aufzusuchen, da mein Freund eine Ordre an Sie hat.«
»Für mich?«
»Zu Diensten, Colonel. Der General läßt Sie ersuchen, sofort sich zu ihm zu begeben.«
»Mille tonnerre - hat man denn keinen Augenblick Ruhe! - In zehn Minuten wird uns der habgierige Schuft Héu-Tsing seine Theater-Vorstellung zum Besten geben, und die kann ich um keinen Preis versäumen. Die Weibsleute mit ihrem watschelnden Gange in dem Kostüm, wogegen Mutter Eva mit dem Feigenblatt eine wahre Nonnentracht abgiebt, nehmen sich gar zu komisch aus! - Was will der General von mir?«
»Ich weiß nicht, Colonel - ich befolge meine Ordre, Sie überall aufzusuchen und sofort zu ihm zu bescheiden.«
»Also Dienst?«
Der Zuave stieß einen mörderlichen Fluch aus und schnallte seinen Säbel um. »Da ist nicht zu helfen,« sagte er, »aber die Regiments-Kommandeure sollten doch wenigstens Herr ihrer Zeit sein. Der dicke Halunke Héu soll mir beim Henker die Hälfte des Entrées wiedergeben, oder die Mädels sollen vor mir allein spielen, wenn ich zurückkomme!«
Damit ging er, nachdem er einer und der andern der Dirnen noch in sehr ungenirter Weise durch Kneipen seine Gunst bezeigt hatte. Lieutenant Clément wollte ihn begleiten, aber der Husar hielt ihn fast mit Gewalt zurück.
»Pfui, Louis - schäme Dich, ein Davonläufer zu
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sein. Du bleibst hier, denn jetzt geht der Rummel erst los und Geld hab ich in der Tasche. Ich könnte 50 andere Napoleon's bloß für den Spaß geben, daß ich die ersten dem geldgierigen Fuchs abgeluchst habe! - Heda - Champagner Ihr Dirnen. Ihr sollt mittrinken!«
Mehrere der Frauenzimmer waren hinter dem Teppich, welcher den Hintergrund der Kajüte einnahm, bereits verschwunden, und andere hatten sich auf Kissen vor diesem niedergelassen und begannen einen Gesang, den sie mit Triangel und einer Art Geige nebst einer kleinen Handtrommel begleiteten. Aber Meister Héu-Tsing hatte die Bestellung wohl vernommen, und da kein Entrée mehr zu erwarten war, erschien er selbst unter jedem Arm zwei der silberbekopften Flaschen, von denen er genügenden Vorrath auf den Factoreien eingehandelt hatte.
Trotz seines Widerwillens mußte der junge Ordonnanz-Offizier an dem beginnenden Gelage Theil nehmen, wenn er sich nicht dem Spott seiner Kameraden oder offenbaren Verhöhnungen und Beleidigungen aussetzen wollte, denn Lieutenant Henry war boshaft genug, sofort zu erzählen, daß sein Freund durch keine Dienstgeschäfte mehr für den Abend gebunden sei.
Die Gesellschaft hatte sich in mehre Gruppen getheilt, die sich in sehr saloppen Stellungen trinkend umherlagerten und ungeduldig des Beginns der Schaustellung harrten, die an solchen Abenden und Orten gewöhnlich den Gipfel des Amüsements bildete, oder vielmehr die Fortsetzung desselben zur abscheulichsten Orgie veranlaßte.
Ein dröhnender Schlag auf das Tamtam verkündete
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endlich den Beginn des Schauspiels, das nach der Ankündigung des Herrn Héu-Tsing
Die Prinzessin Miaho
oder
Der von seinem Harem betrogene und geprügelte Mandarin vom weißen Knopf
hieß.
Es ist bekannt, daß die Chinesen nicht bloß sehr gewandte Akrobaten, sondern auch große Freunde des Theaters sind. Peking wimmelt von Theatern, auf denen Rühr- und Schauspiele, ja selbst eine Art von Opern dargestellt werden, die oft mehre Tage dauern. Dabei ist neben aller sonstigen strengen Herrschaft der Polizei die Freiheit dieser Darstellungen merkwürdig; denn es werden in ihnen die Mandarinen und Würdenträger des Reichs, die üble Wirthschaft und Bestechlichkeit der Regierung, ja die Person und persönlichen Angelegenheiten des Herrschers in einer Weise verhöhnt und bloß gestellt, daß selbst die zügelloseste Winkelbühne in den Themsegassen davor zurückschrecken würde.
Aber in all diesen öffentlichen Theatern spielen nur Männer und die Weiberrollen werden höchstens von Castraten dargestellt, deren es in China eine große Menge giebt, da die Eltern sich so wenig scheuen, die Kinder weiblichen Geschlechts zu ersäufen und den Hunden und Schakals zur Beute auszusetzen, oder die erwachsenen zur Befriedigung der Lüste zu verkaufen, - wie Knaben um künftigen Gewinns halber zu entmannen.
Das Schauspiel, was in dem schwimmenden Lusthaus
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der lüderlichen und lüsternen Gesellschaft der Besucher zum Besten gegeben wurde, war anderer Art. Es wird genügen, zu sagen, daß die Darsteller nur weiblichen Geschlechts waren und der würdige Oberst das Kostüm dabei mit voller Wahrheit bezeichnet hatte. Es ist eine Thatsache, daß keine Nation den Chinesen in dem Raffinement der Wollust gleichkommt, und als jetzt beim dritten Schlag des Tamtams der Vorhang des Hintergrundes sich öffnete und eine kleine wohlbeleuchtete Bühne zeigte, waren schon die ersten Scenen so abscheulicher Art, daß wir auf jede weitere Andeutung derselben verzichten müssen!
Die berüchtigten Schattenspiele des Karagois in Konstantinopel und die Knabentänze auf der Eskebieh verschwinden dagegen!


Schon bei der ersten Scene, die den Mandarin vom weißen Knopf in Mitten seiner Frauen und Sclavinnen zeigte, hatte Lieutenant Clément die Flucht ergriffen, die er glücklich vollführen konnte, da er sich in die Nähe des Ausgangs postirt hatte und die meisten Lichter im Innern des Salons ausgelöscht worden waren.
Einigermaßen aufgeregt von dem Champagner, den er hastig hatte trinken müssen, und den Bildern, die er eben gesehen, - trat der junge Offizier hinaus in die Nacht und nahm seinen Weg über mehrere Schiffe hinweg, ohne viel auf die Richtung zu achten und den gesuchten Uebergang zum Ufer zu finden. Die kühlere Nachtluft that ihm wohl und erst als er den Bord einer Dschonke betrat, die als die letzte der Reihe ziemlich weit in das Wasser hinaus stand, bemerkte er, daß er eine falsche Richtung genommen hatte.
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Er konnte jedoch von dem Bord auf dem er stand, und der nur durch zwei gewöhnliche Schiffslaternen erleuchtet war, das ihm gegenüberliegende Ufer, die Bivouakfeuer der Soldaten und die Gestalten derselben deutlich erkennen, und er bemerkte, daß er sich grade vor dem Garten befand, in dessen Pavillon der kommandirende General sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte.
Er blieb einige Augenblicke stehen im Genuß der frischen Luft, die über die Fläche des Wassers strich und sein Gesicht wohlthätig kühlte und wollte dann seinen Rückweg und aus den näher liegenden Dschonken einen Uebergang zum Ufer suchen, als der Ton eines jener zitherartigen Instrumente an sein Ohr schlug, womit allein die chinesischen Frauen ihre einfachen aus wenigen Noten bestehenden Gesänge zu begleiten verstehen, und eine Stimme sich dazu hören ließ, die trotz der monotonen Melodie einen in diesem Lande ihm ungewohnten silberhellen und angenehmen Klang hatte.
Der junge Mann lauschte aufmerksam einige Zeit dem wirklich lieblichen Gesang, der, wie er bemerkte aus der Kajüte im hohen Hinterdeck der Dschonke kommen mußte, und wollte sich eben vorsichtig derselben nähern, um wo möglich durch die den Lichtschimmer hindurch lassenden Jalousieen einen Blick auf die Sängerin zu thun, als ihm die Mühe erspart wurde.
Eine Stimme aus dem Dunkel hinter ihm redete ihn in demüthigem Ton und in englischer Sprache an. »Tsin-Yang freut sich, die rechte Hand des großen Kriegers bei sich zu sehen, der selbst den unbesiegbaren Soldaten
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des Lichtes der Welt Stillstand geboten. Welche Befehle hat der General der Franken noch für seinen Diener?«
Umschauend erkannte der junge Offizier in dem Schein der nahen Laterne den Oberaufseher des Sommerpalastes, mit dem er noch vor kaum einer Stunde über den Verrath seines Herren unterhandelt hatte. Seine Meinung von dem kaiserlichen Beamten war ziemlich gering und er antwortete daher nicht sehr freundlich, er habe ihm keine weiteren Nachrichten zu bringen, sondern sei ohne Wissen seines Generals hier und bloß durch Zufall auf die Dschonke gerathen. Zugleich versuchte er, ihm den nächsten Uebergang nach dem Ufer zu zeigen.
Der Chinese war aber in Folge dieser Mittheilung noch ceremoniöser und demüthiger als vorher.
»Tsin-Yang freut sich, den jungen Krieger wieder zu sehen, der sich als seinen Freund gezeigt und ein so ehrlicher Mann ist. Er liebt die schwarzhaarigen Barbaren mehr als die mit rothen Haaren, wenn er auch deren Sprache redet. Mein tapferer Freund möge es nicht verschmähen, bei Tsin-Yang einzutreten, der ein Mandarin ist, und aus der Hand seiner Tochter eine Schaale des göttlichen Trankes einzunehmen, den sonst nur die Sonne des Welttalls und seine Familie genießt.«
Der Offizier wollte anfänglich die Einladung ablehnen, aber eine gewisse Neugier, die Sängerin mit der lieblichen Stimme zu sehen, bewog ihn endlich, einzuwilligen.
Der Chinese klopfte an die Thür, die zu der Kajüte
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führte, hob den innern Vorhang und führte seinen Gast in das Gemach.
Es unterschied sich in seiner Ausstattung keineswegs von dem Aussehen ähnlicher Räume der gewöhnlichen Handelsdschonken, und war - wie dies überhaupt keine Tugend der Chinesen ist, - nicht sehr sauber und zierlich, so daß der junge Offizier wohl merkte, daß sein Gastfreund zu dem verrätherischen und etwas gefährlichen Wege sich des Incognitos eines der gewöhnlichen Boote bedient hatte, welche zahllos die Kanäle und den Fluß in der Nähe von Peking kreuzen. Dagegen hing von der Decke der Kajüte eine kostbare Lampe in silbernen Ketten, die einen besonderen Wohlgeruch verbreitete, und auf dem niedern Tisch stand ein Kohlenbecken und das Geräth zur Theebereitung von dem gleichen kostbaren Metall.
Auf dem mit einem feinen Teppich belegten Bambus-Divan im Hintergrund der Kajüte lag ein junges chinesisches Mädchen, noch das Instrument in der Hand, mit dem sie ihren Gesang begleitet hatte. Sie war ganz in grüne Gewänder gekleidet und das geflochtene und am Hinterkopf zusammengebundene und mit Nadeln und Blumen besteckte Haar zeigte sie als unvermählt.
Das Gesicht hatte die tatarische Form, die breiteren Backenknochen und das kleine zierliche Kinn unter vollen üppig aufgeworfenen Lippen. Auch die Augen hatten jene Winkelstellung, die so eigenthümlich die mongolische Race characterisirt, aber sie waren schön geschnitten, von glänzend brauner Farbe und entbehrten den in China seltenen Schmuck der Wimpern nicht, während die starken schwarzen Brauen
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fast spitz über der Wurzel der kleinen aber nicht unschönen Nase zusammenliefen. Kurzum, die junge Chinesin war sicher eines der hübschesten Bilder ihrer Race.
Dies Alles und noch verschiedene andere Schönheiten, wie die überaus kleine Hand, die langen rosenroth gefärbten Nägel und den vollen und doch geschmeidigen Wuchs des jungen Mädchens bemerkte Lieutenant Clément zwar nicht auf den ersten Blick, sondern erst, als er auf die Einladung des Mandarinen sich an der Seite der Schönen niedergelassen hatte, aber er hatte mit diesem ersten Blick doch erkannt, daß er hier keineswegs, wie er anfangs gefürchtet, eine jener geschminkten Buhldirnen vor sich hatte, die er eben in dem Pavillon des würdigen Herrn Héu-Tsing verlassen.
Die schöne Tank-ki, die denselben Namen führte, wie jene berüchtigte Geliebte des Kaiser Scheusin, die so furchtbare Strafen erfand und so schaamlose Orgien feiern ließ, bis das empörte Volk den grausamen Herrscher zwang, sich mit all seinen Edelsteinen im eigenen Palaste zu verbrennen und sie selbst hinrichtete,26 - sah anfangs mit Erstaunen auf den europäischen Gast, den der Vater ihr zuführte; denn obschon den Chinesen ihre Religion und Gesetz nicht grade verbietet gleich den mahomedanischen Orientalen, die Frauen anderen Männeraugen auszusetzen, als denen der Gatten, Herren oder Brüder, so halten die vornehmeren Chinesen doch meist ihre Frauen und Töchter in den Frauengemächern ihrer Häuser abgesondert, und
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nur die Weiber der unteren Stände gehen frei und unverhüllt ihren Geschäften und meist sehr schweren Arbeiten nach.
Auf einige Worte ihres Vaters in chinesischer Sprache erhob sich das Mädchen jedoch und begrüßte ceremoniell den Fremden zu dessen Erstaunen in französischer Sprache.
»Tank-ki« erläuterte der Mandarin, »ist eine Gelehrte. Eine Frau aus dem Lande der Franken, die an der Küste Korea Schiffbruch gelitten und die ich als Sclavin von den Piraten kaufte, hat in ihrer Kindheit etwas von Deiner Sprache gelernt, tapferer Schnupy.27 Ich hoffe, Du wirst ihrer Unerfahrenheit verzeihen, wenn sie Dich nur mangelhaft unterhält.«
Darauf folgte wiederum eine kurze Unterredung mit dem Mädchen in chinesischer Sprache und dieselbe schien von einem Befehl begleitet, gegen den die schöne Tank-ki Einwendungen erhob. Der junge Offizier sah das Mädchen hoch erröthen und verschiedene Male halb ängstliche, halb unwillige Blicke auf ihn richten, - zuletzt aber schien sie sich zu fügen, denn die Gewalt der Eltern über die Kinder ist in China überaus groß und der Ungehorsam wird selbst von dem äußern Gesetz auf's Strengste bestraft. Tank-ki erhob sich und der Franzose konnte ehe sie hinter dem Teppich, eines zweiten Ausgangs verschwand, bemerken, daß ihre Füße zierlich und klein aber keineswegs so widrig verkrüppelt waren, wie das gewöhnlich bei den Frauen der
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höheren Stände durch das Einschnüren von Kindheit auf der Fall ist.
Während der Abwesenheit des Mädchens versuchte der Chinese durch allerlei schlaue Fragen den jungen Mann zu Mittheilungen zu veranlassen über seine Stellung und seinen Einfluß bei dem General, über den Charakter desselben und ob er auch der Mann sei, das gegebene schriftliche Versprechen zu halten, und schon wollte der Offizier gelangweilt und angewidert von der behaglichen, fast prahlerischen Weise, mit welcher der Chinese von seiner Verrätherei sprach, die Schiffskajüte wieder verlassen, indem er ziemlich unverhohlen seine Verachtung zeigte, als das junge Mädchen wieder erschien, auf einem zierlichen Lackbrett eine Tasse duftenden Thees und einen Becher warmen Weins nebst allerlei Confitüren tragend.
Sie näherte sich damit dem jungen Offizier und bot ihm das Brett zur Auswahl.
Es lag bei dieser einfachen Verrichtung eine gewisse Aengstlichkeit in den Bewegungen des jungen Mädchens, ihr braunes mandelförmiges Auge senkte sich und ihre Hand bebte, als Lieutenant Louis die Tasse mit dem Thee nahm.
»Er ist von dem Baume, der allein in den Gärten des Palastes wächst und dessen Knospen nur alle zwei Jahre gepflückt werden, die Seele des Vaters des Himmels28 zu stärken.«
Trotz dieser Versicherung fand der Offizier, daß der
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sonst sehr aromatische Thee einen unangenehmen süßlichen Beigeschmack hatte. Um jedoch das junge Mädchen nicht zu verletzen, leerte er die Tasse.
Ein eigenthümlicher Blitz zuckte aus den Schlitzaugen des Chinesen und er gab seiner Tochter einen bedeutsamen Wink, worauf sie sich wieder auf den Divan an die Seite des Offiziers niederließ.
Der Chinese begann auf's Neue seine Fragen.
»Unser junger Freund kennt die Namen von Tan[k]-ki und ihrem Erzeuger. Aber sie kennen den seinen nicht?«
»Er ist noch ziemlich unbedeutend, doch hoffe ich, daß er einst mit Ehren genannt werden wird. Ich heiße Louis Clément, Lieutenant im 48. Linien-Regiment und bin Ordonnanz-Offizier im Stabe des General Montauban.«
»Tsin-Yang hofft seinen Freund noch als Thitu29 zu begrüßen. Der Tsiang-kiun30 ist ein sehr tapferer Krieger. Die Krieger der acht Fahnen31 sind wie Schnee an der Sonne vor seinem mächtigen Schwerte zerstäubt. Mein junger Freund hat Einfluß bei ihm. Warum sollte er den Tsiang-kiun nicht bewegen, statt mit der Perle des Reichs32 sich zu begnügen, die Wohnung der Sonne selbst zu nehmen?«
»Ich verstehe Deine Meinung nicht, Herr Tsin-Yang.«
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Das Auge des Mandarinen funkelte hochmüthig.
»Der junge Schnupi der Franken hat Tsin-Yang einen Verräther gescholten - ich habe es wohl bemerkt. Er weiß es wahrscheinlich nicht oder hat es vergessen, daß sein Freund kein Mandschu ist. Tsin-Yang ist ein Mitglied der himmlisch irdischen Gesellschaft33 und er hat die Probe der Schwerter bestanden.«
»Ich habe gehört« bemerkte der junge Mann, »daß eine geheime Gesellschaft dieses Namens bei Euch bestehen soll, aber ich kenne ihren Zweck nicht.«
»Welchen andern Zweck kann sie haben, als den großen Himmelssohn Tiente gegen Hien-fong,34 der sich die Fülle des Glücks nennt, zu vertheidigen und ihn auf den Thron seiner Väter zu sehen.«
»Du meinst also den Umsturz des Reichs, die Verbindung mit den Rebellen, welche den Kaiser von China in den letzten Jahren stark bedroht haben?«
»Die ächten Tschingis werden die Herren des Weltalls sein. Wenn der Tsiang-kiun der Franken mit dem schwarzen Haar helfen will, Peking seinem rechtmäßigen Herrn zu überliefern, sollten die Schätze, die er in Jung-ming-jun finden wird, nur Staub sein gegen das, was er erhalten wird!«
»Um Himmelswillen« meinte lachend der Lieutenant, der eine merkwürdige Erregung, ein gewisses Freiwerden
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seines Denkens und Fühlens zu empfinden begann, »lasse den Vorschlag nicht General Montauban hören, er könnte mit beiden Händen zugreifen.«
»So will mein junger Freund es ihm vorschlagen und ihn bewegen, den Usurpator von seinem Thron zu stürzen?«
»Der Himmel bewahre mich vor solcher Schurkerei,« sagte der Franzose, seine Gedanken zusammenraffend. »Wir führen mit dem Kaiser von China Krieg, ich weiß zwar nicht ganz genau, weswegen. Aber es ist ein offener Krieg und wir haben Nichts mit Rebellen zu thun. Rebellion, würdiger Tsin-Yang, ist immer ein schlechtes Ding und ich mag als ehrlicher Soldat Nichts mit solchen Intriguen zu schaffen haben. Laß mich bei solchen Vorschlägen und Plänen aus dem Spiel und gestatte lieber, daß Deine hübsche Tochter noch einmal das Lied singt, das ich vorhin belauschen konnte.«
»Tank-ki mag singen, Weiber taugen zu Nichts Anderem« sagte der Chinese kühl auf diese Zurückweisung, deren Aufrichtigkeit er nicht bezweifeln konnte. »Ich will dafür sorgen, daß die Dschonke näher an's Ufer legt, damit Du Deine Freunde erreichen kannst!«
Er sprach noch einige gebieterische Worte zu dem jungen Mädchen, dann verließ er die Kajüte.
Der Offizier befand sich allein mit der hübschen Chinesin.
Lieutenant Clément hatte Anfangs dem Mandarin auf das Deck folgen wollen, aber es kam ihm vor, als
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hielte es ihn mit unsichtbaren Banden und Ketten an seinem Platze fest.
Er fühlte, daß ein gewisses Wohlbehagen durch seine Adern schlich und er litt es geduldig, als das Mädchen ihm die Spitze einer Pfeife mit wohlriechendem Taback zwischen die Lippen steckte.
Aber er that nur wenige Züge, dann entglitt die Pfeife seiner Hand und seinem Mund.
Er wollte sprechen, und er vermochte es nicht.
Er wollte sich seiner Pflichten erinnern, aber er fand keine Gedanken.
Es war ihm, als umgebe, umschaukle ihn eine sanfte leise Bewegung, als wäre er allein mit Tang[Tank]-ki auf der Welt und würde mit ihr fortgetragen.
Eine Art Schleier umflorte seinen Blick und durch diesen Schleier sah er das Mädchen, das zu seinen Füßen kniete. Ihr schönes schwarzes Haar war aufgelöst und floß lang am Boden hin, als Zeichen, daß sie keine Jungfrau mehr sein sollte. Ihr rother Mund war geöffnet und athmete den Duft der Liebe, - ihre braunen Augen hingen mit Entzücken an ihm, und als er die Hand ausstreckte und sie an ihrem schönen weißen Halse heruntergleiten ließ, sanken die Hüllen ihres weichen Marmorbusens und ihre na[c]kten Arme umfaßten ihn.
Dann kamen ihm für einen Augenblick jene wüsten wilden Bilder, die er in dem Schiff der Schauspieler gesehen und entflammten sein Blut, aber sie wichen, wie das nächtige Sturmgewölk vor sanftgerötheten Morgenwolken - ein unaussprechlich süßes Gefühl sanfter Wollust überkam
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ihn - weit weit in der Ferne hörte er den Klang seiner Schlachttrompeten und das Rasseln der Allarmtrommeln - und seelig, zugleich träumerisch und wachend, hoffend und fühlend, erregt und glücklich, sank er auf die Kissen nieder, die das chinesische Mädchen zu seinen Füßen gebreitet, wo ihr süßer Leib ihn erwartete, und sein Mund trank Seligkeit aus dem warmen ewigen Bronnen des Lebens.


Die Trommeln rasselten Allarm durch das Lager - die Trompeten der Husaren schmetterten ihre Fanfaren.
Es war, als ob die unvernünftigen Thiere selbst es verstanden hätten, so willig ließen sie von ihren Leinen sich lösen, ließen sich satteln und drängten selbst in die Reihen wohin sie gehörten.
Den Arm des Lieutenants Henri von Thérouvigne faßte eine sehnige Hand.
»Lieutenant Louis - wo haben Sie Lieutenant Louis gelassen?«
»Zum Henker, alter Narr, ist er mein Ammenkind? Such' ihn bei seinem Regiment oder im Stab des General Montauban.«
»Aber ich finde ihn nirgends, er ist nicht dort - und mit Ihnen ging er fort.«
»Das beweist noch nicht, daß er bei mir geblieben, und er ist alt und eigensinnig genug, um seinen eignen Weg zu gehn. Auf dem Flower-boat des Chinesen Héu-Tsing verließ er mich vor zwei Stunden. Aber der Spektakel, den dieser vertrakte Colonel Düvalet macht, wird ihn wohl
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wecken. Grüß ihn von mir und kommt den Zuaven und Husaren bald nach mit dem Stab!«
Der Lieutenant machte sich frei und schwang sich in den Sattel, noch mit wüstem Kopf und erschlafften Gliedern. Aber der Dienst rief, und durch die Reihen ging ein belebendes Flüstern:
»Nach Peking!«
An dem Ufer des Kanals, zwischen den Buden der chinesischen Händler, zwischem dem Zeltlager der Soldaten irrte der Avignote umher. »Lieutenant Louis! - Habt Ihr Lieutenant Louis Clément nicht gesehen vom Achtundvierzigsten? - Heilige Mutter Gottes von Bauclüse - morgen ist sein zwanzigster Geburtstag und ich finde ihn nicht!«
Die Tambours schwiegen, die Trompeten bliesen nicht mehr - Vedetten sprengten auf dem Wege voran - die Reihen ordneten sich, die Hände fühlten gierig, ob Raum in den weiten Taschen und Tornistern sei für die goldene Beute, welche die funkelnden Augen hofften, und von Mund zu Mund flüsterte es gierig: Nach Peking! wir kommen den Engländern zuvor.
»Hurrah, General Montauban, unser Held von Palikao!«
»Marsch! Marsch!«


Wilde Phantasien durchtobten das Hirn des jungen Offiziers ohne daß er sich davon loszureißen und sie zu sichten vermochte. Bald war es ihm, als hörte er das Toben der Schlacht um sich her und den Siegesruf seiner
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Kameraden, bald wieder Töne, die der Hölle entstiegen schienen, ein donnerndes Brüllen, Rasseln der Ketten, ein schrilles Miauen und Grunzen und Schnauben um sich her und dazwischen ein tolles Jauchzen menschlicher Stimmen.
Es mußten viele Stunden vergangen sein, ehe er zum Bewußtsein kam und die schweren Augenlider öffnete.
Seltsam - um ihn war es Nacht, und doch wieder hell, denn von Zeit zu Zeit leuchtete es wie Blitze, wie Feuer oder Fackelschein über ihm.
Dazu waren der Lärmen, die Stimmen, die er im Traume gehört, in die Wirklichkeit übergegangen.
Der junge Offizier glaubte anfangs fortzuträumen - erst nach und nach fand er das Bewußtsein, die Erinnerung, das Vermögen zu denken.
Aber wo war er - was war mit ihm vorgegangen?
Die Zunge klebte trocken am Gaumen, der Hals brannte ihm lechzend nach einem Trunk kühlen frischen Wassers. Er fühlte, daß ihm noch das Hirn wirbelte, daß er noch nicht ganz Herr seiner Besinnung war.
Und was um ihn her vorging, schien keineswegs geeignet, die Klarheit seiner Gedanken herzustellen.
Zuerst: wie war er hierher gekommen?
Er erinnerte sich des Chinesen Tsin-Yang, - der wüsten Bilder und Scenen auf dem Blumenboot, - dann des Empfangs auf der Dschonke - seines Eintritts in die Kajüte - der jungen Tank-ki, deren Bild ihm die Röthe der Scham auf die gebräunten Wangen rief.
Was war geschehen - wie kam er hierher?
Vor Allem: wo war er?
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Es war - wie erwähnt - finster um ihn her, aber das Auge gewöhnte sich an diese Dunkelheit und unterschied nach und nach in dem Leuchten, das über die Höhe her oft in seine Tiefe drang, die nächsten Umgebungen.
Es schien ihm, als befinde er sich in einem tiefen Thurm mit hohen glatten Mauern ringsum. Ein Dach wölbte sich über die etwa 5-6 Schritt im Durchmesser haltende Rundung, und durch eine Oeffnung drang jener räthselhafte hin und wieder aufflackernde Lichtschimmer und der Lärmen, in dem er die gewohnten Töne und Stimmen der Kameraden zu erkennen glaubte.
Der Ort, wo er sich befand, war - wie er durch das Tasten und das Gesicht ermittelt, - eine runde Tiefe, der Boden mit Quadern gepflastert. Um ihn her stiegen die Wände etwa 18-20 Fuß in die Höhe. Die Wände waren gleichfalls von Stein, feucht und glatt. Wie er bei weiteren Nachforschungen entdeckte, lief in mehr als Manneshöhe, so daß er von den auf dem Boden der seltsamen Cisterne Befindlichen nicht erreicht werden konnte, ein steinerner schmaler Vorsprung rings um das Innere des Thurms.
Ein eigenthümlicher scharfer Geruch herrschte in dem verschlossenen Raum.
Wir haben bereits gesagt, daß der Lärmen, den er im Traum zu hören geglaubt, fortdauerte.
Der junge Offizier konnte deutlich, wenn auch in einiger Entfernung, Stimmen hören, die tobten, lachten, fluchten oder stritten, und die Laute, die er vernahm, waren unzweifelhaft französisch. Von Zeit zu Zeit knallte sogar ein Schuß.
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Dann erhob sich in unmittelbarer Nähe um ihn her jenes furchtbare Brüllen, Schnauben, Zischen und Stampfen, das ihn früher beunruhigt hatte. Ketten und Eisen, als würden sie wild bewegt, klirrten, und Schnauben und Brummen dicht neben ihm machten ihn schaudern den Platz wechseln.
Dies konnte er, wie er erst jetzt merkte, ungehindert thun, denn er fand sich im freien Gebrauch seiner Glieder, so weit der Raum umher es gestattete, ja als er versuchte seine Stimme zu erheben, vernahm er deren Klang, nur gedämpft und gebrochen durch den eingeschlossenen Raum.
Aber sein Ruf schien wie ein Echo nur jenes Schnauben, Rasen und Brüllen zu vermehren, das um ihn her tobte und auch die höchsten Anstrengungen seiner Lunge übertäubte, und er empfand, daß es unmöglich sein würde, sich dahindurch hörbar zu machen.
Aber indem er empor blickte, sah er, daß an mehreren Stellen feurige leuchtende Augen auf ihn gerichtet waren, Augen, die funkelten wie grüne und rothe Steine und ihn unheimlich betrachteten.
Er rief wieder, er verlangte zu wissen, wo er sei, er schalt und drohte ...
Aber da brach der Höllenlärm auf's Neue und verstärkt los - es rasselte um ihn her und kratzte und rüttelte wie an Eisenplatten, und rannte und stampfte gegen die Mauern, bis ihm die noch nicht gefestigten Sinne auf's Neue sich verwirrten und schwanden und er wieder betäubt, träumend, bewußtlos auf die Vließen seines Kerkers niedersank.


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General Cousin de Montauban hatte mit dem Colonel der Zuaven eine lange Unterredung gehalten. Dieselbe schien den letzteren über den Verlust seiner fünfzig Napoleondor's und des amüsanten Schauspiels auf dem Flower-boat des Chinesen Héu[n] vollständig befriedigt zu haben, denn als er das Gemach des Generals en chef verließ, machte er ein sehr vergnügtes Gesicht. Die beiden Ehrenmänner hatten einander vollständig verstanden.
Der Oberst hatte kaum den Lagerplatz seines Regiments erreicht, als vom Hauptquartier her die Allarmirung des Lagers erfolgte. Die Trommeln wirbelten, die Trompeten bliesen und ehe eine Stunde verging, stand die kleine Armee unter Waffen.
Niemand wußte anfangs, was der Allarm zu bedeuten hatte, da von einem Ueberfall der Feinde Nichts zu sehen und zu hören war, bis sich das Gerücht verbreitete, es gelte einen Angriff auf Peking selbst.
So wahnwitzig der Gedanke auch jedem Vernünftigen bei einem Blick auf die alliirten Streitkräfte und der Thatsache, daß das geschlagene Heer der Chinesen hinter einer Stadt von mehr als einer Million Einwohnern stand, scheinen mußte, erregte er doch allgemeine Freude. Es ist eben Nichts so [so] toll und unsinnig, was nicht die Sympathien dieser Nation im ersten Augenblick für sich hat, wenn es nur ihrer Eitelkeit schmeichelt.
Aber bald zeigte es sich, daß nur ein Theil der kleinen französischen Armee vorläufig zum Ausrücken bestimmt war.
Das Husaren-Regiment erhielt den Befehl, den Vortrab mit recognoscirenden Abtheilungen zu bilden, die
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Zuaven sollten unverzüglich folgen. Es war gegen 5 Uhr Morgens, als die Reiter aufbrachen.
Der Sommerpalast des Kaisers Hieng-fong lag vor der Stadt Peking und außerhalb ihrer Mauern. Er ist oder war so groß, daß er selbst - gleich dem großen kaiserlichen Palast in der Sin-sching oder Thronstadt (Tartarenstadt) - eine Stadt für sich bildete, mit Gärten und Höfen und zahlreichen Nebengebäuden für die Bediensteten des Hofes. Eine Mauer mit Thoren umgab die inneren Gebäude.
Es war 7 Uhr, als die französischen Reiter ohne unterwegs auf irgend ein Hinderniß gestoßen zu sein, bei dem Palast ankam, wo ihre Ankunft natürlich den größten Schrecken erregte, denn wie der Verräther Tsin-Yang berichtet, hielt man einen Angriff der »Barbaren« während der Unterhandlungen mit dem Prinzen Kong für undenkbar und wollte diese eben dazu benutzen, die Schätze des Palastes nach Peking selbst oder noch weiter in das Innere des Landes zu flüchten. Alles was daher sich noch von Dienern und Hofleuten in dem Palast befand, eilte in wilder Flucht, denselben zu verlassen und sich nach dem nahen Peking zu retten.
Die Husaren General Montaubans hatten alsbald die Thore des Palastes besetzt, aber sie hatten den Bewohnern hinlänglich Zeit gelassen, sich auf und davon zu machen, da ihnen an deren Gefangennehmung Nichts lag, nur daß sie Nichts mit sich fortnehmen konnten, dafür wurde bestens gesorgt. So blieb denn von den alten berechtigten Bewohnern Niemand zurück, als einige kranke
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Personen, unter denen sich auch mit simulirtem Leiden der Oberaufseher Tsin-Yang befand.
Eine Stunde später rückte Colonel Düvalet mit den Zuaven an, aber General Montauban, der dem Egoismus des würdigen Obersten grade kein besonderes Vertrauen schenkte, folgte ihm auf dem Fuß und fand in der That den Obersten und seine Zuaven bereits in voller Arbeit zu plündern.
Der General war sehr erbittert darüber und machte Colonel Düvalet lebhafte Vorwürfe. Aber er begriff, daß er doch nicht Alles allein einstecken könnte, und daß unter der Firma der allgemeinen Plünderung der Raub und die Sicherstellung der wichtigeren Schätze sich am Leichtesten organisiren ließ. Er gab daher die Erlaubniß zur officiellen Plünderung des Palastes - zum Besten des französischen Staates, indem er befahl, daß die gesammte Beute in bestimmten Theilen des Palastes zusammengehäuft werden solle, um schließlich getheilt zu werden. Und indem er wohl wußte, welcher große Theil davon an den Fingern der Soldaten kleben bleiben würde, begnügte er sich, die Empfangssäle, die Staats- und Privatgemächer des Kaisers und die Boudoirs seiner Frauen durch besondere Wachen zu sichern.
Eine der ersten Maßregeln des Generals war gewesen, sämtliche Personen, die man noch in dem Palast gefunden hatte, vor sich bringen zu lassen, und er fand zu seiner Befriedigung wirklich den Verräther darunter, der unter einem Vorwand sofort von den Mitgefangenen entfernt und besonders eingesperrt wurde.
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Herr Tsin-Yang befand sich in keiner besonders guten Stimmung. Das rasche energische Auftreten des Generals, indem er - statt wie verabredet im Laufe des Vormittags - schon am frühen Morgen den kaiserlichen Palast überfallen hatte, bewies ihm, daß derselbe keineswegs geneigt war, sich seiner Leitung zu fügen, und er begann, für den Lohn seines Verraths, zu dem Habsucht und politischer Fanatismus ihn veranlaßt hatten, zu fürchten. Dies war um so mehr der Fall, als seine Falschheit und Doppelzüngigkeit ihn durch die Entführung des jungen französischen Offiziers in eine fatale Klemme gebracht hatten.
