Sir John Retcliffe: Um die Weltherrschaft! Dritter Band
Biarritz.
Von
Sir John Retcliffe.
(Verfasser des Romans »Sebastopol.«)
Zweite Abtheilung:
Um die Weltherrschaft!
Dritter Band.


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Der Aufstand in Bosnien.

(Fortsetzung.)

Die Sonne stand schon hoch am Horizont, als der russische Offizier, von den Stimmen vieler Menschen, dem Schnauben der Pferde und dem Klange von Waffen und einzelnen Schüssen erwacht, von dem harten Lager sprang und an das Fenster eilte. Ein bunt bewegtes, aber offenbar kein Gefahr drohendes Bild zeigte sich seinen Augen. Das Plateau unter den Kastanien, das sein Blick von dem kleinen Fenster aus übersah, war gefüllt mit Menschen: Reitern und Fußgängern, und den Abhang des Berges herauf stiegen noch immer neue Ankömmlinge, lebhaft begrüßt von den Anwesenden. Es waren ersichtlich meist Krieger, begleitet von ihren Dienern und Freunden, Krieger verschiedener Nationalitäten oder wenigstens verschiedener Stammangehörigkeit und verschiedenen Standes, unter ihnen aber bewegten sich auch Mönche und Popen in ihren weiten Talaren und zwei oder drei Männer in abendländischer Kleidung. Die meisten trugen freilich die unkleidsame schwerfällige Tracht der Rajahs der Herzegowina
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mit den plumpen doppelten Beinkleidern, aber es fehlte auch nicht an der rauhen Struka und der silbernen Feder der Bewohner der schwarzen Berge, der rothen goldgestickten offenen Weste über der weißwollenen Blouse. Selbst der Abos, der Mantel von Ziegenhaaren, der schmuzige, einst weiße hundertfaltige Phistan des Buren, die schwarzwollene Kepe und die Flokita, das ärmellose Unterkleid waren vertreten. Auffallend war dem Beobachter die Gestalt eines Mannes, der unter dem weißen Mantel die bekannte Kleidung der Garibaldiner, die rothe Blouse trug; also auch hierher hatte die Propaganda, die eben jetzt wieder in Genua ihren Hauptsitz hatte, ihre rothen Fäden gesponnen. Ein kurzes Nachdenken und die Erinnerung, in Rom gehört zu haben, daß eine Zusammenkunft einiger Führer des mazzinischen Comité's mit Kossuth und anderen Häuptern der ungarischen Revolution stattgefunden, überzeugte ihn leicht, daß die Absicht gegen Oesterreich gemünzt war und mit den Bemühungen zusammenhing, von den slavischen Ländern und Konstantinopel her eine neue Erhebung in Ungarn zu veranlassen. Das Wiener Kabinet hatte denn auch bereits in Konstantinopel die ernstesten Reclamationen erhoben und die Confiscation der ganz offen über den Bosporus betriebenen Waffensendungen gefordert, mit der Drohung, sonst sofort in türkisch Kroatien einzurücken.
Unter den Versammelten bewegte sich eifrig der Abt hin und her und es war leicht zu sehen, daß er großen Einfluß übte. Auch Iwo der Blutige befand sich in der Menge, hielt sich aber, nach seiner Gewohnheit, allein und
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abgesondert, und der Russe bemerkte leicht, daß auch die Menge mit einer gewissen Scheu ihn zu meiden schien.
Selbst wenn er aus der von ihm angehörten Unterredung des Abts mit dem Pascha nicht der Andeutung desselben sich erinnert hätte, daß an diesem Tage eine Versammlung und Berathung der Führer des Aufstandes im Kloster stattfinden solle, mit der unzweifelhaft die Aussendung der Noten noch am Abend in Verbindung gestanden, würde doch das ganze Gebahren der Versammelten über den Zweck ihrer Anwesenheit ihm keinen Zweifel gelassen haben, und er nahm sich daher um so mehr Zeit mit seiner einfachen Toilette, als er wohl zu überlegen hatte, in welcher Weise er seine Mission erfüllen könne, ohne dabei seine Regierung bloßzustellen. Diesen Gedanken machte indeß bald der Eintritt des jungen Novizen ein Ende, der die unverschlossene Zelle betrat, um nachzusehen, ob der Gast des Klosters schon, erwacht sei und den Besuch des Higumenos empfangen könne, der seiner harre.
Der Offizier vermied es, eine Frage über die Vorgänge der Nacht an den jungen Mann zu stellen, er vollendete rasch seinen Anzug, frug nur kurz nach dem Schneider und folgte dem Novizen zu dem Gemach des Abts im untern Stockwerk, wo dieser ihn erwartete.
Hier fand er seinen geheimnißvollen Gastherrn allein. Das Gemach, etwas größer als die anderen Zellen, war mit Ausnahme einiger Heiligenbilder ohne allen Schmuck und Bequemlichkeit, die dem Inhaber wohl sein höherer Rang im Kloster und sein Alter gestattet hätten. Der Abt kam ihm freundlich entgegen und nöthigte ihn zum
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Sitzen, nachdem er dem Novizen befohlen hatte, für ihn ein Frühmahl zu bringen. Erst als der Knabe sich entfernt hatte, frug er den Gast, ob er gut geruht habe und in seinem Schlaf nicht gestört worden sei. Der Offizier sah aus dem scharfen Blick, den der Geistliche dabei auf ihn warf, daß er ihn mit der Frage prüfen wolle, und antwortete daher möglichst unbefangen, daß er allerdings durch einen Büchsenschuß gestört worden sei, der dicht unter seinem Fenster abgefeuert sein müsse, daß er aber, als er aufgesprungen sei und hinausgeblickt, nur zwei Reiter gesehen habe, welche den Berghang hinabjagten. Da weiter kein Lärmen im Kloster entstanden sei, habe er auch keine Störung weiter verursachen wollen, sich wieder auf sein Lager geworfen und sei bald wieder fest eingeschlafen, bis er vor Kurzem durch das Geräusch der Versammlung vor dem Kloster erwacht sei.
Bedächtig wiegte der Higumenos das Haupt, wie im Zweifel, wie weit er seinem Gaste Auskunft geben wolle, dann aber begnügte er sich - während der Novize den einfachen Morgenimbiß, aus Kaffee und Brod bestehend, hereinbrachte, zu sagen: »Als Sie in dieses Land und zu einer solchen Zeit kamen, mußten Sie auf wilde Scenen gefaßt sein. Der Schuß, der Sie gestört hat, wurde von einem Gegner des Kreuzes abgefeuert und beweist, wie das Ereigniß von gestern Abend, daß die Feinde unserer Sache uns nahe sind und in schlimmer Absicht selbst in unseren Bergen umherstreifen, wohin sie sich seit langer Zeit nicht gewagt haben, da sie unsere nächsten Nachbarn, die Söhne der schwarzen Berge, fürchten, obschon in diesem
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Augenblick der Vladika von Montenegro, wenn auch im Geheimen unser Freund, doch im Frieden mit der Pforte lebt. Wie Sie wohl gesehen haben, sind in dieser Stunde die Führer und Freunde der Rajah im Kloster versammelt, um eine Botschaft Ismaël Pascha's, des Wessirs, zu erwarten, der freies Geleit gegeben ist, und über die weiteren Schritte der Unseren Rath zu halten. - Ich ließ Sie, ehe wir die Berathung beginnen, zu mir bitten, um Sie zu fragen, ob Sie der Rathsversammlung beiwohnen wollen oder nicht. Ich bemerke Ihnen, daß unter den Versammelten sich auch der Agent des französischen Consuls in Cettinje befindet. - Sie würden hier die beste Gelegenheit haben, sich über unsere unglückliche Lage und die Grausamkeit unserer Unterdrücker zu unterrichten, und ich zweifle nicht, daß die Wahrheit Ihr Herz erfüllen wird und Sie am Throne des einzigen Beschützers unserer heiligen Kirche unser Elend bezeugen und unser Flehen um Gerechtigkeit niederlegen werden.«
Die verständigen und ruhigen Worte des greisen Priesters verfehlten in der That nicht, einen günstigen Eindruck auf den Offizier zu machen, dennoch aber war seine Mission eine solche, daß er die Stimme der Klugheit und der politischen Rücksichten zunächst hören mußte, und er erklärte daher, daß es für ihn allerdings von dem höchsten Interesse sein würde, der Versammlung privatim beizuwohnen, daß er jedoch vermeiden müsse, etwa im Charakter eines Bevollmächtigten des Czaren zu erscheinen, um nicht falsche Hoffnungen zu erregen und seine Regierung zu compromittiren.
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»Sie können dies leicht,« sagte rasch der Abt, - »es bedarf nur einer leichten Verkleidung - nehmen Sie die Kutte eines meiner Mönche!«
»Nein, hochwürdiger Herr,« entgegnete der Offizier, »das wäre eben so unwürdig als gefährlich, da wie Sie mir selbst sagen, Europäer - entschuldigen Sie, ich brauche diese Benennung nur im Gegensatz zur Türkei - zugegen sind, und man durch einen Zufall mich als Russen erkennen könnte. Es wird besser sein, Sie erklären mich der Wahrheit gemäß, doch ohne meinen Namen und Charakter zu nennen, für einen Ihnen empfohlenen Reisenden aus Rußland, der die Gelegenheit benutzt habe, die Lage seiner bedrängten Glaubensbrüder kennen zu lernen, ohne doch sich an ihrem Kampfe betheiligen zu können. Sollte es mir wünschenswerth erscheinen, in die Verhandlungen irgendwie durch eine Erklärung oder meinen Rath einzugreifen, so kann ich das leicht durch Ihren Mund oder in Person thun.«
»Das genügt, Herr. So lassen Sie uns gehen und Gott erleuchte uns bei dem Werke.«
Der Offizier hielt ihn noch einen Augenblick zurück. »Ich habe mir erlaubt, gestern noch einen Mann in Ihr Kloster zu bringen, der mich um seinen Schutz bat. Was haben Sie über ihn beschlossen?«
»Er möge bleiben, bis wir Gelegenheit haben, ihn nach Cattaro oder Ragusa zu senden. Sobald die Berathung vorbei, Herr, wollen wir uns damit beschäftigen, auch für Ihre Sicherheit und Ihre weitere Reise zu sorgen, die Sie, wie Sie mir gesagt, durch unser armes Land
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zur serbischen Gränze und nach Belgrad richten wollen; denn ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß dieses stille Kloster wahrscheinlich nicht lange mehr Sicherheit gewähren und vielleicht bald die Stätte eines wilden Kampfes sein wird.«
»Ich bin an die Gefahr gewöhnt, hochwürdiger Herr,« sagte der Offizier, der ein besonderes Interesse für die Entwickelung der Scenen zu empfinden begann, in die er durch den Zufall verwickelt worden, und sich als Soldat zu überzeugen wünschte, wie weit auf die Entschlossenheit und den Muth dieser Männer zu rechnen sei. »Ich spreche Sie von jeder Verantwortung für Alles, was mir geschehen kann, frei«
»Gut denn - erinnern Sie sich, daß es Ihr Wille war, der Sie hier zurückhält! Lassen Sie uns denn zu der Versammlung gehen!«
Er öffnete die Thür und sie traten auf den Platz unter den Kastanien, auf dem sich die Krieger und die Aeltesten gelagert hatten. Der Abt blieb eine Weile auf der Schwelle stehn, wo er in der Nacht die Unterredung mit dem Moslem gehalten und von wo sie den ganzen Platz übersehen konnten.
»Lassen Sie mich zunächst Ihnen die wichtigsten der Führer zeigen. Der Mann dort auf der Steinbank, auf der Sie gestern saßen, ist Luca Oukalowitsch, der Ober-Commandant der aufgestandenen Rajahs. Mehemed Pascha von Trebinje warf ihn unter nichtigem Vorwand in den Kerker, verwüstete sein Land und brannte seine Palanka nieder - bloß weil er gedroht, Klage gegen ihn zu
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erheben wegen der Bedrückung der Rajahs; neben ihm der Pope Bogdan und daneben, zwar noch jung, aber ein bitterer Feind der Türken, Ljubobratic. Der Mann der mit Bucalovich, dem Montenegriner, spricht, ist Wesselitzky, der Abkömmling einer alten Familie von Trebinje, aber in Ihrem Vaterlande geboren, mehr ehrgeizig, als tapfer. Mussits von der Narenta, Peka Pawlovits, Golub von Grahovo und der tapfere Bejnovits, der umsichtigste unserer Capitani. Dort der finstere Serbe ist Karageorgewits, der vertriebene Vali von Serbien, der mit Hilfe der Bosnier wieder auf den Fürstenstuhl von Belgrad zu steigen gedenkt, den der Sohn des Milosch inne hat. Es ist ein Unglück für uns, daß der Befreier Serbiens im vorigen Herbst1 gestorben ist, aber ich traue dem Sohne des schwarzen Georg nicht, er ist ein unwürdiger Sprößling seines Vaters und hält es mit den Türken; ich traue ihm nicht und habe die Kapitani gewarnt, ihm Wichtiges zu vertrauen. Der Franke neben dem Protopopen Basilius Ilovatz ist der Agent des französischen Consuls Hecquard in Skadar, doch was ist dort für ein Geschrei? ich muß dahin und Sie für kurze Zeit sich selbst überlassen. Bewegen Sie sich ungescheut in der Menge. Ihre Kleidung schon als Franke und die Landessprache sichern Ihnen überall Zuvorkommen und Vertrauen.«
Der Higumenos eilte fort dem Aufgang des Berges
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zu, wo eine Schaar von Männern, Weibern und Kindern heulend und wehklagend herankam.
Der größte Theil der versammelten Männer hatte sich nach Belieben auf dem Platz vor dem Kloster in Gruppen gelagert und verzehrte die geringen Mundvorräthe, die ihnen die im Lande herrschende Noth und Armuth mitzubringen gestattet hatte, nur die vornehmeren und Hauptführer des Aufstandes hatten sich um den Steintisch zusammen gethan; aber jetzt erhoben sich Alle und drängten um die neu Herbeigekommenen, und ein allgemeines Wehklagen, die Ausbrüche der zornigsten Erbitterung, Klagen und Verwünschungen gegen ihre bisherigen Tyrannen erhoben sich aus der Menge bei dem näheren Anblick der traurigen Schaar.
Auch der russische Offizier, der bisher sich beobachtend unter den Gelagerten bewegt hatte, überall von den schlichten Leuten ehrerbietig und mit dem Wunsch: Gott und die Heiligen segnen den schwarzen Czar, möge er seinen Kindern Beistand senden! begrüßt, was ihm zur Genüge bewies, daß wenigstens seine Nationalität nicht unbekannt geblieben war, - schloß sich dem allgemeinen Zug an, und gelangte in die Nähe der Herbeikommenden.
Aus den Worten vielfacher Erkennung, aus den Ausrufen und Drohungen schwerer Vergeltung an den Verübern all' der Greuel, welche jene Männer und Frauen erlitten haben mußten, entnahm er alsbald, daß er eine Schaar von Flüchtigen aus den vor drei Tagen von den Baschi-Bozuks des Pascha von Egri-Palanka geplünderten und zerstörten Rajahdörfern zwischen Petrowsky und
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Bayam[n]sche vor sich hatte, die den Mörderhänden entronnen waren und hierher kamen, um Aufnahme zu suchen oder dem Aufstand sich anzuschließen. Ihr Anblick war in der That kläglich und mußte auch das theilnahmloseste Herz bewegen. Fast kein Mitglied der wohl an achtzig Köpfe betragenden Schaar war ohne sichtbare Spuren der Mißhandlungen und Gewaltthaten. Alle hatten eben nur das nackte Leben gerettet, die Meisten waren selbst ihrer Kleidung beraubt, oder gingen in Fetzen und Lumpen - viele trugen noch offene klaffende Wunden oder hatten sie nur auf das Nothdürftigste verbinden können, - eine Frau schwankte mühsam auf den Arm ihrer ältesten Tochter gestützt, ihr eigener hing kraftlos nieder und aus den Lumpen, die um die Säbelwunde gewickelt waren, sickerten noch die Blutstropfen, und doch - wer das etwa siebzehnjährige Mädchen betrachtete, die mit verstörtem Blick vor sich hin starrte, mußte denken, daß ihr Schicksal noch schlimmer gewesen sein mußte, als das der in ihrer Vertheidigung verwundeten Mutter. - Ein anderes Weib trug schluchzend ein Kind in ihren Armen, - das Kind war todt - der Kopf zerschmettert, die Aermste hatte dennoch den kleinen schon der Fäulniß verfallenden Leichnam so weit mit sich geschleppt, um ihn wenigstens in die geweihte Erde ihres Glaubens zu versenken! - viele der Leidenden konnten sich kaum noch aufrecht erhalten, sie hatten die zwei Tage der weiten Wanderung, die ersten Stunden von der wilden Mörderrotte gejagt und verfolgt, auf unwirthbaren Wald- und Felssteigen flüchtend, nur von Wurzeln und Kräutern gelebt, denn die Jahreszeit
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war noch zu früh, um ihnen selbst die Früchte des Waldes bieten zu können. So hatten sie sich zusammen gefunden nach den gräßlichen Stunden des Ueberfalls und von einsamen Hirten gewiesen sich nach dem Kloster gewandt, als dem äußersten sichern Punkte der Stellung der Aufständischen, wenigstens einigermaßen geschützt durch die nahe montenegrinische und österreichische Grenze.
Aber noch schlimmer als die Noth und das Elend, das die theilnehmenden Blicke sehen, die hilfreichen Hände zu mildern sich mühen konnten, war das, was die Ohren hören mußten von den verübten Gräueln an den friedlichen Menschen. Denn von allen fünf Dörfern, die während einer Nacht und eines Tages von den zuchtlosen Horden der Baschi-Bozuks überfallen und eingeäschert worden waren, hatte sich die Bewohnerschaft eines einzigen bis jetzt an dem Aufstand durch die Unterstützung ihrer Glaubensgenossen betheiligt, die anderen hatten sich fern davon gehalten und bisher in unsäglicher Geduld die schweren Leiden getragen. An dem Morgen des Tages, der so schreckliches Unheil über sie gebracht, waren zwei umherschweifende Arnauten in das arme Dorf gekommen, hatten beim Vorstand desselben sich einquartiert und Geld, Essen und Trinken verlangt. Nachdem sie sich an dem Slibowitza berauscht, hatten sie dem Weibe des Mannes Gewalt anthun wollen, obschon sie noch einen Säugling an der Brust trug, und als auf das Geschrei der Frau ihr Mann ihr zu Hilfe gekommen, die schützend ihr Kind den Unholden entgegen gehalten, hatte der eine derselben das unschuldige Wesen ihr entrissen und gegen die Wand
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geschleudert, daß es an dieser zerschmetterte. Empört hatte der Vorsteher eine eiserne Hacke ergriffen und den Mörder verwundet, aber ehe er den Schlag wiederholen konnte, halte ein Schuß des zweiten Bozuks ihn todt zu Boden gestreckt. Durch die herbeigeeilte, die Hütte umgebende Menge schlugen die Mörder sich Bahn und entflohen auf den Pferden, deren sie sich bemächtigt hatten, unter den wildesten Drohungen. Sofort waren die Aeltesten der Gemeinde zusammengetreten, größeres Unheil fürchtend, und beschlossen eine Deputation abzusenden zum Pascha, um dort das Geschehene zu berichten - aber ehe dies noch erfolgen konnte, brach ein Schwarm wilder Reiter über das unglückliche Dorf her und zündete es auf Befehl des Paschas zur Strafe für die Verwundung seines Kriegers, der an Verblutung gestorben war, an allen Enden an. Die Scenen der Massakre und der Plünderung waren furchtbar, - kein Alter, kein Geschlecht wurde geschont, und was die Reiter nicht vernichtet, das fiel in die Hände der wüsten Arnauten und Golatschanen, die zu Fuß hinter ihnen drein stürmten. Kinder wurden vor den Augen ihrer Eltern, die Eltern vor den Augen der zur Sclaverei geschleppten Kinder ohne jede Ursache ermordet, bloß aus Lust am Blut! Frauen und Jungfrauen geschändet und dann getödtet, - der Pope des Dorfes wurde an der Pforte seines kleinen ärmlichen Gotteshauses erschlagen - hatten in Bosnien doch oft die schismatischen Griechen nur Höhlen und Hütten zu ihrer Andacht, während den lateinischen Christen in Kroatien die Türken den Bau stattlicher Kirchen gestatteten, ein Beitrag der neueren Politik
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des päpstlichen Stuhls gegen die Türkei. - Auch die anderen Dörfer der Rajahs waren zu gleicher Zeit von den wilden Horden überfallen worden, und als Männer und Weiber auf den Knieen vor dem Pferde des Paschas lagen, um Erbarmen stehend, befahl er höhnend: Laßt die Christenhunde im Feuer ihre Messe singen, daß sie's in Stambul hören!
Verhältnißmäßig nur Wenigen war es gelungen, sich durch die Flucht zu retten, - manche mochten wohl noch in den Wäldern umherirren, aber Diejenigen, denen es gelungen, das Kloster zu erreichen, schworen voll Ingrimm Rache an den Barbaren und flehten um Waffen, um sich ihren kämpfenden Brüdern anschließen zu können.
Während der Abt nach Kräften dafür sorgte, die geflüchteten Weiber und Kinder in den inneren Räumen des Klosters unterzubringen und den Halbverhungerten Speise und Trank zu geben, trat die Versammlung der Führer und Aeltesten draußen zur Berathung zusammen und ein Geist, ein Ruf der Erbitterung und des Rachedurstes gegen ihre tyrannischen Gebieter belebte sie Alle. Dennoch zögerten die vornehmsten Führer mit dem Beginn der Berathung, bis der Higumenos sich seiner Pflichten der Gastfreundschaft und der Barmherzigkeit entledigt, und erst als er wieder auf dem Platze erschien, ordnete sich der Kreis der Männer um den mächtigen Kastanienbaum in der Mitte des Plateaus.
Der russische Offizier sah hierdurch seine bereits im Stillen gefaßte Ansicht bestätigt, daß wenn auch die hier versammelten Tapferen und Aeltesten der Rajah die Glieder,
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die Arme des entbrannten Aufstandes, der greise Abt des Basilianer Klosters im Stillen doch sein Haupt und Leiter war. Mit einer gewissen Befriedigung hatte er übrigens gesehen, daß dem Zuge der Flüchtigen die sämtlichen weiblichen Bewohner der Kula der Grahoven, die er am gestrigen Abend besucht hatte, sich angeschlossen hatten, wie der darüber hoch erfreute Novize Nicolaus ihm mittheilte aus Besorgniß der Frauen, da Petros der Hirt am Morgen von der Höhe aus entdeckt haben wollte, daß sich türkische Reiter in verdächtiger Weise im Thale umher getrieben hätten. So habe der Hirt die Gelegenheit der vorüber ziehenden Flüchtlinge benutzt, sie einem früheren Befehle des Higumenos für solche Fälle zu Folge zum Kloster zu senden, während er selbst die ihm anvertraute Heerde in die schützenden Wälder trieb. Der Abt hatte es übrigens, ohne sich anscheinend persönlich um sie zu kümmern, dem Novizen überlassen, den Frauen im Kloster die geringen Bequemlichkeiten zu verschaffen, die es bieten konnte, und der würdige Schneider sich dabei nützlich gemacht, - und nachdem der Offizier sie begrüßt und sich überzeugt, daß sie den Umständen nach leidlich versorgt waren, auch einiges Geld unter die Flüchtlinge vertheilt hatte, folgte er dem Abt zu der Berathung der Krieger. Um den Steintisch unter der großen Kastanie saßen die Häupter des Aufstandes, während die geringeren Krieger und Männer einen großen Ring um sie her bildeten und aufmerksam die Sprecher anhörten, nur von Zeit zu Zeit sie mit einem stürmischen Beifall unterbrechend, wenn die Gefühle ihrer Leiden oder ihres Rachedurstes besonders
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angeregt waren. Der Higumenos hatte den Ehrenplatz unter der Eiche selbst eingenommen und leitete offenbar die Verhandlung. Seine größere Klugheit und die im Abendlande während der Zeit der Befreiungskriege gegen die napoleonische Herrschaft gewonnene Bildung und Erfahrung befähigten ihn offenbar dazu und willig fügten sich die andern Mitglieder des Rathes seinen Ansichten. Der russische Agent erkannte dies mit Befriedigung und dennoch lag für ihn noch etwas Räthselhaftes in dem ganzen Gebahren des Greises - ein tief in seiner Brust verborgen gehaltenes Gefühl noch außer der Liebe zu seinem Vaterlande mußte sein Thun zu einem bestimmten Zweck regeln, und dies zu erfahren wäre ihm von hohem Interesse gewesen.
Als der Offizier zu der Verhandlung trat, hatte grade, nach einem feurigen Aufruf des Luca der Abt das Wort genommen. Er sprach klug und beredt, die Vorurtheile und Leidenschaften seiner Zuhörer genau kennend und danach seine Worte einrichtend.
»Es sind viele und wichtige Botschaften eingegangen,« sagte er, »und Euerer Weisheit und Euerem Willen wollen wir es unterordnen, welche der uns zum Beistand gebotenen Hände wir ergreifen wollen, um endlich der unerträglich gewordenen Tyrannei unserer Herren ein Ende zu machen. Bald wird eine Botschaft des Muschir Ismaël Pascha erscheinen, welche uns auffordern soll im Namen der fränkischen Consule, die Waffen niederzulegen und unser Schicksal den Bemühungen der christlichen Gesandten beim Großherrn anheimzustellen!«
»Schmach über die Gesandten! schrie der wilde
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Ljubobratic - »was kümmert sie unser Elend? Sie sitzen in Konstantinopel und haben niemals ein Ohr für unsere Klagen gehabt! Nur ihre eigenen Interessen und die Vergrößerung der Macht ihrer Gebieter vertreten sie beim Großherrn und bewachen einer den andern wie hungrige Hunde, daß keiner von der Mahlzeit, zu der sie das Türkenreich gerne machen möchten, einen Bissen zuviel bekommt! Unsere Noth ist ihnen höchstens das Mittel zur Bedrohung des Großherrn. Hat es nicht der Traktate und Friedensschlüsse mit den Türken genug gehabt, wo sie unser Schicksal hätten ändern können, wenn es ihr ernster Wille gewesen wäre? Auf ihre Protokolle und auf das Zeitungspapier haben sie es freilich geschrieben, welche Hattischerifs und Hat's sie dem Großherrn abgedrungen zum Besten seiner christlichen Unterthanen, aber wenn die öffentliche Meinung Europa's sich in träger Eitelkeit befriedigt erklärt hat, wer dachte daran, noch dafür zu sorgen, daß die schlauen Versprechungen des Divans auch erfüllt wurden? Ist der Franke, der weit entfernt wohnt, etwa der Schlauheit des Moslem gewachsen? Ist nicht nach jedem dieser Hat's unsere Bedrückung immer unerträglicher geworden und hat nicht der Divan die Niederlagen, die er gegen die Großmächte Europa's erlitten, gerade an uns, den Rajahs gerächt, welche seiner Willkür preisgegeben blieben? Haben nicht England, Frankreich und Oesterreich stets dem schwarzen Czaren, unserem einzigen Freunde, dem Schutzherrn unseres gemeinsamen Glaubens Halt geboten, wenn er den Türken zurück über den Bosporus werfen, und unser Land den Kindern des Kreuzes zurückgeben wollte?!
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Lauert auf der andern Seite nicht der Schwabi an den Gränzen des Landes und leidet es nicht, daß wir die Früchte unseres Landes selbst zur Küste des Meeres bringen, wir die Christen, während der Türke jenseits Podgoritza bis hinunter zum Golfe von Arta seine Tartanen die Adria durchstreifen lassen darf?«
»Die Männer der Boccha und der Küste von Dalmatien,« sagte mißbilligend der Abt, »sind unsere Freunde und geben dem armen Rajah Brod und Waffen.«
»Ich habe in Cattaro gehört,« fiel der Protopope ein, »daß Oesterreich an der Sawe und Donau eine Armee aufstellt und dem Sultan gedroht hat, in Kroatien und Bosnien einzurücken«
»Die Gesänge der Bosniaken haben es noch nicht vergessen,« sagte einer der Greise, »daß der große Held, den sie den Prinzen Eugenius nennen, in sieben Schlachten die Türken schlug und bis Serajewo gedrungen ist!«
Der Mann in der rothen Blouse war aufgesprungen. »Freunde, tapfere Männer der Herzegowina, wenn Ihr der Sache der Freiheit dienen, - wenn Ihr Euer Land von Tyrannei und Knechtschaft erlösen wollt, so dürft Ihr Euch nimmer mit Oesterreich verbinden. Oesterreich ist die stete Unterdrückerin aller Freiheit, die Knechtung der Nationalitäten. Nur von den Männern, die berufen sind, die Freiheit der Völker wieder herzustellen, kann Euch Sieg und Rettung kommen und der Augenblick ist günstig. Die edle Nation der Magyaren ist im Begriff, sich zu erheben und die österreichische Zwangherrschaft noch ein Mal abzuschütteln! Polen wird die russischen Ketten
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brechen, Italien hat die Bourbonen vertrieben, wenige Wochen noch und auf den Wällen Roms und Venedigs wird die Fahne der italienischen Freiheit und Einheit wehen! Der große Held, dessen Auge für die Völker wacht, dessen Arm Italien seine Befreiung von dem Joch tyrannischer Fürsten erkämpft hat, - er hat auch ein Herz für seine unglücklichen Brüder in Bosnien, und während der große Diktator von Ungarn: Kossuth, die Generale Klapka, Türr und andere sich bereit machen, in ihrem Vaterlande die Fahne der Freiheit zu erheben, während Feldherrn wie General Mieroslawski bereit sind, auf den ersten Ruf sich an Eure Spitze zu stellen, hat er bereits fünfzig seiner tapfern Krieger an Eure Küsten gesendet, um die Kraft unserer Armee, die Erfahrung unserer Feldzüge in Sizilien und Neapel zu Eurer Befreiung anzubieten. Das mächtige England, die einzige Nation, welche in dem geknechteten Europa ein Hort der Freiheit der Völker, der Vertheidiger der Nationalitäten, der Zufluchtsort aller Bedrohten und Verbannten ist, steht ihm zur Seite. Vor drei Tagen bin ich mit meinen Gefährten in Spizza gelandet, mit Jubel von der Bevölkerung aufgenommen, die ihr Küstengebiet dem tapfern Vladika von Montenegro zur Disposition gestellt hat; - in Genua werden Schiffe mit Waffen beladen, um diese nach Montenegro und der Herzegowina zu führen . Auf die ersten Nachrichten von dieser Versammlung bin ich hierher geeilt, um Euch Brüder, Kämpfer der Freiheit und Unabhängigkeit den Beistand Garibaldi's und seiner Tapfern unter dem Schutz Englands anzubieten. Nur Eures Beschlusses, Eures Rufs bedarf es, und der
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General wird an diesen Küsten landen mit einer Schaar, stark genug, Euer Land von der türkischen Tyrannei und der Bedrohung durch Oesterreich für immer zu befreien.«
Eine Hand legte sich schwer auf die Schulter des Redners - als dieser sich unwillig umsah, blickte er in das ruhige entschlossene Gesicht des russischen Offiziers.
»Schweigen Sie, Herr - Ihre Worte, Ihre verruchten Pläne sind einzig geeignet, diese armen Männer, die für ihren Glauben, ihr Leben und ihre Familien kämpfen, in's Verderben zu locken und ihnen den Schutz ihrer wahren Freunde zu rauben. Nicht ehrliche Theilnahme für die Leiden dieses Landes ist es, was Sie ihnen den Beistand der garibaldinischen Freischaaren anbieten läßt, sondern einzig der Plan, mit ihrem Blut, auf ihren Leibern sich den Weg zur Insurrection Oesterreichs und Polens zu öffnen, der ihnen auf anderen Seiten durch die Wachsamkeit der Regierungen versperrt ist! Freunde, Glaubensgenossen, traut den Versprechungen dieses Mannes nicht - das Herbeirufen Garibaldis in Euer Land giebt sofort Euerem berechtigten Kampf gegen Euere Unterdrücker einen anderen Charakter und fordert Oesterreich und Rußland, ja selbst die Swabi gegen Euch heraus! Traut niemals auf die englischen Versprechungen. Blickt auf Syrien, wo der falsche Engländer mit dem Türken Hand in Hand alle Anstrengungen der anderen christlichen Staaten zu Gunsten Euerer Brüder, der gleich Euch von den Türken gemordeten Maroniten, hintertreibt! In demselben Augenblick, wo dieser Mann den Beistand Englands verheißt, hat dasselbe England dem Großherrn gegen hohe
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Prozente das Geld vorgeschossen, um seine Flotte an Euere Küsten zu senden und englische Schiffe kreuzen mit den türkischen vereinigt vor Antivari! England ist es, dessen Druck Euere Freunde in Griechenland und auf den Inseln verhindert, Euch Beistand zu bringen! England, wagt dieser Mann Euch zu sagen, sei der Hort und Helfer der Unterdrückten - ja, vielleicht, wenn es dabei Länder oder Geld zu verdienen giebt! Noch niemals hat England der Freiheit umsonst einen Dienst gethan! In diesem Augenblick fordert das Volk der ionischen Inseln seine Befreiung von der englischen sogenannten Schutzherrschaft, die nichts Besseres ist, als türkische Zwingherrschaft! seinen berechtigten Anschluß an Griechenland, und das Protektorat Englands antwortet dem gerechten Wunsch der freien Griechen mit hundert neuen Armstrong-Kanonen auf der Citadelle von Corfu, und der Erklärung des Belagerungszustandes und Kriegsgericht! Das, Männer der Herzegowina, ist, was Ihr von dem Beistand des General Garibaldi und der Hilfe Englands zu erwarten habt. Jetzt wählt zwischen dieser und dem schwarzen Czar von Moskau!«
»Ah - ein russischer Agent,« meinte heftig der Garibaldiner, »ich dachte es mir fast!«
»Ich bin ein Reisender, wie Sie, Monsieur Garibaldien,« sagte spöttisch der Offizier, »der hierher kommt, Land und Leute kennen zu lernen, und sich zu überzeugen, in wie weit ihr Schmerzensschrei gerechtfertigt ist. Der Unterschied zwischen uns ist nur, daß ich ihnen zu helfen wünsche und Sie auf ihre Kosten politisch spekuliren wollen.
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Sollte Ihnen jedoch meine Anwesenheit unbequem sein, so bin ich gern bereit, Sie oder mich davon zu befreien.«
Der Garibaldiner wollte auffahren, aber ein Blick auf den umgebenden Kreis bewies ihm, daß er wenig Freunde hier finden würde, - seine Pläne waren vereitelt. »Die Vorkämpfer der Freiheit,« sagte er, »drängen Keinem ihren Beistand auf - wenn die Rajahs der Herzegowina der Meinung sind, daß sie besser fahren, auf die zweifelhafte Hilfe des Kaisers von Rußland zu warten, statt die bereite des General Garibaldi und seiner Freunde anzunehmen, so mögen sie es zu ihrem Schaden thun!«
Den Augenblick benutzte geschickt der französische Agent. »Seine Majestät der Kaiser Napoleon, dem das Schicksal der Christen auch dieses Landes zu Herzen geht, obschon sie nicht seiner Kirche angehören, wie seine Sympathien für Eure Glaubensbrüder, die armen Maroniten in Syrien durch die Besetzung des Landes mit seinen Truppen zur Genüge bewiesen, hat Monsieur Hecquard, seinen Consul in Skadar, beauftragt, Seiner Durchlaucht dem Fürsten von Montenegro 5000 Franks zum Besten der armen obdachslos gewordenen Christenfamilien zu übergeben; ich selbst habe sie vorgestern dem Fürsten Nikita überbracht.«
»Und warum,« frug der Protopope, »hast Du sie nicht hierher gebracht, wo es in diesem Augenblick Hunderte von obdachlosen Familien giebt, während in Montenegro jede noch ihr Dach hat?«
Der französische Agent schwieg etwas verlegen auf die unerwartete Frage, dann sagte er: »Der Consul ist
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der Ueberzeugung, daß Seine Durchlaucht der Fürst Nikita der Freund seiner Glaubensbrüder in der Herzegowina und das Geld für den Zweck gesicherter in seinen Händen ist, als es bei der Uebermacht der Türken in diesem unglücklichen Lande sein würde.«
Der russische Offizier war an den Steintisch getreten: »Ich habe keinen offiziellen Auftrag dazu, auch sind meine Mittel gering, aber ich glaube im Sinne meines erhabenen Monarchen des Czaren zu handeln, wenn ich hier eine Anweisung auf den russischen Consul Collegien-Assessor Petkovich in Ragusa für fünftausend Rubel gültig, zu dem gleichen Zweck niederlege. Das Geld kann in Beträgen von je tausend Rubeln gegen die Unterschrift des hochwürdigen Abtes dieses Klosters und zweier Kapitanis der Krieger der Rajahs in Ragusa erhoben werden.«
Ein donnernder Jubel- und Dankruf brach rings umher in dem Kreise aus. Die Männer drängten sich um den Offizier, drückten seine Hände und küßten den Saum seines Rockes. »Gott und die heilige Jungfrau mögen den schwarzen Czaren segnen! Die Moskows haben ein Herz für ihre Brüder!«
Auch die zweite Spekulation auf die Noth der Söhne des rauhen Landes war durch den geschickteren Schachzug russischer Diplomatie vereitelt.
»Ich kann unseren tapferen mißhandelten Glaubensbrüdern in diesem Lande ferner mittheilen,« fuhr der Offizier mit erhobener Stimme fort, »daß der Czar keineswegs ihrer Noth und ihrer berechtigten Klagen vergessen hat, und daß Seiner Majestät Gesandter in Constantinopel
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Fürst Alexis Labanoff Rostowsky bei der Pforte die energische Forderung auf genügende Garantieen für die volle Ausführung der Bestimmungen des Hat Humayum in den slavischen Provinzen der europäischen Türkei gestellt hat, unterstützt durch eine russische Armee von 50000 Mann, die in diesem Augenblick am Pruth zusammengezogen wird!«
Wieder erscholl der Jubelruf: »Gott segne den schwarzen Czaren! Laßt uns ihm vertrauen!«
Erst auf den Wink des Abtes legte sich die Begeisterung der versammelten Männer. »Brüder,« sagte der Higumenos - »auch dem guten Willen des Kaisers der Franken gebührt Euer Dank und möge seine Gabe Euch Allen zu Gute kommen. Ich schlage vor, daß wir durch unseren Freund den tapferen Kapitano Bukalovich den Fürsten Nikita von den neuen Grausamkeiten unserer Unterdrücker unterrichten und ihn um Beistand bitten lassen. Auch dem großen General Garibaldi wollen wir danken für seine Theilnahme, wenn wir auch seinen Beistand ablehnen müssen, da er unsere anderen Freunde mißtrauisch machen könnte. Gott hat unser armes Land derart gemacht, daß ohne den Beistand seiner Söhne, keine fremde Macht es passiren kann. Ich schlage vor, daß von dem Gelde, welches dieser edle Herr bei dem russischen Konsul für uns niedergelegt hat, die ersten tausend Rubel sogleich durch einen sichern Boten erhoben und für die armen Bewohner der fünf Dörfer verwendet werden, welche die Grausamkeit unserer Feinde soeben zerstört hat. Ich bin ein Greis und der allmächtige Gott kann in jeder
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Stunde meinem Leben ein Ziel setzen. Ich wünschte gern noch zu einem guten Werke meine Hand zu leihen, bevor ich von Euch scheide!«
Das Wehklagen, die innigen Wünsche für das Leben und Wohl des alten Priesters bezeugten, wie beliebt er war und welch' großes Vertrauen das Volk in ihn setzte. Seinem Wunsche und Rathe gemäß, wurde alsbald die Anweisung auf das Geld ausgestellt und zweien der Gemeindevorsteher übergeben, mit dem Auftrag, sofort die tausend Rubel in Ragusa einzukassiren, und von einem Theil allerlei Dinge, wie sie den Beraubten und Obdachlosen nöthig sein durften, anzukaufen. Daß Pulver, Blei und Waffen dabei nicht fehlen durften, verstand sich von selbst. Die österreichische Douane war damals sehr nachsichtig, und ungehindert passirten alle Lebensmittel und Ausrüstungs-Gegenstände die dalmatinische Glänze, ja wurden von den Dalmatinern selbst eine Strecke in's Land hineingeschaft, bis sie in Sicherheit waren.
»Brüder,« fuhr der Higumenos fort, »ich habe eine weitere Nachricht für Euch, denn so arm wir auch sind, haben wir doch auch Freunde in Stambul. Ihr erinnert Euch an Omer Pascha den Sirdar!«
»Der Renegat, der im Libanon die Christen verfolgte und 1850 und 1851 in ganz Bosnien durch seine Grausamkeit und Härte der Schrecken und die Geißel der Rajah war!«
»Der Feind Montenegros,« rief Nucalovich - »der uns bedrängte und den unsere Junaks tapfer zurückschlugen? was ist's mit ihm?«
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»Merkst Du die Gefahr, Sohn der schwarzen Berge?« frug der Abt. »Auf und melde dem Vladika Nikita, dem Neffen des edlen Danilos, der bisher gezögert und verschmäht hat, sich offen seiner Glaubensbrüder in der Herzegowina anzunehmen und mit ihnen vereint den Türken zu bekämpfen, daß der Sirdar Omer auf dem Wege nach Antivari ist und der Großherr ihn zum Wessir von Bosnien gemacht hat und er Macht hat auch über Macedonien und Albanien, auf daß er die Rajah mit Füßen trete und die Söhne der schwarzen Berge wieder zum Schemel des Bluttrinkers in Stambul mache!«
»Niemals - er möge kommen und sich noch einmal an unseren Bergen Beulen in seinen Turban stoßen!«
»Jetzt Brüder!« sagte der Abt, »werdet Ihr begreifen, warum der Muschir Ismaël sich beeilt, eine Botschaft zu senden und um Unterwerfung zu verhandeln! Er möchte sich den Ruhm sichern, die Rajah unterjocht oder betrogen und Nikschitj befreit zu haben, ehe der Sirdar kommt, sich die Belohnung dafür vom Großherrn zu holen!«
»Verdammt sei das Zaudern!« schrie der wilde Czernagorze. »Freunde, ich habe Euch eine Mittheilung zu machen!«
»Sprich!«
»Der Vladika - da er zur Zeit noch im anerkannten Frieden mit der Pforte lebt, hat es nicht verweigern dürfen, einem Transport von Pferden und Lebensmitteln zur Verproviantirung von Nikschitj von Podgoritza her den Weg durch unser Land zu gestatten!«
»O Schmach!«
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»Es ist kein Nachtheil für Euch, wenn Ihr Männer seid!«
»Wie meinst Du das Kapitano Bucalovich?«
»Noch ist der Transport nicht in der Festung! Erst diese Nacht passirt er die Berge von Ostrog, um in der Morgendämmerung sich auf die Posten der Rajahs zu werfen. Ein Ausfall Mahmud Pascha's wird der Escorte der Albanesen die Hand reichen.«
»Die Kolonne darf die Festung nicht erreichen - oder alle bisherigen Opfer waren umsonst!«
»Das Weitere ist Euere Sache - Ihr seid gewarnt!«
»Dank Bruder Bucalovich!«
Die Führer traten sofort zu einem engern Rath zusammen.
Es war unter diesen Umständen sehr natürlich, daß - als die ausgestellten Wachen in diesem Augenblick das Herannahen der Abgesandten des Muschirs meldeten, - die Stimmung zu ihrem Empfang und zur Entgegennahme ihrer Vorschläge keine diesen sehr günstige war; dennoch gelang es dem strengen Befehl der Führer, vor Allem der Mahnung des Abtes, die Ruhe in der Versammlung herzustellen und sich zu einer würdigen Aufnahme der Abgesandten vorzubereiten.
Während die Krieger niederen Ranges und das Volk zurücktreten mußten, nahmen die Führer wieder ihre Plätze um den Eichentisch ein. Mehrere Kissen wurden vor demselben für die Abgesandten auf den Boden gelegt, und ein tiefes und ernstes Schweigen lag über der ganzen Versammlung, als die Türken jetzt sich näherten.
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Nach der vorangegangenen Abmachung war die Reiterescorte der Gesandten des Muschirs am Fuße der Höhe zurückgeblieben und nur sechs Männer erschienen auf dem Plateau, an dessen Abhang sie von ihren Pferden stiegen und von zwei der Kapitanis empfangen wurden, die sie durch die in gewisser Entfernung rechts und links gelagerte Menge zu den Häuptlingen unter dem Kastanienbaum führten.
Es waren zwei ältere Männer in der militärisch ziemlich unkleidsamen Uniform des Nizam, ein Mufti als Schreiber der Gesandtschaft, ein jüngerer türkischer Offizier mit den Abzeichen eines Mir Alai oder Obersten, und - zum großen Erstaunen der Versammelten - ein christlicher Priester in dem langen braunen Rock eines Popen. Kaum unterdrückte Zeichen des Unwillens begleiteten das Erscheinen des Letzteren auf dem Wege zu dem Halbkreis der Kapitanis.
In diesem hatte seinem Range gemäß der Knees Luca Oukalowitsch den Vorsitz übernommen, und auf seinen Wink erhoben sich die Versammelten und erwiederten den stolzen Selam der Abgeordneten.
»Die Gesandten des Muschir sind willkommen,« sagte der Woiwode. »Sie kommen zu armen Rajahs und mögen sich begnügen mit dem, was die Grausamkeit ihrer Brüder uns gelassen hat. Mögen sie Platz nehmen in unserer Mitte. Ihr Haupt ruht sicher in unserem Schoos, wenn sie auch unsere Feinde sind!«
Auf den Wink des Abtes brachten die Klosterdiener
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Kaffee und die Schibuks, ohne welche keine orientalische Versammlung stattfinden kann.
Nach einigen Zügen wandte sich das Haupt der Abgesandten, ein alter weißbärtiger Moslem zum dem Sclaven, der ihn begleitet und ließ sich den grünseidenen Beutel geben, der das Schreiben des Muschir enthielt.
»Wir kommen im Namen des Propheten und seines Sohnes, des Gebieters der Welt, um Euch diesen Brief des Begler-Beg von Bosnien und der Herzegowina, des großen Muschir Ismaël zu bringen. Möge Allah Eueren verkehrten Sinn erleuchten und Euern Geist demüthig machen. Wer von Euch ist der Aga Luca Oukalowitsch, an den dieser Brief gerichtet ist? Ich bin Mehemed Serdschek, der Kadi von Konjitza.[«]
»Ich habe von Dir gehört und weiß, daß Du keiner der Schlimmsten bist gegen die Rajah,« sagte der Wojwode, den Brief mit jener Achtung empfangend, welche die geknechteten Rajahs selbst während der blutigsten Erhebungen stets der Oberherrlichkeit des Großherrn bewiesen haben und die so oft von den Türken getäuscht und mißhandelt worden ist. »Aber was will der Mann dort?« er wies auf den Popen, »er scheint ein Christ nach seiner Kleidung, wenn er damit nicht Mummerei treibt, und ein Diener unserer Kirche?«
Der Pope beeilte sich, die Frage selbst zu beantworten.
»Tapferer Luca, kennst Du denn Alexa den Diakon des Klosters Morawtzi nicht mehr, der gekommen ist, in Gemeinschaft mit seinem gelehrten und frommen Bruder, dem Higumenos Michael Euch von Euerem gottlosen
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Widerstand gegen Euren gesetzlichen Oberherrn, den mächtigen Großherrn in Konstantinopel abzurathen und Unterwerfung zu predigen gegen die gesetzliche Obrigkeit, denn der Heiland spricht ...«
»Halt Priester,« donnerte die mächtige Stimme des Wojwoden. »Zuvor beantworte mir eine Frage, ehe wir Deiner Rede weiter horchen.«
»Sprich tapferer Luca, ich weiß, Du willst nur das Redliche und Gute, und es hat sich nur der böse Geist des Ungehorsams über Deinen frommen Sinn gelagert, wie der Nebel über die Thäler unserer Heimath!«
»So bist Du ein Sohn der Herzegowina? Ich wußte es nicht!«
»Ich bin ein Enkel Ruwims, des Archimandriten des Klosters Nogowadia, den der grausame Aganlia, der schlimmste der vier Deys, zu Tode marterte. Er ist ein Heiliger im Himmel und sein Enkel sucht in Demuth und Gehorsam ihm ähnlich zu werden, darum o Knees ermahne ich Dich, die Waffen des Aufruhrs von Dir zu thun!«
»Mögen Deine Worte verdammt sein, Du Sohn eines Hundes!« brüllte der Knees. »Bringt einen Weiberrock herbei und zieht diesem Verräther den Ehrenkaftan eines Priesters des christlichen Glaubens von seinem, nach Furcht stinkendem Leibe, aus. Wisse Alexa, der Du Dich rühmst der Enkel Ruwims zu sein, die Rajah der Herzegowina achten ihren Feind, den Moslem, aber den Verräther an ihrem heiligen Glauben, der ihnen räth, ihre Weiber beschimpfen und ihr Korn von den Rosseshufen ihrer Tyrannen geduldig zertreten zu lassen, den verachten
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sie, weil er das Kreuz und sein Land schändet und jagen ihn von sich wie einen räudigen Hund! Bringt einen Weiberrock hierher!«
Man brachte in der That ein zerrissenes Frauengewand. Vergebens berief sich der Diakon auf den Schutz der Gesandtschaft und forderte Beistand von dem jungen Offizier. Der Mir-Alai wandte sich mit Verachtung von ihm und spie auf die Erde. »Du hast Dich unberufen uns angeschlossen« sagte er höhnisch. »Du hast Nichts zu schaffen mit dem Auftrag des Wessirs. Die Christen, Deine Brüder haben Recht, Dich für einen Feigen zu halten, der mit doppeltem Odem bläst!« So konnte denn Nichts den Diakon von dem ausgesprochenen Urtheil retten und in wenigen Augenblicken war er seines geistlichen Gewandes entledigt und, mit dem Weiberrock bekleidet, unter höhnendem Geschrei zu den, am Aufgang des Plateaus zurückgebliebenen Dienern gejagt, während er Verwünschungen und Drohungen gegen den Abt ausstieß, der schweigend und ohne sich einzumischen, der Beschimpfungs-Szene beigewohnt hatte.
Auf ein Zeichen des Knees beruhigte sich alsbald die Menge.
»Du hast gesehen Mehemed Serdschek, Kadi von Konjitza, daß auch die Rajah der Gebirge Gerechtigkeit lieben. Jetzt laß uns die Botschaft des Begler-Beg hören!«
»Sie ist an Dich selbst gerichtet, Knees!«
»Luca Oukalowitsch hat keine Geheimnisse vor seinen Brüdern. Möge der Pope Andreas den Brief Ismaël Pascha's in dieser Versammlung öffentlich vorlesen.«
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Der Kadi, der wahrscheinlich den Inhalt kannte, biß sich auf die Lippen, aber er konnte Nichts thun dagegen, der Brief lautete:
»Ismaël Pascha, durch die Gnade unseres Herrn, der Leuchte des Weltalls, Muschir und Begler-Beg von Bosnien und der Herzegowina.
An
Luca Oukalowitsch, den ehemaligen Knees der Nahie von Sjenitza, Kapitano der rebellischen Rajahs.
Gegeben in unserer Stadt Bilisce am 10. Tage des Monats Rebi el awwel im 1283. Jahre der Hegira.
Betraut mit dem Schwerte des Großherrn befehle ich Dir Sclave, von Deinem schändlichen Aufruhr gegen die Gebote des Lichtes der Welt abzulassen und die Waffen der im Aufstand begriffenen Rajahs bei meinem Zorn niederzulegen. Du sollst Nikschitj nicht mehr bedrängen und Brod und Fleisch frei eingehen lassen in die Stadt. So Du und Deine Kapitani binnen 3 Tagen nach Empfang dieses Befehls an die Thore von Mostar als Büßende kommt und einen Eid leistet auf den Koran und das heilige Buch Eures falschen Propheten, so soll Euch Vergebung werden und Ihr Alle Euer Haupt behalten bis auf zwei, die Euch mein Abgesandter, Mehemed Serdschek der Kadi von Konjitza, nennen wird, der beauftragt ist, Dir Luca zehntausend Piaster in gutem Gold zu zahlen für Dein Bemühen, die toll gewordenen Giaurs zu Verstande zu bringen und sie zum Gehorsam gegen den Großherrn und die Gesetze des Reichs zurückzuführen. Auch will das Licht der Welt in seiner Gnade, daß die Bestimmungen seines Hat-Humayum in Euerem Lande zur Ausführung kommen, wie es die Gesandten der Könige des Abendlandes, seiner Vasallen, an seinem hohen Thron zu Stambul von seiner Gerechtig[keit] erfleht haben, auf daß seine Unterthanen verschiedenen
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Glaubens inkünftig friedlich beisammen leben und nicht wieder der Stimme der Verleumder und Aufhetzer gegen Euren Herrn folgen mögen. Dies thue ich Ismaël Pascha Dir zu wissen, damit Ihr Euch in Eurer Thorheit nicht etwa auf falsche Gerüchte und den Beistand der Franken verlassen mögt, der bosch - Nichts - ist gegen die Macht und die Gerechtigkeit des Großherrn. Möge Allah Dich erleuchten, damit meine Abgesandten mir Deine Unterwerfung anzeigen, denn es würde meinem Herzen leid thun, über Dich und alle ferner Ungehorsamen in den drei Liva's des Fjalet von Bosnien alle Schrecken von Feuer und Schwert zu bringen, bis kein Rebell mehr die Luft dieses Landes verpestet. Denn es ist besser, keine Unterthanen zu haben als ungehorsame. Ich habe gesprochen.«
»Und Du hast gelesen Pope! und Ihr habt gehört, was Euch bevorsteht Brüder, wenn Ihr so hartköpfig seid, dem süßen Lispeln des Osmanli nicht wiederum trauen und lieber die Ehre Eurer Weiber und Töchter, das Korn, das Euer Schweiß dem Boden abgerungen, die Hütte, die Euer Haupt gegen Sturm und Schnee deckt, und Euern alten Glauben bewahren zu wollen mit der Kraft Eurer Faust und dem Blut Eurer Herzen! Ist der Brief des Muschir zu Ende?« frug des Knees.
»Er ist es!«
»So bleibt uns nur noch Eins zu wissen, ehe wir gleich den verachteten Juden Buße thun in Sack und Asche, unsere Flinten und Säbel zerbrechen und mit dem Strick um den Hals zu dem Thore von Mostar pilgern, um die Füße unserer alten Herrn zu lecken. Das ist, welche Zwei es sind, die der Muschir ausnimmt von seiner Gnade, auf daß wir sie gebunden vor ihn legen, damit
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er ihre Häupter zur Warnung auf die Zinnen seiner Mauern pflanze! Sprich Moslem: wer sind die beiden Männer, die der Muschir ausnimmt von seiner unermeßlichen Gnade? Da er mich mit zehntausend Piaster gekauft hat, kann der Kopf des Luca Oukalowitsch schwerlich darunter sein, welchen Ruhm es ihm auch bringen würde!«
»Du redest Dich selbst um Deinen Kopf, Christ,« sagte finster der Kadi. »Es sind die Mörder so vieler Gläubigen, deren Blut um Rache schreit. Es ist der Mann, der sich den Bären der Herzegowina nennt, und sein Genosse: Iwo der Blutige. Liefere sie aus, und die Gnade des Großherrn wird Dich groß machen!«
Ein tobendes Geschrei des Unwillens, verstärkt durch das Zusammenschlagen der Waffen, folgte dem Verlangen des Türken und zeigte die Gesinnung der Versammlung.
Wieder winkte der Knees und abermals legten sich die brausenden Wogen der erregten Leidenschaft.
»Kadi Serdschek,« sprach der Knees. »Hast Du die zehntausend Piaster bei Dir?«
»Hassan mein Sclave führt den Beutel mit Gold an dem Sattelknopf seines Rosses! Du sollst sie zur Stelle haben, da Du als wackerer Mann sie nicht heimlich in Deinen Kasten schließen willst - der Muschir wird andere Wege wissen, Dir zu vergelten!«
»Wohlan so höre die Antwort des Luca Oukalowitsch, des Kneesen, den die freien Rajahs der Herzegowina zu ihrem Waffenherrn erwählt haben. Sage dem Muschir, wenn er das Geld, das er mir schmachvoll geboten,
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verzehnfacht den Wittwen und Waisen der fünf Dörfer giebt, die seine schändlichen Horden niedergebrannt und zerstört haben! wenn er seinen Nizam binnen drei Tagen aus den Gränzen von Bosnien führt; wenn er uns zur Sühne den Kopf des Pascha Wusseïn schickt, der die Kinder seines eigenen Vaterlandes von den Eberzähnen der Schipetaren zerfleischen ließ, und der Großherr auf den Koran und die Bibel schwört, daß niemals ein türkischer Soldat sie je wieder überschreitet, dann soll Frieden sein zwischen mir und seinem Wesser. Bis dahin, Kadi, Krieg gegen unsere Tyrannen, Krieg bis aufs Heft des Messers und die letzte Kugel in unsern Flinten: so, Kadi, habe ich, Luca der Rajah, es geschworen!«
Ein stürmischer Beifallsruf bekundete die Zustimmung der ganzen Versammlung, und während desselben hatten die Abgesandten sich von ihren Kissen erhoben.
»Unser Wort ist heilig,« sagte der Abt - »Freunde, diese Männer müssen ungekränkt durch unsere Wachen und zu den Ihren entlassen werden. Ich selbst werde sie begleiten.«
»Noch ein Wort Christ,« sagte der Mir Alai, der bisher ein stolzes Schweigen beobachtet hatte, unterwegs zu dem Abt.
»Sprich!«
»Ich hörte, daß viele Rajah-Frauen und Mädchen in Dein Kloster geflüchtet sind?«
»So ist es!«
»Ich sah, daß die Kula der Grahowen unterhalb
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dieses Berges, eine Stunde nach Morgen leer steht. Sind die Bewohner derselben unter den Flüchtlingen?«
»Sie sind es!«
»Alle?«
»Alle, die der Flucht bedurften! Warum fragst Du?«
»Alter Mann, Dein Haar ist weiß und Du bist ein Derwisch der Christen, die von der Liebesglut, welche wie das Feuer der Vulkane durch die Adern der Jugend rollt, Nichts wissen. Ali ist jung noch und er liebt das Mädchen aus jener Kula. Er möchte sie sehen und ihren Eltern den Kaufpreis dafür zahlen. - Ali ist reich und sein Vater Savfet Pascha sitzt im Divan, im Rathe des Großherrn.«
»Weißt Du nicht Moslem,« sagte finster der Greis, »daß die Christen ihre Töchter nicht in die Harems der Moslems verkaufen?«
»Du redest Koth, Christ, obschon Dein Haar weiß ist,« sagte verächtlich der Moslem. »Savfet meinte, Du würdest andere Dinge gesehn haben, als den Kauf eines Rajah-Mädchens. Geh' auf den Bazar in Stambul und Adrianopel, und Du wirst mehr als ein Christen-Mädchen sehn, das ihre Eltern und Brüder mit Freuden für blankes Silber dem Harem des Moslem gegeben haben. Ich war zwei Jahre im Abendlande bei den Christen, in Wien und Paris und kenne ihre Gebräuche. Oder verkaufen dort die Armen nicht auch ihre Töchter zu Sclavendiensten an die Reichen? Nur daß der Muselmann die zu seinem Dienst gekauften Weiber besser behandelt, als die, welche an den Gekreuzigten glauben und sich besser dünken als die ungebildetern Osmanlis.«
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Der Abt hatte zu viel im Leben erfahren und beobachtet, um nicht die Wahrheit des Vorwurfs anzuerkennen. »Das Mädchen,« sagte er, »ist dennoch zu gut, um zu bloßer Sinnenlust ein Gegenstand des Kaufs zu sein. Aber Du sollst sie sehen und aus ihrem eigenen Munde hören, daß sie eine echte Tochter ihres Volkes ist; denn Du sollst nicht ohne Antwortschreiben zu dem Wessir zurückkehren, Mir Alai!« Er wandte sich zu dem Novizen, der auf seinen Wink sie begleitet hatte. »Rufe Deine Schwester hierher!«
Der Klosterschüler eilte davon und bald darauf führte er das Mädchen herbei. Als sie den jungen türkischen Offizier erblickte, erröthete sie tief in der Erinnerung des Versuchs, den er gemacht hatte, sie gewaltsam aus dem Hause ihrer Eltern zu rauben. Liegt es doch in der Natur der Frauen, welches Namens und Glaubens sie auch sein mögen, hinter der Brutalität der Sinne, hinter jeder Gewaltthat, die ihnen gilt, eine ihre Eitelkeit und ihre Gedanken befriedigende Ursach - die Liebe! zu sehen.
Der Abt betrachtete mit seiner gewöhnlichen strengen Miene das junge Paar. »Ali Savfet, der Mir Alai des Großherrn,« sagte er, »frägt nach der Sitte seiner Väter um den Kaufpreis des Rajah-Mädchens. Soll ich ihn an Petros Deinen Vater damit verweisen? Er ist ein armer Mann und liebt leider das Geld mehr, als seinem Seelenheil gut ist!«
»Heilige Jungfrau - er wird nicht das Blut seines eigenen Kindes verkaufen! Geh' Moslem - ich konnte Dir verzeihen, daß Du die Rajah-Jungfrau rauben wolltest
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- aber niemals, daß Du das freie Christen-Mädchen zu kaufen denkst. Lieber den Tod, als die Entwürdigung.«
»Hüte Dich Rajah-Dirne!« sagte hart der Moslem. »Weißt Du, daß Savfet Macht genug hat, Deinen Stolz zu beugen und Dich schlechter zu machen als die schlechteste Jüdin, ein Wort von mir und Du, die ich zu meiner Khanum machen wollte, magst die Beute der Bozuks und Golatschanen werden! zu niedrig, daß der geringste Arabadschi Dich zum Weibe begehrt!«
»Thue Dein Schlimmstes Moslem,« rief die Jungfrau - »ich sehe, ich habe Dich für besser gehalten als Du bist. Niedrig denkt der Türke vom Weibe, das den Sohn Gottes geboren, und darum wird untergehn das Geschlecht der Osmanli; denn Gott hat Weib und Mann geschaffen, daß Eines am Andern erstarke, und der Mann, der sein Weib nicht ehrt, ist schlimmer als das Thier des Waldes und der Vogel in der Luft. Gehe hin zu den Söhnen der schwarzen Gebirge und lerne an dem Rauhesten von ihnen, daß das Weib die Gefährtin des Tapferen und Edlen sein soll, nicht das Spiel seiner Lüste! Sende Deine Räuber und Mörder - mein Glauben lehrt mich zu sterben!«
»Deine Gefährten werden ungeduldig, edler Aga,« sagte mit Hohn der Abt - »es ist besser für Deinen Ruf, daß Du das Weib, das Du begehrst, nach der Sitte der Begs, Deiner Väter freist, mit Schild und Speer, als mit dem Gelde der Wechsler. Wenn Du ein Junak bist, so hole sie - der Higumenos wird sie für Deine Boten bewahren. Nimm diesen Brief aus den Händen
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einer bosnischen Jungfrau für Deinen Gebieter den Muschir und möge damit unser Aller Schicksal sich erfüllen; denn die Zeit ist gekommen, daß Gerechtigkeit geübt werde zwischen Herrn und Sclaven, zwischen Christ und Muselmann!« -
Er legte in die Hand des Mädchens den sorgfältig in ein Seidentuch geschlagenen und mit Schnüren umbundenen Brief, den ihm der blutige Iwo in der Nacht vorher gebracht, und an dessen Wiederbesitz dem Pascha Wusseïn so viel gelegen gewesen, und hieß sie, ihn dem Offizier des Islam gegen das Gelöbniß, ihn sofort dem Muschir auszuhändigen, zu geben. Ihre Hände berührten sich, als es geschah, und ein reinerer besserer Geist, der Geist jener Ritterlichkeit, der einst die Mauren von Granada mit den Franken um die Schönheit und Liebe edler Frauen kämpfen ließ, der die Krieger des Morgenlandes in die Schranken rief gegen die eisengepanzerten Helden der Kreuzfahrer und die Ritter des löwenherzigen Richard - schien den jungen Osmanli zu überkommen. »Bei Allah und dem Propheten,« sagte er - »Du hast das Herz Ali's gewonnen, Mädchen! Bewahre sie mir, Priester, zu Deinem eigenen Heil, - denn ich werde sie von Dir fordern, ehe der Mond zum dritten Mal Dein Kloster bescheint!«
Im nächsten Augenblick hatte er sich auf sein feuriges Roß geschwungen und sprengte seinen Gefährten nach, der Higumenos aber schaute finster hinter ihm drein. »Thörichter Knabe,« murmelte er, »Du selbst glaubst an das Kismet und wähnst doch das Schicksal wenden zu können nach Deinem Willen. Ich müßte schlecht den Mann kennen,
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dessen Verhängniß Du mit Dir trägst auf eilendem Roß, wenn er warten würde, bis Du Deinen trägen Nizam auf die Beine gebracht, das Weib Deines Herzens Dir zu holen aus dem Hause des Rächers!«
Und raschen Schrittes ging er zurück zu dem Kastanienbaum, wo die Führer beriethen, was geschehen solle.
»Was meint der hochwürdige Higumenos, das zunächst geschehen muß auf die hochmüthige Botschaft des Muschir?«
»Ihm selber die Antwort bringen an die Thore von Trebinje, noch ehe die Sonne wieder die Kuppeln ihrer Minarets vergoldet.«
Allgemeine Zustimmung folgte dem kühnen Rath, und sofort wurde beschlossen, daß die noch disponible Streiterzahl der Rajah sich theilen und der größere Theil gegen Mostar sich wenden, eine geringere Zahl aber der Schaar, welche Nikschitj belagerte, zu Hilfe eilen sollte, um die neue Verproviantirung zu verhindern.
Nach einer weiteren Vereinigung sollte der Luca die Führung des Angriffs gegen Trebinje, zunächst gegen Ficebo, übernehmen, das kaum einen Tagemarsch von dem Kloster entfernt liegt; der Häuptling aber, welcher der Bär der Herzegowina vom Volke genannt wurde und wegen seiner Kühnheit und Tapferkeit bei diesem großes Vertrauen genoß, trotz des geheimnißvollen Dunkels, mit dem er seine Person zu umgeben verstand, so daß nur der Abt seinen Namen und Aufenthalt kannte, wenn er rechtzeitig erschiene, den Ueberfall des Provianttransports für die bedrängte Festung leiten. Der von dem Montenegriner bezeichnete
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Paß, durch welchen der auf 80 Pferde geschätzte Zug auf der Straße durch Montenegro wieder auf bosnisches Gebiet treten sollte, lag nicht weiter als Trebinje von dem Kloster entfernt und war daher noch bei Zeiten zu erreichen. Der Abt übernahm es, dem Häuptling sofort Botschaft zu senden, damit er die zum Ueberfall bestimmte Schaar an geeignetem Punkte treffen möge, Iwo dagegen sollte im Kloster zurückbleiben, um mit den Männern, die dahin geflüchtet, die Weiber und Kinder zu vertheidigen.
Es war nun Alles Leben und Eifer, denn der Abmarsch mußte mit sinkender Sonne geschehen. Boten wurden nach allen Seiten gesandt, um Verstärkungen und Zuzug aufzubieten, und jetzt zeigte es sich, daß das Kloster des heiligen Basilius nicht allein der Ort der Berathungen der aufständischen Rajahs, sondern auch ihr Hauptwaffenplatz war; denn auf den Befehl des Abtes wurden jetzt die Gewölbe der Kirche geöffnet und Waffen aller Art, Pulver und Blei an die Krieger vertheilt, und selbst ein kleines Berggeschütz, leicht durch Pferde oder Menschen transportirbar, kam zum Vorschein und wurde der Abtheilung des Luca überwiesen. Gedörrtes Mehl und Fleisch und der nie fehlende Slibowitza bildeten den Proviant der Ausziehenden, und als die Sonne noch die Gipfel des Küstengebirges berührte, standen schon die beiden Schaaren fertig gerüstet und zum Abmarsch bereit, und in der kleinen, von schweren Quadern massiv gebauten Kirche lagen die Weiber und Kinder auf den Knieen im Gebet für ihre ausziehenden Verwandten.
Während eine fast fieberische Thätigkeit den Higumenos
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zu beseelen und er sich zu verdoppeln schien, hatte der russische Offizier mit einer gewissen Unruhe alle diese Anstalten beobachtet, doch begnügte er sich damit hin und wieder einen Rath zu ertheilen, bis der Abt endlich zu ihm trat.
»Und welchen Entschluß hat Major Tschernajeff gefaßt, da er es verschmähte, mit den Boten nach Ragusa oder mit dem Abgesandten des Wessirs zu den Konsuls nach Mostar zu gehen? Der Agent des Franken-Konsuls ist im Begriffe nach Cettinje zurückzukehren.«
»Sie wissen, hochwürdiger Herr, daß ich hierher gekommen bin, Land und Vorgänge zu beobachten, nicht bei der ersten Gefahr mich furchtsam zurückzuziehen. Ich bleibe.«
»So wollen Sie im Kloster verweilen oder haben Sie Lust, eine dieser Schaaren zu begleiten? Gefahr ist überall.«
»Ich muß gestehen,« sagte der Offizier, »ich hätte große Lust zu dem Letzteren; denn ich möchte mich überzeugen, ob diese Männer so tapfer zu fechten verstehen, wie ihre Begeisterung es verheißt, und wie ihre Fechtart ist. Nur möchte ich volle Neutralität dabei beobachten und mich in keiner Weise avanciren, wenn es nicht etwa« - fügte er lächelnd bei - »die Vertheidigung meiner eigenen Person erheischt.«
Der Abt sann einige Augenblicke nach. »Es ließe sich wohl bei beiden Expeditionen Ihr Wunsch erfüllen, doch welche würden Sie vorziehen?«
»Jedenfalls die der Aufhebung des Provianttransportes,
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sie wird der freieste und eigenthümlichste Kampf sein, und - wenn ich es Ihnen gestehen soll - ich wünschte, die Bekanntschaft des Bären der Herzegowina zu machen.«
»Wohlan, es sei! Ich werde Ihnen den Knaben Nikita mitgeben, der Sie schon einmal begleitet hat. Er wird Sie zu dem Manne führen, den das Volk den Bären nennt, vielleicht wegen der Kraft seiner Hand oder weil er sich fern hält von seinen Mitkämpfern, wie der Bär der Wildniß allein auf seinen Raub ausgeht. Sehen Sie nach Ihren Waffen und Ihrer warmen Decke für den Nachtfrost; denn die Morgen sind noch immer kalt im Gebirge. Ich werde dafür sorgen, daß eines der kleinen Bergpferde für Sie bereit ist, denn die Wanderung auf den ungebahnten Pfaden unserer Berge würde zu ungewohnt für Sie sein, und Sie dürfen sich unbedingt der Sicherheit des Thieres vertrauen. Nur müssen Sie mir das Versprechen geben, ohne zu fragen oder zu deuteln, allen Anordnungen des Bären Gehorsam zu leisten.«
»Ich bin Soldat und gebe mein Wort. Ich werde doch Gelegenheit haben, hierher zurückzukehren, wenn nicht etwa eine verirrte Kugel mir den Weg und jeden weiteren erspart?«
»Wir werden uns wiedersehen, wackerer Moskow, und nun lassen Sie uns scheiden, denn jene Männer warten auf mich zum gemeinsamen Gebet, und ich denke, auch Ihnen wird der Segen eines alten Mannes nicht von Uebel sein. Möge er Ihnen Glück und Ruhm bringen in Ihrem ferneren Leben, denn Sie zeigten ein warmes Herz für Bosnien, mein Vaterland!«
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Er trennte sich von dem Offizier, der eilig sein Gemach aufsuchte und sein weniges Gepäck in Ordnung brachte. Als er mit dem umgeschnallten Plaid, der Jagdtasche und der kurzen Büchse ausgerüstet wieder vor der Pforte des Klosters erschien, fand er den Novizen zwei der rauhhaarigen, kleinen Bergpferde am Zügel, die so sehr den Kosakenpferden der Steppen gleichen, nur starkknochiger als diese sind, und den Abt im vollen kirchlichen Ornat, die Monstranz erhoben, während alles Volk vor dem Heiligthum nach dem Ritus der griechischen Kirche umherstand, das Gesicht nach Osten gewendet. Die vom strengen türkischen Gesetz verbotene Glocke hallte ihre feierlichen Töne durch die würzige Abendluft, während die Sänger des Klosters den 94. Psalm angestimmt hatten, den das Volk schweigend hörte. Dann erhob der Priester seine Stimme in den feierlichen Sprüchen des Bekenntnisses und Segens, und das Volk fiel ein.
Das dreimalige Zeichen des Kreuzes, das Schwenken des Weihwedels und die improvisirte Weihe der Krieger, die für so Manche die letzte sein sollte, war vorüber.
Eine Handtrommel gab das Zeichen zum Aufbruch; ein Händedruck der Krieger an die in anderer Richtung abziehenden Freunde und Leidensgenossen, eine letzte Umarmung von Weib und Kind, und dahin zogen die beiden Abtheilungen der Kämpfer des Kreuzes.
Mit einer gewissen Verwunderung hatte der Offizier bemerkt, daß Abt Michael, ehe er zurückkehrte in das kleine Gotteshaus zu der verstümmelten Bewohnerin des Thurmes der Grahowen trat, und indem er das Kreuz über sie
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machte, einen Kuß auf ihre Stirn drückte - schien doch das Weib selbst von diesem Zeichen der Theilnahme tief ergriffen, ja erschrocken und ihr Auge folgte mit dem Ausdruck des Schreckens der hohen Gestalt des Abtes. Aber der Russe fand keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn der Novize berührte ehrerbietig seinen Arm und forderte ihn auf, das Pferd zu besteigen und den Voranziehenden sich anzuschließen.


Mitternacht war vorüber - der Mond warf seine Streiflichter auf den rauhen, kaum erkennbaren Pfad des Kriegszuges durch die wilde, von weit überhängenden Felsblöcken oft ganz verdunkelte Schlucht. »Im Namen des Gekreuzigten, Halt!« Die Vordersten des Zuges standen. Petros der Hirt, der an der Spitze ging, seinen großen Schmiedehammer auf der Schulter, den breiten Gürtel mit Handjar und Pistolen gespickt, schwang seine furchtbare Waffe. »Wer bist Du - Freund oder Feind?«
»Blinder Narr! - Kennst Du den Bären nicht?« Eine hohe Gestalt trat aus dem tiefen Dunkel der Felsenwand in's helle Mondlicht - ein Murmeln der Begrüßung lief den langen in Indianer-Reihe, höchstens zwei Mann hoch wandernden Zug entlang - es war seit einer Stunde schon der strenge Befehl gegeben, jeden Lärmen, jede lautere Aeußerung zu vermeiden.
»Gegrüßt sei der Bär, der Befreier der armen Rajah der Herzegowina!« Händedrücke der Führer der einzelnen Abtheilungen wurden mit dem geheimnißvollen Häuptling
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gewechselt, im Kreise drängten sie um ihn, berichteten die getroffenen Anordnungen und empfingen kurze und bestimmte Befehle.
Der Russe vermochte nur die hohe imposante Gestalt des gefürchteten Kapitano zu sehen. Er trug die gewöhnliche Kleidung des bosnischen Bauern, aber über seine breiten Schultern hing ein mächtiges schwarzes Bärenfell und die Kopfhaut des Thieres mit dem leuchtenden weißen Gebiß bildete eine Art Kaputze oder Bashlik nach russischer Art über dem Kopf, das Gesicht fast völlig verhüllend, daß man aus ihr heraus nur den weißen wallenden Bart und die funkelnden gebietenden Augen sah, während die Klauen des Unthiers gleich den Flügeln des Bashliks um Hals und Brust gekreuzt, den seltsamen Mantelschmuck festhielten.
Der geheimnißvolle Krieger führte weder Flinte noch blanke Waffe - seine Rechte stützte sich auf eine schwere Eichenkeule, kein Schmuck, kein Abzeichen sonst deutete den Rang und die Berechtigung des Befehlenden an, aber doch hatte die Stimme, die rauh und halb gedämpft aus dem zottigen Kopfschmuck hervordrang, etwas so Gebieterisches, daß wohl Niemand in der Schaar gewagt hätte, ihrem scharfen kurzen Gebot den Gehorsam zu verweigern.
Der Novize war von seinem Klepper gestiegen, bat den Offizier, den Zügel einige Augenblicke zu nehmen und drängte sich durch den Kreis in die Nähe des hohen Mannes, dem er offenbar von seinem Begleiter berichtete. »Sage dem Moskow,« hörte der Offizier ihn antworten, »er sei willkommen und möge thun nach seinem Gewissen.
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Ich werde später mit ihm reden - die Zeit drängt und unser Weg ist noch weit. Vorwärts Brüder!«
Der seltsame Führer, seine Keule über die Schulter werfend, trat, nachdem er nochmals den Befehl vorsichtigen Schweigens wiederholt hatte, an die Spitze des Zugs neben den Sauhirten, mit dem er, während der Marsch alsbald wieder begann, ein leises Gespräch unterhielt.
Der Offizier hatte aufmerksam den rauhen Anführer beobachtet. Trotz des dumpfen Tones seiner Stimme lag seinem scharfen Ohr doch ein bekannter, schon gehörter Klang in derselben und während er darüber nachsann, ohne eine Erklärung zu finden, flüsterte er dem Novizen zu: »Dein Vater scheint bekannter mit unserem neuen Kapitain, als die anderen Leute. Vielleicht weiß er Näheres von ihm? Meinst Du nicht?«
»Der Higumenos, mein Lehrer und Gebieter,« erwiderte einfach der Knabe, »hat mich gelehrt, die Geheimnisse Anderer zu achten. Mein Vater Petros hat mehr als ein Mal an der Seite des Bären gefochten und genießt sein Vertrauen, denn der große Anführer der Rajah giebt ihm stets den gefährlichsten Posten! - Aber laß uns schweigen, Herr, denn der Bär duldet keinen Ungehorsam und wir sind bereits in dem Gebiete der schwarzen Berge.«
Der Offizier fühlte zu sehr die Richtigkeit der Bemerkung des Knaben, um ihn weiter auszuforschen und setzte schweigend den Weg fort, die Großartigkeit der wilden Scenerie bewundernd.
In der That konnte diese selbst auf ein ungebildeteres
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und ihrer gewohnteres Gemüth wohl schwerlich den Eindruck verfehlen. Selbst die wilden Klams der Alpen bieten wohl kaum etwas Aehnliches von drohendem, finsterem Charakter, als die nur selten von den Bewohnern cultivirterer, glücklicherer Länder unseres Erdtheils besuchten Schluchten und Pässe jenes noch so wenig gekannten Landes. Während unsere gelehrten Gesellschaften kostspielige Missionen nach dem nutzlosen Innern der afrikanischen Wüsten, oder zur lächerlichen Erforschung des Nordpols in die arktischen Meere senden, während die Naturforscher die Urwälder Südamerika's durchsuchen und an den unersteigbaren Höhen des Himalaya ihre Kräfte erschöpfen, oder gar im Innern Borneo's oder an den Quellen des Niger neue Menschenarten in Affengeschlechtern zu entdecken streben, bietet ihnen die Balkan-Halbinsel doch noch so reichen Stoff, so viele Pflichten der Entdeckung und Erforschung, der Cultivirung und all' jener Segnungen, welche Schulgesetze und parlamentarische Rechte nach der Lehre unserer politischen Professoren zur Verbesserung des Menschengeschlechtes ihren unterdrückten Mitbürgern bringen müssen, damit endlich die erhabene Aera des Nichts, der Philosophie und des Darwinismus ein Gemeingut werden!
Aber das ist eben auch die edle Humanität der Damen-Bazare und christlichen Missionen, daß sie für die Hottentotten am Cap Strümpfe strickt, und die unanständige Jugend der Fidschi-Inseln mit Unterröcken und Beinkleidern moralisch macht, statt der Noth und dem Elend,
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wie sie an hundert Opfer-Altären zum Himmel steigt, ein lohnendes Stück Erwerbes zu geben!


