Nena Sahib
oder
Die Empörung in Indien.
Historisch-politischer Roman aus der Gegenwart.
von
Sir John Retcliffe.
Zweiter Band:
Die Böse Saat.

Die indische Wüste.

Zwei mächtige Regungen durchkreisen die Welt und bewegen alles Erschaffene: der Kampf und die Liebe.
Das Blut schreibt die Geschichte des Lebendigen.
Jedes lebende Wesen verfolgt andere und wird von andren verfolgt, denn in der Natur herrscht ununterbrochen Kampf, Krieg und Blutvergießen und das Recht des Stärkern ist das alleinige Gesetz, die einzige Richtschnur aller Erschaffenen, die nicht Mensch heißen.
Und der Mensch läßt, dieses Beispiel, diese furchtbare Lehre der Natur nicht an sich vorübergehen! - - -
Fünf Jahre sind vergangen seit jener Nacht auf Sanct Helena - unser Buch führt den Leser zu anderen Menschen, zu anderen Zonen, in das Mutterland aller Nationen, nach Indien!


Im Dickicht einer indischen Dschungel, am Hang eines Hügels, der von Tamarinden besetzt ist, zwischen deren Kronen ein riesiger Pisang die kolossalen, sechs bis acht Fuß langen Blätter breitet, liegt ein Mann in halb europäischer, halb indischer Kleidung, das gigantische Chaos der Vegetation um sich her mit sinnendem Auge betrachtend.
Die versengende Hitze des Mittags hat ihn genöthigt, hier Schutz und Ruhe zu suchen. Im Bereich seiner Hand liegt die sichere Flinte; das edle, hübsche, gebräunte Gesicht auf den Arm gestützt, schaut er träumerisch auf das Pflanzen- und Thierleben,
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das ihn umgiebt. Der trotz der Hitze feuchte und mit üppigem Grün bedeckte Boden der Niederung verschwindet unter einem unentwirrbaren Gestrüpp von Lianen, Farrenkraut und bauschigen Binsen von einer Frische und Kraft des Wachsthums, daß ein Reiter mit seinem Pferd dazwischen verschwinden würde.
Die feuchte, mit heißen Ausdünstungen beladene Atmosphäre ist mit den stärksten und betäubendsten Wohlgerüchen geschwängert, der Ingwer- und Zimmetbaum, die Gardenia und der Pfefferstrauch verbreiten bei jedem leichten Luftzug stoßweis ihr Aroma.
Die Stämme zweier abgestorbenen oder vom Orkan gebrochenen Pigala's ragen aus dem Gewirr der niederen Pflanzen hervor. Aus jeder Spalte ihrer schwarzen, geborstenen und mit Moos bedeckten Rinde wächst eine jener seltsamen phantastischen und geheimnißvollen Blumen, die den Uebergang von der Pflanze zur Thierbildung darstellen: Schmetterlinge mit bunt geäderten Flügeln, offene Löwenrachen und wunderlich gestaltete Vögel, die bereit scheinen, jeden Augenblick den blätterlosen Stengel zu verlassen, der sie festhält an den Wurzeln, die selbst - entgegen dem gewöhnlichen Naturgesetz - frei in der Luft schweben: die tausendfachen Variationen der seltsamen Orchideen. Lange und biegsame runde Cactus, die wie stachliche Schlangen erscheinen, umwinden die Stämme in phantastischen Guirlanden und hängen ihre rothen und silbernen Blüthentrauben daran, die einen starken Vanille-Geruch ausströmen. Ein rother Teppich von Blumen, meist aus den großen scharlachrothen Bignoniaglocken bestehend, breitet sich über die abgebrochenen Zweige.
In der sonnigen Luft funkelte und leuchtete es gleich fliegenden Edelsteinen. Zwei Colibri's schwirrten um die Blüthenglocken und ihr schimmerndes Gefieder blitzte und strahlte in allen Farben, wie sie, den Bienen gleich, von Blume zu Blume eilten und endlich, wie das Insekt, ganz in den Blüthenkelch hinabtauchten.
Eine jener merkwürdigen Scenen, jener Kette von Kämpfen entspann sich jetzt, welche den traurigen Gedanken zu Anfang dieses Kapitels so lebendig und dramatisch darstellen.
Eine große Hummel kam summend herbei und setzte sich auf dieselbe Blume, in welcher der Colibri naschte. Sofort schoß
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dieser auch heraus, griff zornig die Hummel an und es entstand in der Luft ein Miniaturkampf zwischen den kleinen Wesen, der mit dem Tode der Hummel endigte, die, von dem Schnabel des daumengroßen Vogels gespießt, zu Boden fiel.
Der Colibri umflatterte auf's Neue die Blumen und sein Nest, das aus einer kleinen oben offenen Kugel von feinen Moosfädchen in der Gabel eines dünnen Zweiges bestand, und haschte unter den rothen Blüthen eifrig nach den kleinen Fliegen mit den stahlblauen Flügeln, wie ein beweglicher Smaragd oder Rubin spiegelnd in den Gluthstrahlen der Sonne.
Da bewegte sich Etwas über dem Nest und unter den Blättern heran schlich ein häßliches Thier. Es schien etwa so groß wie die kleinen Colibri's; der Körper bestand aus zwei in der Mitte verbundenen Theilen, war über und über mit starren rothbraunen Haaren bedeckt und hatte zehn lange ebenfalls behaarte Beine mit Haken. Es war die große Vogelspinne, die den Colibri beobachtete, der um die Blüthen summte. Sobald er in einem Kelche verschwand, kroch sie schnell näher; kam er heraus, so versteckte sie sich unter einem Blatt. Jetzt schwebte der gefiederte Sonnenstrahl über einer Blüthe ganz nahe bei der Spinne, und sofort sprang diese hinzu und faßte ihn mit ihren Fängen. Er flatterte noch, er versuchte fortzufliegen, aber die häßliche Spinne, die ihn fest umklammert hielt, war ihm zu schwer, und bald sanken beide nieder. Der Vogel war todt und die Spinne schickte sich an, die Beute in ihr Versteck zu schleppen, um sie ungestört zu verzehren.
Während dies geschah, wurden die Blicke des Beobachters durch etwas Glänzendes angezogen, das sich an der rauhen bräunlicheb Rinde der Lianenranke hinbewegte. Es war ein eidechsenartiges Thier und so schön, wie eine Eidechse nur sein kann, aber jegliche Form dieser Geschöpfe mit der Menschenhand und den Menschenfüßen, ihre blitzenden Augen und ihr raubsüchtiges tückisches Wesen machen sie mehr zum Gegenstand des Widerwillens als der Bewunderung.
Der ganze obere Theil der Eidechse war smaragdartig goldig grün, der untere grünlich weiß, der gleichsam aufgeschwollene oder aufgeblasene Kopf glänzte im schönsten Scharlachroth, während die
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kleinen Augen wie Diamanten auf Goldgrund funkelten. Am Hals hing ein Lappen wie bei dem Hahn, die Glieder waren grün wie der Rumpf, und die Zehen an den Beinen hatten die Eigenthümlichkeit, daß sie gleichsam in kleinen Kugeln endigten. Es war ein Anoly oder eine Mopseidechse, häufig auch Chamäleon genannt und etwa sechs Zoll lang.
Sobald die Eidechse die Spinne bemerkte, drückte sie sich platt an den Zweig. Ihre Farbe veränderte sich: die Kehle wurde weißlich, dann blaßgrau, und an die Stelle des glänzenden Grüns trat ein rostfarbenes Braun, so daß das Thier von dem Stamme nicht leicht unterschieden werden konnte. Es schien die Spinne angreifen zu wollen und so geschah es auch. Sobald die Spinne mit der schimmernden Beute ganz nahe gekommen, war die Eidechse mit einem Sprung bei ihr, packte sie mit den gewaltigen Kinnladen, und Eidechse, Spinne und Vogel fielen hinunter an den Boden. Die Spinne ließ dabei den Vogel los, und nun begann zwischen ihr und dem Chamäleon ein Kampf, der einige Minuten dauerte. Die Spinne wehrte sich tapfer, war aber dem Gegner nicht gewachsen, der ihr bald die langen Beine abbiß, so daß der sackartige Rumpf hilflos dalag. Da packte das Chamäleon die Beute am Kopf, drückte ihr die spitzen Zähne hinein und machte sie todt. Merkwürdig erschien dem Lauschenden, daß in dem Augenblick, als die Eidechse sich auf ihre Beute stürzte, ihre Farben: Roth und Grün, im schönsten Glanze plötzlich wieder erschienen.
Aber auch sie sollte die Beute nicht in Ruhe verzehren können. Oben an dem Baum, an welchem das Chamäleon emporlief, befand sich ein Loch, in dem wohl einmal ein Vogel sein Nest gehabt hatte, und aus welchem eben jetzt eine Scorpion-Eidechse mit rothem Kopf und braunen Schultern hervorlugte. Wie sie jetzt oben mit widerwärtigem Aussehn auf dem Baume lauerte, wackelte die spitze Schnauze hin und her und die funkelnden schwarzen Augen hatten einen tückischen Ausdruck. Das Chamäleon, das über die dürren Blätter hinkroch, hatte offenbar ihre Aufmerksamkeit erregt.
Blitzschnell fuhr jetzt die Scorpion-Eidechse aus dem Loche heraus, legte sich an den Stamm des Baumes, den Kopf nach unten, wartete so noch eine kurze Zeit und lief dann äußerst
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geschwind hinunter. Dort sprang sie sofort auf das Chamäleon, das in Folge dieses wüthenden Angriffs die Spinne losließ und fliehen zu wollen schien. Aber das Chamäleon ist muthig, und da sein Gegner nicht viel größer war, als es selbst, so setzte es sich zur Wehr. Seine Kehle schwoll auf und wurde noch glänzender roth. Mit weit aufgerissenem Rachen stürzten Beide auf einander zu und wälzten sich auf der Erde, die Schwänze emporgereckt. Mehrmals ließen sie los und begannen den Kampf von Neuem, ohne daß Einer der Gegner das Uebergewicht zu gewinnen schien.
Der schwächste Theil des Chamäleons ist der Schwanz, den der leichteste Ruthenschlag von dem Rumpfe trennt. Das schien die Scorpion-Eidechse recht gut zu wissen, denn sie versuchte mehrmals die Gegnerin von hinten zu packen. Das Chamäleon seinerseits mochte dies fürchten, denn es manövrirte lange so, daß es der Gegnerin stets mit dem Kopfe gegenüber blieb. Die kleinen Thiere kämpften wüthend wie große Krokodile mehrere Minuten, bis endlich das Chamäleon den Muth zu verlieren schien, wobei seine grüne Farbe immer matter wurde. In diesem Augenblicke unternahm die Scorpion-Eidechse noch einen heftigen Angriff, warf das Chamäleon dabei auf den Rücken, faßte es rasch am Schwanz und biß denselben glatt vom Rumpfe ab. Der arme Ohneschwanz entfloh und versteckte sich unter den Wurzeln.
Das war sein Glück, und auch die Scorpion-Eidechse hätte sichtlich klüger gethan, wenn sie in ihrem Versteck geblieben wäre. Der Lauscher bemerkte bald ein Rascheln unter den Blättern der Tamarisken und etwas Rothes, das etwa einen Fuß lang von einem Aste herabhing. Es war so dick, wie ein gewöhnlicher Rohrstock, aber an den glänzenden Schuppen und der zierlich gebogenen Gestalt erkannte er leicht eine Schlange.
Sie hing nicht unbeweglich da, sondern glitt langsam herunter, so daß man jeden Augenblick einen neuen Theil ihres Körpers sah, der oben eine blutrothe, unten am Bauch eine lichtere Farbe hatte.
Es war die rothe Schlange der Dschungeln, die der Reisende schon oft an den Küsten Indiens bemerkt hatte.
In diesem Augenblicke ersah auch die Eidechse den langen
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rothen Körper, der über ihr hing, und da sie dieselbe als schrecklichen Feind kennen mochte, entfloh sie und suchte sich im Grase zu verstecken, statt sich nach einem Baum zu wenden, auf dem sie durch ihre Schnellfüßigkeit sich wohl hätte retten können. Die Schlange kam indeß ganz herunter und kroch am Boden hin mit hoch gehobenem Kopfe und aufgerissenem Rachen. Im nächsten Augenblicke erreichte sie die Eidechse und tödtete sie auf der Stelle.
Die erhöhte Stellung, in welcher der Mann lag, der diesem kleinen Drama der Wildniß zuschaute, erlaubte ihm, all seine Scenen zu verfolgen. Die Schlange lag jetzt da und schickte sich an, ihre Beute zu verschlingen. Die Schlangen kauen bekanntlich nicht, was sie verzehren, denn ihre Zähne sind nur geeignet, festzuhalten und das Festgehaltene zu tödten. Die rothe Schlange ist nicht giftig, hat aber eine Doppelreihe sehr spitziger Zähne, bewegt sich außerordentlich rasch und besitzt eine ziemliche Kraft, das Thier, um das sie sich geschlungen, in ihren Ringen zusammen, wohl gar todt zu drücken. Die, welche den kleinen Sieg errungen, riß den Rachen so weit als möglich auf, packte den Kopf der Scorpion-Eidechse und schlang dieselbe allmählich ein, was häßlich genug anzusehen war.
Aber auch andere Augen, als die des Mannes unter den Tamarinden des Hügels, hatten die Schlange beobachtet; denn ihr blutigrother Körper, der da im Grase lag, hatte den scharfen Blick eines Feindes angezogen. Ziemlich hoch über dem Hügel schwebte ein großer Vogel in weiten Kreisen. Die schneeweiße Farbe seines Kopfes und seiner Brust, die spitzauslaufenden braungesprenkelten Flügel und der lange Gabelschwanz verriethen sofort einen großen Edelfalken.
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Er zog schwebend, ohne die Flügel zu bewegen, seine Schraubenkreise kleiner und kleiner niederwärts, offenbar nach der Schlange zu. Jetzt fiel der Schatten seiner mächtigen Flügel auf den Rasen, gerade vor diese. Sie sah empor und erblickte ihren schrecklichen Gegner mit Entsetzen, denn sie schien am ganzen Leibe zu zittern, ihre Farbe wurde blasser, und sie barg den Kopf im Grase, als wollte sie sich verstecken, aber es war zu spät. Der Falke senkte sich herab, er schwebte einen Augenblick dicht über ihr, und als
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er sich darauf wieder erhob, sah der Wanderer die Schlange in seinen Klauen sich winden.
Einige Flügelschläge hoben den Vogel über die höchsten Bäume empor; aber je höher er stieg, um so rascher und unregelmäßiger wurde die Bewegung seiner Flügel. Es hinderte ihn offenbar etwas im Fluge. Die Schlange hing nicht mehr; sie hatte sich um den Leib ihres Gegners gewunden und man sah ihre glänzendrothen Ringe wie rothe Bänder sich um und durch sein weißes Gefieder ziehen.
Mit einem Male blieb der eine Flügel bewegungslos, und obgleich der andere sich um so rascher und kräftiger anstrengte, stürzte der Vogel doch bald mit der Schlange, die ihn umringelt hatte, schwer auf den Boden nieder. Indeß schien der Fall weder den Vogel, noch die Schlange bedeutend verletzt zu haben, denn kaum hatten sie die Erde berührt, so begann ein Kampf auf Leben und Tod. Der edle Falke bot Alles auf, sich von den ihn umschnürenden und zusammendrückenden Ringen der Schlange zu befreien, während diese ihn um so fester zu halten suchte. Sie mochte wohl wissen, daß sie nur dadurch zu siegen vermöchte; denn wenn sie losließ und zu entschlüpfen versuchte, packte sie der Vogel sicher zum zweiten Male und diesmal entscheidend mit den gewaltigen Krallen.
Der Kampf schien lange dauern zu müssen; denn obwohl die beiden Gegner sich im Grase wälzten und der Vogel mit dem noch freien Flügel mächtig um sich schlug, änderte sich doch viele Minuten lang in dem Zustande Nichts.
Der Vogel konnte nicht fort, die Schlange wagte nicht zu fliehen, wie sollte der Kampf enden? Der Mann am Hügel war schon im Begriff, zu Gunsten des edlen Vogels einzuschreiten und ihn zu befreien, als ein neues Manöver der Kämpfenden ihn zurückhielt. Der Vogel hackte wüthend mit dem Schnabel nach dem der Schlange und diese versuchte ihn zu beißen, weshalb sie von Zeit zu Zeit den Rachen aufriß und dabei die Doppelreihen spitzen Zähne sehen ließ. In einem solchen Augenblicke hackte der Vogel der Schlange in den Rachen, der sich sofort schloß und den Schnabel des Feindes festhielt, dem die spitzen Zähne aber Nichts anzuhaben vermochten.
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Der Falke mochte erkennen, daß er jetzt offenbar im Vortheil sei, obgleich sein Schnabel im Schlagenrachen sich befand, denn er zog mit aller Kraft seines Halses den Kopf der Schlange niederwärts, um ihn in die Nähe seiner Krallen zu bringen. - Das gelang ihm auch und er packte mit den Fängen den Hals der Schlange fest wie mit einem Schraubstock.
Das machte dem Kampf ein Ende; die Ringe der Schlange lösten sich; der Körper zuckte noch einige Zeit im Todeskampfe, dann lag er kraft- und regungslos im Grase.
Der Sieger zog nun leicht seinen Schnabel aus dem Rachen des Gewürms, hob den Kopf empor, breitete die Flügel aus und flog mit Triumphgeschrei davon, die Schlange mit sich hinweg tragend, die wie ein rothes Band herabhing.
Seinem Schrei antwortete aber alsbald ein andrer, fast wie ein Echo, aber er war weit kräftiger und rauher; er konnte nur aus der Kehle des großen Räubers der Lüfte, des Geieradlers, kommen. Der Reisende sah empor und hoch über ihm, am dunkelblauen Himmel, segelte in der That einer jener mächtigen Vögel gerade auf den Falken zu, wahrscheinlich um ihm die Beute abzujagen, die dieser mit so vieler Mühe sich errungen.
Der Falke hatte den Schrei wohl vernommen und er verstand auch die Bedeutung, denn mit seiner ganzen Flügelkraft hob er sich höher und höher. In einer weiten Spirallinie flog er tiefer und tiefer in das Blau des Himmels hinein; der Adler folgte ihm, ebenfalls in Kreisen, aber in weiteren, als wolle er den Falken umgarnen. Höher und immer höher ging der Flug; sie schienen sich einander zu nähern, die Kreise schienen enger zu werden - der Falke war jetzt endlich nur noch ein kleiner dunkler und unbeweglicher Punkt und dann verschwand er ganz - auch der mächtige Adler verkleinerte sich zu einem Pünktchen in der Höhe und auch dieses Pünktchen wurde undeutlicher und zuletzt war gar Nichts mehr zu erkennen.
Der Wanderer am Hügel hatte sich aufgerichtet und war, trotz der glühenden Mittagshitze, aus dem Schatten des Tamarindendaches hervorgetreten, so sehr hatte ihn die kleine, wechselnde Scene und die Gefahr des edlen Vogels interessirt. Er sah, die Augen mit der Hand beschirmend, in die lichte Höhe, aus der jetzt ein
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schriller Schrei die todtenähnliche Stille der Umgebung unterbrach. Im nächsten Augenblick kam es wie das Zischen einer Rakete aus der Luft und schneller als das Auge ihm zu folgen vermochte, fiel ein Körper zu seinen Füßen, dem rasch ein zweiter, größerer folgte. Der Letztere breitete sich etwa noch hundert Schritt vom Boden entfernt aus - es war der Adler, der den Falken vertrat - und begann, auf seinen breiten Schwingen ruhend, umherzukreisen offenbar von dem Anblick des Menschen verscheucht. Der Falke zappelte verwundet am Boden zu den Füßen des Mannes, dessen Schutz er gleichsam aufgesucht zu haben schien, und von einem unwillkürlichen Gefühl getrieben, hatte dieser nach der Flinte gegriffen, die neben ihm im Grase geruht, den Hahn gespannt und auf den mächtigen Räuber angeschlagen, der sich auf dem Gipfel einer abgestorbenen Magnolia niedergelassen. Der Schuß krachte und der große Raubvogel taumelte getroffen zur Erde nieder, die er mit seinen langen Flügeln schlug.
Der Schuß schien die Dschungeln lebendig gemacht zu haben - quikende, kreischende, schnatternde Stimmen ließen sich auf allen Seiten aus den Tamarisken und Mangrovebüschen hören - Papageien flatterten umher, das schwarze Rebhuhn stieg aus dem langen Grase empor, wo es versteckt gelegen, ein Schakal heulte in der Ferne, und in den Zweigen der großen Tamarinden und Pigalas, die sich aus den Büschen erhoben, begann eine Affenfamilie ihre Sprünge und ihr Geschrei.
Das einzige menschliche Wesen, das diese Einöde belebte, kümmerte sich aber wenig um die Störung, die sein Schuß angerichtet; ohne die Flinte nach der alten Jägerregel wieder zu laden, warf er sie auf den Boden, hob den Falken auf, der, ruhig nur mit klugen Augen den Helfer anschauend, sich dies gefallen ließ, und trug ihn an die schattige Stelle zurück, die vorhin sein Lager gebildet hatte, auf dem er sich wieder niederließ.
»Räuber und Würger sind sie Alle, vom Kleinsten bis zum Größten,« sagte er, gleichsam seine früheren Gedanken bei der kleinen dramatischen Scene der Wildniß verfolgend, vor sich hin. - »Alles, was der Odem des Lebens beseelt, verfolgt seine Mitgeschöpfe und schöpft aus ihrer Vernichtung sein Dasein! Ist es uns dieser Creaturen wohl werth, daß man sich darum kümmert?
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Und dennoch - wenn sie auch Alle blutige Mörder sind, dünkt uns das Eine besser als das Andere, und wir Menschen, die ärgsten Würger und Vernichter der Schöpfung, dünken uns die Besten! Was regt mein Mitleid für diesen Falken an, während es doch für die Schlange schwieg? Ist Mord nicht Mord, Gewalt nicht Gewalt, oder entschuldigt das Widrige des Opfers die That des Stärkern? Furchtbare Philosophie des Mordes und der Vernichtung, die aus der ganzen Schöpfung spricht und die der Mensch, als Gebieter derselben, sich zu eigen gemacht hat, daß er das selbstsüchtigste und grausamste Geschöpf von allen geworden ist!«
Diese gehässigen und bitteren Gedanken schienen den Mann jedoch keineswegs davon abzuhalten, dem Falken weitere Hilfe angedeihen zu lassen. Bevor wir jedoch seine Handlungen weiter verfolgen, wird es Zeit sein, einige Worte über seine Person zu sagen.
Er war offenbar ein Europäer, wie die Bildung seines obschon von der Sonne Indiens tief gebräunten Gesichts und seine Kleidung bewies; sein Alter, durch die Wirkungen des Klima's schwer zu bestimmen, mochte doch nicht über 35 Jahre hinausgehen. Sein Gesicht zeigte die Züge der germanischen Race, ein offenes freies Aussehn mit dem Blick des Denkers und der unwillkürlichen Forschung und Gelehrsamkeit. Er trug einen breiten Strohhut, einen englischen Jagdrock und weite Beinkleider - die Kleidungsstücke leicht und dem heißen Klima angemessen, während eine zusammengerollte wollene Decke und eine mit verschiedenen Bedürfnissen wohl gefüllte Jagdtasche auf dem Rasen, so wie eine daneben ausgebreitete Karte der Präsidentschaft Bombay und des Pendschab mit einem kleinen Taschencompaß bewies, daß er ein Reisender sei.
Aber ein europäischer Reisender allein in dieser Wildniß, ohne Führer, ohne Diener, ohne Transportmittel - wer war der Verwegene und woher kam er?
Der Fremde untersuchte, als er wieder ich Schutze des schattigen Daches der Tamarinde saß, den Falken genau, um zu sehen, ob das muthige Thier bei dem Kampfe mit dem viel größern Gegner gefährlich verwundet worden sei. Das Erste, was ihm auffiel, war ein um das Bein befestigter goldener Reif, auf dem
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Schriftzeichen der Sanskritsprache einige Worte eingegraben waren. Dies und ein rothes goldgesticktes Sammetband um den Hals des Vogels bewies ihm, daß derselbe kein bloßer Bewohner der Wildniß, sondern einer jener im hohen Werthe stehenden abgerichteten Edelfalken sei, deren sich die Edlen des nördlichen Indiens noch heutzutage, wie die europäischen Fürsten und Herren des Mittelalters, zur Jagd auf Rebhühner, Hasen und anderes kleines Wild bedienen. Der Schnabelhieb des Adlers hatte den edlen Vogel zwischen Brust und Flügel, wenn auch nicht tödtlich, doch so schwer verletzt, daß er für den Augenblick im Fluge gelähmt worden und machtlos aus der Luft herabgestürzt war.
Der Reisende zog aus der Tasche seines Rockes ein wundärztliches Besteck, öffnete es und verband den Vogel kunstgerecht, indem er die verletzten Theile mit einer Bandage umwickelte, um die Heilung zu erleichtern.
In diesem Augenblick glaubte er hinter sich ein leises Geräusch zu hören und wandte den Kopf, sah aber Nichts, worauf er in seiner Beschäftigung fortfuhr:
»Der Herr des Vogels,« sagte er, »muß in der Nähe auf der Jagd sein, und könnte mir Beistand leisten, wie ich seinem Falken Hilfe geleistet. Selbst wenn er ein Feind wäre, ist es besser, ihm entgegenzutreten, als noch länger in dieser Wildniß umher zu irren. Vielleicht hörte er den Knall meiner Flinte und wird dadurch herbeigezogen - ich will das Signal noch einmal wiederholen -«
Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen - aber bevor er noch sich völlig in die Höhe gerichtet, sah er eine dunkle Linie vor seinen Augen flimmern und fühlte eine Schlinge um seinen Nacken fallen. Im nächsten Moment wurde sie, als er danach griff, zugezogen und der Reisende stürzte, krampfhaft um sich schlagend, zu Boden.
Aus dem Gestrüpp und Gewirr von Kameelkraut, Karyl, Dab und Kedschra, womit die andere Seite des Hügels jenseits des Tamarindenstammes besetzt war, erhob sich ein gelbbraunes wildes Gesicht, das lange schwarze Haar nur mit einem schmutzigen blauen Tuch bedeckt, und der nackte Körper, den nur von den
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Hüften bis zum Knie eine baumwollene Hose bekleidete, folgte. In dem Gürtel steckte ein kurzes Messer.
Zugleich kam eine zweite gleiche Gestalt hinter dem Stamm der Tamarinde hervor; ihre Hand hielt noch das Ende der Schnur von Aloe-Fasern, deren Schlinge den Fremden erwürgt hatte. Leichte kurze Zuckungen des Opfers zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in ihm floß, am Versiegen war.
Die beiden Männer hatten ein wahrhaft dämonisches Aussehn, obschon ihre Gesichtsbildung nicht unedel war und von den weichen weibischen Formen vieler Hindu's abwich. Die Stirn war hoch hinauf kahl geschoren, so daß nur auf dem Wirbel ein dicker Haarbusch stand, der jetzt unter dem seidenen Kopftuch hervorhing - demselben Tuch, welches gewöhnlich das Mittel ihrer furchtbaren Thaten bildete.
»Ehre sei der geheiligten Bhawani!«1 rief der, welcher aus dem Dschungeldickicht sich erhoben; »ihr Herz ist nimmer gesättigt und sie sendet ihren Jüngern stets eine Arbeit. Eine Seele ist auf dem Wege zu Brahma, dem Urwesen, und aus dem Tode wird Leben hervorgehen. Der Wievielste ist es, o Sohn des großes Faringhea, den Du ihr, der feueräugigen Göttin, geopfert?«
Der Thug - denn ein Mitglied dieser furchtbaren Secte war es, der nach dem Reisenden die Schlinge geworfen, - wandte sich nach seinem Gefährten. »Die blutige Kali2 hat mir erlaubt, ihr fünf Mal so viel Opfer zu bringen, als der Tag Stunden zählt. Du weißt, o Kassim, daß es noch nicht der vierte Theil von der Zahl ist, die mein Vater zu tödten so glücklich war. Wischnu, der Erhalter, gebe mir lange Jahre des Lebens und ich hoffe, die Zahl einzubringen, die er in dem Kerker der schändlichen Faringi's versäumte.«
»Soll ich das Bheel3 graben für den Todten?« fragte der Andere. »Vielleicht sendet die Göttin uns den Zweiten, daß wir
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sein Haupt zu den Füßen dieses Mannes betten, wie es sich gehört.«
»Laß uns zuerst die Habe des Ungläubigen nehmen, die er an seinem Körper trägt!«
Der Mörder war dabei, als hätte er eine ganz gleichgiltige Handlung verübt, an dem jetzt bewegungslos ausgestreckten Opfer niedergekniet.
»Bin ich ein Buthote4 und habe die Weihe der Chams5 erhalten, oder zittert meine Hand wie die eines Weibes?« rief er plötzlich, indem bei der Untersuchung der Kleider des Gewürgten ein leiser Seufzer den Lippen desselben entfloh. »Diese Faringi haben ein zähes Leben und fürchten sich, zu Brahma zu gehen! Das Tuch wird seine Seele rascher befreien, als die Schnur!«
Er riß das Seidentuch, das um seinen Kopf geschlungen war, herunter und wollte es, nach der Art dieser fanatischen Mörder, seinem Opfer um den Kopf werfen, als der Falke, der bisher unbeachtet neben der Gruppe gekauert, auf ihn los flatterte und mit wüthenden Schnabel- und Klauenhieben ihn anfiel, gleich als wolle er den Mann vertheidigen, der ihm selbst zu Hilfe gekommen war. Im ersten Augenblick fuhr der Thug vor dem unerwarteten Angriff zurück. Dann aber schleuderte er das Thier von sich und beschäftigte sich auf's Neue mit seinem Opfer, obschon der Falke furchtlos fortwährend seine wüthenden Angriffe erneuerte.
»Halt mir das verfluchte Thier vom Halse, Kassim,« schrie der Würger, erbittert von den erhaltenen Hieb- und Krallenwunden, indem er das Tuch um den Kopf seines Opfers festschlang. »Dreh' ihm den Hals um - ein böser Geist wohnt in dem Vogel!«
Der zweite Thug war herangekommen und hatte sich des Falken bemächtigt.
»Bei dem heiligen Wagen von Hadramaut!« rief er plötzlich, »laß ab, mein Bruder, bis mit der Göttin Hilfe wir dieses Räthsel gelöst. Dieser Vogel trägt auf seinem Halsband das Zeichen eines Häuptlings unserer Brüderschaft!«
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Der Andere sprang erstaunt empor - ehe er jedoch eine Antwort geben oder sich näher überzeugen konnte, änderte sich die Scene.
Auf einem weißen arabischen Roß sprengte ein prächtig gekleideter und bewaffneter bejahrter Mann herbei, im vollen Lauf gefolgt von zwei schwarzen Dienern, dem Hukabedar oder Pfeifenbesorger, und dem Speerträger. Mehrere andere Begleiter zu Fuß und zu Pferd folgten in einiger Entfernung, blieben aber auf einen Wink ihres Gebieters zurück.
Der Ankommende trug die Gewänder eines vornehmen Mahrattenhäuptlings, wie sie, zum Theil noch unbezwungen, im Sindh oder in den bewohnten Theilen der Thur oder indischen Wüste und an den Ufern des Sedledsch ihre Felsenburgen bewohnen. Er war ein Mann von etwa sechszig Jahren, mit dichtem grauen Bart, der breit auf die Brust herbfiel, und einer dunklen bronceartigen Farbe. Er lenkte mit Kraft und Geschicklichkeit den feurigen Renner. Sein schwarzes feuriges Auge blickte unter buschigen grauen Brauen hervor und richtete sich durchbohrend auf die beiden Thugs, die bei seiner unerwarteten Annäherung Miene gemacht hatten, zu entfliehen, dann aber, als sie sahen, daß es vergeblich sein werde, trotzig stehen blieben.
Der Reiter trug auf dem kahl geschorenen Haupt die hohe Kappe der Sindhbewohner, von Seide mit Gold durchwirkt, weite weiße Beinkleider in Stiefeln von rothem Corduan, mit Silber und Perlen gestickt, und einen blauen Aermelüberwurf. Er führte außer der Dschambea in seinem Gürtel Bogen und Pfeile und sein Speerträger trug die mit Gold und Schildpatt kostbar ausgelegte Flinte nebst dem Kugelbeutel. Die rechte Hand des Reiters war mit einem starken ledernen Falkenhandschuh bedeckt. Ein eigenthümliches Werkzeug hing an dem kostbaren Sammetsattel seines Pferdes, ein etwa eine Elle langer runder Stock und eine runde etwa vier Zoll im Durchmesser haltende Stahlscheibe, die ein der Mitte eine Oeffnung hatte und an dem Rande haarscharf geschliffen war.
Der alte Mahrattenhäuptling hatte sein Roß dicht vor der Gruppe der Mörder und ihres Opfers parirt. Der Zweite der
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Thugs hielt noch den Falken in seiner Hand, der bei dem Erblicken des Reiters ein wildes Geschrei ausstieß.
»Bei Dem, der das Weltall geschaffen hat - wer seid Ihr und wie kommt jener Vogel in Eure Hände, der mein Eigenthum ist?«
Die Thugs kreuzten die Arme über die Brust.
»Wenn der Vogel Dein Eigenthum ist, edler Serdar,6 so sind wir Deine Knechte,« sprach der Sohn Faringhea's. »Wir haben das Zeichen auf dem Ringe erkannt und beugen unser Haupt in Demuth vor Dem, der die Stimme der Allgewaltigen hört. Wir fanden den Vogel bei dem Faringi, der zu Deinen Füßen liegt.«
»So hat ihn der Hund erschossen - der Falke blutet!«
»Deine Worte sind Weisheit, o Serdar, aber sie reden nach dem Schein. Ein Adler stieß auf den Falken und der Fremde schoß nach dem großen Räuber der Lüfte. Dort liegt er todt am Boden.«
»Und Ihr habt den Faringi getödtet?«
»Es war der Wille der Bhawani - sie hat uns das Opfer gesandt!«
Der Häuptling legte die Hand an die Stirn, als der Name der furchtbaren Göttin ausgesprochen wurde.
»Nehmt das Tuch von dem Antlitz des Mannes!« befahl er alsdann.
Kassim gehorchte. Das blaugeschwollene Leichenantlitz des Erwürgten kam zum Vorschein, die Augen aus den Höhlen gedrängt, starrten gräßlich gen Himmel.
Der Serdar betrachtete ihn einige Augenblicke, dann ließ er erschrocken den Zügel fallen und schlug die Hände zusammen.
»Verfluchte ... was habt Ihr gethan! Dies Leben war tausend Tode der Euren werth! Wehe Euch Unglückseligen!«
Er sprang mit der Rüstigkeit eines Jünglings vom Pferde und warf sich neben dem Gemordeten auf die Erde, dessen Kopf er in seinen Schooß nahm, rasch die noch um den Hals befestigte Schlinge lösend.
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Hierbei zeigte sich der Grund, weshalb die Schlinge bei dem ersten Mordanfall das Opfer nicht sogleich erwürgt hatte, während doch sonst die Hand des Thugs bei dem furchtbaren Geschäft nimmer fehlt.
Der Reisende trug, wie wir bereits erwähnt, einen europäischen Jagdrock und der kurze stehende Kragen desselben hatte das feste Zusammenschnüren der Schlinge verhindert. Der Mahrattenhäuptling legte die Hand auf die Brust der Leiche und glaubte noch einen leisen kaum bemerkbaren Schlag des Herzens zu fühlen. Sofort rief er seine beiden Diener herbei und befahl ihnen, des Erwürgten Glieder leise zu reiben, während er selbst den Arm desselben entblößte und mit dem Seidentuch, das zu der Mordthat gedient, unterband. Dann befahl er seinem Speerträger, eine Ader des Mannes zu öffnen.
Mit stummem Erstaunen waren die beiden Mörder den Bemühungen gefolgt, welche der Serdar der Wiederbelebung ihres Opfers widmete, doch legte keine Miene der ehernen Gesichter, kein Zucken der Augen ihre Gefühle an den Tag, oder zeigte ein Zeichen von Furcht und die Absicht zu entfliehen. Dagegen rührten sie auch keine Hand, um Hilfe zu leisten. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschicklichkeit geschlagen, gab anfangs wenig Blut, nach und nach aber begann dies reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten hob sich, seine Augen verloren die gräßliche Starrheit des Todes und die Augenlider schlossen sich.
Der alte Häuptling wandte sich jetzt zu dem zweiten Diener, dem Huckabedar.
»Gieb mir die Phiole des Lebens, Aly, aber schnell!« rief er, und nahm aus seiner Hand ein kleines Fläschchen von Crystall, mit prächtigem Goldfiligran umgeben. Als er es öffnete, verbreitete sich daraus ein scharfer Rosenduft und der alte Mann träufelte vorsichtig und in längeren Zwischenräumen drei Tropfen auf die Lippen des Bewußtlosen.
Die Wirkung dieses Elixirs war wunderbar. Schon beim ersten Tropfen schien ein Zucken durch den Körper des Unglücklichen zu gehen und seine Glieder zu strecken und zu durchzittern; mit dem zweiten flog eine dunkle Blutröthe über das Antlitz und als sie sich verzog, war die Verzerrung und das leichenhafte
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Ansehn der Züge des Gesichts verschwunden, und bei dem dritten Tropfen öffnete sich wieder das Auge und der noch verschleierte, aber allmählich sich aufhellende Blick starrte umher.
Als er auf den Mahratten fiel, malte sich Erstaunen in den Zügen des Reisenden, nach einigen Augenblicken des Zweifels und Prüfens öffneten sich seine Lippen und das erste Wort, das er aussprach, war der Ruf: »Tukallah!«
Der Mahrattenfürst lächelte.
»Du hast ein gutes Gedächtniß, Doctor Walding,« sagte er auf Englisch, »daß Du nach fünf Jahren und in einem viel tausend Meilen entfernten Lande den Diener dessen wiedererkennst, dem wir Beide Freunde waren. Wie ist Dir?«
Der deutsche Arzt - denn dieser war es in der That, den wir am Rande der Thur oder indischen Wüste wiederfinden - faßte mit der Hand nach Stirn und Hals, setzte sich empor und schaute nochmals verwundert umher, sich besinnend, was mit ihm geschehen war. Erst als sein Auge auf den Falken fiel, kehrte die Erinnerung zurück.
»Der arme Vogel,« sagte er, »war verwundet - ich hatte Mitleid mit ihm - als ich plötzlich von unbekannter Gewalt zu Boden geworfen wurde und das Bewußtsein verlor. Es ist seltsam - ich dünkte mich damals ganz allein und mir ist, als wäre ich abwürgt worden. Wie glücklich bin ich, Dich getroffen zu haben, Tukallah, denn ich habe ein Unternehmen begonnen, das, wie ich einsehe, ich wohl schwerlich ohne Hilfe werde durchführen können.«
»Schiwa,« sagte der Indier, »will, daß Du es vollbringst, darum hat er mich hergesandt, die Hand der dunklen Göttin aufzuhalten. Du warst in schwerer Gefahr, mein Bruder, und die Kali hatte bereits ihren Schleier über Dein Haupt gebreitet!«
»So wollte man mich ermorden?« fragte der Arzt erschreckt, denn er kannte bereits genug von den Gebräuchen der Eingebornen, um die Sprache des Mahratten zu verstehen.
Dieser wies nach den beiden Mördern, die noch immer schweigend in geringer Entfernung standen.
»Du hast Nichts mehr zu fürchten, Du bist in meinem
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Schutz und Tukallah ist hier nicht der Diener Eines, der da athmet, sondern durch den Willen Schiwa's mächtig und stark. Der Freund seines Milchbruders, der im Lande der Faringi gestorben ist, soll mit ihm gehen und Schutz finden in seinem Hause. Fühlst Du Dich stark genug, ein Roß zu besteigen?«
Der Deutsche, der aufgestanden war, dehnte seine Glieder, reichte dem Mahratten die Hand und erklärte sich kräftig genug, den Weg fortzusetzen.
Tukallah wandte sich zu den beiden Dienern, befahl ihnen in arabischer Sprache, die Sachen des Fremden zu tragen und diesen zu der Schaar der Jäger zurückzuführen, ihm dort ein Roß zu geben und ihn sofort nach seinem Wohnsitz zu geleiten.
»Mein Bruder ist unter dem Schutz dieser schwarzen Sclaven,« sagte er seinem Gast, »und sie werden mit ihrem Leben für das seine bürgen. Du magst unbesorgt Dich ihnen anvertrauen - sie werden Dich nach Malangher, meiner Burg, geleiten, und in Kurzem werde ich bei Dir sein.«
Der Arzt hielt für das Beste, sich in die Bestimmung des so unerwartet Wiedergetroffenen zu fügen, und verließ in Begleitung der beiden Schwarzen, von denen einer seinen Gang unterstützte, während der andre Flinte und Tasche trug, den Tamarindenhügel. Ohne seine Stellung zu verändern, schaute der alte Mahratte ihm nach, bis er die entfernte Jägergruppe erreicht hatte und die kleine Gesellschaft Anstalt zum Aufbruch traf.
Dann erst wandte er sich zu den beiden Mördern und redete sie an.
»Dein Name?«
»Karam, der Sohn Faringhea's, dessen Name bekannt ist vom Himalaya bis zu den großen Inseln. Dieser ist Kassim, der Matscheri.«
Der Mahratte öffnete das Gewand auf seiner Brust, zog einen schwarzen Stein von dreieckiger Form mit eingegrabenen Zeichen, der an einer Schnur an seinem Hals hing, hervor und zeigte ihnen denselben.
Der Sohn Faringhea's und sein Gefährte beugten demüthig das Haupt.
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»Wir erkennen an, daß Du einer her Auserwählten bist und sind bereit, Dir zu gehorchen.«
»Wohin geht Euer Weg?«
»Wenn die Nacht drei Mal wiedergekehrt ist, mächtiger Cham,7 feiert, wie Du weißt, die dunkeläugige Göttin ihr Fest an der heiligsten Stätte zwischen Indus und Ganges, das nur jedes zehnte Jahr wiederkehrt. Wir kommen aus dem Lande des Holkar, der Erhabenen die Seelen zu bringen, die wir ihr geopfert. Eine aber wird fehlen an der Zahl.«
Ohne auf den entsetzlichen Vorwurf zu achten, der in den letzten Worten des Mörders lag, setzte der ehemalige Diener und Gefährte des Somroofürsten seine Fragen fort.
»Wer hat jenen Mann in Eure Hände geliefert?«
»Wir folgen ihm seit zwei Tagen von den Ufern des Sedletsch. Er schlief die letzte Nacht in der Hütte eines Hirten und wir konnten nicht an ihn kommen, da er vorsichtig und mißtrauisch war. Erst hier hat die Kali ihn in unsre Hand gegeben.«
»Wer von Euch verrichtet das Geschäft des Lugha?«8
Kassim neigte das Haupt. »Dein Diener ist es, tapferer Serdar!«
»Du hast das Grab des Faringi gegraben?«
»Es ist geschehen nach dem Gebrauch unsers Bundes![«]
»Geh' voran!«
Die beiden Thugs gingen in die Dschungel voran, aus der sie hervorgeschlichen, um ihr Opfer zu überfallen. In der Entfernung, von etwa fünfzig Schritt war zwischen den Karrylbüschen an einer freien Stelle eine lange und schmale Grube.
Der Serdar blieb an dem Grabe stehen.
»Der Mann, den ich dem seidenen Tuch entzogen habe,« sagte er, »ist im Besitz eines Geheimnisses, das Zwietracht säen mag zwischen die Stämme der Weißhäutigen, daß sie unter
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einander sich selbst verderben. Aber der finstern Kali darf die Zahl der ihr Geweihten nicht geschmälert werden oder sie würde zürnen dem Bunde ihrer Gläubigen, wie damals, als sie zum letzten Mal niedergestiegen war zur Erde, die Spuren der Opfer zu vertilgen. Einer von Euch wird die Stelle des Faringi einnehmen, der dem Tode entgangen ist. Die Stimme der Göttin möge entscheiden.«
Ohne ein Wort des Widerspruchs oder der Entgegnung neigten die beiden Mörder das Haupt zum Zeichen des Gehorsams.
»Es geschehe, wie Du sagst, Sahib,« sprachen sie, »was sollen wir thun, um den Willen der Göttin zu erforschen?«
»Wartet und seid bereit zu sterben!«
Alle Drei setzten sich am Rande des offenen Grabes nieder, und murmelten leise Gebete vor sich hin, gleich den Auguren der Römer den Ausspruch des Schicksals aus dem Fluge der Vögel oder dem Bellen des Schakals erwartend.
Wir wollen diesen Augenblick benutzen, um dem Leser einige Mittheilungen über den furchtbaren Bund zu geben, dessen Gliedern unsere ersten Schritte auf Indiens Boden begegnet sind.
Eine der wichtigsten und bestorganisirten Verbrecherverbindungen in Indien - und der Fortgang unserer Geschichte wird uns deren leider mehrere vorführen - ist die der Thugs oder Würger. Ihr Ursprung reicht in das graue Alterthum hinauf und sie erklären ihn selbst durch mythologische Legenden. Das Gebiet der indischen Götterlehre ist ein unendliches, wir werden erwähnen, was bei den einzelnen Bezugnahmen zur Verständniß nothwendig ist und führen hier nur die Grundlage desselben, die naturphilosophische Dreieinigkeit an, nämlich das schaffende, erhaltende und zerstörende Princip, das durch drei Göttergestalten, den Brahma, Wischnu und Schiwa repräsentirt wird. Weil es aber keine absolute Vernichtung giebt, sondern aus jeder Zerstörung sofort wieder ein Neues ersteht, so geht Schiwa, der Zerstörer, unmittelbar wieder in Brahma, den Schöpfer, über, und die Drei sind Eins, untrennbar, gleich groß und heilig. Die Zerstörung, mit allen Kräften und Erscheinungen, die ihr dienen, ist daher nicht minder göttlich oder nothwendig,
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als die Schöpfung oder Erhaltung, und Schiwa, weit entfernt, zur Stellung unsers armen Teufels degradirt zu sein, wird vielmehr von seinen Anhängern als der wichtigste Gott dieser Dreieiniqkeit (Trimurti) gepriesen, denn jede der drei Gottheiten hat ihren besondern Cultus, ihre besonderen Secten und Anhänger.
Jedem der drei Urgötter ist die ausführende Kraft als ein weibliches Wesen zugetheilt - die vernichtende zerstörende des Schiwa ist die Göttin Kali (die Dunkle), die auch viele andere Beinamen führt, z. B. Ruorani (die Thränenerregende). Gleich zu Anfang der Welt, die aus einer Lotospflanze entstand, wachsend aus dem Nabel Wischnu's und ruhend in seinem Schooß im Milchmeer, auf der Weltschlange Anandee (ohne Ende), errichtete, so erzählen die Thugs, die Göttin Kali ihren großen Geheimbund zum Kampf gegen das schöpferische Princip und offenbarte ihm zu diesem Zweck die Kunst des Erwürgens. Sie zeigte ihnen ihren Schutz, indem sie stets alle Spuren ihrer Morde vertilgte. Allein die Thugs erlagen der Versuchung der Neugier: gegen das strenge Verbot belauschten sie eines Tages die Göttin, wie sie auf die Erde niederstieg und die Leichname ihrer Opfer verschwinden machte. Seit jener Stunde mußten die Thugs zur Strafe selbst du materiellen Beweise ihrer Thaten der Erde übergeben, ohne daß jedoch die Göttin Kali deshalb ihnen ihren Schutz entzogen hat.
Der in den fürchterlichen Bund Getretene weiht sein ganzes Leben der blutigen Kali, und es ist ihm Pflicht, sich ihre Gunst zu erhalten, indem er möglichst viel Lebendiges zerstört. Wie Andere dem Brahma und Wischnu dienen, den Gottheiten des Schaffens und Erhaltens, so ist der Thug ein Priester der Gottheit des Zerstörens und der Mord seine Religion. Man begreift nun, wie auf Grund dieser eigenthümlichen, entsetzlichen Anschauung nicht nur jene Mörder sich selbst für durchaus gottgefällig erachten können, sondern auch von den Anhängern des Brahma und des Wischnu, so wie von den übrigen Schiwaten - denn Schiwa nicht allein nur Zerstörer, sondern hat auch Anbeter und Beeten seiner anderen Eigenschaften - in ihrer Weise für berechtigt gehalten, trotzdem aber eifrig verfolgt werden und zwar nicht
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wegen ihrer Verbrechen, sondern eben in dem Kampf für das Prinzip des Schaffens und Erhaltens gegen das Zerstören. Aus diesem Grunde hüllt sich auch der Bund der Thugs in das größtmöglichste Geheimniß. Die Mitglieder, namentlich die in die tieferen Geheimnisse eingeweihten Oberhäupter und Priester oder Chams leben übrigens oft - andere Zwecke verfolgend - jahrelang in der bürgerlichen Gesellschaft, ohne das schreckliche Geschäft zu üben.
Wollen die Thugs auf eine Unternehmung ausgeben, - was sowohl einzeln als bandenweise geschieht, - so ist es ihr Erstes, der Göttin ihre Anbetung darzubringen. Jeder Mord findet unter gewissen Ceremonieen statt und er ist mit einer Beraubung des Opfers verbunden; denn gewöhnlich sucht sich der Thug einen Gegenstand aus, der eine reiche Beute verspricht, von der ein großer Antheil für die Göttin den Priestern sorgfältig ausgeantwortet wird. Die Thugs theilen sich in Buthote's, Diejenigen, die den Mord verrichten; in Lugha's, die mit unglaublicher Geschicklichkeit die Leichen spurlos zu vergraben wissen, und in Southa's, die Spione und Verlocker, die von Allen die wichtigste Rolle in dieser furchtbaren geheimen Genossenschaft spielen. Das Verfahren der Thugs ist stets ein und dasselbe, sie gebrauchen nie die offene Gewalt des Kampfes und vergießen nie Blut, sondern erwürgen ihre Opfer jederzeit mittelst eines ihnen über den Kopf geworfenen seidenen Tuches, zuweilen auch mittelst einer Schnur. Der Mord wird oft lange und sorgfältig vorbereitet. Wehe dem Reisenden, der auf der Landstraße der in hundert Formen wechselnden freundlichen Annäherung und den einschmeichelnden Worten des Southa's sein Ohr leiht! An einer entlegenen Stelle, die vielleicht schon manche Schauerthat gesehen, wo die müden Wanderer im Schatten der breitlaubigen Bäume ausruhen oder bei hereinbrechender Nacht sich lagern, mitten im heitern Gespräch, ja selbst in den Armen der Bajadere - denn es giebt auch weibliche Thugs, welche die Rolle der Southa's, ja selbst das Würgeamt der Buthote's ausüben - wird das Zeichen gegeben, und in wenigen Augenblicken schon liegen die Opfer in, dem vorbereiteten Grabe, dem Bheel, das eine mit dem Kopf auf den Füßen des andern, wie es das Gesetz der Göttin vorschreibt.
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Mit einem spitzen Pfahl wird den Leichen der Leib aufgestoßen, um jedes verräterische Aufblähen der Erde zu verhüten; die Lugha's füllen das Grab mit Sand, jede Spur desselben mit der Schlauheit nordamerikanischer Wilden verwischend, und die Mörderrotte zerstreut sich, um später an einem verabredeten fernen Ort wieder zusammenzukommen, der Kali ihre Dankopfer zu bringen und die Beute zu theilen. Bleibt ihnen das Glück ungünstig und entgehen ihnen die Opfer, so zürnt die Göttin, und um sie zu versöhnen, tödten die Thugs Einen aus ihrer Mitte, der sich freiwillig erbietet oder durch das Loos gewählt wird. Nur bei diesen Opfern fließt Blut.
Staunen muß es erwecken, daß dies ausgebreitete Zerstörungssystem so lange in dem ungeheuren Reiche von mehr als 130 Millionen Menschen bestehen konnte, ohne von den Regierungen ernstlich bekämpft zu werden. Der erste Regent in Indien, der entschieden gegen die Thugs auftrat, war Akbar. Nach ihm überlieferten auch einige andere eingeborene Fürsten die Sectirer der Kali dem Tode, ohne sie jedoch so nachdrücklich und systematisch zu verfolgen, wie es zur Ausrottung einer so gewaltigen Verbindung nöthig gewesen wäre. Erst nachdem mehr als fünfzig Jahre ununterbrochener Siege und Eroberungen die englische Herrschaft in Indien ausgebreitet hatten, erweckten die Unthaten der Thugs zum ersten Mal die Aufmerksamkeit der britischen Regierung. Das Leben eines Europäers gilt wenig in Indien - das Leben der eingeborenen Unterthanen gar Nichts!
Um diese Zeit - etwa 1808 bis 1810 - nämlich verschwanden viele eingeborene Soldaten, die sich mit ihren Ersparnissen auf Urlaub in ihre Heimath begeben hatten, und die angestellten Nachforschungen enthüllten die Existenz dieser Mördersecte, die der englische Hochmuth in das Reich der Fabeln verwiesen hatte, ohne jedoch die ganze Ausdehnung des Uebels auch nur enfernt ahnen zu lassen, so daß selbst noch während der nächsten zwanzig Jahre die Thugs immer nicht Gegenstand der besondern Verfolgung waren. Mittlerweile fielen aber doch immer mehr der Anhänger der Kali in die Hände der englischen Behörden und einige unter ihnen erkauften sich durch Geständnisse ihrer eigenen Unthaten und durch den Verrath ihrer Verbündeten
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das Leben. Zu diesen gehörte der berüchtigte Faringhea, der nach seiner eigenen Angabe an 719 Morden Theil genommen und noch kurz vor seinem Tode gegen einen britischen Offizier mit Bedauern äußerte, daß er sicher das Tausend vollgemacht haben würde, wenn er nicht zwölf Jahre im Gefängniß zugebracht hätte.
Die entsetzlichen Geständnisse waren frei von jeder Prahlerei, denn die Thatsachen bewiesen ihre Wahrheit. Unter den Schritten der geständigen Thugs öffnete sich die Erde und gab die ihr anvertrauten Leichen heraus. In allen Theilen Indiens grub man, nach den Angaben der Gefangenen, die mit menschlichen Gebeinen angefüllten Bheels oder Gräber auf. Lord Bentink, der damals - 1828 bis 1830 - an der Spitze der indischen Regierung stand, erkannte schnell, daß die Wachsamkeit der gewöhnlichen Polizei der Ausrottung eines so weit verbreiteten und tief wurzelnden Uebels durchaus nicht gewachsen sei. Er errichtete daher eine besondere Behörde, aus intelligenten und thätigen Offizieren zusammengesetzt, deren alleinige Aufgabe es sein sollte, die mörderische Secte ohne Rast und Schonung durch das ganze indische Gebiet zu verfolgen.
Die vielfachen Verzweigungen des Bundes und die größere Anzahl von Theilhabern an den meisten Verbrechen erleichterten die Entdeckungen, nachdem man nun einmal in das Geheimniß eingedrungen war. Dies gelang durch eine wohlberechnete Milde, welche dem Dienste der englischen Polizei viele zum Tode verurtheilte Thugs gewann, die in alle Kunstgriffe, Hilfsmittel und Thaten der Verbrüderung eingeweiht waren, und durch deren Enthüllungen geleitet, die Maßregeln einen raschen, Erfolg versprechenden Fortgang nahmen. Nach sechs Jahren schon waren bereits dreitausend zweihundert sechsundsechszig Thugs den Händen der Justiz überliefert, wozu noch eine unbestimmbare Zahl solcher zu rechnen ist, die in entlegenen Gegenden theils von militairischen Behörden, theils von den Stadt- und Bezirksobrigkeiten ohne lange Procedur gleich an Ort und Stelle gehenkt oder nach der in Indien sehr häufigen Todesstrafe, vor die Mündung einer Kanone gebunden und in die Luft geschossen worden. Die kräftigen Maßregeln, die namentlich von Oberst Sleeman geleitet und von den Nachfolgern des Lord Bentink fortgesetzt wurden, hatten für
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einige Zeit eine ziemliche Unterdrückung des Thuggismus zur Folge wenigstens in den Landestheilen, die zum Gebiet der Ostindischen Compagnie gehören; dagegen bestand er in den Schutzländern und unabhängigen Staaten im Stillen fort, und in den letzten Jahren zeigte häufig das geheimnißvolle Verschwinden von Personen, selbst in den Compagniedistricten, daß auch hier noch keineswegs die Verbrechersecte gänzlich ausgerottet sei.


Aus dem Kameelkraut pirlte plötzlich ein Schwarm schwarzer Rebhühner auf und strich über die Dschungel. Einer der Vögel streifte dicht über dem Haupte des Sohnes Faringhea's hin, kehrte, von dem Anblick der Männer erschreckt, wieder um und flog nach der Seite davon, auf welcher der Buthote saß.
Sogleich erhoben sich die Drei, - die Kali hatte entschieden.
Karam, der Sohn Faringhea's, legte schweigend sein Oberkleid von sich, zog aus dem Gürtel einen ledernen Beutel, der mit Kostbarkeiten und Gold- und Silberstücken, der Beute seiner letzten Mordthaten, wohl gefüllt war und übergab ihn seinem Gefährten. Die einzigen Worte, die er an den Serdar richtete, waren: »Die eiserne Axt, das Symbol des Bundes, ist nicht zur Stelle. Wie befiehlt der Cham, daß der Diener der Kali sterben soll und durch wessen Hand?«
»Nur das Eisen darf die Glieder des Bundes berühren,« sagte der Mahratte. »Kniee nieder am Grabe, welches das Deine sein soll, und die Gottin wird Dich würdig halten, in Deinen letzten Augenblicken ein Geheimniß zu vernehmen, das Deine Seele erfreuen wird.«
Karam neigte sein Haupt und knieete an der Grube nieder, das Gesicht gegen Morgen gewendet.
»Lebe wohl, Kassim, mein Erbe,« sagte er, »und möge die Finstere Dir viele Opfer senden!«
Der Mahrattenhäuptling neigte sich zu ihm und flüsterte ihm einige Worte in's Ohr, dann entfernte er sich mit langsamen Schritten nach der Richtung, wo er sein Pferd am Tamarindenhügel zurückgelassen.
Mit einem Ausdruck der Begeisterung schaute ihm der dem
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Tode Geweihte nach, auf seinem Antlitz lag die Freude des Fanatikers, der sich unter die zermalmenden Räder des heiligen Wagens wirft, des Fakirs, der seinen Leib an eiserne Haken hängt und sich in den Rachen des Krokodils wirft für seinen Glauben.
Dann beugte er, ohne nur einen Blick noch auf die Welt umher zu werfen, das Haupt und betete.
Ihm gegenüber knieete mit gleicher fanatischer Inbrunst Kassim, der Todtengräber.
Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft.
Tukallah hatte vom Sattel seines Pferdes das seltsame Geräth gelöst, das wir bei seiner Ankunft erwähnt haben - den runden kurzen Stock und den breiten Stahlring. Mit leisen unhörbaren Tritten hatte er dann den Weg zurückgemacht zu dem Grabe der Thugs und war etwa fünfzehn Schritt entfernt von demselben stehen geblieben.
Dort steckte er die Spitze des Stabes in die Oeffnung der Stahlplatte, hob denselben und wirbelte, kaum die Hand bewegend, den Ring um den Stab.
Die Schwingungen waren so rasch, daß man im Sonnenlicht nur einen blitzenden Funken zu sehen vermeinte.
Plötzlich schnellte er, mit einer kräftigen Handbewegung, das Ende des Stabes in der Richtung des knieenden Mannes. Der Stahlring fuhr gleich einem Blitzstrahl durch die Luft und in demselben Augenblicke flog das Haupt Karams zu Boden, aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes, der Rumpf hielt sich noch einen Augenblick in der knieenden Stellung und stürzte dann schwerfällig nieder.
Der Mahratte trat zu dem noch leise zuckenden Körper, tauchte seine Finger in das Blut und spritzte es nach allen vier Himmelsgegenden mit den Worten: »Möge sein Geruch Dir wohl duften, o dunkeläugige Göttin, und mögest Du der Seele Karams gnädig sein auf den sieben Wanderungen, die sie zu machen hat!«
Die Art des Todes, die wir so eben erzählt, könnte Manchem unglaublich erscheinen, aber es ist Thatsache, daß diese seltsame Waffe von den Bewohnern des Sindh und der Wüste mit einer so merkwürdigen Geschicklichkeit gehandhabt wird, daß ihre
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Wirkung dem kräftigen Hiebe eines Beiles vollkommen gleich kommt. - -
Nachdem der Mord, oder vielmehr die Hinrichtung, verübt worden legte Kassim, der Lugha, den Körper in die Grube und bedeckten mit Zweigen und Erde, die er so sorgfältig dem Boden umher gleich machte, daß bald keine Spur mehr von dem schrecklichen Geschäft, das er verrichtet, zu sehen war. Tukallah hatte unterdessen sich zu seinem Pferde begeben und bestieg, als der Thug zu ihm zurückkam, den Sattel.
»Du wirst den Spuren der Hufe meines Rosses folgen,« befahl er, und wenn die allesbelebende Sonne morgen die Schatten nach Osten zu werfen beginnt, in meiner Felsenburg Malangher Dich einfinden. Die Göttin will, daß Du der Diener werdest des Faringi, den Ihr tödten wolltet, allen seinen Winken gehorsam und sein Leben schützend vor jeder Gefahr. Es ist wichtig für die Zeit, die da kommen wird.«
»Aber die schwarzen Sclaven, die uns gesehen haben am Werke?« fragte der Thug, »werden sie nicht zu Verräthern werden an uns?«
»Thor! Ihre Zunge ist begraben - sie sind stumm!« Der Serdar schüttelte den Zügel seines edlen Rosses und sprengte davon.


Als der deutsche Arzt zu der Gesellschaft der Jäger und Diener kam, die auf den Wink des alten Mahrattenhäuptlings zurückgeblieben war und sich seitdem durch die Rückkehr der auf der Jagd zwischen den Sandhügeln der beginnenden Wüste Zerstreuten vermehrt hatte, sah er, daß sie aus etwa zwanzig Personen bestand, die meisten mit arabischen und turkomannischen Pferden beritten und einige darunter prächtig gekleidet und bewaffnet. Sie führten ein Kameel mit sich, das mit einem leichten Zelt und Mundvorräthen beladen war und eine von zwei Ryots oder armen Bauern gezogene Kherrie, eine Art von Handwagen aus zwei Scheibenrädern, auf dem ein schöner Leoparde von jener schlanken kleinköpfigen Gattung hockte, die man im nördlichen Indien zur Jagd abzurichten pflegt und die unter der Benennung Jagdleoparden bekannt sind. Eine rothe Tuchkappe bedeckte, wie
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bei den Falken geschieht, den Kopf des Thieres, nur für die Schnauze eine Oeffnung zum Athmen lassend.
Unter den Reitern fiel namentlich ein junger Mann, offenbar der Kaste der Krieger angehörend und durch Tracht und Aussehn sich von der übrigen Gesellschaft unterscheidend, dem Arzte auf. Er trug statt der beliebten blauen Farben der Sindhier und Mahratten einen weiten ärmellosen Rock von weißer Wolle, unter dem ein überaus fein gegliedertes Panzerhemd von Stahlringen - so weich und nachgiebig, daß es sich der geringsten Bewegung anschmiegte - hervorglänzte. Dies ritterliche Gewand umgab nicht blos die breite Brust, sondern auch den obern Arm bis über die Ellenbogen und fiel auf die Hälfte der Schenkel herab, während die Beine mit weiten rothen Hosen bekleidet waren und die Füße in gelben Schnabelschuhen steckten, in dem breiten orientalischen Bügel ruhend, dessen scharfe Spitze statt des Sporns dient. Der Kopf des Jünglings war mit einer helmartigen, glänzend polirten Silberhaube bedeckt, um die sich, statt des Nackenschildes und Visirs, die rothe Binde eines Turbans schlang. Von der Spitze dieses Helms wehten zwei schöne, durch Stahldrähte gehaltene Pfauenfedern. Die Bewaffnung des Kriegers - denn ein solcher war offenbar der Jüngling - bestand aus einem stark gekrümmten Säbel mit prächtigem, edelsteinverziertem Griff, dessen Sammetscheide in Silberketten hing, einem langen dünnen Speer und einem hellpolirten Stahlschild, der auf seinem Rücken hing. Ein ähnlich bewaffneter alter Diener zu Pferde trug außerdem noch eine Luntenflinte von alterthümlicher Form.
Der junge Mann ritt einen prächtigen turkomanischen Hengst von schwarzer Farbe, der nur an dem linken Hinterfuß einen kleinen weißen Fleck zeigte.
Sein Gesicht, gegen die Gewohnheit der meisten orientalischen Stämme, von langem dunklen Lockenhaar umgeben, das zu den Seiten des Turbans hervorquoll, zeigte die edle und regelmäßige Bildung der kaukasischen Race: die gerade kräftige Linie der Nase vom Stirnbein ab, den schöngeschweiften Mund, dessen Oberlippe von einem zu beiden Seiten lang herabhängenden pechschwarzen und sorgfältig gepflegten Schnurrbart bedeckt war, und ein festes
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sanft nach dem Hals abfallendes Kinn, das - wie die Wangen - sorgfältig geschoren war. Die Augen waren von einem so tiefen Blau daß es bei ihrem Blitzen wie Schwarz erschien, groß und mandelförmig geschnitten und von schmalen dunklen Brauen bogenförmig überwölbt, so daß die inneren Enden derselben über der Nasenwurzel zusammenzustoßen schienen. Alle Bewegungen des schönen Reiters waren rasch und heftig, aber von einer gewissen natürlichen Grazie und Würde.
Als die beiden schwarzen Sclaven langsam den noch einigermaßen betäubten Reisenden herbeiführten und die Augen des erst kurz vorher zu der Gruppe der Jäger zurückgekehrten Reiters auf die Kleidung des Fremden fiel, loderte eine Gluth von Haß daraus hervor und seine Rechte schwang drohend den Speer.
»Verfolgen diese verfluchten Faringi uns denn selbst in die Einöden der Wüste und senden ihre Späher zu jeder Zusammenkunft freier Männer?« rief der Gepanzerte wild in hindostanischer Sprache. Aber der Flintenträger des Mahratten-Serdar streckte die Waffe seines Herrn schützend über das Haupt des Arztes aus, zum Zeichen, daß der Bedrohte unter dem Schutz der Gastfreundschaft des Gebieters stehe, und dann machte er dem Schobedar oder Platzmacher und obersten Diener des Mahrattenhäuptlings, welcher in dessen Abwesenheit den Befehl über die Jäger und Dienerschaar führte, eine Reihe von Zeichen, die diesem vollständig verständlich schienen, denn er wandte sich alsbald zu dem jungen Krieger, der nur mit gefurchter Stirn dem Widerspruch des Sclaven Gehör gegeben.
»Edler Khan,« sagte der Schobedar, »Dein Gastfreund, mein Gebieter, fordert uns auf, mit diesem Fremden nach der Burg zurückzukehren. Er gebietet mir, für ihn Sorge zu tragen und wird uns alsbald folgen.«
Der Khan - wie der junge Mann angeredet worden, - näherte sein Roß dem Europäer und betrachtete ihn lange mit durchdringenden Blicken.
»Verstehst Du das Hindostani?« fragte er ihn.
»Ich rede Deine Sprache!«
»Du bist ein Faringi?«
»Wenn Du unter Faringi das Volk der Franken im
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Allgemeinen verstehst,« antwortete der Arzt, der schon auf der Hochschule das Studium der orientalischen Sprachen eifrig betrieben und durch deren Kenntniß gerade die Bekanntschaft des unglücklichen Nabobs, des Enkels der Begum von Somroo gemacht hatte - »so bin ich ein Faringi oder Franke; ein Engländer aber bin ich nicht.«
»Wie heißt das Volk, dem Du angehörst?«
»Preußen!«
Der junge Khan ließ sich das Wort wiederholen, das ihn zu überraschen schien und in tiefes Nachdenken versenkte. Dann griff er hastig nach seinem Hals und zog eine große Schaumünze hervor, die an einer goldenen Kette auf seiner Brust unter dem Panzerhemd hing.
Dies Schaustück zeigte er dem Arzt.
Es war eine jener großen goldenen Medaillen, welche König Friedrich Wilhelm IV. hat schlagen lassen, die das wohlgetroffene Brustbild des Monarchen tragen und mit deren Geschenk der große Beschützer der Kunst und des Wissens, der geistreichste und gelehrteste Monarch Europa's, die Auszeichnungen auf beiden Feldern ehrend anzuerkennen pflegt.
»Das ist Friedrich Wilhelm, der König meiner Nation.«
Der junge Khan nickte. »So bist Du ein Tapferer, denn Du gehörst einem tapfern Volk an, das kein Verräther sein kann an Seinesgleichen. Fattih Murad Khan liebt die Männer seiner Nation und wird Dein Freund sein.«
Er reichte ihm die Hand, die der deutsche Arzt erstaunt annahm. Währenddessen hatten die Diener des Mahrattenfürsten ein Pferd herbeigebracht, die Anstalten zur Lagerung, die man bereits begonnen, waren rasch abgebrochen worden und der Chiprassy oder Schobedar nahte ihm mit der Bitte, das Roß zu besteigen, da sein Gebieter den sofortigen Aufbruch der kleinen Jagdkarawane befohlen hatte.
Doctor Walding stieg sofort in den Sattel. Als er sich nach dem fernen Tamarindenhügel umschaute, auf dem ihm das furchtbare Abenteuer begegnet war, bemerkte er keinen der dort Zurückgebliebenen mehr.
Gleich darauf setzte sich der Zug in Bewegung und schlug
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den Weg nach der offenen Fläche der Wüste ein, deren äußern Gürtel die Dschungeln und eine Reihe von kahlen Sandhügeln bildete.
Die Sonne war jetzt im Sinken und ihre Strahlen brannten nicht mehr so heiß, daß sie dem Europäer die Fortsetzung des Weges unmöglich gemacht hätten, obschon er von dem Mordanfall, dessen Hergang ihm noch immer gewissermaßen unbewußt blieb, etwas angegriffen war und einen dumpfen Schmerz von dem Blutandrang im Kopf empfand. Der Khan hatte sein Pferd neben ihn gelenkt und setzte das so seltsam begonnene Gespräch fort.
»Bist Du ein Krieger des großen Königs, dessen Bild ich auf meiner Brust trage?«
»Du irrst, edler Khan,« entgegnete der Deutsche. »Ich stamme zwar aus jenem Lande, aber ich bin ein Arzt, ein Gelehrter, der Euer Land besucht.«
»Die Faringi sind Männer, deren Durst nach Wissen groß sein muß. Sie wissen viele Dinge, und dennoch kommen sie zu uns, um zu lernen. Es sind kaum drei Monden her, als ich einen Deiner Brüder in die Berge von Kashemir auf den Befehl meines Vaters geleitete.«
»Ich habe gehört davon, daß drei Landsleute von mir auf einer Forschungsreise durch das nördliche Indien und Thibet begriffen sind. Kennst Du ihre Namen?«
Der Khan neigte lächelnd den Kopf. »Die Zunge der Hindostani,« sagte er, »ist nicht gelenk genug, die harten Namen der Fremden von jenseits der Berge und Meere wiederzugeben. Will der weise Arzt den Namen nennen, so werde, ich mich seiner wohl erinnern können.«
»Die reisenden Gelehrten sind die Gebrüder Schlagintweit; sie reisen, wie ich gehört, im Auftrage des Königs von Preußen und der ostindischen Compagnie.«
Der Krieger, von dem Doctor Walding noch immer nicht wußte, welchem Volksstamm er angehörte, schüttelte bejahend das Haupt. »Das ist der Name: - sie schrieben ihn mit den Zeichen der Sanskrit auf ein Blatt, das ich noch besitze. Zwei der Brüder sind zurückgekehrt nach Calcutta. Den dritten führte ich auf die Gebirge von Thibet.«
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»Und von ihnen hast Du die Goldmünze, edler Khan, die Du vorhin mir zeigtest?«
Wieder verneinte der Krieger.
»Die Hand eines tapfern Sohnes oder Vetters Deines Königs selbst hat Fattih Murad dies Zeichen gegeben, zur Erinnerung an einen bösen Tag seines Volkes. Hast Du gehört von der blutigen Schlacht von Ferodschah?«
»So bist Du ein Sikh?«
»So ist es. Ich war ein Knabe noch, als meine Väter und Brüder die Schlacht schlugen gegen die grimmigen Faringi. Drei Mal brachen die tapferen Schaaren der Sikhs in den Wald von spitzen Messern, den ihre Feinde auf den Flinten tragen, aber der Hagelschauer der ehernen Geschosse, den die Kanonen über das Feld streuten, warf auch die Tapfersten darnieder. Fattih Murad focht an der Seite seines Oheims, es war seine erste Schlacht und sein Stahl schlug das Feuer aus den Bajonneten der Faringi! Da traf eine Kugel mein Roß und das stürzende Thier begrub mich bewuß[t]los unter seiner Wucht. Als ich wieder zur Besinnung kam, war die Schlacht vorüber und mein Volk nach den Ufern des Sedletsch davongezogen - die Faringi hatten das Lager der Meinen erobert und verfolgten sie. In meiner Nähe standen fremde Männer, Christen, und begruben einen Todten - es war ein Frankenarzt, wie ich später gehört, aus Deiner eigenen Heimath, der seinem Fürstensohn nach Hindostan gefolgt war. Der Maharadschah der Preußen war ein Tapferer, mein Auge hatte ihn selbst erblickt neben dem einarmigen Feldherrn der Faringi, als ich mit unseren Reitern zum letzten Mal in ihre Reihen stürmte.«
»Prinz Waldemar, der ritterliche Hohenzollern-Sohn!« rief Walding im aufwallenden Gefühl des Heimathstolzes.
»Du nanntest seinen Namen, der meiner Zunge zu schwer wird, obschon sein Gedächtniß unverlöschbar in der Seele Murads lebt!« fuhr der Khan fort. »Er stand wenige Schritte vor mir an dem Grabe, in das sie seinen Freund legten. Eine Bewegung, die ich, von Schmerz gefoltert, machte, zog seine Aufmerksamkeit auf mich - man hatte mich für todt gehalten, wie mein Roß. Auf den Befehl des Maharadschah zogen zwei seiner
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Aga's mich unter dem Pferde hervor und leisteten mir Beistand. So tief betrübt der Frankenfürst auch war, so kümmerte er sich doch freundlich um mich, den unbekannten jungen Sikhkrieger, sprach mir zu, als ich den Tod forderte, da ich kein Gefangener ein und den Untergang meines Volkes erleben wollte, und ließ mich in die Haudah seines Elephanten bringen, weil ich von dem Sturz gequetscht und zu kraftlos war, um gehen oder ein Pferd besteigen zu können. Der Maharadschah Deines Volkes verließ das Schlachtfeld mit seinem Gefolge, denn der Feldherr der Faringi war eifersüchtig und wollte ihm nicht länger gestatten, an dem Kampfe Theil zu nehmen, und führte mich mit sich davon. Es war am zweiten Abend der Reise, als der Fürst mit dem Dolmetscher, der unsere Sprache redete, zu mir trat und mich fragte, ob ich mich stark genug fühle, ein Pferd zu besteigen. Ich bejahte es. Da führte er mich selbst in Begleitung seiner Aga's hinaus vor das Dorf, in dem er sein Lager aufgeschlagen. Dort unter den Palmenbäumen stand ein gesatteltes Pferd. Man gab mir meine Waffen zurück und der Franken-Maharadschah sprach zu mir durch den Mund seines Dolmetschers: ›Du bist frei, Fattih Murad, und magst zu den Deinen zurückkehren. Du bist mein Gefangener und deshalb kann ich Dir die Freiheit schenken. Mögest Du, wenn ich über das Meer zurückgekehrt bin, an die Fürsten im fernen Frangistan denken, die ein Volk von Tapferm beherrschen, wie das Deine ist.‹ Diesen goldnen Mohur mit dem Bild seines Königs gab er mir zum Andenken und reichte mir seine Rechte. Fattih Murad hat seiner nicht vergessen. Mögen tausend Freuden ihm in der Heimath begegnen!«
»Ihre Erde wird ihm leicht sein,« sagte ernst der Doctor, »sie deckt ein preußisches Herz! Prinz Waldemar ist nicht mehr unter den Lebendigen.«
»So fiel er in der Schlacht, wie der Arzt, sein Freund und Begleiter?«
»Er ist auf dem traurigen Krankenbette gestorben. Seine Nation weinte um einen Edlen.«
Der Sikh neigte das Haupt und schwieg mehrere Minuten in stiller Andacht.
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Der Jagdzug hatte jetzt den Gürtel der Dschungeln durchbrochen und trat in die wirkliche Wüste ein. Alle Vegetation schien hier aufzuhören, kein Baum, kein Strauch war zwischen den wellenförmigen Hügeln von weißem staubartigem Sand zu erblicken, welche, so weit das Auge trug, den Boden bildeten, und deren Form mit jedem Winde sich änderte. Als der Reiterzug sich in dies Sandmeer versenkte, bemerkte einer der Diener zwischen den Hügeln in der Ferne eine Antilope und machte die Reiter darauf aufmerksam. Im Augenblick war bei dem jungen Sikhkrieger und seinen Gefährten der Eindruck des vorhergegangenen Gesprächs vergessen und die Jagdlust leuchtete aus Aller Augen.
»Haltet mit der Kherrie an!« befahl der Khan. »Wir wollen sehen, ob er die Beute zu beschleichen versteht.«
Sogleich waren die Seyce's oder Pferdehalter - denn jeder indische Reiter von einigem Rang, ja in der Armee jeder Kavallerist, ist von einem solchen begleitet - zur Seite der Steigbügel, und ihre Herren schwangen sich aus den Sätteln. Der Khan stieg auf den Handwagen und begann den Leoparden mit der einen Hand zu liebkosen, während die andere leise die Riemen der rothen Kappe löste, die seine Augen bedeckte.
»Kamar, mein edles Thier,« schmeichelte der junge Mann, »hebe Deine Nüstern in die Luft und sauge den Geruch der Beute ein, welche die Götter Dir gesandt. Dein Fell ist weich, wie die Wolle von Kashemir, und Deine Augen glänzen wie die Diamantentropfen von Gollonda. Richte den Feuerstrahl Deiner Blicke auf jene Antilope und messe Deine Kraft und Geschwindigkeit mit den Sehnen ihrer Beine. Fort mit Dir, Kamar, der Du der beste Jäger der Wüste bist!«
Mit den letzten Worten hatte er dem Leoparden die Kappe abgerissen und hielt mit beiden Händen jetzt den Kopf des kräftigen und gelenkigen Thieres in der Richtung, wo die Antilope auf einem entfernten Sandhügel stehend, zu bemerken war, während ihren scharfen Augen der Jägerzug durch die Bildung des Terrains noch verborgen blieb.
Nach und nach gewöhnten sich die Augen des anfangs geblendeten Thieres an das Licht, und sobald sie den fernen Gegenstand erfaßt hatten, auf den der Jäger seine Aufmerksamkeit zu
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leiten suchte, stieß es ein dumpfes Knurren aus und sofort schob es der Khan von dem Wagen. Der Leopard hatte kaum den Boden berührt, als er, ohne sich um die Männer zu kümmern, vorsichtig zwischen den Hügeln zur Seite verschwand, wie ein Jäger, der sein Wild umgehen will. Walding, der mit Interesse das Verfahren des jungen Sikhkriegers mit dem schlanken grimmigen Thier beobachtet hatte, zwischen Beiden eine gewisse Aehnlichkeit findend, konnte den Leoparden bald nicht mehr erblicken. Ohne Lant und Bewegung, um die scheue Antilope nicht aufmerksam zu machen, blieb die ganze Gesellschaft wohl eine Viertelstunde in ihrer Stellung, dann bemerkte man, wie die schlanke Bewohnerin der Wüste unruhig zu werden begann, den Kopf, wie die Nähe des Feindes witternd, hin und her wendete und plötzlich in mächtigen Sätzen - denn die Antilope vermag zwanzig bis dreißig Ellen weit zu springen - davonflog, hinter ihr drein in demselben Augenblick der Leoparde.
Der Khan stieß bei diesem Anblick ein gellendes Geschrei aus und galoppirte, von der ganzen Gesellschaft gefolgt, hinterdrein. In Zeit von wenigen Minuten hatten sie das Raubthier eingeholt, das seine Beute beim zweiten Satz zu Boden gerissen, indem es ihr auf den Rücken gesprungen war und die Vordertatzen um den Hals geschlungen hatte, jetzt beschäftigt, das Blut aus den Halsadern der Gazelle zu saugen. Erreicht der Leoparde seine Beute nicht mit dem zweiten Sprung, so steht er beschämt von der Jagd ab und kauert sich nieder, dagegen läßt er sich auch von der niedergerissenen ohne Widerstand durch die Jäger fortführen.
Diese waren eben um die Gruppe versammelt und beschäftigt, dem Leoparden die Kappe wieder aufzusetzen, als der Serdar bei ihnen eintraf.
»Vorwärts, Murad-Khan,« sagte er rauh, »laß das Vergnügen Denen, die Zeit dazu haben, uns fordern jetzt die Thaten. Ich bringe der Rani das, was wir brauchen und vielleicht den Funken, der das Pulverfaß entzünden mag. Wir wollen so rasch als unsere Renner uns tragen können, nach Malanaher, meiner Burg.«
»Aber die Boten, die Du erwartetest?«
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»Sie werden uns folgen mit denen, die keine Pferde haben und dem Jagdgeräth!«
Er wandte sich zu dem Subedar und ertheilte ihm leise einige Instructionen, worauf dieser mit einigen der Jäger und zwei Reitern den Weg in der Richtung nahm, welche die Gesellschaft anfangs bei dem Zusammentreffen mit dem deutschen Arzt verfolgt hatte. Dann ließ der Serdar von den Zurückbleibenden die Pferde tränken und mit Haferbrod füttern und befahl den Aufbruch.
»Die Kinder der Thug,« sagte er mit aller Freundlichkeit, die sein finsteres Antlitz gestattete, »spotten der Anstrengungen, wird aber der weise Arzt der Franken einen weiten und raschen Ritt, bis die Sonne wieder emporsteigt, vertragen können?«
»Wenn er mich von meinen Feinden entfernt und in Sicherheit bringt, mit Freuden und sollte ich mich auch auf dem Sattel festbinden!«
»Und die Feinde, die Du fürchtest, sind?«
»Eure eigenen Tyrannen, die Engländer!«
»Schiwa sei gelobt! Dann vorwärts!«
Und die Reiter, acht an der Zahl, setzten ihre Pferde in Galopp.
Hinein ging es in die Wüste in gestrecktem Lauf. Der Arzt ahmte das Beispiel der Anderen nach und band einen Leinentuch um den Mund zum Schutz gegen den Staub, und da die Sonne sich ihrem Untergange zuneigte und die Hitze nachgelassen hatte, ertrug er den anstrengenden Ritt ziemlich gut, obschon er durch seinen langen Aufenthalt auf dem Schiffe jener männlichen und ritterlichen Bewegung ziemlich ungewohnt geworden. Je weiter sie in die Wüste hinein kamen, desto trauriger und einförmiger wurde die Gegend. Nur selten noch streifte eine Gazelle am Horizont mit ihren raschen Sprüngen vorüber, oder ein Schakal trabte über die Sandhügel. Der ewige unabsehbare Wechsel derselben glich einem leicht bewegten Meer. Der Ritt war zu rasch, die Luft zu heiß, als daß ein Gespräch möglich gewesen wäre, und so jagte die Schaar rastlos ihrem noch immer unsichtbaren Ziele zu.
Doctor Walding bemerkte an verschiedenen Orten die von
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den Geiern abgenagten und von der Sonne gebleichten Knochen von Kameelen, und daß sie zwei Mal an steinernen Brunnen vorüberkamen, in deren Nähe einige Karylbüsche wuchsen, die aber - und zwar durch Menschenhand - verschüttet waren.
Er erinnerte sich, gehört zu haben, daß die Stämme, welche die Oasen der Wüste bewohnen, oft auf viele Meilen in der Runde durch dies Mittel den Zugang zu ihren Wohnsitzen zu erschweren und unmöglich zu machen suchen.
Gegen zehn Uhr Abends befahl der Mahrattenfürst einen Halt. Man lagerte an der Seite eines Sandhügels, die Reiter holten die mit Wasser gefüllten Ziegenschläuche hervor, die an ihren Sätteln befestigt waren, und stillten den eignen und den Durst der Thiere, worauf ein einfaches Mahl von ausgetrockneten Datteln und Brod eingenommen wurde.
Nach zwei Stunden der Rast befahl der Serdar aufs Neue den Aufbruch, und es ging wie vorher im Galopp weiter, wobei der Arzt die Sicherheit bewunderte, mit welcher seine Begleiter, ohne alle sonstigen sichtbaren Zeichen eines Weges, nach dem Stand der Sterne ihre Richtung zu regeln schienen, ohne je einen Augenblick darüber in Zweifel zu gerathen. Die frühe Dämmerung begann den Horizont zu erhellen und einiges Licht über die Fläche zu werfen, über welche die Reiterschaar daherstürmte, als Walding bemerkte, daß sich die Gegend änderte, mächtige Felsenblöcke häufig ihren Weg unterbrachen und in der Entfernung von einigen Meilen eine dunkle Bergwand sich vor ihnen erhob. Auf diese ging ihr Lauf zu und sie erreichten den Fuß, als die ersten Sonnenstrahlen eben über die Wüste zitterten.
Staunend sah der Deutsche zu diesen Felsenmauern empor, die sich fast senkrecht aus der Sandfläche umher in schwarzen gigantischen Massen erhoben, ohne daß sein spähendes Auge einen Weg zu ihrer Ueberschreitung erblicken konnte. Erst als Tukallah sein Roß am Fuße dieser mächtigen Bergwände hinlenkte und um einen Vorsprung derselben bog, sah der Arzt, daß sich hier eine jener schmalen Klüftungen öffnete, die einem Riß zwischen Felswänden durch irgend eine Gewalt der Natur hervorgebracht, gleichen, und daß dieser Spalt in verschiedenen Windungen sich in die Berge hinaufzog. Der Weg auf seinem Grund war so
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schmal, daß kaum zwei Reiter neben einander ihn passiren konnten, und oft hingen die schwarzen Felskuppen so weit darüber hin, daß kaum noch eine schmale Linie des Himmels zu erblicken war.
Der Serdar hielt am Eingänge dieses furchtbaren Felsenpasses an, der leicht gegen ein ganzes Heer zu vertheidigen sein mußte, und stieß in ein Horn, das einer seiner Begleiter ihm reichte, drei Mal einen lang gezogenen Ton.
Das Echo war kaum verklungen, als von der Höhe der Felsenlabyrinthe ein ähnlicher Hornstoß antwortete.
»Die Wachen sind auf ihrem Posten und benachrichtigt,« sagte der Serdar. »Vorwärts denn!« Und er lenkte sein Pferd in den gefährlichen Weg.
In der Kluft herrschte noch tiefe Finsterniß, aber die edlen Rosse schienen den Weg so genau zu kennen, daß die Reiter ihnen unbesorgt die Zügel überließen. Zwischen den hohen Felswänden wand sich der Pfad bald breiter, bald so schmal wie am Eingang, in die Höhe und wurde immer lichter, je weiter sie kamen. Zwei Mal begrüßte sie der Anruf von Schildwachen, die auf vorspringenden Felsstücken über ihren Häuptern Wache hielten.
Sie waren eine halbe Stunde bergan gestiegen, wobei sich die Kluft immer mehr und mehr öffnete, als sie auf der Höhe derselben und an der andern Seite des Felsenwalles anlangten.
Zu seinen Füßen erblickte der Deutsche im lieblichen Licht der Morgensonne mitten in dieser Wüste ein Paradies, wie es die Phantasie nicht herrlicher schaffen konnte, ein Zauberbild aus einem orientalischen Mährchen mit aller Wunderpracht der tropischen Vegetation.
Walding hatte oft von jenen paradiesisch schönen Thälern von Kashemir gelesen, die sich plötzlich vor dem Wanderer durch die wilden Gebirgszüge des Himalaya öffnen, und glaubte hier ein solches vor sich zu sehen. Das Thal, das sich zu seinen Füßen ausbreitete, mochte etwa eine halbe deutsche Meile lang und halb so breit sein, und war rings von hohen Felsenmauern eingeschlossen. Diese flachten nach dem Thal zu sich zu grünen Rasenmatten ab, bedeckt mit wildem Wein und herrlichen Korkeichen, zwischen denen der Teakbaum seine großen Blätter hervor
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streckte. Der Grund des Thales war ein weiter prächtiger Blumenteppich, aus dem süße Wohlgerüche emporstiegen und die Luft erfüllten. Von der östlichen Felswand sprudelte ein starker Quell kaskadenartig herab, durchschlängelte in einem künstlich oder natürlich geregelten Lauf einen großen Theil des Grundes und bildete in der Mitte des Thales einen kleinen von Pipala's und Akazien umgrünten Teich, der dadurch etwas Geheimnißvolles gewann, daß man wohl das Hineinströmen des Baches, aber keineswegs einen Abfluß bemerken konnte. Dieser Umstand bestärkte den Gelehrten in der Annahme, daß der großartige Felsenkessel durch irgend eine mächtige vulkanische Erhebung entstanden sei.
Prächtige Gruppen von Kokos- und anderen Palmenarten der Tropen, Tamarinden, von einem so riesigen Umfang, daß drei Männer die Stämme kaum zu umspannen vermocht hätten, mit ihrem zephyrartig reizend gefiederten Laub, die Banyane, der Mongobaum und die Pipala wechselten mit prächtigen Mangrove, Rosen- und Granatbüschen ab. Zwischen Hecken von wildem Indigo, Sirky und den schönen Mimosenbäumen streckten sich wohlbewässerte Felder mit allen Getreidearten Indiens, dem goldenen Weizen, dem Gram und Javary. Dies reizende Landschaftsbild erhielt durch viele aus Bambusrohr zierlich geflochtene Hütten, durch eine Heerde Kameele, die an den Abhängen des Gebirges weideten und eine Zahl von zehn zahmen Elephanten, die eben von ihren Kornaks zur Tränke am Teich geführt wurden, das Bild der wohnlichen Belebtheit. Aber auch an andrer Belebung fehlte es nicht. Die schöne Angoraziege kletterte auf den Berghöhen, das berühmte Thybet-Schaf begann im Grunde zu weiden, mächtige Stiere begrüßten brüllend den Morgen und die bunte Farbenpracht der Vögel war erwacht mit den ersten Sonnenstrahlen. Der Goldfasan mit seinem glänzenden gelbrothen Gefieder und sein Rival an Schönheit, der Silberfasan, ließen ihr Glucken hören - der Pfau, dieser königliche Vogel Indiens breitete sein Farbenrad und stieß sein häßliches Geschrei aus, - auf dem Teich schwamm die prächtige Mandarinenente, in dem thurmhohen Wipfel der Palmen wiegte sich der blaue Ara, das Heer der Papageien und Kakadu's war erwacht und erfüllte die Luft mit seinem Geschrei; der Paradiesvogel begann sein ewiges
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Schweben in den Lüften, von dem er den Ruf hat, daß er ohne Füße geboren und im Fliegen schlafen müsse, behende Affen sprangen von Zweig zu Zweig und die Schaar der Kolibri's tauchte in die sich erschließenden Blüthenkelche.
All' dies paradiesische Leben entwickelte sich natürlich erst vor den staunenden Augen des Deutschen, als er langsam mit seinen Begleitern in das herrliche Thal hinabritt, dessen plötzlicher Anblick ihn auf der Höhe der Felsen mehrere Minuten lang gefesselt hatte, während der Mahrattenfürst und der Khan sich an seiner Ueberraschung weideten.
Dann streckte Tukallah die Hand aus, wies nach dem Hintergrund des Thales und sprach den Namen: Malangher!
An der Südseite des Thales, auf einem eckig hervorspringenden Felsengrat lag das Mahrattenschloß, die geheimnißreiche dunkle Felsenveste der Würger!
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Die Geheimnisse der schwarzen Burg.