Dieselbe war freilich nicht vorbereitet gewesen, da nur der Zufall Lieutenant Clément auf seine Dschonke geführt hatte. Aber er hatte denselben benutzt, um je nach der Wendung der Dinge den jungen Mann, zu dem er sogar in Folge seines Benehmens bei der Unterredung mit dem General ein gewisses Vertrauen hegte, durch die Preisgebung seiner Tochter in sein Interesse zu ziehen, oder ihn als Geißel für die Erfüllung der Bedingungen des Vertrages festzuhalten, ja selbst ihn dem Haß seiner Landsleute zu opfern, um damit jeden Verdacht gegen sich selbst zu beseitigen.
Die vorzeitige Besetzung des Palastes durch die Franzosen hatte den treulosen Chinesen jedoch verhindert, seinen durch Opium betäubten Gefangenen bei Seite zu schaffen und er hatte sich daher nur beeilt, ihn in ein Versteck bringen zu lassen, zu dem jetzt, nach der Flucht der Wärter nur er den Zugang kannte und wohin die Plünderung der Franzosen schwerlich dringen würde.
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General Montauban hatte sich das Verschwinden seines Ordonnanz-Offiziers herzlich wenig kümmern lassen. Denen, welche Kriege leiten, also über das Leben von Tausenden gebieten, ist die Person gewöhnlich nur eine Zahl, mit der sie rechnen. Ja er mochte sogar ein Gefühl der Befriedigung hegen, als der junge Offizier bis zum Abmarsch der Truppen sich nicht einfand, und er dabei bedachte, daß der Mitwisser eines so compromittirenden Geheimnisses wahrscheinlich, wie jetzt die allgemeine Annahme war, durch einen Fehltritt oder eine Hinterlist auf dem Grunde des Kanals läge.
Der Sommerpalast Jung-ming-jun führte in der That mit Recht den Namen der »Perle des Reichs«, denn das Aeußere wie das Innere waren überaus prächtig. Die Dächer der Gebäude waren vergoldet, die Möbel von dem kostbarsten Rosen- und Cedernholz, seit Hunderten von Jahren hatten die Herrscher hier die Schätze der chinesischen Civilisation aufgehäuft. Kostbare Broncen und Kunstwerke aller Art, die reichsten Stoffe und Gewebe füllten die zahllosen Gemächer, und dieser Reichthum erhöhte den Glanz der äußeren Anlagen, der weiten Gärten mit künstlichen Felsen und Springbrunnen, mit zierlichen Kiosks und von bunten Porzellanen und Steinen ausgelegten Gängen und Grotten. Der ganze Pflanzenreichthum Chinas, das von dem nördlichen Ende der gemäßigten Zone bis in die Tropen reicht, waren hier versammelt, während auch das bunte Leben dieser weiten Ausdehnung frei umherstreifend oder hinter den vergoldeten Stäben der Käfige vertreten war.
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Da schwangen sich in silbernen Reifen der Kakadu, der Arrah und die bunte Schaar der Papageien, in den hohen Cypressen und Platanen klagte die Nachtigal ihr wunderbares Lied und selbst der prächtige Paradiesvogel der Insel Formosa freute sich unter dem wehenden Blätterdach der Palmen, auf dem das Chamäleon mit seinen seltsamen Gliederformen auf Beute lauerte. Tauben nisteten auf den bunten geschwungenen und von tausend Silberglocken klingenden Dächern, und der stolze Pfau in seinem weißen, blauen und grünen Gefieder schlug sein Rad zwischen der Schaar jener Prächtigen Gold- und Silber-Fasane, die jetzt die Zierden der europäischen Sammlungen sind.
In den künstlichen Teichen und Gewässern blitzten der Goldkarpfen und das Heer der kleinen Gold- und Silberfische, der Schwan zog stolz seine Furchen, die farbenprächtige chinesische Ente schnatterte um die Wette mit dem Klappern des schwarzen Storchs, und der Kranich und der rosenfarbene Flamingo streckten ihren schlanken Hals, während zahme Hirsche und muntere Gazellen umhersprangen und das fliegende Eichhörnchen sich von Wipfel zu Wipfel schnellte.
In einem besonderen Hofe des Palastes erhob sich in gewaltigem Rundbau die Menagerie der wilden Thiere, welche in den Gebirgen und den weiten Ebenen des ungeheuren Reiches hausen. An langer klirrender Kette suchte der gewaltige Elephant seinen entflohenen Wärter, das Panzerbedeckte Nashorn rieb sein Horn an der undurchdringlichen Mauer, der mächtige Tiger, der gefleckte Leopard,
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der schlanke Panther schlugen, der gewohnten Wartung entbehrend, ihre Tatzen gegen die klirrenden Gitter - im künstlichen Sumpf wälzten sich der Tapir und der Büffel - im Käfig klaffte der wilde Hund und verbreitete das Moschusthier seinen scharfen Dunst, und die Affenfamilien der Insel Hainan trieben ihre Späße neben der Grube, in der die Bären ihr träges aber rastloses Leben führten.
Und wie hier das Leben in tausend bunten und seltsamen Gestalten, häufte sich im Innern des Palastes der Reichthum der Industrie und des Handels des unermeßlichen Reichs. In dem Audienzsaal, dessen Wände mit Vergoldungen und gestickten Tapeten bedeckt waren, dessen Boden von kostbaren Marmorplatten gebildet war, erhob sich der aus edlen Metallen und Steinen zusammengefügte Thron mit der von Juwelen strahlenden Sonne und dem Drachen, dem kaiserlichen Sinnbild über ihm, der auch in den prächtigen Stickereien der Polsterdecken und Tapeten zahllos prangte.
An diesem Thron lehnte eine Krücke von gediegenem Gold, deren sich der entflohene Kaiser zu bedienen pflegte.
Viele Gemächer waren überfüllt von reich mit Silber und Gold gestickten Gewändern, mit Ornamenten von Jaspis, kostbaren Vasen und Krügen, großen Uhren und Spiegeln.
Noch reicher fast waren die Frauengemächer mit werthvollen Gegenständen überladen, kurz, dieser Palast übertraf jeden Herrschersitz europäischer Fürsten.
In diesen Reichthümern wühlten die gierigen Hände der plündernden Franzosen seit vierundzwanzig Stunden.
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Die kostbarsten Sachen, Spiegel, prächtige Schirme und Möbel wurden mit rohem Vandalismus zerstört. Die kostbarsten Seidenstoffe wurden aus den Vorrathskammern gezerrt, und an 100,000 Rollen, jede von mindestens 30 Thlr. in Werth, lagen auf dem Boden verzettelt umher zur beliebigen Auswahl für Alle, die zugreifen wollten.
Das neue chinesische Museum in Paris verdankt fast seinen ganzen Inhalt dieser Plünderung.
Während so seine Soldaten mit einem unerhörten Vandalismus wirthschafteten, der nur in dem Verfahren der Engländer zu Kertsch während des Krimkrieges und bei der Plünderung von Delhi ähnliche Beispiele in der neuen Geschichte hat, war General Montauban besorgt, sein specielles Interesse nicht aus den Augen zu verlieren.
Auf seinen Befehl wurde eine große Anzahl von kostbaren und kunstwerthen Gegenständen, die sich zum Transport nach Frankreich eigneten, zusammengebracht; denn es galt, durch solche kleine Cadeaus's sich die Verzeihung der Nation und die Nachsicht seiner Gönner zu erkaufen.
Das berühmte Halsband von Diamanten und Rubinen, das später die Kaiserin von Frankreich trug, und dessen Werth auf 2 Millionen angegeben wurde, ist ein Geschenk des Generals Montauban.
Die werthvollen Juwelen des Kaisers und seiner Frauen waren endlich von Herrn Tsin-Yang ausgeliefert, oder wenigstens ihr Aufbewahrungsort entdeckt worden, nachdem General Montauban eine Privatunterhaltung mit ihm gehalten hatte, bei welcher der neue Dolmetscher
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verschiedene Drohungen von Anwendung der Bastonade hatte fallen lassen. Zu dem Geständniß, wo die versprochenen Silberbarren verborgen waren, wollte sich der Oberaufseher des Palastes dagegen nicht verstehen, bis er bessere Garantien für seinen Antheil erhalten hätte, als ihm bisher geworden waren.
Der General en chef befand sich darüber in sehr übler Laune; denn er fürchtete nicht mit Unrecht, daß er den Fund, auch wenn er dem Spürtalent seines Zuaven gelänge, mit den Engländern werde theilen müssen.
Im Laufe des zweiten Vormittags war nämlich General Grant mit den englischen Truppen der französischen Armee, die so plötzlich 24 Stunden vorher ihren Lagerplatz verlassen hatte, nachgerückt und hatte in der Nähe des Sommerpalastes Bivouacq bezogen. Es war den englischen Soldaten von ihrem Oberbefehlshaber zwar streng verboten worden, sich an der jetzt fast 30 Stunden bereits andauernden Plünderung des Palastes zu betheiligen, aber die Franzosen konnten natürlich nicht verhindern, daß viele Offiziere und Soldaten sich in dem Palast eingefunden hatten, seine Merkwürdigkeiten in Augenschein nahmen, und einen sehr lebhaften Handel mit den priveligirten Plünderern trieben, wobei ihnen natürlich eine so wichtige Entdeckung wie der Schatzkammer nicht verborgen bleiben konnte.


Es war am Nachmittag des zweiten Tages, etwa gegen 4 Uhr, als ein Mann in bürgerlicher Kleidung
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begleitet von einem jungen Husaren-Offizier von den Gemächern zurückkam, in welchen der französische General sein Quartier aufgeschlagen hatte. Beide drängten sich durch die Soldaten, welche die Zugänge füllten und bald dies bald das gierig aufnahmen und wieder fortwarfen, oder ihrem Uebermuth durch nutzloseste Zerstörung der kostbarsten Möbel und Zierrathen fröhnten.
In den Höfen und Gärten des Palastes sah es traurig aus.
An vielen Stellen sah man Haufen zusammengeraubter Gegenstände aller Art aufgethürmt, - der Boden war mit den Resten anderer bedeckt. Die Blumen und Sträucher waren niedergetreten, die Bäume umgehauen und nährten vielleicht ein Feuer, an dem ein Kreis von Soldaten sich streckte und die Vögel und Hausthiere briet, die man mehr aus Lust als aus Bedürfniß getödtet. - Dort würfelte eine Gruppe um Kostbarkeiten, deren Werth Keiner zu schätzen verstand und die den jetzigen Besitzer in seiner Heimath wahrscheinlich zum wohlhabenden Manne gemacht hätten, - und schlaue Händler strichen umher, den trunkenen und lärmenden Soldaten kostbare Beutestücke meist für ein Lumpengeld abzugaunern, während die englischen Soldaten - die es bei der Plünderung von Delhi und Kertsch um kein Haarbreit anders gemacht hatten, - neidisch zusahen.
Auf dem Antlitz des älteren Mannes lag der Ausdruck tiefen Schmerzes und auch das Gesicht des jungen Offiziers zeigte aufrichtige Trauer.
»Ich wollte fünf Jahr meines Lebens darum geben,
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ehrlicher Bonifaz,« sagte er, »wenn ich Deinen Herrn an jenem Abend nicht auf das verfluchte Blumenboot geführt hätte, oder vielmehr - da sich das nicht vermeiden ließ - wenn ich wenigstens ihn nicht aus den Augen gelassen hätte. Ich möchte mir die Haare ausraufen über meinen Leichtsinn!«
»Es war heute sein Geburtstag, sein zwanzigster Geburtsstag« murmelte der Avignot. »Was hatte ich von diesem Tage gehofft! Und wie werd' ich droben erscheinen vor ihm und ihr, wenn ihre Schatten mich fragen: Bonifaz - wie hast Du Deine Aufgabe erfüllt?«
»Und keine Spur von ihm - nicht die geringste!«
Der treue Diener schüttelte den Kopf. »Das Wasser schickt erst am neunten Tag die Todten wieder zur Oberfläche. Wenn es geschehn, will ich in diesem verfluchten Lande gleich mein Grab neben dem seinen graben lassen!«
»Dieser verdammte Taumel« schalt der Offizier, - »der sich Aller bemächtigt hat, entzieht uns selbst jeden Beistand zur Auffindung seiner Leiche. Der Teufel des Raubes und des Goldes erstickt selbst die Stimme der Kameradschaft, und nicht einmal so viel Zeit und Luft findet man bei ihnen, daß sie Red' und Antwort stehen!«
»Ich kenne Männer« sagte der Avignote finster, »die ihnen willig das Zehnfache vom Werth dieses ganzen elenden Bettels gegeben hätten für eine Kunde von ihm.«
»Die einzige Hoffnung, die General Montauban giebt« fuhr der Offizier fort, »ist, daß ihn diese langzöpfigen Halunken als Gefangenen nach Peking geschleppt haben könnten. Aber dann wäre es seine verfluchte Pflicht und
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Schuldigkeit, einen Parlamentair dahin zu schicken und seine Auslieferung bei Drohung der schwersten Strafen zu verlangen!«
»Glauben Sie mir, Lieutenant Henry, mein armes Kind ist todt. Er ist nicht aus einem Geschlecht, das sich von solchen Feiglingen geduldig fangen ließe! - Ueberdies - wo sind die Offiziere, die als Friedensunterhändler schon vor Wochen nach Peking geschickt worden sind? Niemand kennt ihr Schicksal und sie sind wahrscheinlich gleichfalls gemordet worden. Oh Lieutenant Henry, ich habe Sie immer gewarnt, meinen armen Louis nicht Ihre Wege zu führen!«
Er setzte sich traurig auf den halb zerstörten Marmorrand eines Bassins und starrte vor sich hin. Der Husar wandte sich finster zur Seite und stieß den Säbel unmuthig auf das Pflaster, daß eines der kleinen zierlichen japanesischen Hündchen, welche die flüchtenden Frauen des Kaisers zurückgelassen hatten, und die winselnd umher liefen - sich erschreckt davon machte.
»Oh Mylord,« sagte eine Frauenstimme in seiner Nähe, »sehen Sie nur das niedliche Thier. Es ist nicht größer wie ein Hermelin!«
Der Klang einer Frauenstimme hat immer etwas Verführerisches und Aufmerksamkeit Erregendes, wie vielmehr unter solchen Umständen, so fern von der Heimath, und wenn es auch an weiblichen Begleitern der französischen Expedition selbst in China nicht fehlte, - lag doch etwas so Frisches und Eigenthümliches in dieser Stimme,
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daß es sofort die Aufmerksamkeit des jungen Offiziers von den Gedanken an den verlorenen Freund abzog.
Sich umblickend sah er eine Gruppe, welche seine Neugier noch mehr fesselte.
Es war eine Gesellschaft von drei oder vier englischen Offizieren, die mit einem vornehm und aristokratisch aussehenden Herrn in Civil, einem Seemann und einer Dame durch den zerstörten Garten daherkamen, um die Räume des Palastes zu besichtigen. Hinter der ersten Gruppe kam ein kleiner beweglicher Mann mit blauer Brille, der jeden Augenblick stehen blieb, die Hände vor Verzweiflung über den Anblick der muthwilligen Zerstörung all' dieser Herrlichkeiten rang, und sich dabei die unnützesten Dinge in die weiten schon bis zum Platzen vollgestopften Taschen seines Sürtouts packte oder dergleichen seinem Begleiter auflud.
Die Erscheinung des Letzteren wäre gewiß noch mehr aufgefallen, wenn nicht überhaupt der Krieg immer eine Menge abenteuerlicher Gestalten in seinem Gefolge hätte.
Der Mann war von riesiger Gestalt, vielleicht fünfzig oder fünfundfünfzig Jahr, obschon sich sein Alter nach dem von Wetter und Strapatzen tief gebräunten und gefurchten Antlitz schwer entscheiden ließ. Er trug ein ledernes Jagdhemd, hohe Lederstiefeln und eine Mütze von Otterfell, während unter'm linken Arm eine Jagdtasche von schwerem Gewicht hing und seine Rechte eine lange Büchse von kleinem Kaliber schulterte. Ein starkes Messer mit Horngriff im Ledergürtel seines Jagdhemdes war seine einzige Handwaffe, doch lag etwas in dem Blick der großen
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blauen Augen des Mannes und in seiner ganzen Haltung, das schwerlich auch dem Bewaffneten Luft gemacht hätte, mit ihm als Gegner anzubinden. Trotz dieses Aussehens einer gewaltigen Kraft und Energie war doch der Ausdruck von einer gewissen mit leichtem Spott verknüpften Güte und Freundlichkeit in dem rauhen Gesicht unverkennbar, mit dem der Riese auf seinen kleinen beweglichen Gefährten herab sah und sich geduldig die Beladung mit all' den meist zerbrochenen und unnützen chinesischen Kuriositäten gefallen ließ.
Die Erscheinung der beiden so verschiedenen Männer hätte sicher das Interesse des jungen Husaren-Offiziers noch mehr erregt, wenn derselbe nicht vollständig von dem Anblick der Dame gefesselt worden wäre.
Sie war von mittlerer Größe, schlank aber kräftig gebaut mit vollem in Zöpfe geflochtenem Haar, einer kurzen Adlernase, kräftigem Hals und kleinen, leicht geneigten aber feurigen Augen, die unter tiefschwarzen Brauen blitzten, während die Farbe ihrer Haare ein schönes Blond war.
Die Toilette der jungen Dame hätte nach den Anforderungen pariser Mode zwar Vieles zu wünschen oder anzustaunen lassen, aber an diesem Ende Asiens war man gewöhnt, das Originelle nicht auffallend oder unpassend zu finden, ja selbst schön, wenn es schön war.
Die Dame trug ein kurzes Kleid von blauem chinesischem Seidenstoff ohne Krinolin, darunter pelzverbrämte Stiefel von russischem Leder, die bis über die halbe Wade reichten. Die kurze litefkenartige, dunkle Schoosjacke der
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russischen Frauen, gleichfalls mit Pelz verbrämt, schloß ihre schöne Büste ein und ihr Begleiter, der stolze Mann in Civil, trug über den Arm einen langen indischen Shawl von prächtigen Farben. Das blonde in Zöpfe geflochtene Haar der Dame bedeckte leicht eine jener chinesischen Seidenkappen, die dem Fez der smyrniotischen Damen ähneln. Ein zweiter ihrer Begleiter, ein junger Offizier in dunkelblauer Marine-Uniform mit der schwarzweißen Kokarde an der Goldborte der Mühe, trug ihr einen großen chinesischen Sonnenschirm, von dem sie jedoch wenig Gebrauch zu machen schien, indem sie sich statt dessen eines Fächers von Pfauenfedern bediente.
»Ich bitte Sie um Himmelswillen, Mylord,« sagte lachend die Dame zu ihrem aristokratischen Begleiter, indem sie zurückblickte, »haben Sie ein Einsehen und verbieten Sie meinem Zukünftigen, sich mit so schaudervoller Menge zerbrochener Scherben, Holzstücke und zerrissener Fetzen zu beladen. Er packt mir alle Koffer und Kisten davon voll und ich weiß zuletzt nicht, wo ich meine geringe Garderobe unterbringen soll. Warhaftig, ich war neulich schon in Begriff, einem unserer Matrosen auf dem russischen Dampfer, der uns nach Thianthsin brachte, ein Trinkgeld zu geben, bloß daß er meine Ausstattung, den alten Mammuthsschädel, als Unrath in das Meer werfen möchte, aber mein Herzallerliebster kam unglücklicher Weise dazu und erhob ein so[l]ches Lamento auf Lateinisch, Deutsch und was weiß ich in was noch für Sprachen, daß ich Mitleid mit ihm empfand und Wassily wieder fortschickte. Seidem bewacht er meine Kabine mit Argusaugen.«
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»Sie sollten wirklich den armen Professor nicht doppelt quälen!«
»Doppelt? - was verstehen Sie darunter, Mylord?«
»Nun ich meine, daß Sie ihn bei zwei schwachen Seiten fassen, seinem Herzen und seinen Liebhabereien!«
»Thorheit Mylord - Sie glauben doch nicht im Ernst, daß unser gelehrter Freund, dem ein fossiler Zahn wichtiger als die schönste Perlenreihe in einem frischen Mädchenmund, und irgend eine unentdeckte Froschgattung interessanter als das ganze weibliche Geschlecht ist, sich im Ernst in ein so unbedeutendes Wesen verlieben könnte, als die arme Wéra Tungilbi ist?!«
»Und sind Sie selbst davon so fest überzeugt?«
Die schöne Sibirianka erröthete und schlug die Augen nieder. »Das ist eine ungerechte Frage Mylord - wir Frauen sind alle eitel!«
»Aber was Ihnen ein Spiel bloßer Befriedigung Ihrer Eitelkeit, eine muntere Laune Ihrerseits ist« sagte der Pair halblaut und mit ernstem Ton, indem er leicht seine Hand auf ihren Arm legte, »könnte zuletzt den Schmerz bitterer Täuschung einem wackern Manne bringen, der bei all' seinen Absonderlichkeiten doch ein warmes Herz für seine Mitmenschen in der Brust sich bewahrt hat und nicht verdient, verspottet zu werden.«
Sie wandte sich scharf und stolz zu ihm um. »Und wer sagt Ihnen denn, mein stolzer Herr, daß es nur Spott und Laune ist?«
»Ein Mädchen wie Sie kann doch unmöglich
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Neigung zu meinem alten Freunde empfinden, so vortreffliche Eigenschaften er auch sonst hat.«
»Sie wissen recht gut, Mylord, in welcher Schule ich gewesen bin, und daß Herz und Gefühl keine Rolle im Leben Wéra Tungilbi's spielen werden. Aber wie nun, wenn ich Lust hätte, die Frau eines berühmten Gelehrten zu werden und als solche zu glänzen?«
»Wenn die Verwandte des Fürsten Wolchonski in der That einen so geringen Ehrgeiz hätte« sagte der Engländer kalt, »brauchte sie nicht nach Paris zu gehen!«
Sie wandte sich geärgert von ihm ab. »Sie gehören zu dem Geschlecht, das immer Recht haben muß! - Aber Sie wissen, Mylord, daß ich meine eigene Herrin bin und thun kann, was mir beliebt. Der Professor ist ein ehrenwerther Mann, und es hat mir beliebt, mich seinem Schutz anzuvertrauen. Wenn er Hoffnungen daran knüpfen sollte, die thöricht sind, - so ist dies seine Sache. Warum sind die Männer, selbst die klügsten so schwach! Ich werde nie etwas mehr für ein Mitglied Ihres sogenannten starken Geschlechts fühlen, als Freundschaft und höchstens Achtung!«
»Niemals, Mylady?«
»Niemals! - und selbst meine Achtung ist schwer zu gewinnen!«
Er blickte finster zu Boden und unterdrückte mit fester Selbstbeherrschung den Seufzer, der seine männliche Brust schwellte. Sie waren schon während des Gesprächs ihren Begleitern einige Schritte vorausgegangen. Jetzt blieb die Russin stehen und sah ihn lächelnd an.
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»Warum, Mylord, wollten Sie den Gewissensrath und Sittenrichter eines so thörichten und unerfahrenen Mädchens, wie ich, spielen - Sie der vornehme Edelmann, der unter den Großen seines Landes sitzt, - ich, die Abenteuerin aus der Eisregion des der europäischen Cultur so fernen Sibiriens, - deren Ziel höchstens sein kann, das Recht des Eintritts in die Familie ihres Vaters zu erkämpfen.«
»So stolz die Fürsten Wolchonski auch sein mögen« sagte der Britte rasch - »sie würden es sich immer zur Ehre schätzen die Vicounteß von Heresford zu ihrer Familie zu zählen!«
»Eine Liebeserklärung im Sommerpalast des armen Kaisers von China« sagte sie lustig - »das wäre in der That originell! - Aber still, Mylord - kein Wort weiter. Das wäre ein Verrath an Ihrem gelehrten Freund und an mir - die sich Ihrem gemeinsamen Schutz auf ihrer Wanderung um die halbe Welt anvertraut hat. - Hierher Professor, sehen Sie dieses schöne Stück Porzellan! Schade, daß es zerbrochen ist!«
Der berliner Gelehrte warf die unförmliche Scheide eines der kurzen breiten chinesischen Säbel von sich, die er eben vom Boden aufgelesen, und kam eiligst zu seiner Gebieterin gehüpft.
»Verehrteste Freundin und Mündel, was haben Sie zu befehlen? Ich betrachtete eben eine jener alten Waffen, die noch aus der Zeit der Römer stammen müssen, die im Jahre 210 unter dem Kaiser Sever nach China Gesandte
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schickten, denn auf den Buckeln der metallenen Scheide befinden sich zwei Charaktere, die ...«
Sie ließ ihn nicht ausreden. »Ich glaubte Ihnen eine Freude zu machen, mein werther Freund,« sagte sie mit süßem Lächeln, das den Gelehrten in Verwirrung die blaue Brille auf der Nase auf- und niederschieben ließ - »indem ich Sie auf dies Stück aufmerksam mache, das ganz anders aussieht, wie das sonstige Porzellan.«
Der Professor bückte sich eifrig und hob vom Boden eine zerbroche Schaale auf, die er mit Kenneraugen prüfte.«
»Eheu, miraculum! das ist wunderbar, meine werthe Freundin und Mündel,« schrie der kleine Mann voll Enthusiasmus, indem er sich mit Mühe enthielt, einen Luftsprung zu thun, - ich halte hier in meiner Hand ein Stück jener berühmten grünen Kaolin, dessen Zusammensetzung selbst in China seit dem Kaiser Wu-ti verloren gegangen ist, und von dem in Europa nur zwei Exemplare existiren, das Eine eine Vase in der Sammlung des japanischen Palais in Dresden, das Andere im Besitz eines englischen Kunstfreundes, der dafür einen Diamanten von der Größe einer Haselnuß hingab. O theure Freunde, wenn Sie bedenken, daß die Gährung des gewöhnlichen Porzellan-Thons in China 59 bis 60 Jahre dauert, so werden Sie sich nicht wundern, daß zur Herstellung dieser durchsichtigen Masse eine Zeit von zweihundertundfünfzig Jahren nöthig war, und daß ich entzückt bin, ein so kostbares Stück der königlichen Kunstkammer zu Berlin einverleiben zu können!«
»Aber es ist ja zerbrochen - ein unbrauchbarer
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Scherben!« warf der junge Seemann aus dem Kreise ein, der sich um den Professor versammelt hatte.
Der Gelehrte warf dem Kritikus einen Blick der tiefsten Verachtung zu. »Verehrter Jüngling und Landsmann,« sagte er, »Sie sollten sich scheuen, in dieser Weise von einer Erfindung menschlichen Geistes zu sprechen, von der schon Sse-ma-tsian, der großer Historiker berichtet. Leider für die Welt im Allgemeinen und speziell für die Kunstkammer in Berlin ist es ein Unglück, daß barbarische Hände diese Schätze, welche die chinesischen Herrscher - ich will nicht grade sagen seit Fohi, dem Sohn Hoa-siü's, oder Hoang-ti, da die Periode der Wu-ti's, der fünf Kaiser, etwas mythisch ist, - aber doch - wie man mit größerer Sicherheit annehmen kann, - seit dem Kaiser Thuang-wang, 681 vor Christo, unter der Dynastie Tsin, 249 bis 206, von Han 206 vor bis 220 nach Christum, gestiftet von dem Empörer Lieu-pang, aus dessen Blut jener weise Herrscher Wen-ti hervorging, welchem die Wissenschaft durch die Erfindung des Papiers ein so mächtiges Hilfsmittel verdankt, - ferner unter den Dynastien She-Han, Wei und Wu, welche letztere bis zum Jahre 264 regierte und durch die Dynastie Tsin ersetzt wurde, so wie ...«
Als der Professor bis hierher gekommen war, blickte er zufällig von dem gefundenen Schatz empor und sah, daß er bis auf seinen riesigen Begleiter ganz allein war, da die ganze andere Gesellschaft vor so viel Gelehrsamkeit die Flucht ergriffen hatte.
Sein Gefährte hielt die Hände auf die Mündung seiner langen Büchse gestützt und blickte zu dem kleinen
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Mann mit einem gewissen gutmüthigen Spott auf dem ernsten verwitterten Gesicht nieder.
»Ich kalkulire, Fremder, es ist Alles Büchergelehrsamkeit, was Ihr da auskramt,« sagte er bedächtig. »Aber was nützen die Scherben, wenn von den Menschen, die sie formten, nicht ein Staubkorn mehr übrig ist. Bin ich doch meilenweit über Stellen geschritten, wo dergleichen Zeug und Schutt höher als die Häuser in den Städten lag, und doch habe ich mir sagen lassen - und die Ueberlieferungen der Indianer stimmen damit überein, - daß von den Völkerschaften, die all die Dinge fertigten und bauten, nicht eine Sprosse mehr übrig ist!«
»Wo, wo, theuerster Jäger und Trapper, sind diese kostbaren Ruinen zu finden?« frug der Professor, der sofort in einen neuen Sattel seines Steckenpferdes sprang.
»Wo anders, als drüben über'm Wasser, in den Wüsteneien des Colorado, die einst - vor vielen Jahrhunderten, - blühende Länder mit fleißigen und glücklichen Bewohnern gewesen sein sollen.«
»Ihr sprecht von den großen Ruinen der Städte der Tolteken und Azteken in Mexiko, wie ich vermuthe, Freund Jäger« sagte der Gelehrte, »wahrscheinlich von jenen Städteüberresten zu Tusagan, Tehuantejec und Palenque in der Provinz Chiapa, und in Vera-Paz am Rio Gila, von denen bereits Torquemada in seiner Monarquia Indiana,« erschienen zu Sevilla 1615 und neu aufgelegt zu Madrid im Jahre 1723 spricht, und die neuerdings durch Prescot, History of the conquest of Mexico, so wie schon vor diesem durch Humboldt und meinen gelehrten Freund, den
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Professor Buschmann in Berlin besichtigt, erforscht und beschrieben worden sind.«
»Was Buschmann oder Buschfrau - das ist Alles Unsinn, was Ihr da schwatzt, Fremder. Die Ruinen, die ich meine, hat noch niemals der Fuß eines Weißen betreten, außer dem meinen, und sie waren Trümmer, wohl tausend Jahre vorher, ehe die Spanier ihren Fuß in das Land setzten, um Unheil und Verderben über friedliche Menschen zu bringen!«
Der Professor starrte ihn mit sprachlosem Erstaunen an; fast hätte er das kostbare Porzellan aus der Zeit vor dem Kaiser Tsin wieder auf den Boden fallen lassen.
»Mann, Freund,« stieß er endlich hervor, - »was sagen Sie da? Tausend Jahre in Ruinen vor der Zeit ehe die Spanier nach Mexiko kamen, was bekanntlich 1508 unter Solis und Pinzon und nicht wie man gewöhnlich sagt unter Hernan Cortez 1519 geschah, also 519 nach Christi Geburt! Da nun die Vorgänger der Azteken, das Volk der Tolken oder Tulteken erst im fünften Jahrhundert in Anahuac einwanderte, so müßten jene Städte, von denen Du sprichst, unwissender und doch durch diese Entdeckungen so hochbeglückter Mann, aus jener sagenhaften Urzeit stammen, wo für uns namenlose Völker jene Hälfte des Erdballs bewohnten, die dem Forscher nur beängstigende Ahnungen gestatten. O, daß es mir zur Ehre der berliner Akademie der Wissenschaften gestattet wäre, mit Deinem Beistand vortrefflicher amice ...[«]
Aber der amicus war jetzt gleichfalls verschwunden und der Gesellschaft nach einem der inneren Höfe des
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Palastes gefolgt, von woher ein gewaltiger Lärmen erklang und wohin die Neugierigen von allen Seiten eilten.
Mit einem schweren Seufzer über den Leichtsinn der Welt, die die wichtigsten Forschungen mit Gleichgültigkeit behandelte, und das weitere Examen des Amerikaners auf eine gelegenere Zeit verschiebend, machte der kleine Professor Platz in seiner Reisetasche für den historischen Scherben des Kaisers Tsin, indem er etwas weniger wichtige Lumpen mit großem Bedauern sorgfältig zur Seite legte, und schloß sich dann dem großen Strom der Schaulustigen an.
Es blieb in der That Niemand in diesem Theil der Gärten zurück, als einige zufällig vorüberkommende Soldaten und der Avignote Bonifaz, der den Kopf tief in die Hände gedrückt und theilnahmlos für Alles um ihn her auf dem Marmorrand eines Springbrunnens saß und einzig an seinen verlorenen Zögling dachte.
Blindes Menschengeschlecht - wie oft führt der Zufall? - nein, das Schicksal das, was Du am Nächsten suchst an Dir vorüber, ohne daß Du es ahnst!
Die Abtheilung der Höfe des Palastes, zu denen eben die Menge sich drängte, enthielt die Käfige der Raubthiere - die Menagerie des Palastes.
Das Gebäude, das den Bestien Wohnung gab, war von runder Form und die Käfige liefen fächerförmig bis zu bedeutender Breite in der Runde umher.
Vor diesen Käfigen hatte sich die Menge versammelt. Eben als Lord Walpole mit seiner Gesellschaft herankam, erschien von der andern Seite aus dem Palast her eine
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Anzahl Offiziere, der die Soldaten sofort Platz gaben, da die plümirten Hüte sie schon von fernher als Generale kenntlich machten.
Es war in der That General Montauban mit seinem Stab, aber in seiner Gesellschaft befand sich auch mit zwei Adjutanten der englische Oberbefehlshaber General Grant, der mit sehr unzufriedener und ernster Miene auf die Spuren der tollen Zerstörung und Plünderung blickte, die sich überall bemerklich machten.
Auch General Montauban schien erhitzt und zornig und es ließ sich leicht erkennen, daß zwischen den beiden Führern ein Wortwechsel stattgefunden hatte. Der Grund konnte nicht zweifelhaft sein, und wenn man es gewesen wäre, würde der Anblick des Herrn Tsin-Yang darüber aufgeklärt haben, der mit gebundenen Händen und arg zerzaustem Zopf zwischen zwei französischen Sergeanten, die mit höchst verdächtigen Bambusstöcken bewaffnet waren, sich in dem Gefolge der beiden Generale befand.
Etwa fünfzig Schritte von der Menagerie entfernt trafen die beiden Gesellschaften zusammen. General Montauban warf einen ärgerlichen Blick auf die Herankommenden und wandte sich zu einem seiner Begleiter.
»Parbleu, Monsieur Charentras, Sie wissen doch, daß ich befohlen habe, keinen aufdringlichen Civilisten den Eintritt in die inneren Thore zu gestatten! Das Gesindel drängt sich überall herbei, stiehlt wie die Raben oder betrügt unsere leichtsinnigen Burschen mit falschem Geld und Versprechungen um ihr Eigenthum. Ich dulde vorerst keine Handelsleute und Frauenzimmer in dem Hauptquartier.«
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Der angeredete Kapitain wollte eine Entschuldigung vorbringen indem er auf die begleitenden englischen Offiziere wies.
»Den Herren ist der Eintritt natürlich nicht zu verbieten,« sagte der General barsch, »obschon sie ihre Neugier zügeln könnten, bis wir ihnen Platz gemacht haben, um weiter die Kastanien aus dem Feuer für sie zu holen. Aber nicht anderen Personen! Sehen sie selbst wie der Kerl da beladen ist! Geben Sie sofort Befehl, daß man ihn durchsucht, ihm die gestohlenen Sachen abnimmt und ihn vor das Thor wirft.«
Er deutete dabei ärgerlich auf den unglücklichen Professor, der eben wie ein Kameel belastet zwischen den lachenden und spottenden Soldaten herankeuchte, seinen Gehilfen, den Amerikaner und seine schöne Schutzbefohlene zu überwachen und zu verhindern, daß der Erstere bei günstiger Gelegenheit den ganzen Kram wieder bei Seite werfe, den er ihm aufgepackt.
Selbst der Offizier, dem eben der Verweis und der Befehl geworden, mußte lächeln, als er die Person des unschuldigen Professors als die eines Diebes und Plünderers bezeichnen hörte, zu dessen Entfernung es einer Gewaltsmaßregel bedürfen würde.
Der englische General hatte die beleidigenden Bezeichnungen der ihm wohlbekannten Gesellschaft gehört.