In hundert Katarakten brausen die Gebirgswässer über die Felsen, himmelhohe Fichten und Tannen heften sich in wunderbarster Weise an und in das Gestein, und riesige Eichen und Birken wuchern an den Ufern im Thale.
Nieder bewegte sich jetzt der Zug, der sich bisher an den mächtigen Berglehnen auf der Höhe hingewunden, und stieg niederwärts, wo die Felsen in Wänden und Zacken emporwuchsen und jeden Schritt gefährlich machten, oder tiefe Schluchten sich wieder öffneten - dann hinauf in die Berge der Tschernagora!
Der russische Offizier und die Wenigen, die mit den kleinen Bergpferden beritten gewesen, hatten längst den Sattel verlassen und ihre Thiere am Zügel geführt, da der Pfad an den Felsen viel zu gefährlich durch den Niedergang des Mondes geworden war, um ohne dessen Licht sitzen zu bleiben; einer der Krieger hatte die Leitung des Pferdes des Russen übernommen und ehe dieser es bemerkt, stand der Führer des Zuges jetzt an seiner Seite.
»Sei gegrüßt, edler Moskow,« sagte der Capitano. »In fünf Minuten sind wir am Ort unseres Hinterhalts. Nach dem Wunsche Michaels des Higumenos wirst Du nur ein Zuschauer des Gefechts bleiben, statt Dein eigenes Schwert zu ziehen für die Befreiung der Unterdrückten?«
»Höhere Rücksichten zwingen meinen Wunsch. Sei überzeugt, tapferer Capitano, daß, wenn mir einst die
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Verhältnisse erlauben sollten, offen für die Christen der Donau-Provinzen, meine Glaubensgenossen, einzutreten, ich nicht zögern werde, auch mit meinem Säbel offen ihre Sache zu führen gegen den Halbmond.«
»Du hast Recht - der Kluge wartet seiner Zeit. Ich will Dich an einen Ort führen, der Dir erlauben wird, unsere geringen Anstalten, wie sie nicht hohe Kriegskunst, sondern das einfache Gebot der Klugheit und die Erfahrung in solchen Kämpfen der Schwachen gegen den Starken uns gelehrt hat, so wie den Kampf selbst zu sehen, und wie der Rajah zu fechten und zu sterben versteht für sein Land, so rauh und armselig es Dir auch erscheinen mag. Von der Stelle, zu der ich Dich führen werde, wird es Dir leicht sein, Alles zu übersehen und Dein Pferd zu erreichen, wenn die Panagia uns nicht gnädig ist und wir unterliegen. Der Knabe wird an Deiner Seite bleiben, denn das Gebot der Kirche2 verbietet ihm ohnehin, mit der Waffe zu tödten; Du kannst Dich unbedingt seiner Führung überlassen, wie auf dem Wege hierher. Und nun muß ich Dich verlassen, denn es ist nicht das erste Mal, daß in diesem Paß gefochten worden und das Blut der Christen und Muselmänner in Strömen geflossen ist, als die Wessirs des Sultans und selbst die Begs auf diesem Wege einzudringen suchten in das Land freier Männer, der Söhne der schwarzen Berge, zuletzt Omer Pascha der Sirdar, der kommt, seine alten
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Niederlagen zu rächen! Auch die Moslems sind klüger geworden und vertrauen nicht mehr, wie thörichte Knaben, auf ihre Zahl.«
»Noch eine Frage ehe Du gehst, Deine Pflichten zu erfüllen, tapferer Capitano - wie nennt Ihr diesen Paß und das Feld?«
»Es ist der Paß von Ostrog, im Bezirk der Katunska Nahia,« sagte der Häuptling, auf ein natürliches Felsenthor deutend. »Ich bitte Dich, folge mir, denn wir haben kaum noch eine Stunde bis zur Dämmerung und zum Anbruch des Tages!«
Der Capitano ging voran und führte den Offizier in ein wahres Labyrinth von gewaltigen Felsmassen und mit Gesträuch und mächtigen Fichten umwachsenen Steinblöcken. Nur die genaueste Ortskenntniß konnte ihm erlauben, bei dem matten Licht, das der bereits hinter die Berge im Westen getauchte Mond noch am Himmel verbreitete, sich hier zurecht zu finden. Mehrfach trafen sie bereits ausgestellte Wachen, oder begegneten kleinen Abtheilungen von drei bis vier Mann, die dem Capitano kurz und flüsternd berichteten und ebenso neue Weisungen erhielten. Nur einmal verstand der Offizier Frage und Antwort, während er zugleich in einiger Entfernung ein Geräusch wie das Knirschen einer Säge hörte.
»Habt Ihr die Blöcke gewählt?«
»Ein einziger wird diesmal genügen, es ist der Fels, den die Leute die Kralle Scheitans nennen, groß und schwer genug, um selbst die Pforte der Hölle zu sperren.«
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»Aber er liegt wohl seit tausend Jahren auf seinem Steinbette und die Winter von vielen hundert Jahren sind spurlos an seiner Festigkeit vorüber gegangen.«
»Bei dem heiligen Theodosius, meinem Schutzpatron, Capitano, Du kannst Dich auf mich verlassen, meine Hütte steht keine halbe Stunde weit von hier im Gebirge, und ich ernähre mich und mein Weib davon, die Saumthiere und die Reisenden nach Ostrog, zur Veste Spusch und bis Podgoritza durch die Schluchten zu führen, damit sie den Musselims nicht Steuern zu entrichten brauchen. Die schweren Regengüsse des Winters haben die Wurzeln der großen Fichte gelockert, die unter dem Block hin sich strecken, und was Menschenhände nicht vermocht hätten, hat die Hand Gottes durch die einfachen Wurzeln eines Baumes gethan - der Fels ist so locker, daß es nur einer starken Erschütterung noch bedarf, ihn in die Schlucht zu stürzen. Es wird die Arbeit mancher Woche fordern, den Weg wieder gangbar zu machen für die Reiter!«
»Und Du meinst, daß die Patrone genügen wird, den Block zu heben und in's Rollen zu bringen?«
»Ich habe sie zwischen den Stein und seine Unterlage gelegt, wie Du mich hießest. Ihre Explosion würde ein Haus in die Luft sprengen. Es ist merkwürdig, daß ein Wenig Baumwolle eine solche Wirkung hat. Es ist ja wohl eine jener teuflischen Erfindungen der Schwabi?«
»Ich sah sie von den Oesterreichern in Ragusa brauchen. Jetzt bleibt nur noch, daß Du das Zeichen richtig beachtest - verstehe mich wohl, erst wenn das letzte Pferd die Stelle unter dem Felsen passirt ist. Ich hoffe,
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es soll ein Tag werden, wie jener, den die Sven Oslobod3 besingt. Auf Deinen Posten, Mann. -«
Das waren die Worte, die der russische Offizier gehört, und sie genügten, ihn Furchtbares erwarten zu lassen.
Der Platz, an welchem der Anführer jetzt hielt, war in der That ein gut gewählter. Erst als er darauf aufmerksam gemacht wurde, gewahrte der Offizier, daß die Felsenwand zu seinen Füßen jäh in die Tiefe schoß, eine etwa zwanzig Fuß breite Schlucht bildend, während sie auf der andern Seite eben so schroff wieder in die Höhe stieg. Beide Ränder der Schlucht waren von Gebüsch und Bäumen besetzt und hinter dem Stamm eines solchen konnte der Russe sich bequem lagern und ungesehen die ganze Tiefe überblicken, die etwa vierzig bis fünfzig Fuß betrug. An dem dunkelen Grunde konnte der Offizier den weiteren Lauf der Straße verfolgen und ein für Terrainkenntnisse geübtes Auge bemerkte zugleich, daß in einiger Entfernung die zusammentretenden Felsen einen noch engeren Durchgang, das bereits vorhin erwähnte Felsenthor bildeten, mit welchem dann der gefährliche Paß endete und der Weg bergabwärts in eine für die Passage bequeme Lichtung trat.
»Jetzt, Major, leben Sie wohl, verlassen Sie Ihren Posten nicht ohne die höchste Noth, und wenn Sie keinen
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Schuß für die Rajah thun wollen, so schlagen Sie doch ein Kreuz für unseren Sieg!«
Mit den Worten war der Mann verschwunden und der Offizier versuchte so gut als möglich sich hinter dem Stamm der Fichte einzurichten. Eine Zeit lang war er allein, dann bemerkte er, daß der Knabe Nikita zu ihm schlich, jedoch nur durch Zeichen seine Anwesenheit zu erkennen gab, denn bereits sah man durch die Wipfel der Bäume den Tag dämmern.
So mochten sie fast eine Stunde schweigend und beobachtend gelegen haben, während das Tageslicht immer mehr hervortrat, obschon die Sonne noch nicht aufgegangen war. Der Offizier hatte jetzt Gelegenheit, sich mit dem Terrain besser vertraut zu machen und begriff, daß die Stellung der Rajahs, wenn es ihnen gelang, die Vedetten oder Spürer der türkischen Colonne zu tauschen, nicht besser gewählt sein konnte. Mit seinem Feldstecher übersah er das ganze Terrain des voraussichtlichen Kampfes und bemerkte, daß es bei einem Ueberfall den Angegriffenen unmöglich sein würde, rechts oder links an den Wänden der Schlucht emporzuklimmen und sich so zu retten.
Endlich vernahm sein scharfes Ohr in der Ferne einen Ton, wie das Locken des wilden Auerhahns, das sich an dem Rande der Schlucht fortzupflanzen schien bis zum Ausgang derselben. Dann folgte wieder tiefes Schweigen, bis nach etwa zehn Minuten der rasche Trab zweier Pferde sich hören ließ, durch das Aufschlagen der Hufe auf den harten Steinboden schon in der Entfernung erkennbar. Der Klang kam rasch näher, jetzt war er fast
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unter ihnen, und ob die Tiefe der Schlucht zwar noch immer im Zwielicht lag, erkannte der Offizier doch leicht, als er vorsichtig hinter dem Stamm der Fichte hinablugte, die Gestalten zweier türkischen Reiter. Die langen, schlanken Lanzen, die sie führten, belehrten ihn, daß es albanesische Spahis waren.
Sie hielten an dieser Stelle, blickten umher und der Eine von ihnen ritt vorsichtig sich umschauend und fast jeden Stein der Schlucht prüfend langsam auf das Felsenthor zu und durch dasselbe hindurch.
Nichts rührte sich weiter umher, bis nach einiger Zeit der Spürer in gleicher Weise zurückkehrte und bei seinem Gefährten hielt.
»Der Prophet ist mit uns - die Augen und die Ohren der Giaurs sind geschlossen und wir haben Nichts mehr zu besorgen. Ich habe Alles genau geprüft, wenn die Sonne über den Horizont tritt, wird man jenseits dieses von den Dämonen Scheitans gemachten Weges die Minarets von Nikschitj sehen können. Ich will hoffen, Mahmud Pascha hält seine Augen offen. Reite zurück, Ibrahim, zu dem Aga und verkünde ihm, daß der Zug den Weg passiren kann, da Alles sicher ist, indeß ich nach vorne gehe und auf dem nächsten Hügel die Rauchsäule steigen lasse, die den Brüdern in Nikschitj verkünden soll, den Ausfall auf diese Ungläubigen zu beginnen. Allah hat unser Unternehmen gesegnet. Ich hätte kaum gedacht, daß diese Hunde von Czernagorzen sich treu ihrem Versprechen beweisen würden!«
Die Stille in der Wildniß war so groß, daß man
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jedes Wort der Unterredung deutlich hatte hören können. Der zweite Reiter jedoch, statt davon zu sprengen, deutete nach Osten, wo eben die ersten Sonnenstrahlen über den Höhen die Föhren und die Bergspitzen vergoldeten. »Der Aga möge noch einen Augenblick verziehen,« sagte er, »es ist Zeit zum Gebet!«
Damit stiegen die beiden Reiter von den Rossen, knieten auf den Felsboden, das Gesicht nach Mekka gewandt und verrichteten ihr kurzes Morgengebet.
Der Offizier war von der einfachen Handlung tief ergriffen - wenn er auch nur ein unthätiger Zuschauer der kommenden Scene sein sollte, der Gedanke, daß in wenigen Augenblicken diese beiden Krieger, die nichts Schlimmes ahnten, vor diesem Gott stehen sollten, zu dem sie eben vertrauend ihre Seele erhoben hatten, lastete drückend auf der seinen. Ob Allah - ob Gott - es war dasselbe allmächtige und allgütige Wesen, zu welchem wir Alle beten, während wir doch jeden Augenblick bereit sind, den Bruder, den uns die Güte dieses Gottes gegeben, zu zerfleischen.
Erst der Galopp des zurücksprengenden Kriegers weckte den Major aus dieser Betrachtung.
Langsam hatte der andere Albanese seinen Weg wieder gegen das Thor fortgesetzt, - jetzt mußte er es überschritten haben und im Freien sein - im Freien, wo die Geschwindigkeit seines Pferdes bei einem Ueberfall ihn doch noch retten konnte! Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte der Russe, das Haupt erhoben, nach jener Seite
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hin; mit Hilfe seines Glases konnte er die Gestalt des Reiters sogar noch sehen -
Kein Schuß fiel -
Aber plötzlich schwankte der Reiter einen Augenblick und stürzte, wie vom Blitz getroffen, schwer zu Boden!
Nur einen dunkelen Punkt hatte der Offizier die Luft durchschneiden sehen - der Schimmel des Albanesen bäumte, und wollte wiehernd davon sprengen, aber wenige Schritte und starke Hände faßten seine Zügel.
Der Knabe mit seinen gesunden Augen hatte schärfer gesehen, als selbst das Glas des Offiziers.
»Der Vater hat den Hammer geschleudert,« sagte er leise, »er trifft auf zwanzig Schritte das Ei - er hat ihm den Kopf zerschmettert - Gott möge seiner Seele gnädig sein, wenn er auch ein Moslem war!«
Es war in der That so geschehen, wie der Knabe sagte, - die furchtbare Waffe aus dem Hinterhalte mit tödtlicher Sicherheit geschleudert worden; - ein Schuß mit seinem Echo zwischen diesen Felsenwänden hätte sie ja verrathen müssen und alle bisherige Vorsicht umsonst gemacht!
Nur wenige Augenblicke und das Pferd und die Männer, die es gefaßt jenseits des Felsenthores, waren wieder verschwunden in ihre Verstecke - von der anderen Seite her, noch aus der Ferne, aber näher und näher kommend, hörte man das Geräusch der Colonne, welche den rettenden Proviant zur bedrängten Festung brachte.
Noch eine Weile, dann zeigte das Glas des Russen die Spitze - sechs Nizamreiter - voran der Führer des
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Zugs, ein wohlbeleibter Aga, neben ihm der Späher, - dann eine kleine Abtheilung Fußsoldaten, dahinter die schwer bepackten Saumrosse mit ihren Führern - die Breite der Schlucht erlaubte nicht, daß sie zu Dreien und mehr herankamen - dahinter wieder ganz in der Ferne die Lanzen albanesischer Irregulären.
Mit Lärmen und Schwatzen - die Pferde schnaubend unter ihrer Last, die Führer, den einfachen Singsang ihrer Nation plärrend, kam der Zug heran, die ganze Breite des Passes füllend - schon hatten die vordersten Reiter das Felsenthor erreicht und wollten es überschreiten - der russische Offizier sah nur noch, wie zwei hohe dunkele Gestalten plötzlich wie aus der Erde gestiegen sich vor den Reitern erhoben und ihnen den Ausgang sperrten - grimmes Geschrei - nieder auf die Köpfe der vordersten Pferde schwang zermalmend Petros den Hammer, der Anführer die furchtbare Eichenkeule - Schüsse knallten, Angst- und Schmerzenslaute ... »Allah schütze uns! Der Bär! Der Bär!« Der Führer der Escorte, der Aga an der Spitze des Zuges, war ein wohlerfahrener tapferer Soldat - er hatte die Schlachten an der Donau und die des Krimkrieges mitgefochten - vielleicht in zehn Ländern das blutige Kriegshandwerk getrieben. Sein Roß war zwar unter dem Keulenschlage des Rajahhäuptlmgs gestürzt, der Aga aber glücklich, das Pistol in der Hand, auf die Beine gekommen. Statt es auf den Feind zu richten, von dem das im Todeskampf schlagende Pferd ihn trennte - richtete er die Mündung auf den Albanesen, den Späher.
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»Verflucht seist Du, verrätherischer Hund!«
Der Schuß knallte unter den zwanzig anderen, die sich jetzt von allen Seiten aus den Büschen auf der Höhe der Felsenwände, zwischen Blöcken und Steinen her auf die Ueberfallenen richteten - wer frug da nach dem zu unvorsichtigen Späher ...
»Im Namen Allah's - haltet zusammen Ihr Gläubigen! Wendet die Pferde - zurück, zurück - hierher Soldaten -«
Ein gewaltiger Knall, wie eine Salve von hundert Schüssen zu gleicher Zeit - ein Krachen und Brechen - Staub und Steinsplitter füllten die Luft bis zur Stelle hin, wo auf der Höhe der Wand vor der gewaltigen Erschütterung der russische Offizier sich am Stamme der wankenden Fichte festhielt - der Novize am Boden lag ...
Ein Geheul wie von einer Schaar Verdammter - und sie waren ja verdammt, verdammt zum wehrlosen unrühmlichen Tode - übertäubte den Knall der Schüsse, das Klingen der blanken Waffen - »Allah! Allah! - Wir sind verrathen, die Schwarzen haben den Eingang der Schlucht versperrt! Fluch über den Verrath!« - Die Pferde schnaubten und schlugen - viele bluteten unter den verirrten Kugeln der Schützen - den Säbel zwischen den Zähnen suchten die Führer der Lastthiere die Wände der Schlucht zu erklimmen, bis ein Schuß oder ein Hieb sie todt oder verwundet in den Grund zurückwarf. Andere, und sie waren die Klügsten und Glücklichsten, suchten durch den Staub der noch rauchenden
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Felsentrümmer zurückklimmend, Pferde und Ladung im Stich lassend, den Eingang des Passes wieder zu erreichen und Vielen gelang die Flucht - vorn aber wüthete die Schlacht in unbezähmbarer Wuth. Wo die Keule des Bären niederfiel, schlug sie Mann oder Roß zu Boden - wo der Hammer des Schmiedes, des Sauhirten traf, tödtete er ein Leben. Nicht mehr die Beiden allein wehrten jetzt den Ausgang, wen der strenge Befehl nicht auf der Höhe der Felswand festhielt, um von dort den gehaßten Feind zu erlegen, stellte sich ihm im Ausgang mit der blanken Waffe entgegen.
Aber auch die Türken fochten tapfer. - Was ist der Tod dem Muselmann, wenn sein Kismet! - und vollends, wenn erst seine Leidenschaft, seine Blutgier erregt ist! Der verachtete Rajah sollte die Krieger des Padischah überwinden? Die Unterdrückten und Geduldigen, die bisher der Schemmel ihrer Füße gewesen waren, - jetzt ihre Herren - ihre Sieger? - Keine Gnade! Wieder und wieder stürmte der Aga, der alte Soldat mit seinen Tapferen gegen den Ausgang, und wieder wurden all seine Anstrengungen zurückgeworfen. Jetzt war er im Handgemeng mit Petros dem Hirten, mit Petros dem Schmied! Ein furchtbarer Schlag des wuchtigen Hammers zersplitterte den Damascener Stahl des Säbels - wieder hob sich die gewaltige Faust des Rajah - da trafen die Revolverkugeln des Aga ein und zwei Mal die unbeschützte Brust des Schmieds - aber noch im Fallen schleuderte dieser die schwere Waffe, daß der Gegner unter ihr zusammenbrach - Rajah und Moslem lagen sterbend am Boden
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und über ihre zertretenen Körper her tobte der letzte Kampf.
Mit dem Fall ihres tapferen Führers fiel der letzte Muth der türkischen Soldaten und was nicht unter den Streichen der rachedürstenden Christen sank, suchte in wilder Flucht rückwärts die Rettung, verfolgt von den lebenheischenden Kugeln.
Kaum der dritte Theil der Osmanli überschritt wieder die montenegrinische Grenze und erreichte Ostrog - die ganze Ladung der Kolonne war verloren - der Zweck des Zuges vereitelt.
Aber auch von den Rajah deckten nicht wenige mit dem blutigen Leib den so glänzend vertheidigten Ausgang der Schlucht. Als der Kampf - er hatte länger als eine Stunde gewährt - nun zu Ende war, und was an den Lastthieren unverwundet geblieben war, jubelnd aus dem bösen Paß herausgeschafft und den Berg hinabgeführt und die Beute vertheilt wurde, da rollte manche Thräne aus rauhen Männeraugen den gefallenen Freunden, grobe Hände suchten den Schmerz der Wunden durch Verband und heilsame Kräuter zu lindern, überall war der Bär zur Hand, bat und rieth oder schlichtete den Streit um die Beute, aber wenn er an die Leiche des Hirten kam, dann ging er schweigend vorüber, denn dort kniete der junge Klosterzögling und badete das starre Antlitz des erschossenen Mannes mit seinen Thränen. Wie rauh und roh auch der Hirt gewesen war gegen Frau und Kinder, er war doch sein Vater gewesen, und der Knabe war in all' seinem Leid stolz auf den heldenhaften Tod des niederen
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Mannes, seines Erzeugers, für das heilige Vaterland. Der Anführer der Schaar wußte zu wohl, daß der Schmerz namentlich der Jugend sich austoben muß, ehe der Trost ein Recht an ihn hat, und indem er das spätere Wort der Tröstung dem russischen Offizier überließ, zog er sich zurück in den höher gelegenen Theil der Wildniß, den Befehl gebend, zwei große Gräber an geeigneter Stelle zu graben, das erste für die gefallenen Christen, das andere für die Moslems, ihn selbst aber erst zu rufen, wenn die Boten, die man zu den Belagerern der Festung gesandt hatte, ihnen das Gelingen der Unternehmung zu verkünden und Beistand zur Fortschaffung des erbeuteten Proviants zu holen, wieder zurückgekehrt wären. Selbst der russische Offizier wagte den geheimnißvollen Häuptling in seiner Einsamkeit vorerst nicht zu stören, annehmend, daß die Blutarbeit des Morgens wohl auch diese riesenhafte Natur erschöpft haben mußte. Er hatte die Keulenschläge des gewaltigen Mannes noch vor Augen und dachte darüber nach, warum der Häuptling wohl jede bessere Waffe verschmähte, und nachdem er aus den, von den Rajahs erbeuteten Vorräthen eine leichte Stärkung zu sich genommen, fühlte er sich selbst von den Anstrengungen des nächtlichen Marsches und den Aufregungen des Morgens so erschöpft, daß auch er ein paar Stunden zu ruhen beschloß und abseits vom Kampfplatz, doch nahe genug, um bei jeder Aufforderung zur Hand zu sein, in der Nähe der Stelle, wo der Novize ihre beiden Pferde untergebracht hatte, von dem schwellenden Moos und den wuchernden
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Farren sich flüchtig ein Lager bereitete, auf dem er in seinen Plaid gehüllt, alsbald entschlief.
Sein Schlaf war nach all' der Anspannung der Nerven so tief und fest, daß ihn selbst der Lärmen und Jubel der Rajahs nicht unterbrach, welche von ihrem Lager vor Nikschitj herbeigekommen waren, und denen an dem erbeuteten Proviant wahrscheinlich eben so viel lag, als den Belagerten selbst gelegen hätte, auch nicht die Anstimmung der Trauergesänge, als die christlichen Krieger ihre gefallenen Brüder in's Grab legten - und erst als die Sonne bereits wieder im Sinken war, erwachte er von einer leichten Berührung.
Neben ihm stand Nikita, der Novize, die Zügel der beiden Bergpferde um den Arm geschlungen - tiefe Stille sonst rings umher, wie sie am Morgen vor dem blutigen Kampfe geherrscht hatte, und hätte dem Aufspringenden ein Blick in die Tiefe nicht noch so manche Spuren des Kampfes gezeigt, er würde kaum an denselben geglaubt haben, denn keiner der Krieger, kein lebendes Wesen außer ihnen selbst zeigte sich mehr umher - Alles mußte den Platz schon vor längerer Zeit verlassen haben.
»Wo sind Deine Freunde, Nikita - wo ist der Bär? - warum hat man mich nicht gerufen, mein armer Knabe?«
»Es geschah auf den Befehl des Knees, Herr - die Rajahs sind fort, die meisten nach Nikschitj, die anderen nach ihren Hütten und Palanken.«
»Und der Bär?«
»Er muß eine dringende Botschaft erhalten haben, denn er befahl alsbald den Aufbruch, nachdem wir sie begraben,« sagte der Knabe mit besorgter Miene; »nur mir befahl er, bei Dir zu bleiben und Dich zu einer bestimmten Stunde zu wecken, wenn die sinkende Sonne dort jene Bäume berührt, damit Du noch bei ihrem Licht Grahowo erreichen möchtest.«
»Grahowo?«
»Der Bär hat mir befohlen, Dich so weit zu geleiten, bis wir seine Minarets sehen und Du den Weg nicht mehr verfehlen kannst.«
»So soll ich nicht zum Kloster zurückkehren?«
»Heute nicht, Gospodin - wünschest Du es zu thun, so wirst Du es morgen leicht von Grahowo aus erreichen - nur ein Bergrücken hindert Dich, es von dort zu sehen, und Grahowo - wenn es auch in den Händen der Türken ist - ist doch sicher für Dich, Du findest dort Christen, Europäer!«
Der Knabe sagte das Alles mit so seltsamem Ausdruck, daß der Offizier aufmerksam darauf wurde.
»Aber Du selbst?«
»Ich soll, wenn ich Dich so weit geführt und in Sicherheit weiß, sofort auf den verstecktesten Pfaden zum Kloster zurückkehren.« Der Novize blickte sich scheu um, dann sagte er flüsternd, obschon doch nur außer den Ohren seines Gefährten die Todten ihn hätten hören können: »ich glaube, es droht dem Kloster eine Gefahr ...«
»Welche?«
»Die Leute, die von Nikschitj gekommen, sprachen von
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neuen Rauchsäulen, zerstörten Plemen,4 und daß die Baschi-Bozuks des bösen Pascha's ihren Zug in jene Gegend genommen.«
»Allmächtiger Gott! Und der Bär?«
»Ich glaube, er ist seinem Freunde, unserem Vater, dem Higumenos zu Hilfe geeilt!«
»So hat er doch genügende Mannschaften mitgenommen, um das Kloster zu vertheidigen bis weitere Hilfe kommt?«
»Niemanden - Petros, mein Vater, wäre sicher mit ihm gegangen, läge er nicht todt in seinem Grabe.«
»Armer Bursche!« sagte der Offizier, sich des Unglücks des Novizen erinnernd. »Aber warum sind die Krieger, die er hierher geführt und die noch unverletzt sind, ihm nicht gefolgt zum Entsatz des Klosters?«
»Dü hast selbst gehört, Gospodin, daß der Volksrath sie zur Verstärkung der Rajahs vor Nikschitj bestimmt hatte - der Bär aber ist der Letzte, der die Sache seines Freundes dem allgemeinen Interesse opfern würde. Aber sorge nicht unnütz, das Kloster ist fest und hat schon mehr als einem Sturm widerstanden. Auch fehlt es nicht an Männern dort, denke an Iwo den Blutigen und die Geflüchteten. Abt Michael und seine Mönche sind tapfer und kriegserfahren.«
»Großer Gott, was sind diese Wenigen zur Vertheidigung so vieler Frauen und Kinder, und Du weißt nicht, Knabe ...« er dachte an die Drohungen des wilden
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Führers der Baschi-Bozuks in der vorvergangenen Nacht an der Pforte des Klosters. »Vielleicht ist es dem tapferen Krieger, den Ihr den Bären nennt, nicht einmal gelungen, das Kloster zu erreichen!«
»Er kennt den geheimen Gang, der durch die Felsen gehauen worden schon vor Jahrhunderten, als das Kloster gegründet wurde, durch den auch ich zurückkehren werde, um das Loos der Meinen zu theilen. So Gott und die heilige Jungfrau es wollen, hat der tapfere Wojwode Luta die Türken bereits vor Trebinje geschlagen und die Mauern erstiegen. Wenn er von der Gefahr des Klosters hört, wird er zurückkehren und die Golatschanen verjagen! Vielleicht auch kannst Du ihnen Einhalt thun von Grahowo her durch Deine Landsleute, die fränkischen Consuln!«
Die naive Hoffnung des Knaben schien dennoch dem Offizier wenigstens einen Anhaltpunkt zu geben, wenn auch nach dem Bekanntwerden des Ueberfalls in dem Ostrog-Paß wenig Aussicht war auf ein Einschreiten der gesetzmäßigen türkischen Behörden gegen die Excesse der Irregulairen. Dennoch mußte das versucht werden.
»So laß uns eilig aufbrechen, Knabe, damit wir noch vor Nacht Grahowo erreichen. - Du wirst mich dahin begleiten, ich übernehme die Verantwortlichkeit dafür bei dem Abt.«
Der Novize schüttelte den Kopf, während er so rasch als möglich die Pferde den steilen Abhang hinuntergeleitete. »Du vergißt, edler Gospodin, daß meine Pflicht dem Kloster des heiligen Basilius gehört, und ich Mutter und Schwester dort habe. Nachdem Petros, mein Vater, im
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Kampf für das Land unserer Geburt gefallen ist, bleibt es meine Pflicht, die Meinen zu vertheidigen, und Iwo soll mich nicht umsonst gelehrt haben, die Flinte zu führen und den Vogel im Fluge zu treffen. Ich werde den Abt bitten, mir Waffen zu geben und den Kampf zu gestatten. Da ich noch nicht das Gelübde abgelegt, ist es keine Sünde für mich, mit Kugel und Messer das Blut der Feinde zu vergießen.«
Beide schien jetzt dasselbe Gefühl der dringenden Eile zu beseelen. Nur wenige Augenblicke verweilte der Novize noch am Fuß der Schlucht, um auf dem gemeinsamen Grabe seines Erzeugers und seiner Landsleute ein Gebet zu verrichten, dann bestieg er wieder den Klepper und sie wandten sich nun der Richtung nach Grahowo zu. Obschon kein gebahnter Weg dahin führt und sie sich immer noch auf einer gewissen Höhe halten mußten, um nicht etwa streifenden Baschi-Bozuks in die Hände zu gerathen, konnten sie sich doch mehr der Niederungen bedienen und kamen beim Tageslicht rascher vorwärts als bei dem Marsch der vergangenen Nacht.
Dennoch berührte die Sonne bereits den westlichen Horizont, als die Reiter auf jenem Bergrücken anlangten, welcher das im Thal liegende Grahowo von dem Orjen-Gebirge trennt. Die letzten Strahlen des scheidenden Tagesgestirns zeigten im Bergkessel, kaum eine Stunde noch entfernt, den einfachen fast nur von griechischen Christen bewohnten Ort Grahowo, während sie noch einzelne Kuppen des Orjen-Gebirges vergoldeten.
»Dort, Herr,« - sagte der Novize hastig hinabdeutend,
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- »dort liegt Grahowo, dort bist Du in Sicherheit. Möge die Panagia mit Dir sein und Dich schützen - lebe wohl.«
Noch einmal versuchte der Russe den Knaben zu bewegen, zunächst mit ihm nach Grahowo zu gehen - aber dieser begnügte sich, sein Pferd nach der andern Seite zu wenden und auf die Bergwand des Orjen zu deuten, auf deren mittlerem Plateau das Kloster des heiligen Basilius liegen mußte.
Noch war es zu früh in der Jahreszeit, als daß die Stellung der untergehenden Sonne ihren vollen Schein auf die nach Nordosten gewendete Bergwand hätte fallen lassen und das Kloster zeigen können, obschon es nur wenig weiter als eine Meile in direkter Linie von dem Standpunkt der Reiter entfernt sein konnte - es lag bereits in dem Schatten des Gebirges, - aber als das Auge des Offiziers der Richtung folgte, in welcher die ausgestreckte Hand des Novizen wies, konnte er zu seinem Entsetzen an jener Stelle eine hoch aufsteigende weiße Rauchwolke erkennen, deren Spitze vielleicht von den Strahlen der eben verschwindenden Sonne leicht geröthet war, - mit einem Aufschrei spornte der Knabe sein Pferd und ohne Wort, ohne Abschied jagte er den Abhang nach Norden zu hinab.
Als der Offizier auf dem Weg nach dem Thal von Grahowo sich nochmals zurückwandte - die Sonne war bereits hinter den Bergen in der Adria verschwunden, sah er in dem rasch herabsinkenden Dunkel an jener Stelle die Rauchsäule rothglühend sich an der Wand des Orjen-Gebirges emporheben!

Aufsteigende Wetter.

Wenn die Gewitter aufsteigen am Horizont ... stehst Du auf Deck des Schiffes, das Dich durch die haltlosen Wellen trägt, oder auf der Spitze eines hohen Berges, Wanderer durch das Leben, die Welt! ... dann siehst Du oft nicht eine dunkele Wolke aufsteigen im Süden, Westen, Osten oder Norden, sondern es steigt herauf ringsumher wie ein finster drohender Streif, und es flammt und wetterleuchtet nach allen vier Winden, ringsum am Horizont. Je höher Du stehst, desto eher und desto umfassender schaut Dein Auge die kommenden Wetter, die zuckenden Blitze. Dann prüft der Wanderer wohl mit kräftigerem Tritt, ob auch fest und dauerhaft ist die Planke, die ihn trägt über das trügerische Element, oder er schaut sorgend umher nach der Alpenhütte, die ihn schützen kann vor dem kommenden Wetter. Aber zerbrechlich ist der Bau und Schutz, aus Menschenhand gezimmert, vor den Wettern des Himmels und nur die Hand Gottes leitet sicher aus den Stürmen der Natur, wie aus Stürmen der Völkerschicksale!


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Es war ein schöner Vormittag im April, das Wetter bereits ziemlich warm, und der Kammerdiener hatte das Fenster geöffnet, das aus dem Arbeitszimmer des französischen Kaisers auf die Terrasse gegen den Tuilerien-Garten führte.
Obschon die Stunde noch früh war, wenigstens für die Zeit der kaiserlichen Audienzen - zehn Uhr - bewegte sich doch in dem Garten bereits eine ansehnliche Zahl von Spaziergängern und Flaneurs und namentlich von Bonnen und Kindermädchen, deren Eldorado die Bänke des Tuilerien-Gartens und die Umgebung des Bassins sind.
Der Kaiser saß in seinem Sessel vor seinem gewöhnlichen Arbeitstisch und rauchte eine jener großen schweren Cigarren, die in der Fabrik der Regie eigens für ihn aus direkt importirten cubanischen Deckblättern gefertigt wurden. Der Tisch war mit Briefen, telegraphischen Depeschen unter verschiedenen Briefbeschwerern bedeckt, alle jedoch so geordnet, und es war dies eine der lobenswerthesten Angewohnheiten des Kaisers, daß der Inhalt nach unten gekehrt lag, und ihm gegenüber stand der Maler Biot, ihm verschiedene Skizzen und Entwürfe vorlegend, die der Kaiser sorgfältig prüfte. Es waren Zeichnungen zu dem Bilde, welches Napoleon bei dem großen Schlachtenmaler bestellt hatte, und das anschließend an das mehr berühmte als werthvolle Buch »Das Leben Cäsar's« die Darstellung der Belagerung einer römischen Stadt als Seitenstück zu dem vielbesprochenen Tirème wiedergeben sollte.
Der Kaiser, der in wenigen Tagen 53 Jahre werden
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sollte, hatte bereits ein etwas schwerfälliges Embonpoint, ohne dick zu sein, und liebte es nicht, viel zu gehen oder zu stehen, obschon er nie gewohnt war, sich körperlichen Anstrengungen zu entziehen, wenn er solche für geboten hielt. Er nahm daher fast alle Paraden zu Pferde ab, machte aber nur selten bloße Vergnügungsritte. Das sehr dunkelblonde, fast braune Haar fing an sich zu lichten, zeigte auch bereits einzelne graue, die jedoch nicht durch die Hand seines Kammerdieners entfernt werden durften. Sein durch Tausende von Bildern bekannt gewordener Lippen- und Kinnbart, dessen Form die ganze französische Armee adoptirt hat, hatte die frühere dunklere Farbe behalten und ebenso das in Grau bis zum Dunkel wechselnde Auge die Gewohnheit, in gewöhnlicher Unterhaltung halb bedeckt von den Lidern und gleichsam träge verschleiert zu sein. Auch die Züge des Gesichts begannen etwas Weicheres, Bequemeres anzunehmen.
»Ich sehe, lieber Biot,« sagte der Kaiser, dessen Stimme etwas Angenehmes, Wohllautendes hatte, »daß Sie trefflich auf meine Intentionen eingegangen sind und die Beschreibung des Vitruv und die Abhandlungen des Professor Justus Lipsius eingehend studirt haben. Indem wir zu unserer Darstellung nicht eine der berühmten Belagerungen des Alterthums, wie etwa die von Sagunt, Massilia, Alexandria oder Jerusalem wählten, sondern die einer kleineren Stadt, können wir die Aufgabe des Künstlers mehr auf die Specialitäten, als auf den großen historischen Hintergrund concentriren. Während Sie hier links Raum behalten, in der Entfernung den Angriff durch die
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Katapulten und Ballisten genügend zu zeigen, haben Sie geschickt den rechten Vordergrund für die Vorbereitungen zum Sturm, durch den turris, den Wandelthurm mit der exostra, jener Fallbrücke benutzt, mittels welcher die Belagerer den Uebergang auf die Mauern gewannen, wenn es dem Gegner nicht gelang, mittels der beweglichen an Ketten hängenden Zangen, corvi, die harpagones, die Sturmhaken oder tolleno und die sambuca, die Sturmbrücke zu zerstören. Aries und tersebra und die Arbeiten unterm Schutz der vineae werden in der Mitte ihren Platz finden. Mocquard wird Ihnen die Zeichnungen geben, die ich von jenen Schutzdächern, den Schildkröten, testudo oder musculus geheißen, entworfen habe, unter denen die Angreifer Schutz gegen die Steinwürfe und Feuertöpfe bei der Annäherung an die Mauern fanden. Es dürfte nach Vollendung Ihres viel versprechenden Bildes in der That interessant sein, eine ähnliche Darstellung der Hilfsmittel einer Belagerung während des Mittelalters, etwa zur Zeit der letzten Kreuzzüge, zu geben; aber wir sprechen wohl später über diesen Gegenstand, denn leider, lieber Biot, bin ich gezwungen, Sie jetzt zu entlassen, da meine Zeit heute sehr beschränkt ist und ich Sie nur nicht mit Ihren schönen Scizzen vergebens hierher gekommen sein lassen wollte. Also auf Wiedersehen; Mocquard wird Sie die Stunde wissen lassen, die ich wieder meiner Erholung widmen darf.«
Der berühmte Maler hatte seine Zeichnungen zusammengepackt, machte eine ehrerbietige Verbeugung und entfernte sich, von dem Kaiser mit wohlwollendem Gruße entlassen.
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»Und nun,« sagte der Kaiser, »zu anderen Dingen, bei denen wir die Mechanik der Alten freilich nicht mehr brauchen können, da Pulver und Dampf jetzt entscheiden, wenn auch die Taktik Cäsars für die Schlachten dieses Jahrhunderts, wie mein großer Oheim genugsam bewiesen hat, noch immer ihren Werth behalten hat.« Er ließ den Hammer einer kleinen silbernen Glocke zweimal aufschlagen und gleich darauf wurde die schwere, die Thür zum Zimmer seines vertrauten Secretairs und Kabinets-Chefs Mocquard bedeckende Portière aus einander geschoben und dieser trat ein.
Herr Mocquard, der langjährige Vertraute des Kaisers, der Dichter jener damals auch auf die deutschen Bühnen übergegangenen Juden-Tragödie, welche auf den Wunsch des Kaisers nach dem Zeitungsscandal des Mortara-Falles, der jüdischen Geldherrschaft in Paris gewisse Conzessionen machen sollte, trat ein. Er war etwa fünf Jahre älter als der Kaiser, trug die Haare kurz geschnitten und das scharf geformte Gesicht hatte den Ausdruck einer gewissen, vorsichtigen Gleichgültigkeit und behäbigen Lebensanschauung, welche den guten Dingen des Lebens wohl Rechnung trägt, ohne ihnen jedoch allzuviel Wichtigkeit beizumessen. Er war dabei einer der wenigen einflußreichen Männer aus der Umgebung des Kaisers, welcher sich ganz fern von der seit einigen Jahren auf diesen politischen Einfluß speculirenden Börsen-Agiotage gehalten hatte, ein Verdienst das er, gegenüber der bis in die höchsten Kreise gedrungenen Häuslichkeit, nur mit dem Grafen Persigny, dem jetzigen Minister des Innern, theilte,
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und das ihm bei dem kürzlich ausgebrochenem Prozeß Mirès und all' den Enthüllungen über die getriebenen Schwindeleien in der öffentlichen Meinung sehr zu statten kam.
»Biot,« sagte der Kaiser, indem er eine aufgeschlagene, auf dem Tisch liegende Brochüre in die Hand nahm, »hat mir in der That eine ganze halbe Stunde geraubt, die wir jetzt einbringen müssen. Welche bewilligten Audienzen liegen vor und welche werden verlangt?«
»Marschall Graf Ornano,« berichtete der Geheim-Secretair, »Kapitain Boulbon
»Graf Boulbon,« berichtigte mit leisem Lächeln der Kaiser.
»Der Dänische Gesandte, Graf Moltke-Haitfeld mit dem Conferenzrath Halsteen, so wie der mexikanische Gesandte Señor Don de la Fuente. Euer Majestät wollen Sich erinnern, daß Sie selbst den Herrn Grafen vor Morny beschieden, und noch einige unbedeutende Persönlichkeiten. Indeß ...[«]
»Nun?«
»Der Herr Minister des Auswärtigen, Senator Thouvenel ist in dem Antichambre!«
»Thouvenel? - aber es ist nicht sein Tag!«
»Der Herr Minister bittet um außerordentlichen Vortrag, er sagt mir, es sei wichtig, Lord Cowley sei gestern im Hôtel des Auswärtigen gewesen.«
»Ah - und er sagt, es sei wichtig?«
»Seine Excellenz versicherte es mich!«
»Dann hat er natürlich den Vorgang. Doch zuvor
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noch Einiges, Mocquard. Rapportiren Sie mir kurz über den Inhalt der Morgen-Zeitungen!«
Der Chef der Privat-Kanzlei des Kaisers warf einen Blick auf einen schmalen Papierstreifen, den er um den Zeigefinger der linken Hand gewickelt hatte.
»Natürlich sind die Blätter noch immer voll von dem Ereigniß des Tages, der Brochüre, die Euer Majestät da in der Hand halten!«
»Ah! Lettre sur l'histoire de France! von Henry d'Orleans? - Haben Sie den Bericht der Polizei und des General-Prokurators, wie es gekommen, daß die Confiscation nicht sofort erfolgte?«
»Die Orleanisten - und sie haben, nachdem die ›Debats‹ ihnen aus der Hand gegangen, noch genug Blätter zu ihrer Disposition, und die etwas unvorsichtig dem Herrn Bonnet concessionirte France centrale, das neue Organ der Herren Thiers, Guizot, Villemain u. s. w. debütirt mit der Nachricht, - rühmen sich der Dupage ganz offen. Die Brochüre des Herrn Herzogs von Aumale ist, wie Euer Majestät gesehen, in Germain la Haye gedruckt, die gesetzmäßigen Exemplare sind auch in aller vorgeschriebenen Form bei der Präfectur der Seine und Oise deponirt worden, und durch den harmlosen Titel ließ man sich leicht verleiten, die Autorisation des Verkaufs zu ertheilen. Darauf scheint man gerechnet zu haben, wenn bei der Intrigue nicht noch Bestechung im Spiel war, kurz Alles war wohl vorbereitet und noch mit dem Abendzuge erfolgte die Versendung der Exemplare nach allen größeren Städten
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Frankreichs in Tausenden. Die Beschlagnahme des General-Prokurator kam um 24 Stunden zu spät.«
»Hm!« meinte der Kaiser, einen starken Zug der Cigarre langsam von sich blasend - »Die Lection könnte im Grunde meinem Herrn Vetter nicht schaden für den unverschämten Artikel der Opinion nationale und des Siecle!5 gegen das Mürat'sche Manifest und seine Candidatur in Neapel. Es gehörte nicht viel Verstand dazu, um zu wissen, daß es den Zwecken der Regierung dienen sollte. Ich wette, daß man in Schloß Buzenval6 ziemlich erfreut gewesen ist über die Brochüre.«
Der Kabinetschef lächelte, dann sagte er: »Ohne Zweifel! - Die belgischen und englischen Blätter erklären nur die Brochüre weniger gegen den Prinzen, als gegen die Regierung Eurer Majestät gerichtet!«
Der Kaiser sah ihn fragend an.
»Als Antwort auf die Artikel der »Patrie« gegen England wegen der Betheiligung der Orleans an dem Begräbniß der Herzogin von Kent!«
Der Kaiser wandte rasch den Kopf nach ihm hin. »Und bezieht sich auf diesen Gegenstand auch die Unterredung Lord Cowley's?«
Der Vertraute zuckte die Achseln. »Ich fürchte, nein!«
»Weiter! - Was sagen die Blätter in Betracht der Erlasse des Justizministers an den General-Prokurator gegen den Clerus?«
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»Die Presse des Palais Royal triumphirt natürlich darüber. Die Organe des Herrn Prinzen und des Grafen Cavour sehen darin die Einleitung zu der Anerkennung des Königreichs Italien.«
»Ah - Seine kaiserliche Hoheit bedarf einiger Dämpfung. Lassen Sie die Frau Fürstin von Eßlingen dafür sorgen, daß noch heute eine Einladung nach Buzenval zu den Empfangsabenden der Kaiserin, abgeht. Ich werde mit Ihrer Majestät darüber sprechen. - Doch - Sie wollten zu dem Gegenstand noch Etwas bemerken, wie mir schien.
»Seine Eminenz der Herr Erzbischof von Paris läßt heute in seinem Organ, dem »Ami de la religion« erklären, daß die Behauptung der Departemens-Presse, er habe den Klerus seiner Diöcese zu größerer Mäss[ß]igung in den Reden aufgefordert, völlig unwahr sei. Der Klerus von Paris erkenne die ganze Ausdehnung seiner Pflichten und erfülle sie mit Gewissenhaftigkeit. Es sei daher unmöglich, daß irgend ein Rundschreiben der Civilbehörden seine Haltung ändern könne!«
Der Kaiser biß sich auf die Lippen. »Und das auf die unverschämten Predigten der Dominikaner! Das ist ein Angriff, und ich glaubte bestimmt, auf diesen Morlot rechnen zu können. Er wäre die geeignete Persönlichkeit für die Bildung eines gallikanischen Episcopais gewesen. O, dieses Rom! - Lassen Sie Marschall Randon wissen, daß ich wünsche, der Abgang der Verstärkungen für Rom aus Toulon möge vorläufig noch verzögert werden.«
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Der Geheimsecretair verbeugte sich. »Ihre Majestät wünschten auf Briefe von Rom die Beschleunigung ...«
Das feine, dem Kaiser eigenthümliche, diplomatische Lächeln zog über sein Gesicht; er drehte eifrig die steifen Spitzen seines Schnurbartes. »Lassen Sie es gut sein, Mocquard, Ihre Majestät versteht von Einschiffungs-Vorbereitungen Nichts - sprechen Sie immerhin mit Randon. Wissen Sie vielleicht, ob Seine kaiserliche Hoheit bereits den Obersten Lamorte oder einen anderen Adjutanten nach London abgeschickt hat?«
»Nach London?«
»Nun ja - natürlich um den Herzog von Aumale zu fordern?«
Der Geheimsekretair sah seinen hohen Herrn an - ein Lächeln zuckte ganz unverholen über sein Gesicht. »Euer Majestät belieben zu scherzen!«
»Zum Henker, gewiß nicht! Meinen Sie nicht auch Mocquard, daß es das Anständigste wäre, - aber freilich, dazu gehört persönliche Courage und mein seliger Onkel Jerôme besaß diese gerade nicht in sehr hohem Grade, konnte sie also auch nicht vererben. Ich bin demnach in der That neugierig auf den Schachzug, mit dem er sich aus der Affaire zu ziehen gedenkt. A propos - laden Sie doch Herrn von Dalwigk ein, nächstens Paris zu besuchen, damit ich ihm für seinen schmeichelhaften Toast auf mich bei dem Fest in Baden-Baden zur Eröffnungsfeier der Straßburger Rheinbrücke persönlich danken kann! - So lieber Mocquard, nun bin ich au fait oder wenigstens in der Stimmung, haben Sie die Güte den Befehl zu geben,
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Herrn von Thouvenel einzuführen, und bitten Sie die anderen Herrn, welche schon erschienen sind, sich etwas zu gedulden!«
Der Kabinetschef entfernte sich; der Kaiser strich sich mit der Hand leicht über das Gesicht. »Bei der Zähigkeit und Anmaßung dieser englischen Nation und ihrer Presse,« sagte er vor sich hin, »war es eine verfehlte Hoffnung, ihnen das Uebergewicht Frankreichs und seinen Anspruch auf die Leitung der Weltlage durch unsere Rolle in der Krim und China klar zu machen. Es war ein Fehler, Rußland zu Gunsten dieses Englands zu schwächen und ich muß daran denken, ihn wieder gut zu machen. Ich ahne einen neuen Schachzug Palmerstons gegen mich! - Sollten nicht dieser entbrennende Kampf zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten und die Verwickelungen in Mexiko dazu Veranlassung geben? Eine Hineinziehung Englands in diesen Zwist würde in jedem Fall von großem Vortheil sein und Rußland und Frankreich freie Hand im Orient und im Mittelmeer lassen. Nous verrons!«
Der Huissier öffnete die Thür nach dem Antichambre. »Seine Excellenz, der Herr Minister des Aeußeren!«
Senator Thouvenel, der seit dem Januar des vergangenen Jahres (1860) das Ministerium des Auswärtigen leitete, trat ohne das gewöhnliche Portefeuille bei den Vorträgen mit sich zu führen, ein und machte seine Verbeugung. Der Kaiser, der seine Cigarre weggelegt, trat ihm entgegen und reichte ihm die Hand. »Guten Morgen, Herr Senator,« sagte er - »Mocquard hat mir bereits gesagt, daß Sie mir eine dringende Mittheilung zu machen
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haben, obschon er mir den Gegenstand nicht bezeichnen konnte. Handelt es sich vielleicht um die italienische Frage?«
»Zu Befehl, Sire!«
»Lassen Sie uns zuerst Platz nehmen; bitte!« Er wies nach einem der Sessel, deren mehrere um den Tisch standen. »Doch, bevor wir an Ihre Mittheilung gehen, ist es Ihnen möglich, mir ohne Ihre Notizen zur Hand zu haben, eine kurze Scizze zu geben, wie wir mit der Regierung des Königs Victor Emanuel in diesem Augenblick stehen? - welche Anerkennungen sind eigentlich bis jetzt erfolgt?«
»Nur von Seiten Englands und der Schweiz am 30. März. Heute Morgen erhielt ich ein Telegramm von Herrn Bourée in Athen, daß auch Griechenland der Anerkennung beigetreten ist.«
»Es wird Herrn Cavour Alles Nichts nützen, so lange die unsere nicht erfolgt ist. Wie stehen die geheimen Unterhandlungen mit ihm?«
»Sie waren vorgestern so weit gediehen, daß ich Euer Majestät den Vorschlag machen wollte, den Ritter Nigra offiziell damit bekannt zu machen.«
»Also der König willigt in die Abtretung der Insel Sardinien?«
»Als Preis der sofortigen Anerkennung und gegen die bestimmte Verpflichtung, unsere Truppen binnen sechs Monaten aus Rom und Civita-vecchia zurückzuziehen. Nur bedang Graf Cavour sich aus, daß die Abtretung von Sardinien erst nach der Inthronisation König Victor
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Emanuels in Rom und der Unterzeichnung der Alliance gegen Oesterreich für die Occupation von Venetien erfolgen soll.«
»Zugestanden! zugestanden - wir haben in diesem Augenblick wenig Rücksicht auf Oesterreich zu nehmen, und wenn wir ihm Triest lassen und den Plänen der Herrn Garibaldi und Kossuth auf Dalmatien und Ungarn entgegen treten, wird weder Rußland, noch der liebe Deutsche Bund, oder vielmehr Preußen eine Veranlassung haben, sich Oesterreichs gegen uns anzunehmen. Aber wie ist das, Herr Minister, - wenn ich recht gehört, sprachen Sie immer im Imparfait - hat sich denn Etwas in der Sachlage geändert und zieht man die Offerten zurück? Die Proteste der Herrn Mazzini und Garibaldi werden doch weder Herrn Cavour, noch uns viel kümmern!«
»Ich habe bereits Euer Majestät wissen lassen,« sagte der Minister mit einigem Zögern, daß Lord Cowley, der englische Gesandte mich gestern Abend besucht hat.«
»Nun - was wollte er?«
»Nachdem Lord Cowley die Differenzen in Syrien erwähnt und sich über die Haltung unserer Presse im Allgemeinen beklagt hatte, erwähnte er, daß unsere Rüstungen im englischen Publikum verschiedene Besorgnisse zu erregen begonnen hätten ...«
»Sie hätten ihn auf die wohlbekannten Arbeiten im Arsenal von Woolwich verweisen sollen.«
»Euer Majestät werden mir zutrauen, daß ich Dergleichen nicht übersehen haben werde.«
»Also weiter!« Der Kaiser drehte nach seiner
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Gewohnheit die Spitzen des Bartes und schloß die Augenlider.
»Schließlich erklärte Cowley, und das war offenbar der Zweck seines Besuchs, daß sich in England das Gerücht verbreitet habe, das französische Kabinet unterhandle mit Italien wegen Abtretung eines neuen Besitzes und zwar der Insel Sardinien. Viscount Palmerston, so wie Lord Russell wären zwar von der Grundlosigkeit dieses Gerüchts überzeugt, indeß wäre leicht vorauszusehen, daß die öffentliche Meinung gegenüber dem Desaveu, welches im vorigen Jahre den Verhandlungen von Plombières in Betreff der Abtretung von Nizza und Savoyen gegeben worden sei, durch die Erklärung des Kabinets werde beruhigt werden müssen, daß zu einer Besorgniß in Betreff einer vermehrten Machtstellung im Mittelmeer gar keine Veranlassung vorläge; denn weder Frankreich noch Italien würden den Wunsch hegen, daß England zu seiner eigenen Sicherstellung die Insel Sizilien occupire, was doch in einem solchen Fall unausbleiblich werde geschehen müssen.«
Der Kaiser schlug die Hände auf einander und öffnete groß die Augen. »Was doch Lord Cowley nicht Alles weiß! Ich möchte wohl fragen, mit welchem Recht England in einem Binnenmeer der romanischen Völker Gibraltar, Malta und Corfu besitzt! - Ah Corfu - wir wollen uns das merken!« Er hatte sich erhoben und maß mit schweren Schritten das Gemach. »Und was haben Sie der englischen Anmaßung geantwortet, Herr Minister?«
»Ich glaube im Sinne Eurer Majestät gehandelt zu
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haben, indem ich erklärte, daß keine solche Abmachungen vorlägen, das Geschwätz in England - mir seien allerdings noch keine solche Gerüchte in der englischen Presse zu Augen gekommen - möge sich also nur beruhigen. Was aber den Gedanken selbst beträfe, so könnte ich darin durchaus keine Gefahr für Störung des Friedens und unser Einverständniß sehen, da es bekannt sei, daß England den beiden letzten bourbonischen Königen von Neapel durch Lord Minto seiner Zeit sehr dringende Offerten über eine Occupation Siciliens habe machen lassen; daß es Aden ohne uns zu fragen in Besitz genommen habe, und daß Lord Russell zwar das Princip der Nationalitäten und der Volksabstimmungen in Italien sehr energisch in Schutz genommen habe, keineswegs aber dasselbe für die jonischen Inseln gelten lassen zu wollen scheine! Was die Insel Sardinien anbeträfe, so gehöre sie eigentlich von Natur zu Corsika, obschon ihr Besitz keineswegs von einem solchen Werth sei, daß er einen Krieg zwischen sonst befreundeten und einander unterstützenden großen Nationen rechtfertigen könne!«
»Bravo, bravo, Herr von Thouvenel,« sagte der Kaiser, den Minister, der bei dem Aufstehen des Kaisers sich gleichfalls erhoben hatte, auf die Schulter klopfend, »Ihre Antwort, eben so diplomatisch als männlich, hat meinen ganzen Beifall. - Und wie nahm Lord Cowley Ihre Abweisung auf?«
»Lord Cowley, Sire, wäre nicht der alte und gewandte Diplomat, wenn er sich nicht vollkommen mit dieser Erklärung zufrieden gestellt gezeigt hätte, ja er ließ im
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weiteren Laufe des Gesprächs sogar durchblicken, daß man in England vielleicht gar nicht so abgeneigt sein würde, sich mit einer solchen Abtretung einverstanden zu erklären, wenn unsererseits einer Arrondirung des afrikanischen Küstengebiets durch die Erwerbung eines Hafens in Egypten kein Hinderniß in den Weg gelegt würde.«
Der Kaiser lachte hell auf. »O, über den Fuchs Palmerston! alter Pam, alter Pam! - Schau, nachdem man in dem albernen englischen Dünkel das Project des Herrn von Lesseps hochmüthig von der Hand gewiesen und jetzt eingesehen hat, welchen Fehler man damit begangen, wäre John Bull die bequeme und billige Erwerbung des Eingangs jenes künftigen Weltkanals ganz genehm! Das ist der Kernpunkt der britischen Politik von jeher gewesen, von Ferne zuzuschauen, wenn andere Leute sich mühen, und durch die Erwerbung von Meerengen und See- und Flußmündungen sich die Früchte zu sichern. Hätten wir kein Veto eingelegt, so wären sie jetzt im Besitz der Dardanellen und neuerdings der Peiho-Mündung. Aber ehe Frankreich eine solche Spekulation im Mittelmeer zugeben kann, wird es lieber auf den unbedeutenden Erwerb von Sardinien verzichten!«
»Also auch Italien auf den Erwerb von Venetien?« frug der Minister mit einem scharfen Aufblick.
»Sie sagen ganz richtig, also auch Italien auf Erwerb von Venetien und Rom, wenigstens durch den Beistand französischer Waffen; wir haben keinerlei Veranlassung unser Verhältniß zu Oesterreich zu stören. Herr Cavour mag die Strafe für seine Zweizüngigkeit nur immer
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hinnehmen, denn es ist nicht schwer zu errathen, woher die englische Einmischung kommt. Ich wünschte nur zu wissen, wie weit mein werther Herr Vetter im Palais Royal dazu die Hand geboten hat?«
»Und die Anerkennung des Königreichs Italien?«
»Es ist vorläufig nicht so eilig damit. Empfehlen Sie doch dem Herrn Herzog von Grammont eine freundliche Haltung gegen den König Franz, natürlich ohne ihm irgend Hoffnungen zu erregen, denn das fait accompli läßt sich nicht ändern, und über kurz oder lang muß doch die Anerkennung erfolgen. Wie schloß denn die Unterredung?«
»Als ich natürlich Lord Cowley frug, ob ich seine Andeutungen als eine offiziöse Eröffnung anzusehen habe, zog er in aller Eile zurück, wollte keinerlei Ermächtigungen von seinem Kabinet dazu haben und bezeichnete seine Mittheilungen bloß als in unserem Gespräch hingeworfene eigene Ideen!«
»Man kennt dergleichen - es soll dem alten Fuchs Palmerston wenig helfen und England dafür zum Mindesten seine angemaßte Souveränität über die jonischen Inseln los werden. Wenn ich mich recht erinnere - wer erzählte doch kürzlich von einem alten Führer der jonischen Opposition und eingefleischtem Feinde Englands, der auch in dem indischen Aufstand die Hand im Spiele gehabt? - richtig, der junge Boulbon, - das trifft sich ja wie bestellt. - A propos, lieber Herr von Thouvenel, können Sie mir flüchtig die gegenwärtigen Verhältnisse von Mexiko scizziren? Ich habe da eine ganz eigenthümliche
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Offerte bekommen, die mit dem früheren Argonautenzug des Vaters dieses jungen Mannes zusammen hängt.«
»Eure Majestät werden sich erinnern, daß ich die Ehre hatte, Ihnen die Denkschrift des Herrn Bischof von Puebla de Labastida, des mexikanischen Gesandten in Rom, die er durch Vermittelung des Monsignore Corpasini im vorigen Herbst übersandte, vorzulegen über die Schädigungen der katholischen Kirche durch den gegenwärtigen Präsidenten Juarez.«
»Und was will der mexikanische Gesandte da von mir? War er bei Ihnen?«
»Herr von Saligny, unser Gesandter in Mexiko, beklagt sich schon seit längerer Zeit über die Schwierigkeiten, die man unserem Handel in den Weg legt, und daß die französischen Kaufleute in Veracruz, Mexiko und Puebla keinen Schutz bei den Gerichten finden für ihre Forderungen. Das ganze Land scheint weiter Nichts mehr zu sein, wie ein Lager von Räuberbanden. Herr de la Fuente bittet fortwährend um Nachsicht und ich habe ihn an Euer Majestät verwiesen.«
»Nun gut, so will ich ihn empfangen. Daß sich der Liberalismus schon in Mexiko rührt und mit Rom sich in den Haaren liegt, ist in der That eine beachtenswerthe Erscheinung!«
»Euer Majestät sehen dieselbe in noch stärkerer Weise in den südamerikanischen Freistaaten, selbst in Brasilien sich wiederholen - es zeigt sich überall eine große Bewegung gegen die Jesuiten.«
»Gut, gut!« sagte lächelnd der Kaiser. - »Das geht
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mehr Ihre Majestät an, die ist als geborene Spanierin nun einmal eine Protektorin der guten Brüderschaft des Pater José und der werthen Schwester Patrocinio. Ich bin in der That neugierig zu sehen, wie lange der Schwindel da drüben jenseits der Pyrenäen noch dauern wird. Ich wünschte, all' das communistische und socialistische Gesindel, das uns England über den Kanal schickt, ginge nach Spanien, statt nach Frankreich. Also Dank Herr von Thouvenel, und auf Wiedersehen!«
Eine leichte Handbewegung gab das Zeichen der Entlassung und der Senator empfahl sich.
Der Kaiser wandte sich nach der Thür zu seinem Geheimsecretair. »Ich sehe immer mehr ein, welchen Fehler ich gemacht, dieses England gegen Rußland zu unterstützen. Aber es muß einen Weg geben, einzulenken und die polnische Frage ist eine vortreffliche Gelegenheit dazu, wenn Kaiser Alexander wirklich die gemeinsame Aktion im Orient zurückweist - vor der Hand! denn auf die Dauer wird Rußland doch nicht darauf verzichten können. Ich will mit Morny ausführlich sprechen und ihn fragen, ob er auf seinen alten Posten nach Petersburg zurückkehren will! - Lieber Mocquard - kommen Sie noch einen Augenblick zu mir!«
Der Kabinetschef trat sogleich ein.
»Sorgen Sie gefälligst dafür,« sagte der Kaiser, »daß die Presse mit ihrem Lärmen gegen Oesterreich wegen der Ausweisung der zwei oder drei französischen Reporter aufhört, die sich von der Enthüllung des Denkmals Manin's7
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in Mailand, was doch offenbar nur eine Demonstration der Italianissimi gegen Oesterreich war, nach Venedig begaben, um dort zu spioniren. Zum Teufel, jede Regierung muß doch wohl das Recht haben, Fremde aus ihrem Gebiet zu weisen, deren Anwesenheit dem Staat gefährlich scheint. Persigny hat das ganz mit Recht betont, als er diesen Vagabonden, den Walachen Ganesco, mit seiner Revue du Dimanche fortjagte.«
»Der Bursche ist in der That nur ein Gauner, der mit seinen Skandalartikeln Geld erpressen will,« sagte der Geheim-Secretair. »Jetzt schimpft und droht er von Brüssel aus.«
Der Kaiser zuckte die Achseln. »Das Zweite, um was ich Sie bitten wollte, ist, sich genau über die staatsrechtlichen Verträge und Verhältnisse zu informiren, unter welchen das Protektorat der jonischen Inseln aus den Händen Rußlands an England kam, und über die Klagen, welche das jonische Parlament erhebt. Es müssen eine Anzahl Artikel peu à peu in den französischen und auswärtigen Blättern erscheinen, welche die Rechte der jonischen Republik behandeln und vom Standpunkt der Nationalitäten aus ihr Recht zur Einverleibung in Griechenland unterstützen. Ich werde vielleicht in die Lage kommen, einen Agenten dahin zu senden. - Grammont, der in Rom Gelegenheit dazu gehabt zu haben scheint, hat das versäumt. - Sorgen Sie jetzt gefälligst, daß die Herren Gesandten gemeldet werden, nach ihnen der Marschall und der Kapitain Boulbon.«
Der Kaiser hatte wieder Platz genommen an seinem
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Tisch. Der Erste, der gemeldet wurde, war der Gesandte der mexikanischen Republik, Chevalier Don José de la Fuente.
Señor Fuente war erst im Februar zum Gesandten am französischen Hofe ernannt worden und seine Stellung in der That eine äußerst schwierige, da er von der neuen liberalen Regierung in Mexico ernannt worden war, die sich unter Juarez am 11. Januar in der Hauptstadt selbst etablirt hatte, nachdem der Gegenpräsident der klerikalen - conservativen - Partei: Miramon durch den General Ortega am 22. Dezember (1860) bei S. Miguelito vollständig geschlagen und vertrieben worden war. Präsident Juarez hatte sofort vollständige Religionsfreiheit verkündet, dem päpstlichen Nuntius und dem spanischen Gesandten ihre Pässe zustellen lassen, den Erzbischof und die Mehrzahl der Bischöfe Landes verwiesen. Auch der französische Gesandte de Saligny und der britische Sir Charles Wyke standen, wie oben erwähnt, bereits in Conflicten mit der neuen Regierung.
Der Kaiser trat dem Gesandten einen Schritt entgegen und begnügte sich, die ehrerbietige Begrüßung kurz, wenn auch in der allerstrengsten Form diplomatischer Höflichkeit zu erwiedern. Alles Andere war an ihm in diesem Augenblick verschwunden, er war einzig der Souverain eines mächtigen Staates, in dessen Rede jedes Wort von Bedeutung und Gewicht ist. Ohne die Anrede des Gesandten abzuwarten, nahm er selbst sofort das Wort.
»Mein Herr,« sagte er kalt, fast hart, »es ist mir lieb, Sie zu sehen, um Ihnen Einiges im Interesse Ihrer
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Regierung sagen zu können, über das mein Minister des Auswärtigen mir schon wiederholt Vortrag gehalten hat. Ich verkenne keineswegs die Schwierigkeiten in der Lage Ihrer gegenwärtigen Regierung, indessen hat doch das mit Ihnen in Verbindung stehende Ausland auch das Recht, zu fordern, daß die vorhandenen Wirrnisse baldigst geschlichtet und eine gewisse Rechtssicherheit hergestellt werden. Ich verkenne durchaus nicht das Recht des Herrn Präsidenten Juarez, eine vollständige Freiheit und Berechtigung aller Religionsbekenntnisse in Mexiko zu proklamiren, ja, ich freue mich dieser Humanität, die ja gleichfalls einen Grundsatz meiner Regierung bildet, aber diese Emancipation - denken wir darüber, wie wir wollen - darf keineswegs zu einer Mißhandlung der katholischen Kirche, deren natürlicher Schirmherr in allen Erdtheilen Frankreich ist, und zu brutalen Beraubungen der Kirche und ihrer Diener führen. - Es bestehen ferner geordnete Verträge zwischen Frankreich und Mexiko über die Handelsverhältnisse zwischen beiden Nationen und den Rechtsschutz und die Sicherheit, welche die Angehörigen des einen Staates in dem anderen zu fordern haben. Diese Berechtigungen sind nach der Anzeige meines Gesandten seit längerer Zeit auf das Gröblichste verletzt worden. Ich bitte Sie, Herr Gesandter, Seiner Excellenz dem Herrn Präsidenten Juarez, dem ich die besten Erfolge wünsche, darüber Vorstellungen machen und ihn darüber nicht in Zweifel lassen zu wollen, daß Frankreich, ohne sich in die inneren Verhältnisse Ihres Landes einmischen zu wollen, doch keineswegs zugeben darf, daß die uns verbindende Kirche
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mißhandelt werde und französische Unterthanen jedes Schutzes ihres Eigenthums und ihrer Person ferner entbehren. Ich wünsche, daß Sie mir recht bald die Mittheilung werden machen können, daß Ihre Regierung diesen Uebelständen genügend abgeholfen hat und, indem ich Sie meines persönlichen Wohlwollens versichere, hoffe ich Sie dann wiederzusehen.«
Die Sprache des Kaisers war so ernst und dominirend, daß der verblüffte Diplomat nicht wagte, ein Wort der Entschuldigung zu sagen, und, die Entlassung begreifend, sich mit einer tiefen Verbeugung entfernte.
Der Kaiser setzte sich wieder nieder und drehte nach seiner Gewohnheit den Bart.
»So - das wäre abgemacht - und sollte es sich wirklich lohnen, auf die abenteuerlichen Mittheilungen des Herrn von Montauban einzugehen, so wäre da eine Gelegenheit angebahnt. So, da ich nun einmal im Zuge bin, wird es am besten sein, auch gleich die andere Sache abzumachen. England verläßt sich darauf, daß ich Hand in Hand mit ihm gehen soll, schließlich in seinem Interesse mit diesem lieben deutschen Bund mich überwerfen und die Kastanien aus dem Feuer holen werde. Eine kleine Enttäuschung als Revanche kann nicht schaden.«
Er schlug ein Mal an die Glocke - das Zeichen für den Huissier - der sofort erschien.
»Lassen Sie den Herrn Gesandten von Dänemark eintreten!«
Der Huissier öffnete anmeldend die Thür und der Kammerherr Graf Moltke-Haitfeld trat ein, gefolgt von
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dem Conferenzrath Halsteen, in außerordentlicher Mission Seiner Majestät des Königs von Dänemark, und dem Legationsrath Johannes Hansen.
Das Aussehen des Letzteren hatte sich wenig oder gar nicht verändert seit der Zeit, daß wir ihn seine Missionsreise am Bord der Aurora antreten sahen; noch immer das frühere ruhige, kalte Gesicht, der diplomatisch spürende Blick, vielleicht nur noch feiner, besonnener durch die seitdem erlebten Erfolge und Mißerfolge.
Als der Kaiser sich diesmal erhob und dem Gesandten und seinen Begleitern entgegentrat, geschah es in weit zuvorkommenderer, verbindlicherer Weise, als es bei dem mexikanischen Minister der Fall gewesen war. Er reichte dem Kammerherrn Grafen Moltke die Hand, verbeugte sich auf das Höflichste gegen die beiden anderen Herren und erkundigte sich bei dem Gesandten nach seiner Gesundheit und seiner Familie.
»Erlauben Euer Majestät mir, die beiden Herren Ihrer Gnade zu empfehlen und sie vorzustellen.« Er that es und der Kaiser lud alle Drei mit einer Handbewegung zum Sitzen ein. »Sie sehen, Herr Graf, ich entspreche Ihrem Wunsche, Sie nicht in großer Audienz zu empfangen, sondern bei mir selbst, so zu sagen, und habe Herrn von Thouvenel fortgelassen, da Sie mir doch wohl Nichts mitzutheilen haben, was vor meinen Ministerrath gehört?«
»Ich bat Euer Majestät um die Erlaubniß, Ihnen Herrn von Halsteen vorstellen zu dürfen, welcher der Ueberbringer eines Handschreibens meines allergnädigsten Souveräns an Eure Majestät ist.«
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Der Conferenzrath erhob sich und überreichte mit ehrerbietiger Verbeugung den Brief König Frederik's.
»Bitte, meine Herren!« Der Kaiser, der bequem in seinem Sessel lehnte, machte eine Bewegung der Hand, wieder Platz zu nehmen. Statt das Couvert sofort zu öffnen, hielt er es spielend zwischen den Fingern.
»Sie kommen direkt von Kopenhagen, Herr von Halsteen?«
Eine leichte Röthe überflog das feine Gesicht des alten Diplomaten - er begriff zur Genüge den Sinn der Frage.
»Euer Majestät halten zu Gnaden, ich komme zunächst von London, wo ich nächst meiner Mission an Ihre Majestät die Königin Victoria eine wichtige Privat-Angelegenheit, eine Erbschaftssache meines künftigen Schwiegersohnes, zu arrangiren hatte, indem ich mir vorbehielt, den angenehmeren Theil meiner Mission mit der Verheirathung meiner Tochter in Paris zu vereinigen.«
»Ah - ich habe davon gehört! - Ihre Dame ...«
»Ich bin leider Wittwer, Sire,« bemerkte der Conferenzrath.
»Also Ihr Fräulein Tochter, die eine sehr liebenswürdige Dame sein soll, werden Sie doch - da die Königin Victoria noch in Trauer war, also nicht empfängt - der Kaiserin vorstellen; wir haben dann zwei Brautpaare im heutigen Cercle.«
»Mit Euer Majestät Erlaubniß wird die Frau Gräfin als Lady Patronesse diese Pflicht erfüllen. Ihr Wagen kam mit dem unseren.«
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»Die andere Braut,« - der Kaiser schien absichtlich die Eröffnung des Briefes hinzuhalten - »hat zwar schon das Glück der Ehe genossen - die Wittwe eines Ihrer früheren Collegen, Herr Graf, die Frau Gräfin von Hatzfeld, die auch einen Wittwer heirathet, den Herrn Herzog von Valencay-Talleyrand! Wie glücklich ist man doch, wenn man noch jung ist!« Ein leichtes, sardonisches Lächeln lag um seinen Mund, als er die Scheere nahm und das Couvert öffnete. Er las den Brief langsam zwei Mal, dann hob er die Lider und richtete einen halb müden Blick auf den Conferenzrath. »Der König ersucht mich um meine Vermittelung gegen die ungerechtfertigten Ansprüche des deutschen Bundes auf Schleswig und Holstein, eventuell um Beistand. Ja - ist es denn schon so weit, daß es sich um einen Krieg handelt?«
»Die neuen Anträge des Großherzogs von Oldenburg am deutschen Bunde auf Exekution in den Herzogthümern und der zustimmende Beschluß des Bundes sind so gut wie Kriegserklärung.«
»Der deutsche Bund!« sagte der Kaiser lächelnd - »ja lieber Herr von Halsteen - das mit dem deutschen Bunde ist eine sehr alte und bekanntlich etwas langathmige und langweilige Sache. Hat Ihnen denn Herr von Schlemitz oder Graf Rechberg den Krieg erklärt?«
»Das allerdings nicht - indeß eine oder die andere der beiden Großmächte wird jedenfalls mit der Bundesexecution betraut werden.«
»Meinen Sie das wirklich? Da kennen Sie Herrn von Beust, oder Graf Platen oder Herrn von Schrenk,
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oder Herrn von Dalwigk, den ich nächstens erwarte, oder wie die anderen Herren alle heißen, am Ende doch nicht so recht genau! Ich glaube lieber Herr von Halsteen, Sie haben wirklich vollkommen Zeit, Ihre Rüstungen, die Sie ja, wie ich höre, zu Land und See so eifrig betreiben, bis in's Detail zu Ende zu führen. Wenn ich mich jetzt in diese sehr heikle Angelegenheit mischen wollte, würde sicher alle Welt Zeter gegen mich schreien. Ich sollte meinen, da hätten Rußland oder England ja ein weit näheres Anrecht dazu.«
»Euer Majestät,« sagte zurückhaltend der Legationssecretair, »haben das Recht und die Macht, der Schiedsrichter Europa's zu sein!«
»Und vielleicht auch noch der angrenzenden Inseln,« sprach mit heiterem Lachen der Kaiser. »Lieber Herr Legationsrath - Sie würden mir da keineswegs einen sehr angenehmen Posten octroyren! - Nein, nein - ich habe genug mit den Interessen Frankreichs zu thun, das eine sehr unruhige Natur besitzt und mir übergenug zu schaffen macht! Aber sagen Sie mir, warum läßt man denn eigentlich in Kopenhagen, das eine vortreffliche Rhede haben soll, die beiden Herzogthümer, die seit zwölf oder dreizehn Jahren so viel Lärmen machen, nicht in der alten Weise fortregieren und vegetiren? Ich halte, offen gestanden, die ganze Geschichte mehr für eine Reclame des sogenannten Nationalvereins in Deutschland, als für eine politische Nothwendigkeit.«
»Die Zusammengehörigkeit Schleswigs mit der dänischen
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Krone muß vor einem Wechsel derselben festgestellt sein!«
»Ei, mein Herr, König Friedrich denkt gewiß noch nicht daran, diese schöne Welt zu verlassen, das sehe ich aus seiner festen Handschrift.«
»Euer Majestät bitte ich um die Erlaubniß,« sagte mit ernstem Ton der Conferenzrath, »im Vertrauen auf Ihre Weisheit und - und ...«
»Discretion!« half ihm der Kaiser aus.
»Da Euer Majestät selbst das Wort gebrauchen, wage ich nicht zu widersprechen, - also im Vertrauen auf Eurer Majestät so oft bekundete Weisheit und politische Voraussicht, einige Vortheile anzudeuten, die Frankreich wohl über kurz oder lang aus einer activen Theilnahme für die skandinavischen Staaten, speciell für das kleine Dänemark, erwachsen dürften.«
Der Kaiser lehnte sich zurück in seinen Sessel, legte die Hände nach seiner Gewohnheit zusammen und schloß die Augen. »Sprechen Sie!«
»Die Verhältnisse in Preußen,« fuhr der Conferenzrath fort, »ja in ganz Deutschland, sind der Art, daß die Leitung der Ereignisse nicht mehr in der Hand der Regierungen liegt. Wie leicht können Eure Majestät in die Lage kommen, diesem ehrgeizigen, nach unberechtigter Macht strebenden Preußen ein ›Bis hierher und nicht weiter‹ zurufen zu müssen. Würde dann nicht ein Ihnen dankbares und ergebenes Dänemark und Schweden - denn Sire, die Interessen der beiden skandinavischen Staaten sind dieselben - mit dem Besitz des Sundes und des
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Hafens von Kiel und Kopenhagen von großer Wichtigkeit für die Operationen der französischen Flotte sein?«
Der Kaiser schwieg einige Augenblicke: »Das ist ja eine förmliche Alliance gegen Deutschland, was Sie mir da bieten, mein Herr!« sagte er endlich.
»Wenn Euer Majestät es als solche ansehen wollen - ich bin dazu ermächtigt, wie Seine Excellenz hier bestätigen werden.«
»Erlauben Sie mir die Frage, ob Sie dieselbe Offerte auch England gemacht haben?«
»Euer Majestät wissen sehr wohl, daß dort die Verhältnisse ganz andere sind. Eine Alliance mit England hieße Rußland herausfordern, das nur auf die Gelegenheit wartet, an diesem Gegner die Schlappe von Sebastopol zu rächen. Die englischen Interessen, ganz abgesehen von den verwandtschaftlichen Verbindungen, fordern die Stärkung Preußens. Kleine Differenzen, wie die gegenwärtige Mac Donald-Affaire, sind zu unbedeutend, um hier zu influiren. Ich nehme keinen Anstand, Euer Majestät den Gegenstand mitzutheilen, welchen wir bereit sind, für die guten Dienste Englands in der Frage der Herzogthümer zu zahlen: es handelte sich um den Verkauf der Insel Sanct Thomas in Westindien.«
Der Kaiser neigte freundlich den Kopf. »Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufrichtigkeit, Herr Conferenzrath, und bitte Sie, Ihre Mission keineswegs als gescheitert zu betrachten, wenn auch die höheren Interessen Frankreichs fordern, uns vorläufig jeder Einmischung in die deutschen
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Angelegenheiten zu enthalten, bis vielleicht eine solche Aufforderung aus Deutschland selbst an uns kommt.«
Er bemerkte, daß der Legationsrath, noch nicht ganz so geschult wie sein Schwiegervater, etwas zweifelnd aufblickte. »Sie scheinen an einer solchen Möglichkeit zu zweifeln, mein Herr, aber ich als ein älterer Politiker sage Ihnen, daß Sie in Ihrer diplomatischen Carrière, der ich die besten Erfolge wünsche, leicht noch ganz andere Dinge sehen werden, als Verleugnung des Nationalgefühls um zeitlicher Vortheile willen.« Der Kaiser bemerkte wahrscheinlich den rothen Flecken nicht, der auf den Wangen des dänischen Diplomaten erschien. »Warum sollte es nicht solche Spekulanten - ich will mich nicht härter ausdrücken - auch unter den deutschen Fürstlichkeiten und Politikern geben? - Doch wir verirren uns damit von unserer eigentlichen Frage. - Wir werden, da Sie ja doch vorläufig in Paris bleiben, jedenfalls noch Gelegenheit haben, uns weiter über die Frage auszusprechen. Einstweilen bitte ich Sie, Seine Majestät den König Frederik meiner vollen Bereitwilligkeit, ihm zu dienen, zu versichern und ihm als meinen aufrichtigen Rath zu sagen, er möge einstweilen temporisiren, bis die Chancen günstiger sind. Ich hoffe Sie öfter in den Tuilerien oder in Saint Cloud zu sehen, wohin wir nächstens übersiedeln, um das Frühjahr zu genießen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt ist,« - der Kaiser hatte sich erhoben, als er den offiziösen Ton fallen ließ - »daß ich ein großer Rosenzüchter bin und die Aussicht habe, in
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diesem Jahre das Problem der blauen Rose zu lösen. - Darf ich fragen, wann die Hochzeit sein soll?«
»Mit Eurer Majestät Erlaubniß bereits am nächsten Montag. Herr Hansen erwartet nur das Eintreffen seines Bruders, der als Seemann auf Reisen ist.«
Der Kaiser neigte verbindlich das Haupt. »Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Ich hoffe das Vergnügen zu haben, Sie heute im Cercle der Kaiserin wiederzusehen.«
Die Audienz, die in der gnädigsten Form verlaufen war, war zu Ende. Als die dänischen Herren das Gemach verlassen hatten, betrachtete der Kaiser lächelnd seine Fingerspitzen. »Hm! der Gedanke des offenen Sundes oder einer Flottenstation in Kiel oder auf den Inseln bei einem Kriege mit Deutschland ist nicht ganz übel. Daß doch alle Welt einen solchen vorauszusetzen scheint! Nun, was kommen muß, kommt, - einstweilen wollen wir uns nicht damit übereilen, und gelingt die Arrondirung Frankreichs, dieses große Problem, was mich noch mehr beschäftigt als die blaue Rose, auf einem anderen Wege - desto besser.« Er gab das Zeichen zum Eintritt.
»Der Herr Marschall Graf d'Ornano!«
Der Gemeldete trat ein, führte aber den Capitain Boulbon an der Hand mit sich, der beim Eintritt in das Gemach des Kaisers bescheiden zurücktrat und an der Thür stehen blieb. »Mit Erlaubniß, Sire,« sagte der Marschall, der trotz seiner 78 Jahre in strammer, fester Haltung und tadelloser Ajustirung in der großen Marschallsuniform auftrat und salutirte, - »wir kommen mit Ihrer Erlaubniß
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da gleich die alte und die junge Armee Frankreichs. Außer dem Feldmarschall Wrangel in Berlin - wir sind in einem Jahre zur Welt gekommen und er ist nur drei Monate älter als ich - möchte es wohl schwerlich in der europäischen Armee einen so alten Soldaten wie mich geben; denn, wie Euer Majestät wissen, diene ich heute gerade 61 Jahre dem erhabenen Hause des Kaisers Napoleon I., den ich das Glück hatte, meinen Landsmann zu nennen, und da konnte ich es mir nicht versagen, Eurer Majestät, seinem erhabenen und glücklichen Nachfolger nochmals den Dank eines alten Soldaten abzustatten für die Auszeichnung, die Sie mir noch am Ende meines Lebens haben zu Theil werden lassen. Da es nun aber Zeit wird, daß wir Alten das Feld räumen und ich hörte, daß der junge Herr da zur Audienz befohlen, welcher der Sohn eines wackeren Soldaten und guten Franzosen ist, habe ich ihn gleich mit herein gebracht. So sparen Eure Majestät Ihre kostbare Zeit; denn ich bin zufrieden, Sie gesehen zu haben!«
Der Kaiser war dem alten Soldaten seines Hauses entgegen gegangen und hatte ihn selbst zu dem nächsten Sessel geführt. »Wer wie Sie, Herr Marschall, ein so treuer Begleiter des großen Kaisers von Austerlitz bis Waterloo war, und ihn auch auf seiner letzten Wanderung begleitete, der kann selbst einen Bourbon - er nickte huldvoll dem jungen Offizier zu, »zur Gesellschaft haben, ohne in den Verdacht zu kommen, den Napoleoniden ungetreu zu werden. Setzen Sie sich, lieber Graf, und widmen Sie mir einige Augenblicke. Der Herr Capitain hat Zeit
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und mag von einem solchen Veteranen die Geduld lernen, wie man auf den Marschallsstab wartet, den bekanntlich jeder Soldat meines Oheims im Tornister zu tragen glaubte.«
Der junge Offizier erröthete, während der Veteran ihn freundlich betrachtete. »Er scheint mir das Zeug zu haben, Sire,« sagte er. »Darf ich mich erkundigen, wie Ihrer Majestät und dem Prinzen die Feier im Invalidendom bekommen ist? - ich meine natürlich den jungen Prinzen, Sire,« fügte er mit einem bezeichnenden Blick auf die vor ihm liegende Brochüre hinzu, »nicht den Herrn Prinzen Napoleon. Man hat mir erzählt, daß Ihre Majestät von der Leichenfeier nach der Conciergerie gefahren sei, um in der Kammer der Königin ein Gebet zu verrichten, was ganz dem großen Herzen Ihrer Majestät ähnlich sieht.«
»Oh,« sagte der Kaiser, »sie ist nicht bloß in der chambre Marie Antoinette gewesen, sondern auch in der Zelle, in der ich einst die Ehre hatte von diesen Orleans eingesperrt zu werden, die meinen Herrn Vetter jetzt so drastisch an die Wohlthaten erinnern, die er von ihnen genossen hat, und an die Tapferkeit und Aufopferung, die er an jenem Tage bewies,8 an dem es galt, den Namen
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Bonaparte wieder an die Spitze Frankreichs zu stellen, an jenem Tage, lieber Marschall, den Sie so umsichtig vorbereiten halfen und an dem Sie mir so treu zur Seite standen.«
»Euer Majestät wissen, daß mein Leben stets dem Kaiserthum gehört hat!«
Der alte Gouverneur des Invalidenhôtels, der bei Gelegenheit der am 2. April erfolgten Uebersiedelung des Sarges des Kaisers Napoleon I. aus der Krypta des Doms in die zur Aufnahme der Leiche besonders im Dom erbaute Kapelle zum Marschall ernannt worden, war in
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der That einer der treuesten Krieger des Kaisers gewesen. Am 24. Januar 1784 in Ajaccio geboren, trat er schon im Jahre 1800 in den französischen Kriegsdienst, war mit Leclerc in San Domingo, kämpfte bei Austerlitz, Jena, in Spanien und kommandirte 1812 in der Schlacht an der Moskwa als Divisionsgeneral die gesammte Reiterei der italienischen Armee. Schwer verwundet auf dem Rückzug aus Rußland, räumte ihm Napoleon einen Platz in seinem eigenen Wagen ein. Wegen seiner Betheiligung an den hundert Tagen mußte er für drei Jahr nach Belgien flüchten, wo er die Gräfin Walewska, die polnische Geliebte des Kaisers, die Mutter des Ministers Grafen Walewski heirathete. Unter der Restauration zum Pair und Kommandanten einer Militair-Division ernannt, bildete er 1851 den Mittelpunkt, um den sich die neubonapartistische Partei sammelte und wurde 1852 Großkanzler der Ehrenlegion, 1853 Gouverneur des Invaliden-Hôtels.
»Das weiß ich, lieber Graf,« sagte der Kaiser warm, »und ich wünschte, ich hätte in meiner eigenen Familie so zuverlässige und uneigennützige Freunde, wie an Ihnen und Ihrem Sohn. - Und nun zu Ihnen, Herr Kapitain!«
Der Marschall wollte sich entfernen, der Kaiser reichte dem Vsteranen jedoch die Hand und nöthigte ihn, wieder Platz zu nehmen. »Ich bitte Sie, mein alter Freund, mich noch nicht zu verlassen. Was ich mit dem jungen Herrn da zu verhandeln habe, kann ein so bewährter Freund der Napoleoniden immerhin hören, und ich möchte, daß der Prinz, mein Sohn, der gleich von seinem gewöhnlichen Vormittagsspaziergang kommen wird, Sie begrüße.
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Also Herr Graf, Sie haben keine Lust, sich von Ihren Lorbeern in China wieder auszuruhen und bitten um Verwendung? Teufel, ich sollte meinen, in Ihrem Alter gäbe es keinen angenehmeren Aufenthalt als Paris, und obschon ich Ihren Eifer lobend anerkenne, werden Sie sich schon darein schicken müssen, wenigstens bis zur Rückkehr der chinesischen Armee hier zu verweilen. Ich habe Sie als Ordonnanzoffizier meinem persönlichen Stabe zugetheilt.«
»Sire, welches Glück! wie kann ich Euer Majestät solche Gnade danken ...«
»Durch pünktliche Pflichterfüllung, Herr Kapitain. Sie haben an der Frau Marschallin Saint Arnaud eine treue Beschützerin gehabt, wie ich Ihnen sagen kann, und ich erinnere mich Ihres Vaters sehr wohl! Sie wissen also ganz bestimmt, daß derselbe in Mexiko sein Leben bei jener abenteuerlichen Expedition eingebüßt hat? Die Nachrichten darüber waren eigentlich etwas unbestimmt.«
»Sire, ein alter Diener, der auch auf mich übergegangen ist, hat den Zeugen seines Todes gesprochen, und auch ich habe denselben durch einen jener Zufälle, welche sich zuweilen im Leben in fast romanhafter Weise ereignen, in China gesehen.«
»Es scheint allerdings etwas Romanhaftes in Ihrer Geschichte, namentlich in Ihren Begegnungen obzuwalten. Sprachen Sie nicht Ihrer Majestät der Kaiserin davon, als Sie die Depeschen des Herrn von Cousin-Montauban überbrachten und von einem indischen General, einem geborenen Ionier, den Sie in Rom bei dem Grafen von Lerida angetroffen haben? Die Kaiserin interessirte sich für Ihre
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Begegnung mit dem etwas abenteuerlichen spanischen Granden, der in Biarritz Gelegenheit hatte, uns einen großen Dienst zu erweisen und den wir längst in Paris erwartet haben, und aus diesem Grunde erinnerte ich mich des Ioniers - des General oder Capitain ... wie nannten Sie ihn doch ...?«
»Capitain Marcos Grimaldi - er focht als Vezier oder General Maldigri in Diensten der Rani von Ihansi gegen die Engländer und kannte aus Indien den Herrn Grafen von Lerida.«
Der Kaiser nickte zustimmend. »Richtig, Sie wiederholten in dem Abendcirkel der Kaiserin eine interessante Geschichte von ihm. - Wenn ich mich nicht sehr täusche, muß ich sogar Ihren Capitain oder General Grimaldi von früher her9 persönlich kennen. Und wissen Sie, wo derselbe sich gegenwärtig aufhält?«
»Er hat, soviel ich weiß, den Herrn Grafen von Lerida auf einer Reise zum Nil zur Aufsuchung eines Vetters desselben, des Viscount von Heresford, begleitet. Ich erwarte selbst mit Sehnsucht, Sire, eine Nachricht aus Cairo oder Alexandrien über das glückliche Eintreffen des Viscount und seiner Gesellschaft, unter der sich auf der langen Seereise von der Mündung des Peiho bis zum rothen Meere mir befreundet gewordene Personen befinden.«
»Sie werden mich verbinden, Herr Graf,« sagte der Kaiser mit einer Handbewegung, welche die Entlassung
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des jungen Offiziers andeutete, »wenn Sie mir, sobald Sie eine Nachricht von Ihren Freunden erhalten, davon Anzeige machen. Auch sollen Sie mir bei Gelegenheit Ihren alten Diener vorstellen. Ich schätze solche Treue. Die Damen der Kaiserin haben sich übrigens beklagt, daß Sie die Abendgesellschaften Ihrer Majestät vernachlässigen; ich bitte Sie, sich zu erinnern, daß heute der Tag des Abend-Empfanges ist!« - Die wohlwollende, fast liebenswürdige Weise, die der Kaiser in solchen Augenblicken so hinreißend zu entwickeln verstand, wechselte mit dem ernsten dienstlichen Ton. »Sie werden Ihr Brevet bei General Fleury in Empfang nehmen und Ihre näheren Anweisungen über den Dienst von ihm erhalten«
Der Kaiser nickte. Indem der junge Offizier sich zur Thür zurückzog, wurde diese geöffnet und der kaiserliche Prinz erschien ohne weitere Anmeldung, einen Herrn in bürgerlicher Kleidung, von etwas plumper Gestalt und dem großen Kaiser auffallend ähnlicher Gesichtsbildung, an der Hand haltend.
»Hier, Papa Majestät, bringe ich Dir den Onkel Prinzen,« sagte der Knabe, sich von der Hand des Eintretenden befreiend und die seines Vaters küssend. »Ich wäre lieber mit Onkel Morny gekommen, der draußen wartet, aber der Onkel Prinz wollte durchaus mit mir gehen, obschon er mich gar nicht so gut leiden mag und mir Nichts mitbringt, wie Onkel Morny thut. Aber ich mag ihn auch nicht leiden, Papa, weil er mich immer so böse ansieht und dazu den Mund aufsperrt, und Du weißt, Papa, Mama mag ihn auch nicht leiden!«
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»Louis!«
Der Kaiser war doch einen Augenblick außer Fassung über die Naivetät des Kindes.
»Laß ihn nur, Vetter,« sagte der Prinz Napoleon, denn dieser war der Eingetretene, »ich bediente mich seiner, um rasch zu Dir zu kommen. Du verzeihst um seinetwillen wohl, daß ich mich nicht anmelden ließ. Kinder haben überall Zutritt, und Kinder sagen die Wahrheit.«
»Auch Narren,« bemerkte der Kaiser pikirt, »wenigstens zuweilen, und dazu scheinen unsere guten Freunde, die Orleans, zu gehören.«
Der Prinz hustete verlegen und gähnte dann hinter der Hand - ein Naturfehler, der seine Unterhaltung ziemlich unangenehm macht. »Euer Majestät ahnen wohl, warum ich so dringend wünschte, Euere Majestät zu sprechen?«
»Ich zweifle nicht, daß ganz Paris diesen Eifer so gut wie ich zu schätzen wissen wird. Du hast meine volle Erlaubniß.«
Der Prinz Napoleon wurde trotz seines Phlegma's etwas unruhig. »Wie meinen dies Euer Majestät - wozu?«
»Es trifft sich gut,« sagte der Kaiser, jetzt vollständig wieder kalt und mit seiner gewöhnlichen Ruhe, - »doch erlaube zuvor, daß ich Louis fortschicke. - Geh' mein Kind und amüsire Dich bei Deinem Spaziergang. Ich werde Ihre Majestät Deine Mutter später sprechen.« Er küßte den Knaben und führte ihn bis zur Thür, wo er ihn dem Kammerdiener persönlich übergab. Dann kehrte
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er zurück und blieb vor seinem Sessel stehen. »Es trifft sich gut, daß gerade einer jener Soldaten unseres großen Oheims hier ist, der als unbezweifelte Autorität in allen Dingen gelten darf, welche die Ehre unseres Hauses betreffen.«
»Eben dieserhalb komme ich,« sagte hastig der Prinz. »Ich denke, daß die Ehre des kaiserlichen Hauses von Frankreich nicht durch irgend eine Schmähschrift, ein Pasquill beleidigt werden kann, Euer Majestät wissen das eben so gut aus hundert derartigen Erzeugnissen.«
»Die Ehre des Kaiserlichen Hauses gewiß nicht,« sagte der Chef desselben kühl, »man muß dergleichen dem gewöhnlichen Gang der Landesgesetze überlassen, gerade wie etwa den Prozeß Patterson.«10
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Der Prinz biß sich auf die Lippen - der Prozeß war eine ihm höchst fatale Sache, da er nach den Plaidoyers des berühmten Advokaten Berryer, der für die Rechtsansprüche der Patterson's eintrat und die klarsten Beweise lieferte, die allgemeine Meinung gegen sich und seinen schmutzigen Geiz hatte. »Es handelt sich hier um die Broschüre des Herrn von Aumale,« sagte er, »die ich dort liegen sehe.«
»Eben deshalb erwartete ich Dich,« sagte der Kaiser, »und ich wiederhole, die Beleidigungen und Schmähungen der Dynastie sind von einem anderen Standpunkte, als persönliche Angriffe zu betrachten. Das Pamphlet ist von dem General-Prokurator mit Beschlag belegt worden.«
»Ich komme deshalb, um Eure Majestät zu bitten, durch Ihre Machtvollkommenheit die Beschlagnahme aufheben lassen zu wollen, damit es nicht aussieht, als ob wir -«
»Du meinst Dich selbst, Vetter!«
Wieder biß sich der Prinz auf die Lippen, - »als ob ich das Pamphlet der Kenntniß des Publikums entziehen wolle und Etwas auf dergleichen Angriffe gäbe!«
»Und - ist dies Alles?«
»Ich habe mich nach reiflicher Berathung mit meinen Freunden dafür entschieden, - es ist das einzige Mittel, solchen Angriffen zu begegnen. Friedrich der Große ließ bekanntlich auch die gegen ihn gerichteten Pasquills niedriger hängen, damit alle Welt sie lesen möge.«
Der Kaiser zuckte die Achseln und sah dabei den Grafen d'Ornano an.
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»Euer Majestät hat mir einst selbst erzählt, daß der Herr Herzog von Aumale und Prinz Joinville eben im Begriff waren, in derselben Woche eine Erhebung in Paris zu Gunsten der Orleans zu veranstalten, als die Nachrichten von dem Staatsstreich vom 2. Dezember sie unterwegs traf und ihr Vorhaben vereitelte. Ich muß zugeben, daß die Orleans es nie haben an persönlichem Muth fehlen lassen.«
Der Prinz wandte sich barsch gegen ihn: »Zweifeln Sie etwa an dem meinen, Herr Marschall?«
»Ich habe zu oft Euerer Kaiserlichen Hoheit erhabenen Oheim im Kugelregen der Schlacht stehen sehen, als daß ich den Muth eines Bonaparte in meinen alten Jahren noch bezweifeln sollte. - Ich bitte Euer Majestät, mich zu entlassen.«
Der Kaiser reichte dem alten Krieger die Hand. »Gehen Sie mit Gott, Herr Marschall, und bewahren Sie mir ein gleich gutes Andenken, wie Ihrem alten Kriegsherrn«
Der Marschall salutirte frostig den Prinzen. - Der Kaiser geleitete ihn zwei Schritt weit zur Thür.
»Sei so gut,« sagte er zurückkehrend, »mir Deinen Antrag - den ich vollkommen billige, obschon er bei der großen Verbreitung der Broschüre kaum noch einen Zweck hat, - hier schriftlich niederzulegen, damit ich ihn im Moniteur veröffentlichen lasse, was ja Deine Freunde befriedigen dürfte. - Dann entschuldigst Du mich wohl, da ich dringend mit Morny zu conferiren habe. - Wir sehen uns wohl am Abend.«
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Der Prinz hatte sich an dem Schreibtisch des Kaisers niedergelassen und fragte, während er das Gesuch niederschrieb und der Kaiser sich eine neue Cigarre anbrannte: »Was schwatzte d'Ornano da von einem Versuch dieser Orleans im Dezember Zweiundfünfzig?«
Der Kaiser blies eine Rauchwolke vor sich hin. »Wenn Du zweifelst, könnte Dir Palmerston die nöthigen Daten und Namen an die Hand geben. - Bist Du fertig?«
Der Prinz überreichte ihm die Schrift.
»Es scheint, Euer Majestät sind nicht ganz zufrieden mit mir und diesem Schritt?«
»Bewahre! - Du bist alt genug, um zu wissen, was Du thust, und ja wohl auf dem Wege, Familienvater zu werden, wenn die Mademoiselle Pearl keinen Einspruch erhebt. - Niemand kann für sein Temperament! - Doch nun entschuldige mich - und schicke jedenfalls heute Abend Deine Schwester zu dem Cercle der Kaiserin! - Adieu!«
Der Prinz empfahl sich, nicht gerade sehr erbaut von der Unterredung.
Der Kaiser hatte sich wieder niedergelassen. »Feigling und Intriguant!« murmelte er. »Sein ganzes Interesse ist jetzt das seines Schwiegervaters, nicht das Frankreichs, und ich bin überzeugt, daß bei einer wirklichen Gefahr für das Kaiserthum niemals auf ihn zu rechnen wäre, es sei denn, er glaubte, es sich selbst zu fischen. Armer Knabe - es ist die höchste Zeit, dauernde Chancen für seine Zukunft zu schaffen durch feste Alliancen. - Feste? - Was ist in dieser Welt fest - vollends in dem
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Spiel der Politik! - England? - Oesterreich - Preußen - Rußland? - Ja - wer in die Zukunft sehen konnte! Versuchen wir's nochmals mit Rußland! - Und was diesen Patterson betrifft - ich muß mich erkundigen, welche Rolle er bei diesen sich vorbereitenden Kämpfen in Nord-Amerika spielt - vielleicht wäre er - zu Unterhandlungen - in Mexiko oder mit den Südstaaten zu brauchen!« - Er gab das Zeichen. »Bitten Sie den Herrn Grafen von Morny einzutreten und erklären Sie dann für heute den Empfang geschlossen.«
»Seine Excellenz der Herr Präsident des Corps législativ Graf de Morny!«
Der natürliche Bruder des Kaisers - er war bekanntlich der natürliche Sohn der schönen Königin Hortense mit ihrem Großstallmeister, dem ebenso eleganten als schönen Grafen Flahault de la Billarderie - trat trotz seiner neunundvierzig Jahre mit jener Elasticität und dem stutzerhaften Wesen ein, die er bis zu seinem für das Glück des Kaisers zu früh erfolgten Tode - er starb bekanntlich schon vor dem Kriege 1870 - bewahrte. Der Graf hatte eher das Aussehen eines alten Elegant und reichen Geschäftsmannes, als eines kühnen Offiziers und Parteigängers, der er doch in seiner Jugend gewesen. Am 23. October 1812 in Paris von der schönen Königin von Holland, der Tochter der Kreolin, des Schutzgeistes des ersten Napoleons, geboren, wurde der kinderlose Graf Morny aus Isle de France gewählt, den kleinen Zeugen des Ehebruchs als Sohn gegen eine Bezahlung von 800,000 Francs zu adoptiren. Talleyrand, derselbe,
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welcher die Trennung der Ehe Jerôme's von der Patterson verhandelt hatte, prophezeite dem Knaben, der ein Liebling des kaltherzigen Diplomaten war, er werde einmal Minister werden, aber es hatte eher den Anschein, er würde sich als kecker Soldat auszeichnen; denn als der junge Graf nach Austritt aus der Schule des Generalstabes 1832 als Unterlieutenant eingetreten und zur französischen Armee nach Afrika gegangen war, machte er sich gleich in seinem ersten Feldzuge bei Mascara durch den Ritt berühmt, den er allein durch das ganze Heer des Feindes Abdel-Kader unternahm, um zu seinem Corps zu stoßen. Dann wurde er bei der Belagerung von Konstantine von vier Kugeln verwundet und erhielt das Kreuz der Ehrenlegion für die Rettung des Generals Trezel aus Lebensgefahr unter den Mauern der belagerten Stadt. Von der Rente von 40,000 Francs, die seine Mutter ihm bei ihrem Tode (1837) hinterlassen, lebte der junge elegante Ulanen-Offizier flott, bis er 1838 seinen Abschied nahm und plötzlich in Clermont als Rübenzucker-Fabrikant debütirte. Vier Jahre später trat er als Abgeordneter von Puy-de-Dôme in die Deputirten-Kammer und stand durch hohes Spiel und industrielle Spekulationen 1849 am Bankerott, als der Prinz-Präsident seinen ihm schon lange treu anhängenden Halbbruder zu einem der Hauptwerkzeuge des Staatsstreiches vom 2. Dezember machte. Er war es, der, zum Minister des Innern designirt, die 200 widersprechenden, in der Mairie des 10. Arrondissements versammelten Deputirten auseinander sprengte und so jeden gesetzlichen Schritt der Opposition verhinderte.
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Schon 1857 zum Präsidenten des gesetzgebenden Körpers gewählt, ging er nach dem pariser Frieden als Botschafter zur Krönung des Kaisers Alexander nach Petersburg, wo er die junge und schöne, der Kaiserin etwas zu gefährliche Fürstin Trubetzkoi heirathete, mit deren großem Vermögen er seinen etwas zerrütteten Finanzen wieder aufhalf und bedeutende Besitzungen in der Nähe von Petersburg kaufte. Er galt als der Vorfechter der russischen Alliance und genoß großes Vertrauen des Kaisers.
»Willkommen Jules,« sagte der Kaiser - »komm, setze Dich, ich habe nach Dir geschickt, um einmal wieder vertraulich mit Dir zu plaudern. Hast Du Lust, nach Petersburg zu gehen?«
»Wollen Euer Majestät denn den Herrn Herzog von Montebello zurückberufen?«
»Ich meinte vorläufig in vertraulicher Mission - auf Deine Güter bei Petersburg. Hast Du von der Audienz gehört, die gestern die Polen bei mir gehabt haben?«
»Ich habe Sie schon früher gewarnt, Sire, sich nicht mit dieser polnischen Angelegenheit einzulassen. Es wäre ein Unglück für Frankreich, und wenn es nach meinem Rath ginge, hätten Sie längst das ganze Gesindel, das nichts ist, als eine Bande von Ruhestörern und Aufwieglern sich vom Halse geschafft. Mag England sich damit befassen, so viel es will, wir haben an diesen Italienern schon genug zu leiden.«
»Es ist - ich gebe es zu - eine unglückliche Erbschaft meines Onkels, aber so lange sie nicht geradezu gegen mich conspiriren, kann ich ihnen das Asylrecht nicht
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kündigen, ohne mit allen Traditionen Frankreichs zu brechen. Wir müssen das Uebel der Emigration mit Geduld ertragen - und im Grunde, Graf, es giebt doch auch ehrenwerthe, unglückliche Männer dabei, die unsere ganze Sympathie verdienen! - Bedenke, - die Welt dreht sich wunderbar, - wenn einmal die Napoleoniden in's Exil wandern müßten, und Niemand wollte sie aufnehmen!«
Der Kaiser hatte, ganz gegen seine Gewohnheit den Kopf in die Hand gestützt und sah in tiefen Gedanken vor sich hin.
»Welche Ideen, Sire!«
»Bedenke, das Glück ist wandelbar - und die Bourbonen leben auch im Exil. Ich habe in der That daran denken müssen bei dieser fatalen Brochüre des Herzogs von Aumale.«
»Ich muß gestehen, der Prinz hat die Züchtigung verdient - er kam eben von Eurer Majestät und sah so hochmüthig aus, wie ... wie ...«
»Genire Dich nicht!«
»Nun, wie ein bissiger Köter, dem eben der Schwanz abgehackt worden. Euer Majestät verzeihen, aber Sie wissen, daß ich nicht zu seinen Bewunderern gehöre.«
»Dies Schicksal theilst Du mit Vielen. Indeß - auf seinen Augen beruht das Kaiserthum der Bonaparte, wenn Gott mir meinen Knaben nehmen sollte!«
»Davor bewahre uns der Himmel - der Prinz ist doch nicht krank? Ich sah ihn doch so eben - er ist so
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munter und kräftig, wie ein Knabe in seinen Jahren nur sein kann.«
»Nein - Gott sei Dank. Dr. Conneau ist zufrieden mit seiner Gesundheit. Louis hat zwar eine zarte, nervöse aber zähe Natur nach seinem Urtheil. Weswegen ich Dich bitten ließ - da - lies!«
Der Kaiser nahm einen Brief, der unter einem Briefbeschwerer von Lapislazuli gelegen und reichte ihn dem Vertrauten.
»Von Kaiser Alexander?«
»Von ihm selbst. - Dein Rath, ihm eine Gemeinsamkeit der Operationen im Orient, eine Lösung der orientalischen Frage durch Rußland und Frankreich vertraulich vorzuschlagen, war gut gemeint - aber Du siehst, daß er es ablehnt.«
Graf Morny las das Handschreiben des Kaisers von Rußland nochmals bedächtig durch, dann sagte er: »Es ist wie ich dachte, und woraus mir auch Kisseleff kein Hehl machte - man ist in Petersburg verstimmt über die Tiraden der pariser Presse - selbst der officiösen Journale gegen die russischen Maßregeln in Warschau, die doch Nichts sind, als das ganz berechtigte Auftreten gegen wohl vorbereitete Ruhestörungen. - Diese Mittheilung des ›Herald‹, daß Herr Mieroslawski, der Revolutionair par excellence et sans succès eine polnische Legion hier in Paris sammle, die schon 500 Köpfe zähle, und die er auf 2000 Mann zu bringen denke, ist denn doch zu stark. Sie sehen, Sire, aus der Wendung des kaiserlichen Handschreibens: daß er jetzt erst daran denken
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müsse, sich mit Ordnung der Verhältnisse im Innern zu beschäftigen, - daß er damit offenbar auf die polnische Frage deutet.«
»Graf Kisseleff hat mir die Mittheilung gemacht, daß die russische Regierung beabsichtigt, den landwirthschaftlichen Verein aufzulösen. Unsere Emigration scheint vortrefflich in Petersburg wie in Warschau informirt zu sein,« - der Kaiser zog ein Schubfach des Tisches auf und nahm daraus ein Papier, - »denn nach diesem Bericht der geheimen Polizei, die natürlich die Verhandlungen im Palais Czartoryski gebührend überwacht, wußte man diesen Beschluß in der Emigration, noch ehe der Befehl in Warschau ankam, ebenso wie die neuen blutigen Zusammenstöße mit den Truppen am 8. in Warschau bereits am Abend desselben Tages. Das einzig Gute ist, daß die Emigration hier unter sich selbst vollständig uneinig ist: die blaue Partei der Herrn Lelewel und Mieroslawski, die zu einem sofortigen Losschlagen drängt, während die Adelspartei des Fürsten einen Aufschub für zwei Jahre fordert und auch bei dem Revolutionscomité in Warschau durchgesetzt hat.«
»Und - Verzeihung, Sire! - haben Sie Herrn von Kisseleff nicht einen Wink darüber geben lassen? Man würde Ihnen sehr dankbar dafür in Petersburg sein.«
Der Kaiser lächelte. »Da kennst Du doch Deine neuen Landsleute verteufelt schlecht, Graf,« sagte er, »wenn Du glaubst, wir könnten die Russen etwas im Spiondienst lehren. Herr von Kisseleff hat die bestorganisirte Polizei in Paris und könnte den seligen Herrn Fouché beschämen.
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- Ich möchte wetten, daß er weit genauer wie Herr Boiselle11 von der Versammlung der beiden Fractionen unterrichtet ist, die heute Abend zur Entscheidung der Frage stattfinden soll, ja, daß er gewiß nicht ohne Einfluß auf die Entscheidung ist. - Doch um zu einem Resultat zu kommen, ich werde noch heute Persigny meinen bestimmten Willen kundgeben, diese polnische Agitation auf das Genaueste überwacht und die Presse ernstlich verwarnt zu sehen, sich aller Aufmunterung derselben und aller Angriffe gegen die russische Regierung zu enthalten.«
»Euer Majestät werden gewiß sehr wohl daran thun.«
Der Kaiser drehte die Spitzen seines Bartes mit der Linken, während die Rechte die Cigarre nach einem starken Zug aus den Lippen nahm. »Nachdem somit Deinen russischen Sympathieen Genüge geschehen,« sagte er mit leichtem Lächeln, »möchte ich Deinen vertrauten Rath über die allgemeine Lage und die Ziele unserer - ich sage es offen, - meiner Hauspolitik hören!« -
Zunächst - wir dürfen uns nicht verhehlen, daß unsere Lage nicht mehr die frühere ist, daß Frankreich, trotz seiner Erfolge im Einzelnen, nicht mehr die allein entscheidende Stimme in Europa hat, wie es zur Zeit des Krimkrieges und der Siege in der Lombardei der Fall war.
Ich frage mich selbst, woher kommt dies? was haben wir versäumt? wer überholt uns?
Ich finde keine genügende Antwort.
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Wir stehen ziemlich schlecht mit England - England, das in einem großen Kriege ohne die französische Alliance verloren wäre! England hat sich unsere Lorbeern angeeignet. Es hätte niemals Sebastopol gesehen ohne unseren Beistand. Es hätte in China unterlegen, wenn die französischen Waffen ihm nicht den Sieg erkämpft hätten. Dafür wirft es meiner Politik, all' meinen Absichten bei jeder Gelegenheit einen Stein in den Weg.
Wir haben in Cochinchina gesiegt; - durch uns allein ist die italienische Einheit eine Wahrheit geworden.
Jetzt intriguirt es und sucht den Papst an sich zu locken, indem es ihm bereits zum zweiten Mal ein Asyl in Malta bietet.
Was heißt das Anderes, als ein neuer Versuch, eine neue Intrigue, Europa in Aufregung zu erhalten, Europa damit beherrschen zu wollen: der Papst, die katholische Kirche im Schutz eines protestantischen Landes.
Während Frankreichs Blut die Schlachten von Solferino und Magenta geschlagen hat, fetiren die Engländer Herrn Garibaldi, unterstützen Mazzini und schützen den gemeinen Banknotenfälscher Kossuth, als seien sie es, welche Italien frei gemacht und Oesterreichs Wohl und Wehe in der Hand hielten. - Sie verweigern uns den Erwerb von Sardinien und drohen mit der Occupation von Sicilien, in demselben Augenblick, wo - wie ich auf das Bestimmteste weiß - sie eine Revolution in Griechenland anzuzetteln suchen, um einen englischen Prinzen auf den Thron zu setzen, statt des einfluß- und ehrgeizlosen Königs Otto.
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Sie haben unsere Occupation von Syrien zum Schutz der Christen gefordert und unterstützen im Stillen den türkischen Fanatismus und verdrängen unseren berechtigten Einfluß in Constantinopel.
Sie schüren die Revolution in Polen und denunciren uns an Rußland.
Sie proclamiren die Aufhebung der Sklaverei und unterstützen im Stillen die Sache der Secessionisten, der amerikanischen Südstaaten.
Sie verdrängen uns am Hofe von Madrid durch die Intriguen des Orleans und laden uns diese neue Auflage des Don Carlos auf.
Sie haben hochmüthig versäumt, sich den Weg nach Indien durch den Bau des Suez-Kanals zu sichern und möchten Frankreich jetzt vom rothen Meer und aus Egypten verweisen.
Sie reizen Dänemark zum Widerstand gegen die berechtigten Forderungen Deutschlands, und möchten uns dänische Schlachten gegen Preußen und den deutschen Bund schlagen lassen.
Kurz, überall haben sie uns seit neun Jahren in den Vordergrund geschoben und Frankreich zur Waffe gebraucht, und überall machen sie ihm den wohlverdienten Lohn zu Dunst.
Es giebt nur zwei Wege, aus dieser Stellung zu kommen: Einen ehrlichen offenen Krieg gegen England, um seinen nur durch die Tradition, nicht durch wirkliche Macht genährten Einfluß zu brechen, und zu diesem Kriege gehört ein Bündniß mit Rußland, das gleichen Groll zu
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hegen hat gegen England. Denn England will nicht allein das Abendland beherrschen, es will auch im Morgenland die Suprematie behaupten, und Rußlands Mission liegt im Osten.«
»Sie gestehen mir also zu, Sire, einen Fehler gemacht zu haben durch die Alliance mit England?«
»Ich gestehe es zu - es ist der große Fehler meines Lebens, daß ich von der allein richtigen Tradition des großen Kaisers abgewichen bin. Indem er England bekämpfte, besiegte er Europa. Ich würde niemals Parteiungen in Frankreich gegen mich gehabt haben, wenn ich von vorn herein Frankreich gegen England, seinen Erbfeind beschäftigt hätte. Mit verständigen Alliancen läge es jetzt zu meinen Füßen!«
»Sie schienen noch auf einen zweiten Weg zu deuten, Sire?«
»Es ist der, England zu schwächen, England zu demüthigen durch Andere - damit Frankreich ohne eigne Opfer den Vortheil davon habe. - Ich habe es versucht durch jenen indischen Aufstand - unser Fehler war eben, daß Rußland damals geschwächt war. Wäre Sebastopol nicht zerstört worden, so ständen die Russen jetzt am Indus. Es wird kommen, aber ich habe keine Zeit mehr es vorzubereiten. So bleibt mir denn nur Amerika, der Todfeind, der Rival Englands auf dem Meere, wie Rußland sein Rival auf dem asiatischen Boden ist. Wenn es meiner Politik gelingt, England in den Krieg der amerikanischen Nord- und Südstaaten zu verwickeln, ist England seiner Kolonien in Amerika baar und in Indien von zwei
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Seiten her angegriffen. Seine Niederlage in Amerika bricht seinen Einfluß in Europa. Wo aber den neuen Washington finden?«
»Ich verstehe Sie noch nicht ganz, Sire?«
»Es muß ein Mittel gefunden werden, diese vielgerühmte englische Ehre, seine Herrschaft zur See, mit einer offenen Betheiligung für die Südstaaten zu verflechten, oder seine Eifersucht wach zu rufen - zum Beispiel - eine französische Occupation von Mexiko würde es sicher zur Alliance mit den Secessionisten führen.«
Der Graf schüttelte zweifelnd den Kopf. »Vergessen Sie nicht, Sire, daß der Vortheil die Ehre Englands ist.«
»Das mag sein, aber England ohne Kolonien ist ein Rumpf ohne Arme und Beine, das begreift man in England sehr wohl und deßhalb seine fortwährenden Intriguen um auswärtige Stationen.«
»Sie haben noch nicht von Deutschland gesprochen, Sire?«
»Es ist für eine Reihe von Jahren unschädlich. Es ist die alte Tradition der französischen Politik seit Ludwig XIII., die deutschen Kräfte, die gewiß nicht zu unterschätzen sind, sich untereinander aufreiben zu lassen. Ja - wenn ein Mal ein Mann an die Spitze käme, der es verstände, diese deutschen Kräfte zu vereinigen, sei es durch den Zauber einer großen Idee, sei es auf dem Wege der Gewalt durch Blut und Eisen, - denn Beiden unterwirft sich der deutsche Charakter, er will nur ein Haupt, das für ihn denkt - dann könnte es allerdings für die Weltherrschaft Frankreichs gefährlich werden. So viel ist
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sicher, auch ein geeinigtes Deutschland würde und könnte seine Alliance nicht in England suchen - vor dieser Gefahr sind wir sicher. - Also gilt vor Allem die Wiederherstellung eines Einvernehmens mit Rußland, und dazu, lieber Graf, sollen Sie mir Ihren Beistand gewähren.«
»Euer Majestät wissen, daß Sie über mich zu gebieten haben. Nur fürchte ich, daß Euer Majestät vielleicht bald, vielleicht in zehn Jahren noch weit mächtigere Feinde zu bekämpfen haben werden, drei gefährlichere Rivalen um die Weltherrschaft, als England oder Deutschland!«
»Und die wären?
»Die sociale Revolution, die Jesuiten und die Börse!«
»Das klingt etwas paradox!«
»Das ist eben das einzige Glück, Sire, daß die drei Gegner der staatlichen Gesellschaft in ihrem jetzigen Bestande eben noch Gegner sind. Wären sie eins, vereinigt, auch nur zwei von ihnen, Sire, so würde ihr Sieg, ihre Herrschaft unzweifelhaft sein. Auch so, vereinzelt, zum Theil sich untereinander bekämpfend, sind sie gefährlicher, als alle Rivalität der Staaten. Sie wissen, Sire, daß ich auch Fabrikant, Landbauer, Deputirter, Spekulant, Kaufmann war. Darum spreche ich nicht als Theoretiker, sondern aus praktischen Anschauungen, wie sie der Theorie nur selten näher treten.«
»Ich bitte, sprechen Sie, Graf, die Warnung ist zu wichtig und entspricht zu sehr meinen eigenen Besorgnissen, als daß sie nicht mit Aufmerksamkeit gehört zu werden verdiente.«
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»Unter dem, was ich als die ›Jesuiten‹ bezeichnete, verstehe ich das Papstthum, die Herrschaft der Kirche, die nie zu verwindende Tradition eines Gregor von der Obergewalt des Papstes über Alles, Kirche und Staat. Ich bezeichne dies als die Jesuiten, weil factisch der päpstliche Stuhl in diesem Augenblick bereits ganz unter dem Einfluß dieser schlauen und kühnen Gesellschaft steht. Sie werden das nicht bezweifeln, Sire, wenn Sie in Paris selbst nur einen Blick um sich thun wollen - der Kampf, den Herr Delangle gegen die Ausschreitungen des Klerus begonnen hat, zeugt für diese noch viel zu unklare Besorgniß. So lange das Papstthum in einer gewissen staatlichen Herrschaft einen Ableiter für diese Gouvernirungsgelüste des oberen wie des unteren Klerus fand, fühlte man weniger die Nothwendigkeit der Wiederherstellung einer geistigen allgemeinen Beherrschung, eines Staates im Staate. Jetzt, wo die gänzliche Aufhebung der weltlichen Herrschaft des Papstthums vor der Thür steht und nur noch eine Frage der Zeit ist, - fühlt die Kirche bereits das Bedürfniß, diese Gewohnheit oder Sucht, auch weltlich zu herrschen, auf anderem Felde wieder zu gewinnen, und der Jesuitenorden ist klug genug, dazu die altbewährten, von den Fortschritten der geistigen Emancipation der Völker etwas zurückgedrängten Mittel wieder in das Treffen zu führen: Erziehung der Jugend, Erbschleichern, Bedrängung der Gewissen, namentlich der der Weiber, Wunder und Anmaaßung in der Auslegung der Schrift. Sire, sehen Sie zu, ob wir nicht binnen hier und zehn Jahren ein Schock Heilige mehr und einen unfehlbaren Papst
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haben, der beansprucht, seinen römischen Pantoffel auf den Nacken der Monarchen zu setzen.«
»Du könntest Recht haben, Graf - und dennoch ist die Kirche die beste Stütze der Throne.«
»So machen Sie es, wie der Kaiser von Rußland, der Vladika von Montenegro und der Negus von Abessynien, Sire, und seien Sie nicht bloß der weltliche Kaiser von Gallien, sondern auch der oberste Bischof der gallikanischen Kirche. Vor Allem, lassen Sie die Herren Jesuiten, die gar kein gesetzliches Recht haben, noch in Frankreich zu sein, nicht noch mehr Herrschaft gewinnen, als sie schon haben!«
Der Kaiser zuckte die Achseln. »Ja, Freund Jules - die Frauen, die Frauen! Die Kutten finden immer Schutz bei den Unterröcken. Aber, zum Teufel, ich glaube gar, Sie machen theologische Studien oder Sie haben die Kollegia gehört, die jetzt Professor Döllinger an der Universität in München hält und die den päpstlichen Nuntius in die Flucht geschlagen haben! - Aber es ist wahr, Sie verstehen ja gar nicht Deutsch! - Ich habe bisher geglaubt, Sie beschäftigten sich in Ihren Mußestunden nur mit musikalischen Compositionen, wie man verleumderisch behauptet unter Assistenz dieses Herrn Offenbach, der so genial versteht, alles Ehrwürdige profan zu machen! - Wie lautet doch der Calembour? Richtig: Le comte de Morny passe un grand musicien, parce qu'il joue du cor législatif!12
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- Doch ohne Scherz - ich danke Ihnen für die Warnung und bitte Sie weiter zu sprechen.«
»Ueber die zweite Gefahr, Sire, die sociale Revolution, könnte Ihnen Herr Schneider, mein Kollege im corps législatif - sehr interessante Beiträge aus seinen Werkstätten von Creuzot liefern. Der Communismus, wie ihn die Herrn Blanqui und Marx in London so geschickt in politischen Lehren treiben, ist ein heraufziehendes Gewitter. Die Herrschaft der Masse schließt die Herrschaft der Könige aus! Die Verbreitung der radicalen Lehren des Communismus, der Arbeiterverbrüderungen, wächst mit einer furchtbaren Schnelligkeit. Frankreich hat zwar 1848 mit den Staatswerkstätten der Herrn Sue und Flocon Lehrgeld genug gegeben, aber Nichts gelernt, und die Theorie des Verdienens ohne viel zu thun, schmeckt gar zu gut. Sire, der Communismus kann in diesem so schönen und reichen Paris leicht wieder einmal zu der Furie der Commune führen. Verbinden Sie sich bei Zeiten mit den Regierungen zur Unterdrückung der socialistischen Propaganda. Das ist ein Geschenk, das England dem Continent zwischen die Beine wirft, sich die Hände reibend, daß es selbst die guten Leute los wird, ein Geschenk, das noch einmal viel Unheil anrichten wird. Die Strikes nehmen bereits überHand, Sire, und sie werden von England zur Hebung der eigenen Industrie bezahlt!«
»Wenn man nur die greifbaren Beweise erreichen könnte!«
»Lassen Sie Ihre Polizei aufpassen und die Justiz unnachsichtliche Strenge üben! - Ich komme zur dritten
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der finstren Gewalten, die um die Weltherrschaft ringen, der Börse, der Herrschaft des Kapitals, mit einem andern Wort: dem Judenthum im bürgerlichen Leben! Wir haben vielleicht Alle dabei gesündigt aus Eigennutz - beiläufig, Sire, Sie werden schließlich doch noch Herrn Billault seines Portefeuilles entheben müssen, denn das Verschwinden der Akten in dem Prozeß Mirès und die Compromittirung des jungen Billault machen nachgrabe doch zu viel Aufsehen! - also - ich bekenne mich gern selbst schuldig, an diesen Agiotagen nicht ganz rein vorübergegangen zu sein, - aber, Sire, diese Herrn Pereire und Mirès und hundert Andere mit ihren Banken und Crediten schädigten nicht bloß das Volksvermögen, um es in ihre Tasche zu stecken, in die Tasche der Reichen die Ersparnisse der Armen, sie machen das ganze Volk vom Prinzen bis zum Handwerker zu Hazardspielern, sie untergraben die öffentliche Moral und die Achtung vor den Gesetzen, das Vertrauen auf diejenigen Institutionen, die allein einen Staat zusammenhalten. Bei diesem Judenthum - Sire, ich meine damit nicht das Bekenntniß des alten ehrwürdigen Glaubens Moses, sondern das goldene Kalb, das die Israeliten schon damals aufstellten als den Gott, den man anbeten müsse, - den Gott: Gold, das Kapital! - jene Tendenz, daß Alles käuflich sei, daß, wer Geld hat, die Macht hat - bricht die bürgerliche Gesellschaft zusammen; denn wenn das Volk erst weiß, daß Adel, Gesetz, Gerechtigkeit, Ehre und Unschuld, vor Allem die Moral der Presse vom Geld abhängt, daß der Reiche nicht bloß die Macht sondern das Recht hat, den
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Armen zu unterdrücken, dann muß zuletzt die bürgerliche Sündfluth, das Faustrecht kommen. Bedenken Sie das wohl, Sire, und lassen Sie wenigstens von Zeit zu Zeit Ihre Regierung ein Beispiel geben, wie Sie es bereits durch den glücklichen Wechsel im Portefeuille des Innern und Ihres Hauses gethan haben! - daß eine hohe Stellung nicht zum Deckmantel der Agiotage dienen darf. Sire, der gefährlichste Kandidat für die Weltherrschaft, der sie Frankreich streitig macht, ist das Judenthum!«
Es folgte eine längere Pause, in welcher der Kaiser in tiefem Nachsinnen verloren schien, dann erhob er sich und reichte dem Präsidenten der Deputirten-Kammer die Hand.
»Ich danke Dir, Jules, für die furchtlose Hand, mit der Du das Mene Tekel der Weltherrschaft an die Wand meiner Frage gezeichnet hast, um so mehr, als, wie Du mit Recht sagtest, Du dabei in Dein eigen Fleisch schneiden mußtest. Aber - wie erklärst Du es bei dieser gewaltigen Macht, die Du bereits dem Judenthum vindicirst, daß es gegen das Papstthum nicht einmal in dem einfachen Mortara-Fall, trotzdem es alle Kabinete, selbst die der protestantischen Staaten aufbot, etwas auszurichten vermochte?«
Der Senator antwortete fein mit einer Gegenfrage. »Warum befahlen Euer Majestät, statt Herrn Mocquard ›la Tireuse de cartes‹ schreiben zu lassen,13 nicht lieber
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General Goyon, eine Compagnie vor das Katachumenenhaus in Rom rücken und den Judenjungen einfach herausholen und seinen Eltern wiedergeben zu lassen? - Uebrigens, Sire, wird sich vielleicht bald eine ähnliche Gelegenheit finden, - man erzählt in der Gesellschaft, daß es sich - zwar nicht um ein Kind - aber um eine hübsche Sängerin handelt, die eine getaufte Jüdin und wegen Rückkehr zum alten Glauben von den Jesuiten eingesperrt, hierher zu ihren Verwandten geflüchtet sein soll und nun von der Geistlichkeit reclamirt wird.«
»Sie mag sich hüten,« sagte der Kaiser hart - »meine Polizei und meine Justiz sind gegenwärtig nicht sehr in der Laune der Nachgiebigkeit gegen die Friedensstörer und Erbschleicher. - Aber da hättest Du ja ein Thema für eine Operette, Jules! Eine gute Cancanmelodie ist gegenwärtig wirksamer, als die beste Tragödie. - Wir sprechen wegen Petersburg weiter. - Noch Eins, - Du kennst von Deiner Mission her ja das dortige diplomatische Corps. Man hat von Berlin aus durch Herrn von d'Auvergne vertraulich anfragen lassen, ob bei einem Rücktritt des Grafen Pourtalès der jetzige preußische Gesandte, ein Herr von Bismarck-Schönhausen, früherer Vertreter am deutschen Bund - ich erinnere mich kaum ihn flüchtig gesehen zu haben, hier eine persona grata wäre? - Was hältst Du von ihm?«
»Sire - Herr von Bismarck ist unter dem Anschein großer Besonnenheit und Offenherzigkeit ein sehr
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verschlossener und voraussehender Charakter, von jener Zähigkeit, die man dem märkischen Adel zuschreibt. Er ist ein Mann, noch bereit von der Zeit zu lernen und wird sicher noch einmal eine bedeutende Rolle spielen.«
»Die Frage ist, ob er das Vertrauen des Königs Wilhelm und Einfluß bei Hofe besitzt?«
Das Erstere weiß ich nicht, - das Zweite bezweifle ich, da er an der Spitze einer Partei - der sogenannten Junker-Partei steht, deren Organ die gazette avec le croix ist, und die gegenwärtig am preußischen Hofe schlecht zu stehen scheint. - Doch, Sire, Preußen ist eben nicht reich an wirklichen Staatsmännern!«
»Wohlan - versuchen wir's mit ihm! - Adieu Jules!«
Der Graf empfahl sich und der Kaiser setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.
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Drache und Bär.