Es fiel Doctor Walding auf, während sie im Galopp durch das Thal der Felsenburg zu ritten, daß nur Frauen und Kinder auf den Feldern und vor den Hütten zu erblicken waren, die Frauen nach der Sitte der Mahratten tief verschleiert, so daß nur die Augen zu sehen waren, während im Pendschab unter Hindu's und Mohamedanern ein freierer Gebrauch herrscht und Frauen und Mädchen gewöhnlich ihr Antlitz ohne die entstellende Hülle zeigen.
Die Bewohnerinnen des Thals waren, so weit es die verhüllenden weißen und blauen Gewänder zu sehen gestatteten, schlanke schöne Figuren, und blieben, als der Zug vorüberbrauste, in bescheidener Entfernung, die Arme über die Brust gekreuzt, stehen.
Schon von der Höhe der Felswand hatte der Serdar einen der Reiter vorausgeschickt, ihre Ankunft zu melden, und als sie jetzt der Burg näher kamen, konnten sie leicht bemerken, daß der Bote bereits eingetroffen war und man sie erwartete.
Walding hatte nun volle Gelegenheit, das Aeußere der Mahrattenveste zu betrachten. Wir haben bereits bemerkt, daß sie auf einem von der Hauptwand der Berge vorspringenden Felsengrat gebaut war. Der Aufgang zu ihr war steil aber breit und selbst für die Elephanten passirbar. Er wand sich im Zickzack empor, so daß er leicht von den Mauern des Schlosses bestrichen werden
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konnte, und endete in dem gewölbten Portal eines breiten viereckigen Thurmes, von dessen Plateau drei große metallene Kanonen drohend ihre Mündungen niederstreckten. Eine starke aus dem schwarzen Gestein des Felsens meist in senkrechter Linie mit den Abgründen aufgeführte Mauer umschloß die inneren Gebäude der Veste, die terrassenförmig über einander emporstiegen, so daß von der Höhe des letzten, das mit einer mächtigen, in der spitzen orientalischen Kugelform geschweiften Kuppel geziert war, das ganze Innere der Festung übersehen werden konnte. Die Mauern hatten, wie bei den orientalischen Bauten üblich, nur wenige Oeffnungen nach Außen und wurden an vier Ecken durch hohe, schlanke Minarets überragt, die gleich Wächtern hinaus in das Thal lugten. Einen eigenthümlichen Abstich zu dem schwarzen Aussehn des Ganzen gewährte die Kuppel des höchsten Gebäudes, die ganz vergoldet war und in den Strahlen der Sonne funkelnde Blitze warf. Dicht hinter diesem eigenthümlichen Bau erhob sich die Bergwand, die ohne Ausgang hier das reizende Thal abzuschließen schien. Kurz vor der Wölbung der Eingangsthurmes, deren riesige Thorflügel von Erz gegossen und mit Hieroglyphen bedeckt waren, jetzt aber weit geöffnet standen, durchbrach eine tiefe Felsspalte quer den Weg und wurde von einer in Ketten hängenden Zugbrücke überdeckt. Männer standen auf den Mauern und unter dem Thor in verschiedenartigen reichen und ärmlichen Gewändern und Trachten, Alle bewaffnet und in ihrer Mitte eine hohe Frau, über die erste Blüthe der Jahre hinaus, aber mit wohlerhaltenem, stolzem und kühnem Gesicht und mit prächtigen Kleidern und Juwelen geschmückt.
Ein rothes, mit Goldblumen durchwirktes Oberkleid war unter der Brust mit einer Agraffe jener kostbaren Türkisen aufgenommen, die in den Minen von Nischnipur gefunden werden, und ließ ein auf die Goldpantoffeln herabfallendes Unterkleid von jener zarten blaßgrünen Seide schauen, welche bis jetzt allein die Webstühle China's liefern. Ein kostbarer Kashemirshawl umschlang turbanartig die hohe kegelförmig zugespitzte Mütze und fiel in befranzten Enden herab auf die Schultern.
Neben dieser königlich ausschauenden Frau - und in der That war sie die Königin einer mächtigen und kriegerischen Nation
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gewesen - standen ein junges Mädchen und zwei Männer, die gleiche Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Das Mädchen war gleich prächtig gekleidet, wie ihre Mutter, denn obschon ihr Gesicht von einem Schleier bedeckt war, hinderte dieser doch nicht das Erkennen und Vergleichen der Züge, denn er war von jenem kostbaren indischen Gewebe, das auf den Rasen gebreitet, nur wie Thau desselben aussieht. Der eine Mann trug die hohe persische Mütze von schwarzem Schaffell und den langen blauen Talar dieses Volkes. Der wilde Ausdruck des Gesichts und die schwere Bewaffnung deuteten jedoch darauf hin, daß er einem der kriegerischen Nachbarstämme, und zwar dem Afghanenvolk, angehöre, diesen erbitterten und glücklichen Gegnern der Engländer. Der Andre war ein Greis von ernstem, strengem Ansehn, und obwohl seine Farbe von der Sonne des Ostens so mahagonibraun gefärbt war, wie die der Eingeborenen, bewiesen doch die Züge dieses Gesichts und der Orden der französischen Ehrenlegion, den er auf seinem Kaftan trug, daß er ein geborner Europäer war.
Sobald Murad-Khan der hohen Dame ansichtig wurde, sprang er von seinem Rosse, nahte ihr mit Ehrerbietung und beugte sein Knie vor ihr, indem er den Saum ihres Oberkleides an seine Lippen führte.
»Möge Wischnu, der Erhalter, der hohen Rani langes Leben und den Sieg über ihre Feinde verleihen, daß diese Augen sie wiedersehen auf dem goldnen Thron von Lahore,« sagte der junge Sikhkrieger. »Dein Sclave ist zurückgekehrt, früher, als er es gehofft, nach dem Willen unsers Gastfreundes, der einen Freund gefunden aus dem Lande der Faringi, obschon er nicht von dem Volk unserer Tyrannen ist.«
Die Augen der Rani - der letzten Königin des Sikhstaates - wandten sich auf den Deutschen, der mit der ganzen Gesellschaft jetzt abgestiegen war, die Rosse den herbeieilenden Seyce's überlassend, und dann auf den Serdar.
»Tukallah ist ein so weiser und treuer Mann,« entgegnete sie, »daß er keinen Verräther in unsre Nähe bringen wird. Sein Gast ist der Rani willkommen, auch wenn sie ihn nicht kennt.«
»Der Dir naht,« sprach der Mahratte, »kann die Hoffnung Deines Hauses werden. Wir haben in ihm gefunden, was wir
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suchten, und der junge Maharadschah der Sikhs soll frei sein, ehe der Mond sich auf's Neue füllt!«
Auf diese Versicherung reichte die entthronte Fürstin dem Deutschen die mit kostbaren Juwelen bedeckte Hand nach europäischer Sitte.
»Möge Dein Wort zur Wahrheit werden, weiser Serdar der Mahratten, unserer Brüder!«
Damit verließ sie den Eingang und schritt in Begleitung ihrer Tochter der Gesellschaft voran durch das Thor in das Innere der Burg. Der Mahrattenfürst ging an ihrer andern Seite und redete heimlich und eifrig mit ihr.
Der Khan legte die Hand auf den Arm seines neuen Freundes. »Was sagt der weise Arzt der Franken zu der Rose von Lahore? Ihr Duft ist lieblich und der Glanz ihrer Augen überstrahlt das Feuer des Koh-ih-noor!«9
Walding, der die bilderreiche Sprache der Orientalen kannte, sah ihn erstaunt an, denn er glaubte, der junge Krieger spräche von der Rani.
»Sie muß in ihrer Jugend schön gewesen sein,« entgegnete er, »und ihr Auge ist noch feurig und voll Hoheit; wenn Murad-Khan die Dame aber mit einer Rose vergleichen will, so möchte ich sie doch gerade nicht mehr eine in ihrer ersten Blüthe nennen.«
Der Greis mit dem europäischen Gesichtsausdruck, der an ihrer Seite ging, lachte über das Mißverständniß.
»Der tapfere Murad,« sagte er in französischer Sprache, »glaubt, daß wenn er von einer Dame spricht, Jedermann wissen muß, daß es nur von seiner Verlobten, der Prinzessin Mahana, der Tochter der Rani, geschehen kann. Es war das junge Mädchen an der Seite ihrer Mutter. Doch erlauben Sie, mein Herr, da unser junger Freund uns bereits benachrichtigt hat, daß Sie kein Engländer von Geburt sind, Sie zu fragen, welcher Nation Sie angehören?«
»Ich bin ein Deutscher, ein Preuße!«
Die Stirn des Greises verfinsterte sich einen Augenblick -
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dann aber rächte er dem Arzt zum Willkommen die Hand. »Die Preußen waren die Feinde meines großen Kaisers,« sagte er in Erinnerungen verloren, »aber sie sind eine brave Nation und begnügten sich, den Löwen zu besiegen, nicht ihn zu ermorden. - In meiner Jugend war ich unter den französischen Adlern in Ihrem Vaterland und zog in die Thore Ihrer Hauptstadt ein. Verzeihen Sie einem alten Mann die glorreichen Erinnerungen seiner jüngeren Jahre.«
»So sind Sie einer der alten napoleonischen Offiziere in den Heeren der indischen Fürsten?«
»Ich bin der General Ventura,« sagte der Greis mit einigem Stolz, »früher Capitain der französischen Armee, seit 1822 in Diensten des berühmten Rundschit Sing und seiner Nachfolger, jetzt mit ihnen ein flüchtiger Verfolgter. Da Sie bereits bei Ihrem Eintritt das wichtigere Geheimniß von der Anwesenheit der Maharani erfahren haben, nehme ich keinen Anstand, auch meinen Namen Ihrer Ehre anzuvertrauen.«
Der Preuße verbeugte sich. »Der Name des berühmten Organisateurs der Sikh-Armee ist keinem Gebildeten unbekannt, schon aus der Reisebeschreibung des Capitain von Orlich, meines Landsmannes. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß das, was ich hier sehe und höre, in meiner Brust verschlossen bleibt. Ueberdies bin ich gewissermaßen selbst ein Flüchtling - wenigstens würden mich englische Augen als solchen betrachten.«
Die weitere Erörterung dieses Gegenstandes wurde jedoch verhindert durch den Eintritt der Gesellschaft in die inneren Räume der Burg.
Der Vorhof, den sie zuerst betraten, enthielt zu beiden Seiten unter großen colonnadenartigen Bogen die Ställe der Pferde und die Wohnungen der Krieger und Diener, welche die Besatzung der Burg bildeten. Zahlreiche Männer, bewaffnet oder in Pilgerkleidern, gleich als hätten sie einen weiten Weg zurückgelegt, standen und saßen umher, besonders, um den Rand des steinernen cisternenartigen Brunnens, der sich in der Mitte des Hofes öffnete. Sie Alle erhoben sich und machten ehrerbietig ihren Salem oder Gruß, als der Serdar mit seinen Begleitern vorüberschritt nach dem Gitterthor, das sich in der zweiten Gebäudereihe öffnete.
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Zwei Krieger, in alterthümlicher Weise mit Stahlhauben und Kettenpanzern gerüstet, hielten an dem Thor Wache, von dem aus eine breite Treppe von schwarzem Marmor emporführte, zum nächsten Hof, der nur zwei oder drei Fuß tiefer lag als das flache Dach der zweiten Reihe, mit demselben durch Zugänge und Stufen verbunden. Rechts und links bildeten prächtige Holzpavillons mit reicher Vergoldung und chinesischen Malereien die Verbindung mit dem letzten der Hauptgebäude, in dessen Mitte sich die große Pagode mit der vergoldeten Kuppel erhob, um die zu beiden Seiten her eine prächtige Marmortreppe hinauf zu dem Dach des Rückflügels der Burg lief. So einfach finster und kriegerisch auch die vordere Hälfte des Mahrattenschlosses erschien, so verschwenderisch reich und reizend, dem Charakter des lieblichen Thales angemessen, war dieser Theil ausgestattet. Der Hof bildete einen mit prächtigen Blumen und duftenden Büschen bedeckten Garten, aus dessen offenbar mit großer Mühe auf diesen Felsengrund geschaffter Erde sich hundertjährige Orangenbäume in langer Reihe erhoben, in ihrem dunklen Laub neben den goldglänzenden Früchten die weißen Blüthenbüsche tragend, die rings umher ihren schweren Wohlgeruch verbreiteten. Zwei silberhelle Fontainen ließen ihren Wasserstrahl zwischen diesen Bäumen und Blumen in schön gemeißelte Bassins von milchweißem Marmor zurückfallen, in denen eine Schaar der Gold- und Silberfische Indiens munter umherschwammen; buntgefiederte blaue und rothe Ara's und isabellfarbige Kakadu's wiegten sich auf Golddrähten, die von Baum zu Baum gezogen waren, und ein halbes Dutzend prächtiger zahmer Pfauen stieg gravitätisch in den Gängen des Gartens auf und nieder. Die Mauern des gegenüberliegenden Gebäudes waren mit Pfirsich- und Rosenspalieren an vergoldeten Gittern bedeckt, und die Rosenbäume hatten in der treibenden Gluth der tropischen Sonne und in der Feuchtigkeit, welche die Springbrunnen ihnen zuführten, eine Höhe von zwei Geschossen und eine Ueppigkeit der Blumenentfaltung erreicht, die mit nichts Aehnlichem in der Welt zu vergleichen war.
Die Pagode, oder der Tempel, der die Mitte des Gebäudes einnahm, war ein Prachtwerk des zierlichen und kunstvollen altindischen Baustyls und mochte, wie die ganze Burg, mehr als ein
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halbes Jahrtausend zählen. Er war in seinen zahllosen Ecken und Vorsprüngen mit Säulchen, Mastern, Stukkaturen und kostbaren Mosaiken bedeckt, von seinen Spitzen hingen glänzende Metallplatten herab, die im Luftzug harmonisch an einander schlugen, und wenn auch der Zahn der Zeit überall gerade an diesem prächtigen Bauwerk genagt hatte und sichtbar war, beschäftigten doch die tausend Einzelnheiten der Arabesken, der metallenen Verzierungen und Vergoldungen den Blick noch allzusehr, um den Verfall näher zu verfolgen. Die beiden Marmortreppen, die sich um die Pagode zur Höhe des Gebäudes wanden, zeigten rechts und links Seiteneingänge in dasselbe; das Dach selbst war mit einem vergoldeten Gitterwerk eingefaßt, über das Blumen und Grün hinausschaute, und zwei riesige Mohrensclaven, die mit blanken Säbeln an dem Fuß der Doppeltreppe Wache hielten, bestärkten noch mehr die Vermuthung des Arztes, daß ein Theil dieses Gebäudes und die oberste Terrasse die Zenana oder den Aufenthalt der Frauen bildeten.
Diese Vermuthung bestätigte sich auch, indem die Maharani mit ihr Tochter alsbald sich auf einer Seite der Treppen entfernte und in das Innere des Gebäudes hinabstieg, während der Serdar sich dem Arzte näherte und zwei der Diener herbeiwinkte, die ihnen aus dem Vorhof gefolgt waren.
»Mein Freund und Gast,« sagte der Mahratte mit jener orientalischen Gastfreundschaft, die alle Wünsche des Wirthes denen seines Gastes nachsetzt, »wird müde sein nach dem anstrengenden Ritt. Diese Beiden werden zu Deinem Dienst bereit sein, bis ich Dir einen eigenen Diener geben kann. Jener Pavillon soll Deine Wohnung sein, und wenn Du geruht und die Beschwerden der Nacht vergessen hast, wollen wir von dem sprechen, was uns Beiden wichtig ist.«
Es war dem Arzt nicht unlieb, auf diese Weise einige Ruhe zu genießen, denn die überstandene Gefahr, die wechselnden Eindrücke und der angestrengte Ritt hatten in der That seine Kräfte erschöpft. So folgte er denn den Dienern, die ihn zunächst in eine Grotte führten, die vom Garten aus unter den Rosenspalieren in das massive Mauerwerk des Gebäudes sich öffnete, und aus dieser eine Treppe hinab nach einem gewölbten Baderaume, der
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sein Licht von oben her empfing. Hier genoß der ermüdete Reisende mit all jenem Luxus und wollüstigen Comfort, der die orientalischen Bäder begleitet, ein solches, wurde von den Dienern mit warmen Wollendecken abgerieben und mit jenen eigenthümlichen Manipulationen geknetet, die den Gliedern und Muskeln neue Spannkraft zu geben scheinen, und dann in einen weiten Ueberwurf von indischer Wolle gehüllt nach dem Kiosk geführt, den der Serdar ihm zur Wohnung angewiesen. Hier fand er köstliche Früchte, Sherbet und Kaffee zu seiner Erfrischung bereit, und nachdem er davon genossen, warf er sich auf das Lager aus Kissen und Teppichen, das an der Seitenwand des Gemachs entlang lief, ohne der köstlichen Aussicht durch die geöffneten Jalousieen auf das Thal zurück auch nur einen Blick zu schenken, und sank sogleich in einen tiefen und festen Schlaf.
Die Mittagshitze war vorüber und die Sonne senkte sich zum Untergang, wie vierundzwanzig Stunden vorher, da er unter der Tamarinde am Rande der Wüste so wunderbar dem sichern Tode entgangen war, als er neu gekräftigt die Augen öffnete und sich emporrichtete, erstaunt, sich in so fremder prächtiger Umgebung zu sehen, bis die Erinnerung an das Vergangene ihm zurückkehrte.
An der Thür des Gemachs kauerte ein Diener, nicht einer der beiden, die ihn am Morgen im Bade bedient, sondern ein andrer Mann, dessen Antlitz er schon gesehen zu haben vermeinte, obschon er mit den indischen Physiognomien noch zu wenig vertraut war, um sich genügend erinnern zu können, wann und wo dies geschehen.
Der Diener, in einen blauen Rock gehüllt, ein gelbes Seidentuch um den Kopf geschlungen, erhob sich sogleich, als er das Erwachen des Arztes bemerkte und trat an sein Lager.
»Was befiehlst Du, Sahib?10 Dein Diener ist bereit, Deine Befehle zu vollziehen!«
»Der Serdar sagte mir, daß er einen eigenen Diener mir bestimmt hat. Bist Du der Mann?«
»Ich habe einen Eid geleistet auf das, was mir das Heiligste
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ist, jedem Deiner Winke zu gehorchen, und mit meinem Leben das Deine zu schützen, bis die Zeit gekommen, wo ich wieder frei sein kann. Ich bin Dein Sclave, ein Hauch in Deinem Munde, ein Nichts vor Deinen Augen, so lange ich Dir diene. Dein Wort ist mein Gesetz und Dein Gebot mein Leben. Die Dunkeläugige hat es befohlen!«
Obschon Walding die bilderreiche und überschwängliche Redeweise der Orientalen bereits kannte, waren ihm diese Versicherungen seines neuen Dieners doch auffallend, und er fragte daher:
»Wie kommt es, daß Du mir, der ich Dir ein Fremder bin, Dein Leben und Sein weihen willst, während ich doch höchstens die Ergebenheit und die Dienste von Dir fordern kann, die jeder Herr von seinem Diener zu verlangen berechtigt ist? - Zunächst, wie nennst Du Dich?«
»Kassim, Sahib!«
»Dann beantworte mir meine Frage, Kassim.«
»Sahib, ich bin nicht Dein Diener, ich bin Dein Mayadar!«
»Was ist das - ich verstehe den Ausdruck nicht. Erkläre mir ihn!«
»Meine Worte haben es bereits gethan. Ich bin der Schatten Deines Schattens. Wenn ein Mann sich einem andern durch einen heiligen Eidschwur verlobt hat, so ist er von der Stunde an sein Mayadar, bis Mahadeoh, der Gott des Todes, Einen oder den Andern von diesem Leben befreit. Sein Leben, sein Wissen, das Mark seiner Gebeine und die Gedanken in seinem Hirn müssen Dem gehören, dem er sich zum Mayadar gegeben, wie die Aya dem Kinde gehört, das die Milch ihrer Brust getrunken. Kassim war ein freier Mann, aber der Wille eines Mächtigern hat ihn zum Hunde eines Faringi gemacht.«
»Und wenn ich mich weigere, Deine Dienste anzunehmen?« Der Hindu lächelte verächtlich. »Kannst Du dem Ganges gebieten, rückwärts zu fließen, dem Monsoon11 seinen Weg anweisen? Mein Schicksal ist an das Deine geknüpft durch geheimnißvolle Mächte, über die wir Beide nichts vermögen. Nur Dein
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Tod oder der meine kann mich erlösen und so lange habe ich mein Blut für Deinen Willen zu geben.«
»Und wer ist es, der Dir diesen Eid auferlegen konnte?«
»Wer anders als Tukallah, der Gebieter dieser Burg und des Thales?«
»So hat also Tukallah große Macht unter seinem Volk, und Du gehörst zu seinem Stamm?«
»Er ist ein Sirdar der Mahratten und der Stamm seiner Familie so alt, wie Hindostan. Frage mich nicht weiter, Sahib, er selbst wird Dir sagen, was Dir zu wissen gut ist, denn er hat mir befohlen, Dich zu ihm zu führen, sobald Du erwacht seist.«
Walding fühlte, daß es Unrecht wäre, den Mann weiter auszuforschen, und erhob sich, eine kurze und einfache Toilette zu machen. Er fand einen vollständigen indischen Anzug vor dem Divan, dessen er sich nach Kassims Erklärung bedienen sollte und den er nach kurzer Ueberlegung mit dessen Hilfe anlegte. Bald war er in den weißen Kaftan, den Turban und den weiten wollenen Beinkleidern eines Parsen, deren Sekte die meisten Kaufleute Indiens angehören, gekleidet, steckte den zu dem Anzug gehörenden Yatagan in seinen Gürtel und folgte seinem neuen Diener, der ihn durch den Garten nach der Treppe begleitete, die um die Pagode hinauf zur höchsten Terrasse des Schlosses und den Räumen der Zenana führte. Die schwarzen Wächter am Eingang, die sonst kein männliches Wesen diese Schwelle überschreiten ließen, schienen bereits benachrichtigt, denn sie senkten ihre Säbel und ließen die Beiden ohne Weiteres passiren.
Auf der Höhe der Terrasse angekommen, fanden sie auf der einen Seite unter einem Sonnenzelt Tukallah mit einem seiner schwarzen und stummen Leibdiener, auf Kissen sitzend und die Hukah rauchend. An dem andern Ende der Terrasse war ein ähnliches Zelt aufgeschlagen und Walding glaubte dort Frauengewänder schimmern zu sehen, doch verhinderte eine Wand blühender Gesträuche jedes nähere Erkennen.
Auf einen Wink nahm der Deutsche neben dem Sirdar Platz, und wurde mit Kaffee und einer kostbaren Pfeife bedient, während Kassim wieder die Terrasse verließ.
»Wir sind allein,« sagte Tukallah, »denn der Mund dieses
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Sclaven ist auf immer verschlossen und seine Seele ist mir ergeben. Es wird den weisen Arzt der Faringi Manches in Erstaunen gesetzt haben. Er möge fragen und Tukallah wird ihm antworten.«
»Zunächst,« entgegnete der Deutsche, »glaube ich, daß Du mich aus einer schweren Lebensgefahr, ja vom Tode gerettet hast, obschon mir die Umstände dieser Gefahr und Rettung noch immer dunkel sind. Nimm meinen Dank dafür, denn wenn an meinem Leben auch wenig gelegen, so kann seine Erhaltung doch Deinem Volke selbst nützlich sein.«
»Du hast weise gethan, von der Gefahr nicht zu sprechen, in die ein unbesonnener Reisender in dieser Wüste leicht verfällt. Wie kommt es, daß ich den Freund des Somroo, den ich in England verließ, am Rande der Thür wiederfand?«
»Du erinnerst Dich, daß ich zwei Monate nach dem Tode des Syr[Sir] Dyce und jenem schrecklichen Morgen, an dem Capitain Ochterlony verhaftet wurde, noch in London blieb, um dem Capitain jede mögliche Hilfe zu leisten, seine Angelegenheiten zu ordnen und Nachforschungen nach dem verlornen Testament anzustellen.«
Der Indier bejahte.
»Es war vergebene Mühe! Der Prozeß, den wir auf Grund des frühern Testaments anstellten, hatte nicht den geringsten Erfolg ohne die legalisirten Dokumente, und selbst wenn diese herbeizuschaffen gewesen wären, war der Erfolg, wie mir Duncombe, der Notar, versicherte, mehr als zweifelhaft. Dazu fehlten die Mittel zur Betreibung eines Prozesses, welcher bei dem Gange der englischen Civilrechtspflege über ein Menschenalter dauern mußte. Unsere Feinde waren mächtig und hatten einen Hinterhalt an der Regierung und der Compagnie - der Mann, der allein noch vermocht hätte, ihnen Trotz zu bieten, lag unter einer falschen aber furchtbaren Criminalanklage im Kerker und der Sieg seiner Feinde war gewiß. Du selbst weißt, daß er mir durch Duncombe anempfehlen, ja gebieten ließ, ihn seinem Schicksal zu überlassen und vor den Verfolgungen unserer Gegner nach dem Continent zu flüchten, um von dort mich nach Indien einzuschiffen und dem von dem todten Freunde ernannten Erben, dem Srinath Bahadur, jenes Schreiben auszuliefern, das wir glücklich
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gerettet. Ich wußte jeden meiner Schritte beobachtet von unseren Gegnern, und so ging ich, wie ich hoffte, heimlich nach Plymouth, um mich dort nach Frankreich einzuschiffen - aber das Auge der Verfolgung war hinter mir, ich wurde überfallen, zu Boden geschlagen und in bewußtlosem Zustande geplündert. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich am Bord eines Kriegsschiffes - ich war zum gemeinen Matrosen gepreßt und wurde als solcher behandelt.«
Die Augen des Sirdar funkelten unter den grauen, buschigen Brauen. »So hat man Dich jenes Schreibens an Nena Sahib beraubt, das Dyce Sombre Euch Beiden anvertraut hatte!«
»Es ist hier - ein glücklicher Zufall hat es gerettet, und ich habe es bewahrt nach dem Willen des Capitains. Höre mich weiter an, Tukallah. Obschon ich mich auf dem Schiff weigerte, Handgeld zu nehmen, und meine Freiheit forderte, hielt man mich doch zurück. Mehrere Monate nachher, als wir an der afrikanischen Küste kreuzten und ich empörende Mißhandlungen erduldet, traf ich durch ein seltsames Geschick an dem Grabe des Mannes, der einst Englands größter Feind gewesen, mit Männern zusammen, die dort ihren Racheschwur gegen die britische Tyrannei vereinten. Unter diesen Männern befand sich Capitain Ochterlony, jetzt ein Deportirter, auf dem Weg nach Botani[y]-Bai, und Baber-Dutt, der Bruder Nena Sahibs. - Nach dem Willen des Capitains blieb ich auf dem Schiff, das nach den indischen Meeren bestimmt war, und von dem ich ohnehin nicht hätte entfliehen können, bis sich eine günstige Gelegenheit zur Erfüllung unserer Absichten zeigen würde. Fünf Jahre waren der Zeitraum, innerhalb dessen wir uns in Indien in der Nähe Nena Sahibs wiederfinden sollten, denn auch er hoffte in dieser Zeit von Australien Gelegenheit zur Flucht zu finden. Das Schiff, dem ich angehörte, wurde vom Admiral nach Oceanien gesandt und erst vor etwa Jahresfrist in das arabische Meer beordert. Mein Leben am Bord hatte sich zwar gebessert, denn als bei der auf dem Schiff ausgebrochenen Cholera der Arzt und sein erster Gehilfe gestorben waren, übernahm ich aus Menschenpflicht des Erstern Function, und habe sie vier Jahre lang gewissenhaft geübt. Ich bezog das Gehalt, denn ich mußte leben, aber ich weigerte mich, trotz der
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Freundlichkeit, die ich bei der Bemannung fand, definitiv in die englischen Dienste zu treten. So wurde mir die Gelegenheit erschwert, das Schiff zu verlassen, wenn es sich in Bombay befand, und erst auf einer Expedition in das Sindh, den Indus hinauf, gelang es mir bei einer Jagdpartie, mich von meinen Begleitern zu entfernen und, der Gefahr trotzend, den Weg in das Innere Indiens einzuschlagen. Da ich des Hindostani jetzt vollkommen mächtig war, hoffte ich, glücklich nach Audh zu gelangen und vielleicht am Hofe des Bahadur Nachricht von Capitain Ochterlony zu erlangen. Ich wanderte nach dem Kompaß mehrere Tage, indem ich die bewohnten Gegenden vermied, um mich erst genügend vom Ufer des Sedletsch zu entfernen, ehe ich mich unter irgend einem Vorwand, der meine Kleidung und mein Alleinsein erklärte, einer Reisegesellschaft nach dem Osten anschloß. Dies ist meine Geschichte, würdiger Sirdar, und ich hoffe, durch Deinen so glücklich und unerwartet aufgefundenen Beistand jetzt die Mittel zu erhalten, nach Audh und unter den Schutz des Srinath Bahadur zu gelangen.«
Der Alte wiegte einige Augenblicke sinnend das Haupt.
»Du sprachst von einem Eid, den die Männer gegen die Faringi geleistet. Hast Du daran Theil genommen?«
»Ich schwor ihn mit, obschon es mir, aufrichtig gestanden, leid thut, daß ich mich von der Erbitterung über einzelne tyrannische Handlungen zur Verdammung einer ganzen Nation hinreißen ließ, die viele Edle und Gute in ihrer Mitte zählt!«
Der Mahratte lächelte verächtlich. »Dein Eid kettet Dich an die Feinde Englands, wenn auch Dein Herz schwankendes Rohr ist, wie das Herz dessen war, der in dem Nebellande schläft. Du willst zu Nena Sahib?«
»Es ist meine Pflicht!«
»Er ist ein schwankendes Rohr, wie Du bist und Dyce Sombre war, halb Hindu, halb Faringi, zum Weib geworden an dem Busen eines Weibes. Ehe das Weltall um 24 Stunden älter ist, wird es sich entscheiden, ob er zu unseren Freunden oder Feinden zählt.«
»Wie meinst Du das?«
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»Ehe die Sonne zum zweiten Mal sinkt, wird Nena Sahib in den Mauern dieser Burg sein.«
»Er kommt hierher?«
»Seine Läufer haben die Kunde mir vor drei Tagen gebracht. Er ist auf dem Rückweg nach Delhi von Bombay, wohin er sich vor Mondenfrist zu den Wettrennen der Faringi begeben hat, denen der Thor nachläuft. Ein Scheich der Anazee hatte ein seltenes Pferd aus Arabien dorthin gebracht, und das lockte ihn mehr, als alle Thränen, die Hindostan über seine Erniedrigung weint.«
»Das ist ein seltener und glücklicher Zufall,« sagte der Arzt, »und ich bin Dir um so mehr deshalb Dank schuldig. Doch Tukallah, wenn es Dich nicht beleidigt, möchte ich wohl hören, wie Du nach Indien zurück und zu dieser Macht kamst, während ich Dich nur für einen Diener unsers verstorbenen Freundes hielt!«
Der Sirdar schaute nachdenkend, gleich als habe er die Frage nicht gehört, auf den Arzt.
»Ich habe Dein Leben gerettet, in einem Augenblick, da Mahadeoh bereits seine schwarze Hand auf Deine Stirn gelegt hatte.«
»Ich ahnte es - und ich wiederhole Dir meinen Dank!«
»Hast Du den Muth, ihn mit einer That zu bewähren?«
»Ich bin bereit mit meinem Blut die Aufrichtigkeit meiner Gefühle zu bekräftigen.«
»So gieb einer Mutter ihren Sohn, einer Schwester den Bruder, einem Lande seinen rechtmäßigen Gebieter zurück!«
»Ich verstehe Dich nicht! Was vermag ich, ein Fremdling in diesem Lande?«
»Höre mich an! Was Du auf Malangher, meiner Burg, auch sehen und hören mögest, gelobe mir Schweigen, auch wenn Du die Bitte, die ich im Namen einer trauernden Mutter Dir an's Herz lege, zurückweisen solltest.«
»Ich gelobe es Dir! Die Ehre verpflichtet mich schon dazu.«
»Du fragtest mich so eben, wie ich in den Besitz dieses Schlosses gekommen, da ich doch im Lande der Faringi der Diener eines andern Mannes gewesen sei?«
»Ich gestehe - der Wechsel erschien mir seltsam, obschon
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in diesem Lande der Wunder eigentlich Nichts in Verwunderung setzen sollte.«
»Ich war nicht der Diener, sondern der Mayadar Dyce Sombre's. Verstehst Du, was das Wort zu bedeuten hat?«
»Eine Art von Blutbrüderschaft zwischen Diener und Herrn. Ich habe diese Bedeutung von dem Manne erfahren, den Du zu meinem Diener bestimmt hast, und hörte mit Erstaunen, daß er mein Mayadar geworden.«
»Nimm ihn als ein Geschenk, das ich Dir mache. Was die Aya, die Amme, dem Kinde ist, wie sie in Noth und Tod Dem ergeben bleibt, der ihre Milch getrunken, so ist der Mayadar durch heiligen Eid an seinen Herrn gebunden, und in dem Augenblick, in dem ich Dir dies sage, hängt Kassims Blick an Dir und bewacht Dich mit der Sorgfalt einer Mutter. - Mein Vater war ein Mahrattenfürst - er zählte drei Söhne, ich war der jüngste. In einem Kampf gegen die Faringi rettete Oberst David Ochterlony, ein Oheim des Capitains und ein Freund der Begum von Somroo und der Pathe ihres Enkels David Dyce Ochterlony Sombre, meinen Vater vom Tode am Galgen, und dieser gelobte dafür Friede mit den Faringi's und gab mich, seinen jüngsten Sohn, den Gehaßten zur Geißel, indem er mir den Eid eines Mayadar für den Pathen seines Retters auferlegte. Ich zählte damals zwanzig Jahre und der Knabe zwölf. Seitdem blieb ich am Hof der Begum, bis sie starb, und Dyce über das Meer zog. Ich habe den Eid gehalten, bis er gestorben war - sein Tod machte mich frei und gab mich meiner Kaste wieder. Als die Gerichte der Faringi den Capitain wegen eines Verbrechens verurtheilten, das er nicht begangen, kehrte ich mit dem nächsten Schiff nach Indien zurück. Ich fand meinen Vater und meine Brüder todt, gefallen im Kampf gegen die Engländer, ihre Habe in den Klauen jener Compagnie. Nur in den Einöden der Thur, wo die Familie meiner Mutter ihre Besitzungen gehabt, war Gerechtigkeit zu finden, und sie, die das Erbe Tukallahs dreißig Jahre bewahrt, sie gaben es ihm zurück, als er den Namen seiner Väter nannte. Dem Winke Tukallahs gehorchen tausend tapfere Beludschen und eine Macht, vor der der mächtigste Faringi in seinem Palast erzittern mag! Sein Wink jagt tapfere Männer in
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den Tod, und der Hauch seines Mundes kann Verderben bringen über die Stolzesten!«
Der Arzt achtete auf das nicht, was er dem Geist orientalischer Prahlerei beimaß.
»Du hast mir noch immer nicht angedeutet, edler Sirdar,« sagte er, »wie ich einer Mutter ihren Sohn zurückzugeben vermag.«
Der Mahrattenfürst klatschte drei Mal in die Hände, worauf sich die Blumenwand auf der andern Seite des Daches öffnete und die Rani, von ihrer Tochter begleitet, hervorkam. Tukallah ging ihr ehrerbietig entgegen und führte die Frauen zu dem Sitz, den sie einnahmen, während der schwarze Diener sich entfernte.
»Was Du zu wissen begehrst,« hob der Sirdar wieder an, »sollst Du alsogleich erfahren. Du wirst wissen, daß Rundschit Sing, der große und berühmte Maharadschah des Volkes der Sikhs, im Jahre 1839 in Lahore starb. Der Löwe des Pendschab hinterließ sein Reich Khuruk Sing, seinem ältesten Sohne, dessen Wessire Dheian Sing und Gholab Sing von der edlen Familie der Dschummu waren, der Letztere der Vater des jungen Kriegers, der an Deiner Seite durch die Wüste ritt.[«]
»Dheian und Gholab aber riefen den verbannten Sohn des neuen Maharadschah, Rau Rehal, von der Grenze Afghanistans, und setzten die Krone seines schwachen Vaters auf sein Haupt, aber Schiwa zürnte ihm, und als er auf seinem Elephanten aus dem Thore von Lahore ritt, fiel ein Balken herunter und erschlug ihn. Den Thron von Lahore nahm Sher Sing, der zweite Sohn Rundschits ein, von den Khalsa's12 zum Maharadschah ausgerufen. Die Dschummu's hatten mächtige Feinde, die Familie der Sindawalla, die, von den Faringi's unterstützt, schon früher den Sohn Rundschits vom Throne ausschließen und diesen der Gattin Khuruks geben wollten, damit die Fremden herrschen möchten im Lande der Sikhs. Wenn der Zorn des Maharadschah und seiner Getreuen gegen sie war, flohen sie auf das Gebiet der Faringi und hielten sich dort auf, bis deren Gesandten mit den gespaltenen Zungen ihnen die Erlaubniß zur Wiederkehr erwirkt hatten. Auf's Neue schmiedeten sie Verrath, mordeten hinterrücks den
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Maharadschah und seinen ersten Wessir und wollten das Land den Engländern übergeben. Da erhob sich wiederum das Heer der Sikhs unter General Ventura, den Du gesehen, erschlug die Sindawalla-Häuptlinge, setzte Dhulip Sing, einen Knaben von sieben Jahren, den jüngsten Sohn, des verstorbenen Rundschits und seine Mutter, die Mahe Tschund, auf den Thron von Lahore (1843). Aber die Faringi's - lüstern nach dem Besitz des Pendschab - spannen fortwährend gegen die Rani und ihren Sohn Intriguen und erregten Aufruhr im Lande. Offen rüsteten sie zum Kriege und zur Eroberung des Pendschab, wie die Zeitungen Englands dreist verkündeten. Sie weigerten sich, den Schatz herauszugeben, den der Bruder der Rani in einer ihrer Festungen niedergelegt, verweigerten den Sikhshäuptlingen ihr Erbe auf der linken Seite des Sedletsch und sperrten die Wege, so durch tausend Chikanen und Ungerechtigkeiten den Kampf herausfordernd, bis endlich erbittert die Khalsa's mit ihren Sirdars im nächsten Jahr über den Sedletsch zogen, 60,000 Mann und 200 Kanonen, ihr Eigenthum zu schützen und die Faringi's zu züchtigen. Das Schicksal der Schlachten war gegen sie, sie wurden geschlagen in den Schlachten von Ferodscha und Sobraon trotz ihrer Tapferkeit. Die Engländer verlockten die Hindu's, die unter den Sikhs dienten, zum Abfall, drangen über den Sedletsch, erklärten das Land an beiden Ufern, für ihr Eigenthum und zogen in Lahore ein. Obschon der junge Maharadschah Nichts für den Kriegszug seiner wilden Krieger konnte, nahmen die Faringi ihm die Hälfte seines Landes, vernichteten die Armee seines großen Vaters und stellten die Regierung des unabhängigen Landes unter die Aufsicht eines englischen Residenten.«
Der Arzt sah, wie das Antlitz der Frau, welche man mit dem Titel Rani bezeichnete, bei der Aufführung dieser Schmach erglühte und sich ihre Hand öffnete und schloß. Von diesem Augenblick an konnte er sein Auge nicht wieder von ihrem Antlitz abwenden.
»Drei Jahre,« erzählte der Sirdar weiter, »waren unter diesem Druck vergangen, der so gewaltig auf dem tapfern Volke lastete, daß die Sikhs selbst ihren Haß gegen die Anhänger Muhameds des Propheten vergaßen und sich mit Mohamed, dem
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Emir von Kabul, im Lande der Afghanen, verbanden, um ihre Freiheit wiederzugewinnen. Mulradsch Khan erschlug die Faringi-Offiziere, die zu ihm nach Multan gekommen, ihn seines Erbes zu berauben, und noch ein Mal sammelten sich die tapferen Krieger Rundschits und schlugen die Engländer am Tschenab und bei Tschillianwallah in die Flucht.13 Da zogen auf ihren Schiffen von allen Seiten die Heere der Faringi heran, Verrath schlich sich zwischen die Sikhs und Afghanen, die Agenten der Europäer streuten Zwietracht zwischen die Führer, und einzeln wurden die Tapferen geschlagen. Sechszigtausend edle Krieger fielen kämpfend für die Freiheit ihres Landes, und die Faringi stürzten den Thron des Löwen Rundschit, vor dessen Brüllen sie einst gezittert, und machten das Reich tapferer Soldaten zum Eigenthum ihrer Kaufleute. Dhulip Sing, den Knaben, den sie seiner Krone beraubt, dessen Kindesalter - denn er zählte kaum dreizehn Jahr - ihnen nie ein Leid gethan, schleppten die Räuber nach einer ihrer Festungen und halten ihn dort gefangen, damit sein Name nicht dazu diene, daß noch ein Mal das Volk der Shiks[Sikhs] sich um ihn schaare.«
»Und die Maharani, seine Mutter?«
»Man hatte sie gleichfalls eingesperrt in eine ihrer Festungen, aber sie entfloh mit Hilfe ihrer Getreuen und begab sich nach Nepal, klagend um den Sohn und Hilfe suchend gegen die Räuber ihres Thrones. Und jetzt - -«
Was der Arzt bereits geahnt, zeigte sich gegründet. Die hohe Frau vor ihm, die mit immer leidenschaftlicherer Erregung der Erzählung gefolgt war, erfaßte seine Hand.
»Sie - die beraubte Mutter, die beraubte Königin sitzt vor Dir! Ich bin die Maharani Mahe Tschund, die Flüchtige, die Mutter Dhulips, die Dich anfleht, weiser Fremdling, ihr den Sohn, diesem Mädchen seinen Bruder zurückzugeben!«
Der Arzt war ergriffen von dem leidenschaftlichen Schmerz der Mutter; denn wenn es auch der Ehrgeiz war, der diese Frau zu den rastlosen Intriguen und Anstrengungen für die Befreiung ihres Sohnes und die Wiedergewinnung des Thrones antrieb,
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so war doch auch das Muttergefühl ein zu natürliches, um nicht bei der Heftigkeit des orientalischen Charakters jede Schranke zu durchbrechen.
»Hoheit,« sagte der Deutsche - »wenn meine schwache Kräfte etwas vermag in Eurem Dienst, so soll sie Euch gewidmet sein, aber ich fürchte ...«
»Du bist der Mann, der uns fehlt zu dem Werk der Befreiung,« unterbrach ihn der Sirdar. »Einem Europäer allein kann es gelingen, zu Dhulip Sing zu dringen und seine Flucht unbeargwohnt vorzubereiten. Murad Khan wird Dein Gefährte sein auf dem Weg nach Firozpur, wo der Prinz gefangen ist. Alles ist vorbereitet, nur das Haupt fehlt, das den Plan ausführen kann. Wenn Du einwilligst, so ist der Prinz frei, ehe der Mond zwei Mal gewechselt.«
Die glänzenden stolzen Augen der entthronten Königin, die sanften Blicke des jungen Mädchens ruhten so flehend auf ihm, daß er nicht widerstehen konnte.
»Wie es auch kommen möge,« sagte er entschlossen, »Du hast mein Leben gerettet, und es gehört der That, die Du ihm bestimmst. Aber wie soll ich dorthin gelangen und in die Festung?«
»Du wirst mit Srinath Bahadur Dich nach Audh begeben und dort die Mittel erfahren, Deinen Zweck zu erreichen. Murad Khan findet dort einen Mann, der Eure Wege leiten wird. Jetzt, wo das Herz dieser Frauen beruhigt, laß uns aufbrechen und zu dem Feste gehen, das ich Euch bereitet.«
Er wollte sich erheben, als ein leiser Schrei der Rani ihn fesselte und des Europäers Auge auf sie wandte. Das ihre starrte mit Entsetzen nach dem Mädchen hin, das sich während der letzten Worte entfernt hatte und an die Brustwehr getreten war, die den obern Rand des flachen Daches umgab und hinunterschaute in den Gartenhof, wo die nahende Kühle des Abends bereits die Gäste des Sirdars und die Bewohner des Schlosses zu versammeln begann.
Waldings Blick folgte dem der Rani, und einen Augenblick lang fesselte auch seine Besonnenheit, seinen Muth das starre Entsetzen.
Das schöne unglückliche Mädchen hatte die Geranienbüsche
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aus einander gebogen, welche das vergoldete Gitterwerk füllten und schaute, ohne die Gefahr zu ahnen, hinab in den Raum, wo ihr Geliebter eben beschäftigt war, im Wettkampf gegen den Afghanen seine Geschicklichkeit im Schleudern des oben beschriebenen Wurfeisens gegen das Dolchwerfen des Andern zu versuchen.
Sie hatten in der Entfernung von etwa zwanzig Schritten Orangen auf die Spitzen von Stäben gesteckt und prüften an diesen ihre Kunst, in der jedoch der Afghane seinen Gegner besiegte; denn indem er seinen Dolch mit dem Griff auf der flachen Hand wiegte, die Spitze des Zeigefingers leicht an den Knopf gelegt, schleuderte er mit einer unmerklichen Bewegung des Gelenks die Klinge mit einer Kraft und Sicherheit, daß sie jedes Mal mitten in die Goldfrucht flog und zitternd darin stecken blieb.
Die Brust, nach der eine solche Waffe geschleudert wurde, mußte durchbohrt, die Fuge des Panzers von solcher Sicherheit getroffen werden!
Eben war Murad Khan ein glücklicher Wurf gelungen und der scharfe Stahlring hatte eine der Orangen mitten durch geschnitten. Mahana klatschte jubelnd in die Hände, während das Verderben in scheußlicher Gestalt über ihrem Haupte schwebte.
Eine riesige Schlange, eine der größten ihrer Art, hatte sich, ohne daß die Fremden ahnen konnten, woher sie gekommen, aus dem Buschwerk der Blumen und Pflanzen hervor gewunden, sich aus der Spitze ihres muskelkräftigen Schwanzes zu voller Manneshöhe erhoben und hielt ihren geöffneten Rachen kaum zwei Fuß entfernt über dem Haupt des unglücklichen Mädchens.
Die Schlange war, wie der Arzt an den schwarzen Ringen um ihre großen, in grünlichem Feuer funkelnden Augen und an der gelben Farbe ihres Körpers erkannte, die furchtbare Brillenschlange oder Cobra capella, die giftigste der Reptilien Indiens nach der Klapperschlange und Hornschlange, und gefährlicher als diese, da sie mit ihrem tödtlichen Gift zugleich Kraft und Wildheit verbindet.
Der kragenartige Lappen an ihrem Halse blähte sich wie der Kamm eines Truthahns, die Wuth des Thieres zeigend; aus dem weit geöffneten Rachen züngelte die gespaltene dünne Zunge nach dem Opfer, und ein giftiger Brodem schien ihm zu entquellen.
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Die Situation war entsetzlich, obschon sie nur wenige Augenblicke, kürzer als das Wort sie zu beschreiben vermag, dauerte.
Das junge Mädchen hatte keine Ahnung von der ihr drohenden Gefahr, aber die geringste ihrer Bewegungen konnte den tödtlichen Biß der Schlange beschleunigen und die Unglückliche geradezu in den Rachen des Ungeheuers führen.
Die Rani, vor Entsetzen zu Stein erstarrt, vermochte keine Bewegung zu machen, keinen Laut auszustoßen - theils in dem Schreck, theils in der Furcht, dadurch den Tod ihres Kindes zu beschleunigen.
Die gleiche Besorgniß hielt den Sirdar ab, der überdies am Weitesten von der Gefährdeten entfernt saß und durch die beiden Andern von ihr getrennt wurde. Walding hörte die leise gemurmelten Worte: »Eine der heiligen Schlangen! Fluch über den Schurken, der sie hat entwischen lassen!«
Der Arzt war der Nächste an dem Mädchen - wie ein Blitz zuckte es durch seine Seele, daß, was zu ihrer Rettung geschehen könne, von ihm ausgehen müsse, und was das einzige Vertheidigungsmittel war. Mit der Schnelle des Gedankens hatte er eines der seidenen Kissen des Divans ergriffen und schleuderte es nach dem Kopfe der Schlange. Mit einem zweiten bewehrt, sprang er im selben Momente empor und stürzte zu dem Mädchen. Zugleich vernahm er hinter sich, gemischt mit dem Aufschrei der Rani, deren Erstarrung mit seiner Bewegung sich löste, einen weithin gellenden Pfiff.
Das Kissen war so kräftig und geschickt geschleudert worden, daß es den Kopf der aufgerichteten und nur auf ihren Schwanz gestützten Schlange traf und sie umwarf. In grimmer, blinder Wuth wendete sich das Ungeheuer und biß heftig in die Kissen.
In diesem Augenblicke war auch der Deutsche bei der jungen Indierin und umschlang sie mit der einen Hand, während die andere zum Schutz gegen das Ungethüm das zweite Kissen vorhielt.
Jetzt erst - durch den Schrei ihrer Mutter und das Herbeispringen des Arztes erschreckt, hatte die Prinzessin sich umgewendet und mit erbleichenden Wangen die gräßliche Gefahr entdeckt, die sie bedroht hatte und noch bedrohte. Halb ohnmächtig hing sie in den Armen Waldings.
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Die Schlange schien bemerkt zu haben, daß sie ihre Wuth und ihr Gift an einen todten Gegenstand verschwendet und ihren wahren Feind wo anders zu suchen habe; denn sie verließ alsbald ihre Beute, richtete sich auf's Neue empor, wendete ihre funkelnden Augen auf den Arzt und das Mädchen, und das große Kissen, das der Arzt ihr entgegenhielt, bildete jetzt die einzige Schutzwehr der Bedrohten.
Seltsamer Weise stand der Sirdar, der unterdeß herbeigeeilt war und einen langen Stab ergriffen hatte, dabei, ohne einen Schlag auf das Ungeheuer zu thun zur Rettung des Paares.
In diesem entsetzlichen Moment, wo der Arzt bereits den giftigen Hauch des Reptils zu fühlen glaubte, kam ihnen unerwartet eine um so seltsamere Hilfe von anderer Seite.
Ein Teppich, der in einem Winkel der Terrasse auf dem Boden lag, wurde zur Seite geschoben und aus der fallthürartigen Oeffnung, die sich darunter zeigte, hob sich ein Kopf - zwar einem Menschen angehörig, aber doch kaum weniger scheußlich, als der der giftgeschwollenen Schlange.
Es war ein unförmlich dickes, einem Kürbis ähnliches Haupt von gelbbrauner Farbe, das zum Vorschein kam, gänzlich haarlos, bis auf einen, mitten auf dem Wirbel emporsteigenden, dünnen Büschel, der mit Goldplättchen, Perlen und Korallen wunderlich verziert war. Das Gesicht, das zu diesem, den Verhältnissen eines Riesen entsprechenden dicken Kopfe gehörte, an dessen beiden Seiten zwei unförmlich große, durch eingehangene schwere Goldbleche bis auf die Schulter heruntergezogene Ohren sich befanden, war auffallend klein und bildete ein widriges Gewirr von Runzeln und Falten, aus dem die merkwürdig kleinen schief stehenden und langgeschlitzten Augen gleich Schlangenblicken grünlich hervorschielten. Die kleine Nase war zwischen dem Wulst von schmutziggelben Runzeln nur durch die großen Nüstern erkennbar, dafür aber der Mund mit dicken, rothen Lippen so breit und groß, daß er nicht blos das Gesicht, sondern den ganzen Kopf in zwei Theile zu spalten schien.
Sobald dieses scheußliche Haupt sich über das Niveau der Terrasse erhoben hatte, späheten seine Augen umher, und sie hatten kaum die gefährdete Gruppe erblickt, als ein gurgelndes,
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widriges Lachen sich aus seiner Kehle heraufzudrängen schien und den breiten Mund verzerrte. Dann wurde von seinen noch unsichtbaren Händen eine kleine schalmeiartige Pfeife an diesen Mund gesetzt, und der mißgestaltete Zwerg begann, indem er langsam weiter emporstieg, eine eigenthümliche, aus drei Tönen bestehende Melodie zu blasen.
Erst jetzt, indem er aus seiner Höhle hervorkam, zeigte sich die entsetzliche Mißgestalt dieses Körpers. Der Mann war etwa drei Fuß hoch, wovon der Leib und Hals, vom Kopf bis zu den Beinen, noch nicht den dritten Theil einnahm. So unverhältnißmäßig kurz und dünn nun Leib und Arme waren, so groß und plump waren außer dem Kopf auch die Beine und Füße und glichen eher denen eines Elephanten, als eines kleinen Menschen. Die Mißgeburt trug ein schreiend rothes sackartiges Gewand, das vom Hals bis über die Knie reichte, die dürren Arme und unförmlichen Füße, beide an den Gelenken mit Goldringen verziert, entblößt ließ, und statt des Gürtels um die Mitte des Leibes von den Ringen einer eben solchen gefährlichen Schlange zusammengehalten wurde, wie sie in diesem Augenblick noch den Arzt und die Prinzessin bedrohte. Diese Schlange war auch keineswegs etwa todt, vielmehr bewegte sich ihr Kopf, der nach der Umschlingung des Körpers des Zwerges auf seiner Schulter neben seinem kurzen Halse lag, tactmäßig hin und her, wobei jedoch die Augen des giftigen Thieres einen bleigrauen, matten Ausdruck behielten und seine Zunge schlaff aus dem geschlossenen Rachen hing.
Diese Mißgeburt stieg, wie gesagt, langsam die Treppe oder Leiter aus ihrer unterirdischen Höhle empor und schritt, die Melodie fortblasend, auf die Gruppe der edler gestalteten Wesen zu.
Sobald sie in den Bereich des alten Sirdar gekommen, herrschte dieser ihr einige Worte in einer dem Arzt unbekannten Sprache zu und versetzte dem Zwerg mit dem Stabe, den er in der Hand trug, einen so gewaltigen Schlag über den Schädel, daß sofort eine dicke blaurothe Schwiele über die ganze Breite hin sichtbar wurde. Der Zwerg schien jedoch unter dem schrecklichen Schlage nicht ein Mal zu erwanken, er begnügte sich, seinem Herrn und Gebieter einen giftigen, rachsüchtigen Blick zuzuwerfen
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und fuhr fort, sich der grimmigen Gefährtin seines lebendigen Gürtels zu nähern.
Das Aussehn der Schlange hatte sich, schon vom ersten Ton der seltsamen Musik an und je näher dieser erscholl, merkwürdig verändert.
Zunächst kehrten sich ihre großen, grünen, Feuerrädern gleichenden Augen von dem bedrohten Paar ab, und wandten sich dem Zwerge zu, indem sie ihr Feuer und ihre Farbe zu verlieren begannen, und ihr Kopf fing an, sich nach dem Takt jener Melodie hin und her zu bewegen.
Doctor Walding hatte bereits häufig von dem seltsamen Schlangenzauber gehört, den die indischen Gaukler und Beschwörer über die furchtbaren Reptilien üben sollen, aber es war das erste Mal, daß er ein so merkwürdiges und außerordentliches Beispiel mit eigenen Augen sah.
In dem Moment, als die Schlange ihre Augen von ihm abwandte, schien es dem Arzt, als wälze sich eine Last von ihm ab, so entnervend war der Zauber, den der basiliskenartige Blick auf seine Manneskraft geübt. Der Zwerg hatte sich jetzt ihnen vollends genähert, und immer seine Schalmei blasend, stellte er sich zwischen die Schlange und den Deutschen, wie dieser bisher muthig zwischen ihr und dem Mädchen gestanden hatte. Dann streckte er seinen entblößten linken Arm nach ihr aus und schwenkte ihn dicht vor ihrem Rachen. Die Cobra packte ihn sogleich, und, während sie ihre spitzen, rückwärts gebogenen Zähne hineinsenkte, schlang ihr Leib sich gleich der ihrer Gefährtin in schrecklichen Ringen um den Körper des Unholds, der ruhig dies mit sich geschehen ließ und nur die Bewegungen der Schlange benutzte, um mit ihr langsam von dem Ort, wo sie die Prinzessin bedroht hatte, zurückzutreten und sich dem Eingang, aus dem er emporgestiegen, zu nähern.
Die Rani war jetzt hinzugeflogen und hatte die noch immer ohnmächtige Tochter in ihre Arme genommen, während sie Wischnu, dem Erhalter, in lauten Gebeten dankte und ihm Wallfahrten und Opfer gelobte. Der Sirdar aber drohte dem ungestalteten Männchen mit der Faust. »Was hält mich ab, elende Mißgeburt, daß meine Dschambea Dein scheußliches Haupt vom Rumpfe
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trennt!« zürnte er in hindostanischer Sprache. »Hinunter mit Dir, falscher Wächter, in die tiefste Deiner Höhlen und mögest Du an ihrem Gift ersticken. Läßt Du noch ein Mal eine Deiner Schlangen entschlüpfen, so sollen die Füße der Elephanten Deinen erbärmlichen Leichnam zerstampfen!«
Der Zwerg war jetzt bis an den Rand der Fallthür gelangt, und indem er vorsichtig den Fuß auf die oberste Stufe der Treppe setzte, gurgelte und tönte wieder das unheimliche Lachen aus seiner Kehle.
»Ohwh! ohwh!«14 kreischte er mit widerlicher Fistelstimme. »Meine Goldlämmchen, meine schönen Ringelpüppchen - hinunter mit mir in Euer Schloß! Was wollt ihr an dem Licht der falschen Surya?15 Nur wenn Soma16 sein Auge aufgethan, oder da drunten, wo die glühende, Agni17 eure funkelnden Smaragden wiederspiegelt, ist euer Thron, und Rostogana, euer Wächter, kann euch hüten, wie den Apfel seines Auges. Bali, die Liebliche, war ihrem Lager entwischt, Herr, sie hat Hunger und kann die blutige Nacht nicht erwarten! Mögen die Stunden verrinnen schnell wie Gedanken, um ihr die erwählten Opfer zu bringen! Denn Du weißt, o Herr, die sich die Göttliche erwählt, müssen ihr werden, ob früh oder spät - so will es die Blutige!«
Der Sirdar schwang drohend den Stab und der mißgestaltete Unglücksprophet verschwand mit seinen entsetzlichen Gesellschaftern.
»Um Gotteswillen, der Mann ist von der Schlange in den Arm gestochen,« rief der Arzt - »laß mich eilig versuchen, was meine Kunst vermag, oder er ist verloren!«
Der Sirdar lächelte verächtlich. Wenn Rostogana jedes Mal gestorben wäre, wenn ihn die Schlangen gebissen haben, so hätte er tausend Leben haben müssen! Er ist ein Zauberer und fest gegen ihr Gift. Mein junger Freund möge seine Kunst
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lieber dem Mädchen zuwenden, sie scheint krank von dem Schrecken, den sie erlitten!«
In der That lag Machana noch immer ohnmächtig in den Armen ihrer Mutter, auf deren Ruf jetzt einige ihrer Dienerinnen aus der Zenana herbeieilten und sie nach dem andern Theil der Terrasse trugen, wohin der Arzt auf die Bitte der Rani ihnen folgte. Die Ausbrüche des Dankes der Mutter für die Rettung ihrer Tochter waren eben so leidenschaftlich, wie vorhin die ihrer Angst, sie riß sich den kostbaren Schmuck, den sie trug, von Hals und Armen und wollte ihn mit Gewalt dem Arzt aufdrängen. Nachdem er sich ernstlich geweigert, zwang sie ihn, einen kostbaren Ring mit einem jener schwarzen Diamanten von bedeutender Größe an den Finger zu stecken, deren Werth durch ihre große Seltenheit noch erhöht wird, und die ein unheimliches dunkles Feuer spielen.
»Wäre es der Koh-ih-noor,« rief sie, »den die falschen Faringi dem Thron von Lahore geraubt, - ich würde ihn Dir geben! Aber nimm diesen Stein, er mag Dir wichtiger und nützlicher werden, als jener Berg des Lichtes. Uralter Zauber hängt an ihm. Wenn Du Dich Fremden näherst, achte wohl auf das Aussehen des Steines, denn erbleicht sein Glanz, so siehst Du einen Feind! Welchem Sikh Du den Ring auch zeigen magst, er wird thun nach Deinem Befehl, und wenn es ihn sein Leben kosten sollte!«
Doktor Walding, ohne auf die abergläubischen Anpreisungen der Hindufürstin zu achten, vermochte doch zu beurtheilen, daß der Ring ein äußerst werthvolles Geschenk sei, und war jetzt vor allen Dingen bemüht, die junge Prinzessin vor den üblen Folgen des Schreckes zu bewahren. Nachdem er sie durch geeignete Mittel wieder in's Bewußtsein gebracht, befahl er, sie nach ihren Gemächern zu führen und durch beruhigende Tränke und Stille ihre erschütterten Nerven wieder herzustellen.
Die Nachricht von der Gefahr, welche die Jungfrau bedroht hatte, und von der schnellen und entschlossenen Hilfe des Fremden hatte sich unterdeß auch im zweiten Hof unter den Gästen und Bewohnern des Schlosses verbreitet, und obschon Niemand ohne die besondere Erlaubniß des Sirdars oder die Einladung
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der Maharani sich erlauben durfte, die obere Terrasse der Burg zu betreten, herrschte jedoch eine Art von Aufregung unter den Versammelten, da Allen das schöne, ihres Erbes beraubte, Mädchen Theilnahme eingeflößt, und als Doktor Walding jetzt nach dem Garten zurückkehrte, wurde er mit orientalischen Segenssprüchen überschüttet und Murad Khan schloß ihn in seine Arme.
»Mögen Deine Tage lang und glücklich sein!« sagte der junge enthusiastische Krieger. »Fattih Murad Khan wird Dein Bruder sein, so lange Wischnu den Odem in seiner Brust erhält. Du hast die Lilie des Pendschab vor böser Gefahr gerettet und mein Leben ist das Deine. Von Tukallah weiß ich bereits, daß Du eingewilligt, mit mir Dhulip Sing aus der Festung der Faringi zu erretten. Du bist ein Glücklicher, denn Du wirst einer Mutter und einer Königin beide Kinder zurückgegeben haben!«
Der Khan hatte sich neben ihn auf die Kissen gesetzt, die auf prächtigen turkomannischen Teppichen um die Springbrunnen zur Aufnahme der Gäste gelegt waren, und Walding glaubte Gelegenheit zu finden, von dem jungen Mann Näheres über das ihnen gemeinsam bevorstehende Abenteuer erfahren zu können, als ihre fernere Unterredung auf's Neue gestört wurde.
Die vorhergegangene Scene hatte wahrscheinlich die Aufmerksamkeit des Sirdars von der Beobachtung des Thales abgewendet, so daß er die Annäherung des an der Grenze der Thur zurückgelassenen Reisezuges nicht beachtet hatte, denn Allen unerwartet verkündeten jetzt die drei Hornstöße die Ankunft von Fremden und forderten Einlaß in die Burg.
Auf das Zeichen erschien der Herr derselben und begab sich, während von den Dienern eine große Anzahl von Fackeln anzündet wurde, da der Abend sich über das Thal lagerte, von seinen Gästen gefolgt, an den äußern Thurm. Die ankommende Schaar bestand in der That aus den Kriegern, Dienern und Jägern, welche der Mahratten-Fürst in den Dschungeln zur Aufsuchung und Nachführung erwarteter Personen zurückgelassen hatte. Diese waren zwei Männer in mittlenn Alter und einfacher europäischer Kleidung mit zwei orientalischen Dienern. Die Fremden, obschon sie Civil trugen, hatten ein unverkennbar militairisches
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Aeußere und bekundeten in ihrem Benehmen die Männer von vornehmer Geburt und Erziehung, was, in Verbindung mit einem gewissen zuvorkommenden und einschmeichelnden Wesen und dem sarmatischen Schnitt ihrer Gesichtszüge, den Arzt in seiner Vermuthung bestärkte, daß sie nichts weniger als einfache Reisende, sondern Agenten jenes gewaltigen Reiches seien, dessen Zusammenstoß mit den Engländern in Asien über kurz oder lang erfolgen muß.
Die Ankommenden schienen gemächlicher gereist, als der Zug des Sirdars in der Nacht vorher, denn sie waren keineswegs ermüdet, und nachdem sie die nothwendige Erfrischung der heißen Länder, ein Bad, genommen, fanden sie sich bei der Gesellschaft, ein, die nun wieder im Garten zusammengekommen.
Dieser war jetzt zauberisch erleuchtet und gewährte zum ersten Mal dem Arzt das Bild eines jener indischen Feste, von deren Wunderpracht die Reisenden so viel erzählen.
Festons bunter Papierlaternen hingen von Baum zu Baum in den baroksten Formen und Bildern, Thiergestalten, Ballons, Sterne, Ampeln und Vasen, Früchte, Köpfe und hundert andere Gegenstände traten aus dem Laub der Büsche und Rankenwände hervor. Neben der üppig sich entfaltenden Rose streckte ein scheußlicher Gnom die Zunge heraus, papierne Papageyen schaukelten sich neben chinesischen Fratzen, und die Luft schien mit bunten Sterngebilden und Blumen erfüllt zu sein.
Feuerbecken von wohlriechendem Harz und Sandelholz brannten um die Fontainen und brache ihren Schein in den Millionen perlender Tropfen, und das murmelnde Geräusch der fallenden Cascaden paßte wundersam zu dem eigenthümlichen Anblick des Ganzen.
Zwischen den Blumen auf dem weichen Rasen und den mit glänzenden farbigen Kieseln ausgelegten Wegen schritten die Pfauen umher, schlugen ihr buntes Rad und ließen von Zeit zu Zeit ihr mißtönendes Geschrei erschallen.
Für die Maharani war unter den Boskets von Rosen, Jasmin und Oleander eine Art von Thron, mit kostbaren Shawls drapirt, errichtet, auf dem sie bei ihrem Erscheinen Platz nahm. Der Sirdar führte ihr hierauf die beiden Fremden zu und stellte sie ihr vor; da dies aber in persischer Sprache geschah, verstand
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der Arzt Nichts davon und blieb auf seine Vermuthungen beschränkt. Die Rani sprach lange und eifrig mit ihnen, dann ließ sie dieselben an ihrer linken Seite Platz nehmen und winkte dem Arzt zu dem Ehrensitz an ihrer Rechten. General Ventura, der Afghanen-Häuptling, Murad Khan und mehrere Mahrattenkrieger bildeten außerdem die Gesellschaft. Von der Rani hörte Doctor Walding, daß die Prinzessin sich wieder beruhigt und in einen stärkenden Schlaf gefallen sei.
Das Fest begann mit der in Indien üblichen Besprengung der Gäste mit Rosenöl. Ein prächtig gekleideter Diener, eine Krystallphiole zwischen den Fingerspitzen, die mit jenem wunderbaren Goldfiligrain umgeben war, der in Delhi gefertigt wird und selbst die feinsten berühmten Arbeiten der Venetianer weit übertrifft, schritt auf den Zehen heran, öffnete die Phiole, aus der sich ein köstlicher Duft entwickelte und warf mit einer geschickten Bewegung Jedem einen oder zwei Tropfen der kostbaren Essenz zu, deren Wohlgeruch Wochen lang an den Kleidern und dem Körper haften bleibt. Dann brachten andere Diener auf goldenen Tellern die in Blätter des Betelbaumes eingehüllten Urekanüsse und überreichten sie jedem der Gäste.
Es wäre eine schwere Beleidigung des Wirthes, diese Frucht zurückzuweisen, selbst wenn man davon nicht jenen Gebrauch machen kann, den die Indier, Männer und Frauen, mit so leidenschaftlicher Vorliebe pflegen, Walding sah mit einigem Erstaunen, wie alsbald auch die Maharani die Betelnuß in ihren Mund steckte und mit Behagen zu kauen begann.
Zugleich trat auf jeden Gast ein besonderer Diener zu und stellte eine krystallene mit Rosenwasser gefüllte Hukah18 vor ihn, zündete den duftigen Tabak von Schiraz an und legte das mit Edelsteinen verzierte Mundstück zwischen die Lippen des Gastes.
Der Sirdar klatschte in die Hände, und alsbald erschien ein Spaßmacher und Märchenerzähler, hockte vor der Gesellschaft auf seinen Fersen nieder und begann mit leise singender Stimme, bald in Versen bald in Prosa redend, die im Pendschab
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einheimische und durch ganz Indien beliebte Erzählung von dem Liebespaar Hir und Ranjhan.
Wir werden später der blutigen und entsetzlichen Scenen genug haben, und können uns daher jetzt wenigstens das Vergnügen machen, eine jener süßen unsinnigen Poesieen im Auszug zu wiederholen, die den träumerischen Charakter des Volks repräsentiren.
Folgendes war die Erzählung: In der paradiesischen Hauptstadt des Pendschab (Lahore) lebte ein Häuptling, Namens Aftab Ran, im Glück wie Khosrons.19 Außer seinem Reichthum an Elephanten besaß er sieben Söhne, herrlich wie die sieben Sterne des großen Bären. Der siebente, weiß und roth wie Lilien und Rosen, hieß Ranjhan und hütete die Heerden seines Vaters. Da trat ein heiliger Fakir zu ihm, trank die Milch seiner Kühe und hieß ihn aufbrechen, denn die Prinzessin Hir, schön wie eine Huri, eine Beschämung für den Mond, vom Wuchse des Buxbaumes, mit Rubinlippen und Elfenbeinzähnen, sei in Liebe zu ihm entbrannt. Ranjhan verließ die Heimath und schmachtete in der Wüste, bis ein Brahmane ihm ein Zeichen von Hir bringt, denn die Liebe erwärmt zuerst das Herz der Geliebten, weil der Schmetterling nicht lüstern wird, bevor die Kerze entzündet ist. - Der Vater der schönen Hir war der Häuptling Schüschak und herrschte in der Stadt Jomp-Siyal auf der Hochebene von Hasara. Seine Tochter hatte Ranjhan im Traume gesehen und ihm darauf durch den Brahmanen mitgetheilt: Du hast mir Dein Antlitz im Traume offenbart, und es ist mein Herz gesunken, so daß ich jetzt nur Staub bin zu Deinen Füßen. Die Nacht der Trennung wird eines Tages zu Ende gehen, und wir werden vereinigt werden, wie der Schwan mit dem Teich!« - Ranjhan erreichte die Stadt, in der die Geliebte wohnte, verkündete ihr seine Nähe durch Flötenspiel und trat als Hirt in die Dienste des Häuptlings. Wenn der Mond seinen Lichtschleier über die Erde warf, kamen die Liebenden heimlich zusammen. Aber Kidum, der böse Oheim Hir's, belauschte sie, als Fakir verkleidet, und verkündete die Schmach der Familie. Sich seiner zu entledigen,
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schickten Hir's Brüder den verliebten Schäfer mit seiner Heerde in einen schrecklichen Wald voll Ungeheuer. Dort war der Morgen so dunkel wie der Abend, der Abend aber finsterer als der jüngste Tag. Aber Ranjhan, im Gefühl seiner Unschuld und Gottesfurcht stark, setzte sich in der Wildniß nieder, und als ein schreckliches Löwenpaar auf ihn zustürzte, erschlug er Beide mit seinem Stabe. Andere Hirten, welche die Körper der getödteten Ungeheuer gefunden, brachten die Botschaft zum Häuptling, sein Schäfer sei von den Löwen verschlungen worden und sie hätten dieselben erschlagen. Die schöne Hir zerriß bei der Nachricht ihren goldenen Schleier und begrub ihre Nägel in ihre Wangen - da verkündete ihr das Flötenspiel des Geliebten dessen Nähe und entlarvte die Lügner. Schüschak belohnte zwar den Tapfern, aber er verlobte seine Tochter einem reichen Mann. Räuber entführten die Heerden Naujhans. Da opferte Hir ihre Juwelen, um dem Geliebten Roß und Waffen zu kaufen. So holte er die Räuber ein, erschlug sie und brachte die verlornen Heerden zurück. Dennoch wollten Vater und Brüder Nichts von der Verbindung der Liebenden hören und zwangen die unglückliche Hir, den reichen Freier zu heirathen. Hir aber stellte sich nach der Hochzeit wahnsinnig und scheuchte ihren Gatten von sich, während Ranjhan ein Fakir wurde und, in einem nahen Wald wohnend, bald den Ruf großer Heiligkeit und Wunderkraft erwarb. Auf den Rath einer Freundin brachte Hir's Gatte seine kranke Frau zu dem Einsiedler und das Paar war kaum vereinigt, als es geschwind die Flucht ergriff. Sie eilten so rasch, daß sie sich nicht einmal Zeit nahmen, die Dornen aus den Füßen zu ziehen. Der erzürnte Gatte verfolgte die Flüchtigen, aber seine Leute wurden von einer Schaar Reiter in die Flucht getrieben, und glücklich gelangten die Liebenden in das Gebiet eines fremden Radschah, der ihnen Schutz gewährte und sie vereinigte. Ranjhan und Hir schieden dankbar von dem gütigen Fürsten und haben sich seitdem Menschen Augen verborgen, wie der Flecken der Erbsünde.«
Das war die einfache, den romantischen und sanften Ideengang der Hindu's charakterisirende Erzählung, die der Sänger der Versammlung zum Besten gab, worauf er großes Lob erntete
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und Jeder eine Münze in des Mannes Kappe warf, ehe dieser sich zurückzog.
Ein neues Zeichen des Sirdars, und eine Gesellschaft Gaukler und Zauberer erschien auf dem Platz.
Die Reisebeschreibungen haben in Europa bereits manche seltsame Erzählung von den Künsten und Täuschungen, welche diese indische Jongleurs auszuführen verstehen, verbreitet, und dennoch sind sie oft nur ein schwacher Abglanz dessen, was wirklich von diesen Leuten geleistet wird.
Die Kunststücke Bosco's, Philadelphia's Pinetti's, die Gewandtheit Houdin's, die Sicherheit Herrmann's - jener sogenannten Prädigestitateure und Magier, welche seit dreißig Jahren das europäische Publikum in Staunen gesetzt, verschwinden vor den Leistungen dieser kaum behoseten, mit keinerlei Hilfsmitteln und blos mit den einfachsten Geräthschaften versehenen Leute. In der That sind alle die berühmtesten neueren Künststücke der Genannten nur Nachahmungen der indischen Künste, und selbst die kühnsten Jonglerien und Balancirungen, wie z. B. das Spiel der »persischen Säule«, das »Messerwerfen«, erst seit etwa acht oder zehn Jahren indischen Jongleurs abgelernt, die keineswegs zu den Meistern ihrer Klasse gehörten, und die Einfalt der Europäer ausbeuteten und verspotteten.
Was wir hier jetzt erzählen wollen, möge daher nicht als ein Gebilde der Phantasie betrachtet werden. Europäische Augen haben es gesehen, und ernste Autoritäten verbürgen es, wie wenig sie es auch zu begreifen und zu erklären vermochten.
Die Gesellschaft der Jongleurs und Zauberer, die auf dem Platz erschien, bestand aus vier Personen: einem großen robusten Schwarzen, einem kleinen Chinesen mit langem Zopf, einer Frau, und einem Knaben. Die Männer waren sämmtlich nur mit einer kurzen bis an die Kniee reichenden Hose, einem baumwollenen Hemd, und dem Turban oder chinesischen Basthut bekleidet, während die Frau, neben ihrem einfachen weißen Gewande und bloßen Füßen, das Haar lang und frei um den Kopf hängend trug. Sie führten nur einen Korb, eine große Bastmatte und eine wollene Decke, einige Waffen, Stäbe, Messer und Kugeln bei sich, Geräthe, die sie Jedermann zur Prüfung anboten.
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Der Arzt der bereits Vieles von diesen Künsten gehört, wünschte sich, begierig darauf, gegen jede Täuschung zu sichern und prüfte die Gewänder und Geräthe auf das Genaueste.
Die Künste begannen damit, daß der Chinese eine wohl zehn Ellen hohe und oben scharf zugespitzte Bambusstange aufrecht und ohne weitern Halt frei auf die Matte stellte, an ihr mit der Gewandtheit eines Affen emporstieg, sich mit dem Nabel auf deren Spike warf und den Leib in horizontaler Linie gleich einer Scheibe so schnell herumzuwirbeln begann, daß die Augen der Zuschauer seinen Bewegungen kaum zu folgen vermochten.
Zu seinem Erstaunen, ja Schrecken, bemerkte der Arzt plötzlich, oder glaubte wenigstens zu sehen, daß der Leib des Mannes gleich einer Schraube sich an der Spitze des Stabes hinunter und hinauf drehte, und die Spitze zuweilen wohl einen Fuß lang aus seinem Körper hervorragte, gleich als habe er sie durch seinen Leib hindurch gedreht.
Den Anwesenden schien dieses Kunststück jedoch ein sehr gewöhnliches, oft gesehenes, denn als er entsetzt und fragend auf sie schaute, blickten sie sehr gleichgiltig auf die Anstrengungen des kleinen Jongleurs, der sich jetzt wieder bis auf die äußerste Spitze hinauf gewirbelt hatte, mit Blitzesschnelle an der Stange herunterglitt, die der Knabe auffing, dann eines der am Boden liegenden langen Messer ergriff und es mehrere Mal durch das Hemd bis auf's Heft sich in die Brust stieß, so daß das Blut sofort seine ärmliche Kleidung übergoß und bis zu den Füßen der Gesellschaft spritzte.
Walding sprang mit einem Ruf des Entsetzens auf und eilte dem Unglücklichen zu Hilfe, aber der Chinese machte ihm eine tiefe Verbeugung, überreichte ihm das Messer und öffnete das Hemd auf seiner Brust - keine Spur einer Verletzung war auf dieser zu sehen, und den Getäuschten begrüßte das Gelächter des alten französischen Offiziers und des jungen Khans.
Der Knabe trat nun auf die Matte und begann das bekannte Kugelspiel mit einer Anzahl von glänzenden Kugeln und Messern, das er zwar mit großer Geschicklichkeit und Gewandtheit ausführte, ohne daß Walding anfangs darin etwas Besonderes finden konnte, da er Aehnliches schon oft gesehen. Dann aber
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begann der Bursche die seltsamsten Gliederverrenkungen und Wendungen, warf sich auf den Boden und die Füße in die Höhe und während dessen wirbelten die Messer und Kugeln ihren ununterbrochenen Kreis, bis er endlich emporsprang und einen Gegenstand nach dem andern hoch in die Luft zu werfen begann, daß er sich über dem Lichtkreis der Laternen und Feuerbecken im Dunkel verlor.
Wunderbarer Weise aber fiel keiner wieder zurück, einer nach dem andern verschwand gleichsam in der Nacht, und als er die letzte Kugel geworfen, setzte sich der Knabe mit gekreuzten Beinen ruhig auf den Teppich nieder und blickte in den Aether.
Die Pause mochte zum Erstaunen des Arztes länger als fünf Minuten gedauert haben, als der Bursche, der während dessen eine eigenthümliche Melodie gesungen, emporsprang, die Arme in die Luft streckte und einen der emporgeworfenen Gegenstände nach dem andern wieder auffing, wie sie aus der Luft in kurzen Intervallen herabkamen.
Zum zweiten Mal begann er das seltsame Spiel, und wie scharf auch der Deutsche aufpaßte, er sah deutlich die Messer und Kugeln in der Luft verschwinden, ohne sie wieder nach dem Gesetz der Schwere niederfallen zu sehen. Als der Knabe sich dies Mal nach einer noch längern Zwischenpause von der Matte erhob, deckte er diese selbst auf und Kugeln und Messern lagen unter derselben.
Keiner seiner Gehilfen hatte sich der Matte genähert, diese selbst zeigte sich ganz und ohne Oeffnung.
General Ventura erzählte dem Arzt, daß er am Hofe von Lahore einen Mann gesehen, der eiserne Kugeln in der Luft habe verschwinden und sie nach Verlauf einer ganzen Stunde wieder habe herunterfallen lassen.
Das merkwürdigste und zugleich grauenhafteste Stück, welches die Jongleure nach vielen anderen seltsamen Künsten produzirten, war folgendes:
Der Mohr, wie bereits erwähnt ein großer und kräftiger Mensch, setzte sich auf die Matte und bog seinen Körper derart zusammen, daß er einer unförmlichen Kugel glich, worauf seine Gefährten ihn mit dem Korbe zudeckten, über den sie die zweite
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Decke breiteten. Darauf ergriffen alle Drei Spieße und Messer und stachen mehrere Minuten lang in den Korb, so daß das Blut stromweis darunter hervorfloß, worauf Decke und Korb aufgehoben wurden und zum Erstaunen der Zuschauer statt des zerfetzten Leichnams des Unglücklichen Nichts zu erblicken war, als einer der Pfauen, die während des Tages im Garten umherstolzirten.
Wiederum wurde der Korb darüber gedeckt und als man ihn zum zweiten Male aufhob, befand sich statt des Pfaues ein junges anscheinend kaum wenige Tage altes Kind darunter.
Auch diese Erscheinung verschwand auf gleich räthselhafte Weise, und als Decke und Korb wieder darüber gedeckt waren, kroch der Knabe mit darunter.
Eine kurze Weile blieb die Hülle in wellenförmiger Bewegung, dann entfernte der Chinese zum dritten Mal die Decke und den Korb und darunter saß jetzt unverwundet der Neger, der Knabe aber war verschwunden und als die Fremden erstaunt und verwundert nach ihm umherschauten, glaubten sie plötzlich seine Stimme hoch aus der Luft ihnen einen Salem zurufen zu hören und sah den Burschen auf der mittleren Gallerie der Pagode sitzen.
Die Geschenke, die dem sammelnden Weibe gereicht wurden, zeigten von dem Beifall, den die Kunststücke der Gesellschaft gefunden, worauf diese sich wieder entfernte und einer neuen und dem Arzt nicht minder interessanten Unterhaltung Platz machten.
Während der Zeit wurden unaufhörlich von den Dienern des Sirdar auf silbernen Platten Kaffee, Orangenwasser, Scherbet, kostbare Confitüren, Früchte und Backwerk umhergereicht.
Die neuen Schauspieler, die erschienen, angekündigt durch die Töne eines Tambourins, einer Trommel und Pfeife, bestanden in einer Gesellschaft Bayaderen.
Es ist mancherlei über diese Klasse der indischen Bevölkerung gefabelt worden, indem die Einen ihnen blos die niedrigste Stellung gemeiner Hetären zuschreiben, Andere sie für eine Art von Priesterinnen und von idealer Schönheit erklären.
Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte.
Die Bayaderen Indiens sind die Almen der türkischen Harems, die öffentlichen Tänzerinnen Arabiens, die theils gleich
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einer Leibwache oder einer Kapelle in den Diensten der Reichen und Mächtigen des Landes stehen, die über sie verfügen, wie über Sclaven, theils den Tempeldienst gewisser Gottheiten versehen und die großen religiösen und überaus zahlreichen Feste der Hindu's mit ihren Tänzen verherrlichen helfen, theils auch im Lande frei umherziehen und vor der Hütte des Landmannes wie im Palast des Reichen ihre Künste zeigen.
Im Allgemeinen ist ihre Liebe zwar für Geld und Geschenke feil, doch ist dies nicht durchgängig der Fall und gehört keineswegs zu ihrem Stand und Gewerbe.
Man findet unter ihnen Mädchen von wahrhaft ätherischer Gestalt und reizender Schönheit, aber noch öfter widrige, schlappe, oder - der eigenthümlichen Anschauung des Orientalen von Weiberschönheit entsprechend - unförmlich dicke Gestalten und Häßlichkeit der Formen und des Gesichts, die Zähne durch das fortwährende Betelkauen glänzend schwarz gefärbt.
Rundschit Sing besaß sogar eine organisirte Amazonenleibwache aus lauter Bayaderen, die trefflich in den Waffen geübt waren, aber nach seinem Tode sich zerstreuten.
Die Tänzerinnen, die der Sirdar zur Unterhaltung seiner Gäste beschieden, gehörten, wie der Arzt von dem ehemaligen General Rundschits hörte, zu einer wandernden Horde, indem augenblicklich eine große Anzahl von Pilgern und Reisenden sich in dem Thal und dem Schloß aufhielt.
Zwei Männer, mit Trommel und Pfeife, begleiteten die Tänzerinnen, deren Anführerin ein mit Silberblechen verziertes Tambourin in ihrer Hand trug.
Diese Anführerin war ein Geschöpf von wunderbarer idealer Schönheit.
In ihrem Antlitz war das Sanfte, Melancholische und Anschmiegende des indischen Charakters in seiner ganzen Weichheit und Lieblichkeit vertreten.
Dennoch hatte dieses milde reizende Antlitz schon zu den abscheulichsten Zwecken und Verirrungen des menschlichen Geistes gedient.
Das Gesicht, von lieblicher ovaler Form, hatte einen durchsichtigen klaren Teint von goldartigem lichtem Braun. Ihre
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großen schwimmenden Gazellen-Augen wiesen ein tiefes strahlendes Schwarz, gleich ihrem üppigen Haarwuchs; Stirn und Nase waren fein und edel geformt, und hatten nur so viel des hindostanischen Schnittes, daß das Fremdartige darin ihr einen eigenen Reiz verlieh. Die Augen, zwischen deren feinen und hohen Brauen eine eigenthümliche Falte von Schwermuth und Schmerz lag, waren in ihrem Ausdruck sanft und zärtlich, aber die hochgeschweiften und ausgeschnittenen Nüstern verriethen merkwürdige Weise daneben eine gewisse Energie und Leidenschaft. Der Mund des schönen Wesens war in seiner feinen Form durch rubinartige Lippen geschmückt und seine Zahnreihen glichen zwei köstlichen Perlenschnuren.
Ueberaus zart und fein war die Gliederung dieses Körpers, Fuß und Hand von einer besondern Kleinheit und Schöne.
Anarkalli - Granatblüthe - so hieß die Tänzerin, war in faltenreiche blaue Gewänder gekleidet, die von den Hüften ab über einander, bis auf die Knöchel herabfielen und in Goldfranzen endeten, ohne den nackten, an den Knöcheln mit Goldringen geschmückten Fuß zu verhüllen. Ein rosafarbener Shawl von dem feinsten thibetanischen Schleiergewebe bedeckte Brust und Nacken, ohne ihre süßen Formen und ihre schwellenden Linien zu verhüllen. Das Haar war in breite, mit Korallen, goldenen Mohurs und kostbaren Juwelen durchflochtene Flechten gebunden, und hing in solchen ihr rings um das Haupt bis zu den Hüften nieder. Der prächtige Schweif eines Paradiesvogels war auf ihrem Hinterhaupt befestigt, und senkte sich in hochgeschwungenem Bogen auf die linke Seite nieder, während in ihren Ohren, statt der Juwelen und Edelsteine, das glänzendere Gefieder einer der kleinsten in Gold und Smaragdgrün schimmernden Kolibriarten hing.
Während mehrere ihrer, wenn auch durchgängig zierlichen schönen, doch weniger lieblichen Gefährtinnen durch schwere Goldringe in Ohren und Nasenwand und durch Punktirungen mir Antimonium ihr Gesicht nach indischer Sitte entstellt hatten, hatte sie das letztere allein zur Schwärzung ihrer Augenlider angewandt, was ihrem Auge einen erhöhten zauberischen Glanz verlieh.
Diese Augen wandten sich mit einem Ausdruck ängstlichen
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Forschens, als sie den Kreis betrat, auf die Reihe der Gäste, schienen einige Augenblicke prüfend auf Jedem zu haften und blieben dann an den freundlichen und Vertrauen erweckenden Zügen des Arztes hängen.
Erst der Ton der Trommel und der Flöte schien sie aus ihrer Träumerei zu wecken, sie trat rasch einige Schritte vor, ließ das Tambourin über ihrem Haupt erklingen und begann nach dem einfachen Takt jener Musik und dem leisen Singen ihrer Gefährtin ihren Tanz.
Wer den Tanz der Almen und Bayaderen den Sprüngen und Pas unserer Ballet-Heroinen französischen oder spanischen Styls ähnlich glaubt, würde einen gewaltigen Irrthum begehen. Er besteht vielmehr in Bewegungen, in einem Drehen und Wenden des Körpers meist auf ein und derselben Stelle, das erst mit der steigenden Dauer einen eigenthümlichen Charakter annimmt.
Zuerst waren die Bewegungen der Bayadere langsam, indem sie nach dem Takt der Musik die Arme über den Kopf erhob, den Oberkörper vor- und rückwärts oder zur Seite bog, allmählich aber begann sich ihr Gesicht zu röthen, der Takt wurde rascher und die Linien, die ihr Körper beschrieb, glichen den wollüstigen Windungen einer Schlange. Ohne daß man ein Vorschreiten oder Rückwärtsgehen ihrer Füßchen zu bemerken vermochte, glitt sie doch bis dicht an die Zuschauer hin, schien sich über sie her zu neigen und zog sich eben so eigenthümlich zurück. Zwei Mal, als sie sich ihm nahte, glaubte Walding eine flüsternde Stimme an seinem Ohr zu hören, die in gebrochenem Englisch ihm zuraunte: »Lobe mich, Fremdling! lobe mich!« aber die seltsame Schöne hatte sich bereits immer wieder zurückgezogen, ehe der Deutsche darüber aufgeklärt war, ob die Worte, die er übrigens für eine eitle Forderung der Tänzerin hielt, wirklich aus ihrem Munde gekommen.
Immer lauter und wilder rauschte die Musik und der Gesang, immer heftiger und üppiger wurden die Bewegungen der Bayadere, ihr schlanker Leib schien eine Linie von zuckenden Blitzen, bald sinnlich vorgeworfen, bald weichend und kokettirend in lustglühenden Wendungen zurückgezogen; dann wieder schmachtend die Arme vorstreckend, schien sie nach einem Gegenstand in
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der Luft zu haschen, ihre schwellenden Lippen öffneten sich, ihren Augen schien ein glühendes Feuer zu entstrahlen, und seltsam glaubte Walding sie wiederholt dabei auf sich gerichtet zu sehen mit einem ängstlichen, flehenden Ausdruck, bis in der höchsten Extase des Tanzes, wirbelnd gleich einem rasenden Derwisch um sich selbst, mit einem leisen Aufschrei die Bayadere zu den Füßen der Rani sank.
»Lobe mich! Bei dem Christengott, lobe mich, Fremdling!« tönte es in demselben Augenblick wieder leise an das Ohr des Arztes; aber es bedurfte diesmal der Mahnung nicht, denn der eigenthümliche Reiz dieses bei aller Wildheit und Ueppigkeit nicht ungraziösen Tanzes hatte ihn der Art ergriffen, daß er in lauten Beifall ausbrach und der Tänzerin nach indischem Brauch ein Goldstück zuwarf, das sie geschickt mit ihrem Tambourin auffing, ihn dabei mit einem dankenden Blick anschauend.
Im nächsten Moment war sie mit Lobeserhebungen und Geschenken überschüttet, selbst die Maharani zog aus ihrem Kopfschmuck eine prächtige Nadel und warf sie der Bayadere zu.
»Dein Auge hat wohlgefällig auf das Mädchen geblickt,« sagte der alte Sirdar höflich zu dem Arzt, dessen entschlossene Rettung der Prinzessin ihn heute trotz seiner sonst so bescheidenen Eidlung zum Helden des Tages gemacht hatte - »sie ist Dein Eigenthum, so lange Du ein Gast in diesen Mauern bist!«
Der Arzt fuhr erröthend zurück, diese in Indien so gewöhnliche Höflichkeit, einem Gast die Tänzerin, die ihm gefällt, zum Geschenk zu machen, war ihm unbekannt, und er fing an, zu begreifen, was die Bitte der Bayadere an ihn bezweckt hatte.
Aber es war das erste Mal gewesen, daß sie ihn im Leben erblickt, er konnte sich in körperlicher Beziehung durchaus nicht mit den schönen und feurigen jungen Männern messen, die sich in der Gesellschaft befanden, und er war zu arm und einfach, um durch die Aussicht auf Geschenke die Spekulation der Tänzerin auf sich gezogen zu haben.
Was also war es, wodurch das seltsame Verlangen der schönen Hindu, gerade von ihm gewählt zu werden, gerechtfertigt wurde?
Während er noch darüber nachsann und an den besten Weg dachte, die nach modernen europäischen Begriffen etwas zu weit
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gehende Höflichkeit seines finstern Wirthes abzulehnen - obschon die Ursitten vieler Nationen noch weitergehende Opfer des Wirthes für den Gast mit sich brachten - hatten die anderen Bayaderen theils allein, theils zu zweien und dreien, in ähnlichem Tanz sich abgelöst, zum Theil noch wilder und bachantischer, und hatten die Lobsprüche und Geschenke der Anwesenden entgegengenommen.
Zwei der jüngsten und schönsten, wurden in ähnlicher Weise von dem Herrn der Burg den beiden erst am Abend eingetroffenen geheimnißvollen Fremden angeboten, ohne daß diese eine ähnliche Befangenheit darüber an den Tag legten, wie der mit den indischen Gebräuchen weniger vertraute Deutsche.
Nachdem sich die Bayaderen und zugleich auch die Maharani mit ihren Dienerinnen zurückgezogen hatten, wurde für die Gesellschaft der Männer noch ein compacteres Mahl auf Silberschüsseln aufgetragen, bestehend aus Reis mit Ghy,20 gebratenem Lammfleisch und Geflügel und dem berauschenden Jagory, einem Getränk aus Palmensaft, während für die Europäer verschiedene Flaschen mit feurigen Weinen aufgestellt wurden.
Es mochte gegen 11 Uhr sein, als der Sirdar, der schon seit einiger Zeit eine eigenthümliche Unruhe gezeigt, das Zeichen zum Aufbruch und zur Beendigung des Festes gab, indem er sich erhob und von seinen Gästen beurlaubte. Die Diener ergriffen die Fackeln und Laternen und waren bereit, Jeden nach der ihm angewiesenen Wohnung zu geleiten, Kassim harrte in gleicher Weise des Arztes.
»Möge mein Bruder sanft ruhen, und Freude auf seinem Lager sein,« sagte der Khan, indem er Walding umarmte, »denn eine gute That ist ein süß duftendes Kissen, sagen die Dichter. Morgen mit dem Sonnenaufgang werde ich bei ihm sein, um ihn zu dem Ritt in die Wüste abzuholen.«
Der Mayadar leuchtete demüthig seinem Herrn voran, der kaum mehr an die schöne Bayadere dachte. An der Thür des Kiosk oder Pavillons, der ihm zur Wohnung diente, reichte ihm Kassim die mit wohlriechendem Oel gefüllte Lampe, indem er ihm
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sagte, daß es ihm verboten sei, die Schwelle des innern Gemachs zu überschreiten, und daß er seines Winks gewärtig die Nacht auf derselben zubringen werde, und Walding betrat arglos das Zimmer, in dem er den Morgen zugebracht und von den Strapazen des anstrengenden Rittes ausgeruht hatte.
Er setzte die Lampe auf einen von Perlmutt und Schildpatt zierlich ausgelegten Koffer, als ein schweres und heißes Athmen ihn aufmerksam machte.
Erschrocken wandte er sich um.
Auf dem breiten Divan, der zu seinem Lager dienen sollte, lag frei jetzt von der herabgeworfenen Seidendecke, Anarkalli, die Bayadere, im weißen, leichten Nachtgewand.
Er trat befangen zurück - die Bitte der Tänzerin, das Geschenk des Sirdar war ihm jetzt erst verständlich.
Walding war ein verständiger, ruhiger Mann, fern von aller Prüderie, welche durch Sitten und Gebräuche der Völker beleidigt werden könnte. Aber er hätte kein Blut in den Adern haben müssen, wenn das in seinem leichten Gewand doppelt reizende Mädchen nicht seine Sinne in Wallung gebracht hätte. »Wenn Du Deiner eigenen Wahl gefolgt bist, Anarkalli,« sagte er, »so sei mir willkommen. Es versteht sich von selbst, daß nicht das Wort Tukallah's mir eine verächtliche Macht über ein so schönes Geschöpf gegeben haben soll, sondern daß Dein Besuch und das Glück, das Du mir bereiten willst, Dein freier Wille sein muß!«
Er hatte die Tschoga, das männliche Oberkleid, von sich geworfen und sich dem breiten Divan genähert. Jetzt erst bemerkte er, daß das Mädchen, welches zusammengezogen, gleich einem zum Sprunge bereiten Raubthier, auf den Kissen kauerte, zitterte und ihre Augen in seltsamem Feuer leuchteten.
»Lösche das Licht der Lampe,« flüsterte die Tänzerin, »und komm' an meine Seite, Christ, daß mein Mund sich an Dein Ohr legen mag, - ich habe Dir Wichtiges zu sagen!«
Der Arzt begriff im Augenblick, daß hier von mehr oder Anderm, als einem Liebesabenteuer die Rede war, und folgte erstaunt der Weisung der Hindu. Er löschte die Lampe und kniete neben dem Divan nieder.
»Näher! näher! Jedes Wort, das andere Ohren vernehmen,
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würde Dir und mir den Tod bringen!« Ihre weichen Arme zogen ihn näher herbei, auf den Divan, und er fühlte die warmen, elastischen Glieder sich an ihn schmiegen. »Sage mir Liebesworte, Fremdling,« flüsterte die seltsame Syrene, »laut, damit der Lauscher getäuscht wird! - Cama21 wird es uns vergeben!«
Unwillkürlich gehorchte der ernste Deutsche dem Einfluß, welchen das geheimnißvolle Wesen der Bayadere mit jedem Augenblick mehr über ihn gewann, und er sagte ihr laut in der Hindusprache zärtliche Worte über das Glück, welches ihm durch das Geschenk Tukallah's geworden sei.
Trotz der seltsamen Lage, und der Ahnung einer großen Gefahr begann sich in der Nähe der schönen Tänzerin sein Blut zu erwärmen und er zog sie sanft an sich. Die Bayadere duldete seine Liebkosungen, ohne sie zu erwiedern.
»Du bist der Mann, der heute die Mahana, die Tochter der Rani, vor den heiligen Schlangen beschützt hat?« fragte das Mädchen leise weiter.
»Ich war so glücklich, die Prinzessin vor dem abscheulichen Gewürm zu retten, bis andere Hilfe kam, die wunderlich genug ...«
»Still! - Du hast bewiesen, daß Du ein muthiger Mann bist, der für den Fremden sein Leben wagt. Du bist ein Faringi?«
»Nein - aber ich bin ein Europäer und Christ, und Jeder, der dies gleich mir ist, ja jeder Mensch, hat Anspruch auf meine Hilfe. Was trägst Du um Deinen Leib gewunden, Mädchen?«
»Seidene Schnuren - die uns dienen müssen! Höre mich an, Fremdling mit dem weisen und guten Antlitz. Ich bin im Begriff, einen heiligen Eid zu brechen, geschworen der mächtigsten Göttin; aber ich muß die Gewißheit haben, daß die Worte, die ich sprechen werde, nur eines Erschaffenen Ohr vernehmen, die Geheimnisse, die ich enthüllen muß, nur eines Menschen Auge erblicken soll, daß nie sein Mund zum Verräther an mir und den Meinen werde, so lange die Sonne Indiens ihn bescheint. Schwöre mir bei dem Gott der Christen, bei den neun Wandlungen
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der Mutter, die Dich geboren, daß Du niemals verrathen willst was Du durch Auge und Ohr diese Nacht erfahren wirst.«
»Ehe ich einen Eid leisten kann, muß ich vorher den Zweck wissen - muß prüfen ...«
Sie warf sich auf ihn und erstickte mit ihren Lippen seine lauter gewordenen Worte.
»Still! - es gilt das Leben eines Deiner Brüder, eines Christen zu retten. Bei dem Gotte, den Ihr verehrt, schwöre nur Schweigen und Du sollst Alles erfahren! - Schwöre, und ich will die Sclavin sein Deines Odems, die Lust Deines Leibes, der Hauch Deines Willens! Schwöre, oder Anarkalli stirbt mit ihm, den sie verrathen, und den allein Du retten kannst; denn Wischnu, der Erhalter, hat zu diesem Zweck Dich mir gesandt.«
Ihre Liebkosungen wurden heiß und glühend und umstrickten seine Sinne, zwangen seinen Willen. Unter ihren Küssen flüsterte der sonst so besonnene Mann: »Ich will - ich schwöre!«
Kaum hatte er das Wort gesprochen, so drängte sie ihn von sich. »Weißt Du, Fremdling, wen Du in Deinem Arm hältst, wen Du an Dein Herz drückst?«
»Anarkalli - die Tänzerin! Die schönste Bayadere Hindostans!«
»Thörichter Christ! Die Du umfängst, ist Anarkalli, die Susha! Das Lager, auf dem Du der Liebe pflegst, kann jeden Augenblick sich in Dein Todtenbett verwandeln. Du bist in der heiligen Burg der Thugs!«
Er fuhr entsetzt zurück, denn er hatte genug von der furchtbaren Sekte gehört, um zu wissen, in welcher Gefahr er sich befand. »Aber Tukallah?«
»Er ist einer der unsern, ein Guru,22 der uns gebietet - sein Wort ist Tod oder Leben.«
Im Augenblick stand vor dem Geist des Arztes die Erklärung seiner Gefahr vom Tage vorher - seiner Rettung aus den Händen der Mörder.
»Kassim - mein Diener?«
»Er ist ein Thug, wie ich, einer der geschicktesten Lughas,
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aber Du bist sicher vor ihm, da er jenen Eid auf die heilige Spitzaxt als Mayadar Dir geschworen, den die weiblichen Glieder des Bundes zu leisten nicht würdig sind. Er soll das Werkzeug sein in Deiner Hand.«
Dem Deutschen waren längst alle Liebesgedanken vergangen bei der furchtbaren Eröffnung. Kalter Schweiß brach aus allen seinen Poren und er überlegte still, wie es ihm gelingen könne, sich aus der Mörderhöhle zu retten.
Die »Granatblüthe« schien die Gedanken, die ihn bestürmten, zu begreifen, denn sie suchte zuvörderst ihn über seine eigene Sicherheit zu beruhigen.
»Ich weiß nicht, wer Du bist,« sagte sie, »noch welches Band Dich an den Guru bindet. Aber es ist gewiß, daß er Dich in seinen Schutz genommen und Dein Leben nicht der Kali zum Opfer bringen will. Darum hat er Kassim Dir gegeben. Ich fühle, daß was ich Dir gesagt, Dir Abscheu gegen mich erregt, doch höre meine Geschichte, und Du wirst Mitleid mit Anarkalli haben, die nur den Lehren ihres Volkes gefolgt ist! - Wenn Du dem Schwur einer Abtrünnigen von dem blutigen Glauben der Bhawani glauben willst, - Dein Leben ist sicher in meiner Nähe!«
Der Arzt empfand, daß sie die Wahrheit sprach, und von Drang ergriffen, weiter in das unheimliche Geheimniß einzudringen, sagte er dem Mädchen, daß er ihr vertraue und forderte sie auf, ihm ihre Geschichte mitzutheilen.
»Mein Vater,« berichtete sie, indem sie sorgfältig fortfuhr, mit leiser Stimme zu reden, »ist ein Fakir aus der Kaste der Brahminen. Er war ein frommer Mann und bewohnte eine Höhle an den Rfern des Sudletsch. Er hatte keine Ahnung davon, daß sein Weib die Tochter eines Thugs und selbst ein Mitglied des großen Bundes war, für den sie auch mich schon in meiner Jugend bestimmte, da mein Vater, versunken in seine heiligen Betrachtungen, sich wenig um uns kümmerte. Ich wurde eine Tänzerin und tanzte in den Tempeln zu Ehren der Götter und bald auch auf den Märkten, und mein Name ward gefeiert von den stolzen Palästen Lahore's bis zu den heiligen Städten am Ganges. Als ich vierzehn Jahre zählte, weihte man mich
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zum ersten Mal in die Geheimnisse der Anbeter der blutigen Kali ein und ich erfuhr, daß der Brahmin nicht mein wahrer Vater sei, sondern Tukallah, der Mahratte. Man lehrte mich alle Künste der Suhthas, mit denen sie zu Ehren der blutigen Göttin ihre Opfer umgarnen und den Würgern in die Hände liefern müssen. Zuerst empörte sich mein Inneres dagegen, aber die Grundsätze, die ich von der Mutter eingesogen, und die Gewohnheit verbannten bald das Mitleid und machten mich gleichgiltig gegen den Mord.
»Heute - diese Nacht - wird das Fest der Devy23 in den unterirdischen Gewölben dieser Burg gefeiert, heiliger noch wie das im Tempel der Göttin in Calcutta, und die Glieder des Bundes sind aus allen Himmelsgegenden dazu in die Wüste gekommen, den furchtbaren Dienst im Geheimen zu verrichten. Viele von ihnen haben ihre Opfer mitgebracht, denn wisse, o Fremdling, das Blut in der goldnen Schaale, die vor dem Bilde der Göttin steht, darf nimmer vertrocknen und muß das Jahr lang roth und feucht erhalten werden, oder schweres Unheil fällt auf die Thugs. Die Männer, mit denen ich von Buhawalgur kam, begegneten einer Gesellschaft von reisenden Faringi's. Ich erhielt den Befehl, mich ihnen anzuschließen und einen der Sahibs, den jüngsten von ihnen, zu verlocken, daß sie ihm den Rumal24 überwerfen und ihn gebunden heimlich zur Burg der Göttin mit sich schleppen möchten. Der Mann, den sie mir bezeichneten, war jung und schön wie Krischna selber.25 Ich tanzte vor ihm und seinen Freunden, während die Thugs sich verborgen hielten vor ihren Augen. Meine Blicke sandten Feuer in seine Seele, und er drang in mich, seine Geliebte zu werden. Ich versprach es ihm, wenn er in der Nacht sein Zelt verlassen und zu mir kommen wolle, und gab ihm Ort an, an dem wir uns treffen wollten. Der Faringi ging in die böse Falle, die ich ihm gestellt. In der zweiten Nacht, nachdem ich seine Gesellschaft getroffen hatte und also kein Argwohn auf mich und meine, Begleiter mehr fallen konnte, verließ
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er das Lager seiner Gefährten und suchte mich auf an den Trümmern des Grabmals, das ich ihm als Ort unserer Zusammenkunft bezeichnet hatte. O, wie innig hatte ich gehofft, das[ß] er nicht kommen, daß die blutige Bhawani ein anderes Opfer erkühren werde! Aber er liebte mich und kam, und er lag an meiner Brust und an meinem Herzen, und er schwur, daß er sich nicht mehr von mir trennen werde, als die wilden Buthotes herbeistürzten, ihn aus meinen Armen rissen, seine Glieder mit Stricken banden und seinen Mund verstopften. Nur seine Augen vermochten noch zu sprechen und sie lagen mit Abscheu und Vorwurf auf der Verrätherin!
»Da, Fremdling, flüchtete ich wehklagend in die dichteste Wildniß, mich vor mir selber zu verbergen; ich verfluchte mich und den Dienst der Göttin, die kein Erbarmen kennt mit den Gefühlen der Menschen, denn jetzt erst erkannte ich, daß Cama wahre Liebe zu dem Verrathenen in mein Herz gesäet. Aber ich wußte, daß Bitten und Flehen ein vergebliches Ding sei und abprallen würde an der Brust Derer, die morden zur Ehre der Göttin. Entschlossen, mit ihm zu sterben, den ich verrathen, begleitete ich die Bande der Thugs, meine Hand war es, die dem Unglücklichen Labung und Speise auf dem Wege hierher reichte, und es durchschnitt mir das Herz, wenn ich sehen mußte, wie er, mit dem Gefühl des Vorwurfs sich von mir wandte, denn es war mir verboten, von nun an zu ihm zu reden, und die Aufmerksamkeit seiner Wächter machte es mir unmöglich, ihm ein Wort des Trostes zuzuflüstern. Vor zwei Tagen trafen wir in Malangher, der Burg Tukallahs, ein und seitdem schmachtet er in den furchtbaren Höhlen des bösen Zauberers!«
»Aber wie soll ich, der Fremde, Machtlose, das unglückliche Opfer eines teuflischen Wahnes retten?«
»Höre mich an! Wischnu, der Erhalter, hat Dich uns gesandt, und ich, die ich mit dem Faringi sterben wollte, ich fühlte, daß Deine Ankunft ihn zu retten vermöchte. Die Feier der blutigen Göttin dauert drei Nächte lang. Ich weiß, daß der Faringi erst in der zweiten zu sterben bestimmt ist - wenn sie kommt, muß er fern sein von der blutigen Stätte.«
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»Aber wie wird es möglich sein, in jene Höhle des Verbrechens zu dringen und den Gefangenen zu befreien?«
Die Bayadere erwiederte die Frage mit einer Gegenfrage. »Hast Du Muth genug, für die Erreichung dieses Zweckes den Schrei des Todes zu hören, ohne daß Dein Herz erkaltet, die Opfer sterben zu sehen, ohne daß Du mit einem Laut Dich und mich verrathen wirst?«
»Aber es wäre meine Pflicht ...«
»Thor! nicht die ganze Macht der Faringi in diesem Lande vermöchte ein einziges der Opfer seinem Verderben zu entreißen, die in den Gewölben dieser Burg dem Tode zu Ehren der blutigen Göttin bestimmt sind - ich schwöre es Dir bei der Bhawani selbst, der ich bisher gedient!«
Obschon Walding gewiß nicht unempfindlich gegen die Leiden seiner Mitmenschen war, machte ihn doch sein Stand als Arzt geeigneter, die schrecklichen Scenen, die seine Einbildungskraft ihm vormalte, zu ertragen; er überzeugte sich, daß allerdings das Einschreiten der Einzelnen hier so wenig helfen und retten konnte, wie bei der Sitte der Wittwenverbrennungen, und daß nur durch die Unterdrückung seines Gefühls es ihm möglich werden dürfte, eins oder das andere Leben mit List dem drohenden Tode zu entziehen. Er glaubte daher seine Einwilligung geben und sich auf die Stärke seiner Nerven verlassen zu müssen.
Die Bayadere hatte sich unterdeß leise von seiner Seite gestohlen und war mit der Gewandtheit und Geräuschlosigkeit einer Schlange nach der Thür des Gemaches geglitten, wo sie lauschte.
Dann öffnete sie leise diese Thür - es war, wie sie vermuthet, Kassim, der Thug, hatte bereits das Lager vor der Thür seines Herrn verlassen, ihn in den Armen der Tänzerin bis zum nächsten Morgen in Sicherheit wähnend. Sie huschte zum Erstaunen des Arztes blitzschnell hinaus, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken zurück, ein Bündel tragend, das sie draußen verborgen gehabt.
»Kassim,« berichtete sie hastig, »ist bereits hinabgestiegen zu den Tiefen der Burg, und die Zeit des Handelns ist da. Jetzt, Fremder, merke auf meine Worte, denn das geringste Vergessen würde uns Beiden das Leben kosten und eines verderben, das
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kostbarer ist, als das unsere. Hast Du je von der Ramasyana gehört?«
»Nein.«
»Es ist die geheime Sprache der Thugs, die alle ihre Glieder und Sekten, welchem Land und welchem Glauben sie auch angehören, unter einander verbindet. Denn wisse, Fremdling, nicht die Anbeter Schiwa's allein sind die Diener der Göttin, sondern auch Muhamedaner und Christen.26 Darauf baue ich unsern Plan. Dies - sie machte die eigenthümliche Bewegung der Hand, durch welche Tukallah sich den Mördern zu erkennen gegeben - »ist das Zeichen. Nur wenige der Thugs, die heute hier versammelt sind, kennen einander, denn sie kommen von Süd und Nord, vom Aufgang und Untergang - und Kassim, Deinem Mayadar, der zum ersten Male die Burg Malangher betritt, ist es unbekannt, daß die Sclavin, die er Dein Lager theilen wähnt, eine Eingeweihte ist. Dieses Gewand mit der Verhüllung des Hauptes wird uns Beide unkenntlich machen, wie die Mitglieder des Bundes einander unbekannt bleiben bei dem Opfer. Obschon ich als Weib ausgeschlossen bin von dem Feste der Göttin, sind mir die Geheimnisse dieser Burg wohl bekannt, daß ich selbst in der dichtesten Finsterniß durch ihre Gänge und Schluchten Dich leiten könnte. Jetzt entkleide Dich rasch, birg Deine Waffen in Deinem Gürtel und hülle Dich in dies Gewand, damit ich Deinen Leib dem der braunen Männer ähnlich mache!«
Bei dem Licht des Mondes, der durch die geöffnete Jalousie hell in das Gemach strahlte, ging sie rasch dem Deutschen mit ihrem Beispiel voran, indem sie ihre Frauengewänder von sich streifte und sich in einen weiten dunklen Ueberwurf hüllte, der am Hals eine Art von Wachskaputze hatte, die über den Kopf gezogen werden konnte und Oeffnungen für Augen und Mund enthielt. Dann beugte sie sich nieder, und begann ihm die Beine bis zum Knie aufwärts mit einem Pflanzensaft zu reiben, der die europäische Weiße alsbald in das Mahagonibraun der
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Eingebornen verwandelte, damit, da sie mit nackten Füßen ihre Wanderung antreten mußten, die hellere Farbe des Fremden nicht die Aufmerksamkeit des einen oder des andern Spähers auf sich zöge. Nachdem alle diese Vorbereitungen getroffen waren und Beide die Kaputze über das Gesicht gezogen hatten, hieß die Tänzerin den Gefährten folgen und verließ den Pavillon, dessen Thür sie wieder anlehnte.
Sie standen auf der Gartenterrasse, die jetzt leer und öde war und nur das momentane Rauschen der Springbrunnen unterbrach die nächtliche Stille.
Auf den weißen Marmorstufen an beiden Seiten der Pagode lehnten die schwarzen Wächter der Zenana gleich dunklen Steingebilden.
Anarkalli flüsterte dem Deutschen zu, sich gleich ihr einige Schritte im Schatten zu halten, damit die Mohren nicht erkennen möchten, aus welchem der Kiosks sie gekommen, dann schritten sie dreist hinaus in das Mondlicht, und quer durch den Garten, nach dem großen Eingang der Pagode.
Die ehernen, mit seltsamen und grotesken Figuren gezierten Flügel der großen Thür derselben standen geöffnet - sie traten in das Innere, das von einer einzigen, hoch von der Decke der Wölbung hängenden Lampe mit einem bläulichen Schein erleuchtet war, in dessen leisem Schwanken die schauerlichen Dekorationen der Wände sich gleich beichten Schatten zu bewegen schienen. Diese Wände bestanden aus Mosaiken von dunkelfarbigem weißgeäderten Marmor, von dem sich gespenstig steinerne und hölzerne, mit den schreiendsten Farben und Vergoldungen bedeckte Figuren und Fratzenbilder abhoben. Straußeneier, riesige getrocknete oder ausgestopfte Schlangenkörper, Eidechsen und Gerippe von Thieren und Menschen hingen überall von Decke und Wänden und rasselten von einem Luftzug, der auf eine Walding noch verborgene Weise durch den Raum zog, bewegt schaurig an einander, während kleine Glocken und in gleicher Weise aufgehangene Metallplatten in ihrem Zusammenstoß einen melodischen Klang dazwischen säuselten.
In der Mitte dieses Raumes stand einer jener kolossalen und prächtigen Sarkophage, die man so häufig noch in den
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gigantischen Ruinen Indiens findet, und die der Asche eines mächtigen Herrschers, eines heiligen Mannes oder berühmten Kriegers zur Ruhestätte dienen. Der aus weißem Marmor gefertigte Sarg ruhte auf vier riesigen, plumggearbeiteten[?] Krokodillenleibern aus grünschwarzem Stein, deren Augen aus großen, geäderten Smaragden bestanden, die unheimlich im Schein der Lampe funkelten, während die weit geöffneten Rachen jeden Nahenden zu bedrohen schienen.
Zu Häupten des Sarkophags stand eine kleine metallene Schaale, aus der eine weiße Flamme emporzüngelte. Dieser näherte sich die Bayadere und zündete daran den Docht einer Lampe an, die sie aus ihrem Gewande hervorholte und die der Form ähnelte, deren sich die europäischen Bergleute bedienen, um in ihrem Schein in die unterirdischen Tiefen einzufahren. Dann winkte sie ihrem Begleiter, und schritt auf die dem Eingang der Pagode gegenüber liegende Wand zu.
Ein plötzlicher Schrecken hemmte den Fuß des ihr folgenden Arztes, als er näher kam. Aus dem dunklen, unheimlichen Dämmerschein, den die geringe Beleuchtung der Pagode verbreitete, schienen sich plötzlich zwei riesige Elephantengestalten mit hochgeschwungenem Rüssel vor ihm aufzurichten, während das langgekrümmte Elfenbein der Zähne drohend hervorleuchtete.
Es bedurfte einiger Augenblicke, ehe der Arzt begriff, daß die beiden riesigen Thiere nur Steingestalten waren, die in halbem Körper aus dem Bau hinter ihnen, gleichsam zum Schutz der höhlenartigen Tiefe, die zwischen ihnen gähnte, hervortraten.
Auf diese Höhle, aus der der scharfe, die Gerippe und Metalle der Pagode bewegende Luftzug hervordrang, schritt die »Granatblüthe« zu und begann sofort eine Reihe von Stufen hinabzusteigen, die in die unergründliche Tiefe führten.
Walding sah ein, daß er zu weit gegangen, um von dem Abenteuer zurückzutreten, auch wenn ihn sein der schönen Verbrecherin gegebenes Wort nicht gebunden hätte, und folgte daher dicht hinter ihr drein, um das leitende Licht nicht zu verlieren.
Anfangs schräg, dann immer steiler, stiegen sie weit über hundert Stufen in die Tiefe, wonach der Arzt berechnen konnte, daß sie längst über die Grundfläche der Burg hinunter gekommen
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sein und sich im Innern des mächtigen Felsenvorsprungs befinden mußten auf dem sie erbaut war.
Sie gelangten jetzt, so weit der schwache Lampenschein es erkennen ließ, in ein Rondeel, aus dem wieder verschiedene Gänge nach allen Seiten hin liefen, in stärkerer oder geringerer Senkung in die Tiefe führend, und Walding vermochte jetzt bereits zu erkennen, daß dieses großartige unterirdische Labyrinth nicht allein der Arbeit der Menschen, sondern auch den Naturkräften selbst seine Entstehung verdankte.
In den Tiefen der Gänge und Wölbungen schwanden zuweilen schwache Lichtreflexe vorüber, oder glühten einzelne Lampen, wie die, welche seine Begleiterin trug, gleich Funken sich annähernd oder entfernend. Hastig und ohne in der Wahl der Gänge zu zaudern, schritt die Bayadere vorwärts und sie stiegen auf's Neue abwärts in die Tiefen der Erde.
Aber nicht mehr allein waren sie jetzt in der unterirdischen Einöde. Je tiefer sie kamen, desto höher und weiter schienen sich die Gänge zu dehnen, so daß der schwache Schein der Lampe nur selten noch die Decke der Gewölbe erkennen ließ; dunkle Gestalten, in Kaputzen gehüllt, wie sie selber, am Gürtel oder um den Kopf gewunden den Rumal - das verhängnißvolle Seidentuch - oder die Phansi, die Schlinge, und oft mit schweren Bündeln beladen. Sie machten stumm einander das Bundeszeichen und schritten vorwärts. Zwei Mal erbebte der Deutsche in dieser furchtbaren, dämonenartigen Gesellschaft: das erste Mal, als zwei der Thugs an ihnen aus einem Seitengang vornberschritten, auf einer Art von Hangmatte einen langen, ballenartigen Packen tragend, der im Licht der Lampen sich zu bewegen - von dem ein dumpfer Seufzer an das Ohr des Arztes zu tönen schien; - das zweite Mal, als ein hochgewachsener, fremdartig gekleideter Hindu an ihnen vorbeikam, dem, auf den Fersen ein gezähmter, ziemlich großer Tiger nachschlich. Die Bestie, den Kopf tief auf den Boden gebückt, blinzelte mit den gelbgrünen Augen auf die Vorübergehenden und knurrte so wohlgefällig, wie die Katze, wenn sie sich putzt oder einen fetten Schmaus wittert.
»Fürchte Dich nicht!« flüsterte dem Zaudernden die Bayadere
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zu, »es ist ein Phansigar aus dem Carnatie - sie nennen sich die Tiger und halten diese heilig. Die Göttin Kali gebietet über sie.«
Immer weiter kamen sie, und immer größer wurde die Zahl Derjenigen, die dem gleichen Ziel wie sie zuschritten. Walding glaubte ein dumpfes Geräusch, ein Murmeln und Grollen in weiter Ferne zu hören, wie das Brausen des Meeres an langgestreckter Küste, und er sah in einiger Entfernung einen matten Lichtschimmer, gleich der röthenden Gluth einer mächtigen Feuersbrunst zu der Decke des Gewölbes empordämmern.
»Muth, Fremdling, und Vorsicht!« flüsterte noch einmal die Stimme des Mädchens dicht an seinem Ohr, - »wir nahen dem Kreis der Guru's und Chams, bei dem Bild der Göttin, und müssen vorsichtig die gegenüberliegende Seite des Gewölbes zu erreichen suchen. Sprich Nichts, als den Gruß der Thugs, und thue Alles, was Du mich thun siehst.«
Sie waren kaum hundert Schritt gegangen, als sich vor ihnen ein eben so eigenthümliches, wie schreckliches Schauspiel eröffnete.
Sie standen am Rande eines etwa fünfzig Fuß tiefen Abgrundes, der sich zu einem riesigen Kesselgewölbe bildete, dessen Enden in der Dunkelheit verschwanden, obschon das Licht von wenigstens zweihundert Fackeln und ein großes, in der Mitte dieses riesigen Felsensaales unterhaltenes Feuer auf einen ziemlich weiten Umkreis volle Tageshelle verbreiteten.
Wohl tausend Menschen - alle in jene entsetzliche Vermummung gekleidet, die Füße entblößt, - bewegten sich in diesem Raume.
Ihnen gerade gegenüber, nahe dem Feuer, stand auf einer Erderhöhung das riesige Bild der furchtbaren Göttin, der dieser scheußliche Cultus galt.
Auf einer breiten etwa drei Fuß hohen Stufe von schwarzem Marmor erhob sich ein gleicher Würfel und auf diesem die mindestens zehn Fuß große Gestalt der Bhawani von massivem Silber. Sie hatte die Gestalt einer Furie, reitend auf einem Tiger, in wilder, drohender Stellung. Das Antlitz war scheußlich anzuschauen, halb Wolf, halb Mensch, in den Augenhöhlen funkelten zwei kolossale Rubinen, deren Feuer seine Blitze bis zu
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entfernten Stelle warf, an der die Eingedrungenen lauschten. In den offenen Mund oder vielmehr Rachen dieses entsetzlichen Kopfes waren weiße und spitze Wolfszähne eingesetzt, ihre Füße liefen in Adlerkrallen aus und der Leib war mit Blut beschmiert und von zwei großen ausgestopften Schlangen umwunden. Der Schmuck den dieses scheußliche Bild um Hals, Arme und Beine trug waren Kränze von Menschlichen Köpfen und Schädeln. Schlangen und Eidechsen bildeten ihr Haar und während der linke Krallenarm sich auf das Haupt des Tigers stützte, schwang der rechte die gewaltige Kassy, die eiserne Spitzaxt, das heiligste Symbol der schrecklichen Verbrüderung, bei dem zu schwören den Thug für alle Ewigkeit an seinen Eid bindet, fester als der Schwur auf den Koran oder das heilige Gangeswasser.
Der Fuß der Bildsäule war mit Blumen bestreut, dazwischen lag ein ehernes Bild der Schlange und der Eidechse, eine Schlinge und das Seidentuch, ein Messer und die heilige Spitzaxt, das Abbild des Werkzeugs in den Händen des Götzenbildes, das bei den Wanderzügen der Thugs von dem reinlichsten, mäßigsten und vorsichtigsten Mann der Bande getragen wird, denn sie gilt als ein Orakel für die Entschließungen der Mörder und zeigt die Richtung an, nach welcher die Reise zu unternehmen ist.
Um das Bildniß der Göttin hatte, an dem Rande der untersten Stufe, ein Kreis vermummter Männer Platz genommen, die jedoch statt der schwarzen Verhüllung eine solche von weißer Wolle trugen, der die ausgeschnittenen Augen- und Mundöffnungen ein noch gespenstigeres Ansehen verliehen. Es waren die Chams und Guru's der Sekten, in ihrer Mitte der Ober-Guru, kenntlich an dem weißen Turban mit blitzenden Goldbändern, den er trug - nicht weit von ihm bemerkte Walding den Phansigar mit dem Tiger, der ihnen vorher begegnet war.
Ein Zwischenraum von einigen Ellen, in dem zierlich geflochtene Körbe mit Früchten, Backwerk und geistigen Getränken standen, trennte den Kreis der Häupter von der Masse der rings umher auf den Fersen hockenden oder an dem Feuer beschäftigten gewöhnlichen Mitglieder des Bundes. Von Zeit zu Zeit wurden in dies Feuer wohlriechende Essenzen gegossen, deren lieblicher und berauschender Duft das ganze kolossale Gewölbe erfüllte.
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Von dem Ausgang des Gewölbes, durch das der Deutsche und die Bayadere gekommen waren, führten terrassenartige Stufen hinunter zu dem Mittelraum. Es war ihnen gelungen, unfern der Masse einen etwas erhöhten Standpunkt hinter einem Felsvorsprung - denn das Ganze war, wie der Arzt erkannte, eine kolossale natürliche Höhle - zu gewinnen, von dem aus sie, ohne auffällig zu werden, den ganzen Mittelgrund und die sich auf demselben ereignenden Scenen übersehen konnten, während sie zugleich, ohne Furcht, gehört zu werden, mit leiser Stimme sich unterhalten mochten, da das dumpfe Gemurmel dieser Masse von Menschen eben jenes rollende Getöse verursachte, daß[s] der Arzt auf dem Wege gehört.
»Siehst Du die goldene Schaale, die vor dem Bilde der Göttin steht?« fragte schaudernd das Mädchen. »Es ist das ewige Opfer des Rakkat-Byj!«
»Was willst Du damit sagen?«
»Rakkat-Byj27 war der mächtigste Dämon, so groß, daß der tiefste Ocean seine Brust nicht erreichte, welcher die Welt beunruhigte und alle Geborenen verschlang, bis die Bhawani ihn tödtete. Aber aus jedem seiner Blutstropfen entstand ein neuer Dämon. Da schuf die Göttin zwei Männer aus dem Schweiß ihrer Arme - das waren die Urväter aller Thugs - und gab jedem ein Tuch, die Rumals, damit sie die Dämonen erdrosselten, ohne daß aufs Neue Blut vergossen werde.28 Seitdem ist das Blut der süßeste Wohlgeruch, den die Göttin empfängt, und darf nimmer trocken werden zu ihren Füßen. Im Tempel der Feueräugigen zu Calcutta und Bindabaschni werden jeden Monat tausend Ziegen und andere Thiere geopfert, damit das heilige Blut fließend bleibe, aber hier ...« Sie schauderte und schwieg.
»Rede weiter - jene Schaale ...!«
»Sie wird nie leer und trocken von dem Blut aus den Adern der Menschen.«
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»Entsetzlich! - aber wie ist es möglich, daß diese Unzahl von Morden alljährlich ungestraft verübt werden kann, blos um einem Aberglauben zu fröhnen?«
»Blick' hin und Du wirst schauen, wie groß die Zahl der Opfer sein muß, denen man solche Reichthümer abnehmen konnte.«
Auf ein Zeichen des Ober-Guru stand einer der Chams nach dem andern auf, winkte hinein in die dunkle Menge, und jedes Mal traten ein oder mehrere Männer mit Packen beladen heran, schritten in den heiligen Kreis und leerten ihre Säcke oder Körbe auf der untersten Stufe des Bildes.
Im Schein der Fackeln und Flammen blitzte es seltsam und herrlich von dort herüber in die Augen des Lauschers. Berge goldener Mohurs29 und glänzender Silbermünzen, kostbares Geschmeide, Perlen und Diamanten, Rubinen, Smaragden und Topase mit ihrem Goldfeuer, die kostbaren Amethyste Sibiriens neben den Sapphiren Ceylons und den Türkisen der persischen Minen, das geheimnißvolle Feuer der Opale und Almandinen zwischen Ringen, Ketten, Arm- und Halsbändern, dazwischen prächtige Cashemirshawls und zahllose andere Kostbarkeiten.
»Das sind die Jumaldehythags aus Aude und von östlich des Ganges,« berichtete das Mädchen. »Sie haben die reichen Länder des Duab zu ihrem Gebiet und bringen den dritten Theil ihrer geraubten Schätze. Jene dort, die jetzt ihre Körbe leeren, sind die Multhanea's, Mahomedaner aus dem Norden, die ihre Reisen als Ochsenführer machen und als Kaufleute ihre Schlachtopfer verlocken. Ihnen folgen die Chingary's oder Naiks, die in der Nachbarschaft von Hingoly leben. - Jetzt folgt die große Schaar der Susyas, Männer der niedersten Kasten aus Jeypure, Malwa und der Radjputana, die als Handelsleute, Geldträger, und Sepoy's30 das Land durchstreifen. - Dort kommt der Guru der mächtigen Phansingars von Myhore, dem Carnatie und Chittar« - sie wies auf den Mann mit dem Tiger, der sich eben erhoben und seine Begleiter heranwinkte. »Es sind die Tiger der Wüste und kein Tiger greift den Phansigar an. Sie haben ihre
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besondere Sprache und ihre Zeichen, aber ich kenne sie und jenen Mann, der der blutigste ist von ihnen allen. Leicht ist es ihnen jene Schätze zu bringen, denn sie lauern auf dem Wege den Diamanten- und Perlenträgern aus dem Westen auf und morden um einer Rupie willen. - Jetzt nahen die Flußthags von Burdwan an den Ufern des Hughly, die den Ganges auf- und niederschiffen, die Pilger nach den heiligen Orten einladen, mit ihnen zu fahren und sie auf dem Fluß erdrosseln. - Die Lodaha's und Matya's aus Bahar und Bengalen sind jetzt an der Reihe, ihre Geschenke niederzulegen, und ihnen folgen die Männer aus Scindia.«
So erzählte die Tänzerin ihrem Begleiter von den Secten der Thugs, während Schätze auf Schätze zu den Füßen des scheußlichen Götzenbildes aufgehäuft wurden. Der Raub, den die Secte während eines Decenniums, bis zur Wiederkehr ihrer geheimen Versammlungen, zusammenhäuft, ist in der That kolossal. Da in dem größten Theil von Indien die Beförderung von Geld und Geldeswerth durch Karawanen und Boten geschieht, wird ihnen diese Beraubung desto leichter. Im Westen Indiens besitzt zwar eine Kaste der Najputstämme, die Bhats und Charans, das geheiligte Vorrecht, anderer Leute Eigenthum unter ihren Schutz stellen zu dürfen. Niemand wagt es, dieselben anzutasten und ihnen werden große Summen in Gold und Silber anvertraut, welche sie durch Gegenden tragen, die von Anderen nicht ohne starke Escorte durchzogen werden können. Aber selbst diese geheiligte Kaste verschonen die Phansigars nicht, und es wurden z. B. vom Jahre 1826 bis zum Jahre 1829 erweislich 39 solche Geldträger von ihnen ermordet und diesen die kolossale Summe von Einmalhunderteinundachtzigtausend Rupien abgenommen.
Die Niederlegung der Schätze war jetzt beendet, der Ober-Guru bestieg die Stufe des Altars und berührte mit Hand und Stirn drei Mal die Füße der Göttin. Eine tiefe lautlose Stille verbreitete sich unter der unheimlichen Menge und der Ober-Guru erhob seine Stimme, die dem Ohr des Arztes nicht unbekannt zu sein schien, und rief: »O Kaley! Kankaly! Bhudkaly! Deine Knechte sind bereit und haben, zu Deinen Füßen niedergelegt das Drittheil Deines Segens. Wenn es Dich gut däucht, mächtige
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Göttin daß das Opfer beginne, damit das von Dir vergossene Blut erinnert werde, so gieb uns den Thibau!«31
Auf seinen Wink wurde ein schwarzes Schaf herbeigeführt und auf die Höhe des Piedestals gelegt, wo ihm der Ober-Guru den Hals abschnitt, während seine Gehilfen den rechten Vorderfuß in das Maul des Thieres steckten.
Der Körper des Opfers zuckte hin und her und warf sich zuletzt auf die rechte Seite, worauf der Ober-Guru der Versammlung verkündete, daß die Göttin ihnen gnädig sei und die Feier beginnen könne.
Ein Geheul brach bei diesen Worten aus, so wüthend und entsetzlich, daß Walding glaubte, eine Legion von Teufeln entfesselt zu sehen. Das Kriegsgeschrei der amerikanischen Wilden, der gellende Todesruf der Bemannung eines versinkenden Schiffes, das Wuthgeschrei eines im Aufruhr rasenden Volkes war Nichts gegen diese gellenden entsetzlichen Töne.
Ein wildes Delirium, ein Wahnsinn schien zugleich die düstre Menge erfaßt zu haben und es entfaltete sich ein Anblick vor den Augen des Arztes, wie ihn kaum die Phantasie Dante's aus den Schlünden der Hölle entlehnen könnte.
Gleiich Besessenen sprangen und tobten alle die menschlichen Dämonen umher, einzeln, in Kreisen und Reihen drehten sie sich wirbeldn, wie tanzende Derwische, springende Bachanten. Hier rissen sich Einige die Verhüllung vom Haupt, durchbohrten ihre Wangen mit Messerstichen und schlitzten sich Lippen und Zunge, oder stießen die Klingen in das Fleisch ihrer Arme und Schenkel, daß das Blut weit umherspritzte; Andere warfen die Gewänder ab, tanzten nackt mit wilden phantastischen Geberden um das Feuer und stürzten sich durch dieses hin, daß die Flammen an ihrem Haar und Bart emporloderten, wenn sie auf der entgegengesetzten Seite heraustaumelten. Entsetzlich anzuschauen war ein grimmig aussehender alter Brahmine, dem seine Freunde einen eisernen Haken in die Seite drückten, worauf sie ihn an einer an Decke des Gewölbes befestigten Kette in die Höhe zogen
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und in der Entfernung von etwa zehn Ellen über dem Feuer hin und her schwenkten.
Walding sah betäubt diesem entsetzlichen Schauspiel zu, bis plötzlich der laute, die ganze Wölbung wie Posaunenstoß durchzitternde Ton eines Tamtam - hervorgebracht durch den Schlag eines dicken mit Leder umhüllten Klöpfels auf einen großen, frei von der Wölbung herabhängenden Metallschild, dem Toben und Rasen ein Ende machte. Ein zweiter Schlag auf den Schild, und eine so lautlose Stille trat ein, daß man das Knistern des Feuers hören konnte.
Vor dem Altar der Göttin standen der Ober-Guru und drei der Priester des schrecklichen Cultus, die andern waren während des Tobens und Rasens verschwunden.
Die Hand der Bayadere legte sich schwer auf den Arm des Arztes. Hätte sein Auge die Verhüllung ihres Gesichts durchdringen können, er würde gesehen haben, wie bleich und blutlos ihr Antlitz war - so fühlte er blos das Zittern ihrer Hand und Gestalt.
»Was giebt es?«
»Fasse Deine Kraft zusammen und verbanne das Gefühl aus Deinem Herzen, Fremdling - der Augenblick der Prüfung ist erschienen!«
Ein eintöniger Gesang schien aus den Tiefen der Wölbung wie aus dem Grabe emporzusteigen und schwoll mächtiger und mächtiger an, wie die, von denen er ausging, aus der Finsterniß dem Lichtkreis näher und näher kamen.
Die Menge der Thugs um das Bild der Göttin öffnete sich, dem Zuge Platz zu machen.
Voraus schritten sechs in weiße Gewänder gehüllte Chams, von denen jener Gesang ertönte. Dazu trugen sie in den Händen metallene Becken, auf die sie von Zeit zu Zeit im Tact zugleich schlugen, so daß der dröhnende Klang eigenthümlich durch ihren Gesang schnitt.
Hinter ihnen kamen dunkel verhüllte Gestalten, die große Bahren trugen, auf denen lange mit Tüchern bedeckte unerkennbare Gegenstände ruhten.
Es waren ihrer fünf solche Bahren -, auf jeder zwei
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verhüllte Packen; - langsam, unter dem Gesang der Vortretenden, schritten die Träger mit den Bahren in die Mitte des Kreises, und setzten sie dann rings um den Fuß des entsetzlichen Götzenbildes nieder.
Hinter den Bahren kam in groteskem buntem Aufputz, mit goldenen und silbernen Flittern und den schreiendsten Farben geschmückt mit getrockneten Schlangenhäuten, Eidechsen und Gebeinen behangen, tanzend und springend eine koboldartige Figur von gräßlichem Ansehen daher.
Zwei große Brillenschlangen waren um Leib und Arme gewunden und streckten züngelnd die Köpfe an ihrem Halse in die Höhe.
Walding erkannte die Erscheinung im Augenblick wieder - es war Rostagana, der Zwerg, dessen Musik am Mittag die schöne Hindu-Prinzessin und ihn selbst von dem tödtlichen Biß der Cobra gerettet hatte.
Die Thugs warfen sich mit dem Antlitz aus den Boden, als der Zauberzwerg mit seinen giftgeschwollenen Reptilen an ihnen vorübertanzte.
Dinier ihm her kamen wiederum, singend und die Becken schlagend, sechs Chams und schlossen den Zug, der sich um das Bild der Bhawani auf der erhöhten Stufe gruppirte, so daß Alles, was vorging, den Augen der ganzen Versammlung sichtbar war.
Der Zwerg war hinter dem Fuß der Bildsäule verschwunden.
Ein gewaltiger dröhnender Schlag auf das Tamtam - und nun herrschte wiederum feierliche Stille.
Ein weiterer Schlag, und wie von unsichtbaren Händen hinweggerissen, flogen die Decken zur Seite, welche die fünf Bahren verhüllten.
Auf jeder derselben lagen zwei menschliche Körper - lebend - denn ihre Bewegungen zeigten dies, wenn auch ihre Füße und Hände durch unzerreißbare Schnüre von Cocusfäden fest zusammengefesselt waren und die Lippe stumm blieb, denn ein teuflisches Werkzeug, ähnlich jenem unter der Form der Stahlbirnen bekannten Knebel der Marterkammern des Mittelalters, füllte und schloß ihren Mund.
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Kein Brahmine, kein Armer, keine Bayadere und kein Barde dürfen die ersten Opfer sein, die der Thug tödtet - die Menschen, die hier eines furchtbaren Schicksals harrten, waren zwei reiche Kaufleute aus Bombay, ein Juwelenschleifer, ein Landmann zwei Sepoys, ein Schreiber aus den Bureaux der Compagnieverwaltung, ein Parsi, ein europäischer Seemann und eine prächtig geschmückte Frau, die Begum oder Wittwe eines indischen Fürsten,
Einer der Chams ergriff die goldene Schaale, von der die Tänzerin dem Arzt erzählt, daß sie das ewig feuchte Menschenblut enthalte, und folgte damit dem Ober-Guru, der von Bahre zu Bahre schritt, an jeder den Finger in die Schaale tauchte, und mit einem blutigen Streifen die Stirn jedes einzelnen Opfers bezeichnete.
Dann trat der Ober-Guru zurück zu dem Altar - ein anderer Cham reichte ihm ein Messer von oben breiter und unten schmaler Form, und zwei der Priester hoben auf seinen Wink den Körper des Parsi auf.
Ein Augenblick, und der Unglückliche war aller seiner Kleider beraubt und der nackte Körper wurde auf den schwarzen Steinwürfel gehoben, der das Piedestal des scheußlichen Götzenbildes ausmachte, und zu dessen Füßen ausgestreckt. Einer der Chams nahm den Knebel aus seinem Mund.
Der Gefangene war ein bereits bejahrter Mann mit schönem Bart und sorgfältig geschornem Kopf, aus der über ganz Indien, Arabien, das mittlere Asien und die asiatischen Inseln verbreiteten Sekte der Parsi's oder Sonnen- und Feueranbeter, der thätigsten und verständigsten Orientalen, in deren Händen sich der größte Theil des Handels und Reichthums befindet.
Der alte Kaufmann hatte das Schicksal, das ihm bevorstand, längst erkannt, und den Thugs, die ihn gefangen genommen, neben den Schätzen, die sie ihm bereits geraubt, eine kolossale Summe für seine Freilassung geboten, - aber sein Vorschlag war von den blutigen Fanatikern verächtlich zurückgewiesen worden. Jetzt - dem Tode so nahe - schaute er mit der Entschlossenheit und Gleichgültigkeit, welche diese Leute und die Hindu's im Allgemeinen gegen den Tod erfüllt, diesem trotzig in's Angesicht. Kein Schrei
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der Furcht, keine Bitte um Gnade, ja nicht einmal ein Zucken der so natürlichen Angst und Qual entstellte sein ernstes, schönes Antlitz als der Ober-Guru mit dem Messer ihm nahte, nur Haß und Drohung sprühte aus dem kühnen Auge des alten Mannes. Im Schein der Flammen blitzte die dreieckige Klinge - hochgeschwungen - dann senkte sie sich nieder und tauchte die Spitze mit anatomischer Genauigkeit in die Kehlader des Opfers.
Ein Strom dunklen Blutes spritzte empor. Zwei der kräftigsten Chams warfen sich auf den Körper, Beine und Kopf festhalten, während der Dritte in der goldenen Schaale das Blut auffing, das den Adern entströmte.
Den unwillkürlichen Schrei, den der Arzt bei dem kaltblütigen Morde ausstieß, übertönte der Gesang der Priester.
Entsetzlich, empörend anzuschauen war es jetzt, wie der kräftigste der bei dem Morde thätigen Chams, als das Blut langsamer und weniger zu fließen begann, auf den Körper des Parsi sprang und diesen gleichsam zu kneten begann, um jeden Tropfen kostbaren Blutes für den scheußlichen Dienst der Göttin auszupressen.
Schwächer und schwächer wurden die Zuckungen des Opfers, bis die Glieder im letzten Kampf erstarrten und sich streckten.
Dann erhob der Ober-Guru seine Hände zum Bilde der Bhawani und bespritzte sie sieben Mal mit dem frischen Blut.
Mit einer Schnelligkeit, die es kaum bemerken ließ, war der Leichnam des Parsi von bereit stehenden Priestern aufgehoben und fortgebracht worden zu den Gräbern, die vorher zur Aufnahme von je zwei Körpern, die mit den Füßen stets gegeneinander gelegt werden, vorbereitet waren.
Wieder tauchte der Ober-Guru seine Finger in das Blut, bezeichnete erst seine eigene Stirn mit einem Tropfen desselben und dann die der Chams, welche bei dem Morde thätig gewesen waren, worauf andere deren Stelle annahmen und die ersten mit der Blutschüssel zu der sich herandrängenden Menge traten, um jeden Einzelnen auf gleich abscheuliche Weise zu salben.
Unterdessen war das zweite Opfer herbeigebracht worden - es war die Begum, eine noch junge, schöne Frau von den anmuthigsten Formen. Schonungslos wurde ihr die reiche Kleidung
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vom Leibe gerissen, und der sich in Furcht und Entsetzen windende herrliche Leib auf den schrecklichen Stein gehoben. Als der Ober-Guru ihr den Knebel aus den Zähnen zog, gelang es der Unglücklichen, die wahrscheinlich zu lose Fessel ihrer Fußgelenke abzustreifen. Sie stürzte sich herunter, versuchte den Kreis zu durchbrechen und sich zu flüchten, ward aber im Augenblick wieder ergriffen und zu Boden geworfen. Ihr Flehen, ihr Jammern, ihr Geschrei waren herzzerreißend und übergellten den bei dieser schrecklichen Scene lauter anschwellenden Gesang der Priester, der ihre Stimme zu ersticken suchte.
Im Nu waren die Füße der jungen Frau wieder gefesselt und sie hinausgehoben auf den noch bluttriefenden Stein.
Hinter dem Vorsprung der Felsen rang der Arzt gegen seine Begleiterin, die seine Hand festhielt, welche nach dem verborgenen Pistol faßte, um den bedrohenden Mörder niederzuschießen.
»Wahnsinniger! - vergißt Du so Deinen Eid? Es ist eine Verächtliche, Ausgestoßene, die Dein Mitleid nimmer verdient, denn sie hat sich der Sotti32 entzogen, die ihre Seele in den Schooß Gama's befördert hatte!«
Ein gellender entsetzlicher Schrei belehrte besser als ihre Bitten und Abmahnungen den Widerstrebenden, daß jede menschliche Hilfe zu spät käme. Ein Blick in das dunkle Gewühl zeigte ihm die lange blutige Furche, die das Opfermesser des Guru über den Leib der unglücklichen Frau gezogen hatte, und daß ihr Körper bereits in den letzten Todeswindungen sich unter den Händen der entmenschten Priester bäumte.
Kalter Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper, seine Glieder zitterten, sein Herz schlug hörbar, als er sich willenlos von der Tänzerin fortziehen ließ.
»Es ist Zeit, das[ß] wir selbst in das Gewühl uns mengen, um die andere Seite der Höhle zu erreichen,« flüsterte das Mädchen. »Fasse mein Gewand, schließe die Augen und folge mir!«
Ein Theil der Chams war fortwährend beschäftigt, den Thugs die entsetzliche Salbung zu ertheilen und bewegte sich durch die andrängende Menge, während das Geschäft des Mordens und
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Blutauffangens in große Becken unaufhaltsam im Mittelpunkt seinen schaurigen Gang ging. Der Strom der hin und her fluthenden Masse, die sich zu der blutigen Zeichnung herandrängte, war so gewaltig, daß Walding und seine Begleiterin, die fest seine linke Hand umfaßt hielt, wiederholt von ihrem Wege abgedrängt und gegen den Mittelpunkt des Kreises zugeschoben wurden. Vergeblich bemühte sich der Deutsche, dem Rath des Mädchens zu folgen und die Augen zu schließen - ihr sich willenlos überlassend, eine geheimnißvolle Macht schien ihn zu zwingen, sie offen und unverrückt nach dem schrecklichen Guru gerichtet zu halten, dessen blutiges Messer wieder und wieder hoch geschwungen im Licht erglänzte.
Plötzlich hörte er zwischen dem Gesang der Priester, in den nach und nach die Menge der Blutgeweihten einzufallen begann, ein dumpfes Murmeln fremdartiger Worte dicht vor sich, und fühlte sich mit Gewalt niedergerissen von der Hand seiner Begleiterin. Umblickend erkannte er schaudernd vor sich das weiße Obergewand zweier Chams und in den Händen des einen das entsetzliche Becken - sah eine Hand erhoben, die leicht seine Kaputze lüftete, und fühlte im selben Augenblick einen warmen feuchten Tropfen auf seiner Stirn.
Er wußte - es war Menschenblut - das warme frische Blut einer unglücklichen Parsi oder der schöne Wittwe.
Wie oft hatte er als Arzt seine Hände in das warme Blut meiner Mitmenschen getaucht, wie oft selbst mit seinem scharfen Messer den edelsten und geheimnißvollsten Tempel Gottes, den menschlichen Leib, zerfleischt, aber es geschah im Dienst der Menschen, zu helfen und zu retten, statt zu tödten.
Jetzt brannte dieser einzelne Blutstropfen gleich glühendem Erz auf seiner Stirn - das Blut eines Gemordeten, - ohne seine Hand sich erhoben, sein Mitgeschopf zu retten!
Er war einer Ohnmacht nahe und begriff noch kaum die Gefahr, der er so eben entgangen, während die Woge der Andrängenden ihn fortschob, als ein wilder zorniger Ausruf in englischer Sprache ihn gleichsam festbannte und allen Anstrengungen seiner Begleiterin energischen Widerstand leisten ließ.
Ein Blick nach der Mitte belehrte ihn, daß in diesem Augenblick
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der englische Matrose sich unter den Händen der Chams befand, die ihm seine Kleider vom Leibe rissen und schnitten.
Auf irgend eine Weise war es der ehrlichen Theerjacke gelungen - wahrscheinlich durch die Kraft seiner Zunge und die Gewohnheit, sein Prüntje im Mund umherzurollen - sich des Knebels zwischen seinen Zähnen zu entledigen, und ein Strom von Verwünschungen folgte dem Ausspeien des bisherigen Hindernisses.
Der Mann war ein Irländer - in seiner besten Kraft und athletisch gebaut. Es ist selten, daß die Thugs ihre Opfer unter den Europäern suchen - theils weil sie dieselben als zu arm für ihre Raubgier halten, theils weil sie wissen, daß sie gewöhnlich gut bewaffnet sind und daß ihr Verschwinden strengere Nachforschungen der Behörden veranlaßt, als das spurlose Abhandenkommen eines Eingeborenen. Wenn aber ihre Habsucht besonders unvorsichtig gereizt wird oder der Zufall einen Weißen der Art in ihre Hände liefert, daß sie Nachforschung und Entdeckung nicht zu besorgen brauchen, so nehmen sie keineswegs Anstand, auch das Leben von Europäern ihrer Göttin zum Opfer zu bringen. Nie aber wird dabei das Blut weißer Menschen vergossen, da der Aberglaube herrscht, daß das Blut der Weißen der Bhawani nicht wohl dufte.
Der unglückliche Seemann war höchst wahrscheinlich bei einer Kreuzfahrt in den Höhlen des Lasters im Hafen außer Sicht und Hilfe seiner Gefährten gekommen, hatte die Habgier einiger Würger durch die prahlerische Vergeudung seiner Guineen rege gemacht und war von ihnen weiter nach einem Schlupfwinkel gelockt worden, wo sie sich seiner im Schlafe bemächtigten. Gerade des mühseligen Werkes willen, das sie sich als Verdienst anrechneten, hatte der Trupp, der ihn gefangen genommen, dies Opfer bis in die Einöden der Thur und zu den unterirdischen Kerkern der Felsenburg mit sich geschleppt.
Die starken Bande um seine Füße und Hände bewiesen, wie sehr sie der riesigen Kraft des Seemanns, wahrscheinlich nicht ohne einige gemachte bittere Erfahrungen, jetzt mißtrauten.
»Stop! halt! Ihr verfluchtes, braunhäutiges, nacktbeiniges Lumpengesindel!« brüllte der unglückliche Pad. »Schämt Ihr
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Euch nicht, einem Mann seine Hose von den Beinen zu hissen daß sein Wetterbug den Leuten vor die Augen kommt? - Fie! O ich wollt' Dich, Du verfluchter schwarznasiger Schuft, wenn ich nur drei Glockenschläge Zeit und einen anständigen Prügel in der Rand hätte! - Heiliger Patrik - was wollen die schwarzen Teufel noch von 'nem ehrlichen Kerl, dem sie all' sein Geld gestohlen haben? - So, Du Halunke« - er versetzte dem Mörder, der seine Beine aufhob, einen so kräftigen Tritt vor den Leib, daß dieser, wie von einer Kanonenkugel getroffen, bewußtlos zu Boden stürzte - »das wird Dich lehren, einem braven Matrosen an den Bug zu kommen. Ich will ein Jahr lang meine Grog-Ration von jedem Schiffsjungen trinken lassen, wenn die fatanischen Teufelskinder meiner Mutter Sohn nicht am Ende abschlachten wollen, wie ein Huhn auf dem Mist. Zum Teufel mit Euren Stricken - wenn ein rechter Kerl unter euch Gesindel ist, so mög' er sie auf einen Augenblick losbinden, und bei der Liebe Gottes - wir wollen eine ehrliche Schlägerei halten, wie bei Evy Flanagans Hochzeit, oder wie damals, als wir die Russen aus den Laufgräben schlugen! - Feigherziges Lumpengesindel! nicht 'mal einen Faustschlag wollen sie 'nem Mann gestatten, bevor sie ihm den Leck zwischen die Rippen geben!«
Unter diesen und ähnlichen Verwünschungen hatte der kräftige Matrose so rüstig, als es ihm seine Bande erlaubten, gegen die Ueberzahl gekämpft und mit Armen und Beinen um sich geschlagen, bis es seinen Gegnern gelungen war, ihm die ersteren auf den Rücken zusammenzuschnüren. Plötzlich brach er - trotz der furchtbaren Umgebung und obschon ihm selbst über seinen Tod kein Zweifel mehr sein konnte - in ein schallendes Gelächter aus. Es war ihm gelungen, bei dem Bemühen der Mörder, ihn auf das Piedestal des Götzenbildes zu heben, dem Häuptling der Phansigars nahe hinzu getreten, einen so gewaltigen Stoß zu versetzen, daß dieser über den Tiger, der hinter ihm stand, hinwegstürzte, die Bestie mit sich zu Boden riß und mit dieser sich auf der blutgetränkten Steinschwelle zwischen den aufgehäuften Schätzen umherwälzte.
»Hey! Gott verdamm' Deine blutigen Augen und Deine gräuliche Katze dazu, Du weißverhüllter Schlingel!« schrie Pad,
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»Vater O'Toole, der gewiß gern eine hübsche Anzahl Messen für meiner armen Seele Seligkeit lesen würdde, wenn er nur wüßte wie sein Beichtkind hier umgekommen, hat immer gesagt, ich hätte meine Stärke in den Beinen und nicht im Kopf. Ich wollte nur es machte ein Christenmensch mir die rechte Vorderflosse frei, ich wollt Euch die fünf Finger in die Zähne setzen, daß Ihr 'nen Jibbaum für den Besanmast ansehen solltet!«
Der Phansigar hatte sich wüthend aufgerafft und, das goldene Halsband, das den Nacken seines gefährlichen Begleiters umgab, erfassend, wollte er, wüthend über den erlittenen Schimpf, den laut brüllenden Tiger auf den Unglücklichen werfen, von dem bei dieser drohenden Bewegung die ihn festhaltenden Priester eilig zurückflohen, als der Ober-Guru sich zwischen sie stürzte.
»Zurück, Sohn der Bhawani,« hörte der Deutsche die ihm nicht unbekannte Stimme befehlen; »nur das Blut der Kinder des Ostens darf fließen zu Ehren der Göttin, und dieses Mannes Schicksal ist bestimmt! Wo bist Du, grimmiger Rostagana, damit Du Dein Opfer empfangest aus den Händen des Guru?«
Und ein kicherndes, heiseres Lachen erscholl und hinter den Krallenfüßen des Götzenbildes hervor kroch der teuflische Zwerg, hockte nieder vor dem unglücklichen Seemann und begann seine Ungeheuer unter dämonischen Ceremonieen hin und her zu schwingen.
Der arme Bursche, der dem Tode so muthig bisher getrotzt, zitterte am ganzen Leibe bei diesem scheußlichen Anblick - alle Kraft des Widerstandes war gebrochen und er lag still, ohne auch nur den Versuch einer Flucht zu machen. Seine Augen schienen aus den Höhlen hervorzuquellen, so entsetzt starrten sie auf den Zwerg und die züngelnden Cobra's!
»Jäsus - Gott mein Härre,« stammelte der Unglückliche, dessen Verstand sich zu verwirren begann - »so bin ich wahrhaftig nicht unter einer Bande blutiger Schufte, sondern geradezu in der Hölle angekommen, wie Pater O'Toole mir oft genug prophezeiht hat! - O meine Seele, das ist wahrhaftig der leibhaftige Teufel, wie ich ihn vor mir seh, und das sind seine Gesellen! - Heilige Mutter Gottes sei mir erbärmlichen Sünder gnädig!« und sein Gebet verlor sich in unverständliches Lallen.
Der Zwerg schien mit teuflischem Vergnügen den Seelenqualen
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und dem Entsetzen des Aermsten zu lauschen, denn er wiegte sich noch immer wollüstig hin und her, schnitt ihm scheußliche Fratzen und näherte und entfernte die Köpfe seiner Ungeheuer dem Gefolterten, daß ihre Zungen immer heißhungriger umher fuhren und ihr giftiger Brodem jenem den letzten Rest von Bewußtsein raubte. Dann - -
Ein entsetzlicher, gellender, furchtbarer Schrei erfüllte den kolossalen Raum - so furchtbar, so entsetzlich, daß selbst das mordgewohnte Herz der Thugs einen Augenblick erkaltete, und ihr unheimlicher, jetzt wie die Wogen des Meers mächtig erschwellender Gesang einen Moment lang schwieg. - -
Und dann ein zweiter, eben so entsetzlicher, so gellender, so furchtbarer Schrei - die zweite der Schlangen hatte von der tückischen Hand des Unholds geleitet, ihre spitze Zunge in das andere Auge des unglücklichen Mannes gebohrt!
»Balu, du Liebliche, und du Heikate, mein Goldlämmchen,« jubelte der Zwerg - »saugt, saugt an dem Hirn des weißen Mannes! Lustig ihr Lämmchen, gebt ihm den Tod! den Tod! den Tod!«
Walding hörte längst das Entsetzliche nicht mehr - der erste Schrei des Unglücklichen traf ihn schon unter den Wölbungen eines düstern Ganges. Mit Gewalt hatte er sich Anfangs hindurchdrängen und dem unglücklichen Europäer zu Hilfe eilen wollen, aber sein Ruf war in dem Brausen der Menge verschollen, eine Mauer von Leibern keilte sich zwischen ihn und den Unglücklichen und vergeblich war all' sein Ringen, während die Bayardere ihren Arm um seinen Leib schlang und ihn mit der Gewalt der eigenen Todesangst jetzt weiterriß.
Zum Glück für sie war die Menge zu sehr mit dem entsetzlichen Schauspiel in ihrer Mitte, mit der blutigen Salbung der Chams und mit ihren eigenen dämonenartigen Sprüngen und Bewegungen beschäftigt, um auf das Paar und sein Ringen zu achten. Erst in der Tiefe eines Seitengewölbes, wohin der Flammenschein der großen Höhle nur dämmernd drang, und das teuflische Lärmen wie summendes Getön klang, hielt die Bayadere inne.
»Wahnwitziger Christ ... was hätte das Opfer Deines Lebens genützt unter diesen Hunderten? Kannst Du die Woge
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hindern, zum Strande zu rollen, den Orkan fesseln, daß er seine Wuth nicht vernichtend ergieße über das weite Land? - Herrscher wollt Ihr sein und ein Herz von Stahl haben, das eine Welt erobert und regiert, und Eure Nerven sind so schwach, daß ein Tropfen Blut sie entsetzt! das Blut Derer, die Ihr doch täglich und stündlich grausamer mordet, als der Thug mit seinem Messer oder seinem Tuche es thut! - Fort mit dem thörichten Mitleid - die Kraft des Mannes besteht nicht allein in dem Muth, zu handeln und sich zu opfern, sondern auch, das Unvermeidliche geschehen zu lassen! - Das Entsetzliche für Deine Augen ist überwunden, jetzt gilt es zu retten, ehe es zu spät ist!«
Sie zog aus ihrem Gewand eine Rolle fester Schnur, knüpfte das Ende an einen der hervorspringenden Felszacken und gab den Faden in die Hand des Arztes.
»Die Gänge und Windungen dieser Höhlen,« sagte sie, »sind so verschlungen, daß Keiner, der sie nicht genau kennt, sich in ihnen zurückfinden könnte. Ein Zufall vermöchte uns zu trennen; - in diesem Fall wird die Schnur in Deiner Hand das Mittel sein, Dich zurückzuführen zur Opferstätte, von der Du unbesorgt den zum Tageslicht Emporsteigenden folgen kannst. Die Augenblicke sind kostbar für unser Wagniß - lege die Hand auf Deine Waffen, fasse mein Gewand und folge mir!«
Ohne Gegenrede that der Deutsche, wie ihm geboten, und eilte hinter der Flüchtigen her, in der Linken den Faden, den er sorgfältig sich abwickeln ließ.
So rannten sie durch mehrere sich kreuzende Gänge, die von Strecke zu Strecke in einer bestimmten Richtung durch einzelne Fackeln erhellt waren.
Schon seit einigen Augenblicken glaubte Walding ein Rauschen und Brausen zu vernehmen, das ihn vermuthen ließ, sie näherten sich wiederum dem furchtbaren Opferplatz. Aber das immer mächtiger anschwellende Getön erwies sich bald als ein anderes - und als sie eine Anzahl von etwa sechszig Stufen am Ende eines Ganges herabgestiegen waren, erscholl das Brausen mit furchtbarer Gewalt über ihren Häuptern, Wasserstaub sprühte umher und drohte ihre Lampen zu verlöschen, und als Walding die seine geschützt emporhob, erkannte er sich am Fuß eines
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furchtbaren Abgrundes, in den über sie hin aus der Felswand ein mächtiger Wasserkatarakt sich stürzte.
Das Getöse war so gewaltig, daß die Bayadere ihren Mund an sein Ohr legen mußte, um ihm zu erklären, daß hier der unterirdische Ausfluß der Gewässer sei, welche von den Gebirgswänden des schönen Thales von Malangher in den kleinen See in dessen Mitte strömten, dessen Wasser in unerklärter Weise dort wieder verschwand.
Zur Seite der stürzenden Fluth, auf dem Plateau, auf dem die Eilenden sich befanden, bemerkte Walding seltsame, wie große Tonnen geformte Gegenstände stehen - doch blieb ihm keine Zeit, seine Begleiterin nach deren Zweck zu befragen, denn unaufhaltsam zog diese ihn weiter und bald lag der Wasserfall hinter ihnen.
»Jetzt,« sagte Anarkalli, und die Hand, die den Gefährten hielt, krampfte sich fester, ihre Augen funkelten entschlossen im Schein der Lampen - »gilt es zu zeigen, daß Du ein Mann bist. Wir sind im Augenblick zur Stelle, aber unser Nahen deckt das Rauschen des Wassers. Der Ort, wo die Gefangenen aufbewahrt werden, liegt hinter jener Windung des Ganges - doch zwei Wächter stehen an seinem Eingang und müssen ihrer Göttin zum Opfer fallen, ehe wir zu Jenen gelangen können. Brauche Deine Waffen ohne Besorgniß, gehört zu werden, wenn Du siehst, daß ich mich auf den Einen von ihnen stürze!«
»Ein Ueberfall - ein Mord hinterrücks ...« erwiederte der Arzt entsetzt.
»Zehnfacher Thor - morden sie nicht Deine Brüder heimlich - ist es Schande, wenn der Jäger den auf Beute schleichenden Tiger aus seinem Versteck niederschießt?«
Der Arzt fühlte die Nothwendigkeit, die Thorheit ritterlicher Gesinnung solchen Gegnern gegenüber und versprach zu gehorchen. Die »Granatblüthe« löschte ihre Lampe aus, nachdem sie einen malayischen Dolch aus ihrem Gewand gezogen und Walding seinen Revolver gespannt hatte - dann schlichen sie oder krochen vielmehr in der Dunkelheit vorwärts.
Sie mochten etwa fünfzig Schritt zurückgelegt haben, als ein neues Bild sich ihnen bei einer Biegung des Felsenganges entrollte.
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Vor ihnen, in der Entfernung von kaum zwanzig Schritten öffnete dieser sich zu einer, wenn auch nicht so umfangreichen, wie die Opferhöhle, doch geräumigen und eben so hell erleuchteten Grotte, die in dem Licht der brennenden Wachsfackeln und Harzbecken in blendendem, grünlichem Goldglanz strahlte.
Die sorgfältig behauene Decke des Gewölbes zeigte die prachtvollste Erzbildung, die Walding noch je gesehen. Reiche Gold- und Kupferadern zogen überall durch das Gestein und die Myriaden kleiner Metallschiefer blitzten und spiegelten im Feuerschein daß man Aladin's Zauberhöhle zu sehen vermeinte.
Dieser Pracht gleichsam zum Hohn lag am Boden dieses Gewölbes eine Anzahl von nahe an fünfzig menschlichen Wesen im bittersten Jammer der Gefangenschaft, jeder einzelne gebunden an Händen und Füßen, wie die Opfer zum scheußlichen Altar geschleppt worden.
Obschon der Knebel ihren Mund noch nicht verschloß, lagen die Meisten von ihnen doch stumm, in orientalischer Ergebung in ihr Schicksal, auf der Erde - nur einzelne Jammerlaute wurden von Zeit zu Zeit von den Jüngeren und Schwächeren vernommen, denn Menschen von jedem Alter und jeder Kaste, selbst einige Frauen, befanden sich in dieser Vorrathskammer des schrecklichen Opfertodes.
Die Tänzerin berührte mit ihrer kalten zitternden Hand die ihres Gefährten und wies nach einer Seite des glänzenden Kerkers hin.
Deutlich konnte Walding dort die Kleidung eines Europäers erkennen - ja er glaubte ein europäisches Frauengewand nahe derselben Stelle zu bemerken.
An dem thorartigen Eingang lehnten gleich Schatten auf hellem Grund zwei bewaffnete Thugs, Bildsäulen gleich.
Nur wenn einer oder der andere der Gefangenen - von brennendem Durst gefoltert - nach Wasser rief, bewegte sich einer der Wächter von seinem Posten, füllte eine Schaale aus einem großen in der Mitte des glänzenden Kerkers stehenden Gefäß und hielt dies dem Verschmachtenden an den Mund.
In diesem Augenblick, als die Bayadere noch einmal bedeutungsvoll dem Deutschen die Hand drückte und dann, einer
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Schlange gleich, vorwärts glitt, standen beide Wächter unbeweglich am Eingang.
Walding hatte sich über das Verfahren, das er innehalten wollte, entschlossen. Leise hob er die Kaputze in die Höhe, um bei dem verstehenden Kampfe besser sehen zu können, und hielt die gespannte Pistole in der Hand, bereit im Augenblick vorzuspringen.
Plötzlich wandte sich der Eine der Thugs um, er glaubte ein Geräusch in dem Gang gehört zu haben. Im selben Augenblick war das Mädchen, am Boden fortkriechend, an die Seite des Andern gelangt, hob sich mit Blitzesschnelle in die Höhe und stieß ihm den Malayendolch bis an's Heft in die Seite. Dann, ohne sich um den Erfolg zu kümmern, stürzte sie in das Gewölbe.
»Bei der Devy! ich bin ein Todter! Feinde! Feinde!« schrie der getroffene Mahratte, indem er taumelnd nach seinen Waffen griff, aber in dem Bemühen zu Boden stürzte. »Das Seil! das Seil!«
Vor dieses, das aus einer in der Mitte der Decke gähnenden Oeffnung herabhing, und zu einer mächtigen Glocke in einer der obern Felsenetagen führte, deren Klang sofort Hilfe herbeigerufen hätte, stand Anarkalli, mit geschwungenem Dolch, entschlossen, mit ihrem Leben jede Annäherung daran abzuwehren.
In dem Augenblick, wo Walding den Wächter getroffen sah und seinen Ruf hörte, war er gleichfalls vorwärts gesprungen und im Licht der Felsenspalte erschienen.
Einen Moment lang zögerte bei dieser Ueberraschung der zweiie Thug, ob er zu dem Seil eilen oder den zweiten Feind niederschlagen solle - dann wandte er sich mit dem gellen Kampfschrei der Thugs: »Bajid! Deo!« ihm entgegen und hob die schwere Dschambea zum tödtlichen Schlage.
Der Schuß des Deutschen dröhnte durch die Wölbung - die Kugel hatte ihr Ziel getroffen und die Brust des Mörders durchbohrt, der in die Kniee sank. Bei diesem Anblick flog die Bayadere herbei, und ehe Walding sie daran zu hindern vermochte, fuhr ihr Stahl über die Kehle des Wächters und vollendete sein Werk.
»Sie oder wir,« sagte das Mädchen fest, »keine Lippe darf verkünden können, was hier geschehen! Aber bei Ganesa, dem Gott
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der Weisheit, lege das Tuch um Dein Haupt, ehe Du einen Schritt weiter gehst, denn Niemand soll wissen, daß Du in dieser Höhle des Todes gewesen, oder das Verderben würde sich an Deine Fersen heften. Unser Werk ist erst zur Hälfte gethan - komm!«
Mit zwei Sprüngen war sie an der Seitenwand des Kerkers, knieete neben einer der dort liegenden Gestalten nieder, und der Dolch, der so eben noch in das Blut ihrer bisherigen Gefährten sich getaucht gehabt, durchschnitt die Fesseln der Glieder.
»Stehe auf, Sahib,« sagte sie, »die Dich in das Verderben geführt, wird auch Dein Leben wieder erretten!« Sie schlug die Kaputze von ihrem Antlitz zurück.
Der Befreite war ein junger Mann von etwa dreiundzwanzig Jahren, mit kühnem, offenem Gesichtsausdruck und, wie er jetzt aufrecht stand, militärischer Haltung, obgleich er einen einfachen Jägerrock, ähnlich der Kleidung Waldings, trug. Wer der tapfern Vertheidigung der einsamen Posada von Monaco in der Wildniß der Apenninen gegen die Banditen vor fünf Jahren beigewohnt hatte, würde leicht in diesen von der Sonne Indiens gebräunten, männlicher gewordenen Zügen einen der jungen, übermüthigen, aber wackeren Engländer wiedererkannt haben.
Das Erste, was der junge Mann that, war, der Tänzerin, ohne sie eines dankenden Blickes zu würdigen, den Dolch aus der Hand zu reißen, einige Schritte zur Seite zu springen und die ähnlichen Fesseln der dort halb bewußtlos ruhenden Gestalt zu durchschneiden und dieselbe emporzurichten und an die Felsenwand zu lehnen. Dann stellte er sich vor sie, den Dolch in der Hand, und seine flammenden wild umhergeworfeuen Augen verkündeten, daß er auf jeden Angriff gefaßt sei.
Die Gestalt, welcher der gefangene Brite eine so sorgfältige Aufmerksamkeit bewies, zu deren Schutz er sein Leben zu opfern bereit schien, war ein junges jetzt todesbleiches Mädchen, offenbar seine Landsmännin.
Mühsam nur erhielt, an den linken Arm ihres Befreiers sich anklammernd, die von Angst und Schrecken erschreckte Gestalt sich aufrecht. Ihr reiches blondes Haar fiel ungeordnet und wirr auf ihre Schultern, ihre einfache, aber den gebildeteren und höheren
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Ständen angehörende Kleidung war an manchen Stellen zerrissen - blutleer Wange und Lippe, und das große blaue Auge halb geschlossen von den müden Wimpern und ausdruckslos, aber ein eigenthümlicher Zauber von Sanftmuth und Jungfräulichkeit lag über dem ganzen Aeußern des jungen kaum siebenzehnjährigen Mädchens dem ein so entsetzliches Schicksal bevorgestanden.
»Kommt heran, blutige Mörder,« rief der junge Soldat mit entschlossenem Ton. »Nicht lebendig sollt Ihr mich und dieses Wesen von dieser schrecklichen Stätte weiter schleppen! Nur ein Mal können wir sterben.«
Die Bayadere, ohne Rücksicht auf die Folgen, warf die Hülle zurück, die ihr Haupt deckte. Ihr dunkles Auge sprühte in eifersüchtigem Feuer, als es sich auf das bleiche weiße Mädchen richtete, das der Mann, den sie liebte, so eifervoll vertheidigte.
»Erkennst Du mich?«
»Falsche! Schändliche! Du bist es, welche meine Thorheit mißbrauchte, die mich in die Hände der Unholde lieferte! Du kommst hierher, um Dich an den Leiden Deines Opfers zu laben - fort von mir!«
Sie senkte einen Augenblick das Haupt, wie vernichtet von dem Vorwurf; dann erhob sie es wieder, stark und entschlossen.
»Weißt Du, was mit Deinen zehn Gefährten in diesem Augenblick geschieht, welche die Finsteren, denen das Schicksal mich beigesellt, von dieser Stätte gestern entfernt haben?«
»Was kann ihr Schicksal in den Händen solcher Menschen wohl anders sein, als der Tod - wir sind auf das Schlimmste gefaßt!«
»Thor - nicht auf die Wirklichkeit, die schrecklicher ist, als Dein Geist sie zu malen im Stande. Gräßliche Marter wird Dein Hirn verzehren und jedes Deiner Glieder tausendfache Pein erleiden. Ich, ich - die ich Dich liebte, die Dir Verderben gebracht - ich kann Dich erretten. Ueberlaß Jene dort dem Schicksal, das Schiwa ihr bestimmt, und folge uns!«
»Wer bürgt mir für Deine Aufrichtigkeit nach dem schändlichen Verrath, den Du an mir begangen?«
»Ein Landsmann - ein Europäer,« sagte der Arzt. »Ich
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bin Zeuge, daß Anarkalli ihren Verrath bitter bereut hat, daß sie unter hundert Gefahren diesen Versuch unternommen, Sie zu befreien. Und der Tod Ihrer grausamen Wächter muß Ihnen beweisen, daß wir Ihre Freunde sind, daß es uns Ernst ist mit unserer Hilfe!«
Der junge Offizier sah erstaunt auf den Verhüllten, dessen Sprache und Worte ihn so unerwartet als einen Europäer erwiesen.
»Großer Gott,« rief er bewegt, »wenn Sie ein Christ, wenn Sie ein Engländer sind, so dürfen Sie uns in dieser schrecklichen Noth nicht verlassen. Mein Name ist Stuart Sanders, Lieutenant in Ihrer Majestät 84. Regiment. Ich bin auf einer Reise nach dem Pendschab von meinen Gefährten ab- und in die Hände von Menschen gelockt worden, deren Zwecke mir unbekannt sind, aber nur verbrecherisch sein können!«
»Sie sind in der Gewalt der Thugs, Sir!«
»Ich ahnte es. Aber Sie, mein Herr - wer sind Sie, und welche Macht haben Sie über diese Mörder, die uns retten könnte?«
»Leider keine - ich selbst bin eine Art Gefangener und kann Ihnen nur die Hilfe bieten, die Muth und Kraft eines einzelnen Mannes gewähren können. Ihre Befreiung sowohl als meine Rückkehr aus diesen entsetzlichen Höhlen hängt von dem guten Willen und der Umsicht dieses Mädchens ab, das mich hierher gebracht hat, Sie retten zu helfen!«
Der junge Offizier betrachtete Anarkalli von der Seite - ihre Augen waren noch immer trotzig und finster, auf ihn und die junge Dame gerichtet.
»Wohl,« sagte er endlich, »ich will es glauben, daß Sie Beide es ehrlich meinen und Ihnen trauen. Aber ich bin Mann und Soldat und weiß der Gefahr und dem Tod in's Auge zu sehen. Wenn Sie nicht uns Alle zu retten vermögen, so retten Sie diese unglückliche Dame, die Nichte des Generals Wheeler, die, von den Mördern geraubt, ich in diesem Kerker gefunden habe. Retten Sie diese und seien Sie sterbend meines Dankes gewiß!«
Die Tänzerin faßte leidenschaftlich seinen Arm.
»Die Minuten sind gezählt - jede Versäumniß kann uns
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Allen den Tod bringen. Was geht das bleiche Weib mich an? Dich will ich retten, Dich allein! Anarkalli's Brust ist bereit, den Todesstreich für Dich zu empfangen oder Dich zu neuem Leben zu erwärmen. Folge mir, o folge mir schnell!«
Sie warf sich nieder zu seinen Füßen und umklammerte seine Kniee.
»Nicht ohne diese Dame!«
Dämonische Flammen sprühten aus den Augen der Bayadere, als sie wild emporsprang.
»Bei der blutigen Göttin, der ich Dich entreißen wollte - Du liebst dieses Weib, Faringi?«
»Was würde es Dich kümmern?«
»Bei der Devy sei es geschworen - nimmer sollst Du sie besitzen - ehe möge der blutige Altar Euch Beide empfangen! An diesem Herzen hast Du geruht, dieser Leib war der Deine, Liebe hast Du mir geschworen und keiner Andern sollst Du gehören, falscher Faringi! Komm!«
Sie wollte stürmisch den Arzt mit sich davon ziehen.
Waldings Blicke ruhten mit inniger Theilnahme auf dem lieblichen blassen Gesicht der Halbohnmächtigen, die einem so scheußlichen Loos verfallen sein sollte.
»Wenn Sie ein Christ, wenn Sie ein Mann sind,« flehte der Offizier, »so verlassen Sie uns nicht in dieser Noth! Retten Sie die Lady!«
Der Deutsche machte sich gewaltsam los von der Hand der Eifersüchtigen.
»Du bist ein Weib, Anarkalli, und hast die Gefühle eines Weibes,« sagte er. »Kannst Du Eine Deines Geschlechts, eine Unschuldige, Hilflose, einem so gräßlichen Schicksal überlassen?«
»War die Begum, die auf dem Altar im Todeskampfe sich wand, nicht gleichfalls ein Weib und schuldlos? was kann ich dafür?« zürnte die Tänzerin.
»Habe Erbarmen - auch ich kann diese Unglückliche nicht verlassen, wenn ich auch unser Verderben vor Augen sehe!«
»Er liebt sie - der Faringi liebt sie!« Ihr Ton war heiser und zischend, man fühlte, daß das bessere Gefühl in ihrem Busen mit der Leidenschaft rang.
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»Ich habe die Lady hier in diesem scheußlichen Kerker zum ersten Mal gesehen!«
»Sprichst Du die Wahrheit, Christ?«
»Bei meiner Ehre - bei der Hoffnung meines Glaubens!«
»Komm hierher - überlaß das Weib diesem da -« Sie wies auf ihren Begleiter - »er wird für sie Sorge tragen.«
Mit Gewalt zerrte sie den jungen Offizier von dem Mädchen hinweg, dem Walding seinen Arm bot, sich darauf zu stützen. Ein Gefühl warmen innigen Mitleidens und fast zärtlicher Theilnahme überkam sein Herz, als er auf die zitternde Gestalt, in das mit Furcht und mit Flehen auf seine Verkleidung blickende blaue Auge schaute, das in Thränen der Angst und neuer Hoffnung schwamm.
»O Herr, den Gott uns zum Retter gesandt,« flüsterte sie, »wer Sie auch sein mögen, verlassen Sie uns nicht in dieser entsetzlichen Stunde!«
»Nie - so lange Leben in mir ist, ich gelobe es Ihnen!« Er schwor es sich zu in diesem Augenblick in seinem Herzen.
Während dieser kurzen Momente waren rasche, heiße Worte gewechselt worden zwischen der Bayadere und dem englischen Offizier.
»Höre mich an, Faringi,« flüsterte das Mädchen, das ihn zu den Leichen der beiden Wächter gezogen hatte, »die Frauen dieses Landes lieben nicht wie die Deinen, in deren Adern eisiges Blut rinnt. Mein bist Du, denn ich habe Dich erkauft mit dem Bruch heiligen Eides, mit der Strafe Jahrtausende langer Wandlungen nach diesem Leben! Niemals, niemals kann meine Liebe von Dir lassen, aber Tod und Verderben würde sie Jedem bringen, der Dich mir entreißen wollte! Schwöre mir, mich zu lieben - immer - unverändert - keine Andere, und ich werde Dich retten und Jeden, den Dein Gebot mir bezeichnet!«
Der Offizier zauderte einen Augenblick - sein Blick schweifte unwillkürlich hinüber nach der jungen Engländerin.
»Du willst nicht? - Fluch und Verderben über Dich und sie - über Alles, was athmet!«
»Ich schwöre!«
Eine wilde Freude loderte in ihren Augen. Leidenschaftlich
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warf sie sich in den Staub vor ihn und umfaßte und küßte seine Füße.
»Ich bin Deine Sclavin, Sahib, von diesem Worte an, der Hauch Deines Mundes, der Schatten Deines Leibes! - Komm - denn die Zeit ist da!«
In triumphirender hochaufgerichteter Haltung sprang sie empor und zog ihn hin zu dem Arzt und der Engländerin »Ich werde Euch Beide retten, aber es ist nöthig, daß Ihr blind jedem meiner Worte folgt, so seltsam meine Weisung auch klingen möge. Dein Wille, daß dieses Mädchen uns begleite, macht eine Aenderung meines Planes nothwendig. Jetzt fort von hier, denn die Minuten sind kostbar. Nehmt die Waffen der Erschlagenen und folgt mir!«
»Anarkalli,« sagte der Offizier, sie noch ein Mal zurückhaltend, »sollen wir alle diese Unglücklichen einem schrecklichen Schicksal überlassen - können wir Nichts thun, sie zu retten?«.
Sie stand einen Augenblick sinnend, die kleine Hand an die Stirn gepreßt, dann schien ein Gedanke sie zu durchzucken.
»Retten? das ist unmöglich - aber ihnen die Mittel geben, um ihr Leben zu kämpfen und sich zu rächen - ja, bei Yama, dem Mutter der Todten - das ist ein glücklicher Gedanke und wird uns helfen!«
Sie sprang zum nächsten der Gefangenen und durchschnitt rasch die Bande seiner Hände und Füße, der Lieutenant und der Arzt folgten ihrem Beispiel und selbst die junge Miß suchte mit zitternden Händen zu helfen. Ehe fünf Minuten vergangen, waren Alle ihrer Fesseln entledigt und drängten sich jetzt um die Befreier, denn die apathische Ruhe, mit der sie, dem morgenländischen Charakter gemäß, ihrem Schicksal sich unterworfen hatten, machte einer wilden, energischen Thätigkeit Platz, als so plötzlich ihnen die Gelegenheit wurde, ihre Lebenskraft zu entwickeln.
Ein Wink Anarkalli's, deren Haupt wieder mit der Kaputze verhüllt war, versammelte Alle um sie her.
»Brüder,« sagte sie mit erhobener Stimme, »die Meisten von Euch werden wissen, daß sie in den Händen der Thugs, der unerbittlichen Mörder sind. Nur Eines bleibt Euch übrig: zu kämpfen, um Euer Leben und Euch zu rächen. Ich habe Euch
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befreit, aber ich vermag nur wenig mehr für Euch zu thun. Seht diese Schnur, nehme Einer sie in seine Hand; wenn Ihr derselben folgt, wird sie Euch zu dem Versammlungsort Eurer Mörder führen, die bereits Eure Gefährten ihrer blutigen Göttin geopfert haben. In der ersten Höhle zur linken Hand auf dem Weg, den Ihr verfolgt, findet Ihr Waffen, - aber Eines versprecht mir zum Dank, daß ich Euch das Mittel zu Kampf und Flucht gegeben - verlaßt diesen Kerker erst, wenn die Fackel, die ich in diese Felsenspalte stecke, völlig bis zu dem Stein niedergebrannt ist!«
»Und Du schwörst uns, daß die Schnur uns zu unseren Feinden führen wird?« fragte ein muhamedanischer Kaufmann aus Kashemir.
»Bei den neun Wandlungen Wischnu's! - Lebt wohl und möge er Euch allen gnädig sein!«
Sie legte die Schnur in die Hand des Kaufmanns, bedeutete ihn nochmals, wo sie die Waffen finden würden und zog die drei Europäer mit sich fort.
Sie schritten, von Anarkalli geführt, eilig den Weg zurück, den diese mit dem Deutschen nach dem schrecklichen Kerker gekommen war. Walding unterstützte die junge Engländerin, um die Eifersucht der Bayadere nicht noch mehr zu erregen, während die Letztere stumm und anscheinend noch mit sich selbst uneins, voranschritt.
Bald vernahmen sie auf's Neue das Brausen des Wasserfalls näher und näher, als die Tänzerin in einer Erweiterung des Gewölbes stehen blieb und ihre Gefährten dicht zu sich zog.
»Der Augenblick naht,« sagte sie ernst, »wo es gilt, Euren Muth und Euren Gehorsam zu zeigen. Nur das unbedingteste Befolgen jedes meiner Worte kann uns retten. Wenige Schritte - und wir müssen uns trennen; zwei von uns müssen einen abgesonderten furchtbaren Ausweg aus diesen Höhlen einschlagen, bei dem nur Besonnenheit und Glück ihnen helfen kann. Hast Du den Muth, mit diesem Mädchen allein durch die Masse der Mörder zurückzukehren?«
»Sie - allein - bedenke -«
»Der Pfad, den wir Beide gehen,« erwiederte kalt die Bayadere
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dem Offizier, »ist der Kampf um jeden Athemzug der Tod in dem Abgrund der Unterwelt, wohin nie das Licht, der bebende Hauch der Gottesluft dringt - hörst Du das Rauschen in Deinem Ohr?«
»Ein unterirdischer Wasserfall?
»Wohl - seine Fluthen sind der Weg, dem wir uns anvertrauen müssen. Was sind die Gefahren menschlicher Wuth und Tücke gegen die unsichtbaren Schrecken der Tiefe. Oder fürchtest Du, mit Anarkalli zu sterben, wenn der Augenblick des Todes gekommen?«
Er schauderte und beugte einwilligend sein Haupt. Editha aber reichte der Hindu die Hand.
»Ich vertraue Dir,« sagte sie, »was Du über mich bestimmst, soll geschehen - was sollte das Verderben eines armen Mädchens Dir nützen, das Dich nie beleidigt.«
Mehr als alle Worte der Männer wirkte die einfache Rede der Jungfrau auf die Bayadere. Sie preßte die dargebotene Hand an Brust und Stirn. »Möge Dein Schatten lange dauern, JUngfrau, und die Blume Deines Herzens nimmer den milden Thau des Glückes vermissen,« sagte sie. »Cama, der Gott der Liebe, wird Deine Wege leiten und uns in wenig Stunden den goldenen Sonnnenschein wieder theilen lassen. Folge mir hinter diesen Felsen, damit wir eilig die Gewänder wechseln und die Augen der Männer uns nicht beleidigen.«
Als sie nach wenig Augenblicken hinter den Vorsprung wieder hervortraten, hatten die beiden Mädchen so vollständig als möglich ihre Kleider getauscht, und die Lady erschien in der Verhüllung der Theilnehmer des blutigen Opferfestes.
Die Bayadere trat zu dem Arzt. »Kröne das Werk Deines Muthes, Hakim33 der Franken,« sagte sie, »indem Du Vorsicht und Entschlossenheit die Begleiter Deines Weges sein läßt. Die Gefahr, die Ihr zu bestehen habt, ist dann nur gering. Diese Schnur führt Dich, wie Du weißt, zu der Opferhöhle der Thugs. Das Opfer für die dunkle Göttin wird beendet sein und Du findest ihre Jünger in wildem Rasen, in dem man Deiner und
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Deiner Begleiterin nicht achten wird. Merke die Richtung wohl und dringe durch die Menge zu der gegenüberliegenden Seite der Höhle, von welcher wir gekommen. Dort mußt Du der Dinge harren, die sich ereignen werden - bald wird der Kampf jener Männer beendet sein, denen wir die Freiheit gegeben; ihr Entkommen ist unmöglich, aber ihr Tod wird Euch retten. Sind sie besiegt, so werden die Thugs sich zerstreuen, denn nicht darf der junge Tag sie in diesen unterirdischen Gewölben finden. Folge schweigend den Ersten, die den Gang betreten, aus dem wir gekommen; sie werden Dich bis zum Grabmal Nurheddins in der Pagode geleiten, von wo aus Du leicht den Kiosk, Deine Wohnung, erreichen kannst. Viele Fremde befinden sich auf der Burg Malangher; wenn Gefahr oder Zweifel Dir aufstößt, so mache dem ersten Begegnenden das Zeichen des Bundes, das ich Dich gelehrt und sprich: »O Kaley! Ombra Nurheddin!« und sie werden Euch für fremde Brüder halten und den Weg zeigend vor Euch her schreiten. Habt Ihr glücklich den Kiosk gewonnen, so hülle diese Jungfrau mit den Goldhaaren in die Gewänder, die ich zurückgelassen, färbe ihre Füße mit dem Hennah und verbirg den Reiz ihres Angesichts in dichte Schleier. So wird sie für Anarkalli, die Abtrünnige, gelten, die ihr Erzeuger Dir zum Eigenthum gegeben. Morgen nach Sonnenaufgang wird Kassim Dich wecken, um die Reiter zu begleiten, die dem Srinath Bahadur entgegenziehen. Befiehl dem Mayadar streng, darüber zu wachen, daß Niemand Dein Gemach betritt und der falschen Anarkalli naht. Er wird gehorchen und den Weg zu ihr mit seinem letzten Blutstropfen vertheidigen. Murad Khan wird mit Euch zu Rosse ausziehen, den Radschah von Bithoor zu begrüßen. Er ist Dein Freund und wird Alles thun, was Du von ihm verlangst. Wenn Ihr das Felsenthor des Thales überschritten, dann bleibe unter einem Vorwand mit ihm zurück und fordere ihn auf, Dich an das Ufer des schwarzen Flusses zu führen, zu der Stelle, wo die sieben Dattelpalmen zwischen dem Felsgestein ihre Federkronen über die Fluth erheben - ist Wischnu, der Erhalter, uns gnädig gewesen, so wirst Du dort das Weitere von mir hören. Hat Schiwa sein Opfer gefordert, o Fremdling, so bete für Anarkalli und ihren Geliebten!«
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So zweifelhaft und gefährlich auch das Gelingen all' dieser raschen aber mit Entschiedenheit gegebenen Unterweisungen des Mädchens dem Deutschen dünken mochten, so fühlte er doch, daß er dem Glück oder vielmehr der Vorsehung den Ausgang überlassen müsse und dem leidenschaftlichen Wesen, welches ihn zu dem gefährlichen Abenteuer bewogen, nicht widersprechen dürfe.
»Aber wie wird es mir möglich sein, diese Unglückliche, Schuldlose aus den Mauern des entsetzlichen Schlosses zu befreien?«
»Ich vergaß, Dir das Mittel zu sagen,« entgegnete hastig die Bayadere. »Wenn Srinath Bahadur, den man Nena Sahib nennt, nach Malangher gekommen ist, so erkläre Deine Absicht, mit ihm zu ziehen, begieb Dich in seinen Schutz und gieb ihm dies Schreiben, ohne ihm zu sagen, von welcher Hand Du es erhalten. Es sollte jenem Mann seinen Schutz sichern, denn der Maharadschah ist ein Freund der Engländer, - jetzt möge es Dir und der Jungfrau helfen. Wenn der Bahadur es gelesen, wird er noch am selben Abend mit seinem Gefolge aufbrechen und weiterziehen; denn das Papier sagt, daß Einer, die er liebt, mehr als das Licht jeiner Augen, Gefahr drohe. Unter seinem Schutz wird es Dir leicht werden, die Faringi-Jungfrau aus der Veste Tukallah's zu führen, ohne daß dieser den Betrug merkt, denn was kümmert ihn das Schicksal der Tänzerin aus seinem Blut, deren Leib er zur Lust dem Fremden geschenkt hat. Und jetzt - lebe wohl, Hakim, und möge Lakschmi34 auf Deinem Wege Dich mit dem Füllhorn ihrer Gaben dafür überschütten, daß Du Einer, die verzweifelte, Deine Hilfe geliehen. Halte Deinen Eid des Schweigens, und Cama lasse unser Werk gelingen!«
Die Zeit, die sie zu diesen Anweisungen gebraucht, erlaubte keine längere Verzögerung, noch weitere Frage; eilig schritt sie voran und dem Orte zu, wo der unterirdische Strom aus der Oeffnung der Felsen hervorstürzte und in seinem Falle in die unergründliche Tiefe eben so geheimnißvoll wieder verschwand.
Worte zu wechseln war hier nicht mehr möglich, das Brausen des Wasserfalls verschlang jeden Ton.
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Anarkalli sprang zu den dunklen Gegenständen, die der Arzt auf dem Wege hierher in einer Felsengrotte bemerkt hatte und schleppte den größten derselben herbei.
Jetzt, im Lichte der Lampen, konnte Walding die Form näher erkennen, er hatte sich in der That nicht getäuscht: es war ein ziemlich großes, tonnenartiges Gestell von starken Stahlreifen, das sehr sorgfältig gearbeitet, durch den Druck der Federn sich zusammenknicken ließ und über das ein dunkler, zäher Stoff gespannt war.
Auf den Wink des Mädchens legten die Männer Hand an das ihnen noch immer unverständliche Werk - in einem Augenblick waren die Stahlreifen vollends gerichtet und befestigt und die nachgebende, dehnbare Masse darüber gezogen, - Walding überzeugte sich, daß es eine feste, zähe Gummischicht sei, von jenem elastischen, dehnbaren und festen Harz, das Indien uns sendet und das jetzt in Europa zu einem ausgedehnten Fabrikationszweig geworden ist.
Noch begriff er nicht den Zweck des seltsamen Geräths.
Die Hindu riß ihr Oberkleid ab, bedeutete Stuart, dasselbe zu thun, sprang schwindelfrei vor an den Rand der Felsplatte und tauchte die Kleider in die herabstürzende Fluth.
Dann legte sie ihre Lippen an das Ohr des Offiziers und schrie ihm - den Anderen unverständlich - einige Worte zu.
Walding sah den jungen Mann zum ersten Mal in diesen schrecklichen Gefahren erbleichen. Sein Haar schien sich zu sträuben, sein Auge starrte entsetzt bald auf die seltsame Tonne, bald auf die Tänzerin.
Diese hatte den Arzt durch Zeichen bedeutet und hielt mit seiner Hilfe die über die Länge des Fasses gehende Oeffnung der Gummidecke gewaltsam auseinander. Ungeduldig winkte sie mit dem Haupt.
Einen Blick warf der junge, muthige Mann umher, - es schien, als könne er selbst von dieser schrecklichen Umgebung nur mit Bedauern Abschied nehmen, - dann stieg er in die Oeffnung und Anarkalli bedeutete ihn, sich an zwei Ringen der Stahlreifen im Innern festzuklammern.
Das Faß, oder der tonnenartige Ballon, war im Innern
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groß genug, um Raum sogar für drei bis vier Menschen zu gewähren und mit Klammern und Ringen zum Festschnüren von Gegenständen versehen.
Walding schauderte - eisig kalt rieselte es durch seine Adern - er begann die furchtbar kühne Absicht des Hindumädchens zu ahnen ohne doch die ganze schreckliche Gefahr zu verstehen.
Anarkalli hatte jetzt ein Holz zwischen die Oeffnung gestemmt, - sie überzeugte sich, daß der Malayendolch in ihrem Gürtel fest steckte, brachte, wie vorher bei dem Offizier, ihren Mund an das Ohr des Arztes und gab ihm eine Weisung. Dann holte sie tief und schwer Athem, als wolle sie die frische, vom Wasser gekühlte Luft des Gewölbes in ihre Lungen pressen und schlüpfte mit der Gewandtheit einer Schlange in den Ballon.
Der Deutsche zauderte - auch sein Haar sträubte sich - seine Kraft schien nicht auszureichen zur Erfüllung des furchtbaren Befehls, der ihm geworden.
Da hob sich das Antlitz des Hindumädchens nochmals über den Rand des seltsamen Fahrzeuges, ihre Augen funkelten drohend, ihre Lippen bewegten sich, als sprächen sie von der Gefahr, die jede Sekunde Zögerung ihnen bringen müsse, als wollten sie ihn erinnern an seinen Schwur. Das Haupt verschwand, und entschlossen stieß die Hand von Innen das die Oeffnung aus einander sperrende Holz nach Außen.
Die Gummihülle sprang zum luftdichten Verschluß zusammen!
Walding begriff, daß jeder Moment ein Leben werth sei, und sein Fußstoß traf den Ballon.
Leicht rollte derselbe mit seiner lebendigen Last über den Felsengrund - im nächsten Augenblick war er in dem Schaum der Wasserkaskaden verschwunden.
Wäre es möglich gewesen, den Schrei des Entsetzens zu hören, den die Lady bei diesem Anblick ausstieß, er hätte des Deutschen Qual und Schmerz noch vermehrt.
Einige Augenblicke stand er bewegungslos, starr dem furchtbaren Fahrzeug nachschauend, das zwei Leben bereits wer weiß in welche unergründliche Tiefe geführt hatte. Der Sturz der Fluth war so rasch, daß seine Augen ihm nicht einmal zu folgen vermochten in dem kleinen Lichtkreis der Lampe - was darüber
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hinaus war - blieb ewige Finsterniß. Der rastlose, flimmernde Sturz des Wassers begann seine Sinne zu verwirren, Alles umher mit ihm zu drehen.
Er fühlte die neue Gefahr, und mit einer mannhaften Anstrengung seiner Seele wurde er wieder Herr seiner Sinne, seines Bewußtseins.
Er wandte sich nach seiner Gefährtin, - sie war an der nassen, kalten Steinwand niedergesunken, ein gänzlich hilfloses Wesen, seiner Kraft, seinem Muth allein anvertraut.
Und all' sein Muth, sein Fühlen und Wollen - was mochte es ihm hier helfen - allein mit ihr in den Tiefen der Erde - Beide macht- und hilflos, nur auf sich selbst verwiesen, ihre einzige Rettung, den belebenden Strahl des Tages wiederzuschauen, allein auf einer Rotte fanatischer Mörder, ihrer Feinde, beruhend?!
Verzweiflung war seiner Seele nahe, als der Gedanke an die erhabene Hand, welche die Geschicke der Welten, wie jedes ihrer Geschöpfe lenkt, Trost und neue Kraft brachte über sein Gemüth - er betete - der Skeptiker, der kalte, zergliedernde Realist betete, aus der Tiefe seiner Seele, aus dem Innersten seines Herzens.
Niemals - in keiner der mancherlei bitteren Stunden seines Lebens - war das Gefühl menschlicher Schwäche, des Bedürfnisses nach Gott, so gewaltig vor sein Inneres getreten. Kurz nur war sein Gebet - vielleicht wenige Worte oder Gedanken nur - aber als er sich erhob, war Glauben und Vertrauen in seiner Seele, und ohne falsche Schaam, die so oft selbstständige und kräftige Geister entehrt, sah er, daß die Britin neben ihm geknieet und Zeuge seiner Anrufung des Allmächtigen gewesen war.
Die wenigen Augenblicke schienen auch das schwache zaghafte Mädchen neu gekräftigt, das Gebet des ihr unbekannten Mannes, dessen Antlitz sie nicht einmal gesehen, ihr Vertrauen zu diesem eingeflößt zu haben. Sie reichte ihm stillschweigend die Hand und gleichfalls, ohne ein Wort zu sprechen, zog er sie von der Stätte des Schreckens und folgte jetzt eilig mit ihr der leitenden Schnur.
Sie mochten etwa zehn Minuten mit verstärkter Eile ihren
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Weg fortgesetzt haben, als plötzlich ein furchtbarer Ton ihren Schritt hemmte.
Ein metallener Donnerklang, gleich dem schrecklichen Posaunenton des Weltgerichts dröhnte durch die Windungen der Gänge und erschütterte in gewaltigem Echo die Gehörnerven. Im ersten Augenblick glaubte Walding den Ton des gewaltigen Tamtam zu hören, das vorhin das Signal zu der blutigen Feier der Thugs ab bald jedoch unterschied er die regelmäßigen Schwingungen einer Glocke, deren Geläut in so mächtigen Tönen durch die Gewölbe dröhnte.
»Die Wahnsinnigen - sie haben den Glockenstrang gezogen, der das Zeichen der Gefahr giebt und Hilfe für die Wächter des Kerkers herbeiruft!«
Das furchtbare Läuten schwieg, aber ein fernes wildes Geschrei schlug von zwei entgegengesetzten Seiten an ihre Ohren.
»Ewiger Gott - wir gerathen zwischen sie und die Mörder selbst!«
So war es in der That! - Als die der Stricke entledigten Opfer der Thugs sich mit den aufgefundenen Waffen versehen hatten, und die Fackel - die Anarkalli ihnen zum Wahrzeichen aufgesteckt - niedergebrannt war, begannen die Entschlossenen den Versuch ihrer Rettung auf dem Weg, den die Schnur ihnen angab. Thörichter Weise jedoch hatte einer von ihnen das Seil ergriffen, das von der Decke herniederhing, und daran gezogen, wahrscheinlich in dem Glauben, daß er mit seiner Hilfe einen Ausweg aus dem Gewölbe finden möge. Der Ton der schwingenden Glocke entsetzte sie, und in dem Gefühl unbekannter vergrößerter Gefahr, mit der todesverachtenden Kühnheit der Verzweiflung stürzten sie in den Gang und eilten vorwärts.
Der Deutsche wußte, daß er nicht mehr fern sein konnte von dem Ort der Versammlung; er hatte seine Lampe von sich geworfen und eilte, in dem schwachen Schein der in weiten Zwischenräumen aufgesteckten Fackeln, die Hand seiner Begleiterin festhaltend, in raschem Lauf vorwärts, als ihm von dort her ein wildes Geheul, gleich einer heranstürmenden Meute, entgegendrang.
Walding erkannte, daß sie, trotz ihrer Verkleidung, verloren seien, wenn die herbeistürmenden Thugs ihnen begegneten - schon
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erblickte er in der fernen Tiefe des Ganges den Schein hochgeschwungener Feuerbrände, sah die dunklen Gestalten - da fühlte er zur Seite kühlen Luftzug, die umhergreifende Hand fühlte leeren Raum an der Felsenwand - es war einer der sich öffnenden Seitengänge dieses Felsenlabyrinths, und eilig - die Schnur, ihren einzigen Leiter in diesen Gefahren, loslassend - zog er seine Schutzbefohlene hier hinein und, an den Wänden forttappend, so eilig als möglich mit sich fort.
Wenige Augenblicke danach sahen sie noch am Eingange der Wölbung Fackeln und Waffen schwingende Gestalten vorüberstürzen, dann entzog die Biegung des Ganges ihnen die Aussicht, aber gleich darauf schlugen schwache Pistolenschüsse und Waffengeklirr an ihre Ohren.
Der Arzt griff unwillkürlich nach seinem Revolver - er war fort - er erinnerte sich, daß die Bayadere ihm denselben aus dem Gürtel gezogen und einem der befreiten Sepoy's zugeworfen, ihm selbst aber nur den Yatagan des erschlagenen Wächters zu seiner Vertheidigung gelassen hatte, aus Vorsicht ohne Zweifel, damit eine Unvorsichtigkeit sie nicht verrathen möge.
Das geängstete Paar wagte es nicht, umzukehren und den verlassenen Weg wieder zu suchen, Walding beschloß vielmehr, auf gut Glück in der entsetzlichen Finsterniß, die sie umgab, vorzudringen, obschon jeder Schritt vorwärts sie in einen Abgrund stürzen konnte.
Die Hand des Höchsten jedoch wachte über ihnen. Nach wenigen Minuten eilfertigen Vorwärtsdringens sahen sie Lichtschein vor sich; - anfangs fürchtete Walding, er künde das Nahen neuer Verfolger, aber bald überzeugte er sich, daß sie auf einem Umweg der großen Felsenhöhle sich nahten, in welcher das blutgetränkte Bild der furchtbaren Göttin stand, und er beschloß, auf jede Gefahr hin, vorzudringen.
Dieser Entschluß erlitt eine harte Prüfung, als sie die Oeffnung des Ganges erreichten - denn der Anblick, der sich ihnen darbot, mochte selbst die festesten Nerven erschüttern.
Eine entsetzliche Orgie schien nach Beendigung des Opfers - nachdem das letzte den Athem ausgehaucht - begonnen zu haben. In wilder Raserei tanzten Hunderte der dunklen Gestalten
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noch immer um den blutigen Altar, unbekümmert um den Kampf, der in der Masse wogte.
Denn wenig Augenblicke vor ihrem Eintritt in die riesige Katawnbe war die Schaar der Befreiten, die auf den Klang der Glocke zu dem Kerker geeilten Chams zurücktreibend, in die Höhle gedrungen, Dolch und Säbel in der Faust, denn Feuergewehre hatten sie nicht in dem Waffenlager gefunden und der Revolver des Arztes war beim Kampf in dem Gang entladen worden, - entschlossen, ihr Leben an die Mörder theuer zu verkaufen; doch als sie die Menge ihrer Gegner erblickt, fühlte jeder von ihnen sogleich, daß an Rettung, dieser Genossenschaft des Mordes gegenüber, nicht zu denken war und daß allein es galt, nicht ungerächt zu sterben.
Gleich einer Wasserfluth schloß sich der Kreis der entsetzlichen Fanatiker in wildem Geheul um die Eingedrungenen, als ihnen das Geschrei der fliehenden Chams verkündete, daß es den Gefangenen gelungen sei, sich zu befreien.
Der alte aber kühne und muthige Kaufmann aus Kashemir hatte die Führung der kleinen aber verzweifelten Schaar übernommen, und sie ermahnt, sich dicht aneinander gedrängt zu halten.
Die Thugs dagegen waren sämmtlich unbewaffnet, nur mit ihren schrecklichen Phansi's35 oder Rumals36 versehen, aber von dem Fanatismus ihrer Lehre gleichgiltig gegen Wunden und Tod gemacht.
So stürzten sie in die Dolche und Speere der Gefangenen.
Jeder Stoß - jeder Hieb - und es waren kräftige, tapfere Männer, des Kampfes gewohnt, unter der kleinen Schaar - spritzte Ströme von Blut auf den Felsboden und machte eine Lücke in dem lodenden, heulenden Menschenwall, der sie umdrängte, aber die Gluth schloß sich im Augenblick wieder und die Gefallenen starben unter den Füßen ihrer Genossen, anrufend mit dem letzten Hauch die blutige Göttin.
Auf der Schwelle ihres Altars stand der Ober-Guru, in
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seiner Faust hoch die heilige Spitzaxt geschwungen, umgeben von den Chams und Häuptern des Bundes.
»Tödtet! - Tödtet! - Tödtet! - Glücklich sind, die für die Bhawane sterben!«
Sein dröhnender Ruf, seine mächtige Stimme überklang das Geheul und Getümmel des Kampfes, das Jauchzen der rasenden Tänzer um den Altar.
Und mit Todesverachtung stürzten sich die Thugs und Phansigars auf die Phalanx ihrer Feinde, rissen den Einzelnen heraus, ihn gleichsam erkaufend mit Leben und tödtlichen Wunden, die Schlingen fuhren durch die Luft, von kunstgeübter Hand geworfen, und wo eines der unglücklichen Opfer heraus gezerrt war, da deckte im Nu das furchtbare Tuch sein Haupt und der Körper zuckte im Todeskampf des Erstickens am Boden.
Man sah nur den drängenden Knäuel der Menschenwoge, wie sie hin und her fluthete - nur das Blitzen der Waffen hinein in den Wall der dunklen Mördergestalten - kleiner und kleiner wurde die verzweifelte Schaar, aber noch immer hielt sie tapfer und fest zusammen und drängte vorwärts nach dem Götzenbilde, dem sie so oder so zum Opfer fallen sollte.
»Bhartoty! Bhartoty!«37 heulte der mächtige Ruf des Ober-Guru.
Da öffnete sich plötzlich die Menschenwoge um die dem Tode geweihte Schaar - an der hohen Gestalt, der weißen Kaputze erkannte Walding den grimmigen Häuptling der Phansigars, und in seinen Armen die Tigerkatze.
Ein gellender Ruf - ein wüthendes Gebrüll - dann schleuderte seine gewaltige Kraft die Bestie hoch durch die Luft in die Mitte der tapfern Schaar.
Einen Moment - dann stob der Menschenknäuel auseinander, vom Rasen des grimmen Thiers war der kleine Haufen gesprengt und über die einzelnen verzweifelt Kämpfenden warfen sich erdrückend, vernichtend die Wogen der Mörder.
Es war das Letzte, was Walding von dem schrecklichen Schauspiel sah. Erkennend, daß er keinen Augenblick zu verlieren
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habe um die Verwirrung und das Gewühl zu benutzen, stürzte er sich selbst hinein, die zitternde Lady mit sich fortreißend, sie mehr tragend als führend, - fest im Auge, den Punkt, den er als die Stelle zu erkennen geglaubt, an welcher er mit der Bayadere den Ort so vieler Schrecken betreten.
Mit muskelkräftigem Arm theilte er die drängende Masse, von der sich Keiner um sie kümmerte, und erreichte nach gewaltiger Anstrengung die gegenüber liegende Seite der Höhle, wo er sich ohne Zögern in den nächsten, die offene Mündung bietenden Felsengang warf und in diesem so rasch als möglich weiter eilte.
Einzelne Flambeaux erhellten auch diesen unterirdischen Weg, aber an keinem Zeichen vermochte der Arzt zu erkennen, ob er sich auf dem richtigen befände.
Der Lärmen der Opferhöhle lag längst hinter ihnen, als ihm selbst die Befürchtung sich aufdrang, er möge sich verirrt haben.
»Barmherziger Himmel,« betete das Mädchen, »ich kann nicht mehr - meine Kräfte sind erschöpft! Edelmüthiger Helfer - Gott wird Sie segnen für das, was Sie gethan, aber lassen Sie mich hier sterben und retten Sie sich selbst - es ist vorbei mit mir!«
Sie hing schwer an seinem Arm. »Muth, Muth, theure Miß,« flehte er, »ich beschwöre Sie, nehmen Sie Ihre Kraft zusammen, edles Mädchen, und lassen Sie uns jene Stelle erreichen, wo die Fackel brennt - dort wollen wir ruhen, bis Sie sich wieder gestärkt!«
Er faßte sie in seine Arme und trug sie weiter. Schon hatten sie den sich erweiternden Raum erreicht, wo die Fackel brannte und er wollte seine schöne Bürde auf einen rauhen Steinsitz überlassen, als sich plötzlich eine scheußliche Gestalt vor ihnen erhob, wie aus der Erde gestiegen.
Ein Schrei wilden Entsetzens entfuhr dem Munde der Jungfrau, ein Hilferuf in englischer Sprache, mit welchem sie zu Boden sank.
»Hei - die entflohenen Täubchen! Bhartoty! Bhartoty!« jubelte das Scheusal, »herbei, ihr Männer der Thug - das sind Opfer der Devy, die der Blutigen entfliehen!«
Ein Blick hatte dem Deutschen gezeigt, daß der scheußliche
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Zwerg es war, der vor ihnen aufgetaucht - zwar seiner züngelnden Ungeheuer entledigt, aber darum nicht minder gefährlich.
»Owh! Owh! Herbei, ihr Getreuen der Blutigen -«
Ein Gurgeln erstickte seinen Ruf - der Stoß des Yatagans, von der kräftigen Faust des deutschen Mannes geführt, fuhr in den breitgeöffneten Schlund und durchschnitt Kehle und Luftröhre - ein Strom schwarzen Blutes sprudelte auf den Entschlossenen und zuckend im Todeskampf stürzte das Ungeheuer zu Boden.
Aber im selben Augenblick des Sieges, der überwundenen Gefahr, fühlte sich Walding von rückwärts zur Erde geworfen, den Yatagan seiner Hand entrissen, auf seiner Brust lag das Knie eines Thugs, und im Schein der Fackel glänzte über ihm zum Todesstoß der Dolch einer dunklen Mördergestalt. - - -
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Das Reich der Ostindischen Compagnie.