»Euer Excellenz wollen mir erlauben,« sagte er vortretend, »die Gelegenheit zu benutzen, um Ihnen den sehr ehrenwerthen Lord Frederick Walpole, Viscount von Heresford und Pair von Großbrittanien und Irland vorzustellen,
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der mir die Ehre eines Besuchs angethan hat, auf der Rückreise nach Europa mit seinem Freund, dem deutschen Professor Peterlein begriffen, und in dieser Dame die Lady Wéra Wolkonski, die unter dem Schutz des gelehrten Herrn nach Paris reist. Der russische Dampfer, der in der Mündung des Pe-ho ankert und wahrscheinlich zur Beobachtung der alliirten Flotte von dem Mißtrauen des sibirischen Gouvernements Ochotzk dahin gesandt wurde, hat ihnen Ueberfahrt gewährt. Lord Walpole, mein Herr, wünscht Ihnen seine Bitte vorzutragen, mit dem französischen Schiff, das Sie in den nächsten Tagen nach Europa expediren, die Fahrt nach Indien machen zu dürfen.«
Der General, der seine Uebereilung fühlte und zu viel Ursache hatte, einen offenen Bruch mit dem englischen Führer zu vermeiden, benutzte die Gelegenheit, den Eindruck des Wortwechsels zu paralysiren.
»Seien Sie uns willkommen, Mylord,« sagte er mit plötzlichem Uebergang zur größten Höflichkeit - »Sie und Ihre Gesellschaft. Wir vermögen Ihnen in unserem Kriegslager allerdings wenig Annehmlichkeiten zu bieten, aber was in unserer Macht steht soll geschehen.«
Der Engländer verbeugte sich ziemlich kalt. »General Grant hat bereits die Güte gehabt, unsere Wünsche Ihnen vorzutragen,« sagte er. »Indem uns Interesse und Neugier antrieben, den englischen Schiffen nach Thianthsin und den Truppen hierher zu folgen, um einer so glänzenden That wie die Einnahme von Peking beizuwohnen, hörten wir, daß in drei Tagen bereits einer Ihrer Dampfer mit Depeschen nach den indischen Gewässern abgeht. Der
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Herr Kapitain ist bereit, uns an Bord die Ueberfahrt zu gestatten, wenn Sie General die Erlaubniß ertheilen.«
»Unzweifelhaft, Mylord - mit größtem Vergnügen. Nur fürchte ich, daß die Abfahrt sich noch verzögern wird, da die chinesische Regierung noch nicht geneigt scheint, wirklich Frieden zu schließen - es müßte denn geschehen« und der General warf einen scharfen forschenden Blick auf seinen englischen Kollegen, »daß wir ihnen mit Strenge zeigen, was Peking zu erwarten hat, wenn es nicht alsbald seine Thore öffnet.«
General Grant ließ die Bemerkung ohne Antwort.
»Indeß Mylord,« fuhr der Franzose fort, »sind wir eben bemüht Ihnen Reisegesellschafter zu verschaffen.«
»Reisegesellschafter?«
»Ja - das heißt keine solchen, die sich in den Salons der Tuilerien oder zu Windsor präsentiren lassen, die aber das Interesse der Pariser wohl einige Zeit fesseln dürften.«
»Gefangene?«
»Auch das Mylord,« meinte lachend der General, »und zwar Gefangene, die man hinter Ketten und Riegeln hält.«
»Also Verbrecher?«
»Auch Verbrecher gegen die menschliche Gesellschaft, privilegirte Mörder und Räuber.«
»Dann mein Herr,« sagte der Viscount mit einiger Empfindlichkeit »werden wir wohl auf die Ehre, unter französischer Flagge unsere Reise fortzusetzen, verzichten müssen.«
»Nicht so hastig, Mylord,« lachte der General. »Euer
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Herrlichkeit werden mich besser verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß es sich um einige Bewohner der kaiserlichen Menagerie handelt, die ich für den jardin des plantes nach Paris senden will.«
»Ah! und welche Auswahl haben Sie getroffen?« frug der Lord, in dem sich das Interesse des Jägers regte.
»Einen prächtigen Königstiger, so schön wie ich ihn noch niemals gesehen in Europa.«
»Doch schwerlich größer und schöner wie Bob in der Kingston-Menagerie« sagte General Grant.
»Ich habe nicht die Ehre seiner Bekanntschaft.«
»Er gehörte einem Ihrer Landsleute, General, wenn ich nicht irre jenem Grafen von Boulbon, der auf einer Expedition in der Sonora vor acht oder neun Jahren seinen Tod fand, und der ihn von dem gräulichen Schurken dem Nena erworben haben soll. Ein Engländer kaufte ihn in San Franzisco und brachte das Thier nach Europa.«
»Dann überzeugen Sie sich, Mylord, daß der meine dem londoner Bob Nichts nachgiebt.«
Die ganze Suite war näher zu den großen Käfigen der Thiere getreten.
Der ungewohnte Lärmen seit den zwei Tagen, die Masse der Menschen und die fortwährenden Neckereien der Soldaten, die sich mit dem größtem Leichtsinn an den Eisenstäben der Bestien zu schaffen machten, sowie die Entziehung der gewöhnlichen Nahrung hatte die Thiere aufgeregt, und während einige zusammengerollt mit tückischem Blick im Hintergrund ihrer Käfige lagen, tobten und
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rüttelten andere unter heiserem Geheul an den Eisenstäben ihrer Käfige, streckten die lechzende Zunge heraus oder sprangen an den Wänden ihrer Behälter umher, vergeblich einen Ausweg suchend.
Die Gesellschaft stand jetzt vor dem Käfig des Königstigers, den der General bestimmt hatte, mit zwei Leoparden die Wanderung nach Paris zu machen. Das prächtige Thier schritt unruhig hin und her in seinem Käfig, die lange trockene Zunge weit aus dem Schlund streckend und mit den grünlichen blutunterlaufenen Augen die Soldaten anstarrend, die ziemlich rathlos vor dem Käfig standen, denn alle Versuche den Tiger zu bewegen, in das kleinerere zum Transport bestimmte und vorgeschobene Behältniß überzutreten, waren von keinem Erfolg begleitet gewesen.
Vor diesen Käfig hatte sich der amerikanische Jäger gepflanzt und betrachtete mit sichtlichem Interesse das schöne Thier.
»Kommt hierher Meister Doktor,« rief er dem Gelehrten winkend, »und seht, was Gott der Herr in der Wildniß für Geschöpfe erschafft. Das ist mehr werth, als Eure Scherben und Lumpen. Seht die schlanken Seiten, die breite Brust und die weichen Pranken, und dann sagt mir, wie Ihr das gewaltige Thier nennt.«
»Es ist ein Tiger. Monsieur.«
»Ein Tiger? Unsinn! ich habe wohl fünfzig Tiger schon in meinem Leben geschossen, als ich noch zusammen mit Wonodongah jagte, und deren neun allein, als wir als Tigrero's im Dienst des Señor Estevan standen, ich
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muß also wohl einen Tiger von einem Büffel unterscheiden gelernt haben. Aber dieses Thier ist fast so groß wie ein Büffel und hat überdies eine andere Haut. Dies gleicht einem Tiger so wenig, wie ein tapferer Comanche einem jämmerlichen Shossan-Indianer. Ihr irrt Meister Doktor - dies Thier muß etwas Besseres sein als ein Tiger und ich wünschte wohl, ich begegnete ihm einmal in der Wildniß und könnte meine Büchse an ihm versuchen.«
»Der Himmel bewahre Dich davor, amice,« sagte der kleine Gelehrte - »wenigstens gehe keinen so gefährlichen Kampf ein, bevor Du mir genauen Bericht erstattet hast über Lage und Beschaffenheit jener wunderbaren Ruinen der Vorzeit, deren Vorhandensein Du mir vorhin angedeutet. Aber Du irrst, würdiger Jäger, wenn Du dieses Thier nicht für einen wahrhaften Tiger gelten lassen willst, felis tigris, die in Süd-Asien einheimische Katzenart, vorkommend häufig in Ostindien und auf der mataktischen Halbinsel, eigentliches Vaterland die Hochländer Süd-Asiens, von wo aus es bis in das südliche Sibirien streift, wie die wunderbare Erzählung unseres werthen Gastfreundes, des Tojon der Tungusen bewiesen hat; gelbrothes Fell mit schwarzen Querstreifen.«
»Das mag Alles sein,« sagte der hartnäckige Jäger »aber bei uns drüben über'm Wasser sehen die Tiger anders aus, wie ich Euch versichern kann, und lange nicht so schön und gewaltig. Es wird den Comanchen-Häuptling wundern, der so stolz war, der erste Tigrero der Sonora zu sein, wenn ich ihm sage, daß er nur auf Katzen gejagt hat.«
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»Du befindest Dich wieder im Irrthum, wackerer venator,« belehrte der Professor. »Der Tiger, von dem Du redest, und fälschlich so genannt, richtiger aber Jaguar, felis Onça, Familie Panthera, Gattung Katze, Abtheilung Tiger, ist auch ein höchst gefährliches Thier, frißt am liebsten faulendes Fleisch, zieht die Neger den Europäern vor und ...«
Der Gelehrte kam wieder nicht zur Beendigung seines Satzes, denn der veritable Tiger vor ihm that einen so kräftigen Sprung gegen die Eisenstäbe seines Käfigs und stieß dabei ein so furchtbares Brüllen aus, daß der kleine Gelehrte, der dem Gitter etwas zu nahe gekommen war, drei Schritt zurückprallte und leichenblaß den bisher sorgfältig getragenen, dick gefüllten Reisesack zu Boden fallen ließ, wobei ein sehr bedenkliches Klirren hörbar wurde.
Seine Verzweiflung über die Vernichtung der merkwürdigen Schaale aus der Zeit des Kaiser Tsin ging jedoch unter in dem schallenden Gelächter der Umstehenden, und selbst die schöne Sibirianka konnte sich nicht enthalten, bei dem Anblick der erschrockenen und traurigen Miene ihres gelehrten Anbeters einzustimmen.
»Aber zum Henker, Kapitain Charentras,« sagte zankend General Montauban, nachdem sich die Heiterkeit beruhigt hatte, zu dem Offizier, der die Funktion eines Platzkommandanten in dem geplünderten Palast zu versehen schien, - »ich meinte, diese Bestien wären längst in ihren Käfigen, um sie an Bord einer der Dschonken zu bringen, die sie nach Thianthsin schaffen sollen.«
Der Offizier zuckte die Achseln. »Euer Excellenz
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mögen sich überzeugen, wie schwer es ist, mit den störrischen Thieren fertig zu werden. Die Leute, die ich dazu kommandirt habe, erklären mir, daß sie kein Mittel wüßten, die Thiere in die transportablen Käfige zu bringen.«
»Das ist ärgerlich! - So bleibt uns Nichts übrig, als die Bestien insgesamt zu erschießen, um wenigstens die Felle mitzunehmen.«
»Das wäre wirklich schade,« sagte Lord Walpole. »Sollte sich nicht doch ein Mittel finden lassen? Wo sind die Wärter der Thiere?«
»Davon gelaufen nach Peking, Mylord!«
Der amerikanische Jäger hatte in nächster Nähe dem Gespräch zugehört. Jetzt wandte er sich an den jungen Engländer.
»Sie waren so freundlich Herr,« sagte er, »mir die Mitfahrt auf Ihrem Schiff zu erwirken, als das, was mich von San Francisco herübergebracht, in Japan liegen blieb. Das Mittel, das Sie zu finden wünschen, ist sehr einfach.«
Die Augen der französischen Offiziere und Soldaten, die den Mann bisher wenig beachtet hatten, wandten sich jetzt aufmerksamer ihm zu.
»Wer ist dieser alte Bursche? Ihr Jäger oder Diener, Mylord?« frug der General.
»Nein Excellenz. Er ist ein Fremder, wie ich, ein Amerikaner, dem wir Gelegenheit hatten, während des kurzen Anlegens unsers Dampfers in Nagasaki den kleinen Dienst zu erweisen, von dem er spricht. Er ist seiner Erzählung nach ein Jäger und Trapper aus dem französischen
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Kanada, hat aber den größten Theil seines Lebens in südlicheren Gegenden, in Mexiko zugebracht.«
»Es ist merkwürdig,« meinte der General wenig höflich, »was sich hier alles für Gesindel zusammen findet! Aber bitte, fragen Sie den alten Kerl, was er meint. Eine blinde Henne findet auch manchmal ein Korn.«
»Sie hören mein Freund,« sagte der Lord, »daß Seine Excellenz Ihren guten Rath wünscht, wenn Sie einen solchen geben können.«
Der Amerikaner hatte mit großem Gleichmuth und ohne Empfindlichkeit die Bemerkung des französischen Generals angehört. Jetzt wies er lächelnd auf den großen eisernen Trog, der in dem Käfig stand.
Der Trog war leer und trocken.
»Wasser!« sagte er.
Das Wort genügte vollkommen, um das wichtige Mittel allen Zuschauern klar zu machen.
»Par Dieu,« rief der Offizier, der den Platzkommandanten machte, »das ist das Ei des Kolumbus und es ist merkwürdig, daß wir nicht selbst darauf gekommen sind. Aber der Mann hat Recht - ich glaube, die Bestien haben seit der Flucht ihrer Wärter kein Wasser bekommen und deshalb sind sie so unruhig. Heda, bringe Einer eine Schaale Wasser von dem nächsten Springbrunnen her.«
Sofort eilten mehre der Soldaten in den äußern Hof, um ein Gefäß mit Wasser aus dem Bassin zu füllen, auf dessen Marmorrand noch immer der alte Avignote traurig saß.
Einer der Soldaten, der ihn kannte, schlug ihn auf
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die Schulter. »Kommen Sie Monsieur Cornoche und geben Sie sich nicht allzusehr der Trauer über den Tod Ihres hübschen jungen Offiziers hin. Das macht ihn nicht wieder lebendig! - Kommen Sie und sehen Sie sich mit an, wie der große Tiger verladen wird.«
Der Avignote, so gestört, erhob sich und folgte den Soldaten. Aber er blieb theilnahmlos in der Ferne stehen, ohne sich in das Gedränge um die Thiere zu mischen.
Man hatte unterdeß einen der leichter transportablen Käfige wieder auf einen Karren gesetzt und an das größere Behältniß geschoben. Man setzte in den ersteren die Schaale mit Wasser und schob dann, als beide dicht einander gegenüber standen, mit dem außen angebrachten leichten Mechanismus die beweglichen Thüren in die Höhe.
Der Tiger blieb stehen, seine mit langen Fühlhaaren besetzte Nase schnobberte in der Luft - er witterte offenbar die Nähe des Wassers, aber die Menge Menschen umher schien ihn noch mißtrauisch zu machen.
»Aufgepaßt, Monsieur Rothhose!« sagte der Jäger zu dem Soldaten, welcher auf dem kleineren Käfig hockte.
Der alte Trapper hatte die Natur des Thieres richtig berechnet. Der Tiger that einige heisere Athemzüge, dann konnte er nicht länger widerstehen und mit einem langgedehnten Sprung schoß er durch den ziemlich engen Eingang in den kleineren Käfig und fiel über das Wasser her.
Ein lautes Bravo und Beifallklatschen der ganzen Versammlung, in das sich das Gebrüll des überlisteten und durch den Lärm stutzig gemachten Thiers mischte, lohnte der Erfolg, als der Soldat oben auf dem Käfig
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rasch das Gitter fallen ließ und der Tiger so gefangen war. Die Bestie versuchte zwar erschreckt wieder in ihren alten geräumigeren Aufenthalt zurückzukehren, aber obschon die Gitterstäbe des kleineren Behältnisses nur von Bambus waren, so gab sie doch rasch den Versuch auf, denn der erste Tatzenschlag auf den zerbrechlichen Verschluß ließ sie bemerken, daß er von jenem Material war, das die Thiere sicherer festhält, als die stärksten Eisenstäbe, weil jeder Versuch mit Gebiß und Tatzen ihnen scharfe Splitter in Gaumen und Fleisch stößt, ein Schmerz, den sie mehr fürchten als alles Andere.
Der Käfig des Tigers wurde jetzt fortgeschoben und mit dem Leopardenpaar, das zum Transport bestimmt war, in ähnlicher Weise und mit gleichem Erfolg verfahren.
Eine größere Schwierigkeit bot jedoch die Ueberführung des vierten Thieres, vor dessen Käfig sich jetzt die ganze durch das anregende Schauspiel interessirte Gesellschaft versammelt hatte.
Es war dies ein schwarzer Panther von der Art, wie er auf den Sunda-Inseln und auf Thaivan, doch auch dort nur selten vorzukommen pflegt, und die sich durch ihre Stärke und Wildheit noch vor den anderen Gattungen dieser feigen und mörderischen Katzenart auszeichnet. Das Thier lag am äußersten schmalen Ende des Behälters zusammengeringelt, nur die schwarzen, grünfunkelnden Augen waren oft zu sehen, wenn die Lider sich hoben, und keine Bemühung hatte bisher vermocht, es von seinem Platze aufzuscheuchen.
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Die Soldaten berichteten dies, und als selbst der Versuch mit dem Wasser ohne Erfolg blieb, schlug der Offizier vor, die Bestie zu erschießen und lieber ein anderes der Thiere zum Transport zu wählen.
»Nun, Meister Jäger« wandte sich der General direkt zu dem Amerikaner - »Ihr seht, Euer Mittel hilft hier Nichts. Giebt Eure Jagdkunst als Tigrero Euch kein anderes, besseres an die Hand?«
Der Jäger zuckte die Achseln. »Warum lassen Sie Ihre Rothhosen nicht von hinten her den Panther, so nennen Sie ja das Thier, obschon bei uns drüben das Fell dieser Thiere fahl, nicht schwarz ist, aufjagen?«
»Von hinten? Da müßte ein Mensch in den Käfig, und das würde ihm schlecht genug bekommen.«
»Es wäre auch nichts Besonderes! Aber ich meine, von dem inneren Raum her. Sehen Sie nicht, daß dieser Bau rund ist?«
»Das kann ein Blinder wahrnehmen.«
»Nun, dann sehen Sie die Form der Käfige an und Sie werden begreifen, General, daß im Innern dieses Baues ein Raum vorhanden sein muß, aus dem man zu der schmäleren Rückseite der Käfige gelangen kann. Wahrscheinlich befindet sich ein Eingang dort zu jedem, obschon ich es von hier nicht sehen kann. Aber ich bemerke deutlich, daß in der Rückwand sich Löcher befinden, um des Luftzuges halber oder sonst zu einem Zweck.«
Die Beobachtungsgabe des einzig auf die Schärfe seiner Sinne in der Wildniß angewiesenen Mannes hatte wieder den Nagel auf den Kopf getroffen.
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»Das ist wahr« sagte der General. »Dieser steinerne Rundbau muß einen Kern haben. Wo ist der Eingang?«
Aber Niemand wußte ihn und nirgends war ein solcher zu sehen. Die Soldaten, die aus Neugier in den leeren Käfig des Tigers und der Leoparden gekrochen waren, berichteten, daß sie durch die engen Luftlöcher nichts Anderes hätten sehen können, als dichte Finsterniß.
»Fragen Sie den Chinesen dort« befahl der General einem der Offiziere, »wo der Zugang in das Innere ist.«
Der Oberaufseher des kaiserlichen Palastes, der während der ganzen Vorgänge und namentlich, als er die Soldaten in das Innere der Thierbehälter steigen sah, eine gewisse Unruhe nicht hatte verbergen können, wurde befragt. Aber er antwortete, daß er nicht der Aufseher der Menagerie sei und duser entflohen wäre.
Man war so klug wie vorher.
»Man muß den Panther herausholen!« sagte ruhig der Jäger. »Geben Sie einem Ihrer Rothhosen den Befehl, General, der Sache ein Ende zu machen und in den Käfig zu steigen.«
»In den Käfig - Mensch, seid Ihr toll? Wie kann ich einem Soldaten zumuthen, sich von der Bestie zerfleischen zu lassen?«
»Ich sehe nicht viel Unterschied dazwischen, ob man den Klauen eines Panthers entgegen geht oder dem Säbel eines tatarischen Reiters.«
»Wer dergleichen räth,« sagte pikirt der General, »müßte vor Allem selbst den Muth haben, den Versuch zu machen.«
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»Das versteht sich, Herr! Aber fragen Sie zuvor Ihre Leute.«
Der französische Dünkel überwand diesmal den Geiz des Generals, als er das Lächeln auf den Gesichtern der englischen Offiziere sah.
»Ihr hört, wessen dieser alte Bursche sich rühmt. Zehn Napoleons für Den von Euch, welcher die Courage hat, die Bestie herauszuholen!«
Aber Niemand rührte sich.
»Ich lege zehn andere zu!« sagte mit leichtem Spott der englische Feldherr. »Schade, daß wir nicht ein Paar unserer Theerjacken hier haben, die Bursche wissen mit dem Zeug umzugehen. Ich sah am Bord der >Memphis< einen irischen Matrosen, dem ein Leopard wie ein Hund nachlief, so hatte er ihn gezähmt.«
»Zwanzig Napoleons!« rief der General ärgerlich.
Ein Zuave trat endlich vor und schob seinen Fez von einem Ohr zum andern, indem er bald den General, bald den Panther anschaute. Den Einen kannte er zur Genüge, den Anderen weniger. Er hielt sich daher an das Reelle.
»Baar ausgezahlt, General?«
»Versteht sich, Bursche! - Auf mein Wort!«
Die Rothhose sah sich im Kreise um, gleich als wollte sie die Kameraden darauf aufmerksam machen, daß der General sein Wort verpfändet habe.
»Aber wie willst Du es machen?«
»Wie ich es machen will?«
»Ja!«
»Sacre milieu! - Ich werde das Aas mit meinem
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guten Bayonnet kitzeln, bis es Vernunft annimmt, und wenn es bockig werden sollte, werd' ich ihm einen tüchtigen Stoß durch die Rippen geben, wie ich bei Palikao mit dem tatarischen Reiter that, der unserem Lieutenant den Kopf spaltete.«
»Das heißt, ein schönes Fell verderben!« sagte der Jäger. »Das Gewehr mußt Du fortlassen, mein Alter, obschon Du auch mit diesem ein tapferer Mann bist, wie ich aus Deinem Anerbieten sehe.«
Der Zuave, ein pariser Kind, schielte zu ihm empor.
»Na, wenn Du's anders weißt, dann mach' es selber! Ein gutes Haubayonnet thut allemal seine Dienste und ist sicherer, als ein Kolbenschlag mit Deiner alten Büchse da, wenn Du nicht schießen willst.«
»Man muß daher auch keine Büchse mitnehmen!«
Der Zuave starrte den Jäger mit offenem Munde an.
»Schwerenoth, Kamerad,« sagte er - »willst Du's etwa mit einem Prügel thun?«
»Ich denke!«
Der Soldat drehte sich auf dem Absatz um sich selbst und pfiff durch die Zähne. »General,« sagte er, »ich verdiene zwar gern 400 Franken und würde auch dafür ein Bischen zerkratzte Haut nicht scheuen, aber unter solchen Bedingungen danke ich dafür. Schicken Sie diesen Riesen hinein, der allerdings mit seinen Fäusten dem Viehzeug die Knochen zerbrechen kann, aber nicht mich, obschon Niemand sagen mag, daß Pierre Larouche sich je vor einer Attacque gefürchtet hat!« - und er trat zurück in den Kreis seiner Kameraden.
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»Du bist ein Tölpel!« sprach der General ärgerlich. »Was Euch betrifft, Mann - wollt Ihr Eure Prahlerei wahr machen?«
»Es ist kein Prahlen, General, ich bin nie ein Prahler gewesen, selbst die Apachen haben mir nicht den Vorwurf gemacht.«
»Kurz und gut - wollt Ihr die zwanzig Napoleons verdienen und den Panther wirklich lebendig aus dem Käfig holen?«
»Gewiß - aber auf meine Bedingungen, Herr!«
»Mehr gebe ich nicht!« sagte der General hastig. »Es ist Geld genug, lieber laß ich die Bestie todtschießen wie die anderen.«
»Wenn Sie das wollen, Herr, ist meine Forderung desto leichter zu erfüllen. Ich brauche Ihr Gold nicht, ich habe dessen genug in der alten Tasche da, wenn auch noch das Gepräge darauf fehlt.«
»Was wollt Ihr denn - etwa das Kreuz der Ehrenlegion?«
»Wenn Sie das Dings da meinen, das diese Herren auf der Brust tragen, so muß ich Ihnen sagen, daß ich mir Nichts daraus mache. Die Zähne von dem grauen Bären sind eben so viel werth. Nein - ich möchte den Panther haben!«
»Den Panther?«
»Ja, General.«
»Meinetwegen denn - es gilt. Wenn Ihr die Bestie haben wollt, so holt sie Euch!« sagte General Montauban,
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der froh war, aus der Geschichte herauszukommen, ohne sein Geld dabei hingeben zu müssen.
Das Interesse hatte sich noch gesteigert, die Offiziere machten Wetten, ob dem Amerikaner das Wagstück wirklich gelingen werde oder nicht.
Unterdeß, während der Jäger bedächtig seinen Ranzen ablegte und seine Büchse dem Zuaven, seinem Rivalen, in Verwahrung gab, versuchte der kleine Professor alle Künste seiner wissenschaftlichen Beredsamkeit an ihm, um ihn von dem gefährlichen Unternehmen abzubringen, das ihn einer der wichtigsten archäologischen Entdeckungen der Neuzeit zu berauben drohte. Auch der Viscount versuchte sich in's Mittel zu legen und seinen Reisebegleiter von dem Wagniß abzuhalten, indem er ihn erinnerte, daß er ein älterer Mann und daher nicht mehr im Vollbesitz seiner ganzen Kräfte wäre.
Der Jäger antwortete nur mit einem Lächeln, und indem er seine Faust ausstreckte und den ihm Nächststehenden, den Professor, am Kragen faßte, hob er ihn ohne Anstrengung mit gradem Arm wohl eine Elle vom Boden und hielt den Zappelnden und Scheltenden eine Minute lang in der Schwebe.
»Vergebt, Doktor,« sagte er höflich, »aber ich mußte doch unserm Gönner hier zeigen, daß die Muskeln meines Arms noch Ausdauer genug haben, und das Bischen Hängen wird Eurer Gelehrsamkeit keinen Schaden thun. Aber da ist, was ich brauche!« Und indem er den ärgerlichen Professor wieder vorsichtig auf den Boden setzte, bückte er sich und hob vom Boden eine kurze Eisenstange auf, die
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eine keulenmäßige Form und wahrscheinlich zum Oeffnen und Schließen der Käfige gedient hatte.
Der Jäger wog das Instrument in seiner gewaltigen Faust und schien es für seine Zwecke genügend zu finden, denn er wandte sich mit zufriedener Miene jetzt an den Zuaven.
»Nun, Kamerad, kannst Du mir noch einen Gefallen thun!«
»Mit Vergnügen, Kamerad!« Monsieur Pierre Larouche schien sich sehr geschmeichelt zu fühlen von der Kameradschaft Dessen, der in diesem Augenblick der Gegenstand aller Aufmerksamkeit war.
»Ich habe da am Eingang ein Stück alten Teppich liegen sehen,« fuhr der Jäger fort, »den schwerlich noch Jemand braucht. Willst Du so gut sein, mir ihn zu verschaffen, und wenn einige gute Stricke oder Riemen bei der Hand wären, dürfte es auch nicht übel sein.«
Zehn Soldaten rannten was die Beine halten wollten nach dem Verlangten, und ehe zwei Minuten vergangen waren, waren sie damit zur Stelle.
Der Teppich war früher ein kostbares Gewebe gewesen jetzt bloß noch ein Rest von etwa 4 bis 5 Fuß im Quadrat, von Säbelhieben und Bayonnetstichen muthwillig durchlöchert. Der Jäger hielt ihn prüfend auseinander, nickte befriedigt mit dem Kopf und hing ihn wie die Matadore den Mantel im Stiergefecht über seinen linken Arm und Schulter.
»Jetzt - schöne Dame, tretet ein Wenig zurück, indeß mein rothhosiger Freund hier den Käfig öffnet, damit nicht etwa ein Unglück geschieht.«
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Die Sibirianka hatte bis jetzt schweigend aber aufmerksam der ganzen Verhandlung zugehört. Jetzt legte sie ihre kleine Hand auf den kräftigen Arm des Jägers und sagte mit klarer, fester Stimme: »Ich bin unbesorgt um Sie - Sie sind ein Mann, der mit dem Polarbären fertig würde, wie viel mehr mit dieser Katze. Ich werde Sie kämpfen sehen.«
Es herrschte eine tiefe Stille in dem Halbkreis, der sich um den Käfig des Panthers gebildet hatte, mancher der Offiziere lockerte seinen Säbel in der Scheide, der Lord nahm dem Zuaven die Büchse aus der Hand und probirte, ob sie geladen sei.
In diesem Augenblick näherte sich, aufmerksamer durch die entstandene Stille geworden, als durch den vorherigen Lärmen, der ehemalige Haushofmeister des Grafen Boulbon, der Avignote Bonifaz, dem Rande des Halbkreises.
Man hatte eine Art von Treppe vor den Eingang des Käfigs geschoben, die jetzt der Jäger erstieg. Der Zuave, ein ebenso muthiger als eitler Bursche, der wenigstens in dem Schauspiel die zweite Rolle haben wollte, folgte ihm auf der Ferse.
»Ich werde selbst die Thür öffnen, Kamerad,« sagte der Amerikaner. »Ihr müßt sie aber sofort wieder schließen, bis Alles vorüber ist, damit die Bestie nicht etwa an mir vorüberhuscht und Unheil anstiftet! - Auf denn!«
Und er schlug mit dem Eisenstab die starken Riegel des Käfigs zurück und öffnete die schmale Thür, die kaum breit und hoch genug war, ihm gebückt den Eintritt zu
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gestatten, obschon das Innere des Käfigs selbst sehr geräumig und hoch war.
Der Panther hatte alle die Vorbereitungen, die vor seiner Behausung getroffen wurden, mit argwöhnischen Blicken belauert. Zwei Mal hob er den Kopf und ließ seine grünglänzenden Augen umherrollen. Als der Jäger jetzt in der beschriebenen Weise das Gitter öffnete und in den Käfig trat, erhob er sich langsam auf den Vorderpranken und stieß ein klagendes, so furchtbares Geheul aus, daß selbst tapfere Herzen, die bei dem Ansturm der zehntausend tatarischen Reiter nicht gezittert hatten, erbebten.
Der Jäger richtete sich zur vollen Höhe seiner riesigen, kräftigen Gestalt empor - er war zwischen den Stäben des Gitters über die Köpfe der Umgebung hinweg in voller Figur jetzt allen Blicken deutlich sichtbar, wie er seine Augen fest auf den Hintergrund des Käfigs richtete und, die eiserne Keule in der Rechten, mit dieser langsam den Teppich breit zog, während er einen Schritt vorwärts that.
Durch die Stellung des Käfigs fiel das bereits sich abwärts neigende Sonnenlicht auf seine Gestalt und sein wettergebräuntes Gesicht, in dem keine Muskel zuckte.
Auch Bonifaz, der Avignote, hatte seine Blicke auf ihn gerichtet.
Plötzlich schien ein gewaltiger Schreck ihn zu durchzucken, er streckte die Hände aus und versuchte sich gewaltsam durch die Menge Bahn zu machen.
»Gott im Himmel - Eisenarm - Bras-de-fer - Freund, seid Ihr es wirklich?«
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Auch der Riese zuckte zusammen bei dieser Stimme und wandte sich halb zurück nach dem Rufenden.
»Señor Bonifazio - sind Sie es?«
Dieses Vergessen eines Augenblicks war verhängnißvoll.
Der Panther hatte mit halbverschleiertem Auge jede Bewegung seines Gegners beobachtet. Jetzt, als er die Gewalt des menschlichen Blickes nicht mehr auf sich lasten fühlte, fuhr er mit einem gewaltigen Satz über die ganze Tiefe des Käfigs her und sprang seinem Feinde gegen die Brust.
Doch mit dem Instinkt und der blitzartigen Entschlossenheit des geübten Jägers der Wildniß hatte der Trapper sich bei dem Geräusch des Aufsprungs und dem Schrei des Entsetzens, der von hundert Lippen tönte, gegen die Bestie gewandt, und da er dem Sprunge nicht mehr ausweichen oder die eiserne Waffe gebrauchen konnte, diese fallen lassen und den Teppich wie einen Schirm vor sich gehalten, der den Anprall und den Tatzenschlag des Thieres auffing. Aber die Kraft des Ansprungs, den der Mann mit der vollen, nur durch das zähe Gewebe geschützten Brust empfing, war trotz seiner Riesenkraft so gewaltig, daß er zurück an das Gitter taumelte.
Doch schon im nächsten Moment hatte er seine Stellung wiedergewonnen und war zum Angriff übergegangen, indem er den Panther in den Teppich hüllte und verwickelte und sich mit seiner ganzen Kraft auf ihn warf. Einen Augenblick sah man Mensch und Thier am Boden kämpfen und hörte das Schnauben und wüthende Brüllen der Bestie und das Knirschen der Zähne, dann sah man den Mann
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emporspringen, in seiner Faust eine lange schwarze, sich krümmende Masse, - es war der Panther, den er, noch verwickelt in das von den Krallen des Thieres zerfetzte Gewebe des Teppichs - am langen Schweif gefaßt, als wäre es ein Hund oder eine Katze um den Kopf wirbelte und zwei Mal mit so gewaltiger Kraft gegen die Seitenwände des Käfigs schmetterte, daß die Zuschauer das Brechen aller Knochen zu hören glaubten. Das Geheul des Thieres verwandelte sich in ein klägliches Aechzen und als er es widerstandlos mit seiner furchtbaren Kraft zum dritten Mal um seinen Kopf schwang und dann gegen den Fußboden schleuderte, blieb es regungslos dort liegen.
»Eisenarm! Eisenarm! hört mich!« rief der Avignot.
Der Trapper setzte den Fuß auf das zitternde kaum noch athmende Thier, während ein Jubelruf der ganzen Versammlung ihn als Sieger begrüßte und selbst die Generale sich nicht enthalten konnten, in den allgemeinen Enthusiasmus einzustimmen - plötzlich aber beugte er wie horchend den Kopf und hielt die Hand an das Ohr, als wolle er den Lärmen des Zurufs von sich abhalten um einem anderen Laut zu lauschen.
Der von Bonifaz gerufene Name des Siegers hatte sich rasch verbreitet. »Hurrah Eisenarm! Vive le bras de fer! Brav gemacht, alter Bursche!«
Der Zuave Pierre rüttelte am Gitter. »Ist das Vieh todt, Kamerad? Donnerwetter - es müßte sonst einen Schädel haben wie eine alte Kanone! - Ein Marmorblock hätte zerstieben müssen!«
Der Jäger stieß mit dem Fuß den Körper des noch
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lebenden, aber völlig erschreckten und kraftlosen Raubthiers nach dem Eingang. »Ein Panther hat ein zäheres Leben als Du denkst, Kamerad. Aber kommt unbesorgt herein und schleppt die Bestie fort in einen Käfig oder knebelt sie - in den nächsten drei Stunden wird sie schwerlich ein Glied rühren. - Gott zum Gruß, Señor Bonifazio! - Gott und der heiligen Jungfrau sei Dank, die mich Euch hier so unverhofft treffen lassen. - Aber halt - wartet einen Augenblick - da hör' ich es wieder - wahrhaftig eine menschliche Stimme, die um Hilfe ruft!« und lauschend sprang er in den Hintergrund.
Einen Augenblick horchte er hier - dann versuchte er durch das Luftloch zu sehn, was etwa in seiner Brusthöhe die hintere aus einer starken Eisenplatte bestehende Wand des Käfigs durchbrach.
»Hollah - ist Jemand da drinnen, der mich hört?«
»Hilfe!« erklang schwach eine Stimme - »zu Hilfe, Landsleute, Kameraden! ich ersticke in diesem Dunst!«
»Hurrah! munter Freund - wer Ihr auch sein mögt, wir wollen Euch holen.« Und zurückspringend in den Vordergrund des Käfigs, wo der gebändigte Panther sich widerstandlos von dem Zuaven Pierre und zwei Gefährten zusammenschnüren ließ, ergriff er die schwere eiserne Keule, die ihm im Kampf Nichts genutzt, aber jetzt desto bessere Dienste leisten sollte.