Noch waren in dem Kloster keine Nachrichten von den Ausgezogenen eingegangen, weder von Nikschitj her, noch von Trebinje - aus letzterer Richtung wußte man nur, daß die Rajahs am Morgen Ficebo angegriffen hatten. Vielfach hatten die mit den Gebräuchen des Klosters weniger bekannten Flüchtlinge aus den Dörfern nach dem Abt gefragt und immer die Auskunft erhalten, daß er nicht gestört werden dürfe, da er während die »Brüder« im heiligen Kampf wären, stets vor dem Hochaltar der Kirche oder in seiner Zelle zu beten pflege und mit den Heiligen verkehre. Auch hatten die Weiber, wenn sie die Kirche betraten, mehrfach die hohe Gestalt des Higumenos vor dem Altar in jener Weise stehen sehen, in welcher die griechischen Christen ihre Andacht verrichten.
Während der Zeit beschäftigten aber die Kalogeri - die schwarzen Mönche - unter der Leitung des, von Zeit zu Zeit erscheinenden und ihnen Anweisung ertheilenden Sakristans und unter der thätigen Hilfe des blutigen Iwo sich mit der Instandsetzung des Klosters zum Widerstand,
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wenn etwa eine oder die andere der ausgezogenen Schaaren von den Türken zurückgeschlagen werden und in der festen Position des Klosters Zuflucht suchen sollte; denn es war, wie schon der Novize dem russischen Offizier erzählt, in den zahlreichen Fehden der Rajah mit den Türken und den Begs nicht das erste Mal, daß das Kloster eine kurze Belagerung ausgehalten hätte. Waffen und Munition wurden an die zurückgebliebenen Männer, freilich meist nur Knaben und Greise, vertheilt, oder im Refectorium und an anderen Stellen zusammengehäuft, die Fenster des oberen Stocks und der kleinen Kirche verrammelt, und ähnliche Vorsichtsmaßregeln getroffen.
Das hielt aber natürlich die Weiber- und Kinderhaufen nicht ab, sich draußen im Freien unter den Kastanien umherzutreiben, auf dem Abhang des Berges sich zu zerstreuen und nach jedem Zeichen zu spähen, das ihnen Kunde geben konnte von den Erfolgen ihrer Krieger, und bis hinunter zum Thal wagten sich trotz der Warnung der Mönche verschiedene Gruppen, denn Jeder wollte der Erste sein, Botschaft zu bringen oder zu hören.
So war die Zeit des Niedergangs der Sonne herangekommen, und eben klang die Glocke zum Abendgebet zu mahnen, als die unter den Kastanien Weilenden Schüsse aus dem Thal hörten und ein Haufen von Frauen und Kindern in wilder Flucht den Berg herauf und der schützenden Pforte des Klosters zustürzte.
»Die Türken! Die Türken! Gott erbarme sich unser! - Die Bozuks! Die Golatschanen!«
Und während Alles, was flüchten konnte, eilig sich
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durch die Pforte drängte oder sich zu verbergen strebte, drangen bereits die ersten Reiter den Berghang herauf und erschienen auf dem Plateau des Klosters.
Es waren zwei alte Männer an ihrer Spitze, offenbar nach ihrer Kleidung und dem Schmuck ihrer Rosse von der edelsten Raçe zu urtheilen, Krieger von hohem Rang. Der Erste sprengte gegen das Kloster, seinen Säbel schwingend: »Komm heraus, falscher Mönch - Wusseïn der Drache ist hier, Dir die Zunge aus dem Halse zu reißen, wenn Du nicht gestehst, was er fordert!« - der Zweite, - ein Greis - wohl zehn Jahr älter als jener - verfolgte ein flüchtendes Mädchen, das die Pforte nicht mehr rechtzeitig hatte erreichen können, und sich jetzt hinter den Stämmen der Kastanien zu verbergen suchte. Kaum hundert Schritte von ihr entfernt, lag eine Rajah-Frau auf den Knieen und rang die Hände. »Mein Kind! Helene mein Kind!« - Nach allen Seiten flüchteten sich ähnlich Unglückliche, von der Reiterschaar, die in buntem Gewirr und wildem Geschrei heranströmte, überraschte Weiber, Greise und Kinder umher, gegen den ersten Anlauf der wilden Feinde ein Versteck suchend.
Noch war die schützende Pforte nicht geschlossen, Eins über das Andere stürzend drängten sich die Meisten dorthin, und der grimmige Reiter, der voran gegen das Kloster stürmte, trieb das Pferd ohne Erbarmen in den Menschenhaufen, rechts und links mit Säbelhieben Frauen und Kinder unter die Hufe seines Rosses werfend.
»Komm heraus falscher Kalorgi! Wusseïn ist hier, sein Blut zu fordern von Dir!«
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In der Pforte stand, den Eingang den Flüchtenden verengend, eine mächtige Gestalt - Iwo der Blutige - doch schien er kaum auf den furchtbaren Gegner zu achten - seine sprühenden Augen flogen suchend umher - -
Der Angstruf der entsetzten Mutter »Helene!« machte die kräftige Gestalt erbeben, - zwei Schritte sprang er vor, - in dem Augenblick, wo der erste Reiter fast an ihm war - hatte der zweite die geflüchtete Jungfrau fast erreicht und trieb sein Roß gegen die Taumelnde.
»Iwo, rette Helene!«
Erst jetzt sah er ihre Noth. Ohne auf den geschwungenen Säbel des nächsten Gegners zu achten, hob der finstere Junak die lange albanesische Flinte und feuerte fast unter den Hufen des bäumenden Pferdes hinweg - der zweite der Reiter wankte getroffen im Sattel und stürzte schwer herunter zu Boden. - Der Stumme ließ die Flinte fallen und wollte der Jungfrau zu Hilfe eilen, als ein Säbelhieb des Pascha seinen Kopf traf, - aber die Klinge mußte sich in der Hand des furchtbaren Moslem gedreht haben oder eine Wendung des Rajah die Klinge an seiner Kopfbedeckung abgleiten lassen, doch war die Wucht des Hiebes so gewaltig, daß der Getroffene, trotz seiner jugendlichen, gigantischen Kraft darunter sich beugte. Im nächsten Moment ließ der Pascha den Säbel am Riemen vom Faustgelenk hängen, hatte den Rajah gefaßt und schleifte ihn aus dem Gedräng, während es den Klosterbrüdern gelang, die starke mit Kupfer beschlagene Pforte endlich zu schließen, unbekümmert um Alles, was draußen noch war und der Hand der Baschi-Bozuks verfiel.
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Zum zweiten Mal hatte die Pforte des Klosters dem Pascha sich gesperrt, aber jetzt wandte er nicht ohne Beute sich von ihr ab, seine Krieger schleiften den Riesenleib des Rajah, den sie zu Boden gerungen und jetzt banden und knebelten, mit sich fort, als sie sich vor den Schüssen, die nun aus allen Fenstern des Gebäudes, freilich von der Besorgniß, eigenes Blut zu treffen, schlecht gezielt, auf sie fielen, zurückzogen, und der Triumphruf: »Der blutige Iwo, der böse Dämon der Giaurs!« der bald sich durch den Lärmen des Kampfes hören ließ, entschädigte sie für den eigenen Verlust im Kampfgedräng an der Pforte.
Der Pascha hatte sich zurückgezogen aus dem Bereich der Kugeln der Belagerten - der Ruf war auch an sein Ohr gedrungen und seine Augen funkelten vor grimmigem Stolz über seinen Sieg, dabei suchten sie umher: »Wo ist Widaïtsch der Beg, mein Probastwo?14 - Wer sagt, daß der Gefangene, den meine Hand zu Boden geworfen, der berüchtigte Mörder so vieler Krieger des Propheten ist?«
Zehn Stimmen antworteten: »Allah segne Dich, Pascha - wir haben ihn erkannt! Frage eine der Gefangenen, und Du wirst die Bestätigung hören!«
»Fragt ihn selbst! - Bist Du Iwo - der Wudkodlak, der Mörder der Moslems?« aber von allen Seiten antwortete ihm der Ruf: »Weißt Du nicht, großer Pascha, daß Allah ihn gezeichnet, daß er stumm ist!«
»Wartet - bewacht ihn gut - aber keine Hand hebe sich gegen ihn, bis ich sein Loos bestimmt - und
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bei Allah und dem Propheten, es soll nicht leicht sein. - Wo ist Widaïtsch der Beg, mein Bruder?« frug er nochmals.
Da öffnete sich die Menge, vier Arnauten trugenden zum Tode getroffenen Greis herbei. »Die Kugel des blutigen Iwo hat ihn getroffen - wir sahen den Schuß!«
Der Pascha war mit einem Sprung vom Pferde und stürzte zu dem Blutbruder, wie der Löwe zu der vom Blei des Jägers getroffenen Gefährtin: »Bruder, Freund - tapferer Ali - sprich, es ist nicht wahr?«
Das grimmige runzelbedeckte Gesicht des Großwojwoden von Zwornick, des unversöhnlichen Kämpfers des bosnischen Adels zuckte im qualvollen Schmerz. »Reich mir die Hand, Bundesbruder - es ist aus mit mir, der schwarze Engel tritt zu meinen Häupten. Ich hoffe, Du wirst Deinen Pribastwo seit dreißig Jahren nicht ungerächt sterben lassen!«
»Bei dem Bart des Propheten, Ali - ich will Dir eine Fackel anzünden, daß sie leuchten soll bis über die fernsten Grenzen Bosniens. Wo ist der Hund, der den Bruder des Drachen getödtet? Bringt alle Gefangenen hierher! Jussuf Aga - hast Du die Wachen um den verfluchten Ort gestellt? Laß Keinen Dir entwischen, weder Mann noch Weib! Laß ihnen keinen Augenblick Frieden! Verfolgt sie mit Feuer und Schwert! Auf zum Kampf, tapfere Moslems! zum Kampf!«
Jussuf Aga, der erste der Unteranführer des Pascha, war ein wilder Tscherkesse, dem Menschenleben ›Bosch‹ - Nichts - waren, voll fanatischem Haß gegen die Christen,
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dabei ein erfahrener tapferer Krieger, in allen Listen des Kampfs mit den Moskows in seinem Vaterlande wohl erfahren. Mit Scharfsinn hatte er zwei Reihen von Wachen um das Kloster gestellt, die nächste hinter verschiedenen Deckungen in halber Schußweite von den Mauern, die zweite in weit größerer Entfernung auf dem Berge zugleich als Vorposten gegen etwa herankommenden Beistand der Rajahs. Nachdem diese Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, leitete er den Angriff der Bozuks, die sich jetzt wohl auf tausend Mann verstärkt hatten und aus ihren langen Flinten ein fortwährendes Feuer auf jedes Fenster, auf jede Oeffnung des Klosters unterhielten.
Aber die Vertheidiger desselben wehrten sich trotz ihrer geringen Zahl und obschon ihnen der geschickteste und gefürchtetste Krieger durch seine unglückliche Gefangennahme fehlte, auf das Tapferste. Der Abt schien zwar nicht gewillt, an dem Kampfe Theil zu nehmen, wenigstens hatte er sich bis jetzt nicht unter die Vertheidiger gemengt, dagegen überbrachte der alte Sakristan seine Weisungen und Befehle und war überall zu finden, wo Gefahr war. Er hatte den Kalogeris, den sechs Mönchen des Klosters, und den zwei oder drei Laienbrüdern die Absolution des Abtes und seine Erlaubniß verkündet, zur Vertheidigung des Gotteshauses die Vorschriften der Kirche, die den Priestern verbietet, einen Feind zu tödten, übertreten zu dürfen, und die Mönche zeigten sich als geübte und tüchtige Schützen, obschon sie meist alte Männer waren. Auch die Frauen waren mit Waffen versehen worden, und es zeigte sich der Einfluß der Sitten des benachbarten schwarzen
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Hochlands, wo das Weib des Glawaren, des Uskoken ihren Mann in den Kampf begleitet und treu ihm zur Seite steht, wo hundert Piesmen von den Heldenthaten der Frauen erzählen, - und gar manche Rajahfrau übte jetzt mit einem wackern Schuß an den wilden Kriegern des Halbmonds Vergeltung für die verübten Gräuel in ihren zerstörten Dörfern. Durch ihre gedeckte Stellung im Dunkel der Zellen hatten die Vertheidiger gegen die draußen sich im Licht der auf dem Plateau angezündeten großen Feuer bewegenden Bozuks einen großen Vortheil voraus und thaten ihnen großen Schaden.
An dem entferntesten und größten der Feuer hatte der Pascha seinen Sitz aufgeschlagen, empfing hier die Berichte seiner Untergebenen und ertheilte seine Befehle. Ihm zur Seite hatte man aus Decken, Sätteln und Kissen ein möglichst bequemes Lager für den Schwerverwunoeten bereitet, auf dem der ehemalige Pascha von Zwornik unter den Händen eines jener albanischen Heilkundigen sich wand, die ohne jede Kenntniß der inneren Krankheiten, doch an Kugel- und Hiebwunden oft die wunderbarsten Heilungen vollbringen.
Hier aber hatte jede Kunst des Wahrsagers und Quacksalbers - denn diese Aerzte der abergläubischen Bergbevölkerung beschäftigten sich mit beiden Dingen, ihr Ende und der Mann zuckte nur angstvoll bei den Bedrohungen und Versprechungen des Pascha's die Achseln, verdoppelte seine Ceremonien und Zaubersprüche und berief sich auf das Kismet, das uns Alle erreicht. Die Kugel des blutigen Iwo war von der Seite in die Brust
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des Ober-Wojwoden geschlagen, hatte die Lunge und andere edle Theile verletzt und der unausbleiblich nahende Tod stand auf den grimmigen Zügen des Leidenden.
Eben war der Aga wieder bei seinem Anführer gewesen, ihm zu berichten, daß ein neuer Angriff gegen die Pforte des Klosters von den Vertheidigern desselben blutig zurückgeschlagen worden sei.
»Die Mauern der Giaurs,« sagte der Tscherkesse, sind fest gegen unsere Kugeln und unsern Stahl, großer Pascha. Viele unserer tapfersten Krieger sind von den Flinten dieser Söhne eines Schweins und einer Hündin, bereits gefallen. Ich weiß nicht mehr, was wir thun sollen, sie zu besiegen!«
»Ich habe in früheren Zeiten gehört,« sagte nachdenkend der Pascha, daß ein Eingang zu dem Hause oder zu der Moschee der Christen durch die Felsen führt, auf dem sie stehen - aber ich habe ihn nie mit Augen gesehen, da die schwarzen Kalorgis ihn geheim zu halten wissen. Doch müssen wir Mittel finden, ihren Widerstand zu brechen - ich muß den Mufti der schwarzen Mönche in meiner Gewalt haben, und wenn ich einen Mond sollte vor diesen Mauern liegen. Du weißt Bundesbruder Ali, daß es geschehen muß! - Geh Jussuf - laß nicht Weiber in Deinen Bart speien und die Giaurs die Gräber Deiner Eltern besudeln - Du bist sonst ein Tapferer und wirst ein Mittel finden, Dir den Eingang zu erzwingen!«
Der Verwundete versuchte auf seinem Lager sich emporzurichten, - seine Augen funkelten grimmig.
»Feuer!« murmelte er.
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»Inschallah! - es ist wahr - Du wußtest stets den besten Rath, Probastwo Ali! Denkst Du noch daran, als Du uns von dem heiligen Berge Witez zurück zu den Thoren von Serajewo führtest, und wir uns mit zweihundert Tapferen durch das ganze Heer des Kara Mahmud15 und des Ali-Aga von Stolah schlugen bis zu den Ufern der Donau? Alle die Tapferen waren bei uns - bis auf den Verräther Michal, der uns verließ, wo es Männer galt. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß ich jenen Ring vor drei Tagen wieder sah, den ich ihm am Tage von Kossowo gab!«
Der sterbende Großwoiwode war bei der Erwähnung zusammengeschauert - seine erhobene Hand deutete nach dem Kloster.
»Du hast Recht Probastwo - wir müssen das Räthsel lösen, ehe Du hinüber gehst zu den sieben Himmeln des Propheten! Hast Du nicht gehört, Jussuf-Aga, was der Pascha uns rieth? Fort mit Dir und brauche das Feuer, die schwarzen Kalorgis aus ihrer Höhle zu räuchern, wenn Deine nackten Kinder Weiber geworden, die Männer nicht aus ihren Kula's mit blankem Stahl zu holen vermögen!«
Der wilde Tscherkesse verschwand, erfreut über den grausamen Befehl.
In diesem Augenblick verkündete jubelndes Geschrei vom Abhang des Berges her aus dem Kreise der Posten ein neues Ereigniß.
Ein Trupp Albanesen schleppte einen Gefangenen
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herbei, einen Jüngling - in der Kutte eines Kloster-Novizen - Nicolaus, den Zögling des Higumenos von Sankt Basilio.
Der Unglückliche war offenbar in die Hände der Posten gefallen, als er versucht hatte, auf geheimen Wegen in das Kloster zurückzukehren. Seine Augen irrten angstvoll bald auf die im Pulverdampf des Gefechts halb verschwindenden Klostermauern, bald über die wilden Gestalten, die ihn umgaben - plötzlich fielen sie auf den mit Stricken an den Stamm einer Kastanie geschnürten Leib des blutigen Iwo.
»Heilige Panagia - erbarme Dich unser - Iwo, mein Freund!« - Er wollte zu ihm, aber die rauhen Hände seiner Wächter rissen ihn zurück.
»Maschallah - da haben wir ja, was wir brauchen!« rief der Pascha, - »he Giaur - bist Du nicht der Knabe, der vor drei Tagen mir Botschaft brachte, von dem Imam dieses Klosters?«
»Gnade Pascha!«
»Sprich, Sohn einer Hündin - bist Du ein junger Kalorgi dieses verfluchten Klosters?«
»Ich bin der Novize Nikita!«
»So mußt Du wissen, wo der geheime Felsen-Zugang zu diesem Nest alles Unraths ist! Zeige ihn mir, und ich will Dir das Leben schenken!«
Der Jüngling rang die Hände und schlug die Augen zum Himmel. »O, Pascha habe Erbarmen - ich bin so jung noch - aber ich bin ein Christ! ich habe bei dem
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Gekreuzigten geschworen, den Weg zu meinen Brüdern nicht zu verrathen!«
»Also Du gestehst, ihn zu kennen! - Inschallah, das genügt! He, Ihr da - bindet den jungen Sohn der Hündin an jenen Baum dort, dem Mörder hier gegenüber - und Du Abdallah!« er winkte einen Mohren, seinen Pfeifenträger, und sagte ihm einige Worte auf Türkisch, die teuflischen Beifall unter den Umgebenden hervorriefen. - »Sprich - was ist Dir, Pascha Ali - was willst Du von Deinem treuen Bundesbruder, das Deine scheidende Seele erleichtern kann?«
Der Leidende hatte mit Hilfe seines Arztes den Oberkörper emporgerichtet - Blut tropfte bei jedem Athemzug aus seinem Munde in den weißen Bart, aber die zähe Willenskraft dieses Greises hielt ihn aufrecht.
»Ich wünschte, ich hätte das Weib nicht verstümmelt, Freund,« sagte er in Absätzen. »Siehst Du nicht Wusseïn, daß der Rajah dort ihre Augen hat? - Laß ihn sterben, wie Du versprachst, damit er nicht meinen Todeskampf schwer macht, wenn er auf mich sieht! Es ist mein Recht!«
»Und es soll Dir werden! - Sieh Bundesbruder, Jussuf Aga ist bereits an der Arbeit! - Der Giaur, dessen Ruf so lange unsere Krieger zu Weibern gemacht, soll Dir vorangehen auf dem dunklen Wege, doch weil er ein Junak war, soll er sterben wie ein Krieger, indeß dieser junge Hund, der uns in den Bart zu lachen wagt, die Behandlung eines Hundes erfahren wird. Zum letzten Mal Knabe - willst Du meinen Kriegern den Weg zeigen?«
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»Mutter der Gnaden und der heiligen Schmerzen, stehe mir bei! Gnade Pascha - ich habe auf das heilige Kreuz geschworen - ich kann es nicht!«
»Und bei dem Bart des Propheten schwöre ich, Wusseïn Pascha, Osmans Sohn - ich will Dir das Herz aus dem Leibe reißen, wenn Du meinen Willen nicht thust! Wirf ihn zu Boden Abdallah und gieb ihm Deine Bastonade, die Scheitan in der Hölle erfunden hat. - Ha - Jussuf Aga - Du kommst gerade zur rechten Zeit - Sprich - wie weit bist Du mit Deinen Brandern? Eile Dich, damit die Seele meines Bruders noch die Strafe der Rebellen sieht.«
»Es ist Alles bereit großer Pascha,« sagte der Tscherkesse, »und wir harren nur Deines Befehls, um die Fackeln zu schleudern, obschon es das Leben nicht weniger Krieger kosten wird, denn wisse Pascha, der Kapitano, den die Giaurs Dir zum Hohn den Bären der Herzegowina nennen, ist in jenen verfluchten Mauern!«
»Der Bär?« - Mit einem Sprunge war der Pascha auf seinen Füßen. »Hörst Du, Bundesbruder Ali - der Bär ist in dem Kloster und die Todtenfackel, die für Dich zum Himmel des Propheten steigt - wird den Nüstern des Padischa angenehm duften. Woher weißt Du die Kunde Jussuf Aga, die ich Dir mit Gold lohnen will!«
»Ich sah ihn selbst, Herr, ich konnte das zottige Haupt des Ungethüms sehen, dessen Namen der Giaur sich angemaßt hat, als er mit den Kalorgis über das Dach des Hauses ging!«
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»Vorwärts denn, an's Werk! Laß die Feuer tüchtig schüren auf dem Platz Jussuf Aga, damit sie sehen, was wir hier thun und wissen, was sie zu erwarten haben für ihren rebellischen Widerstand! Schicke mir sechs Deiner schlechtesten Schützen hierher, - und sobald Du sie hier knallen hörst nach dem Ziel, das ich ihnen zu geben denke, dann beginne den Angriff. Nun Abdallah, beginne! - Da kommen meine Arnauten! - Hört Schurken - Ihr sollt ein Scheibenschießen halten nach lebendigem Ziel. Seht Ihr Euren Feind dort, - wie der Aga rühmt, trefft Ihr gleich ihm die Schwalbe im Flug! Wallah, wir wollen ihn fliegen machen! Mögen Euer zwei auf den Baum steigen, an den er gebunden ist und einen Strick um den festesten Ast schlingen!«
Sie sahen ihn erstaunt an - noch begriff Keiner die Absicht des Pascha's. Er wiederholte kurz den Befehl und zwei der Bozuks erstiegen den Baum, indem sie ihre Füße auf die Schultern des Gefangenen setzten. Dann ließen sie den in mehr als doppelter Mannshöhe um einen starken Ast geschlungenen, Strick nieder. Der Pascha winkte den vier anderen Bozuks.
»Ihr da - löst den Mann dort vom Stamm, und bindet seine Füße an den Strick, dann mag er den Kolo tanzen unter Euren Schüssen, hundert Piaster für jede Kugel, die das Blut des Blutigen fließen macht!«
Das Urtheil war so furchtbar, daß es selbst einen Augenblick diese des Mordes und der abscheulichsten Grausamkeiten gewohnten Männer zögern machte, - aber
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schon im nächsten stürzten sie sich mit wildem Triumph auf ihr unglückliches Opfer.
Im Augenblick war der kräftige Mann von dem Baum gelöst, niedergeworfen und zu der Stelle geschleift, wo der Strick niederhing, - im nächsten waren seine Füße in die Schleife gelegt und diese fest geknotet.
»Auf mit ihm!«
Die Bozuks auf dem Ast zogen, ihre Kameraden hoben die schwere Last, bis der Kopf des Unglücklichen, dessen Arme an den Leib geschnürt blieben, etwa drei Fuß vom Boden hing, dann banden sie oben die Stricke fest und glitten von dem Stamm wieder herab.
»Jetzt nehmt Eure Distance, Schurken!« sagte der Pascha, »fünfzig Schritt und nicht einen mehr, nicht einen weniger, und dann thut Euer Bestes, den Vogel im Fluge zu treffen, nur hütet Euch seinen Fittig zu verletzen! So Iwo, Blutiger! rächt Wusseïn der Pascha des Großherrn den Tod seines Blutbruders!«
Und die Hand des Furchtbaren gab selbst dem Körper des Unglücklichen einen gewaltigen Stoß, daß er gleich einer Schaukel an dem schwanken Strick hin- und herflog. Dann setzte er sich wieder nieder zu dem Sterbenden und betrachtete mit kaltem Blick die schreckliche Scene.
Denn auch der Mohr war mit seinen Vorbereitungen längst zu Ende und nur die Neugier, was da drüben mit dem gefürchteten Uskoken geschah, hatte die befohlene Execution aufgehalten. Er hatte eine Anzahl glühender Kohlen vom nächsten Feuer zur Seite seines Opfers zusammengehäuft, dessen Füße auf seinen Wink zwei seiner Gefährten
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der Sandalen entledigt und, die Fußsohlen nach oben, an einen Stock gebunden hatten, den sie rechts und links in Kniehöhe hielten.
Die orientalische Strafe der Bambushiebe auf die nackten Fußsohlen - die Bastonnade, - ist noch heutigen Tages eine auch in der türkischen Armee und Marine zu gewöhnliche, als daß sie irgend große Theilnahme und Aufmerksamkeit hätte erregen sollen, und die letztere wendete sich daher nur der furchtbaren Execution auf der andern Seite zu, das Klatschen der Schläge des Rohrs und das Wimmern des Knabens unbeachtet lassend, bis das gellende Geschrei des Gemarterten einen Moment die Blicke von dem anderen kaum so entsetzlichen Schauspiel nach diesemzog.
Auf den Wink des Mohren, des selbst von diesen wilden Kriegern gefürchteten Henkers des Pascha, der die Baschi-Bozuks nur durch die grausamste Strenge im Gehorsam hielt, - hatte der Schwinger des Bambusstocks eine Pause gemacht, und mit bedächtiger Bosheit hob mit dem messingnen Kohlenzängchen, das der niedere Moslem zum Gebrauch für den gestopften Schibuk im Gürtel bei sich führt, der Mohr zwei der glühenden Kohlen auf und legte sie auf die bereits blutrünstigen Sohlen des Novizen.
Der Schmerz mußte furchtbar sein, denn der Schrei, den der junge Mensch ausstieß, übergellte selbst den Lärmen des nach dem ersten Schuß nach der fliegenden menschlichen Scheibe erneuerten Angriffs gegen das Kloster.
Eine Anzahl der Krieger des Aga trug große wie Fackeln mit Moos, Zeuglappen und Zweigen umwickelte Brände gegen das Gebäude, während Andere unter ihren
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Kugeln jede Oeffnung der beiden Stockwerke und das Dach in Schach hielten, so daß keiner der Vertheidiger mehr wagte, sich zu zeigen, um die Annäherung der Feinde mit wohlgezielten Schüssen zu hindern.
So ziemlich gedeckt suchten die Träger der Fackeln diese auf das Dach zu schleudern oder an die hölzernen Theile des Baues zu halten und diese in Brand zu setzen.
Da der Angriff auf allen Seiten des Klosters zugleich geschah, reichte die Zahl der Vertheidiger in keiner Weise, ihn auf die Dauer zurückzuweisen, und wenn die tapferen Kalorgis, ja selbst die Frauen jetzt auch furchtlos sich den Kugeln preis gaben und den hier und da entstehenden Brand zu löschen suchten, mußte schließlich doch die überwiegende Zahl der Angreifenden ihren Zweck erreichen.
Auf das gellende Geschrei des Knaben hatte der Pascha Wusseïn nur den Kopf nach jener Seite gewandt, und gefragt: »Pfeift die schwarze Maus?« Dann aber, als der schwarze Henker den Kopf schüttelte, gewinkt, fortzufahren und seine Aufmerksamkeit wieder zwischen dem sterbenden Bundesbruder und dem gräßlichen Schießen getheilt.
Hin und her schwankte der mächtige Körper des Haiduken noch immer wieder, von Zeit zu Zeit durch den Stoß mit einem Lanzenschaft in Bewegung gehalten. Die barbarischen Schützen schienen jetzt von einem wahrhaft teuflischen Behagen an ihrem Werk erfüllt und schossen unter hundert wilden Späßen und mit bedächtigem Zielen. Zwei Mal hatte jeder bereits sein Glück versucht und trotz ihres Ungeschicks blutete der Haiduk bereits aus mehreren
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Wunden, ohne daß eine oder die andere gefährlich genug gewesen wäre, seine Leiden zu enden. Diese schienen furchtbar zu sein und mit jedem Augenblick sich zu steigern, weniger durch die Schmerzen der Verletzungen, als durch die furchtbare Lage, in der er das Ziel der Kugeln war. Das Blut drang dem starken Mann der Art zum Kopf, daß das sonst so fahle Gesicht wie mit dunklem Purpur gefärbt schien, aus dem große, stierende Augäpfel herausquollen, als wollten sie aus ihren Höhlen springen, während die Adern an Hals und Schläfen wie blaue Strähne aufschwollen. Von Zeit zu Zeit kam ein gurgelnder Ton aus seiner sprachlosen Kehle, und nur, wenn wieder durch Zufall die Kugel eines der schlechten Schützen den gewaltigen Leib traf und ein neuer Blutquell hervorspritzte, zuckte dieser convulsivisch zusammen. Bis jetzt hatten diese Kugeln nur Arm und Beine oder den Unterleib getroffen, die eine den Kopf gestreift, als durch einen solchen Zufall der Strick, welcher die Last trug, von dem zischenden Blei der Art zerschnitten wurde, daß der Rest den Körper nicht mehr zu tragen vermochte und derselbe schwer zu Boden stürzte.
»Tölpel!« zürnte der Pascha, als die Bande, gleich der Meute auf den Eber, auf die regungslose Gestalt zustürzte, um sie aufs Neue emporzuheben und anzuschlingen. »Hab' ich Euch nicht gewarnt!«
Doch zögernd, scheu standen die Männer um ihr Opfer - wild rollten noch die Augen in dem dunklen Gesicht, dann wurden sie starr und starrer - der mächtige Körper zuckte nicht mehr - seine Leiden hatten geendet - und
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von der abergläubischen Furcht ergriffen, daß er ein Wudkoklak, ein Vampyr sei, wagten sie nicht, den regungslosen Körper anzufassen.
»Wallah - was soll's - warum bindet Ihr den Mann nicht wieder fest - seid Ihr des Spiels schon müde?«
»Großer Pascha - sieh selbst - der Giaur ist todt!«
»Todt? - und wer von Euch Schelmen that den Schuß?«
Sie zögerten mit der Antwort - endlich sagte eine Stimme: - »Das Blei und Stahl haben keine Macht an Denen, die lebendig in's Grab sich legen - der Giaur hat das Genick gebrochen!«
»Um so schlimmer,« fügte ein Anderer bei - »desto eher wird er sein verlorenes Blut fordern, wenn man ihm nicht den Kopf zwischen die Beine stellt und einen Pfahl durch den Leib treibt!«
Der Pascha, dessen Aberglauben geringer war, zuckte die Achseln.
»Dummköpfe! mögt Ihr thun nachher mit dem Aas, was Ihr wollt - jetzt hängt ihn wieder an seinen Galgen, damit die Christenhunde im Kloster nicht zu kurz kommen in der Aussicht! - Gehorcht! - Was will das Weib - treibt sie fort von hier, werft sie den Hunden vor, wenn Ihr sie zu schlecht haltet für Eure Lüste!«
»Pascha - Erbarmen - die Unmenschen schänden mein Kind - die Jungfrau in den Armen der Mutter! Bist Du ein Mensch, Pascha, daß Du solche Greuel dulden
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magst! - fürchte den Zorn Gottes, Mörder der Schuldlosen!«
»Od boga, starok krvnika!16 Zu was seid Ihr Weiber auf der Welt, als dem Mann Freude zu machen! Ich hoffe, Deine Tochter ist jung und hübsch!«
»Ungeheuer! mögest Du an Deinem eigenen Blut gestraft werden - heiliger Gott - welche Stimme ruft dort?«
»Barmherzigkeit - Pascha - ich will den Zugang weisen - Diese Leiden sind schlimmer als der Tod!«
Die Stimme klang gebrochen, ein undeutliches Wimmern, übertönt von dem Wuthgeschrei der Kämpfenden, dem wüsten Lärmen der gräßlichen Orgie, die während der Tod seine Ernte hielt und die Glocke des Klosters vergebens um Beistand heulte, an anderen Stellen des Plateaus von den entmenschten Bozuks begangen wurden; - dennoch hatte das Ohr der Mutter den Schmerzensruf durch all' den Lärmen gehört - die wimmernde Stimme erkannt! Wie eine Rasende fuhr sie von den Füßen des Paschas empor, schaute umher und durchbrach mit dem Sprunge der Wölfin, der man das Junge getödtet, den Kreis.
»Nikita, mein Sohn! wo bist Du?«
»Mutter, zu Hilfe!«
Der in unbeschreiblichem Schmerz sich windende Knabe hatte gleichfalls ihren Ruf gehört.
Ihr Auge schaute die schreckliche Scene - vergessen
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war die Schmach, die Gefahr der Jungfrau - an dem Knaben hing ihr Herz, wer hätte sie halten können, die Mutter! mit zwei Sprüngen war sie bei ihm, riß mit den Händen die glühenden Kohlen von dem zuckenden widrig dampfenden Fleisch, und schleuderte sie dem Teufel in's schwarze Gesicht, der noch das Instrument der Marter zwischen den Fingern hielt. Aus den Händen riß sie dem Gehilfen des Henkers das bluttriefende Rohr und schlug wie rasend um sich, mit ihrem Leib den Körper des wimmerden Knaben deckend.
Der Mohr, der Scharfrichter und Urtheilsvollstrecker seines Herrn, zog kaltblütig das lange Pistol aus dem Gürtel und spannte es. »Fort mit Dir, Christenweib, und hindere den Befehl des Herrn nicht - oder ...«
Ihr Auge blitzte ihn wah[n]witzig an, aber sie wich nicht!
Ein dämonischer Jubelruf, als wären tausend Teufel der Hölle entflohen, drang vom Kloster her - in heller Gluth prasselten die Flammen aus dem Balkendach des Hauses zum Nachthimmel empor - leckten mit glühenden Zungen aus den Fenstern des oberen größtentheils von Holz gebauten Stocks, schlugen aus der kupferbeschlagenen Pforte den Anstürmenden entgegen - der Eingang war gesprengt - -
Der Pascha stand in stolzem Triumph neben dem Blutbruder, die Hand mit dem Säbel wies nach dem brennenden Gebäude.
»Freue Dich, Bruder Ali! Der Prophet zündet Dir die Fackel, die Dir leuchtet auf dem finstern Wege, den wir Alle gehen, - bist Du zufrieden, Bundesbruder? -
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Zu spät, Rebellenknabe, jetzt brauch' ich Deines Verraths nicht mehr, - Du bist ...« - -
Einer der Bozuks, mitleidiger als die Anderen, hatte dem schwarzen Scharfrichter die Pistole zur Seite geschlagen, die dieser auf das Haupt der muthigen Mutter gerichtet. »Hast Du nicht gehört, Schwarzer, daß der junge Giaur dem Befehl unseres Gebieters jetzt gehorsam sein will? Laßt ihn uns zu ihm führen, damit seine Zunge rede, bevor es zu spät ist! - Du könntest selbst sonst gestraft werden!«
Der Mohr fand den Rath gut - der Novize wurde losgebunden und emporgerissen, aber von Führen war nicht die Rede - man mußte den Armen, dessen Füße jeden Halt verloren hatten zu dem Pascha schleifen, das Weib, die Mutter, die sich krampfhaft an ihr Kind klammerte, mit ihm.
»Hier ist der Kalorgiknabe - er will gestehen, Herr!«
Die Frau rang die Hände flehend zu dem Furchtbaren. »Erbarmen!«
»Zu spät! - Du bist ...«
»Dein Blut Wusseïn, Drache von Bosnien!« sagte eine tiefe Stimme vom Stamm der Kastanie her - »Dein Blut wie das Iwo's des Christen!«
Der Pascha fuhr wie von einer Natter gestochen empor - an der Kastanie stand der greise Abt Michael im vollen Talar seiner Würde - wie aus der Erde gestiegen, - Keiner hatte ihn kommen sehen; und in der That war er der Erde entstiegen, eine tiefe Oeffnung gähnte zwischen den Wurzeln des Baumes, der
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Steinsitz, welcher dort gestanden, war verschwunden oder hatte sich zur Seite geschoben durch unbekannte Kraft, und der Schatten des vom Ast wieder niederhängenden Leichnams hatte die Oeffnung verdeckt.
»Steig herauf, Dulderin!« fuhr die tiefe Stimme des Higumenos fort - »steig herauf aus Deinem Grabe, Wudkoklak, Vampyr, und schlage Deinen Zahn in die Adern Deiner Mörder, Deine Zeit ist da!«
Und aus der Tiefe herauf, die offenbar einer der Zugänge war für den verborgenen Felsengang zu dem uralten Klosterbau, stieg eine schrecklich anzuschauende Gestalt langsam empor, zwei händelose Arme zum Himmel gestreckt, den seines Gliedes beraubten Mund wie zur Anklage geöffnet: - die verstümmelte Frau aus der Kula der Grahowen, die Mutter Iwo's des Blutigen.
Ein tiefes Stöhnen klang vom Lager des Sterbenden her. Der Greis hatte sich halb emporgerichtet, seine Augen starrten auf die Erscheinung mit dem Ausdruck des tiefsten Entsetzens, ja der Furcht, die er nie gekannt in seinem Leben.
Langsam - Schritt um Schritt, - mit geöffnetem Munde, die händelosen Arme gegen ihn vorgestreckt, schritt die Erscheinung auf ihn zu, und immer gräßlicher starrten die Augen des Sterbenden.
»Bundesbruder Wusseïn - hilf - der Wudkodlak ...!«
Aber der Pascha hatte kein Ohr mehr für ihn - wie er so oft es jedem seiner Worte und schlimmen Rathschläge geliehen hatte seit damals, vor länger als dreißig Jahren, als er ihn hochherzig zu seinem Probastwo
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erkoren,17 zum Verderben der eignen Seele. Der Pascha Wusseïn war zurückgewichen vor dem Anblick; hätte er Haare noch gehabt auf seinem kahlen Türkenschädel, sie hätten sich emporgesträubt, - stumm, mit dem Schauer des Entsetzens, und doch begierig zu reden, zu fragen, starrte er bald auf den Abt, bald auf die schwarze Erscheinung und hatte das Weib und den Knaben zu seinen Füßen vergessen. Als sie den Sterbenden erreicht, beugte sie sich zu ihm nieder, immer die großen drohenden Augen starr in die seinen gerichtet, und stieß ihm die verstümmelten Arme in das Gesicht.
Ein stöhnender Laut, - der ehemalige Erbherr von Zwornik war zurückgefallen auf sein Lager - er war todt.
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Der Higumenos war zu der schwarzen Frau getreten, er hatte ein Tuch sorgsam wie ein Vater oder ein liebender Gatte über ihr Antlitz geworfen, geleitete sie zu dem Steinsitz zurück, der sich wieder über die gähnende Oeffnung geschoben hatte, und ließ sie dort nieder.
Der Tod des Großwojwoden schien die starre Bestürzung des Paschas gelöst zu haben. »Hund von einem Christen - Du sollst tausend Tode sterben! - wer ist der Dämon dort - was bedeuten Deine Worte - wie kommst Du hierher?«
»Dir Botschaft zu bringen von Michael, dem Bären der Herzegowina, Deinem Todfeind, wie ich Dir versprach!«
»Sprich - rede Was ist Wahrheit an Deinen Worten, oder ich lasse Dich mit Pferden zerrreißen?«
»So höre denn, Drache von Bosnien, die Botschaft Deines Feindes aus meinem Munde, denn Du weißt, daß ich Deine Drohungen nicht fürchte.«
Ein gebietender Wink des Paschas befahl den Umdrängenden sich zurückzuziehen, aber der Abt wehrte dem Gebot.
»Lasse Jedermann hören, was Michael der Abt jener Stätte unseres Glaubens, die Deine Horden in diesem Augenblick vertilgen, dem Pascha von Egri-Palanka, dem Diener des Bluttrinkers in Stambul zu sagen hat. Wohl gebietet die heilige Lehre des Christenthums: Liebet Eure Feinde, und thut Gutes Denen, die Euch beleidigen und verfolgen! aber ehe die Worte des göttlichen Erlösers kund wurden den armen Bozinaki18 - lautete das Gebot ihres
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Volkes: ›Wer sich nicht rächt, heiligt sich nicht!‹ und sie blieben im Herzen des Volkes, auch als die Segnung des Evangeliums ihm kam, weil der Mensch Mensch ist und bleiben wird, so lange die Erde ihn trägt, obwohl er das Bessere erkennen und ehren möge!
»Drache von Bosnien: ›Wer sich nicht rächt, heiligt sich nicht!‹
»Es war ein Rajah in diesem Lande, Gott hatte seinen Geist tapfer und seinen Leib schön gemacht, und das Glück schüttete seine Gaben über ihn, denn der große Czar der Moskows hatte sein Auge Wohlgefallen finden lassen an dem Knaben und machte ihn zum Soldaten in dem großen Kriege der Schwabis und Moskows gegen den Sultan der Franken. Als der Knabe zurückkehrte, war er ein Mann und ein Krieger, er fand seinen Vater erschlagen von den Begs und seine Palanka verwüstet. Damals half ihm ein Verwandter, der Kalogeri war im Kloster des heiligen Basilius auf dem Berge Orjen, daß er heimkehren konnte nach seinem Heim und von der Beute, die er mitgebracht aus dem Völkerkrieg, die Palanka seines Vaters wieder aufbauen und die Aecker zurückkaufen, die der Spahi, sein Grundherr, einem Anderen gegeben. Aber es war kein Frieden im Lande für den Landmann, die Begs brauchten Krieger, nicht Bauern, und zwangen Rajahs und Moslems, gegen den Großherrn und den Nizam zu kämpfen. Der Mann, der zurückgekehrt in die Heimath, genoß nicht lange des Friedens, er kämpfte gegen die Begs und kämpfte mit den Begs, je nachdem er die heiligen Rechte und Freiheiten des Volkes für bedroht
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hielt, und als seine Zeit gekommen war und sein Herz, das gar vielen schönen Frauen keusch widerstanden hatte in der Hauptstadt der Oesterreicher, an ein Mädchen seines Landes verloren ging, machte er sie zu seinem Weibe, kurz vor der Zeit, ehe der falsche Gospodar Milosch von Sultan Mahmud die sechs Gränzdistrickte diesseits der Drina erhielt, und die alten Bewohner vertrieben werden sollten. Damals war's, wo der Rajahkrieger, der das junge Weib genommen, aufstand mit seinen Leidensgefährten und mit den Begs focht gegen die Momken des Milosch und die Paschas des Großherrn auf der Ebene von Kossowo, und Wusseïn, dem Hauptmann der Begs, das Leben rettete an der Brücke des Lim. Der tapfere Wusseïn gab dem Mann seinen Ring und versprach ihm, sein Eigenthum zu schützen, während er ein Haiduk war in den Bergen, wohin der Zorn des Großherrn ihn getrieben. Als Wusseïn aber in das Haus des Haiduken gekommen war, auf dem Wege nach Gradaschatz, seiner Veste, mit dem Pascha Widaïtsch, da gefiel ihm das Weib des Haiduken, der ihm das Leben gerettet hatte, besser als seine Ehre, und er befahl ihr, das Lager zu rüsten und es mit ihm zu theilen, nach der alten Sitte der Begs und Spahis gegen die geknechteten Christen. Das Weib war hilflos und allein, und der Held Wusseïn, obschon er selbst ein Weib hatte in seiner Burg zu Gradaschatz, zwang sie zu seinem Willen denn er war jung und sein Blut heiß. Wohl drohte die Frau, das Verbrechen ihrem Gatten zu sagen, damit er sie rächen möge, aber der grausame Pascha von Zwornik lachte ihn aus, hieß ihn sein Roß besteigen und davon reiten,
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er wolle zurückbleiben und die geschändete Christenfrau schon bewegen, zu schweigen von dem Geschehenen. Was war auch die Ehre eines Rajahweibes und das Glück eines Haiduken, und die Frau schwieg in der That. Denn als der Wessir Reschid den Haiduken wegen ihres Widerstandes gegen den Befehl des Großherrn Verzeihung verkündet hatte und Erlaubniß, daß sie zurückkehren durften, da fand Michal der Haiduk sein Weib zwar hochschwanger, obschon er sie seit neun Monden nicht gesehen, aber sie konnte nicht erzählen, wessen Opfer sie geworden; denn sie war der Zunge beraubt, und weil sie schreiben konnte, hatte man ihr auch die Hände abgehauen. Ein Frankenarzt aus Serajewo, den die Vorsehung Gottes auf einer Reise nach der Palanka geführt, hatte die Unglückliche gefunden und drei Tage bei ihr verweilt, bis er wußte, daß sie genesen würde, wenn Gott es wolle. Und Gott hatte es also gewollt. Da that der Haiduk einen heiligen Eid, daß er rächen wolle die Schandthat, wie niemals ein Frevel gerächt worden, wenn die Heiligen ihm die Gnade erwiesen, den Namen des Thäters zu erfahren. Die geschändete Frau aber, als sie die Worte des Schwurs hörte, deutete ihrem Mann auf die Füße, und ob sie auch keinen Mund zum Reden und keine Hand zum Schreiben hatte, so verstand er doch den Willen des Weibes und schnitt ihr eine Rohrfeder, tauchte sie in's Blut der Ader, die er öffnete an seinem Arm, und band sie ihr zwischen die Zehen. Dann nahm er das Papier, worauf stand, daß der große Kaiser der Moskows ihm seinen Orden gegeben, ehe er ihn in Wien seiner Dienste entließ, und den er
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nur seinen Tapfern verleiht, und breitete es zu ihren Füßen. Das Weib des Geschändeten schrieb darauf nach langen Mühen den Namen, der ihre Augen Feuer sprühen machte, und der Name war: Wusseïn!«
Der Redner schwieg einige Augenblicke, der Pascha aber schüttelte unwillig das Haupt.
»Aman! Aman! was machst Du für ein Geschrei um ein beschlafenes Weib! - Seit Bosnien Bosnien ist, selbst zu Zeiten der Lateiner, hat der geringste Spahi das Recht gehabt, neben den Zehnten und der Glawnitza19 das Pferd und das Ehebett des Rajah zu fordern, wenn er dessen bedurfte!«
»Der Haiduk,« fuhr der Abt fort, »dachte anders; denn er war in den Abendländern gewesen, wo die Rechte des Menschen gelten! - Er wartete des unglücklichen Weibes, bis sie eines Knaben genas, dann brachte er sie in den Schutz des alten Kalogen, seines Verwandten im Kloster des heiligen Basilius am Berge Orjen, und sie wohnte dreißig Jahre dort mit ihrem Knaben in der Kula der Klosterhirten, die man die Kula der Grahowen nennt, und der Knabe - der Sohn Wusseïns wurde ein Mann!«
Der Pascha hatte eine Decke über das verzerrte Gesicht des todten Bundesbruder geworfen - noch immer war er der Starke, Unbezwungene.
»Sprich Imam der Christen! was that der Hund von Haiduk mehr noch?«
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»Als er sein Weib verlassen im Schutz seines Verwandten, des Kalogeri ...«
»Das warst Du!« unterbrach ihn der Pascha.
- »Kehrte er zurück an die Ufer der Drina, und wo Wusseïn der Held war, da war auch Michal der Haiduke als sein böser Schatten! Michal der Haiduk war es, der den Ali Aga von Stolatz herbeiführte und die Uskoken der Herzegowina zum letzten Kampf, den Wusseïn focht auf bosnischer Erde, bevor er floh wie ein Feigling über die Donau ...«
»Hund von einem Kalogeri!«
»Er war dabei, als Wusseïn weinte wie ein Weib beim Verlesen des Hattischerifs des Großherrn in Semlin, der den um Begnadigung Flehenden seiner Würden und Güter beraubte und ihn nach Stambul rief zu den Füßen des Großherrn!«
»Fluch jener Stunde und meiner Unterwerfung!«
»Er war dabei,« fuhr der unbarmherzige Redner fort - »als Wusseïn der Held von Bosnien weinend wie ein Weib hinüberfuhr nach Belgrad, um in Stambul zu bitten um Gnade vor dem Schemmel des Großherrn ...«
»Hund! Du lügst - nur sterben wollte ein Tapferer in dem Lande seiner Väter, nicht in den Pußten der Giaurs!«
»Damals war's, wo Michal der Haiduk das Weib, das jenem folgen wollte, zurückhielt, indem er sie ihrer Kinder beraubte - Wusseïn hatte ja einen Sohn in der Kula der Grahowen!«
»Was kümmert mich der Bastard des Rajahweibes
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Wusseïn hat nur einen Sohn - sprich, wo ist mein Knabe? daß er Wusseïns Geschlecht fortleben läßt in Bosnien, seinem Vaterland!«
»Michal der Haiduk nahm die Kinder Wusseïns mit sich zum Berge Orjen und gab sie dem Weibe ohne Zunge und Arme, daß sie das Mädchen erziehe mit ihrem eigenen Kind!«
»Aber der Knabe, der Sohn Wusseïns?«
»Ich kenne nur einen Sohn des Drachen von Bosnien! - Michal der Haiduk gab die Tochter des stolzen Wojwoden von Gradaschatz, des Helden von Kossowo, des Schreckens des Großherrn dem Sauhirten des Klosters vom Berge Orjen zum Weibe und sie zeugte Kinder mit ihm ... und Dein Blut ist es, der Sohn Deines Kindes, das sich in diesem Knaben zu Deinen Füßen windet!«
»Aber der Knabe, mein Sohn?«
»Der Sohn, den die stumme Mutter gebar - Dein Sohn, Pascha Wusseïn, - sieh her, Frau« - und er riß das Tuch von dem Antlitz der Dulderin - »das Kind des Verbrechens war der Schrecken der Moslems: Iwo der Blutige - und sein Vater der Moslem hat ihn gemordet! - und wenn Du wissen willst, Wusseïn, wo der ältere Sohn Deines Blutes und Namens ist, so frage den Bären der Herzegowina, denn Michal ist der Bär und der Bär ...«
Der heisere Schrei, mit dem sich die Verstümmelte auf den schwankenden Leichnam warf, wurde erstickt von dem wilden Triumphgeschrei der Krieger vom brennenden Kloster her: »Maschallah - der Bär! Der Bär!«
Jussuf Aga drängte sich durch die Menge, die den
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Pascha umgab und legte den bluttriefenden Säbel zu seinen Füßen. »Allah mehre Deinen Ruhm, Pascha Wusseïn - er ist in unseren Händen?«
»Wer?«
»Der schlimmste Feind der Gläubigen - das Haupt der Rebellen gegen die Herrschaft des Padischah - der Führer der Rajahs, den sie den Bären der Herzegowina nannten! Dort großer Pascha bringen sie ihn, damit Du selbst seinen Kopf nimmst und ihn dem Großherrn sendest.«
Ein Ruf der Befriedigung brach über die Lippen des wilden Kriegers. »Her mit ihm! - lebendig! lebendig will ich ihn haben!«
Ein wirrer Haufe jauchzender Männer, die Waffen schwingend kam von dem brennenden, zusammenstürzenden Kloster her - in ihrer Mitte gestoßen, geschleppt, taumelnd eine Gestalt in das verhängnißvolle Wahrzeichen, das Bärenfell mit dem grimmigen Kopfschmuck, gehüllt.
»Deine Tapferen, Pascha, haben ihn glücklich ergriffen, als er mit den Kalorgis und den Männern und Weibern, die unser Arm nicht mehr erreichen konnte, in die steinerne Moschee der Ungläubigen entrinnen wollte. Doch soll Keiner entkommen beim Bart des Propheten!«
Der Haufen war herangekommen, sie stießen den Kapitano der Rajahs, den sie im Kloster gefangen genommen, in den Kreis, der von allen Seiten näher drängte um den Pascha und den Abt, um den gefürchteten Kapitano zu sehen - die zwei gefährlichsten Feinde der Moslems in einer Nacht - der Padischah durfte gnädig blicken auf seine Krieger!
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Unbeweglich, als wäre er selbst sein Bundesbruder, stand neben dem Pascha die greise Gestalt des Higumenos - nur ein stiller Hohn flog über das ernste Gesicht.
Sie hatten ihn niedergeworfen den berühmten Kapitano zu den Füßen des Pascha's - blutige Hände rissen den fletschenden unheimlichen Kopfschmuck von seinem Haupte ...
»Gott und die Heiligen mögen einem armen Schneider gnädig sein,« wimmerte eine klägliche Stimme. »Allergnädigster Herr Pascha, oder Wessir oder Großsultan, wer Sie auch sein mögen - erbarmen Sie sich meiner und retten Sie mich vor diesen grausamen Kriegsleuten, die auf kein vernünftiges Zureden hören wollen. Ich bin doch nur ein unschuldiger Sachse, der zu all' dem Unglück gekommen ist, wie unser König zu Beusten. Bei Gott, kutester Herr Großsultan, ich kann Sie's beschwüren!«
Der Pascha lachte wild auf. »Dummköpfe, die Ihr seid - konntet Ihr wirklich glauben, daß der Schelm hier der tapfere Kriegsmann sei? Steh auf, Hund, wer bist Du - und wie kommst Du zu der Mummerei?«
Der ehrliche Schneider hatte sich auf die Knie erhoben, die Todesangst hatte seine Sprachkenntnisse geschärft, daß er die Frage genügend verstanden.
»Ach, allermajestätischter Herr Sultan Gnaden - glauben Sie nur gütigst nur das allereinzigste Mal, ich bin Nichts wie eine unschuldige Schneiderseele, Anton Herzlich aus Tresten und bin erst gestern in das verdammte Kloster gekommen. Thun Sie mir Nichts zu Leide um Beustens willen - ich habe Paß und Wanderschein« - und er
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versuchte mit zitternden Fingern die schmuzige Brieftasche aus den Ruderas des Frackschooßes zu ziehen.
Der Abt, der allein die klägliche Protestation verstanden, die der Aermste im reinsten Sächsisch erhoben hatte, legte mit stolzem Lächeln die Hand auf den Arm des Moslem.
»Der Drache von Bosnien wird seinen Grimm nicht auslassen an dem quakenden Frosch! - Der Mann ist ein wandernder Schwabe, gestern erst zum Kloster gekommen und ohne Schuld. Gieb mir Dein Wort, Pascha, ihn ungekränkt gehen zu lassen, und Du sollst den wirklichen Bären sehen!«
Der Pascha sah wild - fragend auf. »Wusseïns Wort - Du selbst -«
»Ich bin Michal der Haiduk. Michael der Higumenos des heiligen Basilius - Pascha Wusseïn, ich bin der Bär der Herzegowina!«
Ein stürmisches Wuthgeschrei erhob sich aus der Schaar der umdrängenden Krieger - hundert Säbel und Yatagans blitzten im Feuerschein durch die Nacht.
Aber der Säbel des Pascha streckte sich schirmend über das Haupt des Bedrohten aus. »Daß Keiner die Hand zu heben wage gegen ihn, bei seinem Leben! Er gehört mir und dem Großherrn! - Keine Waffe hebe sich mehr - bei meinem Zorn! - Setzt Wachen aus um die Moschee der Giaurs und löschet den Brand. Wenn die Sonne aufgeht, werdet Ihr Wusseïns Befehle hören!«
Die wilde Meute kannte zu gut die furchtbare Härte des Gebieters, um seinen Befehlen nicht sofort zu gehorchen.
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Ohne Widerspruch zerstreuten sich die Krieger, nachdem sie auf einen Wink des Paschas den Körper des blutigen Iwo von dem Baum gelöst und zur Seite getragen hatten, wo die Verstümmelte neben ihn kauerte, das Haupt des todten Sohnes in ihrem Schoos, während große Thränen aus ihren starrblickenden Augen darauf niederrannen, und das Weib des gefallenen Sauhirten die verstümmelten, schwer wunden Füße ihres Sohnes zu kühlen versuchte, aus dessen Mund sie jetzt erst vernahm, daß sie Wittwe geworden.
Die Wachen waren ausgestellt; nur spärlich noch schlugen die Flammen aus den Mauern des Klosters und ringsum auf dem Plateau hatten sich in bunten Gruppen die Baschi-Bozuks ermüdet von der Blutarbeit um die Feuer gelagert und schmausten von den mitgebrachten oder erbeuteten Vorräthen, bis Einer nach dem Andern sich auf den Boden streckte und in Schlaf versank.
Lange hatten die beiden Todfeinde, nur getrennt durch den Leichnam des ehemaligen Herrn von Zwornik, schweigend einander gegenüber gestanden, der Pascha auf den Griff seines Säbels gestützt in tiefem Sinnen, - der Abt die Hände über die Brust gekreuzt: zwei Greise, zwei Proben jener rauhen unbezähmbaren Naturen, die jenes Land erzeugt, Christ und Moslem, kaum Einer weniger furchtbar als der Andere.
Endlich richtete der Pascha das Haupt empor.
»Christ,« sagte er - »Du hast Deine Rache gehabt, - aber Du bist ein Sohn Bosniens und ein Junak.«20
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»Ich bin's!«
»Ich kann Dein Leben nicht retten, selbst wenn ich es wollte, aber ich kann Dir die Martern ersparen und Deinen Tod leicht machen, wie ich wünsche, daß es der meine einst sein möge, leichter als der Tapfere ihn fand, der zu unseren Füßen liegt.«
Der Higumenos lächelte verächtlich. »Glaubst Du, daß ich den Tod fürchte auch in seiner schlimmsten Gestalt, und nicht darauf gefaßt war, als ich hierher kam, Drache von Bosnien?«
»Nein, ich sagte Dir schon, daß Du ein Tapferer bist wie alle Kinder der geliebten Berge, aber auch ein Sohn Bosniens und deshalb verstehst Du, was ich Dir sage. Wusseïn, Dein Feind, ist der Letzte vom Stamme des großen Osmans, dessen Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit die Gesänge preisen, der ein Liebling des Volkes war, und von allen Bosniaken geehrt wird als der Vertheidiger ihrer Rechte gegen die Herrschaft des Divans. Darf sein Name untergehn, sein Geschlecht sterben in dem Munde unseres Volkes? Achtzehn Jahre sind es her,21 daß der Großherr sein Angesicht wieder den mit Wusseïn über die Donau geflohenen und seit ihrer Unterwerfung in der Verbannung lebenden Begs zuwandte und sie wieder zu Musselims und Kapitanis machte in ihrem Vaterlande, und zehn Jahre, daß er Wusseïn und Widaïtsch gestattete, ihnen zu folgen aus dem fernen Syrien. Seitdem habe ich meinen Sohn gesucht, unablässig, damit das Blut Osmans nicht todt bleibe in diesem Lande, denn ich bin alt!«
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»Ich wußte es - stolzer Beg! Aber nicht blos der Koran, auch die Bibel der Christen verheißt, daß die Verbrechen der Väter gerächt werden sollen bis ins dritte und vierte Glied. Und glaubst Du, stolzer Beg, daß das Blut der Rajah dieses Landes weniger roth ist, als das der Spahis? daß der arme Christ auf den Namen seiner Väter, die von dem großen Volk der Gothen stammen wie die Deinen, weniger hält, als Du? Auch ich bin der letzte Sproß meines Namens und habe kein Weib berührt, seit Deine Schandthat das meine genommen, sondern bin nach dem Gelübde, das ich that, ein Mönch geworden, als Gott mir gestattet hatte, die Vergeltung zu sichern, indem er all' Dein Blut in meine Hände gab!«
Stolz und finster sagte der Pascha: »Das Blut des niederen Rajah ist nicht besser, wie das des unreinen Thieres. Wie magst Du es wagen, es mit dem zu vergleichen, das in den Adern der Edlen fließt? - Sprich denn zum letzten Mal - ist Nichts, was Dich bewegen kann, Wusseïn das rechte Kind seiner Lenden zurückzugeben?«
»Ich habe nicht mehr die Macht dazu, aber ich kann Dir seinen Namen sagen und wo Du ihn findest!«
»So sage Deine Bedingungen!«
»Gelobe mir bei dem Bart Deines Propheten - nein, Ihr stolzen Begs seid so schlechte Moslems wie Ihr falsche Söhne des Kreuzes wart - schwöre mir bei der Seele Deines Bundesbruders, der todt zu unseren Füßen liegt, daß Du die Christen meine Brüder, die jetzt noch die Mauern jener Kirche vor der Grausamkeit Deiner Krieger schützen, ungehindert und ungeschädigt entlassen
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willst, ehe die Sonne aufgeht, und Du sollst den Namen und den Aufenthalt Deines Sohnes erfahren, wenn die Sonne über die Felsenwände des Ubli steigt.«
»Ich gelobe es bei der Seele des Widaïtsch, meines Bundesbruders!«
Der Abt machte das Zeichen des Kreuzes. »Ich leiste Dir den Gegeneid, Pascha Wusseïn!« Dann wandte er sich von ihm und setzte sich nieder auf den Steinsitz unter dem Kastanienbaum, wo er schweigend in tiefem Nachdenken verblieb, während auf einen Befehl des Paschas vier der wilden Krieger in einiger Entfernung ihn bewachten, und jener nach dem Kloster ging, um neue Befehle zu ertheilen.
Drei Stunden waren ohne weitere Feindseligkeiten vergangen und die Dämmerung zeigte sich bereits am Himmel, als der Pascha wieder zu seinem Gefangenen trat.
»Komm!«
Der Abt erhob sich und folgte ihm, begleitet von den Wachen, die ihn nicht aus den Augen ließen. So gingen sie zu der von Innen verbarrikadirten Kirche.
»Sage Deinen Brüdern, daß sie die Thür öffnen und sich entfernen mögen. Du hast den Eid Wusseïns, aber sie würden meiner Stimme nicht glauben.«
In der That zeigte ein Blick dem Abt, daß die Arnauten sich von dem äußeren Zugang des Gotteshauses zurückgezogen hatten, während der zweite, welcher die Verbindung mit dem Kloster herstellte, von den niedergestürzten noch rauchenden Trümmern verschüttet war.
Der Abt erhob seine Stimme, nachdem er an die
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schwere, mit großen kupfernen Nägelplatten beschlagene Thür geklopft hatte.
»Gregorius mein Bruder, bist Du unter den Lebenden, die sich zur Stätte des Herrn retten konnten?«
Erst nach einer Weile kam die Antwort aus einem der hoch vom Boden gelegenen, engen Fenster des Gotteshauses. Es war die Stimme des alten Sakristans.
»Wer ruft Die, welche für das Kreuz zu sterben bereit sind? Ist denn Michael unser Higumenos noch unter den Lebendigen?«
»Ich bin es, Bruder, meine Stunde ist noch nicht gekommen und meine Pflicht ist es, Euch den Dienst zu leisten, der allein in meinen Kräften stand ...«
»Was befiehlt der Higumenos, mein Bruder und Freund, sollen wir sterben mit Dir?«
»Nein, Ihr sollt leben! Wusseïn der Pascha sichert Euch Leben und Freiheit. Er hat es geschworen, darum öffnet ohne Besorgniß die Pforte und zieht in Frieden - wenn Ihr meinem Rath folgen wollt über die nahe Gränze der schwarzen Berge oder in die Bocca!«
»Und Du Freund?«
»Kümmere Dich nicht darum - das Schicksal des Bären der Herzegowina ist in den Händen Gottes! So kommt denn ohne Furcht!«
Man hörte das Wegräumen der Balken und Geräthe, mit dem die Christen im Innern der Kirche den Zugang verrammelt hatten
In dies Geräusch mischte sich ein dumpfes Murren, das immer lauter und drohender wurde - es waren die
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wilden Krieger, die in der Entfernung, zu der sie der Pascha verwiesen hatte, über die Befreiung der Christen ihre Unzufriedenheit äußerten.
Der Aga und die anderen Kapitanis der wilden Schaar steckten die Köpfe zusammen, und dann schienen sie endlich Muth gefaßt zu haben und traten zu dem Pascha.
»Herr,« sagte der Aga - »Dein Arm ist stark und Du befiehlst im Namen des Großherrn. Aber die Golatschanen sind unzufrieden, daß sie so wenig an Beute gefunden haben in jenem Gebäude, und meinen, die Giaurs pflegen ihre Schätze in goldenen und silbernen Gerathen in ihrer Moschee niederzulegen. Sie fordern das Recht, sie zu plündern und zürnen, daß Du die Christen ziehen lassen willst und den Imam mit ihnen, ohne dem Sultan Köpfe zu senden! sie verweigern den Gehorsam und wir fürchten, sie werden die Kerstiti22 nicht ziehen lassen.«
»Werden Sie? Nun bei Allah, wir wollen sehen!« Der Name der Kerstiti, der so lange noch mehr als die Christen gehaßten Gegner hatte all' seinen Zorn und die Thatkraft des einst so Gefürchteten aufgeregt.
»Wo ist Abdallah, mein Schwertträger?«
»Hier, Herr!«
»Ist Dein Handjar scharf?«
»Ahi! Befiehl, und ich schneide hundert Köpfe hintereinander mit ihm.«
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Es war das zweite Mal in dieser Nacht, daß die Bande der Bozuks der Furcht sich beugte.
»Tritt neben mich. Jetzt, Bär von Bosnien - laß Deine Brüder ohne Furcht heraustreten und ihren Weg nehmen. Doch - zuvor - bist Du bereit zu sterben?«
»Ich bin es, Drache Wusseïn!«
»So halte Dich fertig! Ibrahim Pascha, der Wessir soll noch heute Deinen Kopf empfangen - den Deinen und das Haupt des Blutigen!«
Der große Held der Begs wußte bei all' seiner Kühnheit sehr wohl, wie weit er des Gehorsams der wilden Meute, die er befehligte, sicher war. Den verfallenen Kopf mußte er ihnen geben, dann konnte er ohne Murren den ihren nehmen, das ist die Gerechtigkeit des Orients.
Die Pforte des engen Gotteshauses öffnete sich, und den Sakristan an ihrer Spitze, zitternd und bangend zogen die wenigen Kalogeri, und die noch Lebenden der Geflüchteten - unbeschwert mit irgend einer Habe, die nur die Habsucht der Räuber gereizt hätte, - die Mütter und Väter ihre Kinder tragend - viele verwundet, heraus.
Der Abt ging dem alten Klosterbruder entgegen und umarmte ihn.
»Du hast meinen Rath empfangen, Bruder Gregor, zieht zu den Bocchesen oder zu den Schwarzen. Aber Du hast Etwas vergessen, mein Bruder!«
Der Sakristan sah ihn fragend an. Mas meinst Du, hochwürdiger Higumenos?«
»Den Sarg, der nach altem Brauch in Deiner Sakristei bereit steht, den Ersten der Brüder aufzunehmen, den
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der Herr zu sich ruft! - Du sollst meinen Leib mit Dir nehmen und ihn bestatten in der geweihten Erde der Christen - während mein Haupt den Weg macht zum Palast des Sultans, unseres Herrn.«
»Heilige Jungfrau, Mutter Gottes!« stöhnte der alte Mönch - »wir wollen uns zu seinen Füßen werfen!«
»Entehre nicht den Streiter des Kreuzes, Bruder Gregor,« sagte fest mit gebietendem Wink der Abt. »Noch bin ich der Higumenos des Klosters und habe Gehorsam zu heischen. Schicke die Laienbrüder und laß sie die Bahre holen.«
Es ging ein Schauer durch die ganze Masse bei diesem festen ruhigen Befehl. Die schwarzen Kalogeri gingen zurück zur Kirche, während die beiden Greise Hand in Hand stehen blieben und sich in die Augen schauten. Dann kamen sie wieder, die Bahre mit dem einfachen Sarg tragend, während die übrigen die bei den Leichenbegängnissen üblichen trauerumhüllten Kruzifixe in ihren Händen hielten.
Selbst auf die wildesten, des Blutes und Mordes gewohnten Gemüther machte die schreckliche Prozession einen tiefen Eindruck, so daß während die Christen auf ihren Knieen um den Abt lagen und ihm wie einem Heiligen die Füße und Hände küßten, die Baschi-Bozuks im Kreise still umher standen auf ihre Flinten und Lanzen gelehnt. Nur der roheste von ihnen, ein Gehilfe des Scharfrichters des Paschas, brachte auf einem Speer das vom Rumpfe getrennte Haupt des Uskoken Iwo und pflanzte es im Kreise auf.
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Der Abt wandte freundlich sein Auge zu dem schrecklichen Anblick und nickte ihm zu während er die Hände faltete im Gebet. Dann sprach er leise zu seinem Freunde dem Sakristan: »Wenn der Moskow zurückkehrt, wirst Du ihm meinen Segen bringen und dafür sorgen, daß ein Theil des Geldes, das der große Czar uns geschenkt, zu Messen im Kloster Ostrog und für die unglücklichen Frauen verwendet werde. - Du wirst bei mir bleiben, Bruder Gregor, bis es überstanden ist, und jetzt höre meine letzte Beichte.«
Er kniete nieder vor dem Sakristan, der sich über ihn beugte, und flüsterte zu ihm hinauf. Eifrig sprach der Greis zum Greise - dann ernster und strenger, bis der Abt das Haupt beugte und sagte: »So sei es denn, wie Du befiehlst, mein Bruder!« Dann erst hob der Sakristan die Hand und machte das Zeichen des Kreuzes über den zum Tode Bestimmten. Eine leichte ungeduldige Bewegung ging durch die Reihen der Moslems und der Abt verstand sie wohl. Als er sich erhob, kniete der deutsche Schneider vor ihm und küßte seine Hand, ohne vor Schluchzen Worte zu finden. Sanft segnete ihn der Abt. »Ziehe heim, Fremdling,« sagte er in deutscher Sprache, »und möge es Dir wohl gehen in Deinem schönen Vaterland. Das Auge des Sterbenden schaut in die Zukunft und sieht es herrlich und groß! Dann, wenn die Zeit gekommen, möge auch Dein Land fühlen die heilige Pflicht, daß der Christ dem Christen beistehen soll in seiner Noth, und mein Volk befreien helfen von der Herrschaft des falschen Propheten. - Held Wusseïn, ich bin bereit!«
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Der Pascha trat zu ihm. »Wusseïn hält seinen Eid - sorge denn für die Erfüllung des Deinen, ehe es zu spät ist! Die Sonne Allahs steigt empor.«
Es war hell geworden - das Licht des jungen Tages lag über den Bergen und Wäldern des mißhandelten Landes.
Der Abt Michael griff unter das schwarze Gewand, das seine Brust deckte und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor, das er dem Pascha reichte. »Es war bereit für Dich, als ich zum Paß von Ostrog zog. Nimm, aber erinnere Dich, daß Du geschworen, nicht eher es zu öffnen, als bis die Sonne über der Bergwand des Ubli steht! - Und nun Wusseïn, einst der Held von Bosnien - ich übe als Christ das Gebot des großen Erlösers der Menschen und vergebe Dir im Tode, was Du Schlimmes mir gethan, und also mögest auch Du vergeben meine Schuld! - Brüder - haltet fest an Eurem Glauben und möge, wie Gott jene Sonne aufgehen läßt über die Erde, auch bald die Sonne der Freiheit aufgehen über meinem Vaterlande Bosnien.«
Er sank auf die Knie und hielt die Hände im Gebet vorgestreckt, der steigenden Sonne entgegen.
Der schwarze Sclave stand bereits an seiner linken Seite und das Licht des jungen Tages glänzte auf dem mattgrauen Stahl - die Frauen jammerten und der greise Sacristan begann, wie es in der griechischen Kirche der Brauch ist, stehend die erhabenen Worte des 137. Psalms, in welche die Kalogeri responsirend einfielen.
»Schlag zu!«
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Weithin rollte von dem gewaltigen Hieb das graue Haupt des Abts auf die Steine des Bodens - einen Moment noch kniete der Rumpf in seiner Stellung, dann fiel er nach vorn in das spritzende Blut.