Die Geschichte ist das Gericht Gottes. Nimmer noch hat böse Saat gute Früchte getragen - aus den Drachenzähnen erwächst die geharnischte Schaar, und es bedarf der Gigantenkraft, sie zu bewältigen.
Gewaltthat - Trug und Blut - sie rächen sich wie in den Gesetzen des bürgerlichen Lebens, so im Schicksal der Nationen!
Niemals noch hat eine Anomalie in der staatlichen Gesellschaft bestanden gleich dem Reich der Englisch-Ostindischen Compagnie, Hundertundzweiundsiebzig Millionen Menschen - die achtunddreißig Millionen der sogenanten Schutzstaaten mitgerechnet, deren Selbstständigkeit längst eine bloße Phrase ist! - auf einem Gebiet von circa 63,000 (deutschen) Quadratmeilen - also zwei Drittheil der ganzen Bevölkerung Europa's und über zwei Fünftheil seines Flächeninhalts! oder fast das Siebenfache der Bevölkerung und das Fünfzehnfache des Flächeninhalts des europäischen Großbritanniens! - das Eigenthum einer Gesellschaft englischer Kaufleute, die erst in neuerer Zeit etwas mehr von der Regierung des Mutterlandes und seiner Verwaltung abhängig geworden sind! - Eigenthum einer kaufmännischen Speculation, deren Grundtendenz doch nur die möglichst hohe Dividende - also die Ausbeutung ist! - preisgegeben einer Schaar Besitzloser und Habsüchtiger, die das Mutterland alljährlich dahin sendet, um sich unter der Firma eines Beamtenthums zu mästen, dessen Willkür fast jeder Controlle, jeder Strafe entbehrt! - mit
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Steuern civilisirt von seinen alten Traditionen, seinen Sitten und seinem Glauben! - unterdrückt und beherrscht mit den Bajonneten der eigenen Söhne! - orientalisches Leben und Denken, geknechtet nach englischen Gesetzen: - das ist Indien!
Und dennoch - so sehr sich das Rechts- und Unabhängigkeitsgefühl der Völker gegen das Verhältniß, diesen unnatürlichen Zustand empört - muß man die Großartigkeit dieser Erscheinung bewundern, die einzig in der Weltgeschichte dasteht! Nicht einmal das römische Weltreich läßt sich damit vergleichen; denn dieses brauchte zu seiner Begründung dreihundert Jahre, während das an Bevölkerung ihm überlegene angloindische Reich in weniger als hundert Jahren zu dieser riesigen Ausdehnung wuchs.
Ehe wir eindringen in die Verhältnisse dieser kolossalen Schöpfung kaufmännischer Speculation, - die Ursachen, ja die Nothwendigkeit ihres Untergangs - ob jetzt oder später - und die furchtbare Begründung der gegenwärtigen blutigen Erhebung zeigend -, müssen wir dem Leser, der uns auf den fremden, mythenhaften Boden gefolgt ist, eine kurze Uebersicht der Geschichte jenes weiten Landes geben, das - die Heimath uralter Weisheit und Poesie und der reichsten Naturschätze - von jeher die Phantasie des Occidents wunderbar angezogen; das von Alexander dem Großen bis zu den Großmoguls und der Festsetzung der Engländer das Eldorado war, nach dessen Besitz die Eroberer und die Kaufleute trachteten; das die Reihe kühner Thaten und Fortschritte von der Entdeckung Amerika's bis zu der Gourmandise indischer Vögelnester angeregt hat!
Da Indien den ältesten Völkern unsrer Geschichte wenigstens durch die Handelserzeugnisse bekannt war, und die ersten griechischen Geschichtsschreiber von seiner Cultur, und Religion sprechen, muß lange vorher das Land eine glänzende und mächtige Entwickelung besessen haben, die sich in das Reich der Mythe verliert. Die Sage, die eigene Religion, versetzt dahin den Ursitz des Menschengeschlechts. Alles, was wir von dem alten Indien wissen, was uns die Reste kolossaler Arbeiten lehren, ist, daß es ein Land war von ungeheurer Ausdehnung und Bevölkerung, berühmt durch seine Bildung und seinen Handel. Wahrscheinlich kamen auch von jenem Ursitz des Menschengeschlechts im mittlern
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Hochasien die Völker mit ihrer Cultur, welche Hindostan in Besitz nahmen und als Hindu's seit Jahrtausenden seine Eigenthümer waren während die Urbevölkerung zur verachteten Klasse der Paria's herabsank. Die ersten Berührungen der Geschichte mit diesem Lande finden wir in den Sagen und Zügen des Herkules und Sesostris und der Assyrier. Die alte Staatsverfassung des Landes war eine Art von Priester- und Adelsherrschaft, das Regiment der Brahminen, das mit unbedingter Machtvollkommenheit, aber eben so großer Milde, friedfertig ein glückliches Volk beherrschte.
Erst die mongolischen und europäischen Eroberer haben dies harmlose Volk mit Sclaverei und Noth bekannt gemacht.
Man spricht mit Verachtung in dem stolzen Europa von dem indischen Kastenwesen - und das Volk war glücklich und zufrieden, so lange es ungestört regierte. Wunder der Baukunst, der Wissenschaft, der Cultur sind die Zeugen seiner Lebenskraft.
Bei der Ausbreitung der persischen Herrschaft über einen großen Theil Asiens kamen die Völker des westlichen Asiens zum ersten Mal mit Indien in nähere Berührung, und Darius eroberte ungefähr ums Jahr 509 vor Christi den nordwestlichen Theil am Indus. Alexander der Große erreichte auf seinem Eroberungszuge den letzten östlichen Nebenfluß des Sind (Indus), den Hyphasis (Garrah, Bejah), kam also bis über Lahore, und wurde dort durch die Weigerung seiner Krieger zur Umkehr gezwungen. Von der Zeit an siedelten, in Folge der Erleichterung der durch Karawanen betriebenen Handels, viele Griechen sich in Indien an. Selenkos Nikator - einer der Feldherren und Nachfolger Aelxanders - drang ums Jahr 300 vor Christi bis zum Ganges. vor.
Die Handelsverbindung Indiens nach dem Westen, nahm damals schon ihren Weg über Aegypten, und Alexandrien war ihr Stapelplatz. Selten nur wird Indien unter der Herrschaft der römischen Kaiser erwähnt; alle Verbindung hörte auf, als die Araber 712 nach Christi, nach der Zerstörung des neu persischen Reiches unter ihrem Khalifen Walid I., den größten Theil Indiens diesseits des Ganges unterjochten. Seine Nachkommen dehnten die Eroberungen bis zum Ganges aus, zwangen die Bewohner,
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den Islam anzunehmen, eroberten 1194 Delhi, mit Hilfe der Afghanen, und zerstörten Benares, den alten Sitz der indischen Weisheit und Religion. Cuttub, ein afghanischer Sclave, erhob ums Jahr 1201 die arabische Herrschaft zu einem eigenen Staate, dessen Hauptstadt zuerst Lahore, dann Delhi war. Fortwährende Kämpft der arabischen Sultane mit den eingebornen Rajahs, die das muhamedanische Glaubensjoch abzuschütteln suchten, und mit den Einfällen der Mongolen aus den nördlichen Nachbarländern bezeichnen jene Periode.
Endlich richtete der mongolische Weltenstürmer, der berühmte Timur-Khan, seinen Zug gegen Indien, besiegte 1397 bei Delhi den arabischen Sultan Mahmud, ließ die Stadt plündern und zerstören und tödtete die Bewohner. Timur behielt zwar nur einen geringen Theil des eroberten Landes, dagegen verwüsteten seitdem die räuberischen Züge der Mongolen fortwährend das herrliche Land.
Um diese Zeit - im Jahre 1450 - erschienen zum ersten Mal die Europäer als Rivalen auf dem Schauplatz. Die Portugiesen gründeten Niederlassungen auf den Küsten von Malabar und Koromandel, während das Land in viele kleine Reiche getheilt und theils von Mongolen, theils von Sultanen aus früheren Dynastieen beherrscht war.
Im Jahre 1525 drang ein Enkel Timurs, Mahmud Babur, wieder ein und eroberte Delhi. Sein Sohn Humayun gründete 1554 das berühmte Reich der Großmogule in Indien. Noch ist sein prächtiges Grabmal eine der Merkwürdigkeiten Delhi's. Mogul Akhbar, der weiseste und mächtigste Fürst dieser Dynastie (1555-1606) untersagte die religiöse Verfolgung der Hindu's, ließ sie an den Staatseinrichtungen Theil nehmen und schuf viele treffliche Einrichtungen, und Aureng Zeb brachte das Reich auf den höchsten Gipfel der Macht, obgleich er den Islam fanatisch verbreitete und die Religionsverfolgungen wieder in voller Härte eintreten ließ. Nach seinem Tod (1707) begann der Verfall des Reichs durch die Unfähigkeit seiner Nachfolger, durch innere Kriege und Unruhen. Die Statthalter rissen sich los und gründeten zahlreiche unabhängige Staaten oder rangen um die Oberherrschaft, bis der berühmte Tyrann Persiens, Nadir Schah, über
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Indien herfiel, den Großmogul Muhammed (1739) besiegte und Delhi plündern ließ. Hundertundzweiunddreißigtausend Einwohner wurden dabei erschlagen und aus dem Lande an zweitausend Millionen Thaler geraubt.
Nach Muhammeds Tode (1747) regierten eben so schwache Fürsten und die Mahratten verwüsteten das Reich und plünderten wiederholt Delhi ...
Nach diesem kurzen Abriß der - wir möchten sagen indischen - Geschichte Indiens, welcher dem Leser hauptsächlich die merkwürdige verschiedenartige Gestaltung und Bevölkerung des großen Landes erklären soll, wenden wir uns zur Geschichte der europäischen Ansiedelungen, welche mit scharfen Farben den ewigen Wechsel der Macht, den Untergang und das Emporsteigen in den Geschicken der Völker lehrt. Das Wort ihres eignen Generals Ricci über die Jesuiten: »Wie Füchse werden sie sich einschleichen und wie Wölfe haben sie geherrscht; wie Hunde sind sie vertrieben und wie Adler wiedergekommen, paßt furchtbar und schrecklich auf die politische Moral der europäischen Ansiedelungen.
Hervorgerufen von kaufmännischer Habgier, benutzt von religiösem Fanatismus, sind sie das Werk der raffinirtesten Civilisation!
Alle jene europäischen Völker, deren Macht und Einfluß in Indien so rasch wechselten, erschienen an der indischen Küste schleichend, feig, um eine Handelsniederlassung bittend. Und erst nachdem sie durch Aufhetzung der einheimischen Fürsten gegen einander, durch klug angelegten Streit, List und Intrigue jeder Art ihrer Uebermacht gewiß waren, traten sie herrschsüchtig und grausam gegen die Einwohner auf und waren gegen die Indier größere Tyrannen, als früher Timur und andere Barbaren.
Was der wilde Fanatismus der Portugiesen noch schonte, zertrat der niedrige gemeine Krämergeist der Holländer; die Abenteuerlust der Franzosen, wie die herrschsüchtige englische Kaufmannspolitik waren den Eingebornen mit den eingeführten europäischen Lastern gleich verderblich!
Woher kommt denn dieser mächtige Drang, dieser gewaltige Kampf der weißen Race zur Unterdrückung, ja zur Vernichtung aller anderen Bewohner von Gottes schöner Erde?
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Aus Europa ziehen sie aus, nicht zufrieden mit ihrem Antheil an der Welt. Schon die Römer dringen nach Asien und Afrika und schlagen die Völker in Fesseln! - Die Schwarzen müssen als Sclaven die Felder der Weißen bebauen - immer weiter in die Schluchten der Amatola-Gebirge von den Küsten hinweg wird das tapfere und edle Volk der Kaffern getrieben und geht seiner Vernichtung entgegen!
Ströme von Blut der unglücklichen Urbewohner Amerika's, werden von den Spaniern unter dem Vorwand der Religion und Civilisation vergossen! Die tapferen Stämme der Waldgebiete Nordamerika's müssen vor den eindringenden Holländern, Briten und Deutschen zurückweichen und bald gehört ihr Dasein nur noch der Sage und der Geschichte!
Die glücklichen reichen Inseln der südlichen Meere stehen unter den Kanonen der europäischen Schiffe - sind die Beute weißer Männer!
Nach den Oeden Australiens sendet man den Auswurf weißer Verbrecher, in den wilden Bergen gräbt der Weiße das Gold!
China's ungeheures Reich - Japan - werden gezwungen, der Habsucht der Europäer und ihrem Gifte sich zu öffnen. Von Norden und Westen dringt der Russe, von Süden und Osten der Brite und Franke in das weite Asien, den Mutterleib der Nationen!
Muß denn die weiße Race überall Herr sein, überall Besitzer, überall Tyrann?
Man rede mir nicht von dem Beruf der Civilisation und Religion.
Ist der einfache Nomade der Steppe, der so wenig Bedürfnisse kennt und so wenig Wissen hat, nicht mindestens eben so glücklich, wie der Landmann des civilisirten Europa's?
Oder sind die Menschen nicht geschaffen, um ruhig und friedlich glücklich zu sein in dem Kreise, den ihnen Gott angewiesen?
Bringt man Glück mit dem Donner der Kanonen und Gotteserkenntniß mit Raub und Bajonnetten?
Und dennoch scheint dieses Drängen, dieses Treiben, diese ewige Fluth der Bewegung die geheimnißvolle Bestimmung des Menschengeschlechts.
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Wie wir am Anfang dieses Bandes gesagt, der Kampf und die Liebe bewegen alles Erschaffene - das Recht des Stärkern ist das alleinige Gesetz, die einzige Richtschnur in der Natur!