»Aufgeschaut Rothhosen - ein Kamerad von Euch, ein Franzose, ist in dem Raum dort hinter den Käfigen versteckt und am Verscheiden!«
Wie ein Blitz verbreitete sich die Nachricht unter der
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Menge und steigerte die Aufregung, in der sie sich noch von dem seltsamen Kampfe her befand.
Indeß donnerten bereits die gewaltigen Schläge des Trappers gegen die Eisenwand, deren Verschluß er von Innen nicht zu öffnen vermochte, und was die Kraft der Raubthiere, die oft genug ihre Tatzen daran versucht hatten, nicht bewältigt hatte, gelang rasch seiner mit dem gewichtigen Instrument versehenen Faust. Noch einige Schläge, und die Eisenplatten lösten sich aus ihren Fugen und stürzten prasselnd hinab.
Der Riese beugte sich in die Oeffnung.
»Seid Ihr verletzt, Fremder dort unten? Noch kann ich Euch nicht sehen!«
»Gott sei Dank nein - aber helft mir herauf« klang es heiser. »Ich habe gerufen, daß mir die Lunge bersten wollte, aber Niemand hörte mich!«
»Glaub's wohl, bei dem Geschnatter Eurer Rothhosen und dem Brüllen der Thiere. He - gebt die Stricke her! - Seid Ihr im Stande, Mann, die Schlinge Euch um den Leib zu legen oder soll ich hinunter kommen?«
»Es geht Freund! - Gott sei Dank, frische Luft und Sonnenlicht!«
Ein bleiches jugendliches Gesicht hob sich mit Hilfe des unter seine Arme geschlungenen von der Riesenfaust des Trappers gezogenen Stricks an der gähnenden dunklen Oeffnung empor, eine Gestalt in französischer Uniform taumelte in den Raum und sank dann halbohnmächtig zu Boden.
Einige Augenblicke blendete die Männer, die sich in
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den Käfig gedrängt hatten, das falsche Licht. Dann erhob sich der Jubelruf: »Lieutenant Clément! Es lebe Lieutenant Clément!«
»Wo - wo? Louis mein Kind!«
Der Avignote stieß Alles bei Seite, aber schon kam ihm der Trapper entgegen, der den Geretteten allerdings wie ein Kind in seinen Armen trug und im frischen belebenden Sonnenlicht ihn auf die Stufen niedersetzte, die zu der Oeffnung des Käfigs führten.
»Parbleu - es ist wahrhaftig Lieutenant Clément,« rief der General, während der Husaren-Offizier stürmisch seinen Freund umarmte und der treue Avignot zu seinen Füßen kniete und abwechselnd seine Hände küßte, als hätschle er ein kleines Kind. - »Mensch - reden Sie? - wo haben Sie gesteckt - wo kommen Sie her?«
Der junge Mann hatte sich an der frischen Luft so weit ermannt, daß er obschon halb verstört umher schauen konnte, bis sein Auge mit Erstaunen auf dem schönen Gesicht der russischen Dame hängen blieb - und dann neben ihr vorüber auf das blasse Antlitz des Chinesen Tsin-Yang traf.
Dunkle Gluth des Zornes und zugleich der Schaam in der Erinnerung an die Scene, die seine Sinne berückt hatte, überflog sein Gesicht und that mehr dazu, ihm die Lebenskraft wieder zu geben, als selbst Luft und Sonne.
»Da - da ist die Ursache, der Bösewicht, der mich betäubt und fortgeschleppt hat!«
»Sie reden irre Lieutenant - die Dame -«
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»Sie ist ein Engel des Lichts, aber der Mann hinter ihr ist ein Verräther, so schwarz wie die Hölle!«
»Wie, Meister Tsin-Yang, unser guter Freund, der uns die Perle des Reichs überliefert hat, wie die Kerle diese Gärten und Häuser zu nennen belieben?«
»Er selbst General -, ich weiß nicht zu welchem Zweck, aber ich gerieth an jenem Abend, nachdem ich Colonel Düvalet Ihren Befehl überbracht hatte auf seine Dschonke, er wußte mich mit höllischen Mitteln zu betäuben, und als ich wieder zu mir kam, lag ich in dem unterirdischen Kerker und um mich her ...«
Der junge Mann schauderte - sein Blick fiel auf den gefesselten Panther, der nur wenig Schritte von ihm lag und jetzt die glühenden Augen wieder geöffnet hatte, ohne sich noch regen zu können. »Aber mein Gott - wo bin ich denn gewesen?«
»Im innersten Käfig der Menagerie Seiner Majestät des Kaisers von China,« sagte lachend der General, der sich freute, eine so gute Ursache zu finden, seinen Groll gegen den hartköpfigen Gläubiger auszulassen. »Herr Oberst de Thouillot, da thut's ein einfacher Strick nicht mehr. Lassen Sie den Halunken in Ketten legen und sofort ein Kriegsgericht über ihn entscheiden.«
Obgleich der verrätherische Oberaufseher des Palastes nicht verstand, was eben befohlen worden, begriff er doch durch die Entdeckung des so verrätherisch eingesperrten Offiziers sehr wohl, daß es ihm an Kopf und Kragen ging, und er beeilte sich seinen letzten Trumpf auszuspielen.
»Gerechtigkeit! Gerechtigkeit für Tsin-Yang! Er hat
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mit den Tsiangs-kiun's der Christen zu sprechen und ihnen Wichtiges zu sagen!«
»Fort mit dem Schurken!« befahl der französische General, der die Worte nicht verstand, aber Etwas darin witterte, was er lieber mit dem Verräther unter sechs Augen verhandeln wollte. Doch General Grant, den der Anruf in englischer Sprache interessirte, legte sich in's Mittel. »Bitte Excellenz, hören wir was der Bursche uns zu sagen hat. - Vielleicht sind es wichtige Mittheilungen wegen unserer andern Offiziere, die in der Gefangenschaft unserer barbarischen Feinde sind. - Sprich, Bursche, sind die Offiziere, die als Gesandte zu Euch kamen, hier etwa auch in einem Kerker verborgen, wie dieser junge Franzose?«
Der Oberaufseher des Palastes hatte sich näher gedrängt und war auf die Knie gefallen. »Gnade großer Tsiang-kiun, Gnade und Gerechtigkeit für den armen Tsin-Yang, der nur sein Versprechen gehalten hat und bis jetzt noch keine Belohnung bekam als die Bastonade!«
»Wo sind die Offiziere?«
»Bei dem Haupte des Confucius, sie sind so viel ich weiß in Peking und am Leben.«
»Das gnade Gott Deinem Herrn. Aber von welchem Versprechen redest Du? Warum hast Du den jungen Offizier hier und an einen so teuflischen Ort eingesperrt?«
»Der Scheupi ist ein ehrlicher Mann,« wimmerte der Chinese. »Tsin-Yang ist sein Freund, und er hat ihn nur mit sich genommen, um den Schatz zu bewachen, den er den Tsiang-kiun's der Christen auszuliefern versprochen hat.«
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»Den Schatz?«
Das Wort »treasure« hatte eine so zweifellose Bedeutung, daß auch der französische General, der mit gespitzten Ohren dem Verhör folgte, es verstand.
»Trésor? - was redet der Schurke von: trésor?«
Ein Offizier verdolmetschte ihm die Behauptung des Chinesen.
Herr von Montauban biß sich auf die Lippen und warf dem Langzopf einen bitterbösen Blick zu. »Wir wollen den Kerl drinnen verhören - es wird besser sein!« befahl er.
Aber der englische General war nicht der Ansicht. »Ich denke, Sir, wir untersuchen die Sache gleich an Ort und Stelle, da sie unser gemeinschaftliches Interesse betrifft. »Von was für einem Schatz sprichst Du - und wo ist er, Bursche? Bedenke, es handelt sich um Dein Leben.«
Der schlaue Chinese hatte bereits die Klemme erkannt, in der er sich zwischen den beiden Generalen befand; da ihm der Franzose aber trotz des schriftlichen Versprechens bisher schlecht Wort gehalten hatte, beschloß er, sein Geheimniß lieber der Mitwissenschaft der verhaßten rothhaarigen Barbaren preiszugeben, indem er davon noch den meisten Gewinn hoffte. Doch machte er zunächst den Versuch, sich ihn zu sichern.
»Wenn Tsin-Yang seinen Freunden das Silber des falschen Kaisers Hien-fong zeigt, wird ihm der Antheil werden, der ihm versprochen worden?«
»Wer Dir ein Versprechen gegeben, wird es auch zu
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halten wissen. Kurz und gut, spiele nicht länger mit uns, Kapitain Auburtin!«
»Zu Befehl, Sir!«
»Begeben Sie sich eiligst in unser Lager und bringen Sie eine Section Pioniere hierher.«
Der Offizier salutirte und entfernte sich. Der französische General, der von seinem Adjutanten auf dem Laufenden des Gesprächs erhalten wurde, sah ihm mit offenbarer Unruhe nach, indem er an seinem grauen Schnurrbart kaute. Er fing an, zu merken, daß die Partie verloren war, wenigstens was das Solo betraf, und daß er sich zu einer Theilung werde entschließen müssen.
Es galt also nur noch, der englischen Einmischung zuvor zu kommen.
»Lieutenant Clément, was wissen Sie von dem Schatzgewölbe?«
»Ich, General - nicht das Geringste!«
»Aber dieser Mensch behauptet, wie man mir sagt, daß er Sie nur deswegen aus dem Lager entführt hätte, um Ihre ihm bekannte Rechtschaffenheit zum Hüter der Silberbarren zu machen.«
»Ich weiß von keinen Silberbarren,« behauptete der Offizier, »und dieser Mann ist ein Schurke, der mich unter dem Vorwand, Gastfreundschaft zu üben, betäubt und dann fortgeschleppt hat.«
»Wir werden nachher darüber Abrechnung mit ihm halten. Sie haben also Nichts von den versprochenen Silberbarren verspürt?«
»Nicht das Mindeste. Das Loch, in dem ich gefangen
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gehalten wurde, ist so dunkel, daß ich kaum die Wände erkennen konnte.«
»Kapitain Forcas - lassen Sie Ihre Pioniere antreten, Fackeln herbeischaffen und das Innere dieses Baues untersuchen.«
»Zur Stelle, General!«
»Lieutenant Clément!«
»General!«
»Fragen Sie diesen Schurken zum letzten Mal, ob er gestehen will, wo der Eingang zur Schatzkammer sich befindet.«
»Tapferer Scheupi, Du hast den einen bewacht,« lautete die Antwort auf die Frage des Offiziers. »Den anderen bewacht mein Kind.«
»Dein Kind?«
»Ja - meine Tochter Tank-ki! oder solltest Du Dich ihrer nicht mehr erinnern?«
Der junge Offizier erröthete. »Ich möchte Euch rathen, Meister Tsin-Yang, den General nicht zu reizen.«
»Höre mich an, tapferer Scheupi,« sagte der Chinese flüsternd. »Verschaffe mir Gelegenheit, mit Dir einige Worte allein zu sprechen, und ich will Dir das Geheimniß anvertrauen. Alle seine Soldaten würden den Ort nicht finden, auch wenn sie den Boden durchwühlten.«
Der Offizier, so unangenehm ihm dies Vertrauen auch war, konnte nicht umhin, dem General das Anerbieten zu berichten. Zu seinem Erstaunen ging derselbe sofort darauf ein, theils noch immer in der Hoffnung, den Engländern einen Streich zu spielen, theils, weil er den
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jungen Mann als verschwiegen kannte und weil er schon die Verhandlungen mit dem Verräther geführt hatte.
Obschon der junge Offizier schwer erschöpft und nur durch einige Schluck Wein aus der Feldflasche seines alten Freundes und Dieners erfrischt war, konnte er sich nicht weigern, die Verhandlung zu führen, während Aller Augen auf ihn gerichtet waren und selbst das noch eben so rege Interesse an dem Besieger des Panthers vor dem Wunsch, die Schatzkammer zu entdecken, zurücktrat.
Er winkte dem Chinesen ihm zu folgen, und trat mit ihm einige Schritte zur Seite.
»Was hast Du mir zu sagen?« frug er finster, als sie sich weit genug entfernt hatten, um nicht gehört zu werden.
»Tapferer Scheupi, Du warst zugegen, als der Tsiang-kiun35 Tsin-Yang die Schrift mit dem Versprechen gab, daß er den zehnten Theil der Reichthümer erhalten sollte, die ich ihm überliefern würde.«
»Ich bin leider Zeuge des schmählichen Handels gewesen.«
»Du brauchst es nicht zu bereuen. Willst Du mir geloben bei Deinem Gott oder - da ich weiß, das Ihr Christen viel redet von einem Ding, das Ihr das Ehrenwort nennt - bei Deinem Ehrenwort, daß Du das, was ich Dir anvertrauen will, nur wenn ich oder meine Tochter Tank-ki es von Dir fordern, zurückgeben willst, und keinem andern Menschen?«
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»Was hab' ich mit Dir und Deinem Vertrauen zu schaffen, ich will Nichts damit zu thun haben.«
»Christ,« sagte der Chinese - »vor Deinem Gott, wie vor dem unsern bist Du der Gatte meiner Tochter geworden. Soll ich dem rothharigen Barbaren erzählen, daß ein Franzose sich geweigert hat, das Eigenthum eines Weibes zu retten, das ihm mehr gegeben hat als Gold und Silber?«
»Schweig, Mensch! - Du weißt, daß ich willenlos in Deine Schlinge gefallen bin! - Aber immerhin - wenn ich damit ein begangenes Unrecht gut machen kann, soll es geschehen. Ich verpfände Dir mein Wort.«
»Dann bewahre das Papier, das Du in der innern Tasche Deines Rockes trägst und gieb es nur zurück, wenn ich oder Tank-ki es von Dir fordern werden. Es ist dasselbe, das der Thiang-kiun unterschrieben hat.«
Unwillkürlich fuhr der Offizier nach seiner Brusttasche. »Das ist unmöglich, wie sollte ich zu dem Papier kommen, das Du selbst wohl sorgfältig bewahrt haben wirst?«
Der Chinese lachte. »Meinst Du, tapferer Scheupi, daß Tsin-Yang so thöricht gewesen wäre, das zu behalten, was wieder zu besitzen jener Mann das Leben eines Chinesen nicht schonen würde! Tank-ki selbst hat es in das Futter Deines Kleides genäht.«
»Gut denn - Ihr werdet es zurück erhalten, nur befreit mich bald davon. Doch General Montauban wird ungeduldig, - komm zu Ende und sage, was Du zu sagen hast!«
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»Es soll geschehen wie Du befiehlst. Ich glaube, daß Dein Tsiang-kiun befohlen hat, daß seine Soldaten den Ort durchsuchen, wo Du verborgen gewesen bist?«
»Eine Sache, über die wir noch besondere Abrechnung halten werden. - Wenn Du noch lange zögerst, werden die Aexte der französischen und englischen Pioniere Dir die Mühe des Redens ersparen.«
»Laß sie keinen Schlag thun, es würde ihr Verderben sein und den Schatz, welchen Ihr begehrt, auf immer Euren Blicken entziehn. Nur wer das Geheimniß des Orts kennt, darf es wagen, die richtige Pforte zu öffnen. Ich bin bereit, Dich zu führen, aber eile es Deinen Freunden zu sagen, bevor es zu spät ist.«
Der junge Offizier that wie ihm geheißen - bereits waren französische Pioniere mit Leitern, Aexten und Fackeln versehen an den Käfigen, um nach den Befehlen des Kommandirenden zu handeln. Der General eilte selbst herbei, um jeden Schritt weiter zu verbieten. Er stieg in den jetzt leeren Käfig des Panthers und ließ eine Leiter hinunter in den Raum stellen, in dem der junge Offizier gefangen gehalten worden war. Mehre Fackeln, deren Anzünden trotz des Tageslichts nöthig war, erhellten diesen jetzt zur Genüge, um die ganze Einrichtung erkennen zu können.
Diese war sehr einfach und doch eigenthümlich.
Wir haben bereits bemerkt, daß ein schmaler Rundgang im Innern rundumlief, auf den die Rückwände sämtlicher Käfige stießen. Von hier aus hatten die Aufseher wahrscheinlich die Reinigung der Behälter besorgt
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und den Schmuz in das Innere geworfen, dessen Boden aus glatten, nach der Mitte zu sich senkenden Marmorplatten bestand. Den Mittelpunkt selbst bildete ein großer Stein mit eingelegtem kupfernem Ring.
Rings um die von Quadern gebildeten Mauern liefen sieben Vertiefungen oder Nischen, mit dem metallenen Bild des kaiserlichen Drachen geschmückt.
Der englische General hatte sich zwar nicht wie sein französischer Kollege mit in die leeren Käfige begeben, beobachtete aber in der Nähe sorgfältig Alles, was geschah, und auf seinen Wink hielt sich einer seiner Offiziere bei den Franzosen, so daß ihm Nichts von den Vorgängen entgehen konnte.
»Es scheint,« sagte der General Montauban, als auf seinen Befehl einige Soldaten in den Raum hinunter gestiegen waren und umher leuchteten, »wir werden die Hilfe dieses spitzbübischen Chinesen nicht besonders nöthig haben. Nehmt ein Brecheisen und hebt die Platte dort in die Höhe!«
Es geschah und der große Stein ließ sich mit Leichtigkeit bewegen und hob sich in seinen Angeln. Ein allgemeiner Ruf des Erstaunens folgte, denn man sah in der Tiefe von etwa zwei Metres die Fläche eines breiten Stroms rauschen.
»Es ist offenbar ein Kanal, der vom Pe-ho nach dem Palast abgeleitet ist, um die Springbrunnen und Bassins der Gärten zu speisen,« erklärte nach kurzer Beobachtung der Ingenieur-Offizier, welcher die Arbeiten leitete. »Man
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hat ihn hier durchgeführt, um den Schmuz aus den Käfigen fortzuschaffen.«
»Aber wo ist das Schatzgewölbe?« schrie der General sehr getäuscht. »Untersucht mir die Wände auf das Genaueste, denn es muß doch irgend ein Zugang da sein, durch den die Kerle hineinkommen konnten. Wie hätten sie sonst den Lieutenant Clément herein bringen können!«
Die Aexte der Pioniere pochten rings an die Wand, überall gab es denselben Klang.
»Bringt den chinesischen Halunken her,« schrie der General, der einzusehen begann, daß er ohne den Beistand des Verräthers doch nicht zum Ziel gelangen werde. »Wo ist Lieutenant Clément?«
Ehe man die Geforderten suchen konnte, that sich plötzlich eine der Nischen auf, indem sich die Steine des Hintergrundes zur Seite schoben, und in der dunkel gähnenden Oeffnung eines Ganges, der nur den freien Durchgang eines Mannes zuließ, erschienen der Chinese Tsin-Yang, der junge Offizier und ein Corporal der Wache, welcher der Chinese übergeben worden war.
»He - zum Teufel, Bursche, wo kommt Ihr her? Was ist das, Lieutenant Clément?«
»Ein geheimer Zugang, Excellenz, den uns dieser Mann gezeigt hat, und der aus dem Hause der Menageriewärter hierher führt.«
»Aber der Kerl sprach vorhin von zwei Zugängen?«
Lieutenant Clément wiederholte dem Chinesen die Frage des Generals.
Ohne Zuthun der Eingetretenen hatte sich hinter ihnen
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die Mauer wieder geschlossen und bot denselben Anblick wie vorher. Es wäre jetzt, nachdem sie ihren Platz verändert hatten, schwer für die Männer gewesen, genau zu unterscheiden, an welcher Stelle sie eingetreten waren.
Der Chinese Tsin-Yang lächelte spöttisch, als er die offenen Quadern in der Mitte bemerkte, durch welche man den dunklen Strom heftig dahin rauschen sah, was auf einen starken Fall schließen ließ.
»Der andere Zugang« sagte er - »führt zu dem Saale des Licht-Throns. Wenn der Tsiang-kiun die zweite Marmorplatte hinter dem Thron des großen Drachen heben läßt, wird er Stufen finden, die zu dem Eingang führen. Dort sitzt meine Tochter Tank-ki um das Geheimniß zu bewachen, und wenn er ihr drei Mal den Namen ihres Vaters nennt, wird sie ihm den Weg zeigen. Aber es ist unnütz, wir bedürfen seiner nicht. Der Schatz ist hier.«
»Besser ist besser,« sagte der General. »Wahrscheinlich steckt das Silber in einem dieser Schlupfwinkel. Laßt den Kerl den Gang öffnen!«
Damit kam der General selber die Leiter heruntergestiegen, verbot aber, daß seine Umgebung nachfolgte.
»Jetzt vorwärts!«
Der Chinese Tsin-Yang, dem auf sein Verlangen die Hände gelöst worden waren, zog aus seinem Gewande einen Gegenstand, den er sorgfältig betrachtete und mit der Umgebung verglich. Lieutenant Clément, der dicht bei ihm stand, sah, daß es ein Compaß mit der Magnetnadel
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war, deren Geheimniß die Chinesen tausend Jahre früher als wir kannten.
Endlich, als er sich genügend informirt hatte über die Richtung der Nadel, schritt Tsin-Yang auf die Nische zu, nach welcher die Spitze zeigte, und betastete die eherne Figur des Drachen. Sofort öffnete sich die Quaderwand eben so wie zuvor und es zeigte sich die Oeffnung eines dunklen Ganges.
»Kapitain Batonnel,« befahl der General - »nehmen Sie zwei Mann und eine Fackel und verfolgen Sie diesen Gang, sehen Sie aber scharf rechts und links, ob irgend wo sich ein Versteck befindet. Wenn Sie das Frauenzimmer finden, halten sie es fest und lassen Sie sich den Ausgang zeigen. Sie haben gehört, drei Mal den Namen dieses Burschen. Er heißt Tsin-Yang. Stellen Sie einen Posten an den Ausgang und halten Sie diesen offen.«
Der Genie-Offizier, dem dieser wenig ehrenvolle Auftrag geworden, sah die finstere Oeffnung sehr mißtrauisch an.
»Da hinein General?«
»Wo sonst hin?«
»Der Henker weiß, was dahinter steckt. Die Chinesen sind Meister in allerlei Teufeleien. Ich schlage vor, General, Sie lassen den Langzopf vorangehen.«
»Der General stieß einen lästerlichen Fluch aus. »Wollen Sie gehen, Herr, oder ich degradire Sie!«
»Das kann nur ein Kriegsgericht, Monsieur!«
Es wäre sicher zu einer jener Szenen der ziemlich laxen Disciplin gekommen, welche die französische Truppe
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trotz aller persönlichen Bravour so sehr schädigte, wenn der General nicht in Gegenwart der Engländer eine solche gescheut hätte. Er hatte sich bereits zur Genüge überzeugt, daß das Souterrain des Palastes nicht ohne seine besonderen Geheimnisse war, und da er fürchtete, daß der Verräther derselben die genaue Kenntniß benutzen könnte, um zu entschlüpfen, stand er von der augenblicklichen Untersuchung des geheimen Ganges ab, indem er sich begnügte zu wissen, daß ein solcher existire. Man stellte um das Schließen der Quadern zu verhindern, einige Gewehre dazwischen, und dann mußte Lieutenant Clément den Chinesen nochmals befragen, ob in einer[einem] der beiden aufgefundenen Gänge die Schatzkammer zu finden sei?
Der Mann deutete auf die Oeffnung, durch die man den Strom rauschen sah.
»Hier!«
»Was - in dem Wasser? der Kerl ist verrückt und treibt seinen Spott mit uns. Ich habe große Lust, ihn selbst da hinunter werfen zu lassen.«
Der Verräther hatte die Gelegenheit benutzt, als Alle eifrig hinunter schauten, an die Wand des Rondeels zurückzutreten.
Plötzlich fühlte man eine Art Erschütterung oder Schlag und das Wasser begann langsamer zu fließen und sich auffallend zu vermindern.
»He - was ist das?«
Nur Lieutenant Clément hatte bemerkt, daß der Palastaufseher sich nochmals an der Drachenverzierung einer der Nischen zu schaffen gemacht hatte, und daß gleich
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darauf das Rauschen des Wassers aufgehört hatte. Aber er fühlte sich nicht berufen, den General auf diesen Umstand aufmerksam zu machen.
Alle - mit Ausnahme des Postens, welcher den offenen Gang bewachte - standen jetzt um die Oeffnung im Fußboden und sahen mit Erstaunen, wie rasch das Wasser, das noch so eben in gewaltigem Strom dahin geschossen war, sich verminderte.
In Zeit von zwei Minuten war es ganz verschwunden und als man die Fackeln hinunterhielt, bemerkte man ein geräumig gemauertes Bett, auf dessen Boden bei der schrägen Neigung und der davon bedingten scharfen Strömung nur wenig Unrath zurückgeblieben war.
»Laß die Soldaten des Tsiang-kiun hinuntersteigen, Freund Scheusin,« sagte ruhig der Chinese, - »und es mit den Steinplatten wie mit dieser hier machen, - sie werden das Silber des Kaisers Hien-fong darunter finden.«
»Goddam!« rief der englische Offizier, der aufmerksam zugehört hatte. »Diese Chinesen sind keine dummen Burschen!« und er begann eiligst die Leiter zu ersteigen, die zu den Käfigen führte.
Der General, dem Lieutenant Clément die Anweisung des Chinesen verdolmetschte, hatte in der Freude seines Herzens, endlich am Ziele zu sein, nicht gleich die Entfernung des Engländers bemerkt. Er befahl dem Genie-Offizier, mit einigen Leuten in das leere Wasserbett hinunter zu steigen und eiligst die Untersuchung zu beginnen.
Diesmal verweigerte Kapitain Batonnel den Gehorsam nicht, eine fieberhafte Erwartung, ein merkwürdiger
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Eifer schien alle Anwesenden bis auf den geringsten Soldaten herab ergriffen zu haben, und die Kommandirten warteten nicht einmal das Anlegen der Leiter ab, sondern sprangen in die breite Rinne hinab.
Nach einigen Augenblicken war die dünne Schlammschicht, die den Boden bedeckte, hinweggeräumt, und ein Hurrah verkündete, daß man in der That die Quadern mit Einrichtungen zu ihrem Emporheben versehen gefunden hatte.
Es konnte jetzt kein Zweifel mehr sein, daß man sich an dem Zugang zu dem so wohl verborgenen Schatzgewölbe befand, und der General wäre am Liebsten selbst in die Grube gesprungen, um die erwarteten Schätze gleich aus erster Hand zu nehmen, wenn er sich nicht geschämt hätte. So, während er mit Argusaugen jede Bewegung seiner Leute beobachtete, mußte er sich begnügen, bald ihnen Anweisungen zu geben, bald die Habsucht der Engländer zu verwünschen, die sicher ihren Antheil an der Beute fordern würden, oder dem Chinesen Vergeltung zu geloben, weil er so hinterlistig und verrätherisch gewesen wäre, ihm nicht das Geheimniß im Stillen und allein anzuvertrauen.
Unterdeß war es den Pionieren gelungen, die großen Quadern hochzuheben, die eine weite Oeffnung bildeten.
Aber anstatt, daß das Licht ihrer Fackeln sich in dem leuchtenden Glanz von Gold und Silber spiegeln sollte, sahen sie Nichts vor sich, als einen anscheinend ziemlich weiten und flachen Raum, der unter dem Flußbett fortlief, gefüllt mit unscheinbaren, schmuzigen, dunklen Kloben.
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Das Fluchen der Soldaten verkündete ihre Enttäuschung.
General Montauban jedoch war klüger als sie.
»Steige Einer hinunter,« befahl er, »und reiche eines der Dinger herauf! wir wollen sehen, was es ist.«
Ein Mann stieg hinab und reichte eines der kleineren brodförmigen Stücke herauf. »Diantre - das ist schwer! Bloßes Eisen - und darum haben wir aus dem schönen Frankreich hierher kommen müssen über's Meer.«
»Dummkopf!« der scharfe Blick des Generals hatte Form und Werth besser gewürdigt. »Gebt her!« Ein Kratzen mit dem Messer überzeugte ihn bald, daß er einen Barren gediegenes Silber in Händen hatte. Sein Gesicht war ganz roth vor Aufregung, seine Augen versuchten die Tiefe zu durchdringen, um einen Ueberschlag des ungeheuren Werthes zu machen.
»Kapitain Batonnel,« befahl, er flüsternd, »schicken Sie sofort alle Mannschaften hinweg und lassen Sie die Steinplatten wieder auflegen. Zwei Mann bleiben auf Posten hier, zwei andere in dem geöffneten Käfig, - das ganze Gebäude wird mit Schildwachen umgeben. Wer einzudringen wagt, wird ohne Weiteres über den Haufen geschossen. Ich komme sogleich zurück, um weitere Befehle zu geben.«
»Wenn Euer Excellenz mich etwa suchen,« sagte eine Stimme hinter ihm, »so habe ich Ihnen den Weg erspart. Ich freue mich, zu hören, daß wir so glücklich gewesen sind, die Schatzkammer des Palastes zu entdecken.«
Der französische Heerführer wandte sich bestürzt um
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- in der Oeffnung des zweiten Ganges stand der englische General Grant - hinter ihm sah man die Köpfe einiger britischen Offiziere.
»Wir?«
»Nun ja, Sir - es wird der englischen Armee die Hälfte des Fundes zukommen. Sie sind bereits stark im Vortheil, da Sie diesen Palast zuerst besetzt haben. Indeß wir können später über die dabei gemachte Beute abrechnen. Vorerst wird es unsere Aufgabe sein, den Werth des Schatzes festzustellen und ihn in Sicherheit zu bringen. - Ich billige ganz Ihre Vorsichtsmaßregeln.«
»Wie haben Euer Excellenz denn den Zugang gefunden?« stammelte der Franzose verblüfft.
»Oh sehr leicht! Als mir Kapitain Murray die Nachricht von dem ersten Erfolg Ihrer Nachsuchung und die Mittheilungen jenes wackern Mannes da brachte, hielt ich es für zweckmäßig, selbst nach dem bezeichneten Eingang an dem kaiserlichen Thron zu suchen. Wir haben Alles richtig gefunden und in dem Zugang ein chinesisches Mädchen, das halb verschmachtet schien durch den Aufenthalt in dem engen Raum und den Mangel an frischer Luft. Der Gang hierher ist wenig mehr als 100 Yards lang und wir gelangten zuletzt von dem Licht Ihrer Fackeln geleitet, ohne jedes Hinderniß hierher.«
Der Franzose verwünschte im Stillen seine Unvorsichtigkeit.
»Ich hoffe, Herr Kamerad,« sagte er, sich zur größten Höflichkeit zwingend, »wir haben da einen ganz ansehnlichen Fund gemacht im Interesse unserer Regierungen.
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Ich werde Anstalten treffen, das Silber an das Tageslicht und an einen sichern Ort schaffen zu lassen, und Zahl und Gewicht feststellen.«
»Es freut mich, Euer Excellenz dabei unterstützen zu können,« bemerkte General Grant kalt. »Meine Leute müssen bereits eingetroffen sein und es sind kräftige Burschen. Wenn es Ihnen genehm, wird es gut sein, da der Tag noch nicht zu Ende, sogleich an's Werk zu gehen, damit die Theilung morgen bei Zeiten erfolgen kann. Wir müssen zu einer Entscheidung wegen Peking selbst kommen und es wird daher nöthig sein, morgen darüber Kriegsrath zu halten. Auch werden Euer Excellenz es billig finden, daß die Truppen Ihrer Majestät dann die Ihren in der Besatzung dieses Palastes ablösen oder dieselbe mindestens theilen, damit jeder Rivalität und Differenz zwischen den beiden Nationalitäten vorgebeugt wird.«
General Montauban biß sich auf die Lippen - die Theilung des Inhalts der Schatzkammer war freilich nicht zu vermeiden, aber er faßte seinen Entschluß, daß die Engländer nicht viel Nutzen von der Besetzung des Palastes haben sollten.
»Kapitain Murray,« fuhr der Engländer fort, »tragen Sie Sorge, daß unsere Pioniere eine bequeme und haltbare Treppe hier herab schlagen helfen, auf welcher die Barren transportirt werden können. Es wird um des guten Einverständnisses willen sich empfehlen, daß die Chaine zur Heraufreichung der Silberbarren eine um die andere Nummer aus Leuten beider Nationalität gebildet wird, eben so die Postenkette oben, bis der Transport auf
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unsere Dschonken erfolgen kann. Sie selbst werden mit dem von seiner Excellenz zu bestimmenden französischen Offizier hier die Evacuation des Gewölbes überwachen. Es ist Euer Excellenz doch genehm so?«
»Oh vollkommen,« sagte der General seinen Aerger so gut als möglich verbeißend. »Indeß, würden wir nicht besser thun, die Zugänge hier zu benutzen?«
»Das wäre sicher zu weitläuftig, Herr Kamerad, überdies« - General Grant nahm den Franzosen vertraulich unter den Arm und führte ihn zur Seite, - »über dieß muß ich Ihnen gestehen, sind meine Leute auch nur Menschen und man muß ihnen nicht Gelegenheit geben, einen oder den andern Barren in den Gängen bei Seite zu bringen. Ihre Soldaten mögen darin taktfester sein, aber ich kann für die meinen nicht bürgen. Euer Excellenz verstehen mich!«
General Montauban verstand sehr gut. Der Entschluß seine Revanche zu nehmen, befestigte sich immer mehr, indeß für den Augenblick war Nichts zu thun, als volles Einverständniß zu zeigen, und die ganze Gesellschaft mit Ausnahme der Wachen stieg daher empor in's Freie, wobei der französische General nicht vergaß, den Oberaufseher des Palastes mitnehmen zu lassen, dessen strenge Bewachung er noch besonders befahl.
Die Nachricht von der Auffindung der kaiserlichen Schatzkammer hatte sich rasch verbreitet und als die beiden Generale emporstiegen, fanden sie den großen geräumigen Hof, in welchem die Menagerie lag, dicht mit Soldaten gefüllt. Es bedurfte des ernsten Einschreitens einer
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bewaffneten Abtheilung um den Hof zu räumen, dessen Eingänge nun streng besetzt wurden, während die kommandirten Offiziere bereits beschäftigt waren, die Anstalten zur Räumung der Schatzkammer zu treffen.
Wir haben lange genug die Gesellschaft des Lord Walpole aus den Augen verloren, um uns mit ihr wieder beschäftigen zu müssen.
Die Auffindung des jungen Offiziers durch den Trapper war so rasch auf die Wiedererkennung seiner Person durch den Avignoten gefolgt, daß der Letztere über die Freude, seinen jungen Gebieter am Leben und unverletzt zu wissen, anfangs sich nur um diesen kümmerte, und den alten so unerwartet hier gefundenen ehemaligen Gegner und späteren Kameraden des abenteuerlichen Zuges in der Sonora fast ganz vergaß. Erst als Lieutenant Clément von der militairischen Disciplin und dem Befehl General Montaubans genöthigt, sich von ihm trennen und seinen Dienst bei dem Oberbefehlshaber wieder antreten mußte, - obschon noch schwer erschöpft, - fand Meister Bonifaz Zeit, sich zu dem Amerikaner zu wenden.
Das Wiedersehen der beiden Männer, von denen Jeder so traurige und wichtige Erinnerungen im Herzen trug, war ein ebenso ernstes als herzliches.