Die schwarzen Kalogeri hatten den Leib des Enthaupteten in den schmucklosen Sarg gelegt und die Kräftigsten trugen die Bahre, voran die Träger mit den schwarz behangenen Kreuzen, gefolgt vom Pater Sakristan, der mit zitternder Stimme die Hymne für die Verstorbenen intonirte, in welche schluchzend die Schaar der Frauen und Greise einstimmte. Nur Wenige waren zurückgeblieben.
Während der Zug der Christen sich nach Westen wandte und allmählig vom Plateau des Klosters verschwand, streng überwacht von dem Adlerauge des Pascha Wusseïn, daß keines seiner Lämmer sich gegen seinen Eid an den Abziehenden zu vergreifen wage, waren die Haufen der Baschi-Bozuks in die geöffnete Kirche gedrungen und plünderten mit frecher Hand, was irgend der Zerstörung und des Raubes ihren gierigen Augen werth schien.
Nur Weniges und Spärliches war freilich in dem Gotteshause zu finden - einige einfache Geräthe zum Gottesdienst, schmucklose Heiligenbilder - mottendurchfressene Kirchenfahnen und Meßgewänder.
Mehr als eine halbe Stunde war vergangen, obschon das Blut auf dem Granit des Plateaus noch nicht trocken, - die Sonnenscheibe stieg eben über die Felsenwände des Ubli und Dormitor, als der Pascha Wusseïn in die Kirche trat und sein Säbel nach der offenen Pforte wies.
»Hinaus, Hunde!«
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Einer drängte sich über den Andern, in wenig Minuten war der entweihte Raum geleert von den frechen Schändern. Der Pascha setzte sich auf die Stufen des zerstörten Hochaltars, von denen herab so oft sein Todfeind das heilige Opfer der Messe verkündet, zog das Papier aus seinem Säbelgurt und entfaltete es. Seine Augen stierten auf die zwei Zeilen, die es enthielt:
»Drache von Bosnien - lang blühe Dein Geschlecht! Muhrad, Dein Knabe wurde dem Kapu-Agassi23 übergeben - suche ihn im Serail Deines Großherrn!«
Der starke Held sank stöhnend zurück auf die Stufen. So saß er, den starren Blick nicht von dem verhängnißvollen Blatt reißend, stumm, ohne Bewegung - sein Ohr hörte nicht, was draußen vorging auf dem Plateau unter den Kastanien, vor den Ruinen des Klosters vom heiligen Basilius - die Töne der Tuba und das klingende Schmettern der Beckenschläger des Nizam - sein Auge sah nicht die wogende, drängende Menge - nichts, nichts, als das Blatt Papier!‹


Noch immer quoll es herauf von den blauen Gliedern des Nizam, schlechte, zerrissene Uniformen zwar, jämmerliches Schuhwerk, hohle, halb verhungerte Gesichter, mangelhafte, unsauber gehaltene Waffen, aber es waren doch - Regulaire des Nizam des Großherrn, von Sultan Mahmud geschaffen, mit französischen und deutschen Instrukteuren von Abdul Medschid fortgesetzt. An der Spitze ritten, wie
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zwei Tage vorher, der junge Mir Alai und der Kadi von Konjtza, aber auch drei Männer in abendländischer Tracht, darunter der russische Major, die beiden anderen waren der französische und der russische Consular-Agent in Mostar. Hinter dem ziemlich langen Zuge des Nizam zwischen all' dem Trödel von Dienern, Köchen, Pfeifenstopfern, Tschauschi's, Barbieren, Lastträgern, Zeltschlägern, Khawassen und Pferdeknechten, die stets eine türkische Kolonne begleiten, ritten vier Personen, denen die Anderen etwas scheu Platz machten. Der Eine trug die Kleidung der Couriere oder Tataren des Großherrn, unter den übrigen befand sich ein Mohr von kolossalen, unfläthigen Formen, der keck und fast thierisch umhergrinste, die beiden Anderen, zwar weißen Gesichts, aber aufgedunsen und ausdruckslos, waren in Mäntel gehüllt, die fast aussahen wie die Feredschis der muselmännischen Weiber.
Die naive Musik aus Tuba, Trommel, Pfeifen und Becken bestehend, hatte schon weit vorher ihre Ankunft verkündet und die ganze Schaar der Bozuks war herbeigelaufen, die Ankömmlinge neugierig anzugaffen oder mit höhnischen und drohenden Mienen und Geberden zu empfangen; denn es bestand und besteht sehr wenig Sympathie zwischen den Regulairen und dem wilden, aus dem untersten und verworfensten Raubgesindel zusammengesetzten Landsturm oder den Baschi-Bozuks, den in Zeiten der Noth, oder wenn es mehr Züchtigung und Verwüstung galt als regulairen Krieg, aus allen drei Welttheilen der türkischen Herrschaft aufgerufenen Horden oder Freicorps.
»Es ist, wie ich fürchtete,« sagte der russische
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Offizier in französischer Sprache zu dem Mir-Alai, dem jungen Befehlshaber der Abtheilung des Nizam, die in ziemlich unregelmäßiger Weise am Zugang des Plateaus Aufstellung nahm, während die Irregulairen sich wie von den umhergezerrten Knochen vertriebene Köter murrend und drohend zurückzogen und in starken Haufen sammelten - »wir kommen zu spät! Mein Gott, warum konnte der Wessir Sie nicht zwölf Stunden früher senden!«
»Maschallah, Monsieur Sie vergessen, daß Seine Hoheit Wichtigeres zu thun hatten: die Rebellen von Trebinje abzuhalten und in die Berge zu zerstreuen. Diese Schelme scheinen allerdings arg gewirthschaftet zu haben, dennoch wird der Wessir sie schwerlich darum strafen, wenn er erst die schlimmen Nachrichten von Nikschitj empfängt die wir unterwegs hörten. - Aber ich sehe ihren Anführer nirgends, den berüchtigten Pascha Wusseïn! - Bismillah - wessen sind die Köpfe dort, welche die Hunde auf Lanzen gesteckt haben?!«
»Allmächtiger Himmel - das ist der Higumenos des Klosters, der greise Michael!«
»Und zugleich Michal, der Bär der Herzegowina,« - sagte Aga Jussuf, der mit demüthigem Gruß herangetreten war. »Das andere Haupt gehört einem gleich schlimmen Feinde des Islam - es ist der Kopf des Uskoken, den sie Iwo den Blutigen nannten! - Sie sind bestimmt nach Beliece gebracht zu werden.«
Der Oberst des Nizam stieß eine Art von Freudenruf aus. »Allah sei Dank - haben Sie gehört,
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Messieurs? - und wer sendet Seiner Hoheit so kostbare Geschenke?«
»Unser Gebieter - der Pascha Wusseïn!«
Der Mir-Alai wandte sich zu seinem älteren Begleiter. »Beim Bart des Propheten - auf meine Ehre, gerechter und weiser Kadi, ich hätte fast Lust nach solchen Gegenbeweisen der Treue, dem Pascha Wusseïn Zeit zu lassen, sich bei Seiner Hoheit zu rechtfertigen. Was denkst Du Freund?«
Der alte Türke strich sich den Bart. »Thu, wie Du verantworten kannst, - die Gerechtigkeit des Großherrn ist ein schlimmes Ding, und Stambul ist weit. Ich denke, das Paschalik von Egri-Palanka ist meinem jungen Freunde versprochen.«
»Allah möge mein Gedächtniß schärfen, ich hätte es beinahe vergessen. Thue Deine Pflicht, Kadi - diese Hunde mögen zunächst ihre Todten begraben. Aber was haben Wir da? [»]Parbleu, Monsieur le Commandant, Sie stehen ja vor dem Graubart so selbstvergessen, als schauten Sie die Houris des Propheten, statt den Kopf eines Verbrechers! Ich habe mir sagen lassen, daß Messieurs les Russes in Polen auch wenig Umstände machen mit den gefangenen Rebellen! - Aber bei allen Schönheiten der grand opéra - ich will Schinken essen wie ein Jude und Champagner trinken wie ein Großmufti - wenn das nicht das schöne Rajahmädchen ist, dem ich noch gestern den Teppich in meinem Haremlik anbot und das sich zierte wie eine Engländerin!«
Der Russe war vom Pferde gestiegen, auch er hatte
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die Unglückliche erkannt, die am Fuß der Lanze kniete, welche den abgeschnittenen Kopf Iwo's trug, die Sängerin der Piesmen von den Thaten des Helden Wusseïn aus der Kula der Grahowen.
Das Haar des Mädchens hing wirr von ihrem Haupt, ihr Antlitz war todtenbleich, nur die Augen stierten mit dem Ausdruck des Wahnwitzes dunkel aus den tiefen Höhlen.
Er sprach freundlich zu ihr, die Hand auf ihre Schultern legend. »Helene, armes Wesen, wo haben Sie Mutter und Bruder? Kann ich Ihnen beistehn?«
Mit wildem Ausdruck stieß sie die Hand von sich. »Rühre mich nicht an, - ich bin eine Unreine, Geschändete! - Kennst Du den Sang nicht von den vierzehn Jungfrauen, welche die Türken nahmen?«
»Was ist's mit ihr?« frug der Mir-Alai den Aga der Bozuks, der ihm mit dem Instinkt des Verräthers gefolgt war.
»Nichts Besonderes, hoher Herr - der Pascha Wusseïn hatte seinen Tapferm die Weiber und Dirnen der Rajahs zur Beute gegeben. Die Schelme von Albanesen« - er selbst war ein Schipetare! - »haben sonst schlimme Gelüste, wenn sie keine Weiber finden! - Sie scheint wirr geworden darüber, aber der Verstand wird ihr wiederkehren! Jawasch - was ist ein Weib!«
Der Mir-Alai drehte sein Pferd auf den Hinterfüßen und sprengte zu der Colonne. »Wo ist der Bote des Großherrn? - Hast Du den Ferman? Eile Dich! Wo ist der Pascha Wusseïn?«


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Die vier Männer, welche hinter den Soldaten des Nizam hergeritten waren, traten in die offene Thür des Gotteshauses - ein fünfter hatte sich ihnen beigesellt: der Mohr Abdallah, das Auge des Boten hatte ihn gleich als ebenbürtig herausgefunden und ihn zu sich gewinkt. Als sie eingetreten waren, blieb der Aga Jussuf, der ihnen gefolgt war, vor der Thür stehen.
Der Tatar des Divan trat zu dem Mann, der noch immer in stumpfem Sinnen auf den Stufen des Altars saß.
»Im Namen Gottes und des Kalifen - bist Du der Pascha Wusseïn?«
Der bosnische Held fuhr empor: »Was ist's, was giebt's?«
»Einen Ferman des Großherrn für Dich, o Pascha! ich hoffe, Du wirst des Boten nicht vergessen.«
Er hob das Papier demüthig an seine Stirn, ehe er es dem Empfänger überreichte und streckte die andere Hand aus nach dem Backschisch.24
Der Pascha griff in die Tasche seiner Beinkleider, zog eine Börse heraus und reichte sie ihm. »Geh! - Abdallah - was wollen diese Männer?«
Der Bote des Padischah hatte die Börse eingesteckt, auf welche seine Begleiter einen neidischen begehrlichen Blick geworfen, und hatte die Kirche verlassen. Als er über die Schwelle trat, zog er die Pforte hinter sich zu und blieb vor ihr stehen. Er winkte dem Jussuf Aga und beide zogen ihre Säbel und lehnten gegen die geschlossene Thür. -
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Einer der weißen Männer, eine hohe aber unförmlich breite und aufgeschwollene Gestalt mit verschwommenen Zügen hatte ein Päckchen aus der Tasche gezogen und schlug das seidene Tuch auseinander. »Wenn es Deiner Hoheit jetzt beliebt, oder wünschest Du, daß wir noch warten?« sagte er mit widriger kinderartiger Fistelstimme, indem er den Gegenstand, den er aus dem Päckchen genommen, dem großen Kapitano der freien Begs entgegenhielt: eine dicke grüne seidene Schnur.
Der Pascha machte eine wilde Bewegung: »Wer bist Du, Mensch?« - aber schon hatten der fremde Mohr und Abdallah, sein Scharfrichter, die Handgelenke des Paschas gefaßt.
»Ich bin Muhrad, der Tschannador Agassi25 der weißen Boten des Padischah, des Schatten Gottes, der Zuflucht der Welt, o Pascha, wenn es Dir gefällt!«
Der Held von Bosnien taumelte entsetzt nieder auf die Stufen der entweihten Kirche.


Zu die wieder geöffnete Pforte des christlichen Gotteshauses trat der Kadi von Konjtza und hielt den Ferman des Großherrn in die Höhe. »Höret ihr Gläubigen! Das Auge des Padischah schläft nimmer und seine Gerechtigkeit ist wie die Allahs. Der Pascha Wusseïn war ein Verräther, der das Land des Großherrn an seine Feinde, die Begs und die rebellischen Rajahs verkaufen wollte. Er ist den Tod des Verräthers gestorben. Allah ist groß und Mahomed ist sein Prophet!«

Im Louvre-Hôtel.

Zur Zeit unserer Darstellung existirte das Grand-Hôtel noch nicht - die meisten Fremden von Distinction wählten neuerdings ihr Logis in dem großen Hôtel des Place Royal, schon um das von einer Actien-Gesellschaft erbaute, von Herrn Dremel, dem früheren Besitzer des bekannten Hôtels Victoria in Dresden, geleitete Riesen-Hôtel zu besichtigen, obschon es an eleganten Hôtels ersten Ranges in Paris nicht fehlt. Hat doch in neuester Zeit grade der Hôtelbau und Comfort einen so rapiden Aufschwung genommen - wir erinnern nur an die großen Hôtels in New-York, an die Prachtbauten des Mühling'schen Hôtel de Rome und des Grand-Hôtel der Actien-Gesellschaft in Berlin, - daß förmlich Muth dazu gehört, an die alten gemüthlichen Gasthöfe vor dreißig und vierzig Jahren zurückzudenken. -
An den großen Steinpfeilern des breiten Hôtelportals lehnten zwei Männer von sehr verschiedenem Aeußeren, das doch eigenthümlich genug war, um die Aufmerksamkeit der zahllosen, vorüberpassirenden Flaneurs zu erwecken;
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denn die Pariser sind sehr neugierig und benutzen gern jede Gelegenheit, Maulaffen feil zu haben, obschon es an den verschiedensten und auffallendsten Trachten im Straßenverkehr wahrlich nicht fehlt.
Der eine dieser beiden Männer, die augenscheinlich zu dem Dienstpersonal der im Hôtel logirenden Fremden gehörten, war eine gewaltige Figur mit starkem Kopf und Barthaar, auf dem ersteren die rothe Basquina der Bewohner der Pyrenäen tragend - der andere Suky, der Laskare, der Steward des früheren Kapitain Hansen, des entlassenen Matrosen des ›Lyimpfjord‹.
Die Beiden mußten schon seit mehreren Tagen recht wohl mit einander bekannt geworden sein, denn sie machten in einem oft höchst possirlichen Kauderwälsch ihre Bemerkungen über die Vorübergehenden oder die Scenen auf dem Vorplatz.
»Ist großer Schad',« sagte der Laskare zu seinem neuen Bekannten, »daß Munschö Mikel nur gefahren ist mit kleine Boot auf die große See; - wenn kommt Sahib Kapitain, würde Malakka-Mann empfohlen haben, Munschö Mikel zu heuern als Matros, wenn wir wieder gehn zusammen zu Schiff, der Sahib Kapitain und Sucky.«
»Sie vergessen,« sagte der große Baske in einem Gemisch von Englisch, Französisch und Spanisch, das der kleine Laskare am Besten verstand, »daß ich bereits in Diensten von Señora Santarez stehe.«
Der Broncefarbige zuckte verächtlich die Achseln, als könne er nicht begreifen, wie man in den Diensten einer Frau stehen könne, wenn man stark und groß genug sei,
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um den Ehrenposten eines Matrosen am Mast einzunehmen, und machte dem entsprechend eine Bemerkung.
»Aber Señor Sucky,« meinte der ehemalige Schmuggler und Lastträger, denn es war in der That Miguel, der bescheidene Anbeter von Margarethe Babeule, der Genosse der Schleichhändler in Biarritz, der hier am Portal des Hôtels auf Posten stand, wie er so oft für die Contrabandista an der Felsenküste des Golfs von Biscaya oder vor dem Hause Margarittas Schildwache gestanden hatte, um vielleicht ihren Schatten am Fenster zu erlauschen - »Aber Señor Sucky sind ja selbst im Dienst einer schönen Señora?«
»Das seind ganz was Anderes Munschör Mikel, das seind eine Lady und Sucky seind Missus blos geborgt, bis Kapitain Hansen seind zurückgekommen von seine große Reise über die Meer.«
»Sie sagten mir einmal, daß der Señor Kapitano, der Bruder Ihres künftigen Herrn, auch nach Westindien gegangen sei, woher der alte Kapitain Lautrec gekommen ist, und wohin ich mit Señora Dona Santarez nächstens mich begeben werde, wenn ihre Geschäfte hier abgemacht sind.«
»Oh, Massa Lautrec,« sagte der Laskare vergnügt - »bei Good, Massa Lautrec seiend ein verteufelt genteeler Kapitain, er haben dem armen Sucky schon zwei Mal eine Dollar geschenkt und haben eine verteufelt lustige Missus mit Augen, wie ein Paar Kohlen so funkelnden. Und die kleine Deuvel, ihre Sclavin, seind ein nettes Nigger und fast so hübsch, wie die kleine Person von Ihre Herrschaft - wie heißt Sie doch?«
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»Sie meinen Louison?«
Der Laskare, obschon eine Art Polyglottist, machte einige mißrathene Versuche, den Namen mit französischem Accent nachzusprechen. »Seind sich das doch ein besonderer Zufall, daß der Sahib Kapitain, der Herr von Sucky, gekommen sein mit Master Lautrec und seine schöne Missis zusammen in eine Schiff nach Hâvre und seind nur schade, daß er ist gegangen nach London, ohne zu wissen, daß seind Suky und Missus bereits wieder abgereist von London nach Paris. O je!«
»Par Dioux - dann hat der Herr Kapitain Zeit genug gehabt, herüber zu kommen, da er doch wohl der Hochzeit seines Bruders mit der schönen dänischen Dame beiwohnen wird?«
Der treue Laskare schien der Sache nicht so ganz sicher zu sein. »Bei Mahomed! es können sein! Aber Munschör haben vorhin genannt Massa Hansen, den Rath von die Legation, meinen Herrn. Da sein Munschör sehr im Irrthum, Massa Hansen, der Kapitain sein der Herr von Sucky, aber niemals Massa Hansen der Rath!«
»So wollen Sie die schöne Dame verlassen? - Par Deos - was zum Teufel will das schwarze Weibsbild, das so eben wieder vorüber gegangen ist - es ist das vierte Mal und ich glaube wahrhaftig, Señor Sucky, sie ist in Sie verliebt, weil sie immer so nach Ihnen herüber sieht.«
»Ich haben nicht aufgepaßen auf sie. Beim Propheten, es gehen in diese verteufelten Stadt so viele Weiber auf die Straßen umher und seind so frech, daß man gar nicht
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kann achten auf die Eine oder die Andere. Ist sie gewesen so hübsch, wie die kleine Lu - Lui ...«
»Louison!«
»Richtig, die kleine Loulou, oder diese kleine schwarze Teufel von Missis Lautrec?«
»Das Weib ist so tief verschleiert, daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Also wenn Sie nicht mit Ihrer Dame reisen wollen, so werden Sie wieder zu Schiffe gehn?«
»Der Laskare beugte sich vertraulich vornüber. »Sein sich gekommen Brief heute Morgen, als die Herrschaft schon seiend fortgefahren zu Kaiser von Frankreich - ist sich Brief von mein Sahib Kapitain, kann Sucky nicht selber schreiben, ist sich zu dumm hier! aber kennt die Handschrift von Kapitain Hansen so gut, wie sein eigen Gesicht - - sein sich drum so vergnügt, als machten Kapitain Hansen selber Hochzeit - was wollen Munschör von Malacca-Mann?«
Die Frage war an einen Kommissionair gerichtet, der ihn auf die Schulter geklopft hatte, einen schlau und gewandt aussehenden Burschen mit kurzem, rothem Haar und Bart.
»Bist Du der Steward des früheren Kapitain Claus Hansen, mein brauner Bursche?« frug der Mann in gutem Englisch.
»Gewiß seind Sucky der Steward von Sahib Kapitän,« sagte eifrig der Laskare, ohne in dem vertraulichen Ton des Fremden etwas zu finden. »Was wollen Munschör von die Steward?«
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»Du sollst mit mir kommen, blos bis in die nächste Gallerie vom Palais Royal - es wünscht Dich Jemand zu sprechen, um Dir Nachricht zu bringen von Kapitain Hansen von der ›Clary‹.«
Der Laskare that einen Freudensprung. - »Lassen Sie gehn keschwind - Munschör,« - er wollte eben dem Basken sein Glück verkünden und ihn bitten, ihn bei ›Missus‹ zu entschuldigen, wenn diese etwa unterdeß zurückkehren sollten, als er bemerkte, daß Freund Miguel oder Mikel, wie er ihn nannte, einer Dame, seiner Gebieterin, entgegen ging, die in Begleitung eines Herrn auf dem Trottoir daher kam.
Der Commissionair führte den bereitwilligen Malayen, den er wie einen Affen zu betrachten und zu behandeln schien, nach dem Eingang der Kolonnaden.
Die Dame, die von Tuilerien her kam, war in der That die frühere Bewohnerin des Hauses der Contrabandista in Biarritz: die unglückliche Margaritta Labeule - die verlassene, ihres Kindes beraubte Geliebte des Schmuggler el Tuerto, des Mörders ihres Vaters, des früheren Douaniers, und der neben ihr ging, sich noch schwer auf einen Stock stützend, der Offizier der Zollwächter von Biarritz, Lieutenant Dalbond.
Die unglückliche junge Frau - sie hatte, seit sie Biarritz verlassen, den Namen ihrer Mutter und ihres in der Havannah verstorbenen Oheims26 angenommen, war seit dem schrecklichen Schlage, der sie getroffen, schwer
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verändert, ohne daß durch die gleichsame Vergeistigung ihres Gesichts ihre Schönheit eigentlich Einbuße erlitten hatte. Es fehlte ihr nur jener leidenschaftliche Reiz vollen glühenden Lebens, der sie früher ausgezeichnet und so verlockend und begehrt gemacht hatte; ihre schöne graciöse Figur war hagerer geworden und das fast üppige Oval ihrer Wangen, die lebensfrische Farbe ihres Gesichts hatte einer dunklen fast durchsichtigen Blässe Platz gemacht.
»Also auch Sie keine Spur, mein Freund?« frug die junge Frau.
»Keine Spur, Madame! Man kannte auf der englischen Gesandtschaft zwar den Namen eines Lord oder Grafen von Lerida, aber der Eine behauptete, er habe eine Reise nach Rußland oder gar nach dem Nordpol gemacht, die Anderen, man habe seit dem Krimkriege Nichts von ihm gehört - er müsse sich in Italien oder sonst wo umhertreiben - hier in Paris sei er überhaupt nie gewesen.«
Die junge Frau biß die Zähne zusammen. »Aber die Worte lauten: Au révoir à Paris!« murmelte sie. »Doch kommen Sie, Freund - folgen Sie mir in meine Zimmer - ich habe wenigstens einige Nachrichten.«
Miguel war ihnen entgegengekommen.
»Briefe angekommen?«
»Nein, Madame - jener Mann nur war hier, den Sie zuweilen empfangen.«
»Wo ist er?«
»Er wird diesen Nachmittag wiederkommen.«
»Ist Louison oben?«
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»Sie plaudert mit dem Mädchen der dänischen Dame und der kleinen Negerin.«
»Sobald Herr Rodelle kommt, führe ihn sogleich ein, guter Miguel!« Der Lieutenant reichte dem ehemaligen Schmuggler, obschon er hier nur die Stellung eines Dieners einzunehmen schien, freundlich die Hand. Gemeinsame Neigung und gemeinsamer Haß gleichen die Unterschiede im Leben aus. Dann folgte er der Dame, die mit größtem Respekt von dem Personal des Hôtels behandelt wurde, zu ihren Zimmern im zweiten Stock.
Es war nicht mehr die arme Margaritta Labeule, die ihn empfing - es war die reiche Erbin in ihren Appartements des fürstlich ausgestatteten großen Hôtels.
Auch das Wesen, das Benehmen der jungen Frau hatte sich geändert: die naive hingebende Leidenschaftlichkeit, das natürliche ungenirte Wesen hatte einer zurückhaltenden ernsten Hallung Platz gemacht, es war etwas Vornehmes in Sprache und Geberden, wer sie früher gekannt, mußte einsehen, daß die Leiden ihr eine Schule gewesen zur Aneignung einer Bildung und Tournüre, die sie passender zu der Stellung machten, auf die sie jetzt Anspruch erheben konnte. Der ehemalige Contrebandeur oder ihre kleine Dienerin Louison hätten davon erzählen können, welchen Fleiß, welchen Eifer sie seit den drei Monaten, daß sie in Paris war, darauf verwandt hatte, sich die ihr fehlende Bildung anzueignen. Es konnte nicht verkannt werden, daß sie in der kurzen Zeit von sieben oder acht Monaten eine Dame geworden war.
Und dennoch hatte es nur eines Blickes des Lieutenants
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in diese dunklen, eine ganze Tragödie erzählenden Augen bedurft, um zu wissen, daß weder Haß noch Liebe aus diesem Herzen geschwunden waren, und daß es einer dämonischen Aufgabe mit der gleichen Kraft schlug, wie an jenem Abend, als sie erfahren, daß sie verrathen war.
Ein Wink entfernte das junge Mädchen, nachdem es Hut und Shawl abgenommen, aus dem Boudoir.
»Hören Sie zuerst, mein Freund,« sagte sie, nachdem sie auf einer Causeuse sich niedergelassen und ihm einen Sessel angedeutet hatte, - »was mir gelungen auf der spanischen Gesandtschaft und durch einen jener geschickten Agenten der Polizei, den ich in Dienst genommen, bis jetzt zu erfahren.«
»All' meine Mühe ...«
»Ich weiß, daß Sie es gewiß daran nicht haben fehlen lassen, aber erinnern Sie sich, mein Freund, daß Sie den ganzen Winter auf Ihrem Schmerzenslager zugebracht haben.«
»Um als ein halber Krüppel es zu verlassen - hätten Sie, Madame, nicht mit so freundlicher Sorgfalt sich meiner angenommen, ich hätte es wahrscheinlich gar nicht mehr verlassen - was ohnehin doch für mich das Beste gewesen wäre.«
»Still, mein Freund, und verlieren Sie den Muth nicht! Sie sind jung und kräftig und werden bald vollständig genesen, um sich mit aller Kraft unserem gemeinsamen Werke zu weihen: - Rache und Vergeltung an jenem Bösewicht zu üben!«
»Und - dann - wenn es mir gelungen, Ihren
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Knaben aufzufinden, - jenen Mann zur Rechenschaft zu ziehen - werde ich dann hoffen dürfen ...«
Sie wandte sich von ihm. »Es wäre schlecht von mir, mein Freund, auch nur mit einem Wort, einer Miene diese Täuschung zu ermuthigen. Nein, Dalbond - Margaritta Labeule hat nur ein Mal geliebt und ihr Herz schlägt nur noch für den einen großen Zweck ihres Lebens. Sie wird Ihre Freundin sein, so lange dieses dauert, - aber niemals mehr!«
Sie reichte ihm die Hand, auf die er sich schmerzlich niederbeugte.
»Wiederholen Sie mir also, mein Freund, was Sie in den Savoyer Bergen erreicht?«
»Sie erinnern sich, daß Sie nach meiner Genesung mich dahin sandten, um die Spuren, die sich Ihnen an meine Erzählung von dem Kapitain Roccabruna knüpften, zu verfolgen. So sehr ich jenen Mann auch zu hassen Ursache habe, ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen und daher die Beschuldigung zurücknehmen, daß er den Tod jenes jungen Mädchens veranlaßt habe, dem ich meine erste Neigung gewidmet hatte. Man hat sie für todt, für eine Selbstmörderin gehalten aus Verzweiflung darüber, daß ihr anscheinender Geliebter sie schmählich verlassen, weil sie bald darauf verschwand; aber man hatte sich getäuscht, sie lebt - und zwar in einer vornehmen, ja hohen Stellung in Turin. Ihr Verhältniß zu jenem schönen Chamäleon scheint also ein anderes gewesen zu sein, wenigstens eine Untreue nicht ihr Herz gebrochen zu haben.«
Ein tiefes Aufathmen der jungen Frau, wie als
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befreie ihre Brust sich von einem lastenden Gewicht, machte ihm selbst Schmerz.
»Doch ist es mir gelungen, zu ermitteln, daß allerdings ein Kapitain von Roccabruna existirt, wenigstens findet sich eine Besitzung dieses Namens am Strande der ligurischen Küste, deren Besitzer im Auslande leben soll, und nur selten, oft in Jahren nicht, dorthin kommt. Die Villa ist Jedermann verschlossen, nur vom Gärtner und seiner Frau bewohnt. Doch will man in den ersten Monaten dieses Jahres, - also nach jenen Ereignissen in Biarritz ein Schiff, das, nach der Beschreibung der an der Küste wohnenden Fischer, der ›Victory‹ geglichen hat, in dem kleinen Hafen von Roccabruna haben ankern, und den Herrn der Villa ihr einen kurzen Besuch abstatten sehen. Wohin das Schiff sich dann gewandt, wußten die Leute nicht - der Gärtner und sein Weib wiesen jede Frage schroff ab. Das ist Alles, was ich ermitteln konnte und mit dem, was ich auf der hiesigen englischen Gesandtschaft über einen Grafen von Lerida oder einen Kapitain Waterford hörte, das einzige Resultat.«
»Was meine Nachforschungen anbetrifft,« sagte die junge Frau, »so weiß ich so viel, daß ein Graf Juan von Lerida sich zu Anfang dieses Jahres in Madrid aufgehalten hat, daß el Tuerto der Schmuggler in den Verkehrsstätten der Contrabandista wohl bekannt ist, und daß ein Graf von Lerida wegen politischer Conspirationen aus Spanien verbannt worden ist und dasselbe verlassen hat, man weiß nicht wohin.«
»Das würde mit dem Besuch in Roccabruna in der
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Zeit ungefähr stimmen. Aber wo diesen Proteus, diesen rastlosen, offenbar von reichen Mitteln unterstützten Abenteurer, suchen?«
»Ich weiß nicht, wo wir ihn suchen sollen, aber ich weiß, wo wir ihn finden werden. Wenn wir nur eine Verbindung mit der vornehmen Gesellschaft dieses leichtfertigen Hofes anknüpfen könnten, - vielleicht ließe sich damit eine Spur entdecken - ein Name wenigstens ermitteln: Cl. v. R.! den ich hasse, den ich verabscheue! - Denn wie Sie mir selbst gesagt, bewegte sich jener Mann am Hofe von Biarritz.«
Der Lieutenant der Douaniers zuckte die Achseln. »Sie wissen, daß an diesen hohen Gränzen mein guter Wille erlahmt.«
»Und dennoch dürfen wir nicht ermüden und ich fühle die Ueberzeugung, daß wir unser Ziel erreichen werden. Vorerst wissen Sie, daß ich mich nach der Havannah begeben will, wo meine persönliche Anwesenheit zur Abwickelung der Erbschaft, auf die ich gleichsam erst in Vorschuß lebe, nothwendig ist. Ich habe einen Sohn, für dessen Zukunft seine Mutter, so schmerzlich sie ihn auch jetzt vermißt, sorgen muß.«
Sie trocknete die Thränen aus ihren Augen.
»Haben Sie sich meinen Vorschlag überlegt? Wollen Sie hier zurückbleiben, um unsere Nachforschungen fortzusetzen, wollen Sie mich begleiten? In jedem Fall müssen Sie Ihren Abschied aus diesem drückenden, Ihrer unwürdigen Dienst nehmen. Ich bin reich ...«
Der junge Mann hatte sich erhoben. »Sprechen Sie
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das Wort nicht aus, Margaritta - Sie haben mich wenigstens Ihrer Freundschaft gewürdigt, und werden mich durch ein solches Anerbieten nicht beleidigen wollen. Noch dauert der Urlaub fort, den man mir zur Heilung meiner im Dienst erhaltenen Wunden bewilligt hat, und meine kleinen Ersparnisse haben zu den Ausgaben gereicht, die ich bei meinen Nachforschungen machen mußte. Henry Dalbond darf seine Rache an dem Zerstörer seines Lebensglücks sich nicht von der Frau bezahlen lassen, die er liebt. - Leben Sie wohl einstweilen, - morgen werde ich wieder nachfragen, ob Sie mir einen Befehl zu geben haben!«
Er küßte ihre Hand und ging; sie sah ihm traurig nach.


Der Commissionair hatte den vertrauenden, in der Hoffnung, seinen Herrn wiederzusehen, glücklichen Matrosen in die Gallerieen des Palais Royal geführt. Zum Erstaunen des Laskaren trat ihnen hier eine tief in Schwarz gekleidete und dicht verschleierte Frau entgegen, die dem Commissionair ein Geldstück reichte und ihm dann winkte, sie zu verlassen.
»Laß uns hier in diesen Gang treten,« sagte sie zu dem verblüfften Matrosen, ihn mit sich fortziehend. »Kennst Du mich?«
»Der Malaye ward bei dieser Stimme unruhig - er starrte sie furchtsam an - sie schlug den Schleier zurück.
»Bei der schwarzen Schlange - Missus Adda!«
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»Ich bin's - sprich, was weißt Du von dem Kapitän, Deinem Herrn?«
»Oh, Missus Adda - was wollen Sie ihm zu Leide thun? Haben Sie noch nicht Schlimmes genug gebracht über Sahib Kapitain, wie die schwarze Schlange, der böse Geist, der Nachts heimsucht die unschuldigen Menschen!«
»Thor! erinnerst Du Dich nicht, daß ich ihn mit meiner Seele gerettet vor schmachvollem Tode? Ahnest Du nicht, daß ich hier bin, um ihn vor noch schlimmerem Unheil zu bewahren, als der rasche, vernichtende Tod ist! - Sprich, weißt Du, wo Dein Herr ist?«
»Missus Adda - er leben, und ist nicht mehr auf dem Kriegsschiff bei die bösen Kapitain und Sie haben gethan ein Wunder für ihn, Missus Adda, denn der Brief hat gerettet sein Leben. Well! Es wohnen da drüben in dem großen Hause Personen, die gekommen sind aus Westindien, und als sie gehört haben den Namen von Sahib Hansen, dem Rath, haben sie erzählt an Missis Edda, was sie gesehen auf einer kleine Insel drüben in Amerika, und daß sie gekommen sind mit Kapitain Hansen zusammen auf einem Schiff und daß er sein gegangen nach London, um zu heuern ein Schiff, womit er kann gehn wieder in See!«
»So kommt er nicht hierher zu der Hochzeit seines Bruders?«
»Sucky noch nicht wissen, Missus Adda! Aber wenn Sie mir schwören wollen bei der großen Schlange - nein, beim großen Gott der Christen, zu dem Sie ja beten, wie Missis Edda und der Sahib Kapitain ...«
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Ein spöttisches Lächeln flog über das Gesicht der Lappin.
»... Wenn Sie mir schwören, daß Sie nicht daran denken, zu thun Kapitain Hansen ein Leid, so will ich Ihnen sagen, daß heute Morgen gekommen sein ein Brief von Kapitain Hansen aus London oder Hâvre, aber Sucky wissen noch nicht den Inhalt, da Missis Edda nicht sein in die Hôtel.«
»Und willst Du, sobald Du den Inhalt erfährst, ihn mir mittheilen, Sucky?«
Der Malaye schaute sie mißtrauisch an; eben weil er jetzt wußte, daß sie in einer unbegreiflichen Weise das Leben eines geliebten Herrn gerettet hatte, bewahrte er den Glauben, daß sie eine jener bösen Zauberinnen sei, von deren Existenz er sich nach dem Aberglauben seines Volkes überzeugt hielt, und hatte eine gewisse Furcht vor ihr.
»Wenn Missis Edda es erlauben - gern!«
»Das eben ist es, was nicht geschehen soll. Du darfst auf keinen Fall Edda sagen, daß Du mich gesehen, gesprochen hast! Ich verbiete es Dir! - Willst Du Gold? - Du sollst dessen genug haben, aber Du sollst mir treu sein, Du sollst mir dienen.«
»Sucky kein Gold brauchen - Missis Edda geben Malakka-Mann bedürfen. Viel Gold sein sehr schlimmes Ding, blenden die Augen, machen Herz schlimm und Kopf wirr!«
Sie sah ihn starr an. »Hast Du auch schon die Erfahrung gemacht, armer Bursche! - So muß ich es
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anders versuchen. Höre mich an Sucky! Ich schwöre Dir bei Allem, was Dir und mir heilig und furchtbar ist - ich will Deinem Herrn nur Gutes thun, ihm einen Dienst erweisen - den nur ich ihm erweisen kann, und den er Dir danken wird, so lange er athmet. Aber ich kann es nur, wenn Du mir vertraust, und wenn Edda davon erfährt, ist es unmöglich. Höre mich an, Mann,« sagte sie flüsternd, und ihre Augen blitzten drohend auf ihn, daß dem armen Burschen, trotz des hellen Sonnenscheins und der Tausende von Menschen, die um sie her verkehrten, ganz unheimlich zumuthe wurde. »Du kennst meine Macht! Bei meinem Zorn! Ich will die schwarze Schlange Deiner Heimath, bei der Du zu schwören pflegst, senden, daß sie Dir das Hirn aus dem Kopfe saugt und ihre giftige Zunge in Deine Augen bohrt, wenn Du Dich weigerst, mir zu gehorchen. Wähle?«
»O, Missus!«
Er wäre fast auf die Knie vor ihr niedergefallen. »Was haben Sucky gethan, daß Sie ihn der schwarzen Schlange opfern wollen? - Was verlangen Missus, daß ich thun sollen?«
»Zunächst, von meiner Anwesenheit, von unserer Unterredung schweigen, und dann heute Abend um neun Uhr Dich hier, auf dieser Stelle wieder einfinden, um mir zu sagen, was in dem Briefe des Kapitains steht und welches seine Adresse ist; denn ich habe ihm Wichtiges mitzutheilen. Geh jetzt, und gehorche, sonst wehe Dir!«
Der Laskare schlich zitternd davon - all' seine gute
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Laune, die er vorhin gegen seinen Kameraden, den großen Miguel gerühmt, war plötzlich verschwunden.
Er kam grade zur rechten Zeit zu dem Hôtel zurück, denn er hatte kaum seinen Posten an der Einfahrt wieder eingenommen, und hätte es in seiner tiefsinnigen Stimmung fast übersehen, als die Equipage, welche seine Herrin, ihren Vater und ihren Bräutigam von den Audienzen zurückführte, wieder in das Hôtel einfuhr.
Die Herren hatten nach ihrer Entlastung vom Kaiser im Cour d'Honneur gewartet, bis die Damen vom Empfang Ihrer Majestät zurückgekommen waren, und dann hatte der Gesandte seine Gemahlin in seiner eigenen Equipage mit fortgenommen.
»Ihre Majestät,« sagte die Gräfin Moltke, ehe die Herren sich verabschiedeten, »waren überaus gnädig, und haben mich beauftragt. Fräulein von Halsteen diesen Abend in ihren Cercle einzuführen. Es ist kleiner Empfang und Sie sehen das vornehme und in Kunst, Wissen und Politik berühmte Paris in diesen eben so interessanten als exclusiven Gesellschaften versammelt. Wenn Sie also noch Bedürfnisse für Ihre Toilette haben, meine Liebe, so versäumen Sie nicht, sogleich bei der Saint Valérie vorzufahren, deren Magazin ja wohl Ihr Trousseau zu besorgen die Ehre hat. Um 9 Uhr werde ich Sie abholen. Bis dahin - Adieu!«
Die Equipage entfernte sich, während der Legationsrath seine Braut in den Wagen hob.
»Also nach dem Boulevard des Capucines, Ecke der Rue Caumartin,« befahl der Legationsrath, der den Weg
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genau kannte, da er ihn öfter mit seiner schönen Verlobten hatte machen müssen, und das Magazin der Madame Saint Valérie ihr empfohlen hatte.
»Ich muß gestehen,« sagte Fräulein Halsteen, als der Wagen mit ihnen dahinrollte, - »ich verkehre eigentlich nicht gern mit der Dame dieses Magazins, obschon ich einräumen muß, daß sie einen vortrefflichen Geschmack besitzt und von der vornehmen und eleganten Welt sehr gesucht wird.«
»Es ist in der That eine förmliche Gunst, liebe Edda,« sagte der Legationsrath, »wenn Madame Saint Valérie es übernimmt, für die Ausstattung einer fremden Dame zu sorgen. Ich konnte Ihnen keinen besseren Rath geben - von allen Tonangebern der Mode im Jockey-Club wurde sie mir aufs Beste empfohlen. Vicomte von Bressolles hat sie durch seine Protection en vogue gebracht und Sie selbst liebe Edda sagten mir, daß Sie sehr zufrieden sind.«
Die junge Dame, die ihren Bräutigam bei der Erwähnung der Protektion eines sehr bekannten Lion des Jockey-Clubs etwas von der Seite angesehen, meinte: »Ich finde bloß etwas Unangenehmes in ihrer Persönlichkeit - etwas Dreistes.«
»Dafür ist sie Französin! Und, daß sie das Unglück hat zu hinken. -[«]
»Ich denke, Sie werden mich nicht für so kindlich halten. Doch verlassen wir lieber dies Thema ... Da, sind wir ohnehin an Ort und Stelle.«
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»Nun - ich brauche hoffentlich nicht mit auszusteigen« frug der Conferenzrath.
»Bewahre Papa, Du müßtest denn die Rechnung bezahlen wollen!«
»Ich denke, damit hat es noch Zeit, bis Alles in Ordnung ist. - Ich habe also unterdeß Gelegenheit, eine Cigarre zu rauchen oder mich auf dem Boulevard zu ergehen! - Es ist merkwürdig lieber Hansen, daß Ihr Bruder noch nicht geschrieben und auf den Vorschlag, den Sie ihm gemacht, geantwortet hat?«
Die junge Dame wandte sich ab, der Legationsrath zuckte die Achseln. »Sie haben ihn ja kennen lernen, er ist ein Eisenkopf - er hat es trotz des guten Ausgangs der ganzen Angelegenheit doch mir seinem Bruder wahrscheinlich mißdeutet, daß ich nicht mehr für ihn eingetreten bin. Aber mein Gott, ich wußte ja nicht - und war entfernt ...«
Der Conferenzrath nickte. »Ganz recht, Herr Sohn - je weniger Sie mit dem unverbesserlichen Menschen zu thun haben, desto besser für uns Alle. Ich möchte nur in aller Welt wissen, wenn das, was Kapitain Lautrec erzählt, auch nur zur Hälfte begründet ist, welche Bewandtniß es mit jenem Briefe hatte - der Kapitain muß da doch wohl flunkern - dafür ist er Franzose.«
Fräulein Edda war ausgestiegen und trat am Arm ihres Bräutigams in das Magazin, indeß der Conferenzrath, wie er angedeutet, sich eine Cigarre ansteckte und auf den nahen Boulevard trat.
Das Magazin der Madame Saint Valérie war
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damals, wie der Legationsrath Hansen ganz richtig gesagt hatte, sehr in Mode und der pikante Geschmack der Besitzerin hielt es vielleicht länger in Distinction, als es vielleicht sonst bei der sehr veränderlichen Laune der pariser Welt der Fall gewesen wäre. Wer Paris kennt, weiß, wie leicht hier auch die Mode nicht allein im Geschmack, in den Gegenständen, selbst, sondern auch in der Bevorzugung von diesem oder jenem Magazin wechselt, und daß es keineswegs eines berechtigten Grundes, sondern oft nur eines Zufalls, einer Empfehlung oder einer Betise in den höchsten Kreisen bedarf, um ein Magazin fashionable oder mißcreditirt zu machen. Daß daher die modernen Lieferauten des Luxus wie Pilze in die Höhe schießen, und ebenso durch Bankerott oder eine andere Fatalität wieder verschwinden, ist an der Tagesordnung. Was thut es, wie diese oder jene Modistin, dieser oder jener Kleiderkünstler zu ihrem Ruf gekommen, ob Diese oder Jene vielleicht die Maitresse eines großen Herrn gewesen oder noch ist, - der sich oder sie zur Ruhe setzen will und sie deshalb etablirt, statt sie wieder in's Corps der grand opéra oder in's Quartier Breda zu schicken - was thut es, ob Dieser oder Jener vielleicht sein Etablirungs - Kapital durch ein besonderes Kuppeltalent oder irgend ein Darlehn zur rechten Zeit verdient hat - man hört allenfalls die chronique scandaleuse - aber das bringt in der großen Welt vielleicht eher in Mode, als daß es schadet.
Auch von Madame Saint Valérie erzählte man von einer pikanten Carrière, aber Thatsache war nur, daß der halbe Jockey-Club und der kleine Cercle des café anglais
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sich das Wort gegeben zu haben schien, das Magazin in Schutz zu nehmen und allen Kreisen zu empfehlen.
Bei einer solchen Protection war es leicht in Mode zu kommen! -
»Madame,« sagte die große Modistin beim Schluß der Verhandlungen über die Toilette des Abends, »werden zufrieden sein - ich werde meine erste Ankleiderin zu rechter Zeit mit den Cartons in Ihr Hôtel senden und Sie werden aussehen wie ein Engel. Madame la Princesse Metternich sollen nicht mehr Furore machen als Sie!«
»Ich bitte Sie von dieser Idee abzustehen, Madame,« sagte sehr ernst die junge Dame; »ich wünsche durchaus nicht auffallend zu erscheinen, vielmehr die größte Einfachheit, die sich mit einer solchen Gelegenheit verträgt.«
»Madame sind bei Ihrer Schönheit zu bescheiden,« perorirte die Modistin, »oder Sie wissen, daß unsere Cavaliere oft grade der einfachen Toilette den Vorzug geben, weil sie die Bewunderung nicht von den wahren Reizen abwendet. Madame sollen nach Ihren Wünschen bedient werden. Befehlen Sie, daß ich in den Cartons etwas von unserem exquisiten Rouge beilege? - Madame scheinen nicht ganz disponirt oder haben eine leichte Migraine?«
Edda Halsteen, die in der That in den letzten Wochen je näher der Tag ihrer Vermählung heranrückte, ein leidendes Aussehen, ein ernstes, fast finsteres Wesen gezeigt, das auch auf ihr Aeußeres seine Wirkung übte - lehnte mit einer Handbewegung ab: »Lassen Sie uns gehen, Johannes!«
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Der Legationsrath war voll zärtlicher Aufmerksamkeit. »Trotz alle dem, theure Edda,« sagte er, »hat Madame Valérie nicht ganz Unrecht. Sie sind nicht mehr dieselbe ruhig glückliche Edda, die ich vor sechs Monaten verließ, ein anderer, ich möchte fast sagen, finsterer Geist ist über Sie gekommen, Sie scheinen oft in zerstreute oder melancholische Gedanken vertieft - Ihre sonst so jugendfrischen Wangen sind blaß - Ihr schönes Auge nachdenkend, die reizende Stirn oft von leichten Falten getrübt. Sie scheinen leidend, theuere Edda, - Sie scheinen Kummer zu haben oder fühlen Sie sich in der That nicht wohl?«
»Ich muß gestehen - ich fühle mich in der That etwas leidend, - doch irren Sie, mein Freund, über meine Stimmung. Bedenken Sie, welche große Veränderung in meinem Leben bevorsteht, und daß doch auch die letzte Zeit mir so manche Kümmerniß und Sorge gebracht hat.«
»Meine süße Edda - mein Bruder müßte ein vollständig verlorener, undankbarer Mensch ohne Herz sein, wenn er Ihnen für die Sorge, die Sie ihm gewidmet, die Thränen, die er diesen schönen Augen ausgepreßt hat, nicht ewig dankbar sein sollte!« Er küßte galant ihre Hand oder vielmehr den feinen Handschuh, der sie deckte.
Das Gespräch wurde durch den Conferenzrath unterbrochen, den sie, auf dem Boulevard entlang fahrend, erreicht hatten, und der jetzt am Wagenschlag noch die letzten Worte gehört hatte.
»Das sollte ich doch auch meinen,« sagte er einsteigend, »wenn der Mensch nur ein Bischen Takt und Gefühl hat, muß er Ihren Vorschlag annehmen liebster Hansen - in
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Dänemark ist doch keine Aussicht mehr für ihn, und er würde nur Ihre Carrière stören.«
Der Wagen rollte die Rue Richelieu entlang und hielt bald in der Einfahrt des Hôtels.


Als der Lascare den Wagenschlag öffnete und seiner schönen Gebieterin heraushalf, flüsterte er ihr zu: »Sucky sein sehr begierig zu hören, was Sahib Kapitain schreibt, sein sich Brief von die Kapitain oben.«
Diese Nachricht beflügelte die Schritte der jungen Dame und die Röthe, die seit langer Zeit wieder zum ersten Mal ihre Wangen übergoß, hätte Madame Saint Valérie am Besten überzeugen können, daß ihr Rouge hier überflüssig sei. -
Bald darauf saßen alle Drei in dem gemeinschaftlichen Salon zusammen - und der Legationsrath hielt den erwarteten Brief in der Hand.
»Er ist in der That von Klaus,« sagte er, ihn eröffnend, »aber nicht von London, wie wir erwarteten, sondern wieder von Hâvre. Wollen Sie ihn lesen, Edda ...«
Er reichte ihr den Brief und eine Einlage, doch sie wies ihn zurück. »Er ist nicht an mich gerichtet, - lesen Sie ihn zuerst.«
»So lesen Sie ihn laut - wenn es keine Familien-Geheimnisse sind,« bestimmte der Conferenzrath.
»O, er ist nur kurz - Klaus schreibt sehr lakonisch, die Feder ist ja auch wohl nicht die Sache seiner derben Hände. Hören Sie.«
Der Brief war in der That nur kurz - er lautete:
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               »Mein Bruder!
Deinen Brief habe ich in London erhalten - ich beantworte ihn von hier. Die Menschen dachten es böse mit mir zu machen - Gott hat es gut mit mir gemacht und einen seiner Engel mir zum Beistand gesandt. Das Wie begreife ich freilich nicht, doch - kann der schwache Menschenverstand überhaupt die Macht und die Thaten der Engel begreifen? Deiner freundlichen Einladung zu Deiner Vermählung mit Fräulein Halsteen - Gott segne sie für ihre Güte, indem er sie und Dich glücklich mache! - kann ich leider nicht Folge geben.«
»Es ist doch etwas Takt in dem Mann,« murmelte halblaut der Conferenzrath.
- »Vielerlei hindert mich daran, unter Anderem die so eben hier übernommene Pflicht, ein schönes Schiff, die ›Josephine‹ und bereits zur Abfahrt beladen, in Stelle seines plötzlich verstorbenen Eigenthümers und Kapitains nach der Havannah zu führen. Doch sei Du und Deine Braut überzeugt, daß das Herz und das Gebet eines einfachen Mannes bei Euch sein werden an dem wichtigen Tage.
Wiewohl verbannt aus der Heimath durch den Machtspruch eines Königs, kann ich doch Deinen Rath, ein Bürger Amerika's zu werden, nicht befolgen. Der Sohn der friesischen Halligen kennt nur eine Heimath, und das Meer soll die meine sein, bis ich mit Recht wieder setzen kann den Fuß auf die freie, deutsche Erde Holsteins! Wohin ich nach Zurücklegung der gegenwärtigen Fahrt segle, weiß ich noch nicht, da das Schiff bei seiner Rückkehr aus der Havannah von der Wittwe seines Eigenthümers verkauft werden soll. Doch werde ich von Zeit zu Zeit Euch Nachricht von mir geben.
Was Deinen Vorschlag betrifft, mir von der Erbschaft unseres Onkels einen Theil überweisen zu wollen, da nach den englischen Gesetzen, unter welche die Erbschaft fällt, wenn keine besondere Bestimmung des Erblassers vorliegt, das Erbe dem Erstgeborenen gehört, - so
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verzichte ich auf Deine Güte. Ich würde das Geld unseres Onkels doch nur zum Schutz und für die Rechte seines und unseres Vaterlandes verwenden können. Gott aber hat mir für diesen heiligen Zweck auf fast wunderbare Weise bereits reichliche Mittel in die Hand gegeben, von denen bei dem Andenken unseres Vaters jeder Schilling dazu verwendet werden soll. Bis diese Zeit gekommen, und ich hoffe, sie ist näher, als wir denken, nährt den freien deutschen Mann die freie Arbeit auf freiem Meer!
               Gott segne Dich und segne Edda.
                       Klaus.«
»Da haben Sie den Dank für Ihre überflüssige Großmuth!« sagte heftig der Conferenzrath. »Aber was meint der Mensch mit ›reichlichen Mitteln‹, die ihm zur Unterstützung der Rebellion und des Hochverraths in die Hände gegeben sein sollen? - Was zum Henker kann das bedeuten?«
Der Legationsrath zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung davon. Hübsch ist es allerdings nicht von Klaus, so hochmüthig meinen brüderlichen, guten Willen zurückzuweisen! Er ist und bleibt ein Starrkopf!«
»Und ein gefährlicher Rebell!« sagte hart der Rath. »Aber was ist das da für eine Einlage.«
»Ein Brief an Kapitain Lautrec!«
Eine Art gurgelndes Schluchzen machte ihn aufmerksam. »He - Sucky - bist Du hier?« Erst jetzt bemerkten sie, daß der Laskare im Zimmer geblieben war und den Inhalt des Briefes mit angehört hatte.
»Oh Je! Oh Je! Sucky armer Mann,« schluchzte der Broncefarbige. »Sahib Kapitain armen Sucky ganz
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vergessen, der Kapitain liebt doch mehr als sein eignes Leben. Oh Je! Oh Je!«
»Nein Sucky,« sagte die junge Dame, die den Brief in die Hand genommen und ihn noch ein Mal still für sich gelesen hatte. - »Hier ist eine Nachschrift für Dich, hör zu!« und sie las:
»Wenn Fräulein Halsteen der Dienste meines treuen Sukys nicht mehr bedarf, so bitte ich sie, mir ihn zu senden und meinen Dank zu genehmigen für den Schutz, den sie ihm so lange gewährt hat!«
Der Laskare that einen Sprung vor Freuden und klatschte in die schwieligen Hände. »Oh Missus, nun wird Sucky bald Sahib Kapitain von guter Missus erzählen können! Ich wissen, Kapitain werden hören das gern!«
»Geh Sucky,« sagte die junge Dame eilig - »trage diesen Brief zu Kapitain Lautrec, seinem Freunde. - Wir sprechen später über Deine Reise!«
Der Laskare haschte nach ihrer Hand, sie zu küssen und fühlte den dankbaren Druck ihrer schlanken Finger. Dann machte er sich eilig auf den Weg; denn er that nichts lieber, als sich durch den wackeren Pflanzer-Kapitain von seinem Herrn erzählen zu lassen, so gering auch sein Verständniß des Französischen war.
Als sie allein waren, sagte Edda: »Haben Sie mir nicht gesagt Vater, daß nach deutschem und dänischem Recht alle Kinder gleich berechtigt an dem Erbe des Vaters sind?«
»Gewiß! Warum frägst Du?«
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»Weil demnach Herr Klaus Hansen gleiches Recht an die Erbschaft hat, wie Johannes. Das Erbe selbst, wenn wir es vom Standpunkt des englischen Erbrechts betrachten, mußte zunächst dem Vater, als dem einzigen Bruder des Verstorbenen, dem Prediger Hansen zufallen. Von diesem erbten es die Söhne und zwar zu gleichen Theilen«
»Was verstehst Du von den Gesetzen, albernes Mädchen,« sagte ärgerlich der Conferenzrath. »Der Prediger Hansen ist wahrscheinlich vor dem Erblasser in Indien gestorben und sonach Dein Bräutigam hier der einzige und alleinige Erbe nach dem Urtheil der londoner Advokaten. Auch hast Du aus jenem saubern Briefe zur Genüge gesehen, daß Dein künftiger Herr Schwager - diese Verwandtschaft könnte mir wahrlich noch heute die Verbindung verleiden! - jeden Antheil an der Erbschaft zurückweist! Gott sei Dank, denn er würde sie, wie er mit lobenswerther Offenheit eingesteht, doch nur zum Unheilstiften verwendet haben.«
»Herr Klaus Hansen, Vater,« sagte das Mädchen mit ruhiger Entschlossenheit, - »wird seinen rechtmäßigen Antheil an dieser Erbschaft erhalten, und es muß sich ein Mittel finden lassen, ihm diesen zu sichern, oder er wird überhaupt nicht der Schwager von Edda Halsteen. Ich bin zu stolz, mich mit ungerechtem Gut zu beflecken!«
»Mädchen!« Der Conferenzrath schlug heftig auf den Tisch. »Reize mich nicht!«
Das junge Mädchen hatte sich stolz erhoben. »Sie kennen, Vater, meinen Charakter,« sagte sie fest und mit einem etwas verächtlichem Blick auf ihren Bräutigam, -
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»und Herr Hansen wird ihn zu würdigen wissen. Nehmen Sie danach Ihren Entschluß, indeß ich mich zurückziehe!«
Sie wollte nach ihrem Zimmer gehen, aber sie kam nicht dazu, denn nach einem Klopfen und dem mürrischen: Entrez! des Conferenzraths, dem vielleicht die Unterbrechung ganz erwünscht kam, wurde die Thür geöffnet, und die beiden Mitbewohnerinnen des Hôtels, Madame Santarez und Fräulein Josephine Lautrec traten hastig ein.
»Ei was haben wir gehört meine allerliebste, liebe Edda, mein schönstes Bräutchen,« rief die kleine lebhafte Kreolin, die junge Dame liebkosend umfassend, »Sie gehen heute Abend zu Kaisers, oder vielmehr, damit eine so wilde Hummel wie ich, es mit dem nöthigen Respect sagt -« und sie machte einen gezierten Knix nach den Pas der Quadrille à la cour! - »zu Ihrer Majestät der Kaiserin der Franzosen in die Tuilerien?«
»Es ist heute Abend der Cercle Ihrer Majestät« sagte Fräulein Halsteen, »Ihre Majestät waren so gnädig, bei der Vorstellung die Frau Gesandtin zu erinnern, und diese will so gütig sein, mich unter ihre Protektion zu nehmen, aber - ich habe noch keine schriftliche Einladung erhalten, die, wie ich gehört, üblich oder nöthig ist.«
»So - und was wäre denn das?« frug das muntere Mädchen, die Hand mit einem blauen Couvert hinter dem Rücken hervorbringend und dasselbe zierlich präsentirend. »Wir haben es auf dem Weg zu Ihnen aufgefangen, man wollte es eben aus dem Bureau heraufbringen - es ist eine Ehre für das ganze Hôtel, wie Monsieur Charles,
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der erste Garçon versichert! Ja, wer doch auch eine solche Ehre haben könnte - aber zu dergleichen kommt eine simple Kapitainstochter nicht, selbst wenn sie Braut ist! - Ja, wenn ich noch den hübschen Marquis von Sant Brie geheirathet hätte, der mir tausend Mal versichert hat, wie nett ich mich als Frau Marquise machen müßte, statt diesen dummen Vetter Gauthier, der auch nur ein lumpiger Kapitain ist, und sogar nicht einmal mehr bei der Garde, wenn er überhaupt noch auf der Welt ist, was ich gar nicht glaube, obschon Papa wie närrisch darauf besteht, ihn aufzusuchen, und deshalb durchaus selbst nach Italien reisen will, noch dazu ohne mich mitzunehmen! Als ob Josephine Lautrec nicht hübsch und reich genug wäre, daß sich ein Freier selbst um sie bemühen muß. Nicht wahr schönes Bräutchen?« und sie faßte Fräulein Halsteen um die Taille und wirbelte sie umher, daß diese Mühe hatte, sich von dem lebhaften Mädchen los zu machen, dem sie große Vorliebe zeigte, seit es sich durch einen Zufall herausgestellt, daß sie den Kapitain Klaus Hansen kannte und mit ihm über den Ocean gekommen war.
»Denken Sie Edda,« plauderte die Kleine weiter, »daß mich Papa - ich bliebe sonst ganz gern in Paris und am Liebsten bei Ihnen, wenn Sie hier geblieben wären, - daß er mich in ein Kloster stecken will während seiner Abwesenheit, zu sehr frommen Nonnen, den s urs du sacré c ur, wo es keine Bälle giebt, auf die ich mich doch so sehr gefreut, und man nicht einmal in's Theater gehen darf oder im Bois spazieren fahren! Ist das nicht abscheulich! Oh, Sie müssen es Papa ausreden -
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ich hatte es ja ganz vergessen, er läßt Ihnen schönstens danken für den Brief, den Sie ihm vom Kapitain Hansen geschickt haben. Der brave Mann - ich glaube, den hätte ich heirathen können, wenn nicht der Marquis ...« sie schlug sich auf den Mund. »Ja so - wissen Sie Edda, Herzensfreundin, Sie könnten mir im Vertrauen einen großen Gefallen thun.«
»Von Herzen gern, wenn ich's vermag! - aber was schreibt denn Kapitain Hansen?«
Die Herren hatten längst das Feld geräumt, um die Damen in ihrer Unterhaltung nicht zu gemren.
»Oh erst das Wichtigere Eddachen,« schmeichelte die Creolin. »Wenn Sie diesen Abend zu Kaisers gehen - da sind ja doch alle vornehmen Herrschaften versammelt, oder sie kennen wenigstens alle einander, wie auf unseren Pflanzungen die Niggers einander kennen, und wohnten sie auf beiden Enden von Guadeloupe. Und da der Marquis von Saint Brie doch auch ein vornehmer Herr ist, und zwar ein sehr vornehmer Herr, wie ich mir habe sagen lassen, nur daß er all sein Geld verspielt hat oder Klöster davon gestiftet, so ist er vielleicht heute Abend da - und, - und ...«
»Nun, und ... und ...« fragte lächelnd Fräulein Halsteen.
»Bah ich meinte nur, da könnten Sie ja vielleicht, wenn Sie mit ihm tanzen, und er tanzt gewiß mit Ihnen, denn er sucht sich immer die schönsten Tänzerinnen, nun, da könnten Sie ja vielleicht ihn - so bei Gelegenheit
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wissen lassen, daß Kapitain Lautrec von Guadeloupe sich zur Zeit grade in Paris befindet« -
... »Und seine schöne Tochter!« ...
»Oh, das ist gar nicht nöthig, er wird schon von selbst fragen. Und - hören Sie, Edda, wenn er nicht da ist, so hören Sie doch vielleicht von ihm, und - nun -, und Sie fragen einmal, ob man ihn kennt, und wo er jetzt wohl sein mag!«
»Ich werde nicht verfehlen,« sagte Fräulein Halsteen, welche trotz der schweren Gedanken die ihr auf dem Herzen lagen, doch die naive Koketterie der kleinen Creolin belächeln mußte und einen andern Zweck mit dem Eingehen auf ihre Wünsche verband. »Aber nun Kind, lassen Sie mich auch hören, was Herr Klaus Hansen Ihrem Papa schreibt, denn in dem Briefe an seinen Bruder steht nur wenig von seiner Person.«
»Ah denken Sie, er will schon wieder zu Schiffe, als ein echter Seemann, wie Papa meint, der verzweifelt große Stücke auf Monsieur Hansen hält, ich meine natürlich den Kapitain, nicht Ihren Herrn Bräutigam, und sagt, er wäre der tüchtigste Seemann, der ihm seit langen Jahren vorgekommen, trotz seiner Jugend! Also er will schon wieder nach West-Indien, und zwar von Hâvre aus, auf einem Fregatt-Schooner, der dazu, was das komisch ist! gerade so heißt, wie ich la bel ... nein, Unsinn, ›la Josephine‹ heißt er und er macht eine Beschreibung von dem Schiff, grade als hätte er sich verliebt darein, pah, als ob man sich im Holz und Eisen verlieben könnte. Aber er meint, Besitzer eines solchen Schiffes zu sein, das würde
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ihn einst sehr glücklich machen und wäre eines der Ziele seines Lebens, und Papa meint, ein so tüchtiger Mann wie der Kapitain würde es gewiß noch dahin bringen, und dann könne er in der ganzen Welt nach seinem Behagen umhersegeln und offen seine geliebte Flagge zeigen, ohne sich einen Daus um diesen häßlichen König von Dänemark zu scheeren, der ihn verbannt hat -« sie schlug sich nochmals auf den hübschen Mund - »na ich glaube, da habe ich schon wieder eine Dummheit gesprochen, gewiß und wahrhaftig ich wollte Ihnen nicht weh thun, Edda; denn ein König oder ein Präsident sind doch immer Respektspersonen für ihre Landeskinder, und da Sie doch nun einmal eine Dänin sind - es ist nur gut, daß Ihr Papa es nicht gehört hat - wissen Sie - er sieht gar zu fein und diplomatisch aus mit seiner goldenen Brille und - und« und sie unterbrach sich mit krampfhaftem Kichern.
Fräulein Halsteen hatte die Creolin plaudern lassen, ohne sie auch nur mit einer Sylbe zu unterbrechen. Es war wie ein Blitz, wie eine plötzliche Helle über sie gekommen bei dem Plaudern des harmlosen Mädchens - ja das war ein Fingerzeig von oben - so - und nur so mußte es gehn! So konnten sich die trüben Differenzen lösen, die ihr das Herz bedrückten. Jetzt, als sie sich klar geworden über das, was sie zu thun habe, unterbrach sie die Kleine mit der Frage: »Wie lange fährt man von Hâvre bis Paris, Sie wissen, wir sind über Ostende gekommen.«
»Sechs Stunden - oh er hätte sich schon abmüßigen
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können, der werthe Herr Kapitain, zu Ihrer Hochzeit zu kommen, wenn er nur gewollt hätte, und ich würde ihn tüchtig dafür schelten an Ihrer Stelle, beste Edda!«
Sie achtete nicht darauf. »Bleibt Ihr Herr Vater jetzt zu Hause, und wann kann man ihn am Besten sprechen, liebe Josephine? Ich möchte seinen Rath erbitten in einer kleinen Angelegenheit. Aber mein Gott, wir haben bis jetzt ganz allein geredet und Madame Santarez, unsere liebe Freundin ist ganz schweigsam geblieben. Wir haben Sie gewiß sehr gelangweilt, Madame?«
»Gewiß nicht, Fräulein Halsteen. Ich kam, um Ihnen meine Dienste für Ihre Toilette anzubieten zu diesem Abend - und« sagte sie zögernd - »Ihnen auch eine Bitte vorzutragen, die der unserer kleinen Freundin fast gleicht.«
Edda Halsteen hatte für die junge Frau, die sie als ihre Zimmernachbarin schon bald nach ihrem Eintreffen hatte kennen lernen, von vornherein eine große Sympathie gefaßt, - diese Sympathie hatte sie ahnen lassen, daß auch Madame Margaritta Santarez ein tiefes Leid im Innersten ihres Herzens verbarg, und wenn auch die leidenschaftliche Glut, die bei aller Zurückhaltung manches Mal aus dem Benehmen der jungen Frau hervorbrach, wenig mit den kalten Gewohnheiten der Nordländerin harmonirte, das Gefühl, eine Leidende vor sich zu sehen, eine jener Schwestern vom trauernden, blutenden Herzen, macht ja auch größere Schranken schwinden, als etwa den Zwischenraum zwischen Eider und Pyrenäen.
Auch hatte Edda Halsteen eine gewisse Achtung vor
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der etwa zwei Jahre jüngeren, neuen Bekannten gewonnen, als sie gesehen, mit welchem Ernst, mit welchem eisernen Fleiß diese bemüht war, sich Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, zu deren Gewinnung sie wahrscheinlich früher durch andere Verhältnisse, als ihre gegenwärtigen, keine Veranlassung gehabt hatte, und sie müßte sich, bei jeder Gelegenheit ihr auf diesem Wege beizustehen, ohne sie durch eine zudringliche Frage zu belästigen.
So hatten sich denn beide Frauen inniger an einander geschlossen, denn mit dem feinen, weiblichen Instinkt hatte auch Margaritta leicht begriffen, daß die schöne nordische Dame trotz ihres ausgesprochenen Brautstandes, im Herzen einen Kummer barg und in der ihr nahe bevorstehenden Vermählung anderen Motiven folgte, als der innigen Liebe einer Braut zu dem Manne ihrer Wahl.
»Sprechen Sie - ich bitte!«
»Es hatte sich am Hofe Ihrer Majestät bei der Villeggiatura im vorigen Herbst, ein Mann durch einen besonderen Dienst, den er der kaiserlichen Familie zu leisten Gelegenheit hatte, Zutritt verschafft; ich weiß nicht, ob es ein Spanier oder Engländer ist, doch führt er einen spanischen Namen. Viele der Personen in der Umgebung der Kaiserin müssen sich seiner erinnern und mir liegt in meiner Erbschafts-Angelegenheit viel daran, während es doch unzulässig ist, direkte Fragen zu stellen, ob diese Person schon Paris und den Hof besucht hat, oder Paris besuchen wird. Vielleicht bringt es der Zufall mit sich, daß Sie Gelegenheit haben, diesen Namen zu hören oder
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auszusprechen. Es muß eine Dame in der Nähe der Kaiserin geben, die diesen Mann kennt, deren Namen ich aber auch nicht mit Bestimmtheit anzugeben vermag - da ich jenen hohen Kreisen zu fern stehe, - und dessen Anfangsbuchstaben ich nur weiß: C. de R.«
Die Creolin, die aufmerksam zugehört hatte, klatschte in die Hände. »Mein Gott, das ist ja ein förmlicher Roman! Um Himmelswillen, beste Edda, vergessen Sie mir nur darüber nicht meinen kleinen Marquis! Das ist doch etwas Positives, Greifbares!«
»Mein liebes Fräulein,« sagte Frau Santarez, »danken Sie Ihrer Schutzheiligen, wenn das Leben Ihnen niemals Räthsel bietet, und es Sie harmlos den kleinen Roman Ihres Lebens durchblättern läßt!«
»Aber dann müssen Sie mir, liebe Freundin,« sagte abbrechend die Dänin, »den Namen jenes Herrn mittheilen, wenn ich darauf achten soll.«
»Ich weiß nur, daß er am Hofe zu Biarritz sich als den Conde Don Juan da Lerida vorgestellt hat.«
»Ich danke Ihnen und werde Ihrem Vertrauen nach Kräften zu entsprechen suchen. Und nun meine Freundinnen bitte ich Sie, mich in mein Boudoir begleiten zu wollen, denn bei einer Gelegenheit wie die heutige haben Frauen doch stets so Manches zu besprechen.«


Einige Stunden später geleitete der alte Kapitain Lautrec mit jener ächt französischen Courtoisie, die selbst den rauhesten Ständen gegen die Frauen Natur scheint, das Fräulein Halsteen zur Thür ihrer Gemächer.
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»Verlassen Sie sich darauf, Madame, wenn der alte Lautrec auch nur ein ungeleckter Bär ist, solch einem jungen Seehund versteht er schon eine Nase zu drehen und ihn in das Fahrwasser zu lootsen, wohin er will!
»Soll mir eine Freude sein, dem Burschen weiß zu machen, ich hätte ihm das Geld geliehen, das Schiff zu kaufen, das ihm so gewaltig in's Auge gestochen, und er solle mir's ordentlich verzinsen und nach Belieben wieder zahlen. Das stachelt zur Ordnung und Arbeitsamkeit, obschon das bei dem Kapitain weiß Gott nicht nöthig ist, denn er ist ein stockgesunder Maat an Seele und Leib! Morgen früh um halb Acht ist der alte Lautrec auf dem Bahnhof und zum Mittagessen im Hôtel Frascati, so gewiß ich mein Mädel lieb habe wie meinen Augapfel. Sobald ich den Burschen und das Schiff habe, setzt's ein Telegramm, und zu Ihrer Hochzeit bin ich wieder hier, und übertheuert sollen Sie mit dem Kauf auch nicht werden, dafür lassen Sie vier gesunde Seemannsaugen sorgen, die's verstehen. Gott befohlen, Mademoiselle, ich habe nur noch bei meinem Bankier mir einen guten Wechsel auf Hâvre geben zu lassen, und amüsiren Sie sich gut heute Abend.«
Er küßte ihr die Hand und öffnete die Thür.