Wir haben bereits erwähnt, daß die Portugiesen die ersten europäischen Ansiedelungen in Indien, bald nach Timur's Einfall, gründeten Die Entdeckung des Seeweges um das Cap der guten Hoffnung durch Vasco de Gama führte sie dahin; - als die einheimischen, im eigenen Kampf begriffenen, Fürsten ihnen keine großen Hindernisse in den Weg legten, gründeten sie zum Aerger der Muhamedaner ihre Factoreien, um so die indischen Waaren nach Europa zu führen. Nach fünfzehn Jahren, seit Almeida in Goa sein Gouvernement aufschlug - der einzige Platz, der den Portugiesen jetzt noch gehört - war ihre Macht in Indien gegründet und 1542 herrschten sie schon über die ganze Küste des persischen Meerbusens bis zum Cap Comorin, über Ceylon, Malakka und den indischen Archipel. Der Verfall Portugals durch seine Vereinigung mit Spanien (1580) vernichtete auch die portugiesische Gewalt in Indien, und sie war um so weniger im Stande, den übrigen eindringenden Seemächten Europa's Widerstand zu leisten, als die Eingebornen längst selbst der habsüchtigen und fanatischen Herrschaft müde waren. Die Holländer - die der Fanatismus und Religionshaß Philipps II. von dem Markt von Lissabon vertrieb - suchten Indien mit ihren Schiffen auf und nahmen den Portugiesen 1624 die Molukken, 1633 Java, 1641 Malakka, 1658 Ceylon, bis sie in den[m] Besitz der ganzen früheren portugiesischen Macht in Vorderindien und des Handels mit China und Japan waren.
Aber der niedere Krämergeiz, die furchtbare Tyrannei der Habsucht war auch ihr Sturz und ließ auch ihre Macht wieder sinken. Die grausame Behandlung der Eingebornen - die Mordscenen auf Banda - die egoistische Ausrottung der Gewürznäglein auf allen Inseln des Archipels, außer Amboina, empörten die Eingebornen, und die heimlichen Intriguen ihrer emporwachsenden Rivalen, der Engländer, schwächten bald ihre Macht und beschränkten sie auf die Molukken, wie sie einst selbst gegen die emporblühenden dänischen Colonieen intriguirt hatten.
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Gleichzeitig mit den Dänen - 1503 - hatten die Franzosen versucht, in Indien Niederlassungen zu gründen und bildeten nach der Colonie auf Madagascar (1642) unter Colberts unternehmendem Geist 1665 eine große indische Handelsgesellschaft mit der Residenz Poudichery. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts besaßen die Franzosen bedeutende Niederlassungen in Bengalen und ein Gebiet von 113 Dörfern.
Mit Neid und Mißgunst hatte der emporblühende Handel Englands längst die Besitzungen anderer seefahrender Nationen in Indien betrachtet.
Ums Jahr 1600 hatte die Königin Elisabeth einer Gesellschaft Londoner Kaufleute ein Privilegium zum Alleinhandel nach allen Ländern zwischen dem Cap der guten Hoffnung und der Magelhaensstraße, anfangs für 15 Jahre, ertheilt. Das war der Ursprung der englisch-ostindischen Compagnie. Durch die schlaue Benutzung einer Zwistigkeit der Eingebornen gelang es dieser Gesellschaft, von den indischen Fürsten die Erlaubniß zur Gründung einiger Handelsfactoreien, und zwar zu Surate, in Bengalen am Hugly (1640) und zu Madras, auf der Küste Koromandel, zu erhalten. Die englische Regierung, bald die Bedeutung der neuen Colonie einsehend, erweiterte die Privilegien der Gesellschaft und gab ihr das Recht des Krieges und Friedens, der Gerichtsbarkeit u. s. w., und bald lauerte diese nur auf die Gelegenheit, ihre Macht zu erweitern. Entgegen dem Vertrag mit dem Nabob von Bengalen, hatte sie 1696 in Calcutta ein befestigtes Fort und 1707 dort eine eigene Präsidentschaft errichtet.
Dupleix, der scharfsinnige und weise Gouverneur der französischen Colonieen, begriff die wachsende Gefahr, und er und Bourdonnaie verfolgten anfangs mit eben so großer Beharrlichkeit als Glück den Plan zur Vertreibung der Engländer im Krieg von 1745 bis 1747. Aber die erschlaffende Regierung des fünfzehnten Ludwigs, der sinkende Geist der Bourbonen, ließ ihre tapferen Vertheidiger in Indien ohne jegliche Unterstützung und berief Dupleix ab.
Noch hatten bis dahin alle Kämpfe und Intriguen der britischen Compagnie gegen die eingebornen Fürsten und die europäischen Rivalen keine wesentliche Territorialeroberung zur Folge
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gehabt. Erst ein furchtbares Drama, das Schauspiel einer entsetzlichen Rache, sollte das Signal zur Eroberung geben und England selbst für seine Kaufleute auf den Schauplatz rufen.
Die Welt kennt dies Drama unter dem Namen der berüchtigten Geschichte vom black hole oder der »schwarzen Höhle«.
Suradschah Daulah, der junge feurige Nabob von Bengalen, hatte mit Zorn und Entrüstung die aufblühende Macht und den Uebermuth der in seinem Gebiet liegenden Niederlassung zu Calcutta verfolgt. Seine Forderung, die vertragswidrigen Befestigungen zu schleifen, blieb unbeantwortet, die Briten weigerten sich, einen nach Calcutta geflüchteten feindlichen Häuptling auszuliefern. Da zog er mit einer großen Armee gegen Fort William.
Vergebens erschöpften sich die bestürzten Chefs der Niederlassung jetzt in demüthigen Entschuldigungen und Versprechungen - die Zeit der Rache war gekommen. Obschon die Besatzung des Forts nur schwach war, hatte sie sich doch einige Zeit halten können. Aber der Gouverneur und seine Offiziere entflohen feig und überließen die Vertheidigung einem Civilbeamten der Compagnie, Master Holwell. Nach zwei Tagen zog Suradschah im Fort William ein und der zornige Sieger, gewöhnt an die Grausamkeiten des Orients, ließ einhundertfünfundvierzig Gefangene in das gewöhnliche Gefängniß für schwere Verbrecher, eine Zelle von nur 18 Fuß Länge und 14 Fuß Breite, einschließen, die nur zwei kleine Fenster als Luftlöcher hatte und in der bis dahin nie mehr als sechs Gefangene Platz gehabt hatten. Alles Flehen der Unglücklichen war vergebens. Ohne Wasser, ohne Luft mußten sie eine Juni-Nacht in dieser furchtbaren Höhle verbringen, die in dem heißen Klima Bengalens ohnehin schon schwer für Europäer erträglich ist.
Einhundertzweiundzwanzig der Gefangenen erlagen der Qual der Nacht und wurden am andern Morgen als Leichen herausgezogen, nur Dreiundzwanzig überlebten sie, um die Geschichte der Schrecken zu erzählen.
Obschon die Briten im eigenen civilisirten Vaterlande vor und zu jener Zeit viele kaum minder scheußliche Thaten im politischen Fanatismus begangen, obschon nicht Hunderte, sondern
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Tausende der armen Irländer von ihnen auf das Grausamste geopfert worden, - kam die Schauerthat des orientalischen Despoten doch zu gelegen, um nicht einen allgemeinen Schrei der Entrüstung durch Indien und ganz Europa zu erregen. Suradschah Daulah hatte eine Garnison in dem eroberten Fort zurückgelassen, hatte den Namen Calcutta's selbst vertilgt und war dann triumphirend nach seiner Hauptstadt Murschidabad zurückgekehrt. Unterdeß wurden in Madras eilig die Anstalten zur Rache betrieben. Clive, der eigentliche Gründer der britischen Macht in Indien, ein Mann von eben so großer Schlauheit als entschlossenem Geist und Thatkraft, der sich vom einfachen Handlungsdiener zum Landgouverneur der englischen Besitzungen emporgeschwungen hatte, segelte mit 900 Mann vom englischen 39. Infanterie-Regiment und 1500 Sepoys oder eingebornen Soldaten in englischem Dienst von Madras ab.
Schon lange vorher hatte nämlich die Compagnie begriffen, daß sie, um Indien zu erobern, sich Indiens selbst bedienen müsse, und daß - wie überwiegend auch das Verhältniß europäischer Disciplin, Bewaffnung und Körperkraft zur Trägheit und Schwäche des indischen Charakters sei, - die Zahl der europäischen Soldaten, die das Mutterland ihr gewährte, viel zu unbedeutend gegen die Menschenmasse sei, welche die indischen Fürsten ihr entgegenzustellen vermöchten. Deshalb wurden von den kriegerischen Stämmen jeder Nationalität und beider Religionen - des Hinduglaubens und des Islams - Leute in Sold genommen, durch europäische Offiziere ausgebildet und zu einer Armee umgeschaffen, die, mehr als die Europäer zur Ertragung aller Mühseligkeiten geeignet, mit Hilfe der europäischen Soldaten eine mächtige und hinreichende Macht zur Unterdrückung und Eroberung des eignen Vaterlandes abgaben.
Das ist der Ursprung der Sepoys - das ist der verrätherische Bau, der in seinem Zusammensturz jetzt den Baumeister zu begraben droht, und sicher in der Zukunft begraben wird.
Mit jener numerisch so kleinen Macht landete der tapfere Clive in Bengalen und zog gegen eine Armee von 40,000 Mann, die ihm der Nabob entgegenstellte. Ein gelungener nächtlicher
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Ueberfall durch die britischen Truppen setzte jenen in Schrecken und bewog ihn zu Friedensanerbietungen, welche die Compagnie mit beiden Händen ergriff, um dadurch ihre Macht zu stärken.
Nachdem Calcutta auf's Neue befestigt worden und sich die Engländer dort festgesetzt hatten, spannen sie unter dem Vorgeben, daß der Nabob mit den Franzosen verhandle, an seinem eignen Hofe ein Complott, bewogen seinen General Mir Dschaffir zum Verrath und schlugen (1757) die Armee des Nabob in der berühmten Schlacht von Plassey. Die Kriegskunst und die Kraft der Europäer errang den Sieg über eine sechszehn Mal größere Macht, Suradschah ward auf der Flucht erschlagen, und die Compagnie ließ sich von dem verrätherischen General 800,000 Pfund Sterling und ein weites Landgebiet um Calcutta zahlen, dafür daß sie ihn zum Nabob machte, während sie der eigentliche Herr des Landes blieb. Bald auch wurde die lästige Maske abgeworfen, Mir Dschaffir und sein Nachfolger Mir Cossim abgesetzt und nachdem der Großmogul und der Nabob von Audh vergeblich sich bemüht hatten, in der Schlacht von Buxar (1764) die wachsende Macht der Compagnie zurückzudrängen, zwang diese gegen eine Abgabe von 325,000 Pfund Sterling den Mogul Schah Alum, ganz Bengalen und die Provinzen Bahar und Orissa ihr abzutreten.
So war die ostindische Compagnie in wenigen Jahren und mit verhältnißmäßig geringen Anstrengungen aus einer kleinen, nur geduldeten Colonie zur Herrin eines Reiches von 150,000 englischen Quadratmeilen, des reichsten Theils Indiens, mit 30 Millionen Einwohnern geworden.
In dem Kriege von 1755-1763 zwischen Frankreich und England verlor das erstere überdies alle seine indischen Besitzungen, welche die Compagnie an sich riß.
Die Vorwände, welche die Briten zur Absetzung und Unterdrückung der eingebornen Herrscher Bengalens gebraucht hatten, waren der willkürlichsten und rechtswidrigsten Natur. Die untergeordneten Beamten der Colonie, durch das ganze Gebiet des Nabobs vertheilt, begingen schon damals die schändlichsten Willkürlichkeiten, rissen allen Handel an sich und kannten, ungezügelt durch Gesetz oder Controlle irgend einer Art, keinen andern Zweck
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ihres Aufenthalts, als möglichst schnell reich zu werden. Die Beschwerden des Nabobs wurden mit seiner Absetzung beantwortet obschon Clive endlich selbst sich genöthigt sah, jenem Treiben Halt zu gebieten und den Beamten der Compagnie alle Privathandelsgeschäfte zu untersagen.
Unter seinem Nachfolger, dem berüchtigten Warren Hastings, trat die Regierung dagegen offen mit jenem System von Gewaltthat und Perfidie hervor, das - wie ein englischer Historiker, Macaulay, sich ausdrückt - einen unauslöschlichen Schandfleck dem Andenken der ostindischen Compagnie angeheftet hat.
Die nächsten dieser Reihe von Schandflecken sind: die Unterjochung der Rohillas und die Beraubung des Radscha von Benares!
Unter den kriegerischen Abenteurern, die in früherer Zeit aus Afghanistan den mongolischen Eroberern nach Indien gefolgt waren, zeichnete sich der tapfere Stamm der Rohillas aus, die für ihre Dienste als Speerlehen das Land, durch welches der Ramgunga von den schneeigen Höhen des Kumaon herabfließt, um in den Ganges zu fallen, und das man jetzt unter dem Namen Rohilcand begreift, einer der wichtigsten Halte des gegenwärtigen Aufstandes, erhielten.
Bei dem Verfall des Reichs der Großmogule - im Beginn des 18. Jahrhunderts - war die kriegerische Colonie unabhängig geworden. Die Rohillas waren durch körperliche Schönheit, Muth im Kriege und Geschick für die Künste des Friedens vor allen Bewohnern Indiens ausgezeichnet; Ackerbau, Handel und Künste blühten in ihrem kleinen, aber gesegneten Lande und noch heute sprechen die Bewohner von den goldenen Tagen, wo die afghanischen Fürsten im Rohilcand-Thale herrschten.
Diesen reichen Distrikt seinem Gebiet beizufügen, obschon er auch nicht eine Spur von Recht dazu hatte, wünschte ein reicher Nachbar, der Nabob von Audh, Sudschah Daulah. Aber er fürchtete die bewährte Tapferkeit der Rohillas und die Zahl ihrer Streiter. Es gab in Indien nur eine Macht, welche die tapferen Afghanen-Abkömmlinge zu bezwingen vermochte - das war die europäische Kriegskunst der Truppen der englischen Compagnie. Der Gouverneur brauchte Geld, denn die Actionäre in England
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wollten hohe Dividenden und die Finanzen der Compagnie standen trotz aller Eroberungen schlecht. Der Nabob bot für das Leihen einer englischen Armee zur Unterdrückung der Rohillas, außer Unterhalt und Besoldung derselben, 400,000 Pfund Sterling - und der infame Handel wurde geschlossen!
Eine von den drei Brigaden, aus denen die bengalische Armee bestand, wurde unter Oberst Champion abgeschickt, um mit den Truppen des Nabobs vereint das feindliche Volk zu überfallen, obschon dessen Gesandte jede Vorstellung der Ehre und des Rechts dagegen erschöpften und sogar ein großes Lösegeld boten.
Eine große Schlacht ward geschlagen, ritterlich kämpften die Rohillas für ihre Freiheit, der feige Tyrann von Audh entfloh, aber seine schamlosen und leider mächtigen Bundesgenossen hielten Stand und errangen mit ihrer europäischen Taktik den Sieg und die Niederlage eines edlen Volkes, nachdem alle seine vornehmsten Häuptlinge tapfer an der Spitze der Ihren gefallen waren.
Jetzt kehrte der Nabob mit seinem Gesindel zurück, sie plünderten das Lager der Besiegten und alle Schrecken indischer Eroberung und Tyrannei wurden losgelassen auf die schönen Thäler und Städte von Rohilcand! Das ganze Land stand in Flammen, mehr als hunderttausend Menschen flohen aus ihren Wohnungen nach verpesteten Dschungeln; Hunger, Fieber und den Aufenthalt der Schlangen und Tiger der Tyrannei dessen vorziehend, dem eine christliche Regierung um schmachvollen Gewinnes ihre Habe, ihr Blut und die Ehre ihrer Frauen und Töchter verkauft hatte. Dem Allen sahen die Engländer ruhig zu. Binnen Kurzem war die schönste Provinz Indiens zu einem seiner elendsten Theile herabgesunken.
Aber die gekränkte Nation ist nicht untergegangen. Noch heute, nachdem die Compagnie eben so tyrannisch, wie damals der Tyrann von Audh Rohilcand unterjochte, sein eignes Land an sich gerissen und sein Erbe geworden, zeichnet sich jene edle afghanische Race durch Tapferkeit, Stolz und eine bittere Erinnerung an das große Verbrechen Englands aus. Bis auf diesen Tag galten sie als die besten aller Sepoy's im Handgemenge, und als die Stunde der Rache gekommen, waren sie es, die zuerst abfielen.
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Die Rohilla's sind die Polen Asiens, ohne die Schuld jenes unglücklichen Landes in Europa zu tragen! -
Das nächste Verbrechen war die Beraubung des Radschah von Benares. Benares, die heilige Stadt Hindostans, das Jerusalem der Hindu's, bildete einen kleinen Staat unter der Herrschaft eines Hindufürsten, der dem Nabob von Audh tributpflichtig war. Die Compagnie hatte den Nabob zu allerlei Hin- und Hertausch gezwungen und sich seine Rechte auf den Tribut von Benares abtreten lassen. Seitdem hatte Tscheyte-Sing, der Radschah, seinen Tribut pünktlich und regelmäßig nach Calcutta bezahlt.
Aber Warren Hastings brauchte Geld und der Radschah stand in dem Ruf, einen großen Schatz zu besitzen. Zuerst legte man ihm eine Contribution von 50,000 Pfund auf - der Radschah zahlte.
Jetzt wiederholte sich die Forderung alljährlich. Vergebens demonstrirte der Radschah. Zuletzt glaubte er nach orientalischer Sitte der Ungerechtigkeit ein Ende zu machen, indem er dem General-Gouverneur ein Geschenk von 20,000 Pfd. für seine Person anbot. Hastings nahm das Geld und behielt es für sich, erst eine drohende Anklage seiner Regierungs-Kollegen auf Bestechung bewog ihn, die Summe an den Schatz der Compagnie abzuliefern, und als der Radschah die frühern Forderungen erfüllen sollte und Armuth vorschützte, setzte er 10,000 Pfund als Strafe der Verzögerung hinzu und schickte Truppen, um das Geld einzutreiben.
Immer neue Forderungen stürmten jetzt auf das unglückliche Benares ein - die Absicht lag offen zu Tage, es erst zur Weigerung und zum Widerstand und dadurch zum Untergang zu treiben. Vergebens bot der geängstete Radschah eine Pauschsumme von 200,000 Pfund an, Hastings verlangte mindestens eine halbe Million und kam mit großem Gefolge selbst nach Benares. Mit der größten Unterwürfigkeit empfing ihn der Radschah und ertrug den empörenden Hochmuth des Briten. Als der General-Gouverneur nicht zur Stelle seine übermäßigen Forderungen erfüllt sah, ließ er den von seinen Unterthanen geliebten Herrscher des milde und weise regierten glücklichen Ländchens verhaften und unter die Bewachung von zwei Compagnieen Sepoy's stellen. Die
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durch tausende von Pilgern vermehrte Bevölkerung der Stadt erhob sich, ihren Radschah zu befreien, dieser aber, statt die Gelegenheit zu benutzen und sich des britischen Gouvernements zu bemächtigen, entfloh nach einem seiner festen Schlösser. Die Compagnie benutzte dies, ihn zu entsetzen, sich seiner Schätze zu bemächtigen und brach die Verträge, mittelst deren die festen Plätze in ihre Hände fielen, auf das Ehrloseste selbst gegen Frauen.
Die Züge, die wir hier gegeben, sind nur einzelne aus der Verwaltung jener Zeit - zu Ende des vorigen und zum Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts. Die Eroberungen im Karnatie, die Kriege gegen die Mahratten, die Ländererwerbungen im Decan, die Vertreibung der Holländer, die Usurpationen von Scindia - sie alle einzeln zu erwähnen, fehlt uns der Raum, und wir würden der Geduld des Lesers damit zu viel zumuthen. Vergebens suchten mächtige und energische Feinde, wie die berühmten Sultane von Mysore, Hyder Aly und sein Sohn Tippo Sahib, der Ländergier der Engländer entgegen zu treten - die Compagnie hatte längst gelernt, zur furchtbaren Macht ihrer Waffen das Schlangengift orientalischer Diplomatie zu fügen, ihre Feinde zu theilen durch Lockungen und Versprechungen und sie einzeln zu überwältigen. Die tapferen Mahrattenfürsten fielen, und mit dem Sturm von Seringapatname und der Vernichtung des Reichs Tippo Sahibs (5. Mai 1799) flocht Wellington - damals noch Marquis Wellesley - seine ersten glänzenden Lorbeern.
Es wird genügen, in flüchtigem Umriß die Zahl der britischen Erwerbungen in der kurzen Zeit anzuführen, ohne die Geschite von Treulosigkeit, Erpressung, Intrigue und Gewaltthat der zu zählen, durch welche hauptsächlich diese Erwerbungen gemacht wurden.
Wo der Stärkere einen Vorwand zum Streit, zur Ungerechtigkeit sucht, wird er ihn immer finden!
Von 1757 schreibt sich der erste Territorial-Besitz der Compagnie her.
1766 besaßen sie bereits Bengalen, Bahar das nördliche Circars (an der Küste von Koromandel), Madras und Bombay mit einem kleinen Stadtgebiet.
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1805 schon das ganze Duab mit Delhi, das Karnatie, Canara und Malabar, Suhrate und einen Theil der Mahrattenländer.
1818 den Rest der westlichen Mahrattenstaaten, Punah, die ganze Küste von Malabar, Benar, einen Theil des Sikhstaates und Ceylon.
1838 Gondwana, Singapore, Malakka, Assam, Arrakon und andere mächtige Gebiete in Hinterindien.
1848 das Sindh - das südliche Pendjab - und Satara.
1856 das ganze Pendjab, Audh, Karnal, Gondh, Pegu und Kadschar.
Von dem ganzen Vorderindien bis zum Himalaya sind gegenwärtig noch - einschließlich Nepals, des an China tributpflichtigen Bhutan und Kashemirs - etwa 4700 Quadratmeilen mit 4 Millionen Einwohnern unabhängig!
Man vergleiche diese Zahlen mit den am Beginn dieses Kapitels angeführten!
Die unter sogenanntem »britischen Schutz« stehenden Staaten (Gwalior, Indur, Heiderabad, Meyfur, Kotschin, Trawankor, Baroda und Katsch) müssen stehende britische Armeen und britische Residenten im Lande unterhalten!
Der portugiesische Besitz beschränkt sich auf 52, der französische auf 9 Quadratmeilen!
So ermüdend diese Zahlen, diese Wiederholung der Historie dem Leser vielleicht auch scheinen mögen, sie war unvermeidlich, um ihm den Ueberblick über die Ausdehnung der englischen Usurpationen zu geben und ihn auf die Maschinerie vorzubereiten, welche bisher diesen Bau zusammenhielt.
Dies gewaltige Land ist, wie bereits erwähnt, jetzt gleichsam ein Zwittereigenthum Großbritanims und der Compagnie. Die letztere bezieht die Einnahmen, genießt alle Handelsprivilegien, besitzt das Grundeigenthum, die Administration und besetzt die Stellen, wogegen sie die Verpflichtung hat, die verhältnißmäßig äußerst geringe Summe von 50,000 Pfund zu den englischen Staats-Einnahmen zu leisten und eine Anzahl jüngerer Söhne und Protegée's der englischen Geburts- und Geldaristokratie mit sehr guten Gehältern anzustellen.
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Das Directorium der Ostindischen Compagnie in London bestand bis 1854 aus dreißig Mitgliedern, von denen jährlich sechs ausschieden und von den Actionairen neu erwählt wurden. Seine Beschlüsse mußten die Genehmigung des Board of Control[l], des von der Regierung eingesetzten Ministeriums für die ostindischen Angelegenheiten haben. Zu geheimen Beschlüssen über Krieg traten die ersten drei Mitglieder des Directoriums mit dem Ministerium zusammen.
In Indien residirte ein General-Gouverneur mit Recht über Leben und Tod, Krieg und Frieden, Handels- und Allianzverträge und dem Oberbefehl über Land- und Seemacht. Aber ihm zur Seite stand ein Rath aus fünf Mitgliedern, welcher jeden Befehl des General-Gouverneurs auf achtundvierzig Stunden suspendiren konnte. Zur Stelle des General-Gouverneurs, wie zu den Stellen der Staatsräthe und der commandirenden Generäle in den fünf Präsidentschaften (Bengalen, Madras, Bombay, Agra und Sindh) schlug der Court of Directors je drei Kandidaten vor, von denen die Krone wählte. Nur drei Zweige im ostindischen Staatsdienst waren königliche: der königliche Theil der Armee, die höchsten Gerichtshöfe und die Bisthümer, welche der Erzbischof von Canterbury besetzt. Aber auch die Wahl der Beamten dieser königlichen Stellen war von der Zustimmung des Directoriums abhängig.
Bei der Ertheilung des neuen Privilegiums an die Compagnie auf unbestimmte Zeit, im Jahre 1854, ward nach langen Parlamentsdebatten dieses System nur dahin geändert, daß die Zahl der Directoren auf achtzehn ermäßigt wurde, von denen sechs die Regierung ernennt, und daß die Krone das Recht der Ernennung der Mitglieder des Regierungsconseils in Indien erhielt, die - ebenso wie der General-Gouverneur - dem Directorenhof verantwortlich blieben. -
Die Armee in Ostindien besteht aus 234,000 Mann, von denen 36,000 Mann, incl. der Offiziere, europäische Truppen sind und von der Krone gestellt, aber von der Compagnie unterhalten werden. Der Unterhalt dieser Armee, auf deren Einrichtung wir später zu sprechen kommen, beträgt circa acht Millionen und fünfhunderttausend Pfund Sterling, also fast sechszig Millionen Thaler, pro Kopf also durchschnittlich zweihundertundvierzig Thaler.
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Natürlich fällt davon nicht der Löwen-, sondern der Giganten-Antheil auf die dreißigtausend Europäer!
Die Finanzen der Compagnie sind an und für sich nicht sehr glänzend und sogar schuldenbelastet. Die Reineinnahmen der fünf Präsidentschaften betrugen vor der Empörung einhundertundsiebenundvierzig Millionen und dreimalhundertachtzigtausend Thaler jährlich, die Ausgaben einhundert vierundfünfzig Millionen und einmalhundertvierunddreißigtausend Thaler, und die indische Staatsschuld im Jahre 1856: Vierhundertundvierzehn Millionen Thaler, also den zwölften Theil der riesigen englischen Staatsschuld.
Auf die offiziellen Einnahmen kommt es aber im Durchschnitt wenig an, sie dienen nur zur Mästung der Beamten und Zahlung der kolossalen Pensionen. Der riesige Vortheil, den Indien England gewährt, ergiebt sich der den Kaufmannsstand selbst aus dem Handel und dem Landbesitz.
Wir wiederholen, wir sind gezwungen, diese trockenen Zahlen alle anzuführen, um dem Leser das Kolossale der indischen Wirthschaft begreiflich zu machen, um so mehr, als er selbst aus Werken, welche auf historischen und statistischen Inhalt Anspruch machen, diesen Ueberblick nicht gewinnen kann.
Wir haben bereits bemerkt, daß alle irgend lucrativen Stellen durch Engländer besetzt sind, durch Engländer, die selbst nicht einmal dulden wollen, daß die Regenten der Schutzstaaten einen andern Europäer oder Amerikaner in ihren Dienst nehmen!
Zu den glorreichen Thaten eines Warren Hastings gehörte es, daß bis in die neuere Zeit alle Eingebornen, also 170 Millionen Menschen, von jedem einigermaßen bedeutsamen und einträglichen Amt, d. h. von jedem, das über 100 Rupien monatlich einbrachte, ausgeschlossen waren.38 Erst in den dreißiger Jahren wurde das System einigermaßen geändert und die Zahl der eingebornen höheren Beamten - die wichtigeren und einträglichen Stellen sind natürlich immer nur in den Händen von Engländern - beträgt jetzt etwa 1900, also auf circa neunzigtausend Indier einen! -
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Wir werden am Meßtisch der Offiziere sehen, welches eben so krasse Verhältniß im Militairstände obwaltet!
Und der Gedanke an dies empörende Mißverhältniß sollte nicht allein schon hinreichen, die Milch der geduldigsten Denkart in das gährende Drachengift der Empörung umzuwandeln? - -
Wir haben, ehe wir unsere Erzählung wieder aufnehmen - noch einige Worte den neueren Vorgängen, den neueren Ungerechtigkeiten und tyrannischen Ländererwerbungen der Compagnie zu widmen.
Durch den an den Haaren herbeigezogenen Krieg mit den Birmanen hatte sich die Compagnie der Küsten Hinterindiens bemächtigt: ein Ersatz für die vollständige Niederlage, welche ihre Armee im Krieg gegen die tapfern Afghanen (1842) erlitten hatte. Das Reich des Großmoguls war vollständig den britischen Besitzungen einverleibt und der letzte Kaiser von Delhi lebte von einer britischen Pension. Die Unterjochung des Pendschab durch die Vernichtung der Sikhherrschaft und des einst so mächtigen Thrones Rundschit Sings haben wir bereits in der Klage der vertriebenen Maharana um ihren gefangenen Sohn näher erwähnt.
Im Sindh, dem Land am Ausfluß des Indus, herrschten vier Emirs, Brüder und Vettern aus dem Stamm der Kolburas, so lange ziemlich unbelästigt, bis die britischen Kaufleute es in ihrem Interesse fanden, Handelsspeculationen nach Centralasien auf dem Indus zu machen. Ein Vertrag mit den Emirs gestattete ihm, den Indus mit unbewaffneten Schiffen zu befahren, unter der Bedingung, keine Militairvorräthe durch das Land zu führen.
Nach kurzer Zeit jedoch wußten die Briten unter dem Vorwande eines Zwistes mit Rundschit schon einen englischen Residenten mit bewaffneter Escorte in das Land der Emirs einzuschmuggeln, und kurz darauf trat, in Folge des Vertrages von Kabul, die Compagnie mit der perfiden Erfindung auf, daß die Fürsten an Schah Schudschah von Kabul tributpflichtig gewesen und dieser ihr seine Anrechte abgetreten habe. Vergebens wiesen die Emirs nach, daß sie nie Tribut gezahlt, ja, daß der Schah durch Documente längst auf diesen verzichtet habe: der
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General-Gouverneur Lord Aukland and erklärte sich nicht verpflichtet, »diesen Einwand förmlich zu prüfen,« und verlangte, allen Verträgen zuwider, die Aufnahme eines englischen Corps. Die britische Armee rückte ein und zwang die bisher unabhängigen Fürsten zu einem schimpflichen Vertrage und zur Annahme einer englischen Regentschaft.
Selbst die britischen Schriftsteller müssen die schändliche Ungerechtigkeit dieses Verfahrens anerkennen.
Endlich, als man die Emirs zwang, ihre eigene Absetzung zu unterzeichnen, griffen die tapferen-Beludschen zu den Waffen, und verjagten den englischen Residenten, Sir Charles Napier. Aber bald kehrten die Briten mit verstärkter Macht zurück und das ganze Sindh wurde erobert und zur Provinz der Compagnie gemacht.
Der letzte Akt britischer habsüchtiger Tyrannei vor dem Ausbruch der Revolution war die Einverleibung des Königreichs Audh am Anfang des Jahres (1856), in dem wir mit dem zweiten Theil unseres Buches unsere Erzählung wieder aufgenommen haben.
Audh gehörte seit 1801 zu den sogenannten Schutzstaaten, und die Compagnie hatte sich verpflichtet, gegen Abtretung eines Theils des Gebietes von Audh, anstatt des bisher bezahlten Tributs, die Herrschaft des Königs gegen innere und äußere Feinde aufrecht zu erhalten, ohne sich in die Regierung zu mengen.
Die habsüchtige Verwaltung eines neuen Ministers des letzten, den Vergnügungen des Serails allzusehr ergebenen Königs Mahomed Wadschid Ali Schah (1849), gab der Compagnie Veranlassung, sich einzumischen. Die Residenten sandten Bericht auf Bericht, um die »Einverleibung« herbeizuführen und 1854 zwang Oberst Outram bereits dem König einen Vertrag auf, durch welchen die gesammte innere und äußere Verwaltung seines Gebiets, mit Ausnahme der Gerichtsbarkeit im Bereich des königlichen Parks, an die Engländer abgetreten wurde, wofür die Compagnie ihm und seinen Erben den Königstitel und eine Pension zu lassen versprach.
Als jedoch der König sich später weigerte, den Vertrag zu unterzeichnen und erklärte, in England selbst Gerechtigkeit suchen
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zu wollen erschien am 7. Februar 1856 eine Proclamation, welche die Einverleibung Audhs - eines Gebietes von 940 geographischen Quadratmeilen mit 3 Millionen Einwohnern und einem Einnahme-Ueberschuß von mehr als siebzehn Millionen Thalern - verkündete. Englische Truppen besetzten Lucknow (Lacknau), die Hauptstadt des Landes; der entthronte König wurde nach Calcutta gebracht.
Wir haben nur noch eines Verhältnisses kurz zu gedenken, das eben so demoralisirend als schädlich auf die Bevölkerung Indiens wirkte.
Es war die Einführung des Permanent settlement - das heißt, die Beraubung des ganzen Volkes um sein Grundeigenthum, um es den Zemindars zu geben.
Um dies zu verstehen, müssen wir einige Worte der frühern Einrichtung unter den Sultans und Radschahs widmen, wie sie noch in den unabhängigen Gebieten besteht.
Das Land gehörte unter den Oberbesitz der Großmoguls, seinen Bebauern, den Ryots, unseren europäischen Bauern oder Landleuten gleich, erb- und eigenthümlich. Von diesen wurden die durch die Regierung aufgelegten, mehr oder minder großen Steuern durch die Zemindars eingezogen, die dafür eine Provision von zehn Prozent zurückbehielten.
Die Zemindars oder großen Grundbesitzer waren also keineswegs die einzigen Landbesitzer, sondern blos die erblichen Besitzer des Rechtes, für den Landesherrn die Steuern in ihrem District einzuziehen.
So lange der Ryot seine bestimmte Steuer von seinem Lande zahlte, war er dessen Besitzer, und kein Zemindar konnte ihn davontreiben.
Die Engländer verwechselten dies Verhältniß mit der Einrichtung der englischen landlor[d]s und ihrer Pächter. Schon Ende des vorigen Jahrhunderts hob Lord Cornwallis, der damalige Gouverneur, dies Eigenthumsrecht des Landmannes auf sein Feld auf, erkannte nur die großen Grundbesitzer mit einer Menge kleiner Pächter an, die sie willkürlich neben der Steuerzahlung für die Regierung bis auf's nackte Leben im eignen Interesse auspressen und beliebig vom Lande verjagen können.
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Das war die englische Gerechtigkeit: Reiche und Arme!
Dennoch war es nur ein geringer Theil dieser Zemindars, der beim Ausbruch des allgemeinen Kampfes auf der Seite seiner Bereicherer blieb. Die Anhänger, die sich die Compagnie damit geschaffen zu haben glaubte, fielen ab in der Stunde der Gefahr. Nationalhaß, Religion, Vaterlandsliebe waren selbst stärker als das Interesse.
Die nachfolgenden Scenen werden das Leben des Ryots, des Zemindars, des Kriegers wie des Fürsten zeigen und uns in die Hütte des Beherrschten, wie in den goldenen Palast des Regenten führen.