»Freund - Gefährte einer unvergeßlichen Zeit, wie kommen Sie hierher? welches Wunder führt uns, die Weitgetrennten, in einem fremden Welttheil zusammen?«
»Haben Sie vergessen, Señor Bonifazio,« frug der Trapper, der die Unterredung in spanischer Sprache fortsetzte, »daß wir einander gelobt haben, uns wieder zu sehen?«
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»Eher hätte ich vergessen, daß ich ein Christ bin, Gott und die Heiligen mögen mir die Sünde verzeihen. Aber Sie übersehen, daß es am Tage der heiligen Jungfrau sein sollte, dreizehn Jahre nach unserer Trennung vor dem heiligen Kreuz der Kirche zu Puebla.«
»Ich habe es nicht vergessen.«
»Dort,« fuhr der Avignote fort, »sollte ich Ihnen den Sohn unseres gemeinsamen Freundes, den Erben Ihres Geheimnisses zuführen, von dem ich eigentlich nur wenig weiß.«
»So ist es!«
»Die Zeit ist noch nicht um - und es fehlen noch drei Jahre zu dem Alter des Erben; dann hätte ich ihn selbst nach Mexiko begleitet, wie wir verabredet haben, und am Fuß des Kreuzes von Puebla Sie erwartet, Señor Eisenarm, - Sie und Ihren indianischen Freund.«
»Ehe ich Ihnen antworte, Señor Bonifazio,« entgegnete der Trapper - »sagen Sie mir, wo ist der Sohn und Erbe des Generals der Sonora, des Conde Boulbon?«
»Wie - Sie wüßten es nicht, Sie hätten es nicht längst errathen, daß der, den Sie wahrscheinlich von einem schmählichen Tode gerettet haben, Louis Clément, Graf Boulbon und der Sohn meines unvergeßlichen Herrn ist?!«
»Ich dachte es mir, als ich Ihre Freude bei seinem Wiedersehen sah - aber ich wollte Gewißheit. Gott ist groß und seine Geheimnisse sind wunderbar. So hat der Toyah Recht behalten, als er mich über das Meer trieb.«
»Sie reden von den Indianer Wonodongah unserem früheren Feinde?«
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»Ich spreche von ihm, der einst der >Große Jaguar< der Comanchen hieß.«
»So lebt er also?«
»Er lebt - wenn Sie diese Existenz Leben nennen. Als ich aus Ihrem Lager zu den Ufern des Buenaventura zurückkehrte, wo ich ihn verlassen, fand ich ihn am Leben, obschon der Tod einem Krieger wie er, willkommener gewesen wäre. Jedes seiner Glieder ist gelähmt und so schleppt er sich, ohne Augenlicht, gleich dem Gewürm nur über den Boden, den er sonst wie das kräftige Thier, dessen Namen er führt, übersprang.«
»Der Arme!«
»Dazu ist der Schatten, der seinen Geist umnachtet, nicht gewichen, und dennoch, wie können wir uns unterfangen, das Schatten zu nennen, was heller sieht, als das schärfste Auge des Jägers in der Prairie; denn er sieht über Länder und Meere und in die Zukunft.«
»Sie meinen das zweite Gesicht, Señor Eisenarm?«
»Nennt es, wie Ihr wollt. Nicht mit Unrecht halten die Indianer Den vom großen Geiste besessen, dem das Licht der gewöhnlichen Vernunft getrübt ist. Wonodongah ist es, der mich hierher gesandt!«
»Zu welchem Zweck?«
»Können Sie noch fragen? - der Häuptling hat ein zweites Gesicht gehabt und die Gefahr Dessen vorausgesehen, den der sterbende Krieger uns Dreien als seinen Erben vermacht hat. Er behauptete, daß dem Kinde eine unbekannte Gefahr drohe, aus der wir ihn retten müßten, und er ruhte nicht eher, bis ich mich entschlossen hatte, aufzubrechen und Sie und ihn aufzusuchen in Europa.«
»Aber wie konnten Sie glauben uns hier zu finden?«
»Der große Geist, der dem Häuptling die drohende Gefahr gezeigt, hat auch die Schritte des Werkzeugs geleitet. Lange hatte ich dem Willen des Toyah's widerstanden, den ich nicht verlassen wollte, bis ich endlich nachgab. In San Francisco, wohin ich wanderte, um mich nach Frankreich, Eurem Lande einzuschiffen, vernahm ich, daß die Franzosen Krieg führen mit den Chinesen, und ich hoffte, daß Krieger mir sagen könnten, wo der Sohn eines Kriegers zu suchen sei. So wählte ich den Weg über China und Indien und schiffte mich an Bord des ersten Fahrzeugs ein, das in dieser Richtung absegelte.«
»Aber wie kommen Sie zu den Engländern, in deren Gesellschaft Sie sich zu befinden scheinen?«
»Ich kenne sie nicht weiter, als daß ich sie in dem Hafen, in dem die Ueberfahrt endete, - sie nennen das Land Japan - angetroffen habe und sie mir gestattet haben, die Reise auf ihrem Schiffe fortzusetzen.«
»Das Alles ist in der That sehr seltsam,« sagte der Avignot nachdenkend. »Und Sie wollten es in der That wagen, ohne Näheres von uns zu wissen, nach Frankreich zu gehen, um zwei Menschen aufzusuchen, von denen Sie kaum die Namen kannten?«
Der Trapper sah ihn erstaunt an.
»Aber ist Frankreich nicht ein Land, wo viele Tausende von Menschen wohnen?«
»Gewiß - die Bevölkerung beträgt an vierzig Millionen.«
»Und das Land ist nicht größer als Mexico?«
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»Ich erinnere mich, daß man mir gesagt, es habe nur den vierten Theil seiner Größe, dagegen die vierfache Zahl von Bewohnern.«
Der Trapper lachte. »Meister Kreuzträger würde Ihnen gesagt haben, das er die Spur eines Pferdediebes durch ganz Mexiko verfolgen wolle, das doch vier Mal so groß ist, und vier Mal weniger Zeugen hat, die einen Menschen verrathen können. Warum hätte ich darum einen Augenblick fürchten mögen, Sie nicht zu finden?«
Der Avignote zuckte die Achseln, er sah wie wenig sein Freund die Civilisation kannte, aber er wollte nicht das Vertrauen auf seinen Scharfsinn beleidigen.
»Und Ihr habt also den Comanchen-Häuptling allein zur Bewachung des Schatzes zurückgelassen, Meister Eisenarm?« frug er. »Bei dem Zustand, den Ihr mir beschrieben habt, dürfte das gefährlich sein.«
»Warum?«
»Da der Häuptling blind und elend ist, wird er kaum für seinen Unterhalt sorgen können.«
»Was bedarf ein Indianer? Ueberdieß ist er nicht allein!«
»So theilen Andere Ihr Geheimniß?« frug der Avignote besorgt.
»Niemand weiß darum. Niemand ist bei ihm als ein Knabe von zehn Jahren, der Sohn von Falkenherz, den er mir geliehen.«
»Von dem Anführer der Comanchen, der uns gegen die Apachen zu Hülfe kam?«
»Ich sehe, amigo, daß Sie ein Gedächtniß für Ihre
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Freunde haben. Von ihm habe ich auch die letzte Nachricht über Comeo erhalten.«
»Die hübsche, kleine Indianerin, das wackere, treue Mädchen! Wir trennten uns in Santa Fé. Wissen Sie, wie es ihr geht?«
[»]Sie lebt mit ihrem Gatten in Texas, ist glücklich bis auf die Erinnerung an ihren Bruder und - gedenkt hoffentlich auch anderer alter Freunde, und ist die Mutter mehrer Kinder.«
»Gott und die Heiligen mögen ihr Segen geben, sie verdient es. Wenn mich der Wille des Himmels mit dem Knaben wieder in Ihr Land führen sollte, um ihm mit Hilfe wackerer Freunde zu seinem Recht zu verhelfen, so will ich sie aufsuchen und an ihrem Heerde sitzen. Mein unglücklicher Gebieter schätzte und liebte ihren Gatten.«
»Reden Sie von dem Knaben, Señor Bonifazio. Die Gefahr, die ihn bedroht, ist hoffentlich vorüber?«
»Ich hoffe es!«
»Er gleicht seinem Vater an Stattlichkeit der Gestalt, doch hat er das milde Auge und das Haar seiner Mutter. - Sie haben mir noch Nichts von seinem Charakter gesagt, Señor Bonifazio. Ist er muthig und brav?«
»Brav und treu seinem Wort wie der Ritter Bayard, muthig wie ein Löwe. Er hat in der Schlacht mit den tatarischen Reitern drei von ihnen getödtet.«
»Ich hoffte es - der Knabe gefällt mir, und ich denke, wir werden Freunde werden. Aber wie gerieth er in jenes Gefängniß?«
»Offenbar durch Verrath und Hinterlist. Sie wissen,
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Señor Eisenarm, daß ich noch nicht Gelegenheit gehabt habe, ihn um die näheren Umstände zu befragen. Der Dienst hat ihn in Anspruch genommen.«
»Auch der tapferste Mann kann in einen Hinterhalt gerathen. Aber warum dient der Knabe, wo er befehlen könnte?«
»Jeder Franzose von seinem Blut,« sagte der Avignote stolz, »ist Soldat. Er dient in der Armee seines Vaterlandes, nicht dem Kaiser Napoleon. Sein Vater hat es so bestimmt, schon vor unserer Abreise aus Frankreich.«
»Und er weiß um seine Zukunft?«
»Kein Wort - er kennt nicht einmal mit Gewißheit seinen Namen und seine Abstammung. Heute, an seinem zwanzigsten Geburtstag, sollte er sie von mir erfahren, aber seit zwei Tagen hielt ich ihn für todt.«
»Gott hat mich über das Meer geführt, um ihn dem Leben zurückzugeben - er ist jetzt mein Sohn so gut wie der Ihre. Ich kann nicht erwarten, daß Sie ihm den Namen eines unbedeutenden Trappers der Wildniß genannt haben, aber ich hoffe, er wird die Freundschaft eines ehrlichen Mannes nicht verschmähen, der gegen seinen Vater, aber auch an dessen Seite gefochten hat.«
»Ich habe ihm hundert Mal von Ihnen erzählen müssen, vom Señor Kreuzträger und den Anderen. Nur von unserem Geheimniß hat er keine Ahnung. Aber haben Sie Nichts von unserem alten Freunde gehört?«
»Sein seliger Geist jagt mit seinen rothen Brüdern in den glücklichen Jagdgefilden, wohin wir Alle gehen - die Christen wie die Indianer. Sein Sohn hat ihn an
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den Ufern des Colorado begraben. Die Zahl unserer Freunde ist gering geworden, Señor Bonifazio. Wir werden alt.«
»An Männern wie Sie, Eisenarm, geht die Zeit spurlos vorüber.«
Der Trapper, der mit seinem Gefährten jetzt auf demselben Platz saß, auf dem zwei Stunden vorher der ehemalige Mayordomo des Grafen Boulbon verzweifelnd über den Tod seines Zöglings gesessen, schüttelte traurig den Kopf.
»Auch meine Zeit ist bald um, Señor Bonifazio,« sagte er, »obschon ich noch nicht so alt bin, um nicht noch eine Reihe von Jahren den Klang meiner Büchse in der Prairie hören zu können. Aber ich bin ein einsamer Mann seit dem Unglück, das den Comanchen betroffen hat, mit dem ich so manches Jahr treulich die Wüste durchstreift, von den Rocky-Mountains bis zu den Hacienda's im Süden. Mit ihm - und ich fürchte, er wird kaum die Zeit erleben, die wir zu unserem Werke bestimmt haben, - würde der letzte meiner Freunde aus der Jugend scheiden. Darum war es auch meine Absicht, mich auf dem Wege zu Ihnen nach ein paar Anderen zu erkundigen, von denen ich lange Nichts gehört, als daß ein wunderliches Schicksal, das sie Anfangs mit dem Vater unseres Knaben zusammengebracht, auch sie in dieses Land geführt hat.«
»Nach China?«
»Nicht gerade nach China - es ist ein Land, das man Indien nennt.«
»Indien? - aber wie kommt Graf Boulbon, mein Gebieter mit Indien und Ihren Freunden zusammen?«
»Ich habe nur dunkel davon gehört, - nur aus den
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Erzählungen der Jäger in Kalifornien. Aber hatte der Conde nicht schon früher, ehe er jenen unheilvollen Zug nach der Sonora unternahm, eine Anzahl Männer dazu geworben, die sich später wieder zerstreuten, als ein großer Brand die Stadt Francisco verwüstet hatte?«
»Das ist wahr. Ich habe davon ausführlich gehört - ich war damals mit Suzanne, - der Gräfin,« verbesserte er sich, - »der Mutter unseres Knaben im Auftrag meines Gebieters in Mexiko. Ich glaube, Slongh und einige Andere gehörten zu jenen Geworbenen. Es war damals, als der Graf in der Arena von San Francisco den Tiger Bob bekämpfte, den er noch besaß, als wir aus Mexiko zurückkehrten.«
»Ich habe davon sprechen hören, aber ihn nie gesehen. Das Thier, was sie Tiger nennen, drüben in dem Käfig, war das erste der Art, das mir zu Gesicht gekommen ist, obschon ich damals sehr bedauerte, die Gelegenheit versäumt zu haben; denn ein Mann sollte niemals unterlassen, die Geschöpfe Gottes kennen zu lernen, namentlich wenn er in der Wildniß lebt. Jetzt, nachdem ich das Thier gesehen, weiß ich, daß Ihr Herr einen harten Kampf bestanden haben muß und ich werde dem Toyah davon erzählen, wenn ich an die Quellen des Buenaventura zurückkehre.«
»Aber Sie sprachen von Ihren Freunden?«
»Richtig, Señor Bonifazio. Es war damals ein Freund Ihres Herrn in San Francisco - ein indischer Prinz oder Kazike, Nena Sahib genannt.«
»Nena Sahib?«
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»Ja - ich glaube, so hieß er. - Aber was thut dieser Kerl hier,« sagte er, die Sprache wechselnd - »ich hoffe nicht, daß der Bursche uns belauert.«
»Ohne Besorgniß, Freund Eisenarm,« meinte lächelnd der Avignote, indem er sich nach der Person umwandte, welche die Aufmerksamkeit seines Gefährten erregt hatte, - »es ist Nichts als einer jener widerwärtigen chinesischen Bettler, die sich überall eindrängen und eine wahre Plage für die Armee sind. Hier hast Du eine Münze, Bursche, obschon in Deinem albernen Lande nicht einmal die geprägten Münzen ordentliche Geltung haben, und nun packe Dich.«
Der Chinese, ein Krüppel schlimmster Art mit verwachsenen Beinen, griff hastig nach dem kleinen Geldstück, das ihm der Franzose zugeworfen, und schob sich auf den erhaltenen Wink, den er besser verstand, als die fremden Worte, ein Stück weiter hinweg, wo er an dem Bassin niederkauerte und an einem Maiskolben zu nagen begann.
»Erzählen Sie weiter, amigo!« sagte der Avignot.
»Wir sprachen von dem indischen Prinzen, obschon uns dieser eigentlich Nichts angeht und ich ihn nur beiläufig erwähnte.«
»Mordioux, Freund Eisenarm,« unterbrach ihn der Franzose, »er hat seitdem eine bedeutende Rolle gespielt in der Welt, oder vielmehr in Indien seiner Heimath. Sie müssen wissen, ich bin seit dem Tode meines Herrn ein gewaltiger Politiker geworden und lese die Zeitungen, was er sonst für mich that. Ihr Nena Sahib oder Srinath-Bahadur, wie er sich nannte, war der Maharadschah
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von Bithoor, und ein gewaltiger Feind der Engländer geworden, denen er eine tüchtige Revolution in Indien erregte, ein Pronunciamento, wie Sie es drüben im spanischen Amerika nennen. Aber ich kann Sie versichern, daß es ein ganz verfluchter Kerl gewesen sein muß, denn er vergoß Blut wie Wasser, und ließ die Köpfe springen, als wären es bloße Mohnkolben. Die Herrschaft der Engländer in Indien ist nahe daran gewesen, durch ihn über den Haufen zu purzeln.«
»Ich kann nicht grade sagen, daß ich die Inglese besonders leiden mag, obschon einer jener Freunde, deren ich erwähnte, aus ihrem Blute stammt. Aber was ist aus dem indischen Prinzen geworden, der ein so tapferer Mann gewesen sein soll, wie Ihr verstorbener Gebieter?«
»Er ist seit zwei Jahren verschollen - die Engländer haben zuletzt mit ihren Kanonen die armen Kerle, die Indier, abgemurkst, und man weiß nicht recht, ob der Nena in einem der blutigen Gefechte gefallen, oder ob es ihm gelungen ist, zu entkommen. Viele behaupten das Letztere, und daß er in einem anderen Lande Asiens nur auf die Gelegenheit lauert, einen neuen Schlag gegen die Engländer zu thun. Es soll ein hoher Preis auf seinem Kopfe stehen.«
»Schade!«
»Warum?«
»Weil ich so die Aussicht verloren habe, von dem Schicksal zweier früheren Kameraden zu hören, mit denen ich oft in der Wildniß zusammengetroffen bin, und die, wie ich Ihnen sagte, sich zuerst dem Grafen, Ihrem Herrn,
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angeschlossen hatten und dann als Tigerjäger mit dem Nena nach Indien gegangen sind.«
»Wie heißen sie?«
»Ich kenne nur ihren Namen aus der Wildniß. Man nannte den Einen >Adlerblick< wegen der Schärfe seines Auges und der Untrüglichkeit seines Schusses. Bei der Madonna! Ich verstehe auch eine Kugel zu schießen und man rühmt meine Geschicklichkeit in dieser Beziehung, aber ich habe Schüsse von Adlerblick gesehen, vor denen ich nicht besser war, als ein Schütze in den Städten.«
»Und der Name des Anderen?«
»Man nannte ihn >Ralph, den Bärenjäger<. Er ist es, der von englischem Blut stammt, aus dem Kanada an den großen Seen. - Er pflegte in den Felsgebirgen den grauen Bären zu jagen, und ich sage Ihnen, amigo - das ist kein Spaß. Er kam nur selten in das südlichere Land, und wir haben nur einmal einen Monat hindurch mit ihm die Büffel gejagt und einen Strauß mit den Apachen gehabt.«
»Ich erinnere mich, die Namen gehört zu haben. Der Graf, mein Herr und Freund, sprach mit Achtung von ihnen und bedauerte, sie nicht mehr bei seiner Expedition zu haben, eben so wie er es beklagte, daß er Sie und Ihren Freund nicht hatte gewinnen können.«
Der Trapper schwieg - er wußte nur zu gut, wie das gekommen, aber er wollte es vermeiden, die alten Wunden wieder aufzureißen.
»Hatten Sie einen besonderen Grund, Señor Eisenarm,« fuhr der Franzose fort, »diese Männer auf Ihrem
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Wege nach Europa aufzusuchen, außer um in ihnen alte Freunde wiederzusehen?«
»Gewiß, Señor. Die Stunde naht heran, wo der Knabe sein Erbe fordern soll, und ich denke, daß es Zeit ist, sich nach zuverlässigen Männern umzusehen, die uns dabei unterstützen können. Denn so wacker auch Falkenherz ist, so bleibt er doch ein Indianer, und die Rothhäute lieben es nicht, daß das Gold, welches der große Geist in ihren Bergen und Flüssen ausgestreut hat, von den weißen Männern fortgebracht werde. Aber ohne eine genügende Anzahl von kühnen Gefährten würde es unmöglich sein, dem Knaben zu seinem Erbe zu verhelfen, ja es wird vielleicht nöthig sein, eine größere Schaar zu haben, als sein Vater befehligte; denn die Apachen hausen ärger denn je und beherrschen das ganze Gebiet zwischen dem Rio del Norte und den Gränzen der Sonora.«
Der Avignote wiegte nachdenkend den Kopf.
»Das Alles fordert sorgsame Ueberlegung,« sagte er endlich, »und unsere grauen Köpfe müssen für ihn denken, denn die Jugend kennt nur das blinde Ungestüm. Ich habe oft gedacht, Señor Eisenarm, ob es nicht besser sein würde, den Knaben in seiner Unwissenheit und Ihren Goldplacer zu lassen, wo er ist, als auch ihn den Gefahren auszusetzen, die seinem Erzeuger Verderben gebracht haben. Er ist jung und von Vielen geliebt, und wird mit seinem edlen Namen seine Laufbahn machen, auch ohne daß er Schätze nöthig hätte.«
»Es ist das Klügste, was der Mensch thun kann; denn so wahr ich von christlichen Eltern bin, amigo, ich habe
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das gelbe Metall schon viel Unheil anrichten sehen, selbst in der Wildniß. Aber - was thun? - die Worte der Todten sind heilig und müssen erfüllt werden, wenn sie Ruhe haben sollen in ihren Gräbern. Nicht einmal ein Apache würde es wagen, das Wort seines sterbenden Häuptlings unerfüllt zu lassen.«
Der ziemlich abergläubische Provençale nickte ihm Zustimmung. »Es geht nicht anders, ich habe mir es auch gesagt. Aber was ist da zu thun?«
»Zunächst müssen noch drei Sommer vergehen bis zu jener Zeit. Sagt mir, amigo, was ist der General der Franken für ein Mann?«
»Nun - Sie haben ihn ja selbst gesehen. Er ist ein tapferer und kühner Soldat, aber grausam und habsüchtig. Mein verstorbener Herr und ich kannten ihn bereits aus Afrika.«
»Und er führt den unbedingten Befehl über alle diese Soldaten?«
»General Montauban ist der Chef der französischen Expedition in China,« sagte nicht ohne Nationaldünkel der Avignot. »Wo wären die Engländer an den Takun-Forts und in der Schlacht bei Palikao geblieben, ohne uns?! Spreu im Winde!«
»Und wie steht unser Knabe bei ihm?«
»Oh - nur zu gut! Er ist einer seiner Ordonnanzoffiziere und man kann nicht sagen, daß er seiner Dienste schont. Wenn übrigens das Gerücht wahr spricht, so sind Beide sogar Verwandte.«
»Wie das?«
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»Es würde zu weitläuftig sein, Ihnen das auseinander zu setzen, Freund Eisenarm. Genug, wenn auch der Vater unseres Knaben ein Kind der Liebe war, so stammt er doch aus der geraden Linie des alten Königsgeschlechtes, während General Montauban ein Sohn Louis Philipp's aus der Seitenlinie der Orleans sein soll, die nur zu Unrecht auf dem Thron saßen.«
Der Trapper lächelte über den feinen Unterschied des alten Legitimisten.
»Hören Sie mich an, Señor Bonifazio - ich habe einen Gedanken. Wenn der General so sehr das Geld liebt, wie Sie sagen, und es scheint nach Allem, was wir so eben gesehen, daß es wirklich der Fall ist, - könnten wir nicht seine Hülfe erlangen, wenn wir ihm einen Theil des Goldes für sich und seine Soldaten versprächen? Ein Regiment von Euren Soldaten würde es mit dem ganzen Volk der Apachen aufnehmen, und er hat Schiffe, die es leicht hinüberführen könnten.«
Der Provençale sah ihm erstaunt, erschrocken in's Gesicht. »Mann - was träumt Ihr, was denkt Ihr? Ein Krieg mit Mexico ohne den Befehl des Kaisers? Es ist nicht daran zu denken! General Montauban würde uns für wahnsinnig halten, wenn wir wagen wollten, ihm einen solchen Vorschlag zu machen. Ueberdies - wie könnten wir beweisen, daß unser Vorschlag und unsere Versprechungen auf Wahrheit beruhen? Wir sind zwei geringe Männer, ein unbekannter Jäger der Wüste und der einfache Diener eines Lieutenants - man würde uns auslachen, wenn wir vornehmen und mächtigen Herren Schätze
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verheißen wollten, wo wir Nichts zum Beweise haben, als Ihr Wort und die Erinnerung. Das Geld, was Sie mir damals für den Sohn meines Herrn gaben, ist größtentheils zu seiner Erziehung und Ausstattung verwendet worden, und Louis besitzt in der Heimath kaum noch ein Vermögen von tausend Franken Zinsen-Zuschuß.«
Der Trapper lächelte. »Wenn es eines Beweises bedürfte, Señor Bonifazio,« sagte er, »daß meine Worte Wahrheit sind, hundertfach mehr, als Sie ahnen können, so wäre er leicht zu führen. Glauben Sie denn, daß ich diesen weiten Weg unternommen hätte, ohne mich mit den Mitteln zu versehen, mein Ziel zu erreichen und meine Worte zu beweisen?« - Er zog den schweren Jagdranzen herbei und öffnete ihn. »Sehen Sie her, amigo! Ich habe auf das Verlangen des Toyah von dem Placer das genommen, was die Augen der Menschen in den Städten blendet, und so viel ich bequem auf der gefährlichen Wanderung durch die Einöde tragen konnte. Kennen Sie dies?« - Er hielt ihm ein Stück Erz entgegen, dessen scharfer Durchbruch keinen Zweifel ließ über seine Beschaffenheit.
»Bei San Bonifazio, meinem Schutzpatron« rief der erstaunte Provençale, »das ist ächtes, gediegenes Gold, so gut wie jenes, das Sie mir in der Wüste brachten und das ich in New-Orleans für dreißigtausend Dollars mit Hilfe des Lord Drysdale verkaufte!«
»Ich habe dasselbe gethan,« meinte gleichmüthig der Trapper. »In San Francisco versteht man sich auf die Prüfung des Goldes, das sie in Körnern mühsam aus ihren Placers am Sacramento waschen, und ich kann Ihnen
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sagen, die Bursche waren mächtig hinter mir her, sie wissen zu lassen, wo ich die Stücke gefunden hätte. - Da sehen Sie nach, Sie werden das Zeug besser verstehen, als ich. Die Leute sagten mir, es wären Noten der Bank von Kalifornien, - aber sie sollen diese Papierfetzen selber hinunterwürgen, wenn ich zurückkomme und gefunden haben sollte, daß sie mir die Unwahrheit gesagt haben.«
Er brachte bei diesen Worten eine schmuzige alte lederne Brieftasche aus dem Ranzen zum Vorschein und reichte sie dem Franzosen, der sie öffnete.
»Señor Eisenarm,« sagte er erstaunt, »Sie tragen ein Vermögen bei sich! Das sind mindestens fünfzig Stück gute amerikanische Tausend-Dollar-Noten.«
»Ich meine, so nannte man das Zeug, und es freut mich um ihrer willen, wenn die Geldwechsler in San Francisco mich nicht betrogen haben. - Jetzt, da ich Sie und den Knaben gefunden habe, ist der Bettel mir unnöthig und ich bitte Sie, ihn zu behalten und für den Sohn Ihres alten Herrn zu verwenden. Ich habe zur Rückkehr mehr als genug, wenn ich diese Stücke Metall verkaufe. Caramba - ich hätte niemals geglaubt, daß der Jäger Bras-de-fer noch ein Goldhändler werden würde!«
Er lachte herzlich vor sich hin, während der Franzose ihn mit erhöhtem Erstaunen über diese gänzliche Gleichgültigkeit gegen das Alles bewegende Geld betrachtete.
»Das geht unter keinen Umständen, Freund Eisenarm,« sagte dieser endlich, - »wenigstens nicht eher, als bis wir ausführlich unsere weiteren Pläne berathen haben. Lassen Sie uns jetzt von andern Dingen sprechen und vor
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Allem nach dem Knaben sehen, damit ihm die nöthige Ruhe wird. Was denken Sie mit dem Panther zu thun, den Sie so tapfer bewältigt haben?«
»Es ist wahr,« sagte der Trapper, - »ich hatte ganz darauf vergessen und Sie erinnern mich zur rechten Zeit daran. Ich habe eine Pflicht der Dankbarkeit zu üben,« und indem er sich erhob, ging er seinem Gefährten voran und zurück nach dem Hof, in welchem die Menagerie des Palastes sich befunden hatte.
Sie waren kaum verschwunden, als der chinesische Bettler sich langsam und vorsichtig aus seiner zusammengekauerten Stellung erhob und einen blitzschnellen vorsichtigen Blick umherwarf. Der Hof war fast leer von den ihn sonst füllenden ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgehenden Soldaten, denn Alles drängte sich auf die Nachricht von der Auffindung der Schatzkammer nach jener Seite der weiten Räume.
Die Gestalt des Bettlers schien eine andere zu werden, als er sich von keinem fremden Auge bewacht sah. Die krumm und verwachsen gewesenen Glieder streckten sich und wurden grade und geschmeidig, und das vorhin zum Blödsinn verzerrte Gesicht nahm einen energischen, fast dämonischen Ausdruck an.
»Wer sind diese Männer, die von dem Srinath-Bahadur der vergangenen Tage, als hätten sie ihn gekannt, redeten, und von seinen Freunden Adlerblick und Ralph, den letzten, die ihm in seiner Noth geblieben sind! - Es sind offenbar keine Faringi, - schade, daß ich die Sprache
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nicht verstand, in der sie zu Anfang redeten, ich hätte vielleicht mehr erfahren.«
Der Bettler ließ sich wieder nieder auf den Rand des Bassins, in tiefem Nachdenken. »Bei der dunklen Göttin,« murmelte er endlich -, »ich erinnere mich jenes Mannes, von dem sie redeten. Er war ein Franzose, und es war niemals aufrichtige Freundschaft zwischen den Franken und den verhaßten Faringi's. Das Bündniß, das sie hierher geführt, muß zu lösen sein und könnte zum Verderben der Engländer werden. - Fluch über die Feigheit und das Zaudern dieses Schattenkaisers auf dem Thron von Peking. Wenn er meinem Rathe folgen wollte, sollte kein englischer Fuß je wieder seine Heimath oder das geknechtete Indien betreten.«
Und wieder versank der unheimliche Bettler in düstere Träumereien.
»Sie sind elende Feiglinge, diese Söhne des Confucius,« fuhr er auf's Neue in dem Selbstgespräch fort, - »und ich hasse sie, wie sie die heilige Religion Brahma's hassen. - Ha - wenn ich zehntausend meiner treuen Mahratten bei mir gehabt hätte, statt jener dreißigtausend Tataren und Langzöpfe - ihr Blut hätte stromweis den Peiho gefüllt und kein Einziger wäre lebendig zu seinen Schiffen zurückgekehrt. - Aber ich muß mehr hören und wissen, ehe ich es wagen kann, den übernommenen Auftrag auszuführen. Der Moscowit in Peking rieth nicht umsonst zur Vorsicht. - Ha - wenn diese Söhne des kalten Nordens nicht so langsam und vorsichtig wären in ihrer Politik und hätten Wort gehalten, als diese Faust an die Thore von
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Lukno schlug, - der Srinath-Bahadur irrte dann nicht als Flüchtiger durch die Länder, sondern säße auf dem Throne von Delhi und wäre ihr Freund. Und wie einst mit ihm, machen sie es mit den Langzöpfen - sie scheuen es, offene Freunde zu sein und kämpfen mit fremden Waffen ... Aber ich will jenen Männern folgen, und mehr hören. Vielleicht, daß die Erinnerung an ihre alten Freunde mir zu der Unterredung hilft, die ich suche.«
Und plötzlich sank die eben noch schlanke geschmeidige Gestalt zusammen und die Glieder krümmten sich zu der verkrüppelten Form, die sie früher gezeigt hatten; die mit der verhaltenen Wuth des Tigers funkelnden Augen wurden matt und blöde - denn von der Seite des Menageriehofes fluthete eben die Menge zurück nach den zerstörten Gärten, von dem Wachpiket vertrieben, das auf den Befehl General Montaubans den Hof räumte, wo die Silberbarren aus dem entdeckten Schatzgewölbe von Hand zu Hand herauf wanderten und von englischen und französischen Wachen umgeben zu stattlichen Pyramiden sich aufthürmten.
Eine Menge Soldaten bunt durch einander gemischt, jubelnd, prahlend, scheltend, erzählend strömte an dem falschen Krüppel vorüber, der sich in einen Winkel gedrückt hatte und von Vielen verhöhnt und gezaust wurde, und von Anderen in dem übermüthigen Triumphgefühl irgend eine Gabe zugeworfen erhielt.
»Hast Du die Frechheit gehört, Jérome,« sagte einer der vorüberkommenden Soldaten zu seinen Kameraden -
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»wir sollen nur bis morgen hier bleiben, dann wollen sie unser Quartier einnehmen!«
»Bah - le grand coquin wird's nicht leiden. Er behält gern, was er hat!«
»Ich sage Dir, er thut's. Mit den großen Herrn weiß man nie, woran man ist. Aber Eins weiß ich gewiß!«
»Und das ist?«
»Corbleu, daß er den Herren Engländern verflucht wenig hier zu finden lassen wird, wenn sie morgen den Palast hier occupiren, und ich denke, wir wollen ihm treulich helfen!«
Lachend gingen Beide weiter.
Der falsche Bettler, der ihr Gespräch gehört und, wie nach dem Vorangegangenen geschlossen werden konnte, der französischen Sprache mächtig war, zuckte leicht zusammen bei der Nachricht, daß die Engländer, gegen die er offenbar einen großen Haß hegte, am nächsten Tage den Palast besetzen würden, und ein Blick wie der eines Tigers schoß hinter einem eben vorübergehenden britischen Offizier her.
Der Mann schien jedoch eine wahrhaft furchtbare Selbstbeherrschung zu besitzen, denn bis auf dieses kurze kaum bemerkbare Zeichen deutete nicht das Geringste an, daß er nur die Rolle des krüppelhaften Bettlers spielte.
Er wäre jedoch auch ohne diese strenge Durchführung seiner Maske kaum beachtet worden; denn das Gewühl und der Lärmen der Soldaten wurden grade in diesem Augenblick ärger. Lachend und Beifall rufend umgaben sie einen Mann, der in ihrer Mitte aus dem Hof der
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Menagerie zurückkam, dessen Zugang jetzt sofort von einem starken Posten gesperrt wurde.
Es war der Trapper Bras-de-fer und er bewährte in der That diesen Namen aufs Neue, denn die Last, die er in der rechten Hand trug, war der zu einem Knäuel zusammengeschnürte Panther.
Man konnte sehen, daß das grimmige Thier jetzt wieder aus seiner früheren Betäubung erwacht war, und daß es wüthende Anstrengungen machte, sich der unbequemen Bande zu entledigen. Die Baststricke hielten jedoch fest und erschöpften seine Kraft. Der heiße Athem, der aus den Nüstern und dem zusammengeschnürten Rachen drang, und die grünlich funkelnden Augen zeigten die ohnmächtige Wuth des starken Thiers.
Der Trapper, die Büchse über die linke Schulter gehangen, schritt so unbesorgt und leicht in der Mitte der ihn bewundernden Soldaten, als trüge er ein Lamm oder einen Hund. Bonifaz folgte ihm, den Ranzen des Jägers haltend und sorgsam behütend, indem er ihn besorgt von Zeit zu Zeit mahnte, das thörichte Beginnen zu unterlassen und die Bestie irgendwo in sicheren Gewahrsam zu bringen.
»Carracho, Freund,« sagte lachend der Jäger, »Ihr werdet doch nicht wollen, daß ich mein wohlerworbenes Eigenthum zurücklasse? Aber ich habe gehört, daß die Herrn Franzosen gern Katzenbraten verspeisen. He - Freunde - wollt Ihr vielleicht diesen Kater haben, um ihn zu braten?«
Und er hielt die Bestie den Soldaten hin.
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Ein allgemeines Gelächter erwiederte den schlechten Spaß - der alte Trapper war im Nu wieder der Held der Menge, selbst das Interesse an den gefundenen Schätzen bei dem leichtsinnigen Volk in den Hintergrund gedrängt.
»Hurrah unser Pantherjäger!«
»Vivat der Armee-Lieferant! Es lebe das Katzenleisch!«
»Ich mache den Garkoch - hundert Sous die Portion!«
Ein übermüthiger Bursche kniff das gebändigte Thier in die Ohren, daß es wüthend neue Anstrengungen machte, sich zu befreien. Ein Anderer zerrte an dem herabhängenden Schwanz.
»Zurück, meine lustigen Jungen, oder wenn Ihr wollt, will ich ihm die Bande lösen, damit Ihr das Vergnügen der Katzenjagd selber habt!«
»Pardieu der alte Bursche wäre es wahrhaftig im Stande!« und lachend prallte der Schwarm auseinander und gab einen weiten Raum.
Der Trapper erblickte durch die geöffnete Gasse seine Reise-Gesellschaft, die eben aus der Pforte des Hauptgebäudes des weitläuftigen Palastes zurückkam. Das Schauspiel der Habgier, mit welcher nach dem Kampf mit dem Panther und dem Auffinden des jungen Offiziers die Anstalten zur Entdeckung der Schatzkammer durch die beiden Oberbefehlshaber betrieben wurden, hatte den jungen Lord bald angeekelt, und nachdem er die Interessen seiner Nation gesichert sah, hatte er die unterbrochene Besichtigung der verschiedenen Räume des merkwürdigen Palastes fortgesetzt,
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wobei sich galant der Lieutenant de Thérouvigne als Führer angeboten hatte.