Die Gräfin Moltke hatte eben Fräulein Halsteen abgeholt, welcher die beiden Freundinnen - die kleine Creolin sehr unzufrieden damit, daß Edda sich nicht hatte alle möglichen Brillanten in den Putz anbringen lassen, - bis zur Vorfahrt des Wagens beigestanden hatten, - als es neun Uhr schlug und Sucky mit einer gewaltigen Furcht
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vor dem Einbohren der schwarzen Schlange in seine Schlitzaugen sich eilig auf den Weg machte, um das ihm befohlene Rendezvous nicht zu verfehlen. Er fand die schwarze Dame bereits an der Stelle, wo er sie am Vormittag verlassen hatte.
»Es ist gut, daß Du Wort gehalten, Sucky,« sagte sie, - »komm hierher, wir sind hier unbelauschter. Nun sprich schnell, war der Brief von Kapitain Klaus und was enthielt er - aber rede die Wahrheit, oder zittre vor meiner Strafe!«
Der kleine Malacca-Mann, wie er sich zu nennen pflegte, hätte sich eher selbst die Zunge abgeschnitten, als daß er sie diesmal zu einer Lüge oder Ausflucht mißbraucht hätte. Auch hatte er ja Nichts seinen geliebten Herrn Comprottirendes zu berichten, als höchstens, daß der Kapitain durchaus nicht zur Hochzeit der Missis Edda habe kommen wollen, und so berichtete er denn getreu, so weit er ihn begriffen, den Inhalt dieses Briefes. Einige Fragen seiner Quälerin ergänzten leicht, was etwa noch mangelhaft war.
»Hast Du die Adresse Deines Herrn gemerkt?«
»Gewiß Missus, wohnen in London Tavern an die Quai, das führen den Namen wie große Kirche in Paris, wo sein die Haus für die armen Kranken.«
»Du meinst Notre-Dame?«
»Yes, yes, Missus sehr gescheut, fast so klug wie Missis Edda, die so eben sein gefahren zu große Kaiserin von Frankreich. Quai Notre-Dame! so seind die Adresse. O Missus, Sucky haben schon viel gelernt in sein arme
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Schädel, müssen schwarze Schlange nicht lassen schlagen in die Gehirn von armen Malacca Mann.«
»Wenn Du gehorsam und treu bist, gewiß nicht. Und was soll nun mit Dir werden Sucky, wenn Deine Herrin heirathet und mit ihrem Gatten, wie Du sagst, nach Italien reist?«
Der Laskare rückte an seinem Wachshut und schob ihn auf das andere Ohr.
»Oh Sucky gehn zu Sahib Kapitain, Missis Edda haben versprochen, kleine Malacca-Mann zu schicken am Tag vorher, ehe sie gehn werden Mann und Weib, nach Hâvre zu seinem Sahib, daß er kann trösten Massa Kapitän!«
»Und worüber sollst Du ihn trösten?« frug die Schwarze rasch.
Der Matrose schielte sie im hellen Gaslicht von der Seite an. »Sollten Missus Adda das nicht wissen, zu sehn in die Herz von Massa Kapitain, wo doch sein Missus eine große Zauberin, die können gehn über das Meer schneller wie der Sturm aus Nord-Ost?«
»Und was sollte ich sehn in dem Herzen des Kapitain Hansen?«
»Oh Je! daß der Kapitain liebt die Missis Edda und daß es vielleicht besser wäre, wenn Missis Edda heirathen könnte Sahib Kapitain, als seinen Bruder den Rath, denn Missis Edda haben ebenfalls sehr gern im Herzen den Sahib Kapitain, wie ihn lieben müssen Alle, die ihn sehn.«
»Meinst Du? - aber da ist freilich Nichts zu
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machen, da der Rath Hansen durchaus heirathen will Deine Herrin Edda!«
»Hm,« meinte der Laskare, »warum haben lieben Gott oder der Prophet der Malacca-Männer gemacht Missus Adda genau so gemacht wie Missis Edda, wie zwei Schwestern so ähnlich, daß selbst eigner Vater, gnädiger Herr, nicht könnten unterscheiden sie zwei, warum Ehemann? - Warum heirathen nicht Missus Adda den langen Mann von die Feder, und werden vornehme Frau, und lassen heirathen Missis Edda den Sahib Kapitain?«
Die Lappin sah mit einem gewissen finstern Staunen auf den kleinen Malayen. »Meinst Du, Sucky? was Du nicht für ein kluger Kopf bist! - Warum räthst Du mir denn nicht, da ich Edda Halsteen so sehr gleich sehe! selbst den Kapitain, Deinen Herrn zu heirathen?«
»Weil Massa Kapitain sogleich wissen würde, daß es nicht Missis Edda sein!«
»Und eben noch hast Du gesagt, daß der Rath mich für sie halten müßte.«
»Massa Rath,« sagte der Laskare rasch, und ohne sich zu bedenken - »das sein was Anderes! Massa Rath lieben mit den Augen und Sahib Kapitain lieben Missis Edda mit dem Herzen!«
Ein tiefes Stöhnen drang über die Lippen der Unheimlichen, die rasch ihren dunklen Schleier über das Gesicht fallen ließ. »Du hast Recht, Mann,« sagte sie - »so ist denn Allen nicht zu helfen und Jeder muß sein Geschick erfüllen. - Wann ist die Trauung?«
»Am Montag Morgen Missus, und dann reisen Massa
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Rath gleich mit die junge Frau nach die Schweiz ab. Aber Sucky gehn schon zwei Stunden vorher zu seinem Herrn, da Missis Edda nicht haben wollen, daß Sucky sie als Frau sehen von dem Bruder des Sahib Kapitain.«
»Wenn nicht eher,« sagte die Schwarze, »so wirst Du am Sonntag Abend um dieselbe Stunde hier an dieser Stelle sein, Mann - um eine Bestellung an Deinen Herrn mitzunehmen, und mir Lebewohl zu sagen. Sollte ich eher Deiner bedürfen, so werde ich Mittel finden, es Dich wissen zu lassen. - Da nimm dies und sei treu und verschwiegen.«
Diesmal weigerte sich der Laskare nicht, die Börse mit Gold anzunehmen, die sie ihm reichte, ja er küßte ihr die Hand, die sie ihm gab, wie er dies von anderen Personen bei seiner Gebieterin gesehen hatte. Aber er schrak fast zurück, als er seine Lippen auf diese Hand drückte, denn sie fühlte sich so kalt an wie die einer Torten.
Als er sich umsah, war die Schwarze im Gedränge der Promenirenden verschwunden, und er kehrte, allerlei Gedanken in seinem Kopf hin und her wälzend, zu dem Hôtel und seinem Freund, dem großen Miguel zurück, um diesen einzuladen, mit ihm in einer nahen Restauration eine Flasche Wein zu trinken; denn Sucky dachte, obschon er eigentlich ein Muselmann war, doch mehr als Kosmopolit, was das Getränk und seinen Herrn, den Kapitain anbetraf.


Schon Napoleon - wir meinen den Ersten, den gewaltigen Feldherrn, der um seinem Haß gegen England
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Genüge zu thun, Europa bekriegte - hat gesagt: daß Paris, Rouen und Hâvre nur eine Stadt bilden, deren Hauptstraße die Seine sei. Hätte damals schon die Eisenbahn bestanden, die jetzt für die großen Schaufenster Béfours und der Frères Provençaux auch das Seewasser frisch zur Stelle bringt, um den guten Parisern die Hummern und Krabben und sonstigen Delikatessen der Tiefe noch lebend zu zeigen, ehe sie auf die Teller der Gourmands wandern, hätte er diesen Ausspruch mit noch größerem Recht thun mögen.
In der Eingangshalle des Rouener Bahnhofs an der Rue d'Amsterdam war am andern Morgen ein starkes Gedränge, denn der Zug zur berühmten Seestadt am Kanal la Manche, von der nicht weniger als vierzig verschiedene Dampfer nach allen Richtungen ausgehen, sollte in fünfzehn Minuten abgelassen werden.
Ein alter Herr mit kurz geschorenem, borstig grauem Haar und verwittertem rothem Gesicht, eine kleine Reisetasche in der Hand, trat eben vom Schalter zurück, als er beim Umdrehen vor einer elegant in Schwarz gekleideten Dame zurückprallte und lachend den Hut zog.
»Potz Nigger und Bramsegel, Mademoiselle Halsteen - das nenne ich eine Ueberraschung! Sie wollen doch nicht etwa selbst nach Hâvre segeln oder sich überzeugen, ob ich auch Wort halte? Parbleu, da kennen Sie mich auch noch schlecht; wenn der alte Kapitain Lautrec einmal sein Wort gegeben, die Anker zu lichten, da müßte es seltsam kommen, wenn er nicht auch zur bestimmten Zeit in See ginge!« - Er war mit ihr weiter hinaus in das
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Foyer getreten. »Oder haben Sie sich etwa anders besonnen - nun da muß ich Ihnen rund heraus sagen, daß ich mir's nun einmal in den Kopf gesetzt habe, daß Kapitain Hansen la belle Josephine als Eigenthum haben soll, und da ich ihm älterer Verpflichtungen wegen mein eigenes Mädel, die Josephine, nicht geben kann, soll er wenigstens den Fregatt-Schooner haben, und wenn ich jeden Frank von dem Kaufgeld auf Nimmerwiedersehen aus meiner eigenen Tasche bezahlen soll. Der alte Lautrec kann's, und es wird nicht ein gar zu großes Leck in meines Mädchens Brautgedinge geben, wenn ich mir den Spaß mache. Ich habe da dreimalhunderttausend Franken in guten Anweisungen auf den besten Bankier in meinem Portefeuille, und so viel wird der Schooner schwerlich kosten. - Ich hätte nicht geglaubt,« fuhr der alte Pflanzer etwas ärgerlich fort, »daß Sie nach dem gestrigen Abend schon so früh aus den Federn sein werden, sonst hätte ich noch Ihre Befehle diesen Morgen eingeholt; denn ich weiß leider von meinem kleinem Kobold her, daß die Entschlüsse es verdammten Weiberv ... Pardon! - der jungen Damen wollte ich sagen, über Nacht oft ganz andere werden, obschon ich's, ehrlich gestanden, von Ihnen kaum gedacht hätte.«
»Sie irren, Herr Kapitain,« sagte die Dame - »meine Entschlüsse haben sich nicht im Geringsten geändert, und ich kam nur, um Sie zu begrüßen und Sie zu fragen, ob Sie auch Geld genug bei sich führen, sonst -« ihre Hand zog eine kleine gestickte Brieftasche hervor - »bitte ich ...«
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»Nein, nein, Mademoiselle!« wehrte der Kapitain, »ich habe, wie ich Ihnen schon sagte, Geld genug, um das Schiff für unseren Freund zu kaufen, mit Stumpf und Stiel, das heißt vom obersten Stängenknopf bis zum untersten Kielschwein, habe auch nöthigenfalls Kredit in dem Nest! - Aber es freut mich, daß Sie so aufmerksam sind, und ich werde mein Bestes thun - in vier Tagen soll die Josephine segelfertig sein, wenn Geld und Erfahrung dazu helfen können. Da kann ich Ihnen gleich eine Idee noch sagen, die dem alten Lautrec über Nacht gekommen ist! - Ich weiß zwar nicht, ob die Josephine schon auf Passagiere eingerichtet ist, aber wenns nicht der Fall, wird sichs doch leicht und rasch mit allen Bequemlichkeiten machen lassen, und da hätte ja unsere Freundin, Madame Santarez gleich eine gute Gelegenheit zur Ueberfahrt, die zehn Mal besser ist, als die Reise mit einem der verdammten stinkenden modernen Dampfer; denn es geht Nichts über ein tüchtiges Segelschiff, und da wüßten wir, daß sie in den besten Händen wäre.«
Die Dame nickte. - »Es wäre vortrefflich, - aber Herr Kapitain, da wird eben das zweite Signal zum Einsteigen gegeben, - es ist die höchste Zeit. Und wann dürfen wir Sie zurück erwarten?«
»Ich sagte es Ihnen, am Sonntag Abend vor Ihrer Hochzeit! Und nun Adieu Mademoiselle und grüßen Sie Papa und Bräutigam! - Die Haifische sollen mich haben, wenn ich nicht wünsche, es wäre der andere Bruder!« brummte er halblaut zwischen den Zähnen, doch so, daß sie es hören konnte. »Also Gott befohlen - und nehmen
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Sie meinen kleinen Flederwisch etwas in Ihren Schutz, so weit es Ihre Zeit gestattet. Mademoiselle!«
Fort war er - drei Minuten später pfiff die Locomotive.
Die Dame in Schwarz war am Ausgang zum Perron stehn geblieben und schaute sinnend dem Zuge nach!
»Sollte der Zufall oder - was diese Menschen die Hand ihres Gottes nennen, mir diesen Fingerzeig gegeben haben, daß der Plan gelingen kann? Dieser Mann hat nicht den geringsten Zweifel gehegt! - Schwester Edda! Schwester Edda - ich gebe Dir Viel - Alles, meine Seele! - um der Rache für meine arme verrathene Mutter willen an diesem herzlosen Mann! - Wohlan, die Stunde der Vergeltung ist gekommen - wirst auch Du mir einst vergelten - und das Andenken der Unglücklichen, Verworfenen segnen? - Nein, ich bin entschlossen - nur eine reine Hand, die nicht vom Blute trieft, gehört in die seine!«
Sie zerriß das für die Fahrt nach Hâvre bereits gelöste Billet und winkte einer der Regie-Droschken heran zu kommen.

Prinz und Professor!

Es war am Spät-Abend des Tages, dessen wechselnde Scenen wir dem Leser bereits vorgeführt haben. Vor dem Hôtel des alten Fürsten Czartoryski in der Rue St. Louis en île fuhren Equipagen und Droschken an, noch größer war die Zahl der Besucher, welche zu Fuß kamen, um in das Hôtel einzutreten - es war der gewöhnliche Empfangsabend der Fürstin. Was von jener exclusiven Welt, die man in Paris mit dem Ausdruck ›dieGesellschaft‹ nennt, nicht in den Tuilerien war, zeigte sich meist, wenn auch nur für eine kurze Viertelstunde, in den Salons der Fürstin, einer Prinzeß Sapieha.
Die Stellung, welche der Fürst als das anerkannte aristokratische Haupt der polnischen Emigration einnahm, die Verbindung der Familienglieder mit der spanischen Königs-Familie27 und mehreren der vornehmsten Familien
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in Preußen, Oesterreich und Rußland einnahm, seine trotz des hohen Alters noch immer rege Theilnahme für alle hervorragenden Erscheinungen auf dem Gebiete der Künste und Wissenschaften, machten die Empfangsabende der Fürstin mit zu den besuchtesten von Paris.
Unter den Cavalieren und Damen, welche in die Säle eintraten, befanden sich zwei, deren Einem wir bereits begegnet sind, der erste Attaché bei der französischen Gesandtschaft in Madrid, Vicomte Digéon und Monsieur le Chevalier Aubertin, wie ihn der Kammerdiener angemeldet.
»Sie sehen Herr Vicomte,« sagte der Letztere, »es war Zeit, daß wir uns eingefunden, denn wenn Sie später noch bei Ihrer Majestät sich in den Tuilerien zeigen wollen, werden Sie hier genug zu bemerken haben.«
»Aber Oberst de Noël und die Herren du Bois und de la Tour? wir versprachen doch, sie im Café abzuholen.«
»Zeit hat kein Gebot, das wissen wir Journalisten am Besten. Was nützt mir die Einladung zum schönsten Rendezvous, wenn der Drucker des Charivari zur selben Stunde auf einen Artikel wartet. Aber in der That, Vicomte, ich habe mich eigentlich gewundert, daß Sie als Diplomat die Einladung des Obersten hierher annahmen?«
»Kommen doch selbst die Prinzen des Hauses Bonaparte zum Fürsten, wie man sich sagt, sogar mit der stillen Genehmigung oder gar auf den Befehl des Kaisers, der mit allen Parteien manövrirt. Sehen Sie - dort - ist das nicht der Prinz Peter Napoleon ...«
»Peter Bonaparte, wollen Sie sagen,« lachte der
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Journalist, »das ist ja eben der Groll der brutalen Hoheit, daß der Kaiser einen Unterschied gemacht hat zwischen den Familien Napoleon und Bonaparte. Aber der alte Republikaner hat wenigstens Courage und damit die Ehre der Familie gewahrt.«
»Wieso? ich komme wie ein neugeborenes Kind hierher; Doktor, drei Jahre nicht in Paris bringen aus aller Bekanntschaft. Ehrlich gestanden, das ist eben der Grund, außer daß ich meine Tante die Gräfin Montalembert sprechen will, die bekanntlich nicht in die kaiserlichen Cercles geht, weswegen ich zuerst zu Ihnen kam, da Ihr loser Mund und Ihre Kenntnisse aller Personen mich sicher gleich am Besten au fait in der Gesellschaft setzen. Die officiellen Aufwartungen kommen erst nach dem Chronique, also lieber Aubertin, betrachten Sie mich wie einen Halbwilden, der nicht den dritten Theil von allen den Personen hier noch kennt, und thun Sie Ihr Portefeuille auf. Wir sind in Madrid jetzt gar zu sehr zurück, und seit der vertrackten Affaire mit dem verunglückten karlistischen Putsch betrachtet man mich sogar mit einigem Mißtrauen.«
»Wie das?«
»O, Nichts - ich erzähle Ihnen später die Details jener Quadrille, von der Sie ja in den Journalen gelesen haben, nur - will ich Sie warnen, - stößt Ihnen früher oder später einmal hier in Paris ein gewisser spanischer Graf Lerida auf, so hüten Sie sich vor ihm wie vor der Pest, man verbrennt sich stets die Finger an diesem Chamäleon. - Aber was ist's mit der Kourage dieses Prinzen
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Peter Bonaparte - hat er wieder einen seiner tollen Streiche gemacht?«
»Er hat heute Abend einen Brief an den Herzog von Aumale in den Journalen erscheinen lassen, in dem er in Stelle seines degenscheuen Vetters den Handschuh aufnimmt und den Herzog ganz offen zum Duell fordert.«
»Bah - es kommt nicht viel heraus bei diesen in den Zeitungen cartellirten Zweikämpfen. - Sie haben das Beispiel grade an der Forderung des General Bosco.«
»Erinnern Sie sich an Herrn von Girardin und Armand Carrel!«
»Das war nur eine Ausnahme von der Regel - der Vicomte spielte eben va banque!«
»Und ist dafür jetzt eine Autorität und Millionair. Aber wollen wir nicht in den intimen Salon gehn, um uns wenigstens bei Seiner Majestät zu zeigen?«
»Bei Seiner Majestät?«
»Nun - vergessen Sie nicht, daß der alte Fürst sich als König von Polen gerirt, und von der aristokratischen Fraction als solcher fetirt wird. Freilich eine etwas verlebte und abgedankte Majestät. Sie haben keinen Begriff davon, was an diesem kleinen Hofe der Ile Saint Louis hier für Intriguen der Parteien gespielt werden - und dabei wollen Sie den russischen Koloß stürzen!«
»War nicht einmal der Fürst ein Intimus des Kaisers Alexander, ich dächte davon gehört zu haben?«
Der Journalist zuckte leicht die Achseln über die Unwissenheit des hochgeborenen jungen Diplomaten.
»Mit dem Großvater des jetzigen Kaisers, Vicomte.
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Erinnern Sie sich, daß der Fürst Adam 1770 geboren, also jetzt 91 Jahr alt ist - in der That, die Aristokratie hat das Privilegium alt zu werden, wenn sie nicht jung gehenkt oder erschossen wird. Unter Koscziusko in seiner Jugend schlug er sich wacker, und nach der Theilung Polens, auf der Kaiserin Katharina Befehl mit seinem Bruder Constantin, der im vorigen Jahre starb, als Geissel nach Petersburg geschickt, wurde er solch ein Günstling des Thronerben, des nachherigen Kaisers Alexander, daß dieser ihn als Botschafter nach Turin senden ließ und ihn bald nach seiner Thronbesteigung zum russischen Minister des Auswärtigen machte. Er war es, der 1805 das Bündniß Rußlands mit England unterzeichnete. Obschon er sein Portefeuille niederlegte, war er bald wieder - bei Austerlitz! - an der Seite Alexanders, bis er sich nach dem Tilsiter Frieden von der Staatscarrière ganz zurückzog. 1812 war er bei dem Kaiser und kam mit ihm 1814 hierher nach Paris. Auf dem Wiener Congreß soll er die Constitution von Polen entworfen haben. Dafür machte ihn Alexander zum Palatin von Polen und zum Curator der Universität Wilna, wo er sich der jungen Verschworenen tapfer annahm, die Nowosilzow so grausam behandelte. Daher rührt eigentlich die Anhänglichkeit des polnischen Adels an ihn. Später lebte er den Wissenschaften auf seinem Stammgut Pulawy, bis er sich 1830 mit an die Spitze der Revolution stellte und zum Präsidenten der provisorischen und der Nationalregierung gewählt wurde. Nach den blutigen Tagen des 15. und 16. August legte er, der alte Aristokrat, die Präsidentur nieder und trat,
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da die Volkspartei nach der Einnahme Warschaus ihn als Verräther anklagte und auf den Straßen sein Leben bedrohte, als gemeiner Soldat in das Corps des Generals Romarino. Nach der gänzlichen Niederwerfung der Revolution, der er sein halbes Vermögen geopfert, - überhaupt haben die Czartoryski's der Wiederaufrichtung Polens große Opfer gebracht und sich auch durch ihre Wohlthätigkeit verdient gemacht, - lebte er hier in Paris.«
»Ich danke Ihnen für die Lection, die mir um so willkommener ist, als ich - unter uns gesagt - Aussicht habe, nächstens der Gesandtschaft in Petersburg attachirt zu werden. - Wer ist die Dame dort, die von einem Schweif von Herren umgeben ist?«
»Ei, kennen Sie die neue Bonaparte nicht - die sogenannte Prinzessin Solms? Der Kaiser jagte sie vor zwei Jahren aus Paris für ihre Aufdringlichkeiten und ihre Nuditäten.«
»Ah - die Wiese?«
»Den Namen will sie nicht. Nehmen Sie sich in Acht, sie ist jetzt aus der Verbannung nach Turin zurückgekehrt, wo sie, wenn nicht den Galantuomo, doch irgend einen seiner Würdenträger in ihr Netz gelockt - Cavour oder Ricasoli - ich weiß es nicht genau, und ist jetzt sehr in Mode. Sie und die George Sand, die die Schande ihrer eigenen Mutter in ihren Memoiren preis giebt, passen zusammen, wie sie jetzt neben einander stehen, nur daß die Eine noch jung und pikant, die Andere passée ist!«
»Aber wie kommt sie dazu, sich Solms zu nennen?«
»Ja zu was greift man nicht, um sich zur Prinzeß
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zu machen. Wie Sie wissen werden, ist Madame die Tochter des früheren Gesandten in Athen, Wyse, und der Madame Lätitia, der ältesten Tochter von Lucian Bonaparte, dem Prinzen von Canino mit Madame Jauberteau - daher schreibt sie sich Prinzessin Bonaparte, und weil ihr der Kaiser dies verboten, nennt sie sich als die Gattin von Herrn Friedrich Solms, dem Sohn eines ehrlichen aber reichen Fleischers dieses Namens, Prinzessin Solms geborne Bonaparte, bloß weil der Adelskalender Fürsten Solms kennt.«
»Es ist auch eine von den Damen, die der Teufel der Eitelkeit plagt, von sich reden zu machen.«
»Und es sollte mich wundern, wenn sie nicht doch noch eine Rolle in der Politik zu spielen suchte, wenn nicht hier, so in Italien, wo die Gelegenheit für Intriguanten und lüderliche Frauenzimmer fast noch günstiger liegt, als hier. Einstweilen spielt sie den Schöngeist und giebt theateralische Soiréen in ihrem Hôtel in der Mailandstraße, wozu sich alle Welt drängt. Sehen Sie nur die Personen von Ruf, die sich um sie drängen, die Akademiker Viennent und Ponsard, den Schriftsteller Leon Gozlan, Gautier, Jules Lecomte, Villemot - wahrhaftig selbst Thiers bekomplimentirt sie. Der kleine große Historiker will wahrscheinlich die Sand ärgern, weil er für seine Tiraden in der Geschichte der Konsulats und des Kaiserreichs den Kaiserpreis, die 20,000 Francs erhalten und über die ›Lelia‹ der Sand somit den Sieg davongetragen hat. Er hat ihn Guizot zu verdanken! Sage mir einer, daß die abgedankten Minister nicht doch Kollegenschaft halten.
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Das Silber des Kaisers nimmt Herr Thiers sehr gern, wenn er ihm auch die bitterste Opposition und nicht eine, sondern zehn Fäuste in der Tasche macht.« -
»Das ist Alles sehr interessant, liebster Aubertin, aber es informirt mich nicht über die polnischen Intriguen!«
»Warten Sie, bis Sie Gesandter in Petersburg sind, und Sie werden genug davon zu hören bekommen. Vorläufig wollen wir für diesen Fall ausmachen, daß Sie mir Begnadigung erwirken, wenn ich etwa bei der polnischen Revolution erwischt werden und zum Schnellgalgen oder nach Sibirien verurtheilt werden sollte, wogegen ich Ihnen verspreche, Sie im Laufenden über die Parteien zu halten.«
»Sie werden doch kein solcher Thor sein, wenn es wirklich in Polen zur Revolution kommen sollte, dahin zu gehen?«
»Warum nicht - Paris fängt an langweilig zu werden und der Charivari zahlt schlechte Honorare. Oder meinen Sie, daß Noël, Dubois und de la Tour in's Palais Czartoryski kommen, bloß um der lächerlichen alten Majestät oder ihrem anmaßenden Thronfolger ihre Reverenzen zu machen? Parbleu, es ist nur der Unterschied, daß Noël und de la Tour der Adelfraction gehören, während ich in der Legion des Herrn Mieroslawski für die Demokratie fechten werde.«
»Aber wer ist denn der Candidat des Fürsten?«
»Ein bisher ziemlich unbekannter Offizier, der gegenwärtig an der Militair-Akademie zu Cuneo Unterricht giebt, aber bereits eine Mission nach Polen zur Formirung
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und Ausbildung von Cadres mit großem Geschick ausgeführt haben soll. Eben um ihn kennen zu lernen, bin ich heute Abend hierher gekommen, denn wie ich gehört habe, sind beide Nebenbuhler hier.«
»Welche?«
»Nun, Mieroslawski und Marian Langiewicz, so heißt nämlich der Andere. Sie mögen einander grade so wenig leiden, wie ein Paar javanische Kampfhähne und es giebt vielleicht eine Scene. Ach - da ist der Oberst!«
Der alte Bonapartist, der Oberst Graf de Noël, der in der zweiten Phase der polnischen Insurrection eine Rolle spielen sollte, kam mit zwei Herren herbei: »Sie haben uns im Stich gelassen, Monsieur Aubertin,« sagte er scherzend, - »ich hoffe, daß dies kein Omen ist. Erlauben Sie mir, Sie mit dem Herrn Grafen Taczanowski bekannt zu machen, der ausdrücklich zum heutigen Abend mit Guttry und Dzialynski von Berlin hiergekommen ist. - Haben Sie mit Mieroslawski gesprochen und ihn zum Nachgeben gegen die Wünsche des Fürsten gestimmt?«
»Ich habe leider noch keine Gelegenheit gehabt, Herr Graf,« entschuldigte sich der Journalist, - »Seyfried war bei ihm, Sie wissen, er ist der Einzige, der Einfluß auf ihn hat. Darf ich Sie bitten, mich mit Ihrem anderen Begleiter bekannt zu machen!«
[»]Wie - Sie kennen ihn noch nicht? Herr Kapitän Marian Langiewicz - ein Offizier, auf den der König große Hoffnungen setzt.«
Die Herren verbeugten sich und reichten einander die Hände.
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»Sie waren, wie mir erzählt wurde, in diesem Frühjahr in Polen, Herr Kapitain? - Waren Sie vielleicht bei dem unglücklichen Ende des Grafen Oginski! - Ich hatte die Ehre, ihn zu kennen.«
»Leider nicht - ich war damals bereits in Litthauen, um mit dem Grafen Plater und Oberst Traugut zu verhandeln - aber der Letztere ist an dem verhängnisvollen 25. Februar in Warschau gewesen und wie ich gehört habe in der heutigen Versammlung des Central-Comité's. Ich traf den armen Grafen, dessen Tod wir sehr zu bedauern haben, da er ein ebenso thätiges als ehrenhaftes Mitglied der Agitation war, an der posen'schen Gränze bei dem Angriff der Russen auf das Gut des Herrn von Solawski, der dadurch gezwungen wurde, mit seiner Familie nach Paris zu emigriren.«
»Sie werden noch das halbe Polen hierher exiliren,« sagte der Oberst, »und wir werden am Ende nicht eine Revolution, sondern eine Invasion zu machen haben.«
Der preußische Graf lächelte. »Fürchten Sie das nicht Herr Oberst, wir sind von Frankreich und England gewöhnt worden, uns auf unsere eigenen Kräfte zu verlassen und haben dem Himmel sei Dank noch genug Söhne des Landes, die nur auf die günstige Gelegenheit warten, wobei wir freilich auf die Unterstützung unserer tapferen Freunde rechnen wollen.«
»Verlassen Sie sich darauf, sobald Sie losschlagen, Herr Graf, bin ich dort. - Aber wissen die Herrn, daß Ludwig Kossuth hier ist?«
»Wie, Kossuth?« frug erstaunt der Kapitain - »ich
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habe ihn doch mit Garibaldi und Türr in Genua verlassen!«
»Er ist diesen Nachmittag angekommen, während Sie bereits gestern eintrafen - doch - bitte, sehen Sie sich die beiden Bonapartes dort an!«
Die Gesellschaft wandte sich nach der Thür des Salons, durch welche eben der Prinz Louis Napoleon eintrat, während sein Vetter Peter Bonaparte mit einem Mann von einigen fünfzig Jahren in ungarischer Nationaltracht in eifriger Unterhaltung den Salon verlassen wollte.«
Der Prinz blieb stehen und reichte dem Fremden die Hand.
»Willkommen, Monsieur de Kossuth,« sagte er zuvorkommend. »Ich wußte nicht, daß Sie hier sind - nun ich hoffe, Sie werden das Palais Royal bei Ihren Besuchen nicht vergessen.«
»Seine Kaiserliche Hoheit,« sagte der Prinz Peter brüsk, »wünscht einen Theil seiner Ersparnisse in ungarschen Noten anzulegen, nachdem die Oesterreicher von dem Londoner Gerichtshof abgewiesen sind.«
Der Prinz, dessen Geiz bekannt ist, wurde puterroth bei dem Angriff und öffnete den Mund zu einer heftigen Erwiderung, aber das krampfhafte Gähnen, das ihn bei dieser Bewegung überkam, erstickte dieselbe.
Selbst der Exdiktator war von der rücksichtslosen Beleidigung, die natürlich ihn noch mehr traf, als den Prinzen, im ersten Augenblick etwas verdutzt, aber bei der Gewandtheit, die ihm als Redner von Profession zu Gebote stand, hatte er sich bald wieder gefaßt und erwiderte höflich:
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»Bei dem großen Interesse, das Seine Kaiserliche Hoheit stets für die Sache der Freiheit gezeigt haben, werden Höchstdieselben gewiß nicht verfehlen, die bevorstehende Expedition an der Donan zur Befreiung Ungarns und Polens von dem verhaßten Joch mit allen Kräften zu unterstützen. Darf ich vielleicht den Bankier des Comité's auch zu Euer Hoheit mit der Subscription schicken?«
»Nein,« sagte der Prinz, der durch seine derbe Aufmerksamkeit berüchtigt und gefürchtet war, »für eine verlorene Sache, wie die ungarische Revolution, werfe ich kein Geld fort - aber schicken Sie mir immer ein Dutzend Ihrer Noten lieber Diktator, ich besitze ein hübsches Album von allerlei Merkwürdigkeiten. Wie ich Ihnen bereits gesagt, lassen Sie sich rathen, Herr Kossuth, unser geehrter Vetter hält gegenwärtig die beiden M's - Metternich und Mürat - sehr in Gunst, und ich habe eben gehört, was in Bezug auf den Mürat Euer Hoheit wohl interessiren wird: daß Beide heute im Salon der Kaiserin Eugenie sehr flattirt werden. Werden Euer Kaiserliche Hoheit vielleicht auch noch heute Abend die Tuilerieen besuchen?«
»Ich werde darin Ihrem Beispiel folgen, lieber Vetter,« sagte der Prinz bissig, denn es war bekannt, daß dem Prinzen Peter der Hof verboten war.
»Gut getroffen - Vetter,« lachte der Prinz »ich rathe Ihnen, treffen Sie nur Herrn von Aumale ebenso, damit ich meine Stylistik nicht mehr in Unkosten zu setzen brauche. - Adieu Herr Kossuth und wenn Sie im Ernst einen alten Troupier brauchen können, so wenden Sie sich
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dereinst an mich, obschon ich Familienvater bin! Au revoir meine Herrn!«
Er setzte den Weg nach dem ersten Salon fort und der Prinz Napoleon ergriff den Arm des Agitators, um ihn in ein Fenster zu ziehen.
Der berühmte politische Leiter des ungarischen Aufstandes war trotz seiner neu aufgetauchten Agitation in Oberitalien im Verein mit Mazzini und Garibaldi damals doch bereits sehr auf der niedersteigenden Linie seines Ansehens. Der Triumphzug durch Amerika zur Einsammlung des republikanischen Weihrauchs hatte an dem praktischen Sinn der Amerikaner und bei den eigenen dort entstandenen Conflicten ziemlich kläglich geendet, und auch in England, wohin er zurückgekehrt, wurde er ziemlich vergessen, da Lord Palmerston, der ihn so viel gegen Oesterreich benutzt hatte, ihn jetzt zur Seite schob. - Erst der Versuch, die berüchtigten Kossuthnoten unter der Hand wieder in Cours zu setzen und der scandaleuse Prozeß, der wegen Fabrikation und Ausgabe derselben von der österreichischen Regierung in England geführt und eben mit der auf die bekannte Wortklauberei der englischen Gesetze basirten, jeder völkerrechtlichen Billigkeit Hohn sprechenden Abweisung der Klage entschieden worden war - hatte wieder von ihm reden machen. Der Egoismus seines ganzen Treibens, das nur den eigenen Vortheil im Sinne hielt, hatte ihm die große Mehrheit seiner Landsleute der Art entfremdet, daß - namentlich seit Klapka, der bedeutendste Führer der ungarischen Emigration und ein entschiedenes militärisches Talent, sich öffentlich von ihm
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losgesagt hatte, - er trotz der großen Aufregung, die damals grade wieder gegen Oesterreich herrschte, nur wenig Anklang für seine neuen Pläne fand.
Der Diplomat und der Journalist kamen eben noch in ihrem Vorwärtsgehen nach dem durch seine Malereien von Lebrün berühmten Hauptsalon zurecht, um zu sehen, wie der Prinz sich von der greisen Fürstin mit einem Handkuß verabschiedete und von den beiden Söhnen und den Neffen des Fürsten zum Ausgang zurückbegleitet wurde. Die Familie des alten Fürsten war zahlreich in ihren männlichen und weiblichen Vertretern versammelt, die zum Theil mit dem fürstlich Radziwill'schen Hause verbunden und verschwägert sind. Ein zahlreicher Damenkreis umgab die alte Fürstin Anna aus dem berühmten Jagellonen-Geschlecht der Sapieha's. Doch bestand der Kreis eben aus zu vornehmen Damen und es herrschte, entgegen dem Cercle der Kaiserin von Frankreich, ein zu ceremoniöser hocharistokratischer Ton hier - das Parfüm des Faubourg Saint Germain! - als daß es dem Kapitain Langiewicz sofort gelungen wäre, zu Fräulein Pustowojtow durchzudringen, die mit Frau von Wolawska in dem Kreise stand, bis Prinz Ladislas ihn bemerkte und ihn zu seinem Vater führte.
Der alte Fürst, der trotz seiner hohen Jahre noch mit einer gewissen Würde repräsentirte, empfing ihn mit größter Höflichkeit und reichte ihm die Hand zum Kusse.
»Wir haben so viel Gutes und Tüchtiges von Ihnen gehört, Herr Kapitain,« sagte er, »daß wir Ihnen das größte Vertrauen schenken und Sie bitten, in der
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Berathung unserer Freunde meinem Sohn zur Seite zu stehen, da Graf Oginski, dem wir früher dieses Vertrauen widmeten, ein Opfer seiner Hingebung für das Vaterland geworden ist. Wenn ich mich recht erinnere, war es nicht eine polnische Dame, die Sie aus großer Gefahr rettete?«
»Das Fräulein,« sagte der Kapitain - »hat die Ehre, sich in diesem Augenblick in der Nähe Eurer Majestät zu befinden.«
»Ja ja - und Sie haben Ihre Gemahlin der Königin vorgestellt?« frug der alte, schon halb kindesschwache Mann.
Der Prinz Ladislas beugte sich zu seinem Ohr und flüsterte ihm einige Worte zu: »Ja ja Kind - Du hast Recht - er wird sie heirathen, wenn Polen befreit ist! Nun Kapitain, nehmen Sie meine Bewilligung! - Ja ja - der Vater ein russischer General - nun Herr - ich Ihr König - war auch ein russischer General. Haben Sie den Kaiser Alexander gekannt? - Ich liebte ihn sehr!«
Die Scene, die anfing peinlich zu werden, wurde durch eine allgemeine Bewegung in dem Kreise unterbrochen - einer der polnischen Herrn, die am Eingang des andern Salons standen, kam hastig herbei und sagte dem Prinzen einige Worte - zugleich bildete sich eine breite Oeffnung in der Versammlung von der thronartig erhöhten Estrade des alten fürstlichen Paares bis zu dem Eingang des Saales.
»Fühlen Euer Majestät sich stark genug,« frug der Prinz mit lauter Stimme, »um einen alten hochverdienten
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Freund der Sache Polens zu empfangen, den Professor Joachim Lelewel?«
»Lelewel - ich erinnere mich - gewiß! Ist er nicht ein Demokrat?«
»Er ist ein Pole, wie wir Alle, Majestät,« sagte der Prinz mit starker Stimme, »und Polen und die ganze Welt können stolz auf einen Mann sein von solchem Verdienst!«
»Richtig, richtig - ich erinnere mich - ja - ich habe Viel gelesen - die Dzìeje polski, und ...«
Der alte Fürst sank wieder zurück in seinen Sessel, von dem er sich mühsam und zitternd etwas erhoben hatte.
Durch die breite Gasse der vornehmen Gesellschaft, zwischen den Atlasroben und Spitzen, den Sternen und Ordensbändern kam ein alter Mann, ein sehr alter Mann mit weißem Haar, im schlichten, schwarzen, polnischen Rock langsam herbei, geführt von zwei anderen Männern, einem jüngeren und einem alten, der fast so alt war wie er selbst. Beide trugen Uniform, der Aeltere die ungarische Generalsuniform aus der Zeit der großen Revolution, den Attila und Kalpak, - der Jüngere eine Art mit Goldstickereien und schweren Epaulettes überladene Phantasie-Uniform. Er war ein schlanker Mann von Mittelgröße, von regelmäss[ß]igen Zügen, die von einem Vollbart umschlossen waren, aber trotz der reichen Uniform die der Mann trug, wenig Militärisches, nicht jenen scharfen, entschlossenen Ausdruck zeigten, der berühmten Kriegern etwas Imponirendes giebt, gleichsam den Geburtsstempel des Befehlens. Sie hatten vielmehr etwas Abgelebtes, Zerfahrenes, und auch das dunkle,
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obwohl feurige und kluge Auge hatte einen unstäten, flüchtig umherschweifenden Blick. Er mochte etwa sieben- oder achtundvierzig Jahre zählen, während der Andere offenbar das siebenzigste Jahr erreicht haben mußte, obschon er sich noch in guter militärischer Haltung bewegte.
»Professor Lelewel Euer Majestät,« wiederholte der Prinz nochmals, als die Drei vor dem Fürsten standen, - »der Herr General Dembinski und Herr General Ludwig von Mieroslawski
»Sehr willkommen - sehr willkommen,« sagte der Fürst, nochmals den Versuch machend, sich zu erheben. »Verzeihen die Herrn, ich bin ein sehr alter Mann und das Stehen wird mir schwer.«
»Auch ich bin alt, Durchlaucht«28 sagte der gelehrte Greis, »und weil ich fühle, daß es mit mir zu Ende geht, bin ich gekommen, um Ihnen noch ein Mal diesseits des Grabes, dem wir Alle verfallen sind, Fürst wie Bauer, die Hand zu reichen! Ich denke, Durchlaucht, wir sind Beide gute Polen gewesen, und haben unser Vaterland geliebt, wenn wir auch über die Rechte seiner Söhne nicht ganz einig gewesen sind. Ich denke, wenn man wie wir, bereits mit einem Fuß im Grabe steht, dann haben wir
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nur einen Wunsch, der ist, daß unser Leib in freier polnischer Erde ruhen möge!«
»Das wolle Gott geben, mein würdiger Freund und alter Kamerad in dem großen Kampf,« sagte der greise Fürst, indem er sich plötzlich körperlich emporraffte und mit ungeahnter Kraft seinem demokratischen Gegner in der Nationalregierung von 1830 gegenüberstand. »Wenn der Name Adam Czartoryski längst vergessen ist, dann wird in der Geschichte des polnischen Volkes, in der Geschichte der Welt und der Wissenschaft der Name Joachim Lelewel immer noch als ein leuchtender Stern strahlen und die polnische Jugend zur Thatkraft spornen.«
Sie standen einander gegenüber die beiden Greise, der hohe selbstsüchtige, ehrgeizige Aristokrat und der in seiner unermüdlichen Thätigkeit doch stets nur mit dem allgemeinen Wohl seiner Nation beschäftigte Mann der strengen Wissenschaft; - wenige Monate, noch ehe drei Mal der Mond gewechselt, - und das Grab sollte Beide decken.
Lelewel, der große Historiker, dessen Verdienste alle gebildeten Nationen der Erde würdigen, starb schon am 27. Mai in Paris, - der ›König von Polen‹ sechs Wochen später, am 15. Juli.
»Durchlaucht,« sagte der Gelehrte, »ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung und scheide von Ihnen mit dem Wunsche, daß in der neuen Bewegung, die sich für unser Vaterland vorbereitet, alle Parteien das Einzige festhalten, was Polen frei und stark machen kann: Selbstlosigkeit und
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Einigkeit! Und darauf Durchlaucht rufe ich, der Mann aus dem Volke, hier in Ihrem goldenen Saal:
Sgyl Polska!«
Eine stürmische Wiederholung des Rufes folgte nach der tiefen Bewegung, welche bei dieser Begegnung die ganze Gesellschaft ergriffen hatte.
Unter dem Ruf: »Es lebe Polen! Es lebe die Nation!« während die Damen dem alten Volksmann mit den Tüchern winkten und die Männer sich um ihn drängten, seine Hand zu berühren, verließ der Professor den Saal des Fürsten.
Eine allgemeine Bewegung zeigte sich nach der Entfernung des gelehrten Greises, und in dieser Neubildung der Gruppen gelang es dem Kapitain Langiewicz, sich seiner Geliebten zu nähern.
»Verzeihen Sie Henriette,« sagte er herzlich, »daß ich noch nicht zu Ihnen gekommen, aber ich habe erst heute hier im Palais erfahren, daß Herr von Solawski in Paris ist und Ihre Wohnung in seiner Familie. Die angestrengtesten Arbeiten, die jede Minute seit meiner Rückkehr aus Litthauen in Anspruch nahmen, und die Sorge um den Zustand meines Vetters, der vor Gaëta schwer verwundet wurde, nehmen meine ganze Zeit in Anspruch.«
Sie drückte dem Geliebten zärtlich die Hand. »Sie wissen Marion, daß ich nicht so selbstsüchtig bin, um Sie für mich zu fordern, während das Vaterland Ihre ganze Kraft und alle Ihre Gedanken beansprucht. Fragen Sie nicht nach mir, sorgen Sie nicht um mich, und nur wenn Sie mich brauchen, in der Gefahr an Ihrer Seite zu
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stehen, die Sorgen und Täuschungen, die nicht ausbleiben werden, Ihnen tragen zu helfen, die Falten von Ihrer Stirn zu glätten, dann rufen Sie mich. Das ist das Recht der Liebe und mir dies zu gewähren, versprechen Sie mir auf Ihr Manneswort.«
»Mein Wort darauf Henriette, und nun leben Sie wohl und entschuldigen Sie meine nur flüchtige Begrüßung bei Frau von Solawska, - aber es stehen uns noch heute sehr ernste Debatten bevor, bei denen ich alle Ruhe und Ueberlegung brauche. Es findet in diesem Augenblick bereits eine Sitzung des polnischen Centralcomité's in einem andern Theil dieses Hôtels statt und ich fürchte, daß es dabei zu harten Kämpfen kommen wird, denn die Parteien sind noch keineswegs einig und es sind Elemente genug zugegen, bei denen vernünftiger Rath auf harten Widerstand stoßen wird.«
Sie hielt ihn noch einmal zurück. »Sagen Sie mir Marion, ehe Sie gehen, ist etwa der unheimliche Mensch auch hier, den wir in der Hütte des Waldhüters trafen, der Mann mit der Brille? Wenn einmal ein Opfer fallen mußte, hätte ich lieber gewünscht, dieser wäre es gewesen, als der schöne und wackere junge Edelmann, der sich in der Gefahr für Ihre Person ausgab. Ich habe ein geheimes Grauen vor diesem Menschen und fürchte Unheil von ihm für Sie und uns Alle. - Ich bin nicht die Einzige, die so denkt - Wanda von Marowska, die Aermste, - eine Freundin aus früherer Zeit, die jetzt in dem großen Krankenhaus eine Stelle bekleidet und eine hochherzige Patriotin ist, scheint dasselbe Gefühl zu haben,
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- ich habe noch vor wenigen Tagen Briefe von ihr erhalten, in denen sie mir die Vorgänge des 8. schildert und auch den Tod des Grafen erzählt, der wie mir scheint ihrem Herzen nahe gestanden hat.«
»Ohne Besorgniß Henriette, - jener Mann ist nicht in Paris und kann uns nicht schaden, wo er ist. Aber ein wichtigerer und gefährlicherer Kopf, als der seine ist hier - und an diesem Charakter dürften leicht alle Pläne und Wünsche des Prinzen scheitern, den ich dort auf uns zukommen sehe!«
Der alte Fürst hatte sich nach dem Scheiden des Professors zu seinem Liebling, dem zweiten Sohne gewendet. »Mieroslawski? - sagtest Du nicht, Ladislaw, daß der Farceur Mieroslawski mit dem Professor hier war, der Mensch, der Alles verdirbt und dem Adel Feind ist? - Warum hast Du ihn nicht fortgeschickt?«
»Wir haben Freunde genug, Majestät, um seinen Machinationen zu begegnen! - Aber wollen Sie sich nicht zurückziehen, mein Vater, ein längeres Verweilen könnte Ihrer kostbaren Gesundheit schaden, Dzialynski und ich haben ja Ihre Befehle für die Leitung der Verhandlungen erhalten. Es ist Zeit, daß wir uns zu der Versammlung begeben.«
»Ja, ja,« sagte der Fürst, »ich fühle, daß ich der Ruhe bedarf! - Der Lelewel hat recht gesagt - unsere Zeit ist gekommen. - Aber ich halte an unserm Wahrspruch, Ladislaw: Badz co Badz! Der Adel darf seine Rechte nicht aufgeben - ihm gebührt die Herrschaft, nicht dem Pöbel. Das ist alles Unglück der Welt und stürzt
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die Könige, daß sie sich - zu - gemein machen mit dem Volk! Sprich mit Jan - er ist ein ächter Edelmann!«
Der Sohn hatte seiner Mutter einen Wink gegeben und diese sich erhoben um sich zurückzuziehen, indem sie den Sessel begleitete, in dem zwei Lakaien den Fürsten forttrugen.
Der Prinz, der bald zurückkehrte, kam auf den Kapitain zu und nahm ihn unter den Arm. »Verzeihen Sie mein gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen diesen Herrn entführen muß - aber sein Sie versichert, daß er seine schöne Retterin vor den Kosaken nicht vermissen soll! - Haben Sie den giftigen Blick bemerkt, Kapitain, den dieser General von Volkes Gnaden, auf Sie schoß, als er Sie so nahe bei Seiner Majestät fand? - Was sagen Sie zu dem alter Fasler Lelewel? Wenn es nach ihm ging, sollte die Revolution von lauter Philantropen gemacht werden. Kommen Sie, es wird einen harten Kampf geben, aber wir haben die Majorität im Comité, dafür ist gesorgt. Nur versprechen Sie mir, daß Sie allen persönlichen Streit mit Mieroslawski vermeiden, da er schon in Cuneo sich an Ihnen zu reiben versucht hat.«
»So weit es meine Ehre gestattet, gewiß Hoheit.«
»Die gehört dem Vaterlande - Ihr Leben gehört Polen, nicht der Kugel eines ehrgeizigen Faiseurs!«


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Selbst ein oberflächlicher Beobachter hätte leicht bemerkt, daß alle diese eleganten Herren und Damen, diese Coryphäen und Notabilitäten in Politik, Kunst, Wissen, Börse und Literatur doch nur ein Theil der zahlreichen Besucher waren, die man dem Hôtel an diesem Abend hatte zuströmen sehen.
Aber wo waren sie, diese Männer in oft sehr fadenscheinigen Röcken und Mänteln, die sich wahrhaftig nicht für den Salon von Fürsten und Marquisen eigneten, diese Männer mit den markirten, scharfen, kühnen, oft von Noth und Sorgen, ja vom Hunger abgehagerten Gesichtern, Männer in den verschiedensten Altern, oft in der Blouse des Arbeiters oder Handwerkers - andere, denen der Soldat unverkennbar auf der Stirn geschrieben stand, auch wenn die tiefe Narbe, der fehlende Arm das alte Kriegshandwerk nicht bekundet hätten. Und wieder andere, deren Kleidung zwar armselig war und die Dürftigkeit zeigte in jenem großen Kampfe um's Dasein, und die man doch nur mit einem Blick anzuschauen brauchte, um zu wissen, daß sie den vornehmsten Ständen, den feinsten Formen des Umgangs angehört hatten und jetzt um die nothwendigsten Bedürfnisse des Lebens kämpfen mußten.
Und doch auf allen diesen Gesichtern ein Ausdruck fester Entschlossenheit, oft fanatischen Willens, wilden Hasses! ungebrochenen Stolzes bei all' der jämmerlichen Noth und Sorge.
Diese Männer betraten freilich nur den äußeren Hof des Palais. Ein alter, reich galonirter Diener, der sie mit scharfem Blick musterte und die meisten zu kennen
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schien, machte nur eine einfache Bewegung mit dem Daumen der linken Hand, und sie schienen diesen Wink zu kennen; denn sie wandten sich nach einigen Schritten gegen das im hellen Gasflambeaux strahlende Portal des Palais links ab, wo es dunkler war und verschwanden in dem Schatten einer Mauer, die hier das Palais mit dem von der Familie Czartoryski gestifteten polnischen Mädchen-Pensionat verbindet.
Hier an einer kleinen Thür stand ein Mann in einfacher Kleidung, dem jeder der Ankommenden leise seinen Namen nannte, indem er die Worte der französischen Legende der Fürsten-Familie hinzufügte: Le jour viendra! - worauf ihm die Thür geöffnet wurde, und er in einen matt erleuchteten Gang trat, der zu einem Hintergebäude führte.
Diese Männer, die hier eintraten gehörten der großen polnischen Emigration von 1830 und 46 bis in die neueste Zeit an, und zwar demjenigen beträchtlichen Theil derselben, welche sich durch Eid und Unterschrift dem Central-Comité untergeordnet hatte.
Wenn irgend ein Platz in Paris durch die Erinnerungen seiner Umgebungen zu einer Stätte und Schule der Revolution sich eignen kann, so ist es sicher die Insel des heiligen Louis, auf welcher das Hôtel Czartoryski liegt, die durch die Pont St. Louis mit der Cité und durch mehre andere Brücken mit den Quais des nördlichen und südlichen Seine-Ufers verbunden wird, von dem Justiz-Palast bis zur Brücke d'Arcole, die nicht etwa von der Heldenthat des ersten Napoleons, sondern nach dem jungen
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Mann den Namen hat, welcher in den Juli-Tagen von 1830 das Volk gegen die königlichen Garden führend, auf der Mitte der Brücke unter ihren Kugeln fiel. Ist doch das nahe Hôtel de Ville seit den 300 Jahren seiner Existenz29 stets die Zufluchtstätte aller pariser Revolutionen gewesen; 1652 erstürmten es die Anhänger Condé's und ermordeten die Schöffen; hier war das oft blutige Hauptquartier der Generale in den Kriegen der Fronde; hier ward 1759 nach der Erstürmung der Bastille Bailly von den pariser Wählern zum Maire ernannt, - zeigte sich Ludwig XVI. vom Balkon dem tobenden Volke mit der Jakobinermütze und der dreifarbigen Kokarde, die doch sein verfallenes Haupt nicht retten konnte; - in dem Thronsaal hielt während der ersten Schreckenszeit die berüchtigte Commune, vor der sich selbst der Convent beugte, bis zum 9. Thermidor ihre Sitzungen, welcher mit dem Sturz Robespierres, der im Nebenzimmer des großen Saales den Selbstmordversuch machte, auch ihre Macht brach; von einem Fenster des Thronsaales aus proklamirte am 28. Juli 1830 Lafayette Louis Philipp als die ›beste Republik‹; vor einem der Thore sprach Lamartine am 26. Februar 1848 gegen die rothe Fahne, die im Juni desselben Jahres wiederholt gegen das Stadthaus anstürmte. Und als ob dämonische Erinnerungen nach dem Wort des Dichters stets neue Dämonen gebären müßten, - wer erinnert sich nicht der furchtbaren Tragödie, welche die neue Commune in diesen Mauern aufführte!
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Der große Saal, in welchem das Central-Comité der Emigration an diesem Abend seine wichtige Berathung halten sollte, war gedrängt voll, denn wenn auch die wichtigeren Gegenstände dieser Berathung den 43 Mitgliedern allein überlassen blieben, hatte zu diesen öffentlichen Sitzungen doch jedes Glied der Emigration, das sich dem Comité unterworfen hatte, Zutritt und seine Stimme bei den allgemeinen Beschlüssen. Diese mußten immerhin nicht ohne Bedeutung sein, denn es war das Auftreten mehrer der renommirtesten Führer angezeigt.
Unter diesen Männern, - den Soldaten der Revolution - herrschte indessen ziemlich wenig Einigkeit, jener Erbfehler der polnischen Nation, der allen ihren blutigen Opfern immer wieder den Erfolg entzogen hat und wohl die Hauptursache ist, daß ein selbstständiges Polen zu existiren aufgehört hat, und die Nation sich nach dem Fall ihres letzten Königthums nie wieder ihren alten Glanz hat erringen können.
Wir haben bereits in früheren Kapiteln gesehen, wie auch unter dem Revolutionscomité in Warschau, der bereits etablirten, sogenannten National-Regierung schon vor ihrem öffentlichen Auftreten wieder Hader und Zwiespalt zwischen der aristokratischen und demokratischen Partei ausgebrochen war, die nur mühsam von der Leitung in Paris unterdrückt wurden. Es hatten sich Gruppen gebildet, in denen die brennenden Fragen lebhaft debattirt und namentlich die Nachrichten über die letzten Vorgänge in Warschau besprochen wurden. Der und Jener hatte Privatnachrichten erhalten und bei dem großen Interesse, das die Emigration
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an Allem nahm, was von daher kam, wurde jede Mittheilung verschlungen.
Es waren in der That seit den letzten Scenen, den letzten Tagen des Februars,30 die unsere Darstellung beschrieben, verschiedene wichtige Ereignisse in Warschau eingetreten, welche die Spannung zwischen der Volksbewegung und der Regierung noch vermehrt hatten.
Das vom 3. März datirte Manifest des Kaisers Alexanders, welches die Leibeigenschaft im ganzen russischen Reiche aufhob, hatte am 17. von allen Kanzeln des Reichs, also auch von den polnischen verlesen werden müssen. Am 26. folgte die Veröffentlichung eines kaiserlichen Ukas, welcher den Polen Wiederherstellung des Staatsraths für das Königreich Polen, Errichtung von wählbaren Gubernial-, Kreis- und Municipalräthen und einige andere Veränderungen zusicherte. Der verhaßte Direktor des Innern, Staatsrath Muchanoff, dessen Entfernung die polnischen Deputationen verlangt hatten, war am 23. März entlassen worden und hatte sich nur unter großer Gefahr aus Warschau flüchten können, da seine Abreise auf den, von den Mitgliedern der Verschwörung ganz influirten Eisenbahnen voraustelegraphirt wurde. Der Marquis Wielopolski trat an seine Stelle.
Aber alle diese Bewilligungen wurden von der Revolutionspartei nur als Zeichen der Schwäche angesehen und die Forderungen des städtischen Ausschusses und der Comité's steigerten sich in Anmaaßungen und Demonstrationen
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gegen den Statthalter von Tage zu Tage, bis ein kaiserlicher Befehl von Petersburg am 6. April eintraf, welcher den polnischen landwirtschaftlichen Verein, als den Hauptsitz der revolutionairen Bewegung aufhob. Schon am 2. April waren auch die Versammlungen in der kaufmännischen Ressource geschlossen worden. Dies hatte große Aufregung in Warschau verursacht. Vom 3. bis 7. April hatte der Statthalter Fürst Gortschakoff die fortwährenden Volksdemonstrationen ungehindert betreiben lassen und dies den Glauben an die Hilflosigkeit und Schwäche der Regierung nur vermehrt. Als aber am 8. eine von den geheimen Führern geleitete Volksmasse an dem Credit-Institut, wo der polnische landwirthschaftliche Verein seine Sitzungen hielt, den polnischen Adler angebracht und den russischen verhüllt hatte und nun vor den Palast des Statthalters demonstrirend zog und auf die wiederholte Aufforderung, sich zu zerstreuen nur mit tumultuarischem Hohngeschrei und Steinwürfen antwortete, gaben die russischen Truppen Feuer, wodurch zehn Personen getödtet wurden.
Jetzt wiederholten sich alle die Scenen vom Februar; die Leichen wurden durch die Straßen geschleppt, ganz Warschau legte Trauer an, und verlangte die feierliche Bestattung der ›Opfer der Tyrannei‹! Ein Klagegeschrei mit den gehörigen Ausschmückungen ging durch die ganze liberale Presse Europas, und Deputationen forderten in Wien, Paris und London Beistand und Schutz für die Revolution.
Leider hatte sich der Statthalter auch diesmal
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einschüchtern lassen und zur großen Erbitterung der Generale, die sich vollkommen stark erklärten, die Emeute mit Gewalt zu unterdrücken, allen den Forderungen der Deputationen sich nachgiebig gezeigt. Schon war die Civilgewalt Null geworden und die Revolution hatte sich deren bemächtigt. Krank und gebrochen, unfähig den Anforderungen einer so ernsten Zeit zu genügen, bat der Fürst um die Enthebung von seinem Posten. Das waren die Nachrichten, die mit hundert aufregenden Details und Ausschmückungen in Paris circulirten und mit einem gewissen Jubel von den Leitern der Bewegung aufgenommen und nun zu weiteren Agitationen benutzt wurden.
Wir haben nun den Leser aus der allgemeinen Versammlung der Emigration in die Berathung des Central-Comité selbst einzuführen, dem nicht bloß die erwählten 43 Mitglieder, sondern auch verschiedene andere der Agitation angehörige und für die zu fassenden Beschlüsse wichtige Personen beiwohnten.

Bei der Kaiserin!

Paris ist Frankreich, und zur Zeit unserer Darstellung durfte man mit Recht sagen, daß die Tuilerien Paris waren!
Jedes Land, jede Stadt, jedes Haus haben ihre Geschichte, aus denen sich die ganze große der Welt aufbaut wie Quellen einen Bach, die Bäche einen Fluß, die Flüsse einen Strom bilden, der dem Meer seinen Tribut zollt.
Auch die Tuilerien haben ihre Geschichte, die schließlich ein guter Theil der Geschichte Frankreichs ist.
Zur Zeit Karl II. (1387-1422[.]) befanden sich hier noch außerhalb der Ringmauern von Paris, die großen Ziegeleien, die dem späteren Palast den Namen gegeben haben. Der Bau desselben wurde 1564 mit dem großen Mittelpavillon (dem späteren Pavillon de l'Horloge) begonnen, Heinrich IV. vergrößerte den Bau mit den beiden Pavillons an den Enden der Front nach dem späteren Park zu, dem Pavillon der Flora (nach der Seine-Seite) und den Pavillon Marsan (nach der jetzigen Rue Rivoli zu); er war es auch, der die erste Verbindung mit dem innerhalb der alten Stadtmauern belegenen Louvre
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herstellte, eine politische Tactik, um, wie er sagte, nach Belieben, innerhalb und außerhalb der Mauern von Paris residiren zu können, dessen liebe Bürgerschaft von jeher einen großen Hang gehabt hat, ihre Könige unter dem Daumen zu halten, wenn sie es nicht vorzog, ihnen einen kleinen Dolchstich zu versetzen oder den Kopf abzuschneiden.
Ludwig XIII., sein Sohn, vollendete die Verbindung; Ludwig XIV., der bei allen seinen großen Fehlern doch Großartiges für Kunst und Wissen schuf, ließ durch die Architekten Levau und d'Orbay die sehr zerfahrenen Stylarten des Baues zu einem architektonischen Ganzen vereinigen. Wiederholt haben die Tuilerien zum anerkannten Residenzpalast gedient. Hier wurden an dem blutigen 10. August 1792 die treuen Leibwachen des Königthums, die Schweizergarden vom eingedrungenen Volk niedergemetzelt; der erste Consul wählte die Tuilerien zur Residenz, später zum kaiserlichen Palast, indem nach der Restauration, gleichsam um sein Andenken zu beschimpfen, die Bourbons wieder ihr Hoflager nahmen. Die Revolution von 1830 räumte das Königsschloß zwar wieder von den Bourbons, aber nur um Achtundvierzig die Orleans daraus zu vertreiben. Die provisorische Regierung bestimmte das Gebäude zu einem Invalidenhaus für Arbeiter; während des blutigen Juni-Aufstandes diente es als Hospital für die Verwundeten. Der Kaiser Louis Napoleon erhob es wieder zu seiner Residenz.
Gegenwärtig ... Throne werden zertrümmert, werden es nicht auch die Paläste, in denen sie stehen ...?!
Erst als die schöne Spanierin in das Kaiserschloß
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einzog, wurde es einer neuen gründlichen Ausstattung unterzogen, deren Pracht und Eleganz allerdings das Möglichste leistete.
Die Kaiserin Eugenie machte bekanntlich gern selbst Politik, und so geschah es, daß die Abende ihrer Cercles mit Bewilligung des Kaisers nicht bloß dem Vergnügen dienten, sondern fast noch mehr der Politik - ja der Kaiser selbst bestimmte oft die Einladungen. Außerdem proklamirten und octroyirten diese Gesellschaften, in denen man je nach Belieben tanzte, sich unterhielt, musicirte, Tableaux stellte und zwanzig andere Unterhaltungen trieb, der Welt ein noch gewaltigeres Herrscherthum, als das der Bonaparte - die Mode!
Wer Paris besuchte, hat damals, als sie noch standen in ihrem vollen Glanz, nicht die Tuilerieen besucht und den Glanz ihrer Einrichtungen bewundert? aber nur Wenigen gelang es, in die Apartements der schönen Kaiserin Zutritt zu erhalten, die sich im Erdgeschoß des südlichen Flügels, dem Pavillon de Flore, befanden, in den Räumen, die einst die unglückliche Marie Antoinette bewohnt hatte.
Nur die großen Bälle und Hoffeste fanden in den Staatsgemächern des ersten Stockwerks statt, in dem Theatersaal, dem Salon de la Chapelle, dem Salle de la paix, dem Salle des Marechaux, dem Salon d'Apollo, dem prächtigen Thronsaal, dem Salon Louis XIV. und der Dianen-Gallerie. Hinter dieser reihten sich die Privat-Gemacher des Kaisers an.
Die Donnerstag-Gesellschaften fanden in den Salons
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der Kaiserin statt - die Pracht der Ausstattung dieser Räume war in der That feenhaft und wechselte bei der großen Liebe der Kaiserin für Luxus und Mode nicht selten.
Wir haben den Leser an diesem Abend in diese Apartements der Kaiserin der Franzosen und der Toiletten zu führen.
Die Herrschaft der Crinoline begann eben ihrem Niedergange, das heißt der Verkleinerung jener riesigen Ballons von Band und Stahlreifen, sich zuzuneigen, und bereits hatte die geheimnißvolle Maschinerie des Zusammenklappens jener Ballons ihren Weg begonnen, ja einzelne Tonangeberinnen und emancipirte Geister, wie die kecke Fürstin Metternich hatten bereits gewagt, die Mongolfiere ganz fortzulassen und zum einfachen Fall der Robe oder zur Schleppe zurückzukehren. Man tastete noch - der kühne Gedanke, den Umfang der ganzen Robe auf einen luftigen Hinterbau zu concentriren, war noch nicht ausgesprochen, und die Toiletten waren etwas romantisch.
Der ›kleine Cercle‹, das heißt der intimere Kreis, wurde in dem letzten, dem sogenannten grünen Salon der Kaiserin gehalten, an den sich dann ihr Boudoir, das Schlaf- und die beiden Garderobezimmer anschlossen. Im Entrée zu den Apartements befanden sich zunächst zwei Huissiers, an der Thür zum ersten Salon zwei Kammerdiener und in diesem einer der Kammerherrn der Kaiserin. Die Vorfahrt erfolgte an der Thür im Tuilerienhof.
Als die Equipage der Gräfin Moltke in der ziemlich langen Reihe der Wagen vorfuhr und die beiden Damen
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ausgestiegen waren, trafen sie mit der Groß-Hofmeisterin der Kaiserin, der Prinzeß d'Eßlingen, der Schwiegertochter des alten Marschalls Masséna, zusammen, die eben eingetreten war, einer großen stattlichen, ernsten Dame von majestätischer Haltung, der die Gräfin ihr Kompliment machte. »Guten Abend meine Beste,« sagte die Dame, »wen bringen Sie uns denn da, um den Flor unserer jungen Damen zu vermehren?«
Die Gesandtin stellte Edda vor.
»Ah, ich habe davon gehört - eine junge Schwedin - nein Dänin, und Sie sind Braut und wollen Ihr Trousseau in Paris wählen? Da rathe ich Ihnen das Brautkleid von Mademoiselle Vignon zu nehmen.«
»Und den Schmuck von Moiana - er hat gegenwärtig den besten Geschmack.«
»Entschuldigen Sie, liebe Feray,« sagte eine junge frische Stimme, »er hat wohl ganz hübsche Brillanten, aber er kommt Fossin und Lemonier bei Weitem nicht gleich in den Rubinen.«
»Was Sie nicht wissen, beste Baronin,« sagte die vorige Sprecherin, Madame Feray, die Gemahlin des Generals, die Tochter des Marschall Bugeaud, des Siegers vom Isly, eine liebe gute Dame, obschon nicht sonderlich im Aeußern begabt, weshalb sie oft das Stichblatt der anderen Palastdamen war.
»Ich berufe mich auf das Urtheil von Madame Marnegia, die Autorität ist in Allem, was Colliers betrifft,« beharrte die Baronin Pierres, die allerliebste Tochter des amerikanischen Generals Thore, der in dem ehemaligen
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Hôtel der Madame Adelaide d'Orleans so hübsche Soiréen gab. »Monsieur le baron de Pierres behauptet zwar, es ginge jetzt Nichts über die Toiletten der kleinen Saint Valérie, aber ich traue diesen Herrn vom Jockei-Klub nicht ganz.«
»Ich habe in der That auf den Wunsch meines Bräutigams meinen corbeille bei Madame Valérie bestellt,« berichtete die bereits von Damen umdrängte junge Dänin.
»In welcher Kirche werden Sie getraut? Notre-Dame?«
»Verzeihen Sie, Frau Herzogin - ich bin Protestantin.«
»Ah - Schade - ich hätte mir sonst sicher das Vergnügen gemacht!«
»Aber meine Damen - Sie vergessen, daß wir Ihrer Majestät noch nicht unsere Cour gemacht?«
»Wird heute getanzt werden, Frau Prinzessin?«
»Da müssen Sie Madame Metternich fragen, die entscheidet gegenwärtig!«
»Wenn Oberst Beaumont da ist - sonst nicht!«
Ein leises Kichern lief durch den Kreis, der sich langsam vorwärts schob.
Fräulein Halsteen hielt sich dicht zu ihrer Patronesse, aber obschon sie die Augen fest zur Erde geschlagen hatte, bemerkte sie doch recht wohl, daß die Augengläser der Herren im nächsten Salon sehr dreist auf sie gerichtet waren als eine neue Erscheinung und sie fühlte sich verwirrt und befangen, bis die Hand der Gräfin Moltke die ihre drückte. »Wir sind an der Reihe!« im nächsten Augenblick
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sah sie sich vor der Kaiserin und machte dem Beispiel der Gräfin folgend ihre tiefe Verbeugung.
»O, unsere nordische Schönheit,« sagte freundlich die Kaiserin, - »ich muß Jemanden suchen, Fräulein Halsteen, dem ich Sie als Telemach übergebe, denn hier in dem Kreis von uns alten Frauen, wird sich eine junge Braut schwerlich behaglich fühlen, obgleich Sie vielleicht da Manches für den künftigen Ehestand lernen könnten - Nun, wen wähle ich da gleich, Madame Claire ... nein, kommen Sie, Sie schüchterne Rose der Bretagne, die für die Herrn nur Dornen hat - kommen Sie Fräulein von Kervague und nehmen Sie sich dieser jungen blonden Schwester etwas an.«
Die junge Hofdame näherte sich schüchtern und bot Fräulein Halsteen die Hand. Es ließ sich wirklich nichts Reizenderes denken, als diese beiden jugendlichen Gestalten, beide schüchtern und verlegen, bis die schöne Engländerin die Marquise de las Marismas ihnen zu Hilfe kam. »Erlauben Ihre Majestät, daß ich mich ihnen zugeselle, um sie glücklich durch jene Wahldebatte zu bringen, die der Herr Prinz Mürat so eifrig verficht.«
Die Kaiserin lachte. - »Zur Strafe, Vetter, sollen Sie Großmeister des Occidents werden, Prince, wenn Sie im Orient durchfallen. Warum wollten Sie auch nicht leiden, daß die Logen von Frankreich ein wenig Politik treiben, wo jetzt Alles Politik treibt. Schicken Sie den jungen Paladin, Ihren Sohn mit diesen Damen, er mag die Herrn vorstellen.«
Der Prätendent auf den Thron von Neapel, dessen
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Erscheinen heute im Cercle der Kaiserin und die huldvolle Weise, mit der er ausgezeichnet wurde, schon vieles Aufsehen erregt hatte, unterbrach sein Gespräch mit dem Kaiser, um seinem Sohn, dem Prinzen Mürat einen Wink zu geben, dann wandte er sich wieder zu seinem hohen Verwandten. »Euer Majestät dürfen versichert sein, daß der Prinz Napoleon sich mit größtem Eifer um die Großmeisterschaft der Logen bemüht, und ich fürchte, wenn er sein Ziel erreicht, wird er den Einfluß der Maçons in einer Weise benutzen, die Euer Majestät manche Verlegenheit bereiten wird.«
»Sie müssen jedenfalls diesen Brief zurücknehmen, die Ausdrücke sind selbst für den Prinzen zu stark. Dieses Duell darf nicht stattfinden.«
»Herr von Persigny hat nicht als Cavalier gehandelt, Euer Majestät davon zu unterrichten, als ich ihn mit Marschall Magnan um den Dienst bat ...«
»Herr von Persigny,« unterbrach ihn der Kaiser streng, »ist zunächst mein Minister und Chef der Polizei - also willigen Sie ohne Weiteres ein!«
»Aber Sire - ohne alle Revanche - man hat heute wieder in den italienischen Blättern diesen angeblichen Brief Eurer Majestät an mich aufgefrischt.«
»Ich werde ihn morgen als gefälscht im ›Constitutionel[l]‹ bezeichnen lassen. Uebrigens sollte ich meinen, mon cousin, daß Ihre Anwesenheit heute Abend genugsam die Gerüchte widerlegt, daß ich Ihnen mein Wohlwollen entzogen hätte.«
Der Sohn des Soldatenkönigs, den die Bourbons im
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Schlosse von Pizzo erschießen ließen, verbeugte sich. »Was kann ich Eurer Majestät so bestimmt ausgesprochenem Willen gegenüber thun.«
»Sie werden mich dankbar finden. Noch Eins - suchen Sie den Baron Pierre von seiner Opposition gegen Fould im Jockey-Club abzubringen - ich brauche ihn bei der bevorstehenden Anleihe zu nöthig, denn wenn England nicht von diesen Intriguen im Orient zurücksteht -«
»Euer Majestät haben da mit der Erklärung des Pascha's einen Meisterzug gethan.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine, indem Eure Majestät erklärten, unter allen Umständen an dem Vertrag festzuhalten und beim Ablauf der stipulirten Frist Syrien von den französischen Truppen räumen zu lassen.«
»Frankreich, lieber Vetter, hat bei der syrischen Occupation nur als Mandatar europäischer Großmächte gehandelt, und muß seine Vertragspflicht lösen - a - der Herr Admiral - er kommt gerade zur rechten Zeit.«
Der Admiral Barbier de Tynan, derselbe welcher die französische Flotte von Gaëta geführt und seitdem keineswegs in besonderer Gunst bei der Kaiserin stand, war gekommen, um sich bei der hohen Dame zu verabschieden, da er schon am nächsten Morgen nach Toulon gehen sollte. Auf einen Wink des Kaisers näherte er sich der Gruppe, die sich jetzt um den Kaiser gebildet hatte und zu der auch Fürst Metternich und der britische Gesandte getreten waren. »Es freut mich, Sie noch zu sehen, Herr Admiral,« sagte der Kaiser laut, »um Ihnen nochmals meinen Willen zu
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wiederholen. Sie werden die französischen Truppen unter allen Umständen am 1. Juli einschiffen, aber Sie werden auf der Rhede von Beyrut verweilen, bis es dem neuen christlichen Kaimakan des Libanon gelungen ist, seine volle Autorität herzustellen, wie die hohe Pforte zu thun sich verpflichtet hat. Und wenn nach der Einschiffung der bisherigen Occupationsarmee von muhamedanischer Seite auch nur eine einzige Gewaltthat gegen einen der christlichen Bewohner des Libanon noch verübt wird, so lassen Sie, ohne auf weitere Instruktionen zu warten, sofort zunächst die vier Bataillone Marine-Infanterie mit den sechszehn Geschützen landen und besetzen Beyrut und Damascus; denn dann ist es Frankreich als solches, welches die Occupation zum Schutz der mißhandelten Christen aufnimmt, nicht die Occupation der Tractat-Mächte. Ich wünsche Ihnen glückliche Fahrt!«
Der Admiral verbeugte sich und verließ gleich darauf die Salons; Lord Cowley hatte sich mit dem Fürsten Metternich in den nächsten Salon zurückgezogen und hielt dort eine eifrige Unterredung mit ihm, aus der der weitergehende Seemann nur die Worte des Fürsten noch hörte:
»Ich sage Ihnen, Mylord, er wird ganz Europa für sich haben, wenn er es thut, und ebenso Oesterreich, wenn es in Bosnien und die Herzegowina einrückt; denn der Barbarismus, der dort verübt wird, erschöpft alle Geduld. Oder wünschen Sie vielleicht, daß Rußland es thut?«
Der Kaiser war auf einen der Neueingetretenen zugegangen und hatte ihn an der Hand genommen, um ihn selbst der Kaiserin vorzustellen. Es war ein Mann von
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Mittelgröße, röthlichem offenem Gesicht und kurz geschnittenen grauen Haaren und einem starken Ansatz zum Embonpoint, fast eine Figur wie der Kaiser selbst.
»Erlauben Euer Majestät,« sagte er, »Ihnen Herrn von Lesseps, den Direktor der Aktien-Gesellschaft zur Erbauung des Suez-Kanals vorzustellen, einen Mann von so hohen Verdiensten, daß sie erst die Zukunft, wie dies ja oft bei großen Erfindern und Entdeckern der Fall, gebührend würdigen wird. Es ist eine Ehre für Frankreich, dies schon in der Gegenwart gethan zu haben.«
Die Kaiserin unterhielt sich sehr huldreich mit dem großen Spekulanten, den der englische Hochmuth so thöricht hatte fallen lassen, wie einst der erste Napoleon den ersten Erfinder der Dampfmaschine.
»Sie kommen jetzt aus Aegypten Herr von Lesseps?«
»Direkt von Cairo und Alexandrien!«
»Es muß interessant sein, im Lande der Pyramiden zu reisen, ich möchte es wohl einmal sehen!«
»Wenn mein großes Werk vollendet ist, und der Suez-Kanal eröffnet wird, was, wie ich zu Gott und dem Schutz Seiner Majestät des Kaisers hoffe, in sieben oder acht Jahren der Fall ist, werde ich die Ehre habe, Euer Majestät an diese Worte erinnern zu dürfen!«
»Mein Versprechen darauf. Doch Herr von Lesseps bis dahin dauert es nach Ihrer eigenen Versicherung noch lange Zeit. Was bringen Sie uns unterdeß für Neuigkeiten vom Nil? Wir haben noch kürzlich aus Cairo gehört - ein junger Ordonnanzoffizier des Kaisers ist aus China durch Aegypten gekommen.«
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»Herr von Boulbon?«
»Ah, Sie kennen ihn?«
»Ich habe nur seinen Namen nennen hören bei Gelegenheit der Erzählungen, die in Cairo von den merkwürdigen Abenteuern circuliren, welche einigen Reisenden in der Lybischen Wüste passirt sind, die mit Herrn von Boulbon von China gekommen waren.«
»Ei das ist schön, das wird ja unsere Damen interessiren, die Herrn von Boulbon förmlich immer umlagern, um von seiner schönen Russin und ihren Smaragden sich erzählen zu lassen. Will nicht einer von den Herrn so freundlich sein, Herrn van Boulbon - ich sah ihn bereits - hierher zu rufen.«
Einige Augenblicke darauf erschien der neue Ordonnanz-Offizier des Kaisers, der mit dem Fürsten von der Moskwa gekommen war.
»Herr Graf,« sagte die Kaiserin, - »hier Herr von Lesseps erzählt uns eben von einer Expedition von Reisenden, die von - wo sagten Sie doch, daß Ihr englischer Begleiter Sie verlassen hatte?«
»In der Bai von Arkiko, Majestät!«
»Und dieser Herr hieß?«
»Viscount von Heresford!«
»Ist es derselbe, Herr von Lesseps?«
»Zu Befehl, Majestät!«
»Und dieser Herr ist mit seinen Begleitern glücklich in Cairo angekommen?«
»Euer Majestät verzeihen, ich habe nicht gesagt glücklich, sondern nur, daß man von Abenteuern erzählt, die
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ihm in der Wüste passirt sind, und denen er ohne die wunderbare Dazwischenkunft seines Vetters, des Grafen Juan da Lerida noch kurz vor Erreichung des Ziels erlegen wäre.«
»Lerida - der Conde Don Juan da Lerida, dem wir von Biarritz her Dank schuldig sind,« sagte die Kaiserin - »und den wir in Compiegne diesen Herbst wiedersehen werden?! Hören Sie meine Damen, die Sie immer so viel von diesem Herrn sprechen, Claire - Frau von Rochambeau und selbst unsere schüchterne Angelique!«
Die beiden Damen standen bereits so nahe, als es die Hofsitte erlaubte und horchten mit gespannter Aufmerksamkeit, mit ihnen noch eine Andere, Fräulein Halsteen, die zu ihrem Erstaunen hier den Namen hörte, den ihr Madame Santarez so dringend empfohlen.
»Was ist's mit dem Abenteuer und wo sind diese Herrn geblieben?«
»Der Viscount von Heresford mit seiner Gesellschaft ist in die Hände der Ismaëliten, oder Assassinen, einer berüchtigten, im ganzen Orient gefürchteten Räuber- und Mörderrotte gefallen und, wie erzählt wurde, nur durch die Treue und Klugheit eines arabischen Knaben gerettet worden. Durch die Wüste bis zum Nil, bis in die Nähe von Assuan verfolgt, haben sie dort noch ein scharfes Gefecht zu bestehen gehabt, wobei ihnen durch einen glücklichen Zufall der Vetter des englischen Herrn zum Glück zu Hilfe kam. Sie verweilen jetzt in Ghizeh, da einer der Herren, die den Grafen begleiteten, schwer bei jenem
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Gefecht verwundet wurde und sie ihn nicht verlassen wollen.«
»Welcher? kennen Sie seinen Namen?« frug - die Vorschriften der Etikette in einer Theilnahme verletzend, hastig der Ordonnanz-Offizier.
»Ein Franzose - einer der Freiwilligen von Gaëta - Marquis von Saint Brie, wenn ich mich recht erinnere!«
»Was haben Sie, Madame?« flüsterte Fräulein von Kervague ihrer Begleiterin zu, als sie deren Arm in dem ihren bei der Nennung dieses Namens erzittern fühlte. »Kennen Sie diesen Herrn?«
»O nein - es in nur ein seltsames Zusammentreffen, da eine Freundin von den westindischen Inseln mir heute ihn nannte.«
»O, ich erinnere mich - Herr von Saint Brie, aus einer unserer ersten Familien stammend, hat glaube ich, einige Zeit bei Verwandten auf den französischen Antillen zugebracht. Wenn es Sie interessirt, kann ich meinem Vetter, dem Marquis de la Houdinière, der dort hinter dem Kaiser steht, den Auftrag geben, sich bei Graf Boulbon oder Herrn von Lesseps näher zu erkundigen.«
Die Kaiserin, nachdem sie dem Erbauer des Suez-Kanals noch gedankt, hatte sich erhoben und ging auf den Arm der Herzogin von Rochambeau gestützt durch die Salons.
Die Gesellschaft war jetzt in Bewegung - das Erheben der Kaiserin war stets das Zeichen, daß die kleine Cour nun vorüber war, und Jedermann thun und sich amüsiren konnte, was und wie er wollte.
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Man sah daher rasch sich Gruppen bilden, die sich zum Theil mit den prachtvollen Albums und Kupferwerken beschäftigten, theils plauderten oder sonst unterhielten.
»Was haben Sie da, Fürstin?« frug die Kaiserin, als die Fürstin Metternich mit einem ganzen Stoß weißer Porzellanteller und Untertassen beladen, aus dem Garderobezimmer der Kaiserin kam, gefolgt von einem Diener, der eine brennende einfache Lampe und eine Schachtel mit Streichhölzern trug.
»Eine neue Kunst, Majestät, die ich neulich in München von einem dieser großbärtigen und burschikosen Herrn Maler im Salon der Fürstin von Schönburg-Hartenstein gelernt, die sich als Beschützerin dieser Herren Künstler gerirt. Eine allerliebste Spielerei, Grau in Grau, die uns viel Unterhaltung gewähren soll. Sie soll aus dem Klub des berüchtigten Hofbräu stammen, und der Erfinder heißt - beinahe wie das Fräulein dort - Halsteen - Kalstein.«
»Wie nennen Sie die Kunst?« - Es war Gesetz in den Abendunterhaltungen der Kaiserin, daß Jeder mit irgend etwas Neuem oder einem Talent zur Unterhaltung beitrug.
Die hübsche Fürstin Metternich, eine geborene Ungarin, des bekannten tollen Sportsmann Grafen Sándor Tochter, hatte sich an einen kleinen Tisch gesetzt, auf dem Teller und Lampe standen. Die Kaiserin setzte sich zu ihr. »Nun Pauline, wie heißt Ihre Kunst?«
»Nebelbilder haben wir bereits, Majestät - wir wollen sie Rauchbilder nennen.«
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»Müssen Sie etwa dazu rauchen?« frug lächelnd die Kaiserin - »das darf ich heute des Beispiels wegen nicht gestatten - ich glaube, der Kaiser wäre der Erste! ...«
Es war bekannt, daß die Fürstin Metternich, die bereits die vertraute Freundin der Kaiserin zu werden begann, trotz des besten Kavaliers neben allerlei anderen Excentricitäten ihre Cigarre rauchte.
»Euer Majestät erlauben, wir können den Dampf, den wir brauchen, uns auf andere Weise präpariren. Meine Damen und Herren,« fuhr sie fort, den Ton der Marktschreier am chateu d'eau parodirend, »Sie erblicken hier einen reinen Porzellan-Teller, wie ihn die Natur - wollt' ich sagen, die Manufactur von Sèvres erschaffen hat, rein und unschuldig. Nun halte ich diesen Teller über die Lampe, lasse ihn nicht von der Cultur, sondern von dem Oelqualm der Lampe belecken, und siehe da, Sie haben eine totale Finsterniß auf diesem unschuldigen Tellerboden, so schwarz wie die Erbsünde, oder die Rosenfarbe ist, die Seine Majestät noch immer nicht gefunden haben!«
»Sie sind eine Spötterin, Fürstin,« sagte der Kaiser lächelnd mit dem Finger drohend - »ich hoffe Sie in diesem Frühjahr mit einem Bouquet schwarzer Rosen zu überraschen.«
»Dann werde ich mir erlauben, eine gelbe beizubinden« sagte die Fürstin galant, »und wir werden einen Strauß gebunden haben, den ich für Frankreich und Euer Majestät schon lange wünsche.«
Der Kaiser lachte: »Aber ohne italienische oder
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preußische Dornen, wenn ich bitten darf. - Was aber nun weiter?«
»Ja, meine Damen und Herren,« fuhr die Fürstin fort, wenn die Schwärze der Erbsünde so rasch zu tilgen wäre, wie dieser Qualm« - sie fuhr mit einem Tuch über die vom Rauch geschwärzten Stellen, - »dann brauchten wir armen Frauen nicht unsere Beichtväter zu bemühen - husch, so wäre der Teller wieder rein, und wir können auf ein neues Portrait für die schwarze Sünde denken; denn meine Damen und Herren, dieser Teller ist in diesem Augenblick nichts Anderes, als eine präparirte Leinwand auf der Staffelei, und in diesem Schwefelholz,« sie zog ein solches aus der Dose, - »besitze ich einen Pinsel, der sich mit dem des Herrn von Winterhalter in Hexerei und Geschwindigkeit messen kann, wenn er mir auch nicht so viel einbringen wird, daß ich davon ein Landhaus in Bondy kaufen kann!« Und sie begann mit vielem Geschick das seitdem sehr in Mode gekommene Spiel einer Rauchzeichnung, indem sie den Teller über dem Lampenschwaden drehte und wendete, um je nach Bedürfniß mehr Schatten oder Licht aufzusetzen.
Dann, als sie das Bild, das mit so einfachen Mitteln hergestellt war, zeigte, erklang ein allgemeines: Brava! Vortrefflich! - Es war der wohlgetroffene Kopf des Kaisers.
»Allerliebst!« sagte die Kaiserin, - »nun meine Damen und Herrn, rasch an die Arbeit!« - und sie vertheilte Teller und Schwefelhölzer. In einigen Augenblicken war der ganze Kreis am Zeichnen.
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»Nun Louis,« sagte die Kaiserin vertraulich - »wollen Sie nicht auch Ihr Talent in der ›schwarzen Kunst‹ versuchen?«
»Pardon - ich beschäftige mich nicht gern mit einem so unsicheren Elemente. Lassen sich die Zeichnungen nicht fixiren, Frau Fürstin?«
»O, ich glaube wohl - mit einem Lack und nochmaligen Brennen des Porzellans - ich habe gesehen, wie es die Damen in Berlin machen mit ihren Farben-Malereien!«
»Gut - dann will ich morgen diesen Teller nach Sèvres schicken und Ihr Kunstwerk zum Andenken fixiren lassen.«
»Dann erlauben Majestät nur noch ein paar Striche,« und sie nahm den Teller ihm aus der Hand und zeichnete mit einigen Strichen über den Kopf eine schwebende Krone.
»Fertig?«
»Fertig Sire - bis auf ein paar Edelsteine im Reif.« Und sie hob den Teller, um ihn nochmals über den Qualm zu halten.«
»Nimm Dich in Acht, Pauline, - das Sèvres-Porzellan ist feiner und kostbarer - aber es hält nicht so viel aus als das Berliner!«
»Wahrhaftig - schade!« Es hatte leicht geknackt - als sie den Teller eilig zurückzog und ihn besehen ließ, hatte der Boden leider einen Sprung erhalten, der über den Kopf des Kaisers durch die nachträglich gezeichnete Krone lief.
»Thut Nichts!« meinte lächelnd der Kaiser - »man
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macht die Kronen nicht aus Porzellan, sondern aus Metall, und ich bin schon zufrieden, daß die Feuerprobe mir den Kopf ganz gelassen! Bitte schöne Fürstin - geben Sie her, ich muß wenigstens den Kopf fixiren lassen und zum Andenken behalten.«
Der kleine Zufall schien doch die Lust an neuen Spielwerk verdorben zu haben, die Kaiserin erhob sich und die ganze Gesellschaft beeilte sich, das so eifrig begehrte und bemalte Geräth auf die Seite zu setzen.
Fürst Richard Metternich, der österreichische Gesandte und der Gemahl der kleinen überaus zierlichen und pikanten, nur allzusehr selbst gemalten Malerin stand wie zufällig neben dem Kaiser.
»Lassen mich Euer Majestät gnädigst versichern, daß eine österreichische Hand sicher niemals an die Krone Frankreichs tasten wird, im Gegensatz, es ist der Wunsch meines Souverains, sie so fest und - so groß als möglich auf dem Haupt Eurer Majestät zu sehen. - Eine Regulirung der deutschen Verhältnisse wird dazu am Besten die Hand bieten.«
Der Kaiser warf dem Sprecher einen scharfen Blick zu und trat einen Schritt zurück, der ihn aus der Umgebung des bisherigen Kreises um den Tisch brachte, Herr von Metternich war ihm gefolgt.
Sogleich lichtete sich die Umgebung des Kaisers, der Hof zog sich in die Nähe der Kaiserin, die ein bezeichnender Blick ihres Gemahls getroffen hatte.
»Euer Majestät kostbare Zeit,« sagte der Diplomat, »wollte ich nicht erst durch die Bitte um eine Audienz in
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Anspruch nehmen und bitte daher um Erlaubniß, Euer Majestät im Auftrage meines Souverains den Dank für Euer Majestät Beistand auszudrücken, der Revolution den Weg durch Dalmatien und Bosnien zur Insurgirung Ungarns und der polnischen Landestheile abzuschneiden.«
»Sagen Sie Seiner Majestät dem Kaiser Franz Joseph, daß ich mich stets freuen werde, Hand in Hand mit ihm zu gehen, und diesen ewigen Agitationen, die uns von jenseits des Kanals herüberkommen, endlich den Kopf zu zertreten.«
»Nach meiner unvorgreiflichen Meinung,« bemerkte der Fürst, »kann das nur an zwei Stellen geschehen.«
Der Kaiser blickte nochmals auf.
»Am Rhein und am Bosporus,« sagte auf den fragenden Blick der Diplomat.
Der Kaiser nickte leicht ohne zu antworten. Dann sagte er: »Ich weiß, Fürst, daß ich Sie zu den Freunden Frankreichs zählen darf. Ihr Lieblingsgedanke einer Alliance zwischen Frankreich, Oesterreich und England dürfte dann freilich noch einige Zeit hinausgeschoben bleiben.«
»Mein Wunsch, Sire, ist nur, daß dies nicht zu lange dauern möge. Ich mag Euer Majestät nicht verhehlen, daß diese deutschen Verhältnisse in Wien einige Unruhe verursachen - die Entente zwischen den Kabinetten von Berlin und Petersburg ist noch mehr im Steigen, als es schon unter dem verstorbenen König Friedrich Wilhelm IV. der Fall war.«
»Man hat mir gesagt, daß der jetzige preußische
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Gesandte in Petersburg ein großer Freund der russischen Alliance wäre. Man müßte ihn von dort weg an einen andern Ort zu bringen suchen, wo er mehr - wie soll ich sagen - unter paralysirender Beaufsichtigung stände.«
»Herr von Bismarck ist ein entschiedener Gegner Oesterreichs, auch Graf Rehberg ist davon überzeugt.«
»Um so wünschenswerther wäre es. London oder Paris sind freilich die einzigen Orte, wo der König ihn hinsenden würde.«
»Herr von Bismarck,« sagte der Diplomat anscheinend wenig erbaut von der Idee, »hat ja noch nicht den Rang eines Botschafters, kann also auch nach einem andern Ort gesandt werden - er würde vielleicht in Rom oder Kopenhagen in diesem Augenblicke gute Dienste thun, selbst in Constantinopel oder Turin.«
Ein leichtes Lächeln flog über das Gesicht des Kaisers, doch verbarg es seine Gewohnheit, die Spitzen des Schnurbarts zu drehen.
»Sie wissen, Fürst, daß ich im Sommer in das Lager von Chalons gehen werde. Ich hoffe, Se. Majestät den Kaiser Franz Joseph oder doch einen der Herren Erzherzöge dort zu sehen - fragen Sie gefälligst bei Gelegenheit unter der Hand an, ob eine Einladung willkommen wäre. Der König von Schweden wird im Lauf des Sommers Paris besuchen.«
»Ich werde nicht verfehlen von Euer Majestät wohlwollender Gesinnung Bericht zu erstatten. Euer Majestät wissen nur, daß der Kaiser Franz Joseph in dieser Zeit mit den deutschen Verhältnissen ...«
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»Ah - die Trias-Idee« - schaltete der Kaiser ein, »Herr von Seebach hat mir sehr angelegentlich davon gesprochen, und ich billige sie vollkommen - es ist ja wohl der Gedanke des Herrn von Beust?«
[»]Es ist die einzig berechtigte Lösung dieser unangenehmen Rivalität am Bundestag,« bemerkte der Botschafter »und es freut mich, daß sie auch den Beifall Eurer Majestät hat. - Aber namentlich auch sind es die auftauchenden Wirren in Ungarn und Galizien, welche die Thätigkeit meines Souverains in Anspruch nehmen werden, nachdem wir über die Drohungen gegen Venetien, Istrien und Südtyrol durch die Zusicherungen des Herrn von Thouvenel beruhigt sind.«
»Ich kann es nur billigen,« sagte der Kaiser, das Gespräch beendigend, »wenn Ihre Regierung sehr energische Maßregeln in Ungarn und den Provinzen an der Adria ergreift. Meine Schiffe bleiben einstweilen vor Ancona stationirt.«
Er wandte sich mit der leichten und liebenswürdigen Weise, die ihm im Gegensatz zu der schroffen Manier des ersten Napoleons eigen war, und ihn im Gespräch selbst mit ganz untergeordneten oder abschläglich zu bescheidenden Personen auszeichnete, von dem Botschafter und sprach bald darauf den englischen Gesandten und den großen, ihm persönlich befreundeten, damals grade in Paris sich aufhaltenden Manchestermann Richard Cobden an, um sich mit ihnen über den im Senat eben heftig von dem Admiral Romain Desfosses und Kardinal Mathürin angegriffenen Fischerei-Vertrag mit England zu unterhalten,
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den der Admiral für einen Stoß in's Herz der französischen Marine erklärt hatte, für den die Engländer Herrn Cobden ein Denkmal neben Nelson setzen müßten.
Als die Kaiserin den früheren Kreis verlassen, warf sie sich mit jener Behaglichkeit, welche auch die vornehmsten Damen in diesem Thema zu finden pflegen, in den sogenannten Tagesklatsch, dem es in diesem Augenblicke an einer Menge pikanter Gegenstände nicht fehlte. Schwebte doch außer dem Brochüre-Proceß mit seinem Anhang von Anekdoten und der Patterson-Klage des Prinzen Napoleon die Angelegenheit des Conde'schen Erbes von 60 Millionen, welche die geschickten Intriguen der Marquise von Feuchères dem Hause Orleans in der Person des - damals freilich noch Knaben - Herzog von Aumale gesichert hatte und vor Allem der skandaleuse Prozeß der Mademoiselle Caillard, die Brochüre des Prinzen Peter Bonaparte, des abenteuerlichen Republikaners gegen den Herzog von Aumale, die wenigstens Courage zeigte und zunächst noch der Prozeß Mirès, der den Einblick in die Fäulniß der pariser Gesellschaft so kraß enthüllen sollte, daß man ihn und seine Enthüllungen als den Vorläufer der späteren Prozesse gegen Stroußberg, die wiener Minister-Agiotage und das berliner Gründerthum bezeichnen darf.
Der Prozeß Caillard erregte namentlich die Theilnahme der Damenwelt für die wahrhaft scandaleusen Details der Debatten.
Ein erst siebenzehnjähriges speculatives Mädchen, eine Nichte Eugen Sue's, hatte sich, unterstützt von ihrer unsauberen Verwandtschaft einem etwas simplen jungen
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Edelmann aus der Provinz, dem Marquis von Grolie-Virville, an den Hals geworfen und ihn zu einer Heirath vermocht, bloß um sich den Titel einer Marquise zu verschaffen. Gleich nach der Trauung hatte die junge Dame, eine Schönheit ersten Ranges, sich dem Gemahl zu entziehen gewußt und ihn von sich gewiesen, während sie mit ihrem Liebhaber, einem Lion des Jockey-Clubs, auf Reisen ging. Endlich hatte der verliebte und düpirte Ehemann auf Scheidung geklagt, die kirchliche Trennung erlangt und wollte nun vor Gericht der spekulativen Dame das Recht streitig machen, seinen Namen und Titel zu führen, was diese vertheidigte. Halb Paris war auf Seite der Spekulantin und ihres Liebhabers, der in größter Angst schwebte, bei einer gerichtlichen Scheidung die saubere Demoiselle heirathen zu müssen, und die berühmtesten Advokaten, wie der greise Chaix d'Est-Ange, plaidirten in dem Prozeß.
Man hatte eben die Nachricht gebracht, daß am Mittag der Gerichtshof der Seine sein Urtheil zu Gunsten der ›jungfräulichen‹ Gattin erlassen, und verhandelte die Details, wobei die Kaiserin bemerkte, das Interesse der Pariser nehme sie kein Wunder, nachdem die Gesellschaft erst vor drei Abenden das Scandalstück der Madame de Solms ›Quand on n'aime plus trop, l'on aime plus assez!‹ in der Mailandstraße applaudirt habe, als sich der erste Kammerherr, der Sohn des Grand-Maitre ihres Hauses näherte und ihr einige Worte sagte.
»Sagen Sie Seiner Hochwürden, ich würde ihn sogleich empfangen,« befahl sie und erhob sich - »eine
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kleine Angelegenheit meines Aumoniers, des Abbé Bauer, meine Damen, und Sie wissen, daß die Kirche und die Armen stets dem Vergnügen vorgehen.«
Sie stützte sich leicht auf den Arm ihrer Oberst-Hofmeisterin, als sie ihrem Kabinet zuschritt. »Wer ist der Prälat?« fragte sie leise den Kammerherrn, »den der Herr Erzbischof zu so ungewohnter Zeit einführt.«
»Seine Hochwürden der Herr Bischof von Auch!«
»Ah, dann ist es etwas Anderes und Sie haben Recht gethan, ihn zu melden.«
Der Kammerherr öffnete ehrerbietig die Thür des Kabinets, die Kaiserin befand sich vor dem ersten geistlichen Würdenträger von Paris, dem Groß-Almosenier-Kardinal und Senator Morlot, der bisher den Interessen des Kaiserthums sehr günstig sich erwiesen hatte, und einem zweiten Geistlichen.
Der Kardinal begrüßte die Kaiserin mit seinem Segen. »Seine Eminenz der Herr Erzbischof von Auch,« stellte er vor, »ist eben von Rom angekommen und hat sich beeilt, den Segen des heiligen Vaters für Ihro Majestät zu überbringen mit einem Briefe Seiner Heiligkeit für Seine Majestät den Kaiser und einem von Seiner Hand geweihten Gebetbuch für Sie.«
Die Kaiserin reichte dem Erzbischof die Hand. »Ich danke Ihnen Monsignore, daß Sie keinen Augenblick gezögert haben, mir so kostbare Gaben zuzustellen,«
»Eure Majestät,« sagte der Erzbischof, »würden die Gnade, mit der Sie mich zu empfangen geruhen, noch vermehren, wenn Sie geruhen wollten, das Schreiben
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Seiner Heiligkeit sogleich lesen lassen zu wollen. Der Heilige Vater hat mich beauftragt, diese Bitte besonders Euerer Majestät an's Herz zu legen. Der Inhalt des Briefes könne ein großes Unglück verhüten, das Seine Heiligkeit und die ganze katholische Christenheit tief betrüben würde.«
Obschon die Kaiserin gewohnt war, in jener Zeit fast täglich mit Klagen von Rom in dieser oder jener Form bestürmt zu werden, blieben die Worte des Kirchenfürsten doch nicht ohne Eindruck und sie gab sofort mit der auf ihrem Arbeitstisch stehenden Glocke ein Zeichen, worauf die stets in dem Entrée der zwischen dem Salon und dem Kabinet der Kaiserin liegenden Antichambre sich aufhaltende Kammerfrau sogleich eintrat.
»Sein Sie so gut, liebe Malaret, Herrn von Tascher zu benachrichtigen, daß ich Seine Majestät sogleich zu sprechen wünsche!«
Die Kammerfrau entfernte sich und die Kaiserin unterhielt sich einige Augenblicke, das Gebetbuch, das Geschenk des Papstes in der Hand haltend, nach dem Gesundheitszustand des Heiligen Vaters und des Cardinal Antonelli sich erkundigend, bis der Kaiser eintrat.
»Ah, willkommen, Eminenz,« sagte er freundlich »Warum haben Sie unsere Soirée nicht beehrt, es wird heute nicht getanzt.«
»Euer Majestät wissen,« sagte der Kardinal, »daß ich durchaus Nichts dawiderhabe, erlaubten Vergnügungen beizuwohnen. Aber wir wollten Euer Majestät in keiner Weise stören.«
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Die Kaiserin reichte den Brief, den der Prälat auf den Schreibtisch vor ihr niedergelegt hatte, ihrem erlauchten Gemahl. »Vom Heiligen Vater,« sagte sie, - »ich bitte Sie Louis, lesen Sie ihn sogleich.«
Der Kaiser schien es nicht für so eilig zu halten, er wandte sich vielmehr zu dem Erzbischof: »Sieh da, Monsignore Delamarre, ich hörte davon, daß Sie nach Rom gereist wären.«
»Ich bin heute daher zurückgekehrt,« sagte der Prälat, den versteckten Vorwurf der unterlassenen Anzeige in der Frage übergehend.
»Ich muß mich darum bekümmern, Herr Erzbischof, da ich ja ganz besonders zu Ihrem Sprengel gehöre.«
»Zu meiner Diöcese, Sire - ich glaubte, das sei die Diöcese des Herrn von Morlot.«
»Auch Auch!« sagte lächelnd der Kaiser mit seiner Kenntniß der deutschen Sprache ein Wortspiel machend. »Wissen Sie nicht, daß seit Ludwig XIV. alle Souveraine Frankreichs von Rechtswegen auch Kanonici der Kathedrale von Auch sind?«
Der Kaiser annectirte sehr gern die legitimistischen Erinnerungen. »Sire, das ist wahr,« sagte der Kardinal Morlot, »aber Sie wollen sich geneigtest auch erinnern, als ältester Sohn der Kirche nicht zu vergessen, daß die Souveraine Frankreichs auch Kanonici der Kirche von Sanct Johann im Lateran zu Rom sind.«
Der Kaiser machte ein verdrießliches Gesicht bei dieser Lection, aber er antwortete nicht.
»Sire,« bemerkte die Kaiserin, die entstandene Pause
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unterbrechend, »dieser Brief ist von dem Pathen unseres Sohnes.«
»Das ist wahr, Madame, Sie erinnern mich zu rechter Zeit.« Er wandte sich nach dem Licht, so daß er dem Groß-Almosenier den Rücken kehrte und erbrach den Brief.
Während er das Schreiben des Heiligen Vaters las, - es war der Brief, in welchem Papst Pius zuerst dem Kaiser die Nachricht von dem neuen Complot mittheilte, das Felix Pyat in London zu seiner Ermordung anzettelte, eine Mittheilung, welche die später ermittelten Thatsachen vollständig bestätigten.
Ehe er solche Bestätigungen erhalten hatte, war der Kaiser immer etwas ungläubig und gleichgültig in solchen Dingen, da Warnungen und Entdeckungen von angeblichen Verschwörungen ihm in Unzahl zukamen und sich meist als Spekulationen auf Belohnung erwiesen.
»Wieder eine dieser lächerlichen Verschwörungen,« sagte er lächelnd zu dem Kardinal, »mit denen man mir Furcht einzujagen sucht. Ich sollte meinen, ich habe den Herrn nun genugsam bewiesen, daß ich nicht so leicht zu schrecken bin - das Leben der Herrscher steht in Gottes Hand. Nur der eigenthümliche Weg, auf welchem mir diese Nachricht zukommt, - über Rom! - macht sie mir wichtiger, und ich bitte Euer Eminenz, in Ihrem nächsten Bericht an Seine Heiligkeit meinen besonderen Dank für diese freundliche Warnung auszusprechen, was ich bei erster Gelegenheit auch noch selbst thun werde.«
»Wenn die Warnung vor einer Bedrohung Ihres Lebens, Sire, von einer solchen Seite kommt, sollten Sie
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dieselbe wirklich nicht so leicht nehmen, Sire. Sie wissen, die heilige Kirche hat viele Gelegenheiten, Dinge zu erfahren, die dem Auge und Ohr des Laien ein undurchdringliches Geheimniß bleiben.«
Der Kaiser lächelte. »Sollten Euer Eminenz es wirklich für möglich halten, daß der alte Verschwörer Blanqui, denn um diesen handelt es sich, wie ich Ihnen ohne Weiteres sage, von dem Gewissen der Art gerührt sein sollte, daß er sich in seinem 56. Jahr dem Beichtstuhl in die Arme wirft? Doch ich gestehe, die in der freundlichen Warnung des heiligen Vaters angeführten Details sind wirklich der Art, daß sie wohl Beachtung und Prüfung verdienen. Es wäre sehr natürlich, daß der alte Verschwörer, der seine eigenen Freunde an Taschernau31 verrieth, seine zehnjährige Haft in Belle-Isle an mir rächen will, obschon ich wahrhaftig nichts dazu kann. Ich werde den Brief noch diesen Abend an Pietri schicken, - bloß Ihnen zur Beruhigung, Madame.«
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Er wandte sich gegen die Kaiserin, als der Erzbischof rasch auf sie zueilte. »Um Gotteswillen, Ihre Majestät sind unwohl! Rufen Sie um Beistand, Eminenz.«
In der That war die Kaiserin auf die Rücklehne ihres Sessels gesunken und schien ohnmächtig geworden, doch hatte sie sich rasch erholt, bevor noch der Kardinal die Schelle erreichen oder der Kaiser die Kammerfrau herbeirufen konnte.
Sie hatte, während der Kaiser den Brief las und mit den beiden Prälaten über den Inhalt sprach, aufmerksam darauf hörend, das in Sammet und Gold gebundene kleine Gebetbuch - eine Gabe, die sie alle Jahre vor ihrem Geburtstag empfing - zwischen den Fingern hin und herbewegt und dabei die goldenen Klammern geöffnet; ihr Auge fiel, als sie das Buch aufschlug, auf einen wie ein Merkzeichen zwischen den Blättern liegenden Papierstreifen, auf dem zwei Zeilen in Chiffreschrift geschrieben waren:
»Der Kapitain Don Diaz Cavalho, genannt Don Rosario Gusman befindet sich im Vatikan - so lange E. M. der Interessen der Kirche eingedenk bleibt.«
»Es ist unnöthig, Sire,« sagte die Kaiserin rasch sich erhebend und das Papier in ihrem Busen verbergend - »die Besorgniß um diese neue Gefahr für Sie hat mich schwach gemacht, aber mit Energie und dem Gebet des heiligen Vaters, unterm Schutz der Kirche, der treuesten Stütze Frankreichs, werden Sie auch diesen Feind besiegen. Ich bitte Sie - beunruhigen Sie die Gesellschaft nicht, mein Befinden ist schon besser.«
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Die Energie der Kaiserin schien selbst ihr Aeußeres zu beherrschen, und nach einer kurzen Ruhe, in welcher der Kaiser sich auf das Zärtlichste für sie besorgt zeigte, konnte sie sich erheben, um zur Gesellschaft zurückzukehren, obschon der Kaiser es widerrieth.
»Sire - Sie kennen die Zeitungen - warum unsere Freunde beunruhigen? -« Bereits in der Thür wandte sie sich noch einmal zum Erzbischof zurück: »Wer, Monsignore hat Ihnen dieses kostbare Geschenk Seiner Heiligkeit für mich übergeben?«
»Seine Eminenz, der Herr Kardinal Staatssecretair sandte es mir noch im Augenblick meiner Abreise.«
»Ich danke Ihnen - und nun Hochwürdiger Ihren Segen!«
Die Kaiserin neigte sich graciös und empfing den Segen des Kardinals. - Bald nachher verkündete das Rollen der Equipagen, daß der ›Cercle‹ beendet war.
Als der Kaiser auf der eisernen Wendeltreppe, die aus den Gemächern der Kaiserin zu den seinen emporführt, nachdem er noch von der Admiralin Bruat den Bericht über das Befinden des ›Kindes von Frankreich‹ entgegen genommen hatte, nach seinem Kabinet gelangt war, blieb er einige Zeit in ernstem Nachsinnen vor seinem Arbeitstisch, während er den lang entbehrten Genuß der selbst bereiteten Papiercigarrette von türkischem Tabak nachholte.
Dann schellte er.
»Ist Monsieur Mocquard noch im Kabinet?«
Herr Mocquard schien stets auf seinem Posten zu sein und trat schon nach wenigen Augenblicken ein.
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»Eure Majestät befehlen?«
»Schicken Sie die Abschrift dieses Briefes an Pietri - eine zweite an den Grafen Flahault und sprechen Sie meine Verwunderung aus, daß ich eine solche Nachricht erst von Rom aus erhalten muß. - Dann, und das ist das Wichtigste, beauftragen Sie den Prinzen La Tour d'Auvergne, durch unsere gewöhnliche Quelle am Hofe sondiren zu lassen, ob der König Wilhelm geneigt ist, einer Einladung in das Lager von Chalons Folge zu geben? In diesem Fall werde ich die französischen Garden dahin senden. Oder ob er eine Einladung zu den Jagden in Compiegne vorziehen würde? Die Anfrage muß mit der größten Discretion behandelt werden und mit dem nächsten Kurier abgehen. Gute Nacht, lieber Mocquard - ich denke, wir werden Beide der Ruhe bedürfen.«
Der Kabinetschef entfernte sich.
»Ich wünschte,« sagte der Kaiser leise vor sich hin, die letzten Züge seiner Cigarette von sich blasend - »dieser König Wilhelm ließe sich für meine Intentionen gewinnen; er ist mir weit sympathischer, als der Kaiser Franz Joseph, in dessen Natur immer etwas Unsicheres, Unentschlossenes liegt. Das Opfer, das der König bringen würde, kann doch nicht in Betracht kommen, gegen diese Vergrößerung Preußens, die ich ihm bieten kann. Die Trias-Idee ist eine Lächerlichkeit und Oesterreich wird sie schwer bezahlen. Der Gedanke eines neuen Rheinbundes paßt in diesem Augenblick nicht mehr für Frankreich, dem nur große Alliancen von Nutzen sein können.«
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Er gab das Zeichen für den zur Nachttoilette harrenden Kammerdiener.