I. Der Ryot.

Ein einsames aber reizendes Thal des Carnatie, jener großen weitgestreckten Landschaft am östlichen Ufer der Südspitze Vorderindiens, die einen Theil der Präsidentschaft Madras bildet, lag vor den Blicken des Reisenden, der eben von einer der Höhen der Ausläufer des Nella Mella-Gebirges nach der Meeresküste herabzog.
Ein kleiner Fluß, der Gandlagama, durchströmte das Thal, doch war seine Wassermenge nicht bedeutend, da die heiße und trockene Jahreszeit bereits begonnen hatte, die in Indien vom April bis zu Ende August dauert.
Auf den Feldern waren die Bauern und Landleute daher auch beschäftigt, mittelst des mühsamen Umschwungs eines großen Rades, das Wasser aus der Tiefe des Bettes, welches der Fluß sich gewühlt, emporzuschöpfen und in die Rinnen zu ergießen, die das belebende Element durch die angebauten Felder, die Reisanlagen und Kaffeeplantagen leiteten.
Ueberhaupt erschien das ganze weite Thal wohl angebaut: in den sumpfigen Theilen die Reisfelder, an den Hügelabhängen Mais- und Zuckerrohrpflanzungen, dazwischen Indigo- und Kaffeeplantagen, rother Pfeffer und duftige Gewürzstauden. Gräm und Jawarry39 standen in üppigem Wuchs und die ganze reiche Tropennatur
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- denn die Lage des Thals befand sich unter dem sechszehnten Grad nördlicher Breite - überzog Berg und Ebene mit einer Matte der üppigsten Vegetation.
Wo der Fluß sich aus den höher aufsteigenden Berggeländen hervorwand, war er von wohl sechszehn Fuß hohem Schilfgras und einem Bambus-Dickicht umgeben, dessen armstarke Stangen bis zur Höhe von achtzehn Ellen emporschossen.
Prächtige Kokospalmen erhoben sich majestätisch auf den Gipfeln der Hügel, der Pisang wiegte seine breiten riesigen Blätter im leisen Luftzug, und der wohlthätige Bananenbaum wechselte mit den reizend gefiederten Tamarinden und ließ seine saftige angenehme Frucht rothgelb durch die Blätter leuchten. Stachliche Ananas-Hecken umsäumten die Felder, am Ufer des Flusses wiegte die sagenhafte Lotosblume ihre Kelche, und in hundert Gestalten wechselnde Fächerpalmen-Gebüsche bewahrten der Gegend den Charakter wilder Naturschönheit, während ein ausgedehnter Dattelwald am nördlichen Abhang den Uebergang zur wirklichen Wildniß vermittelte, die in den dunklen üppig belaubten Zweigen der indischen Fichte aus den Höhen des Gebirgszuges lagerte.
Die eigenthümliche phantastische Welt der Linnen mit den roth und weisen Blumenkelchen verband gleichsam die Wald- und Baumgruppen. Bis zur Spitze der höchsten Tamarinden und I'limoien schlangen sich die zarten festen Rankengewinde oder hingen in Festons nieder zum Boden; oder die Reben des wilden Weines wanden sich an den mächtigen Palmen empor. Heerden kleiner, glänzend schwarzer, weißbebarteter Affen kletterten auf den Zweigen der Bäume oder schwenkten sich auf den Ranken durch die Luft, und ihr Gekreisch und Geschrei ähnelte dem Lärmen und Jubeln spielender Kinder. Das scharfe Krächzen der Papageien, der Ruf des Spottvogels aus den Wäldern vermehrte das Eigenthümliche der Scene, und die prächtigen gold- und azurglänzenden Tagesfalter, die mit den Kolibri's um die Wette von Blume zu flatterten, belebten die paradiesische Gegend mit jenem Hauch des friedlichen Naturlebens, der weit eigentlicher dazu paßt als das Treiben der Menschen.
Denn ein Paradies des Friedens, der Ruhe und des Glücks schien diese köstliche Flur. Das war auch der Eindruck, der
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Gedanke des Reiters, der den Weg am Bergabhang herabstieg und mit seinem Blick das Thal, das Dorf und das Schloß des Zemindars auf den jenseitigen Höhen umfaßte, über welche hinaus das Auge in weiter Ferne das am Rande des Horizonts emportauchende Meer erschaute.
Es war ein seltsamer Gesell, der einsame Reiter, wie er auf dem alten abgetriebenen Dromedar hockte. Er schien alt - vielleicht fünfzig oder sechszig Jahre, denn das struppige Haar und der wirre Bart waren grau, und dennoch leuchtete manchmal etwas aus dem Auge und zuckte um den Mund, was eine jüngere ungebeugte Kraft verrieth.
Der Fremde trug die Lumpen eines Fakirs, die kegelförmige Wollmütze, den Strick mit der Kürbisflasche und der Geißel um den Leib, dessen nackte Theile zwar nicht die schwärzliche Broncefarbe der Bewohner des Dekan zeigten, aber doch so gebräunt waren, wie in den nördlicheren oder gebirgigen Theilen Indiens die Sonne die Menschenhaut färbt.
Nur seine hohe Gestalt, die breite Brust, der kräftige Gliederbau - wie abgemagert diese auch erschienen - paßte nicht zu den schmächtigen, schlanken und schwachen Formen, welche die meisten indischen Racen zeigen, ebensowenig die trotz des Alters und der Furchung der Züge noch immer schöne kaukasische Form seines Gesichts mit der kräftigen charaktervollen Stirn. Es mußte offenbar einer der Fanatiker aus dem Himalaya oder von den Grenzen Afghanistans sein, den sein Wandertrieb so weit nach dem Süden verschlagen.
Mann und Thier waren, wie gesagt, abgemagert und verkommen von den Anstrengungen einer weiten Reise und schienen mit gleich sehnsüchtigen Blicken den Reichthum des Thales zu betrachten, das ihnen Erfrischung und Kräftigung nach den Strapatzen des Zuges durch die Wildniß versprach. Dennoch lag in dem Auge des Bettlers mehr, als die Sehnsucht nach einem körperlichen Genuß, der bei der bescheidenen, einfachen Lebensweise und den geringen Bedürfnissen der Eingebornen überhaupt wenig geachtet wird. In den Falten seiner Stirn war tiefes Nachdenken und um den Mund, dessen vollere Bildung Ansprüche oder
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Erinnerungen frühern Wohllebens zu verkünden schienen, zuckte es wie grimmiger Hohn und Schmerz.
Der Bettler näherte sich jetzt auf dem harttrabenden Dromedar der Mitte des Thales, wo er von der Höhe des Weges zwischen dem dunklen Grün der Pipalia's und Bananenpalmen unter dem Schutz großblättriger Teakbäume die bescheidenen Hütten eines indischen Dorfes bemerkt hatte.
Noch bevor er es erreicht, sah er eine kleine Schaar von Reitern und Fußgängern von der andern Seite des Thales auf dem Weg von der für europäische Augen ziemlich einfachen und kaum unseren Bauerngehöften ähnlichen Burg des Zemindars gleichfalls ihren Weg nach dem Dorfe richten und vernahm den gellenden Ton eines Muschelhorns in drei lang gezogenen Noten.
Bei diesem Laut hielten die auf den Feldern zerstreuten Arbeiter mit ihrer Beschäftigung inne, sie nahmen ihre einfachen Geräthe, holten die weidenden Ochsen zusammen und nahmen ihren Weg nach dem Dorf.
Viele der Leute, Männer, Frauen, Mädchen und Knaben kamen an dem Fakir vorüber.
Seine früher so hohe aufgerichtete Gestalt schien Jetzt alle Kraft und Elasticität verloren zu haben; sie hockte zusammengekrümmt zwischen den Höckern des Thieres, die Augen des Reiters hatten einen eigenthümlichen Starrblick angenommen, der, vor sich hin in die leere Luft stierend, Nichts zu bemerken schien, was um ihn her vorging. Eben so wenig erwiederte der Bettler den Gruß der vorbei eilenden Thalbewohner.
Dieser fanatischen Maske ungeachtet, bemerkte er sehr wohl das auffallende Benehmen und Aeußere dieser Leute, als sie in seine Nähe kamen. Ihre Züge drückten sämmtlich, trotz des sie umgebenden Reichthums der Natur, große Noth und bitteres Leiden aus. Ihre einfache Kleidung war fast noch zerlumpter, als die des privilegirten Bettlers auf seinem Thier, Schrecken und Furcht malte sich in den Augen der Frauen, Trotz und Verzweiflung in dem Gesicht der Männer.
Fast zugleich mit einem Haufen dieser Landleute erreichte der Fakir den Eingang des Dorfes, das aus etwa hundert Hütten bestand, die ohne Ordnung im Kreise zerstreut um eine kleine
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Moschee in der Mitte des Platzes lagen, über welche drei hohe Palmen ihre mächtigen Blätterkronen in die blaue Luft reckten.
Der reisende Bettler schien jetzt zu wissen, woran er sich zu halten hatte, er erkannte aus der Form des Gebäudes sogleich, daß die Bewohner des Dorfes Muhamedaner waren.
Bisher hatte noch kein Zeichen an ihm verrathen, ob er Hindu oder Moslem; denn beide Religionen haben ihre umherwandernden Bettelmönche, die Fakirs und Derwische, die in allen Aeußerlichkeiten einander so gleich sind, daß eine Unterscheidung ohne nähere und längere Beobachtung fast ganz unmöglich ist.
Jetzt, am Eingang des Dorfes, erhob der Dromedarreiter seine Stimme zu dem gellenden Ruf: »Allah il Allah, Mahomed illah!« und verkündete damit, daß er gleichfalls zum Glauben des Propheten gehöre.
Doch selbst die Religionsgenossenschaft schien in diesem Augenblick ihm wenig Sympathieen zu erwecken und jeder der Begegnenden mit den Sorgen des Augenblicks zu viel zu thun zu haben, um auf den gewohnten Anblick eines Bettlers zu achten, der sich von seinen Genossen höchstens dadurch unterschied, daß er noch im Besitz eines, wenn auch noch so schlechten Reitthiers war.
Aber der Fakir - denn diesen Namen führen im Allgemeinen in Indien auch die Derwische - kümmerte sich gleichfalls wenig um diese Theilnahmlosigkeit und wußte, was er, mit den Sitten und Gebräuchen vertraut, zu thun hatte.
Die Hütten des Dorfes waren eben so einfach, als ärmlich. Sie bestanden aus Bambusrohr, dessen Ritzen und Spalten mit Moos und trockenen Farrenkräutern verstopft waren, und erhoben sich auf Pfählen, etwa zwei Ellen hoch, über dem Boden, theils um gegen die in der nassen Jahreszeit sich häufig ereignenden Ueberschwemmungen des Flusses, theils um gegen das, in diesem Klima so zahlreiche und gefährliche Gewürm besser geschützt zu sein. Zu jeder mit einer Bastmatte verhangenen Thür führte eine kleine Rohrtreppe. Breite, sechs bis acht Fuß lange Pisangblätter bildeten die Bedachung und in der Nähe jeder Hütte stand im Freien der kleine Heerd von Lehm, der den Bewohnern zur Bereitung ihrer einfachen Nahrung dient.
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Nur eine der Hütten zeichnete sich durch größere Räumlichkeit und einen zierlichern Bau, sowie mehrere ähnliche Nebengebäude vor den anderen aus. Eine ziemlich breite Gallerie oder Veranda von Bambus lief um das ganze Quadrat des luftigen Gebäudes, gleichfalls auf Pfählen erhöht, und war sowohl durch das vorspringende, aus Rohrbalken gebildete und mit Matten bedeckte Dach als durch die wohl dreißig Schritt vom Hauptstamm hinaus in die Luft sich breitenden dichtbelaubten Zweige eines riesigen Tamarindenbaumes beschattet, der seine Aeste und Gipfel hoch über das Dach dieses einfach zierlichen Bungalow erhob.
Auf der offenen Veranda, nahe der emporführenden Treppe, saß ein Indier von kräftigem, ernstem Aussehn, mit langem, dunklem Bart, seine Hukah rauchend. Zu diesem Gebäude richtete der Fakir, nachdem er mit sachkundigem, raschem Blick die Umgebung geprüft, den Lauf seines Thieres, hielt unter dem Schatten des Baumes ein und sagte mit singender Stimme den gewöhnlichen Gruß: »Salem aleikum!« indem er den Vers des Dichters Hafiz hinzufügte: »Die Pforten des Paradieses sind vor Allen den Barmherzigen geöffnet. Wer da hat, der möge geben, denn er säet für die Ewigkeit. Die Armen und die Wanderer sind das Erbe Allahs an die Reichen!«
Der einfach aber reinlich in Weiß gekleidete Mann neigte ernst sein Haupt, indem er die Spitze der Hukah von seinen Lippen entfernte.
»Mein frommer Bruder ist willkommen im Hause Caulathy Mudaly's, obschon er im Irrthum ist, wenn er ihn für reich hält.«
Der Derwisch gab seinem Thier ein Zeichen, das sich sogleich auf die Knie niederließ, worauf der Reiter von seinem Rücken stieg und den Sattel zu lösen begann. Während dieses Geschäfts spann sich die Unterredung weiter.
»Cauthaly Mudaly,« sagte der Bettler, »behauptet ein armer Mann zu sein, und doch besitzt er das schönste Haus in diesem Dorfe. Er ist ein Zemindar!«
Der Moslem schüttelte verneinend das Haupt. »Allah bewahre mich. Ich bin ein Ryot, wie meine Nachbarn, und sitze nur durch die Gnade Allahs frei auf dem Erbe meiner Väter.«
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»Aber ich sehe große Speicher und Ställe. Warum verläugnet der Wirth vor einem frommen Mann seine Habe?«
»Jene Speicher,« sagte finster der Landmann, »sind leer bis zur nächsten Erndte. Es ist wahr, der Prophet hat mir mehr gegeben, als ich brauche, aber ich gab, wie es der Koran befiehlt, meinen Ueberfluß hin, um meine Brüder vor den Peons zu retten. Leider reichte es nicht, denn die Affen hatten die Maisfelder zerstört und der Zemindar ist ein harter Mann!«
Der Derwisch wies nach den Bananen und den vielfachen Früchten, welche die üppige Vegetation umher bot.
»Gott ist groß,« sagte er, »Allah läßt Keinen verhungern, der sein Vertrauen auf ihn setzt.«
Hohn lag auf dem ernsten schönen Gesicht des indischen Landmannes, als er gleichfalls seine Hand nach den Kronen der Bäume ausstreckte.
»Sind die Kokosnüsse in diesem Lande Rupien, und wachsen auf den Bananen die goldenen Mohurs? Was will der Faringi anders, als Silber und Gold! Jene Früchte, die Allah auf den Sträuchern und Bäumen wachsen läßt, müssen unser Leben fristen, um für die Fremden arbeiten zu können!«
»So habt Ihr einen harten Grundherrn?«
»Dies Land, o Fremder,« sagte der Bauer, »gehörte unseren Vätern und dem Peischwa. Ich sagte Dir bereits, daß ich ein freier Mann bin und auf dem Meinen sitze. Aber bis auf das Feld, wo der Fluß sich an dem Hügel windet, ist jetzt Alles Eigenthum des Zemindars, und der Zemindar ist einer der Faringi's von Madras! - Doch führe Dein Dromedar zu jenem Mangobaum, süßes Gras wächst in seiner Nähe und es wird der Kraft bedürfen, Dich aus den Scenen des Schreckens zu tragen, die hier Dich erwarten.«
Der Derwisch führte das Dromedar nach dem angewiesenen Baum, wo ein Knabe ihm Beistand leistete, es aus einer hölzernen Rinne, die das Wasser des Flusses durch das kleine Gehöft führte, zu tränken. Dann nahm er den alten Sattel mit dem Kissen und trug ihn zu der Veranda. Eine fein geflochtene Binsenmatte war hier bereits neben dem Hausherrn ausgebreitet und ein junges, nach der Sitte der Moslems verschleiertes Mädchen
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knieete dort, ein hölzernes Gefäß mit Wasser in der Hand, um dem heiligen Mann Füße und Hände zu waschen.
Der Derwisch verrichtete die Ceremonie, während das junge Mädchen seine dunklen Augen züchtig niedergeschlagen hielt, und setzte sich dann auf den Teppich, mit orientalischer Ruhe dem Wiederbeginn des Gesprächs oder das Bringen einer kleinen Erfrischung erwartend.
Unterdeß hatte sich der Platz vor der Hütte und um die kleine Moschee mit den Dorfbewohnern gefüllt, die theils von dem Felde, theils aus ihren spärlichen Behausungen hervorgekommen waren. Eine allgemeine Aufregung und Angst schien unter ihnen zu herrschen. Die Frauen rangen die Hände und geberdeten sich wie wahnsinnig, die Männer standen in der geduldigen Hingebung und Ruhe, welche ein so hervortretender Zug des indischen Charakters sind, oder unterredeten sich leise mit einander und umstanden einen Mann von ehrwürdigem, greisem Aussehn, dem sie, obschon er eben so ärmlich, wie sie selbst gekleidet war, doch offenbar einen gewissen Respect bewiesen.
Dabei vermieden sie scheu, einer Gruppe zu nahe zu kommen, die der Falir schon bei seinem Erscheinen bemerkt hatte.
Es waren dies vier oder fünf in seltsamen Stellungen auf der Erde lauernde, dem, wenn auch durch den nahenden Abend gemilderten, doch noch immer brennenden Strahl der Sonne ausgesetzte Menschen, die gleich Kugeln zusammengeballt dort hockten und eine schwere Steinlast auf Kopf und Rücken zu tragen schienen.
Nahe dabei, aber im Schatten der Moschee, saßen zwei Peons oder indische Polizeisoldaten, an der weißen Kleidung, den gleichen Turbans und den langen Stäben erkennbar, die neben ihnen an der Wand lehnten.
Sie schienen sich wenig um das Treiben um sie her zu kümmern, und nur zuweilen warf der Eine oder der Andere einen Blick auf die unglücklichen Gefangenen neben ihnen, um sich zu überzeugen, daß auch keiner von der ihm aufgebürdeten Last sich befreit habe.
Währenddessen war der alte Mann mit einer Anzahl Landleuten näher zu der Veranda gekommen. Sie hoben wie flehend
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die Hände empor, während ihre Blicke sich von Zeit zu Zeit ängstlich nach der andern Seite des Dorfes wendeten.
Dort - einen Hügel herab - kamen jetzt die Reiter und Fußgänger, die der Fakir vorher vom Bungalow des Zemindar heran ziehen gesehen.
»O Caulathy Mudaly,« sagte der alte Mann, »bei dem Propheten und der heiligen Kaaba von Mekka, hilf uns, wenn Du kannst, die böse Stunde ist gekommen!«
Und Männer und Weiber stimmten wehklagend in den Ruf ein: »Hilf uns, hilf uns!«
Der Ryot hatte sich erhoben. Er stand auf den Stufen der Bambustreppe, die zu seiner Wohnung führte.
»Wann habt Ihr je um Hilfe gerufen und Caulathy Mudaly hätte nicht seine Hand aufgethan?« fragte er mit ernster, klangvoller Stimme. »Ist Einer unter Euch, der sagen kann, ich hätte nicht mit ihm getheilt, so lange ich noch hatte? - Bin ich nicht selbst arm jetzt, wie Ihr, und habe kaum die Salz- und Kopfsteuer für mich und die Meinen bezahlen können, und mehr als eine Hand voll Reis, um uns zu ernähren bis zur Erndte? Da sind meine Speicher! Geht hin und seht, ob sie gefüllt sind! - Dort sind meine Ställe - seht zu, ob Ihr mehr als das Joch Ochsen darin findet, das zur Bestellung meines Feldes nothwendig ist. Allah hat unseren Peinigern Macht gegeben - wir müssen das Schicksal tragen. Vielleicht rührt der Prophet ihr Herz!«
»Sie haben keines - es ist ein Stein in ihrem Busen!« schrie eines der Weiber. »Sie tragen die weiße Leber der Faringi's! Sie haben kein Mitleid mit mir gehabt - warum sollten sie es mit Euch haben?«
Die Sprecherin riß das Gewand von Hals und Brust und ein schauerliches, ein erregendes Bild bot sich den Blicken dar. Die linke Brust des Weibes zeigte die furchtbaren Verwüstungen jener schrecklichen Krankheit, welche man Krebs nennt.
Die Fäulniß bei lebendigem Leibe hatte bereits den Quell verzehrt, aus dem das Kind die erste Nahrung trinkt, und zeigte eine eiternde Vertiefung, von blauen und weißen Ringen umgeben.
Aber der Derwisch war der Einzige, der der diesem schrecklichen
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Anblick zurückschauderte - allen Anderen war es ein bekannter gewohnter; denn die Zahl der unglücklichen Frauen, die langsam an der schrecklichen Krankheit dahinstarben, welche die unmenschliche Marter der Steuereinnehmer der Compagnie ihnen auferlegt, ist nicht gering in den indischen Provinzen!40
Der freie Ryot wandte sich ab von seinen unglücklichen Brüdern »Ein heiliger Pilger ist bei mir eingekehrt als Gast,« sagte er traurig, »Geht und beleidigt sein Ohr und sein Auge nicht mit dem Anblick Eurer Schmerzen!«
Möge sein Schatten lang und sein Segen bei uns sein,« murmelten die Unglücklichen, indem sie sich entfernten. »Er wird für uns beten.«
Der Wirth winkte seinem Gastfreund nach dem Innern des Hauses. »Die Weiber haben zu Deinem Mahl bereitet, was wir zu bieten vermögen, Pilger,« sagte er. »Es ist wenig, aber es wird hinreichen, Dich zu sättigen. Wenn ich Dir rathen darf, so besteige alsdann Dein Thier, so müde Du auch bist, und setze Deinen Weg fort, denn Dein Schlaf würde von dem Jammer des Unglücks gestört werden.«
Der Fremde hatte seine gebeugte Gestalt aufgerichtet, seine Züge waren ehern, sein Auge brannte fest und finster.
»Was fürchtest Du?« fragte er.
»Die Leute des Deputy-Collectors41 sind im Anzug. Sie kommen, um Steuern zu erpressen für den Zemindar und die Regierung, und ihr Herz ist von Stein. Es ist der letzte
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Termin, den sie den Bewohnern des Dorfes gesetzt und die Marter wird bald in vollem Gange sein.«
»Ich habe gehört von den Leiden, die die Armen erdulden müssen, aber man hat mir Dinge erzählt, die meine Seele nicht glauben mag. Ich komme aus fernen Ländern, wie ich Dir gesagt - laß mich selbst sehen, was Wahrheit ist an der Klage dieser Leute!«
Der Ryot antwortete Nichts als das Wort »Owh!« (Komm.) - Dann schritt er vor seinem Gastfreund her und verließ seine Hütte.
Der Derwisch folgte ihm auf den Platz vor der Moschee.
Hier war die Schaar, welche das Dorf vom andern Ende her betreten, jetzt eingetroffen und hatte sich um ihre Führer aufgestellt.
Diese bestanden in dem Verwalter des Zemindars oder Grundherrn, einem noch ziemlich jungen Europäer von hübschem aber frechem Aussehn, mit hochmüthig auf die Dorfbewohner herabblitzenden Augen im sonnverbrannten Gesicht, und dem Deputy-Collector, einem alten finstern Muselman, tyrannischen Amtsdünkel und Habsucht in den harten Zügen. Beide waren zu Pferde und von mehreren berittenen Dienern begleitet, während etwa zehn Peons oder Polizeidiener und eben so viel bewaffnete Sepoy's ihr andres Gefolge bildeten.
Auf ein Zeichen des Steuereinsammlers hatte einer seiner Untergebenen nochmals ein Signal mit dem Muschelhorn gegeben, auf welches die sämmtlichen Bewohner des Dorfes herbeikamen, wobei der alte Munsiff, oder Ortsrichter, mit Hilfe seines Untergebenen, des Tschaukidars, die Säumigen zur Eile antrieb, und bangend und zagend sich vor den Gefürchteten aufgestellt hatten.
Unter den Gruppen befand sich auch Caulathy Mudaly und der Derwisch, der mit großer Aufmerksamkeit den Verwalter des Grundherrn betrachtete.
»Hört ihr Hunde, ihr Gesindel!« redete dieser sie an, als allgemeine Stille eingetreten war, »die ihr nur durch die Gnade eures Gebieters und meine Nachsicht noch dies hübsche Thal durch eure Gegenwart beschmutzt - ich hoffe, ihr habt euch an den Burschen da, die wir gestern in's Annundal gesteckt, ein
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Beispiel genommen und eure Rupien aus den Winkeln zusammengescharrt, wo ihr sie versteckt. Seiner Ehren, Sir Lytton Mallingham, euer gütiger Grundherr, trifft morgen früh mit seiner Jagdgesellschaft hier ein, und das Geld muß für ihn bereit liegen, oder ich lasse euch sammt und sonders das Fell über die Ohren ziehen! Verstanden?«
Seine Sprache war ein Kauderwelsch von Englisch und Hindostanisch, schien aber den Bedrohten sehr wohl verständlich, denn viele von ihnen fielen auf die Kniee, streckten jammernd die Hände nach ihm aus, und Alle schrieen kläglich durcheinander, daß sie kein Geld hätten, und um Nachsicht bis nach der neuen Ernte bäten.
»Ihr Narren,« sagte der Verwalter, »das ist für die neuen Steuern. Das honorable Mitglied des Präsidentschaftsrathes, euer Herr, ist nebenbei ein prompter Geschäftsmann und duldet keine Reste. Aber ich kenne euer Gewinsel und weiß, was dahinter steckt. Würdiger Aly Karam, beginne Dein Geschäft und schenke keinem der greinenden Schurken ein Annah!«42
Der Steuereinnehmer befahl dem Munsiff, die Rolle herbeizubringen, welche das Verzeichniß der Bewohner des Dorfes enthielt, und nachdem sie der alte Mann ihm dargereicht, übergab er sie einem seiner Leute, um die einzelnen Namen aufzurufen, während er selbst ein gleiches Verzeichniß mit den Steuerbeträgen nachlas.
Der nicht ohne Geschmack, aber ziemlich geckenhaft in europäische Pflanzertracht gekleidete Verwalter, dem sein Huckabedar oder Pfeifenträger alsbald eine angezündete Cigarre in seinem Bernstein-Mundstück reichte, während ein anderer Diener einen riesigen Sonnenschirm am langen Bambusstäbe über seinem Kopf drehte, um Kühlung und Schatten ihm zu verschaffen, musterte unterdeß durch ein großes, unförmliches Lorgnon die Gruppen und Gesichter.
»Parasuma Granny, der Munsiff des Dorfes,« las der Steuerbeamte.
»Zwei Rupien und drei Annah's Rest von der Salzsteuer
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für die Regierung,« fügte der Einnehmer grimmig hinzu. »Hund von einem Vorsteher. Ich speie in Deinen Bart, wenn Du Dein Amt so schlecht verwaltest, daß Du selbst mit Schulden ein böses Beispiel giebst. Wo ist das Geld?«
»Effendi,« sagte der alte Mann, »ich verwalte seit dreißig Jahren diesen Posten, der mir im Jahre kaum dreißig Rupien einbringt, die Hälfte von den Steuern, die ich zahlen muß. Noch niemals bin ich im Rückstand gewesen - aber ich kann das Feld nicht mehr selbst bebauen und die Hilfe, die mein Sohn, der bei der Bengal-Armee steht, zu schicken pflegte, ist ausgeblieben. Ich wartete vergeblich auf seine Ankunft.«
»Bosch! Unsinn! - ich werde der Regierung berichten, daß sie Dich Deines Amtes entsetzt und der Zemindar wird Dich, fortjagen!«
»Very well! ich will dafür Sorge tragen!« Der alte Mann erbebte. Bei allem Elend und allem Leiden sind diese Aermsten ehrgeizig und würden eher ihr Leben, als sich von einem ihnen überwiesenen Posten, sei er so unbedeutend wie er wolle, schimpflich verjagen lassen.
»Mein Vater und Großvater waren bereits Richter im Dorfe,« sagte der Alte, indem er in den Taschen seines Kaftans kramte. »Ich habe kein Geld, aber mein Sohn schenkte mir, als er das letzte Mal bei mir war, diesen Ring, den er in Kabul im Afghanenkrieg erbeutet. Ich bitte Dich, ihn für die Schuld anzunehmen und mir den Rest des Werthes heraus zu geben.«
Er übergab dem Collector einen Ring, der einen einzigen Blick darauf that und ihn dann einzustecken suchte. Aber der würdige Verwalter des englischen Grundherrn war nicht weniger rasch, hatte sein Pferd dicht herbei gedrängt und hielt die Hand mit dem Ringe fest.
»Bah - purer Tomback mit einem werthlosen Glasstein,« sagie er mit einem verständigenden Blick auf den Collector. »Das hübsche Aussehn ist der einzige Werth, aber weil der Alte sonst eine ehrliche Haut ist und wenigstens den guten Willen hat, zu bezahlen, bitte ich Dich, Nachsicht mit ihm zu haben, Freund Aly.«
»Ich will es verantworten um Deinetwillen,« sagte der Steuereinnehmer großmüthig, indem er den Ring in seinen
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Leibbund steckte, »daß die Schuld bis zum nächsten Termin unberichtigt bleibt. Aber ich rathe Dir, Munsiff, daß Du dann das Geld bereit hältst, denn die Schatzkammer der Compagnie ist nicht gewillt mit sich spielen zu lassen.«
Der arme Dorfrichter sah ihn verblüfft an. »Maschallah! ich, dachte - ich meinte - -«
»Deine Meinung ist die Meinung eines Esels, Dein Vater und Dein Großvater waren Esel! Nimm Dich in Acht, daß ich meine Güte nicht bereue. - Wer ist der Nächste auf der Liste?«
Der Verwalter grinste spöttisch, während der alte Mann, der anfangs beabsichtigt hatte, ein gutes Wort für die Dorfbewohner einzulegen, verdutzt zurücktrat. »Halb Part, Aly,« flüsterte jener in englischer Sprache, »der Smaragd ist unter Brüdern fünfhundert Rupien werth!«
Das scharfe Ohr des Pilgers vernahm sehr wohl die Worte - sein Auge hatte den schändlichen Handel genau beobachtet.
»Caulathy Mudaly,« las der Unteraufseher von seiner Liste.
»Es ist ein freier Ryot und hat die Steuer bezahlt - bis auf ...[«]
»Verzeih,« unterbrach ihn der Mann, »ich habe Salztaxe und Kopfgeld bis auf den letzten Peis43 berichtigt.«
»Willst Du mich lehren, was in meiner Liste steht, Sohn einer Jüdin?« brüllte der Collector. »Du schuldest die Opiumsteuer mit zehn Rupien und sechs Annahs.«
»Aber ich baue keinen Opium und habe nie damit Handel getrieben, Fluch dem Gift, das unser Volk entnervt.«
»Du wirst zahlen oder wir pfänden Deine Habe und sperren Dich ein! Verstehst Du? Wallah! ich werde mir doch von einem Schurken wie Du bist, nicht in den Bart lachen lassen!«
»Der Ryot ballte die Faust, seine Zähne knirschten und seine Stirn färbte sich dunkelroth. Dennoch besiegte er mit gewaltsamer Kraftanstrengung die aufsteigende Erbitterung und sagte mit verbissenem Grimm: »Ich werde zahlen, aber ich bitte Dich, bemerke in Deiner Liste, daß ich keinen Opium bereite.«
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»Ich werde thun, was mir beliebt,« entgegnete mürrisch der Beamte, »Jetzt mach' und hole das Geld.«
»Ich habe nachher noch ein Wort mit Dir zu reden, Caulathy Mudaly,« sagte der Verwalter. »Also bleibe nicht etwa aus. Wer ist der Kerl an Deiner Seite? ich kenne ihn nicht, obschon seine Fratze mir irgendwo aufgestoßen sein muß!«
»Es ist ein Pilger, Sahib,44 der weit her kommt und an die heiligen Orte auf die Inseln will.«
»Möge er verdammt sein!« war die freundliche Gegenbemerkung. »Es zieht des Gesindels mehr im Lande umher, als es Schmeißfliegen giebt. Ihr seid Narren, daß Ihr solche Müßiggänger noch füttert! Aber vielleicht ist der Bursche ein Gaukler und kann allerlei Kunststücke, mit denen er morgen die Herrschaft ergötzen mag. He - Kerl - bist Du ein Zauberer, machst Du Künste?«
»Ich verstehe nur eine Kunst,« sagte der Derwisch, vor dem Anmaßenden sich beugend und den Salem machend, »aber sie würde nicht passen für Dich, edler Sahib.«
»Warum nicht? was ist's?«
»Ich verstehe die Kunst des Tättowirens, ich mache Zeichen auf Schultern und Arme, die unvergänglich bleiben.«
Der Ton, in welchem der fahrende Bettler diese Bemerkung machte, war gleichgiltig und bedeutungslos, dennoch schienen die Worte eine gewisse eigenthümliche Wirkung auf den englischen Verwalter zu machen, denn er wandte sich, ohne weiter zu antworten, rasch ab und zu dem Fortgang der Scenen bei der Steuererhebung.
Der Mann, der zunächst aufgefordert worden, war einer der wenigen Hindu's, die in dem sonst mohamedanischen Dorfe friedlich und einträchtig mit ihren Nachbarn wohnten. Der Collector forderte von ihm fünfzehn Rupien als Rest des Zehnten oder vielmehr Dritten - denn der indische Landmann muß außer den Steuern den dritten Theil all seiner Erträge und Habe an den Gutsherrn zahlen - für den Zemindar vom vergangenen Jahr. Vergebens betheuerte der Arme, daß der Zehnten,
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die Steuern für die Regierung und die Verwüstung seines Reisfelder durch eine Heerde wilder Elephanten ihm kaum das Korn zur neuen Aussaat gelassen und daß er seit dieser nur von wilden Früchten mit den Seinen sich genährt habe; der Collector schalt ihn einen Lügner und einen geizigen Betrüger, der sein Geld bei Seite gebracht habe, um sich der Leistung der Abgaben zu entziehen.
»Laß ihm die Kittie geben, Freund Aly,« sagte der Verwalter bemüht, den Eindruck der zufälligen Antwort des Derwisches in seinem Geist zu verwischen. »Im vorigen Jahr hat man bei seinem Weibe die Stäbe angewandt, und ich erinnere mich, daß das Mittel geholfen. Was meinst Du, wenn wir die Brüste aller dieser Weiber, wenigstens der jungen, in den Kittie preßten, es würde uns das Geschäft ungemein erleichtern?«
Der Collector schien die Tortur en gros noch nicht für anwendbar zu halten.
Sie ist jedoch in dieser Weise an anderen Stellen von den Steuerhebern der Compagnie angewendet worden; der offizielle Bericht der obenerwähnten Commission erzählt, daß in einem Dorfe die Busen aller Weiber in den Kittie gebracht, das heißt zwischen zwei Holzstäben zusammengequetscht wurden, so daß mehrere der Unglücklichen davon am Brustkrebs elendiglich langsam starben, Andere wurden mit glühenden Eisen gebrannt.
Der Collector winkte den Peons, den Kittie bereit zu machen. Zwei derselben erfaßten den Hindu, und zwangen ihn, nieder zu knieen. Der Aermste fügte sich mit jener stummen, leidenden Geduld des unglücklichen Volkes, obschon Thränen auf Thränen über seine hageren Wangen liefen. Sein Weib - jene Unglückliche mit der brandigen Brust - warf sich vor den Peons und Gebieter auf die Kniee und flehte vergeblich in herzzerreißenden Tönen um Erbarmen für ihren Mann. Der Verwalter befahl dem Tschaukidar, die Wehklagende zu entfernen.
Die Häscher hatten unterdeß einen breiten flachen Stein herbeigebracht und zwangen den Verurtheilten, die linke Hand flach auf denselben zu legen.
Dann nahm einer der Peons den Kittie, einen etwa 18 Zoll langen Stab, an dem einen Ende breit und dick, an dem andern
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mit stumpfer Spitze, stellte letztere auf die Handfläche des Hindu und setzte sich auf das dicke Ende des Stocks. Zwei andere Diener der Gerechtigkeit hielten den Hindu fest.
»Willst Du zahlen, Kifna Pillay?«45
»Möge die Allgütige mir helfen! - Ihr wißt es, ich kann es nicht!«
Das Blut quoll zwischen den gequetschten Adern und Muskeln hervor.
Das, Leser - ist die Kittie, eines jener humanen Mittel, welche die englisch-ostindische Compagnie anwendet, von ihren Unterthanen die Steuern einzukassiren!
Nur eine kleine Geduld, Leser - und Du sollst noch Besseres erfahren!
Aly Kuram, der Deputy-Collector, fuhr, ohne sich weiter um die Leiden des Gemarterten zu bekümmern, in seiner Liste fort. Der Nächste war wieder ein Muhamedaner. Er hatte die Regierungssteuer bezahlt, aber er schuldete noch dem Zemindar siebzehn Rupien. Aus Glaubensfreundschaft wurde er nur gepeitscht und auf drei Tage zum »Annundal« verurtheilt.
Das Annundal wird mit Variationen, je nach dem Geschmack und dem Raffinement der Steuereinnehmer, angewendet. Hier wurde der Schuldige mit dem Kopf zwischen die Kniee festgebunden, und ein Stein vom Gewicht eines Centners auf seinen Rücken gelegt.
Dem darauf folgenden Schuldner begnügte man sich, die große Zehe des linken Fußes mittelst eines angebundenen Strickes möglichst dicht an den Hals zu schnüren und ihn so zu zwingen, auf einem Beine zu stehen. Sobald er sich zu rühren wagte, schlugen ihn die Peons mit ihren Stäben in die Weichen.
Da bis jetzt noch kein Geständniß, kein Herausrücken von verstecktem Gelde erfolgt war, ergrimmte der habsüchtige Collector immer mehr und befahl, Feuer anzuzünden und die Eisen glühend zu machen.
»Rana Baulambal!«
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Eine junge Frau - eine Wittwe - trat zagend aus dem Haufen.
»Du bist eine Hindu - wie kannst Du Dich unterstehen mit einem Schleier vor uns zu erscheinen? Fort mit dem Lappen!«
Der rohe Griff des Steuerdieners riß das verhüllende Tuch von ihrem Haupte und Hals, daß Antlitz und Brust allen Blicken blosgestellt waren.
Ein Murren der Entrüstung erhob sich unter dem muselmanischen Theil der Bevölkerung, aber eine drohende Bewegung des Collectors scheuchte auch den Dreistesten zurück.
Der Verwalter betrachtete das Weib, die verschämt die Arme über die enthüllte Brust kreuzte, mit lüsternen Blicken, denn sie war eine jener weichen, üppigen Schönheiten, wie man sie häufig in Indien findet.
»Dein Mann ist gestorben?«
»Du sagst es, Sahib - das Unglück ist über meinem Hause. Er starb vor vier Monden.«
»Du bist seine Erbin und mußt seine Schulden bezahlen. Er ist die Landpacht für das letze halbe Jahr mit 120 Rupien schuldig geblieben. Hast Du das Geld zur Stelle?«
»Wischnu erbarme sich - ich weiß, daß mein Mann die Landpacht für das ganze Jahr entrichtet hat, als er bei Dir auf dem Amt in Winnkonda war. Er nahm das Geld mit sich, zehn Tage vor seinem Tode.«
»Was weiß ich, wo der Hund das Geld verpraßt hat. Hast Du eine Quittung?«
»O Herr Du weißt, daß wir nie eine erhalten!«
»So willst Du mich mit Lügen füttern! - ich kenne Dich von früher, Du bist der Widerspenstigkeit voll. Zahle oder fürchte meine Rache!«
Das Weib warf sich vor ihm in die Kniee. »Habe Mitleid - ich konnte Deinen Willen nicht thun. Das Gesetz Brahma's verdammt die Ehebrecherin auf ewig zur Wanderung!«
Der Verwalter schlug ein lautes Gelächter auf, und den Collector spöttisch auf die Schulter klopfend, sagte er: »Alter - da kommt es heraus, weshalb Du immer um die
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Hütte der schönen Baulambal schlichst, als Du uns das vorige Mal heimsuchtest!«
»Verflucht sei die Lügnerin und die Hündin, die sie geboren!« schäumte der Steuererheber, indem er sein Pferd an die Knieende hinantrieb, sie bei den Haaren in die Höhe riß und sie seinen Untergebenen zuschleuderte. »Schnürt ihr die Arme auf den Rücken, hängt sie mit den Händen an der Decke ihrer Hütte auf! Die Kittie an ihre Brüste!«
Das Jammergeschrei der Unglücklichen ward durch ein Tuch erstickt, das man in ihren Mund preßte. Zwei Peons hatten sie ergriffen und ihr die Arme auf den Rücken geschnürt. Dann schleppte man sie nach ihrer nahegelegenen Hütte.
Der Derwisch machte eine Bewegung, als wollte er der vergeblich Ringenden zu Hilfe eilen, aber er bezwang sich mit gewaltiger Anstrengung, kreuzte die Arme über die Brust und warf einen scharfen Blick zur Seite.
Allen diesen entsetzlichen Grausamkeiten hatten die zehn Sepoy's mit dem europäischen Unteroffizier, welche den Schutz und die militairische Bedeckung des Collectors auf seiner Rundreise bildeten, unbewegt zugesehen. Keine Spur von Mitleid oder Theilnahme mit ihren unglücklichen Landsleuten zeigte sich in diesen ehernen Gesichtern, welche die Broncefarbe, die sie trugen, dem unbeweglichen Metall noch ähnlicher machte. Der Drillstock des Korporals hatte sie von fühlenden Menschen zu militairischen Maschinen gemacht, und Hindu, wie Muhamedaner - denn beide Sekten waren in der kleinen Eskorte vertreten - kannten nur das Kommando ihres Führers und hatten eben so gehorsam auf seinen Befehl selbst die Unglücklichen auf ihre Bajonnete gespießt.
»Es ist vergeblich,« murmelte der Derwisch nach jenem Blick auf die gleichgiltigen Gesichter der Soldaten - »das Elend ihrer Brüder findet kein Echo in ihren Herzen. Es müssen andere gewaltigere Leidenschaften sein, die ihr Blut entflammen sollen. Aber welche?« - Er versank in düsteres Nachsinnen, während seine Lippen Gebete zu murmeln schienen und die Hände in rastloser Beweglichkeit nach der Eigenthümlichkeit der Orientalen die Kugeln seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließen.
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Der Collector und sein Freund, der Gutsverwalter, waren unterdeß von den Pferden gestiegen, um sich den Fortgang ihres Geschäfts bequemer zu machen; die Diener hatten Teppiche für sie auf den Boden gebreitet und der Huckabedar ihnen die Schibuks gereicht während ein Babatschy oder Koch an demselben Feuer, in dem die Eisen zur Tortur glühten, den Kaffee für sie bereitete.
Die schreckliche Manipulation nahm alsdann ihren Fortgang und selbst die Eisen kamen wiederholt in Gebrauch. In der That erreichten bei Verschiedenen die grausamen Martern ihren Zweck und zwangen sie zum Geständniß, wohin sie ihre letzten Rupien verborgen hatten. Selbst goldene Mohurs und Guineen kamen zum Vorschein. Es ist seltsam, mit welchem Geiz oder vielmehr mit welcher hartnäckigen Energie der Indier zusammenspart und seinen kleinern oder größern Schatz selbst mit Aufopferung seines Blutes vertheidigt. Dieser Zug von Habsucht und Geiz ist es auch, der einen großen Theil des Volkes zu den Knechten und Dienern der europäischen Gebieter macht, während es zu deren gänzlicher Vernichtung ausreichen würde, daß z. B. bei einem Kriegs- oder Reisezug die Schaar der indischen Diener auf ein Mal ihre weißen Herren im Stiche ließe, die dann hilflos in diesem Klima verschmachten müßten.
Das erpreßte Geld wurde in einen feinen Binsenkorb gethan, der vor dem Collector stand. Viele aber, und zwar die meisten der gepeinigten Dorfbewohner ließen geduldig die Marter über sich ergehen oder mußten das Entsetzlichste ertragen, weil es ihnen wirklich an jedem Mittel fehlte, die oft ganz ungerechte und längst bezahlte oder übertriebene Forderung der beiden Blutsauger zu befriedigen.
Die Mahomedaner wurden übrigens von ihrem würdigen Glaubensgenossen gewöhnlich mit größerer Nachsicht behandelt und blos in den Annundal gespannt, oder mit Stockschlägen in die Weichen tractirt, während die wenigen und noch ärmeren Hindu's die grausameren Martern trafen.
Unter diesen schien, außer dem Zusammenpressen der Daumen und Schienbeine durch den Kittie, dem Aufhängen an einen Baumast am Bart u. s. w., namentlich die Stricktortur die gräßlichsten Leiden zu verursachen. Diese besteht in der Umknebelung der
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Glieder und der Stirn des Opfers mit einem trocknen Strick aus Pflanzenfasern, die, naß gemacht, sich mit so großer Gewalt zusammenziehen, daß sie das Fleisch bis auf die Knochen durchschneiden.
Die Sonne war unterdeß untergegangen und die Nacht mit jenem raschen Uebergang eingetreten, der den Tropengegenden eigen ist. Fackeln von dem Holz der indischen Fichte und ein großes Feuer, die Moskito's aus den nahen, schilfigen Ufern des Gandlagama abzuhalten, waren augezündet worden, und das Geschäft der humanen Steuererpressung, das bereits volle drei Stunden gedauert hatte, nahte seinem Ende. Das Stöhnen und Jammern der Gemißhandelten ringsum mit den dunkelfarbigen, phantastischen Gestalten hätte dem Auge eines fühlenden Europäers die Scene als ein Spukbild der Hölle erscheinen lassen müssen.
Zuletzt erinnerte sich der Collector noch des freien Ryots, dessen Stellung im Dorf, so gering sie war, schon oft seinen Aerger erregt hatte, und rief ihn vor sich.
»Hast Du das Geld herbeigeschafft?« Der Gastherr des Derwisch trat hervor und zählte mit verbissenem Zorn die Geldstücke vor dem Forderer auf. »Ich habe es von der kleinen Mitgift meines einzigen Kindes genommen,« sagte er, »möge das unrecht Erworbene Feuer werden in Deiner Hand!«
Der Collector lachte. »Sei froh, daß Du so fort kommst. Deine Tochter ist sicher hübsch genug, daß sie keiner Mitgift bedarf.«
Der Ryot wollte sich mürrisch zurückziehen, als ihm der Verwalter zu bleiben winkte. »Ich habe noch mit Dir zu reden, Caulathy Mudaly. Wie ist es, hast Du Dich besonnen, das Feld am Fluß uns zu verkaufen? Seine Ehren haben die Anlegung der Mühle streng befohlen und werden sehr ungehalten sein, wenn die Angelegenheit bei ihrer Ankunft nicht in Ordnung wäre!«
»Verzeih', Sahib - es ist mein bestes Land - dem Zemindar gehört ja ohnehin das ganze Ufer und er wird nicht ungerecht sein gegen den armen Mann. Er kann leicht seine Mühle an einer andern Stelle bauen.«
»Narr! das wissen wir so gut wie Du! Aber der Herr
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will Dein Land nun einmal nicht länger mitten zwischen seinem Grundbesitz haben. Nimm die dreihundert Rupien, die meine Nachsicht Dir geboten und sperre Dich nicht weiter. Hier ist der Collector und sein Gehilfe als Zeuge, dort der Dorfrichter - also der Handel ist abgemacht!«
»Entschuldige mich, Sahib,« entgegnete demüthig der Bauer, »das was Du mir bietest, ist nicht die Hälfte dessen, was mein Vater für das Land an den vorigen Zemindar gezahlt hat, und nicht der vierte Theil seines wahren Werthes. Ich kann das Recht am Strom nicht missen, von dem allein ich meine Felder bewässern muß. Sie sind Nichts werth, wenn ich es verliere.«
In der That war das Recht auf das Wasser des Flusses, das sich der Zemindar oder sein Gutsverwalter angemaßt, eines der wichtigsten, und die Felder der Dorfbewohner hingen dadurch von seiner Willkür ab. Der Selbstbesitz des Ryot von einer Strecke des Ufers war daher ein Dorn in den Augen des Bevollmächtigten des Zemindars.
»Du weigerst Dich also? Bedenke wohl, was Du thust, Hund von einem Bauer!«
»Es ist mein freies Eigenthum, Sahib. Der Zemindar ist so reich - was bedarf er das Erbe eines armen Mannes!«
Der Verwalter hatte sich zu dem Steuereinsammler gebeugt und heimlich eine kurze Zeit mit ihm gesprochen. Dieser blätterte in seinen Listen.
»Höre,« sagte er endlich, »Thumbin Mudaly, der achtzehnjährige Bursche, den ich vorhin peitschen ließ, ist ja wohl Dein Verwandter!«
»Er ist der Sohn meines verstorbenen Bruders.«
»So hat er ein Anrecht auf Deine Felder?«
»Nein, Effendi. Mein Vater theilte das Seine zwischen uns, aber mein Bruder verkaufte sein Erbe an den Zemindar und gerieth in Armuth, Eben darum möchte ich das Meine behalten.«
»Dann wäre es Deine Sache gewesen, dafür zu sorgen, daß der Compagnie und dem Gutsherrn nicht zu kurz thue. Du mußt für die Steuerschuld des Burschen und seiner Mutter einstehen. Für was hat man Verwandte, wenn man nicht dafür
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zahlen müßte. Ahi! Du wirst die neunzig Rupien vorstrecken die sie schuldig sind.«
»Du beliebst Scherz mit Deinem Diener zu treiben, Effendi ich kann kaum die eigenen Steuern zahlen und habe kein Geld zu verleihen.«
Der Collecteur strich sich den Bart. »Willst Du die Summe geben?«
»Ich schulde Dir Nichts - ich habe schon mehr bezahlt, als das Gesetz vorschreibt. Ich kann es nicht.«
»In das Annundal mit dem aufsätzigen Schurken! Werft ihn nieder, Ihr Schufte, fürchtet Ihr Euch vor einem elenden Bauer?«
Der letzte Befehl war an die Peons gerichtet gewesen, die sich Caulathy's hatten bemächtigen wollen, von ihm aber mit kräftigem Widerstand empfangen und zurückgeworfen worden waren.
Der Ryot stand, auf seinen linken Fuß gestützt, die Hände geballt vorgestreckt, das Auge blitzend, das Bild eines kräftigen, zum Aeußersten gereizten Mannes.
»Bismillah! Bin ich ein Hund oder ein Sclave, daß man es wagt, mich so zu behandeln? - Nieder mit der verfluchten Herrschaft der Faringi's! Auf, Männer, rafft Euch auf aus Eurem Dulden und Leiden! Denkt an den alten Glanz unsers Landes und setzt Euch zur Wehr gegen die Tyrannen, wie ich es thue!«
Einige Stimmen erhoben sich und schrieen über die Ungerechtigkeit.
Der Verwalter und der Collecteur waren aufgesprungen. »Will der Hund Rebellion predigen? Unteroffizier, thut Eure Pflicht!«
»Gewehr zum Fuß! - fertig zum Feuern!« Die Ladestöcke der Sepoy's rasselten in die eisernen Läufe.
»Gewehr auf! - Schlagt an!«
Aber keiner der Dorfbewohner rührte sich mehr - Schrecken und Zagen lag auf allen Gesichtern - nur eine Frau und ein junges Mädchen waren aus der Menge herbeigeflogen und hatten schützend und bangend den Gatten und Vater umschlungen.
»Jetzt bindet den Sohn einer Hündin!«
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Die Peons warfen sich auf den Ryot. Noch wollte er sich im Gefühle seines guten Rechts unerschrocken zur Wehr setzen, aber Frau und Tochter selbst hinderten ihn daran. In wenig Augenblicken war er zu Boden geworfen und geknebelt.
Den Weibern war bei dem Ringen der verhüllende Schleier vom Haupt gerissen worden, - die langen, schwarzen Flechten wallten um das goldbraune, edel geformte Gesicht des jungen Mädchens, dessen schöne, große Augen Furcht und edlen Zorn ausdrückten. Die Natur des Vaters regte sich in dem Blute des Kindes. Wenig achteten in diesem Augenblick Mutter und Tochter auf die züchtige Sitte ihres Glaubens.
Der Verwalter schaute mit lüsternem, boshaftem Auge auf die jugendliche Schönheit des etwa dreizehn- oder vierzehnjährigen Mädchens, ein Alter, das unter diesem Himmelsstrich bereits die Jungfrau zur Reife bringt und in dem viele schon verheirathet sind.
»Jetzt, hochmüthiges Ding, will ich Dich kirre machen,« flüsterte er vor sich hin und zu dem Collector gewendet: »Hundert Rupien sind für Dich, Freund Aly, wenn Du mir beistehst, den störrischen Kerl und seine Tochter jetzt zu unserm Willen zu zwingen.«
Der Steuereinnehmer lächelte grimmig. »Spannt den Schurken in's Annundal, bis seine Muskeln und Knochen sich strecken, als wären sie vom Harz des Gummibaums.«
Die Peons knebelten die Zehen des Mannes, der nach seiner Ueberwältigung keinen Laut mehr von sich gab, um seinen Hals und schnürten die lebendige Kugel mit den vorhin erwähnten Baststricken zusammen. Dann warfen sie ihn wieder auf den Boden und der Collecteur selbst setzte sich mit der vollen Last seines Körpers auf den Rücken des Gemarterten, statt ihn mit einem Stein zu beladen.
»Willst Du Dich jetzt fügen, das Geld zahlen und dem Zenundar Dein Feld verkaufen?«
»Niemals! Niemals!«
»Der Bursche ist ein verstockter Sünder! feuchtet die Stricke an und bindet das heulende Weib an den Bananenbaum! Wir können ihr Gejammer hier nicht brauchen! Er stieß die zu
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seinen Knieen flehende Frau mit einem Fußstoß von sich. Es geschah mit ihr, wie er gesagt.
»Nun, braunes Täubchen,« sagte der Verwalter, indem er sich dem zitternden, mit wogendem Busen, aber starrem Schweigen in der Mitte des Kreises stehenden Mädchen näherte. - »Du erinnerst Dich, wie trotzig Du mich noch gestern unter den Dattelbäumen zurückgewiesen, als ich Dir den Vorschlag machte, meine Geliebte zu werden, weil ich Dich beim Baden im Fluß belauscht und wußte, daß Du ein nettes Stückchen Fleisch geworden. Damned! ich habe meiner Zeit weißen Lady's genug die Köpfe verdreht und brauche mich nicht von einer braunen Wetterhexe abweisen zulassen! Du schläfst diese Nacht bei mir im Bungalow und Dein Vater willigt ein, sein Feld zu verkaufen, dann soll ihm die Steuer für den Lungerbund von Neffen erlassen sein und er morgen früh aus dem Annundal kommen. Also sträube Dich nicht weiter, hübsche Zelima!« Er faßte ihren Arm und wollte sie fortziehen, aber die junge Indierin riß sich los und versetzte ihm einen so kräftigen Schlag in's Gesicht, daß er zurücktaumelte und sich die Backe hielt.
»Gott verdamme Dich - verfluchte Creatur! das sollst Du büßen!« Er machte einen Augenblick Miene, auf sie loszustürzen und seine Kraft zu brutaler Mißhandlung zu brauchen - aber der Anblick des Mädchens, die wie eine zürnende Göttin vor ihm stand, noch die Hand erhoben - und ein leises Spottlachen, das trotz der furchtbaren Umstände durch die Reihen der Dorfbewohner ging und ein lautes Echo bei den Sepoys fand, - hielten ihn zurück. Sein sonst hübsches Gesicht glühte in Zorn und Rachsucht. »Du hast Dich an dem Grundherrn vergriffen, Dirne, dessen Person ich vorstelle! Das soll Dir zur Stelle vergolten werden. Bindet ihr die Hände auf den Rücken!«
Er stürzte zu seinem würdigen Genossen. »Die Käfer, Aly - gieb mir die Büchse mit den Käfern! ich bin zu nachsichtig gegen die gelbe Brut gewesen, aber ich will sie züchtigen, daß sie an diese Nacht denken sollen!«
Der Collecteur reichte ihm gleichgiltig eine kleine hölzerne Büchse.
Unterdeß war das Mädchen von den rohen Polizeischergen
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gefesselt worden. Sie ertrug es ohne Widerstand, nur die Lippen fest aufeinandergepreßt.
Der Engländer stand jetzt vor ihr. Er hatte die Hände sorgfältig umwickelt, ehe er die Büchse geöffnet. Dann hatte er aus dieser ein etwa einen Zoll langes, schwarzes Insekt herausgenommen und zeigte es der Jungfrau.
Es war einer der entsetzlichen, berüchtigten Zimmermannskäfer.
»Willst Du mich jetzt fußfällig um Verzeihung bitten, willig thun, was ich Dich geheißen und den alten Schurken, Deinen Vater, zu dem Verkauf bestimmen?«
»Nie! ich hasse, ich verachte Dich, schändlicher Faringi!«
»Zu Boden mit ihr!«
Die Peons warfen das sträubende Mädchen nieder. »Bindet ihr die Füße an die Enden dieses Stocks.« Der schändliche Befehl wurde erfüllt. Der Ryot heulte vor Wuth, schleuderte durch seine Bewegungen den Collector von sich und versuchte, gleich einer lebendigen Kugel, sich in die Nähe seiner unglücklichen Tochter zu wälzen.
»Barmherzigkeit, Sahib - wage es nicht, mein Kind anzurühren. Nimm mein Feld und Alles, was mein ist, aber lasse sie frei!«
»Es ist ohnehin verfallen, Narr, für Deine Rebellion. Ihren Trotz will ich brechen.«
Der flehende, entsetzliche Blick des Gefesselten traf in diesem Moment das Auge des Derwisch.
Vorwurf - Bitte - Verzweiflung lag darin.
»Willst Du um Verzeihung stehen und meinen Willen thun?« drohte der Verwalter des Zemindars zu dem unglücklichen Mädchen.
»Niemals!« Sie spie ihm in das Gesicht. Zur Wuth entflammt, riß seine Linke ihr die einfache Kleidung vom Leibe. Der keusche Körper der Jungfrau wand sich hüllenlos vor den Blicken der Männer.
Der Schrei des Ryots glich dem Gebrüll eines Tigers.
Mit verzweifelter Anstrengung hatte er sich in die Nähe des Grausamen gerollt und preßte seine Zähne gleich einem wilden
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Thiere in den Fuß des Peinigers, da seine Glieder eng in den furchtbarsten Schmerzen gefesselt waren.
Der Gebissene schrie vor Schmerz und Grimm auf, wandte sich nach dem Angreifer und stieß ihn von sich. »Hund - das sollst Du mir entgelten! Fort mit ihm - haltet die Bestie mir vom Leibe!«
Diese augenblickliche Unterbrechung hatte der Derwisch benutzt, sich zu dem unglücklichen Mädchen zu beugen, und während ihr mißhandelter Vater von den Peons zurückgeschleift und gestoßen wurde, flüsterte er ihr zu: »Rufe: Pfui über Jack Slingsby! wer hätte geglaubt, daß der schöne Jack ein Weib martern würde!«
Das Mädchen sah ihn groß und staunend an - die Worte waren ihr ohne Sinn. Bereits wandte sich ihr Henker wieder zu ihr und stieß den Derwisch brutal zur Seite.
Seine lüsternen Augen weideten sich an dem junonisch schönen, unbefleckten Körper der unglücklichen Hindu-Jungfrau, den seine freche Hand betastete.
»Nun Dirne - nun siehst Du, wohin Dein Trotz führt! Statt mein Liebchen bist Du das Schauspiel Aller. Willst Du um Gnade bitten, Rebellin?«
Nur ihr Auge sprühte Haß und bittere Verachtung, während er das häßliche, zuckende Insekt in die hohle Hälfte einer Nußschaale legte, die ihm der Gehilfe des Steuereinnehmers reichte.
Der Blick machte seine Bosheit, seinen Grimm vollends zügellos. Das Entsetzlichste, Abscheulichste geschah vor den Augen so vieler Männer, die viehisch grinsend dem schändlichen Schauspiel zusahen.
An jene Theile, welche die Sitte der rohesten Völker durch ein ewiges Mysterium geheiligt hält, und die nur die Bestialität zu mißhandeln wagt, legte die freche Hand die Nuß mit dem giftigen Insekt.
Die Feder versagt den Dienst, die empörende Mißhandlung zu verfolgen - aber der Leser bilde sich ja nicht ein, daß sie eine Ausgeburt zügelloser, gemeiner Phantasie ist!
In den Zuckungen jungfräulicher Angst und Schaam traf
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das Auge des armen Mädchens auf die mahnend erhobene Hand des Fakirs - sie erinnerte sich seiner Worte und rief mit lauter Stimme:
»Pfui über Jack Slingsby! Schmach über den schönen Jack, der ein Weib martert!«
Die wenigen, von Keinem der Umstehenden verstandenen Worte übten dennoch eine Zauberkraft auf den Verwalter. Er prallte, wie vom Blitz getroffen, zurück, seine Farbe veränderte sich und seine Augen starrten erschrocken auf das Mädchen und dann auf seine Umgebung, als suche er da den Eindruck, den sie gemacht. Die Nuß und die Schaale mit den Käfern war seiner Hand entfallen, und der Derwisch benutzte rasch die Gelegenheit, indem er das Mädchen aufrichtete und ihr ein Kleidungsstück überwarf, den Fuß auf das schändliche Marterwerkzeug zu setzen und das giftige Gewürm zu zertreten, wobei er spöttisch den erschrockenen Engländer betrachtete.
Endlich hatte dieser sich gefaßt. Er stieß den Helfer zornig zurück und faßte wild den Arm des Mädchens. »Welcher Teufel hat Dir den Namen verrathen?« flüsterte er. »Noch einen Laut, und ich erwürge Dich und die Deinen. - Aber ich will Dich schon zum Geständniß bringen! Stopft ihr einen Knebel in den Mund und fort mit ihr nach dem Bungalow der Herrschaft. Daß Keiner mit ihr zu sprechen wagt, bis ich selbst dort bin.«
Aber ehe der neue, grausame Befehl vollzogen werden konnte, änderte sich plötzlich die Scene.
Die schmachvolle Beschäftigung und die erregten Leidenschaften hatten Alle verhindert, auf den Weg Acht zu haben, der von den Höhen im Süden in das Thal führte, sonst hätten sie dort schon lange Fackeln glänzen sehen und das Schnauben von Pferden und Elephanten hören können. Jetzt sprangen, ihre Fackeln hochschwingend, zwei indische Chiprassy's in vollem Rennen auf den Platz, schlugen mit den langen Stäben den im Wege Stehenden auf die Köpfe, und ihr lauter Ruf verkündete: »Platz! Platz! für Seine Ehren den Sahib-Sahib! - Begrüßt Euren Gebieter, Ihr Männer und Frauen!«
Hinter den Läufern kamen mehrere Männer zu Pferde, Europäer in Jagdkleidern oder der schimmernden rothen Uniform
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der britischen Offiziere, jeder begleitet von seinem Seyce oder Pferdehalter, und darauf zwei Palankins, von der doppelten Wache der Träger an langen Stangen in gleichmäßigem Lauf auf den Schultern getragen. Zwei mächtige Elephanten folgten, die Haudah des einen zur Aufnahme der ermüdeten Reiter bestimmt, in der des andern eine Dame mit einer Dienerin und einem Kinde.
Die Schaar der Dienstboten beiderlei Geschlechts, welche ein englischer Haushalt oder eine englische Reisegesellschaft in Indien bedarf, folgte theils zu Fuß, theils auf Eseln und Pferden oder Ochsenkarren mit dem zahlreichen Gepäck, so daß bald die ganze Breite des Platzes von dem Zuge angefüllt war. Die Zahl der Diener ist, wie erwähnt, selbst bei den geringeren Europäern sehr groß und steigt mit ihrem Ansehn und Reichthum. Für jedes Geschäft, für jede Dienstverrichtung des täglichen Lebens, wird ein besonderer indischer Diener gehalten, und sorgfältig wachen diese darüber, daß keiner das Geschäft des andern versieht, theils aus angeborner Trägheit, theils aus dem Kastengeist, der somit seinen Einfluß selbst auf die Dienstverrichtungen ausübt.
Da ist zuerst der Chiprassy oder Schobedar, der sogenannte Platzmacher, der mit einem Stabe in der Hand seinem Herrn vorausgeht; der Sirdar, der Oberaufseher oder Schatzmeister; der Huckabedar oder Pfeifenbesorger; der Tsauri-Bedar oder Wedler mit dem Fächer; die Schaar der Babatschy's oder Köche, von denen jeder wieder sein besonderes Amt hat, und der Vebischty's oder Wasserträger und der Doby's, der Wäscher. Dann der Abdar, der für die Kühlung der Getränke sorgt; der Claschy oder Zeltschläger; der Seyce oder Pferdehalter, mit seinen zwei Unterdienern; die Schaar der Kornaks, der Elephanten- und Kameelführer, und der Mäther, der niedersten Diener, die den Staub wegfegen. Kurz, jede Verrichtung hat ihren eigenen Mann und bei den vornehmen Damen geht es so weit, daß selbst für das Aufheben des der trägen Hand etwa entfallenden Taschentuchs eine besondere Dienerin angestellt ist.
Dies Gesindel also erfüllte mit den Reit- und Lastthieren alsbald den Platz in der Mitte des Dorfes, während die Reiter vor den Gruppen der Landleute hielten.
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Es befanden sich unter jenen mehrere ältere und jüngere englische Offiziere, von dem gewöhnlichen, insolenten Aussehn der Sieger und Herren in den unterjochten Kolonieen, die sich um den Mann gruppirt hatten, dessen Anhalten zuerst den Zug in's Stocken gebracht.
Obschon derselbe Civilkleidung trug, konnte diese doch eine gewisse militairisch feste und sichere Haltung nicht verbergen. Sein ruhiger Sitz auf dem feurigen Araber, der ihn trug, rivalisirte mit der Sicherheit jedes englischen Sportsman, er war von hoher aristokratischer Haltung und imponirender Gestalt, der die Tracht des hirschledernen mit Seidenstickerei geschmückten, braunen Reise- und Jagdhemds, mit dem breitrandigen, grauen Filzhut und der Geierfeder, nebst den hohen, weichen Reiterstiefeln, etwas Ritterliches verlieh. Dem entsprach auch das Gesicht, gebräunt von der Sonne und den Strapazen eines bewegten Lebens, aber von klassisch edlen Zügen, die den griechischen Typus zeigten. Es war beim Licht der Fackeln und der ernsten Faltung der Stirn nicht leicht zu erkennen, wie alt der Fremde sein mochte, doch war er offenbar noch ein Mann in seinen besten Jahren und konnte nur wenig die Mitte der Dreißiger überschritten haben.
»Halten Sie an, Gentlemen,« sagte er mit sonorer, wohllautender Stimme und der weichen Aussprache des Englischen, welche den Südländer verrieth, - »da vor uns liegen Menschen am Boden und unsere Pferde oder Elephanten möchten sie verletzen.«
Der Vorhang eines der Palankine wurde zurückgeschlagen und eine hüstelnde Männerstimme ließ sich hören mit der Frage, ob man bereits vor dem Landhause angelangt sei? Jetzt hatte sich auch der Verwalter von seinem Schreck über die Worte des Mädches und die plötzliche Dazwischenkunft des Reisezugs gefaßt und nachdem er dem nahestehenden Munsiff mit einem Rippenstoß zugeherrscht, die Herrschaft durch ein Freudengeschrei der Bauern begrüßen zu lassen, eilte er mit dem Hute in der Hand zu dem Palantin des Gebieters.
»Mylord erlauben Sie mir, mit Ihren getreuen Unterthanen Sie in Ihrem Dorfe zu begrüßen. Die Freude, Sie heute schon hier zu sehen, kann uns allein darüber trösten, daß wir
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mit den Vorbereitungen zu dem feierlichen Empfang noch nicht zu Ende sind.«
Die Diener hatten auf einen Wink des Gebieters den Palankin niedergelassen und der Schein des Feuers fiel hell und grell auf die Gestalt des darin Sitzenden.
Sir Lytton Mallingham, eines der einflußreichsten Mitglieder des geheimen Rathes von Indien und Kanzler der Präsidentschaft Madras, war ein Mann von einigen fünfzig Jahren, der den größten Theil seines Lebens in Indien zugebracht und sich ein kolossales Vermögen erworben hatte. Er war bekannt wegen seines habsüchtigen, harten Charakters, dem Mitleid und Großmuth fremde Gefühle waren. Da er aber einer der Mächtigsten in der Compagnie und sein Palast in Madras und Calcutta berühmt, seine Tafel mit den feinsten Leckerbissen aller Welttheile besetzt, sein Keller der vorzüglichste in den drei Präsidentschaften und sein Stall stets mit dem edelsten Vollblut Arabiens und Englands gefüllt war, so machte natürlich alle Welt ihm den Hof und wen sein Reichthum und sein Einfluß nicht anzog, den fesselte die wirkliche Liebenswürdigkeit und die feine Tournüre seiner Gemahlin.
Der Rath hatte erst in seinem spätern Mannesalter vor sechs oder sieben Jahren, bei einem Aufenthalt in England, die jüngste Tochter eines Lords mit einem der stolzesten Namen des stolzen Englands geheirathet, der aber von einer noch größeren Schuldenlast, als Titel und Ahnen wogen, erdrückt wurde, und war bei dieser Gelegenheit von der Königin zur Baronetwürde erhoben worden. Lady Helene ward das Opfer der Speculation ihres Herrn Papa's, wie gar manche Tochter des edlen Blutes Altenglands wird, das den Glanz des Reichthums sehr wohl zu schätzen weiß. Man sagte, daß sie sich mit gebrochenem Herzen in ihr Schicksal gefügt, da sie eine unglückliche Liebe zu einem jungen Kavallerieoffizier gehegt. Ein Mal als Frau, verstand sie auch meisterhaft, die Würde ihres Standes und den Schein äußern Glücks festzuhalten, wenn auch der erkünstelte Rosenschein ihrer Wangen dem tiefern Beobachter verrieth, daß unter dieser so glänzenden Hülle der Moder des Kummers und des Leidens wohnte.
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In den letzten Jahren hatte Lady Helene Mallingham jedoch auffallend sich verändert. Ihr Auge war belebt und strahlte zuweilen von einem ungewohnten Feuer und Glück, ihre Wange bedurfte nicht mehr des zarten Hauchs der Schminke, um frisch und rosig zu erscheinen, und sie gab sich mit sichtlicher Neigung den rauschenden Freuden und Vergnügungen der glänzenden Kreise von Madras hin, während ihr Gemahl, der hier zugleich - wie die meisten Regierungsmitglieder - stiller Besitzer eines der größten Bank- und Handelshäuser war - mit seinen kaufmännischen Geschäften, der Ausbeutung seines großen Grundbesitzes oder den Gouvernementsangelegenheiten beschäftigt war.
Nur in einem Gefühl begegneten sich fortdauernd die ungleichen Gatten. Das war die Sorge für ihren jetzt dreijährigen Knaben, ihr einziges Kind, an dem der Baronet mit jener exaltirten Zärtlichkeit hing, die sehr häufig ältere Männer für die Frucht einer späten Ehe zeigen.
Das Kind war ausgezeichnet schön, doch durch die Eltern überaus verzärtelt. Der Stolz und der Reichthum Sir Mallinghams hatte es für nöthig gehalten, ihm schon in seiner frühen Kindheit eine französische Erzieherin zu geben. Diese war es, welche mit der Ayah oder Amme des Knaben in der Haudah des einen Elephanten saß.
Es war auffallend, welchen großen Einfluß diese Person in der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit in der Familie des Baronets schon über alle Glieder derselben gewonnen hatte. Sie hatte es sofort verstanden, jeden Anschein einer dienenden Stellung von sich zu werfen und nahm durch ihre große Weltbildung, ihre feine Tournüre und die Andeutungen, die sie geschickt über ihre vornehme Geburt fallen ließ, den Platz einer Freundin und Gesellschafterin der Lady ein. Sie nannte sich Marquise Deprevaille und behauptete, aus einer der ältesten, aber verarmten Familien der Auvergne zu stammen. Diese durch viele namhafte Empfehlungen unterstützten Angaben waren es auch hauptsächlich, welche den hochmüthigen und eingebildeten Baronet von neuem Adel bewogen hatten, dieser Frau die Erziehung seines Kindes zu übertragen.
Die Marquise war um einige Jahre älter, als die Lady,
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schien aber jene Grenze des Alters schöner Frauen, den Rubicon den sie so lange zu überschreiten zögern, das verhängnißvolle dritte Jahrzehend noch nicht passirt zu haben, so ausgezeichnet war wenigstens ihr Aussehn und die Kunst ihrer Toilette.
Sie war überhaupt ein höchst verführerisches Weib; der Ausdruck ihres pikanten Gesichts fein und beweglich, ihr großes, dunkles Auge feurig und zugleich intrigant. Eine rastlose Unruhe und Beweglichkeit schien in diesem kleinen, zierlichen Körper zu wohnen. Sie besaß bald das Vertrauen der Lady, die volle Herrschaft über das verzärtelte Kind und einen auffallenden Einfluß bei dem Herrn des Hauses, den sie in einer ernsten Krankheit mit unermüdlicher Sorgfalt gepflegt, und dem sie sich dadurch und indem sie allen seinen Launen und eigensüchtigen Gewohnheiten schmeichelte, unentbehrlich gemacht hatte, so daß sie selbst das Recht des freien Eintritts in sein Arbeitskabinet genoß, was nicht einmal der Lady zustand.
Kurz, die Marquise regierte bereits den ganzen Haushalt, und ein großer Theil der Huldigungen der zahlreichen Schmarotzer und Freunde des Nabob fiel ihr zu.
Die Gestalt des Baronet, die der Schein des Feuers und der Fackeln auf den Kissen des Palankin zeigte, war lang und hager, von den Fiebern Indiens aufgezehrt, seine gelbe Lederfarbe bekundete jene Leberleiden, denen so viele Europäer in dem heißen Lande anheimfallen. Dennoch war sein Aussehn weder unangenehm, noch ohne Würde. Der Zug um den Mund prägte einen festen, bewußten Charakter aus, die hohe, schmale Stirn zeigte Hochmuth, und das scharfe Auge Verstand.
»Ah, Master Burton,« sagte der Baronet - »erfreut, Euch zu sehen; ich hoffe, Ihr habt meine Befehle empfangen und Alles zu unsrer Aufnahme bereit gemacht. Meine Gesundheit macht den Aufenthalt von einigen Wochen in der frischen Luft der Berge nothwendig, und diesen Herren da habe ich eine reiche Jagd versprochen für ihre Begleitung.«
Während der Verwalter, den der Baronet mit dem Namen Burton angeredet, wiederholte Complimente machte und seine Freude aussprach, den Grundherrn und seine Familie auf der Zemindarei zu sehen, stimmte die Dorfbevölkerung, von den Peons
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verstärkt, ein mißtönendes Freudengeschrei an, wozu die Sepoy's eine Ehrensalve abfeuerten.
»Laßt gut sein, laßt gut sein,« befahl der Baronet. »Mylady und Eduard vertragen den Lärmen nicht. Ich glaubte, ich würde Euch durch unsere frühe Ankunft überraschen, aber ich sehe, Burton, ich habe mich nicht getäuscht in Euch, Ihr seid auf Eurem Posten. Nur die Landpacht ist in letzter Zeit saumselig beigetrieben worden - wir werden ein ernstes Wort bei den Rechnungen zu reden haben. Sieh dort - dort ist ja auch Aly Karam, der Collector. Es freut mich, Dich eifrig in Deinem Dienst zu sehen, Mann. Komm morgen zu mir und statte mir Bericht ab aus dem Bezirk.«
Das Zeichen, das er geben wollte zur Fortsetzung des Zuges, wurde durch ein gellendes Jammergeschrei unterbrochen. Der Wittwe Baulambal war es gelungen, den Knebel aus ihrem Munde zu stoßen und ihr Schmerzensgeheul erfüllte die Luft.
Zugleich hatte sich Zelima, die Tochter des Ryot, durch die Peons gedrängt und warf sich vor dem Palankin auf die Kniee. Das schöne Kind in der dürftigen Hülle, die ihr die mitleidige Hand des Derwisch gereicht, war eine Erscheinung, welche die Augengläser der Europäer auf sich zog. »Erbarmen, Sahib,« schrie in flehenden Tönen das Mädchen, »Erbarmen bei dem Glauben Deines weißen Gottes und der heiligen Mariam für mich und meinen unglücklichen Vater!«
Die Vorhänge des zweiten Palankins wurden aufgerissen und zwischen den Falten erschien das bleiche, schöne Gesicht der Lady. »Was geht hier vor, Sir Lytton, was ist geschehen? Um Gotteswillen, meine Herren, befreien Sie mein Ohr von diesem entsetzlichen Geschrei!«
Der Baronet, welcher aus der Gegenwart des Steuereinnehmers ahnen mochte, was geschehen, befahl, vorwärts zu reiten, aber das Hindumädchen, jetzt durch ihre Mutter unterstützt, lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden und schrie, daß die Pferde und Elephanten über ihre Leiber weggehen sollten, wenn man sie nicht erhöre.
»Was ist mit den tollen Weibern,« herrschte unwillig der
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Baronet zu dem Verwalter - »was wollen sie und was bedeutet das Geschrei?«
Dies war bereits in ein dumpfes Wimmern verstummt. Der hohe Mann im Jagdhemd war mit einem der jüngeren Offiziere sofort vom Pferde gesprungen und nach der Hütte geeilt woher es erklungen. Sie trugen jetzt auf ihren Armen die unglückliche Frau herbei.
Ihre Arme hingen schlotternd herab, sie waren46 aus den Gelenken gerissen und gebrochen, die Brüste auf das Entsetzlichste zerquetscht.
»Gerechtigkeit, Sahib, Rache an diesem Bösewicht!« schrie die Frau, als ihre Befreier sie dicht vor dem Palankin niedergelassen, indem ihre Augen Feuer zu sprühen schienen auf den Collector. »Möge die Devy mit tausend Martern seine blutige Seele peinigen, Gerechtigkeit gegen ihn, wenn Du ein Richter bist in diesem Lande, ich klage ihn an auf Raub und Gewaltthat!«
»Fort mit Dir, Weib,« zürnte unwillig der Zemindar, »kein Richter wird solche unsinnige Klage annehmen, die gegen eine respectable Person im Amte gerichtet ist.47 - Schafft das Weib bei Seite!«
Der Fremde griff zornbleich nach dem Jagdmesser an seiner Seite, als auf einen Wink des hohnlächelnden Collectors die Peons die unglückliche Frau zur Seite stießen, aber ein leiser, warnender Ruf in italienischer Sprache, der aus der Haudah des Elephanten hinter ihnen kam, ließ ihn sich fassen, und mit ingrimmig zusammengepreßten Lippen warf er der Armen seine Börse in den Schooß und wandte sich ab von dem traurigen Anblick.
»Nun rasch - was ist hier vorgefallen?« befahl der Grundherr.
»Möge Dein Schatten lang sein, Herr,« berichtete der Deputy-Collector. »Die Bewohner dieses Dorfes sind schlimme Zahler und die Steuern vom letzten Termin schuldig, obschon
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die Ernte gesegnet war. Die Schurken weigerten sich, ihre Schuld in zahlen und jenes Weib hatte freche Reden im Munde.«
»Aber mein Vater ist keine Steuern schuldig - er ist ein freier Ryot und sitzt auf seinem Erbe,« schrie das Mädchen dazwischen. »Man wollte ihn zwingen, für einen Andern zu zahlen, und weil er sich weigerte, spannte man ihn in's Annundal. Habe Erbarmen mit uns, Herr!« Ihre zitternde Hand wies nach dem lebenden Klumpen, der eine Menschengestalt barg.
Die Lady schauderte. »O Sir, üben Sie Mitleid mit den Unglücklichen,« bat ihre liebliche Stimme.
»Es ist der stöckische Bauer, der sich weigert, sein Land für schweres Geld zu verkaufen, das mitten zwischen Ihren Feldern am Ufer des Flusses liegt,« berichtete der Verwalter. »Wir straften ihn, weil er lästerliche Reden führte und das Volk zum Aufruhr gegen den Steuererheber aufrief, so daß nur die Flinten der Sepoy's größeres Unheil verhüteten.«
»Steht es so?« sagte der Rath finster; »dann muß ein strenges Beispiel gegeben werden. Laßt den Kerl im Block und morgen soll er den Gerichten übergeben werden. Das Gesindel wird zu übermüthig.«
Die Frau des Verunglückten, der nur grimmige, feurige Blicke auf seine Feinde schoß, schrie auf im Jammer, da sie Englisch genug verstand, um den Inhalt des Befehls zu begreifen. »Allah erbarme sich unser! Was soll aus mir und diesem unglücklichen Mädchen werden, die man schon mit dem Schlimmsten bedroht hat, da ihr der Schutz des Vaters fehlte!«
Die Lady hatte die Klagen der Frau theils verstanden, theils errathen, da sie in schlechtem Englisch vorgebracht worden, um das Mitleid ihres Gebieters zu erregen,
»Das Mädchen gefällt mir,« sagte Lady Mallingham. »Sie soll uns zur Cottage begleiten und die Stelle der Dienerin einnehmen, die unterwegs erkrankt und zurückgeblieben ist. Sorgen Sie dafür, Sir - und nun lassen Sie uns weiter, denn diese traurigen Scenen greifen meine Nerven allzusehr an und Eduard wird gleichfalls der Ruhe bedürfen.«
Die feine, behandschuhte Hand ließ den Vorhang los, ihr schönes Gesicht verschwand hinter der Gardine, während sie noch
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einen flüchtigen aber ausdrucksvollen Blick nach der Gruppe der Reiter geworfen.
Der jüngste der Offiziere, ein schlanker junger Mann, mit aufgeworfenen, aber hübsch gezeichneten Lippen, krausem Blondhaar und unternehmendem Aussehn, in der Uniform der leichten Dragoner, hatte diesen Blick aufgefangen und erwiedert.
»Laßt diese Dirne sich der Dienerschaft anschließen, Burton,« befahl mißlaunig der Nabob. »Da Mylady es einmal will, mag es geschehen, obgleich wir des faulenzenden Gesindels wahrhaftig genug haben; und nun vorwärts, meine Herren, damit wir an Ort und Stelle kommen!«
Der Zug setzte sich in Bewegung und schritt über den Platz weiter, die Schobedars voran. Burton, der Verwalter, war - ehe er zu der Cottage oder dem Landhause des Herrn vorauseilte, - einen Augenblick zur Seite getreten und hatte seinem würdigen Genossen, dem Collector, seine Instructionen gegeben. Die Blicke der Beiden, auf Zelima gerichtet, bekundeten genugsam, daß von ihr die Rede sei.
Dies zeigte sich auch bald, denn während der Troß der Dienerschaft im langen Zug den Elephanten und Dromedaren folgte, trat der Collector zu dem Mädchen und ihrer Mutter.
»Die Zunge der Weiber bringt sie in's Verderben,« sprach er rauh, »aber das Glück hält seine Hand über ihnen. Komm denn, Du Närrin, die Du des Segens nicht werth bist, den Allah über Dich ergießt. Ich werde Dich zu den Bungalows begleiten und Dich den Personen übergeben, die für Dich sorgen wollen.«
Das Mädchen sah ihn zornig und verächtlich an, indem sie sich in die Fetzen ihres zerrissenen Schleiers zu hüllen suchte.
»Weiche von mir,« sagte sie - »ich gehe nicht mit Dir!«
»Mashallah - Du willst doch nicht die Gnade von Dir stoßen, die Dir geworden, Thörin? Wenn das Ohr der Gebieterin Dir offen steht, so ist es der einzige Weg, den Rebellen, Deinen Vater, zu retten! Fort mit Dir, Dirne, oder ich will Dir beweisen, was es heißt, Ali[Aly] Karam, dem Collector der Regierung, in den Bart zu lachen!«
Er faßte sie rauh am Arm und wollte sie, trotz ihres
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Widerstrebens, mit sich fortziehen, als der Schlag einer starken Hand ihn zurückstieß und ein Reiter sich zwischen ihn und die Jungfrau drängte.
»Fort mit Dir, Spitzbube,« sagte eine drohende Summe, - fort, oder ich schlage Dir den kahlen Schädel ein. Dieser Mann hier,« der Reiter, der kein Anderer war, als der stattliche Mann in dem braunen Jagdhemd, wies auf den Derwisch, der in der Nähe stand - »hat mich zu Deinem Beistand gerufen, indem er mir erzählte, wie schändlich man mit Dir umgegangen. Ich werde Dich schirmen gegen die Buben, bis ich Dich einem geeigneten Schutze übergeben kann, aber ich halte es für das Beste, daß Du den, wenn auch schlimm gemeinten Worten des Schurken dort folgst - denn die Fürsprache der Lady mag am Ersten Deinem Vater Hilfe bringen.«
Das Mädchen sah mit den großen, braunen Rehaugen zu ihm auf: »Du bist mir ein Fremdling, aber ich vertraue Dir. Du und jener fromme Mann sind die einzigen Freunde, die wir in unserer Noth gefunden. Aber ich möchte meinen Vater nicht in seinem Unglück und in den Händen seiner Feinde lassen!«
»Ich werde bei Deiner Mutter bleiben, Kind,« sagte der Derwisch, »und mit Allah's Hilfe Mittel finden, die Bande Deines Vaters zu erleichtern. Geh' getrost mit jenem Mann, wenn er auch ein Christ ist und zu den Faringi's gehört. Er wird Deine Unschuld schützen, - so gewiß er auf den Stein von Sanct Helena geschworen!«
Der Reiter fuhr zusammen bei den Worten, wie vorhin der Verwalter bei der Nennung eines Namens. Aber als er hastig sein Pferd wandte und den Fakir befragen wollte, war dieser bereits im dunklen Schatten der Moschee verschwunden.
Wenige Augenblicke noch hielt der Reiter im forschenden Umherschauen auf dem Platz, da aber alles Suchen und Vermuthen vergeblich war, wandte er sich wieder zu dem Mädchen, empfahl ihr, die Hand an seinen Steigbügel zu legen, und folgte nachdenkend mit ihr dem schon in der Ferne verhallenden Geräusch des Zuges.
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II. Der Nabob.

Zwei Tage waren vergangen seit dem schrecklichen Auftritt vor der Moschee im Dörfchen am Ufer des Gandlagama.
Auf den Wunsch der Lady, der ihr Gemahl nur selten widersprach, war die Anklage gegen Caulathy Mudaly, den Ryot, unterdrückt und er selbst am Morgen nach der Ankunft des Zemindar aus seinen entsetzlichen Fesseln entlassen worden. Dagegen hatte ihm der Verwalter angekündigt, daß zur Strafe das fragliche Feld am Ufer confiscirt worden sei, und ohne Rücksicht hatten Arbeiter die noch in der Reife begriffene Ernte zerstört, um dort die beabsichtigte Mühle zu bauen.
Der Beraubte hielt sich finster zu Hause, er kümmerte sich nicht mehr um die kleine Wirthschaft, die er sonst mit großem Fleiß besorgt, und seine einzige Gesellschaft war der Derwisch, der bei ihm geblieben, und mit dem er stundenlang eifrige Gespräche führte.
Als der Fremde, der, wie man im Dorfe vernahm, ein Verwandter der Marquise, der Gesellschafterin der Lady, und der Agent einer großen Turiner Seidenmanufactur, Namens Maldigri, war früher Offizier in sardinischen Diensten, und deshalb von den Engländern mit etwas geringerm Hochmuth in ihrer Gesellschaft geduldet, als sie sonst gegen Civilisten und Fremde zu zeigen pflegen, - ein Verhältniß, das der Sarde übrigens sehr bald durch seine Persönlichkeit zu einer Behandlung unbedingter Hochachtung und Gleichstellung umzuwandeln verstanden hatte, - als Major Maldigri also den Derwisch schon am andern Tage aufgesucht, hatte dieser geschickt verstanden, dem Besuch auszuweichen und war, so oft der Major erschien, nicht zu finden.
Die Cottage, welche die Gesellschaft des Baronets bewohnte, bestand aus einer Reihe von Gebäuden. Auf der Höhe des Hügels, zunächst dem Dorf, erhoben sich die Wirthschaftsgebäude und Bungalows, lange, einstöckige und niedere Steingebäude mit Rohr gedeckt, die zur Wohnung der Beamten und der zahlreichen Dienerschaft dienten und durch einen ziemlich weiten Raum und hohe Hecken von schönen Akazien von den Pavillons der Herrschaft
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getrennt waren. Diese lagen nach der Seeseite, am Abhang desselben Hügelrückens, umgeben von prächtigen Mangowäldchen und gewährten eine reizende Aussicht und eine köstliche, in diesem Klima erfrischende Luft. Sie bestanden aus einer Anzahl theils verbundener, theils einzeln stehender Kiosks von der leichten, zierlichen Bauart des Orients aus Holz und Rohr, im Innern mit allem Luxus europäischer Civilisation und indischer Ueppigkeit geschmückt. Weiter hin über ein Wäldchen Tamarinden ragten von der Spitze eines von den Bäumen verdeckten Hügels die Kronen majestätischer Palmen und glänzte der vergoldete Knopf eines chinesischen Sommerhauses, dessen reizende Einsamkeit die Lady zu ihrem Lieblingsaufenthalt erkoren hatte.
Der erste Schimmer der dritten Morgenröthe dämmerte über dem fernen Streif des Meeres am Horizont, als sich auf dem mit tausend Blumen übersäeten Platz vor der Cottage des Nabob die Gesellschaft seiner Gäste zu einem Jagdzug in's Innere des Landes versammelte.
Die Elephanten mit ihren Haudah's, darin die Büchsen und Flinten der Jäger, standen bereit, die Pferde stampften ungeduldig den Boden und eine Unzahl Treiber und Diener beschäftigte sich mit den Anstalten zum Aufbruch, dem Aufladen von Jagdzelten auf Packochsen und hundert anderen Dingen, wie sie zur Bequemlichkeit eines englischen Jagdzuges nöthig sind.
Der Nissam - der Fürst von Heiderabad, - hatte den Baronet zu einer Elephantenjagd in den Wäldern und Teichen an der Grenze seines Gebiets eingeladen und Hunderte von Bauern und Jägern waren bereits an jener Stelle versammelt, um das Wild aufzusuchen und das Jagdlager zu errichten. Das Jagdrendezvous war lange vorher bestimmt und Sir Mallingham hatte die Einladung schon in Madras angenommen, war aber jetzt durch Unwohlsein verhindert, sogleich mit aufzubrechen und wollte erst in einigen Tagen die Cottage verlassen und nachkommen, während sich seine Gesellschaft einstweilen auf der Jagd an dem zahlreichen Wild der Dschungeln ergötzen sollte, denn solche Jagdpartieen dauern oft mehrere Wochen.
Jetzt stand er vor der Thür des Pavillons, den er bewohnte, von seinen Gästen Abschied nehmend und ihnen noch
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einige Aufträge an den Nissam ertheilend. Die matte erschlaffte Miene zeigte, daß sich der reiche und mächtige Mann nur ungern so früh von seinem Lager getrennt und den Abschied so sehr als möglich zu beschleunigen wünschte.
»Es ist fatal,« sagte er, - »daß der Mensch, welcher als der beste Jäger und geschickteste Spürer gilt, dieser Caulathy Mudaly, selbst durch eine Belohnung nicht zu bewegen war, Sie zu begleiten, und behauptet, durch das Bischen Züchtigung, die ihm verdientermaaßen geworden, so krank zu sein, daß er die Glieder nicht rühren kann. Indeß, ich werde den Burschen selbst mitbringen, wenn ich nächsten Donnerstag aufbreche, verlassen Sie sich darauf. Ich hoffe, Sie werden uns einiges Wild übrig lassen. - Lieutenant Eglinton, es ist doch etwas gewagt, daß Sie solchen Strapatzen Ihren prächtigen Renner aussetzen wollen. Man sagte mir, daß ›Rookeby‹ Ihnen beim letzten Rennen in Madras tausend Pfund in Wetten und Preisen eingebracht habe.«
Der junge Dragoner-Offizier, den er anredete, und welcher derselbe war, der mit dem Major die unglückliche Wittwe von ihrer Marter befreit hatte, erröthete leicht. »Ich muß das Pferd an die Strapatzen des Feldlagers gewöhnen, Sir,« sagte er höflich. »Ich glaube nicht, daß Rookeby länger im Stande ist, mit Glück das Feld zu behaupten und habe ihn daher zum Campagnepferd bestimmt.«
»Nun, wie Sie wollen, Sir - ich biete Ihnen nochmals zweitausend Pfund dafür, aber ich werde mich hüten, das Gebot zu wiederholen, wenn wir von dem Jagdzug zurück kommen. Aber nun, meine Herren, in die Haudah's oder die Sättel - es streicht ein scharfer Wind durch die Berge und wir Männer von der Feder und vom grünen Tisch sind nicht so abgehärtet dagegen wie Sie. Also - gute Reise und glückliche Jagd. Erinnern Sie sich bei dem Aufbruch aber gefälligst, daß Mylady noch in ihrem Morgenschlummer liegt, und ich ihre Migräne den Tag über allein zu tragen haben werde, wenn sie gestört wird.«
Er verbeugte sich höflich und kehrte in seine Gemächer zurück, während die Jäger sich auf die Pferde schwangen oder die Elephanten bestiegen und der älteste Schobedar das Zeichen zum Abmarsch gab.
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Der Schlaf der Lady schien aber dennoch gestört; denn als zufällig Major Maldigri hinübersah nach dem Pavillon, wo, wie er wußte, das Schlafgemach der Dame lag, sah er den Vorhang sich leicht bewegen, und glaubte zwischen den Spalten der Jalousien einen Augenblick lang eine feine weiße Hand, gleichsam zum Abschied, sich bewegen sehen. Wie er schärfer hinblickte, war sie verschwunden, auf dem Antlitz des jungen Dragonerlieutenants aber begegnete er einer flammenden Röthe und verlegen beugte dieser sich nieder auf die Mähne seines edlen Pferdes, als sein Auge dem ernsten Blick des Sardiniers begegnete.
Nach und nach verklang das Geräusch des Zuges und die Stille und feierliche Ruhe einer erhabenen Tropennatur trat wieder rings umher ein.
Hätte ein Auge ihm nachgeschaut - und wer weiß, ob es nicht der Fall war - es hätte die lange Reihe der Menschen und Thiere noch an den jenseitigen Bergabhängen sich hinaufwinden sehen, einer mächtigen farbigen Schlange gleich, - als jetzt der erste Sonnenstrahl über die Kronen der Palmen zuckte.
War es der Wiederschein einer Fata Morgana der Morgennebel - nahte ein anderer Zug der Cottage des Nabob? daß dort von der entgegengesetzten Bergwand her die Mangrovebüsche in schlängelnden Bewegungen sich beugten und regten, daß die Gipfel der jungen Tamarinden sich krümmten und emporschnellten, gleich als würden ihre zarten Stämme durch eine vorbeistreifende Masse gedrückt - - - die seltsamen Bewegungen, der unsichtbare Zug schien seine Richtung nach dem Palmenhügel zu nehmen, wo zwischen den Riesenstämmen der Kiosk mit seiner goldenen Kuppel im Sonnenlicht flammte!


Es war um die Mittagszeit - die Hitze entsetzlich. Der Monsoon, der heiße Seewind aus dem Süden hatte während des ganzen Vormittags geweht, und die Natur selbst schien ermattet, lechzend nach einem kühlen Hauch.
Kein Europäer ließ sich blicken - jeder hätte gefürchtet, der drohenden Gefahr des Sonnenstichs zur Beute zu werden. Auch die Indier hatten jede Arbeit im Freien eingestellt und hielten sich
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innerhalb ihrer Hütten - selbst das Gekreisch der Papageien, das Geschrei der Affen war verstummt in dieser jede Bewegung lähmenden feurigen Atmosphäre.
Aber nein, nicht alles Lebendige ruhte: zwei Wesen trotzten der furchtbaren Sonnengluth und der verzehnfachten Anstrengung, und merkwürdiger Weise war das eine derselben ein Europäer - ein Engländer - das andere sein Pferd.
Im Galopp kam der kühne Reiter von den Bergen im Westen her, sorgfältig bemüht, zwischen sich und der Cottage den verdeckenden Zug der Hügel zu halten, oder wenigstens den Schutz der Bäume und Hecken zu haben.
Ueberflüssiges Bemühen! Wer dachte jetzt daran, sich von den Matten des Lagers zu erheben und nach dem Wolf umherzuspähen, der sich einschleichen will in den Stall des Hirten, sein bestes Lamm zu stehlen?
Es war einer der Jäger, die vor Sonnenaufgang von der Cottage ausgezogen waren nach dem Gebiet des Nisam.
Es war der junge Dragoner-Offizier - Lieutenant Eglinton - auf seinem Renner ›Rookeby‹, den er dem Nabob nicht für zweitausend Pfund verkaufen wollte, obschon das Pferd in der That sein einziges Besitzthum von Werth war.
Aber wie sahen Roß und Reiter aus!
Weißer Schaum bedeckte die Flanken des Thieres, die heftig auf und nieder wogten, dazwischen zeigten sich breite Streifen von Blut, die Spuren der scharfen Sporen des unerbittlichen Reiters, der das Thier zu dem Laufe gezwungen; die Nüstern waren weit geöffnet und warfen weiße Flocken, die Augen schienen von blutigen Adern durchzogen.
Wenn der Reiter einen Augenblick im Galopp anhielt, um sich zu orientiren und eine möglichst verborgene Richtung zu nehmen, dann schien das edle Thier zu schwanken wie ein Betrunkener.
Man sah, daß es bald am Ende seiner Kräfte war.
Aber wiederum stachelte es das Eisen des unbarmherzigen Reiters und trieb es weiter.
Diesen selbst schien nur ein unbezwinglicher Wille, ein Alles überwältigender Gedanke aufrecht zu erhalten. Er hatte die
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zusammengebrochenen Stücke eines Pisangblattes gleich einem großen Schirm und Hut über seinen Kopf gebunden und das weite weiße Leinentuch, was den Nacken schützte, flatterte im Luftzuge des Rittes. Eben so vermummt waren seine Hände. Trotz dieser Vorsicht mußte er entsetzlich gelitten haben. Sein sonst ziemlich weißes feines Gesicht war dunkelroth und in Strömen von Schweiß gebadet, sein Athem, gleich dem seines Pferdes, ein Keuchen.
Roß und Reiter hatten an diesem Tage bereits sechsundfünfzig englische Meilen - achtundzwanzig davon im vollen Sonnenbrande eines indischen Sommertages gemacht.
Wie er sich fortgestohlen von dem ersten Lagerplatz der Jagdgesellschaft - welchen Vorwand er gebraucht, zurückzubleiben, oder auf eigne Hand einen Abstecher in die Bergschluchten zur Seite zu machen, - das ist gleichgiltig. Vielleicht um Wild, das er verfolgt - vielleicht die Ruinen einer alten Mahrattenburg, die er näher zu beschauen wünscht - die meisten seiner Gefährten schliefen während der heißen Stunden und kümmerten sich nicht einer um den andern. Wer hätte ein solches wahnsinniges Unternehmen für möglich gehalten.
Nur der Sardinier hatte den jungen Mann beobachtet, seine Unruhe bemerkt, gesehen, wie genau er auf die Richtung des Weges achtete und sie häufig mit dem Miniatur-Compaß verglich, der als Berlocque an seiner Uhrkette hing.
Aber er hatte wirklich seinen Willen durchgesetzt, jetzt schien er am Ziel angekommen zu sein. Er war am Rande des Tamarindenhains, der den Palmenhügel umgab, von der entgegengesetzten Seite der Cottage. Hier hielt er sein Pferd im Schatten der weit gestreckten Aeste an und stieg langsam und ermattet ab.
Das Pferd, sobald es von seiner Last befreit war, stürzte in die Knie und warf sich auf die Seite.
»Armer Rookeby, braves Thier,« sagte der junge Offizier, indem er den Sattelgurt lockerte und das Kopfzeug ihm abnahm, »o, wenn Du das überstehst, bist Du das beste Pferd in ganz Indien und nimmst es mit dem edelsten Blut des Abdahlis auf. Was ich thun kann, Dich zu erfrischen, soll geschehen, und mußt
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Du für Deinen Herrn büßen, nun so stirb mit dem Gedanken daß Du ihn zu seinem Glück getragen hast.«
Er hatte die Stelle nicht ohne Absicht gewählt. Etwa fünfzig Schritt entfernt, im Schutz der Mangrovebüsche, sprudelte eine kleine Quelle aus der Hügelwand, ward in ein kleines Steinbecken aufgefangen und suchte dann ihren kurzen Weg zu dem Gandlagama. Der junge Offizier hatte sich seiner seltsamen Verhüllung entledigt, er nahm seinen schönen Panamahut von jenem ausgezeichneten elastischen Geflecht, das so fein ist, daß kein Wasser durchzudringen vermag, in die Hand, um sich seiner als Gefäß zu bedienen, und schritt zur Quelle.
Plötzlich schreckte er zurück und fuhr mit der Hand nach seiner Brusttasche.
An der Quelle ruhte unter den Büschen ein Mann, halb erhoben, den Kopf in die Hand gestützt, und seine dunklen schwarzen Augen beobachteten das Thun des Faringi.
Der junge Offizier hatte sich jedoch bald wieder beruhigt - er ließ den Griff seines Revolvers los, den er gefaßt - er sah, daß der Mann zu den Eingebornen gehörte und er begriff nach seinen Erfahrungen, daß ihm keine Gefahr von jenem drohe, ja daß es leicht sein werde, seine Hilfe und sein Schweigen zu erkaufen.
Ueberdies schien ihm das Gesicht des Mannes nicht ganz unbekannt. Dieser trug die ärmliche Kleidung eines wandernden Fakirs und die bezeichnende hohe wollene Mütze.
»Höre, Freund,« sagte der junge Dragoner in schlechtem und gebrochenem Hindostanisch zu dem Fremden, der bisher unbeweglich geblieben, »Du kannst mir einen Dienst leisten und sollst gut belohnt werden. Mein Pferd ist unter mir zusammengebrochen, erschöpft von der entsetzlichen Hitze. Hilf mir, einiges Wasser zu ihm tragen und es abreiben, sonst fürchte ich, verendet das Thier.«
Der Derwisch, denn es war der Gast Caulathy Mudaly's, den Eglinton hier getroffen, erhob sich schweigend, füllte seine Kürbisflasche an dem Brunnen mit frischem Wasser und schritt dem Offizier voran zu der Stelle, wo das Pferd lag.
»Nur ein Narr oder ein Verliebter kann so reiten,« sagte
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er mit hindostanischem Accent auf Englisch. »Das Thier ist dem Tode verfallen, wenn keine Luft in seine Lungen kommt.«
Ohne sich um den erstaunten Besitzer zu kümmern, kniete er nieder, zog ein kleines Messer aus der Tasche von Schakalsfell, die er an seiner Seite trug, befühlte mit sachkundiger Hand den Hals des Pferdes und stieß dann die Spitze des Messers in die Stelle, die er zwischen seinen Fingern hielt.
Das Blut sprang in einem rothen Bogen. Das edle Thier schnaubte, fühlte sich aber offenbar bald erleichtert, hörte auf zu zucken und blieb ganz ruhig liegen.
»Nimm ihm den Sattel vollends ab, oder Du wirst es nie wieder besteigen,« sagte der Derwisch in einem rauhen, fast befehlenden Ton. Dann, ohne sich darum, ob seine Weisung befolgt werde, oder um den Fluß der geöffneten Ader zu bekümmern, faßte er mit beiden Händen das Gebiß des Pferdes, drückte es fest zusammen, legte den Mund an seine Nüstern und blies lange und wiederholt hinein.
Die Brust des wackern Thieres schien aufzuschwellen, ein Gurgeln ließ sich in seiner Kehle hören, endlich entriß es mit einem heftigen Ruck seinen Vorderkopf den Händen des Fakirs und ein langes kräftiges Schnauben verkündete, daß die Circulation des Athems durch die Bluterleichterung wieder vollkommen hergestellt war.
»Jetzt,« sagte der Derwisch, »geh Deinen Geschäften nach, wegen deren Du dies edle Roß fast dem Tode überliefert. Ich werde dafür sorgen, und wenn Du zurückkehrst, wirst Du es frisch und kräftig an den Stamm jener Tamarinde gebunden finden. Ein andres Mal aber, eigensüchtiger Christ, bedenke, daß Allah das Leben allen Geschöpfen gegeben hat, und daß die Vorsicht, die Du zur Wahrung Deines Hauptes vor dem glühenden Strahl seiner Sonne gebraucht hast, auch dem Leben Deines stummen Dieners gebührt hätte.«
»Es ist wahr,« sagte beschämt der junge Mann, »ich dachte nicht daran. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, Mann, und wirst mir einen noch größern erweisen, wenn Du keinem Menschen sagen willst, daß Du mich hier gesehen. Ich erinnere mich Deiner aus der Nacht unserer Ankunft, Du bist einer der
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Bewohner des Dorfes. Nimm diese Guinee und Du sollst eine zweite erhalten, wenn Du mein Pferd mir hier sicher verwahren willst, bis ich zurückkehre, und es nöthigenfalls vor fremden Augen verbirgst. Ich habe Etwas in der Cottage vergessen und möchte Niemand durch meine Rückkehr stören.«
»Behalte Dein Geld,« entgegnete rauh der Andere, indem er die geschlagene Ader des Thieres kunstgerecht schloß, »Sofi verachtet alles Geld der Faringi. - Nimm Dich vor den Augen Deiner Brüder in Acht - mich kümmert nicht, was Du in dem Hause des geizigen Zemindar zu thun hast.«
Ohne weiter auf den Engländer zu achten, begann er das Pferd mit Blättern und Gras abzureiben, kühlte seine Schläfe und seine Brust mit Wasser und wusch ihm Nüstern und Mund aus.
Lieutenant Eglinton, ohnehin von dem Wunsch gedrängt fortzukommen, sah ein, daß er dem seltsamen Helfer ohne weiteres Versprechen vertrauen müsse; so wandte er sich zu der Quelle, wusch dort Hände und Gesicht, ordnete einige Augenblicke seine Kleidung und verschwand dann in den Gebüschen, quer durch Gehölz und Buschwerk emporsteigend nach der Spitze des Hügels.
Der Derwisch sah ihm spöttisch nach - dann setzte er eine kleine Schilfpfeife an die Lippen und entlockte ihr einen hellen, aber nicht unangenehmen Ton, der wie der Schlag einer Wachtel klang.
Einige Augenblicke darauf wurden die Zweige der Mangroven auf der entgegengesetzten Seite zurückgebogen, und das braune Gesicht Caulathy Mudaly's erschien zwischen ihnen.
»Hast Du den Faringi gesehen?«
»Hat Caulathy die Augen eines Jägers oder ist er ein Maulwurf?« war die Gegenfrage.
»Wohl! so folge ihm und berichte mir, wohin er geht!«
Der Ryot machte das Zeichen der Bejahung und verschwand wie der Engländer in den Büschen, während der Derwisch fortfuhr, sich mit dem Pferde zu beschäftigen und dasselbe jetzt vorsichtig zu tränken. -
Eine halbe Stunde mochte verflossen sein, als die Zweige
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aufs Neue heftig auseinander gerissen wurden, und die Gestalt des Indiers aus den freien Platz sprang.
Seine gelbe Broncefarbe hatte sich in ein schmutziges Grau verwandelt, die Augäpfel standen weit hervor, - der Mund war geöffnet - ein tödtlicher, entsetzlicher Schrecken brückte sich in allen Mienen und Geberden aus.
Noch vermochte er nicht zu sprechen, als der Derwisch ihn am Arm schüttelte.
»Inshallah! Mensch - rede - sprich - was ist geschehen!«
Der Hindu deutete entsetzt nach oben - seine Lippen bewegten sich endlich mit Mühe und stammelten ein einziges Wort. Es hieß - - -


In dem Gemach, in dem der Nabob seine Siesta hielt und die heißen Stunden des Tages verbrachte, herrschte ein mildes Halblicht, durch die geschlossenen Jalousieen, und niedergelassenen Gardinen hervorgebracht.
Der reiche Mann hatte seine gewöhnliche Kleidung mit einer weiten, leichten Tracht von weißem Zeug vertauscht, in der er auf den Roßhaarkissen des Divans ruhte, die Bernsteinspitze der Hukah zwischen den schmalen Lippen, während ein in gelben indischen Mousselin gekleideter Negerknabe die Kohlen auf dem persischen Tabak glühend erhielt und ein anderer Diener, der Tschauri-Badar, die Panka - den über dem Ruhebett von der Decke frei schwebenden großen Baumwollenschirm - mit einem Bambusstabe in drehende Bewegung setzte, so daß ein fortwährender Luftzug im Zimmer entstand, was am meisten zu dessen Kühlung beitrug. Zur Abwechselung ergriff der Diener auch den in goldnen Stiel gefaßten Wedel mit dem Kuhschwanz der langhaarigen Kühe von Nepal, und verscheuchte die unglückliche Fliege, die es gewagt hatte, dem Gebieter zu nahe zu kommen.
Die Hand desselben hielt ein Blatt der Times und hob es zuweilen zur Höhe der Augen, um diesen zu gestatten, einige Momente auf den Zeilen zu ruhen, sank aber bald wieder nieder - ja selbst die Lippen waren oft zu träge, das Mundstück des Wasserrohrs zu halten und ließen es entschlüpfen.
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Auf den Fußspitzen, gleich als dürfe er die Ruhe des Gebieters nicht stören, schlich der Knabe dann herbei, hob das Rohr auf, tauchte die Spitze in eine Schaale mit Rosenwasser und steckte sie wieder zwischen die Lippen des Herrn.
»Goddam!« stöhnte dieser - »es ist eine Hitze heute zum Ersticken und will gar nicht enden. Wie viel Grad, sieh nach, Kuleini?«
Die Worte kamen langsam wie abgebrochene Laute aus dem Mund - der reiche, mächtige Mann scheute selbst die Anstrengung des Sprechens.
»Ich werde den Sirdar fragen,« sagte der Diener. »Es ist sein Amt.«
»Schurke! - der Thermometer hängt dicht hinter Dir an der Jalousie. Den Augenblick sieh nach oder ich lasse Dir die Bastonade geben.«
Der Diener ging zögernd nach der Stelle, wo der Thermometer hing. Er besah ihn von oben bis unten und kam dann zurück.
»Verzeih, Sahib - aber ich könnte die Zeichen falsch deuten!«
»Dummkopf!« murmelte der Rath, indem er sich auf die andere Seite warf. »Das hättest Du gleich sagen sollen! Frage den Sirdar. - Wer ist im Vorzimmer?«
»Aly Karam, der Deputy-Collector, Sahib. Er will den Staub zu Deinen Füßen küssen, ehe er weiter reift.«
»Laß ihn herein kommen.«
Der Tschauri klopfte mit einem Silberstäbchen an eine Glasglocke, worauf ein anderer Diener durch die Thür eintrat. Diesem sagte der erste den Befehl des Herrn, worauf derselbe die Thür nochmals öffnete und dem harrenden Collector winkte, einzutreten.
Der Tschauri hatte unterdeß den Thermometer abgenommen und trug ihn hinaus, um von seinem Vorgesetzten nachsehen zu lassen, wie hoch das Quecksilber stand.
Als er zurückkam, meldete er 103 Grad.48
Der Steuereinnehmer war unterdeß, indem er die Pantoffel
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vor der Schwelle ließ, eingetreten und nahte mit tiefen Verbeugungen.
»Möge Dein Schatten niemals geringer werden, o Sahib-Sahib,« sagte er demüthig. »Ich komme, um mich bei Dir zu beurlauben, ehe ich mit den Sepoys weiterziehe zu den Dörfern am Ufer des Gandlagama. Ich bitte Dich, mir Deine Huld zu erhalten und an Deinen Knecht zu denken.«
»Hast Du die rückständigen Steuern sämmtlich einbekommen?«
»Ich habe mit Deinem Verwalter Abrechnung gehalten,« berichtete der Collector, - »es fehlen noch fünfzehn Rupien an der Landpacht und den Salzgeldern, aber Deine Zehnten sind bis auf wenige An[n]ah's in Ordnung. Wir haben vier der Hartnäckigsten die Zugochsen verkaufen müssen, obschon sie sagten, sie könnten ohne deren Hilfe die Ernte nicht einbringen.«
»Die Kerle werden sich schon irgendwo andere stehlen. Es muß auf Ordnung gehalten werden. Ich fürchte, Aly Karam, Du bist zu nachsichtig in Deinem Geschäft - man darf mit dieser trügerischen Brut kein Mitleiden haben.«
»O Sahib-Sahib,« rief der Steuerempfänger - »lasse die schlimme Wolke Deines Mißtrauens nicht über dem Haupte Deines Dieners. Maschallah! was kann ich thun? Ich habe seit acht Tagen vierundvierzig Männer und Weiber in's Annundal sperren und wohl dreißig die Kittie geben lassen müssen, so verstockt sind diese Bursche. Ich brauche Deine Gunst, wie die Pflanze den Thau! Warum sollte ich lässig sein? - Ich habe gehört, daß die Stelle des Collectors im Bezirk nächstens erledigt werden soll. Wenn der Strahl Deines Wohlwollens auf mich fiele - Wallah! - ich wäre ein glücklicher Mensch und würde gern tausend Rupien zu Deinen Füßen legen!«
»Ich fürchte, es wird nicht gehen - die Collectorstellen werden gewöhnlich nur mit Europäern besetzt!«
»Ich weiß, was ich bin, Nichts - ein Hauch - ein Ding ohne Werth, aber ich bin ein ergebener Mann und kenne den Dienst! Ich glaube, daß ich dreitausend Rupien beschaffen kann und bitte Dich, einstweilen diesen Ring anzunehmen für das Fehlende an den Steuern des Dorfs.«
Er legte den kostbaren Smaragd, den er dem armen Munsiff
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genommen, auf einen Tisch von Rosenholz, der zu den Füßen des Ruhebettes stand.
Der Ring war nicht 500 Rupien, wie der darin unerfahrene Verwalter ihn geschätzt, sondern mindestens das Fünffache werth.
Es ist übrigens - wir müssen das zur Verständniß der Sitten bemerken - das Geschenkgeben und Nehmen in Indien ein ganz gewöhnlicher Gebrauch. Nur besteht seit einiger Zeit die Verordnung, daß jeder Beamte oder Angestellte der Compagnie die empfangenen Geschenke an den allgemeinen Schatz abliefern soll, und zu deren Empfangnahme begleitet z. B. bei Gesandtschaften an die eingebornen Fürsten ein besonderer Beamter, der Babu, den Zug. Daß natürlich dabei die gewissenlosesten Unterschleife getrieben werden und der Geiz und Betrug vollen Spielraum behalten, ist selbstverständlich.
In diesem Augenblick klopfte es leise an eine Seitenthür zu Füßen des Divans. Sie wurde halb geöffnet, und die zierliche, feine Gestalt der Marquise von Deprevaille erschien auf der Schwelle.
»Verzeihung, Sir - ich fürchtete nicht, zu stören, und ziehe mich zurück.«
Der Nabob machte eine Bewegung, als wolle er sich erheben, »Madame, ich bitte, bleiben Sie - Sie wissen, daß Sie mir stets willkommen sind. Wir werden über die Angelegenheit weiter sprechen, Aly Karam, wenn ich nach Madras zurückgekehrt bin. Einstweilen bemühe Dich, Deinen Dienst gut zu versehen und hüte Dich vor jeder thörichten Nachsicht. Das Gesindel verdient sie nicht und die Kassen der Compagnie brauchen ihr Geld.«
Der Steuereinnehmer entfernte sich rückwärts schreitend unter demüthigen Verbeugungen.
Die junge Wittwe, denn eine solche war die Marquise nach ihrer Angabe, war näher getreten, und als der Baronet die Bewegung wiederholte, sich höflich zu erheben, eilte sie an seine Seite und ihre reizende kleine Hand drückte ihn selbst auf das Lager zurück.
»Ich bitte, Sir - wenn meine Gesellschaft nicht zudringlich erscheinen soll, - keine Störung in Ihrer Ruhe und Bequemlichkeit! Da ich unsern lieben Eduard nicht bei mir haben konnte
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und mich heute weniger angegriffen von der Hitze fühle, kam ich auf den Gedanken, Ihnen meinen Besuch zu machen und Sie zu fragen, ob ich Ihnen die Zeitungen vorlesen soll.«
Der Rath lächelte halb freundlich, halb schmerzlich. Die Aufmerksamkeit that ihm wohl und zugleich erinnerte er sich, daß seine Frau, die vornehme Dame, nie daran gedacht hatte, ihm eine ähnliche Freundlichkeit zu erweisen.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Madame,« sagte er höflich. »Ihre Güte bleibt sich immer gleich, aber ich kann Sie bei dieser Atmosphäre unmöglich ermüden mit den Debatten des Parlaments. Lassen Sie uns plaudern, Madame - ich vergesse meine Leiden und meine Sorgen stets in Ihrer Gesellschaft. - Einen Sessel für die Frau Marquise, Schurke!«
Obschon das Herbeitragen der Sessel keineswegs zu den Amtspflichten des Tschauri-Badar gehörte, war der Ton des Gebieters diesmal doch so streng und keinen Widerspruch duldend, daß der Hindu-Diener sich beeilte, zu gehorchen.
Die Marquise spielte mit den Zeitungsblättern, die dem Baronet entfallen waren, gleich als erwarte sie eine Frage, die auch nicht ausblieb.
»Sie sagten, Madame,« wandte der Nabob sich zu ihr, - »daß Eduard nicht bei Ihnen sei. Darf ich fragen, warum nicht und wo er sich befindet? Sie wissen, wie ruhig ich bin, wenn ich ihn unter Ihrer Obhut weiß.«
»O, ohne Besorgniß, Sir! Mylady hat den Knaben zu sich in den Kiosk auf dem Palmenhügel holen lassen, wo sie ihre Siesta zu halten pflegt. Mylady will gewiß des Knaben Gegenwart mit mütterlicher Zärtlichkeit genießen, darum hat sie ihre Dienerinnen entfernt.«
Der Baronet sah aus seiner Lethargie aus. Es lag etwas in dem süßen, entschuldigenden Ton der Marquise, das ihm durchaus nicht gefiel.
»Die Dienerinnen fortgeschickt? was ist das für eine neue Laune von Mylady? - Es könnte ihr und dem Kinde irgend etwas passiren.«
»O bewahre, Sir - der Pavillon ist ja so nahe, Sie können von hier aus die Kuppel über den Bäumen her sehen. Ueberdies
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ist ja unser lieber Eduard nicht mehr so jung. Er ist - lassen Sie sehen - im nächsten Monat drei Jahre. - Richtig - ich erinnere mich - er ist gerade ein Jahr später geboren, als das achte leichte Dragonerregiment, bei dem Lieutenant Eglinton steht, aus England nach Madras kam.«
Wiederum waren die Worte so naiv unbefangen, so zufällig und anscheinend absichtslos, - und dennoch zuckte der Rath unwillkürlich zusammen, und zwischen seinen Augenbrauen zeichnete sich eine häßliche Falte.
Die Marquise hatte unterdeß ein Blatt der Morning-Post ergriffen und las einige Hofnachrichten mit gleichgiltigem Tone vor, hin und wieder dazwischen plaudernd und den Baronet beschäftigend.
»Ah, Lord Vere ist bei Hofe empfangen worden. Sein Sohn, der Colonel, hat den Bathorden erhalten für die Bravour beim Sturm auf den Redan. Schade, daß eine russische Kugel ihn nicht getroffen. Eglinton hätte dann eine Aussicht mehr auf die Pairie!«
»Wie so - auf welche?«
Die Französin überhörte die Frage. »A propos! was hatte doch unser hübscher Lieutenant wohl vergessen, daß er sich von dem Zuge trennte und bei der brennenden Sonnenhitze noch ein Mal zurückkehrte!«
»Wie - Lieutenant Eglinton wäre zurückgekehrt!«
»Ei - wissen Sie das nicht? - Gewiß hat er Sie nicht stören wollen. Vor kaum einer Stunde sah ich ihn ganz deutlich mit dem Glase auf seinem ›Rookeby‹ die Hügel herunter galoppiren. Er ritt an der Seite des Thales entlang. Wenn er nur nicht den Sonnenstich bekommt!«
Der Baronet trocknete mit dem Foulard von chinesischer Seide den Schweiß von seiner Stirn. »Der Geck,« murmelte er - »um das Bischen Hirn, was der Bursche hat, wäre es nicht schade.«
»Fi donce, Sir - wer wird so boshaft sein. Sie haben Unrecht. Lieutenant Eglinton-Waterford ist nicht blos ein hübscher, sondern auch ein ganz gescheuter Mann. Wir Frauen verstehen das zu beurtheilen. Aber - mon Dieu, was ist Ihnen, Sir?«
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Der Baronet war bei der Nennung des Namens wie eine Stahlfeder in die Höhe geschnellt - sein Gesicht war todtenbleich.
»Was - wen nannten Sie so eben, Madame? - den Namen!«
Seine Hand packte krampfhaft ihren Arm.
»Ei, wen anders als Lieutenant Eglinton-Waterford - unsern Eglinton, Ihren Gast, Sir.«
Der Baronet stand aufrecht vor ihr. Seine Lippen, seine Hände zitterten sichtbar, doch suchte er sich gewaltsam zu fassen.
»Wie kommen Sie dazu, Frau Marquise, dem Lieutenant Eglinton den Namen Waterford zu geben?«
»Er ist ja der seine. Wissen Sie das nicht? Die Familie heißt Eglinton-Waterford, wenigstens führte er den letztern Namen bis zum Tode seines zweiten Bruders, als er noch beim Stabe des Vice-Königs in Dublin stand. Als Waterford ist er gerade mit den de Vere's verwandt. Mein Gott, wie schlecht Sie Ihren Adelskalender im Kopf haben, Sir!«
Die Todtenblässe des Baronet war in eine dunkle Röthe übergegangen, seine Augen flammten; - der hartherzige, egoistische, verlebte Mann schien wirklich schön und erhaben in diesem Ausbruch der Leidenschaft.
»Die Beweise, Madame, die Beweise!«
»Mon dieu! ich wiederhole Ihnen, es ist ja eine ganz bekannte Sache. Ueberdies - ich glaube sogar - ich habe zufällig das Stück eines Briefcouverts an ihn in der Tasche, das heute Morgen der Wind unter meine Veranda jagte. Die Herren Jäger gehen fahrlässig mit ihren Patronenpfropfen um. Es war so zierliches, duftiges Papier, darum hob ich es auf und steckte es zu mir, um Lionel bei der Heimkehr zu necken.«
Sie warf den Vornamen so leicht hin, suchte einige Augenblicke in der Tasche ihrer Robe und brachte dann das zerknitterte Papier zum Vorschein.
»Richtig - dieses ist es!«
»Geben Sie!«
Er nahm ihr fast unhöflich das Papier aus der Hand.
Es war die Hälfte eines mitten durchgerissenen zierlichen Couverts, auf dem die Schrift, trotz der Schwärzung durch Pulver
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und trotz der Risse noch deutlich erkennbar, und hatte wahrscheinlich zur Patrone gedient, war aber beim Herausziehen der Kugel auf den Boden gefallen.
Die Schrift war eine Damenhand.
Der Baronet lachte höhnisch auf, - der Ton war fast schauerlich.
»Und diesen Lieutenant Eglinton-Waterford haben Sie vor einer Stunde nach der Cottage zurückkehren sehen?«
»Ganz gewiß. Aber sagen Sie mir, was ist an alledem so Ungewöhnliches? was soll das bedeuten? - ich habe doch nicht Unrecht gethan, Ihnen das zufällig zu erzählen?«
»O nein, Madame, nein! im Gegentheil, ich bin Ihnen zum höchsten Dank verpflichtet, ich und Lady Mallingham, meine - Gemahlin!«
Er stand bereits an einem zierlichen Bureau von Acajouholz, mit Silber- und Elfenbein-Mosaiken ausgelegt, und suchte ein Behältniß aufzuschließen. Aber seine Hände zitterten so stark, daß er den Schlüssel nicht in das Schloß zu bringen vermochte, und mit einem ungeduldigen heftigen Faustschlag zertrümmerte er den Deckel.
Dann nahm er zwei schön gearbeitete kurze Pistolen von Lepage heraus, überzeugte sich, daß sie geladen, und ließ das Schloß spielen.
»Um Gotteswillen, Sir Mallingham! was wollen Sie thun? was soll das Alles bedeuten? Ihre Farbe wechselt fortwährend - Sie haben ein Fieber!«
»Nichts - in der Welt Nichts, Madame!«
Er öffnete das Fenster und stieß die Jalousieen auf.
Die Marquise versuchte ihn festzuhalten, wenigstens machte sie eine solche Bewegung.
»Wohin wollen Sie, Sir?«
»Wohin? - ich will Mylady fragen, ob sie weiß, daß Lieutenant Eglinton auch Waterford heißt!«
Er sprang, die Pistolen in der Hand, aus dem Fenster.
Die Marquise athmete tief auf, während sie die kleine zierliche Hand auf die Brust preßte.
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Ihr Auge funkelte einen Moment lang mit boshafter Schadenfreude.
»Endlich! - Wohl bekomm' die Ueberraschung, Mylady! - ich hoffe, diesmal sind meine Actien im Steigen!«
Sie folgte ihm rasch durch die Thür. Bestürzt - erstaunt sahen die Diener sich an - so hatten sie ihren gleichmüthigen starren Gebieter noch niemals gesehen. - - -
Als die Französin die offene Verandah erreichte, sah sie den Baronet, hoch aufgerichtet, mit hastigen Schritten quer über den Grund dem etwa achthundert bis tausend Schritt entfernten Palmenhügel zueilen.
Plötzlich stockte sein Fuß - er blieb stehen und schien zu horchen. -
Im nächsten Augenblicke hörte sie auch die Ursache dieser Zögerung.
Es war ein näher und näher kommendes Angstgeschrei - aus den Geranium- und Oleanderbüschen, die den Fuß des Hügels bedeckten, stürzte eine Gestalt hervor und schien mehr zu fliegen als zu laufen. Ihre Hände fuhren wild durch die Luft, von Zeit zu Zeit schaute sie, wie eine Verfolgung fürchtend, zurück.
Es war Zelima, die Tochter des Ryot, das junge schöne Mädchen, das die Lady nach seiner Rettung aus den Händen des Verwalters zu ihrer Leibdienerin gemacht.
Das Mädchen hatte jetzt den Baronet erreicht, an dessen Seite bereits die Marquise stand. Die Augen der Indierin starrten Schreck und Entsetzen - aus der keuchenden Brust rang sich nur ein Wort - ein Name - - ihre Hand wies zitternd nach den Palmen am Kiosk!
Seltsam! - Kein Lüftchen rührte sich in der noch immer schwülen Atmosphäre, und dennoch, - als die Französin ihre Augen zur Spitze des Hügels erhob, kam es ihr vor, als ob einer der gigantischen Baume hin und her schwankte und seine Blätterkrone tief zu dem Dickicht der Tamarindenbäume neige.