Der junge Franzose bemühte sich, der schönen Sibirianka jede mögliche Aufmerksamkeit zu erweisen.
»Ah unser amerikanischer Freund!«
Der Berliner Professor, womöglich noch mehr bepackt als früher, hatte nicht sobald seinen Begleiter bemerkt, als er hastig auf ihn losschoß.
»Freund Eisenarm, vulgo bras-de-fer, -optime amice, ich freue mich, endlich wieder mit Ihnen zusammenzutreffen. Sie haben Merkwürdiges versäumt und hätten der Wissenschaft bedeutende Dienste leisten können bei der Ausmessung jenes kaiserlichen Thrones mit den Drachenfüßen und verschiedener Säulen und Wandungen, da Ihre Leibesgestalt etwas länger ist, als Gott die meine geschaffen. Ich hoffe, würdiger venator, Sie haben alle die Merkwürdigkeiten, die ich Ihnen zur Bewahrung anvertraut, auf's Beste conservirt?«
»Den Plunder, Doktor? Caramba, den habe ich längst fortgeworfen!«
Der Professor starrte ihn erschrocken an. »Mensch - barbare! - das hätten Sie gethan?«
»Aber ich habe[n] Ihnen etwas Besseres mitgebracht!«
»Etwas Besseres - Seltneres? - vielleicht das Gegenstück zu der leider zerbrochenen Schaale aus dem verloren gegangenen grünen Porzellan der Vorzeit des Kaisers Tsin-Tsin?«
»Etwas Grünes hat er auch,« sagte lachend der Trapper, »aber nur in den Augen. Da - sehen Sie
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selbst Doktor!« und er hob dem Gelehrten die geknebelte Bestie, die er bisher hinter sich verborgen gehalten hatte, unter die Nase.
Der etwas kurzsichtige Gelehrte erblickte kaum die funkelnden Augen der Bestie so nahe vor den seinen, als er unter Verlust seiner Brille einen noch gewaltigeren Satz rückwärts that, als er vorhin bei der unterbrochenen Klassifikation des Tigers gemacht hatte, um sich aus der gefährlichen Nachbarschaft zu salviren. Sein Schelten über die rohe Sorglosigkeit des Jägers ging in dem schallenden Jubel der Soldaten verloren.
»Sie haben unsern gelehrten Freund allzusehr erschreckt, Sir,« sagte die Dame lächelnd - »seine Nerven sind nicht so stark wie die Ihren. - Aber sagen Sie mir, Monsieur Bras-de-fer, wenn es erlaubt ist zu fragen, was wollen Sie mit dem Ungethüm eigentlich machen?«
»Es Ihnen zu Füßen legen, Señora,« sprach der Trapper, indem er mit einer Bewegung, die nicht ohne natürlichen Anstand war, die That seinen Worten folgen ließ. »Ich bin ein armer Trapper, Señora, der Nichts hat, als was ihm seine Flinte und die Kraft seines Armes erwirbt, und der Ihnen, weil Sie gütig gegen einen Fremdling waren und meine Aufnahme auf Ihrem Schiffe durchsetzten, gern ein Zeichen seiner Dankbarkeit geben möchte. Die Gabe ist freilich seltsam, Señora, aber ich erinnere mich, daß eine ähnliche von einer vornehmen Donna jenseits des Meeres nicht verschmäht wurde, als ein Freund, dem Gott ein weißes Herz gegeben bei einer rothen Haut, sie brachte.«
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»Und ich nehme Ihr Geschenk mit gleichem Dank an,« sagte das junge Mädchen, indem sie den Handschuh von ihrer rechten Hand zog und sie dem rauhen Verehrer reichte, »nur müssen Sie mir gestatten, Monsieur Bras-de-fer, damit nach meiner Laune zu verfahren.«
»Der Panther ist Ihr Eigenthum, Señora, - Sie mögen ihn tödten, verschenken oder mit sich nehmen.«
»Zum Schooshund würde er allerdings sich schwerlich eignen,« sagte lächelnd die Sibirianka. »Ich muß also wohl darauf verzichten, ihn zu behalten. Aber ich bin wirklich in Verlegenheit, denn ich sehe zwei Liebhaber dafür, beide gleich treu und ergeben und beide gleich lüstern nach diesem Beweis meiner Zuneigung« und sie blickte schelmisch lachend auf den Lord und den Professor. - »Was meinen Sie, gelehrter Herr, Sie sind der Aelteste und haben die ersten Rechte auf meine kleine Person? Aber ich bitte Sie, beeilen Sie sich, sonst könnte leicht ein dritter Bewerber um so große Gunst auftreten.«
Sie nickte bezeichnend nach dem jungen Husaren-Offizier, der jedoch in diesem Augenblick keine Aufmerksamkeit für den Scherz zu haben schien. Seine Augen verfolgten vielmehr eifrig jede Bewegung ihrer kleinen entblößten Hand.
»Gott soll mich bewahren, Hochverehrteste, vor dieser Bestie!« meinte erschrocken der kleine Gelehrte. »Sie hat mir schon Schaden und Aerger genug gebracht. Ich wüßte nicht, was ich mit dem Vieh anfangen sollte!«
»Ei - Sie nehmen es mit nach Berlin!«
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»Für den zoologischen Garten,« sagte lachend der Marine-Offizier.
»Eheu - das wäre ein vortrefflicher Gedanke, mein werthester Landsmann,« rief eifrig der Professor. »Auf der Porzellantafel vor dem Käfig stände dann zu lesen: Geschenk des Professor Dr. Peterlein aus China, und alle Welt hätte damit den Beweis, welchen Gefahren und Reisebeschwernissen sich auch ein unwürdiger Nachfolger unseres großen Humboldt auszusetzen vermag im Interesse der Wissenschaft. - Aber,« fügte er kleinlaut hinzu, »ich sehe keine Möglichkeit, diese felis onça, Familie panthera einen so weiten Weg zu transportiren. Es wird nur übrig bleiben sie zu tödten und ihre Haut mit uns zu nehmen, die ich präpariren werde. Schade - schade!« -
»Wenn der Transport allein Ihre Sorge ist, mein alter Freund,« meinte freundlich Lord Walpole, »so will ich Sie davon befreien. Ich übernehme die Kosten und die Mühe des Transports nach Europa und unser Freund aus Mexiko wird uns gewiß den Gefallen thun, sein Geschenk bis an Bord unserer Dschonke zu schaffen, zu der wir uns ohnehin jetzt begeben. So, mein lieber Lehrer, sollen Sie doch das Vergnügen haben, Ihren in der Wissenschaft ohnehin schon berühmten Namen an einem der Käfige im zoologischen Garten von Berlin zu lesen.«
Wéra Tungilbi klatschte in die kleinen Hände. »Vortrefflich arrangirt, Mylord, Sie verdienen, meine Hand zu küssen. Sie sehen, Mylord, daß auch ich mich bemühe, unserem werthen Freunde eine Freude zu machen, wie sie seinen und meinen Neigungen entspricht.« Ein bezeichnender
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Blick begleitete diese Worte, indem sie ihm die Hand reichte, die der junge Pair ehrerbietig an die Lippen führte.
»Ich werde das Thier an Bord der Dschonke bringen,« sagte der Trapper, »und kann da gleich mein kleines Bündel mit zurück nehmen, Señora, indem ich Ihnen tausend Dank für Ihre Güte sage, Ihnen und diesen Herrn.«
»Was soll das heißen, Monsieur Bras-de-fer? Wollen Sie uns denn verlassen?«
»Ja, Señora - doch hoffe ich Sie noch zu sehen, um Ihnen Lebewohl zu sagen und Gottes Segen Ihnen Allen zu wünschen. Ein seltsamer Zufall hat es gefügt, daß ich hier den Personen begegnet bin, um derenwillen ich die Fahrt nach Europa machen wollte. Ich werde mich nicht von ihnen trennen, bis ich selbst nach San Francisco oder Guayamas zurückkehren kann.«
»Das ist in der That ein glücklicher Zufall, Sir,« sagte freundlich der Lord, »obschon es mir und uns Allen herzlich leid thun wird, die Gesellschaft eines wackern Mannes zu verlieren. Sie müssen mir jedenfalls versprechen, mich vor unserer Rückkehr nach Thianthsin noch zu besuchen, denn ich habe ein kleines Andenken für Sie.«
Der Trapper verneigte sich achtungsvoll vor dem jungen Mann und den Offizieren und nahm dann seine gefährliche Last wieder auf, indem er seinem alten Freunde winkte, ihm zu folgen.
Meister Bonifaz hatte die kurze Unterredung benutzt, um an den Husaren-Offizier einige Fragen in Betreff seines jungen Zöglings zu richten, aber Monsieur de
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Thérouvigne zeigte nur wenig Aufmerksamkeit dafür und begnügte sich, ihm kurz zu sagen, daß Lieutenant Clément den General nach seinen Zimmern habe begleiten müssen und noch dort verweile. Der Avignot schüttelte brummend über die Rücksichtslosigkeit gegen seinen jungen Herrn den Kopf und folgte dem Mexikaner.
Die kleine Gesellschaft war in Begriff das Gleiche zu thun und die schöne Sibirianka wollte eben den Handschuh über ihre weißen Finger streifen, als die Hand des jungen Offiziers sie davon zurückhielt.
Erstaunt über diese Dreistigkeit trat sie einen Schritt zurück und maß ihn mit einem stolzen Blick.
»Verzeihung, Madame la Princesse,« bat der junge Mann mit einiger Verlegenheit - »aber es scheint in der That heute der Zufall sein besonderes Spiel zu haben. Würden Sie mir wohl gestatten, jenen Ring näher zu betrachten, den ich an Ihrer schönen Hand bemerkt habe?«
»Warum nicht, mein Herr!«
Sie zog, um eine fernere Berührung zu vermeiden, den Ring vom Finger und reichte ihn dem Offizier.
»Bei Gott, das ist seltsam,« sagte dieser. »Ganz derselbe! Darf ich Sie fragen, Durchlaucht, wie Sie zu diesem Ringe kamen?«
»Sie vergessen sich, mein Herr,« sprach Lord Walpole, mit strenger Miene dazwischen tretend. »Ihre Frage an Madame gränzt an Unhöflichkeit!«
Der junge Franzose betrachtete ihn mit flammendem Blick. »Ich habe diese Dame mit aller Hochachtung gefragt, nicht Sie, und finde im Gegentheil Ihre eigene
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Bemerkung so voreilig und dreist, mein Herr Engländer, daß ich mir erlauben werde, Sie um weitere Erklärungen zu bitten.«
»Die Lady steht unter meinem Schutz,« sagte der Lord hochmüthig. »Meine Adresse ist Ihnen bekannt, mein Herr. Unterdeß danken wir Ihnen für Ihre Begleitung und sagen Ihnen Adieu.«
Er bot der Dame seinen Arm, um sie hinweg zu führen, diese aber wandte sich ablehnend und unwillig an die streitenden Männer.
»Was soll das heißen, meine Herren - einen Streit um eine so unbedeutende Sache? Monsieur frägt gewiß nicht ohne Ursach und ich habe nicht die geringste, ihm die erbetene Auskunft vorzuenthalten. Diesen Ring gab mir mein Großvater bei meinem Scheiden.«
»Großer Gott - das Wappen - war Ihr Großvater je in Frankreich?«
»Mein Großvater war Offizier in der Armee des Kaiser Napoleon und ein geborner Franzose. Der Ring ist ein Familien-Erbstück seiner Mutter.«
»Ihr Name?«
»Sie war eine Tochter des Marquis von Lahouette, der in der Revolution bei der Vertheidigung der Tuilerien fiel.«
»Dann, Fürstin, sind wir Verwandte und ich mache mit vollem Recht die Vetterschaft geltend,« rief heiter der junge Offizier. »Hier, schöne Cousine, sehen Sie diesen ganz gleichen Ring mit dem nämlichen Wappen. Ihre Urgroßmutter war die ältere Schwester der Mutter meines
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Vaters. Ich weiß, daß nur zwei Ringe dieser Art in der Familie des Marquis existirten und beide Kinder sie erhielten, von denen die ältere Schwester in der Schreckenszeit einen wackern Mann bürgerlichen Standes heirathete, während die jüngere, damals noch ein Kind, von Verwandten in's Ausland geflüchtet wurde und erst nach der Herstellung der Bourbons nach Frankreich zurückkehrte. Ich erinnere mich, meinen Vater davon sprechen gehört zu haben, daß ein Vetter von ihm, wie er sagte glücklicher Weise für die aristokratischen Erinnerungen der Familie - bei'm Brand von Moscau umgekommen sei.«
»Der Lieutenant Jeanrenaud, mein Herr, ist mein Großvater!« sagte Wéra stolz.«
»Bitte, schöne Cousine, verstehen wir uns recht!« entgegnete lachend der junge Mann. »Ein Blut wie das Ihre wäre kein Flecken selbst für das Wappenschild eines Laroche oder Montmorency. Ueberdies leben wir in einer Zeit, die auch im Faubourg Saint Germain andere Ansichten zur Geltung gebracht, und ich werde mir von keinem adligen Stammbaum der Welt das Recht streitig machen lassen, unsere Verwandtschaft geltend zu machen. Da - schöne Cousine, - überzeugen Sie sich selbst!«
Der muntere Offizier hielt ihr seine Hand entgegen, an deren Goldfinger ein Ring steckte, der vollkommen dem ihren glich wie ein Ei dem andern.
Die Enkelin des alten Posielnic, des Verbannten in den sibirischen Eiswüsten reichte ihm die Hand. Es mochte ihr, wenn sie dies auch nicht direkter zeigen wollte, nicht unlieb sein, in dem jungen eleganten Offizier von
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vornehmer Familie einen Verwandten zu finden, dessen Schutz sie noch unabhängiger von ihren beiden Begleitern machte und ihr erlaubte, das Spiel mit ihren sehr verschiedenartigen Huldigungen fortzusetzen.
»Wohlan, mein Herr Cousin, Wéra Wolkonski ist geneigt, ihre französische Verwandtschaft anzuerkennen,« sagte sie munter, »unter der Bedingung, daß Friede und Vergessen ist zwischen England und Frankreich, bei meiner höchsten Ungnade! Und nun, Mylord Walpole, seien Sie galant und laden Sie meinen neu erworbenen Vetter ein, mit uns auf Ihrer Barke zu diniren.«
Der Engländer bezwang seinen Groll, obschon ihm diese Acquisition nichts weniger als angenehm war, und entschuldigte sich mit der Höflichkeit des Weltmanns bei dem jungen Franzosen wegen seines barschen Auftretens, indem er ihn zugleich zu Tische lud, eine Einladung, die der junge Offizier zu seinem großen Bedauern nicht annehmen konnte, da ihn der Dienst später zu seiner Truppe und in den Palast zurückrief. Er mußte sich daher begnügen, seiner schönen Verwandtin den Arm zu bieten, um sie aus dem Thor des letzteren und bis zu dem englischen Lager oder zum Ufer des Stroms zu geleiten, auf welchem ihre Barke ankerte.
Aber die Abenteuer der kleinen Gesellschaft sollten auch jetzt noch nicht beendet sein.
Der Professor hatte nämlich kaum den Entschluß Eisenarms vernommen gehabt, sich von der Gesellschaft zu trennen, als er im Interesse der Wissenschaft selbst seine Furcht vor dem Panther überwand und den beiden Freunden
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folgte, so daß er Nichts von dem Streit seines Zöglings und dem kleinen Familiendrama hörte, nur bestrebt, aus dem Trapper noch möglichste Nachrichten über die vorgeschichtlichen Ruinen des alten Azteken-Landes heraus zu schlagen. Er schien dabei jedoch durch sein ritterliches Gefühl für die leidende Unschuld in eine Klemme gerathen zu sein, denn man erblickte ihn jetzt, ein weinendes hübsches Mädchen an seiner Seite, scheltend und greinend in einem Kreise muffiger Soldaten, die ihm und seiner Begleiterin durch Verhöhnungen aller Art und sehr obscöne Scherze übel mitzuspielen schienen.
Das Mädchen war Niemand anders als Tank-ki, die Tochter des verrätherischen Oberaufsehers des Palastes, welche der englische General auf ihrem Posten oder in ihrem Versteck in dem Zugang zu der unterirdischen Schatzkammer aufgefunden und zur Oberwelt zurückgebracht hatte, die aber General Montauban in seiner üblen Laune über die Einmischung der Engländer trotz ihres Wehklagens und ihres Geschreies sofort vor das Thor des Palastes hatte werfen lassen, mit dem strengem Verbot, denselben wieder zu betreten.
Die leichtfertige und wüste Gesellschaft der Soldaten hatte sich natürlich sofort die Gelegenheit zu Nutze gemacht, das schutzlose Mädchen mit den obscönsten Späßen und Anträgen zu verfolgen, und der kleine Professor war dazugekommen, als man der Aermsten selbst mit handgreiflichen Zudringlichkeiten zusetzte, da grade der Umstand, daß die junge Chinesin einiges Französisch verstand, die Männer eine lockere Beute in ihr wittern ließ.
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Der würdige Professor war sofort mit der höchsten sittlichen Entrüstung dazwischen getreten und zog selbstverständlich den Hohn und Spott der ganzen Bande auf seine Person.
»Meine Herren Soldaten!« schrie der kleine Mann, indem er sich auf die Spitze der Zehen erhob und den alten Arabersäbel schwang, den er gleich zu Anfang in den Höfen des Palastes aufgelesen hatte, »Sie wollen Söhne der großen ritterlichen Nation sein, die das weibliche Geschlecht, genus femininum, Species homo, Gattung Säugethiere, - von jeher so hoch gestellt hat, daß schon das Beispiel des berühmten und tapfern Seigneur de Pierre du Terrail, genannt der Ritter ohne Furcht und Tadel, geboren 1476 auf dem Schlosse Bayard bei Grenoble, weswegen ihn fälschlich unwissende Personen Bayard zu nennen pflegen, gestorben nach Gayard de Berville's Histoire am 30. April 1424 - daß, wiederhole ich, das Beispiel Ihres Landsmanns, genannten Seigneurs, Sie abhalten sollte, bedrängte Unschuld und Tugend ...«
Ein brüllendes Gelächter unterbrach die Strafpredigt. »Was will der alte Narr? - was geht ihn unser Vergnügen mit der chinesischen Cocotte an? - Platz - für das Brautpaar! Respekt vor dem Lumpensammler und der schlitzäugigen Tugendprinzessin! - Laßt uns den Kerl prellen! - Eine Decke her! ...«
Es wäre wahrscheinlich dazu gekommen und dem armen Vertheidiger der Moral schlecht bekommen, wenn nicht die Gesellschaft Lord Walpole's und der Offiziere in diesem Augenblick dazwischen getreten wäre, und es bedurfte in
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der That selbst einiger Anstrengung der letzteren, den armen Mann, der bereits auf Kosten des Inhalts seiner Sammlungen wie ein Fangball von einer Hand zur andern flog, aus der bösen Rotte zu befreien, wobei der Husar auf die Aufforderung seiner schönen Verwandtin auf's Beste thätig war.
Leider mußte dabei der ritterliche Professor einen sehr schnöden Undank erfahren; denn kaum erblickte die junge Chinesin ein Mitglied ihres eigenen Geschlechts, als sie sich unbekümmert um sein Schicksal durch die Streitenden drängte und vor der Dame niedersank, ihre Knie umfassend.
»Helft! rettet - Ihr seid ein Weib! Die Barbaren tödten den Vater und haben mich vertrieben!« flehte sie in französischer Sprache.
Die Sibirianka, erstaunt darüber, neigte sich zu ihr.
»Wer bist Du, Kind?«
»Ich bin Tank-ki, die Tochter des Mandarin Tsin-Yang, des Oberaufsehers des Palastes. Sie haben mich von dem Ort vertrieben, an dem mein Vater mich verborgen hatte, als die Barbaren Jung-ming-jun überfielen. Glaube mir, ich war bereit, sein Leben mit dem meinen zu erkaufen, wenn er auch ein Fremdling ist, und Tsin-Yang hätte ihm Nichts zu Leid gethan, denn er ist der Gatte seiner Tochter. Aber sie haben mich fortgetrieben, und die bösen Männer lassen mich nicht hinein und verlangen Schlimmes von mir!«
»Beruhige Dich, Kind - wir werden Dich schützen. Aber es ist seltsam, daß Du unsere Sprache redest?«
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»Die gute Maria hat mich's gelehrt, auch von dem weißen Christ hat sie mir erzählt, - doch darf's der Vater nicht wissen. Du bist gewiß eine Prinzessin, so schön bist Du - laß Tank-ki Dir dienen und schütze sie vor den bösen Männern. Sie kann singen und tanzen, Gewebe sticken und die Haare flechten. Beschütze sie, bis sie wieder zu ihrem Vater gehen darf!«
»Wenn das Mädchen, wie sie sagt,« flüsterte der Husar seiner Verwandtin zu, »die Tochter des alten Chinesen ist, den wir als Gefangenen bei General Montauban sahen, so dürfte es lange dauern, bis sie ihn wieder sieht. Man sagt zwar, er habe den Verräther gemacht und selbst die Franzosen herbeigerufen, aber der General scheint übel auf ihn zu sprechen.«
»Auf jeden Fall will ich das arme Kind gegen die Rohheiten schützen, denen sie hier ausgesetzt ist, bis sie zu ihren Landsleuten gelangen kann,« entschied die Sibirianka. »Mylord, ich bitte Sie um Erlaubniß, dies arme Mädchen mit uns nehmen zu dürfen!«
Der Lord verbeugte sich. »Die Fürstin Wéra Wolkonski weiß, daß ihre Wünsche Befehle für mich sind.«
»Oh, Mylord, Sie wissen recht gut, daß die Tochter Posieleci keine Ansprüche hat auf den Namen, den ihr Vater früher getragen, es sei denn, daß seine Familie sie adoptirt oder der Czar ihr den Namen zurückgiebt. Also verschonen Sie mich mit diesem Titel bis ich das Recht habe, ihn zu führen, und lassen Sie mich für meine Freunde Wéra Tungilbi sein, die freie Sibirianka. Von dieser nehmen Sie besten Dank für Ihre Zustimmung. - Komm,
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Kind; wenn das wahr ist, was ich höre, bist Du vielleicht eine Ausgestoßene von Deinem Volk wie ich und hast den Kampf des Lebens vor Dir. So viel an mir ist, will ich Dir beistehn und Dich schützen, und Sie, mein schöner Vetter, bitte ich, sich nach dem Vater des armen Kindes zu erkundigen und ihm Nachricht zu geben, wo seine Tochter zu finden ist.«
Sie hob das weinende Chinesen-Mädchen auf und behielt ihre Hand in der ihren, als sie unter dem Schutz ihrer Begleiter durch den Soldatenhaufen weiter ging.


Es konnte etwa eine Stunde vergangen sein, die Sonne war bereits untergangen und die Dunkelheit rasch eingetreten, als der Trapper und Meister Bonifaz nach dem Sommer-Palast zurückkehrten, der letztere sehr ungeduldig, seinen jungen Gebieter wieder zu sehen.
In den Höfen und Gärten des Palastes brannten mächtige Feuer, - Fackeln und die bunten chinesischen Laternen leuchteten zahlreich, und die leichtsinnige Weise, mit welcher die zechenden und schmausenden Soldaten mit dem Feuer umgingen, erregte bei der leichten Bauart der weiten, prächtigen Gebäude oft große Besorgnisse.
In dem sorgfältig abgesperrten Menagerie-Hof waren das englische und französische Kommando noch immer mit der Entleerung der aufgefundenen Schatzkammer beschäftigt; Offiziere beider Nationalitäten gingen eifersüchtige Wache haltend ab und zu, und eine Menge Karren waren
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herbeigeschafft und harrten in den äußern Höfen, um mit den aufgestapelten Silberbarren beladen zu werden und sie zu den Schiffen zu transportiren.
An dem Hauptportal des Palastes stieß der Avignot auf den Husaren-Offizier und hielt ihn alsbald fest mit der Frage nach seinem Freunde.
»Parbleu,« sagte dieser ärgerlich - »der Teufel weiß, was der arme Junge, der sonst kein Wasser trübt, ausgefressen hat. Ich hörte eben von Lavallade, dem Adjutanten, daß der General en chef ihn in Arrest geschickt hat und bin auf dem Wege, ihn dort aufzusuchen. Allons, Monsieur Cornoche, kommen Sie mit mir!«
Der Avignot, höchst erschrocken über die Nachricht, winkte seinem Freunde, ihm zu folgen und Beide begleiteten den jungen Offizier nach dem Gebäude, das man zum Nachtlokal also auch zum Arrest eingerichtet hatte.
Hier fanden sie in einem zweiten Gemach Lieutenant Clément sehr unbekümmert auf einem Rohr-Divan liegen. Der kommandirende Offizier der Wache, ein Regiments-Kamerad des Gefangenen, erklärte ihnen zwar, daß er eigentlich Ordre habe, Niemanden zu demselben zu lassen, aber die Willkür des Generals war bekannt genug, um nicht viel auf einen solchen Arrestbefehl zu geben, und er machte daher auf das Zureden Henry's de Thérouvigne auch nicht viel Umstände, von seiner Ordre abzuweichen.
»Ich weiß nicht, weswegen es geschehen ist,« sagte der Offizier auf Befragen, »und Clément giebt selber keine Auskunft darüber. Alles was ich gehört habe ist, daß unser grand coquin sehr erbost über ihn ist und ihn
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morgen vor ein Kriegsgericht stellen will, weil er ihm den Gehorsam verweigert hätte. - Bah - wir kennen unsern alten Fuchs, und wenn man eine Schlacht wie Palikao hinter sich hat, darf man sich schon Etwas erlauben. Es wird Nichts so heiß gegessen, als es angerichtet ist. Eine Viertelstunde will ich Ihnen gestatten, Kamerad, dann kommt die Ronde!«
Lieutenant Clément hatte sich von seinem Divan halb erhoben und bewillkommnete munter die Freunde.
»Mein alter guter Bonifaz,« sagte er herzlich, »welche Mühen und Sorgen mache ich Dir. Wahrhaftig, ich möchte mich selber schelten, dann brauchst Du es nicht zu thun. Aber mache Dir keinen Kummer darüber, Alter - es ist Nichts und General Montauban wird überlegen!«
»Der Coquin!«
»Still Bonifaz - laß mich Dergleichen nicht hören. Allerdings konnte ich nicht anders als sein Verlangen abweisen. Und höre ... aber ist das nicht mein wackerer Befreier aus dem Kerker? Die Ereignisse gingen so rasch vor sich, daß ich ihm draußen nur flüchtig danken konnte.«
Der Avignot wendete sich nach der Thür. »Treten Sie näher, amigo!«
Der Trapper mit seiner ernsten Miene, mit welcher er fast zärtlich auf den jungen Mann niedersah, schritt ihm entgegen.
»Louis Suzon Graf von Boulbon, genannt >Louis Clément<,« sagte der Avignot feierlich! - »begrüßen Sie in diesem Manne Denjenigen, welcher die letzten Stunden
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Ihres Erzeugers theilte und der Vollstrecker seines Willens ist!«
»Meines Vaters? - welchen Namen giebst Du mir da, Bonifaz?«
»Den, der Ihnen gebührt, Sohn meines Herrn und Freundes. Das Blut des königlichen Hauses Bourbon, der rechtmäßigen Herrscher Frankreichs, fließt in Ihren Adern! - Die Zeit war gekommen, daß Sie es erfahren durften, Sie sind heute zwanzig Jahre!«
»Mein Gott! mein Gott! - und meine Mutter?«
»Sie ruht in ihrem Grabe auf der Felseninsel des Buenaventura in der Wüste der Apachen und erwartet in drei Jahren ihren Sohn!«
»So war er wirklich mein Vater? - fast ahnte ich es!«
»Er war es - und hier ist sein Testament, das ich Ihnen in Gegenwart dieser beiden Männer zeige, von denen der Eine Zeuge seines Todes, der Andere der Freund und Gefährte Ihrer Jugend war. Es ist die rechtmäßige Anerkennung Ihrer Mutter und Ihrer selbst.«
Und indem er aus seiner Brieftasche ein vergilbtes Papier nahm, dasselbe, was vor neun Jahren ihm der Trapper Eisenarm bei der Rückkehr aus dem Goldthal überbracht hatte,36 küßte er die Schriftzüge seines unglücklichen Herrn und reichte das Dokument dessen Sohn, der es ehrbietig, betäubt von dieser Bestätigung empfing.
Wir dürfen zur Ehre des jungen Mannes sagen, daß
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er sich mehr über die Anerkenntniß seiner geliebten Mutter, die er so früh verloren, als der Gattin seines Vaters, als über die Bestätigung dessen, was er aus den Erinnerungen seiner Jugend und bei der Kenntniß der französischen Lebensweise oder im Stillen geargwohnt hatte, oder über den Rang, der ihm dadurch verliehen wurde, freute.
Erst nach einigen Minuten, die alle Vier schweigend verbrachten, wurde der junge Offizier Herr seiner Bewegung und trat auf den Mexikaner zu.
»Wenn mich nicht Alles täuscht, Herr,« sagte er dem Riesen die Hand reichend, »sind Sie der hier genannte Trapper Leblanc oder Eisenarm, von dem mir mein Freund und Beschützer Bonifaz so Vieles erzählt hat. Oh mein Herr, Sie sollen mir von meinem Vater sprechen, von dessen Ende ich so wenig weiß.«
»Er starb wie ein Soldat auf dem Wall, den er siegreich erstiegen, junger Herr,« erwiederte der Trapper ihm kräftig die Hand schüttelnd. »Lassen Sie sich das genügen bis die Zeit gekommen, daß Sie mit eigenen Augen sehen können. Ich habe gelobt - auch ein Anderer, den Sie nicht kennen - und dessen Gedanken in diesem Augenblick bei uns sind, obschon er nur ein Indianer ist - mit diesem Mann hier die Sorge um Sie zu theilen, als wären Sie unser Sohn. Gott und die Heiligen haben mir bereits die Gnade gewährt, Ihnen einen kleinen Dienst leisten zu können, - verschmähen Sie darum das Anerbieten eines niederen aber redlichen Mannes nicht!«
»Ich bin stolz auf Ihre Freundschaft und Ihren Schutz, Monsieur Bras-de-fer,« sagte herzlich der junge
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Offizier. »Mit so aufrichtigen und wackern Freunden wird es mir nicht fehlen, meinen Weg zu machen, wenn ich erst aus diesem zweiten Prison wieder heraus bin, was hoffentlich bald geschehen wird.«
»Aber wie zum Henker bist Du eigentlich wieder in die Klemme gerathen, Unglücksvogel?« schalt lustig der Husar. »Doch zunächst nimm meine besten Glückwünsche zu Deiner Grafschaft, die freilich im Monde liegt. Daß Du ein Sohn des berühmten Grafen Boulbon bist, hatte mir freilich Madame la Marechal längst angedeutet, aber wir hielten Dich nur für ein Kind der Liebe und schwiegen darum, um Dir das Herz nicht schwer zu machen. Monsieur le Comte aus dem königlichen Blut der exilirten Bourbons, ich empfehle mich Ihrer ferneren Gnade, wenn Sie je statt des Schlingels Loulou, des trägen Chambord oder des Grafen von Paris auf den Dornensitz kommen sollten, den man den Thron von Frankreich nennt!«
Und er faßte den Freund im lustigen Uebermuth und wirbelte den Lachenden in dem Gemach umher.
»Aber nun, Graf,« sagte er ganz athemlos - »jetzt beichte, was hat es gegeben zwischen Dir und dem General?«
Der Ordonnanz-Offizier war plötzlich wieder ernst geworden. »Das kann ich Dir nicht sagen, Henry, wenigstens vorerst nicht. Aber Du kannst mir einen Gefallen thun - ich wollte erst Bonifaz darum bitten, aber es ist besser, wenn Du's thust.«
»Warum?«
»Einen Offizier kann man nicht visitiren und ihm
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mit Gewalt Dinge abnehmen, die ihm zur Aufbewahrung anvertraut sind, wie der General ohne Bedenken bei meinem alten Freunde thun würde, wenn er eine Ahnung davon gewönne.«
»Zum Henker, das sieht ja ganz verdammt geheimnißvoll aus! Um was handelt es sich denn eigentlich?«
»Um eine Schrift, die dem Chinesen Tsin-Yang gehört. Der Kerl ist zwar ein schurkischer Verräther und hat mir übel mitgespielt, - aber ich habe versprochen, es ihm aufzubewahren und nur ihm oder seiner Tochter auszuhändigen.«
»Parbleu - der hübschen kleinen Chinesin, die Mademoiselle Wolkonski in ihren Schutz genommen hat.«
»Wer?«
»Ei meine schöne Cousine! doch richtig, Du weißt von der nagelneuen Entdeckung noch Nichts und ich werde Dir die Geschichte bei Gelegenheit erzählen. Du hast doch die hübsche Russin gesehen, die mitten zwischen Tigern und Panthern stand, als man Dich gleich dem heiligen Daniel aus der Löwengrube holte?«
»Das schöne Wesen - das ich sah, als ich zur Besinnung kam? - Wer ist sie - wie kommt sie hierher?«
»Langsam! langsam! ich hoffe, daß Du nicht den Schwarm Ihrer Anbeter vermehren willst, zu denen auch unser guter Freund, der Pantherbezwinger dort, mir zu gehören scheint. Aber, parole d'honneur - sie ist wirklich eine Löwin ersten Ranges und wird in Paris Furore machen. Schade, daß ich nicht bei ihrem Entrée sein kann. Sie ist aus Sibirien, die Tochter eines verbannten
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Prinzen Wolkonski und ich glücklicher Kerl habe eine Verwandtschaft mit unseren Großeltern ausspionirt. Aber was ist's mit dem Papier?«
»Du sagtest, daß Tank-ki bei der Dame wäre?«
»Tank-ki? wer ist das?«
»Ich meine die junge Chinesin - die Tochter des Schurken Tsin-Yang.«
»Diable - Du scheinst Deine Zeit in der Löwengrube nicht verloren zu haben, Freund Louis! Die Dirne ist wirklich hübsch trotz Schlitzaugen und hohen Backenknochen. Nun, ich gönne sie Dir, kleiner Don Juan, wenn Du mir nur die neue Cousine läßt, die mir ohnedem ein hochnäsiger Engländer streitig zu machen scheint, mit dem ich bei Gelegenheit noch ein Hühnchen zu rupfen habe. Das arme Ding war unseren Soldaten in die Finger gerathen und Mademoiselle Wolkonski hat sie in Schutz und mit sich nach ihrer Barke genommen.«
Der junge Graf dachte einige Augenblicke nach, dann reichte er ihm ein zusammengeschlagenes Papier, das er aus dem Futter seiner Brusttasche löste.
»Es ist das Eigenthum des Mädchens,« sagte er hastig, »und Du mußt es ihr aushändigen; denn nach Allem, was ich gesehen, wird es ihrem Vater wenig nützen. Der General scheint große Lust zu haben, ihn zum Dank dafür, daß er uns hierher gerufen und ihm die kaiserliche Schatzkammer gezeigt hat, an dem Thor des Palastes aufhängen zu lassen und sucht nur nach einer Ursach. - Doch - Du darfst das Papier nicht lesen!«
»Ehrenwort!«
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»Gut! - und nun Freunde, mein alter Bonifaz und Sie Monsieur Eisenarm, verlaßt mich für heute - mir wirbelt noch Alles im Kopf und ich bedarf dringend der Ruhe, um all' die Eindrücke in meinem Innern zu ordnen.«
»Aber nochmals - was wird mit Dir?«
»Der General mag mich morgen vor ein Kriegsgericht stellen und ich werde mich verantworten. Meine Ehre verbietet mir, seinen Willen zu thun. Laßt Euch das genug sein!«
Die beiden älteren Männer sahen sich an - ein Blick und ein Kopfnicken genügten, sich zu verständigen. Sie fühlten, daß der junge Offizier in der That der Ruhe bedürfen möchte, und nachdem sie mit bewegtem Herzen von ihm Abschied genommen, verließen sie ihn und folgten dem Offizier.
Während sie durch die Höfe gingen, wechselten die beiden Männer einige Worte, dann blieben sie stehen.