Es war ein Uhr, als der Wagen der Gräfin Moltke den Tuilerienhof verlassen hatte und die Quais entlang fuhr, da die Gräfin am anderen Seine-Ufer in der Nähe des Quais Heinrich IV. eine Freundin absetzen wollte, ehe sie Fräulein Halsteen nach dem Hôtel brachte.
Am Pont de la Constantine, dort wo die Schwimmschule des Hôtel Lambert liegt, in der Cité, hielt eine Ansammlung von Neugierigen sie auf - der Kutscher parirte die Pferde, und der Lakai trat an den Schlag der über den Verzug ungeduldig gewordenen Dame.
»Was giebts da, Jean?«
»Nichts, Gnaden - man hat eben nur einen Ertrunkenen aus der Seine gezogen.«
Die Damen lehnten sich tiefer in den Fonds zurück, denn ein Paar Männer, umgeben von dem Pöbel, der sich stets des Nachts in den engen Straßen und auf den Brücken der Cité umhertreibt, gleich als hätte die Nähe des Justizpalastes und der Conciergerie eine besondere Anziehungskraft für ihn, begleiteten die Leiche heulend und pfeifend.
»Er kann noch nicht lange im Wasser gelegen haben,« sagte eine Stimme, »der Körper ist ja fast noch warm.«
»Bringt ihn in's Hôtel Dieu, vielleicht ist er noch in's Leben zu rufen!«
»Bah - wenn er hätte leben wollen, wäre er nicht in die Seine gesprungen. Fort mit ihm nach der Morgue!«
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»Schade um die guten Kleider,« sagte ein Anderer - »die schluckt nun wieder der lange Tom.32 Es muß ein Fremder sein.«
»Bringt ihn zum Baron Kisseleff,«33 sagte eine tiefe Stimme - »der wird ihn sicher kennen!«
Der Wagen hatte Platz gefunden und fuhr über die Brücke. Fräulein Halsteen hüllte sich fröstelnd in ihren Mantel. »Eine so riesige Stadt,« sagte sie. »hat des Nachts in der That etwas Schauerliches.«
Die pariser Dame, um deren Willen man den Umweg gemacht, und die mit der Neugierde der Pariserinnen und ihrer Liehaberei für das Aufregende aus dem Fenster der Karosse gesehen hatte, meinte naiv:
»In der Nähe der Inseln34 fehlt es niemals an pikanten Scenen.«
»Schade - es war ein hübscher noch junger Mann mit schwarzen Locken - ich konnte das Gesicht deutlich sehen, als sie unter dem Gas vorüberkamen. - Ah - da sind wir zur Stelle! Tausend Dank beste Gräfin für die Gefälligkeit!«

Zwei Bräute!

Sie saß in tiefen Gedanken auf dem Divan, verschiedene Gegenstände lagen auf dem Tisch vor ihr, mit denen sie sich beschäftigt zu haben schien, - unbedeutende Kleinigkeiten - verwelkte Blumen, ein kleines Album mit Photographien, ein anderes mit eingeschriebenen Versen und Sinnsprüchen, ein altes Band, dazwischen ein grober Männerhandschuh. - Einige Gegenstände hatte sie von dem buntem Kram zurückgelegt, sie sollten sie begleiten, sie allein von all' den Jugenderinnerungen, unter denen sie eben Musterung gehalten und von denen sie Abschied genommen hatte, - denn draußen im Salon standen zwei wohlgepackte Koffer und das braunseidene Reisekleid lag neben der glänzenden Brautrobe von weißem Atlas mit den kostbaren Spitzen garnirt, - sie sollte ja beide morgen tragen: die Brautrobe und das Reisekleid.
Ja wohl, sie hatte Abschied genommen von all' den Erinnerungen ihres Mädchenlebens, - es hatte Mühe gekostet, sich all' den Besuchen und Freundschaftsbeweisen zu entziehen, die sie noch bis zur späten Abendzeit bestürmt
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hatten, um endlich sich in ihr Schlafzimmer zurückziehen und noch eine Stunde sich selbst und jenen Erinnerungen widmen zu können. Es waren ja so Viele, die sie in Anspruch genommen für sich, oder ihr kleine Gaben bringen wollten zum Andenken. - Keiner schien sie vergessen zu haben, mit dem sie hier in der fremden Weltstadt in Berührung gekommen war - hatte doch selbst die schöne Kaiserin von Frankreich ihrer gedacht, die ihr doch nur so flüchtig genaht und einen prächtigen Zweig von den verhängnißvollen Orangeblüthen durch die Hand des Fräulein Angelique von Kervague geschickt, auf dessen dunkeln saftgrünen Blättern zwei Thautropfen funkelten, und diese Thautropfen waren Diamanten.
Dort unter dem Spiegel funkelte anderes. Geschmeide - das Perlen-Collier, mit großen Türkisen eingefaßt, das ihr der Bräutigam am Nachmittag überbracht, und der Conferenzrath hatte ein schweres Bracelet von den gleichen Steinen und Perlen hinzugefügt.
Ja - sie war sehr glücklich, die junge Braut, - so hatte wenigstens die kleine Josephine gesagt, die morgen ihre liebste, liebste Edda zum Altar geleiten sollte, und vor Vergnügen über all die Trousseau-Pracht den ganzen Nachmittag wie närrisch im Salon umhergetanzt und wohl zehn Mal den Orangezweig sich selbst vor dem Spiegel ausprobirt hatte.
Nur Madame Margaritta Santarez hatte ihr ernst und still beim Scheiden die Hand gedrückt und ihr in die Augen gesehn und gesagt: Schlafen Sie diese Nacht noch recht glücklich - es ist die letzte ohne Sorgen und Schmerzen!
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Ja - gewiß - sie war sehr glücklich; - als der Vater sie beim Gute Nacht auf die Stirn geküßt und sie umarmt, hatte sie zum ersten Mal - Thränen in seinen sonst so kalten diplomatischen Augen gesehn und er hatte ihr gesagt: daß es Thränen der Zufriedenheit mit seinem einzigen Kinde wären.
Ja, auch der barsche wackere Kapitain Lautrec hatte ihr Glück gebracht; denn als er am Nachmittag direkt vom Bahnhof kommend in das Boudoir polterte und sich beinahe auf das prächtige faltenreiche Brautkleid in seiner Ermüdung geworfen hätte, - hatte er ihr da nicht schon unter der Thür zugerufen. »Abgemacht! - ich müßte den alten Lautrec nicht kennen, wenn er seinen Willen und Auftrag nicht hätte durchsetzen sollen. Bei allen sechsundneunzig Kompaßstrichen, habe sie gut zusammengeritten, die Landhaifische und Advokaten! Die ›Josephine‹ ist unser, prächtig aufgetakelt; wie Sie selber morgen nur sein werden mit all dem Plunder da! Kein Nagel fehlt vom obersten Flaggenknopf bis zum Kiel - eine wahre Herrlichkeit der ganze Schooner, und es muß eine Lust sein, mit ihm durch die Wellen zu streichen. Beim großen Monkbar, ich ginge am Liebsten selbst mit dem wackern Jungen und dem schönen Schiff, wenn ich das Wettermädel, die andere Josephine da, die keinem soliden Steuer gehorchen will, nicht erst unter gehörige Seegel und Schiffskommando bringen müßte. Donnerstag, wenn der Wind stehen bleibt und die Passagiere an Bord sind, gehts unter Seegel. Alle Donnerwetter sollen drein schlagen, wenn unsere gute
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Freundin Madame Santarez nicht eine Kajüte hat, wie eine Kaiserin von Frankreich!«
Dann hatte er ihr die Abschrift des Kaufcontrakts des Schiffes und seines Scheinvertrages mit dem neuen Besitzer und Kapitain der schönen Josephine gegeben, an welcher der Herr Hansen Nichts zu ändern gefunden als den Namen, und die kleine Creolin hatte sie durchaus überreden wollen, sich noch am Abend von Monsieur Alexandre, dem ersten Haarkünstler von Paris frisiren zu lassen und lieber die ganze Nacht mit dem Lockenbau in steifer Haltung sitzen zu bleiben, als eine so geschickte Hand an dem Ehren- und Glückstage entbehren zu müssen.
Ja - sie war sehr glücklich! gewiß! Darum hatte sie auch eben das silberne Filigran-Kreuz an die Lippen gedrückt, das letzte Geschenk ihrer längst verstorbenen Mutter, als diese aus dem wunderbaren ›Citronenlande‹ von der sonnigen Riviera zurückgekehrt war, wo sie Heilung gesucht für die kranke Brust! - und wohin sie morgen auf den Flügeln des Dampfes ziehen sollte, nicht mit kranker heilbedürftiger Brust, sondern frisch und kräftig zu den Wonnen der Liebe! - gewiß, darum hatte sie auch eben in so tiefen Gedanken das kleine weiße Täfelchen von Bananenseide so achtlos um die Finger geschlungen, dessen Spinnengewebe sie doppelt durch den Ring hätte ziehen können, den ihr morgen der Bräutigam an den schlanken Goldfinger der rechten Hand stecken sollte, und das ihr der Kapitain eines Tages geschenkt hatte aus den kleinen Raritäten, die er aus Indien mitgebracht hatte,
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der Kapitain, den der alte Lautrec so glücklich mystificirt hatte, und der morgen ihr Schwager sein sollte! ...
»Wer hat Dir den Brief gegeben - keine Unwahrheit,« frug sie hart und scharf. »Sie selbst?«
»Ja Missus - sie selber, - es sein noch keine Stunde her! Missus Adda haben aber kleinem Malacca Mann befohlen, bösen Brief nicht eher abzugeben, als bis Missus ganz allein sein,und haben Sucky gehorchen müssen, da Missus Adda kommandiren über große, schwarze Schlange, die armen Indier das Gehirn aus seinem Schädel saugen können.«
Sie hatte den Brief geöffnet und gelesen, während der Malaye sie verstohlen mit ängstlichen Blicken bewachte. In tiefen Gedanken las sie den Brief und las ihn immer wieder von Neuem, ehe sie zu einem Entschluß kommen konnte, während große Thränen auf das kleine Tuch in ihrer Hand troffen.
»Sucky,« sagte der Laskare und zog sich an der Schläfelocke, die er nach Art der Matrosen von der Scheerung seines Schädels sorgfältig reservirt hatte, als wolle er sich den Kopf damit abreißen - »Sucky sein schlechter Kerl, nicht besser als dummes Meerschwein. Haben Sahib Kapitain versprochen, mit seinem Leben zu wachen über Missis Edda, und haben nicht einmal Muth gehabt, sich lieber von schwarzer Schlange die Augen ausbeißen zu lassen, als Missis Edda Thränen in die Augen zu bringen, die doch hunderttausend Mal mehr werth sein, als die seinen. Bei Mahomed, Sucky sein elender Bursch, wie soll Sucky wagen mögen, zu treten vor Massa Kapitain,
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da er nicht mal kann machen unschuldige Lüge, wenn Sahib Kapitain ihn so ansehen mit sein großen Augen!«
»Tröste Dich, armer Bursch - nicht Du bist es, der mich weinen macht. Du thatest nur Deine Pflicht, mir diesen Brief zu bringen, und es ist gut und klug von Dir, daß Du damit gewartet, bis sie mich endlich Alle allem gelassen. Ich weiß, Du bist treu!«
Der Malaye legte die Hände gekreuzt über die Brust, »O, Missis, Sucky gehn für Missis durch das höllische Feuer, springen in die See, wenn Haifisch rings um Schiff schwimmen.«
»Nein Sucky, ich habe keineswegs die Absicht, Deine Treue auf so schlimme Proben zu stellen,« sagte sie lächelnd. »Du sollst mir nur einen weniger gefährlichen Dienst leisten. Bleibt das Hôtel die ganze Nacht geöffnet?«
»Sein das Thor immer offen und Portier immer in sein Logement, damit Herrschaften nicht gestört werden in Nachtruh' durch Glocke.«
»Man kann also, ohne daß es auffällt, das Hôtel zu jeder Zeit verlassen?«
»Jeden Stunden, Tag und Nacht, Missis.«
»Auch eine Dame?«
»Gehen viele Missus ein und aus, jeden Augenblick. Haben Frauenzimmer hier große Freiheit, mehr als in andern Ländern.«
Er blickte sie verwundert an.
»Und Du weißt die Wohnung von mei ... von Miß Adda!«
»Sein nur ein Mal dort gewesen, aber sehr leicht zu
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finden, brauchen nur Fiakre zu sagen: Da - da ... o, Missis, vortreffliche Einrichtung. Wissen Fiacre so genau Bescheid in diese große Stadt, wie Hochbootmanns Maat in jede Winkel von Schiff.«
»Gut denn - Rue Saint Georges - Rue de la Victoire! - ein kleines spanisches Hôtel. Du sollst mich auf einem Ausgang begleiten, wenn unsere Leute alle schlafen. Es darf Niemand darum wissen, weder mein Vater, noch mein Bräutigam - Niemand, außer Dir!«
»Yes - yes! - Sucky verstehen sehr gut!«
»Dann geh' und komme wieder, sobald Alles ruhig ist!«
Der Laskare schlich auf den Fußspitzen hinaus, man hörte kaum, daß er die Thür öffnete, so durchdrungen war er von seinem Auftrag.
Edda legte einige passende Kleidungsstücke zurecht, einen dunklen Mantel, - einen unscheinbaren schwarzen Hut und großen Schleier. Dann ordnete sie vollends die kleinen Gegenstände auf dem Tisch, legte die eine Hälfte in das Schubfach einer Kommode, die andere kleine, sehr kleine in eine Schachtel, oben auf das genueser Kreuz von Silber-Filigran, das Geschenk ihrer Mutter. Als sie das Bananentuch in die Hand nahm, schwankte sie lange, wohin sie es legen solle - endlich mit einem unbeschreiblichen Aufblick tiefen Seelenschmerzes drückte sie es an das Herz und die Lippen und legte es in die Schachtel, die sie sogleich schloß und umschnürte.
»Warum soll ich es nicht bewahren, ist es denn überhaupt dem Herzen möglich, auch die Erinnerung zu vernichten? - und weiter - will ich ja Nichts!«
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Die Thür öffnete sich leise, das Broncegesicht des Laskaren schaute herein.
»Ist sich Alles still, ganz still, Missis Edda - rühren sich keine Maus mehr in Corridor!«
»Komm herein, Sucky und hilf mir den Mantel umnehmen. - So, nun bin ich fertig! Lösche die Kerzen aus und komm.«
Sie huschte hinaus und drehte den Schlüssel der Thür, nachdem der Laskare ihr gefolgt war. Es war, wie dieser ihr gesagt, Alles still in dem nur matt erleuchteten Korridor. Der Malaye ging voran - trat, wie sie ihn instruirt, an die Glasloge des Portiers, ihn in seinem Kauderwälsch verständigend, daß er noch einmal ausgehen müsse, und während dessen huschte Edda Halsteen aus dem Portal und wandte sich nach dem Platz des Palais Royal, auf dem es die ganze Nacht über nicht an harrenden Fiakren fehlt.
Sobald sie dem Kutscher den Ort bezeichnet, stieg sie mit Sucky ein und der Wagen rollte fort.
Das erwähnte kleine Hôtel wird seit langen Jahren von einer Spanierin gehalten. Es hat etwas Heimliches, Vertrauliches, was vielleicht grade darin liegt, daß der Verkehr nur ein spärlicher ist. Man steigt einige Stufen hinauf zur Thür, die man durch einen Zug an dem Selbstportier öffnet, rechts und links vom Flur sind im Hochparterre Stube und Kabinet. Nachdem er einmal das Haus in dem Gewirr der Straßen gefunden, schien der Malaye vollkommen Bescheid zu wissen, denn er öffnete sogleich die Thür, zündete eins der auf dem Tisch im
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Entrée stehenden Lichter an und führte seine Herrin durch einen kleinen Gang zu einer Thür, vor der er stehen blieb.
»Hier sein Wohnung von Missus Adda,« sagte er auf die Thür deutend, »Sucky bleiben hier draußen auf Flur, gleich da, wenn Missis Edda rufen.«
Sie schüttelte mit dem Kopf, dann klopfte sie.
»Entrez!«
Als sie in das Zimmer trat, das hell erleuchtet war - befand sie sich Adda gegenüber, die hinter einem Tisch vor dem Sopha saß, in ihrer gewöhnlichen dunklen Kleidung.
Wäre ein Dritter zugegen gewesen, er wäre sicher erstaunt über dieses Spiel der Natur - Jetzt, wo das Antlitz Edda's die Spuren eines Seelenleidens und stillgetragenen Grams zeigte und dadurch angegriffen, schärfer als in der früheren Frische und Fülle aussah, jetzt, wo sie fast dieselbe schwarze Kleidung und den dunklen Schleier um Kinn und Wangen gewunden trug, aus dem heraus das blasse Antlitz wie aus einem Rahmen hervorblickte, war diese Aehnlichkeit, ja diese Gleichheit der beiden Frauen wirklich zum Erschrecken und hatte etwas Dämonisches.
Fräulein Halsteen ging auf die Tochter der Lappin zu und bot ihr die Hand.
»Sei gegrüßt, Schwester Adda,« sagte sie milde. »Wir haben uns lange nicht gesehen, ich ahnte nicht, daß Du in Paris warst!«
»So wenig wie Du ahntest, daß ich in London in Deiner und seiner Nähe war. Ich habe Dich nie aus den Augen verloren.«
»Du siehst, daß ich Deinem Wunsche sofort entsprochen
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habe. Es sind ja die letzten Stunden, die ich mein eigen nennen kann, und ich widme sie gern Dir. Glaube mir, daß ich seit jener verhängnißvollen Nacht, und als ich Dich in meinem Schlafzimmer zu Kopenhagen zurücklassen mußte, oft und nur in Liebe an Dich gedacht und immer gehofft habe, Du würdest mich von Dir hören lassen.«
»Es hat Alles seine Zeit, Edda, und diese Zeit ist jetzt da.«
Fräulein Halsteen trat freundlich an ihre Seite, und obschon jene ihre dargebotene Hand nicht genommen hatte, legte sie doch die ihre liebevoll auf die Schulter der Schwarzen, die von dieser Berührung zu erbeben schien.
»Hast Du Dich ganz wieder erholt von jener furchtbaren, mir noch immer unerklärlichen Scene? Ich weiß es jetzt, Schwester Adda, ich weiß durch eine zufällige Begegnung, daß, ich will sagen, Dein Geist, Deine Seele in einer Art von Somnambulismus in jener verhängnißvollen Stunde über die weiten Fernen gewandelt ist!«
»Können Geister, können Seelen - körperliche Dinge tragen, - einen Brief?«
»Ich begreife es nicht - ich ordne meine Gedanken, meine Vernunft in Demuth den Wundern Gottes unter. Wir Menschen begreifen ja so Vieles nicht, nicht das geringste seiner Wunder, die wir doch täglich um uns sehen - das ist eben der Glauben, daß wir glauben, ohne erklären und definiren zu können. Ich weiß, Adda, daß Du dort warst, weit über dem Ocean, und ihm das Leben gerettet hast, ihm, den wir - ja ich scheue mich nicht, es auszusprechen in dieser letzten Stunde, den wir Beide lieben!«
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»Sein Leben hat einen Theil des meinen gekostet, Edda,« sagte die Andere dagegen. »Adda ist nicht mehr dieselbe, die sie war - meine Lebenskraft hat einen harten Stoß erhalten, den sie nie verwinden kann. Aber was thut das - etwas eher, etwas später! Was ist Leben? was ist Sein? - spricht nicht Euer Dänenprinz so ich hörte die Worte ihn sagen von den Brettern des Theaters des Königs! - Ist doch das ganze Leben bloß eine Komödie - Trauerspiel oder Posse - ich glaube das Letztere.«
»Warum so bitter, Adda! - Kann ich Dir irgend einen Dienst noch leisten, so sprich! Du weißt nach Deinem Briefe, der mich im Namen unseres Vaters aufforderte, zu Dir zu kommen, daß ich morgen Paris verlasse.«
»Mit Hansen?«
»Mit meinem Bräutigam!«
»Mit dem Manne, den Du nicht liebst!«.
»Er hat mein Wort!«
»Und Du, willst Dich wirklich opfern - nicht Dich allein, - auch ihn! Du willst einem Manne an Deinem Altare die Hand reichen, den Dein Herz betrügt; - denn Du weißt es, Dein Herz gehört einem Anderen.«
»Ich werde meine Pflichten treu erfüllen, - mehr kann er von mir nicht verlangen! - ich werde mit allen Kräften mich bemühen, zu vergessen.«
»Frage Dich selbst - ob dies möglich ist! - frage Dich, ob Du selbst bei diesem festen Entschluß nicht einen Meineid begehst!«
»Ich habe meinem Bräutigam offen gesagt, daß ich
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ihn achte und schätze, daß ich bereit sei, mein gegebenes Wort zu erfüllen, obschon ich nicht glaube, ihn so lieben zu können, wie ich gedacht habe, daß die Jungfrau den Mann lieben müsse, dem sie sich als Gattin giebt.«
»Und er?«
»Er erklärt sich mit meiner Freundschaft zufrieden - die Liebe der Frau werde sich finden in der Ehe, wenn ich erst sehen werde, wie stark die seine sei.«
Die Schwarze lachte bitter auf. »Und diese schönen Redensarten können Edda Halsteen genügen?«
»Es muß sein! - Ich hoffe, wenigstens nicht unglücklich mit ihm zu werden. Der Segen und die Zufriedenheit meines Vaters sind mit mir.«
»Aber er - er, hat er kein Recht an Dich?«
»Ich habe ihm niemals ein solches gegeben. Klaus Hansen ist ein Ehrenmann - er würde nie etwas gesagt oder gethan haben, was die Rechte seines Bruders hätte verletzen können?«
»Und dieser Bruder, von dessen Ehre Du sprichst, hat er auch so gedacht - hat er dem Bruder die Hand gereicht, um ihn, den Schuldlosen, von Kerker und Schaffot zu retten? Ja - hat er nicht gegen Recht und Billigkeit ihn seiner Habe, seines Vermögens zu berauben gesucht, sein Erbrecht durch trügerische Auslegungen an sich zu reißen gesucht?«
»Adda!«
»Sprich - ist es so oder nicht?«
»Du giebst den Absichten meines - Bräutigams eine zu scharfe Deutung. Johannes Hansen glaubt sich wirklich
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in seinem Recht und streng nach den Gesetzen zu handeln. Auch mein Vater ist dieser Meinung.«
Wieder lachte die Schwarze: »Und Du?«
Edda wandte sich ab. »Klaus Hansen soll nicht dadurch zu Schaden kommen.«
»Weil Deine Güte ihm einen Theil von seinem Recht erstattet hat. Leugne es nicht, - ich weiß, daß Du es warst, welche den Bruder gezwungen hat, das Geld zum Ankauf des Schiffes zu geben, - der Mann, den Du damit beauftragt hattest, war nicht schlau genug, vor mir es zu verbergen.«
»Wenn Du es denn weißt - ja, ich mag nicht leugnen, was ich gethan. Ich glaubte, daß dem jüngeren Bruder Unrecht gethan wurde, und darum habe ich die Erstattung seines Erbrechts in dieser Weise als Bedingung für die Erfüllung meines Wortes gestellt. So wird ihm sein Recht, ohne daß er je erfahren soll, welchen Antheil ich daran gehabt habe! Du siehst, daß dies eine neue Pflicht ist, mein gegebenes Wort zu halten.«
»Und glaubst Du wirklich, daß Du ihm damit Gutes gethan - daß er es Dir Dank wissen kann, Dich für ihn, für schnödes Geld, für seinen Vortheil geopfert zu haben? Glaubst Du nicht, daß Claus Hansen hundert Mal willig sein Erbe hingeworfen hätte für Deine Freiheit, daß er nicht willig lieber als niederster Matrose mit der Arbeit seiner Hände das trockene Brot gewinnen würde, als Reichthum und Wohlleben mit der Opferung des Weibes erkaufen, das er liebt! Geh', Edda Halsteen -
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Du denkst niedrig von dem Manne, dem Du Dein Herz geschenkt.«
Das Mädchen wandte sich verwirrt und beschämt ab bei dem schweren Vorwurf. »Ich denke nicht niedrig von Klaus Hansen - er ist ein Mann in des Wortes vollster Bedeutung, wie ich mir unsere alten Nordlandsrecken gedacht habe - und niemals, so lange ich athme, werde ich an ihm zweifeln. Aber Du selbst irrst Dich, Adda, Klaus Hansen trägt eine andere Liebe in der Brust, die sein ganzes Herz erfüllt, daß kein Raum für mich oder eine Andere darin übrig bleibt.«
»Und wer ist diese Liebe?«
»Schleswig-Holstein - sein Vaterland! Dem allein gehören seine Gedanken, seine Manneskraft! Einem Mann wie Klaus Hansen kann Frauenliebe nie das hohe Ideal ersetzen, das seine Seele erfüllt: - Schleswig-Holstein ist seine Braut, - und glaube mir, ich, die Dänin, die gleichfalls ihr Vaterland liebt, ich sage Dir, er wird sein Ziel erreichen und die freie Braut in seine Arme schließen!«
Adda sah gedankenvoll vor sich nieder - jetzt zum ersten Mal hatte sie ihre Hand auf die der jungen Aristokratin gelegt.
»Sei es so, wie Du sagst, Schwester Edda, es ist eine hohe Braut, um die er freit, und er mag stolz darauf sein, wenn er den Eichenkranz in ihre Locken schlingt und sie heimführt. Aber, Edda, das Herz des Mannes, selbst seine Gedanken, haben immer noch Raum für die Frauen, die sie lieben oder begehrenswerth finden und die Leidenschaft zu ihnen ist oft grade das Mittel, welches sie
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stärkt und antreibt, ein anderes Ziel zu erreichen, sei es ein hohes geistiges, oder eines niederen Ehrgeizes und Gewinns, die Frauen haben im politischen Leben und in den Freiheitskämpfen der Völker immer eine Rolle gespielt, sei es zur Begeisterung, sei es zur Erniedrigung und Verrätherei - denke an den Ort, an dem wir uns befinden. Warum willst Du nicht die anregende, die begeisternde Kraft sein für den Mann, der Dich liebt?«
»Ich habe Dir schon gesagt, Adda, Klaus fühlt wohl Freundschaft, vielleicht Dankbarkeit, doch nicht Liebe für mich.«
»Du selbst glaubst anders in Deinem Herzen, und ich, ich weiß es anders. Hab' ich Dir nicht gesagt, als meine Seele zurückgekehrt von der großen Wanderung - ich wollte, Du hättest jenen Sang unterbrochen und meine Seele wäre weiter geirrt im unermeßlichen Raum, ohne den kleinen Punkt wieder finden zu können, wo Adda's Erdenhülle ruhte? - Deine Stimme war es, die mich zurückrief, und als ich wieder sah und hörte, und Adda's Leib wieder eine Seele hatte zum Fühlen und Denken, da wußte diese Seele, daß sie Nichts mehr zu hoffen hatte in diesem Leben und allein dem großen Gang der Welt gehören und vergehen werde, ohne das zweite Ich gefunden zu haben, in dessen Vereinigung und Ergänzung eben die Aufgabe ist, die der Schöpfer den getrennten Wesen gestellt hat und mit deren Erfüllung sie wieder das Eine, Ungetheilte, Ganze, Vollkommene werden, das zurückkehren darf zu seinem Ausgang und aufgeht im Weltgeist.«
»Ich verstehe Dich nicht ganz, Adda!«
»Es ist die Lehre der Samelaz von der Wanderung
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der Geister, ehe sie gereinigt sind für das ewige Licht. - Doch kümmere Dich nicht darum, was Adda spricht von der Bestimmung der Menschen und den Wegen der Geister - ich weiß jetzt, seitdem sich mein Wissen erweitert hat durch den Verkehr mit den Weisen und Auserwählten, daß der Glaube des verachteten Volkes der Samelaz auch der mächtiger und hochgebildeter Völker des Alterthums und anderer Zonen ist, als jene wo der Lappe im Schnee das Rennthier jagt und den aufgezwungenen Christ anbeten muß. Wir haben Wichtigeres zu sprechen, Edda, was Dich selbst angeht. Darum setze Dich dorthin, mir gegenüber und höre mir zu.
Madaratja, der große Schöpfer des Weltalls, der Vater Baiwes der Sonne vertheilt seine Gaben in Licht und Schatten. Auf dem Wege jedes seiner Kinder ist Beides und Niemand hat das Recht, seinem Nächsten das Licht zu kümmern und ihm Schatten zu geben von Anfang bis zu Ende. Darum, Edda, verlange ich jetzt von Dir, die so lange im Licht gesessen, meinen Theil am Licht, am Leben.«
Die junge Dame sah erstaunt auf die Rednerin, sie verstand in der That nicht, was diese wollte.
»Höre weiter. Es sind lange Jahre her, fünfundzwanzig Mal hat seitdem der junge Mond gewechselt, wo die Sonne nicht untergeht ihren auserwählten Kindern am Horizont, da war ein junges Lappenmädchen, die Tochter eines Nowaïden, des ersten Häuptlings meines Volkes, nach Drontheim gekommen und ihre Augen fanden Gefallen an einem vornehmen Mann, der von der großen
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Dänenstadt zum hohen Norden geflüchtet war, weil er betheiligt gewesen an einer Verschwörung zum Umsturz des Thrones, - und ihre Ohren öffneten sich seinen Schmeichelworten und seinen Betheurungen, daß er sie liebe. Er überredete sie zu fliehen und versprach ihr, sie zum Weibe zu nehmen, und meine Mutter, - warum sollte ich es nicht wagen, Dir zu sagen, daß es meine Mutter war, deren Schicksal ich Dir erzähle! - sie folgte dem schlimmen Rath und ließ den Torne Kaitum, ihren Vater, seinen Fuß allein zur Heimath wenden, denn sie war mit ihrem Verführer entflohen, aber doch nicht eher, als bis er auf einer einsamen Kirche der Inseln durch den Segen eines Priesters ihr seinen Namen gegeben hatte. Und darum, Edda Halsteen, hat Adda das gleiche Recht auf den Namen Deines Vaters wie Du, die Tochter der hochgeborenen schwedischen Gräfin.«
Das Fräulein von Halsteen streckte die Hand nach ihr. »Ich ahnte wohl, daß Du meine Schwester warst; aber ich wußte nicht, daß mein Vater der Gatte Deiner Mutter gewesen war.«
»Was kümmerte den vornehmen dänischen Edelmann die Lappenfrau, nachdem er seine Lust gebüßt. Er verstieß sie in's Elend, und sie bettelte sich zurück in die Heimath mit ihrem Kinde, um dort zu sterben; doch die Zelte ihres Stammes hat sie niemals wieder gesehn.
Aber ehe sie starb, ließ sie ihr Kind einen Eid schwören bei den Dolmas, den Dämonen ihres Volkes, - denn das Kind in Noth und Elend unter den Niedersten und Verderbtesten herangewachsen, war alt genug geworden,
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um das Elend und das Schicksal seiner Mutter und die Ungerechtigkeit der Welt zu begreifen, - einen Eid leisten, sie zu rächen, indem sie den Elenden, der sie betrogen, zwänge, sie als seine Tochter vor der Welt anzuerkennen und dem armen Kinde der Samelaz alles das zu geben, was die Andere haben sollte: Rang, Reichthum, Ehre und Liebe!
Liebe? - ja, sie kann alles das haben, und sie hat Dich darum verfolgt, Schwester Edda, bis zur heutigen Stunde, sie ist bereit Dir Alles zu nehmen, - aber Liebe? - sieh, Edda - die Liebe konnte sie Dir nicht nehmen, obgleich sie willig ihr Leben dafür gegeben hätte; denn die Liebe ist nicht eine Gabe der Olmaks, wie das Gold und die Schönheit, die Liebe ist eine Gabe der weißen Geister, und weil die Zeit gekommen ist zum Theilen zwischen uns Beiden, und daß ich meiner betrogenen Mutter den Eid erfülle, den ich ihr geschworen, bei Biig-Olmai, dem Donnergott, so nimm die Liebe zum Theil; denn Adda hat gesehen, daß Dein Herz und Leib, die ich verderben wollte, rein und gut geblieben sind, und daß Du der Liebe würdiger bist als sie!«
»Adda - Schwester - unglückliche Tochter meines Vaters - was willst Du thun?!«
»Du sagst es selbst, die Tochter Deines Vaters werden, Ehre und Reichthum und den Gatten nehmen! Du wirst dieses Zimmer nicht verlassen, um zu Deiner Hochzeit zu gehen!«
»Adda« - schrie entsetzt die Dänin - »sprich, sage mir - komm, laß uns vereint, Hand in Hand vor meinen
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Vater treten und ihm Alles sagen - sein Herz ist im Grunde gut - ich will Alles mit Dir theilen, - ich will dieser Heirath noch im letzten Augenblick entsagen ...«
»Nein« - sagte die Schwarze hart - »glaubst Du, daß die Natur uns umsonst so ähnlich gemacht? Ich bin die ältere Schwester, ich gehe Dir vor! - mein sei jener Mann - er empfängt meine Hand statt der Deinen - die Braut, die dieses Zimmer verläßt, bin ich!«
»Unmöglich!« und sie machte eine Bewegung nach der Thür zu eilen.
Abda streckte die Hand gebietend aus. »Willst Du die Ehre Deiner Mutter im Grabe schänden?«
»Meiner Mutter?« sie taumelte wieder auf den Sitz und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
»Ja, Deiner Mutter, der stolzen Gräfin, die ihre Hand einem Elenden gab, der noch nicht berechtigt war, sie zu nehmen; denn Edda, - als Du geboren wurdest, lebte meine Mutter noch, zwar fern von Kopenhagen im Elend, dort wo die Natur mit eisiger Kälte alles Leben erstarrt - aber Jaime-Akko, die Göttin des Todes hatte noch nicht die kalte Hand auf ihre Stirn gedrückt - geh', ich kann es beweisen mit den Zeugnissen der Christen - und ich schwöre Dir, fügst Du Dich nicht meinem Willen, so trete ich morgen vor dem Altar Deiner Kirche, ehe der Priester Deines Glaubens den Segen gesprochen hat über Dich und den Mann, den Du in Deinem Herzen mehr täuschen würdest, als ich thue, indem ich an Deine Stelle trete, und rufe Deines Vaters Verbrechen aus, die
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Schmach Deiner Mutter und die Strafe des Gesetzes auf sein schuldig Haupt! - Wähle!«
[»]O, Adda - erbarme Dich meiner - seiner!«
»Des Mannes, der Dich zur Frau begehrt, um auf der Leiter des Namens die Stufen seines ehrgeizigen Strebens zu erklimmen, indem er sein Vaterland verräth und sich zum Schergen der Tyrannei macht! Er hat so wenig ein Herz, wie der Mann, den wir Vater nennen und der uns verspotten würde, wenn wir, wie Du willst, Hand in Hand zu ihm träten und sagen wollten: wir sind Schwestern, gieb uns gleiche Rechte! - Nein, Edda - ich frage Dich nochmals - was entgeht jenem Mann, den Du zum Gatten gewählt? Bin ich nicht schön wie Du? Dasselbe Weib, das seine Sinne begehren, und das er meinetwegen lieben mag, so viel er will! - Frage einen Monat nach der Hochzeit, ob er den Tausch bereut, den Tausch des Eises gegen die Lava des Aetna - denn ich will ihn berauschen, entzücken, ihn tödten in Liebesgluth, wenn es ihm darauf ankommt, nicht auf die bloße Erreichung seines ehrgeizigen Ziels.«
»Adda - ich habe mich ihm verkauft - meine Ehre verpfändet für jene Theilung der Erbschaft ...«
»Thörin - er soll nicht einen Sous seines Geldes einbüßen, - ich bin reich - ich hätte zehn Mal jenes Geld geben können, das Du erbetteltest, um jenes Schiff zu kaufen - und ich weiß, wo des blanken Silbers noch genug zu holen wäre, hundert, tausend Mal mehr, denn ich bin die Erbin Torne-Kaitums und weiß das Geheimniß der Silberminen jener Berge. Aber was kümmern
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mich all' die Schätze, wo ich seine Liebe nicht dafür kaufen kann. Dir habe ich das stolze Glück überlassen, sein Recht zu wahren, seine Zukunft zu sichern, und für Alledies, für Dein eignes Glück zauderst Du mir den ungeliebten Mann zu überlassen? Die Spanne Zeit eines Lebens voll Hohlheit und Eitelkeit?«
»Quäle mich nicht, Adda - mein Gewissen verbietet es mir, auf Dein Verlangen einzugehen - ich darf nicht täuschen - lieber nimm Jenen, - liebe ihn, wie ich ihn geliebt hätte - ich entsage ihm, selbst jedem Gedanken an ihn, - täusche ihn, wie Du den Bruder täuschen willst, - sage - sage - Du seist Edda ...« und sie preßte die Hände vor die Augen und bittre Thränen quollen durch ihre zarten Finger und ein heftiges Schluchzen erschütterte ihren ganzen Körper.
»Wie, Adda - Adda die Buhlerin, die Verworfene - die - die sollte das Weib von Klaus Hansen werden, den ich Dir, der Reinen, Würdigen gebe - und das kann Dein Ernst sein? - Edda - Schwester - sieh ich habe Dich gehaßt und bekämpft bis zu jenem Augenblick, da ich in der Gefahr des schimpflichen Todes von seinen Lippen Deinen Namen hörte, - während ich meine Seele hingab, ihn zu retten - da Edda, da wußte ich, daß die seine und die Deine bestimmt sind, sich zu verschmelzen in dem großen Weltall, und daß Adda verschwinden muß in das Nichts, wie der Hauch dem Winde gehört, und der Tropfen dem Meer nach dem Tode des Leibes; denn nur die Würdigen und Glücklichen sind es, denen der Schöpfer die ewige Fortdauer bewilligt hat. Sei glücklich, Schwester,
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und ehre die Geheimnisse der Natur, die Dir das Glück sichern hier und auf einem andern Stern!«
Sie breitete die Arme aus und Edda sank schluchzend an ihre Brust, und unter dem Kuß, den die Schwester auf ihre reine Stirn drückte, wieder und wieder, fühlte sie, wie ihre Sinne schwanden und es wie eine dichte Wolke aufstieg vor ihren Augen und ihren Gedanken, bis diese vergingen und verschwanden in das unfaßbare, unbegreifliche Nichts!


Es waren zwei Stunden vergangen, als die Thür sich öffnete, und die Hand seiner Herrin sich auf die Schulter des kleinen Laskaren legte, der trotz seines Vorsatzes zu wachen, eingeschlafen war auf dem Stuhl am Tisch, der die Lampe trug, die am Erlöschen war.
»Komm - es ist die höchste Zeit heimzukehren - in wenigen Stunden geht der Zug nach Hâvre, der Dich zu Deinem Herrn trägt - lange bevor sie mich zur Kirche führen.«
Er taumelte rasch empor und rieb sich die Augen, neben ihm stand seine Herrin, Mantel und Schleier umhüllten bereits ihre Gestalt und ihr Gesicht. Er sah nur, wie dieselbe Hand, die ihn geweckt, einen schmalen Zettel unter die Lampe schob, während er auf den Wink der Herrin die äußere Thür öffnete, und diese hinter ihr wieder schloß.
»Nach dem Boulevard - dort stehen Wagen - aber befiehl am Platz des Palais Royal zu halten.«
Noch brannten die tausend Gasflammen, noch war
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die graue Morgendämmerung fern - noch zogen nächtliche Schwärme, die Gäste der Café's und Restaurants über die breiten Trottoirs. -
Die Portiers der pariser Hôtels sind zu gewöhnt an allerlei Treiben und Gänge der Fremden, zu diskret, um danach zu forschen und zu fragen. - Der Laskare Suky hatte glücklich seine Herrin in das Hôtel, nach dem Korridor, nach ihren Gemächern zurückbegleitet, er hatte schmerzlich und mit tausend Segenswünschen ihre Hand geküßt und ihr alles mögliche Gute und Glück gewünscht, was der Prophet und der Christengott nur seinen Kindern auf Erden bereiten könne, und war dann nach seiner Kammer geschlichen; denn wie vorher bestimmt war, sollte er mit dem Morgenzug um 7 Uhr 25 Minuten abfahren nach Hâvre zu seinem geliebten Herrn, und Miguel, der neue Freund wollte ihn zum Bahnhof begleiten, da er ja drei Tage später selbst mit seiner Herrin folgen sollte, um sich einzuschiffen auf der ›Josephine‹ nach der Havannah, wozu Kapitain Lautrec bereits Alles in schönste Ordnung gebracht hatte.


Die lutherische Kirche (Eglise des Carmes) befindet sich im 7. Arrondissement, in der Rue des Billettes Nr. 16.
Am Nachmittag um 2 Uhr geht der Zug nach Culoz und Genf - die Glücklichen, die ihre Brautreise machen, - fahren gewöhnlich bis Maçon, und von da am andern Tage, wenn sie nicht zu ermüdet sind, - über Culoz zum berühmten Genfer See, oder gleich über Aix und Chambery zur Riviera und dem Lande der Citronen.
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Man fährt die Rue Rivoli entlang, am Tour Saint Jacques vorbei, diesem berühmten Denkmal des alten Paris, das selbst die Rasirungen des Herrn Haußmann, des Seine-Präfekten, stehen lassen mußten, zum Stadthaus und über den Boulevard Sebastopol, um zu der Kirche der Protestanten zu gelangen.
Um 11 Uhr des Vormittags hatten die Gaffer des Viertels das Schauspiel einer vornehmen Hochzeit. Die Braut in weißem Atlas mit dem Orangenzweig, dem Geschenk der Kaiserin geschmückt, wurde von der Gräfin Moltke, der Hofdame Fräulein von Kervague und der überaus kostbar toilettirten, mit Brillanten fast überladenen jungen Creolin, Mademoiselle Josephine Lautrec zum Altar geleitet; der Bräutigam vom Kammerjunker von Scheele, dem Vicomte von Bressolles und seinem künftigen Schwiegervater, der zur Anerkennung der - Erfolge seiner Mission neben dem dänischen Elephantenorden zum ersten Mal das am Morgen erhaltene Kreuz der französischen Ehrenlegion trug.
Die Braut war sehr schön und sehr blaß, aber sie hatte mit fester Hand, wenn auch etwas verschnörkelten Buchstaben, auf der Mairie ihren Namen eingezeichnet, und als sie jetzt an der Hand ihres Gatten aus dem Seitenportal der Kirche trat und den Wagen bestieg, überflog ihr Auge mit einem stolzen Blick das glänzende Cortège und sie erwiederte zärtlich den Händedruck ihres Gemahls und den Kuß, den er im Wagen auf ihre Lippen drückte, während die Gamins und die Weiber, die eben ihr
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Bündel aller Kleider und Wäsche zum Mont de Piété35 in der Straße de Paradies brachten applaudirten.
Da kein Hochzeitsmahl in einem der fashionablen Restaurants gehalten werden sollte, war nur das Dejeuner in dem kleinem Saal des Hôtels servirt und die schöne Braut bald verschwunden, um die Reisetoilette zu machen, denn der Wagen, der sie zum Lyoner Bahnhof führen mußte, wohin die neuengagirte Kammerjungfer mit dem Gepäck und dem Diener des Bräutigams bereits vorangegangen, sollte um Punkt 2 Uhr in der Auffahrt des Hôtels stehen.
Er war sehr zärtlich und sehr stattlich, der Vater der Braut, der Herr Konferenzrath Kammerherr Halsteen, als er endlich die junge Frau zum Wagen führte, und Monsieur Drämel und das ganze Personal des Hôtels bis zum Küchenjungen herab komplimentirte und knixte und gratulirte à Conto der Trinkgeldposten in der Rechnung, bis der Wagen verschwunden war, und der Kammerherr schien es gar nicht gemerkt zu haben, wie eisig kalt die Lippen der jungen Frau gewesen waren, als er ihr die hagere Wange zum Kuß gereicht hatte - war er doch wenig an Zärtlichkeiten seiner Tochter gewöhnt und hatte diese doch jetzt ganz andere Dinge zu küssen, als die gepuderte und geschminkte Wange eines alten Diplomaten! Er wünschte Gottes Segen hinter ihr drein und rieb sich die Hände, vergnügt, seine Tochter glücklich versorgt zu haben, und sie in drei Monaten in Kopenhagen der allmächtigen
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Gräfin Danner als junge glückliche Frau vorstellen zu können.


Ein Brief lag auf dem Tisch, als sie spät am Nachmittag aus dem tiefen ohnmachtähnlichen Schlaf auf dem Bett des Alkoven erwachte und nach dem dunklen Kleide auf dem Stuhle griff und es überwarf.
Nein - es war nicht das ihre - aber es paßte ihr doch! - Sie strich erschrocken mit der Hand über die Stirn, als wolle sie ihre Gedanken sammeln - mit einem Aufschrei sprang sie empor und stürzte durch die Glasthür in das vordere Gemach.
Alles leer!
Es war noch hell genug, daß ein Blick auf die Pendule über dem Kamin ihr die Stunde zeigen konnte - sechs Uhr - unmöglich, das konnte nicht die Morgenstunde sein - »Schwester - wo bist Du?«
Auf dem Tisch leuchtete es weiß, - das Couvert.
Es war überschrieben an sie - mit fiebernden Pulsen riß sie es auf, entfaltete das Blatt:
               Schwester Adda!
Denn Du bist Adda! - oder willst Du Edda, die, wenn Du diese Zeilen liesest, Stunden und Meilen von Dir entfernt an der Seite des Mannes, den das Wort des Priesters und die Schrift des Beamten zu dem ihren gemacht, auf den dämonischen Flügeln des Dampfes dahinbraust in ein fremdes Land, verfolgen, schmähen, vernichten mit dem noch schnelleren Steckbrief des Telegraphen?
Willst Du den Mann, den Du bisher als Vater geehrt, wenn auch nicht geliebt hast, zum Verbrecher stempeln - die stolze Mutter, die Dich gebar, in ihrem Grabe zur Metze machen?
Du änderst Nichts mehr, Adda an dem was geschehen, was geschehen mußte - ich - die Aeltere habe nur Dir, die ich zu schützen, zu lieben von der Natur bestimmt war, die bittere Wahl, den Kampf erspart, wie die Mutter dem Kinde die Wahl erspart, in der es thöricht nach dem Schädlichen greift, damit es sich selbst verletze.
Du hast einen hohen, starken Geist, Adda, - so trage denn auch hoch und stark das, was Dein Gott Dir beschieden - steige herab aus den glänzenden Marmorsälen der Fürsten, und schmücke das hölzerne Haus des Seemanns auf dem rastlosen Ocean oder der einsamen Klippe mit den Blumen, welche die Liebe bricht und die herrlicher leuchten, als Schmuck und Gold. Ich - weiß es ja nicht, aber ich denke, so muß es sein!
Nimm - ich legte es gestern bereits in Deine Hand - es ist das Passagierbillet für eine Ueberfahrt nach den Antillen an Bord der Josephine, Kapitain Hansen, von Hâvre zum 22. April für Adda Torne. Fühlst Du Dich nicht stark genug, über den Ocean zu gehen für ihn, wie ich gegangen bin in jener Nacht - wohl, so zerreiße das Blatt. Aber zuvor bedenke, daß, wo ich nur seinen Leib gerettet, Du seine Seele retten magst vor entnervendem Gram für seinen großen Zweck, für sein Vaterland.
Mach aus dem Mann einen Helden und Du wirst Edda segnen.
Ich nehme Dir Dein Eigenthum - in dem dritten Schubfach des Schreibtisches zur Linken findest Du die Schlüssel und ein Portefeuille - es ist dafür das Deine! Nimm es von der Schwester, die Dich bestahl, wie Du sie bestohlen hast!
Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich Dich wiedersehn! Der Gott der Christen sei mit Dir und Ihm!
               Edda Hansen.


Sie hatte die Kerzen angezündet und die Dame des Hôtels rufen lassen.
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Señora - Madame - Donna Felicia Gomez war erschienen, eine gewandte, kluge Frau, gegen die Gewohnheit ihrer Landsmänninen ziemlich still und schweigsam.
»Madame,« sagte die Wirthin, »haben heute sehr lange geschlafen. Ich fand diesen Morgen Ihren Befehl, Sie nicht zu stören - und hatte es daher verboten.«
»Ich bin erst spät in's Hôtel zurückgekehrt und habe eine schlaflose Nacht gehabt, da ich Vieles zu überdenken hatte.«
»Madame sehen in der That angegriffen aus. Kann ich Ihnen mit irgend etwas dienen?«
»Das können Sie allerdings. - Erhaltene Nachrichten nöthigen mich eine Seereise anzutreten - wann gehen die Züge nach Hâvre?«
»O, - sieben Mal des Tages Madame - Madame können fast alle Stunden abreisen - Aber Madame wollen doch nicht allein eine vielleicht weite Reise antreten - oder gehen Madame bloß nach London - verzeihen Madame meine Frage, aber es ist nicht Neugier sondern Theilnahme, die mich sie thun läßt.«
»Eben deshalb wollte ich mit Ihnen davon sprechen, und mir Ihren Beistand erbitten. - Ich möchte eine zuverlässige Person als Kammerfrau engagiren, nicht ganz jung mehr - die den Muth hat, mich nach Amerika zu begleiten. Wenn sie mir gefällt, werde ich nicht karg sein in den Bedingungen, und jedenfalls für die Kosten ihrer Rückfahrt sorgen.«
Die Señora sann einige Augenblicke nach, dann frug sie: »Sprechen Madame Spanisch?«
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»Nein - obschon ich nach dem spanischen Theil von Amerika gehe.«
»Das ist schade!«
»Warum?«
»Weil ich Ihnen sonst einen Vorschlag zu machen hätte. Auch brauchten Madame die Fahrt nicht ganz ohne männlichen Schutz zu unternehmen.«
»Wie meinen Sie das?« frug die Dame etwas kurz. »Ich bedarf dessen nicht.«
»Pardon - ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich wollte nur bemerken, daß ein Offizier der Douane, der in einem Kampf mit den Schmugglern an den Pyrenäen schwere Verwundungen erhielt, auf Verordnung der Aerzte eine stärkende Seereise unternehmen soll und daher beabsichtigt, eine Dame, die zur Erhebung einer Erbschaft nach der Havannah geht, seine Verwandte, dahin zu begleiten. Die Dame, die im Louvre-Hôtel wohnt, hat Passage von Hâvre bereits genommen und geht schon in einigen Tagen dahin ab, um sich auf einem Seegelschiff einzuschiffen.«
»Im Louvre-Hôtel?«
»Ja, Madame - sie heißt Madame Santarez und der Offizier heißt Monsieur Dalbond.«
»Ich danke Ihnen - vielleicht werde ich mit ihnen zusammentreffen und mich dann Ihrer Empfehlung erinnern. Aber was war es mit Ihrem anderen Vorschlag?«
»Er entspricht freilich nicht Euer Gnaden Wünschen - denn die Person, die ich meine, ist jünger als Sie - es ist eine entfernte Verwandte von mir, aus Spanien - ihr Bruder, der ein berühmter Stierkämpfer war, hat
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in dem letzten Carneval bei einem Stiergefecht vor der Königin in Madrid das Unglück gehabt, von dem Stier auf seine Hörner gespießt und getödtet zu werden. Die kleine Jacquinta, deren einziger Schutz ihr Bruder war, behauptet zwar, daß derselbe eine hohe Summe Geldes hinterlassen habe, die kurz vorher von den Kavalieren, welche die Quadrilla veranstaltet hatten, ihm in Voraus gezahlt worden sei, aber die Polizei will kein Geld bei ihm gefunden haben und hat sie einfach aus Madrid verwiesen. In ihrer Noth hat sie sich daran erinnert, daß ich ihre einzige Verwandte auf der Welt bin, und hat die Gelegenheit benutzt, mit einer englischen Herrschaft, die nach Frankreich reiste, hierherzukommen und will sich hier einen Dienst suchen, obschon sie nur wenig Französisch und Englisch versteht. Heilige Madonna, als ob es hier nicht der Mädchen genug gäbe, die auf jeden guten Dienst lauern, obgleich ich gern glauben will, daß sie willig und gewandt sein würde.«
»Ich würde freilich eine ältere, gesetzte Person vorziehen.«
Die Hôteliere zuckte die Achseln.
»Wollen Sie mich das Mädchen sehen lassen? Wahrscheinlich habe ich sie schon gesehen im Hause, denn sie hat wohl mein Zimmer aufgeräumt.«
»Sehr gern, Madame!« Und sie rief aus der Thür mit schriller Stimme: »Jacquinta! Jacquinta!«
Das junge Mädchen erschien - es war in der That die Paxarilla, und die Erzählung ihrer würdigen Tante vollständig richtig, bis auf den kleinen Umstand, daß sie nicht mit einer englischen Familie gekommen war, sondern
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mit einem jungen Mitglied der Contrabandista, das die Gesellschaft nach Frankreich geschickt, um Waaren einzukaufen und das sie in Bayonne im Stich gelassen hatte. Es ist für ein hübsches, junges Mädchen nicht allzuschwer, von Bayonne bis Paris zu kommen, auch wenn sie keinen Heller in der Tasche hat.
Obschon das frühere Blumenmädchen den Wünschen der Dame grade nicht besonders entsprach, befand sich diese doch augenblicklich zu sehr in Verlegenheit, namentlich da sie so schnell als möglich Paris verlassen wollte, und Paxarilla wurde deshalb engagirt, wobei ihre neue Gebieterin Madame Gomez eine Summe aushändigte, das Mädchen so rasch als möglich mit allen Bedürfnissen zur Reise zu versehen.
Die Paxarilla klatschte vor Freude in die Hände, und ihre naive Fröhlichkeit und Dankbarkeit söhnte einigermaßen ihre Gebieterin mit den andern Uebelständen des Engagements aus. Da in Paris für Geld Alles in wenig Zeit zu haben ist und auch Señora Gomez wünschte, daß ihrem Gast nicht erst der gefaßte Entschluß wieder leid werden möge, wurde beschlossen, daß die Abfahrt nach Hâvre schon am andern Mittag stattfinden solle.


Der Kapitain Claus Hansen stand auf dem Hinterdeck des schönen Fregatt-Schooners, der bisher denselben Namen geführt hatte, wie die Plantage des reichen Pflanzers auf Guadeloupe und den er nur aus Achtung für den Mann nicht geändert, der sich so wacker als sein Freund erwiesen, und ihm so hohes Vertrauen gezeigt hatte.
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Es war am zweiten Abend nach dem Hochzeitstage Edda Halsteens mit seinem Bruder, einem Tag, an dem der junge Kapitain Niemand vor sich gelassen und selbst seinen alten Vertrauten Suky nach kurzem Willkommen von sich gewiesen hatte.
Jetzt schritt er in tiefen schweren Gedanken auf dem Gangweg des stattlichen Schiffes auf und nieder und hörte schweigend den Erzählungen des Laskaren zu, der unverdrossen neben ihm auf und niedertrabte und nicht müde wurde, von seiner Herrin zu erzählen, obschon kein Wort der Ermunterung über die festgeschlossenen Lippen des Kapitains kam, die sich nur hin und wieder öffneten, wenn sein erster Offizier kam, um irgend einen Befehl für die wacker arbeitende Mannschaft entgegen zu nehmen.
Offiziere wie Mannschaft hatten längst gesehen, daß sie es mit einem Kommandeur zu thun hatten, der sein Gewerbe aus dem Grunde verstand und nicht mit sich scherzen ließ. Die tiefe schwere Falte, die seit drei Tagen auf seiner Stirn lag, hätte ohnehin nicht dazu ermuntert, und obschon Kapitain Hansen viel zu billig und gerecht dachte, um die, vor der Abfahrt eines Schiffes stets gewährten Freiheiten einer Mannschaft im Geringsten zu beschränken, hatte er doch Strenge genug gezeigt, um jede Ueberschreitung dieser Gränzen ferne zu halten.
Jetzt wartete das Schiff nur noch auf die Ankunft der letzten Passagiere mit dem Abend- oder Nachtzug, um dann am Morgen die Anker zu lichten und sich von dem Remorqueur auf die Außenrhede bugsiren zu lassen.
Es war das erste Mal, daß Kapitain Hansen
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ausführlich die wunderbare Erzählung von der Wanderung des verhängnisvollen Briefes über den Ocean aus dem Munde des Laskaren gehört hatte, und obschon er mehrfach ungläubig den Kopf dazu geschüttelt, hatte er doch keine einzige weitere Frage darüber gethan - vielleicht, weil er zu sehr Seemann war, um sich alles Wunderglaubens entschlagen zu können, - als er unter den zahlreichen Booten, welche mit hundert Gegenständen der Verproviantirung für die lange Seereife, mit Wäsche und abschiednehmenden Weibern und Kameraden der Matrosen noch an Bord kamen und gingen, in einem zum Fallreep rudernden Boot zwei Frauen bemerkte, eine, in dunklen einfachen Mantel und Schleier gehüllte Dame mit ihrer Begleiterin, einem jungen Mädchen. Kapitain Hansen gab dem wachhabenden Offizier einen Wink, die Dame, die den Koffern und Schachteln nach wahrscheinlich zu den erwarteten Passagieren gehörte, zu begrüßen, und ging dann, um der bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Bestürmung des Kapitains mit Fragen zu entgehen, in die allgemeine Kajüte hinab.
Aber schon nach einigen Minuten klopfte der Offizier der Wache achtungsvoll an seine Thür und meldete, daß die angekommene Dame den Kapitain zu sprechen wünsche.
»So lassen Sie dieselbe eintreten, Monsieur Lecouville!«
Der Offizier öffnete die Thür und die Dame in Schwarz trat allein ein.
Sie blieb einige Augenblicke schweigend vor ihm stehen. Eine eigenthümliche, ihm selbst unerklärliche Bewegung
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überlief den starken Mann, als er auf diese Gestalt blickte, die ihm immer noch schweigend das gelöste Passagebillet hinreichte. Auch Suky, der Laskare, der ohne eine Aufforderung abzuwarten, seinem Gebieter zur Kajüte gefolgt war und hinter ihm stand, betrachtete mit weitgeöffneten Augen die Erscheinung.
»Madame Torne,« las der Kapitain - »es scheint nach dem Namen, eine Nordländerin. Erlauben Sie mir, Madame, Sie an Bord meines Schiffes zu begrüßen und um Ihre Befehle zu fragen. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß ich Alles aufbieten werde, Sie die Wahl dieses Schiffes nicht bereuen zu lassen.«
»Ich hoffe es, Kapitain Hansen,« sagte eine tiefe, wohllautende Stimme, die ihn noch mehr erbeben machte. Zugleich schlug die Hand der Dame den dunklen Schleier zurück.
»Adda!«
»Missis Edda!«
Er starrte sie sprachlos an, der Laskare hob die beiden Hände hoch in die Höhe und riß den breiten Mund auf, als wolle er in ein Jubelgeschrei ausbrechen, aber ein eiskalter Blick der Dame fesselte den Laut auf seinen Lippen.
»Ich wollte nicht mit Herrn Klaus Hansen, sondern mit dem Kapitain dieses Schiffes sprechen,« sagte die Dame kalt; »was sonst uns berührt, muß vergessen sein, oder ich muß in diesem Augenblick wieder Ihr Schiff verlassen, Herr Kapitain, und den Abgang des nächsten Dampfers abwarten. Ich bitte Sie nur, als um eine persönliche Gefälligkeit für Adda Torne, mir die Erörterungen
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ersparen zu wollen, die vielleicht eine unglückliche Aehnlichkeit bei den mit der Gemahlin Ihres Herm Bruders bekannten anderen Passagieren hervorrufen könnte.«
»Verzeihen Sie - mein Erstaunen - ich kann noch immer kaum die Fassung gewinnen ...«
»Sie werden die Güte haben mir die Kajüte anweisen zu lassen, auf welche dieses Billet lautet, und die ich mit meinem Mädchen theilen werde, für die ich die Passage noch zu entrichten habe. - Ich bitte darum.«
Der Kapitain - tief erschüttert, - alles Blut schien aus seinem Antlitz gewichen - antwortete mit einer stummen Verbeugung und ging, die Thür der Privat-Kajüte zu öffnen.

Ein Vorläufer Bismarck's!

Es ist doch eine merkwürdige Welt voll Inconsequenz, - und die Anschauungen, Leidenschaften und Thaten der Menschen in ihr sind so heterogen und zusammengewürfelt, wie die Flicken einer Narrenjacke, - man müßte lachen über sie, wenn nicht zwischen all' den bunten Lappen auch so oft der rothe Flicken Blut und der schwarze Tod sich vordrängten. Was hier Recht - ist dort Unrecht, für dasselbe Ziel erhebt sich hier der Mörderdolch, weil es erstrebt wird, und dort, weil es nicht erstrebt wird! Tugend und Verbrechen, Heldenmuth und Feigheit, - Erhabenes und Jämmerlichkeit, Begeisterung und Apathie - es kommt nur darauf an, wer es registrirt in die große Encyclopädie, genannt Weltgeschichte, und die Färbung der Brille, durch welche man's anschaut!