Das Innere des Pavillons auf der Spitze des Palmenhügels
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war mit allem Comfort eines englischen Boudoirs und dem Luxus eines indischen Frauengemachs ausgestattet.
In Stelle der Panka war der obere gewölbte Theil der Decke von einem vergoldeten, durch ein breites chinesisches Ober-Dach beschatteten Gitter gebildet, was einen fortwährenden leichten Luftzug unterhielt.
Die Wände des runden Gemachs waren mit Rosenholz getäfelt und reich vergoldet. Einige schöne Aquarells, englische Gegenden darstellend, hingen an den Wänden; die Staffelei, die in der Ecke des Gemachs stand, bewies, welche kunstfertige Hand diese Erinnerungen an die Heimath geschaffen.
Ein Bücherschrank, Stühle mit prächtigen Albums belastet, einige weibliche Handarbeiten und eine schöne englische Harfe zeigten die Beschäftigungen der reizenden Bewohnerin dieses indischen Tuskulums.
Ein köstlicher milder Duft erfüllte die Luft; er kam von einer einzigen Blume, der Champa, die in einem chinesischen Porzellangefäß mit Wasser stand, und von der eine einzige Blüthe genügt, ein Zimmer mit Wohlgeruch zu erfüllen.
Auf einem Tisch von dunklem goldgeäderten Marmor waren in Körbchen von Silberfiligran aus Bangkok49 jene köstlichen Früchte Indiens aufgehäuft, zu deren Frische und Wohlgeschmack man in Europa nichts irgend Vergleichbares hat: der Durian, die Mitte zwischen Melonen und Ananas haltend, die Frucht eines prächtigen Baumes; die fast durchsichtige Mangustane oder indische Apfelsine, mit ihrem würzreichen Duft und ihrer kühlenden Frische, den feinen Geschmack der Traube, der Erdbeere, der Kirsche und der Orange mit dem Geruch der Himbeere vereinend, das ganze Jahr über ein Labsal in dem heißen Lande, denn zu allen Zeiten ist der Baum, der sie hervorbringt, mit Früchten und Blüthen bedeckt; - die Mango's, Guava's, Bananen, Orangen und Ananas und die köstliche kleine Nuß des riesigen Nieng-Lak-Baumes, von der das kleinste Stückchen in ein Glas Masser geworfen, demselben Frische und Wohlgeschmack mittheilt.
Das Zimmer hatte nur wenige, aber kostbare Möbel: einen
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großen Marmortisch und einige chinesische Rohrsessel. An einer Wand, der Thür gegenüber, stand dagegen ein überaus schönes, niederes und breites Ruhebett, aus kühlen, weichen Matten, und seidenen, mit bunten, chinesischen Bildern gestickten Kissen gebildet, und von einem großen Gazeschleier, der an vergoldeter Agraffe von der Decke hing, ganz umgeben.
Auf diesem Ruhebett lag, den Kopf in die Hand gestützt, die Lady. Ein weites, luftiges Gewand von weißem, indischen Mousselin umschloß, von einer grünen Schnur zusammengehalten, die schönen Formen des Körpers; die nackten, zierlichen Füßchen wiegten sich in Pantoffeln von grünem Corduan. Eine jener prachtvollen, großen Lotosblumen von rosenrother Farbe, mit den goldfarbigen Staubfäden, war ihrer Hand entfallen und ruhte auf der feingeflochtenen Rohrdecke des Bodens, wo der dort liegende Knabe halb schlafend, halb wachend mit ihr spielte.
Die Jalousieen waren geschlossen, ließen aber mit dem vergoldeten Eisengitter der Decke genügendes Licht ein.
Trotz der schwülen, drückenden Atmosphäre schien die Lady wenig das Bedürfniß nach Ruhe zu empfinden, ihr Geist war vielmehr aufgeregt und unruhig. Von Zeit zu Zeit sogar erhob sie sich von dem Lager, ging nach den Jalousieen, die rings das Zimmer umgaben, öffnete eine oder die andere und schaute hinaus auf den Platz um den Kiosk und nach dem Grün des Wäldchens. Dann richteten ihre schönen Augen sich wieder auf eine kleine Pendüle von pariser Bronce, und ein Seufzer entfuhr den halbgeöffneten Lippen
Die Lady zählte jetzt etwa sechsundzwanzig Jahre und das Klima Indiens hatte wenig Einfluß auf ihre zarte Schönheit geübt, die noch ganz jenen durchsichtigen Teint bewahrte, welcher die Frauen der angelsächsischen Race auszeichnet. Mit dieser paarte sich jedoch das normannische Blut der mütterlichen Vorfahren in ihren Adern; denn während das blonde Haar, das schmachtende, blaue Auge und die Farbe des Gesichts jener Abstammung gehörte, zeigte die feste Bildung von Kinn, Nase und Stirn die Kraft ihrer Gefühle, ja selbst Leidenschaft, wenn sie erregt werden sollte.
»Ob er kommen wird - ob es ihm möglich gewesen, sich
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von der Gesellschaft zu trennen? - aber die Hitze ist entsetzlich, er kann nicht so wahnsinnig gewesen sein, den Ritt zu unternehmen.«
Und dennoch, obschon sie das sagte, sprang sie von Neuem auf und eilte an die Jalousieen.
Ein leichter Schrei entfuhr ihren Lippen, ihre Hand preßte sich auf das Herz, der Ausdruck ihres ganzen Gesichts verklärte sich. -
»Er ist wirklich da! - Lionel - hier - hier!«
Sie riß die Jalousie auf. Obschon ihr Ruf leise und gedämpft war, drang er doch zu dem aufmerksamen Ohr des Glücklichen.
Der Offizier, denn dieser war es, der quer durch das Wäldchen und die verschlungenen Lianengebüsche sich Bahn gebrochen, legte die Hand auf die Brüstung des Fensters und sprang in das Zimmer.
Seine erste Bewegung war, sich zu ihren Füßen niederzuwerfen und ihr Kleid und ihre Hände mit heißen, glühenden Küssen zu bedecken.
»Helene!«
»Lionel!«
Die Hand der jungen Frau wies nach dem schlaftrunkenen Kinde. »Hast Du denn Eduard vergessen?«
»O, wie sollte ich, Helene,« sagte der junge Mann, indem er das Kind in seine Arme nahm und an seine Brust drückte. »Erinnert mich nicht jeder seiner Züge an seine Mutter, und jeder der ihren an sein theures Antlitz? Geliebte - ewig Geliebte - Eure beiden Bilder sind zu einem verschmolzen in meinem Herzen!«
Sie hing in seinen Armen, an seinen Lippen, während er sie sanft wieder auf das Ruhebett niederließ.
»Es ist unmöglich,« flüsterte sie, »ich kann es nicht länger ertragen! Täglich wird mir diese Lage verhaßter, unnatürlicher. Dazu die Furcht, die Angst, daß ein Zufall uns entdecken und verrathen mag. Zwar hat Mallingham nie mit einer Sylbe nur gezeigt, daß er weiß, wir hätten uns früher gekannt, geliebt, aber dennoch könnte eine zufällige Begegnung es zur Sprache bringen.
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Darum auch darfst Du nur selten unser Haus besuchen, darum sind die Augenblicke so vereinzelt, so kurz, die ich Dir weihen kann.«
»Aber wird es nicht gefährlich sein, daß Du mich hierher beschiedest?«
»Nicht mehr, als jede andere Zusammenkunft. Der Baronet bringt die Zeit bis zur Abendkühle stets in seinem Zimmer zu und weiß, daß ich es nicht liebe, belästigt zu werden. Nein, nein, mein Geliebter, zwei volle, schöne Stunden sind noch unser unbeschränktes Eigenthum, und Zelima, das Hindumädchen, dessen Vater ich von der Untersuchung befreite, hält auf dem Wege zur Cottage Wache und wird von jeder Störung bei Zeiten mich benachrichtigen. Aber Du, Lionel, wie hast Du es angestellt, Dich von Deinen Begleitern loszumachen und in der Nähe des Dorfes zurückzubleiben?«
Der Offizier lächelte. »Ich bin in dem Dorf nicht zurückgeblieben, es war unmöglich. Ich verdanke es Rookeby, meinem braven Pferde, daß ich Dich in meinen Armen halte. Ich habe erst vor zwei Stunden die Jagdgesellschaft, achtundzwanzig Meilen von hier, in ihrem Mittagslager verlassen.«
»Wie? unmöglich - Du hast den weiten Weg durch die Berge allein, in dieser entsetzlichen Hitze, zurückgelegt!«
»Im Galopp, Helene - und wäre es durch ein Meer von Feuer gegangen, ich hätte den Ritt gewagt. Freilich ist Rookeby arg mitgenommen und nur der Hilfe eines Fakirs verdanke ich seine Erhaltung. Aber was thut das, Du rufst - und hier ist Dein Ritter und hält Dich und den Knaben in seinem Arm.«
Sie trocknete und küßte seine heiße Stirn, holte ihm von den süßesten, erfrischendsten Früchten herbei und zwang ihn, sie zu genießen.
»Mein Lionel - o wie ich Dich liebe für diese Opfer, die Du mir bringst! Wie mein ganzes Leben allein noch in der Liebe zu Dir vegetirt, in dem Hoffen und Sehnen, Dich wieder in meiner Nähe zu wissen, von Zeit zu Zeit in Dein treues Auge blicken, aus Deinem Munde die Betheuerung Deiner Liebe vernehmen zu können. Aber ich rief Dich nicht, um Dir zu sagen, was Du längst weißt, ich rief Dich, um Dir zu sagen: es soll
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nicht länger so bleiben, die Zeit ist da, wo wir Alles wagen müssen, um Alles zu gewinnen.«
»Was meinst Du - was soll ich vernehmen?«
Das Kind war wieder eingeschlafen und ruhte unter seinen Spielsachen auf der Matte. Sie zog den Geliebten zu sich auf das Ruhebett und warf mit einer Bewegung der Hand die verhüllende Gardine darum her.
»Höre mich an, mein Geliebter,« sagte sie schmeichelnd. »Wie oft in den kurzen, süßen Stunden, die uns geworden, haben wir hundert Pläne entworfen, uns aus dieser traurigen Lage zu reißen, um ganz und ungetheilt einander angehören zu können. An tausend Hindernissen scheiterte die Erfüllung unserer Wünsche.
»Diese Hindernisse - das Glück und der Zufall haben sie hinweggeräumt. Zunächst - ich bin reich - ich bin keine Bettlerin mehr, die von dem Willen und der Gnade eines verhaßten Mannes abhängt, der mit seinem Gelde einst mich von meiner Familie gekauft hat. Du hast von dem Grafen Francis Murray, einem Verwandten unserer Familie, sprechen hören?«
»Dem reichen Sonderling, der auf seinen Gütern im schottischen Hochlande, abgeschieden von aller Welt, lebte?«
»Demselben. Das letzte Dampfboot von Suez brachte die Nachricht von seinem Tode und daß er mir hunderttausend Pfund in seinem Testament ausgesetzt hat, weil - es ist kindisch, zu sagen, aber der Alte war von jeher ein Narr - ich als Kind ihm das Gesicht zerkratzte, als er mich bei dem einzigen Besuch, den er meinen Eltern machte, küssen wollte, während meine Schwestern fein artig stille hielten.«
Beide lachten heiter und fröhlich zusammen unter den süßesten Liebkosungen, gleich als hinge das Damokles-Schwert des Verderbens nicht an einem Haar über ihrem Haupte.
»Die hunderttausend Pfund sind in Anweisungen auf die Bank von Kalkutta und in Schatzscheinen in meinen Händen. Hier sind sie.«
Sie übergab dem Geliebten das kleine, gestickte Portefeuille, das bisher in ihrem Busen geruht.
»Acht Tage nach unserer Rückkehr nach Madras wird Sir Mallingham zur Versammlung des großen Rathes sich nach
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Kalkutta begeben und in einer Mission später nach Lucknow gehen. Wir werden ihn begleiten. Kennst Du den Maharadschah von Bithoor, Nena Sahib?«
»Nein.«
»Er ist ein angeschener, eingeborner Fürst in jener Gegend, ein Anhänger der Engländer, obschon er sich schwer über die Compagnie zu beklagen haben soll. Er war im vorigen Jahre in Kalkutta und ich lernte seine erste Gemahlin oder Geliebte - ich weiß wirklich nicht, was von beiden sie ist - kennen und fand unerwartet in ihr eine Spielgefährtin meiner Kindheit wieder, die Tochter eines kleinen Grundbesitzers in der Nähe des Schlosses meines Vaters in Irland, die nebst ihrem Bruder durch seltsame Schicksale nach Indien verschlagen wurde. Sir Mallingham führte damals einige Unterhandlungen mit dem Radschah und mußte es daher dulden, daß ich die alte Freundschaft mit Margarethe O'Sullivan erneute, die wie zu einem Halbgott zu ihrem Indier emporblickt, der, wenn ich mich recht erinnere, ihrem Bruder einst durch eine kühne Handlung das Leben rettete. Sie weiß unser Geheimniß, sie hat mir ihren und des Nena's Beistand versprochen, wenn die Stunde gekommen. Sie - aber still - was ist das für ein Rauschen in den Gipfeln der Palmen - hörtest Du Nichts, Lionel?«
»Die Sonne beginnt sich zu neigen, es ist der Wind, der von der Küste her durch das Land streicht. Bald werde ich wieder aufbrechen müssen.«
»O nicht so, mein Geliebter - noch ist das Ende der Siesta fern. Laß uns weiter reden von dem Entschluß, den ich gefaßt habe. Sobald wir Madras verlassen haben, suche Dir Urlaub zu verschaffen. Da Alles im Frieden ist, wird es Dir leicht werden, diesen zu erhalten. Du folgst uns sogleich nach Kalkutta und Lucknow, ohne Dich jedoch Sir Mallingham bemerklich zu machen. In Bithoor, der Residenz des Nena, findest Du Nachricht von mir. Ich werde es möglich machen, in Lucknow oder Cawnpur zurück zu bleiben, wenn der Baronet nach Delhi weiter geht. Dann bin ich frei und Dein, wir entfliehen mit Margarethen's Hilfe ...«
»Aber wohin ...«
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»O, ist Gottes schöne Erde nicht weit und sollte sie nicht Raum haben für drei Wesen, die nichts Anderes wollen, als nur einander gehören? Laß uns nach einem der glücklichen Thäler Kaschemirs, nach Isle de France, wo Paul und Virginie lebten nach Amerika, wohin Englands Macht nicht reicht - mit Gold öffnen sich alle Wege und mit Gold werden wir selbst in Europa ein freies und sicheres Asyl finden. Das Wie und Wohin ist Deine Sache, die Sache des Mannes!«
»Helene - hast Du auch alle Opfer wohl überlegt, die Du mir bringen willst?«
»Böser Mann, Du liebst mich nicht. Was weiß eine Frau von Opfern, wenn es ihrer Liebe und dem Glück ihres Herzens gilt. Soll Eduard noch länger den Namen des Verhaßten tragen? Meinst Du, Du allein könntest allen Gefahren, der glühenden Sonne dieses Himmels, dem Wahnsinn und Tode Trotz bieten, um in meinen Armen zu sein!«
Er schloß sie in die seinen und bedeckte sie mit seinen Küssen. »Es sei - Alles für Alles, Weib meiner Seele.« - - -
Plötzlich störte das Weinen des erwachten Kindes ihren nicht endenden Abschied.
»Maman! Maman! das häßliche Thier - o Maman - ich fürchte mich!«
Die junge, verirrte Frau riß die Vorhänge des Ruhebetts von einander - die Strafe ihres Verbrechens stand in der furchtbarsten Gestalt, gleich einem der Hölle entstiegenen Dämon, vor ihren Blicken.
Der kleine Knabe, in seinem leichten Röckchen, hatte sich bis in die Mitte des Gemachs gewälzt und knieete dort jetzt auf der Matte, die Arme furchtsam und abwehrend gegen das gegenüberliegende Fenster gerichtet, dessen Marquise die Lady vorhin geöffnet hatte, um nach dem Geliebten auszuschauen.
In dem Rahmen bewegte sich eine widerliche Ungestalt, zwei rollende, stechende Augen schossen grünliche Blitze auf das arme Kind, ein weit geöffneter Rachen mit zwei Reihen kleiner, spitzer Zähne - zwischen dem giftigen Brodem, der aus dem blutig rothen Schlunde drang, eine züngelnde, gespaltene Spitze - an dieses entsetzliche Haupt ein langer, hochgebäumter, in bunten
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Farben, Gold, Grün und Purpur schimmernder Körper bis hin zum Stamm der nächsten Palme gedehnt und mit dem spitzen Ende um diesen geschlungen - - -
Ein gräßlicher Aufschrei - die Mutter warf sich von dem Lager herab in einer einzigen rasenden Bewegung bis in die Mitte des Gemachs, bis hin zu ihrem Kinde. Indem sie es umfaßte, fiel sie ohnmächtig mit ihm zu Boden.
»Goddam! - die Anakondah!«
Derselbe Ruf, den der Ryot schreckensbleich dem Derwisch gestammelt - -
Derselbe Ruf, den Zelima entsetzt zu den Füßen des eifersüchtigen, rachedürstenden Gatten ausgestoßen - - -
Dann ein Pulverblitz - ein schwacher Knall - ein häßliches, widriges Zischen, und darauf - - -

III. Im Meß-Bungalow.

Die Panka war in voller Bewegung, denn die Gluth, die sie zu kühlen hatte, war doppelter Natur - von der im Westen versunkenen Sonne Indiens und den Portwein- und Claretflaschen auf der langen, reich mit Silber und chinesischem Porzellan besetzten Tafel.
Eine Anzahl von Offizieren verschiedener Truppengattungen und einige Civilisten saßen um diese. Es war heute Dienstag, der Tag, an welchem die Messe50 der Offiziere des 71sten Eingebornen-Regiments, das zur Garnison von Cawnpur gehörte, ihre Kameraden und Bekannten einzuladen pflegte.
Die Einladungen waren an diesem Tage ziemlich zahlreich gewesen. Gäste von Bithoor und Lucknow, der 43 englische Meilen entfernten Residenz von Audh, waren anwesend und man hatte bereits zwei volle Stunden bei der Tafel zugebracht.
Diese ist überhaupt eine der wichtigsten Beschäftigungen des europäischen Offiziers in Indien.
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Der Kreislauf seines Tages ist - wenn nicht ein Feldzug eine Jagd, oder eine Festlichkeit Abwechselung hineinbringen, ziemlich eintönig.
Wir haben in einem der früheren Kapitel angedeutet, daß wir auf die Einrichtung der indischen Armee näher zu sprechen kommen würden und schalten die nöthigen Angaben hier ein.
Wie bereits erwähnt, bestand im Jahre 1856 die Armee der Krone und der Compagnie aus 264,000 Mann, von denen etwa 36,000 Mann Europäer waren. England sandte, wie aus den Contracten über den Truppentransport jetzt ersichtlich wird, alljährlich 10,000 Mann nach Indien, von denen regelmäßig mindestens die Hälfte dem Klima und den Strapazen erliegt.
Diese europäischen Truppen bilden den Kern der indischen Armee. Sie liefern die Offiziere und Unteroffiziere für die von der Compagnie durch Anwerbung gebildeten eingeborenen Regimenter, die in der spätern Erhebung so vielberüchtigten Sepoy's. In den Reihen der letztern findet man alle in Indien vorkommenden Religionssecten - hauptsächlich die Hindu's und Mohamedaner, - und alle Kasten vertreten, gewöhnlich sind aber diese Sepoy's aus fernen, durch die kriegerischen Eigenschaften ihrer Bewohner bekannten Landestheilen geworben, oder die Kinder von Sepoy's und für den Kriegsdienst erzogen. Im Ganzen kümmern sich die Hindu's darunter wenig um die Art und Weise der Regierung; ein compacteres Ganze, eine festere religiöse Nationalität bildet dagegen der mohamedanische Theil der Armee.
Da nun jeder dieser Männer dabei streng seine eigenen Sitten, Gebräuche und religiösen Vorschriften bewahrt, deren Verletzung und Nichtachtung ihn tiefer kränkt, als wirklicher, politischer Druck und tyrannische, militairische Behandlung, so besteht ein Conglomerat von Rücksichten und Anforderungen in der Behandlung und Stellung dieser Truppen, das sich bei keinem andern Heere der Welt findet.
Der eintretende Sepoy darf nicht unter 16 Jahren sein. Gewöhnlich dient er, so lange es seine Körperkräfte erlauben. Verwundung, Krankheit und fünfzehnjährige Dienstzeit geben ihm ein Anrecht auf eine kleine Pension oder ähnliche Versorgung. Wenn er sich hervorthut, so kann er zum Offizier befördert werden,
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von denen bei jeder Compagnie zwei eingeborene Offiziere, ein Subadar (Hauptmann) und ein Jemedar (Lieutenant) stehen, außerdem ist bei jedem Regiment ein Subadar-Major (Stabsoffizier) angestellt.
Weiter aber können es die Eingebornen nicht bringen - hier ist die Grenze für die treuesten und tapfersten Dienste.
Noch widersinniger und das Ehrgefühl verletzender aber ist die Einrichtung, daß der geringste europäische Offizier im Regiment, jeder britische Fähnrich im Range über dem höchsten eingebornen Offizier steht und diesem befiehlt.
Von einer kameradschaftlichen Stellung der europäischen und eingeborenen Offiziere ist daher gar nicht die Rede. Beide Klassen leben abgesondert.
Der Sepoy ist ebenso wie der englische Soldat gekleidet und bewaffnet, das heißt, ganz unpraktisch für das Klima, nur daß ein Czakot keinen Schirm hat.
Die höchste, entehrendste und gefürchtetste Strafe war bei diesen Leuten bisher die Ausstoßung aus der Armee!
Der europäische Soldat der Königlichen Armee steht im Ganzen mit tiefer Verachtung auf den Sepoy nieder. Mit jenem Bulldoggenmuth, der ihn jede Gefahr verachten läßt, mit jener Kaltblütigkeit, mit der er ihr zu widerstehen weiß, wenn sie da ist, und dem zähen Widerstand gegen Strapazen aller Art verbindet sich der übermüthige Glaube unbedingten Sieges. Darum überläßt er sich aber auch allen schlechteren Eigenschaften seiner europäischen Natur. Mäßigkeit ist ihm ein fremdes Wort, und Völlerei und Trunksucht richten hauptsächlich jene furchtbaren Verheerungen an, von denen man in Europa nur selten die richtigen Zahlen erfährt.
Nur Wenige machen ihre zwanzigjährige Dienstzeit durch. Die meisten europäischen Regimenter verlieren an Krankheiten jährlich mindesten fünfzehn Procent ihrer Mannschaft; häufig kommt der Fall vor, daß mehr als die Hälfte des Regiments nicht dienstfähig ist.51
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Der Troß, den ein solches europäisches Regiment mit sich führt, ist kolossal. Jede Zeltmannschaft, bestehend aus 1 Sergeant, 1 Corporal und 14 Mann, hat ihren eigenen Claschy (Zeltschläger), Behischty (Wasserträger) und Doby (Wäscher) und vier Kameele mit ihrem Führer. Bei der Kavallerie hat sogar jeder Reiter seinen besondern Seyce (Pferdehalter), 2 Soldaten haben ihren Wasserträger und immer 2 Pferde einen Grasschneider. Zu jedem Geschütz gehören 4 Wasserträger, 4 Grasschneider, 4 Seyce's und Doby's und ein Claschy. Eine Armee von etwa 30,000 Mann und 100 Geschützen bedarf zu ihrem Fortkommen mindestens 400 Elephanten, 20,000 Kameele, 5000 Zugochsen und gegen 100,000 Diener aller Art.
Zu dieser Last kommt die Gewohnheit der Engländer, bei jedem Regiment eine bedeutende Anzahl Frauen und Kinder mitzuschleppen.
Dem entsprechend sind die Bedürfnisse der Offiziere. Jeder Lieutenant braucht und hat 10 Diener, der Capitain 14, der General mindestens 20 zu seiner persönlichen Aufwartung. Hiernach eingerichtet sind freilich auch die Besoldungen, da nach unserm Gelde der Fähnrich monatlich 133 Thlr., ein Lieutenant 169 Thlr., ein Capitain der Infanterie und Kavallerie 274 und 373 Thlr., ein Oberst 850 und 978 Thlr., der Generallieutenant viertausend Thaler bezieht, außerdem jeder Regimentschef noch eine jährliche Zulage von etwa 3 bis 4000 Thlr. Wir haben bereits erwähnt, daß die Unterhaltung der Armee der Compagnie fast sechszig Millionen Thaler kostet, während z. B. der ganze Etat des Kriegsministeriums Preußens sich auf 28 Millionen beläuft und England für seine Armee nur 42 Millionen ausgiebt.
Die Offiziere haben sich fast ganz das indische Leben und seine Bedürfnisse zu eigen gemacht. Das Leben eines solchen ist sehr einförmig und träge. Morgens, noch ehe die Sonne aufgeht, finden Truppenübungen statt, oder es wird ein Spazirritt unternommen, aber bevor der Strahl der Sonne mächtig wird, muß dies beendigt sein. Ein Bad ist nöthig, um ihn zu erfrischen. Um 9 Uhr vereinigt ihn das Frühstück mit seinen Kameraden - nach demselben wird die Zeit mit Billardspielen, Lesen oder der Hukah bis 2 Uhr verbracht, zu welcher Stunde
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das gemeinschaftliche warme Frühstück im Meßlokal eingenommen wird. Nach diesem wieder Siesta bis zum Untergehen der Sonne, wo nochmals der Dienst ihn fordert oder körperliche Bewegungen vorgenommen werden; Reiten, Rocketspiel oder Criket. Um 8 Uhr Abends findet das Mittagsmahl statt, das kaum vor 10 bis 11 Uhr endet.
Daß diese Lebensweise ohnehin nicht besonders geeignet ist, die Gesundheit zu erhalten, sieht Jeder ein. Dazu kommt, daß die Tafel schwelgerisch besetzt ist, selten unter zehn Gerichten, mit den Delikatessen aller Welttheile, und daß die Flasche rasch ihren Kreislauf macht.
Nach diesen Anführungen kehren wir zur Aufnahme unserer Erzählung zurück.
Am obern Ende der Tafel saß Oberstlieutenant Robert Stuart, der Kommandeur des 71. eingebornen Regiments, in Stelle des abwesenden Chefs desselben. Selten ist ein solcher, gewöhnlich ein General, bei seinem Regiment zu finden, er bezieht nur die Vortheile dieser Stellung.
Sir Robert Stuart hatte - was selten ist bei den Offizieren in Indien - eine rasche Carriere gemacht, und war noch ziemlich jung. Diejenigen unserer Leser, denen unser Buch »Sebastopol« nicht unbekannt ist, werden sich vielleicht noch des Lieutenants, aus der Redoute auf den Höhen der Tschernaja-Berge in der Nacht vor der Inkerman-Schlacht, des Capitains aus den Schützengruben vor dem Malakoff erinnern. Der Tod räumte damals auf in den Reihen der englischen Armee und das Avancement war billig. Der Sturm auf den Redan hatte dem tapfern Capitain die Majors-Epauletten und den Verlust eines Auges gebracht. Bei der Einschiffung der Truppen ging der Major nach Indien und trat als Oberstlieutenant in ein Sepoy-Regiment. Der Oberstlieutenant war noch immer ein hübscher Mann, aber eine gewisse dunkle Röthe, die sein Gesicht zu überziehen begann, bewies, daß er sich einer in diesem Klima nur allzugefährlichen Leidenschaft ergeben.
Hinter seinem Stuhl stand unser alter Freund Mickey, jetzt wohlbestallter Sergeantmajor und Proviantmeister im Regiment. Der Bursche war ein Liebling des Oberstlieutenants, das Factotum
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aller anderen Offiziere und nicht wenig eingebildet auf seine Stellung. Der Hochmuth, mit welchem er aus seine indischen Kameraden herabschaute, gab eben so oft zu ärgerlichen wie höchst komischen Scenen Veranlassung, seine Gutmüthigkeit und seine unerschöpfliche Laune aber hatten »Sahib Micko« - so hieß er im Regiment - doch zum Liebling aller Soldaten gemacht.
Bei Tafel hatte der Sergeant-Major zugleich das Amt eines Haushofmeisters, eine Beschäftigung, die er sich bei seiner Liebhaberei für Proviantirung und zwar möglichst gute Proviantirung durchaus nicht nehmen lassen wollte. Er hielt die Köche und die braune Dienerschaft ganz vortrefflich in Ordnung und ließ nichts verschwinden, außer was er selbst bei Seite brachte.
Der Gentleman, welcher zu des Oberstlieutenants Rechten saß, war ein Mann von fünf bis sechsunddreißig Jahren, Major Rivers, der britische Resident von Cawnpur. Der hochmüthige, stolze und falsche Ausdruck, den das Gesicht des kommandirenden Offiziers in der Missionsstation am Somo, des falschen Tochtgängers im Kaffern-Kraal gezeigt, war noch immer derselbe.
Nur tiefere Falten der Leidenschaften, und des zügellosen Genusses lagen auf diesem unheimlichen Gesicht und um die starren, wasserblauen Augen.
Mit seinem Regiment vor drei Jahren vom Cap nach Indien gekommen, hatte es der Major für vortheilhafter gehalten, seinen Abschied zu nehmen und in die Dienste der Compagnie zu treten, die ihn zum Residenten in Cawnpur und Jhansi ernannte.
Hier war Major Rivers in seinem Element,
Sein hochmüthiger, grausamer Charakter fand in der knechtischen Unterwerfung der Bevölkerung, in der Mißhandlung und Demüthigung der eingebornen Fürsten volle Befriedigung.
Alle seine niederen Eigenschaften, Wollust, Habsucht, Ehrgeiz, vermochte die tyrannische Macht, welche die Residenturen in Indien ihren Inhabern gewähren, in vollem Maße zu befriedigen.
Und er verstand, von dieser Macht den abscheulichsten Gebrauch zu machen.
Ihm gegenüber, an der andern Seite des Oberstlieutenants, saß eine andere, dem Leser bereits bekannte Gestalt, ein junger
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Mann im Anzuge eines Gentleman-Reiters, soweit es thunlich diese Kleidung mit den Ansprüchen des Klima's vereinigt.
Es war Eduard O'Sullivan, der Bruder Margarethens, der Schwager des Nena.
Sein sommerfleckiges, offenes Gesicht war noch eben so blaß und hager, wie vor fünf Jahren, als wir, ihm zuerst im Spielzelt an der plazza major von San Francisco begegneten, ja eine gewisse Abspannung darin verrieth, daß sein Leichtsinn auch in Indien noch der alte geblieben war. Mit einer gewissen Eitelkeit trug er den reichen Schmuck von Ringen, Gold und Edelsteinen, den er überall angebracht, wo es irgend anging, zur Schau. Er schien mit Rivers sehr bekannt und dieser behandelte ihn mit einer cordialen Vertraulichkeit, die jeden Andern, der eine größere Menschenkenntniß besessen hätte, besorgt gemacht haben würde.
Die Reihe der dem Leser bekannten Personen an der Meßtafel des Regiments war damit noch nicht erschöpft. Der Brevet-Capitain Eduard Delafosse, der weiter unten an der Tafel, zwischen den Offizieren des Regiments und einigen jüngeren Beamten der Civilverwaltung saß, gehörte zu jenen. Er war jetzt Adjutant des Gouverneurs von Lucknow, Sir Thomas Lawrence, und für einige Tage nach Cawnpur herübergekommen, um bekannte Kameraden zu besuchen.
Das Verhältniß zwischen ihm und dem Residenten war kalt und gemessen.
Seine linke Wange zeigte eine breite, tiefe Narbe, welche eine streifende Pistolenkugel da hinein gerissen. Es war das Andenken an die Vertheidigung der jungen Kaffern gegen die niedere Bosheit seiner Waffengefährten bei ihrem Versuch, Gulma und die sanfte Luise aus den Fluthen des Stromes zu retten.
Noch immer lagerte ein tiefer Ernst auf der edlen Stirn des braven Offiziers, die Erinnerung an das unglückliche Abenteuer in den Wildnissen Afrika's. Diese Bilder hatten es vermocht, vielleicht allein von allen Denen, die um ihn am Tische saßen, sein Herz frisch und rein und nur dem Edlen und Würdigen geöffnet zu erhalten, statt - wie bei den meisten seiner
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Kameraden im Schmutz der Ausschweifungen sein Seelenleben zu ersticken.
Die Unterhaltung war sehr lebhaft und wurde über die verschiedensten Gegenstände geführt. Pferde, Jagd, die angekommenen Posten, der Krimfeldzug, Regimentsanekdoten, alte Liebschaften und neue Eroberungen, Cholera und Regierungsmaßregeln.
»Es waren mitunter komische Gesellen, unsere Alliirten in der Krim,« erzählte der Oberstlieutenant. »Das Theater der Zuaven entschädigte sie für die schwerste Kartätschenbegrüßung der Russen. Man sah manch schnurrigen Zug. So z. B. als am 7. Juni die Zuaven nach der Einnahme des ersten weißen Werkes auf das zweite losgingen, gelang es dem ersten Komiker, der sich wie ein Held geschlagen, sich auf die Brustwehr zu schwingen. Er stürzt sich auf einen russischen Offizier, wirft ihn zu Boden und zieht ihm dann gemüthlich den Rock aus mitten zwischen den Kämpfenden mit den Worten: ›Ich will Dir Nichts thun, aber gieb mir Deinen Rock, ich brauche ihn morgen für's Theater!‹«
»Haben Sie gehört, Sir,« rief von dem Ende der Tafel herüber der Quartiermeister, »daß am 14ten der »Mogador« in Kalkutta eingetroffen ist? - Er hat im Monsoon Schaden genommen an der Maschine und mußte in Madras anlegen.«
»Wissen Sie, wer mitgekommen ist? Heraus mit der Liste, Follington!«
Der Doctor, ein schlauer, kleiner Walliser, blinzelte mit listigem Auge neben dem Glase Claret, das er eben zum Munde führte, hinüber. »Um wie viel Stück frisches Fleisch hat sich Ihre Liste vermehrt, mein Junge?«
»Zwei alte Jungfern, die billiger Weise für Tanten gelten könnten, und höchstens auf einen wie Sie, Doctor, Anspruch machen. Aber Lady Oderston soll ihre vier Töchter mitgeschickt haben, da sie kein Geld hat, um noch eine Londoner Saison mit ihnen durchzumachen. Der Schatzmeister Warlett hat die jüngste zwei Tage nach der Landung geheirathet - sie ist nach dem Taufzeugniß wirklich erst zwanzig Jahre!«
»Hurrah für den Markt von Kalkutta! Alle Gänschen
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Alt-Englands finden ihre Käufer - ich fürchtete schon, die Connoissements wären in letzter Zeit zu stark gewesen.«
»O, wir können auch hier in Audh noch Zufuhr brauchen. Nicht Viele sind so wählerisch, wie Miß Wheeler!«
»Armer Toby, mein Junge,« sagte bedauernd der Doctor zu dem langen, hagern Fähnrich, von dem die Sage ging, er lege alle Nacht ein Zugpflaster auf die Wangen, um einen Bart hervorzuziehen - »Sanders, der brave Bursche, hat Ihnen das Feld geräumt und Sie haben nun wieder Hoffnung.«
»Was ist mit Sanders?« fragte Capitain Delafosse. »Wann kehrt er zurück von der Expedition am Sedletsch?«
»Wenn die Todten auferstehen, Sir!«
»Wie meinen Sie das? ist er todt?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach - er ist verschwunden, ohne daß man seine Leiche aufgefunden hat. - Seine Ehrwürden, Dekan Hunter, schrieb uns gestern von Delhi, daß er Nachricht erhalten, unser Freund sei von einer Jagdstreiferei nicht wieder zurückgekehrt und die Expedition habe ohne ihn den Weg fortsetzen müssen. Er war ein schmucker Bursche und hatte verteufeltes Glück bei den Frauenzimmern, wie Malwinkle Ihnen hier bezeugen kann. Entweder hat ihn ein Tiger gefressen, oder die Thugs haben ihn verscharrt.«
Der Doctor stieß einen tiefen Seufzer aus und leerte sein großes Glas auf einen Zug. Das war die Leichenrede des jungen Braven - denn die Nachricht war ja schon drei Tage alt.
»Ihre Schönen schenk ich Ihnen, Follington,« meinte der Vorsitzende. »Ich will wissen, ob Niemand von Bedeutung mitgekommen?«
»Sir Lytton Mallingham hat von Madras die Ueberfahrt mitgemacht. Er geht nach Lucknow und Delhi.«
»Hoffentlich ist Mylady dabei, die reizendste Frau Indiens. Ihre Gesellschaften in Kalkutta sind die gentilsten.«
»Mein Korrespondent schreibt mir, der Rath wäre allerdings mit einer Dame eingetroffen, aber es sei ein dunkles Gerücht von einem furchtbaren Unglück verbreitet, das ihn betroffen. Unter den Passagieren befindet sich auch Jung Bahadur, der von England zurückkehrt.«
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»Wer ist Jung Bahadur?« fragte der Fähnrich.
»Wie, Kamerad, Sie kennen Jung Bahadur nicht, den größten Schurken diesseits und jenseits des Ganges?«
»Sie wissen, ich bin erst seit sechs Monaten in Indien - und kann mich noch nicht an diese fatalen Namen auf Pur, Kur und Dur gewöhnen, die einer wie der andere klingen.«
»Ei, Jung Bahadur ist der echte Typus eines indischen Abenteurers. Gegenwärtig ist er Premierminister des Königs von Nepal, und wenn Sie von London gekommen wären, statt von Halifax, würden Sie wissen, daß er dort der Löwe der letzten Saison war und seine Diamanten allen Damen die Köpfe verrückten und die fashionablen Diebe von Smithfield zu den verwegensten Plänen begeisterten.«
»Pah - der Koh-ih-noor hat noch mehr Bewunderung erregt. Auf Ehre, ich setze da nichts Interessantes.«
»Jedenfalls ist Bahadur zu seinen Diamanten gekommen, wie die englische Krone zum Koh-ih-noor!«
»O, Doctor, er ist ehrlich gekauft.«
»Very well! mit zehn Procent von einem Diebe, der ihn gestohlen hat, Oberst; die Sache ist bekannt genug.«
»Aber mit dem Koh-ih-noor komme ich nicht zu meiner Geschichte vom Bahadur,« mahnte der Fähnrich, den der genossene Port und Claret zu den Ansichten allgemeiner Gleichheit erhoben hatten.
»Bitte - erzählen Sie die Geschichte dieses Mannes,« bat der Capitain, »ich habe selbst nur Fragmente davon gehört.«
»Jung Bahadur,« berichtete der Quartiermeister, »begann seine Laufbahn als Jemedar oder Fähnrich im Dienst des Königs von Nepal und war ein jüngerer Sohn des Bruders des Großveziers in jenem entfernten Reich. Der Bursche war im Karten- und Würfelspiel verteufelt erfahren und fleißig bemüht, aus seiner Wissenschaft Vortheil zu ziehen. Nachdem er Ober-Indien durchwandert und die Schatzkammern eingeborner Fürsten und reicher Babu's52 bedeutend geplündert hatte, kehrte er an den Hof von Nepal zurück und erhielt eine Sendung nach
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Indien, um unter den eingebornen Fürsten einen Aufstand zu organisiren. Ein erbitterter Streit mit Tantia Topi ließ die Sache scheitern.«
»Um Vergebung,« unterbrach Delafosse den Erzähler, »ist Tantia Topi nicht einer der unabhängigen Mahrattenfürsten in der Thur oder großen Wüste?«
»So ist es. Seine Burg Malangher hat selten noch ein Europäer betreten. Man sagt, daß er früher viele Jahre in England als Diener und Gefährte des Enkels der Begum von Somroo lebte und uns Mancherlei ablernte, das er jetzt für seine Zwecke braucht. Sein Einfluß am Hofe von Audh war besonders groß und man schreibt ihm den zähen Widerstand zu, den der ohnmächtige König Mohamed Wadschid Ali Schah den Abdankungsforderungen der Compagnie entgegenstellte.«
»Damned! es ließe sich Mancherlei sagen über die Geschichte!«
»Bah - wir haben das Audh und damit gut. Also um wieder auf Jung Bahadur zu kommen, so wurde der Bursche bei seinen Agitationen entdeckt, erhielt aus besonderer Gnade die Bastonade, statt des längst verdienten Strickes, und wurde mit Schub auf verteufelt wenig ehrenvolle Weise über die Grenze gebracht, worauf er in seinem Vaterland bei Hofe gerade noch zu rechter Zeit ankam, um an einem Streit zwischen seinem würdigen Oheim und des Königs erster Gemahlin Theil zu nehmen. Ihre nepalesische Majestät schlug dem Neffen vor, zur Beilegung des Zwistes den Oheim todt zu schießen und Ehren-Bahadur zögerte keinen Augenblick, den Ausweg vortrefflich zu finden. Der Oheim wurde in den Palast gelockt und als er in den Empfangssaal trat, von seinem Neffen durch den Kopf geschossen. Der Halunke soll das Portrait des Seligen von einem französischen Maler haben fertigen lassen und zeigt es mit den prahlerischen Worten: ›Das stellt meinen seligen Oheim vor, Mahtiber-Sing, den ich erschoß; es ist sehr ähnlich!‹«
»Der Kerl ist ja ein verdammter Mörder,« sagte schaudernd der Fähnrich.
»O - das Beste kommt noch. Die Königin ernannte
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Jung für jene Gefälligkeit zum Oberanführer der nepalesischen Armee. Seine nächste Heldenthat war noch glänzender. Er befand sich in einer Versammlung der Edlen von Nepal und wünschte einen von seinen Kollegen zu fassen und einzukerkern. Es zeigte sich einiger Widerstand im Ministerrath, aber eine rechtzeitig von Jung Bahadurs Hand abgesandte Kugel streckte den mißliebigen Kollegen todt nieder. Bahadur hatte seine getreue Leibwache, und sie war mit Purday's Büchsen bewaffnet, die ihm für 2000 Pfd. die Compagnie verschafft hatte. Der erschossene Fattih-Jung hatte vierzehn Freunde unter den anwesenden Adeligen! Jung Bahadur nahm dem nächststehenden Mann die Büchse aus der Hand und legte auf den Vordersten der kleinen Schaar an. Vierzehn Mal ertönte der tödtliche Knall durch die Halle, wie die Büchsen, eine nach der andern, dem Manne gereicht wurden, der nur dem eigenen Schützenblick trauen wollte, und nach jedem Schuß lag ein andrer Adeliger auf dem Boden. Ehe der Morgen graute, war Jung Bahadur zum Premier des Landes ausgerufen. Nach dieser energischen Operation besuchte er England, um sich und seine Diamanten unseren Damen zu zeigen.«
»Damned! ich hoffe, der Bursche hat Witz genug gehabt, dort zu lernen, daß mit England nicht zu spaßen ist!«
»Wir wollen es hoffen,« sagte Capitain Lowe vom 32. Regiment der Königin, das zum Theil in Cawnpur, zum Theil in Lucknow stand. »Man sagt, die Rani von Lahore befinde sich noch immer in Nepal und intriguire von dort.«
»Was können die Weiber thun![?] Ihr Sohn ist in Firozpur, und Montague wird ihn schon zu bewachen wissen. Man hatte ihn nach England schicken sollen, da wären alle Intriguen mit einem Mal zu Ende gewesen. Apropos, Sullivan, haben Sie Nichts von dem Nena gehört?«
»Er wird zu Lande am Sedletsch über Delhi zurückkehren, wir erwarten ihn erst in 14 Tagen.«
»Wissen Sie, Moore, daß Miß Soldie morgen von Kalkutta kommt?«
»Gott segne Ihre Augen, mein Bursche, die Nachricht ist ein Lichtblick in unserm langweiligen Leben. Nur -« er flüsterte über den Tisch hinüber - »möge Gott sie davor, bewahren, daß
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jener Schurke seine unreine Hand nach ihr ausstreckt.« Die Augen des Capitain Forbes von den Audher Irregulairen warfen einen leichten Blitz nach dem Platz hinauf, wo Rivers noch immer im eifrigen Gespräch mit dem jungen Irländer war.
»Ich haue sie ihm vom Leibe, wenn er es wagt,« sagte der Offizier. »Es ist ohnehin eine Schmach, daß sein Treiben geduldet wird. Die Residentur ist schlimmer als ein Bordell, denn in ein solches führt wenigstens nur der eigene Wille die Verworfenen ihres Geschlechts. Nur die lange Abwesenheit und die Gleichgiltigkeit des Generals trägt die Schuld.«
»Zum Henker, - Sie wissen, welche traurige Zwitterstellung das Militair in diesem verwünschten Lande einnimmt, die Civil-Administration hat alle Gewalt in Händen.«
»Keine Anekdoten aus England, Follington?« fragte wieder der Oberstlieutenant vom obern Ende der Tafel herunter.
Der Quartiermeister suchte seinen Rang und Ruf als Allerweltswisser und Neuigkeitsschatz der Garnison zu behaupten.
»Erinnert sich einer von Ihnen noch, Oberst Waugh und sein Factotum Stephens hier gekannt zu haben?«
»Stephens - den Unterchirurg?« fragte der Doctor.
»Denselben. Der Bursche wurde hier fortgejagt wegen schlechter Streiche und ging nach England zurück. Da machten sie ihn zum Verwalter der Eastern-Banking-Company.«
»Was ist das für ein Ding, die Eastern-Banking-Company?«
»Damned! Was weiß ich! Sie hatten irgend auf einer unentdeckten Insel eine bodenlose Thongrube entdeckt und darauf Aktionaire geworben. Waugh spielte den Direktor und machte den Schuft Stephens zum Kassirer; ganz England und der halbe Continent aber rechneten es sich zur Ehre, gutes Silber für die Aktien der Compagnie einzutauschen. Waugh, der in Indien nicht über hundert Rupien zu disponiren hatte, galt in London für einen Millionair, hatte einen Herrensitz in Kensington und die Lady's Patronesses rechneten es sich zur Ehre, seine Soirées zu besuchen. Dickens und sein Liebhabertheater passirten bei ihm.«
»Teufel - er nahm Anstand, bei Hofe eine Vorstellung zu geben.«
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»Die Summen, die Waugh von der Bank bezogen, sind enorm. An einem Tage ließ er sich auf bloße Bescheinigung 68,000 Pfund auszahlen.«
»Und Stephens?«
»Versteht sich, daß auch er sein Schäfchen geschoren. Erst gründete er mit dem Gelde der Bank ein Holz- und Sägegeschäft, dann eine Uhrenfabrik, dann ein Tapeziergeschäft und eine Fabrik von Krankenstühlen und zuletzt eine Teppichfabrik. Jetzt sind Beide verschwunden, Waugh schuldet der Company die Kleinigkeit von 243,000 Pfd. Sterling und ist einstweilen nach Spanien gegangen, die Company hat den schmählichsten Bankerott gemacht und die Aktionaire haben beiläufig eine Million verloren.«
»Aber der Kanzleihof - ein solcher Betrug wird doch nicht ungestraft bleiben?«
»Bah - ein Betrug und Strafe dafür in England! Madame Waugh hat dem Bankerottgericht angezeigt, ihr Gemahl sei wirklich zu unwohl, um der gerichtlichen Vorladung Folge zu leisten. Das Drama der Bank zu Croydon war noch fashionabler.«
»Ich erinnere mich. - Spielte nicht der eine Direktor mit dem Gelde der Bank, verlor Alles und schaffte dann seine kranke Mutter, seinen Bruder und sich mit Blausäure aus der Welt?«
»Ich glaube, so war's. - Bald werden wir den Franzosen nichts mehr schuldig sein!«
»O, Altengland war ihnen immer zuvor. Sie rechnen nach Franken und wir nach Pfunden.«
»Zum Henker mit Euren Bank- und Geldgeschichten. Wenn Ihr nichts Pikanteres aus der Chronique scandaleuse wißt, so sprecht von etwas Anderm.«
»Lady Bulwer hat wieder eine Schmähschrift auf ihren Mann losgelassen.«
»Man sollte alle Blaustrümpfe in's Irrenhaus sperren.«
»Vielleicht thut's der Lord noch. Haben Sie die famose Geschichte von Lady Seadgrove in Kalkutta gehört?«
»Der Frau des General-Collectors?«
»Ja! Sie hat neulich einen öffentlichen Affront veranlaßt. Der Herr Gemahl überraschte sie bei einem Rendezvous in der
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Haudah ihres Elephanten und Madame war so erbittert darüber, daß sie ihn von dem Thier zertreten lassen wollte. Zum Glück weigerte sich der Mahoud,53 seiner Bestie das Kommando dazu zu geben und der General-Collector hatte Zeit, sich aus dem Staube zu machen.«
Aus dem Dampf der Cigarren tauchte ein broncefarbenes, bärtiges Gesicht vor dem Adjutanten heraus, ein Subahdar - eingezwängt in die steife britische Uniform mit der unnatürlichen Halsbinde, die der Zopf des freien Englands zum Besten der Schlagflüsse in dem sengenden Klima bewahrt.
Der alte Mann legte die Hand salutirend an den Tschako. »Sahib - die Leute sind in ihre Linien54 geführt und die Waffen in den Hütten.«
»Ah, bist Du es, Nirgut-Singh,« sagte der Oberstlieutenant. »Wie ging es heute Abend beim Exerzieren[Exerciren]? Ich hatte keine Zeit, hinüber zu kommen.«
»Gut, Sahib - nur ...«
Der Alte zögerte und sein Blick schweifte verlegen an dem Tische hinab.
»Nun, was meinst Du? - Hier, trink ein Glas Wein, das wird Dir die Zunge lösen.«
Der Subahdar wandte sich mit Abscheu von dem Dargebotenen. »Allah hat den Gläubigen verboten, sich den Thieren gleich zu machen, indem sie ihren Verstand ersäufen,« sagte er finster. »Ich trinke keinen Wein!«
»Richtig - Du bist ja ein Muselman, ich hatte es vergessen. Nun, so sprich auch ohne Anfeuchtung Deiner Zunge, was es gegeben hat.«
»Dort der Zemindar Sahib,« flüsterte halblaut der alte Moslem, indem er mit einer Bewegung seines Kopfes den
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betreffenden Offizier bezeichnete, »hat Beni-Mahib, den Haik,55 seiner Kaste beraubt, er hat ihm den Tilluk genommen. Es ist ein großes Unglück und die Brahminen aller Compagnieen sitzen um das heilige Feuer und berathen den Fall. Böse Reden sind gesprochen worden.«
Der Oberstlieutenant runzelte die Stirn - die Gesellschaft begann, die allgemeine Unterhaltung einzustellen und zuzuhören.
»Lieutenant Halliday!« befahl der Kommandirende, »was ist geschehen bei dem Exerzieren[Exerciren]? Ich höre, Sie haben den Haik Beni-Wahib gemißhandelt?«
Der Offizier, der eben mit seinem vis-à-vis ein Glas Champagner trank, wandte sich gleichgiltig um. »Nichts von Bedeutung, Oberst! Der Schurke hielt seine Section nicht in Ordnung und wagte zu widersprechen, indem er aus der Linie trat. Ich schlug ihm den Tschako vom Kopf.«
»Seine Hand berührte den Tilluk - er hat den Mann entehrt, nach der Sitte der Hindu's,« murmelte der Subahdar.
»Teufel!« sagte der Artillerie-Capitain, der Halliday gegenüber saß - »nehmen Sie sich in Acht, Kamerad, es ist kein Spaß, einen dieser braungesichtigen Söhne der heiligen Kuh seiner Kaste zu berauben! Die Kerls sind rachsüchtig wie der Satan und Sie können bei erster Gelegenheit eine Kugel im Leibe haben.«
»Bah - ich fürchte das Gesindel nicht!«
»Drei der Compagnieen bestehen allein aus den Männern, die Brahma anbeten,« warnte der Subahdar. »Inshallah - es könnte leicht kommen, daß wir eines Morgens aufstehen und wir finden bosch - Nichts!«
»Der Fall ist unangenehm! Ich fürchte, ich werde Sie in Arrest schicken müssen, Halliday, um die Leute zu beruhigen,« meinte der Oberstlieutenant.
»Zum Henker - Sie werden doch nicht!« rief der Resident. »Die ganze Partie wäre uns verdorben. Halliday ist der beste Schütze und es ist ausgemacht, daß er uns nach Jhansi begleitet.«
»Das ist wahr! - Nun, es wird nicht so viel auf sich haben. Gehe zu den Linien, Nirgut-Singh, und jage die
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Bursche in ihre Hütten. Wenn sie eine Beschwerde haben, können sie dieselbe vorbringen, wenn ich von Jhansi zurückkomme, oder sich einstweilen an Major Konelly wenden.«
Der Subahdar wollte noch eine Einwendung machen, aber der ungeduldige Ruf: »Laß mich ungeschoren jetzt und geh' zum Teufel!« unterdrückte jede Aeußerung und er verließ das Bungalow.
»Wie steht es mit dem Tiger?« fragte der Oberstlieutenant.
»Es ist doch sicher, daß wir keinen vergeblichen Ritt machen, Rivers?«
»Unbesorgt, Oberst - die Späher haben sichere Kunde von seinem Lager in den alten Ruinen gebracht und den Weg durch die Dschungeln erkundet. Eins nach dem Andern. Am Abend die Sotti - am andern Morgen den Tiger!«
»Goddam!« schwor der Capitain Lowe - »ich will lieber der Bestie allein entgegen gehen, als das traurige Schauspiel des Opfertodes eines Weibes sehen. Ist es gewiß, daß die Sotti56 stattfinden wird?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn der Scindia sie nicht hindert. Er ist der Lehnsherr von Jhansi und hat allein das Recht, einzuschreiten. Indeß fürchte ich nicht, daß er uns das Schauspiel verdirbt.«
»Wie, Sir - Sie fürchten es nicht?« Es war das erste Wort, das Capitain Delafosse an seinen ehemaligen Gefährten richtete.
»Nein, Capitain. Der Scindia wird kein Narr sein. Der Ruf sagt allerdings, daß die Rani ein verteufelt schönes Weib sein soll, - indeß, wenn sie am Leben bleibt, ist sie die Erbin ihres Mannes, während seine Schätze und sein Gebiet sonst ihrem Oberherrn, dem Scindia von Gwalior, zufallen.«
»Abscheulich - diese Sitte sollte durch ganz Indien nirgends mehr geduldet werden.«
»Bah - was können wir thun,« meinte der Resident, indem er sich behaglich in seinem Rohrsessel zurücklegte und die Zähne stocherte - »die Schutzstaaten müssen doch wenigstens ein
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Vergnügen behalten. Es ist Unrecht genug, daß man die Leute in Bengalen an ihrem Willen hindert, im Pendschab wird man's ohnehin nicht durchsetzen. Teufel - es ist ein ganz eigner Reiz so ein hübsches Weib, mit den begeisterten Augen wie einen Hammel in die Flammen geführt zu sehen. Sie sind ganz toll darauf und freuen sich wie die Kinder, all' ihre Reize dabei zum Besten geben zu können.«
»Diese Braunen haben kein Gefühl,« meinte Halliday. »Ich sah, wie sich zwanzig unter die Räder ihres Götzenwagens warfen und mit entzückten Gesichtern zum Himmel jauchzten, während ihre Glieder zu Mus zerquetscht wurden!«
»Jedenfalls ist es Schade um ein hübsches Weib, das besser zu brauchen ist,« entschied der Oberstlieutenant.
»O - davon giebt es Vorrath! Rivers weiß das am besten!«
»Es ist wahr, Major - Sie sollen in letzter Zeit wieder etwas stark gewirthschaftet haben, und die Zenanah der Residentur stark besetzt sein.«
»Ueberzeugen Sie sich selbst, Oberst,« lachte der Wüstling - »Sie wissen, ich bin nicht eifersüchtig auf meine Freunde.«
»Der Gedanke, unter dem Vorwand, daß die Weiber unter ihren Busentüchern verbotene Waaren im Lande umhertragen konnten, die Tücher zu verbieten und die Busen aller Frauen und Mädchen zu enthüllen,57 ist eines Casanova würdig! Nur die Alten hätten Sie ausnehmen sollen, Rivers!«
»Goddam - auf die sieht ohnehin Niemand. Eine alte indische Hexe ist ein Scheusal!«
Delafosse wandte sich mit unverho[h]lenem Abscheu von der Unterhaltung.
»Die Hauptsache bleibt mir die Jagd,« sagte der Oberstlieutenant. »Wann wollen wir den Tiger stellen?«
»Der Scindia hat mir Botschaft gesandt,« berichtete der Resident, »er wird Alles bereit halten. Uebermorgen, wenn die Sonne sich neigt, findet die Sotti statt - der Scindia trifft
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an dem Tage gleichfalls in Jhansi ein. Beim nächsten Sonnenaufgang suchen wir das Lager des Tigers auf.«
»Und wer ist Alles von der Parthie? wir können die Stadt nicht ganz allein lassen!«
»Nun, ich glaube, Capitain Lowe und Capitain Delafosse haben die Einladung angenommen. Sie, Oberst, Follington, Halliday und ich - das sind unserer sechs. Den Doctor halten seine Kranken zurück.«
»Das[ß] ich nicht wüßte! Es liegen vom Regiment blos fünfzehn Leute an der Cholera und zwei am Sonnenstich - der Wundarzt wird bequem mit ihnen fertig. Aber geht denn Master O'Sullivan, Ihr Pythias, nicht mit uns?«
Der junge Mann erröthete leicht, als viele Blicke sich auf ihn richteten. Er hatte die Augen gesenkt und bemerkte nicht den lauernden, boshaften Ausdruck, der einen Moment lang auf dem Gesicht des Residenten lag.
»Ich habe dem Nena versprochen,« sagte er endlich verlegen, »während seiner Abwesenheit nicht weiter als nach Cawnpur mich zu entfernen.«
»Ei, Unsinn, Mann,« lachte der Oberst - »wir sind nicht länger als sieben oder acht Tage abwesend, und die Entfernung ist ein Pappenstiel. Ihre schöne Schwester bedarf Ihres Schutzes nicht und überdies ist der alte Murrkopf, der Schotte, da, der wie ein Cerberus vor dem Schatze liegt.«
»Freund O'Sullivan,« sagte der Major mit wohlberechneter Nachlässigkeit - »hat vielleicht noch einen andern Grund. Ich glaube, er hat eine Aversion gegen die Tigerjagden.«
Eine fahle Blässe überzog das vom Trinken erhitzte Gesicht des jungen Irländers. Seine Hand, die mit dem Tischmesser spielte, kämpfte sich unwillkürlich um dieses zusammen, während die meisten Mitglieder der Gesellschaft in Gelächter ausbrachen.
»Wie meinen Sie das, Sir?«
»O, nichts Schlimmes, Ned! - es ist mir nur, als habe ich ein Mal gehört, Sie hätten, so wie manche Menschen gegen die Katzen, eine natürliche Antipathie gegen die Tiger. Es würde Ihnen schwach beim Anblick eines solchen - oder so Etwas!
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Haben Sie nicht schon einmal ein solches Abenteuer irgendwo gehabt?«
Die Farbe des jungen Mannes wechselte zwischen tödtlicher Blässe und dunkler Röthe, die Aufregung raubte ihm jede Besonnenheit und verhinderte ihn, das Absichtliche, Lauernde in den Worten seines ältern Freundes zu bemerken.
»Nun, es ist kein Wunder,« lachte übermüthig Halliday, »ich verdenke es Ihnen nicht, O'Sullivan, ein hübsches Mädchen einem borstigen Tiger vorzuziehen! Nicht Jeder hat die doppelte Liebhaberei des Nena und seinen Muth.«
»Zweifeln Sie an dem meinen, Sir?« fragte heftig der Irländer. »Bei Sanct Patrik, er steht Ihnen jeden Augenblick zur Erprobung zu Diensten!«
»Thorheit, Ned,« fiel der Major ein, »Niemand zweifelt daran, daß Sie wie eine Mauer vor der Mündung eines Pistols stehen. Halliday meint nur, es sei etwas Andres auf der Tigerjagd.«
»Das ist es - es gehören eiserne Nerven dazu, und es ist nicht gerade eine Schande für einen Mann, einem Tiger aus dem Wege zu gehen. Ich wette hundert Pfund, daß sich unter uns Allen Keiner findet, der einer solchen Bestie anders zu begegnen wagt, als auf dem Rücken seines Elephanten und die Büchse an der Wange!«
Der Irländer hatte sich erhoben und mit beiden Händen auf den Tisch gestützt. »Meinen Sie, Sir? Die Wette gilt!«
»Zum Henker, Sir - würden Sie etwa die Courage haben, den Tiger zu Fuß in seinem Lager aufzusuchen?« fragte der Lieutenant roh.
Die Farbe des Verhöhnten war fahl, seine Glieder zitterten, aber die Zähne fest aufeinander gepreßt, antwortete er zischend durch diese:
»Ich werde es, mit Nichts als diesem Messer bewaffnet, so wahr ich O'Sullivan heiße!«
Alle waren aufgestanden und drängten sich herbei. »Unsinn, O'Sullivan! Thorheit! - Das ist kein Gegenstand für eine Wette, es hieße, sein Leben muthwillig opfern.«
Der Resident war der Eifrigste unter den Abmahnenden,
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aber jedes seiner Worte war so eingerichtet, daß es ein neuer Stachel wurde.
Eduard war von dem vielen genossenen Wein und der Erinnerung an die bei jenem Stiergefecht in der Arena von San Francisco bewiesene Schwäche taub gegen Vernunft - nur der Gedanke, das Gedächtniß jener schwachen Stunde, das ihn Jahre lang gepeinigt, um jeden Preis auszulöschen, erfüllte ihn.
»Ich habe die Wette angenommen,« sagte er mit erzwungener Ruhe. »Sie Alle sind Zeugen und ich werde nächsten Freitag bei Sonnenaufgang den Tiger, den Sie zu jagen beabsichtigen, in seinem Lager aufsuchen. Kein Wort weiter darüber, Gentlemen, wenn Ihnen an meiner Freundschaft gelegen ist. Dies Messer, Stewart, werdet Ihr mir einstweilen leihen müssen.«
Er steckte das Messer in seine Brusttasche. Alle fühlten, daß in diesem Augenblick Nichts zu machen wäre und ihr Drängen nur sein Bestehen auf dem prahlerischen Entschluß erhöhen werde. Doch war bei den Meisten die Mißstimmung über das Ereigniß sichtbar, und obschon Rivers sich die größte Mühe gab, die frühere Heiterkeit wieder herzustellen, wollte dies nicht gelingen und Viele brachen auf.
Der Fähnrich kam dabei in die Nähe des Doctors und nahm die Gelegenheit wahr, ihm eine Frage zuzuflüstern, aber der Schalk stellte sich, als höre er nicht gut und fragte laut, was er mit der Erwähnung der Cholera sagen und ob er ihn etwa noch bei einem Besuch der Kranken begleiten wolle?
»Gehen Sie zum Henker, Brice,« murrte der Schmächtige, »ich weiß, Sie haben mich vollkommen verstanden und verstellen sich nur. Seien Sie verständig, Doctor, und sagen Sie mir, wie man sich am besten vor der Ansteckung schützt. Sie wissen, ich habe morgen die Linienwache.«
»Hegen Sie große Angst vor der Cholera, mein Junge?« fragte der Walliser immer laut, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sein unglückliches Opfer zu richten.
»Schreien Sie doch nicht so, Mann! was braucht Jeder Ihre Rezepte zu wissen. Ich dächte doch, es wäre natürlich, wenn Sie auf so viele Tage verreisen - es könnte ein plötzliches Unglück - -«
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»Sie wollen also wissen, welche Diät Sie etwa beobachten sollen?«
»Gott verdamm' Ihre Augen, Sir - ja! für was sind Sie anders da, als um uns das zu sagen!« schrie der erbitterte Fähnrich.
»O Toby, mein Mann - vergessen Sie nicht, meine Hauptsache ist das Sägen und Schneiden! - Aber ich will Ihre Frage beantworten.« Er blinzelte ihn dabei schlau an. »Haben Sie je von den zehn Fähnrichen von Ihrer Majestät 54stem Regiment gehört, das vor zwei Jahren in Kalkutta ankam?«
»Nein!« Unwillkürlich überlief den langen Junker eine Gänsehaut bei dem feierlichen Ton, den der Doctor annahm. Ein Kreis von Zuhörern hatte sich um sie gebildet.
»Es waren sämmtlich schmucke, junge Bursche, die Hälfte davon ganz Ihre Natur,« fuhr der Walliser mit melancholischem Ton fort. »Akkurat so lang und schwindsüchtig! Sie thaten dieselbe Frage an Doctor Partridge, meinen würdigen Kollegen, als das Regiment nach Agra in Garnison kam. Er rieth ihnen nach bestem Wissen, wie ich es jetzt thue. Die Hälfte von ihnen befolgte den Rath nicht, sie lebten toll und voll, hielten Jagdrennen bei 100 Grad Fahrenheit im Schatten, spielten Criket und betranken sich alle Abende an der Meßtafel. So trieben sie's bis an ihr Ende! ehe achtzehn Monate vergangen waren - lagen sie sämmtlich draußen auf dem Kirchhof. Die Cholera hatte Keinen verschont! Es waren hoffnungsvolle Bursche und Ihre Majestät sowie ihre ältere Brüder verloren viel an ihnen.«
Der Doctor that, als wische er sich eine Thräne aus den Augen.
»Aber die Anderen - die Mäßigen?«
»Sie lebten, wie Mitglieder einer Temperanzgesellschaft, spielten nicht, fluchten nicht, waren regelmäßig in ihrem Dienst und tranken am Meßtisch den Bordeaux nur mit Wasser verdünnt. Der Arac war ihnen ein Gräuel, und die Bayaderen scheuten sie wie die Pest. Kaum daß sie sich zu Thee und Kaffee entschlossen und ihre Flanelljacken auszogen, wenn diese die Wäsche nöthig hatten.«
»Sie freuen sich gewiß heute ihrer Vorsicht und Mäßigkeit,«
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unterbrach ihn der Fähnrich, indem er wohlgefällig sich die Hände rieb. »Von heute ab trinke ich weder Portwein noch Sangarih!«
Der Doctor faltete mit einem Blick gen Himmel die Hände über dem runden Leibe. Seine Stimme hatte etwas Gespensterhaftes, als er flüsterte: »Die braven Jungen! Die Cholera holte sie, noch ehe das erste Jahr zu Ende war!«
Ein brüllendes Gelächter begleitete die Verwünschung, mit welcher der Fähnrich aus der Thür des Meßzimmers stürzte.
Doch hatte die Schelmerei des Doctors den Zweck erfüllt, die Stimmung der Gesellschaft zu ändern und die Gedanken von der leidigen Wette abzuziehen. Unter Scherz und Gelächter trennte man sich und Jeder ging, begleitet von seinem harrenden Chiprassy, den Weg nach seinem Bungalow.
Major Rivers hatte den Arm des Irländers gefaßt und einem Lancier-Capitain einen Wink gegeben. »Kommen Sie mit, Mowbray - ich habe etwas ganz Neues, das besser ist, als alle weißgesichtigen Lady's der Dampfer aus England. Wir trinken noch ein Glas Sangarih und rauchen eine Manilla!«
Der Offizier warf ihm einen fragenden Blick zu - Rivers nickte bedeutsam und schickte seinen Palankin voran, um den Weg zu Fuß zurückzulegen.
»Ich kann Sie nicht begleiten, Rivers,« sagte O'Sullivan, »ich werde kaum Zeit haben, nach Bithoor zu reiten und wieder zurück zu sein, wenn der Zug aufbricht.«
»Unsinn, Ned! Sie bleiben bei mir. Sie wissen, daß Sie Alles, was Sie brauchen, bei mir finden und um Nichts zu sorgen haben.«
»Aber ich muß von meiner Schwester, von Margarethe, Abschied nehmen. Als ich sie heute verließ, konnte ich nicht ahnen, daß ich mehrere Tage ausbleiben würde.«
»Thorheit, Mann! Sie sind ja kein Pantoffelheld. Schreiben Sie einige Zeilen, das ist eben so gut, oder vielmehr noch besser! Jhansi ist ja keine zwei Tagereisen weit.« Er neigte sich zu dem Zaudernden und flüsterte ihm zu: »Narika erwartet Sie - wir werden uns den Kavalleristen bald vom Halse schaffen und
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dann an warmen Busen und süßen Lippen uns für den verlornen Abend entschädigen.«
Der junge Thor folgte ihm ohne eine weitere Einwendung.
Die Zeit der heißen Winde nahte ihrem Ende und einzelne Regengüsse erfrischten bereits von Zeit zu Zeit die Luft, doch hatte man noch volle Zeit zu dem beabsichtigten Ausflug nach Scindia, ehe die unaufhaltsam strömenden Regenfluthen eintraten, welche das Reisen fast unmöglich oder doch wenigstens äußerst beschwerlich machen.
Plaudernd gingen sie an der Reihe der von reizenden Gärten umgebenen Bungalows der Offiziere, Beamten und Kaufleute entlang, die um die West- und Südseite von Cawnpur einen Gürtel von fast 5 englischen Meilen im Umfange bilden und sich bis zum Ufer des Ganges hinziehen.
Die Nacht war prachtvoll. Myriaden grüner und rother Feuerfliegen funkelten durch die dunklen Blätter der Mangroven und Geraniums und zwischen den langen Stachelspitzen der Anana's und Aloë's, gleich als wetteiferten sie mit dem Glanz des gestirnten Himmels. Ein scharfer, gewürzreicher Wohlgeruch erfüllte die Luft und schien sich förmlich in Wellen zu bewegen, wenn der Windzug von den nahen Ufern des mächtigen Stromes herüberstrich. Aus dem dichten Geröhr der Wasserfurthen ließ der Ochsenfrosch seinen Ruf ertönen - zuweilen klang es dazwischen wie das heisere Geschrei einer Kinderstimme; - ein Krokodil, das an's Ufer gekrochen, - oder ein umherstreifender Schakal ließ aus der Ferne sein Bellen hören.
Von den Wällen klirrte der Schritt der auf und nieder wandernden Schildwachen - von den Bazars im Innern und vor den Thoren der Stadt flammte der Glanz bunter Laternen durch das Laubwerk her, tönte der Jubel und der Lärmen der Menge, welcher die Nacht die Zeit der Lust und Erholung ist.
Die Umgegend Cawnpurs, das, obschon die Stadt selbst klein und schmutzig, doch eine Hauptstation der Briten ist und eine Garnison von 8000 Mann verschiedener Truppengattungen hat, ist eine der reichsten und lieblichsten Indiens, wiewohl das Klima in der Zeit der heißen Winde und in der Regenzeit sehr ungesund wird. Ueppige Felder, auf denen Weizen und Gerste, der
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Mais, Reis, das Zuckerrohr, die Baumwolle, Gräm, Jowary und Indigo gezogen werden, umgeben es abwechselnd mit prächtigen Tamarinden-, Mango-, Bananen-, Akazien- und Pipala-Hainen. Der köstlichste Blumenteppich entfaltet dazwischen seine reichen Farben.
Das Bungalow des Residenten befand, sich in malerischer Lage unfern der großen Militair-Straße auf dem hier wohl hundert Fuß sich erhebenden rechten Ufer des Flusses, und eine prächtige Aussicht bot sich von seinen Veranda's aus rings über die Stadt, den Strom und die Gegend. Ein großer, mit Ueppigkeit eingerichteter Garten, durch hohes Gitterwerk abgesperrt, umgab das in italienischem Styl erbaute Haus, an das sich eine Reihe von Pavillons anschloß, die Zenanah oder das Harem des Besitzers, wie der schlimme Ruf behauptete.
Die kleine Gesellschaft hatte bereits die Ruinen der Akhbar-Moschee passirt, die vor dem Dschumna-Thor mitten zwischen den prächtigen Gärten der Bungalows ihre riesigen Trümmer erhebt, eine Mahnung an die Vergänglichkeit aller irdischen Größe. Die Diener mit den Fackeln und Stäben gingen etwa zwanzig Schritt voran, und da weder der Resident noch seine beiden Gäste zurücksahen, bemerkten sie nicht, wie sich hinter den Säulentrümmern am Wege eine weiße Gestalt erhob und mit flüchtigem, unhörbarem Tritt ihnen folgte, und dicht hinter ihnen, gleich als gehöre sie zu den Europäern, den Garten betrat.
Die vom Bungalow vorausgeschickten Palankinträger harrten mit zahlreichen anderen Dienern am Säulenaufgang der Veranda, wo große Kohlenbecken mit wohlriechendem Harz die Myriaden der Mosquito's und Stechfliegen zurückhielten, die den Genuß der indischen Nächte so sehr verbittern. Die Fackelträger gesellten sich zu ihnen und stellten sich zu beiden Seiten der Marmorstufen auf, während der Schobedar mit seinem Stabe Platz zwischen den Peons und der niedern Dienerschaft machte. Der Major hatte eben mit seinen Freunden den Fuß auf die Treppe gesetzt, als plötzlich eine Bewegung unter den Hindudienern entstand, und die Gestalt, welche ihnen von den Ruinen her gefolgt war, sich hindurchdrängte und vor dem Residenten niederwarf.
Es war ein alter Mann von ehrwürdigem Aussehn, in
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weißer Kleidung, mit den Abzeichen der Kaste der Wechsler oder Babu's. Seine Hand faßte den Rockzipfel des Residenten und drückte ihn zum Zeichen der Ehrerbietung wiederholt an die Stirn.
»O Sahib, übe Gnade und Gerechtigkeit,« flehte der alte Mann, »damit Lakschmi das Horn des Ueberflusses über Deine Schultern gieße, und der Engel der Gerechtigkeit nicht die Thränen eines Greises in seine Schaale sammeln möge.«
Der Resident trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er den Bittenden erkannte. Sein Auge schoß einen verdrießlichen, häßlichen Blick auf den Alten.
»Was willst Du, Tippo-Singh,« fragte er rauh, »daß Du mich überfällst bei Nacht wie ein Räuber? Weißt Du noch nicht, was sich schickt gegen den Residenten der Regierung? Die Gartenwächter sollen fünfzig Bambusschläge auf die Fußsohlen haben, daß sie es gewagt, einen Fremden gegen das Verbot einzulassen.«
»Sie sind unschuldig, Sahib,« entschuldigte der Babu, »ich folgte Dir auf dem Fuß und sie mußten glauben, ich käme mit Deiner Bewilligung.«
»Nun, so komme morgen wieder und bringe Dein Anliegen an, die Geschäftsstunden sind jetzt längst vorüber.«
»Der Gerechte soll sein Ohr stets offen halten für die Klage des Unglücks. Dem Betrübten wird die Stunde zum Jahr, die er harren muß ohne Trost. - Ich weiß, Du wirst morgen früh Cawnpur für viele Tage verlassen.«
Der Resident sah, daß er in seiner Schlinge gefangen war und stampfte ungeduldig mit dem Fuß. »Zum Teufel, so rede, was willst Du?«
»Meine Tochter, Sahib, Nurjesan, mein einziges Kind, ist diesen Morgen geraubt worden, als sie sich aus den unteren Gangesbädern in ihrem Palankin nach Hause tragen ließ, während ich in Lucknow war.«
»So wende Dich an den Darogah, den Chef der Polizei. Es ist seine Sache, nicht die meine,« sagte Rivers höhnisch.
»Der Darogah, Sahib, kann mir nicht helfen. Was ist ein feiler Darogah gegen die Hand des Mächtigen!«
»Schone Dein Gold nicht, würdiger Babu,« spottete der Resident. »Du mußt bei der Gelegenheit von Deiner Sparsamkeit
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lassen, die ich zu kennen das Vergnügen habe. Gold ist ein mächtiges Metall und der Schlüssel zu Allem. Hast Du schon einen Verdacht, wer Deine Tochter geraubt haben könnte? Die Phansigars sollen wieder sehr ihr Wesen treiben.«
»Kein Phansigar hat mein Kind geraubt. Jedermann weiß, daß Tippo-Singh bereit wäre, das Gewicht seines Kindes in Gold für ihre unbefleckte Freiheit zu geben. Die Diebe, die sie gestohlen, gehören nicht meinem Volk.«
»Nun zum Teufel - soll ich etwa wissen, wer sie sind? Warum hütest Du die Dirne nicht besser.[?]«
Der Babu näherte sich dem Vertreter der Regierung. »Laß diese Männer einige Schritte sich entfernen,« sagte er leise, »ich habe Dir etwas zu sagen, Sahib, das nicht für fremde Ohren geeignet ist.«
Der Resident schien einige Augenblise zu schwanken, dann faßte er einen Entschluß und winkte seinen Begleitern, zurückzutreten. Als er so mit dem alten Indier allein stand, den er scharf im Auge behielt, sagte er:
»Jetzt rede! Was willst Du?«
»Man hat die Fußstapfen der Diebe verfolgt, Sahib - Wischnu hat heule Morgen das Wasser des Himmels gesandt und die Erde war feucht.«
»Was kümmert mich der Regen?«
»Die Spuren gehen bis zur hintern Thür Deines Gartens, Sahib.«
»Schurke - Du erdreistest Dich doch nicht, zu behaupten ...«
»Ich klage Niemand an, Sahib, verstehe mich wohl. Aber ich muß mein Kind wiederhaben. Der Sahib-General ist leider nicht in Cawnpur und Du allein hast die Macht dazu. Wenn sich mein Kind in dieser Stunde wiederfindet, will ich dem, der sie mir bringt, ein Lack58 geben.«
Auf dem Gesicht des Residenten spiegelte sich der Kampf der Habsucht mit anderen schlechten Eigenschaften. »Du schlugst mir vor Kurzem noch eine geringere Summe zu leihen ab,« sagte er endlich. »Jetzt kommst Du, um meine Hilfe zu kaufen. Ich
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will mir die Sache überlegen - komm morgen wieder und frage bei meinem Sirdar nach.«
»Nein, Sahib - was geschehen soll, muß jetzt geschehen. Nurjesan darf keine Nacht unter jenem Dache bleiben. Die Rose darf nicht entblättert werden von dem Hauche des giftigen Monsoon!«
»Nun, so sieh selbst zu, wo Du die Dirne bekommst und laß mich ungeschoren,« fuhr der Major ihn an. »Ich habe keine Zeit, mich mit Dir länger einzulassen. Pack Dich von meiner Schwelle!«
Er wandte sich, hinauf zu steigen, aber der alte Mann hielt ihn nochmals zurück. »Ist dies Dein letztes Wort, Sahib? Bedenkt wohl, was Du thust und wessen graues Haar Du mit Koth bewirfst.«
»Will der alte Schurke noch drohen? fort mit Dir oder ich rufe die Diener!«
Ein rascher Griff in die Falten der Tschoga, in den Händen des Babu blitzte ein Dolch - aber die Faust des Engländers erfaßte gewandt das Handgelenk des alten Mannes und preßte es so gewaltig zusammen, daß die Waffe seiner Hand entfiel. »Herbei, Leute!« befahl er kaltblütig. »Schnürt dem grauen Mörder die Hände auf dem Rücken und sperrt ihn in die Hundehütten. Morgen früh, bevor ich aufbreche, werde ich über ihn entscheiden. Sorgt dafür, daß die Elephanten und Pferde zur rechten Zeit bereit sind und das Gepäck aufgeladen ist. Kommen Sie, meine Herren!« Er winkte seinen über den Mordversuch ziemlich erschrockenen Begleitern und stieg mit ihnen die Stufen des Gebäudes vollends hinauf.
Der Schobedar öffnete weit den Seidenvorhang, der den Eingang zu der Reihe luftiger Gemächer verschloß, welche die Wohnung des Residenten bildeten.
»Treten Sie in eine Garderobe, O'Sullivan, und machen Sie sich's einstweilen bequem,« sagte der Major, indem er mit einem Wink seines Auges den Lancier-Offizier zurückhielt. »Ich habe nur noch einige Befehle für die Abreise zu ertheilen und folge Ihnen sogleich.«
Eduard ging mit der Sicherheit eines mit allen Einrichtungen
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des Hauses vollkommen Vertrauten voraus. Eine Thür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als, sich der Resident zu seinem Begleiter wandte.
»Sie haben Ihre Anstalten getroffen, Mowbray?«
»Zuverlässig, Sir!«
»Die Zeit, wann Sie mit Ihrer Escadron aufbrechen wollen, mögen Sie selbst bestimmen. Was ich von Ihnen verlange, ist, daß Sie übermorgen bei Sonnenuntergang vor den Thoren von Jhansi stehen. Sie werden die Zugänge des Forts unbewacht und geöffnet finden, Alles wird mit der Sotti beschäftigt sein. Am Thor nach Cawnpur wird Sie einer meiner Diener erwarten und mir sofort die Nachricht Ihrer Ankunft bringen. Wer Sie befragt, dem sagen Sie, daß Sie meine Escorte bilden. Leistet die Thorwache Widerstand, so wird sie entwaffnet. Der Schobedar wird Sie an den Ort führen, wo ich bin. Ich hoffe, Ihre Gegenwart wird genügen, um jeden Widerstand zu verhindern.«
»Sie werden mich pünktlich auf meinem Posten finden, Major.«
»Ich rechne darauf, Capitain, wir möchten sonst in eine schlimme Lage gerathen. Sind die Anstalten zur Reise getroffen?«
Der Sirdar oder Oberaufseher verneigte sich. »Deine Befehle sind erfüllt, Sahib.«
»Du hältst Doppelbüchsen für sämmtliche Begleiter bereit?«
»Sie befinden sich bereits in den Haudah's der Elephanten und an den Sätteln der Pferde.«
»Meine Revolver?«
»Vier Paar liegen auf dem Tisch des Cabinets des Sahib.«
»Du hast zu den indischen Dienern der Begleitung zuverlässige Männer Deines Glaubens ausgesucht?«
»Wallah! sie lachen über die Kühe!59 Es sind Männer aus den Bergen, die ihren Säbel zu führen verstehen.«
»Wie viel sind ihrer?«
»Mit den Seyce's und Doby's fünfunddreißig, Sahib.«
»Das genügt. Die Bewaffnung darf nicht auffällig sein
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und muß anscheinend nur für die Jagd gelten. Du bürgst mir übrigens dafür, daß nichts Andres verbreitet wird.«
»Sahib - Sie wissen nur, was Du ihnen befiehlst. Ihr Mund ist verschlossen.«
»Gut, Hassan, ich hoffe, ich werde mit Dir zufrieden sein.« Er winkte den Vertrauten zur Seite.
»Hat das Mädchen sich zufrieden gegeben?«
»Sie hat den ganzen Nachmittag geweint und nach ihrem Vater gerufen, Sahib. Erst gegen Abend gelang es der Ayah, sie zur Ruhe zu bringen.«
»Sorge, daß wir nicht gestört werden. - Wenn es Zeit ist zum Aufbruch, wirst Du uns wecken.«
Er winkte dem Capitain und ging mit ihm in die inneren Gemächer.
Hier trafen sie den jungen Irländer bereits damit beschäftigt, mit Hilfe eines Dieners die lästige europäische Kleidung abzulegen, und sich in die weiten und wallenden Gewänder der reichen Eingebornen zu hüllen.
»Goddam! Ned kann es kaum erwarten, in Narika's Arme zu fliegen. Hollah, mein Bursche, warten Sie hübsch auf uns. Sie wissen, ich führe den Schlüssel zu unserm irdischen Paradiese, und ohne meinen Willen kann es Niemand betreten. Geschwind, Mowbray, herunter mit der leidigen Uniform und nehmen Sie diese Tschoga, die einem indischen Fürsten gehört hat und deren Perlenstickerei sich kein König Europa's zu schämen brauchte.«
Er warf ihm ein kostbares Obergewand zu, während er sich selbst mit weiten türkischen Beinkleidern von gelber Seide und einem meergrünen Rock versah, um den er einen kostbaren Kaschmir-Shawl schlang. Ein ähnlicher umhüllte turbanartig den Kopf, und der knieende Diener zog reich mit Gold und Juwelen gestickte Pantoffeln auf seine Füße.
In wenig Minuten standen die drei Wüstlinge in den prächtigen orientalischen Gewändern gleich sybaritischen Fürsten des Morgenlandes.
»Und jetzt - vorwärts, Ihr Herren, die Freude ruft!« Er sprang mit der Behendigkeit eines Jünglings und der Gier eines alten Lüstlings den Genossen voran und führte sie
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durch einen langen mit Blumen verzierten Corridor, der das Hauptgebäude des Bungalow's mit der Reihe von Pavillons und Kiosk's verband, die sich in die dunkelften Haine des Gartens versteckten.
Wie vor dem Harem eines Sultans hielt an dem Eingang ein stummer, schwarzer Verschnittener Wache. Neben ihm befand sich ein altes, indisches Weib, die Aya, auf der Lauer.
»Alles bereit - Zulma, Du alte Hexe, die Du das Himmelreich bewachst?«
»O Sahib, möge Deine Hand offen und Dein Schatten ewig sein! Die Houris des Paradieses harren, ihren Gebieter zu bedienen!«
Er winkte sie zur Seite. »Hast Du das neue Täubchen gezähmt?«
»Sie hat das Opium im Kaffee genommen, Sahib,« sagte die Alte mit einem teuflischen Blick. »Der Trank, den ich ihr bereitet, hat Feuer gegossen in die Adern ihres jungen Leibes - Du wirst ein glücklicher Mann sein.«
»Wohl! aber wenn Du mir dienen willst, so denke, daß die nächsten Tage die wahre Gelegenheit dazu bringen. Wenn es jetzt nicht geschieht, ist es unmöglich, denn der Nena kehrt zurück, ehe der Mond wechselt.«
»Ehe drei Tage vergehen, wird das stolze Weib mit den goldenen Haaren in Deiner Zenanah sein, vielleicht morgen schon. Hassan und ich, wir haben unsere Anstalten getroffen - aber die Gefahr ist groß!«
»Der Lohn nicht weniger, nimm!« Er reichte ihr einen Beutel mit Rupien. »Fünfzig Mohurs, wenn Ihr die Dame mir in das Haus schafft. Nur Vorsicht und sichern Gewahrsam.«
»Aber wenn der Faringi, ihr Bruder, Verdacht schöpfen sollte? Es ist kaum möglich, daß Narika nicht etwas, von dem, was geschieht, bemerken wird, und sie liebt ihn.«
Ein höllisches Lächeln zuckte um den falschen Mund des Hausherrn. »Für den ist gesorgt - beunruhige Dich nicht! Er wird nicht stören!«
»Und der Nena? - seine Rache wird furchtbar sein.«
»Mein Fuß wird ihn zertreten, wenn er gefährlich ist. Wir
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haben vierzehn Tage Zeit und das ist länger, als man bedarf um hundert Weibern den Mund zu schließen. Es giebt Geheimnisse, die keine Frau erzählt. Genug der Worte - Du hast Deine Instruction und meine Freunde werden ungeduldig. Oeffne!«
Er faßte Eduard am Arm. »Nun, Ned - lassen Sie uns die Stunden bis zum Aufbruch in unsrer Weise verträumen.«
Eine feste Thür von Eisenholz flog vor dem Schlüssel der alten Kupplerin auf, ein kurzer Weg durch ein halbdunkles Vorgemach - heiteres Lachen, der Ton eines Tambourins scholl gedämpft herüber, dann rauschte der Teppich des Eingangs zur Seite und die Männer traten über die Schwelle der Zenanah.
Ein weites Gemach von ovaler Form, während des Tages nur von oben durch die Oeffnung der Decke beleuchtet, jetzt durch große Lampen mit rosafarbenen Gläsern erhellt, öffnete sich vor ihnen. In der Mitte plätscherte eine köstliche, kleine Fontaine kühlende Frische. Um die etwa vier Fuß im Durchmesser haltende Marmorschaale, in welche der Strahl zurückfiel und worin zierliche Gold- und Silberfische sich tummelten, zog sich ein Divan mit Kissen von dunkelblauer Seide. Aehnliche breite, zum Ruhebett wie zum Lager dienende Divans liefen an den Wänden entlang, nur durch vier Thüren unterbrochen, deren halbgeöffnete, schwere, goldgestickte Vorhänge von gleicher Farbe das Auge in das geheimnißvolle Halbdunkel des köstlich in Roth, Grün, Amaranth und Pensée dekorirten Kabinets blicken ließ. Ein dunkler, persischer Teppich mit seinen seltsam verschlungenen Arabesken, in den der Fuß bei jedem Tritt bis an die Knöchel einzusinken schien, bedeckte den Boden; die Farbe der Wände war ursprünglich ein mattes, marmorartiges Weißgelb, gewann aber durch den sanften Schimmer der röthlichen Lampenglocken etwas wahrhaft Zauberhaftes. An den Pilastern, welche die Wände mit den Thüren in Felder theilten, und eben so von der Decke rankten sich köstliche tropische Schlinggewächse mit ihrem saftigen, dunklen Grün, und der Duft der Champa - jener wunderbaren Blume - vermischte sich mit dem Wohlgeruch leichter Wölkchen aus dem wohlschmeckenden, gelbblättrigen Tabak von Schiraz.
Zwischen zwei der erwähnten Thüren befand sich ein großes,
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mit kostbarem Gold- und Silbergeschirr bedecktes Büffet von Acajouholz, auf dem in silbernen, mit Eis gefüllten Becken Krystall-Karaffen den kühlen Scherbet oder den köstlichsten Sangarihpunsch enthielten. Früchte aller Art, und die mannichfaltigen Confitüren von Rosenblättern, Limonen und Mastix, nebst den Zuckerwerken, welche die orientalischen Frauen so sehr lieben, füllten die Zwischenräume und gaben den schönen Bewohnerinnen dieses der Paphierin gewidmeten Raumes zwischen ihren Spielen und Liedern zu naschen.
Zehn liebliche, reizende Gestalten von wunderbarer Schönheit, jede in ihrem nationellen Typus, lagen und saßen in verschiedenen zeittödtenden Unterhaltungen auf den Divans und dem Teppich.
Die Racen Asiens schienen in ihnen vertreten, ja selbst das Kind Nubiens, die hohe, schlanke, junonische Gestalt der Mohrin mit dem kräftigen, aber wohlgerundeten Gliederbau und der mit dem Karmoisin der Jugend und Gesundheit gefärbten Sammetschwärze der Wange fehlte nicht.
Neben der Nubierin, die mit dem Ausdruck naiver Neugier ihren Gefährtinnen zusah, auf den Händen und Knieen hockend, lag, in aller Behaglichkeit ihrer angebornen Trägheit, eine junge Chinesin, den Körper von den Knieen aufwärts durch die unnatürliche Einzwängung der Füße zu jener üppigen Fülle in der Entwickelung gepreßt, welche das seltsame Volk des himmlischen Reiches der Mitte so sehr schätzt. Die feine, weiße, vollkommen europäische Haut des Gesichts und des Körpers erschien neben der Ebenholzschwärze ihrer Nachbarin doppelt blendend. Die Züge des zarten Gesichts waren, wie bei den meisten Chinesinnen, pikant und scharfsinnig durch den eigenthümlichen Winkel der Augen und schmalen Brauen, während der äußerst kleine Mund reizend erschien, indem er sich, wie der Kelch einer Blume, um den äußersten Rand der Bernsteinspitze einer kleinen, unsern Cigarrenträgern oder den holländischen ähnlichen Pfeife von rothem Thon schloß und zuweilen zwischen den kleinen, wie schwarze Perlen glänzenden Zähnen die leichten Wolken des Rauchs hervorstieß. Die Chinesin saß mit untergeschlagenen Füßen auf dem Divan am Springbrunnen, und entfernte die Pfeifenspitze nur aus den
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Lippen, um ein heiteres, kindisches Lachen vernehmen zu lassen das die Freude über den Tanz zweier ihrer Gefährtinnen ausdrückte.
Diese waren zwei braune Malayenmädchen von der Küste von Malacca, die Augen flammend, der Ausdruck des Gesichts kühn und feurig, und durchaus nicht unschön durch den eigenthümlichen Typus ihrer Race. Ihre Sprünge und Bewegungen zeigten die Leidenschaftlichkeit und das Feuer ihres Volkes, und gaben ihnen etwas von der Beweglichkeit der Affen. Zwei reizende Hindufrauen, eine Mestize von den Antillen, eine Jüdin und eine jener paradiesisch schönen, an die Urmutter des Menschengeschlechts erinnernden Frauengestalten aus den Thälern Kashemirs bildeten die anderen Mitglieder dieser Vereinigung weiblicher Reize, rings umher in den ungezwungensten Stellungen auf den Kissen und dem Teppich lagernd, theils mit Näschereien, mit der Hukah oder mit einem chinesischen Schachspiel beschäftigt.
Keine dieser Frauen hatte bereits das zwanzigste Jahr überschritten, einigen sah man es trotz der raschen Entwickelung des Orients an, daß sie kaum das Kindesalter verlassen hatten.
Ihre Kleidung war ein köstliches Gemisch phantastischer Kostüme, leicht und fliegend, daß sie das Erröthen auf die Stirn einer Engländerin gejagt hätte, aber weit entfernt davon, frech und unzureichend zu sein, um ihre Reize in jenes Errathenlassen zu verhüllen, das die Schönheit tausend Mal schöner macht, als die dreiste Nudität. Je nach der Laune, der Nationalität und der Schönheit der Tänzerin wechselte diese Pracht in bunten, hellen Farben mit Seide, Stickerei und Gaze in allen jenen wallenden, graziösen Formen ab, die das Morgenland so reich unsern puritanisch harten Kleiderschnitten entgegenstellt. Reicher Schmuck zierte die Haare und bedeckte Füße, Arme und Busen.
Das Auge des Gebieters flog aber hastig und gleichgiltig, während sein jüngerer Begleiter sich eilig auf das Kissen zu den Füßen der schönen Kashemirerin niederwarf, über alle diese Reize und suchte deren neue, die seine erschlafften Sinne reizen und beleben sollten.
Gegenüber der Thür, durch welche die drei Europäer
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eingetreten waren, saß auf einem Haufen loser Kissen, die kleinen, zierlichen Füße unter das faltige Gewand gezogen, den Oberkörper zurück an die Wand gelehnt, die Arme wie sehnsüchtig nach dem dunklen Blättergrün, das eine Laube um sie bildete, die Gesuchte.
Es war eine junge Hindu, von einer Zartheit und Reinheit der Formen, wie sie der begeisterte Maler einer Psyche träumen, aber gewiß selten nur finden würde und nimmer unter dem kalten Himmel, unter dem die Kunst so viele Triumphe feiert. Die dunkle Elfenbeinfarbe ihrer Haut glich einem durchsichtigen Sammetschleier, unter dem man das frische, jugendliche Blut pulsiren zu sehen glaubte. Hände, Arme und der Fuß, dessen Spitze unter dem Gewand sich zur Seite hervorstahl, waren so zierlich und wohlgeformt, daß sie von einem Künstler geformt schienen, - und war es in der That nicht der erhabenste Künstler, der sie gebildet? - Das reizende Oval ihres Gesichts zeigte eben so liebliche als reine Züge, und dennoch bewies der leichte, wie ein Reif um die feingeschnittenen Mundwinkel sich lagernde Flaum, daß unter dieser reinen Hülle glühendes Feuer geschlummert und nur nöthig gehabt hatte, geweckt zu werden.
Und es war geweckt, geweckt auf das Schändlichste und Empörendste durch den Verrath und das Verbrechen. Die großen Gazellenaugen unter den feingezogenen, über der Nasenwurzel zusammenlaufenden Brauen funkelten in einem wilden, unnatürlichen Feuer, während ein unendliches Weh, eine unendliche Angst in den perlenden Thränen lag, die unbewußt aus ihrem Augenwinkel sich stahlen und langsam ihren Weg über die Sammetfläche der Wangen rollten. Diese Wangen, diese schmale, aber klassische Stirn war statt der gewöhnlichen, gleichmäßigen Färbung, welche dem Orientalen eigen ist, von einer unnatürlichen, fieberhaften Gluth geröthet. Die korallenrothen, so wundervoll über weißen, nicht durch das Bethelkauen entstellten Zähnen sich wölbenden Lippen öffneten und schlossen sich, gleich als wollten sie Worte der Leidenschaft sagen; das mit Goldmünzen und Perlen durchflochtene, nur von einem weißen, goldgestickten, kleinen Halbfeß bedeckte Haar floß in langen, gelösten Flechten und Locken um den schönen Kopf und verrieth den Zustand von Schmerz
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und Auflösung, in dem sich das schöne Mädchen noch vor einer Stunde befunden hatte.
Auch ihre Kleidung unterschied sie von den Phrynen, die ihre Gesellschaft in diesem Gemach bildeten. Sie war ganz in weite, züchtige, aber jetzt in Unordnung gerathene und selbst zerrissene Gewänder gehüllt, die Schultern und Arme entblößt ließen.
Es war Nurjesan, die unglückliche Tochter des noch unglücklichern Babu, den der Resident in die Hundeställe des Bungalow hatte sperren lassen.
Dachte die Tochter an den grauen, der Habsucht und der Rache seines Feindes verfallenen Vater?
O, welche Thränen der Angst hatte sie nach ihm geweint, wie oft seinen Namen nach Hilfe gerufen - aber jetzt -
Der Resident klatschte in die Hände. »Auf, Mädchen, tanzt, singt - strengt all' Eure Kräfte an, daß die Stunden der Nacht uns zu Minuten werden! Den Sangarih her, wir wollen lustig sein!«
Die Frauen waren emporgesprungen beim Eintritt des Gebieters, bis auf Nurjesan und die bequeme Chinesin, und begrüßten ihn mit lärmender Fröhlichkeit. Das Auge der jungen Hindu ruhte glühend und dann zornig auf dem jungen Irländer, der sich zu den Füßen des schönen Mädchens aus Kashemir geworfen. Sie bemerkte es kaum, daß der Major ihr nahte und sich neben sie auf die Kissen setzte. Erst als sein Arm sie umschlang, blickte sie halb erschrocken auf ihn.
»Was willst Du? - ich liebe Dich nicht - Jener dort ist es, den Camah, die Göttin der Herzen, mir beschieden hat.«
»Thörin! Er hat sein Theil, und hier bin ich der Herr!« Seine frechen Lippen verschlossen ihren Mund. -
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IV. Die Sotti und die Tigerjagd.