»Herr Lieutenant,« sagte Bonifaz, »Sie müssen uns und Louis einen großen Dienst erweisen.«
»Einen Dienst? Mit Vergnügen. Nur muß es schnell geschehen, denn es ist 9 Uhr und ich habe die Jour bei der Eskadron.«
»Wir müssen General Montauban sprechen!«
»Wer?«
»Wir Beide und noch diesen Abend.«
»Sie sind toll, Bonifaz. Ich wette, daß der General in diesem Augenblick mit Colonel Düvalet oder einigen andern Vertrauten beim Souper sitzt und seinen Antheil
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an den Silberbarren des Kaisers Hien-fong berechnet, und da läßt er sich nicht stören.«
»Und dennoch muß es geschehen. Sie kennen die Adjutanten. Lassen Sie ihm sagen, daß es sich um eine wichtige Eröffnung handelt. - Wenn Sie Geld brauchen, Monsieur de Thérouvigne, Sie wissen, daß ich die Kasse des Grafen führe.«
»Ah richtig - ich vergaß, daß er jetzt Graf und will mir einen Spaß damit machen. Aber Geld, Monsieur Bonifaz, kann ein Husar immer brauchen. Ich habe daher Nichts dawider, wenn Sie mir auf Louis's Rechnung fünf oder zehn Napoleons vorstrecken wollen, denn Herrn Düvalets Geld ist zu Ende!«
Der Avignot öffnete einen ledernen Beutel und reichte ihm die Goldstücke. »Wir werden Sie hier erwarten,« sagte er. »Verstehen Sie wohl, wir müssen den General sprechen, um jeden Preis.«
Der Offizier entfernte sich, Bonifaz und der Trapper blieben zurück, indem sie sich leise besprachen.
Nach etwa einer Viertelstunde kam der Husar lachend wieder. »Parbleu!« sagte er lustig, »wenn Sie Ihre Sache nicht gut machen bei unserem grand coquin und Ihre Geheimnisse nicht wirklich Etwas werth sind, könnte ich morgen leicht das Vergnügen haben die Stelle von Louis einzunehmen. Wissen Sie, wie ich's gemacht habe?«
»Nun?«
»Ich ließ ihm durch Leblanche, seinen militairischen Kammerdiener, sagen, zwei Freunde des Herrn Grafen von Raousset Boulbon wünschten ihn dringend zu sprechen. -
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Der Name hat ihm imponirt, er will Sie empfangen. Allons, frisch - ich mache mich fort in meinen Dienst!«
Damit war er verschwunden.
»Kommen Sie, Freund!«
Der Trapper wurde aufgehalten. Neben ihm erhob sich aus dem Dunkel die Gestalt des chinesischen Bettlers, der sie schon am Nachmittage belauscht hatte.
»Adlerblick!«
Eisenarm wandte sich erstaunt um.
»Ralph, der Bärenjäger!«
»Was ist das, Mensch - wie kommst Du auf die Namen, wer bist Du?«
»Ein armer Krüppel!«
»Ein Chinese - und Du verstehst Französisch?«
»Wie der große Besieger des Panthers es hört!«
»So hast Du uns vor Stunden belauscht - ich erinnere mich Deiner Gestalt!«
»Nur so weit der Freund Adlerblicks in der Sprache der Franken geredet hat. Ich verstehe leider nicht Spanisch.«
»Was willst Du? Ich kenne Dich nicht!«
»Aber ich Dich, Adlerblick hat mir von Dir erzählt.«
»Adlerblick? - So kennst Du ihn?«
»Ja! Ihn und den Bärenjäger.«
»Und sie leben? - wo?«
»Nicht drei Stunden Wegs von Dir entfernt. Willst Du sie sehen?«
»Gewiß - mit Freuden!«
»Du sollst es! Aber Du und Dein Gefährte - Ihr müßt dafür dem armen Hoën-lang einen Gefallen thun.«
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»Welchen? Ich verspreche nie Etwas, ohne zu wissen, was es ist.«
»Ihr werdet den Tsiang-kiun, den General der Franzosen, sprechen?«
»Wenn Du gelauscht hast, Krüppel, so weißt Du es.«
»Ihr sollt ihm diese Karte übergeben.«
»Was?«
»Ein einfaches Stück Papier, was Euch weder schaden, noch nützen kann.«
»Um Himmelswillen, Freund Eisenarm!« - fiel der ziemlich abergläubische Bonifaz ein - »laß Dich nicht mit dem abscheulichen Kerl ein. Der ist nicht, was er scheint, wie könnte er sonst so geläufig unsere Sprache reden? Ueberdies steckt dies chinesische Teufelsvolk voll lauter Hexenkünste und Betrügereien. Ich habe es selbst mit angesehen, daß so ein Kerl unter einen Korb kroch und sein Helfershelfer mit einem Spieß hindurchstach, daß das Blut stromweis herauskam; und als man den Korb aufhob - war er leer.«
»So wirst Du weder Adlerblick, noch den Bärenjäger sehen. Entscheide Dich!«
Der Trapper, der hellblickender war, als sein französischer Freund, nahm das Papier. »Was habe ich zu thun damit?«
»Ich habe es bereits gesagt, es dem General zu übergeben.«
»Aber doch erst nach Beendigung unseres Geschäfts?«
»Wann Du willst!«
»Und dann?«
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»Nichts weiter, als wenn er frägt, ihm zu sagen, wo der Krüppel Hoën-lang zu finden ist.«
»Und wo ist das?«
»Hier!«
»Bueno! - Um zwei alte Kameraden wiederzusehen, würde ich noch andere Dinge thun. Aber, Mann, es könnte leicht sein, daß Ihr mich narrt, und nur die beiden Namen aufgeschnappt habt aus unserer, ich muß es jetzt gestehen, ziemlich unvorsichtig gepflogenen Unterhaltung.«
»Thor! Hast Du darin gesagt, daß Ralph der Jäger auf der linken Wange eine tiefe Narbe trägt, die weiß aus dem braunen Gesicht leuchtet?«
»Nein, bei der Madonna, das habe ich nicht gesagt, und es ist in der That so. Er erhielt sie von dem letzten Tatzenschlage eines grauen Bären, den er erlegt, und der riß ein tüchtiges Stück Fleisch mit herunter, das kann ich Euch sagen.«
»Wohlan, so wirst Du jetzt glauben, daß ich ihn kenne.«
»Aber« frug der vorsichtige Trapper fort, »wann und wo soll ich die Freunde sehen?«
»Nicht hier. Die Franzosen werden binnen drei Tagen in Peking einrücken.«
»Quien sabe! - Weißt Du das so gewiß, Freund Bettler?«
»Ich weiß es. - Schließe Dich ihrer Kolonne an, und man wird Dich finden und zu ihnen führen. Vielleicht siehst Du sie noch eher!«
Eisenarm kratzte sich am Kopf. »In der That, Du bist ein seltsamer Bursche« sagte er. »Aber was da - ich
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halte mein Wort wie ein ehrlicher Mann und kümmere mich um Deine Angelegenheiten nicht weiter. Ich werde dem General das Dings da geben. Adieu!«
Er schulterte die Büchse und ging mit dem Avignoten weiter, während der Krüppel wieder an dem Fontainenrand, den er zu seinem Aufenthalt gewählt zu haben schien, zusammenkauerte.
Unterwegs versuchte der Avignot seinen Freund zu bereden, den Auftrag nicht auszuführen, aber der ehrliche Trapper erwiderte ihm, daß er sein Versprechen halten müsse und ein so kleiner Zettel ihnen unmöglich schaden könne.«
»So zeigen Sie ihn wenigstens her, was es ist!«
»Ah, richtig, Señor Bonifazio, Sie können lesen. Ich weiß es, daß Sie ein Gelehrter sind, seit Sie mir damals das Testament des Conde vorlasen. Aber ich weiß nicht ganz, ob ich recht thue.«
»Unsinn! Ich habe doch mit angehört, daß der Kerl Nichts davon sagte.«
Der Trapper reichte ihm das kleine steife Papier, das der Avignot bei dem Scheine des nächsten Feuers sorgfältig betrachtete.
»Bah - es ist Nichts als eine Visitenkarte!«
»Was ist das für ein Ding?«
»Eine bloße Einrichtung in der Gesellschaft, um mit seinem Namen anzuzeigen, daß man da ist oder dagewesen ist. Jeder anständige Mann hat seine Visitenkarten. Das erinnert mich daran, daß ich bei dem nächsten europäischen Kupferstecher oder Lithographen für unser Kind andere
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Karten bestellen muß. Ich glaube, es ist ein solcher Kerl auf den Schiffen.«
»So steht der Name des Krüppels also auf dieser Karte?«
»Ich glaube schwerlich! - Er nannte sich ja wohl Hoën-lang und hier steht wahrhaftig eine Grafenkrone auf der Karte und darunter ein Name, der mir russisch oder polnisch klingt. >Graf Murawiew< - >Empfohlen durch Graf Murawiew< - und darunter irgend ein Krähenhaken, den ich nicht entziffern kann.«
»Murawiew - ich sollte meinen, ich hätte den Namen gehört auf dem russischen Schiffe, auf dem ich die Ueberfahrt von Japan hierher machte. Hören Sie, Freund Bonifazio, die europäischen Kaiser und Könige haben ja wohl die Gewohnheit, Abgesandte an einander zu schicken, wie auch die indianischen Völkerschaften zu thun pflegen.«
»Gewiß!«
»Caramba - ein solcher Abgesandter des Czaren oder russischen Kaisers nach Peking ist dieser Graf Murawiew.«
Der Avignot wurde nachdenkend.
»Freund Eisenarm« sagte er endlich, »ich glaube, es steckt mehr hinter diesem chinesischen Krüppel, als wir dachten, und Sie sind klüger gewesen als ich.«
Sie waren übrigens jetzt vor der Wohnung des Generals in dem Palast angekommen und meldeten sich bei dem Adjutanten, der den Befehl hatte, die angeblichen Freunde des Grafen Boulbon sofort eintreten zu lassen.
General Montauban saß an einem Tisch mit Durchsicht eines Verzeichnisses der in Beschlag genommenen
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Kostbarkeiten beschäftigt. Er erhob sich bei der Meldung, blickte aber mit offenbarem Erstaunen auf die Eingetretenen.
»Was, zum Henker, wollen Sie hier? - Sie sind ja wohl der Amerikaner, der den Panther bändigte?«
»Gewiß!«
»Aber, guter Freund - Ihr habt auf die 20 Napoleonsd'or ausdrücklich verzichtet, die ich Euch anbot und die Bestie dafür selber genommen. Ihr habt also kein Recht mehr, das Geld zu fordern.«
»Ich denke auch nicht daran, General, ich habe von dem Bettel selber genug.«
»So, so, Freund,« bemerkte der General en chef, ihn auf die Schulter klopfend, - »das freut mich zu hören. Ihr seid ein wackerer Mann.«
»Aber wie könnt Ihr Euch unterstehen,« wandte er sich zornig zu dem Avignoten, »statt der Personen, die mir gemeldet wurden, hier einzudringen, um mir die Ohren voll zu heulen, weil ich Euren Schlingel von Herrn in Arrest geschickt habe? Fort mit Euch und laßt mich kein Wort von ihm hören, bis er gehorchen gelernt.«
»Excellenz, ich selbst komme in Angelegenheiten des Grafen Boulbon.«
Der General sah ihn befremdet an. »Des Grafen Boulbon, der in Mexiko fiel?«
»Nein, Excellenz, - des lebenden.«
»Aber, zum Henker, ich weiß doch, daß mein alter Kamerad aus Algier - ich erinnere mich, Ihr wart ja früher sein Diener - in Mexiko erschossen oder ermordet ist.«
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»Das ist leider nur zu wahr. Aber seit heute führt sein Sohn den Namen und Titel.«
»Sein Sohn?«
»Ja, Excellenz. Lieutenant Louis Clément ist der anerkannte Sohn meines verstorbenen Herrn und seit heute Abend weiß er es.«
»Meinetwegen - ich frage nicht danach. Der Lieutenant Graf Boulbon wird eben so gut im Arrest bleiben, wie der Lieutenant Clément.«
»Gewiß, Excellenz, und es sei ferne von mir, gegen Euer Excellenz Befehle Klage zu erheben. Ich hielt es nur für Pflicht, uns Euer Excellenz als die Vormünder des Sohnes Ihres alten Kameraden vorzustellen.«
»Diantre - Ihr Beide seid die Vormünder?«
»Euer Excellenz wollen sich aus diesem Testament davon überzeugen.«
Der Avignot holte ein Papier aus seiner Brieftasche und übergab es dem General, der es mit jeder Zeile aufmerksamer durchlas.
»Da ist von einem Erbe in Mexiko die Rede,« sagte er endlich - »na, viel wird es grade nicht sein, denn der seelige Graf konnte das Geld nicht in der Tasche leiden. Hat er etwa eine Hacienda oder Cuxe auf ein Silberbergwerk hinterlassen?«
Der Trapper, der bisher schweigend dem Gespräch zugehört hatte, nahm aus seinem Ranzen eines jener Erzstücke, die er am Nachmittag den Avignoten gezeigt hatte und legte es vor dem General auf den Tisch.
»Was ist das?«
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»Gold!«
»Gold?«
»Ueberzeugen Sie sich, Señor. Es ist eine kleine Probe von dem Erbe unsers jungen Mündels!«
»Tausend Donnerwetter, ich glaube wahrhaftig« - er hielt das Stück gegen das Licht und wendete es hin und her - »es ist gediegenes Gold! Ist denn mein alter Kamerad ein Goldgräber gewesen?«
»Nein Señor - er war ein wackerer Soldat bis an sein Ende. Aber er war der rechtmäßige Besitzer der Schätze des Goldthals, nachdem ihm unser Freund José, der in seinen Armen starb seinen Antheil daran vererbt hatte.«
»Und in jenem Thal giebt es eine Goldader, in der man so bedeutende Stücken findet?«
»Das ganze Thal ist bedeckt damit. Die Wände der Goldhöhle bestehen ganz aus dem schlechten Metall, das schon so viel Unheil auf der Welt angerichtet hat.«
Der General glaubte zu träumen, - er wußte nicht, was er denken, was er glauben sollte, dieser Mann sprach in so einfachen wegwerfenden Worten von Schätzen, wie sie noch keine Phantasie geträumt hatte!
»Aber Mann - wenn Sie im Besitz eines solchen Geheimnisses sind - denn ich muß voraussetzen, daß der Ort ein Geheimniß ist - dann sind Sie ja der reichste und glücklichste Mensch der Welt!«
Der Trapper zuckte traurig die Achseln. »Gold, Señor, kann einen Mann meines Schlages nicht glücklich machen. Da wir durch den Tod eines schurkischen Yankee unseres Vertrages quitt geworden, haben ich und der Große Jaguar,
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die wir allein auf der Welt die Lage und den Zugang des Goldthals kennen, unseren Antheil davon unserem Mündel, dem Knaben übertragen, der jetzt den Namen Boulbon führt.«
»Dem Lieutenant Clément?«
»Eben dem, Señor, demselben, der jetzt in Arrest ist.«
Der General lief mehr als er ging nach der Thür und riß sie auf.
»He - Kapitain Lallemant, schicken Sie eine Ordonnanz nach der Wache. Die Haft des Lieutenant Clément ist aufgehoben. Er soll sich morgen früh bei mir melden, ich bäte darum.«
Er schlug hastig die Thür wieder zu. »Weiter, weiter!«
»Es ist eigentlich nicht viel mehr über den Gegenstand zu sagen, Señor. Das Goldthal liegt in dem Lande der Apachen, und das sind Schurken der schlimmsten Art, diebisch wie die Raben und treulos, wie die Schlangen. Es liegt daher auf der Hand, daß ein Einzelner oder auch ein Paar Männer, und wären sie selbst an alle Gefahren der Wildniß gewöhnt, den Schatz nicht heben können. Darum hatte der Vater unsers jungen Mündels auch eine Schaar zusammengebracht, mit der er wohl selbst den vereinigten Stämmen der Wüste hätte trotzen können, wenn nicht ...«
»Nun!«
»Wenn nicht ein unglücklicher Zufall ihm den Tod gebracht hätte, nachdem seine Augen bereits das Goldthal gesehen hatten.«
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»Also er hat die Schätze wirklich gesehen, nicht bloß gehört davon?« frug mit verhaltenem Athem der General.
»So wahr ich ein Christ bin und auf die ewige Seligkeit hoffe, - sein Fuß hat jene Unglücksstätte betreten, sein Auge jenes rothe Gold gesehen - mehr, als ihm dienlich war! Das Stück Goldes dort ist von dem, was seine Hand selbst aufgenommen hatte.«
»Aber Mann - wenn dem so ist, werden sich willig Tausende finden, die keine Gefahr scheuen, um Euch einen solchen Placer - so nennt man ja wohl den Ort - ausbeuten zu helfen.«
»Sie vergessen, was das Testament sagt: >zum Besten Frankreichs!< Unser Freund José ging über's Meer, um das Geheimniß mit unserer dreifachen Zustimmung dem großen Kaiser Napoleon anzubieten, aber wir hatten nicht bedacht, daß Alles sterblich ist auf dieser Welt und daß der große Kaiser längst gestorben war. José kam dabei um's Leben. Aber wie ich in San Francisco mir habe erzählen lassen, herrscht jetzt ein anderer Kaiser Napoleon über Frankreich?«
»Louis Napoleon, Kaiser der Franzosen, Neffe des ersten Kaisers.«
»Und Sie, Señor und unser Knabe sind seine Soldaten?«
»Ich bin der General en chef der kaiserlichen Armee gegen China.«
»Muy bien! da dachte ich in meinen Sinn, da das Kind doch das Gold zur Ehre und zum Besten Frankreichs verwenden soll und Sie ja Schiffe zur Fahrt über's
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Meer und Soldaten genug haben, - ob Sie nicht dem Knaben ein Schiff leihen wollten und eine genügende Anzahl Soldaten, um allen Apachen zum Trotz das Goldthal in Besitz zu nehmen. Es ist zwar noch nicht an der Zeit, die der Conde für seinen Sohn bestimmt hat, aber die Gelegenheit wäre so günstig, daß wir uns wohl die kleine Abweichung erlauben dürften.«
»Mensch - Sie sind rasend mit solchen Versuchungen. Ein solcher Zug wäre ein Bruch des Friedens mit Mexiko und könnte uns in die schlimmsten Händel verwickeln. Und dennoch ...«
Der General lief mit hastigen Schritten auf und nieder.
»Dergleichen kann man einem jungen unerfahrenen Manne nicht überlassen. Ich selbst würde ... aber ich kann nicht fort von hier. - Was sagten Sie doch von der Zeit, welche der verstorbene Graf bestimmt hat?«
»Es fehlen noch drei Jahre daran.«
»Das ließe sich ändern. Man könnte Frankreich in einen Krieg mit Mexiko verwickeln und eine Expedition dahin ausrüsten. Ich würde sie kommandiren und dem jungen Mann zu seinem Erbe bei der Gelegenheit helfen! - Weiß der Graf Louis von dem, was Sie mir da vorgeschlagen haben?«
»Keine Sylbe General - so wenig, wie etwas Näheres von dem Erbe selbst.«
»Desto besser - hören Sie, Sie müssen Beide das tiefste Schweigen beobachten, auch gegen ihn, wenn unsere Pläne gelingen sollen. Ich werde mir das Nähere überlegen.
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Einstweilen muß der junge Mann in Sicherheit gebracht werden - ich werde ihn mit dem ersten Schiff nach Europa zurückschicken.«
»Aber er wird es als eine Schmach betrachten, nicht als eine Gunst. Ich kenne ihn!« wandte der Avignot ein.
»Er soll Ehre genug davon haben. Ich hatte Lieutenant de Thérouvigne bestimmt, die Depeschen über den Sieg von Palikao nach Paris zu überbringen, - es läßt sich ändern. Graf Boulbon soll es thun und Sie Beide werden ihn begleiten.«
»Ich nicht, Señor,« bemerkte der Trapper. »Gott und die Heiligen haben gewollt, daß der Zweck meiner Fahrt über's Meer schon hier erfüllt ist, indem ich in wunderbarer Weise den Knaben und diesen Mann hier getroffen. Ich kehre mit der nächsten Gelegenheit nach San Francisco oder Guayamas zurück, um mich zu Dem zu begeben, der in meiner Abwesenheit das Geheimniß der Goldhöhle bewacht.«
»Das war unvorsichtig und gefährlich, einem Dritten zu trauen!«
»Wonodongah, der Häuptling der Toyah's ist mein Bruder, Señor - ihm gehört das Geheimniß wie mir, und er ist es, der mich über's Meer sandte, den Erben aufzusuchen. Seine Augen werden jenes schändliche Gold nicht mehr sehen, - er ist blind und die einst so kräftigen und schlanken Glieder seines Leibes sind gelähmt. Doch das erinnert mich, Señor an das Versprechen, das ich einem armen Krüppel gegeben habe.«
»Der auch darum weiß?«
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»Nein, Señor, einem dieser Nation mit den Schlitzaugen und den langen Zöpfen. Ich versprach, Ihnen dieses Papier zu geben.«
Er holte die Karte hervor und reichte sie dem General, der sie achtlos in der Hand behielt, ohne auch nur darauf zu sehen.
»Sie haben Recht, Monsieur Bras-de-fer, - so nennen Sie sich ja wohl? - Sie müssen so rasch wie möglich nach Mexiko zurück und auf Ihren wichtigen Posten. Ich selbst werde für Gelegenheit zur Ueberfahrt sorgen. Es ist wichtig, daß Sie dort sind und das Geheimniß überwachen, indeß wir in Europa alles Nöthige einleiten. Dieser Krieg mit China ist hoffentlich ...« Er sah zufällig auf die Karte - »Diantre was ist das? - Dieser Name und das Zeichen - woher haben Sie diese Karte?«
»Ich wiederhole Ihnen, Señor General - ein chinesischer Krüppel hat es mir für Sie gegeben!«
»Wo?«
»In dem Hof des Palastes - er wollte dort die Antwort erwarten, wie er uns sagte.«
»In dem Hofe? - Ja! - Aber verstehen Sie denn Chinesisch?«
»Das ist nicht nöthig - der wunderliche Kerl spricht so gut Französisch wie Sie und ich!«
General Montauban betrachtete mit großem Eifer nochmals das kleine Papier. »Ich muß den Mann sprechen, sogleich. Wollen Sie mir einen Dienst leisten, Monsieur Bonifaz?«
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»Mit Freuden, General, Sie haben ja Louis freigegeben und versprachen, ihn zu beschützen und ihm zu helfen.«
»Gewiß gewiß! - aber darum handelt es sich jetzt nicht. Wir werden später noch davon reden, ehe Sie abreisen. Gehen Sie jetzt und schweigen Sie über Alles und gegen Jedermann, auch gegen Ihren Zögling. Und Sie, Monsieur Bonifaz, haben Sie die Güte, jenen Chinesen hierher zu bringen, so bald Sie sehen, daß ich den Offizier im Vorzimmer entfernt habe. - Gehen Sie, gehen Sie und Gott sei mit Ihnen.«
Er drängte sie nach der Thür.
General Montauban hatte vergessen, dem Trapper die Goldstufe zurück zu geben! ...
Zehn Minuten nachher, nachdem der General den Offizier in seinem Vorzimmer entlassen hatte, führte der Avignote den chinesischen Bettler zu seiner Thür, die der General selbst öffnete und sorgfältig hinter dem Eingetretenen wieder schloß.
General Montauban und der Krüppel waren allein.
Beide betrachteten sich aufmerksam eine Weile.
Der General schien mit dem Refultat dieser Beschauung nicht zufrieden. Er hatte die Karte noch immer zwischen den Fingern und sah bald auf diese, bald auf die zusammengekrümmte Gestalt des Bettlers.
»Graf Murawiew?« frug er zweifelnd.
»Sie irren, Herr General,« sagte eine scharfe Stimme im besten Französisch. »Ich werde nur durch die Karte eingeführt, die mir der russische Gesandte in Peking gegeben.«
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»Sie sind aber ein Russe? ein Mitglied der Gesandtschaft?«
»Auch das nicht!«
»Aber wer sind Sie denn?«
Der Bettler ließ die Krücken fallen, richtete sich empor und zeigte, daß er den vollen Gebrauch seiner Glieder hatte. Obschon er nur von mittlerer Größe und von hagerer, vielleicht durch Leiden und Anstrengungen abgemagerter Gestalt war, hatte diese doch jenes Etwas, das die Gewohnheit des Gebietens zeigte. Auch der Ausdruck des Gesichts war ein anderer geworden. Es war, wie die Gestalt, hager und angegriffen, ja tiefe Furchen zeigten sich - obschon es den besten Mannesjahren angehörte, - um Augen und Mund. Aber die ersteren waren von einem fast dämonischen Feuer, glänzend schwarz, und um die schmalen Lippen zuckte ein unbezähmbarer Geist des Trotzes und Stolzes.
Im Uebrigen trug dies Gesicht unverkennbar die Spuren der asiatischen Race, ohne daß jedoch die Augen jene schiefe Stellung hatten, welche die Mongolen auszeichnet.
Die Hände und Füße waren überaus klein. Als der falsche Bettler mit einer Bewegung des Hauptes den groben Basthut von sich schleuderte, zeigte sich, daß nur an diesem selbst ein kurzer Haarzopf - das Zeichen der Niedrigkeit und Armuth - befestigt gewesen und das Haupt vollkommen kahl geschoren war, als wäre es bestimmt gewesen, den Turban und nicht den Spitzhut oder die Ohrenkappe der Chinesen zu tragen.
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»Wer ich bin? fragen Sie?« sagte der seltsame Fremde, - »ich bin ein Todfeind der Engländer, wie jeder wahre Franzose sein muß, selbst wenn er an ihrer Seite kämpft gegen ein fremdes Volk.«
Es lag ein sprühender unersättlicher Haß in diesem funkelnden Blick, in dem schneidenden scharfen Ton dieser Worte, als er von den Engländern sprach.
Der General betrachtete ihn mit Erstaunen - wenn er auch noch nicht enträthseln konnte, wer und was dieser Mann war, so begriff er doch, daß er eine Persönlichkeit vor sich hatte, der er Beachtung und Aufmerksamkeit zollen mußte.
Er lud ihn ein, auf einem der Rohrsessel Platz zu nehmen, was der Andere mit der Grandezza eines Orientalen und den vollendeten Manieren eines Gentleman's that.
»Monsieur,« sagte der General, »Sie kommen unter der persönlichen Empfehlung des General Murawiew, Gouverneurs von Ost-Sibirien, der am 28. Mai 1858 den Vertrag von Ajhun mit der chinesischen Regierung schloß, seit welchem ein russischer Bevollmächtigter in Peking residirt!«
»So ist es!«
»Diese Karte kann Ihnen nur auf der russischen Gesandtschaft ausgehändigt sein, denn es befindet sich darauf ein zwischen den Kabineten von Petersburg und den Tuilerien verabredetes Zeichen, welchem ich Befehl habe, jede Beachtung zu zollen.«
»Ich habe sie zu diesem Zweck erhalten.«
»Und dieser Zweck ist?«
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»Im Auftrag des chinesischen Kaisers einen geheimen Separatfrieden mit den Franzosen zu unterhandeln.«
»Aber, Monsieur, Sie begreifen, daß sich das nicht thun lassen wird. Die Engländer und wir sind Bundesgenossen. Lord Elgin und Baron Gros sind unsere gemeinschaftlichen Gesandten, General Hope Grant und ich kommandiren gemeinschaftlich die Streitkräfte der Expedition.«
»General - ich habe an der Seite des chinesischen Tsiang-kiun, Sang-ko-li-sins in der Schlacht von Palikao gegen Sie gefochten. Die Faringi wären vernichtet worden bis auf den letzten Mann, wenn die Franken nicht gewesen wären.«
»Das Alles ändert die Sache nicht. Wir können nur einen gemeinschaftlichen Frieden schließen.«
»Oeffentlich - durch die Mandarinen des Reichs - ja! - Nichts hindert Sie, im Geheimen für Frankreich besondere Vortheile zu gewinnen.«
»Und die wären?«
»Zunächst Sahib, General - hunderttausend Taël für Sie selbst!«
Die Augen des Generals begannen ihren schläfrigen Ausdruck zu verlieren. »Herr! - Wie viel ist ein Taël?«
»Der dritte Theil eines Pfund Sterling. Der Kaiser Hien-fong wird sich nicht bedenken, die Million Franken für Sie voll zu machen.«
»Ich muß gestehn, Monsieur - Ihre Unterhandlungsweise hat etwas Verführerisches. - Aber wir müssen eine öffentliche Kriegsentschädigung haben. Unsere Forderungen von 2 Millionen Pfund haben sich natürlich seit den
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unterbrochenen Verhandlungen von Thianthsin durch die Kosten des Zuges bis hierher erhöht.«
»Ich begreife das. China ist bereit, 8 Millionen Taëls zu zahlen, von denen Frankreich mindestens die Hälfte gebührt.«
»Ich gestehe, daß sich das hören läßt - aber es ist Sache der beiden Kommissaire, die morgen erwartet werden. Doch ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß wir bereits im Besitz der Schatzkammer des Kaisers sind, die sich in diesem Palaste befand, und daß der Inhalt nach Kriegsrecht vorab als Beute betrachtet werden muß.«
»Ich bin Zeugs der Entdeckung gewesen. Möge der Mund auf ewig verstummen, der den Verrath geübt hat!«
Der General begnügte sich, zu denken, daß er ganz denselben Wunsch hege.
»Es ist ein Unglück für die Chinesen,« sagte der Unterhändler - »aber es läßt sich nicht ändern, und China ist reich genug, um es zu tragen. Ich bedauere nur Eines dabei!«
»Und das wäre?«
»Daß Sie diese rechtmäßige Beute Ihrer Nation mit den verhaßten Faringi theilen müssen, Sahib General!«
Es war das zweite Mal, daß der Fremde diese beiden Worte anwendete, von denen sich der General erinnerte, daß es in Indien gebräuchliche Bezeichnungen sind.
Er betrachtete den Fremden mit verdoppelter Aufmerksamkeit.
»Es läßt sich nicht ändern,« erwiderte er auf den mit hämischem Ausdruck gemachten Einwurf. - »Indeß die Erstattung der Kriegskosten genügt nicht. Lord Elgin
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besteht darauf, wie ich höre, daß außer den früher bereits stipulirten Häfen auch Thianthsin37 dem allgemeinen Verkehr geöffnet werde, daß ein englischer und französischer Gesandter gleich dem von Rußland in Peking residiren sollen und daß Cowloon an England abgetreten werde.«
»Die Faringi sind unersättlich! Ich bürge dafür, daß die Bedingungen angenommen werden.«
»Es versteht sich von selbst, daß die verrätherischer Weise gefangen genommenen Parlamentaire sofort in Freiheit gesetzt und genügend entschädigt werden.«
»Sie wurden - wenigstens die Franzosen - gegen meinen Rath gefangen gehalten.«
»Und dann - das Wichtigste! - unsere militärische Ehre erfordert, daß wir in Peking einrücken.«
»Das ist unmöglich, Sahib General. Bedenken Sie, daß Ihr Heer - ich weiß das so gut wie Sie - im Ganzen höchstens mit Ihren Reserven zu Thianthsin noch 8000 Mann beträgt, und damit wollen Sie sich in eine Stadt von 1,200,000 Bewohnern wagen, deren Jeder Sie auf den Tod haßt?«
»Aus diesem Grunde,« sagte der General kaltblütig, »beabsichtige ich in dem morgenden Kriegsrath vorzuschlagen, auch nur zweitausend Mann in Peking einrücken zu lassen. Die andern 6000 mit 60 Kanonen werden dafür sorgen, daß Jenen kein Haar gekrümmt wird.«
Der Unterhändler sah ihn mit erstaunter Miene an, gleich als wisse er nicht, ob es Ernst oder Prahlerei sei,
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was der französische Feldherr da ausgesprochen. Dann, als er die entschlossene Miene des Franzosen sah, ging er auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
»Ich bewundere Sie, Sahib General! - Ihre zweitausend Krieger werden einziehen, und kein Haar ihres Hauptes soll gekrümmt werden.«
Der General, der schwerlich kaum selber an eine Verwirklichung seiner unverschämten und leichtsinnigen Forderung im Ernst gedacht hatte, sah erstaunt und mißtrauisch den so nachgiebigen Unterhändler an. Bei dem bekannten zähen und hinhaltenden Charakter der Chinesen in all' ihren diplomatischen Verhandlungen hätte er eher alles Andere als diese Bereitwilligkeit erwartet. Er begann daher nicht mit Unrecht immer mehr zu argwohnen, daß dieselbe ihre geheimen Ursachen haben müsse, und beschloß, mit einem raschen Schlage den Knoten zu zerhauen.
»Ich hoffe,« sagte er - »Sie versprechen nicht zu viel und der Kaiser Hien-fong wird bereit sein alle diese Anerbietungen zu halten. Aber jedes Ding hat gewöhnlich zwei Seiten. Also kurz und gut, was wollen Sie von mir für Leistungen?«
»Zweierlei! Das Eine für China - das Andere für mich selbst.«
»Lassen Sie hören. Zunächst also die Staats-Angelegenheiten.«
»Frankreich,« sagte der Unterhändler nach einem kurzen Bedenken, »ist ein mächtiges Reich. Es herrscht in Europa. Warum will es den Zwecken der Faringi dienen und ihre wucherischen Schlachten schlagen? Es möge das Bündniß
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mit den Engländern aufgeben, und weil es Besitzungen in Asien verlangt, ein anderes Land wählen. Der weiße Elephant von Siam ist eine bessere Beute, als der Drache von China.«
»Sie sind klug genug, um zu wissen, daß nicht ein Soldat es ist, der Bündnisse zwischen den Nationen schließt oder löst. Das ist die Sache unsers Herrn, des Kaisers.«
»Aber ich habe gehört, daß Sie viel bei dem Herrscher von Frankreich gelten. Er wird auf Ihr Wort hören, wenn Sie aus diesem Kriege zurückkehren, und deshalb habe ich gerathen, ihn so bald als möglich zu beenden.«
»Ich muß gestehn, ich kann diese Kerle von jenseits des Kanals auch nicht besonders leiden,« sagte der General sehr offenherzig. »Ich habe also Nichts dawider, daß diese Waffenbrüderschaft aufhört und will das Meine thun, wenn ich nach Paris zurückkomme. Ueberdies liegen jetzt wichtigere Interessen vor, als ein Krieg um Theeblätter oder Opiumraucher.«
Er dachte an den Vorschlag des Trappers.
»Wenn die Franzosen nicht mehr diese erbärmlichen Faringi schützen« rief mit wilder Leidenschaft der Unterhändler, »dann wird dies Reich in einigen Jahren soweit gekräftigt sein, daß es dem britischen Wucher Trotz bieten kann! Wenn China dem schädlichen Opiumhandel ein Ziel zu sehen vermag, wird Englands Kraft in Indien gebrochen. Und in fünf - höchstens in zehn Jahren wird es stark genug dazu sein, da Frankreichs Schiffe und Frankreichs Flotten dem blutigen Krämer dann nicht mehr helfen. Ich kenne es! Nur durch seine Habsucht und das Gold seiner
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Kaufleute ist England stark. Das unglückliche geknechtete Indien wird sich aufs Neue erheben und seine Tyrannen vernichten. Rußland schreitet mächtig vor, den britischen Leoparden aus Asien zu verdrängen. Afghanistan rüstet auf's Neue. - Der Schah von Persien wird seine Straßen schließen - Frankreich muß sich des Wegs nach Indien bemächtigen - es muß die Straße von Suez beherrschen, und dann wird es allmächtig sein in Europa, das hochmüthige England aber im Staube liegen.«
»Das sind große Pläne!«
»Aber ihre Erfüllung ist möglich und nahe. Deshalb muß China Frieden schließen, um seine Kraft zu sammeln für später. Deshalb, Sahib General, deshalb muß ich nach Europa, um Ihren Kaiser zu sprechen, um ihn für dies allgemeine Bündniß gegen Ihren eigenen alten Erbfeind zu gewinnen, der so oft Ihr schönes Land verheert hat - und Sie, Sahib General, Sie müssen mir den Weg dazu bahnen, Sie müssen auf Ihren Schiffen mich nach Europa führen!«
Der General hatte sich erhoben. »Dieser unersättliche Haß gegen England ...«
Eine dämonische Gluth leuchtete in den Augen des Asiaten, als er drohend die Hand empor streckte. »Ja ich hasse es - unsäglich - unversöhnlich! Ich möchte es zertreten, wie ich den Wurm unter meinen Fersen zertrete! ich habe gelitten, was ein Geschöpf Brahma's leiden kann, und mich gedemüthigt selbst vor diesen Memmen und Thoren, nur um meinen Säbel kreuzen zu können mit brittischem Eisen, und die Bhawani selbst möge mich werfen in das
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Nichts, wenn ich je einen andern Gedanken hege, als Fluch, Fluch und Verderben den Faringi!«
»Sie haben sich selbst verrathen - Sie sind Nena Sahib, der flüchtige Maharadschah von Bithoor!«
»Und wenn ich's wäre?« sagte der Fremde stolz. »Pflegt Frankreich die Flüchtigen, die sich ihm anvertrauen, zu verrathen?«
»Es steht ein hoher Preis auf Ihrem Kopf - hunderttausend Rupien!«
Der Indier lachte grimmig. Er griff unter den schmuzigen baumwollenen Kittel, den er trug und zog einen Gegenstand hervor, den er stolz auf den Tisch warf - neben die Goldstufe des Mexikaners.