Wir sind wiederum in Italien, - auf einer jener prächtigen Villen, die am rechten Ufer des Po und am Abhang der Hügelkette, welche dem Strom von Moncalieri bis Casale folgt, liegen, - wir sagen nur Hügelkette,
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weil diese Berge dem großartigen Amphitheater der Savoyer Alpen gegenüber mit dem Mont-Cenis, Montblanc und Monte Rosa zu Hügeln zusammenschmelzen.
Klöster, Schlösser, Landhäuser zieren in großer Zahl diesen Berghang, und allen öffnet sich die prächtige Aussicht auf die fruchtbare Thalebene des Po mit seiner lebendigen Schifffahrt und die große gewerbreiche Hauptstadt Piemonts.
Es ist die Villa Cavour, der schöne ländliche Aufenthalt, in den sich der große Regierungs-Agitator, der Einiger Italiens zurückzieht, wenn seine Amtsgeschäfte als Minister-Präsident und Minister des Aeußern - zur Zeit führt er sogar noch das Portefeuille der Marine! - ihm einen Tag oder wenigstens einige Stunden frei lassen.
Ein solcher Tag - am Ende des März - wo in Ober-Italien der Frühling sich bereits in lieblicher Pracht entwickelt, ist es, an welchem wir den Leser in das Tusculum des großen modernen Staatsmannes führen, der so geschickt die Lehre des III. Napoleon's von dem Recht der Nationalitäten zur Erfüllung der Pläne seiner Jugend und seines ersten Mannesalter, zum Besten seines Königlichen Herrn auszubeuten verstanden hat.
Wir haben - wenn auch einzelne Scenen unserer früheren Darstellungen die Person desselben in sich verwebten, - doch nicht Gelegenheit gehabt, uns näher mit dem italienischen Minister zu beschäftigen und tragen es hier nach.
Camillo Cavour war im Jahre 1809 in Turin geboren und der Sohn eines reichen Getreidehändlers aus
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der Grafschaft Nizza, der von König Carlo Alberto geadelt wurde. Er hatte sich frühzeitig dem Studium der National-Oekonomie zugewendet, betheiligte sich an der Redaktion constitutioneller Blätter und 1847 an der Adresse an den König, welche um Ertheilung einer Constitution für das Land petitionirte. Zum Mitglied der Kammer gewählt, wurde er von dem neuen Minister-Präsidenten Victor Emanuel's, dem Marquis d'Azeglio, 1850 in das Ministerium berufen und erhielt das Portefeuille des Handels, im Jahre darauf das der Finanzen dazu.
Schon damals, als Azeglio dem König die Berufung Cavour's vorschlug, hatte Victor Emanuel Scharfblick genug, ihm zu sagen: Aber sehen Sie nicht, daß dieser Mann Sie Alle ausstechen wird? -
Der neue Minister hatte die schwere Aufgabe, die durch einen unglücklichen Krieg (1849) zerrütteten Finanzen zu ordnen und die Mittel herbeizuschaffen, welche die Reorganisation eines Staates, der seit einem Menschenalter alle politischen und wissenschaftlichen Fortschritte vernachlässigt hatte, unumgänglich nothwendig machte. Und der neue Finanzminister löste in der That diese Aufgabe.
Schon 1852 legte er zwar sein Portefeuille nieder, aber wiederum schon im Oktober desselben Jahres, als d'Azeglio wegen des Zerwürfnisses mit der Curie, die den neuen Kirchengesetzen den leidenschaftlichsten Widerstand entgegensetzte, zurücktrat, stellte ihn der König auf seines Vorgängers Rath an die Spitze des neuen Kabinets mit dem Portefeuille der Finanzen, dem später das des Auswärtigen folgte.
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Von einer festen Majorität der Kammer unterstützt, verfolgte er seitdem eine liberale und nationale Politik, auf die Grundsätze der Constitution von 1848 gestützt, die ihn bald in heftige Collision mit der Geistlichkeit Sardiniens brachte, gegen deren Widerstand er den Verkauf der Besitzungen zur todten Hand durchsetzte und den religiösen Orden das Monopol des Unterrichts entzog.
Schon damals drohte der Papst, über ihn und den König den Kirchenbann zu verhängen und zwang ihn, die Einführung der Civilehe und die vollständige Befreiung der Laien von der Herrschaft der Kirche wenigstens zu vertagen.
Der freisinnigeren Politik im Innern schloß sich in seinen Bestrebungen die nationale auf eine Einigung Italiens unter dem Hause Savoyen an, die er nie aus den Augen verlor, und für die er selbst den Gegnern seiner Tendenzen Opfer brachte und Concessionen machte, so den offenen Republikanern unter Mazzini und Garibaldi, durch die Verbindung mit ihnen, und dem Kaiser Napoleon durch die Abtretung von Nizza und Savoyen und die Maßregeln gegen die politischen Flüchtlinge nach dem Orsinischen Attentat.
Diesen auf die Zukunft spekulirenden Plänen war auch der Anschluß an England und Frankreich beim Krimkriege zuzuschreiben und die nach Beendigung desselben baldigst eintretende Wieder-Annäherung an Rußland durch die Ueberlassung des Hafens von Villafranca.
Graf Cavour war niemals verheirathet, die Schaffung eines einigen, von der Herrschaft der Kirche und
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der Bourbonen emancipirten Italiens allein die Braut, um die er rang.
Die Repräsentation seines Hauses machten die Töchter seines Bruders. Der Sohn desselben sollte sein Erbe sein, als der einzige männliche Sproß der Familie, die mit ihm im Mannesstamm auszusterben drohte.
Der Graf hegte eine große Liebe zu seiner jüngern Nichte - der Contessa Marietta, der glücklichen Verlobten eines Grafen Castelgufo, den Cavour zu seinem Schüler in der Politik auszubilden sich bemühte und für die diplomatische Carrière bestimmt hatte. Im nächsten Spätherbst sollte die Hochzeit sein und der junge Diplomat dann einer der größeren Gesandtschaften attachirt werden.36
Aber selbst in seinem Tusculum - dem er vielleicht deshalb den Namen Varcina37 gegeben hatte, - war der Minister-Präsident keineswegs vor zahlreichem Verkehr gesichert, und es besuchten ihn hier in seiner Villeggiatura außer den Freunden der Familie die hervorragenden Fremden und zahlreiche Personen, die er eingeladen oder denen er ein ungenirteres Rendezvous gegeben, als in dem Ministerpalais der Hauptstadt.
So zahlreicher, rasch aufeinander folgender Besuch
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schien sich auch heut schon am Vormittag eingefunden zu haben, denn auf dem Vorplatz der Villa hielt eine elegante Equipage mit reich gallonirtem Jäger auf dem Bock, und ein Stallbube führte eben ein von scharfem Ritt noch dampfendes Pferd zur Abkühlung langsam auf und nieder, ehe er es in den Stall bringen sollte.
Der Kutscher des Hauses stand neben dem Bock der Equipage, mit seinem Kollegen plaudernd.
»Also das ist der Generale Prussiano, der gekommen ist, um unserem Glück zu wünschen zu dem neuen Königthum von Italien? Schau Gasparo, es ist doch hübsch von die Barbari, daß sie hierherkommen, ihren Respekt zu bezeugen für die italienische Nation! Ja, ja, unser Conte, der versteht's, sich in Achtung zu setzen.«
Der Kutscher auf dem Bock kratzte sich hinter den Ohren. »Schau Filippo, ich weiß nicht recht, ob der General hierher gekommen ist wegen des neuen Königthums draußen in Prussia oder wegen dem hier in Turin. Ich versteh ihre verdammte Sprache noch nicht so recht oder hab's vergessen. So viel weiß ich nur, daß mein Gesandter mit dem fremden Offizier heraus gefahren ist, weil dieser Deinem Grafen einen Abschiedsbesuch machen wollte; denn er fährt morgen wieder fort nach Berlin!«
»Berlin?« meinte der Andere - »das liegt wohl da über den Bergen, hinter Paris, oder über der See, wo die Kosacken, die Russen und die andern wilden Völkerschaften wohnen?«
»Babbaccione! - Du weißt doch, daß ich bei einem zahmen Gesandten in Dienst bin und nicht bei einem
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wilden! Wenn's ein wilder wäre, wäre er gewiß auch auf und davon, wie der Graf Stackelberg, den sein Herr, der russische Kaiser, fortgerufen, weil der König Vittorio Emanuele und Dein Herr den armen Bombino und den heiligen Vater so schlecht behandelt haben. Nein, mein Sohn - Berlin ist das Turin von einem Lande jenseits der Alpen, wo sie die Oesterreicher so wenig leiden mögen, wie wir, und es soll, wie unsere Leute auf der Gesandtschaft erzählen, noch drei Mal so groß sein, wie unser Turin, wenn sie auch keinen Po haben, sondern nur ein stinkendes Wasser. Und obschon die Leute, die dort wohnen, Ketzer sind, soll es doch auch katholische Christen und Kirchen dort geben, so gut wie bei uns.«
»Schau, compare mio, was Du nicht Alles weißt! ich glaube, Du bist schon ein halber Politico! - Aber ich muß Dir sagen, ich habe mir ein ganz anderes Bild von diesen Prussiani gemacht, als Dein Herr ist und dieser Generale. Ich habe immer geglaubt, die Leute jenseits der Alpen die wären halbe Riesen und könnten mit einem Faustschlag einen Ochsen todt schlagen, wie ein gewisser Milo von Creta oder Corfu gekonnt haben soll.«
Der gesandtschaftliche Kutscher lachte herzlich. »Ja guter Filippo, es muß doch wohl nicht so sein, denn unsere alte Excellenza ist allerdings kein Riese und schlägt keine Katze todt, obgleich er Gespenster citiren kann und mit den Seelen aus dem Fegfeuer verkehren soll. Na und es ist wahr - dieser Generale sieht auch nicht aus wie ein gewaltiger Kriegsheld. Aber he - wer ist denn das dort - den habe ich bei Euch ja noch gar nicht gesehen?«
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[»]O - er ist schon einen Monat im Dienst, - es ist der neue Jäger. Ich glaube, die jetzige Wirthschafterin selbst, die Signora Martina protegirt ihn, und es ist ein netter Bursche, nur zu wenig gesellig. Seit des Herrn alter Kammerdiener, der Paolo todt ist, der ihn von Kindesbeinen so zu sagen bedient hat, haben sie schon zwei Mal gewechselt, und Keiner kann's dem Herrn recht machen. Der da läßt sich aber gut an, wie ich die Comtessa Marietta selber neulich zu ihrem Bräutigam sagen hörte, der eben wieder angekommen ist.«
Die Frage und Antwort hatte einem schlanken großen Mann mit starkem Bart in Jäger-Livrée gegolten, der eben aus einem Seitenbau kam, in dem die Küche der Villa sich befand, und auf einem silbernen Präsentirteller eine Tasse Chokolade mit einem leichten Backwerk nach dem Hauptgebäude trug.
»Na,« sagte der Gesandtschafts-Kutscher - »ist das Euer ganzes Frühstück? - da verstehn wir's besser.«
»Es ist das Frühstück des Herrn,« meinte sein Gefährte, - »er nimmt stets um 1 Uhr seine Tasse Chokolade, das Einzige, was er vor Tisch genießt. Er ist überhaupt sehr mäßig, obschon er's doch haben könnte; aber er soll ein Bischen wassersüchtig sein, wie die Doktoren sagen. Sonst ist er kerngesund. Was uns anbetrifft, so haben wir's freilich weit besser, wenn wir drüben im Palazzo Cavour sind, an der Ecke der Via Cavour und der Via Lagrange. Es ist seines Vaters Haus und er ist auch darin geboren.38 Die Economa drüben ist auch ein ganz
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anderes Weib, sie gönnt anderen Leuten was, während die hier auf der Villa - da schielt sie eben aus der Küchenthür! - ein geiziger Satan ist, der einem Floh das Fell abziehen möchte. Ich hoffe, man jagt sie bald wieder fort, denn die ganze Dienerschaft beklagt sich über sie.«
Aus dem Hauptgebände der Villa kam der Jäger des Minister-Präsidenten zurück - sein Gang war etwas schwankend, ungleich, sein Gesicht geröthet; - er nahm seinen Weg zur Küche, in deren Thür die Haushälterin stand, eine blonde schmächtige blasse Frau von etwa 28 Jahren mit wunderbar schönen schwarzen Augen, die jedoch etwas Rattenartiges hatten.
Der Jäger ging auf sie zu.
»Haben Sie dem Herrn die Chokolade gebracht, Antonio,« frug sie.
»Ich habe sie in den Salon gesetzt - der Herr ist noch bei den Fremden.« - Er fuhr mit der Hand über die brennende Stirn und die Augen. - »Eh' ich's vergesse, Signora Martina - die Comtessa frug, ob noch mehr Chokolade da sei.«
»O, gewiß - Sie haben doch gesagt, daß sie sogleich welche bekommen könne?«
Der Jäger schauderte leicht zusammen. »Gewiß - aber,« er warf einen ängstlichen fragenden Blick auf sie.
»O - ich werde sogleich frische machen. Sollen Sie welche holen? Vielleicht für den Bräutigam? - Ein
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hübscher Mann, dieser junge Conte. Sie werden sehr glücklich sein, wenn sie zum Herbst heirathen - - können!«
»Die Contessa hat noch Nichts befohlen!«
»Gehen Sie auf Ihre Kammer, Antonio,« sagte leise die Haushälterin - »oder in den Garten. Sie sehen echauffirt aus!«
Der Jäger murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen, dann stieg er in der That zu seiner Kammer hinauf, die ebenfalls in dem Nebengebäude lag.
Die Wirthschafterin sah ihn mit einem spöttischen Lächeln nach. »Bah,« sagte sie - »es ist nur das erste Mal! Ich muß geschwind neue bereiten, wenn man sie verlangt. Ja - die neapolitanischen Chocoladen sind immer berühmt gewesen, namentlich die Diavolinas!«


Im Salon der Villa befand sich die Contessa Marietta mit ihrer Mutter und ihrem Bräutigam, dem sie mit dem Battisttuch den Schweiß von der Stirn trocknete.
»Armer Freund, Du bist ja ganz erschöpft von dem langen und raschen Ritt. Bis La Venaria39 und zurück, das sind ja wahrhaftig zwölf Miglien. Am Ende hast Du kaum gefrühstückt?«
»Nicht einen Trunk Wasser! Ich wollte unterwegs in einer Trattoria eine Foglietta Asti nehmen, aber er sah mir etwas gar zu trübe aus und schmeckte so jung, daß ich ihn stehen ließ. Ich wollte Dich nicht warten lassen, und so gab ich nur die Depeschen auf dem Ministerium ab und ritt gleich hierher weiter.«
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»Dafür, caro Wendelino sollst Du auch einen Kuß haben und - auch etwas Consistenteres. Da - mein Herz - nimm einstweilen die Chocolade des Onkels,« - sie holte das Silbertablet von einem Seitentisch, wohin es der Jäger gestellt hatte, und präsentirte ihm die Tasse. »Der preußische Gesandte und der fremde General sind bei dem Onkel, und Graf Brassier hat immer allerlei Schnurren und Anekdötchen, mit denen er nicht fertig wird. Auch wartet glaub' ich noch ein anderer fremder Herr auf Audienz - es ist also besser, Du trinkst sein Frühstück, als daß es kalt wird. Antonio mag anderes bringen, wenn der Onkel schellt.«
Der junge Diplomat nahm die Tasse und löffelte sie mit Behagen leer, während er seine Unterhaltung mit den Damen fortsetzte.


Wenn man in das einfach schöne, in klassischer Form gehaltene Vestibüle der Villa trat, lag der kleine Gesellschafts-Salon zur Linken, sich auf eine Gartenterrasse öffnend, - während rechts das geräumige Empfangs- und Arbeitszimmer des Ministers sich befand, an das nach hinten sein Schlafzimmer stieß.
Während die bräutliche Fürsorge so das Frühstück des Hausherrn escamotirte, befand sich dieser in seinem Empfangszimmer mit dem preußischen Gesandten, dem Grafen Brassier de St. Simon und dem mit der Notifizirung des Thronwechsels beauftragten preußischen Botschafter General Bonin.
Der sardinische Minister-Präsident Graf Cavour war
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ein Mann von Mittelgröße, ziemlich untersetzt und sehr corpulent, das Gesicht rund und freundlich, von braunem Rundbart umgeben, die kleinen klugen Augen hinter einer goldgefaßten Brille verborgen. Er hatte eine scharfe nicht angenehme Stimme und durchaus kein schwungvolles rhetorisches Talent, aber große Schlagfertigkeit und kaustischen Witz, und vor Allem die Gabe einer scharfen präcisirten Darstellung, was ihm eben in der Kammer ein großes Uebergewicht über die leidenschaftlichen Redner beider Parteien verschaffte.
Die drei Anwesenden saßen um einen kleinen mit Rauchutensilien belegten Rundtisch vor dem Eckdivan des Zimmers und waren in eifriger politischer Unterhaltung begriffen. Der Gesandte Graf Brassier de St. Simon-Vallade - der ehemalige Freiherr ward 1857 in den Grafenstand erhoben, - war bereits 63 Jahr und hatte eine längere diplomatische Laufbahn hinter sich, in der ihn namentlich seine Thätigkeit in Constantinopel und seine Inclination für den Mesmerismus und die Lehren des Somnambulismus bekannt gemacht hatten. Man erzählte sich, daß er obschon in älteren Jahren (1849) mit einer Tochter des russischen Geheimen Raths- und Oberkammerherrn Grafen Ribeaupierre aus dem Geschlecht der Potemkin verheirathet, doch stets ein oder zu Zeiten auch mehrere weibliche Media zur Hand hatte, und daß er die somnambülen Ausströmungen häufig zu sehr ungeistigen Versuchen benutzte.
Der Graf war von kleiner Statur, mit starkem Kopf, etwas eitel und dabei als sehr geizig verschrieen.
Ruhig folgte der lebhaften Unterhaltung der Beiden
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der Dritte der Anwesenden, der preußische General von Bonin, General-Adjutant des Königs. Der General war von mittelgroßer, fast zierlicher Gestalt, mit seinem klugem Gesicht.
Das Gespräch hatte sich, da der Besuch kein offizieller war, sehr natürlich auf die Ereignisse in Mittel- und Unter-Italien gewendet. »Sagen Euer Excellenz,« frug der Gesandte - »wenn die Frage nicht indiscret erscheint, was in aller Welt ist denn eigentlich an der Geschichte mit General Pinelli?«
Der Minister lächelte. »Ich fürchte, sie ist wahr! Da fast alle Welt davon spricht, braucht man keine Heimlichkeit daraus zu machen. Nur möchte ich Niemandem rathen, sie in Gegenwart des armen Pinelli zu erzählen, er speit Feuer und Flamme. - Es blieb freilich nichts übrig, als ihn abzuberufen, denn er hat es in der That etwas arg getrieben.«
»Pinelli?« frug der preußische General. »Ist das derselbe, von dem der Constitutionel den famosen Tagesbefehl mittheilt, und die französischen Offiziere erklärt haben, daß wenn er sich an einem Ort blicken lassen werde, den französische Truppen inne haben, sie ihn - ich weiß nicht gleich was - mit ihm vornehmen würden.«
Der Minister war etwas roth geworden. »Sprechen Sie es immer aus, Excellenz, man hat gedroht, ihn mit den Steigbügel-Riemen zu regaliren, - aber Sie wissen, von der Drohung bis zur Ausführung ist immer noch ein weiter Weg, das hat der Streit zwischen Herrn Pelissier und Herrn Cialdini bewiesen. Es ist wahr, er hat etwas
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brutal gehandelt, aber - mit diesem Räuberunwesen ist nun einmal nur mit eiserner Consequenz und Strenge fertig zu werden.«40
»Ja, Excellenz,« sagte boshaft, sich die Hände reibend,
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der Gesandte - »bei unseren Revolutionairen würde es nicht viel helfen, ihnen den halben Kopf zu scheeren oder die eine Hand mit unvertilgbarem Schwarz zu bepinseln. Da hilft nur Pulver und Blei.«
»Vielleicht, wenn man sie in somnambülen Schlaf versetzte,« meinte der General ironisch. »Excellenz sind strenge Maßregeln wahrscheinlich noch von dem Umgang mit den Türken gewohnt.«
Der Gesandte, der gar zu gern Andere schraubte, meinte mit unschuldigem Lächeln, er freue sich, eine gewisse Wahlverwandtschaft mit dem Herrn General zu besitzen.
»Bei Alledem,« sagte der General sich erhebend, »kann ich Euer Excellenz nur versichern, daß auch Seine Majestät, König Wilhelm, der Regierung Ihres Erlauchten Monarchen nur seine Achtung zollen wird für diese Concession an die öffentliche Meinung Europa's und der soldatischen Ehre, und ich hoffe, daß sie dazu beitragen wird, auch unsere diplomatischen Anschauungen auszugleichen, wozu ja gewiß der Herr Gesandte hier mit seinem providentiellen Blick in die Zukunft möglichst die Hand bieten wird.«
Der italienische Minister-Präsident, der mit seiner kaustischen Miene dem kleinen Wortgefecht der tendenziellen politischen Gegner gefolgt war, reichte dem General die Hand.
»Euer Excellenz erfreuen mich durch diese Aussicht auf's Höchste. Ich bitte, Ihrem gnädigsten Herrn und König meine tiefste Ehrfurcht zu Füßen legen zu wollen,
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und auch Herrn von Schleinitz, wenn Sie Gelegenheit dazu finden, mich zu empfehlen, obschon er nicht dieselben Sympathieen für unsere italienische Politik zu empfinden scheint, wie Herr von Vincke; bitte sagen Sie ihm,« und die starke beleibte Gestalt des italienischen Staatsmannes schien förmlich zu wachsen unter den Worten, »was sich ja nicht in diplomatische Noten fassen läßt, daß ich hoffe, es werde und zwar recht bald auch für Deutschland die Zeit kommen, wo es wie Italien nicht blos das Bedürfniß einer großen Einigung fühlen, sondern sie auch erreichen werde, und daß dann es Preußen vorbehalten sein werde, diese Einigung herbeizuführen und an ihrer Spitze zu stehen. Wir konnten nicht erwarten, daß dies ohne den Kitt des Blutes geschehen werde, und ich glaube, Ihre jetzigen oder künftigen Staatsmänner werden dies auch nicht. Wenn Gott dann nicht anders über mich verfügt haben und ich noch auf diesem Posten stehen sollte, wird Preußen und das geeinigte Deutschland keinen festeren Bundesgenossen haben, als Italien; denn Excellenz, unsere Interessen und Wege sind dieselben, und die drei Gegner, die wir zu bekämpfen haben, werden auch die Ihren sein. Bis dahin, Excellenz, freut es mich, Sie bitten zu dürfen, einstweilen in Berlin zu versichern, daß es der ernste Wille Seiner Majestät des Königs Victor Emanuel ist, allen Ausschweifungen der revolutionairen Fractionen, welche zu Verwickelungen mit Deutschland und dem preußischen Beruf für dasselbe führen könnten, mit aller Kraft entgegen zu treten.«
Der Gesandte schaute zwar etwas verblüfft zu diesen
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Eröffnungen über seinen Kopf hinweg, aber der preußische General schüttelte herzlich dem italienischen Staatsmann die Hand, und die beiden Herren verließen, von ihm bis zur Schwelle des Foyers begleitet, die Villa.
Als die beiden Gesandten zur Stadt zurückkehrten, wandte sich der General an seinen Begleiter.
»Was ist das für eine Geschichte oder Anekdote von General Pinelli?«
»Man erzählt sie verschieden - leider figurirt auch der Name eines ehemaligen preußischen Offiziers dabei, eines Herrn von Arnim, der bei den piemontesischen Truppen stand. Der General soll in höchst brutaler Weise ein junges Mädchen, eine Irländerin und Verwandte des spanischen Marschalls O'Donnell, die sich bei einer Truppe befand, welche nach dem Treffen von Castelfidardo den Gebirgskrieg gegen die Sardinier fortsetzte, und die bei dem Bemühen, gefangene piemontesische Soldaten vor einem schrecklichen Tode zu retten, in seine Hände fiel, abscheulich behandelt haben, so daß sich selbst die piemontesischen Offiziere darüber bei dem Kriegsminister beschwerten. Lieutenant von Arnim, der zu den von ihr geretteten Offizieren gehörte, hat als er die von General Pinelli befohlene Execution der Ruthenhiebe auf jene Theile, durch welche sich die Venus vulgivaga im jetzigen Museo nationale zu Neapel so verlockend auszeichnet, nicht hindern konnte, das Mädchen erschossen, um sie vor der Schmach zu schützen. Wie gesagt, die Geschichte hat einiges Aufsehen gemacht und soll unter einigen Tollköpfen in Rom zu der Wette Veranlassung
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gegeben haben, General Pinelli mit derselben Züchtigung zu bestrafen, zu welcher er à la Haynau die junge Irländerin verurtheilt hatte. Kurz, die tollen Burschen haben ihre Maßregeln so gut genommen gehabt und scheinen durch Spione so vortrefflich bedient gewesen zu sein, daß sie den zurückberufenen General auf einer Fahrt von Rom zur Gränze abfingen, oder vielmehr aus seinem Wagen lockten und ihm, ohne ihn sonst zu schädigen, die fünfundzwanzig Ruthenstreiche appliciren konnten, welche die arme Irländerin - nicht erhalten hatte.«
»Hat man die Thäter nicht entdeckt?«
»Sie sollen sämtlich geschwärzte Gesichter gehabt haben, auch hat die französische Polizei in Rom jetzt andere Dinge zu thun und ist nicht gut auf die Herrn Piemontesen zu sprechen, deren Freunde in Rom ihr allnächtlich viel Arbeit geben. So wird General Pinelli wohl seine Schläge behalten müssen, so gut wie sein Kollege Landi die falschen Banknoten, die er von dem alten Schlaukopf Garibaldi in Sizilien für seinen Verrath erhalten hat.«
»Wo ist der General jetzt?«
»Welchen meinen Excellenz - wir haben der Generale hier jetzt so viele im Lande umherlaufen, nationalisirte und reactionaire, daß man den Po mit zustopfen könnte.«
»Ich meine General Garibaldi!«
»Ei der befindet sich auf seinem Nest Caprera, ärgert sich, daß er sich in seinem Alter und nach zwölfjährigem
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Wittwenstande von einer Courtisane, der berüchtigten Gräfin Raimondi hat zur Heirath verführen lassen, macht sich mit der Bezahlung der Schulden seines liederlichen Sohnes Ricciotti zum Bettler, nur immer bemüht, den Ungerathenen vor den Griffen der Criminalpolizei zu salviren, grollt dem König und Herrn Cavour, daß sie ihn als General-Gouverneur von Neapel und Sizilien fortgeschickt und seine geliebten Rothhemden als zuchtlose Bande auf den Schub gebracht haben, und bereitet eine neue Expedition der Freischaaren zur Eroberung Venetiens und des südlichen Tyrol's vor.«
»Aber Sie hörten, Graf, welche Versicherung uns Herr Cavour unaufgefordert gab.«
»Ah, ah, liebste Excellenz,« machte der Gesandte, der offenbar seine Niederlage von vorhin auswetzen wollte - »die ›Unita Italia‹ von heute Morgen behauptet ganz bestimmt, daß zwischen Frankreich und Piemont ein geheimes Bündniß bestehe, das dem einen die Rheingränze und dem anderen Rom, Venetien und Botzen sichern soll; Graf Cavour ist ein Mann, der ohne sonderliche Gewissensbisse die guten Gelegenheiten wahrzunehmen pflegt, und selbst seinem hohen Protektor in Paris die jetzigen müratistischen Proklamationen in Neapel mit allerlei Putschen in Rom zu vergelten versteht. - Wenn es Herrn Kossuth wirklich gelingen sollte, in Ungarn eine neue Erhebung zu Stande zu bringen, wird er seinem Freund Garibaldi wahrhaftig nicht große Hindernisse in den Weg legen, noch einmal den Weg über Spondalunga in's Tyrol zu versuchen. Lassen Sie sich sagen, Excellenz, daß um der
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Politik dieser Herren Italiener zu folgen, man ein sehr scharfes Auge und eine vortreffliche Nase haben muß. Die neue Königskrone von Italien steht in diesem Angenblick auf einem sehr vulkanischen Boden; denn auf den Ruf ihres alten Meisters sammelt sich die ganze Bande in Genua, von Marseille erwartet man bedeutende Waffensendungen, und die ungarische und polnische Emigration sind in lebhafter Bewegung.«
»Ich kann mich eben nur an das halbofficiöse Desaveu halten,« meinte der General. »Ich empfinde so wenig Sympathiem für die Russen wie für die Oesterreicher.«
Die Antwort des Gesandten blieb unverständlich, die Equipage rollte eben über die Ponte del Po und die prächtige Piazza Vittorio Emanuele.


Der Minister-Präsident wollte, von der Begleitung zurückkehrend, eben nach dem Familiensalon sich wenden, um das gewohnte Frühstück einzunehmen, als ihm einfiel, daß noch eine andere Person auf Audienz harre. Er kehrte daher in sein Arbeitszimmer zurück und öffnete selbst die Thür seines Schlaf-Kabinets, in das er dieselbe bei der Ankunft der beiden Preußen hatte eintreten lassen.
»Nun, mein Herr, wenn es Ihnen gefällig ist! Entschuldigen Sie mich, wenn ich Sie nicht eher befreite, aber die diplomatischen Pflichten gehen oft über die Gebote der Höflichkeit. Bitte, nehmen Sie Platz.«
Der Eingetretene war ein Mann in den fünfziger Jahren, von hoher schlanker Gestalt, den magyarischen
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Typus in Gesicht und Haltung, selbst wenn ihn nicht schon die ungarische Tracht als einen Sohn dieses Landes bezeichnet hätten.
Der Minister hatte eine Visiten-Karte von seinem Schreibtisch genommen und las den Namen: »Herr Maytényi?«
»Zu dienen, Excellenz, ein Verwandter und Freund des Herrn Kossuth.«
»Ich habe Ihren Namen heute Morgen in einem Telegramm gefunden. Sie haben gestern in einer Versammlung des Revolutions-Comité's in Mailand Mittheilungen des General Klapka aus London gemacht?«
»Euer Excellenz sind bereits gut unterrichtet, und das wird mir meinen Auftrag erleichtern. Der General hat mir befohlen, diesen Brief Eurer Excellenz zu eigenen Händen zu übergeben und Ihre Befehle in Empfang zu nehmen.«
Der Minister nahm den Brief und behielt ihn in der Hand, ohne ihn zu erbrechen.
»General Klapka befindet sich gegenwärtig in London?«
»So ist es, Excellenz. Der General schreibt mir nur, daß er in London Kossuth und den Chef des englischen Comité's für die Befreiung Ungarns gesprochen hat und unsere Sache gut steht. Im Uebrigen verweist er mich an Euer Excellenz.«
»Hm! - das Telegramm, - eine ausführlichere Nachricht habe ich noch nicht erhalten - spricht auch von einem Briefe des General Türr.«
»Ganz richtig - der General hat an den Syndicus
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Beretta geschrieben. Er hat vortreffliche Aufnahme in Paris gefunden, zweimal den Prinzen Napoleon gesprochen -«
»Seine Kaiserliche Hoheit steht in Folge seiner Brandrede im Senat gegenwärtig etwas in Mißcredit!«
»Euer Excellenz wissen, daß dies nur scheinbar sein kann. Der Prinz ist vollkommen mit unserem Vorgehen einverstanden, General Türr hat die besten Zusicherungen erhalten, es sind ihm bedeutende Mittel in Aussicht gestellt und er wird dem Comité binnen Kurzem 60,000 Franken und 3000 Jägerstutzen senden. General Garibaldi hat seine Stabsoffiziere nach Brescia geladen, und Kossuth verspricht, dazu einzutreffen.«
»Sie haben sich in Turin wohl nicht aufgehalten, Herr Maytényi?«
»Nein, Excellenz - ich bin diesen Morgen von Mailand abgereist und habe mich von Turin gleich auf den Weg gemacht, da ich begierig bin,« - er wies auf den Brief, - »die Befehle Euer Excellenz entgegenzunehmen.«
»Ah so - ich vergaß! - Sie erlauben wohl!« Der Minister öffnete mit einer ziemlich kühlen Neigung des Kopfes den Brief - ein Blatt fiel heraus, das er ansah und mit einem feinen Lächeln auf seinen Schreibtisch legte. - Dann las er den Brief.
»Es ist wie ich mir dachte. Hat Ihnen Herr Klapka auch eine Abschrift des großen Feldzugsplanes gesandt?«
»Mir? - nein - was ich von General Mieroslawski weiß - ich hoffe von Euer Excellenz das Weitere ...«
Der Minister hatte das vorhin überflogene Blatt aufgenommen.
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»Nun so hören Sie wenigstens die allgemeinen Züge. Es sollen 20- bis 30,000 Freischärler Ende März in 5 oder 6 Divisionen abgetheilt an den Abhängen der Schweizer und Tyroler Alpen sich sammeln! Das Hauptquartier wird in Bergamo sein, die Vorhut in Brescia und Desenzano. Führer der verschiedenen Abtheilungen: Rino, Bixio, Cosenz, Medici, Türr und Mieroslawski. Nach zwei oder drei gegen die Mincio- und Po-Gränze ausgeführten Schein-Angriffen werfen die Elitetruppen dieser Divisionen sich in die Engpässe Süd-Tyrols und suchen durch rasche Besetzung der dominirenden Positionen dieses für den Partisanenkrieg höchst geeignete Gebirgsland unter ihre Herrschaft zu bringen. Während ein Theil der revolutionairen Colonnen in Tyrol Stellung gewinnt, um die Annexion des Landes bis Botzen und das Passeyer an Italien vorzubereiten, dringen die beweglichsten Schaaren möglichst rasch auf den Straßen von Vicenza, Bassano, Belluno vor, um die Communication der österreichischen Abtheilungen zu beunruhigen, andere werfen sich auf Brixen und Brunecken, um in die Kärnthner Alpen einzudringen, und von dort den südslavischen, ungar'schen und deutschen Bundesgenossen die Hand zu reichen. Die Hauptführer werden sich über Udine nach Triest werfen, durch einen Handstreich sich des Hafens bemächtigen, von dort aus Illyrien zu insurgiren, jedenfalls aber die österreichische Besatzung in Venedig vom Mutterlande abzuschneiden und zum Rückzug hinter den Tagliamento oder doch zu schwächenden Detachirungen an die Mincio- und Po-Linie zu zwingen.
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Dann wird der Aufstand in Venedig ausbrechen und die an den obigen Linien concentrirte sardinische Armee in das Festungsviereck einbrechen. Von Illyrien her wird der Aufstand im südlichen Ungarn unterstützt werden und zugleich die Erhebung in Krakau und Galizien die österreichischen Truppen im Norden beschäftigen. - Ich muß Ihnen sagen, Herr Maytényi, für altgeübte Verschwörer finde ich den Plan ziemlich ungeschickt.«
Der Ungar sah den Minister erstaunt an.
»Aber ich sollte meinen ...«
»Ich fürchte,« fuhr der Minister fort, »General Benedeck wird herzlich lachen über diesen Feldzugsplan, wenn er morgen die Details in den Zeitungen liest!«
»General Benedeck - in den Zeitungen ...« stammelte der Ungar.
»Aber mein Himmel, wissen Sie denn nicht, was geschehen ist - wo in aller Welt kommen Sie denn her?«
»Ich - ich begreife Euer Excellenz nicht ...«
»Cospetteo - das wäre stark - sollte das liebe Revolutions-Comité in Mailand, das der Regierung so manche Hindernisse und Verwickelungen bereitet, in der That noch nicht wissen, was gestern auf der Süd-Bahn von Genua nach Verona passirt ist?«
»Ich bitte Euer Excellenz, mir endlich sagen zu wollen, um was es sich handelt.«
»Ei, um nichts mehr und weniger, als daß der ganze Plan mit allen Details in den Händen des Staatsanwalts und der Gerichte sich befindet und gewisse Paragraphen
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unserer Criminalgesetze von Verschwörungen gegen auswärtige befreundete Potentaten handeln.«
Der Ungar war aufgestanden. »Euer Excellenz scheint es Vergnügen zu machen, mit mir Ihr Spiel zu treiben.«
»Bewahre, mein Herr - nur werden Sie einsehen, daß es mir nicht einfallen kann, mich mit diesem Briefe des General Klapka, den ich persönlich hochschätze, weiter zu beschäftigen, da der vertrauliche Inhalt desselben bereits eine Sache gerichtlicher Publicität geworden ist.«
»Ich begreife das - obschon ich den Vorgang nicht kenne.«
»Ich kann Ihnen denselben aus bester Quelle erzählen. General Mieroslawski hat seine Vertrauten wieder einmal schlecht gewählt. Ein gewisser Wiesner ...«
»Sein früherer Adjutant in dem baden'schen Feldzug ...«
»Mag sein! Er hatte als politischer Flüchtling Aufnahme in Genua gefunden und ist der Herausgeber der Italienischen Correspondenz. Die nationale Partei, der er von Herrn Mieroslawski auf das Dringendste empfohlen war, scheint ihm jedoch nicht recht getraut zu haben, da er etwas verdächtigen Umgang mit Reaktionairen, namentlich mit früheren bayrischen Offizieren hielt. Kurz und gut, man hatte Wind bekommen, daß dieser Herr Wiesner doppelte Karten spielte, und gestern Morgen einen seiner Freunde nach Verona sandte, um General Benedeck den specialisirten Angriffsplan Garibaldi's für 40,000 Gulden anzubieten. Das nationale Comité hat zwei entschlossene Männer mit dem Unterhändler abreisen lassen und diese
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haben unterwegs im geschlossenen Coupé dem Herrn Bayern erklärt, daß sie ihm ohne Weiteres eine Kugel durch den Kopf jagen und ihn dann als Selbstmörder ausgeben würden, wenn er sich nicht dazu verstehen wolle, die ihm von dem würdigen Herrn Wiesner anvertrauten Papiere auszuliefern. Besagter Bayer hat nach einigem Sträuben Vernunft angenommen und den Brief an Benedeck nebst dem ganzen Plan ausgeliefert, unglücklicher Weise aber auf der nächsten Station Lärm gemacht und seine beiden ehrenwerthen Begleiter verhaften lassen, so daß die ganze Correspondenz, die man ihnen abgenommen hat, in die Hände der Polizei und Gerichte gekommen ist.«
»Aber dann hätte man sie leicht unterdrücken können!«
»Würde verzweifelt wenig genutzt haben, mein bester Maytényi, da bereits zu viele Personen darum wußten, und Herr Wiesner, den ich in Genua sofort habe einstecken lassen, gar kein Hehl aus seiner Absicht, vielmehr sich ein Verdienst daraus um die Ruhe und Sicherheit des Staates macht. - Somit werden Sie begreifen, daß ich am Besten thue, den Brief des General Klapka gänzlich zu ignoriren, insbesondere - da ja auch früher Herr Kossuth und Herr Klapka wiederholt öffentlich erklärt haben, daß sie die Zeit für eine neue Erhebung Ungarns noch nicht gekommen glauben.«
Der Ungar verbeugte sich kalt. »Es scheint mir, daß es am Besten gefehlt hat: an dem Willen uns zu unterstützen und Oesterreich den Krieg zu erklären. Man hat keine Sympathieen für unsere Sache!«
»Glauben Sie das ja nicht, Signor, wenn die
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Regierung auch vorläufig genöthigt gewesen ist, zur Beruhigung der fremden Mächte ein Paar Dutzend Mitglieder des Revolutions-Comité's für einige Zeit einstecken oder ausweisen zu lassen - ich fürchte, Herr Maytényi, - Sie stehen selbst auf der Liste der Mailänder Polizei! - ich denke, wir geben Ihnen einen genügenden Beweis unserer Sympathie, indem wir der Ausgabe Ihrer Kossuthnoten bisher Nichts in den Weg gelegt haben und die Bank derselben in Mailand gar nicht sehen. Aber in der That, die Herren dürfen nicht zu Viel verlangen und müssen einsehen, daß wir einen auswärtigen Krieg in diesem Augenblick nicht vertragen können, wo wir noch so Viel im Innern in Ordnung zu bringen haben. Deshalb werden Sie unserer und Ihrer Sache den besten Dienst thun, wenn Sie helfen, das mailänder Revolutions-Comité zu calmiren, das ich sonst - aufheben müßte!«
Die ruhige Handbewegung des Ministers zeigte dem Revolutionair, daß die Audienz zu Ende sei, und er entfernte sich grollend und niedergeschlagen über den unerwarteten Ausgang derselben.
»Es ist eine Lection, die ihnen gut thun wird,« sagte der Minister! »Aber nun zu meinem Frühstück!«
Aber es war, als wolle die Laune des Zufalls ihn heute daran verhindern - er hatte noch nicht die Thür erreicht, als der Diener sie öffnete mit der Meldung: »Seine Excellenza der Präsident der Deputirten-Kammer, Signor Ratazzi
»Grade recht - zur Fortsetzung der Lection!« murmelte der Minister. - »Sehr willkommen!«
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Er ging dem Besuch entgegen und begrüßte ihn auf das Herzlichste.
Herr Ratazzi, der bekanntlich bestimmt war, in der Entwickelung des neuen Italiens ziemlich bald eine bedeutende Rolle zu spielen, war längere Zeit mit Graf Cavour in politischen Differenzen, hatte sich aber kurz vor seiner Erwählung zum Präsidenten der Deputirten-Kammer (7. März) vollständig mit ihm wieder ausgesöhnt.
»In Wahrheit, liebster Präsident,« sagte der Minister, seinen Besuch zum Sitzen nöthigend, »Sie sind äußerst willkommen; denn wenn Sie nicht die Liebenswürdigkeit gehabt hätten, mich hier aufzusuchen, würde ich noch vor Tische zu Ihnen gekommen sein, um so Mancherlei mit Ihnen zu besprechen.«
»Dann sind wir einander in unseren Wünschen begegnet, und deshalb sehen Sie mich hier. Turin ist voll von Gerüchten, man erzählt von Verhaftungen verschiedener Führer des Clubs und Sie wissen, wie schwer es ist, die Heißsporne unserer Linken, wie Brofferio, im Zaum zu halten. Ich habe mich niemals mit der Auflösung der garibaldischen Legion befreunden können.«
»Sie war eine Nothwendigkeit! Nach dem Urtheil aller Militairs hatte sie auf unsere braven Truppen den schlimmsten Einfluß. Sie hauste schlimmer wie die alte Camorra in Neapel und Sizilien, und es wäre unmöglich gewesen, ohne ihre Auflösung zur Herstellung eines festen Regiments zu gelangen.«
»Aber Garibaldi ist aufs Höchste erbittert. Sie wissen, daß wir ihn nicht entbehren können - das Volk
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hängt an seinem Namen, das beweisen die Ovationen, die man ihm überall bringt.«
Der Minister lächelte: »Selbst unsere Polizei! Sie wissen doch, daß sie in Neapel die nächtlich an die Ecken geklebten Plakate, ›Es lebe Murat!‹ nicht mit der Inschrift ›Es lebe Victor Emanuel!‹ sondern nur mit dem Plakat ›Es lebe Garibaldi!‹ zu ersetzen wagte.«
»Diese muratistische Bewegung giebt zu denken!«
»Uns Beiden sicher nicht. Halten Sie wirklich den Kaiser Napoleon für einen solchen Freund der italienischen Einheit, daß er nicht verfehlen würde, uns von Zeit zu Zeit einige Steine in den Weg zu werfen, um uns bemerklich zu machen, wie sehr wir seiner Hilfe - ja, ich muß es offen aussprechen, seiner Zustimmung zu Allem bedürfen.«
»Die Rede des Prinzen Napoleon kann nicht ohne seine Inspiration gehalten worden sein.«
»Der Kaiser Louis Napoleon liebt es, à deux mains zu spielen. Sie ist in Rom desavouirt worden und die Worte, mit welchen den französischen Offizieren die Genehmigung zur Annahme der Ordensverleihung des Exkönigs Franz ertheilt worden: er habe keine Ursache, denselben nicht als den rechtmäßigen König von Sizilien und berechtigt zur Verleihung seiner Orden zu betrachten - geben Gelegenheit zu denken.«
»Aber dann ist das Vorgehen der Revolutionscomité's gegen Wälsch-Tyrol und Venetien um so wünschenswerther, um ihn endlich einmal zu zwingen, Farbe zu bekennen und diesem Schwanken ein Ende zu machen.«
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»Glauben Sie wirklich, daß die Herren Garibaldi und Kossuth die österreichischen Truppen schlagen werden?«
»Aber warum hat man dann General Cialdini zurückberufen?«
»Wenn La Marmora darauf besteht, wegen seines Streites mit dem Kriegsminister Fanti sein Kommando aufzugeben, haben wir keine Führer für die Mincio-Armee. In Neapel genügen jetzt andere Persönlichkeiten. Wir mußten auf alle Fälle uns vorsehen.«
»Wenn der König wirklich gesonnen ist, den Angriff der Comité's zu unterstützen - warum dann diese plötzlichen Verhaftungen? Seine Aeußerung gilt als Bürgschaft - man zweifelt nur an dem guten Willen Eurer Excellenz! Ich bürge dafür, daß die Kammer die Mittel bewilligt!«
»Lesen Sie!«
Der Minister nahm aus einer Mappe eine dechiffrirte Depesche und reichte sie ihm.
»Von Herrn Nigra aus Paris?«
»Von ihm selbst - vertraulich an mich! Ich erhielt sie vorgestern und habe sie sofort Seiner Majestät vorgelegt und vor einer Stunde durch meinen künftigen Neffen die Zustimmung des Königs erhalten.«
Der demokratische Präsident der Kammer las die Depesche, durch welche der italienische Gesandte vertraulich seinen Chef über eine Unterredung, die er mit Herrn Thouvenel, dem Minister des Auswärtigen gehabt, unterrichtete und in welcher ihm dieser ganz unverholen den Willen des Kaisers dahin ausgesprochen habe, daß ein Vorgehen der
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Garibaldiner und der fremden Flüchtlinge gegen die österreichischen und deutschen Gränzen auf keine Unterstützung Frankreichs zu rechnen habe, daß Italien die Folgen allein tragen müsse, und Oesterreich unter Zustimmung Rußlands und Preußens entschlossen sei, bei Unterstützung revolutionairer Bewegungen seitens Sardiniens Truppen an der Gränze der Legationen und Marken aufzustellen oder diese zu besetzen. Eben so finde Frankreich keine Veranlassung, dem Papst seinen Schutz zu entziehen und die französischen Truppen aus Rom zu entfernen. Es werde vielmehr eine Verstärkung derselben erfolgen, wenn die Agitationen daselbst fortdauerten, und es würden zu diesem Zweck 12,000 Mann unter General Trochu bei Lyon concentrirt.
Diese ganz unerwartete Wendung in der Politik des Kaisers Napoleon verfehlte nicht ihren Eindruck auf den italienischen Staatsmann, der mit sehr echauffirter Miene die Depesche dem ihn ruhig beobachtenden Minister zurückgab.
»Was sagen Sie hierzu?«
»Daß ihn der Teufel holen möge mit seiner unzuverlässigen Freundschaft. Er behandelt Italien wie seine Domaine, und uns wie die Schulbuben, denen er die Lectionen vorschreibt! Jetzt begreife ich Ihre Abwicklung und mache Ihnen mein Compliment für das geschickte Manövre mit den Wiesner'schen Enthüllungen.«
»Ich sehe, lieber Freund, Sie haben mich vollständig begriffen, die Saisirung der Papiere des Herrn Wiesner durch unsere Justiz erspart der Regierung eine arge Niederlage!«
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»Meinetwegen - Herr Garibaldi mag warten; aber sagen Sie mir ehrlich und offen, Graf, sollen wir denn für immer ganz und gar von diesem Herrn in den Tuilerieen abhängig bleiben?«
»Im Augenblick läßt sich Nichts dagegen thun - aber ich glaube, der Kaiser Napoleon steht auf dem Zenith seiner Macht, und Sie kennen das ewige Naturgesetz.«
»Das kann lange dauern!«
»So müssen wir uns nach anderen Alliancen umsehen!«
»England?«
»Sie wissen, daß man in diesem Augenblick eine fast kindische Furcht in England vor einer französischen Invasion hat. Ich meine Rußland und Preußen! - Oder sollen wir etwa die Insel Sardinien hinter Nizza und Savoien herwerfen?«
»Um keinen Preis! Der Handel von Achtundfünfzig hat uns in der Meinung aller Patrioten schon Nachtheil genug gebracht!«
Der Minister-Präsident zuckte die Achseln. »Sie wissen nur zu gut, daß wir ohne ihn nicht da wären, wo wir doch heute sind. Glauben Sie mir, auch in Deutschland regt sich's, und über kurz oder lang ist ein Zusammenstoß zwischen Preußen und Oesterreich nicht zu vermeiden, und der Ausgang mir nicht zweifelhaft, wenn wir dazu helfen, Oesterreich zu isoliren.
Und dann noch - die Personen wechseln - auch ich kann fallen durch Gottes Hand, oder den Haß meiner Feinde. Deshalb wünsche ich - wenn ein solcher Fall eintritt - in die Brust des Mannes, der mich ersetzen
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würde, gleichsam das Testament meiner politischen Ueberzeugungen niederzulegen und ihn von ihrer Richtigkeit durchdrungen zu wissen, und dieser Mann, lieber Ratazzi - sind Sie!«
»Thorheit, Graf, wie kommen Sie zu solchen Gedanken - Sie sind im besten Alter, kaum über fünfzig!«
»Politik, lieber Freund, zehrt am Leben! - Doch, wie es auch sei, ich möchte Ihnen die Ueberzeugung beibringen, daß wir Nichts überstürzen dürfen! wir haben Tüchtiges gethan - aber es ist noch Viel zu thun übrig! Glauben Sie mir, diese nordische Macht hat eine große Zukunft und in dieser Zukunft wird derselbe Kampf nicht fehlen, den wir zu kämpfen haben, der Kampf mit Rom, das immer zu Oesterreich und zu Frankreich stehen wird.«
»Aber wir müssen Rom haben!«
»Und wir werden es haben! Eben deshalb wollte ich mich mit Ihnen verständigen. Auch der Kaiser Louis Napoleon kann auf die Dauer der Wucht der öffentlichen Meinung nicht widerstehen, von der er ohnehin sehr abhängig ist, und mit dieser öffentlichen Meinung müssen wir ihn aus Rom treiben. Italien gehört den Italienern und nicht den Franzosen, und Rom ist seine natürliche Hauptstadt. Dieser Satz muß in der Kammer jetzt bei jeder Gelegenheit ventilirt werden. Lassen Sie den Antrag stellen, durch eine nationale Petition an den Kaiser die Zurückziehung der Franzosen aus Rom zu verlangen. Die Regierung wird sich auf den Standpunkt stellen, daß Italien dem Kaiser die größte Dankbarkeit schuldet und die Sache ganz seiner Entscheidung überläßt. Sie
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verschuldet dann nicht, wenn bei der voraussichtlichen Ablehnung es Herrn Garibaldi einfallen sollte, etwa von Süden her einen Freischaarenzug nach Rom zu unternehmen, - etwa im nächsten Jahre! - dann muß die Regierung immer in der Lage sein, ihn desavouiren und ihm in den Weg treten zu können! Glauben Sie, lieber Freund, wir dürfen uns diese Freischärler nicht über den Kopf wachsen lassen, sonst zerfällt Italien wieder - die constitutionelle Monarchie mit der Krone Savoien allein kann es zusammenhalten! Eine tüchtige Kraft werden Sie einmal in Menotti Garibaldi haben - er ist ein tüchtiger Soldat, genießt das allgemeine Vertrauen und zeigt nicht den Eigensinn und unverständigen Fanatismus des Alten. Stören Sie sich nicht, wenn Sie einmal am Ruder sind, an den Schreiern - stecken Sie sie ohne Weiteres ein - es findet sich schon wieder ein Loch, wo man sie entwischen lassen kann! Vor Allem schließen Sie niemals mit Frankreich ein Bündniß auf unbestimmte Ziele, - das ist's, was ich auch dem König gerathen habe!«
»Nochmals Graf,« sagte der Kammer-Präsident, »Sie machen sich thörichte Gedanken, Gott erhalte Sie noch lange Italien und dem Könige! Es ist nicht die geringste Aussicht noch mein Wunsch, daß ich an Ihre Stelle treten sollte. Ich verzichte sogar auf jedes Portefeuille!«
Der Minister-Präsident lächelte. »Als Präsident der Kammer sind Sie nützlicher und mächtiger, als mit einem Portefeuille. Deshalb lieber Freund, weil die einzige Stelle noch besetzt ist, die Sie einzunehmen den Anspruch haben - fehlt auch Ihr Name auf der neuen Ministerliste. Ich
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denke, wir sind darin einverstanden, daß das Königreich Italien ein anderes Kabinet haben muß, als das Königreich Sardinien. Sagen Sie mir Ihre Meinung über die Liste, ehe ich sie dem König vorlege.«
Er nahm ein anderes Papier aus der Mappe und wollte es eben dem Präsidenten übergeben, als die Thür des Zimmers heftig aufgerissen wurde.
»Um der Madonna willen, - Oheim, kommen Sie herüber - Wendelino ist plötzlich schwer erkrankt!«
»Wer? Graf Castelgufo?«
»Ja, ja, Herr Ratazzi - kommen Sie! helfen Sie! Ich weiß nicht, ob der scharfe Ritt ihm geschadet hat oder was es sonst ist! Er hat furchtbare Krämpfe!«
Die beiden Staatsmänner eilten in den Familien-Salon, - der junge Diplomat, der Bräutigam der Nichte des Minister-Präsidenten, lag auf einem Sopha und krümmte sich vor Schmerzen, während zwei Diener rathlos daneben standen.
»Lieber Sohn, was ist Dir? Wie kommst Du so plötzlich zu dem Anfall?«
»Ich weiß es nicht, aber es zerreißt mir die Eingeweide! - Wasser, Wasser - ich verbrenne!«
»Bringen Sie Wasser - oder noch besser - Milch!« befahl der Kammerpräsident, da der Hausherr ganz bestürzt dastand. »Hat der Graf vielleicht sich erhitzt und kalt getrunken, oder sonst etwas genossen? Die Jugend ist unvorsichtig. - Wir wollen sogleich zum Arzt senden - lassen Sie meinen Wagen nehmen, er ist angespannt! Doktor Griffa wohnt nahe an der Brücke - er gilt als tüchtiger Arzt!«
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Einer der Diener eilte hinaus, - ein anderer kam bereits mit einer Schaale Milch, die der Kranke mit Begier an den Mund setzte.
Der Präsident wiederholte jetzt seine Frage.
»Ich wüßte Nichts,« - jammerte die junge Braut - »er erzählte zwar, daß er unterwegs von der Veneria her eine Foglietta Asti versucht habe, aber der Wein sei so schlecht gewesen, daß er ihn habe stehen lassen. - Sonst hat er Nichts genossen, als die Chokolade für den Onkel!«
»Meine Chokolade?«
»Ja - Dein gewöhnliches Frühstück! Da Du noch beschäftigt warst, als der Jäger Antonio Deine Chokolade brachte, reichte ich sie einstweilen Wendelino.«
»Wie lange ist das her?«
»Eine Stunde höchstens - die preußischen Herren waren noch da.«
Die Milch schien die Schmerzen des jungen Grafen etwas gelindert zu haben - er vermochte sich emporzurichten, doch sah er sehr bleich aus und seine Lippen hatten eine fast bläuliche Farbe angenommen.
»Beunruhigen Sie sich nicht, Signori - es wird vorüber gehen - ich fühle mich schon -« er zuckte krampfhaft zusammen und preßte die Hand auf die Magengegend, seine Augen nahmen eine unnatürliche Starrheit an.
Während seine Braut ihn unterstützte und den kalten Schweiß von seiner Stirn trocknete, führte der Präsident den Minister in die Fensternische. »Ich wünschte, Doktor Griffa wäre erst hier! - Ich kann Ihnen nicht
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verhehlen, diese Symptome gefallen mir nicht. Verzeihen Sie eine Frage - können Sie sich ganz bestimmt auf Ihre Leute verlassen?«
»O gewiß - woran denken Sie! Die meisten sind schon lange Jahre bei mir im Dienst, und die beiden Einzigen, die erst seit Kurzem darin stehen, so gut empfohlen und erprobt, daß ich ihrer Anhänglichkeit gleichfalls sicher sein kann.«
»Wer sind diese Beiden?«
»Der Jäger Antonio - er stand früher bei den Alpenjägern und hat den Krieg von Neunundfünfzig mitgemacht, und die Haushälterin, Signora Martina, eine höchst anständige und solide Person, mit den besten Zeugnissen versehen, eine Ausländerin, die von einer englischen Familie in Florenz zurückgelassen wurde.«
»Hm! Wer pflegt Ihre Chokolade Ihnen gewöhnlich zu bringen?«
»Der Jäger Antonio, so viel ich weiß, ich finde sie durch die freundliche Vorsorge Marietta's stets im Salon zur gewohnten Zeit.«
»Wer besorgt hier die Küche?«
»Dergleichen so viel ich weiß, die Haushälterin - ich habe einen Koch nur in meinem Hôtel in Turin. Aber wohinaus wollen Sie mit alle diesen Fragen?«
»Sie wissen ja, ich war Advokat! Wollen Sie Befehl geben, daß Ihre Leute sämtlich im Foyer erscheinen?«
»Sehr gern!« - Er gab die nöthigen Befehle. Der Kammerpräsident beschäftigte sich unterdeß mit dem Kranken, der sich in den Pausen der immer wiederkehrenden
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Schmerzen über brennenden Durst beklagte und bereits eine zweite Schaale Milch geleert hatte.
Während die Hausdienerschaft sich im Flur versammelte, hörte man im Galopp einen Wagen vorfahren.
»Gottlob, da ist der Doktor!«
Der Hausherr ging ihm selbst entgegen und entschuldigte die dringende Botschaft. Doktor Griffa war ein alter Mann mit weißen Haaren und von sehr ruhigem und mildem Gesichtsausdruck - er verlangte sogleich zu dem Kranken geführt zu werden, und während der Minister dies that, richtete der Präsident verschiedene Fragen an das Dienstpersonal. Es ergab sich bald, daß mit Ausnahme der Dienerschaft des preußischen Gesandten, welche die Equipage nicht verlassen hatte, kein Fremder auf der Villa bemerkt worden, daß der Jäger wie gewöhnlich zur bestimmten Zeit die Chokolade für den Minister aus der Küche geholt und direkt aus dieser nach dem Salon getragen hatte, und daß dieselbe, wie es alle Tage geschah, von der Economista selbst bereitet worden war. Es war noch genug Chokolade in der Küche vorhanden, daß der Minister um sein gewohntes Frühstück nicht zu kommen brauchte.
Doktor Griffa hatte dem Kranken sofort ein Brechmittel verordnet und die Haushälterin war emsig beschäftigt, die junge Contessa in der Pflege ihres erkrankten Bräutigams zu unterstützen. Der Arzt beobachtete selbst die Wirkung des Medikaments, nachdem er einige andere Heilmittel aufgeschrieben hatte und ein Bote mit den Recepten zur Stadt gesandt worden; - dann erst trat
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er wieder zu dem Hausherrn, der mit dem Freunde in sein Zimmer zurückgekehrt war.
»Es sind in der That eigenthümliche Symptome,« sagte er, »die bei dem Kranken sich zeigen. Es ist ein großes Glück, daß er sofort eine Quantität Milch getrunken hat. Dennoch - wir müssen das Beste hoffen, er besitzt anscheinend eine gute und kräftige Constitution.«
»Wie, Doktor - so wäre Gefahr für sein Leben?«
Der Arzt zuckte die Achseln. »Ich bin nicht der gewöhnliche Arzt des Herrn Grafen, kenne seine Constitution daher nicht genügend. Ich darf jedoch nicht verschweigen, daß Gefahr in der That vorhanden. Es ist möglich, daß er bei starker Erhitzung durch den Ritt mit einem Trunk sich geschadet - es können auch andere Ursachen dieses plötzlichen so intensiven Anfalles vorliegen - es können schädliche Stoffe in dem Genossenen gewesen sein ...«
»Sie meinen Gift?« frug hastig der Präsident.
»Das wollte ich nicht behaupten - ehe ich nicht chemisch die Entleerungen des Magens untersucht habe. Ich habe mir von der Chokolade bringen lassen, welche der Graf hier getrunken, und sie gekostet - sie ist rein und wohlschmeckend, in dem kupfernen Gefäß, in dem sie bereitet worden, keine Spur von Grünspan. Es bliebe demnach nur jener Wein übrig, den er unterwegs getrunken, und wenn Sie Nichts dawider haben, werde ich - da mir der junge Herr die Trattoria näher bezeichnet hat, - sofort hinausfahren und mich überzeugen. Sie wissen, unsere Wirthe sind oft sehr leichtsinnig. Im
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Augenblick ist glücklicher Weise jede unmittelbare Gefahr beseitigt - wir müssen das Weitere abwarten.«
»Wird man den Kranken zur Stadt bringen können?«
»Ich hoffe, wenn er erst einige Ruhe genossen hat! Haben Euer Excellenz mir noch weitere Befehle zu geben?«
»Ich danke Ihnen, lieber Doktor, und bitte Sie nur, mit Doktor Rossi, unserem gewöhnlichen Arzt, möglichst bald zu conferiren und uns Ihren weiteren Besuch zu schenken.«
Als die beiden Männer allein waren, ging der Minister voll Sorgen auf und ab. »Als ob man noch nicht genug zu denken hätte! Diese falsche doppelzüngige Politik in Paris, die zeitweilige Apathie wegen des verdammten Frauenzimmers in der Veneria, deren geheimer Einfluß bereits bei zahlreichen Gelegenheiten zu erkennen ist! - das wahnsinnige Drängen der Actions-Partei, - der Streit in Neapel, die verletzte Eitelkeit der Generale, - und nun noch diese drohende Sorge - diese, in hundert Quellen versteckten römischen Intriguen - - wahrlich, Freund, es gehört guter Muth und Kraft dazu, um nicht zu erlahmen!«
»Die Ihre kann Alledem die Spitze bieten! - Nur - versprechen Sie mir Eins!«
»Und das wäre?«
»Gewöhnen Sie sich die Chokolade ab!«


Am andern Morgen cirkulirte die Nachricht, daß der Jäger des Grafen Cavour sich am Abend vorher auf der Villa des Ministers erschossen habe - in einem Anfall
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von Melancholie, da sonst kein Grund zu der That zu entdecken war.
Wiederum vierzehn Tage später stand der Lenker der italienischen Politik, der große Regenerator Italiens am Sarge des von ihm erwählten Eidams.
Aus den Krämpfen, die den kräftigen jungen Leib des Bräutigams der Contessa geschüttelt, hatte sich trotz aller ärztlichen Hilfe und der sorgsamsten Pflege ein gefährlicher Typhus entwickelt, welcher die Nerventhätigkeit lähmte und nach hartem Kampf mit der jugendkräftigen Natur ganz unerwartet den Tod herbeiführte, nachdem die Aerzte ihn schon bewältigt zu haben glaubten.
Von allen Seiten wurden dem trauernden Staatsmann und der tiefgebeugten Braut die regsten Zeichen der Theilnahme. Der König selbst, sonst wenig empfänglich für dergleichen Trauerscenen, wohnte der Einsegnung des Todten bei.
Als an der Spitze einer Deputation aller Fractionen der Deputirten-Kammer der Präsident derselben zu dem Minister trat und ihn dieser nach den officiellen Worten der Condolenz zum Sarge führte, trafen die Augen der beiden Männer auf einander.
Dann wandten sich die des Ministers auf den Sarg und die daran knieende in dunkle Schleier gehüllte Gestalt der trauernden Braut.
»Für mich!« flüsterte er leise, nur dem Ohr des Politikers verständlich, - »und aus ihrer eigenen Hand!«
»Besser er - als Sie! - Sie trinken doch keine Chokolade mehr?«


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Und wieder waren zwei Monate in's Land gegangen und die gesegneten Fluren der Lombardei brannten bereits unter der heißen Sonne des begonnenen Sommers.
Die Sorge um den ganz plötzlich schwer erkrankten Oheim hatte in Marietta's Herzen den Schmerz um den verlorenen Bräutigam verdrängt.
Einige energische Handlungen des Turiner Kabinets hatten die Kurie auf weitere Schläge vorbereitet. Ein Theil der europäischen Staaten, England an der Spitze, hatte bereits die Anerkennung des neuen Königreichs Italien ausgesprochen, mit anderen schwebten die Verhandlungen. Ein Dekret des Königs Victor Emanuel vom 5. Mai erklärte die Ernennung und Enthebung aller Erzbischöfe und Bischöfe in Neapel und Sizilien für ein Recht der italienischen Krone; mit den lombardischen Bischöfen, die sich weigerten, der Einweihung des Denkmals der gefallenen Italiener von 1859 beizuwohnen, oder ein Tedeum zu dem für den 2. Juni bestimmten italienischen Nationalfest zu celebriren, war von Seiten der Regierung oder des Volks kurzer Prozeß gemacht worden. Das Wichtigste war die trotz aller Anstrengungen der römischen Polizei und der französischen Politik erfolgte Unterzeichnung einer vom 21. Mai datirten Adresse in Rom an Victor Emanuel und den Kaiser Napoleon für die Einverleibung Roms in das Königreich Italien mit mehr als 10,000 Namen, und einer solchen am 30. Mai an den Papst, worin der Heilige Vater gebeten wurde, nicht länger den Wünschen Italiens zu widerstreben.
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Die erste Adresse sagte ganz unverholen:
»Wenn der Widerstand des römischen Hofes noch langer fortdauert, wird nicht nur der vollkommene Ruin der moralischen und materiellen Interessen Roms herbeigeführt, sondern es wird auch die Existenz des Katholicismus in Italien compromittirt. Die sich zusehends steigernde Abneigung der Italiener gegen die Handlungsweise des päpstlichen Hofes kann in eine Spaltung ausbrechen, welche gefahrvoll für Europa, für Italien und für die Kirche werden kann, der wir Glauben schenken und deren Traditiomn wir verehren.« -


Es war in der Nacht zum 6. Juni, einem Montag, als ein ganz geschlossener Wagen in den dicht mit Stroh belegten hinteren Hof eines großen palastartigen Hauses an einer Ecke der Via Lagrange einfuhr, dessen Thorflügel weit geöffnet standen. Der Kutscher war derselbe, dem wir bereits in der Villa Varcina begegnet sind, und als er vom Bock gestiegen war, half er einem alten Klostergeistlichen mit einer gewissen Ehrerbietung aussteigen. Der Mönch trug in ein weißes Tuch gehüllt einige Gegenstände.
»Werden Sie lange Zeit bleiben, hochwürdiger Herr?« frug der Kutscher, gleichfalls schon ein Mann bei Jahren.
»Ich glaube nicht - Du brauchst wohl kaum auszuspannen, mein Sohn. Wo ist die Dame, deren Brief Du mir brachtest und die für einen Kranken den religiösen Beistand eines so unbedeutenden Diener Gottes fordert, wie ich bin!«
»Treten Sie nur dort ein, ehrwürdiger Herr - man erwartet Sie.« Er wies nach einem Seiteneingang des
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Hauses, dessen Thür geöffnet war und in der die Umrisse einer Frau erschienen.
Der alte Conventuale, welcher das Ordensgewand der Benediktiner trug, ging langsam auf die Thür zu. Ein Blick auf das große Haus zeigte ihm, daß im ersten Stockwerk zwei oder drei Fenster matt erleuchtet waren, sonst aber die größte Stille zu herrschen schien. Selbst die Laterne vor dem Stallgebäude war ausgelöscht. Aus dem Dunkel der Seitenthür, zu welcher der Kutscher ihn gewiesen, streckte sich ihm eine Hand entgegen und faßte den weiten Aermel seiner Kutte.
»Sind Sie der Pater Giacomo von den Benediktinern am Berge?«
»Ich bin es!« sagte die milde Stimme des alten Geistlichen.
»Bitte - folgen Sie mir - hier ist eine Stufe.«
Die Hand, die ihn gefaßt - geleitete den Mönch durch einen kurzen finsteren Gang zu einer Treppe, die in der Höhe matt von einer einzigen Gasflamme erleuchtet war. Auf einem ziemlich geräumigen Flur, öffnete die Frau, die ihn geführt, eine Thür, ging durch ein dunkles Vorzimmer und ließ ihn in ein größeres, gut erleuchtetes Gemach eintreten.
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie zu so später Nachtstunde der Bitte meiner Gebieterin, einem todtkranken Verwandten, den der Ruf Ihrer Frömmigkeit gerade zu dem Verlangen nach Ihrem geistlichen Trost veranlaßt hat, die letzte Oelung zu geben, entsprochen haben. Wollen Sie sich einen Augenblick hier
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niederlassen. Ich gehe, die Person zu holen, die Sie zu dem Kranken führen wird.«
Sie wies nach einem Lehnstuhl und entfernte sich durch die Thür, durch welche sie eingetreten waren.
Der alte Benediktiner legte die heiligen Gegenstände, die er trug, auf einen Tisch, zog sein Brevier aus der Tasche und begann darin zu lesen.
Er hatte dies kaum fünf Minuten gethan, als eine zweite in dem Zimmer befindliche Thür sich öffnete und ein Mann in der Soutane der Weltgeistlichen eintrat. Die Gestalt desselben war schlank und elastisch und zeigte mit dem dunklen Haupthaar, daß er noch jung war. Das Gesicht jedoch verschwand unter einer schwarzen Halbmaske.
Der Fremde ging sofort auf den alten Mönch zu, der erstaunt zu ihm aufsah.
»Sie sind der Pater Giacomo von der Congregation von Monte Cassino aus dem Kloster Santa Justina am Berge?«
»Ich habe es bereits erklärt und man muß wohl meinen Namen kennen, da man gerade mich hierher beschieden hat.«
»Man kennt allerdings Ihren Namen in Rom und auch, wie sehr diese Congregation sich einer beklagenswerthen Richtung zugewendet hat. -«
»Mein Herr,« sagte der alte würdige Geistliche, »ich weiß nicht, wer Sie sind, und was Sie zur Verdächtigung einer Gemeinschaft veranlassen kann, die sich stets durch die strenge Bewahrung der Satzungen ihres
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Stifters und treuen Gehorsam gegen den heiligen Vater ausgezeichnet hat.«
»Sie sollen sogleich Gelegenheit haben, diesen Gehorsam zu beweisen. Sie sind hierher berufen worden, einem Sterbenden Beichte zu hören. Wissen Sie, in welchem Hause Sie sich befinden?«
»Nein - es ist auch nicht nöthig, daß ich die Person kenne - die heilige Kirche erblickt in ihr nur den Sünder, der bereut und in ihren Gnaden seinen Trost sieht.«
»Sie werden diese Beichte nicht abnehmen!«
»Aber man hat mich dazu hierher berufen, es ist meine Pflicht!«
»Ein Höherer, denn Sie und ich, absolvirt Sie davon, und hat mir das Amt übertragen.«
»Das wäre eine Täuschung - ich werde mich keines solchen Vergehens schuldig machen! - Ich weiß nicht einmal, ob Sie ein berechtigter Priester sind, ob Sie nicht ein Sacrilegium begehen wollen.«
Der Andere beugte seinen Kopf vornüber und wies auf seine Tonsur. »Ueberzeugen Sie sich! Dem reuigen Sünder sollen die Gnadenspenden der Kirche nicht entzogen werden, nur soll sie ein anderer Priester ertheilen, als Sie. Wir haben nicht viel Zeit mit unnützem Streit zu verlieren, und Sie können wohl denken, daß ich Sie nicht zum Gehorsam nöthigen würde, wenn ich nicht Vollmacht dazu hätte. Entledigen Sie sich Ihrer Kutte und begeben Sie sich hier in das Zimmer neben an, wo Sie
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verweilen werden, ohne sich bemerklich zu machen, bis ich Sie rufen werde. Gehorchen Sie!«
»Ich darf nicht - ich kann nicht!«
Der Fremde hatte aus der Tasche seiner Soutane ein Couvert hervorgeholt. Er brach es auf und reichte dem Benediktiner das Blatt, welches darin eingeschlossen gewesen war.
Dasselbe enthielt ein einziges lateinisches Wort, ein Monogram darunter und ein großes Siegel.
Der alte Mönch bedeckte einen Augenblick seine Augen mit der Hand, als gäbe es einen Kampf in seinem Innern, - dann küßte er ehrerbietig das Papier, faltete es zusammen und gab es zurück, indem er alsbald sich schweigend seiner schwarzen Kutte zu entledigen begann und sie mit Kappe und Rosenkranz auf einen Sessel legte.
Der verlarvte jüngere Geistliche wies ebenso schweigend auf die Thür des Nebenzimmers und der alte Mönch entfernte sich durch dieselbe, worauf Jener sie verschloß und den Schlüssel zu sich steckte. Dann warf er rasch die schwarze Kutte des Benediktiners über sein eigenes Gewand, nachdem er aus diesem noch einige Gegenstände entnommen und trat vor den im Gemach hängenden Spiegel, indem er die Halblarve entfernte.
Ein noch ziemlich junges, rundes frisches Gesicht mit klugen Augen kam zum Vorschein.
Aber nur wenige Momente, und dies Gesicht, ja der ganze Kopf waren merkwürdig verändert.
Es hat in Italien schon in früherer Zeit Künstler gegeben - und es giebt noch jetzt eine Familie, auf welche
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diese Kunst überkommen ist, - welche aus der feinsten Blase Masken zu verfertigen wissen, welche über Kopf und Gesicht gezogen werden und deren Stoff so fein ist, daß er sich durch die ihm innewohnende Feuchtigkeit mit der natürlichen Haut förmlich verbindet, während er ihr doch eine ganz andere Farbe, ein anderes Alter und eine andere Physiognomie verleiht, ohne daß man die Täuschung entdecken kann, da diese neue Haut die Beweglichkeit des wirklichen Gesichts annimmt.
Diese Masken sind natürlich nur ein Mal zu brauchen, aber sie erfüllen vollständig ihren Zweck.
Das glatte volle Gesicht des jungen Geistlichen war im Spiegel und in der Wirklichkeit verschwunden, und durch ein Greisen-Antlitz mit kurzem grauen Haupthaar ersetzt, das dem ehrwürdigen Antlitz des alten Benediktiners nicht unähnlich war. Diese Aehnlichkeit wurde noch vermehrt durch einen grauen, dem des Mönchs fast gleichen Bart, den der Mann um sein Kinn schlang und rasch befestigte. Als er die Kapuze der Kutte über seinen Kopf gezogen, würde ein sehr genauer Freund des Benediktiner Giacomo, oder ein sehr scharfes und gesundes Auge dazu gehört haben, die Umwechselung zu erkennen.
Diese war übrigens auch kaum erfolgt, als ein leises Klopfen an der äußeren Thür hörbar wurde und auf das Entrate! des falschen Mönchs, die Frau, welche ihn vorhin empfangen, und eine jüngere, in Trauer gekleidete Dame eintraten.
Ein Blick, ein Neigen des Kopfes genügte, die ältere Frau zu verständigen.
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»Hier, Signora,« sagte diese zu ihrer Herrin, »ist der ehrwürdige Bruder Giacomo, welchen Sie auf den Wunsch des Herrn hierher beschieden haben, nachdem er sich auf Ihre Bitten und Ihre Sorge um sein Seelenheil dazu bereit erklärt, das heilige Sakrament zu empfangen. Sie müssen wissen, ehrwürdiger Herr, daß der Kranke zwar kein Ketzer, aber doch leider einer jener Lauen im Glauben war, deren es jetzt in dieser traurigen Zeit so Viele giebt.«
»Signora Martina,« sagte die jüngere Dame, »die mir treu in dieser schweren Zeit und in der Pflege des Kranken zur Seite gestanden hat, und deren fromme Zuspräche mich aufrecht erhalten und mir auch den Muth gegeben hat, hochwürdiger Herr, Sie hierher zu bitten, - hat leider die Wahrheit gesagt. Aber die Gnade Gottes ist ja so groß, und Ihr frommer milder Sinn so bekannt, daß ich hoffen darf, Sie werden dem Kranken ein milder Richter sein.«
»Die heilige Kirche öffnet auch den Sündern und Abtrünnigen ihre Arme, wenn sie bereuen,« sagte der falsche Benediktiner, seiner Stimme den dumpfen Klang gebend, den er vorhin an dem Mönch studirt hatte. »Meinen Segen über Dich, Donna, daß Du zur Bekehrung eines Irrenden geholfen hast. Führe mich jetzt zu ihm.«
»Kommen Sie, ehrwürdiger Vater - mein Freund erwartet Sie!«
Sie öffnete die Thür und ging dem Pater voran.
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Die Dienerin verzog den Mund zu einem scharfen höhnischen Lächeln, als sie ihnen folgte.
Die beiden Frauen führten den Priester durch einen langen Corridor, an dessen Ende die Signora Martina wieder eine Thür öffnete. In dem geräumigen Zimmer saß an einem Tisch ein Diener und las in einer Zeitung. Ein leises Stöhnen drang aus dem Nebenzimmer, in welches die jüngere Dame eilig, aber mit möglichster Vorsicht eintrat. Bald kam sie zurück. »Ich habe ihm eben noch Medizin gegeben - er fühlt sich in diesem Augenblick kräftig genug, Sie zu empfangen - eilen Sie, ehe sein edler Geist sich wieder umnachtet und - seien Sie barmherzig mit ihm, wie Gott uns Allen barmherzig ist. Wenn Sie uns brauchen, so rufen Sie nur, wir werden hier im Gebet verharren!« Sie hielt die Portière der Thür, bis der Priester eingetreten war, dann ließ sie dieselbe fallen und winkte dem Diener, sich zu entfernen. Die beiden Frauen knieeten nieder und die jüngere erhob inbrünstig ihr Gebet zu Dem, der allein weiß, was recht und wahr und den sterbenden König richtet wie den sterbenden Bettler nach dem Maaße, wie Jeder gethan mit dem Pfunde, das er aus seiner Hand empfangen hat!
Fast eine Stunde war vergangen, als der Priester an die Thür klopfte und die Frauen sich eilig erhoben und in das Krankenzimmer traten. Unter der schwerseidenen Gardine des Himmelbettes ruhte auf dem breiten Lager ein Mann, das sonst so runde wohlhäbige Gesicht bereits jene scharfen hippokratischen Züge zeigend, welche die baldige Auflösung des Menschenleibes verkünden. Die
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Augen des Kranken waren geschlossen, aber der Mund öffnete sich zuweilen, um ein leichtes Stöhnen auszulassen oder einzelne Worte und Sätze zu phantasiren.
»Er ist bei voller Besinnung gewesen,« flüsterte der Priester, »während ich ihm die Oelung ertheilte - ich kann Ihnen zum Trost sagen, daß Ihr Verwandter als ein gläubiger Christ und als ein reuiger Sohn der heiligen katholischen Kirche stirbt. Erst in den letzten Augenblicken hat sich sein Zustand wieder verschlimmert, und ich glaube, Sie werden wohlthun, nach den Aerzten zu schicken - sobald ich mich entfernt habe.
»Doktor Rossi schläft in dem Vorderhause! O Martina - gehen Sie, lassen Sie ihn rufen!«
»Sogleich - ich will den hochwürdigen Herrn zurückgeleiten. Geben Sie ihm die Tropfen einstweilen ein, Madame, Sie wissen, daß der Doktor befohlen hat, sie ihm zu reichen, wenn die Athembeschwerden kommen!«
Sie winkte dem Benediktiner.
Der Geistliche machte das Zeichen des Kreuzes über den Kranken und die Stirn der Dame, die aus einer Phiole Tropfen in einen Löffel mit Wasser zählte und ihn an die Lippen des Kranken führte.
Er hielt krampfhaft ihre Hand gefaßt - sein Geist phantasirte offenbar wieder. »Jagt sie fort - die Schwarzen! - was wollen sie von mir? - Ich will Nichts sagen - ich habe Nichts zu bereuen! - Die Protestanten - ja die Protestanten - die Preußen! - wir müssen Rom haben - keine Absolution - fort mit Frankreich! - der König - Berlin - Nichts von Oesterreich
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- Nichts von Napoleon - Italien - bringt mir Chokolade - Luft! - Luft! -« Die weitern Worte verloren sich in unverständlichem Gemurmel.


Als der Benediktiner über die Schwelle des Krankenzimmers trat und der Dienerin folgte, war Nichts mehr in seiner Haltung, was den Greis copirte - sein Haupt war stolz und kühn zurückgeworfen, sein Gang nicht schwankend, sondern fest, sein Auge blitzte. So betrat er das Zimmer, in dem er die Verkleidung vorgenommen.
Ein Griff, und Maske und Bart waren abgerissen, die Kutte abgestreift. Herrisch wandte er sich zu der Wirthschafterin. »Sorgen Sie geschwind, daß der Wagen bereit ist und daß der Kutscher wieder den Umweg durch die Straßen nimmt.«
»Sind Sie zufrieden mit mir, Hochwürden?« flüsterte schmeichelnd die Frau.
»Ihr Gehorsam wird Ihr Schuldbuch verringern - aber es bleibt noch manche Aufgabe für Sie zu erfüllen. Wenn der Haushalt aufgelöst wird, nehmen Sie ohne Uebereilung und vorsichtig Ihren Abschied - der Schauplatz Ihrer weiteren Thätigkeit liegt in einem anderen Lande! Sorgen Sie dafür, daß ich unbemerkt den Palast verlassen kann, sobald dieser alte Schwachkopf entfernt ist!«
Sie küßte demüthig seinen Aermel und verbarg damit den giftigen gehässigen Blick, der aus ihrem Auge leuchtete. Dann verließ sie das Gemach, während der junge Geistliche seine Toilette vollends zu Ende brachte und die schwarze Halbmaske wieder vornahm.
Er öffnete die Seitenthür.
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»Pater Giacomo - der Wagen wartet auf Sie! - Hier Ihr Gewand. Ihr Gehorsam soll gerühmt werden!«
Der alte Mann war in das Gemach getreten. »Wenn ich etwas Unrechtes gethan, mögen es die Heiligen mir vergeben und die Sünde mir nicht zurechnen!« Dann hüllte er sich, jeden Beistand mit einer Handbewegung ablehnend, wieder in seine Kutte. »Ist es mir jetzt erlaubt, mich zu entfernen?«
»Jedes Unrecht komme auf mich! - Nur erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern, daß das Gelübde des Gehorsams Ihnen auch unbedingtes Schweigen auferlegt über das, was hier geschehen; selbst gegen den Prior Ihres Klosters. - Nehmen Sie, man kommt, Sie zu holen.«
Er verschwand in das Seitengemach, gleich darauf trat die Economista ein mit unschuldigem Blick, gleich als ahne sie Nichts von dem Tausch der Beichtväter. »Kommen Sie, ehrwürdiger Herr, und den Dank dieses Hauses für den traurigen Dienst, den Sie dem armen Kranken geleistet. Meine Gebieterin, wenn sie auch Ihnen unbekannt zu bleiben wünschen muß, hat mich beauftragt, Sie zu bitten, diese kleine Gabe in den Almosenkaften Ihres Klosters legen zu wollen.«
Sie führte den alten Mönch die Treppe hinab zum Wagen, der ebenso geräuschlos, wie er vorhin gekommen, den Hof verließ.


Eine schwere Trauer lag auf der Hauptstadt, bald auf dem ganzen Lande. - Graf Camillo Cavour, der
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Schöpfer des neuen Italiens, war am 6. Juni nach plötzlichem kurzen Krankenlager im besten Mannesalter verschieden.
Man hat die Leiche, die schnell in Verwesung überging, nicht geöffnet, seine Verwandten selbst wünschten es nicht. Es hieß, er sei an zu starken Aderlässen gestorben.
Der König, die Kammern, das ganze Land veranstalteten ihm ein großartiges Leichenbegängnis - An seine Stelle berief der König den Baron von Riccasoli, der eben aus Toscana zurückgekommen war, wo er mit seinem Gouvernement wenig Dank und Ruhm geerntet hatte.
Genua und Mailand setzten dem Einiger Italiens, der gleich Moses an der Schwelle des gelobten Landes, zu dem er die Seinen geführt, sterben sollte, Standbilder - durch ganz Italien wird der Name des liberalen Staatsmannes gefeiert, der den großen Kampf mit dem alten System und der gewaltigen Herrschaft des Pontifex gewagt für den Sieg des modernen Staates; - aber das Volk erzählt noch heute: der starke Geist, der Vorkämpfer für die Emancipation seines Landes von der Herrschaft der Kirche - habe in der Nacht vor seinem Tode einem Mönch gläubig gebeichtet und sei bekehrt gestorben!
Freilich spricht man auch von gewissen Ursachen seines plötzlichen Todes - das Volk liebt es, dergleichen Gerüchte an große Namen zu hängen!

Vom Nationalverein!

Es ist eine köstliche Perle im lieben deutschen Reich, dies Baden-Baden am Fuß des Schwarzwaldes, die alte Wiege eines alten Fürstenstammes, und seit die Karfunkel des Blutes der Opfer wilder Leidenschaft in der Goldfassung aus den Händen des Herrn Benazet ihren sonnigen ruhigen Glanz nicht mehr stören, scheint sie noch herrlicher geworden.
Es ist freilich nur ein vornehmes Bad, ein fashionabler Natursalon für Fürsten und Herren, für Millionaire, Abenteurer und Abenteurerinnen, wohinein die ordinaire Menschen-Kanaille, kranke und gesunde, die Nase nur durch die Glaswände steckt - aber schadet dies etwa der herrlichen Natur? Sind darum die alten Ruinen von Hohenbaden weniger romantisch im Mondschein, schimmert in der Ferne das Silberband des Rheins geringer, sind denn seine glänzenden Toiletten keine wandernden Blumen auf grünem Rasengrund, sind die Waldberge, die Schluchten und Wasserfälle weniger schön - und vor Allem die köstlichen Quellen weniger ein Gottesseegen, weil die Eximirten der Erde an ihnen
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das kostbarste Gut des Lebens, die Gesundheit ertrinken und erbaden?
So laßt ihnen doch auch ihren exclusiven Garten im großen Gartenthal des Rheins! Er ist ja nicht einmal gesperrt für die Schaulustigen, wie die Parks der englischen Lords und die Gärten der Jobbers!