Das Fürstenthum Dschansi oder Jhansi, wie es in der spätern Geschichte des Aufruhrs gewöhnlich genannt wird, gehörte damals noch zu den unabhängigen Staaten und war tributair von dem Scindia von Gwalior, dem Bundesgenossen der Compagnie.
Der letzte Ranee von Jhansi war gestorben, wie wir aus den Mittheilungen im Meß-Bungalow der Offiziere des 71. Eingebornen-Regiments erfahren haben, und es handelte sich um die Frage der Erbschaft.
Nach den indischen Sitten erbt, wie in Europa in den Fürsten-Familien, in welchen das Salische Gesetz nicht gilt, die Rani, die erste Gattin des Verstorbenen, die Regierung, wenn kein majorenner, wirklicher oder Adoptiv-Sohn vorhanden ist. Die Adoption verleiht in Indien die unbeschränkten Kindesrechte.
Der verstorbene Ranee war ein alter Mann gewesen; das Gerücht aber erzählte viel von den Reizen seiner Frauen, besonders von der Schönheit seiner Lieblingsfrau.
Wir haben bereits vernommen, daß diese, statt die Erbschaft anzutreten, den Opfertod der Sotti vorgezogen hatte.
Ob die Ueberredung der Verwandten, deren Habsucht davon sich Nutzen versprach - ob der fanatische Aberglaube und die Intriguen der Brahminen - oder welcher andere Grund es war, der sie zu einem so furchtbaren Entschluß getrieben, welchen unmöglich die Liebe zu einem Greise eingegeben haben konnte - Niemand wußte es. Die besser Unterrichteten behaupteten, daß der Rath der Brahminen unter dem Einfluß des Scindia von Gwalior gegeben worden, des Einzigen, der als Lehnsherr das Recht hatte, der Wittwe die Sotti zu verweigern.
Es war eine Stunde vor Sonnenuntergang, als der Zug des Scindia mit seinen am Nachmittag in seinem Lager eingetroffenen englischen Gästen an den Thoren von Jhansi anlangte.
Der Anblick war prachtvoll.
Die Verwandten des vorstorbenen Ranee und Vornehmsten des Landes waren zwei Meilen weit dem Oberherrn entgegengegangen
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und geleiteten ihn mit all' dem Gepränge, welches die indischen Aufzüge begleitet, in die Stadt.
Kein Zeichen verrieth unter dieser Pracht und diesem Glanz den traurigen und entsetzlichen Zweck des Besuchs.
Fünfhundert Reiter, die Hälfte der Leibwache des verstorbenen Ranee, in weißen Tschoda's und rothbesprenkelten Turban's, eröffneten den Zug; ihnen folgte ein Heer von Musikanten, die auf Tambourins, Trommeln, Pfeifen, Hörnern und Metallbecken einen wahrhaft höllischen Lärmen, ohne eine Spur der Harmonie, vollführten.
Fünfzig Sowars oder Kameelreiter des Scindia folgten.
Dann kamen in langer Reihe die Elephanten des Scindia und der Vornehmen von Jhansi, von zahllosen glänzenden Reitern umschwärmt. Auf dem größten der hundert riesigen Thiere, dessen Rücken mit Goldstoffen behängen war und dessen Zähne und Schwanz vergoldet waren, saß in einer mit Goldblech beschlagenen und reich mit Edelsteinen verzierten Haudah der Scindia, zu seiner Rechten der Resident von Cawnpur, Major Rivers. Ein hinter der Haudah auf dem Sattel des Elephanten kauernder Negerknabe hielt am langen Bambusstäbe einen großen Sonnenschirm über ihren Häuptern.
Der Major trug die goldgestickte, rothe Uniform und den befiederten Hut, der Scindia strahlte von kostbaren Juwelen. Die britischen Offiziere, welche die Begleiter des Residenten bildeten, und Eduard O'Sullivan saßen auf zwei anderen Elephanten, ihre Diener folgten zu Pferde.
Eine kleine Abtheilung der Fußleibwache des Scindia, nach dem Vorbild der britischen Sepoy's uniformirt und gebildet, kamen hinter den Elephanten und an sie reihte sich der Rest der Reiter von Jhansi und ein unabsehbarer Zug von Dienern aller Art. Fünfzehn bis zwanzigtausend Menschen mindestens bedeckten die Umgebungen des Thores, schlossen sich dem Zuge an und drängten sich mit ihm durch die engen und schmutzigen Straßen nach dem Platz vor der Burg, auf welcher das traurige Schauspiel vor sich gehen sollte.
Das ganze Aussehn der Stadt trug ein festliches, heiteres Gepräge. Ueberall waren hohe Gerüste aus Bambusrohr errichtet,
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die entweder das Aussehn von Minarets, Thürmen und Triumphbögen nachahmten, mit Blumen und Stoffen geschmückt, oder Schaubühnen darstellten, aus denen Schaaren von Musikanten ihren Lärmen zu dem ihrer Gefährten im Zuge hinzufügten oder Bayaderen fortwährend tanzten und Possenreißer ihre Streiche machten.
Der Platz bildete ein großes Halbrund vor dem Thor der auf einer ziemlich steilen Anhöhe liegenden Citadelle oder Festung, deren größter Raum von dem Palast des Ranee eingenommen wurde. Dem Thor gegenüber waren zwei große Prachtzelte aufgeschlagen, aus baumwollenen Stoffen gefertigt und mit kostbares Teppichen behangen.
Zwischen diesen beiden Zelten, die zur Aufnahme des Scindia und des Residenten der Compagnie bestimmt waren, befand sich eine Estrade, auf welcher zur Linken, dem Ehrenplatz, ein Thron von vergoldetem Holz, überragt von einem großen Spiegel von Pfauenfedern, stand, den Zeichen der Macht und des Reichthums. Ein Tigerfell, mit großen Edelsteinen statt der Augen, bedeckte den Fußschemel. Auf diesem Thron sollte der Scindia während der Ceremonie Platz nehmen, indeß ein gleichfalls vergoldeter Armsessel, jedoch ohne den Feder- und Tigerschmuck, für den Vertreter der Compagnie bestimmt war.
Diesen Zelten und dieser Estrade gegenüber, in der Mitte zwischen ihnen und dem verschlossenen Festungsthor erhob sich ein anderer Thron von künstlichem Schnitzwerk und reichen Vergoldungen. Auf diesem Thron, dessen Sitz noch Raum hatte für eine zweite Person, saß eine menschliche Gestalt, in kostbare Gewänder gehüllt, mit Gold und Edelsteinen geschmückt. Aber in dem starren, gläsernen Auge fehlte das Leben, diese Glieder waren kalt und unbeweglich und das verschrumpfte und eingefallene Antlitz zeigte die Todtenfarbe.
Es war der einbalsamirte Leichnam des verstorbenen Radschah auf seinem Thron in der Mitte des riesigen Scheiterhaufens von Bambusstäben, der wie ein Wall um ihn her aufgethürmt, nur einen schmalen, leicht verschließbaren Eingang zu dem Todten ließ, welcher den warmen, lebendigen Schooß erwartete, in dem
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ruhend die sterbliche Hülle durch das feurige Element ihren Urstoffen wieder zurückgegeben werden sollte.
Zwei schwarze Sclaven mit blankem Säbel bewachten den Zugang zum Scheiterhaufen, während eine Anzahl von Brahminen, in ihre weißen Gewänder gehüllt, um den äußern Rand desselben lauerten und Gebete murmelten.
Eine große Volksmenge, deren Wogen sich fortwährend durch Zuströmende mehrten, hoben und senkten, umgab den Scheiterhaufen und füllten den Platz. Aber sie wurde in angemessener Entfernung zurückgedrängt, als die Reiter der Leibwache des Verstorbenen und die Sowars oder Kameelreiter jetzt auf dem Platz erschienen und eine weite Schranke um den Scheiterhaufen bildeten.
Auf ein Zeichen seines Mahoud beugte der gelehrige Elephant, welcher den Scindia und seinen Gast trug, die Kniee und eine vergoldete, kleine Leiter wurde an die Haudah gesetzt, auf welcher der Oberherr herabstieg, während die Soldaten mit ihren Waffen zusammenschlugen, die Musiker den Lärmen ihrer Instrumente noch erhöhten und das Volk sich auf den Boden niederwarf.
Der Scindia setzte sich auf seinen Thron, der Resident nahm mit einem Lächeln hochmüthigen Spottes, nachdem er seinen Schobedar zu sich gewinkt und ihm einige Worte zugeflüstert, auf dem Sessel Platz und um ihn her gruppirten sich seine europäischen Begleiter.
Es waren dies übrigens nicht die einzigen Europäer. Verschiedene andere schien das Gerücht von der Sotti gleichfalls herbeigelockt zu haben, und sie waren unter dieser Menge vertheilt, die mit dem Respect und der Demuth, welche die Indier stets ihren weißen Gebietern beweisen, ihnen Raum ließ in dem Gedränge und sie dadurch kenntlich machte.
Einer dieser Europäer, ein Reisender oder Kaufmann, lehnte nicht weit von der Estrade mit einem Mann in der Tracht eines arabischen Seefahrers an einem Haufen von Bambusstäben, welche die Vorsorge des Fanatismus aufgehäuft hatte, um der Gluth zu Hilfe zu kommen.
Der Fremde war eine stattliche Gestalt mit einem stolzen Gesicht und einem Adlerblick, der Muth und Energie
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verkündete. Er trug ein hirschledernes, mit Seidenstickerei geschmücktes, braunes Reise- oder Jagdhemd und einen breitrandigen, grauen Filzhut mit der Geierfeder. Seine Haltung bewahrte selbst in der nachsinnenden, legeren Stellung etwas aristokratisches, und auf seiner Stirn, die sichtbar wurde, wenn er von Zeit zu Zeit den Hut lüftete, um den Schweiß von seinem Gesicht zu trocknen, lag eine ernste Melancholie.
Es möchte schwer gewesen sein, zu entscheiden, ob der Rais oder arabische Schiffsführer an seiner Seite ein geborner Araber, oder welchem Vaterlande er angehörte. Die tiefe Bräunung des kühnen und trotzigen Gesichts glich vollkommen jener der Männer aus dem Rothen Meer oder dem arabischen Golf, und dennoch lag in der Bildung dieses Kopfes, in der Form seines Bartes und in den raschen Bewegungen seines Körpers Etwas, das der gewöhnlichen Ruhe und Schweigsamkeit der Araber nicht entsprach. Diesen Zweifel an seinen tropischen Ursprung hätte für einen Beobachter überdies die Sprache unterstützt, in der er sich mit seinem Gefährten, dem er eine große Ehrerbietung bewies, unterhielt, und die in den indischen Meeren als eine ziemlich ungewöhnliche erschien. Es war Neugriechisch. Der Seemann trug die kurzen, weiten Beinkleider der Lascaren, mit Pantoffeln an den Füßen, eine griechische Weste, im Gürtel Dolch und Pistolen, und einen weißen, arabischen Mantel um seine kräftigen Schultern. Sein krauses, schwarzes Haupthaar war von einer Turbanbinde bedeckt, die sich um eine rothe, phrygische Mütze schlang und sein Arm stützte sich auf eine lange Flinte von albanesischer Form, mit eingelegten Silber- und Perlmutterarbeiten.
»Sieh, Capitain,« sagte der Seemann, »mit welcher Behaglichkeit dieser Wehrwolf von einem Engländer sich vorbereitet, der Verbrennung von Weibern zuzuschauen, und mit welcher hündischen Demuth dieses erbärmliche Gesindel sich vor ihm zur Erde beugt. Ich hätte Lust, ihm eine Kugel durch seinen Schädel zu jagen. Vielleicht ist es einer seiner Verwandten gewesen, der meine arme Tartane an der italienischen Küste verbrannte!«
»Thorheit, Danilos. Wir sind die Feinde der Nation, aber nicht die Mörder des Einzelnen. Deine Freundschaft hat Dich in den Strudel von Unglück mit hineingerissen, der mich verschlungen.
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Suchtest Du mich damals nicht in den Schluchten der Appeninen auf, so strichst Du wohl noch heute auf dem Deck der »Schwalbe« durch die blauen Wellen des Adriatischen Meeres und lebtest mit Weib und Kind zufrieden in Deiner rauhen aber nichts weniger dem Herzen theuren Heimath.«
Der Uskoke, der kühne Führer der Schmuggler-Tartane, welche die englische Fregatte aus der Felsenbucht von Ripatransone verjagt hatte, wo sie zur Aufnahme des corsischen Flüchtlings bereit lag, - und die wir zuletzt, verfolgt von dem übermächtigen Gegner, am Rande des Horizonts verschwinden sahen, - Danilos, der Milchbruder des Capitain Grimaldi, - denn diese waren es, denen wir hier wieder begegnen, nachdem die Leser die Gestalt des Letztern wohl schon unter der Maske des ehemaligen sardinischen Offiziers und Agenten einer Turiner Seidenfabrik, Maldigri, an den Ufern des Gandlagama erkannt haben, - Danilos aber warf, nach der Sitte seiner Heimath, die Finger der linken Hand in die Luft, während er mit der Fläche der rechten auf den Ellbogen schlug - das Zeichen der höchsten Verachtung. »Bah,« sagte er unwillig, »als ob ihr Schicksal nicht bestimmt gewesen wäre, wie das meine. Die Inglesi würden sie zwei oder drei Jahr später verbrannt haben, denn die »Schwalbe« würde nicht unthätig geblieben sein bei dem Kampf unserer Brüder im Epirus. So focht ich, statt auf den Planken meiner Tartane, auf festem Boden bei Arta und Mezzowo gegen die Moslems, während ich jetzt selbst ein halber Muselman bin und meine Praua nur von Anhängern des Propheten bemannt ist, die mir den Kopf abschneiden würden, wenn sie wüßten, daß ich ein Christ bin.«
»Diese Verläugnung ist das einzige Unrecht, das ich an Dir finde.«
»Ne apalun - was kann ich thun? wie die Türken sagen - der Mensch ist ein Rohr im Winde Gottes! Die Anwesenheit des russischen Offiziers auf der ›Schwalbe‹ und sein Zeugniß, daß ich ihn nur auf einer Fahrt an der Küste nach dem Golf von Tarent begleitet, rettete mich zwar von dem Galgen auf Korfu, aber die Tartane war zu bekannt als das flüchtigste Schmugglerfahrzeug zwischen Venedig und dem Cap Matapan, als
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daß sie es, einmal in ihren Klauen, wieder losgelassen hätten. Es mußte büßen für seinen Herrn und wahrlich, der Gedanke, ein Bettler zu sein, war nicht der, welcher mein Herz am meisten zerriß, als ich die Flamme der Schurken an Mast und Segeln emporschlagen sah. Ich habe Dir bereits erzählt, daß ich bei dem Aufruf des Tzavellas und der Caraiskakis unter den Ersten stand, welche die blaue Fahne mit dem weißen Kreuz schwangen und mit ihrem Blute vertheidigten. Von meiner Hand war ein Pascha getödtet worden, das war bekannt, und als König Otto, von den Kanonen der Inglesi und Franken bedroht, seine Getreuen nicht zu schützen vermochte und die rauchenden Schiffe der Engländer die Feluken der freien Griechen, weil sie ein Bischen auf eigene Hand zwischen den Inseln gekapert, in allen Verstecken des Aegeischen Meeres aussuchten, ging ich nach Kandia und an die Ufer des Rothen Meeres. So kam ich nach Mascat, kaufte von einem Araber von der Beute, die ich gemacht, meine Praua und durchstreife seitdem das Indische Meer, meinem Glück, dem Handel und meiner Faust vertrauend, bis die Erinnerungen in der Heimath sich verblutet. Das Kismet hat es gewollt, daß es so kommen sollte, damit ich Dir, Capitano, noch einen Dienst in diesem entfernten Lande leisten konnte.«
»Es ist wahr, ich hätte eher des Himmels Einfall erwartet, als Dich an der Mündung des Kistna zu treffen, wie ich mit dem Engländer dort Ueberfahrt suchte.«
»Es ist das Kismet, Capitano,« wiederholte gleichgiltig der Uskoke.
»Jedenfalls bin ich ihm dankbar, daß es uns zusammengeführt.«
»Ich denke mich auch nicht, wieder von Dir zu trennen, Markos Grimaldi,« sagte der Seemann. »Meine Praua kann eben so gut die Wasser des Ganges befahren, als ihre Segel auf dem Indischen und Arabischen Meere entfalten und ich werde bei der Hand sein, Deine Pläne und Absichten zu unterstützen.«
»Du siehst, daß eine meiner sichersten Hoffnungen vereitelt ist,« sagte der Ionier, indem er nach der Leiche des Radschah wies. »Dieser Mann war ein Tapferer, wenn auch ein Greis,
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und ein Feind unserer Feinde. Der Nena, dem unsere Reise galt, ist noch nicht zurück.«
»Nun, dieser Leichnam wird einen Nachfolger haben, und er kann eben so gut ein Feind der Engländer sein, als dieser es war. Die Zeit vergeht und der Nena wird zurückkehren. Einstweilen werden wir ein merkwürdiges Schauspiel sehen. Ich habe zwar Männer, Weiber und Kinder in den Flammen der brennenden Häuser zur Genüge umkommen sehen, aber nie ein Weib, das sich freiwillig in das Feuer stürzte.«
»Schmach über die, welche die Macht haben, es zu hindern, und eine solche Grausamkeit dulden.«
»Still, Capitano - da kommen sie.« Der Scindia hatte auf seinem Throne Platz genommen und durch eine Bewegung der Hand das Zeichen gegeben, daß das schreckliche Schauspiel beginnen könne. Sogleich sprangen die Flügel des gegenüberliegenden Thores auf und die Prozession, welche die Wittwen zu dem furchtbaren Sterbelager begleiten sollte, begann auf den Platz zu treten.
Voran schritten wieder eine Anzahl Musiker, wie bei einem Hochzeitszug, denen Tänzer und Springer, ihre Kunststücke produzirend, folgten. Dann kamen, die Hänpter mit einem Kranz von Blättern geschmückt, in ihren weißen, wallenden Gewändern, die Brahminen, die vier ersten brennende Fackeln tragend, die vier letzten mit großen Bambusstäben bewaffnet, um die Gluth damit zu schüren oder die vor den Todesschrecken etwa flüchtenden Opfer zurück in das Flammengrab zu stoßen.
In der Mitte der Brahminenschaar schritten die drei Frauen, deren Glauben und Muth groß genug gewesen war, vor dem Feuertode nicht zurückzubeben. Sie wurden an langen goldenen Bändern von den ältesten Brahminen geführt und waren von ihren Verwandten und den anderen Frauen des Haushalts des verstorbenen Radschah umgeben, die Blumen auf ihren Weg streuten und in begeisterten Worten den Muth und die Aufopferung priesen, die jenen die Freuden der Seligen verschaffen sollte.
Die drei Opfer waren sämmtlich jung und schön, und in ihre kostbarsten Gewänder gekleidet. Juwelen und Goldspangen bedeckten ihre Finger, ihre bis zur Achsel entblößten Arme wie
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die Knöchel ihrer fein geformten Beine, und kostbare Perlenschnüre wanden sich durch ihre Haare und hingen vom Hals aus den zum ersten Mal in ihrem Leben den Blicken der Menge preisgegebenen Busen.
Die beiden ersten Frauen, die neben einander gingen, waren fast noch Kinder, und während die eine bleich und verstört, sichtlich mit der Todesangst rang, schien die andere keinen Gedanken zu haben, als die Lust befriedigter Eitelkeit, die ihre Schönheit zum ersten Mal vor dieser Menge von Männern unverhüllt zeigen und bewundern lassen durfte. Ihre großen rehfarbenen Augen glänzten vor Vergnügen und mit lachendem Munde ging sie dem schrecklichen Tode entgegen, als gelte es einen neuen Triumph.
Hinter ihnen kam die Lieblingsfrau des Verstorbenen, die Rani selbst. Aelter als ihre Gefährtinnen, mochte sie vielleicht zwei[-] bis vierundzwanzig Jahre zählen und war in vollkommen entwickelter Blüthe ihrer Schönheit. Rabenschwarzes, in jenem bläulichen Schimmer leuchtendes Haar, der gewöhnlich von einem stolzen, männlichen Charakter bei Frauen zeigt, umgab in langen verschlungenen Flechten das prächtige Oval ihres Gesichts, das Züge von einer merkwürdigen Zusammenstellung bot. Stirn und Nase mit weit, gleich wie beim Streitroß, geöffneten rosenfarbenen und gleichsam durchsichtigen Flügeln bildeten eine einzige Linie in vorspringendem Winkel, was dem Gesicht einen merkwürdigen Ausdruck von Kühnheit und En[t]schlossenheit gab, während sonst gewöhnlich die indischen Physiognomieen einen hohen Grad von Weichheit und Sanftmuth zeigen. Große flammende Augen von mongolischem Schnitt sahen mit einer Energie des Ausdrucks auf die Menge, dem gewiß nur wenige Blicke Stand halten konnten. Der Mund war, im Gegensatz zu dem andern scharfen Charakter der Züge, weich und üppig voll, das Kinn zurücktretend, rund und klein, und bildete mit der Kehle seinen rechten Winkel zu dem kräftigen Hals, sondern eine abfallende, stumpfe Linie, wie man sie bei fleischigen Gesichtern in höherm Alter unförmlich sieht, während sie hier in voller Reinheit und Schönheit einen eigenthümlichen Eindruck machte.
Die Rani war in weiße Gewänder und Schleier gehüllt, die nur das Gesicht, den Hals und den Unterarm bloß ließen.
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Sie verachtete es offenbar, mit ihrer Schönheit vor der Menge zu prahlen.
Nur als ihr erhobenes Auge auf die Gruppe der Europäer fiel, zeigte sich Bewegung und Interesse, eine leichte Röthe färbte ihr Gesicht, ein Strahl des Hasses und stolzer Verachtung brach aus ihren Augen, und sie wickelte sich fester in ihre Schleier.
Brahminen, Eunuchen und Musikanten mit Cymbeln und Kesseltrommeln beschlossen den Zug, der sich in feierlichem Schritt sieben Mal um den Kreis bewegte. Jedes Mal, wenn die Opfer an dem improvisirten Throne des Scindia vorüberkamen, verneigten sie sich mit gekreuzten Armen vor ihm, wobei die kokettirende, dem Feuertode gewidmete Schöne den Engländern herausfordernde Blicke zuwarf.
Die Rani allein schien mit Widerwillen und Zwang ihre stolze Stirn vor dem Lehnsherrn und Gebieter zu neigen.
Das Lorgnon in das Auge geklemmt, betrachtete der Resident mit Kennerblick die unglücklichen Frauen. »Damned!« sagte er halblaut zu O'Sullivan, der neben ihm stand, »der alte Lutsullah hat keinen schlechten Geschmack gehabt. Die beiden jungen Frauen sind hübsch genug, und jenes Weib dort wäre wohl der Mühe werth, es zu unterjochen.«
Die Blicke des Capitain Delafosse hatten zuerst mit großer Theilnahme und Bedauern auf den Opfern eines rohen, aber heroischen Fanatismus verweilt, nach und nach aber begann diese Theilnahme immer wärmer zu werden; seine Augen blieben an der eigenthümlichen Schönheit der Rani haften, und ein warmes, inniges Interesse, wie es ihn seit dem Tode des schönen Kaffern-Mädchens für keine Frau mehr erwärmt, regte sich in ihm.
Als der Zug zum dritten Mal an dem Thron vorüber kam, veranlaßte eine zufällige Bewegung die Rani, ihre Blicke zu erheben - sie begegneten den unverwandt auf sie gerichteten Augen des Offiziers.
Anfangs wollten sie sich rasch wieder zu Boden senken, aber ein unerklärliches Etwas, der Ausdruck aufrichtiger, warmer Theilnahme schien sie zu fesseln. Ihr strenger Blick wurde sanfter und milder, er schien gleichsam zu, danken für das unerwartete Gefühl, das er in dem Herzen eines Fremdlings, eines Tyrannen
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und Unterdrückers ihrer Nation gefunden, und er verweilte einige Momente mit Wohlgefallen auf dem männlich schönen, interessanten Gesicht des jungen Offiziers.
Von diesem Blick an schien sich in die wenigen Minuten, die zwischen ihm und dem schrecklichen Drama lagen, ein ganzer Lebensroman von Gedanken und Empfindungen zu drängen.
Jedes Mal - wenn die dem Tode Geweihten von da ab an der Gruppe des Scindia und der Europäer vorüber kamen, - erhob das majestätische Antlitz dieser Frau das große ausdrucksvolle Auge und traf den Europäer.
Jedes Mal flammte eine leichte Röthe über die Stirn des Offiziers, seine Blicke steigerten sich von dem Mitleid zur Theilnahme, von dem Interesse zur Bewunderung, von Schmerz zur Betheuerung, und seine Lippen öffneten sich unwillkürlich, gleich als wollten sie warnen, abmahnen, Hilfe bringen.
Mit jedem Mal dieses lebendigen Grabeszuges schien die Angst, die ihn erfaßt, zu wachsen. Seine Hand preßte den Arm des Oberstlieutenants, der zwischen ihm und dem Residenten saß. »Dürfen wir es zugeben, Oberst, daß ein solches Verbrechen, ein so empörender Mord in Gegenwart britischer Offiziere verübt wird?«
Auch der wackere Kommandeur, obschon das schwelgerische, üppige Leben Hindostans seine frühere Denkungsart abgestumpft und gegen jede Theilnahme für die Eingebornen unempfindlicher gemacht hatte, erinnerte sich der einst so ritterlichen Gefühle und hielt es für seine Pflicht, wenigstens einen Versuch zu machen. »Sie haben Recht, Capitain, es ist eines Mannes und Offiziers nicht würdig, diesen hilflosen, von den heuchlerischen Schurken bethörten Geschöpfen nicht wenigstens zu Hilfe zu kommen. Wir müssen den Versuch machen, Major Rivers, ihnen das Thörichte ihres Schrittes vorzustellen, und wenn sie es wünschen, sie in unsern Schutz nehmen.«
Der Resident lächelte spöttisch. Vertrauter mit den Sitten und der Denkungsart der Eingebornen, als seine Begleiter, wußte er, wie wenig ein solches Zureden fruchten würde. - Da jedoch sämmtliche Offiziere darauf bestanden und er außerdem eigene Pläne hegte, deren Verzögerung ihn schon einige Male mit
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Besorgniß hatte umherschauen, und nach der Gegend des Thores von Cawnpur hin horchen lassen, - wünschte er selbst, die Ceremonieen aufzuhalten und wandte sich deshalb an den Scindia. »Meine Freunde, Hoheit,« sagte er in der ihm vollkommen geläufigen Marathi-Sprache, »wünschen, dringend, sich zu überzeugen, daß diese Frauen zu dem Opfertod, den sie erleiden wollen, nicht durch Drohungen gezwungen sind, und daß sie freiwillig ihn wählen. Sie wünschen den Versuch zu machen, sie von diesem Schritt abzubringen, und Du wirst Nichts dagegen haben, daß ich die Frauen befrage und ihnen einige Worte sage.«
Der Scindia erwiederte gleichgiltig, daß seine Gastfreunde thun möchten nach ihrem Belieben - er selbst habe der Rani angeboten, sie zu heirathen und in seine Zenanah aufzunehmen, aber sie habe es ausgeschlagen.
Auf seinen Wink hielt der Zug, als er vorüber kam - es war das siebente Mal - an.
Begierig auf das, was geschehen sollte, und besorgt, daß ihre Beute ihnen entschlüpfen möge, umgaben die Brahminen im engen Kreis die drei Frauen, die vor der Estrade standen; und hinter ihnen drängte, von gleichen Gefühlen beseelt, die ungeheure Masse des Volkes heran, so daß die Soldaten und Verschnittenen Mühe hatten, einige Ordnung zu halten.
»Dame,« sagte der, Resident mit schmeichelnder Stimme, indem er sie höflich grüßte, zu der Rani, - »wir haben erfahren, daß die Brahminen Dich und diese Frauen bewogen haben, den Schmerz um den Tod Eures Gatten durch die schlimme Sitte der Sotti zu bezeugen. Die Faringi bedauern gleich Euch den Tod ihres Freundes und Bundesgenossen, und sie sind hierher gekommen, um seine Wittwe vor Zwang und vor dem Einfluß der Priester zu schützen und sie zu bitten, nicht selbst ein so kostbares Leben zu opfern, das dem Todten Nichts nützen kann, und dessen Vernichtung er sicher nicht billigen würde.«
Ein leichter Spott zuckte um den Mund der Rani, als der Resident, von der Freundschaft des verstorbenen Radschah für die Engländer sprach, und sie sah ihm fest und kalt in's Auge.
»Brahma hat dem Menschen eine Seele gegeben, damit er weiß, was er thut,« sagte sie ruhig. »Der Sahib möge diese
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Mädchen fragen, warum sie den Scheiterhaufen besteigen, und wer sie gezwungen hat!«
Sie schlug den Schleier um sich, und richtete den Blick starr in die Luft, gleich als kümmere sie die weitere Verhandlung um das eigne Leben nicht.
Der Resident wandte sich nun an die beiden jungen Frauen, die Hindu-Odalisken, und suchte sie zu bereden, von ihrem Vorhaben zurückzutreten. In der That schien die Eine zu schwanken, und ihre Blicke richteten sich mit flehendem Ausdruck auf die Gebieterin, gleich als wolle sie diese auffordern, das Beispiel zu geben.
»Der Schmerz des Feuertodes ist furchtbar,« fuhr der Major fort - »Ihr wißt nicht, was Ihr thut und werdet es zu spät bereuen. Haltet ein einziges Mal den Finger an das Licht und seht, wie schmerzhaft schon die geringe Wunde ist.«
Ohne ein Wort zu sprechen, riß die Rani ein Stück von ihrem Schleier, tauchte es in das Oel der heiligen Lampe, welche einer der Brahminen trug und wickelte es um den Zeigefinger ihrer linken Hand. Dann, noch ehe man es verhindern konnte, näherte sie den Finger der Flamme der Lampe, brannte die Leinwand an und hielt ihn hoch in die Luft.
Das Zeug brannte lichterloh, und bald verbreitete sich ein schwälender Geruch wie von versengendem Fleisch.
Capitain Delafosse sprang auf, um die unsinnige That zu verhindern, aber der Resident hielt ihn zurück.
»Lassen Sie die Närrin,« sagte er französisch, »sie wird mit dem Komödienstreich schon selbst enden, wenn's ihr wehe thut. Bemerken Sie denn nicht, daß die Schurken von Brahminen diese Frauenzimmer mit Kampher unempfindlich gegen die körperlichen Schmerzen gemacht haben?«
In der That ist es Gebrauch, daß die Brahminen den Wittwen, die sie zur Sotti überredet haben, schon mehrere Tage vorher starke Portionen Kampher geben, wodurch ihre Nerven abgestumpft werden.
Die Rani ertrug das Verbrennen des Gliedes, ohne eine Muskel ihres Gesichts zu verziehen, ohne mit den Wimpern zu
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zucken. Nur das Blut drang in das Gesicht und auf ihrer Stirn zeigte sich ein starker Schweiß.
Dann, als die Leinwand verkohlt war, wickelte sie die letzten Reste gleichgiltig ab und bot den schrecklichen Anblick des verstümmelten Gliedes den Augen der Faringi.
Unter den versammelten Tausenden erhob sich ein Gemurmel des Beifalls über die heroische - an die That des Mutius Scävola erinnernde - Handlung, das zu einem wilden Jauchzen stolzen Triumphes anschwoll.
»Sie werden jetzt glauben, Sahib,« sprach sie stolz, »daß der Schmerz mich nicht bewegen kann, meine Pflicht zu thun. Es war im Buche des Schicksals geschrieben, daß ich sein Weib sein sollte, und ich will ihm eine treue Gattin bleiben auch im Tode. Geben Sie sich keine Mühe mehr in dieser Sache und lassen Sie mich meinem Schicksal folgen.«
»Aber das ist Selbstmord!« rief Delafosse, der genug von der Marathisprache verstand, um den Worten der Wittwe folgen und sich darin ausdrücken zu können.
Die Rani wandte sich zu dem jungen Offizier. »Ich danke Ihnen, Sahib, für Ihre Theilnahme, die aufrichtig sein und nicht aus jener Quelle kommen mag, welche diesen Herrn bewegt!« sagte sie freundlich, aber fest. »Kein Hindu wird seinen Glauben so schänden, daß er sich selbst das Leben nimmt, das Brahma ihm gegeben. Aber die Sotti der Wittwe ist erhaben über den Vorwurf des feigen Selbstmordes, und indem ich mich ihr übergehe, erfülle ich eine Pflicht nicht allein gegen den Todten - sondern auch gegen jene dort« - sie wies auf die Menge - »die Lebendigen, wie dieser Mann hier sagen kann, wenn Sie es nicht wissen sollten!«
Und trotzig sich in ihren Schleier hüllend, gab sie das Zeichen zur Fortsetzung des Zuges.
Die Kesseltrommeln, die Cymbeln und Pfeifen erhoben ihren höllischen Lärmen und der Zug setzte sich in Bewegung, die Menge wich zurück, und die Brahminen führten die geschmückten Opfer nach dem Scheiterhaufen.
Am Eingang der schrecklichen Rundung nahmen diese den letzten Abschied von ihren Freunden und Verwandten, indem sie
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alle ihre Schmucksachen an dieselben als Andenken vertheilten. Darauf konnte man sehen, wie die drei Frauen den Holzstoß in der Mitte bestiegen, auf welchem der Leichnam des Radschah an einen Pfahl gelehnt lag, und der mit den ganz umgeben war.
Capitain Delafosse hatte das Gesicht in die Hände verborgen, um der langsamen Marter dieses Anblicks zu entgehen. Er bemerkte nicht, wie der Resident, aufrecht stehend, eifrige, sehnende Blicke nach der Gegend des Thors warf, und dann wieder besorgt auf diese wogende, fanatisirte Menge und das kleine Häuflein der Europäer warf, gleich als fürchte er, einen nothwendigen Entschluß zu fassen.
Eben so wenig kümmerte ihn die befriedigte Miene des Scindia.
Man hatte die jüngste der Frauen auf den Holzstoß heben müssen, die Todesfurcht schien in ihr zu siegen und sie bereits ganz bewußtlos zu sein, während der Schritt der Rani, als sie die Stufen emporstieg, ruhig und fest, wie vorhin, blieb.
»Es ist eine Schande,« rief der Oberstlieutenant, »daß so Etwas geduldet wird. Gott verdamm, aber wenn ich Etwas hier zu sagen hätte, sollte die Sache nicht geschehen!«
Während dessen hatte die Rani ihren erhöhten Platz auf dem Scheiterhaufen eingenommen und das Haupt ihres todten Gatten in ihren Schoos gelegt. Die beiden jüngeren Frauen waren auf einen niedern Sitz zu beiden Seiten gebracht worden, und ein scharfes Auge hätte bemerken können, daß die Brahminen, welche den Henkerdienst verrichteten, ihren Leib an dem Holzstoß befestigten.
Dann nahte der erste Priester und begann, unter den gleich dem Rauschen des Meeres anschwellenden Gebeten der Menge, die Leiche und die drei Frauen mit dem heiligen Wasser des Ganges zu besprengen.
In diesem Augenblicke sah Major Rivers über den Köpfen der Menge ein weißes Tuch wehen und erkannte seinen Schobedar hinter den Reihen der Soldaten.
Jetzt schien er plötzlich zu einem Entschluß gekommen, und indem er das Zeichen des Dieners erwiederte und sah, wie dieser
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sich eilig wieder entfernte, beugte er sich zurück zu den Offizieren und flüsterte diesen etwas zu.
Erstaunen, Ueberraschung - zum Theil Besorgniß bei einem Blick auf die zahllose Volksmenge zeigte sich auf den gespannten Gesichtern.
Dennoch machte sich der militairische Geist sogleich geltend und es blitzte Entschlossenheit in Aller Augen. - Zugleich sah man den Brahminen, welcher die heilige Lampe trug, dem Zugang des Scheiterhaufens sich nähern.
Plötzlich erscholl ein mächtiges, gebietendes »Halt!« über den weiten Platz und das Summen und Brausen der Menge.
Alle Augen wandten sich nach der Estrade des Scindia und der Europäer, von woher die Stimme erklungen war.
Der Resident stand am Rande des Gerüsts, ein Papier in der Hand, seine Rechte winkte gebietend Schweigen.
»Im Namen Seiner Herrlichkeit, des Lord-General-Gouverneurs von Indien, gebiete ich Einhalt der Sotti. Die Verbrennung darf nicht stattfinden und ich mache Jeden, der die Hand dazu leiht, für die Folgen verantwortlich!«
»Verrath! das Feuer! das heilige Feuer!« gellte die Stimme der Wittwe über den Platz.
Der Scindia war emporgesprungen, in seinem sonst so trägen Gesicht malte sich Erstaunen und Zorn. Die Brahminen, erbittert, ihre Ceremonie unterbrochen zu sehen, umdrängten die Estrade. »Fluch den Faringi! Was haben sie zu gebieten im Lande der Hindu? - Schlagt sie nieder, die Söhne unreiner Thiere!«
Der Scindia hatte die Hand an den Griff seines Säbels gelegt. »Wischnu, der Erhalter, möge den Lord-Sahib beschirmen,« sagte er erregt, »aber diese Leute haben Recht, Jhansi gehört nicht zum Gebiete der Compagnie. Nur der Fürst von Gwalior hat hier zu befehlen.«
»Du irrst, Hoheit,« unterbrach ihn mit lauter Stimme der Resident. »Das Fürstenthum Jhansi gehört mit dem Tode des verstorbenen Radschah Lutsullah zu den Schutzstaaten der Compagnie. Lies und überzeuge Dich.«
»Lüge! Lüge!« kreischte die Rani, »herbei mit dem Feuer, wenn Euch Eure Freiheit lieb ist!«
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»Daß sich Keiner zu rühren wage, diese Frau weiß, daß ich die Wahrheit spreche. Lutsullah hat seit zehn Jahren die Compagnie zum Vormund seiner Erben bestimmt, und die Rani hat nicht das Recht, sich zu tödten und unserm Schutz zu entziehen.«
Man sah, wie die stolze und kühne Frau - die mit der begangenen Schwäche ihres Gatten bekannt, das eigene Leben opfern wollte, um damit die Bedingung des erschlichenen geheimen Vertrages zu nichte und das Gebiet an Gwalior zurückfallen zu machen - verzweifelnd ihr Haupt beugte. Aber ein Brüllen fanatischer Erbitterung und wachenden Hasses erhob sich in der Menge lauter und lauter, die Brahminen schürten den entfesselten Grimm, Waffen blitzten in der Luft und einer der Priester entzündete die Lunte an der heiligen Lampe und stützte damit durch die sich öffnende Menge nach dem Holzstoß.
Im nächsten Augenblick war er an dem Scheiterhaufen und steckte die Lunte zwischen die große und zweite Zehe des nackten Fußes der Rani, da ihre Hände um den Pfahl im Rücken zusammengebunden waren und der heilige Gebrauch fordert, daß das Opfer der Sotti selbst den Holzstoß entzündet. Dann sprang er zurück und sogleich waren zwanzig Hände geschäftig, den Zugang des Scheiterhaufens zu schließen.
Zwei Mal hatte Capitain Delafosse den Revolver, den er aus der Brusttasche gerissen, erhoben, um den Grausamen niederzuschießen, aber das wogende Gedränge und die Furcht, die Rani selbst zu treffen, ließ ihn die Waffe wieder senken, bis es zu spät war. Ein letzter Blick der Rani schien ihn zu treffen, als sie den Fuß erhob und die Lunte in den Haufen von ölgetränktem Hanf fallen ließ, der vor dem Holzstoß aufgehäuft lag.
Im Nu schlug eine Flamme und eine dichte Dampfwolke in die Höhe und ein Jauchzen und Heulen der Volksmenge, mit der betäubenden Fanfare aller Instrumente vermischt, antwortete diesem Signal der gelungenen Grausamkeit und erstickte den gellenden Schrei der Todesangst, der von den Lippen des jüngsten der drei Opfer brach.
Aber ein anderer Ton, kräftiger als der Hilferuf eines armen Weibes, schmetterte in den scheußlichen Jubel der Menge. Trompeten-Fanfaren klangen vom Cawnpur-Thore her und im
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gestreckten Galopp, Alles vor sich niederwerfend, jagte eine Abtheilung britischer Lanziers herbei, Capitain Mowbray an ihrer Spitze.
Democh wäre diese Hilfe zu spät gekommen, wenn nicht von einer andern Seite her eine That tollkühnen Muthes die Rettung gewagt hätte.
Capitain Delafosse hatte sich von der Estrade herabgeworfen und, den Degen in der Faust, versuchte er sich einen Weg durch die bei dem Klang der britischen Signale verwirrte und auf allen Seiten davonstürzende Menge nach dem Scheiterhaufen zu bahnen, von dem die Gluth bereits hoch emporwirbelte. Das entsetzliche Bewußtsein, daß auch er zu spät kommen müsse durch die schändliche Zögerung des Residenten, durchzuckte sein Herz wie ein schneidender Stahl.
Plötzlich, dicht vor dem halbverbauten Zugang der flammenden Hölle, sah er eine fremdartige Gestalt mit Riesenkräften bemüht, das Holz und die Bambusstücke zur Seite zu schleudern. In diesem Augenblick erschien in dem Zugang zwischen dem Qualm und den züngelnden Flammen, aus dem Innern dieses Feuerberges kommend, ein anderer Mann, eine Last, eine Gestalt auf seinen Schultern, die in einen großen arabischen Mantel gehüllt war.
Ein Freudengeschrei des Ersten begrüßte diese Erscheinung, aber zugleich schien er zur Seite eine neue Gefahr entdeckt zu haben, und wie der Wolf auf seine Beute, stürzte er mit einem Sprunge dahin.
Aber auch der Capitain hatte diese neue Gefahr erblickt, die unfehlbar den unbekannten Retter vernichten mußte, ehe er die aufgehäuften Balken übersteigen konnte, und rascher entschlossen, als vorhin, fuhr sein Revolver in die Höhe und knallte sein Schuß.
Die Kugel hatte den Brahminen getroffen, der fanatisch beschäftigt war, die Stütze des Scheiterhaufens auf dieser Seite fortzuhauen, um die Last des brennenden Holzes fallen zu machen und die unglücklichen Frauen zu begraben. Die Kugel traf ihn, noch ehe Danilos, der Korsar, ihn erreichen gekonnt.
Ueber die Trümmer und Balken sprang Maldigri, der angebliche sardinische Offizier, in's Freie, und hinter ihm her stürzten
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von der andern Seite die Holzwände des feurigen Berges zusammen, Alles in ihrer Gluth begrabende. Der kühne Retter warf mehr, als daß er sie legte, seine Last in die Arme der herbei eilenden britischen Offiziere, dann erst versuchte er mit Hilfe der Nächststehenden die Flammen zu ersticken, die an seinem eigenen Leibe emporloderten.
Zum Glück hatte sein Jagdhemd von Hirschleder den Flammen Widerstand geleistet, aber Bart, Haar und Hände waren verbrannt, selbst die Brauen und Wimpern von seinen Augen gesengt und das Gesicht von dem Rauch geschwärzt und entstellt. Erschöpft, betäubt, sank der Retter neben der Geretteten in die Kniee.
Wer diese war - Delafosse zitterte, es zu erfahren, als er den halbverbrannten Mantel des Seemanns auseinanderschlug.
Triumph - es war die Rani, die vom Rauch betäubt, bewußtlos, aber außer dem verstümmelten Gliede nur von wenigen leichten Brandwunden entstellt, vor ihnen lag!
Augenblicklich war Doctor Brice neben der Ohnmächtigen und bemüht, durch Anwendung einiger passenden Mittel sie in's Leben zu rufen. Schon nach den ersten Bemühungen schlug sie die Augen auf - schaute wild umher und dann zürnend auf Delafosse, der an ihrer Seite knieete, unbekümmert um die Vorgänge, die unterdeß auf dem Platz umher sich bereiteten.
»Grausamer Christ,« sagte die Fürstin heftig, »warum hinderst Du mich, für meinen Glauben und mein Volk zu sterben? Tragt mich zurück in die Flammen, damit nicht Schmach falle auf Xaria's Namen.«
»Du irrst, Fürstin,« entgegnete beschämt der junge Offizier, »nicht ich hatte das Glück, Dein Retter zu sein, obschon ich es versuchte, - der Fremde dort trug Dich mit Gefahr seines Lebens aus den Flammen.«
»Schlagen Sie Ihre That nicht geringer an, als sie war, Herr,« sprach Maldigri. »Nur der Zufall, daß ich den Luftzug beobachtet und von der flammenfreien Seite den Holzstoß erstieg, ließ mich die Fürstin befreien. Sie aber haben durch Ihren raschen Schuß unser Beider Leben gerettet, das sonst die stürzenden Balken vernichtet hätten.«
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Die Rani schaute finster auf den Mann und dann auf die glühende Lohe des in sich selbst zusammengestürzten Scheiterhaufens, der ihre beiden Gefährtinnen begraben, während ihr höherer Sitz auf dem Holzstoß sie einige Augenblicke länger vor den Flammen geschützt und dadurch ihre Rettung möglich gemacht hatte. Doch bevor sie noch einen Entschluß aussprechen konnte, trat der Resident in Begleitung des Scindia zu der Gruppe.
Die britischen Reiter, die nur wenig Widerstand trotz der fünfzigfachen Zahl der Ueberraschten gefunden, hatten sich schnell des Zugangs der Citadelle oder Burg bemächtigt, Pikets auf dem Platz aufgestellt, und hielten mit der gespannten Pistole in der Hand die Wogen des erbitterten, aber eingeschüchterten Volkes im Zaum, während die Soldaten des Scindia und des verstorbenen Radschah ohne einen Befehl ihrer Gebieter nichts zu unternehmen wagten.
Aber es schien auch gar - nicht der Entfaltung militairischer Gewalt zu bedürfen, um den Frieden zu sichern oder wiederherzustellen. Der intrigante Geist des britischen Residenten schien im Voraus andere Mittel bereit gehalten zu haben, um allen Widerstand zu beugen. Indem er nach Instructionen der Präsidentur von Agra handelte, um den einst in einer Stunde der Noth oder einem unbewachten Augenblick von dem verstorbenen Radschah erschlichenen, vielleicht noch gefälschten Vertrag zur Ausführung zu bringen, hatte er wohlberechneter Weise mit dem Einspruch gegen die Verbrennung der erbberechtigten Wittwe Lutsullah's bis zum letzten Augenblick gewartet. Selbst wenn die Wittwe dann gegen ihren Willen nicht gerettet wurde, hatte die Compagnie Veranlassung, wegen Mißachtung ihrer sogenannten Vormundschafts-Ansprüche einzuschreiten und sich des Gebietes zu bemächtigen, das ein neuer vorgeschobener Posten in das Land der nur tributpflichtigen Fürsten von Scindia und Bundelcund werden sollte. Zur Unterdrückung jedes Widerstandes war die Abtheilung britischer Reiter heimlich nach Jhansi beordert, und zugleich hatte das wohlbewahrte Geheimniß des Plans jede zeitige Gegenmaßregel des ursprünglichen Schutzherrn, des Scindia, verhindert. Wäre der Opfertod der Wittwe, beschleunigt worden und erfolgt, ehe der Resident der Compagnie Einspruch dagegen erhoben, so
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wäre allerdings kein Erbe mehr vorhanden gewesen, dessen Vormundschaft oder Schutzrecht die Compagnie hätte in Anspruch nehmen können und das Fürstenthum wäre nicht ohne offene und jedes Scheins von Recht entbehrende Gewalt dem Scindia streitig zu machen gewesen. Dieser selbst war aber nur durch die Gunst der Engländer eingesetzt worden und zu sehr davon abhängig, um - so überrascht - einen Widerstand zu leisten. Durch die geschickten Anordnungen des kommandirenden Offiziers wäre ohnehin bei der Ankunft der Truppen seine Person in der Gewalt der Engländer gewesen, und die Versprechungen von Entschädigung, die ihm der Resident machte, waren vollends geeignet, jeden Gedanken an Opposition zu beseitigen.
Mit der heuchlerischen Verstellung, welche die orientalische Diplomatie charakterisirt, verlor daher der Scindia keinen Augenblick länger die zuvorkommende Höflichkeit des Wirthes, die er bisher bewiesen, und in alle Wünsche des Residenten eingehend, gab er den Befehl, daß die Vornehmsten und die Würdenträger von Jhansi sich um ihn und die aus den Flammen gerettete Fürstin zu versammeln hätten.
»Krone der Frauen, ein Meer von Tugend und ein Schatz an Treue,« redete er in der blumenreichen Sprache des Orients die Rani an - »Wischnu, der göttliche Erhalter, will nicht, daß Du die Erde verläßt, ehe Du noch viele und lange Jahre Dein Volk glücklich gemacht haß. Edle Maharani, Du hast die Probe des Muthes bestanden, - Schiwa ist versöhnt und Dein Gatte wird nicht allein sein in den Gefilden der Seligen, denn zwei seiner Frauen sind ihm gefolgt. Dir aber, der ersten und schönsten, der Perle seines Herzens und dem Schmuck seines Thrones, befehle ich als Dein oberster Sultan, abzulassen von dem Opfer der Sotti und kröne Dich als die Rani und Herrscherin dieses Landes!«
Damit nahm er den Turban mit der weißen und grünen Binde von seinem Haupt, setzte ihn auf das der Rani, und heftete dann den Fleck von rothem Tuch, den er selbst auf der linken Seite der Brust trug - das Zeichen der fürstlichen Gewalt - auf die ihre.
Auf seinen Wink warfen sich die Vornehmen des Landes und
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die Hauptleute der Leibwache vor ihr nieder, und brachten unter dem Schall der Cymbeln und Trommeln der neuen Fürstin ihren ersten Salem, worauf der Scindia sie zu seinem Sitze führte, sie darauf niedersetzen ließ, und die Ausrufer dem Volke die Thronbesteigung der neuen Rani verkündeten.
Die junge Frau hatte Alles starr und theilnahmlos mit sich machen lassen, ihr Auge blickte finstern Trotz, ihr Mund war fest geschlossen. Erst als die Ceremonie zu Ende war, und dies allen Eindrücken so leicht zugängliche, harmlose Volk, das noch so eben in wildem Fanatismus sich an dem Feuertode der Rani erfreuen, gewollt, jetzt derselben Frau mit Begeisterung als Herrin über Leben und Tod entgegen jubelte, und als der Resident mit den britischen Offizieren sich ihr nahte, um ihr seinen Glückwunsch darzubringen, schien sie aus ihrem finstern Starren zu erwachen und richtete ihren strengen Blick auf den Scindia.
»Du bist der Sultan, mein Gebieter,« sagte sie ernst, »und ich werde Dir gehorchen und leben. Aber sage mir bei dem Schatten Dessen, der nicht mehr ist, soll die Rani von Jhansi künftig wirklich die Sklavin der Faringi sein?«
»Die hohe Compagnie,« beruhigte schmeichelnd der Scindia, »wird Deine Beschützerin sein, wie sie die Freundin aller wahren Hindu's ist. Ihr Arm ist lang und ihre Weisheit ist groß. Sie wird die Stelle Deines Freundes einnehmen und Dir Rath und Hilfe gewähren, wo Du sie bedarfst.«
»Capitain Mowbray, Hoheit,« erklärte der Resident, »wird zu Deinem Schutz mit seiner Schwadron in Jhansi bleiben. Ich selbst werde in jedem Monat einige Tage hier verweilen und mit Deinen Räthen den Tribut und das Verhältniß zum General-Gouvernement ordnen.«
Ein finsterer Hohn zog über das Gesicht der Fürstin.
»Merken Sie wohl, Sahib,« sagte sie, »die Faringi waren es, die mich zum Leben gezwungen und auf diesen Thron gesetzt haben gegen meinen Willen. Sie täuschen sich, wenn sie auf Dankbarkeit von mir rechnen.«
Der Resident lächelte. »Ich hoffe, wir werden noch recht gute Freunde werden!« sagte er spöttisch.
Die Fürstin wandte sich von ihm ab zu dem Capitain
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Delafosse. »Wo ist der Faringi, der mich aus den Flammende geholt? Führen Sie ihn zu mir, Sahib, damit er nicht sagen möge, Xaria habe ihn ohne Belohnung gelassen.«
Der angebliche Sardinier hatte unterdeß von der Hilfe des Arztes Gebrauch gemacht und seine Brandwunden verbinden lassen, als ihn die Botschaft der Fürstin traf und ihn Delafosse zu ihr führte.
Trotz der Brandspuren, die sein Gesicht entstellten, erkannte man leicht, daß er ein stattlicher, schöner Mann war, von freier, soldatischer Haltung.
Er verneigte sich mit Austand vor der Fürstin und erwartete dann ruhig ihre Anrede, während der arabische Seemann, sein Begleiter, neben ihm stand.
»Sie sind es, der mich von dem Scheiterhaufen getragen?« fragte die Rani, nicht ohne Interesse das Aeußere ihres Retters betrachtend.
»Wenn Sie sich dessen erinnern wollen, Hoheit - so mag es sein.«
»Sie sind ein Faringi - ein Engländer?«
»Nein, Dame - ich stamme aus einem andern Lande als England!«
Bei dieser Mittheilung wurde der Resident aufmerksam und betrachtete genauer und ziemlich mißtrauisch den Fremden, den er bisher wenig beachtet, worauf er für gut fand, sich selbst in's Gespräch zu mischen und die Rolle des Fragenden zu übernehmen.
»Wer sind Sie, Sir?«
»Ein Fremder, wie Sie sehen, ein Reisender!«
»Das genügt uns nicht - wir wollen wissen, wer und was Sie sind und wie Sie hierher kommen!«
Der Befragte verneigte sich spöttisch. »Ich habe nicht gewußt,« sagte er im gleichen, leichten Ton, »daß Oberstlieutenant Rivers auch die Polizei-Controlle führt! Indeß bin ich glücklicher Weise im Stande, seine Neugier zu befriedigen. Hier ist mein sardinischer Paß, aus dem Sie das Nöthige ersehen mögen, Sir!«
Er nahm das Papier aus seiner Brieftasche und übergab
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es ihm. Ehe der Resident den Paß auseinanderschlug, setzte er hochmüthig seine Fragen fort:
»Der Zweck Ihrer Anwesenheit, Sir?«
»Ich hatte Handelsgeschäfte mit dem verstorbenen Radschah und überdies die Absicht, in seinen Dienst zu treten. Als ich heute eintraf, hörte ich die Nachricht von seinem Tode.«
Major Rivers hatte unterdeß den Paß entfaltet. »Wie - Sie sind Militair - Offizier von der sardinischen Armee?«
»Ich war es, Sir, ich habe bereits vor sechs Jahren den Dienst verlassen und betreibe seit etwa vier Jahren eine Handelsagentur in Indien.«
Der Resident lächelte mißtrauisch. »Der Tod des Radschah überhebt mich der Verlegenheit, Herr Major, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ohne besondere Erlaubniß des General-Gouverneurs keiner der indischen Fürsten europäische Offiziere in seine Dienste nehmen darf, selbst wenn sie aus einem England verbündeten Lande kommen.«
»Ich kann Ihre Besorgniß beruhigen, Sir,« beharrte der Sardinier, indem er ein zweites Papier aus seinem Portefeuille nahm. »Diese Bescheinigung Sir Lytton Mallingham's, des Mitglieds des geheimen Rathes von Indien und Kanzlers der Präsidentschaft Madras, bürgt für meine Unverdächtigkeit und gestattet mir, mit den indischen Fürsten jeden Verkehr zu treiben, oder beliebig in ihre Dienste zu treten.«
Rivers gab die Papiere mit einer kalten Verbeugung zurück; die feste und selbstständige Haltung des Fremden schien ihm nicht besonders zu behagen. »Ich bedauere, daß Sie zu spät gekommen, aber ich werde nicht ermangeln, dem Gouvernement über den Dienst zu berichten, den Sie der Compagnie durch die muthige Errettung der Rani geleistet haben.«
»Was ich gethan, war nur die Pflicht eines Mannes. Der Tod des Radschah ist ein ungünstiges Geschick, das mich trifft. Ich kann Nichts thun dagegen und will nur, wie es der höfliche Brauch des Landes von dem Fremden heißt, die Tschotschakana, die dem Todten bestimmt war, zu den Füßen seiner Wittwe niederlegen.«
Auf seinen Wink wickelte sein Begleiter aus einem Tuch
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ein Paar schöne mit Silberbeschlag verzierte Pistolen und eine kleine Zahl der Chupattin oder heiligen Kuchen, die später als geheimes Kennzeichen der Verschworenen eine so bedeutende Rolle in dem indischen Aufstand gespielt haben, zu den Füßen der Fürstin.
Dieses Geschenk konnte selbst dem Mißtrauen des Residenten nicht auffallen, da die Sitte der Tschotschakana, oder des Geschenkebringens und Gebens eine in ganz Indien übliche und bei keiner Gelegenheit zu umgehende ist.
Die Rani hatte während des Gesprächs lange und aufmerksam den Fremden betrachtet. Die stolze und energische Art, mit welcher er dem hochmüthigen Wesen des Residenten entgegentrat, schien ihr gefallen zu haben, denn plötzlich, als sie den heiligen Kuchen erblickt, erhob sie sich und sagte mit einem gewissen entschlossenen Ausdruck zu dem Sardinier: »Du bist willkommen in dem Haus des Verstorbenen und wenn Du es zu Deiner Heimath wünschest, soll es Dir eine solche werden. Die Rani von Jhansi, Sahibs, betrachtet Euch von diesem Augenblicke an als ihre Gäste, und bittet Euch nur, den heutigen Tag ihrer Trauer zu gönnen. Von morgen ab wird sie alle Pflichten der Wirthin erfüllen.«
Der Resident trat ihr galant entgegen. »Deine Hoheit möge uns gestatten, uns bei Dir zu beurlauben, wir werden uns vor Aufgang der Sonne in den Wildnissen von Kurreira befinden, um Tiger zu jagen.«
»Ich werde bei Ihnen sein, Sahib, ich fürchte weder die Tiger der Städte noch die der Wälder.«
Eine leichte Bewegung der Hand lehnte es ab, sich auf den Arm zu stützen, den der Resident ihr bot, und majestätisch wie eine Königin, die sie war, verließ sie die Estrade und schritt, von ihren Frauen und Würdenträgern umgeben, dem Thore der Festung zu, indem sie that, als bemerke sie die militairischen Honneurs nicht, welche der Posten der britischen Reiter am Thor der Burg ihr brachte.
Major Rivers sah ihr lange sinnend nach. »Ich fange an zu glauben,« murmelte er, »ich hätte der Compagnie einen größern Dienst erwiesen, wenn jene Brahminen dort mit der Asche des Radschah und seiner Odalisken auch die ihre gesammelt hätten.
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Indeß - sie ist in meiner Gewalt und Widerstand hat auch seinen Reiz. Ihre Zeit wird kommen, für jetzt gilt es einer andern Beute.«
Er wandte sich zu dem Scindia und den Offizieren, die mit Maldigri ein Gespräch angeknüpft hatten.


Die Beamten und Jäger des Sultans hatten ihre Aufgabe sorgsam ausgeführt. Nachdem sie die Ryots eines ganzen Bezirks aufgeboten, war es ihnen gelungen, die Dschungel, in welcher ein kolossales Königstigerpaar, der Schrecken der Gegend, hauste, zu umstellen und der oberste Jäger konnte dem Scindia bei der Ankunft der Jagdgesellschaft melden, daß sich das Wild dort befand.
Die Rani hatte noch im Laufe des Abends die Jagd-Equipage ihres verstorbenen Gatten nach dem Ort des Rendezvous voraussenden und neben den bereits von den Leuten des Scindia aufgeschlagenen Zelten drei neue errichten lassen, indem ihre Beamten die Erklärung wiederholten, daß von diesem Augenblick an der Sultan selbst und die englischen Offiziere die Gäste ihrer Gebieterin wären.
Die Fürstin, die noch am Abend Major Maldigri hatte zu sich bescheiden lassen, war mit zwanzig Elephanten und einem großen Troß im Laufe der Nacht und noch vor den Europäern aufgebrochen, so daß bei deren Ankunft in der Gegend von Kurreira sie selbst die Gäste empfing.
An ihrer Seite befand sich der Sardinier, in der zierlichen seiner Männlichkeit prächtig lassenden Tracht der berittenen Leibwache des verstorbenen Radschah, zu deren Führer und Instrukteur die Fürstin ihn bereits ernannt hatte.
Die Sache schien keineswegs den Beifall des Residenten zu haben, der immer mehr einzusehen begann, daß die Compagnie, welche eine Frau leicht zu lenken und zu unterjochen geglaubt hatte, hier auf einen entschlossenen und selbstständigen Charakter gestoßen war.
Bei den Empfehlungen, welche der Sardinier besaß, war es jedoch unmöglich, Einspruch gegen seine Ernennung zu erheben
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und der Engländer beschloß, sich vorläufig derselben zu unterwerfen, den Fremden sorgfältig beobachten zu lassen und nähere Erkundigungen über ihn beim Gouvernement in Kalkutta einzuziehen, da er sich erinnerte, daß Sir Lytton Mallingham daselbst angekommen war. Mit eben so großem Mißvergnügen bemerkte er, daß Capitain Delafosse sich auf das innigste an den Eindringling anschloß und auch die übrigen Offiziere gegen die steife britische Gewohnheit ihn besonderer Aufmerksamkeit würdigten.
Dieses schlechte Herz, dieser intrigante Geist ahnte unwillkürlich in diesem Unbekannten, der seine Gunst verschmähte und sich nicht vor seiner Gewalt beugte, einen künftigen Feind - einen Gegner seiner schändlichen Pläne und Gewaltthaten.
Die Rani empfing die Ankommenden an der Spitze ihres Gefolges. Von dem Augenblick an, wo sie sich unverschleiert auf dem Gange zum Feuertod dem Volke gezeigt hatte, verschmähte diese Frau jede fernere Verhüllung ihrer Reize. Sie trug auf ihrem Haupte den leichten glockenartigen Helm der Sikh's, deren Stamm sie entsprossen war, von einem blauen Turban umwunden, unter dem die langen Flechten ihres schwarzen Haares niederfielen.
Ueber diesen Helm von reinem Silber erhob sich eine schwarze Feder aus dem Fittig eines Adlers.
Ein Kettenpanzer von gleichem Metall, so weich und biegsam, daß er nur ein Gewand von Silberstoff zu sein schien, umschloß ihren Oberkörper, ohne die Brust zu verhüllen, die nur von einem leichten, durchsichtigen Tuch bedeckt war. Ihre Arme waren nackt, nur von kostbaren Ringen aus Gold und wohlriechenden Perlen umschlossen.
Von ihren Hüften, über welchen der Panzer eine Taille, schmiegsam und fein, wie die eines Panthers, umschloß, fiel ein kurzer orientalischer Rock von weißem Stoff, mit Gold gestickt, bis auf die Kniee. Weite Beinkleider von blauem Seidenzeug, an der Seite militairisch mit einer breiten goldenen Tresse geschmückt, waren mit gleicher Schnur um die Knöchel zusammengereiht und ließen unter ihren Falten einen überaus kleinen Fuß - denn die Form der Füße und Hände ist eine der charakteristischen Schönheiten
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der indischen Damen - in rothem Schnabelpantoffel hervorblicken.
Ein kostbarer indischer Shawl, auf der linken Schulter im Knoten geschlungen, lag im schönen, bogenförmigen Faltenwurf über der Brust und dem Rücken und war auf der andern Schulter durch eine Agraffe von Rubinen zusammengehalten, aus der die gefranzten Enden über den Arm herabfielen.
Unter diesen Farben von Blau, Silber und Weiß trat der dunkle Blutteint dieses Gesichts, dieses Busens und dieser Arme um so kräftiger und energischer hervor.
Die eingebornen Krieger und Jäger, welche die Fürstin umgaben, begannen mit einer abgöttischen Verehrung zu ihr empor zu blicken. Der Todesmuth, den sie auf dem Scheiterhaufen bewiesen, hatte die Bewunderung dieser wilden Söhne der Dschungeln erregt, diese Schönheit unterjochte ihre orientalische Phantasie.
Wir haben vergessen, zu sagen, daß die Rani in ihrem Gürtel einen gekrümmten Dolch mit Diamanten von unbeschreiblichem Glanz und in ihrer linken Hand eine jener alten indischen Flinten mit langem Lauf und einfacher aber zierlicher Form trug, die zwar mit einem Schloß von neuerer Construction versehen war, aber durch die kostbare eingelegte Arbeit in Gold und Silber und durch die wundervollen Ziselirungen phantastischer Arabesken auf dem Metall eines jener Gewehre verkündete, die in Herat oder Kabul schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts mit nirgend anders erreichter Kunst gefertigt wurden.
Der Empfang der Rani vereinigte alle Etiquette und Würde einer indischen Herrscherin mit der leichten Grazie und Gewandtheit einer europäischen Dame. Der Leser glaube ja nicht, daß die vornehmen Hindufrauen mit der blos für die Genüsse des Harems erzogenen Trägheit und Geistlosigkeit der Türkinnen auf dieselbe Stufe zu stellen sind. Der Hindu ist an und für sich intelligenter, es ist ihm die Erinnerung und der Rest jener hohen Intelligenz und Wissenschaft geblieben, die einst aus den Tempeln von Jugarnaut und Flagsanta ihr Licht über die Welt verbreiteten, und noch heute ist eine der liebsten Beschäftigungen der Männer und Frauen, Briefe zu schreiben und Schriften zu verfassen.
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Die Fürstin lud die Gesellschaft nach einer kurzen Rast in den Zelten zu der Tafel ein, die mit Erfrischungen der mannigfachsten Art bedeckt, unter dem Schatten eines riesigen Pingalabaumes aufgeschlagen war, und an dem sie mit der Würde einer gebornen Königin Platz nahm.
Trotz der Anstrengungen, die diese Art der Jagd verursachen mußte, hatte der erfahrene Oberjäger des Scindia, in Verbindung mit seinem Kollegen aus dem Gefolge der Fürstin von Jhansi, zum Angriff gegen die Tiger die Zeit des Vormittags gewählt, zu welcher der bereits hohe Stand und die glühenden Strahlen der Sonne die Raubthiere träge in ihrem Lager zurückhalten, denn der Ruf verkündete die Bestien als zwei der stärksten und gefährlichsten ihrer Art, und es würde den Erfolg der Jagd bedeutend gefährdet haben, wenn man versucht hätte, in der Stille des Abends oder frühe des Morgens ihnen auf ihrem Weg nach Beute oder auf der Rückkehr von ihrem Raubzug zu begegnen.
Man mußte sie demnach in ihrem Lager aufsuchen, und das konnte nur während der Hitze des Tages geschehen.
Diese günstige Zeit war jetzt gekommen, und der Oberjäger, indem er seinen demüthigen Salem machte, bat, das Zeichen zum Aufbruch geben zu dürfen.
Hierauf wurden die Jagdelephanten und die Pferde vorgeführt, und die Gesellschaft traf rasch ihre letzten Vorbereitungen zur Jagd.
Seit der Tafel im Meß-Bungalow zu Cawnpur war von der tollen Wette des jungen Irländers mit keiner Sylbe mehr die Rede gewesen.
Eduard O'Sullivan schien sie vergessen zu haben oder vergessen zu wollen und keiner der Offiziere - selbst sein Gegner nicht, war herzlos genug, ihn daran zu erinnern.
Jeder wußte, daß die Erfüllung der Wette das unausbleibliche Verderben war.
Denn noch niemals hatte man von dem Wahnsinn gehört, daß ein einzelner Mann einen Tiger der Dschungeln, nur mit einem Messer bewaffnet, angegriffen hätte.
Aber nicht ohne Besorgniß bemerkte Capitain Delafosse - als er seine bisher an die Rani gefesselten Blicke auf ihn wandte
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- daß der junge Irländer seltsamer Weise durchaus nicht zur Jagd gerüstet erschien, sondern im Gesellschaftsanzug geblieben war, wie er ihn an jener Offizierstafel gesehen, und daß er keine Waffe bei sich führte, auch die Büchse zurückwies, die Mickey, das Factotum des Obersten, der stets eine besondere Vorliebe für seinen jungen Landsmann gezeigt hatte, ihm reichte.
Außer Delafosse hatte noch ein Anderer diese Bewegung beobachtet - ein tückisches Lächeln spielte um seinen Mund.
Die Rani bestieg ihren Elephanten, der Scindia lud den Residenten ein, die Haudah des seinen mit ihm zu theilen.
Einige von den Offizieren, darunter Capitain Delafosse, stiegen zu Pferde, die anderen und auch Eduard O'Sullivan nahmen auf den Elephanten Platz.
Es waren im Ganzen fünfzehn Jagd-Elephanten mit etwa der doppelten Anzahl von Jägern und ebenso viele Reiter.
»Es ist Schade, Ned,« sagte der Resident, als er an O'Sullivan vorüberkam, »daß der hagere Schotte - Mac-Scott heißt er ja wohl - der Leibjägermeister des Nena, nicht hier ist; er würde Ihnen guten Rath geben können für Ihr Unternehmen.«
Der junge Mann wechselte die Farbe und preßte die Lippen aufeinander, - aber er antwortete nicht.
Die Rani gab jetzt das Zeichen zum Aufbruch und der ganze Zug setzte sich in Bewegung.
Die Mahouds, hinter den Ohren ihrer Elephanten sitzend, lenkten dieselben mit ihrem Zuruf, oder dem spitzen Eisenstachel, während der hinter der Haudah kauernde Diener den an derselben befestigten Sonnenschirm nach der Richtung der Sonne wendete und später als Büchsenspanner diente. Mehrere der indischen Reiter jagten voraus, um den Treibern das Zeichen zum Beginn des Kesseltreibens zu geben, während die Reihe der Elephanten und Jäger die Sehne des Bogens bildete.
Zuerst rasch, dann immer langsamer und vorsichtiger, je näher er dem bestimmten Orte kam, rückte der Zug vorwärts. Der Weg führte zuerst durch einen großen Wald von indischen Fichten, deren üppig belaubte dunkle Zweige nach allen Seiten sich weit hinausstreckten, dann wieder zur Erde senkten, Wurzeln
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schlugen und neue Stamme emporsandten, so daß man unter einem grünen Säulengewölbe dahin zog.
Eine halbe Stunde weiter lichtete sich der Wald und wurde zu einem mächtigen Dschungelgestrüpp, in dessen Mitte sich ein niederer Hügel erhob, gekrönt mit den Ruinen eines uralten Tempels.
Diese Trümmer sollten das Lager der Tiger sein.
Am Ende des Waldes machte der Zug Halt und begann sich in langer Reihe auszudehnen. Vor ihnen lag die Dschungel - ein wohl zwei bis drei englische Meilen breites und langes Dickicht von häuserhohem Bambus, Bore und Kameelkraut, mit dem langen, scharfen Schilfgras vermischt, das selbst einen Reiter zu Pferde überragt.
Man fand hin und wieder gebleichte Knochen von Thieren - auch ein Menschenschädel grinste aus den hohlen Augenhöhlen furchterregend die Jäger an.
Alles horchte still und machte sich fertig. Kein Laut außer dem Schnauben der Thiere, welche die Nähe ihrer grimmigen Feinde zu wittern schienen, und das Knacken der Hähne beim Spannen der Büchsen und Flinten.
Das Gesicht der Rani war von dunkler Gluth gefärbt, ihr Auge warf förmlich Blitze; die Gefahr, die Aufregung schien alle Lebenskräfte dieser merkwürdigen Frau zu stählen und zu höherer Thätigkeit zu erwecken.
Delafosse verließ dieses Antlitz nicht mit seinen Augen. Der Kampf, dem sie entgegengingen, ließ ihn gleichgiltig und er war allein bemüht, sich in der Nähe ihres Elephanten zu halten, so daß der erste Jäger ihn zwei Mal erinnern mußte, auf den Posten in der zweiten Linie zurückzukehren, den er angewiesen erhalten hatte.
Jetzt begann man in der Ferne das Geschrei der Treiber zu hören, das Schlagen der Metallbecken, das Lauten ihrer Glocken, mit dem sie die Tiger aus ihrem Versteck scheuchen sollten.
Die Rani gab das Zeichen zum Vorrücken, und die Mahouds stachelten ihre Thiere.
Die fünfzehn Elephanten begannen in einer Reihe von etwa 1500 Schritten in die Dschungel langsam einzudringen.
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Hinter den Elephanten, in den Zwischenräumen als zweites Treffen, kamen die Reiter, theils mit Lanzen, theils mit Gewehren bewaffnet.
Das dritte Treffen, die letzte Reihe, bildete die große Zahl der Fußgänger, der Jäger, Diener und Soldaten, sämmtlich mit langen und starken Speeren bewaffnet.
Es war ein Heer, das gegen die beiden Könige der Wildniß anrückte, und das in seiner dreifachen Reihe ihnen den Durchweg sperrte.
Dennoch sah man - je weiter man kam, - manches Gesicht bleich werden, in manchem Auge die Furcht der Erwartung.
Immer deutlicher vernahm man den Lärmen der Treiber von der andern Seite der Dschungel. Der Befehl des Scindia hatte nicht weniger als tausend Bauern dort zusammengeführt.
Schritt vor Schritt drang man im brennenden Strahl der Sonne in das Dickicht. Die Elephanten traten mit ihren plumpen Füßen das Geröhr zusammen und rissen mit ihren Rüsseln die Büsche aus dem weichen, feuchten Boden. Aber sie begannen immer unruhiger zu werden und stießen trompetenartige Töne aus.
Die Pferde schnaubten mit wild in die Luft geworfenen Nüstern und mußten durch Spornstöße von ihren Reitern vorwärts getrieben werden.
Plötzlich hörte man in einer kurzen Pause des Geschreies der Treiber ein dumpfes Knurren, und gleich darauf erzitterte die Luft von einem heisern Gebrüll.
Ein anderes, nur wilder, kräftiger, wüthender, als das erste, antwortete diesem.
Die Tiger schienen, nach den Tönen zu urtheilen, die selbst die muthigsten Herzen rascher schlagen machten, sich nur in geringer Entfernung von einander, wenn nicht dicht beisammen zu befinden.
Der Ruf des ersten Jägers: »Aufgepaßt! - Haltet fest zusammen, Sahibs, und zielt gut!« ermahnte zur Vorsicht.
Ein Gebrüll, näher als das erste, von zwei Kehlen zugleich ausgestoßen, erschütterte Menschen und Thier.
Zwei der Elephanten, noch junge, an den Kampf nicht
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gewöhnte oder in einem solchen verwundete Thiere vermochten diese gefährliche Nähe, diese furchtbaren Töne nicht mehr zu ertragen. Sie wandten um und rannten, trotz aller Anstrengungen ihrer Mahouds, die Linien der Reiter und Fußgänger durchbrechend, davon.
Auf dem einen der flüchtigen Thiere befanden sich Capitain Lowe und Doctor Brice, auf dem andern ein indischer Häuptling aus der Begleitung des Scindia. Das letztere Thier hatte noch keine hundert Schritt gemacht, als man einen Schuß hörte, - es war die Flinte des über die Schmach der Flucht erbitterten Sirdars, die seinem schuldlosen Mahoud den Kopf zerschmetterte.
Aber die Zurückbleibenden hatten keine Zeit, auf das Schicksal der Flüchtigen zu achten - vor ihnen in der Dschungel brach und knackte es von zerbrochenem Rohr und Geäst - im nächsten Moment sprangen mit gewaltigem Satz, fast Leib an Leib, zwei mächtige Tiger in's Freie.
Der Ruf der Rani: »Ram! Ram!«60 mit dem sie ihren Mahoud befeuerte, - die Salve von zwanzig, dreißig Schüssen, die meisten auf's Gerathewohl gethan, vermischten sich mit dem Geschrei der Jäger, dem Wiehern der Pferde und dem Schmettern der Elephanten.
Eine Scene unbeschreiblicher Verwirrung, wüthenden Kampfes erfolgte.
Der Elephant der Rani war der nächste und vorderste. Der weibliche Tiger warf sich mit mächtigem Sprung auf ihn, aber von dem Schlage des Rüssels getroffen, flog er hoch in die Luft und rückwärts über zurück in das Röhricht. Diesen Augenblick schien der Königstiger wahrgenommen zu haben, denn statt an einer andern Stelle seinen Durchbruch zu versuchen, sprang er von der Seite dem Elephanten an den Kopf, schlug seine Pranken tief in das Fleisch des edlen Thieres, das linke Auge desselben damit zerreißend, und begrub sein fürchterliches Gebiß in den Rüssel des Elephanten, wo dieser am Kopfe aufsitzt.
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Der Mahoud, schwer verwundet, stürzte auf der andern Seite hinab.
Die Rani ließ in dieser entsetzlichen Lage keinen Ruf des Schreckens oder um Hilfe vernehmen. Sie hatte sich aufgerichtet in der Haudah, deren Wand sie allein von dem grimmigen Raubthier schied, und indem sie kaltblütig ihre Flinte erhob, deren Mündung fast den Kopf des Tigers berührte, entlud sie dieselbe.
Der Schuß hätte in dieser Nähe tödtlich sein müssen, aber leider verrückte eine Bewegung des vor Schmerzen hin und her springenden und ausschlagenden Elephanten das Ziel, und die Kugel streifte nur den Pelz der Bestie.
Deren Zähne hatten die Muskeln des Rüssels ihres Feindes zerrissen; der Elephant war wehrlos und der Tiger, festgeklammert auf seinem blutigen Sitz, richtete sich nun gegen die Fürstin, seine gefährlichere Gegnerin.
Vergeblich hatte diese die Hand rückwärts gestreckt, ohne die Augen von der Bestie zu lassen, um ein zweites Gewehr von ihrem Büchsenspanner in Empfang zu nehmen, - der Mann war bei den entsetzlichen Bewegungen des leidenden Thiers längst herabgeschleudert und lag zertreten unter seinen Füßen.
Die Verwirrung umher war groß. Keiner der Jäger wagte, einen Schuß zu thun, um die unglückliche Frau zu retten, denn wie leicht konnte er sie selbst treffen! Vergeblich versuchte der Mahoud des Elephanten zur Linken des verstümmelten Thiers der Rani, - das auf der rechten Seite war eines der entflohenen gewesen, - sein Thier heran zu treiben. Man sah die Fürstin, bleich, aber funkelnden Auges, in ihrer Haudah aufrecht stehen, weit über den hintern Rand derselben zurückgelehnt, mit der Linken sich festklammernd, während die Rechte dem Tiger den Dolch entgegenhielt.
Alles dies war das Werk weniger Augenblicke, rascher, als die Feder es hier zu beschreiben, das Auge es kaum zu lesen vermag.
Von zwei Seiten flog ein Retter herbei, aber selbst diese gaben sie verloren.
Major Maldigri hatte an dem Jagdzug, in der Haudah des Elephanten zur Linken mit dem Oberstlieutenant Stuart sitzend,
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als bloßer Zuschauer Theil genommen, da die Verletzungen seiner noch mit Bandagen umwickelten Hände ihm noch nicht gestatteten, sich einer Flinte zu bedienen, oder zu Pferde sich den Kämpfenden anzuschließen.
Trotzdem hatte er sich in diesem Augenblick der Gefahr, ohne an sich selbst und seinen vertheidigungslosen Zustand zu denken, über den Rand der Haudah geschwungen, war an der Seite seines störrigen, den Angriff verweigernden Thieres heruntergeglitten und eilte seiner neuen Gebieterin zu Hilfe.
Von der andern Seite sprengte Capitain Delafosse heran, indem er mit rasenden Spornstößen sein Pferd näher trieb.
Wir haben bereits gesagt, daß diese Hilfe vergeblich gewesen wäre, ohne eine im ersten Auschein verderbliche, plötzliche Wendung der Dinge.
Das arme, zerrissene Thier, das die Rani getragen, warf sich im wüthenden Schmerz zur Erde, um den grausamen Feind zu erdrücken, und Elephant, Tiger und Fürstin wälzten sich auf dem Boden der Dschungel.
Der hohe Platz der Rani hatte gemacht, daß sie eine Strecke weiter geflogen und zwischen ihr und den kämpfenden Thieren einige Ellen Zwischenraum geblieben waren. Zum Glück hatte das hohe weiche Gras die Gewalt ihres Falles gebrochen und sie wie in einem Bett aufgenommen, so daß sie nicht einmal die Besinnung verloren.
Bevor sie sich noch emporraffen konnte, war der neue Führer ihrer Leibwache, Major Maldigri, schon an ihrer Seite und warf sich zwischen sie und den Tiger.
Die Bestie hatte sich von dem besiegten Feinde losgemacht und war den gefährlichen Stößen seiner Fangzähne entgangen, indem sie zur Seite sprang. Dadurch befand sie sich der Rani und ihrem kühnen, aber waffenlosen Vertheidiger jetzt gegenüber.
Bis zur äußersten Wuth gereizt durch den Lärmen umher, schickte der Tiger sich an, auf diese seine sicheren Opfer loszustürzen.
Er kauerte sich nieder und zog den Vorderkörper zurück zum gewaltigen Sprung. Sein Rachen war geöffnet und stieß mit
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dem dumpfen Brüllen den heißen Brodem aus, seine blutige Zunge streckte sich weit hervor.
Eine Bewegung - ein Sprung -
Aber noch ehe das Unthier sich auf den kräftigen Muskeln seiner Hinterbeine emporschnellte, krachte ein Schuß.
Der Tiger stieß ein Geheul aus und rollte um sich selbst. Seine gewaltigen Glieder zuckten, die scharfen Pranken hieben im Todeskampf wild umher - dann streckten sie sich lang aus und - der furchtbare Feind war verendet.
Ein Jubelgeschrei erfüllte die Luft - Alles stürzte herbei, an dem todten Körper noch Rache zu nehmen und die Geretteten zu begrüßen. Die Krieger und Jäger stießen ihre Speere in den Leichnam des Tigers, während sie den Siegesgesang nach glücklich beendigtem Kampf: Ramchandri ky jai! dazu sangen und wie närrisch um den erlegten Feind tanzten.
Aber wer war der glückliche Sieger, dem es gelungen, in diesem letzten und gefährlichsten Augenblick die Hilfe zu bringen?
Auf die dampfende Büchse gelehnt, stand er da, die Augen auf die schöne Fürstin gerichtet, der zehn Hände aus dem Dickicht der Gräser emporhalfen. Diesmal war es nicht blos die Absicht, der Wille gewesen, der ihr zu Hilfe gekommen, die That selbst war unbestritten sein Eigenthum.
Capitain Delafosse hatte sich, da seine Spornstöße es nicht so nahe heranzuzwingen vermochten, im letzten Augenblick mit Blitzesschnelle vom Pferde geworfen und war hinter den Tiger gesprungen. Mit jener Kaltblütigkeit und Sicherheit, die nur die höchste Gefahr zu geben pflegt, setzte er dem Unthier den Lauf seiner Büchse an den Kopf und zerschmetterte seinen Schädel.
Eine tiefe Röthe der Freude und eines andern höhern Gefühls dunkelte jetzt sein schönes Gesicht, als die Rani zu ihm trat.
»Die Hand eines Faringi hat sich in zwei Tagen zweimal für das Leben einer Hindufrau erhoben,« sagte sie langsam und ausdrucksvoll. »Wischnu hat es so gewollt und sein Wille ist heilig. Ich danke Dir und möchte Dich lieben dafür, wenn Du nicht der Feind meines Volkes wärest.«
Der junge Offizier erbebte vor diesen halblaut gesprochenen
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Worten. Jede Entgegnung wurde jedoch durch Maldigri abgeschnitten, der freundlich ihm die verbundene Hand bot.
»Es ist das zweite Mal, Sir,« sagte er herzlich, »daß Sie zwischen mich und den Tod treten. Wie gering ich auch das Leben selbst achte, ich schulde es Ihnen, und wenn Ihnen an dem Dank eines Fremden etwas gelegen ist, so nehmen Sie diesen und die Versicherung, daß, wenn das Schicksal es erlaubt, ich die Schuld abtragen werde.«
Es lag ein Etwas in dem Wesen des Sardiniers, das jedem edlen und hochherzigen Geist das geheime Gefühl der Seelenverwandtschaft aufdrängte. Capitain Delafosse schüttelte ihm die Hand - sie waren Freunde, oder mindestens einander achtende Feinde für's Leben.
Die Rani wandte sich nach jener augenblicklichen Aufwallung des Gefühls, gleich als schäme sie sich desselben, zu den Offizieren und dem Gefolge zurück, das sich um sie versammelt hatte.
»Was soll das bedeuten, Sahibs, daß Sie Ihre Posten verlassen? Beunruhigen Sie sich nicht um mich; ein Unfall, wie er bei jeder Jagd vorkommt, nichts weiter, und Sie sehen, ich habe tapfere Ritter an meiner Seite. Wo ist der zweite Tiger? Hat er Ihre Reihen durchbrochen?«
Alles sah sich nach dem andern Feinde um, dessen Nähe man ganz über den gefährlichen Kampf vergessen hatte.
»Der Schelm hat Furcht,« sagte der Resident mit großer Ruhe von seiner Haudah herab, »ich sah ihn sich in das Dickicht zurückziehen.«
Gleich als wolle sie ihre Anwesenheit bestätigen, hörte man aus der Dschungel die Tigerin mit mächtigem Gebrüll den Gefährten rufen.
Die Entfernung, in der sie sich danach befand, mochte etwa noch 2 bis 300 Schritt betragen. Man konnte in dem Röhricht den Pfad bemerken, den sie sich gebrochen hatte.
Rivers klopfte die Asche von seiner Cigarre. »Ned, mein Junge, Sie werden leichteres Spiel mit der Bestie haben, als ich gefürchtet. Der Schlag mit dem Rüssel des Elephanten hat ihr vielleicht eine oder zwei Rippen zerbrochen, und Halliday's Chancen sind um zwanzig Procent gesunken.«
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Diese boshafte, wohlüberlegte Anspielung traf Alle wie ein kalter Schlag.
»Unsinn, Major,« rief der Oberst, »Sie werden doch nicht denken, daß Master O'Sullivan thöricht genug ist, den Narrenstreich zu wagen? Die Wette konnte von vorn herein keine Geltung haben.«
»Das ist eine Sache, die mein Freund Ned mit Halliday abzumachen hat,« sagte kalt der Resident. »Mich geht die Sache Nichts an, ich hatte höchstens auf O'Sullivan gewettet.« Ein kaum bemerklicher Wink der Augen verständigte den Lieutenant.
»Ich bin es zufrieden, daß die Wette rückgängig wird - wenn Master O'Sullivan eine Aversion gegen den Tiger empfindet,« bemerkte Halliday, indem er sein Wettbuch hervorzog und sich anschickte, die Wette zu streichen. »Wie viel waren es doch wohl? - richtig, lumpige hundert Pfund.«
»Lassen Sie uns aufbrechen! in die Sättel, meine Herren, und vorwärts auf den Tiger!« verlangte mit einer gewissen Angst und Hast, die einem großen Unglück vorbeugen will, Capitain Delafosse.
Die übrigen Engländer warfen unverho[h]lene, mißbilligende Blicke auf Rivers und den Lieutenant; Oberst Stuart murmelte dabei einen Fluch zwischen den Zähnen.
Die Rani, der Scindia und Maldigri schauten verwundert von Einem zum Andern; sie begriffen nicht, warum der allgemeine Angriff gegen den Tiger verzögert wurde, obschon die beiden Ersteren gleichfalls genug Englisch kannten, um die gewechselten Worte zu verstehen.
Die Hauptperson, um deren Leben es sich handelte, Eduard O'Sullivan, war bei dem ersten Wort des Residenten von seinem Elephanten gestiegen.
Er stand in der Mitte dieser Männer, bleich, zitternd - aber mit funkelndem Auge, und festem, unwiderruflichem Entschluß in den aufeinandergepreßten Zähnen.
»Ich danke Ihnen für die Erinnerung, Herr Major,« sagte er fest, »und Sie, Halliday, bemühen Sie sich nicht - ich denke, meine Verpflichtung zu lösen und habe mich vorbereitet dazu.«
»Ah, bravo,« klatschte der Resident. »Ich wußte es im
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Voraus, Ned hält auf sein Wort und läßt nie eine Schuld unbezahlt.«
»Um Gottes willen,« mahnte ernstlich besorgt der Oberstlieutenant, »helfen Sie mir lieber, den jungen Thoren von seinem Entschluß abzubringen, statt ihn noch mehr durch solche Worte zu reizen.«
Delafosse hatte aus seine Frage Major Maldigri die Umstände der Wette mitgetheilt.
»Diese Christen sind närrisch - sie wissen nicht, was sie thun!« sagte achzelzuckend die Rani und winkte den Elephanten eines ihrer Sirdars herbei, um den Sitz daraus einzunehmen.
»Auf keinen Fall werde ich einen solchen Selbstmord dulden,« erklärte energisch Capitain Delafosse, »er wäre ärger, wie das, was wir gestern angesehen haben,«
»Einen Augenblick, meine Herren,« sprach der junge Irländer. »Sie Alle sehen diesen Revolver hier in meiner Hand, mit dem mich mein Freund, Major Rivers, vor unserem Anszug von Cawnpur, als Beweis seiner Zärtlichkeit, versorgt hat.«
»Gewiß - aber Sie glauben doch nicht, mit einlöthigen Kugeln ...«
»Nun, merken Sie wohl! Auf das Ehrenwort eines Gentleman und bei dem Andenken an meinen Vater schwöre ich Ihnen, mir auf der Stelle damit eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wenn Sie mich hindern wollen, meinem verpfändeten Wort Genüge zu thun!«
Alles schwieg, - Jeder fühlte, daß jetzt alle Einsprache vergeblich war.
Der junge Mann wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, der in großen Tropfen perlte. Dann zog er aus der Tasche seines Reitfracks das Tischmesser, das er an der Tafel der Offiziersmesse an sich genommen, und bat Capitain Delafosse, es mit dem Tuch, mit dem er so eben die Stirn getrocknet, in seiner Hand fest zu binden.
Der Capitain that es ernst. »Haben Sie irgend eine Bestimmung zu treffen, Herr O'Sullivan, für den Fall - daß ...«
Er brach ab. Der junge Irländer drückte ihm die Hand.
»Ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann, Capitain, und werden
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meine Bitte erfüllen. In diesem Portefeuille -« er zog es aus der Brusttasche und legte es nieder auf das Gras, »befindet sich ein Brief an meine Schwester Margarethe, die Gattin - verstehen Sie wohl: die Gattin - des Maharadschah Srinath Bahadur. Sie werden ihn, wenn ich nicht zurückkehre, derselben persönlich überbringen und - es würde mich sehr glücklich machen, hätte ich Ihr Versprechen, der Freund meiner Schwester bleiben zu wollen.«
»Verlassen Sie sich darauf, Ned. Ich will Alles, was Sie wünschen, auf's Gewissenhafteste besorgen,« rief der Resident.
»Ich habe Capitain Delafosse mit meinem Willen beauftragt, Sir,« entgegnete O'Sullivan kalt.
»Und sein Sie versichert, daß er erfüllt werden soll,« erklärte dieser mit einem festen Blick auf den Residenten.
Ein erneuertes Brüllen aus der Dschungel schien gleichsam das Opfer zur Eile zu mahnen.
Alle sahen, wie der Irländer unwillkürlich zusammenschauderte. »Sie hören - man ruft mich ...«
Auf ein Zeichen der Rani hatte der Mahoud ihren Elephanten näher getrieben. Die kühne Frau, die den Muth an Anderen zu würdigen verstand, riß sich den kostbaren Shawl von der Schulter und warf ihn dem jungen Manne zu. »Nimm, Sahib,« sagte sie, »und wickle ihn fest um Deinen linken Arm; die Zähne des Tigers vermögen das Gewebe von Kashemir nicht zu durchdringen.«
O'Sullivan befragte mit einem Blicke den Capitain, gleichsam als Ehrenrichter, ob er die Hilfe annehmen dürfe: Delafosse nickte schweigend und Mickey sprang herbei, ihm den Shawl um den Arm zu wickeln.
»O Jesus, Herr,« sagte der ehrliche Bursche, der, wie wir erwähnt, eine große Vorliebe für seinen Landsmann bei jeder Gelegenheit offenbarte, »ich hoffe, Sie werden die gesegnete grüne Insel nicht zu Schanden werden lassen! Acuschla, mein Liebling, wenn Sie sich schwach fühlen, will ich lieber selber gehen und den braunen Kerlen hier zeigen, was einer Mutter Sohn thun kann!«
O'Sullivan wehrte ihn freundlich ab. »Fassen Sie die
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Bestie fest in's Auge, Sir,« flüsterte Maldigri dicht neben ihm; »weichen Sie keine Linie breit von ihrem Blick, das Katzengeschlecht fürchtet die Macht des menschlichen Auges; die heilige Jungfrau nehme Sie in ihren Schutz!«
Eduard O'Sullivan schritt vorwärts, - die ersten Schritte waren wie die eines Trunkenen, man glaubte, ihn jeden Augenblick ohnmächtig niedersinken zu sehen, und Delafosse wollte ihm bereits, auf jede Gefahr hin, nacheilen.
Aber von Schritt zu Schritt wurde sein Gang sicherer, seine Haltung fester - eine Minute noch, dann verschwand seine Gestalt zwischen den Gräsern, welche von beiden Seiten die Tigerspur überwölbten.
Eine tiefe, beklommene Stille lag über der ganzen Jägerschaar, keiner wagte zu sprechen. Alle hatten ihre Thiere bestiegen, als wären sie bereit, feden Augenblick den neuen Kampf zu beginnen. Aber der Tiger hätte unbehindert fliehen können, denn die Linie war unbewacht, die Jäger hatten sich auf eine Stelle zusammengedrängt.
Es vergingen fünf Minuten - fünf Minuten der ängstlichsten, peinigendsten Erwartung. Diese war so beklommen, daß fast Jeder gewünscht hätte, lieber selber in der Stelle des Irländers zu sein.
Mickey war der Erste, welcher diese Stille zu unterbrechen wagte.
»So wahr Pater O'Donnaghue nimmer eine Haushälterin über acht Monate im Dienst gehabt hat - der Lord-General mag mich schinden lassen, wenn's nicht wahr ist! - aber es ist nicht besser als Mord an dem jungen Blute, Muscha - es wird kein Stück von ihm ganz bleiben, was ich dem Goldkind, seiner Schwester, bringen könnte!«
Ein lang anhaltendes, wüthendes Gebrüll drang aus der Gegend der Ruinen.
»Jetzt sind sie aneinander,« sagte scharf hinhorchend der Resident, indem er sich eine neue Cigarre anbrannte, um die lästigen Fliegen zu vertreiben.
Der Oberstlieutenant fuhr ihn barsch an: »Schweigen Sie, Sir! - Hören Sie nicht - es kommt Etwas heran - die
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Büchsen fertig, daß wir wenigstens den armen Jungen rächen an der Bestie!«
»Nein - es kommt nicht von dort - es nähert sich aus dem Wald,« rief Follington, der Quartiermeister.
In der That, unter den Bogengängen der Fichten zeigten sich zwei Reitergruppen: Capitain Lowe und Doctor Brice auf ihrem herantrabenden Elephanten, den sein Mahoud endlich an der Flucht zum Stillstehn und zur Umkehr bewogen hatte, und ein Reiter nebenher galoppirend.
Als sie näher kamen, erkannte man in dem Letztern eine große Gestalt, so hager, daß der ganze Körper nur aus Haut und Muskeln gemacht schien. Der Mann war alt, fünf Jahre älter, als damals, wo wir ihm zum ersten Mal begegnet sind. Aber nichts an ihm schien verändert. Dieselbe schmutzige Jagdmütze von Leder bedeckte den raubvogelartigen Kopf mit der Habichtsnase und dem zurücktretenden Kinn; wie damals trug er einen kurzen, grünen Jagdrock und eng anliegende Lederbeinkleider mit Kamaschen und schweren, dicken Schuhen.
Verschiedene der Anwesenden schienen ihn wohl zu kennen, eben so der Doctor, der im Reiten mit ihm sprach und ihm offenbar mit verschiedenen Uebertreibungen von den eben bestandenen oder vielmehr nicht bestandenen Gefahren erzählte.
»Was zum Henker, Herr Mac-Scott, führt Sie in diesem Augenblick von Bithoor hierher?« rief der Oberstlieutenant. Für sich setzte er brummend hinzu: »ich wollte, der alte Bursche wäre eine halbe Stunde früher angekommen.«
»Ihr Diener, Oberst! Ihr Diener, Gentlemen!« sagte der alte Mann, sein Pferd parirend und sich mit den ihm trotz seiner wilden Beschäftigung - denn es war wirklich der uns von San Francisco her bekannte Tigerjäger und Erzieher des Nena - gebliebenen aristokratischen Manieren rings verbeugend. »Ein dringendes Geschäft, eine unglückliche Nachricht führt mich hierher. Darf ich Sie bitten, mir zu sagen, wo ich Master O'Sullivan, den Bruder meiner Herrin, finden kann? Die Sache hat Eile.«
Ein allgemeines Schweigen erfolgte, - Niemand wagte zu antworten.
Aber die Antwort kam von einer andern Seite her.
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Ein grimmiges, die Nerven erbeben lassendes Gebrüll drang aus der Dschungel herüber und erscholl in einzelnen Stößen immer wüthender und heftiger.
»Ah,« sagte Mac-Scott, der vom Pferde gestiegen war, indem er sich behaglich auf den hagern Leib, schlug, »da ist ja noch eines meiner Lämmchen! Der Stimme nach muß es ein stattlicher Bursche sein.« Er warf einen Blick umher auf die todten Körper des Elephanten, des Tigers und des Büchsenspanners und auf den schwer verwundeten Mahoud. »Ich sehe, es ist scharf hergegangen, der Doctor erzählte mir schon davon, obschon er meinte, es wären mindestens zehn Tiger hinter ihm drein gewesen. Aber wo ist Master O'Sullivan?«
Capitain Delafosse wies nach der Dschungel hin, von wo das Brüllen, jetzt zu einem Geheul geworden, herüberdrang.
»Dort!« sagte er aufgeregt.
Der alte, abgehärtete Schotte fuhr zurück, die Lederfarbe seines Gesichts erbleichte, so weit dies möglich war. »Machen Sie keinen Scherz, Sir, wo ist Eduard O'Sullivan?«
»Und ich wiederhole Ihnen, Sir - Master O'Sullivan befindet sich dort, im Dickicht dieser Dschungel, am Fuße jener Ruinen, im Duell mit einem Tiger und Sie selbst hören sein Todtenlied.«
Ein schwächeres, halbersticktes Brüllen drang aus der geheimnißvollen Tiefe der Wildniß herüber.
»Das ist unmöglich - da ich hier so viel Gentlemen müßig versammelt sehe.«
Die erhabene Einfalt dieser Worte jagte Schaamröthe auf die Gesichter der britischen Offiziere.
»Sie haben Recht, Herr Mac-Scott,« sagte der Capitain entschlossen, »es war eines Mannes unwürdig, hier zu warten. Die Pflicht des Nächsten steht höher, als der Dünkel einer mißverstandenen Ehre!«
Und er folgte dem greisen Tigerjäger, der, ohne eine weitere Antwort zu erwarten, nach seinem beschämenden Ausruf die Büchse von der Schulter genommen hatte und in das Dickicht der Dschungel vorangeschritten war.
Ein mächtiger Impuls schien alle Anwesenden ergriffen zu
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haben, indem sie, ohne sich weiter zu verständigen, sich ausbreiteten und vorwärts drangen.
Von dem ersten Schritt in das Gebüsch an, verkündete jede Bewegung, man möchte sagen: jeder Athemzug an dem Schotten den erfahrenen Jäger, den Kämpfer in den Wildnissen gegen den grausamen König derselben.
Die hohe Gestalt gebückt, den Lauf der Büchse in der Höhlung der linken Hand ruhend, und den Finger der rechten am Schloß - den Kopf weit vorgestreckt, Ohren und Nüstern geöffnet, als wollten sie jeden Laut, jeden Geruch dieser Wüste einsaugen, - so glitt er etwa 20 Schritt vor der Fronte der Uebrigen durch das Rohr und das Riesengras mit einer Kraft und Gewandtheit, die einen Jüngling beschämt hätten.
Die Capitaine Delafosse und Löwe waren abgestiegen und folgten, ihre Büchsen schußfertig in der Hand, zu Fuß; hinter ihnen drein kamen der Elephant der Rani und mehrere Reiter.
So drangen sie vorwärts, während die Anderen, langsam folgend, das Dickicht bewachten.
Das ferne Lärmen der Treiber, welches noch immer das Entstehen der Tiger nach jener Seite verhindern sollte, unterbrach allein wieder die Stille der Dschungel.
Kein Laut, kein Ton mehr zeigte den Beginn, die Fortdauer oder das Ende jenes entsetzlichen Zweikampfes an.
Delafosse hegte die stille Hoffnung mit jedem Schritt, den sie vorwärts thaten, den Unglücklichen auf seinem Wege ohnmächtig niedergesunken zu finden.
Dem war nicht so.
An einer Stelle aber lag ein Handschuh - O'Sullivan mußte ihn im Vorüberkommen hier verloren oder fortgeworfen haben. Es war der Beweis, daß sie sich auf der richtigen Spur befanden.
Plötzlich stieß der Schotte einen lauten Ruf aus und sprang vorwärts.
Sie eilten ihm nach.
Vor ihnen erhoben sich die von Jahrtausenden zerbröckelten Marmorsäulen eines Tempels oder eines Grabmals.
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Kein Geschichtsschreiber vermochte mehr ihren Ursprung zu erzählen!
Am Schaft dieser Säulen, am Fuß dieser gigantischen Trümmer, war das hohe Dschungelgras, das Gestrüpp und Rohr im ziemlich weiten Kreis zu Boden getreten.
Die Stelle glich einem Kessel, einem Nest in dieser Wildniß morastiger Vegetation.
Es war auch ein, Nest - das Nest, die Lagerstätte der Tiger-Familie.
Am Rand des freien Raumes sah man Mac-Scott, den Jäger und Vertrauten des Nena stehen, die Büchse an der Wange, den Finger am Drücker. Der Elephant der Rani stieß ein schmetterndes Geschrei aus.
Ein Blick erklärte die Ursache.
In der Mitte des Platzes lag eine ungestalte, verworrene Masse von Kleidern, Blut und Fleisch.
Quer über dieselbe her sah man die Tigerin ausgestreckt.
Zwei junge, höchstens zwei Wochen alte Tigerkatzen spielten im Grase umher und leckten das Blut.
Das war der Anblick, der sich den Herbeikommenden bot und auf den die Büchse des alten Schotten gerichtet war.
Aber der Tiger machte keine Bewegung - er regte sich nicht, trotz der Nähe der Menschen.
Plötzlich kam es aus dieser entsetzlichen Gruppe von Blut und Fleisch wie der leise Seufzer einer menschlichen Brust, wie ein schmerzliches, klagendes Stöhnen.
Der alte Tigerjäger ließ sein Gewehr fallen, faßte sein Jagdmesser und sprang vorwärts.
Im nächsten Augenblick knieete er in der Blutlache neben dem Thier und dem Menschen.
Der Tiger - war todt, kein Glied, keine Sehne rührte sich mehr.
Der Mensch - - -
Die Offiziere, der Schotte, die herbeieilenden Jäger legten Hand an, den Leichnam des Unthiers aufzuheben und zur Seite zu werfen. Es war eins der größten Art, noch größer, als das vorhin getödtete Männchen.
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Der Anblick, der sich nach der Entfernung des Tigers bot, war wahrhaft erbarmungswürdig.
Kaum daß die verstümmelte Gestalt, die hier lag, noch die menschliche Form hatte.
Jedes Glied schien gebrochen, zerfleischt von den grimmigen Bissen der Bestie.
Die Brust war von einem Krallenhieb aufgerissen, der Unterkiefer von den Zähnen zermalmt.
Der linke Arm war mehrfach gebrochen, die Knochen standen aus dem zerfetzten Shawl der Rani. Aber die rechte Hand hielt noch krampfhaft das blutbedeckte Messer fest, mit dem O'Sullivan den unerhörten Kampf ausgefochten.
Trotz der entsetzlichen Verwundungen schien noch Leben in diesem menschlichen Körper, diese Nerven regten sich noch, diese zerfetzten Glieder zuckten noch von Zeit zu Zeit unter den gräßlichen Schmerzen.
Auf den Ruf und das Geschrei der zuerst Angekommenen eilten die Nachfolgenden von allen Seiten rascher herbei. Einer der Vordersten war Doctor Brice, er übernahm sogleich die Leitung aller Anstalten zur Rettung des Verstümmelten, knieete neben ihm nieder und legte die Hand auf sein Herz.
»Es ist wirklich noch Leben in ihm!« sagte er nach einer kurzen Pause der Untersuchung. »Schade um den armen Jungen, er hat uns wahrhaftig bewiesen, daß er keine Furcht vor den Tigern hat.«
»Goddam!« meinte herzlos der Resident, indem er mit seinem Lorgnon den todten Körper des Tigers betrachtete - »die Bestie hat nicht weniger als acht Stichwunden und einige so groß, daß man die Hand darin umkehren könnte. Ich hätte Ned gar nicht so viel Kraft zugetraut.«
Delafosse warf ihm einen verächtlichen Blick zu, aber über das Gesicht des Sterbenden zuckte es wie ein Lächeln stolzen Triumphes.
»Was ist zu thun, Doctor? Vielleicht ist dem Unglücklichen noch zu helfen?«
»Ich muß versuchen, ihm auf der Stelle einen Verband anzulegen und die Blutungen zu stillen. Dann wollen wir sehen,
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wie wir ihn zu den Zelten fortschaffen können. Aber ich fürchte, daß menschliche Kunst hier ihr Ende erreicht hat.«
Alle waren zwar derselben Ansicht, aber sie bemühten sich, - indem sie sich, mit Ausnahme des Residenten selbst, Vorwürfe machten, daß sie nicht auf jede Gefahr hin diese rasende That verhindert hätten, - nach Kräften zur Beschleunigung der Hilfe beizutragen. Auch Halliday war eifrig damit beschäftigt, um seinen Antheil an dem Unheil vergessen zu machen. Wie Delafosse der Thätigste, war die Rani die Umsichtigste von Allen. Sie riß ihre kostbaren Gewänder, ihre Turbanbinde entzwei, um Binden und Compressen zu machen, ließ durch ihre Leute Wasser herbeischaffen und leitete die Anfertigung eine Tragbahre aus den Speeren ihrer Jäger. Zugleich befehligte sie zwei der Reiter, nach dem Jagdlager zu eilen, um ihren Palankin herbeizuschaffen.
Während so Alle, theils mit der Betrachtung der verendeten Tigerin und ihrer Jungen, theils mit dem Leidenden selbst beschäftigt waren, dem der alte Schotte stumm und düster Hilfe leistete, trat Major Rivers zu diesem. »Nun, Herr Mac-Scott,« sagte er, möglichste Unbefangenheit erkünstelnd - »wir wissen noch immer nicht, was Sie so eilig von Bithoor hierhergeführt hat. Oder ist es vielleicht ein Geheimniß?«
»Nein, Sir,« antwortete der Jäger rauh, - »was ganz Cawnpur bereits weiß, ist kein Geheimniß mehr. Der Tod ist ein Glück für diesen Mann hier; denn sein Leichtsinn hat das Unheil verschuldet. Mistreß Margareth, seine Schwester, ist plötzlich spurlos verschwunden, wir fürchten, gemordet oder entführt von unbekannten Räubern und Feinden!«
Ein Seufzer - der erste Laut, seit sie ihn gefunden, - quoll aus dem blutenden Munde des Aermsten, seine Augen öffneten sich und starrten mit Schreck und Entsetzen den schlimmen Boten an.
»Unvorsichtiger!« rief Delafosse, »wie konnten Sie so grausam sein, dieses neue Unglück in seiner Gegenwart zu verkünden? Die Nachricht wird ihm den Tod bringen, wenn die Wunden es nicht thun.«
»Ich wiederhole,« entgegnete der Jäger finster, »es ist ein
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Glück für ihn, wenn er stirbt. Der Zorn des Nena wird ihn und uns Alle vernichten!«
»Zum Henker,« befahl der Oberstlieutenant, »da Sie Unglücksrabe einmal die Botschaft ausgeplaudert, so erzählen Sie wenigstens, wie es gekommen, und was geschehen? Hoffentlich ist Rettung möglich und die Kenntniß der Umstände kann hier unsern armen Freund beruhigen.«
Die Augen des Verstümmelten hingen starr an den Lippen des Schotten - kein Zucken des Schmerzes in ihnen, während doch die Sonde des Arztes zwischen seinen Nerven wühlte, und Messer und Nadel des unbarmherzigen Aesculap in seinem Fleische wirthschafteten.
Der Tigerjäger schüttelte finster das Haupt. »Ich fürchte, es ist Alles vergeblich, die Phansigars, oder wer sonst das Verbrechen begangen, haben ihre Maßregeln so schlau genommen, daß keine Spur von ihnen aufzufinden war. Mistreß Margareth erhielt gestern Morgen einen Brief, und ohne mir ein Wort zu sagen und meine Rückkehr abzuwarten, der ich zwei Stunden früher nach einer entfernten Plantage des Srinath Bahadur geritten war, ließ sie ihren Pony satteln und jagte, von einem einzigen Diener begleitet, nach Cawnpur. Erst um Mittag brachte ein wandernder Krämer ihr Pferd zurück - er hatte es angebunden in den Mangrovebüschen am Wege in der Mitte zwischen Bithoor und Cawnpur gesunden, den Diener, mit einer Schlinge erdrosselt, daneben. Dieser Umstand, so traurig er an und für sich scheint, ist das Einzige, worauf ich noch meine Hoffnung baue. Die Thugs können die That nicht verübt haben, sie hätten nach ihrer unveränderlichen Gewohnheit den Leichnam des Dieners, wie den der Herrin vergraben. Selbst, daß der Mord von gewöhnlichen Phansigars verübt worden, ist mir zweifelhaft geworden. Warum findet sich dann der Körper der Maharani nicht neben dem des erwürgten Dieners? Es galt also, sich ihrer lebendigen Person zu bemächtigen. Aber damit schließt leider jede weitere Vermuthung. Sie Alle, die Sie in diesem Lande gelebt haben, wissen, mit welcher unglaublichen Kunst man hier jedes Zeugniß, jede Spur eines Verbrechens zu vertilgen versteht.«
»Und das ist Alles, was Sie zu ermitteln vermocht haben,
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Master Mac-Scott?« fragte der Resident. »Sie haben keine Ahnung, was jener Brief enthielt oder wer ihn geschrieben?«
»Doch, Sir - der Brief ist hier! Die Dienerinnen fanden ihn in der Mistreß Schlafzimmer. Wahrscheinlich hat sie ihn verloren, als sie zu dem Ritt die Kleider wechselte.«
»Zeigen Sie her!« Der Resident langte nach dem Schreiben, aber Delafosse kam ihm zuvor, nahm das Billet aus der Hand des alten Jägers und entfaltete es.
»Bei Gott - es ist von Master O'Sullivan selbst. Hören Sie, wie es lautet!«
Rivers biß sich auf die Lippen, indeß der Capitain den Brief vorlas. Er enthielt nur die wenigen Worte:
Eile Angesichts dieser Zeilen zu mir nach Cawnpur. Aber im Geheimen! Tod und Leben hängt davon ab.
       Dein sonst verlorner Bruder
               Eduard O'Sullivan.
»Ich weiß nicht, ob dies die Handschrift Herrn O'Sullivans ist?« fuhr der Capitain fort, den Brief umherzeigend.
»Es ist seine Schrift,« sagte der Jäger, »ich kenne sie wohl. Oder sie wäre teuftisch gut nachgemacht!«
»Und dieser Brief ist wahrscheinlich die Ursache, daß Sie uns nachfolgten?«
»Ja, Sir. Ich vernahm in Cawnpur, daß Master Eduard mit dem Major und den Offizieren, seinen Freunden, in der Nacht nach Jhansi aufgebrochen war, und ich ritt ein Pferd todt, um ihm zu folgen und Aufklärung von ihm zu holen, die unsere weiteren Nachforschungen leiten könnte.«
Aller Blicke wandten sich hier natürlich auf den Verstümmelten, und nun bemerkten sie ein eigenthümliches Schauspiel.
Die Stirn und die Augen waren beinahe die einzigen Theile dieses Körpers, die unverletzt aus den Klauen des Tigers davon gekommen waren.
Auf dieser Stirn lag jetzt eine dunkle Falte, diese Augen waren mit einem ingrimmigen Ausdruck des Abscheues, des Hasses, der Drohung, auf einen Gegenstand gerichtet,[.]
Dieser Gegenstand - war der Resident.
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Der Verstümmelte machte eine gewaltige Anstrengung, zu sprechen, aber es kam nur ein unverständlicher, gurgelnder Laut aus der blutenden Kehle, und der Doctor mußte, trotz des Antheils, den er, bei seiner Liebhaberei für Neuigkeiten, selbst an der Sache nahm, ihm auf das Strengste jede Anstrengung verbieten.
Dafür schienen die Augen O'Sullivans Blitze zu flammen! Mit Erstaunen wandten sich die Umstehenden nach dem Residenten, die Deutung dieser Erscheinung von ihm zu erfahren. Rivers hatte jedoch vollkommen Zeit gehabt, sich zu fassen.
»Sie haben Recht, Ned, daß Sie Ihre Hoffnung auf mich setzen,« sagte er mit zuversichtlichem Ton. »Es ist nicht nur meine Pflicht als Vertreter der Regierung, sondern auch als persönlicher Freund dieses armen jungen Mannes, und gewissermaßen als unschuldige Ursache seines Unglücks, werde ich Alles, was in meinen Kräften steht, dazu aufbieten, den Schleier zu lüften, der dieses seltsame Ereigniß verhüllt, und die Dame aus den Händen der Räuber befreien. Denn daß es nur solche sind, die es auf ein gutes Lösegeld von Srinath Bahadur abgesehen, da seine Liebe für die Mistreß bekannt ist, daran zweifle ich keinen Augenblick. Wie gesagt, Ned, verlassen Sie sich ganz auf mich und denken Sie nur an Ihre Wiederherstellung. Zur Verfolgung der Verbrecher werde ich auf der Stelle nach Cawnpur zurückkehren und Ihre Hoheiten, der Scindia und die Rani, werden darum gestatten, daß ich meinen Besuch abkürze und an den Jagden nicht weiter Theil nehme.«
Diese Worte erreichten vollkommen den Zweck, die Aufmerksamkeit von dem Kranken ab und auf den Sprecher zu lenken.
Als man sich wieder nach jenem wandte, bemerkte man, daß er vom Schreck oder Schmerz wieder in Ohnmacht gefallen war.
Der Doctor erklärte dies jedoch als einen glücklichen Umstand, um den Patienten fortschaffen zu können. Während er mit den Anstalten dazu beschäftigt war und den Kranken auf die improvisirte Bahre betten ließ, auf die man zu seinen Füßen das abgestreifte Fell des Tigers legte, beriethen die englischen Offiziere, ob sie dem Residenten folgen oder, der Einladung des Scindia und der Rani gemäß, noch einige Tage bei Fortsetzung der Jagd verweilen wollten.
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Sie entschlossen sich, mit der Gleichgiltigkeit gegen Leiden und Gefahren, die endlich dem Soldaten in wilden Ländern eigen wird, zu dem Letztern. Ueberdies konnte der Doctor den Verwundeten nicht so rasch verlassen, wenigstens nicht eher, bis eine andere ärztliche Hilfe für ihn herbeigeschafft war.
Der Capitain Delafosse, dessen Blicke sorgfältig und mißtrauisch den Residenten beobachtet hatten, erklärte energisch, daß er Herrn Mac-Scott nach Bithoor begleiten wolle, um seine Hilfe ihm für weitere Nachforschungen, so lange sein Urlaub noch daure, zur Disposition zu stellen.
Der Zug setzte sich langsam und mit aller Vorsicht für den Zustand des Kranken in Bewegung.
Noch ehe sie die zurückgebliebenen Elephanten und Pferde am Rande der Dschungel, wieder erreicht hatten, wußte der Resident es so einzurichten, daß er neben Doctor Brice herging.
»Ist Hoffnung vorhanden, Doctor, daß unser Freund davon kommt? Sprechen Sie aufrichtig und nicht mit den Winkelzügen eines Mediziners.«
»Wenig oder gar keine, Major, - obschon ich sie nicht ganz absprechen möchte. Es ist noch Lebenskraft in ihm, und der Shawl der Rani hat den tollen Burschen wunderbar beschützt. Er ist zwar furchtbar zugerichtet, aber wenigstens kein unbedingt für das Leben nothwendiges Organ verletzt.«
»Hm! aber sein Gesicht - der Unterkiefer ist ja halb herausgerissen!«
»Er wird niemals wieder die Sprache erlangen.«
»Und die Arme, die Hände - wird er sich ihrer bald wieder bedienen können?«
»Kein Gedanke daran. Ich werde beide Arme noch heute im Gelenk ihm amputiren.«
Der Resident blieb zurück.
Als er später seinen Elephanten bestieg und noch einen letzten Blick auf die Bahre des Kranken warf, lag ein boshafter Triumph in den Falten seiner Mundwinkel.