Es war eine prachtvolle Schnur indischer Perlen. Ihr matter gespenstiger Glanz funkelte in den verschleierten Farben des Regenbogens, als der Strahl der Wachskerzen darauffiel.
»Diese Perlen sind das Zehnfache werth! - Schlingen Sie dies Lösegeld um den Nacken Ihrer Kaiserin - ich zahle es für die Gelegenheit, Ihren Herrn zu sprechen!«
Der General hatte nur einen kurzen Kampf gekämpft, - der Glanz der Perlen hatte ihn entschieden. Mit einem solchen Geschenk und dem Antheil der Silberbarren kaufte er sich los in Paris für alle Sünden des eigenen Erwerbs.
»Nehmen Sie Ihren Platz ein, Prinz« sagte er nach einer Pause entschlossen, »und lassen Sie uns weiter sprechen. Sind die Bedingungen, die Sie mir von dem Kaiser Hien-fong brachten, Ernst?«
»Sie sind es!«
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»Und - die Million?«
»Sie wird an Sie, Sahib General, besonders gezahlt werden, wenn Sie es vorziehn in Wechseln auf Petersburg und Constantinopel.«
»Ich ziehe Gold vor. - Am Tage des Einzugs unserer Truppen in Peking sende ich einen Kurier mit besonderem Dampfer nach Suez ab.«
»Dann wird es in drei Tagen geschehen.«
»Desto besser. Der Offizier ist bereits bestimmt. Sie möchten ihn also begleiten Prinz?«
»Ich verlange Ueberfahrt für mich und zwei Diener.«
»Aber wird dies ohne Verdacht zu erwecken möglich sein?«
»Meine Diener oder Freunde sind weiße Männer, Amerikaner. Ich vermag, nach Ihrem Gutfinden, sehr wohl den Europäer oder den Orientalen zu zeigen. Ich habe nur ein englisches Schiff zu scheuen.«
»Gut denn - Sie mögen als einer der französischen oder amerikanischen Kaufleute aus den Faktoreien Ihre Ueberfahrt machen - das ist Alles, was ich für Sie thun kann, nebst einem Schreiben an den Kaiser. Um diese Erlaubniß nicht auffällig zu machen, werde ich auch einigen andern Reisenden die Mitfahrt gestatten, selbst einem Engländer unter ihnen.«
»Der in Indien war?«
»Nein - in Sibirien. Sie können also unbesorgt sein. Nur sein Sie vorsichtig, wenn Sie sich in unserem Lager einfinden - das von morgen ab wieder unmittelbar am Ufer des Pe-ho aufgeschlagen wird.«
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»So verlassen Sie Jung-ming-jun?«
»General Grant, mein englischer Kollege, verlangt, das seine Soldaten uns ablösen. Der habsüchtige Narr gönnt uns das Quartier nicht.«
Die Augen des Maharadschah funkelten Verständniß. »Die Faringi sollen die >Perle des Reichs< nicht beschmuzen. Wann verlassen die Franzosen den Palast?«
»Noch vor Sonnen-Untergang wird er geräumt sein.«
»Gut. Die Flammen mögen Jung-ming-jun lieber nehmen, als die Hunde von Faringi.«
»Aber das könnte Aufsehen machen, Verdacht erregen!«
»Die Faringi sind Trunkenbolde, die keine Vorsicht brauchen. Oder halten Sie nicht einige von den früheren Bewohnern des Palastes gefangen? - Diese müssen es aus Haß und Rache gethan haben.«
»Das geht - und ich habe da einen guten Gedanken. Der frühere Oberaufseher des Palastes, den wir festgenommen, ist ein Spitzbube, dem Alles zuzutrauen ist.«
»Er büße mit seinem Tode für die Brandlegung des Palastes.«
»Nein - noch besser, Prinz,« sagte der General. »Ich werde ihn als Brandstifter und Verräther durch Parlamentaire an die Mandarinen von Peking ausliefern! - Das knüpft die Friedensverhandlungen an!«


Die Aussichten des würdigen Tsin-Yang auf die zehn Prozent der Beute standen schlimm!


Es war gegen Abend des andern Tages.
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Im Laufe desselben hatte ein Kriegsrath der beiden vereinigten Armeen, - wenn man nach unsern heutigen Begriffen überhaupt einen Heerhaufen von wenig mehr als 8000 Mann eine Armee nennen will! - stattgefunden, in welchem die Anstalten zu einem Bombardement von Peking beschlossen und getroffen wurden, wenn die Chinesen nicht binnen 24 Stunden die gestellten Friedensbedingungen eingehen würden.
Die Silberbarren der kaiserlichen Schatzkammer waren getheilt und auf die Schiffe geschafft worden. Am Nachmittag hatten die Franzosen den Sommer-Palast geräumt und waren mit klingendem Spiel nach ihrem neuen Lagerplatz abgezogen, wobei es an tumultuarischen Auftritten und an Verhöhnungen ihrer bisherigen Bundesgenossen und Nachfolger keineswegs fehlte. Ueberhaupt schien merkwürdiger Weise seit dem vorigen Tage das gute Einvernehmen nicht blos unter den Soldaten, sondern auch unter den Führern bedeutend gestört, wozu das energische Auftreten General Montaubans, welcher im Kriegsrath die übertriebenen Friedens-Forderungen des englischen Kommissairs Lord Elgin stark beschnitten hatte, nicht wenig beitrug. Die Engländer konnten sich nicht verhehlen, daß sie auch hier die zweite Rolle spielten, und der Sieg von Palikao zur bei Weitem größeren Hälfte den französischen Bundesgenossen zufiel, und dies Bewußtsein diente auf beiden Seiten nicht sonderlich dazu, die Freundschaft zu erhöhen.
Was speziell die engeren Gestalten unserer Darstellung betrifft, so hatte im Lauf des Tages der junge Graf Boulbon
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den Befehl erhalten, sich zur Abreise nach Frankreich mit einem der Dampfer fertig zu machen, die in der Mündung des Peiho lagen, um die Depeschen über die Erfolge des Krieges und der Friedensverhandlungen nach Paris zu bringen. Lord Walpole und seiner Gesellschaft war mit zuvorkommendster Höflichkeit die Erlaubniß ertheilt worden, bis zu einer beliebigen Station die Ueberfahrt in demselben Dampfer zu machen.
Eisenarm und der Avignote blieben an dem Tage unzertrennlich - sie hatten so Vieles zu besprechen - sowohl an Erinnerungen, als an Hoffnungen. Es war nicht unbemerkt geblieben, daß der General, als er im Laufe des Tages zufällig den beiden Männern begegnete, sie mit großer Freundlichkeit und Achtung behandelte.
Auch der junge Offizier - das Mündel der Beiden - bezeigte dem rauhen Trapper, der wahrscheinlich sein Leben gerettet hatte, große Anhänglichkeit. Er horchte mit Aufmerksamkeit seinen Erzählungen von jenen Einöden und ihren Gefahren, in denen sein unglücklicher Vater so manches Abenteuer bestanden, - von den wilden Kämpfen der rothen Indianer und der weißen Jäger, von der flüchtigen Cavalcada der wilden Rosse und den Estampedos der unermeßlichen Büffelheerden der Prairien, von denen der alte Jäger so gern sprach.
Nur von dem Einen, den nähern Umständen des Todes seines Vaters und seiner Mutter vermieden die beiden Männer zu reden, und der junge Graf gewöhnte sich immer mehr an die Ueberzeugung, daß sie in einem Hinterhalt der feindlichen Indianer ermordet worden wären.
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Indeß, bei aller durch die Erzählungen erweckten Lust, jene abenteuerlichen Gegenden selbst zu sehen, forderten doch der leichte Sinn der Jugend und die Gegenwart ihre Rechte, und als am Mittag des Tages ihm der Adjutant des Generals das provisorische Brevet zum Kapitain brachte, gleichsam als eine Vergütung des Ueberstandenen, war die Erinnerung daran rasch vergessen, und er gab sich mit voller Lust und voller Freude den Beglückwünschungen seiner Kameraden hin, die nicht ermangelten, das bereits auf seinen berechtigten Namen ausgestellte Patent mit Champagner anzufeuchten.
Der Graf Louis war nach der Gewohnheit der Südfranzosen sehr mäßig im Trinken, und als ihn daher sein Busenfreund Henry aufforderte, mit ihm sich seiner künftigen Reisegesellschaft auf der von Lord Walpole gemietheten Dschonke vorzustellen, geschah es mit der vollkommensten Beherrschung seiner Haltung.
Der Lord empfing die beiden Offiziere mit großer Höflichkeit und lud sie ein, in die große Kajüte der Dschonke zu treten und mit ihm und seinen Begleitern den Thee einzunehmen.
Zwei oder drei englische Offiziere, der kleine Professor und der preußische Seekadet waren um den Tisch versammelt, an dem die schöne Sibirianka nach russischer Sitte im Samovar den Thee kredenzte.
Die Vorstellung war rasch vorüber, die meisten Mitglieder kannten die Person des jungen Kapitains bereits aus den Abenteuern des gestrigen Tages, und der Professor, als er hörte, daß derselbe ihr Reisegefährte oder vielmehr
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gleichsam ihr Gastherr bis Suez sein würde, begann sofort eine Explication über die Steinbrüche am rothen Meer, aus denen die Pyramiden von Ghizeh und Sakhara, Abu-Rasch, Abusir und Dahschur - haram pharamât - die Etymologie sei zweifelhaft - von den Königen der memphitischen Dynastien erbaut worden wären, worauf er sich in eine höchst gelehrte Abhandlung über die Zeit dieser Erbauung in den zwölf Perioden einließ, von der er auf die Versuche der Aegypter und Römer zur Verbindung des mittelländischen mit dem rothen Meere überging.
Wéra Tungilbi schnitt nach ihrer Gewohnheit die gelehrte Dissertation ihres Anbeters mit einer Frage an ihren muntern Verwandten ab.
»Es ist in der That sehr unliebenswürdig, mein schöner Vetter, so spät sich erst blicken zu lassen, nachdem ich Sie schon am Vormittag erwartet hatte, um Ihnen hundert Befehle zu geben und die Antworten in Empfang zu nehmen. Sie müssen wissen, daß man nicht umsonst das Vergnügen hat, sich der Verwandtschaft einer Wolchonski zu rühmen. Ich wünschte, Sie begleiteten uns mit Monsieur le capitaine auf der langweiligen Seefahrt und ich bin überzeugt, bei unserer Ankunft in Paris würden Sie sorgfältig jede Verbindung mit dem Blut der Jeanrenaud's verleugnen.«
»Wenn es nicht mein Freund wäre, würde ich sicher die Mission für mich verlangen« meinte der lustige Husar. »Aber in der That der Dienst hielt mich fest, die Verlegung der Truppen in ein neues Bivouacq und hundert Befehle
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unsers Colonels. Das Alles aber, schönste Cousine, hat mich doch nicht Ihren Auftrag vergessen lassen.«
»Ah - es ist wahr! Tank-ki! Das Mädchen gefällt mir wirklich, sie ist still und gut - ich wünschte, sie brauchte mich nicht zu verlassen, um zu ihrem Vater zurückzukehren.«
»Was das betrifft,« sagte der Offizier, - »so würde ihr das wenig nützen. Der alte Chinese wird auf Befehl General Montaubans in strenger Haft gehalten und Niemand darf zu ihm. Es scheint dies mit einem seltsamen Vorgang vernüpft, der heute Morgen den ganzen Palast in Aufruhr gebracht und unsern verehrten General en chef fast ersäuft hat.«
»Erzählen Sie!«
»Nun - Sie werden vielleicht gehört haben, schöne Cousine, daß General Montauban eine gewisse Passion für Gold und Silber hat, sei es auch nur in jenen Barren, zu denen ihm gestern der Chinese Tsin-Yang, der Vater Ihres hübschen Schützlings, den Zugang gewiesen hat. Nur scheinen die beiden würdigen Herren nicht ganz content mit einander gewesen zu sein, - kurz, General Montauban hatte die löbliche Idee, unsern Verbündeten jenseits des Kanals la Manche keine besondere Mühe mehr zurück zu lassen, sondern selbst gründlich in den geheimen Sousterrains des Palastes nachzusehen. Sie haben vielleicht gehört, daß der Raum im Innern der Menagerie, in dem sich der Zugang der Schatzkammer befand, die Oeffnung zweier geheimen Ausgänge barg?«
»Man hat es mir erzählt.«
»Vortrefflich - dann brauche ich Ihnen keine
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Beschreibung zu liefern. Kurzum, in der Rotunde, in der die Chinesen meinen Freund hier eingesperrt hatten, befanden sich noch mehre gleiche Nischen wie diejenigen, welche die Ausgänge bildeten. General Montauban in der Hoffnung, weitere Geheimnisse, oder vielmehr weitere Schatzkammern zu entdecken, ließ in seiner Gegenwart von den Sappeurs an ein Paar andern Stellen die Mauern mit Gewalt durchbrechen, und was glauben Sie wohl, das er gefunden hat?«
»Nichts!«
»Bitte recht sehr - kaltes Wasser in einer Quantität, die ihn beinahe ersäuft hätte. Man muß an eine unrechte Stelle gekommen sein - der Kanal des Pe-ho, der unter dem Gemäuer fortläuft, und der bei der Entdeckung des Schatzgewölbes durch irgend eine geheime Wehr-Vorrichtung abgedämmt wurde, brach auf einmal mit einer Fluth in das Gewölbe, die Alles überschwemmte, auch das zum Glück geleerte Schatzgewölbe. Parbleu - es muß köstlich gewesen sein, le grand coquin de France wie einen Frosch im Wasser zappeln zu sehen! Man hat mir gesagt, daß er nur mit Mühe herausgefischt werden konnte, während ein Offizier und zwei Mann dabei ertrunken sind.«
»Aber was hat alles dies mit dem Vater meiner kleinen Chinesin zu thun?«
»Was es damit zu thun hat? - Alle Teufel - Verzeihung, schöne Dame, aber man lernt im Feldlager schlechte Gewohnheiten! - der General schreibt natürlich seine Taufe des heiligen Confucius nicht seiner Habgier,
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sondern der Verrätherei und Bosheit des gefangenen Chinesen zu und ist wüthend wie ein angeschossener Eber darüber. Deshalb durfte man ihm gar nicht mit einer Fürsprache kommen und ich fürchte, daß die arme Kleine im günstigsten Fall ihren langzöpfigen Papa eine lange Zeit wird entbehren müssen. Aber das erinnert mich, daß ich - oder vielmehr mein Freund hier, da er jetzt selbst dazu im Stande ist, - dem Mädchen Etwas abzugeben haben.«
»Dann kann es sogleich geschehen« rief die Dame und öffnete die Thür der hinteren Kajüte. »Komm' hierher Tank-ki, armes Kind. Diese Herrn bringen Dir Nachricht von Deinem Vater.«
Die Chinesin schwankte herein, ihr blasses Gesicht war von Thränen gefeuchtet.
Unwillkürlich trat der junge Graf zurück - er hatte in dem Drang der Ereignisse ganz vergessen, daß er in der Gesellschaft seiner künftigen Reisegefährten noch die junge Chinesin finden könne, deren einfacher Gesang ihn zwei Abende vorher verlockt hatte, und er theilte bei der Erinnerung an die Vorgänge unwillkürlich die tiefe Gluth, welche die Wangen des Mädchens bei seinem Anblick überflog.
Zum Glück für die Verlegenheit Beider hatte der muntere Husar bereits am Tage vorher trotz des Schreckens, in dem sie sich befand, die Reize der armen Tank-ki bemerkt und gewürdigt. Er beeilte sich daher, da er sich noch in dem Besitz des ihm von dem Freunde anvertrauten Papiers befand, dasselbe hervorzuholen und mit einigen Trostsprüchen
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dem Mädchen zu übergeben, wobei er freilich nicht vermeiden konnte, zu erwähnen, daß eigentlich Graf Louis das Papier ihr zu übergeben gehabt hätte.
Das unglückliche Mädchen erkannte es auf der Stelle wieder, sie hatte es ja selbst in die Tasche seines Rockes eingenäht, doch ohne den Inhalt zu kennen, und ihre Mandelaugen richteten sich groß und fragend auf den jungen Offizier.
»Tank-ki spicht Französisch, Monsieur,« sagte die Sibirianka, die keine Ahnung davon hatte, wie genau er das wußte. »Sie können mit ihr reden und ihr Nachricht geben von ihrem Vater, um den sie sich in tausend Sorgen befindet.«
Der junge Offizier machte eine Geberde des Bedauerns. »Ich habe ihn seit gestern nicht gesehen Mademoiselle,« sagte er. »General Montauban allein hat über sein Schicksal zu entscheiden. Aber er händigte mir, als ich ihn zuletzt sprach, dies Papier ein, um es nur ihm allein oder Ihnen, seiner Tochter zurückzugeben. Sie wissen wahrscheinlich, von welch' hohem Werth es ist.«
»Ich weiß es nicht, Herr.«
»So lesen Sie es, und Sie werden es begreifen.«
»Ich kann die Sprache der Franken etwas sprechen, aber ich habe nicht gelernt, ihre Schrift zu lesen. Tank-ki ist ein unwissendes Mädchen.«
»Dann bewahren Sie es um Himmelswillen sorgfältig auf,« sagte der Offizier; »was auch geschehen mag, es ist vielleicht Ihre Zukunft!«
Sie sah ihn wieder fragend an.
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»Ich kenne es nur zu wohl,« fügte er leise hinzu, »ich war gezwungen, es selbst zu schreiben.«
Wieder flog ein Erröthen über die Wangen des armen Mädchens - dann verbarg sie die Schrift in ihrem Busen und wendete sich demüthig ab.
»Komm' hierher, armes Kind und setze Dich zu mir,« sagte die Dame.
Tank-ki gehorchte und ließ sich auf ein Kissen zu ihren Füßen nieder.
»Und nun, Monsieur,« sprach die Sibirianka, eine entstandene Pause unterbrechend zu dem jungen Seeoffizier, - »ich bitte, Monsieur, fahren Sie fort in Ihrer Erzählung, die der Eintritt dieser Herren unterbrochen hat.«
Der Preuße, ein junger Mann von etwa neunzehn oder zwanzig Jahren, eine schlanke aber kräftige Gestalt mit offenem männlichem Gesicht und hübschen blauen Augen nahm das gefüllte Theeglas, das sie ihm reichte, und setzte die Erzählung, die er vorhin begonnen, fort.
»Sie wissen bereits, daß ich zu Seiner Majestät Corvette >Arcona< gehöre,« lautete dieselbe in jenem ungenirten Ton, welcher die gebildete Erziehung des jungen Seemanns bekundete - »dem Schiff, welches in Begleitung der >Thetis<, des Schuners >Frauenlob< und des Transportschiffs >Elbe< das kleine Geschwader bildete, welches im Frühjahr auslief, um den preußischen Gesandten Graf Eulenburg nach Jeddo zu bringen und die Schließung eines Handelsvertrages zwischen Japan und meinem Vaterlande zu unterstützen.
Die >Elbe< war zur Reparatur in Singapore zurückgeblieben, die Segelfregatte >Thetis< hatte den Weg durch
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die Formosa-Straße eingeschlagen, die >Arcona< mit der Gesandtschaft an Bord, den Schuner >Frauenlob< im Schlepptau, die Van-Diemensstraße gewählt, die zwischen den Geschwister-Inseln und dem südlichen Japan hinausführt aus dem chinesischen Meer in den großen Ocean, der die Küste von Jeddo bespült.
Die Schraubencorvette >Arcona<, in meiner Vaterstadt Danzig gebaut, führt 28 Geschütze unter Deck und hat 386 Pferdekraft. Der Schuner >Frauenlob< war das kleine aber treffliche Schiff, das patriotische Frauen meines Vaterlandes aus den gesammelten Gaben unserer jungen Marine geschenkt. Sein Name sollte, wie einst der Sänger, den im Dom zu Mainz die Frauen zu Grabe trugen, an die That erinnern.
Es war am 2. September38 - unsere Fahrt bis dahin war eine glückliche gewesen, und wir standen nur etwa 40 Meilen noch von Jeddo ab und hofften die Bucht am nächsten Tage zu erreichen. Alles war froh und glücklich an Bord - wir hatten treffliche Offiziere und eine tüchtige Mannschaft, - Graf Eulenburg war voll Liebenswürdigkeit gegen uns, ein Weltmann voll Gediegenheit und Eleganz, und an seiner offenen Tafel hatten selbst wir, die jüngeren Offiziere des Schiffs, oft köstliche Stunden voll Heiterkeit verlebt. Was verlangt der Seemann mehr für sein eintöniges Leben und sein kühnes Wagen, als ein tüchtiges Schiff, gute Kameraden und eine muntere Gesellschaft
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für seine müßigen Stunden, obschon er jeden Augenblick auf den Tod gefaßt sein muß; - denn der blaue Himmel birgt die drohende Gefahr, und die schmeichelnde Fluth in ihrer Tiefe das Verderben.
Wir sollten es bald genug erfahren.
Die vier Offiziere und der Arzt, die bei einer Besatzung von 50 Matrosen der Schuner führte, waren treffliche Kameraden und bei unserem vornehmen Gast wohlgelitten, der fast täglich den Einen oder den Andern an seiner Tafel sah. Vor Allem war der wackere Kommandeur bei uns Allen sehr beliebt. Er hatte erst kurz vorher, ehe der Befehl zum Auslaufen erging, eine junge liebenswürdige Dame meiner Vaterstadt geheirathet und Sie können denken, wie schmerzlich die Ordre in das Glück des jungen Paares schnitt. Doch der Seemann darf nun einmal keine bleibende Stätte friedlichen Glücks am Lande haben, und nur die blaue Woge darf seine wahre Heimath sein im Leben wie im Tode. Dem traurigen Abschied war es wohl zuzuschreiben, daß während der ganzen Reise schon bei aller Hingabe an seinen Beruf ein eigenthümlicher Zug von schwermüthigem Ernst auf seiner kräftigen Stirn auffiel, der ihn selbst beim kreisenden Becher und im muntern Kreis der Kameraden nicht ganz verließ. Von seinem Stewart hörte ich einmal, daß seine junge schöne Frau ohnmächtig beim Abschied fortgetragen worden. Eine alte litthauische Hexe soll ihr in früher Jugend einmal gewahrsagt haben, sie werde zwar den Mann ihrer ersten und einzigen Liebe heirathen, aber nur um ihn gleich darauf wieder zu verlieren für's ganze Leben, und erst im späten
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Alter, nach tausend Leiden werde sie ihn noch einmal wiedersehen, um in seinem Arm zu sterben.
Die Sonne brannte warm, die östliche Briese war flau und die >Arcona< hatte Dampf gemacht, und den Schuner in's Schlepptau genommen, um rascher vorwärts zu kommen. Ich selbst hatte das Boot mit dem Tau nach dem Schuner geführt und dem Kapitain nebst dem zweiten Offizier die Einladung des Gesandten zum Mittagessen gebracht, mit dem wir die nahe Landung und die glücklich vollendete Fahrt feiern wollten. Wir Alle rechneten auf einen fröhlichen Abend - aber mit den Meergeistern ist kein Bund zu flechten und zwischen Lippe und Becher ein weiter Weg.
Gegen Abend frischte die Brise auf, aber ihr Hauch hatte nichts Wohlthuendes, die Luft war schwül und drückend wie vor einem Gewitter und der Kapitain des >Frauenlob< hatte signalisirt, daß er wünsche, an seinem Bord zu bleiben. Der Himmel war klar, aber der Glanz der Sterne funkelte unheimlich und im Südost stand eine drohende Wolkenbank, aus der zuweilen ein mattes Leuchten blitzte. Der Barometer begann zu fallen - langsam aber stetig. Der größte Theil der Schiffsmannschaft war zum ersten Mal in diesen Gewässern, - nur zwei der ältesten Matrosen hatten sie mehrmal befahren und sie schoben ihr Prümchen mit bedenklicher Miene von einer Seite zur andern und sagten uns Jüngeren, wir würden gut thun, unser Testament zu machen.
Es war offenbar etwas in der Luft - es braute und bereitete sich etwas vor, und Niemand wollte lange an der
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Tafel des Gesandten bleiben. Sie wurde zeitig aufgehoben und der Graf, eine hohe, schlanke Gestalt, ging mit unserem Kapitain auf dem Hinterdeck auf[-] und nieder, beide in ernstem Gespräch.
Die Anzeichen wurden immer bedenklicher - es war offenbar der Teufun im Anzug, jener gefürchtete Orkan der indischen Gewässer, von dessen Gewalt und Wuth wir wohl gehört, aber noch keinen Begriff hatten. Wir wußten, daß er seinen bestimmten Weg nimmt, aber wir mußten dessen Richtung erst kennen, ehe wir versuchen konnten, ihm zu entgehen. Die japanische Küste war in unserem Lee und wir hatten dies mehr als den Sturm zu fürchten.
Um Mitternacht wuchs die See - das Barometer fiel immer mehr, langsam, aber stetig, - nur mit Mühe keuchte die Maschine vorwärts. Ein Jeder an Bord begann zu fühlen, daß Gottes Hand schwer über uns war.
Nach Mitternacht endlich erhob sich der Sturm, die Wolkenbank in Südosten wuchs auf zum Zenith, grelle Blitze zuckten hinauf oder zerrissen ihre Ränder und einzelne Wolken schienen sich loszulösen aus der dunklen Masse und jagten wie gespenstige Schatten mit rasender Schnelle über die unheimlich flackernden Sterne am freien Theil des Horizonts.
Es war gegen 4 Uhr Morgens - ich hatte die Morgenwache, aber alle Offiziere waren auf Deck geblieben, jeder Mann im Schiffe fühlte, daß uns Schlimmes bevorstand. Der Graf, obschon kein Seemann, war bei uns geblieben und zeigte sich ernst, aber entschlossen. Der Wind hatte sich nicht weiter gedreht, der Sturm mußte also seinen
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Weg gerade auf die Schiffe nehmen, und die wirr aufbrausende See zeigte, daß er rasch heraufzog. Die Nähe der Küste gestattete kein Entrinnen vor ihm her und wir mußten der Gefahr die Stirn bieten. Ein braver Seemann thut dies mit Entschlossenheit, aber er weiß, daß in solchen Lagen die Gnade Gottes sein bester Schutz bleibt. Bramraen und Bramstangen wurden an Bord genommen, um die Foggen möglichst zu erleichtern, die Boote und Geschütze doppelt befestigt, die Luken, die nicht nothwendig offen bleiben mußten, geschlossen. Unser wackerer Kapitain traf jede Vorsicht. Noch immer war der Schuner im Bugsier-Tau, aber die Maschine keuchte wie ein erschöpftes Wild, das der Meute nicht mehr entrinnen kann, und dennoch sich müht - denn jeder Schritt vorwärts von der Küste ab, war ein Gewinn.
Ich habe bereits erwähnt, daß ich die Wache hatte. Ich stand am Bollwerk und schaute auf die gleich einer schwarzen Mauer fast greiflich näher und näher heranschreitende Wolkenbank, als plötzlich mich ein greller Blitz umzuckte und ich fühlte, wie ein gewaltiger Wogenberg das Schiff hob. In demselben Augenblick ertönte ein Krach wie ein Büchsenschuß und der Ruf:
»Das Tau gebrochen!«
Es war in der That so - das Bugsiertau des Schuners war gebrochen. Wenige Augenblicke später hätten wir es selbst kappen müssen, oder unsere Kameraden auf dem Schuner hätten es gethan, und dennoch war es uns Allen, als würde mit dem Reißen des Taues ein Stück von unserm Leibe gerissen, als wäre es ein Todtenruf aus
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der Tiefe, der alte Kameraden und Freunde trennte für diese Welt.
Aber wir hatten keine Zeit viel darüber zu denken, denn als wäre mit dem springenden Tau die Wuth des Sturms gegen uns selbst entfesselt, so gewaltig brach er über uns her. Hoch über dem Schiff stand die entsetzliche Wolkenbank und schien ihre Todesarme, die flammenden Blitze um das Fahrzeug zu legen. Heulend tobte der erste Stoß des Sturms durch die Takelage und legte die Corvette fast nieder auf die Seite, die ganze See um uns her nichts als eine schäumende kochende Fluth. Wir befahlen die Seele Gott.
Dann plötzlich, als müsse er Athem holen von der gewaltigen Anstrengung, um neue Kräfte zu sammeln, ruhte der Sturm und die Arkona[Arcona] richtete sich empor. - Der schäumende Kessel um uns her wurde wieder zu regelmäßigen dunklen Bergen.
Aber wir wußten sehr wohl, daß diese Ruhe nur eine trügerische war. Dennoch wurde sie redlich benutzt, um zu schaffen, was Menschenkräfte leisten konnten.
»Alle Mann auf Deck!«
Der Befehl des Kapitains wurde von den Bootsmännern durch die Luken wiederholt, - und wer noch unten war, wer erschöpft von den Anstrengungen eine kurze Rast gesucht hatte, stürzte herauf, halbbekleidet, wie Jeder war, denn Jedermann wußte bei dem Ruf, welche Gefahr drohen mußte.
Es galt, die Pause zu benutzen, um das Schiff unter
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Sturmsegel zu bringen und beizulegen, denn die Maschine war bei solchem Toben machtlos.
Es gelingt unserer unerhörten Anstrengung, die Schooten hervorzuholen - das Segel steht! - Da wälzt sich jene schäumende Wasserwand heran, die der zweite Stoß des Orkans vor sich her treibt. Einen Augenblick noch, dann wirft sich die furchtbare Gewalt in das Segel und das Schiff auf die Seite, daß die Raaköpfe in die schäumenden Wogen tauchen. Der Mast biegt sich wie ein Rohr unter dem furchtbaren Druck, wie Eisenstangen spannen sich die Luvwanten - ein Schoot des Marssegels springt - zwei, drei Mal peitscht es durch die Luft - und verschwunden ist es in den schwarzen Wolken - nur einzelne Fetzen noch fliegen an der Raa.
Es war unsere Rettung, der Mast [wäre] sonst gebrochen!
Es war fünf Uhr geworden und der Tag begann zu grauen. Ich und fünfzig Andere spähten über die tobenden Wasserberge nach dem Schuner und obschon uns selbst jeder Augenblick den Untergang drohte, brach ein kameradschaftliches Hurrah über die Lippen unserer Mannschaft, als wir das wackere kleine Schiff unter dicht gerefftem Großsegel etwa eine halbe Meile entfernt in unserm Lee liegen sahen. Der Rumpf verschwand jeden Augenblick hinter den Wogenbergen, aber tapfer hob sich im nächsten der Schuner wieder auf die schäumenden Gipfel, die ihn zum Himmel schleudern wollten. Einen Augenblick schien es mir, als sähe ich selbst in den Wanten eine bekannte Gestalt, ein weißes Tuch schwenkend im Sturm: Fahre wohl! Fahre wohl! - Der in Strömen jetzt nieder gießende Regen
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entzog den Schuner zwar unseren Augen, aber unsere Sorge um ihn war beruhigt.
Der Sturm raste jetzt immer wilder, die Wogen tobten wie brüllende Berge um uns, trotz des Tageslichts war die Luft fast undurchsichtig, mit Wasserdampf gefüllt. Oben in den Wolkenschichten heulte und pfiff und donnerte es, die ganze Luft um uns her schien ein Kreuzfeuer züngelnder Blitze. Das kräftige Schiff ächzte in allen Fugen, wie ein Mensch im Todeskampf.
Und dennoch waren all diese Schrecknisse nur das Vorspiel. Das Barometer fiel mit rasender Geschwindigkeit, die jetzt feste Richtung des Sturmes verkündete, daß das vernichtende Element, das Centrum des Teufuns sich nahte.
Stumm sahen sich Offiziere und Mannschaften an - an Kommando war nicht mehr zu denken - das Heulen des Sturms, das Brausen der See hätten jedes Wort verschlungen. Was hätte es auch genutzt? In solchen Augenblicken begreift selbst der Trotzigste seine Ohnmacht und beugt sich unter die Hand des Allmächtigen, der über Tod und Leben entscheidet.«

Fußnoten:

1General Maroto versuchte Don Carlos gefangen zu nehmen und schloß dann den Vertrag von Bergara.
2Die baskische Bezirkseintheilung in Alava.
3Der Titel, den die Basken dem König von Spanien gaben.
4Bauernburschen.
5Bischof.
6Faullenzer! Der Spottname, der damals der Camarilla ertheilt wurde, welche Don Carlos umgab und ihn beherrschte.
7Don Bartolomeo Yturbe war einer der populärsten, tüchtigsten und tapfersten Generäle des Don Carlos und lange Zeit Generalkommandant von Guipuzcoa.
8Am 6. September.
9Deutsche.
10Unter den 345 Geschützen, von denen Gaëta auf der Land- und Seeseite vertheidigt war, befanden sich nur vier gezogene Stücke.
11Ablösung.
12Losung.
13Grab des Cicero.
14Feldgeschrei.
15Pächterin
16Marketenderin.
171849, Abdankung des Königs Carl Albert nach der Schlacht von Novara.
18Moj niebieski ojcze, Gott im (blauen) Himmel, Anmerkung H. Prodinger
19Den 25. Februar.
20Wood, auf die Bittschrift seiner eigenen Landsleute um Abstellung des Opiumhandels, am 4. August 1859!
21Hunt's Marchants Magazin, New-York 1850.
22Die Leser unseres Buches »Puebla« das hier zugleich seine Fortsetzung erhält, werden sich vielleicht des treuen Avignoten erinnern.       D. Autor.
23Die Altstadt von Peking, wo die eigentlichen Chinesen wohnen, im Gegensatz zu Sin-tsching, der Tartaren- oder Kaiser-Stadt.
24Nachtigal.
25Die Sitte des gewaltsamen Verhinderns des Wachsthums der Mädchenfüße hat hauptsächlich diesen Zweck.
26Im Jahr 1122 v. Chr.
27Hauptmann.
28Bogdo Khan der mongolische Titel des Kaisers.
29General.
30General en chef.
31Die chinesische Armee ist in acht Fahnen mit verschiedenen Farben eingetheilt.
32Jung-ming-jun, der Sommerpalast des Kaisers.
33Tian-ti-hui, die ihren Ursprung bis in's 3. Jahrhundert vor Cristo zurückführt, und für den Sturz der jetzigen Mandschu-Dynastie (seit 1644) agitirt.
34Der damalige Kaiser aus der Mandschu-Dynastie.
35Oberbefehlshaber.
36Puebla, III. Band.
37Der Vorhafen von Peking.
38Nach der ergreifenden Darstellung des Korvetten-Kapitains Werner in seinem trefflichen Buch: »Die Norddeutsche Marine.«




Werke von Sir John Retcliffe

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