Die Saison von 1861 hatte begonnen und war überaus glänzend. Die Königliche Familie von Preußen war seit der Vermählung der einzigen Tochter König Wilhelms (20[.] Spetember[September] 1856) mit dem Großherzog von Baden alljährlich dort. Auch im Sommer 1861 traf der König Wilhelm bereits am 9. Juli in Baden-Baden ein, wo die Königin sich schon früher eingefunden.
Mit der Großfürstin Helene von Rußland hatten sich bereits viele Mitglieder der höchsten russischen Aristokratie eingefunden, die zum Theil ihre eigenen Villen in den reizenden Umgebungen Badens besitzt, so die Fürsten Mentschikow, Gagarin, Chreptowitsch, die Fürstin Metscherski und andere; auch die Diplomatie hatte ihre Vertreter, darunter der Fürst von Hohenzollern, die Herren von Bismarck-Schönhausen, Harry von Arnim und viele Andere; daß die französische Crême und Melange zahlreich zugegen war, ließ sich denken. Es war damals noch trotz der vielen moralischen unfruchtbaren Reclamationen der Presse die Blüthezeit der französischen Spielpächter in Homburg, Wiesbaden und Baden-Baden, und das Gold der russischen und walachischen Bojaren, des ostdeutschen
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Adels, der italienischen und französischen Abenteurer wurde in Haufen von den Harken der Croupiers eingescharrt.
Zu Ehren der Anwesenheit des Königs fand am 13. Abends eine sogenannte italienische Nacht statt, die ein überaus zahlreiches Publikum vor den Kursälen versammelt hielt, während einzelne Gruppen der weithinschallenden Militair-Musik lauschend durch die Promenaden auf und nieder wandelten. An dem Eingang der Spielsäle drängte sich das ein- und ausströmende Publikum.
Zwei Herren, der eine von auffallend großer Gestalt, der andere von wenig über mittlerer Größe und schlanker Figur, mit etwas blassem feinem Gesicht, promenirten in angelegentlicher Unterhaltung in einer der entfernteren Alleen, wo ihnen nur wenige Spaziergänger begegneten.
Der Kleinere der beiden - er war auch der Jüngere - konnte etwa sechs oder siebenunddreißig Jahre zählen. Er hatte eine hohe und breite Stirn, den eigenthümlich kurz gebogenen Schwung der kräftigen Nase, welcher fast alle Mitglieder seiner Familie auszeichnet, ein ruhiges beobachtendes Auge und trug Schnur- und Vollbart, während sein Gefährte, um mindestens zehn Jahre älter, bei glatt rasirtem Gesicht jenen buschigen blonden, nach russischer Manier gezogenen Schnurbart hatte, der später mit seinem Träger typisch und weltbekannt geworden ist.
»Du bist also der Ansicht, lieber Harry,« sagte der Größere, »daß sich auch diese Verfassung für Oesterreich nicht halten wird?«
»Selbst nicht durch die - ziemlich undankbare Nachgiebigkeit in Betreff Siebenbürgens gegen die österreichische
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Partei und das Patent vom 8. April, das den Protestanten völlige Gleichberechtigung sichert. Das Letztere war sogar in diesem Augenblick ein Fehler. Der tyrole[r] Landtag hat bekanntlich ganz entgegengesetzte Anträge angenommen, und der Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig sich an die Spitze der ultrakatholischen Partei gestellt.«
»Nach den heute eingegangenen Depeschen, wie ich im Kabinet des Königs hörte, ist der Erzherzog seines Statthalterpostens deshalb enthoben und Fürst Lobkowitz an seine Stelle ernannt worden.«
»Aendert sich deshalb die Gesinnung des Volkes? und die Regierung braucht Stützen! Dieser Reichsrath ist eine unglückliche Erfindung Schmerlings. Die Venetianer weigern sich gradezu ihn zu beschicken, die Galizier haben nur mit Reserve gewählt, Kroatien wird ebenfalls die Beschickung weigern, - Ungarn ist in voller Opposition und die Lostrennung vom Gesammtstaat nur eine Frage der Zeit, und Böhmen wird folgen, sobald man Ungarn Conzessionen macht. Diese halbe Politik, die auf der einen Seite zu Rom hält und auf der anderen dem Liberalismus halbe Konzessionen macht, ist eine verfehlte. Oesterreich ist einmal ein katholischer Staat und muß der Tradition folgen, der Repräsentant und Schutz des Katholicismus in Mittel-Europa zu bleiben.«
»Und dennoch, lieber Freund, wird Oesterreich früher oder später seinen Halt an Ofen finden müssen, und Ungarn ist kein exclusiv katholisches Land.«
Der Kleinere warf seinem Gefährten einen scharfen Blick von der Seite zu. »Das hieße Oesterreich aus
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Deutschland herausdrängen! Würde das Deine Politik sein, wenn Du Minister bist?«
»Bah, liebster Arnim, Du galoppirst, wie gewöhnlich! So weit sind wir noch lange nicht!«
»Aber es kommt - ich weiß bestimmt, daß Schleinitz mehr als je an einen Ruheposten denkt.«
»Dann sind jedenfalls noch Andere da,« sagte der ältere Diplomat, »die ältere Ansprüche haben, als wir Beide.«
Der Kleinere biß sich auf die Lippen. »Ich bin freilich erst Legationsrath und habe noch keine selbstständige Mission gehabt, aber Du, Bismarck bekleidest bereits die wichtigste Ambassade nach Paris, ja ich halte Petersburg sogar für wichtiger - in der Zukunft. Versprich mir nur Eins, wenn Du das Portefeuille hast, das ist, mich nicht nach Stockholm oder Washington zu spediren, und ich will Dir dafür ein Geheimniß sagen und einen guten Rath geben.«
Herr von Bismarck lachte. »Wir sind zu gute Freunde, als daß ich mir eine solche Kraft erfrieren oder von den Secessionisten erschießen lassen würde. Vorläufig gehst Du ja wohl nach Lissabon?«
»Es ist noch nicht entschieden, Rosenberg ist erst zwei Jahre dort. Also es gilt?«
»Närrischer Mensch - vielleicht hebst Du mich noch aus dem Sattel und wirst eher Minister als ich - bedenke Du nur Deine rasche Carrière und Deine Familienverbindungen. Die Bismarcks stehen sehr vereinzelt und ich bin den Herren vom National-Verein vorläufig noch eine Vogelscheuche. - Nein, ich verspreche Dir für den Fall
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Rom, wo Du Deine diplomatischen Studien begonnen - oder Paris!«
»Um die Studien dort zu enden?«
»Du reitest das Roß Ehrgeiz gleich zu hastig, Harry,« sagte der Gesandte, »ich habe es Dir immer gesagt. Die erste Tugend eines Diplomaten ist Geduld! Du siehst ja, wie ich mich in Herrn von Schleinitz füge mit dieser thörichten Antipathie gegen Italien. Ich werde nie gegen meinen Chef intriguiren, obschon ich kein Hehl aus meiner Meinung mache und sie in dieser Beziehung dem König offen gesagt habe. Ich wette mit Dir, daß ehe ein Jahr vergeht, selbst Rußland das junge Italien anerkannt hat, das leider seinen tüchtigsten Staatsmann verloren hat, sonst - hätte ich auf ein halbes Jahr gewettet! - Aber, nun Dein Geheimniß und Deine Warnung, Freund!«
»Traue Rechberg nicht!«
Der Gesandte lachte herzlich. »Ist das Alles? Glaubst Du, daß der alte Fuchs mir die Cigarren-Geschichte vergeben hat? - Ich will Dir dafür gleich eine Revange wieder sagen: seine Intriguen in der polnischen Agitation sind es, die Rußland zum besten Verbündeten Preußens machen! Wer auf zwel Achseln trägt, fällt schließlich immer herein! Ich halte Ehrlichkeit und Offenheit für die beste Politik und würde immer nach diesem Grundsatz handeln.«
»Mit Reserve doch, lieber Bismarck! Aber Du hast erst die Warnung, noch nicht das Geheimniß!«
»Ich bin gespannt.«
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»Der National-Verein läßt Rechberg nicht schlafen! Nicht sowohl der National-Verein, als dessen Verlangen nach der preußischen Spitze. Aus diesem Grunde hat er den Verhandlungen wegen einer Reform der Bundeskriegsverfassung so viele Steine in den Weg geworfen, daß man sie abbrechen mußte. Es spinnt sich dem National-Verein gegenüber - von dem ich, beiläufig gesagt, auch nicht viel halte! - ein Verein der österreichisch-deutschen Diplomatie an - und Rechberg bereitet einen Schlag zu Gunsten der österreichischen Spitze vor, verlasse Dich darauf! Ich bin nicht umsonst der wiener Gesandtschaft attachirt gewesen. Schrenk, Platen und vor Allem Beust sind in der Intrigue, Beust ist eigentlich die Seele derselben. Er haßt Preußen noch mehr als Rechberg! - Man will in Wien nur erst Italien verschmerzt und die Gefahr in Ungarn ausgeglichen haben, dann wird man sicher einen entscheidenden Schlag versuchen. Die jetzige Wirthschaft in Berlin steuert ihnen geradezu in die Hände.«
Der Gesandte nickte zustimmend. »Du hast Recht! Auch ich traue weder Rechberg noch Beust! Ich werde eine alte Freundin, Frau von Zastrow bitten, nächstens nach Dresden zu ziehen, und Herrn von Beust etwas zu überwachen. Sie ist eine kluge Frau und kann wohnen, wo sie will. Uebrigens - wer seine Schulden bezahlt, hat ihn!«
»Glaube das nicht - er ist bereits ganz österreichischer Bundesgenosse. - Aber was denkst Du über unsere Kammern und das Project der Grundsteuer? -
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Einen Augenblick, lassen wir den Menschen dort erst vorüber, - er blieb stehen, als ich den National-Verein erwähnte.«
Das Licht einer benachbarten Gasflamme fiel auf einen jungen, einfach, aber anständig gekleideten Mann, mit finsterem Gesicht, der allerdings im Schatten eines Gebüsches stehen geblieben war, als höre er auf das Gespräch der Beiden, jetzt aber, als er sich bemerkt sah, scheu und hastig weiter ging.
»Was ich von unserem Landtag halte? - Lieber Freund, dies Frankfurter Reichsparlament von Acht- und Neunundvierzig steckt den Unverbesserlichen noch immer im Magen, sie wollen gern wieder regieren und suchen einstweilen dem Königsmantel so viel Fetzen als möglich abzureißen, um ihre Toga damit zu verbrämen, und das Herrenhaus hat nicht Takt genug, über das gegenwärtige Ministerium hinweg einzusehen, daß sein Widerstand in der Grundsteuerfrage die Krone diesen Bestrebungen gegenüber schädigt!«
»Aber das ist es ja eben - man schädigt uns - man ruinirt den Grundbesitz des Adels! - Der Ausweg des Grafen Arnim-Boytzenburg wäre das Höchste, was man nachgeben könnte.«
»Lieber Freund, - ich habe allen möglichen Respekt vor Deinem Namensvetter und Verwandten, aber der Herr Graf leidet an Unklarheit und Unentschlossenheit, und das ist der schlimmste Fehler eines Staatsmannes. Das hat sich Achtundvierzig bewiesen. Es ist ein schlimmer Schnitt in unser Fleisch, aber über unseren Standes-Interessen
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steht mir die Zukunft des Staates, und Preußen kann seine Aufgabe nicht erfüllen, ohne neue und feste Hilfsquellen in den Finanzen und der militairischen Machtstellung.« - Er brach ab, als der Andere ungeduldig die Achseln zuckte. - »Hast Du gehört von einem Besuch, den Seine Majestät dem Kaiser Napoleon abstatten will als Erwiderung des Besuchs desselben hier in Baden?«
»Wann?«
»Ich denke - noch vor der Krönung! Einstweilen erwartet man in Compiegne den König von Schweden. Wollen wir einen Augenblick in den Kursaal treten?«
Sie hatten sich dem Menschenstrom wieder genähert, der vor den Sälen auf und nieder wogte, und da Beide Bekannte trafen und ansprachen, waren sie bald getrennt.
Der Gesandte fand distinguirte Personen aus der Petersburger Gesellschaft, der Andere trat zu zwei Damen, die sich in Begleitung eines Cavaliers an einem der eisernen Tische niedergelassen hatten und den Promenadenzug betrachteten.
»Darf ich Euer Durchlaucht meinen Respekt bezeugen?«
»Sehr liebenswürdig von Ihnen. Wollen Sie nicht Platz nehmen bei uns, oder drängt es Sie, Ihr Glück zu versuchen? Der Fürst sitzt nun schon seit zwei Stunden dort und hat uns hier seinem Neffen überlassen. Ah - die Herren kennen sich wohl nicht? Lieutenant Graf Solms aus Hannover - Herr von Arnim, einer unserer begabtesten und aussichtsvollsten Diplomaten - meine Gesellschafterin, Fräulein von Krousaz.«
»Ich ziehe natürlich die Chancen Ihrer geistreichen
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Unterhaltung denen des Roulettes vor, wenn Euer Durchlaucht mir die Erlaubniß geben. Ich sage mit Bedacht: die Chancen, denn ich weiß, daß ich Euer Durchlaucht Witz und Kritik gegenüber so wenig Aussichten habe auf Erfolge, wie da drinnen am grünen Tisch!«
»Nous verrons! Aber in der That - es sollen Schlachten da drinnen geschlagen werden. Die romanische Alliance bedroht die Bank.«
»Wie verstehen Euer Durchlaucht dies?«
»Sie haben doch von dem famosen Spanier Garcia gehört?«
»Er soll mit brillantem Glück spielen. Aber man weiß nicht, wer er ist.«
»Natürlich ein Roturier, aber hindert das, Gold zu gewinnen? Gegen die Namen der beiden anderen Mitglieder dieser Allianz werden Sie desto weniger einzuwenden haben. Frankreich ist durch einen jungen Verschwender aus einer der besten Legitimisten-Familien, einen Vicomte de Bressolles, vertreten, Italien gar durch einen Principe.«
»Der Name?«
»Ein Fürst Caracciolo, wenn ich nicht irre! Seine Persönlichkeit ist weniger interessant, als die seiner - Gesellschafterin.
»Ah!«
»Eine junge italienische Wittwe, Ronzani, sie soll eine geborene Polin, und hierher gekommen sein, um sich über den Tod ihres Anbeters zu trösten, des berühmten Grafen Cavour, der ihr beiläufig 300,000 Franken
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hinterlassen haben soll. Sie waren ja in Rom, kennen Sie die Caraccioli's? Eine gute Familie, wie ich höre.«
»Die Caraccioli sind eine neapolitanische Familie. Ich hoffe, daß es nicht der Lump ist, der bei Castelfidardo mit seinen Dragonern davon lief. - Aber unmöglich, wie käme der zu der Donna des Herrn Cavour!«
»Jedenfalls ein unheimliches Gesicht. Haben Sie heute die famose Cora Pearl mit dem Viergespann und den zwei Mohren auf dem Bedientensitz gesehen?«
»Sie hat sie wahrscheinlich noch aus Konstantinopel mitgebracht, Plonplon muß als junger Ehemann jetzt tugendhaft sein.«
»Sehen Sie, daß Sie auch boshaft sind! Was giebt es Neues in Berlin?«
»Ich war nur wenige Tage dort, als ich von Wien kam. Zank und Streit an allen Ecken. Es wird lange dauern, ehe man mit diesen Kammern in Ordnung kommt. Doch erlauben Sie mir, mich nach Ihrer Familie zu erkundigen.«
»Nun - daß ich keine Kinder habe, wissen Sie ja wohl - seit mein Bruder todt und meine Schwester fromm geworden - -«
»So hat Comteß Amalie wirklich den Schleier genommen?«
»Sie wird nächstens Kanonissin des Stifts werden. Wissen Sie, daß Amalie - Regina sollte ich sie eigentlich nennen nach ihrem Klosternamen - uns in Italien bald verloren gegangen wäre? Sie hat in nächster Nähe der Schlacht von Castelfidardo beigewohnt und wurde
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aus dem Getümmel der Flucht, als sie einem unserer Vettern, der damals in der päpstlichen Armee stand, Baron Kerssen, in schwerer Verwundung beistand, durch einen würdigen Geistlichen, den Kaplan Tangerferd, gerettet.«
»Baron Kerssen - ich las den Namen in der Badeliste. Er ist hier, um von den Folgen seiner Verwundung vollends zu genesen, geht aber sehr wenig aus, da er blos seiner Kur lebt. Aber bei Gott, es ist doch Nichts wahrer als das Sprüchwort: Wenn man vom Wolfe spricht, steht er hinter uns.«
Sie erhob sich rasch und ging auf einen Herrn zu, der offenbar sehr leidend, auf einen Stock gestützt, langsam daher kam.
Es war ein schlanker Mann von etwa achtundzwanzig Jahren, doch machte das von schwerem körperlichen Gebrest bleiche und hagere Gesicht ihn älter. Er schien an einer schweren Verwundung im Schenkel gelitten zu haben, denn er hätte ohne Benutzung des Stockes schwerlich gehen können, obschon ihn an der anderen Seite ein athletisch gebauter Mann mit röthlichem Haar und frischem, mit etwas von Sommersprossen gezeichneten Gesicht unterstützte.
Beide Männer trugen Civil und der Lahmende das Band der päpstlichen Medaille. Neben dem größeren Herrn ging eine junge Frau, deren steife prosaische Haltung unmöglich die Engländerin verkennen ließ.
»Aber Xaver, - Du hast Dich in die Abendluft gewagt? Ist dies auch recht, hat es Dir der Arzt erlaubt?«
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»Chère Cousine - wenn ich nicht mehr die Luft eines köstlichen Juli-Abends vertragen kann, dann ist es überhaupt aus mit mir. Aber erlauben Sie mir, Ihnen meine Begleiter vorstellen zu dürfen. Lady Judith O'Donnell und Sir Terenz O'Donnell, ein Verwandter des Marschalls Herzog von Tetuan, und Kamerad von mir in der Armee Seiner Heiligkeit.« Es folgten die weiteren Vorstellungen.
»So haben auch Sie in Folge einer Verwundung Ihren Abschied genommen, Sir Terenz?« frug die Fürstin in englischer Sprache.
»Verwundet ist mein Mann allerdings worden,« sagte die Lady steif, »um den Abschied hat er sich aber wenig gekümmert. Was sollte er weiter bei den Pfaffen in Rom - er hat zu leben! Seine Schwester schafft ihm weder Papst noch Cardinal wieder!«
»Sir Terenz,« sagte der Freiherr entschuldigend, »hat das Unglück gehabt, seine Schwester, eine sehr liebenswürdige Dame und eifrige Katholikin, die auch Comteß Amalie kannte, in diesem unglücklichen Kriege zu verlieren.«
»Und um einen Mann, der kein Gentleman ist, und der Sie beleidigt hat, dafür zu strafen, Mylady, ist dieser Herr mit uns gegangen.«
»Vetter Kerssen?«
»Yes, Mylady!«
Die Fürstin wandte sich hastig zu Ihrem Verwandten und sagte in deutscher Sprache: »Ich hoffe, Du begehst keine Thorheit? Was soll das heißen?«
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»Nichts, schöne Cousine, um das Sie zu sorgen brauchen. Wir wollen nur in den Spielsaal gehen, um uns von der Anwesenheit einer gewissen Persönlichkeit zu überzeugen.«
»Ich verstehe noch immer nicht, was Sie meinen - erinnern Sie sich Vetter, daß der Fürst mein Gemahl dort ist und - wahrscheinlich auch höchste Personen.«
»Keine Besorgniß, ich weiß, was ich mir schuldig bin! Auf Wiedersehen, schöne Cousine, Sie sehen, mein Irländer mit seiner Lady wird ungeduldig.«
»Wie kommen Sie an diese Personen?«
»Wie ich Ihnen sagte - Kriegskameradschaft, wie kurz sie auch war. Wir wohnen zufällig in demselben Hôtel. Auf Wiedersehen.«
Er verbeugte sich gegen seine Verwandte und reichte dem Irländer den Arm - eine kalte, steife Verbeugung und die Drei entfernten sich.
Die Fürstin hatte sich sehr unruhig zu ihrer früheren Gesellschaft niedergesetzt. »Ich weiß nicht, mir ahnt nichts Gutes - mir ist, als ob ein Unheil in der Luft läge.«
»Aber was fürchten Sie denn? Für Ihren Verwandten - einen Streit?«
»O nein - Sie haben ihn ja gesehen. Aber - diese englische Gesellschaft gefiel mir nicht - es lag in dem Auge dieses Herrn etwas, das mich an eine Bulldogge erinnerte, er sah aus, als wäre er im Begriff, einem Gegner an den Hals zu springen, und diese Lady mit dem kalten Blick erschien mir, wie der Herr der Bulldogge, die sie kalten Blutes auf einen Menschen hetzen könnte.«
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»Durchlaucht sehen Gespenster. Der Baron würde sie gewiß nicht begleitet haben, wenn irgend etwas Unpassendes in Aussicht stände. Er ist ja, wie ich gehört habe, ein Gegner jedes Duells.«
»Aus religiöser Ueberzeugung, nicht aus Mangel an persönlichem Muth,« sagte die Fürstin scharf. »Nachdem er sich, wie alle Welt weiß, tapfer unter Lamoricière für die Sache der Kirche geschlagen hat, wird gewiß Niemand jene Weigerung des Duells, die ihn aus der preußischen Armee trieb, anders erklären wollen, als aus seinen religiösen Ueberzeugungen. Bei Anderen mögen andere Ursachen geherrscht haben, bei meinem Vetter Kerssen sicher nur die anerzogene religiöse Ueberzeugung, - und Sie wissen, lieber Arnim, wie sehr grade unsere Familie zu beklagen hat, daß diese Ueberzeugung nicht allgemeiner ist. Gar manches junge Leben wäre dann nicht einem traurigen Vorurtheil zum Opfer gefallen.«
Der Diplomat hatte sich unwillkürlich zur Seite gewendet, die - wahrscheinlich ganz absichtslosen, obschon von ihm hervorgerufenen Worte der Fürstin hatten eine unangenehme Erinnerung an eine Scene noch aus der Periode des Jockey-Clubs im Hôtel du Nord bei ihm wachgerufen. Die Dame, gleich als wolle sie es verhüten, legte die Hand auf seinen Arm. »Bitte, werther Freund, wollen Sie die Güte haben, mich in den Speisesaal zu führen, der Fürst hat mir gesagt, ihn dort zu erwarten, und es wird hier in der That etwas - gemischt! Lieber Graf, ich bitte Sie, in den Spielsaal zu gehen und meinem Gemahl zu sagen, daß wir ihn erwarten. Vielleicht erzeigt
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uns Herr von Arnim das Vergnügen, mit uns zu soupiren, ich weiß, es würde den Fürsten sehr freuen. - Bei der Gelegenheit sehen Sie sich wohl nach Vetter Kerssen um und was ihn eigentlich mit seiner Gesellschaft hierher geführt hat.«
Sie hatte sich erhoben und legte ihre Hand leicht in den dargebotenen Arm des Diplomaten, während der junge Offizier sich nach dem Zugang der Spielsäle entfernte. Fräulein von Krousaz ging hinter dem Paar.
Sie waren nahe dem Eingang, als die Fürstin plötzlich stehen blieb - ihr Blick war auf einen Mann getroffen, der langsam an der Front des Conversationshauses daher kam und höflich stehen blieb, um ihren Weg nicht zu kreuzen.
»Cher baron,« sagte sie, »wollen Sie die Güte haben ein reservirtes Zimmer für uns, oder wenigstens eine stille Ecke zu belegen, ich habe Fräulein von Krousaz nur einen kleinen Auftrag zu geben und folge Ihnen sogleich.«
Der Diplomat verbeugte sich. »Wie Euer Durchlaucht befehlen.« Er ging nach den Salons.
Die Fürstin setzte sich auf einen der in langer Reihe an der Promenade stehenden Stühle.
»Liebe Angeli[c]que, thun Sie mir den Gefallen, gehen Sie dort hinüber zu Hily und lassen Sie sich von meiner Nummer ein Paar Paille-Handschuhe geben - ich habe soeben bemerkt, daß ich die meinen beschmuzt habe.«
Die wahrscheinlich an strikten Gehorsam gewöhnte Gesellschafterin entfernte sich sogleich.
Die Fürstin sah sich um.
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»Guten Abend, lieber Doktor! Wie kommen Sie hierher?«
»Direkt von Berlin - auf dem Wege nach der Schweiz. Ich wußte, daß ich Euer Durchlaucht hier finden würde, und hoffte auf einen günstigen Zufall, der mir erlauben würde, Einiges in Ihre eigenen Hände zu überliefern.«
»Wie - so haben Sie günstige Nachrichten?«
»Euer Durchlaucht mögen entscheiden, wenn ich die Ehre gehabt habe, Ihnen Mittheilung zu machen.«
»Das ist leider in diesem Augenblick nicht möglich, - meine Gesellschafterin oder meine anderen Begleiter müssen in wenigen Augenblicken zurückkehren. - Warten Sie - Sie bleiben doch morgen noch hier?«
»Ich hatte zwei Tage für Baden-Baden bestimmt.«
»Dann - ja, so wird es gehen! - Nach der Morgen-Promenade pflegt mein Mann stets ein oder zwei Stunden zu ruhen. Die Königin und die Großherzogin wollen den Morgen in Lichtenthal zubringen, - der König, wie mir Graf Flemming sagt, wird zwischen 8 und 9 Uhr zu Fuß dahin promeniren und hat ihn zu seiner Begleitung befohlen. Alle Welt wird also morgen nach Lichtenthal drängen und die anderen Promenaden werden ziemlich einsam sein. Wenn Sie um 9 Uhr in der zweiten Allee und rechts von der Lichtenthaler, in den Gängen nach dem Wasser zu promeniren wollen, werde ich Sie treffen. - Also eine günstige Nachricht?«
»Ich hoffe! wenigstens eine neue Spur!«
»Und sie führt?«
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»Hierher - an den Rhein - wahrscheinlich darüber hinaus - nach Paris!«
»Ich danke Ihnen vorläufig! - Die arme - und doch glückliche Amalie! - Und nun - leben Sie wohl, Doktor, und lassen Sie sich nicht von dem Teufel des Spiels verblenden!«
»Ich habe alle Ursache, fest zu bleiben, Durchlaucht!«
Er trat mit einer Verbeugung zurück und sah mit einigem Erstaunen und Beunruhigung, daß - während von der gegenüberliegenden Promenade her eine Dame auf die Fürstin zukam, auf der Seite sich ein Fremder erhob und fortging, der dort an einem der kleinen Tische von einem der breiten Oleanderbäume halb verdeckt, von ihm und wohl auch von der Dame unbemerkt gesessen hatte.
Mit zwei oder drei Schritten hatte er ihn eingeholt und sah bei dem hellen Licht der Gassiammen in das Gesicht des unberufenen Lauschers, den er im Vorübergehen murmeln hörte: »Also morgen - zwischen Acht und Neun!«
Es war ein noch junger Mann, anständig aber einfach gekleidet, von ziemlich unbedeutendem Aeußern, höchstens 22 Jahre, derselbe, welcher vor einer Stunde den beiden Diplomaten auf ihrem einsamen Spaziergang begegnet oder gefolgt war.
»Hm - ich möchte wetten, daß ich dies Gesicht schon gesehen habe - aber ich erinnere mich nicht gleich, wo? - Doch es ist ohne Bedeutung, ein Zufall - man sieht in der Saison hier so viele bekannte Gesichter.«
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Er trat in den Eingang, der zu den Spielsälen führte, in denen eine ziemlich unruhige Bewegung zu herrschen schien.
Wer je die glänzenden Spielsalons von Homburg, Wiesbaden und Baden-Baden betreten hat, wird wissen, daß das Roulette und Pharao in verschiedenen Sälen gespielt wird, und wie schwer es selbst dem Nichtspieler wird, sich von diesen fesselnden verführerischen Scenen loszureißen.
Als der junge hannoversche Offizier den ersten Saal betrat, in welchem er, wie ihm bekannt, seinen Verwandten zu suchen hatte, fand er die lange grüne Tafel von einem wenigstens vierfachen Menschenkranze umlagert, aus welchem natürlich nur die Wenigsten spielten. Aber auch bei denen, welche nur zuschauten, schien sich das Interesse auf's Höchste gesteigert zu haben. Dies Interesse concentrirte sich auf die drei Spieler, welche vorhin die Fürstin genannt hatte.
Oben am Tisch, in einem bequemen Rollstuhl, saß der Fürst von H., ihr Gemahl. Er war seit mehreren Jahren von einem Schlaganfall gelähmt und des Gebrauchs seiner Füße gänzlich beraubt, so daß er eben nur in seinem auf das Bequemste eingerichteten Stuhl transportirt werden konnte. Dennoch war er noch immer ein Lebemann, der während keiner Saison in den Modebädern fehlte, ein Gourmand der besten Schule, Kunst- und Literatur-Freund und Mäcen, und ein vornehmer Herr vom weißtoupirten Scheitel bis zu den unbeweglichen, fein chaussirten Füßen. Er hatte in seiner Jugend in der österreichischen Armee gestanden, später eine kurze
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staatsmännische Rolle gespielt, war mit einem der ersten Regentenhäuser Europa's und verschiedenen souverainen Familien dritten Ranges verwandt, noch immer ein vortrefflicher Gesellschafter, der die exquisitesten Diners gab und einen unerschöpflichen Fonds von Anekdoten und scharfen Charakteristiken besaß und sie mit kaustischem Witz und großer Gewandtheit zum Besten zu geben wußte, - und wurde dabei von der jüngeren Generation in cavalieren Fragen als unbedingte Autorität verehrt. Die Lähmung, die in Folge einer plötzlichen Erkältung, - die wieder die Folge einer eigenthümlichen Wette gewesen war, - ihn betroffen, hatte ihn nicht gehindert, nach dem zu jener Zeit erfolgten Tode seiner ersten Gattin eine zweite Heirath mit einer viel jüngeren Dame aus einer Familie des rheinisch-westphälischen Adels einzugehen, und wie man wissen wollte, war die Ehe eine ganz vortreffliche, da der Fürst die große Kunst verstand, Alles zu sehen, was er sehen wollte, aber Nichts zu sehen, was er eben nicht sehen wollte.
Der Fürst zählte jetzt sechszig Jahre, hatte ein feines behagliches Gesicht, ein kluges Auge, das sich unter einem fortwährenden Zwinkern der Lider und der goldenen Lorgnette barg, die er mit der aristokratisch gepflegten, beringten weißen Hand häufig brauchte, und einen weißen Backenbart von englischem Schnitt. Er spielte nicht permanent, sondern beobachtete mit großer Ruhe das Spiel und schob nur von Zeit zu Zeit einen Satz Goldstücke, die in verschiedenen Rollen vor ihm aufgestellt waren, auf ein oder das andere Feld. Hinter
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seinem Stuhl stand sein Kammerdiener, ein Mann von gleichem Alter wie er selbst, mit weißem Toupet, weißer Binde, Jabot und Weste, der noch aus der Schule der grands seigneurs zu stammen schien. Vor dem Fürsten lagen ein Paar Karten und Nadeln, um den Gang des Spiels zu markiren, seine goldene mit kostbaren Brillanten besetzte Dose, und ein feines mit Spitzen besetztes Battisttuch, in das er zuweilen hüstelte.
Trotz der auffallenden, hoch aristokratischen Erscheinung, die vielleicht manchem unserer Leser, welcher vor fünfzehn bis zwanzig Jahren Baden-Baden zu besuchen pflegte, noch wohl erinnerlich sein mag, war das Interesse der Zuschauer doch keineswegs auf diese gerichtet, - sondern concentrirte sich auf die drei bereits genannten Spieler, die dem Bankhalter gegenüber saßen, hinter welchem an diesem Abend der aller Welt bekannte Pächter der Spielbank, Monsieur Benazet selbst, stand. Die drei Pointeurs, die mit so großem Glück spielten, schienen jedoch keineswegs zu einander zu gehören, wie die Fürstin ironisch angedeutet hatte, obschon sie eine gewisse Courtoisie beobachteten, indem Keiner die Nummer des Anderen besetzte, wenn sie auch einem gleichen System folgten.
Der Spanier Garcia war ein mittelgroßer hagerer Mann von sehr braunem Teint mit krausem schwarzen Haar, stechendem Auge und anmaßendem Wesen. Er hatte vor sich bereits einen großen Haufen Gold und Banknoten aufgehäuft und spielte mit einem wahrhaft wunderbaren Glück, das Herrn Benazet's Ruhe manchmal zu erschüttern drohte.
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Zwischen dem Spanier und dem Fürsten saß neben ein Paar gleichgültigen Personen ein junges Mädchen von pikantem Gesicht und Augen, die etwas Prickelndes, Aufregendes hatten. Sie trug eine pariser Toilette, die durch ihre Ueberladenheit und Kostbarkeit auffiel. Es war damals die letzte Glanzzeit jener Erfindung der schönen französischen Kaiserin, der Crinoline, die sich freilich mehr für junonisch schlanke Gestalten, als für so kleine wieselartig bewegliche Figuren, wie die der jungen Pariserin, eignete, in deren Benehmen die Süffisance des offenbaren Mangels an Bildung mit jenem Chic kämpfte, der den Mitgliedern der pariser Demimonde so häufig trotz der dunkelsten Herkunft angeboren scheint.
Die junge Lorette spielte mit einer wahren Verachtung des Geldes und ohne jede Regel der Klugheit und Erfahrung, aber gleichfalls mit unverwüstlichem Glück. Sie hatte dabei die Gewohnheit, so oft sie ansehnlich gewann, Geld und Banknoten sofort in die Tasche zu schieben, was den Fürsten sehr zu amüsiren schien, und von ihrem Begleiter oder Protecteur, der hinter ihr stand, zum Weiterpointiren neues Geld zu fordern. Dieser Begleiter war offenbar ein Cavalier von distinguirter Erziehung, aber von jener Blasirtheit, welche die junge französische Schule auszeichnet, ein Roué des Maison dorée oder der Clubs, wie sie Offenbach in seinem ›pariser Leben‹ so frech und natürlich in Musik gesetzt hat, - leichtsinnig ihr Vermögen vergeudend, glänzend, ohne jeden innern Beruf als die Sucht nach Genuß und Vergnügen, ein Adel, entsprechend der Zeit der Herren
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Mirès und Consorten. - Eine noch ziemlich frische breite Wundnarbe entstellte sein hübsches, fein aristokratisches Gesicht.
Ganz anders spielte eine Dame, die zwischen dem Spanier und einem kleinen schmächtigen Italiener saß, den sie häufig in italienischer Sprache und mit dem Titel Principe anredete. Derselbe pointirte gar nicht oder schien vielmehr nur das Spiel seiner Nachbarin zu leiten, und that dies mit solchem Geschick, den Chancen des glücklichen Spaniers folgend, daß die Dame bedeutend gewann - die Bank war heute offenbar sehr im Unglück.
Man konnte nicht sagen, daß diese Dame eine Schönheit war, und doch hatte sie etwas Pikantes, Fesselndes in dem beweglichen blassen Gesicht und den großen schwarzen Augen, die etwas dämonisch Funkelndes besaßen. Sie spielte offenbar mit nervöser Aufregung und einer gewissen Gier, zu gewinnen, die namentlich sich zeigte, wenn sie einmal verlor, und ihrem Nachbar darüber Vorwürfe machte. Sie war in Trauer, aber äußerst elegant gekleidet, und an ihren oft spinnenartig um das Gold zuckenden schlanken Fingern funkelten ein Paar werthvolle Brillantringe. Sie schien überhaupt für Juwelen und Kostbarkeiten sehr interessirt, denn in den Pausen des Pointirens hafteten ihre Blicke häufig auf der kostbaren Dose des Fürsten.
»Dieser Mensch,« sagte der Fürst, sich zu seinem Kammerdiener wendend, »hat in der That ein tolles Glück mit seinem Wagen. Ich glaube, er hat abermals zwanzigtausend Franken gewonnen!«
Es war in der That so und die Bank schob eben
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dem glücklichen Spieler die zehn Rollen doppelter Napoleon's zu.
»Lassen Sie uns zu Ende kommen, Herr Benazet,« sagte spöttisch der Spanier - »Sie sehen, ich bin auf dem Wege, Ihre Bank zu sprengen. Oder wollen Sie für heute schließen?«
»Wir sind noch nicht in der Lage, Monsieur!«
»Caramba - das kommt von dieser Beschränkung der Einsätze. Sie müssen gewaltige Besorgniß haben, daß man dieselben auf Zehntausend beschränkt hat!«
»Wünschen Monsieur zu doubliren?«
»Das Dreifache! Aber Sie werden sich ruiniren, Herr Benazet - ich sage es Ihnen im Voraus! und ich bin morgen gezwungen, nach Homburg abzureisen, kann Ihnen also keine Revange geben.«
»Geniren sich Monsieur nicht! - Ich habe für alle Fälle in Paris mit zehntausend Francs Rente für meine alten Tage gesichert, werde also Niemandem zur Last fallen.«
»Vorwärts denn!«
Die Grisette, die eben wieder ihren Gewinn in Sicherheit gebracht hatte, legte sich in ihrem Stuhl kokett hinten über und hielt die Hand auf. »Das ist eine Chance, die wir nicht vorüber gehen lassen dürfen, Vicomte, - geschwind geben Sie mir tausend Francs!«
»Aber Sie haben ja eben zweitausend gewonnen, schöne Alide?«
»Was - Sie werden sich doch nicht einbilden, mein Herr, daß ich meinen Gewinn wieder verlieren will? Allons - geben Sie!«
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Der schöne Vicomte lachte etwas gezwungen, desto herzlicher der Fürst, unter dessen auf ihn gerichteter Lorgnette der junge Roué sich beeilte, sein Portefeuille aus der Tasche zu ziehen und demselben ein Tausendfranc-Billet zu entnehmen, das er seiner seltsamen Partnerin reichte.
Die schwarze Dame hatte sich zu dem ihren gewendet.
»Was meinen Sie, Principe - soll ich es wagen?«
»Fünftausend, Signora - wenn er gewinnt, wird er doubliren! Ich habe großes Vertrauen zu seinem Glück!«
Die Dame zählte rasch die Summe ab, denn bereits hatte der Bankier ein neues Spiel Karten von den vor ihm liegenden emballirten in die Hand genommen, es nach dem Gebrauch flüchtig dem Hauptgegner gezeigt und die Emballage abgerissen.
Aber die Lust, sich an dem Spiel zu betheiligen, schien nicht groß, man wollte offenbar lieber den Kampf der beiden Gegner beobachten. Nur der Fürst schob eine Goldrolle auf die Quarres und vier oder fünf Andere setzten kleinere Beträge. Der Spanier hatte mit sichtlicher Ostentation dreißigtausend Franken abgezählt und sie auf die Karte gesetzt - die schwarze Dame und die Grisette folgten seinem Beispiel.
Dies war der Augenblick, in welchem der hannoversche Adjutant den Saal betreten hatte und sich nach seinen beiden Verwandten und dem irischen Baronet umsah.
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Der athletischen Gestalt des Letzteren war es bereits gelungen, sich bis in die zweite Reihe zu drängen, wo er dem Herrn von Kerssen und der Lady Platz machte. Sie standen alle Drei fast hinter dem Sessel des Spaniers nach dem entgegengesetzten Ende der großen Tafel zu, der verwundete Offizier auf seinen Stock gestützt. Bei dem großen Interesse, welches das hohe Spiel erregte, hatte man sich begnügt, zu murren, ohne dem Vordrängen der Eingetretenen einen ernsten Protest entgegenzusetzen. Ein Blick auf die steife Haltung der Lady hatte ohnehin genügt, die Entschuldigung der Nationalität gelten zu lassen. Man duldete damals noch die Betisen der Excentrics, ja selbst jener englischen Rheinzügler, denen die gute Gesellschaft zu Hause einfach als zur vierten Klasse gehörig die Thür gewiesen haben würde. Herr im Himmel, was ließ man sich damals noch von dieser Sorte wandernder John Bull's im lieben Deutschland gefallen, die mit dem rothen Murray den Rhein auf- und abziehen, mit einer Impertinenz sonder Gleichen die besten und dreifachen Plätze usurpiren, sich selbst an die Höfe drängen, Alles mit Nasenrümpfen kritisiren, sich unleidlich machen, hinter sich die ganze englische Flotte segeln glauben, die Consuln und die Condukteure cujoniren, und schließlich im nebligen London Handschuhe fabriciren oder hinter dem Ladentisch stehen.
Der ehemalige Kapitain in päpstlichen Diensten ließ forschend seinen Blick um die ganze Tafel schweifen, die einzelnen Physiognomieen prüfend - dann blieb dieser Blick auf dem Italiener haften, der zur rechten Seite
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des Fürsten, von diesem nur durch die Dame in Trauer getrennt, saß.
Die Lady hatte mit großer Ruhe sein Gesicht beobachtet; als sie über dieses einen Ausdruck heftigen Unwillens stiegen sah, wurde sie aufmerksam.
»Haben Sie das Mann gefunden, Sir?« frug sie deutsch.
»Ja, Mylady!«
»Bitte, zeigen Sie mir das Mann, was ist kein Gentleman, sondern ist vulgär genug, zu beleidigen eine Dame. Ich wollen ihn sehn, bevor i kann erlauben Sir Terenz, sich zu beschäftigen mit ihm.«
»Dort - die zweite Person links von dem alten Gentleman am Ende des Tisches.«
Er wies ungenirt mit dem Finger nach dem Italiener.
»Well, well! I thank you!«
Die Unterhaltung war so ungenirt geführt worden, daß sie trotz der gespannten Aufmerksamkeit der Meisten auf das Spiel doch einige Beachtung fand.
Das Lorgnon des Fürsten und der Blick des Principe erhoben sich fast zu gleicher Zeit, die ungenirten Sprecher zu suchen.
Das Auge des Ersteren fiel zufällig zunächst auf den hannoverischen Offizier, dem er freundlich zunickte und winkte, zu ihm zu kommen. Eine Geste desselben wies ihn auf den päpstlichen Hauptmann.
»Was bei allen Göttern - auch Vetter Kerssen! Geschwind, Rainert, gehen Sie zu dem Herrn Kapitain und führen Sie ihn zu mir. Sieh da, Graf, Dich schickt gewiß die Tante?«
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Der junge Offizier war zu ihm getreten, während der alte Kammerdiener seinen Platz verlassen hatte.
»Durchlaucht Tante lassen Sie allerdings bitten, nach dem Speisesalon zu kommen, wohin sie sich mit Baron von Arnim zum Souper begeben will. Eigentlich aber gilt mein Hiersein Baron von Kerssen.«
»Was Teufel fällt ihm ein, daß der fromme Legionair der Kirche sich in diese Höhle der Sünde und des Mammons wagt! Ich hätte eher an des Himmels Einfall gedacht, als ihn hier in den Spielsälen zu sehen. - Halt da - wahrhaftig, der Bursche hat richtig seine Dreißigtausend gewonnen und ich meine Tausend verloren. Ich glaube wirklich - er läßt sie stehen!«
Der Abzug hatte in der That den Sieg des Spaniers ergeben, auf den sich alle Blicke richteten, da er mit einer triumphirenden Miene auf Herrn Benazet schaute und keine Anstalt machte, den bedeutenden Gewinn einzuziehen.
Desto eiliger hatte es die Dame der pariser Demimonde in der Nähe des Fürsten gehabt - diesmal aber streckte sie vergeblich die Hand nach ihrem Cavalier aus, er war zurückgetreten und unterhielt sich hinter der Mauer der Zuschauer mit einem Herrn, ohne zu thun, als höre und sehe er das Begehren seiner Freundin. Sie mußte sich entschließen, die Banknote noch ein Mal zu wagen, wenn sie weiter pointiren wollte.
Anders hatte die schwarze Signora verfahren.
Sie konnte das Vergnügen nicht bergen, das ihr der schon nicht unbedeutende Gewinn machte, ihre Augen
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funkelten, aber gieriger auf den großen Haufen von Gold und Banknoten, welcher den Gewinn des Spaniers bildete, als auf ihren eigenen, und sie wandte sich hastig zu dem Principe mit der Frage: »Soll ich doubliren?«
Aber ihr Partner hatte wenig Acht auf ihr Interesse und der günstige Moment war vorübergegangen, die Harke des Croupiers hatte ihr bereits das Geld zugeschoben. Von dem Augenblick, als der Blick des Principe auf das Gesicht des päpstlichen Offiziers getroffen und vor diesem auf die Gestalt des irländischen Offiziers geglitten war, hatte sich eine nervöse Unruhe seiner bemächtigt, die ihm kaum erlaubte, während der Taille auf seinem Platze zu bleiben. Er rückte hin und her auf dem Stuhl, hielt die Augen fest auf das grüne Tuch geheftet und flüsterte dann seiner Gefährtin einige Worte zu.
»Chère tante läßt Durchlaucht bitten,« flüsterte der hannoverische Offizier seinem Verwandten zu, »Baron Kerssen etwas im Auge zu behalten. Sie traut der Ge[sell]schaft nicht, in der er sich befindet und fürchtet aus irgend einem Grunde eine compromittirende Scene.«
»Bah, bah - Du weißt, daß er kein Händelsucher ist. Bleibe so lange an meinem Rollwagen, bis Rainert die Diener gerufen hat. Ich will nur dem Ausgang dieser interessanten Taille noch folgen - ich spiele nicht mehr, und gehe dann mit Dir. - Da kommt er selbst!«
In der That kam um die dichten Reihen der Zuschauer, von dem Kammerdiener des Fürsten unterstützt, der päpstliche Kapitain langsam heran geschritten, hinter
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ihm drein der irische Baronet und Lady Judith, seine Gemahlin.
Aber der Baron blieb keineswegs bei seinem ihm zuwinkenden vornehmen Verwandten stehen, sondern ging einige Schritte weiter, bis er sich hinter dem neapolitanischen Nobile befand.
Dazwischen war der einfache Ruf des Bankiers ertönt, welcher zur Fortsetzung des Spiels einlud.
»Bei Patrik und Fingal, Sir,« frug der Irländer, - »haben Sie noch Nichts gesehen - ich erinnere mich des Schuftes zwar nur undeutlich von Loretto her, da einer dieser braunen Pickelhäringe aussieht, wie der andere, aber wenn Sie ihn mir zeigen, Sir ...«
»Still Terenz - warte die Zeit ab!« Die junge Frau hatte die Hand auf den Arm ihres Gatten gelegt, aber es bedurfte in der That nur des einzigen Wortes, um den heißblütigen Sohn der grünen Insel ganz gehorsam und ruhig zu machen.
»Gewiß, gewiß, Judith - ich meinte nur, die arme Mary ...«
»Deine Schwester wird ihre Genugthuung erhalten. Haben Sie sich überzeugt, Sir? ist es der rechte?«
Die Antwort ging verloren in der allgemeinen Bewegung - die Karte war zum zweiten Mal für den Spanier günstig gefallen.
»Gagné!«
Ein halb erstickter Ruf des Aergers entfuhr den blassen Lippen der schwarzen Signorina - sie wandte sich heftig zu dem Principe, der sich erhoben hatte.
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»Gehen Sie, wo Sie hin wollen,« sagte sie zornig - »mir ist es gleich! ich bleibe! Sehen Sie nicht, daß Ihr alberner angeblicher Kopfschmerz mich um fünfzehntausend Franken gebracht hat?! Das ist ein Verlust, den Sie mir nicht ersetzen können!«
»Martina - mäßigen Sie sich! - Kommen Sie, es ist genug!«
»Puh - was fällt Ihnen ein - was berechtigt Sie, hier den Herrn zu spielen? - Gehen Sie immerhin, - ich bleibe!«
Der Principe preßte die Zähne zusammen, ein böser italienischer Fluch zischte zwischen denselben.
Indem er sich umwandte, um sich hastig zu entfernen, sah er vor sich den Kapitain von Kerssen und den irländischen Baronet, zugleich klopfte ihn ein Fächer auf die Schulter.
»Sir!«
»Was wollen Sie -? mein Platz steht Ihnen zu Diensten.«
»No! no! Sie seind der Principe Caraccioli?«
Er antwortete nicht und versuchte sich bei der Dame vorüber zu drängen.
»Major von die Dragoner bei die heiligen Vater in Rom?«
»Gehen Sie zum Teufel, ich kenne Sie nicht!«
»Well, well! - I weiß - Sie seind kein Gentleman. Sir Terenz!«
»Mylady!«
»Dies seind die Man! Führen Sie ihn hinaus!«
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Der Kapitain hatte sich zu dem Italiener gewendet. »Ich ersuche Sie, Signor, uns hinauszubegleiten - wir haben mit Ihnen zu sprechen. - Bitte, ohne Aufsehen!«
Es wäre ohne solches trotz der Aufregung, die um die Tafel herrschte, auch nicht möglich gewesen, zu entkommen, denn die breite Hand des Irländers hielt den Arm des Neapolitaners wie mit einer eisernen Klammer umspannt.
Alles drängte um die Tafel - auch aus den anderen Spielsälen; die Nachricht, daß die Bank auf einen Schlag Hundertzwanzigtausend Franken verloren und im Begriff stehe, gesprengt zu werden, hatte sich rasch durch die Salons verbreitet, und man eilte herbei, den glücklichen Spieler zu sehen.
Der Spanier hatte sich von seinem Sitz erhoben und machte Herrn Benazet eine spöttische Verbeugung. »Nun Señor - ist die Bank bereit, weiter spielen zu lassen?«
Ueber das sonst so ruhige und kalte Gesicht des Spielpächters fuhr es wie mit Spinnenfüßen - im nächsten Augenblick aber war es wieder so kalt und gelassen, wie vorher. Er beugte sich nieder zu dem Kassirer.
»Monsieur Detroit - wie viel in der Kasse?«
Der Bankhalter öffnete nochmals die Kassette, aus der er so eben dem glücklichen Pointeur den großen Gewinn ausgezahlt. Mit einem Blick überschlug er den Inhalt und zuckte die Achseln.
»Etwa 40,000 Franken, Monsieur le Directeur!«
Monsieur Benazet hatte eine innere Tasche seines Gilets aufgeknöpft und eine kleine elegante Brieftasche
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hervorgezogen, die er dem Kassirer reichte. »Nehmen Sie - es sind zweimalhunderttausend Francs darin. Nun Señor Garcia, wir warten.«
Der Spanier hatte den ganzen Haufen von Gold und Banknoten auf eine neue Stelle geschoben.
»Va banque! - auf die Dame!«
Die Aufregung war ungeheuer - es standen 240,000 Franken, über 112,000 Gulden oder 64,000 Thaler, auf dem Spiel, ein Wagniß, das seit drei Saisons nicht vorgekommen war.
In dieser Bewegung, in diesem Gedräng, durch das sich selbst der anwesende Polizei-Commissar kaum zu bewegen vermochte, hatte die Entfernung der vier Personen wenig Bedeutung, die breiten Schultern und festen Ellenbogen des Irländers hatten ihnen jedoch leicht Bahn gebrochen.
Nur der Fürst eigentlich hatte sie beachtet, und obschon auch er von Neugier und Interesse für den weiteren Verlauf und Ausgang des Spiels erfüllt war, seinem Kammerdiener den Auftrag gegeben, die beiden Lakaien herbeizuholen, um den Rollstuhl fortzuschieben, und zugleich seinen Verwandten herbeigewinkt. »Kerssen hat sich mit dem Italiener, der in meiner Nähe saß, und dem Engländer entfernt - gehe ihm nach und sieh zu, daß nichts Unrechtes passirt. Du findest mich beim Souper.«
Es war eine gewisse Stille eingetreten, als die Bank den Abzug begann, Alles lauschte in athemloser Spannung.
Schon die fünfte Karte hatte entschieden -
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»Gagné!«
Es fluthete förmlich gegen den glücklichen Spieler heran - es streckten sich hundert Hände, die ihm die seinen zu drücken sich bemühten.
Monsieur Benazet verbeugte sich gegen den Sieger. »Wenn Sie verlangen, weiter zu spielen, Señor,« sagte er mit kalter Höflichkeit, »so muß die Bank um eine Pause bitten, bis sie neue Fonds herbeigeschafft; Sie haben die Tageskasse geleert.«
»Bewahre, Monsieur - es ist genug für heute, und ich habe versprochen, morgen bei Herrn Le Blanc in Homburg zu sein. Wollen Sie die Güte haben, Monsieur, mich bei dem Zählen zu unterstützen?«
Die höfliche Einladung galt dem Polizei-Commissar, der mit dem Beistand zweier in Civil gekleideter Agenten den Platz um den Stuhl des Spaniers möglichst frei von den Neugierigen hielt. Man wußte nur zu gut, welche große Zahl der gewandtesten Pariser und Londoner Taschendiebe der feinsten Art trotz aller Vorsicht der Polizei oft unter die vornehmste Gesellschaft der rheinischen Spielbäder sich einzuschmuggeln verstand.
Die Erregung des Ausschlags hatte der Fürst benutzt, seinen der geringsten Bewegung nachgebenden Fahrstuhl von der Tafel zurückzuschieben und die wohldressirten Lakaien hatten denselben sogleich erfaßt und aus dem Gedränge gezogen.
»Dieser verteufelte Spanier!« sagte der Fürst - »ich möchte wohl sehen, welche Miene er macht, wenn
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das Glück sich wendet, und daß dies kommt, weiß der Schelm Benazet so gut wie ich! Er hat sich nur in der Zeit und dem Ort verrechnet!41 - Doch - es gehört in der That Contenance dazu!«
Der Ausdruck schien den Fürsten an das gewöhnliche Mittel zu erinnern, die »Contenance« zu bewahren; - er griff in seine Tasche nach der Dose, eine Prise zu nehmen - erst in die gewöhnliche, dann in die zweite - »Alle Teufel! He, Rainert, haben Sie meine Dose und mein Tuch eingesteckt?«
»Euer Durchlaucht wissen, daß ich mir dies nie erlaube!«
»Dann muß ich sie auf dem Tisch haben liegen lassen! - Abominable! welche Zerstreutheit wegen dieses spanischen Kerls! - Halt sag' ich, Ihr Schurken! Hört Ihr nicht! Gehen Sie geschwind zurück in den Saal, Rainert, und sehen Sie nach! - Ich werde draußen warten.«
Er ließ sich in's Freie schieben, während der alte Kammerdiener sehr besorgt nach dem Spieltisch zurück eilte.
Der Platz, den der Fürst eingenommen, war bald erreicht, aber von der Dose keine Spur auf dem Tisch, dagegen fand sich das Taschentuch unter den Füßen der Personen, die sich jetzt um den Tisch drängten und die frühere Gesellschaft ersetzt hatten. Unter diesen Umständen that der Kammerdiener das Klügste, was er konnte, er
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wandte sich sofort an den noch immer bei dem glücklichen Spieler beschäftigten Polizei-Kommissar.
Obschon derselbe ihm Anfangs kein Gehör gab, da der vorsichtige Diener vermied, den Namen seines Herrn einzumischen, war der Name und die Person desselben doch zu bekannt, als daß, sobald er nur wußte, um wen es sich handle, der Beamte nicht sofort ernste Maßregeln ergriffen hätte, die verlorene oder wahrscheinlich unter dem Tuch her escamotirte Dose wieder herbeizuschaffen. Er ersuchte die Gesellschaft, vorläufig ihre Plätze nicht zu verlassen, hielt die genauesten Umfragen, da ihm der Kammerdiener sagte, daß die Dose einen Werth von mehr als zweihundert Imperials gehabt, konnte aber trotz aller Mühe Nichts ermitteln, da einerseits der Gesellschaft gegenüber mit gewisser Vorsicht und Zurückhaltung verfahren werden mußte, andererseits ja in der Bewegung um den Spieltisch die Anwesenden vielfach gewechselt, ja zum großen Theil den Saal schon verlassen hatten.
Der Commissar, ohne sich weiter um Herrn Garcia zu kümmern, beeilte sich jetzt, selbst den Fürsten aufzusuchen, um dessen Wünsche und Anweisungen wegen der weiteren Nachforschungen zu erbitten. Er fand ihn in seinem kleinen Rollwagen in der Nähe des großen Bassins, von dem Kammerdiener bereits von dem Verlust unterrichtet.
»Fatal - sehr fatal!« sagte der vornehme Herr - nur mit halbem Ohr auf seine Vorschläge hörend - »namentlich wegen des Aufsehens. Sie haben doch nicht meinen Namen genannt?«
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»Herr Rainert ersuchte mich, dies vorläufig nicht zu thun - aber Euer Durchlaucht sind durch Ihre Persönlichkeit sehr bekannt und pflegen immer jenen Platz einzunehmen, auch die Dose stets dort hinzulegen. - Die halbe Gesellschaft weiß dies - und ich hoffe gerade von diesem Umstand, daß die Dose sich wieder findet, oder zu entdecken sein wird. Können mir Euer Durchlaucht vielleicht einige nähere Kennzeichen angeben? Es ist auffallend, daß Niemand von Euer Durchlaucht näherer Umgebung bemerkt haben sollte, daß ein solcher Werthgegenstand liegen gelassen wurde. Erinnern sich Euer Durchlaucht, in welchem Augenblick Sie dieselbe zuletzt gesehen?«
»Oh - ich weiß ganz gewiß, ich nahm noch eine Prise nach der zweiten Taille jenes merkwürdigen Spiels. - Aber hören Sie - ist da drüben nicht ein Streit?«
»Irgend eine überlaute Unterhaltung! Erinnern sich Durchlaucht, wer in Ihrer Nähe saß oder hinter Ihnen stand?«
»Fatal! sehr fatal! - Hinter mir, meinen Sie? Mein Neffe Graf Solms und mein Kammerdiener. - Ich sage es ja - es giebt einen Streit da drüben! Eben deshalb schickte ich Solms weg. Es ist mir weniger des Werthes wegen, obschon dieser nicht unbedeutend, als weil die Dose noch ein Geschenk des verstorbenen Kaiser Nicolaus von Rußland war! - Sie sind wahrhaftig an einander!«
»Wer?«
»Ei, dieser Italiener - es soll ein neapolitanischer
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Principe sein, wie ich mir habe sagen lassen. Ich kann den Kerl nicht leiden und er verdarb mir das ganze Spiel, da er sich neben mich gesetzt hatte.«
»Durchlaucht meinen den Principe Caraccioli?«
»Ich glaube, so heißt er!« Der Fürst hielt ungeduldig die Hand hinter's Ohr, als wolle er besser die Töne einfangen.
»Der Principe ist ein Mann von schlechtem Ruf,« beeilte sich der Beamte zu sagen - »einer jener italienischen Abenteurer, deren die Revolution dort so viele uns über die Alpen geschickt hat. Ich bin schon seit mehreren Tagen auf ihn aufmerksam gemacht worden. - Seine Landsleute vermeiden, mit ihm in Umgang oder Beziehungen zu treten, - man behauptet, er sei aus der päpstlichen Armee ausgestoßen worden.« - Er dämpfte die Stimme. »Sollte er sich erdreistet haben ...?«
»Nein, nein - es ist nicht möglich, - ich glaube, er hatte andere Dinge zu thun - und - ich erinnere mich, daß ich die Dose noch in der Hand hatte, als er aufstand, sich zu entfernen - ich hatte ein scharfes Auge auf ihn. - Meine eigene fatale Fahrlässigkeit ist schuld - ich werde den Verlust wohl verschmerzen müssen!«
»Dennoch ...«
»Was Teufel - hören Sie ...«
Es folgte von jenseits des Bassins her ein Ruf um Hilfe in italienischer Sprache und dann ein Klatsch in's Wasser - dem ein lautes Lachen nachfolgte. - Das Publikum begann sich zu sammeln, ließ sich aber von der deutlich hörbaren Heiterkeit täuschen und glaubte, es sei
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irgend Jemand durch Zufall über den Rand des Bassins gefallen. Da schwerlich Lebensgefahr dabei war, lachte man selbst über den Unfall.
»Verzeihen Durchlaucht, aber ich muß doch nachsehen, was da drüben passirt ist!«
»Sie finden mich alsdann in den Speisesälen, - aber nochmals - ich wünsche kein Aufsehen! -« Er gab das Zeichen, ihn weiter zu schieben, da sich immer mehr Publikum versammelte. -
Wir müssen zu dem Augenblick zurückkehren, als der Kapitain Baron von Kerssen und der irische Baronet den Neapolitaner zwangen, mit ihnen die Spielsäle zu verlassen.
Der Principe machte sich, als sie aus dem Gedräng um den Spieltisch sich befreit, unwillig von der Hand des Irländers los. »Lassen Sie mich, Signor - mein Wort, daß ich Ihnen folgen werde.«
Die Dame in Schwarz hatte nur flüchtig nach ihm zurückgesehen, das Spiel vor ihr fesselte ihre ganze Aufmerksamkeit.
»Was giebt es, Benedetto?«
»Eine Privat-Angelegenheit - lassen Sie sich nicht stören, Mathilde!«
Der Baronet hatte fragend seine Gemahlin angesehen, ob er den Italiener los lassen dürfe; - als sie Zustimmung nickte, that er es ziemlich mißtrauisch, indem er ihn nicht aus den Augen ließ. Es war in der That amüsant, zu sehen, welche unbedingte Herrschaft bereits der energische Charakter der jungen Frau über den störrischen und ungeberdigen Burschen erlangt hatte.
»Lassen Sie uns weiter gehen,« sagte der Baron, als der Irländer Miene machte, stehen zu bleiben, »dort, jenseits des Bassins sind wir allein.«
Der Neapolitaner schien Anfangs Widerstand leisten und eine Erklärung auf der Stelle verlangen zu wollen, - sich jedoch alsbald eines Bessern zu besinnen; er mochte das Aufsehen scheuen. Die Arme übereinander geschlagen, die Zähne zusammen gebissen, ging er weiter, bis sie an eine einsamere Stelle kamen, dann blieb er stehen und wandte sich gegen seine Begleiter.
»Nun, Signori, ich dächte, es wäre endlich Zeit, daß Sie die Güte hätten, mir zu sagen, was Sie eigentlich von mir wünschen?«
»Sie sind der Principe Caraccioli,« sagte der westfälische Edelmann.
»Mein Name steht in der Badeliste!«
»Sie kommandirten die päpstlichen Dragoner bei Castelfidardo!«
»Da Sie selbst dabei waren, ist es kein Kunststück, das zu wissen!«
»Sie erinnern sich also meiner Person?«
»Der Herr Kamerad haben eine zu ausgezeichnete Physiognomie, als daß man dieselbe vergessen könnte!«
»Ein Mann von Ehre hat keine Kameradschaft mit Feiglingen und Verräthern!«
»Ich muß Ihnen bemerklich machen, Signor Capitano, daß ich Ihnen schon ein Mal erklärte, wie billig eine Beleidigung sei, wenn man in Voraus weiß, daß man dafür keine Satisfaction zu geben gewillt ist!«
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»Ah - Sie erinnern sich also der Gelegenheit! Desto besser! Dann werden Sie sich auch wohl meiner Antwort erinnern, und daß ich Ihre Genugthuung auf das Schlachtfeld verwies!«
»Wie der Erfolg zeigte, ein schlechter Wechsel! Ich bedauere unendlich, daß ich mich nicht aufhalten konnte, als Sie meinen Beistand auf der Retirade in Anspruch nahmen,« sagte der Principe höhnisch. »Indeß ist in solchen Fällen Jeder sich selbst der Nächste.«
»Ein deutscher Edelmann, Signor Principe,« sagte der Kapitain stolz, »wendet dem Feind nicht den Rücken, so lange er kampffähig ist, oder wenn sein Kommandeur nicht den Rückzug befiehlt. Auch erinnere ich mich nicht, trotz meiner schweren Verwundung Ihren Beistand für mich in Anspruch genommen zu haben. Nur das weiß ich, daß ich wahrscheinlich nur einem glücklichen Zufall oder der Eile der Herren Dragoner es zu danken hatte, daß ich einem Meuchelmorde entging.«
»Herr ...«
»Ich bin darin glücklicher gewesen, als der junge Franzose, den Sie meuchlings niederschossen, als er die Schwester dieses Herrn gegen Sie vertheidigte.« -
Die Farbe des Neapolitaners spielte in's Fahle. »Die Schwester dieses Herrn ...« stammelte er. - »Ja - ich erinnere mich - ich traf die Dame mitten im Gedränge der Flucht, und - nur um eine Galanterie wieder gut zu machen, die ich am Abend vorher mir erlaubt hatte, weil ich unter ihrer Kutte nicht gleich wußte, wer sie war? - hielt ich es für Kavalierpflicht,
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mich ihrer anzunehmen und sie aus dem Gedränge zu bringen - ein mir fremder Mensch wollte mich daran hindern und griff mich mit dem Degen an - da - schoß ich ihn nieder! Voilà tout. Sie hätten es wahrscheinlich ebenso gemacht!«
Die Rechtfertigung der schändlichen Handlung, so frech und erlogen sie auch war - zeigte doch von eben solcher Arglist wie Geistesgegenwart, so daß der deutsche Edelmann einen Augenblick verstummte.
»Ich habe also nur diesem Herrn hier,« fuhr der Italiener, seinen Vortheil schlau erkennend und benutzend fort - »nochmals meine Entschuldigung zu machen, daß ich das Unglück hatte, in einer Weinlaune die Signorina, seine Schwester, zu beleidigen, weil ich in ihrer Verkleidung sie nicht erkannte, und ich freue mich, Gelegenheit zu dieser Entschuldigung gefunden zu haben, obschon es deshalb kaum nöthig gewesen wäre, mich des interessanten Schauspiels, des Spiels des Señor Garcia zu berauben. Da ich damit die Sache abgethan glaube, so werden Sie mir wohl erlauben, nach dem Saale zurückzukehren - es müßte denn sein - Sie hätten den Muth erhalten, die Beleidigungen, die Sie dem Principe Caraccioli anzuthun beliebten, als Edelmann auch mit der Pistole in der Hand zu vertreten - woran Sie ja wohl Ihre Beinwunde nicht hindern wird.«
Er machte eine höhnische Verbeugung und wollte sich entfernen, als der deutsche Edelmann die Hand ausstreckte.
»Einen Augenblick, mein Herr!«
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»Nun?«
»Ich habe kein Recht, Sie für den Meuchelmord zur Verantwortung zu ziehen, den Sie unter dem Vorwand der Insubordination oder eines persönlichen Angriffs gegen einen jungen hoffnungsvollen Mann, den letzten Sprossen einer der edelsten Familien Frankreichs begingen und jetzt so geschickt entschuldigt haben. Aber ich weiß durch die Mittheilungen des würdigen Priesters, der bei jenem traurigen Vorfall zugegen war, daß die That nicht besser als Meuchelmord war! Aber da Sie nach ihr und nach dem feigen Verrath, den Sie bei Neapel wie bei Castelfidardo begangen, die Dreistigkeit haben, sich wieder in die Gesellschaft zu drängen, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß morgen die Marquise von Laroche-Beauvoir davon in Kenntniß gesetzt werden soll, in welcher Weise und von welcher Hand ihr Sohn gefallen ist, wenn sie es noch nicht wissen sollte, und ...«
»Sie haben die Freiheit, der Verleumdung immerhin die Beleidigung hinzuzufügen,« sagte der Principe höhnend - »Sie duelliren sich ja nicht!«
»Nein - ich habe nicht aus religiöser Ueberzeugung Männern von Ehre und Muth diese gottlose und frevelhafte, eines Christen unwürdige Sitte verweigert, - um meine Ueberzeugung einem Mann wie Sie zu opfern. Aber ich habe Ihnen zu sagen - kommen Sie näher, Vetter Solms,« unterbrach er sich in französischer Sprache, dem jungen Offizier winkend, den der Fürst ihm nachgesandt und der schon längere Zeit in einiger Entfernung dem italienisch geführten erregten Gespräch zugehört
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hatte. - »Sie kennen mich und werden wissen, was das Wort eines Kerssen zu bedeuten hat! - ich habe Ihnen also zu sagen, daß wenn ich Sie morgen Mittag noch in Baden-Baden, und die Gesellschaft durch Ihre Anwesenheit befleckt finde, ich bekannt machen werde, daß der neapolitanische Nobile, Principe Caraccioli für Geld den Spion der Sardinier im päpstlichen Hauptquartier gemacht und die Ordre de Bataille dem Feinde verkauft hat. Die Beweise befinden sich in meinen Händen!«
Der hannover'sche Offizier trat einen Schritt vor. »Da mein Vetter Kerssen sich aus Grundsatz nicht duellirt, so würde es mir Vergnügen machen, einem Schuft, der den Adel und den Offizierstand entehrt hat, eine Kugel in die Zähne zu schicken.«
Die Lady, die bisher schweigend der Verhandlung beigewohnt hatte, erhob ruhig die Hand.
»Thorheit, Sir - dieser Herr hat Recht, - ein Gentleman duellirt sich nicht mit Leuten wie dieser Mann. Sie haben meine verstorbene Schwägerin beleidigt, Sir? Terenz, mein Freund, - beschmuze Deine Hand nicht mit ihm, wirf ihn wie einen schäbigen Hund in's Wasser!«
Der Baronet streckte den Arm aus, und während der Neapolitaner tückisch nach der Brusttasche fuhr und ein dort verborgenes Stilet zog, hatte er ihn, ohne ein Wort zu sprechen, bereits am Kragen gefaßt, den nach Hilfe Rufenden in die Höhe gehoben und mit der anderen Hand zufassend ihn mit samt seiner Waffe im Bogen weit hinaus in das Bassin geschleudert.
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Alle wußten wohl, daß keine besondere Gefahr mit dem unfreiwilligen Bade verbunden war, und die Angstbewegungen des Neapolitaners, sein Sprudeln und Schnaufen, als er wieder emportauchte, wirkten so komisch, daß die drei Männer in ein schallendes Gelächter ausbrachen, das sich noch verstärkte, als der Principe schimpfend und drohend aus dem Wasser krabbelte und eiligst in dem nächsten in's Gebüsch führenden Gange verschwand.
Nur die Lady behielt ihre unveränderte Ruhe.
»By Go[o]d, Sir Terenz,« sagte der hannoversche Offizier, noch immer lachend - »ich weiß zwar nicht genau, was jener Bursche verbrochen hat, aber ich muß gestehen, Sie haben eine unnachahmliche Manier, eine Erklärung zu beenden. - Doch - sollte die Sache ernstere Folgen und Sie keinen besser berechtigten Freund hier haben, stehe ich Ihnen gern zur Disposition.«
»Keinen Unsinn, Terenz,« sagte die Lady, »Du weißt, ich leide dergleichen nicht! Die Sache ist abgemacht.«
»Ich halte sie auch dafür, obschon der Halunke billig genug dabei weggekommen ist,« meinte der Kapitain. Ich denke, wir werden sein Gesicht in Baden nicht wieder zu sehen bekommen. - Doch, dies Taucher-Experiment scheint einiges Aufsehen gemacht zu haben, - hier ist die Polizei. Einen Augenblick, mein Herr, wenn ich bitten darf!«
Er trat mit dem eben herbeigekommenen Kommissar zur Seite, nannte diesem seinen Namen und seine Verwandtschaft und theilte ihm mit, was ihm zu wissen nöthig war. Als der Kommissar hörte, in welcher Weise
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der Italiener behandelt worden, konnte er kaum selbst ein Lächeln unterdrücken und sagte nur, daß er bedauere, zu spät gekommen zu sein, da er beabsichtigt habe, den Herrn trotz seines vornehmen Namens wenigstens in sein Bureau mitzunehmen und einer kleinen Durchsuchung zu unterwerfen, da er den Verdacht hegen müsse, er habe mit dem Verschwinden einer werthvollen Dose des Fürsten zu thun.
Der Kapitain hörte hier zuerst von dem Verlust, der seinen Verwandten betroffen, beeilte sich aber, dem Beamten mitzutheilen, daß der Italiener Nichts damit zu thun gehabt haben könnte, da er sich deutlich erinnere, im Augenblick, als er ihn genöthigt habe, den Saal zu verlassen, die Dose noch auf dem Platz vor seinem Verwandten liegen gesehen zu haben.
Mit dieser Erklärung war natürlich der Verdacht des Beamten beseitigt. Es passirt so Viel in den Spielbädern, daß man wenig Zeit und Lust hatte, von einem Gelegenheitsdiebstahl viel Aufsehen zu machen, und der nächste Tag sollte ohnehin ein Ereigniß bringen, welches das Interesse an der gewöhnlichen Tageschronik in den Hintergrund drängen mußte.
Der Baron von Kerssen konnte natürlich nicht umhin, seinen hohen Verwandten aufzusuchen und ihm eine Erklärung seines Benehmens an dem Abend zu geben, es war ihm daher nicht unlieb, als der junge hannoversche Offizier die Gesellschaft einlud, zusammen im Conversationshause zu soupiren.
Selbst Lady Judith ließ sich bewegen, der Einladung
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zuzustimmen, - sie schien den Charakter ihres Gatten zu gut zu kennen, um nicht zu wissen, daß sie ihn nicht aus den Augen lassen dürfe, wenn sie nicht befürchten wollte, daß er noch einmal den Neapolitaner aufsuchen werde, um einen Streit mit ihm anzufangen, dessen Folgen dann unberechenbar gewesen wären.
Die kleine Gesellschaft hatte sich übrigens kaum auf den Weg gemacht, als aus einem naheliegenden Boskett eine Frauengestalt schlüpfte und sich vorsichtig umsah.
»Wo er nur stecken mag,« flüsterte die Dame - »ich müßte meinen Mann nicht kennen, wenn er weit von hier sein sollte. Nun, das frische Bad kann im Grunde nicht schaden, es rechtfertigt die rasche Abreise. Die hohe Polizei würde gut thun, als erste Regel zu merken, daß man nie über Gegenstände von Interesse sprechen soll, ehe man sich versichert hat, welche Ohren sich auf fünfundzwanzig Schritt in der Runde befinden. Laßt sehen, ob wir die Macht haben, einen Ertränkten wieder in's Leben zu rufen, ohne uns selbst zu exponiren.«
Und halblaut eine italienische Tarantella trillernd, prommirte sie durch die nächsten Gänge.
Sie hatte die Runde noch nicht zwei Mal gemacht, als von einem der alten Bäume sich eine dunkle Gestalt löste. »Hierher, Mathilde!«
»Ah - ich dachte es mir! Nun, Freund Benedetto, was für eine neue Thorheit haben Sie da angezettelt?«
»Nichts, was Sie kümmern kann,« sagte mürrisch der Principe, der hinter dem Baum hervorkam. »Hole
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der Teufel diese deutschen und englischen Bestien! Wir müssen noch diesen Abend mit dem Nachtzug Baden verlassen!«
»Bewahre - ich befinde mich hier vortrefflich! - Wenn Sie reisen wollen, Principe, so reisen Sie allein - ich hindere Sie nicht daran. Ja es wird vielleicht ganz gut sein, wenn Sie auf einige Zeit verschwinden!«
»Aber ... kommen Sie zunächst hierher - und helfen Sie mir, diesen nassen Rock vom Leibe ziehen und ein wenig auswinden - ich, - ich bin in's Wasser gefallen!«
»Oder geworfen worden! - Geniren Sie sich nicht, Altezza! Sie waren in Monaco, als ich Sie dort traf, so stark auf das Trockne gesetzt, daß Sie schon eine kleine Anfeuchtung vertragen können.«
Der Nobile stieß einen Fluch aus. »Wenn ich bei dem verdammten Sturz in das Wasser nur nicht das Stilet verloren hätte, - er hätte mir mit dem Leben den Schimpf zahlen müssen!«
»Und Sie wären dafür in ein deutsches Gefängniß gesperrt worden. Thorheiten, Principe ich denke, vernünftige Leute wie wir, werden die Leidenschaften nie über den Verstand Herr werden lassen.«
»Aber ich kann mich nirgends mehr in der Gesellschaft sehen lassen!«
»Die Welt ist groß, lieber Freund! Brutaler Uebermacht wird ein vernünftiger Mann stets aus dem Wege gehen! Jetzt gilt es nur, zu entscheiden, ob und wann Sie abreisen müssen?«
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»Leider muß ich! ich kann Ihnen die Ursache nicht sagen, sie hängt mit politischen Rücksichten zusammen.«
»Ich begreife - dieselben, weshalb Sie Ihren Aufenthalt in Monaco abkürzen mußten! - Wie gesagt, wenn Sie Baden verlassen müssen, geschieht es am Besten so rasch als möglich. Ich würde in Ihrer Stelle gar nicht in's Hôtel zurückkehren - mit Gepäck sind Sie ohnehin nicht sonderlich beschwert! - Sie sparen überdies damit die Hôtelrechnung!«
»In diesem Zustande?«
»Bah - in einer Juli-Nacht! - Hier ist Ihr Hut, ganz trocken, den ich am Bassin gefunden habe. Ihr Rock ist so ziemlich des Wassers entleert.«
Die Beiden hatten mit aller Kraft das Kleidungsstück ausgewunden und der Principe sich auf der Rundbank am Baum der Stiefeln entledigt und das Wasser ausgegossen.
»Wenn ich nur wenigstens meinen Sommer-Mantel hätte, - er ist weit genug, den verdorbenen Anzug zu bedecken.«
»So geben Sie mir die Nummer, ich werde ihn in der Garderobe holen lassen.«
Er gab ihr die Karte. »Die Läden unter den Arkaden sind noch nicht geschlossen. Kaufen Sie mir Schuh und Strümpfe dort!« -
»Unnütze Geldverschwendung!- Erwarten Sie mich hier!«
Sie entfernte sich - in einem der nächsten Gänge an einer Bank griff sie unter dieselbe und verbarg einen
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Gegenstand dort - dann, mit der ungenirten Haltung einer promenirenden Dame näherte sie sich dem Conversationshause, mischte sich unter die noch immer flanirende Menge und beauftragte einen der dienstbaren Geister, aus der Garderobe am Eingang der Spielsalons den leichten Sommermantel zu holen. Ein reichliches Trinkgeld gab dem Auftrag Nachdruck und als der Kellner dies Kleidungsstück brachte, warf sie es über den Arm und ging nach den Colonnaden.
Ein paar Strümpfe und passende Schuhe waren rasch gekauft, aber ehe sie sich nach den Anlagen zurückwandte, trat sie noch in einen der Läden und suchte unter den Necessaires und Quincaillerien eine kleine feste Stahlcassette mit englischem Schloß aus, die sie ohne zu feilschen bezahlte. Dann erst kehrte sie zurück nach den Gängen am Teich.
Auf der Bank, hinter der sie vorhin den Gegenstand verborgen, setzte sie sich nach vorsichtiger Umschau nieder, hob das Versteckte auf, schob es in die Cassette und verschloß dieselbe. Den Schlüssel steckte sie zu sich.
»So! - es ist besser für alle Fälle, wenn man sich etwa erlauben sollte, gegen mich Verdacht zu hegen!«
Sie fand den Italiener trotz der warmen Sommernacht vor Frost schauernd auf der Stelle, wo sie ihn verlassen.
»Hier mein Freund, Ihren Mantel und Schuhe und Strümpfe, Sie sehen, daß ich das Geld nicht schonte.«
Er warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. »Wohin wollen Sie, daß ich gehe!«
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»Erwarten Sie mich in Brüssel, in spätestens zehn Tagen werde ich dort sein. Geben Sie poste restante Ihre Adresse.«
»Unter Ihrem Namen?«
»Bewahre! - Schreiben Sie einfach Madame Matilde Nummero - welchen Datum haben wir heute?«
»Den dreizehnten!«
»Nun also Nummero Dreizehn!«
»Sie kommen sicher?«
»Ich habe Ihnen schon früher gesagt, daß ich in Brüssel Geschäfte habe. Gehen Sie über Straßburg, bei der gewiß starken Passage heute wird man es mit der Legitimation nicht so genau nehmen, - der Zug geht in einer halben Stunde, in zwei Stunden sind Sie dort und können im nächsten Hôtel den Schnupfen verschlafen. Eilen Sie also!«
»Ja,« sagte zögernd der Principe - »wir haben noch das Beste vergessen!«
»Wie so?«
»Ich lasse meine ganzen Sachen zurück - Sie wissen, daß man mich an der Bank von Monaco vollständig geplündert hatte.«
»Machen Sie mich nicht lachen, Benedetto,« sagte die Dame - »seit wir in Baden spielen, hat Ihr Antheil mindestens fünfzehntausend Francs betragen, obschon ich das Kapital dazu hergab. Ich weiß, daß Sie Ihr Geld stets bei sich tragen - sehen Sie nur nach - in der Ledertasche auf der Brust!«
»Die Banknoten können durchnäßt sein - jedenfalls
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haben wir noch den heutigen Gewinn zu theilen. Wir haben ungefähr zwanzigtausend Franken gewonnen!«
»Ich werde dafür Ihre Rechnung bezahlen!«
»Unsinn, Matilde - ich gehe nicht von der Stelle, bis ich meinen Antheil habe. Geben Sie mir zehntausend Franken und bezahlen Sie unter irgend einem Vorwand meine Rechnung, schon weil man uns stets beisammen gesehen, und die Wirthe nur dann für die Polizei blind und taub sind, wenn ihre Rechnungen nicht geprüft werden!«
»Geizhals! Ihre Affaire war schuld, daß ich den Hauptcoup verfehlte. Señor Garcia hat die Bank gesprengt!«
»Verflucht! Es ist ein Unglücksabend - es muß mich Jemand heute mit dem bösen Blick angeschaut haben. - Also geben Sie, - oder ich versäume den Zug!«
Nach verschiedenen Einwendungen mußte die Dame sich in der That dazu bequemen, die Spielbeute zu theilen. »Aber dafür einen Dienst, Principe!«
»Tausend für einen - Sie wissen, daß ich ganz der Ihre bin, meine Angebetete.«
»Hier, nehmen Sie dies Kästchen an sich, und bewahren Sie es sorgfältig, bis wir uns in Brüssel wieder treffen.«
»Darf ich wissen, was es enthält?«
»Der Inhalt ist werthlos für Sie ... nur für mich von Interesse, aber ein Mann entzieht dergleichen
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eher der Douane! Ihr Ehrenwort darauf, daß ich es unversehrt in Brüssel wieder finde?«
»So unversehrt wie mich selbst!«
»So leben Sie wohl - ich kehre in das Hôtel zurück, während Sie einen Fiacre zum Bahnhof nehmen. Glückliche Reise!«
Sie entfernten sich Beide nach verschiedenen Seiten.

Fußnoten:

1Am 26. September 1860.
2Aus diesem Grunde begnügen sich z. B. die Popen in den Kämpfen der christlichen Stämme, an denen sie stets tapfer theilgenommen, den Feind zu Boden zu schlagen, statt ihn zu tödten.
3Die Piesme, welche die Hegira der Montenegriner besingt, d. h. die Befreiung vom türkischen Joch durch die Ermordung sämmtlicher Türken im Lande in einer Nacht auf Veranstaltung des Vladika Danilo Petrowitsch Nieguschi (1703), also eine Art Bartholomäusnacht oder sicilianische Vesper.
4Dörfern.
5Die Organe des Prinzen Napoleon.
6Wohnsitz des Prinzen Joachim Mürat.
7Der Dictator von Venedig 1849.
8Die damals großes Aufsehen machende Brochüre des Herzogs von Aumale war die Antwort auf die Brandrede, welche Prinz Napoleon im Senat gegen die weltliche Herrschaft des Papstes und die Orleans gehalten hatte.
Die Brochüre erwidert unter Anderm auf die Andeutung des Prinzen: man solle jeden Legitimisten erschießen, der es wagen würde, sich mit bewaffneter Hand am empire zu vergreifen: »Wenn es sich um's Erschießen handelt, dann ist das Wort der Bonaparten gut; von allen Versprechungen, welche Sie und die Ihrigen jemals gemacht haben oder noch machen werden, ist dies die einzige, auf deren Erfüllung ich rechnen werde! ... Sie sprechen heute in prächtigen Phrasen vom Staatsstreich vom 2. Dezember. Und doch traf man Sie an jenem Tage nicht unter den Getreuen, die herbei geeilt waren, um sich dem Glück des neuen Diktators zu weihen, freilich waren Sie auch nicht unter den Volks-Repräsentanten, die gegen den Umsturz der Landesgesetze protestirten. Wo waren Sie denn? Man erinnert sich, daß einige von den entschlossenen Männern, welche berathschlagten, ob man sich auf den Barrikaden schlagen solle, oder nicht, Sie plötzlich unter sich gesehen haben, jedoch nur, um spurlos bei Ankunft der Polizei zu verschwinden ... Aber wenn Sie Ihren pariser Beschäftigungen nicht ein Paar Tage entziehen können, um dieselben diesem überseeischen Frankreich zu weihen (Algerien, dessen Gouverneur der Prinz einige Zeit war), so haben Sie doch das unschätzbare Glück gehabt, unsere afrikanischen Legionen in der Krim landen zu sehen; konnten Sie ihnen auch nicht bis an's Ziel ihrer glorreichen Mühen, bis vor Sebastopol folgen, so haben Sie doch von ihren Heldenthaten bei Magenta und Solferino erzählen hören können, da Sie nicht weit von ihnen standen, wie Sie selbst erläutert haben, beschäftigt, nach dem Kriegsmaterial der Herzogin von Parma zu suchen ... «
9Nena Sahib, I. Theil: Der zweite Dezember.
10Der Vater des Prinzen Jerôme Bonaparte, der Exkönig von Westphalen, hatte während seines Aufenthalts in Nord-Amerika am 24. Dezember 1803 im Beisein des französischen Consuls in Baltimore und wie sich bei dem Prozeß erwies, offenbar mit Genehmigung seiner Mutter Lätitia, die Tochter eines reichen Bankiers von Maryland, Miß Elisabeth Patterson, unter kirchlicher Trauung durch den katholischen Bischof von Maryland geheirathet. Später als ihn Napoleon I., zum Kaiser gekrönt, zurückrief, versuchte er auf dessen Befehl die Ehe zu trennen, doch weigerte der Papst die Scheidung und der Kaiser annullirte eigenmächtig die Heirath und verheirathete seinen Bruder anderweitig. Nachdem König Jerôme am 24. Juni 1860 gestorben war, strengte Madame Patterson-Bonaparte mit ihrem in legitimer Ehe geborenen, durch vielfache Briefe der Bonaparte's, selbst des Kaisers Louis Napoleon anerkannten Sohn in Paris eine Klage um die Hinterlassenschaft des Königs Jerôme gegen den Prinzen Napoleon und seine Schwester, die Prinzessin Mathilde, an. - Das Urtheil des Appellationshofes vom 1. Juli 1861 wies sie ab, indem es eine gesetzliche Scheidung und Abfindung annahm, indeß sehr gegen die öffentliche Meinung.
11Der Polizeipräfect.
12Cor (Waldhorn), corps législatif gesetzgebender Körper! Graf Morny war ein großer Musikfreund und componirte auch Operetten, die er in seinem Palais aufführen ließ - zur Qual der Gesellschaft.
13Das bereits erwähnte im Auftrage des Kaisers bei dem Mortara-Streit geschriebene und am 22. December 1859 in Paris zuerst aufgeführte Theaterstück, das die Mortara Geschichte, in das 16. Jahrhundert zurückverlegt, dramatisirt. Der Kaiser gab bei den Hauptstellen selbst das Zeichen zum Beifall.
14Bundesbruder.
15Eine der berühmtesten Heldenthaten Wusseïns, in vielen Liedern besungen.
16»Von Gott, dem großen Mörder!« getödtet, sagen die Cernagorzen mit Verachtung von Dem, der eines natürlichen Todes, nicht in der Schlacht stirbt.
17Im Jahre 1830, als Sultan Mahmud auf das Drängen Rußlands eine neue Regulirung und Erweiterung der Gränzen Serbiens gegen Bosnien genehmigt hatte, widersetzte sich Ali Widaïtsch, der Pascha von Zwornik, den Commissarien und setzte sie gefangen. Später durch die Versprechungen des Paschaliks Sdrnik aus seiner alten Veste gelockt, fand er dasselbe bereits von Memisch-Aga besetzt und - als er nach Zwornik zurückkehrte, - auch dieses von seinem eigenen Vetter Mahmud gesperrt. Dennoch gelang es dem Geächteten, mit Beistand seiner Anhänger in die Stadt zu dringen, und er hätte seine Gegner wahrscheinlich wieder vertrieben, wenn diesen nicht auf Anstiften des Sultans der Herr von Gradaschatz, der junge Wusseïn zu Hilfe gekommen wäre. So von zwei Seiten angegriffen, verschanzte sich Widaïtsch in seinem Konak und leistete verzweifelte Gegenwehr, wurde aber endlich, da Wusseïn und Mahmud den Palast in Brand steckten, gezwungen, sich zu ergeben. Weit entfernt aber, nach dem Willen des Großherrn seinen Gefangenen zu tödten, umarmte ihn Wusseïn und erkor ihn zu seinem Bundesbruder - ein Verhältniß, das bei den slavischen Kriegern von der höchsten Bedeutung ist, und das nur der Tod trennen darf, und seitdem waren die Beiden in der That unzertrennliche Schicksalsgenossen.
18Bosniern
19Die alte Kopfsteuer, der Haratsch der türkischen Regierung.
20Ein Tapferer.
211842.
22Die Gekreuzigten - Getauften - auch der Hohnname des Nizam.
23Oder Kapi-Aga, das Oberhaupt der weißen Verschnittenen, wie der Kislar-Aga das der schwarzen Eunüchen ist.
24Trinkgeld.
25Das zweite Oberhaupt der weißen Verschnittenen; Zillah (Schatten Gottes), Alem Penab (Zuflucht der Welt): Titel des Sultans.
26Biarritz. I. Abtheilung. II. Band: Seite 470.
27Der zweite Sohn des Fürsten Adam, Prinz Ladislas ist mit der Prinzeß Marie Amparo, Gräfin von Vista Alegre, einer Tochter der Königin Christine von Spanien und des berüchtigten Herzogs von Rianzares vermählt.
28Professor Lelewel war am 21. März 1786 zu Warschau geboren, väterlicherseits von deutscher Abstammung, da er von einer erst im 18. Jahrhundert in Polen eingewanderten Familie, den Lölhövel stammte. - Es ist eine den polnischen, engherzigen Fanatismus kennzeichnende Gewohnheit geworden, daß so viele Polen ihren ächt deutschen und ihre Herkunft kennzeichnenden Namen mit Gewalt in's Polnische oder Französische verdrehen - noch heutzutage!
29Begonnen von Franz 1. 1515 - vollendet von Heinrich II.
301. Band, Seite 364 ff.
31In den Papieren des Julikönigs wurde bei der Plünderung der Tuilerieen ein Dokument gefunden, das die detaillirtesten Enthüllungen über die früheren Complicen Blanquis in den früheren Verschwörungen gegen Louis Philipp enthielt, wegen deren Theilnahme Blanqui mehrfach zu Gefängniß, nach der Emeute vom 12. Mai 1839 mit Barbès vom Pairshof sogar zum Tode verurtheilt, von Louis Philipp aber zu lebenslänglichem Gefängniß begnadigt worden war. Man schrieb diese Enthüllungen Blanqui selbst als Preis für seine Begnadigung zu, und Taschernau, Mitglied der Constituante und der Legislative (nach dem Staatsstreich Administrator der kaiserlichen Bibliothek) ließ diese Geständnisse seines früheren Agitations-Genossen nach der Demonstration vom 17. März (gegen die Constituante) an der Spitze seiner Revue rétrospective unter dem Titel: ›Geständnisse ... gemacht vor dem Minister des Innern‹ erscheinen.
32Ein bekannter Wächter der nahe gelegenen Morgue.
33Der russische Gesandte.
34De la Cité und Saint Louis - der interessanteste Theil des alten Paris mit seinen reichen historischen - zum Theil schrecklichen Erinnerungen.
35Leihhaus.
36Wir müssen von vorn herein dagegen protestiren, daß man uns etwa beschuldigt, die Geschichte, die wir hier erzählen, um zehn oder vierzehn Jahre vordatirt und mit anderen Personen und Schauplatz ausgestattet zu haben. Sit ut est, aut non sit!
37Varco: Ausgang, Durchgang; varcare: hinübergehen oder fahren.
38Der Palazzo Cavour, in dem auch der Minister starb, ist nach dem Tode seines Neffen und Erben in andere Hände übergegangen.
39Ein königliches Lustschloß.
40Der berüchtigte Tagesbefehl des General Pinelli, als er mit der Pacificirung der Abruzzen und der Belagerung von Civitella del Tronto beauftragt wurde, lautete:
»Offiziere und Soldaten! Ihr habt Viel gethan, aber Nichts ist gethan, sobald noch Etwas zu thun übrig bleibt. Ein Rest jener Spitzbubenrace versteckt sich noch in den Gebirgen; hetzt sie hinaus aus ihren Schlupfwinkeln und seid ohne Mitleid, wie das Schicksal! Gegen solche Feinde ist das Erbarmen ein Verbrechen. Feige und kriechend Euch gegenüber, morden sie die Verwundeten; ohne politisches Princip, nur dem Raube nachjagend, sind sie für den Augenblick die besoldeten Banditen, nicht Christi, sondern des Satans, und bereit, Anderen ihren Dolch zu verkaufen, sobald das Gold, das man der stupiden Leichtgläubigkeit der Christen entreißt, nicht mehr hinreichen wird, ihre Habsucht zu befriedigen. Wir werden sie vernichten, wir werden den priesterlichen Vampyr zertreten, welcher mit seinen unsauberen Lippen seit Jahrhunderten das Blut unserer Mutter saugt; wir werden mit Feuer und Schwert die durch seinen schmutzigen Geifer verpesteten Gegenden reinigen, und aus seiner Asche wird die Freiheit auch für die edle Provinz Ascoli hervorgehen.«
Was sollte die soldatische Welt Europa's freilich dazu sagen, wenn man einem doch vollkommen berechtigten und von dem König von Neapel befohlenen Widerstand gegen die Occupation gegenüber so - fast kindische Erlasse liest, wie der war, mit welchem der sardinische Generalmajor Chiabrera den tapferen und seiner Pflicht treuen Kommandanten der Citadelle von Messina, den alten General Fergola zur Uebergabe derselben aufforderte, oder Cialdinis Drohung, Alles über die Klinge springen und für jeden durch das Feuer der Citadelle Gefallenen nach der Einnahme einen Offizier oder Soldaten füsiliren zu lassen!
41In der That hatte Sennor Garcia nach bedeutendem Gewinn auch an der Homburger Bank in Zeit von drei Wochen so total Alles verspielt, daß die Bank ihm einige Napoleonsd'or leihen mußte, um ihm möglich zu machen, nach Paris zurückkehren zu können.




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