Major Rivers und Capitain Delafosse waren bereits mit einem Theil der Begleitung abgereist, als die Rani dem neuen
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Führer ihrer Leibgarden in das für sie aufgeschlagene Zelt rufen ließ.
Maldigri mußte ihr Alles, was in dem Vorgang und den Erzählungen des schottischen Jägers ihr in Folge der nur mangelhaften Kenntniß des Englischen noch unklar geblieben war, berichten.
Die Rani, jetzt ihrer Waffen entledigt und in einem weiten, indischen Frauengewand auf dem Ruhebett sitzend, das mit dem Fell eines von ihr selbst erlegten Panthers bedeckt war, wiegte nachdenkend das Haupt.
»Du hast den Faringi beobachtet, welcher sich den Residenten nennen läßt?« fragte sie.
»Zuverlässig, Hoheit!«
»Was hältst Du von ihm, Sahib?«
»Ich muß gestehn, ich traue ihm nicht.«
»Deine Gründe?«
»Ich kann keinen bestimmten Grund anführen, indeß sein ganzes Venehmen in dieser Sache gefiel mir nicht. Wenn er den unglücklichen Vertrag Deines Gatten kannte, der Jhansi unter den Schutz der Compagnie stellt und der ihm nur durch List und Verrath entlockt sein kann, warum machte er nicht eher Gebrauch davon, als im letzten Augenblicke, wo die Zögerung ein kostbares Leben verderben konnte? - Der Ueberfall seiner Reiter war wohlüberlegt. Er war es zugleich, der mit kaltem Spott den jungen Thoren zur Ausführung dieser wahnsinnigen Wette veranlaßte, obschon er sich rühmt, sein Freund zu sein.«
»Hast Du bemerkt, was er that, als der Jäger des Nena den Raub seiner Gattin erzählte?«
»Nein, Hoheit - erst der starre Blick des Verwundeten lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.«
»Wohl! Wir Frauen sehen schärfer, als Ihr Männer; - meine Augen haben ihn nicht verlassen! Ich bin überzeugt von Einem, wie von den neun Wandlungen, die des Menschen Seele zu machen hat.«
»Und wovon, Hoheit?«
»Er weiß um den Raub der Frau. Die Nachricht überraschte ihn nicht, er erwartete sie. Er selbst ist der Räuber!«
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»Aber er ist nicht von unserer Seite gewichen.«
»Bah! hat nicht auch das Laster treue und eifrige Diener? Die Hand des Mächtigen reicht weit in diesem Lande. Der Faringi steht im schlimmen Ruf in Cawnpur, er ist ein Tyrann, ein Wüstling und ein Habgieriger. Yama hat ihn bezeichnet! - Er hat jene Frau gestohlen, deren Liebe alle Manneskraft des Nena gebrochen und ihn vollends in die Arme der Faringi geführt hat. Aber wehe ihm, wenn dem so ist! Der Nena ist ein schlummernder Tiger, eingelullt von den Blumen der Liebe und des Vergnügens. Ich will diesen Tiger auf ihn hetzen, tausend Mal grimmiger, tausend Mal blutiger als der, welchen der Falsche auf den eigenen Freund gehetzt hat.«
Der Ionier hatte mit Erstaunen die scharfe Beobachtung und das Resultat derselben vernommen; jetzt, wo er manche einzelnen Umstände seiner eigenen Wahrnehmungen zusammenhielt, kam er selbst zu dem Schluß.
»Du könntest Recht haben, Hoheit - aber was ist zu thun? Der Resident ist bereits fort und der Schotte, der Freund und Diener des Maharadschah, ist mit ihm zurückgekehrt. Wir haben Niemanden, als den Sterbenden.«
»Er wird nicht sterben,« sagte die Rani mit Bestimmtheit. »Die Rache hält den Faden seines Lebens fest - an seinem Auge, als jener Brief gelesen wurde, sah ich, daß er den Verräther erkannt hat. Ehe wir handeln, ehe der Nena zurückkommt, dem ich selbst einen Eilboten entgegen senden will, müssen wir Alles wissen und die Mittel zu dem Verderben des Räubers in Händen haben. Ich will einen Spürhund auf die Fährte des Raubthiers hetzen, der es bis in seine geheimsten Schlupfwinkel verfolgt. Du selbst sollst es sein, denn Du verstehst die Sprachen der Franken und ihre Sitten.«
Major Maldigri dachte nach. »Verzeih, Hoheit, daß ich Deiner Absicht widerspreche,« sagte er dann, »aber ich fürchte, es würde zu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn ich mich jetzt in Cawnpur zeigen wollte, und den Residenten ahnen lassen, daß er uns zu fürchten hat. Einen offenen, muthigen Gegner unter seinen eigenen Landsleuten besitzt er bereits, wenn mich nicht Alles täuscht, in dem Capitain, der uns Beiden zwei Mal das Leben
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gerettet. Dieser hat dem alten Diener des Nena seine Hilfe zugesagt. Aber ich will Dir einen bessern, Geeigneteren stellen, den wir nach Cawnpur senden und heimlich auf Jenes Fersen setzen können.«
»Wen meinst Du? Einen meiner Diener? Sie sind schlau, aber feig, und fürchten den Zorn der Faringi.«
»Nein, Hoheit, ich meine meinen Milchbruder Danilos, den Capitain der arabischen Praua, die mich nach Kalkutta und den Ganges herausgeführt hat. Er ist ein Sohn meiner heimathlichen Gebirge, schlau und kühn, und würde selbst die Spur eines Kiels in den Wogen des Meeres wieder zu finden wissen. Auf ihn kann keinerlei Verdacht fallen, er ist wenig oder gar nicht beachtet worden, und keiner der Briten kennt ihn.«
»Du hast Recht, Freund - führe ihn zu mir, damit ich mit ihm rede. Ich werde ihm eine Botschaft geben an Tippo Singh, den Babu zu Cawnpur, der mir ergeben und ein geheimer Feind der Faringi ist. Er wird ihm behilflich sein.«
Die Rani wußte noch nicht, daß den Genannten bereits ein ähnliches Schicksal getroffen, daß er selbst persönliche Rache brütete gegen den Räuber seines Kindes und seines Geldes. Denn der Resident, wohlberechnend in allen seinen schändlichen Unternehmungen, hatte die versuchte That des Vaters wohl für sein Interesse benutzt. Seiner Instruktion vor der Abreise gemäß, öffnete sein Vertrauter das Gefängniß des Babu nur gegen Zahlung der bedeutenden Summe, die er selbst dem Residenten für die Befreiung seines Kindes geboten hatte, und indem der Major so einen Mann frei ließ, der einen Angriff auf sein Leben unternommen hatte, machte er jede Klage bei den höheren Regierungsgewalten unmöglich und machtlos, während die nähere Untersuchung des Mordversuchs doch vielleicht Manches zur Sprache gebracht hätte, das ihm unangenehm sein konnte.
Der Resident mit seinen Begleitern hatte in der Kühle des Abends noch keine zehn Meilen weit von Jhansi, wohin er zunächst zurückgekehrt war, um Capitain Mowbray weitere Instruktionen zu geben, auf dem Wege nach Cawnpur gemacht, als der Uskoke bereits mit Geld und Anweisungen für alles Verhalten wohl versehen, auf seiner Verfolgung war.

Das Reich der Ostindischen Campagnie.

(Fortsetzung.)

V. Der Pavillon.

Wir haben noch zu erzählen, wie es kam, daß Major Maldigri, - oder vielmehr Marcos Grimaldi, wie wir ihn wenigstens im Verkehr mit seinen Freunden und Vertrauten wieder nennen müssen, - also Marcos Grimaldi, der ionische Flüchtling, und der Agent des Kaisers Napoleon - bei der Sotti der Fürstin von Jhansi zugegen sein konnte, während wir ihn doch in der entfernten Präsidentschaft Madras auf dem Jagdzug zum Nissam von Heiderabad verlassen haben.


Der Kopf der Riesenschlange fuhr erschreckt zurück vor dem Pulverblitz aus dem Rahmen des Fensters. Diesen kurzen Augenblick benutzte Eglinton, um die Jalousie zuzuwerfen und den innern Laden zu schließen.
Dann, ohne sich um die Ohnmächtige und das schreiende Kind zu kümmern, sprang er zu den übrigen Fenstern und that ein Gleiches.
Man hörte die Schlange sich draußen auf und nieder wälzen und rund um das kleine Gebäude hin und her fahren. Die schwache Kugel des Revolvers konnte ihr, auch wenn sie getroffen, wenig gethan haben. Doch fand jene an der glatten, runden und gewölbten Außenseite des Pavillons keinen Halt, sich zu stützen,
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und die Stämme der Palmen standen zu weit entfernt, um von hier aus ihre gewaltige Muskelkraft gegen die Wände und Fenster des Gebäudes anwenden zu können.
Jetzt erst wandte sich Lionel Eglinton zu der Geliebten und trug sie auf das Ruhebett, das Kind setzte er neben sie und warf sich dann einen Augenblick auf einen Stuhl, um über die schreckliche Lage, in der sie sich befanden, nachzudenken und einen Entschluß zu fassen.
Aber es ließ ihm keine Ruhe - wieder sprang er auf, untersuchte nochmals Fenster und Thür und prüfte die kleine, unbedeutende Waffe, die allein er besaß.
Eglinton kannte zu wenig von der Natur und den Gewohnheiten des furchtbaren Ungeheuers, um ganz das Schreckliche ihrer Lage zu begreifen; dennoch wußte er genug, um zu ahnen, daß sie sehr unangenehm werden konnte, wenn die Schlange sich nicht bald entfernte.
Man mußte dann kommen, um die Lady zu suchen, - man würde zwar die Anaconda vertreiben, - aber es war dann nicht mehr möglich, zu entfliehen und man würde ihn im Pavillon der Dame finden.
Welche Entschuldigung, welche Ausrede für seine Rückkehr konnte er anführen?
Armer Thor - wenn es nur das gewesen wäre, eine conventionelle Lüge zu erfinden! - Als ob die Anaconda so leicht ihre Opfer entwischen ließe!
Er war jetzt ruhiger, gefaßter geworden, und bemühte sich nun, die Geliebte in's Leben zurückzurufen, indem er ihr Wasser in's Gesicht goß.
Hätte er gewußt, daß er wenige Stunden später jeden Tropfen Kieses vergeudeten Wassers mit seinem Blute gern zurückgekauft - wie sparsam würde er damit umgegangen sein.
Lady Helene schlug endlich die Augen auf - ihr Blick, erst träumerisch, suchte bald mit Entsetzen umher.
»Um Gotteswillen, Lionel - was ist geschehen - ich erinnere mich - welch furchtbarer Anblick - was hat das zu bedeuten? welche Gefahr bedroht uns!« Sie preßte das goldgelockte Haupt ihres Knaben an die ängstlich wogende Brust.
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»Beruhigen Sie sich, Helene, ich beschwöre Sie - wir sind für den Augenblick in Sicherheit, aber nur Ruhe und Fassung kann uns aus der Gefahr helfen. Ein unglücklicher Zufall muß eine der gefürchteten Riesenschlangen aus den unzugänglichen Wildnissen des Gebirges, in denen sie sonst nur zu hausen pflegen, hinab in die Thäler getrieben haben. Sie hat sich auf diesen Hügel verirrt und war im Begriff, sich durch die geöffnete Jalousie in den Kiosk zu stürzen. Gottes allmächtige Hand hat uns Alle gerettet durch die Stimme unsers Kindes. Die Schlange tobt zwar noch draußen zwischen den Stämmen der Palmen, aber wenn sie hier keine zugängliche Beute sinket, so wird sie sich in kurzer Zeit einen andern Aufenthalt suchen.«
»Aber bis dahin? - Es können Stunden vergehen, und bis dahin wird man längst gekommen sein, mich zu suchen, und Dich hier finden.«
Der Offizier blickte finster vor sich hin. »Es sind noch vier Schüsse in diesem Revolver, ich will versuchen, die Schlange zu vertreiben, oder wenigstens mir den Weg zu bahnen, um Hilfe zu holen, wenn Du nur den Muth haben willst, so lange allein zubleiben.«
»Um Gotteswillen - bist Du wahnsinnig? Ich sterbe hundertfachen Tod, wenn Du gehst.«
»So laß uns ausharren und auf Gott vertrauen.«
Die junge Frau sah, die Hand gefaltet, starr vor sich hin. »Auf Gott? - Ist es nicht seine Strafe, daß er dies Ungeheuer gesandt hat?«
Ein tiefes Weh durchzuckte das Herz des Offiziers. »Ja, das ist die Schuld der Sünde, zu der ich Dich verleitet und die Du mir vorwirfst. Arme Helene! Durch mich wirst Du verderben, die Du glücklich und geehrt hättest leben können. Ich bin ein Elender, der Vernichtung dem bringt, was er am meisten geliebt auf der Welt.«
Sie flog an seinen Hals, sie preßte ihr thränenvolles, kaltes Gesicht an das seine. »O verzeihe mir, Lionel, daß ich, die so viel Muth hatte, die mit Dir über Berge und Meere fliehen wollte, um Dich endlich ganz zu besitzen, bei der ersten Gefahr so kleinmüthig sein konnte. Nur daß sie in so häßlicher Gestalt
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kam, daß sie das Haupt unsers Kindes bedrohte, machte mich einen Augenblick erbeben. Nicht Du, ich war es, die Dich hierher rief. Ich will Deine starke Helene sein, das Weib, das treu zu Dir halt, in Noth und Tod, und ob uns das Schlimmste geschieht, wir wollen muthig und fest sein. Fallen wir dem Ungeheuer, zum Opfer, so, sterben wir drei zusammen, und Gott hat uns für ewig vereinigt. Kommt er, der sich mein Gemahl nennt, - entdeckt er, was er endlich erfahren muß - nun, so will ich muthig vor ihn treten und sagen: Dein ist die Schuld, nicht die unsere! Mit Deinem Gold glaubtest Du Liebe erkaufen und Herzen trennen zu können - tröste Dich mit Deinem Golde und laß uns, fern von Dir, Dich bedauern.«
O welcher unendliche Schatz von Liebe liegt im Frauenherzen, und erst die Stunde der Gefahr, die Tod und Verderben droht, läßt sein lauteres Gold in vollem Glanze strahlen.
Nachdem sie das Kind auf das Ruhebett gelegt und mit den Vorhängen bedeckt hatten, traten sie Arm in Arm an eine der Jalousien, um vorsichtig nach dem Feinde zu lauschen, der draußen umher tobte. -
Als sie den innern Laden geöffnet, gewährten die Spalten der Jalousie Raum genug, um durch sie hindurch die Schlange zu beobachten.
Der Anblick war furchtbar und mußte selbst das stärkste Männerherz erschüttern.
Jetzt erst begriff der Offizier die große Furcht der Eingebornen vor diesem Ungeheuer.
Die Schlange hatte sich auf eine der höchsten und stärksten Palmen, etwa 30 Schritt von dem Pavillon entfernt, zurückgezogen.
Dieser mächtige, zähe Stamm bewegte sich unter ihren unaufhörlichen Windungen, als würde er von einem Orkan gepeitscht. Die Anaconda wand sich wie eine Schraube um ihn her, fuhr bald hoch in die Höhe bis in seine schwanke Mauerkrone, die sie mit ihrer Last zur Erde zu beugen schien, dann schnellte sie eben so rasch zum Boden, wand die Spitze ihres Schwanzes um den Stamm und schnellte sich, wie ein Ast weit hinaus in die Luft.
In dem Sonnenschein glänzten die Farben des Ungeheuers
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auf das Prächtigste. Der Leib war goldgelb, auf dem Rücken in's Grünliche übergehend; purpurrothe Flecken besäeten den ganz mit Schuppen bedeckten Körper. Der Kopf, deutlich sichtbar, war platt und lang, und öffnete von Zeit zu Zeit einen Rachen, der fast zwei Fuß weit aufgähnte und aus dem ein heißer, dicker Brodem qualmte, durch den die spitze, gespaltene Zunge wie ein Blitz umherfuhr. Die Augen, in grünem Feuer leuchtend, waren von der Größe einer Untertasse und erweiterten sich und zogen sich zusammen, je nach der Aufregung der Schlange.
Das Ungeheuer, wenn es so lang ausgestreckt in die Luft schnellte oder auf dem Boden lag, mußte an 11 Yards oder über 30 Fuß messen.
Der schreckliche Anblick drohte alle Standhaftigkeit, allen Muth der zarten, jungen Frau über den Haufen zu werfen und sie zitterte im ersten Augenblick wie im Fieber. Aber mit jener gewaltigen Kraft, welche das Herz giebt, überwand sie nach und nach alle Schwäche und schaute zuletzt fest und ruhig auf die Windungen der Schlange.
Nachdem sie das Fenster geschlossen, setzten sich Beide nieder zu einer Berathung ihrer Lage und der Mittel, sich daraus zu befreien.
Aber diese Mittel - sie waren nicht vorhanden, - die Hilfe konnte ihnen nur von Außen kommen, und eine solche Hilfe war ihr anderes Verderben. Wohin ihr Blick sich auch wandte - Tod und Schmach überall.
Bei allem Muth, bei aller Willigkeit, sein Leben zu opfern, sah der Offizier ein, daß sein Verlassen des Pavillons unvermeidlich seine Vernichtung herbeiführen müsse, ohne etwas zur Rettung der Geliebten beitragen zu können, ja daß es die Lage der schwachen Frau nur verschlimmern müsse.
Ueberdies erklärte sich die Dame selbst energisch gegen jeden solchen Versuch und Lionel fühlte, daß er ihrem Willen zu gehorchen habe.
Dann schlug er vor, die ihm noch übrig gebliebenen Schüsse des Revolvers gegen die Schlange zu versuchen, wenn ihr Leib in die Nähe des Pavillons käme. Aber er selbst begriff, wie schwer es sein würde, bei den blitzschnellen Bewegungen des
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Ungethüms den Kopf, den einzig empfindlichen Theil desselben, zu treffen, und daß die schwachen Kugeln an jeder andern Stelle von dem Schuppenpanzer zurückprallen würden.
Der Knall der Schüsse - wenn auch noch so leicht - konnte außerdem früher, als nöthig war, seine Anwesenheit in dem Pavillon verrathen, was ein glücklicher Zufall vielleicht ganz verhinderte.
Es blieb also nur das Warten - das geduldige Abwarten und Ausharren.
Nachdem sie zu dieser Ueberzeugung gekommen, nahmen Beide wieder ihren Beobachtungsposten an den Jalousien ein, aber diesmal getrennt - die Lady an den Fenstern gegen Norden, der Offizier an denen gegen Süden. Zuvor hatten sie die Thür mit allem schweren Geräth des Gemachs sorgfältig verrammelt.
So beobachteten sie die Schlange und den Rand des Wäldchens.
Plötzlich -, in demselben Augenblick - stießen Beide einen Schrei aus.
Zwischen den Lianen, den Geranien und Oleanderbüschen, welche das Tamarindenwäldchen umsäumten, das die Seiten des Hügels bedeckte, erschienen auf beiden Seiten menschliche Gestalten.
Auf der nach Süden wurden der Fakir und Caulathy Mudaly, der Ryot, sichtbar - auf der entgegengesetzten erschienen der Baronet, das Hindumädchen, die, Marquise und mehrere Diener.
Jeder dieser Punkte mochte etwa 200 Schritt von dem Pavillon entfernt sein.
Deutlich erkannte die Lady die Gestalten, sie sah das Händeringen ihrer jungen Dienerin, die entsetzten, furchtsamen Geberden der indischen Diener, die alsbald wieder hinter den Tamarindenstämmen verschwanden, - endlich die Flucht ihrer treulosen Gesellschafterin bei dem Anblick des den Pavillon umtobenden Ungeheuers.
Nur ihr Gemahl blieb unerschüttert wohl zwei Minuten lang zwischen den Bäumen stehen, ja er trat einen oder zwei Schritte vor, die Arme über die Brust gekreuzt, den gefährlichen Feind beobachtend, der seine Familie bedrohte.
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Die Entfernung war zu groß, um seine Gesichtszüge beobachten und den Ausdruck erforschen zu können, der sie belebte. Nur die energische, ungewohnte Haltung des Baronet, den die Gefahr nicht zu kümmern schien, fiel der treulosen Gattin auf.
Die Gedanken, die ihr Inneres durchbebten, was sie litt in jenen Augenblicken - wie kurz sie auch waren, doch so unendlich voll Jammer - sollte es vor dem Throne Gottes nicht eine Buße gewesen sein für den Frevel gegen die Gebote der Moral?
O, Gott ist allgütig - und wer mag sich erdreisten, zu sagen, mit welcher Wage er die Sünden menschlicher Herzen wägt? -
Der Baronet trat zurück - seine hagere Gestalt verschwand zwischen den Stämmen der Tamarinden.
Auch Sofi, der geheimnißvolle Derwisch, und sein Gefährte, der Ryot, waren auf ihrer Seite unter den Schutz des Gehölzes, zurückgekehrt.
Die beiden Unglücklichen im Pavillon sahen sich aufgeregt an - mit stockenden Worten verkündeten beide einander, was sie gesehen.
Die Entdeckung des Offiziers - selbst im glücklichsten Fall her Rettung - war jetzt unvermeidlich,
Aber gerade das Unvermeidliche giebt die Kraft des Widerstandes und stärkt die Elastizität der Seele.
Ihre Hände umschlossen sich fest - jetzt war es entschieden, jetzt galt es den offenen Kampf und Widerstand nicht blos gegen das Ungeheuer des Urwaldes, sondern auch gegen die Menschen.
Leise weinte das Kind! - - -
Der Baronet wandte sich ab von dem Anblick, den der belagerte Pavillon bot und kehrte in die Tiefe des Wäldchens zurück.
Nur Zelima, die Tochter des Ryot, und Burton, der Verwalter, der mit den Dienern eilig herbeigekommen und, außer dem Baronet der einzige anwesende Europäer, hatten es gewagt, in seiner Nähe zu bleiben.
»Goddam, Mylord!« sagte der würdige Mann, »das ist eine böse Geschichte. Seit ich die Ehre habe, Ihr Gut zu
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verwalten, ist ein so scheußliches Thier noch nicht in die Niederungen gekommen. Man sagt, daß die Riesenschlangen sich nur in den undurchdringlichsten Theilen des Gebirges aufhalten und der Teufel selbst muß die Bestie hierher geführt haben. Ich hoffe, daß Mylady und der junge Lord glücklich in dem Pavillon sind und nicht etwa schon in dem Magen des Scheusals. Es soll einen höllischen Appetit haben und könnte wohl drei Menschen auf eine Mahlzeit verschlingen.«
Der Nabob sah ihn mit durchbohrendem Blick an. »Drei Menschen? - was wissen Sie von drei Menschen, Burton? - Wie sollen drei Menschen in den Pavillon kommen?«
»Ei, Mylord - ich meinte nur so, von wegen des Appetits der Bestie. Es könnte indeß Nichts schaden, wenn Mylady einen tüchtigen Mann zu ihrem Beistand in dieser Noth in jener schwachen Baracke hätte. Wie gesagt, es frägt sich nur zunächst, ob das Unglück nicht schon geschehen ist.«
»Die Herrin ist mit dem kleinen Sahib noch unverletzt in dem goldnen Hause,« erklärte das Hindumädchen.
Der Baronet wandte sich rasch zu ihr. »Woher weißt Du das mit solcher Bestimmtheit?«
»Siehe selbst, Sahib - die Jalousien sind geschlossen; als ich von dem Pavillon ging und die Herrin mir unter den Tamarinden zu warten befahl, war das Fenster, das hierher geht, geöffnet.«
Der Rath starrte finster vor sich hin, ohne eine Antwort zu geben.
»Was ist zu thun, Mylord?« fragte der Verwalter, »wir erwarten Ihre Befehle.«
Die meisten der geflüchteten Diener hatten sich in dieser Entfernung wieder um den Gebieter gesammelt und zeterten durcheinander in Wehklagen und Erzählungen von der Gewalt und Furchtbarkeit der Anakonda. Alle aber waren darin einig, daß jeder Kampf gegen das Ungethüm vergeblich sei.
Sie waren jetzt bis zu der Stelle gekommen, wo die Marquise bei der Flucht vor dem schrecklichen Anblick inne gehalten und unter dem Beistand einiger Dienerinnen sich wieder erholte.
»O Sir, das entsetzliche Unglück! Um Gotteswillen, sagen
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Sie mir - was ist geschehen? Die arme Frau - so schrecklich das unvorsichtige Verweilen zu büßen! - unser armer Master Eduard, der liebe Knabe! - und am Ende auch Eglinton - -«
Der Rath faßte sie scharf am Arm. »Schweigen Sie,« sagte er rauh, »bis ich die Ueberzeugung habe. Noch sind jene da drinnen mein Weib und mein Sohn.«
Er wandte sich zu dem Verwalter. Auf seinem Antlitz, so apathisch und ruhig es sonst war, malte sich der gewaltige Seelenkampf der Vaterliebe mit dem giftigen Wurm des Verdachts, den die Schlange - schlimmer als jene dort, die sich um die Cocospalmen wand - in sein Herz gestreut.
[»]Lassen Sie sofort alle Gewehre, die in dem Hause vorhanden sind, hierher bringen, und das ganze Dorf aufbieten. Vielleicht, daß wir mit großen Lärmen die Schlange verscheuchen. Wir müssen Mylady durch irgend ein Zeichen in Kenntniß setzen, daß Hilfe in der Nähe ist. Die - arme Frau liegt vielleicht vor Schreck in Ohnmacht.«
Ohne auf seine Umgebung weiter zu achten, ging er nach dem Saume des Wäldchens zurück und feuerte hier nacheinander die beiden Pistolen ab.
Unterdeß waren auf das schnell verbreitete Gerücht von allen Seiten die Dorfbewohner herbeigeeilt, Alles aber hielt sich in respectvoller Entfernung von dem Platz der Gefahr.
Die Angst, welche die Eingebornen vor der Anaconda hatten, schien jede Kraft, jeden Gedanken eines Angriffs in ihnen zu ersticken.
Man schleppte Alles herbei, was an Waffen auf dem Bungalow und in dem Dorfe zu finden war, aber es war wenig genug. Außer einem paar alten, unbrauchbaren Luntenflinten der Eingebornen, waren nur zwei leichte Jagdgewehre vorhanden. Die Jäger hatten sämmtliche Büchsen mit sich fortgenommen.
Während der Zeit waren unter dem Gewühl der Landleute langsam auch der Derwisch und sein Wirth herbeigekommen. Der Ryot geberdete sich kläglich wie ein Kranker und Lahmer, weil er die Aufforderung, die Jäger zu begleiten, unter diesem Vorwand abgelehnt hatte.
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Auf den Befehl des Rathes war man beschäftigt, an einigen Stellen große Feuer anzuzünden, theils um die Schlange zu erschrecken und zum Rückzug zu bewegen, theils um sie abzuhalten, sich auf diese Seite zu stürzen.
Mit aller Mühe war es dem Baronet nicht gelungen, einen Kreis von Wachen um den offnen Raum zu ziehen; die Bauern und Diener verweigerten geradezu den Gehorsam und hätten weit eher die Strafe des Annundale oder Kitty erduldet, als dem Ungeheuer gegenüber Posten zu stehen.
Es waren jetzt, seit der Entdeckung der Schlange, wohl an zwei Stunden vergangen, und der Abend begann sich rasch über die Hügel niederzusenken. Der Baronet entwickelte eine fieberhafte Thätigkeit, sprach aber nur selten ein Wort. Man hatte verschiedene Flintensalven auf das Ungethüm abgefeuert und die Hindu's hatten auf das Gebot ihres Herrn mit allen möglichen Gegenständen einen schauderhaften Lärmen erhoben, aber die Anaconda hatte sich um die leichten, aus großer Entfernung und mit unsicherer Hand abgeschossenen Kugeln wenig gekümmert, und wenn sie nur eine Bewegung machte, als wolle sie auf diese Gegend des Waldes sich zuwälzen, stürzte die feige Menge im eiligsten Laufe davon. Die Anaconda setzte noch immer mit unverminderter Wuth die Sprünge und ihr Auf- und Niederrollen fort.
An den riesigen Stamm einer Tamarinde gelehnt, stand der reiche und mächtige Mann, dessen Wink Millionen armer Menschen beherrscht, und schaute starr und finster hinüber nach dem Pavillon, dessen Formen in dem Schatten des Abends versanken. Seine Hand hielt ein Fernrohr, das er von Zeit zu Zeit an sein Auge brachte, nach dem unglücklichen Gebäude zu sehen, das Alles barg, was er im Leben liebte oder zu lieben glaubte.
Der Verwalter, nicht bösartig gerade von Herzen, nur gewissenlos und ohne alle Grundsätze, wenn es galt, sein Ziel zu verfolgen, war seinem Herrn dienstfertig zur Seite und that alles Mögliche, seine Befehle auszuführen, denn ihn jammerte wirklich das Schicksal der armen jungen Frau und des Kindes.
»Mylord,« sagte der Mann, »diese Leute, die ich befragt, behaupten, daß die Anaconda Tage, ja Wochen lang auf dem
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Fleck zuzubringen pflegt, den sie einmal zu ihrem Aufenthalt gewählt. Es fehlt uns an Männern, sie zu vertreiben. Soll ich nicht lieber einen Eilboten den Gentlemen nachsenden, die diesen Morgen zur Jagd aufgebrochen sind, oder dem Havildar und seinen Sepoys, die nach den Dörfern am Meere abzogen?«
Der Baronet erwachte aus seiner Erstarrung. »Sie haben Recht, Burton. Der Rath ist gut - wir hätten es längst thun sollen. Senden Sie einen Boten auf dem besten Pferd an Major Maldigri und die Offiziere, sie um die schnellste Rückkehr zu bitten. Ein anderer soll dem Deputy-Collector und seinen Sepoy's folgen. Eilen Sie, versprechen Sie Geld - Alles, was Sie wollen - nur schnell.«
Burton ertheilte einem der Hindu-Diener den ersten Auftrag; ein Pferd war zur Stelle und der Diener jagte eilig davon.
Wenige nur achteten darauf, daß der Fakir sich zu seinem Wirth beugte und ihm einige Worte zuflüsterte. Caulathy Mudaly verschwand sogleich.
»Ich will selbst gehen und das schnellste Pferd satteln,« sagte der Verwalter. »Es sind noch Diener im Bungalow, und ich werde den geschicktesten aussuchen.«
Der Rath nickte schweigend Zustimmung und der Verwalter eilte nach dem Landhause, um die Befehle auszuführen.
Er hatte jedoch noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legte.
»Hat es Jack Slingsby so eilig, die Befehle eines harten Gebieters zu vollführen?« fragte eine fremde Stimme ihn im Hindostani.
Der Mann erbebte. »Höll' und Teufel! wer ist es, der mich seit drei Tagen in diesem Lande zum zweiten Mal an den verfluchten Namen erinnert?« Seine Hand fuhr nach dem Gürtel, als suche sie dort eine Waffe, sein Auge maß die Gestalt, die ihm in den Weg getreten, und erkannte mit Erstaunen den indischen Fakir.
»Also Du bist, es, bettelnder Schurke, der dem Weibsbild diesen Namen zugeflüstert? Was weißt Du von ihm? - was willst Du von mir? sprich, oder ich erwürge Dich!«
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»Wenn Du Jack Slingsby bist, den man im Lande der Faringi den schönen Jack nannte,« fuhr der Andere ruhig fort, »so habe ich einen Auftrag an Dich!«
»Hund von einem Hindu - ob ich den Namen kenne oder nicht, es kann Dir gleich gelten. Immerhin sage Deinen Auftrag, und von wem er kommt.«
[»]Du bist im Begriff, den Peons und Soldaten des Deputy-Collector einen Boten nachzusenden, um sie zurückzuholen?«
»Das siehst Du, schwarzer Schuft!«
»Ay, wohl! Du wirst es unterlassen!«
»Wer - ich? - ich wollte den sehen - -«
»Es ist Deine Sache, Freund! Wenn ein Mann zurückkehrt, so wird der Havildar sofort benachrichtigt werden, daß Burton, der Verwalter, vor drei Jahren aus Botany-Bay mit fünf anderen Deportirten zum zweiten Mal entsprungen ist und ein Preis von hundert Pfund auf seinem Kopf steht, da er zu zwanzig Jahren in den Bergwerken verurtheilt war.«
»Damned! wer bist Du, Verräther?«
»Ein armer Fakir, wie Du siehst, der im Auftrag eines Mächtigern handelt. Wallah! Es ist unser Schicksal, uns zu fügen in das, was wir nicht ändern können. Thue es, und Niemand wird Dich in Deinem Amte stören.«
Der schöne Jack, - der kurz nach den im ersten Theil unserer Geschichte erzählten Ereignissen in London wieder ergriffene und deportirte Verbrecher, der sich bei seiner zweiten Flucht nicht wieder nach Europa gewagt, war es wirklich - murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin. »Wenn ich's auch wollte - es könnte eben so gut Verdacht erregen, den Befehl des Baronets nicht auszuführen,« sagte er unentschlossen.
»Thörichter Faringi, Du brauchst Deinem Boten nur eine falsche Richtung anzugeben, oder zu sagen, Du hättest ihn abgeschickt. Bist Du ein so geringer Lügner in Deinem Gewerbe?«
»Und bin ich Deines Schweigens sicher, wenn ich thue, was Du willst?«
»Ich verlasse morgen - wenn die Sache dort oben,« der Derwisch wies nach dem Palmenhügel zurück - entschieden ist, diese Gegend. Ich gelobe es Dir bei Allah!«
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Der ehemalige Dieb bedachte sich einen Augenblick. »Gut - ich will Dein Verlangen erfüllen. Im Grunde, was kümmert es mich, ob die Schlange die Lady und ihre Krabbe frißt!« Auf Englisch setzte er, sich abwendend, hinzu: »Gott verdamm! Der Kerl hat mich wahrhaftig in's Bockshorn gejagt, und ich habe keinen ähnlichen Schrecken gehabt, seit der Nacht, wo ich die Leiche in der Cleveland-Straße stahl und die schöne Lady in der Mount-Street todt vor mir sah. Am Besten, ich versuche, ihn stumm zu machen, wie sie war.«
Er steckte die Hand in die Tasche und kehrte sich zu dem alten Fakir, entschlossen, ein neues Verbrechen für seine Sicherheit zu begehen. Aber ehe er noch die geringste Bewegung machen konnte, fühlte er sich wie mit Riesenhand gefaßt und zu Boden geschleudert.
Im nächsten Moment war das Knie des Fakirs auf seiner Brust, der Dolch, den er gefaßt, seiner Hand entwunden, und funkelte, zum Stoß erhoben, über ihm. Zwei durchbohrende, glänzende Augen bewachten jede seiner Bewegungen, das ganze Aeußere des alten indischen Bettlers schien sich wie mit einem Zauberschlage verwandelt zu haben.
»Keinen Laut - keinen Zuck,« sagte eine klare, feste Stimme in gutem Englisch - oder Du bist des Todes, Bursche!«
Der Ueberwundene ächzte unter der gewaltigen Faust seines Siegers und schnappte nach Luft.
Die Hand, die an seiner Kehle lag, lockerte sich. »Antworte jetzt auf die Fragen, die ich Dir thun werde,« befahl der seltsame Fakir, »aber rasch und der Wahrheit gemäß. Bei dem ewigen Gott! Bursche, es soll Dir Nichts geschehen für vergangene Thaten, welche sie auch sein mögen. Aber beim geringsten Versuch einer Lüge zerschneidet dieses Messer Deine Kehle.«
Das Gesicht des ehemaligen Gentleman-Spitzbuben, des Helden aller Damen der Verbrecherbevölkerung Londons, hatte sich blauroth gefärbt. Er hatte alle Energie verloren und ergab sich in das Unvermeidliche, denn er fühlte, daß jeder Widerstand hier vergeblich sei.
Unwillkürlich den alten prahlerischen Gewohnheiten folgend, stammelte er: »Lassen Sie mir Luft, Sir, und behandeln Sie
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mich als Gentleman. Sie sind ein Engländer, wie ich vermuthe, obschon ich Ihr Interesse an längst vergangenen Geschichten nicht begreife, und wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß ich keinerlei Schaden davon haben soll, will ich Alles aufrichtig sagen, was Sie verlangen und ich weiß.«
Der Fakir erleichterte noch mehr den Druck, den er auf den Niedergeworfenen übte, ohne jedoch dabei die Vorsicht aus den Augen zu lassen.
»Du sprachst von einem Leichendiebstahl, den Du in der Cleveland-Straße begangen. Wessen war die Leiche?«
»Die eines reichen Nabobs, wie ich später hörte. Eigentlich war nicht ich, sondern Hampton, der Burker, der Dieb. Es war großes Gerede und Nachforschung darum, aber die Sache kam niemals heraus.«
»War der Diebstahl des Todten Eure eigentliche Absicht bei dem Einbruch?«
»Nein, Sir - er geschah blos aus Zufall und Muthwillen.«
»Und was wolltest Du in der Wohnung? Ich weiß, daß Kostbarkeiten damals nicht geraubt worden sind.«
Diese Kenntniß der Sache machte den Dieb noch kleinlauter. »Ich stahl gewisse Papiere, die sich dort befanden - ein Portefeuille.«
»Für Dich?«
»Nein, Sir - im Auftrag eines Dritten.«
»Wer war dieser?«
»Eine Dame, Sir - aber - ich versprach auf meine Ehre, sie nicht zu verrathen.«
»Das Ehrenwort eines Spitzbuben,« sagte der Fragende verächtlich. »Wer war die Dame? Sprich, oder ich werde Dich reden machen!« Die Spitze seines Dolches kitzelte die Kehle des Liegenden.
»Bleiben Sie davon, Sir,« rief dieser - »solchen eindringlichen Gründen kann man nicht widerstehen. Ueberdies ist die Dame nicht mehr am Leben, Ihren Namen sagte sie mir nicht, obschon ich ihn später in den Zeitungen las. Ich mußte ihr das Portefeuille nach ihrer Villa im Hyde-Park an der
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Mount-Street bringen und that es als Gentleman. Sie war eine Schönheit, die einen Mann wohl in Flammen setzen konnte, aber sie hatte auch ein verdammt hübsches Kammerkätzchen, mit dem ich eine Stunde verplauderte.«
»So warst Du der Mörder der Lady Georga Savelli? Gestehe, Bube!« herrschte der Fremde mit furchtbarem Ernst und hob den Dolch zum Stoß.
»Um Gotteswillen, Sir - gedenken Sie Ihres Wortes. Bei Allem, was einem Kerl, wie ich bin, heilig sein kann, ich schwöre Ihnen, Sir, ich that der Lady kein Leid an, obschon ich einen Augenblick große Lust dazu hatte. Man hat den wahren Mörder ja entdeckt und verurtheilt. Es war ein vornehmer Liebhaber - ein Parlamentsmitglied - er wurde deportirt, noch früher als ich, obschon er hatte gehenkt werden müssen, wenn die Vornehmen nicht untereinander zusammen hielten.«
»Aber ich hörte Deine Worte, Lügner - ich hörte Dich murmeln von der ermordeten Dame!« und wiederum zuckte die Hand mit dem Dolch zum Stoße empor.
»Halten Sie ein, Sir - auf meine Ehre - meine Hände sind rein von diesem Verbrechen. Ich gestehe es - ich schlich mich in derselben Nacht noch in das Schlafzimmer der Dame, um nöthigenfalls Gewalt gegen sie zu gebrauchen, denn ihre Reize hatten meine Sinne bis zum Rasendwerden entflammt, aber was ich sah - kühlte mein Blut für Jahre ab.«
»Und Du sahst?«
»Ich sah die Lady als Leiche - erwürgt - mit gräßlich hervorquellenden Augen und zusammengepreßtem Mund. So lag sie auf ihrem seidenen Bett. Der schurkische Mörder - Gott verdamme ihn! - war mir zuvorgekommen. Das kommt von den Tändeleien mit Kammermädchen!«
Der Fakir wischte den kalten Schweiß von seiner Stirn, seine sehnige Gestalt zitterte vor innerer Erregung.
»Aber die Papiere, die Du der Lady gebracht?«
»Ich weiß Nichts davon, ich kümmerte mich wenig darum, sondern rannte, als hätte ich den Teufel gesehen, davon. Anfangs hielt ich einen Kameraden, einen schurkischen Juden und Hehler, für den Thäter, bis sie später den rechten ermittelten.«
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»Das, was Du mir gesagt - ist Alles? ist wahr?«
»Bei meiner armen Seele, Sir, wenn ich eine habe. So wahr ich seit zwei Jahren bemüht bin, ein ehrlicher Mann zu werden! Aber nun, Sir - lassen Sie mich empor - Sie wissen Alles, was ich weiß und was mich an den Galgen bringen kann, und bis dahin möcht ich wenigstens eine etwas bequemere Lage genießen, als hier unter dem schweren Druck Ihres Kniees.«
Der Fakir stand auf. »Geh,« sagte er finster, »und bedenke, daß Du meinen Worten unbedingt zu gehorchen hast, wenn Du nicht Verderben über Dein eigenes Haupt bringen willst.« Er schritt langsam und nachdenkend in die Gebüsche.
Burton - alias Jack - schüttelte sich wie ein begossener Hund. »Der Henker hole den Burschen,« brummte er, aber es war Nichts zu machen gegen ihn, er hat eine Faust wie von Eisen und sie hätte mich kalt gemacht, wenn ich nicht seinen Willen gethan. Ist mir doch, als hätte ich diese Stimme schon gehört, - ich kann mich nur nicht besinnen, wo? - Einerlei - es wird sein Vortheil so gut sein, wie der meine, zu schweigen.«
Mit dieser Betrachtung machte er sich auf, seinem Herrn die Nachricht zu bringen, daß er einen Eilboten hinter dem Deputy-Collector und seiner Begleitung her gesandt habe.
Die Lage an dem Schauplatz der unglücklichen Katastrophe hatte sich seitdem nicht geändert. Obschon die Nacht jetzt völlig eingetreten war, schien der Glanz der Feuer die Schlange doch in fortwährender Unruhe zu erhalten, und man hörte deutlich ihr Auf- und Niederwälzen.
Der Rath hatte die Aeltesten des Dorfes um sich versammelt, und sie um die Natur, die Gewohnheiten des Ungeheuers und die beste Art befragt, es anzugreifen. Alle wußten Schreckliches genug zu erzählen, Niemand aber zweckmäßigen Rath zu ertheilen, und als der Einzige, der solchen zu geben vermöchte, und der mit den Boa's schon persönlich auf seinen Jagdzügen zu thun gehabt und deshalb ihre Natur am besten kenne, wurde Caulathy Mudaly, der freie Ryot, bezeichnet.
Man hatte nach ihm gesandt, aber Caulathy Mudaly, den Viele noch kurz vorher in Gesellschaft des Derwisch auf dem Platze gesehen, war jetzt verschwunden.
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Der Baronet machte den Vorschlag, daß die ganze Schaar, mit Bränden bewaffnet, gegen das Ungethüm in der Dunkelheit vorrücken solle, um es so vielleicht durch den ungewohnten Glanz zu verscheuchen, indem er erklärte, vorangehen zu wollen. Er bot große Geldbelohnungen; - als es aber zur Ausführung kam, sah er nach den ersten zwanzig Schritten nur noch Burton bei sich - die feigen Hindu's waren trotz aller Versprechungen entflohen und verkrochen sich hinter den Stämmen der Tamarinden.
Er sah ein, daß es ein Wahnsinn wäre, den Versuch allein unternehmen zu wollen und daß man das Tageslicht abwarten müsse.
Mit gekreuzten Armen, das Haupt auf die Brust gesenkt, schritt er ruhelos und nur selten ein Wort sprechend an dem vordersten Feuer auf und nieder. Vergeblich hatte sich selbst die Marquise bis hierher gewagt, ihn zu bitten, sich einige Ruhe zu gönnen. Er wies sie kurz und rauh zurück, seinen Gang fortsetzend. Ein Cirkel fieberhafter Röthe lag auf seinen Wangenknochen, seine Augen irrten bald rastlos umher, bald blickten sie starr und bewußtlos vor sich hin.
Nur das Weib, das so boshaft das Gift in seine harte, stolze, bisher so unempfindliche Seele gegossen, begriff den Kampf, der ihn verzehrte.
So verging die Nacht - entsetzlich den Eingeschlossenen, Bedrohten im Innern des Pavillons - aber gewiß eben so bitter, eben so furchtbar dem Gatten und Vater, dem zwischen Tod und bitterm Betrogensein die schreckliche Wahl blieb.
Als die erste Morgendämmerung die Spitzen der Palmen erleuchtete, berief der, Baronet nochmals seine Diener und die Bewohner des Dorfes um sich, einen neuen Versuch durch Ueberredung und Anerbietungen zu machen, sie zu einem gemeinsamen Angriff zu bewegen. Aber die Furcht vor der Schlange, die jetzt lang von dem Gipfel einer Kokospalme hing und sich in der Morgenfrische hin- und herwiegte, war dieselbe geblieben, und Jeder erklärte, sein Leben sei ihm lieber, als Gold und anderes Besitzthum.
»Wallah!« sagte einer der Diener, - »Gott und der
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Prophet allein wissen, ob die Herrin und Massa Eduard noch am Leben. Es ist nicht möglich, in dem giftigen Dunst dieses Thieres, das bis hierher dringt, zu athmen.«
In der That schien selbst in dieser Entfernung, wenn der Luftzug von jener Seite her wehte, der heiße Brodem aus dem Rachen der Schlange die Luft schwer und dick zu machen.
Der Zweifel, ob Weib und Kind noch am Leben wären, war schon früher wieder in der Seele des reichen Mannes emporgestiegen.
Plötzlich erscholl die Stimme des Verwalters von der vordern Baumreihe her: »Ein Zeichen! ein Zeichen! Mylady lebt und giebt uns ein Zeichen davon!«
Der Bösewicht, der so manches schlimme Verbrechen auf seiner Seele hatte, freute sich wie ein Kind, als er diese Nachricht geben konnte.
In der That sah man aus den oben beschriebenen, von einem vergoldeten Eisengitter gebildeten Oeffnungen des obersten Doppeldaches des Pavillons eine Art von Stange oder Stock sich erheben, von dessen Ende ein daran befestigtes Tuch wehte.
Trotz des erweckten Argwohns blitzte eine heilige, ermuthigende Freude in die Seele des reichen Mannes, als er damit den Beweis erhielt, daß die Frau, der er seinen Namen gegeben, noch unter den Lebendigen sei.
Und wenn es die Mutter war, mußte es auch das Kind sein!
Aber das Zeichen konnte nicht allein verkünden, daß die Bedrohten noch am Leben - es konnte auch bedeuten den dringenden Ruf um Hilfe, den letzten Nothschrei der Sterbenden.
Der Baronet riß dem Verwalter die Doppelflinte aus der Hand, die dieser eben wieder geladen. Er war entschlossen, wenn es sein müsse, allein den Versuch zur Rettung der Seinen zu machen, den Kampf mit der Schlange zu wagen.
Die Scene, die sich jedoch in diesem Augenblicke ereignete, fesselte seinen Fuß.
Die Anaconda schien erst jetzt die hin- und herbewegte Stange mit dem wehenden Fähnchen daran zu bemerken. Sie hielt es für etwas Lebendiges und schoß mit einem gewaltigen Sprung darauf zu, um das Dach des Pavillons ihren langen Schuppenleib
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windend. Man sah, wie das Fähnchen in ihren Ringen zerbrach und verschwand und wie ihr aufgesperrter Rachen an dem Gitterwerk des Daches hin[-] und herfuhr, das zu breit und glatt war, ihrem Körper einen genügenden Anhaltepunkt zu bieten, um es zerbrechen zu können.
In dieser entsetzlichen Situation hörte man von dem Pavillon her den schwachen Knall eines Schusses - dann einen zweiten - einen dritten!
Der Baronet blieb stehen; sein von der Aufregung des beabsichtigten Unternehmens geröthetes Gesicht überzog eine noch fahlere Todtenblässe als früher und er mußte sich auf das Gewehr stützen.
Hierauf, nach wenigen Augenblicken, warf er dasselbe über seine Schulter, wandte sich um und kehrte nach dem sichernden Gehölz zurück. »Es ist Nichts zu machen,« sagte er mit erstarrender Kälte, »wir müssen die Lady ihrem Schicksal überlassen und abwarten, was die Anaconda thun wird. Mylady hat zum Glück wenigstens Waffen im Kiosk und versteht sie zu gebrauchen.«
Sein Blick war so finster, so streng, daß er Burton-Slingsby den Mund schloß, den dieser bereits zum Aussprechen allerlei Vermuthungen über die vernommenen Schüsse geöffnet hatte.
Diese Schüsse hatten jeden Zweifel in der Seele des hochmüthigen Briten beseitigt; er wußte jetzt mit Bestimmtheit, daß die Nachricht der Französin richtig, daß sein Nebenbuhler im Pavillon bei Gattin und Kind, daß er selbst ein schmählich Verrathener und Betrogener war.
Ein neues Ereigniß, das in diesem Augenblick eintrat, hätte ohnedies jeden Zweifel verbannen müssen.
Den Abhang eines entfernten Hügels herab, aus dem Schatten mächtiger Teakbäume sah man einen Indier herankommen, am Zügel hinter sich ein Pferd führend.
Als er näher kam, erkannte man in ihm den Ryot Caulathy Mudaly, in dem Pferde, das er herbei führte, ›Rookeby‹, den trefflichen Renner des Lieutenant Eglinton.
Der Baronet erwartete, an den Stamm einer Tamarinde gelehnt, stumm das Herankommen des Mannes. Er hatte die
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Augen nach dem ersten Erkennen des Pferdes abgewendet und bemerkte nicht, wie der Ryot und der Fakir einen Blick des Einverständnisses wechselten und der erstere mit spöttischem Lächeln einen bejahenden Wink gab, zugleich auf das Pferd deutend.
Erst als der Mann dicht vor ihm war und seinen demüthigen Salem machte, wandte der Baronet die Augen auf ihn, »Du bist der Ryot Caulathy Mudaly?«
»Ja, Sahib. Dein Gedächtniß ist Dir seit wenigen Abenden nicht ungetreu geworden.«
»Wie kommst Du zu diesem Pferde?«
»Ich fand es, an der Quelle im Thal nach Mittag, als ich diese Nacht mich dorthin begab, die Anaconda zu belauern.«
»Es wird sich losgerissen und seinen Reiter abgeworfen haben, und durch seinen Instinkt zurückgekehrt sein,« sagte hastig der Rath, gleich als wolle er den Umstehenden eine natürliche Erklärung der auffallenden Thatsache geben.
»Es ist möglich, Sahib,« bemerkte der Bauer, »aber ich fand es angebunden an einen Stamm.«
Zwei lichtrothe, scharf gegrenzte Flecke zeigten sich auf den hageren Wangen des Engländers, verschwanden aber sogleich wieder, als er rasch fortfuhr:
»Du verstehst Dich auf die Jagd, wie man mir gesagt hat, Mann, oder bist vielmehr der beste Jäger und Spürer dieser Gegend.«
»Ich habe einiges Geschick dafür, Sahib, und das geringe Feld, das ich besitze - oder besaß - ließ mir hinlänglich Zeit, die Jagd auf wilde Thiere zu betreiben und meinen Nachbarn damit einen Dienst zu erweisen.«
»Hast Du die Riesenschlange Eurer Wildnisse bereits gejagt?«
»Ja, Sahib. Es ist selten, daß man auf sie stößt, aber, mit des Propheten Hilfe habe ich zwei Reihen ihrer Zähne als Zeichen guten Glückes in meiner Hütte aufgehängt. Man sagt, daß ihr Besitz den Eigenthümer vor körperlichem Schaden und Beraubung schütze, aber ich habe zu meinem Nachtheil gesehen, daß die Sprüchwörter Lügen enthalten.«
»Wenn Du die Anaconda zu jagen verstehst,« sagte der
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Baronet nach einigem Zaudern und ohne auf die Bemerkung des Ryot zu achten, »so gieb uns die Mittel an, wie das Unthier dort zu vertreiben ist.«
Der Jäger sah mit wenig verstecktem Hohn zuerst nach der Schlange, die von den Schüssen aus dem Pavillon erschreckt, sich wieder an den Bäumen auf und nieder wand, und dann auf den harten Gebieter.
»In jenem Kiosk ist Dein Weib und Dein Kind?«
»Ja.«
»Und sie zu retten, soll ich die Anaconda vertreiben?«
»Allerdings. Fordere jede Belohnung - sie soll Dir gewährt sein.«
»Es ist gefährlich - ja der sichere Tod, einer Schlange, wie dieser, entgegen zu treten,« meinte zaudernd der Ryot. »Es giebt nur ein Mittel, sie zu besiegen. Und dieses Mittel -«
»Nenne es, und fordre, was Du willst!«
»Du hast mich hart behandelt, Sahib,« erwiederte ausweichend der Bauer. »Man sagt, daß in den heiligen Büchern der Christen vom Sohne Mariams empfohlen wird, Gutes zu thun Denen, die uns verfolgen. Aber die Lehre des Propheten weiß Nichts davon und verlangt Zahn um Zahn - Auge um Auge.«
»Verschone mich mit Deinen Sprüchen und zögere nicht länger,« befahl ungeduldig der Nabob. »Ich wiederhole Dir, Du sollst reich belohnt werden.«
»Du hast mir das Land genommen, das ich frei von meinem Vater besaß und nicht zu Lehn,« fuhr der Ryot fort.
»Du sollst es zurück erhalten oder ein anderes!«
»Schau diese Gelenke an, Sahib, sie sind wund von den Knebeln Deiner Diener.«
»Du sollst Gold haben für Deine Schmerzen. Man wird Dir die Steuern erlassen. Aber nun das Mittel - sage Dein Mittel!«
Der Ryot lachte höhnisch auf.
»Es ist so einfach, daß Deine Hand es greifen, das Auge eines Maulwurfs es sehen kann, stolzer Faringi. Warum seid Ihr in dieses Land gekommen, wenn Ihr nicht ein Mal wißt, Eure Weiber und Kinder vor seinem Ungethüm zu schützen? Was
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kümmert mich Dein Blut, daß ich mein Leben dafür einsetzen sollte? - Behalte Dein Gold - ich behalte mein Mittel.«
»Mensch - reize mich nicht!«
»Was sollt' ich fürchten?« fragte keck der Ryot. »Deine Martern? - ich ertrage sie; mein Eigenthum habe ich verloren und wer bürgt mir dafür, daß Du bei nächster Gelegenheit das Erstattete nicht wieder nimmst? Ich habe mein eigen Fleisch und Blut leiden sehen unter den Händen eines weißen Teufels, ärger als die Anaconda dort! Was sie dem Deinen thut, ist Nichts gegen den Jammer, den dieses Kind erduldete!«
Er zog den Kopf seiner Tochter, die sich ihm mit aufgehobenen Händen genaht, an seine Brust.
»O habe Erbarmen, Vater,« flehte das Mädchen. »Die weiße Begum ist gut und hat mir Liebes erwiesen. Rette sie vom Tode um meinetwillen.«
»Nein,« sagte der Mann hart. »Eher sollen sie mich in Stücke reißen. Diese Fallagi mögen ernten, was sie gesäet, und die Verzweiflung kennen lernen, wie ich sie fühlen mußte!«
Aber er schien sich zu täuschen in diesem Punkt. Burton, der sich des Widerspenstigen bemächtigen und ihm mit Gewalt sein Geheimniß entreißen wollte, wurde zu seinem Staunen von dem Baronet kalt zurückgewiesen.
»Lassen Sie den Mann,« sagte er ruhig, gleich als habe er von dem Ryot nur zur Wahrung äußern Scheines seine Hilfe verlangt; »ein Jeder ist Herr seiner Geheimnisse, und das Gesetz giebt uns keine Macht, ihn zu zwingen, sein Leben für einen andern in Gefahr zu bringen. Es bleibt uns, wie ich vorhin gesagt, Nichts zu thun, als Hilfe von einer andern Seite oder das Fortziehn der Schlange abzuwarten.«
Er setzte sich am Fuß des Baumes nieder und ließ sich einige Nahrung bringen. Niemand durfte auf seinen Befehl Caulathy Mudaly belästigen, der in einiger Entfernung abgesondert und gleich hartnäckig am Boden kauerte und allein mit dem Derwisch sprach, der mit unveränderter Gleichgiltigkeit ein Beobachter der Scene geblieben war. Die glühende Sonne Indiens stieg unterdeß über die Gipfel der Tamarinden empor und sandte ihre sengenden Strahlen in die Thäler nieder - es wurde Mittag, und
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noch immer war keine Veränderung in der schrecklichen Lage eingetreten, außer daß die Schlange jetzt selbst in der brennenden Hitze träger in ihren Bewegungen sich zeigte und zu ruhen schien.


Kehren wir noch ein Mal in das Innere des Kiosk zu den armen Eingesperrten zurück - in dem Augenblick, als die Schüsse des Offiziers den Kopf der Schlange von den Oeffnungen des obern Gitters vertrieben.
Während der Nacht hatte das arme Weib mit heldenmüthiger Anstrengung ihre Fassung bewahrt; - sie bedurfte deren um so mehr, als der Knabe immer unruhiger wurde, Fieberhitze sich bei ihm einstellte und er zu phantasiren begann.
Mit dem Rest des Wassers und der Früchte, die ihnen während der letzten Stunden zur Nahrung gedient, versuchte der Vater und die Mutter, das unglückliche Kind ihrer Sünde zu laben. Aber die Gluth des Fiebers nahm von Stunde zu Stunde zu, wie sie an dem heisern Ton des Knaben, an seiner glühenden Stirn, seinen heißen Händen wahrnehmen konnten, denn die Mittel, Licht zu machen in dem eingeschlossenen Kiosk, fehlten ihnen. -
So kam der Morgen und mit ihm erwachte der Knabe aus dem leichten, fieberhaften Schlummer zu neuen Schmerzen. Hand in Hand knieeten die Eltern an seinem Lager, ihre eigene schreckliche Lage, ihre Sorge um das geliebte Kind vergessend.
Der Knabe rief nach seinem Papa, nach seiner Wärterin - er rief Namen und Worte, die den Schuldigen die Seele durchschnitten!
Der Blick des Offiziers ruhte kummervoll auf dem bleichen, thränenbemtzten Antlitz seiner Gefährtin. Das Kind verlangte zu trinken - aber der Krug war leer - der saftigen Früchte waren keine mehr vorhanden - verzweifelnd irrte das Auge der Mutter in allen Winkeln des kleinen Gemachs umher, um eine Labung für den leidenden Liebling zu finden.
»Es muß sein,« sagte Eglinton - »wir müssen auf jede Gefahr hin uns jenen Feiglingen draußen verständlich zu machen, ihnen unsre Noth zu verkünden suchen, und ihre Hilfe anrufen.« Er brach die Gardinenstäbe des Ruhebettes ab, band sie zusammen
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und verfertigte daraus die Fahne, welche der Verwalter zuerst aus dem Dach des Pavillons wehen sah.
Die schreckliche Wirkung haben wir bereits beschrieben.
Das Kind richtete sich plötzlich mit dem Ausdruck wilden Schreckens empor und streckte seinen Arm nach der Decke.
»Zu Hilfe, Mama, zu Hilfe! Da ist es wieder, das garstige französische Weib - ihre Augen brennen auf mich - sie will mich verschlingen!«
Das Instinkt des Kindes warf die beiden Schlangen zusammen, die sein Leben bedrohten.
»Hilfe! Rettung, Lionel! wir sind verloren!«
Der junge Offizier entlud zwei, drei Mal rasch hinter einander den Revolver, um den Feind zurückzuscheuchen, was ihm auch glücklich gelang.
»Barmherziger Gott - Luft! Luft! ich ersticke!«
Die unglückliche Frau war neben dem Lager ihres Kindes zusammengesunken, das bald nach Wasser schrie, bald in seinen Fieberphantasieen nach seinem Vater rief, es vor der Schlange und der Marquise zu schützen.
Der verzweifelnde junge Mann nahm ein silbernes Fruchtmesser vom Tisch, streifte den linken Aermel seines Rockes empor und that einen tiefen Schnitt über das Fleisch. Dann hielt er ihn an den Mund des Knaben und fühlte, wie dieser gierig das Blut aufsog.
»Luft! Luft!« wiederholte halb bewußtlos die Lady.
In der That war die Atmosphäre in dem eingeschlossenen Zimmer wahrhaft stickend geworden; ein giftiger, den Athem beengender Dunst drang statt der frischen Luft durch die wenigen Oeffnungen, welche ohne Gefahr unverschlossen gelassen werden konnten.
Der Offizier öffnete dennoch vorsichtig zwei der innern Läden, um dem Luftzug mehr Spielraum zu gewähren, aber jener Dunst wurde immer bemerklicher.
Auch der kranke Knabe empfand ihn und begann krampfhaft zu keuchen.
»Allgütiger! strafe mich nicht so hart für unsern Frevel
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gegen Dein Gebot! Lade die Schuld und die Sühne auf mein unglückselig Haupt, aber errette sie und das Kind!«


Es war Mittag geworden, immer drückender, entsetzlicher die Hitze und die eingeengte Luft.
Der Knabe lag im Sterben - selbst das Mutterherz konnte sich darüber nicht täuschen. Ihr Auge starrte wie das einer Irren, als sie bald betend, bald in hysterischen Krämpfen an seinem Lager lag, die zuckenden Händchen streichelte und den Todesschweiß von seiner Stirn wischte.
Und draußen, im Tamarinden-Hain, schaukelte der betrogene Gatte in der Hängematte, die er an den Aesten des Baumes aufzuhängen befohlen, um die Siesta zu halten, ohne seinen Posten zu verlassen.
Fertig, abgeschlossen mit seinen Gefühlen, hatte er die Vergeltung der scheckigen, glänzenden Bundesgenossin überlassen, welche die Gipfel der Palmen beugte. Es galt nur noch, über dem Geheimniß und der Ehre seines Namens zu wachen! -
An der gegenüberliegenden Wand knieete der Offizier - das Auge thränenleer - seine Kraft, sein Herz gebrochen.
»Lionel, zu Hilfe! er stirbt!«
Das erlöschende Auge des Knaben verlor die Starrheit der Fieberhitze und nahm einen himmlischen Ausdruck an. Er hob die kleinen Händchen nach denen seiner Erzeuger, gleich als wolle er diese segnend und verzeihend vereinigen. Mildes, liebes Lächeln schwebte um den kleinen, reizend geformten Mund, während das Köpfchen sich auf die Brust der Mutter legte; ein leiser Schauer noch durch den ganzen zarten Körper, und die Glieder wurden schwer und still.
Das Kind war todt! -
Die Dame fuhr wie eine Wahnsinnige in die Höhe bei dieser Ueberzeugung. Ihr Jammerruf gellte so entsetzlich und laut, daß er selbst die Anaconda aus ihrem Halbschlummer in der Mittagsgluth emporschreckte und sie zu neuen, wilden Sätzen trieb. Sie riß in ihr schönes, seidenes Haar, sie warf sich über den Körper des geliebten Kindes und küßte es hundert Mal, als könnten die heißen Küsse, die glühenden Thränen den entschwundenen
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Athem zurückbringen in die erstarrte Brust. Dann stürzte sie auf den Geliebten, der wortlos an der Wand lehnte, und preßte krampfhaft seinen Arm.
»Er ist todt!« keuchte sie, »das Licht unsers Lebens, die Hoffnung unsrer Zukunft, und wir, wir sind seine Mörder! Was sollen wir noch im Leben, wenn wir Alles verloren - nimm Deine Waffe, Lionel, laß uns zusammen sterben!«
Sie faßte convulsivisch nach dem Pistol; er wehrte ihr mit schmerzlichem Lächeln.
»Zusammen, Helene, aber nicht so! Nur eine Kugel noch enthält der Lauf - genug für den Einen - zu wenig für uns Beide. Gott wird selbst mit uns ein Ende machen.«
»Ich fühle es - diese Luft -« sie sank an ihm nieder und preßte die Hände auf den entfesselten Busen, »o, ich ersticke! Bringe mich zu unserm Kinde, Lionel, daß ich neben ihm sterbe.«
Er trug sie nach dem Lager und öffnete dann auch den dritten Laden, im vergeblichen Bemühen, den Zugang der Luft zu vermehren. Er riß die Gewänder von ihrem Körper, wehte ihr Kühlung zu und versuchte alles ihm Mögliche, den brechenden Lebensstrom zu stärken.
Anscheinend zarte Organisationen besitzen dennoch eine zähe Lebenskraft - nicht so rasch sollte der Kampf der Unglücklichen vorüber sein.
Bald erkannte der Offizier, daß auch die Geliebte seines Herzens, die Gefährtin seiner Sünde dasselbe schreckliche Fieber ergriffen hatte, welches das Leben seines Kindes zerstört. In süßen Worten erzählt ihr Irrereden von dem Glück und Glanz ihrer Jugend, von ihrer Liebe zu ihm. Dann wieder von dem Baronet, von den Stunden des Leidens und Widerstandes, als man sie zwang, diesen zu heirathen. Mit den Bildern ausschweifender Träume, als sie den Geliebten wiedergefunden, mengte ihre heftige Rede die Hoffnungen der Zukunft, und malte ihr häusliches Glück in einem stillen Thale von Kashemir oder am Fuße der Alpen - kein Gedanke von Leiden, von Tod, von Gefahr.
Und draußen tobte die Anaconda im wüthenden Hunger, - draußen am Tamarindenwald harrte der betrogene Gatte, bis seine Rolle, sein Stichwort käme in dem blutigen Drama.
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Der arme junge Mann selbst fühlte seine Kräfte schwinden. Die giftige, verpestete Luft um ihn her begann auch auf seine kräftigeren Organe ihre Wirkung zu üben und die Anstrengung des tollen Rittes verband sich damit zu einer todesähnlichen Erschlaffung seiner Glieder.
All' seine Seelenkraft kämpfte dagegen - Gebet und Verzweiflung rangen in seinem Herzen - mehr als einmal wendete sich sein Blick, streckte sich die Hand eigensüchtig nach dem Pistol, seine unerträglichen Leiden rasch zu enden.
Es war Abend geworden - zum zweiten Mal stieg die kühlende Nacht nieder auf die Thäler, und der Sternenhimmel wölbte sich in seiner ruhigen Majestät über Freuden und Leiden der Menschen.
Der Schein zweier Fackeln leuchtete durch das Thal den Weg hinauf zum Bungalow des reichen, armen Mannes, eine dunkle Masse bewegte sich rasch vorwärts, der Trab eines mächtigen Elephanten, in dessen Haudah ein einzelner Mann saß, während die Wärter des Thieres zur Seite mit den Fackeln rannten.
Auf demselben Platz, von dem die Jäger zwei Morgen vorher ausgezogen, hielt der Mahoud sein Thier an, und der einsame Reiter sprang, als der Elephant kaum die Kniee gebeugt, aus der Haudah, ohne die Hilfe der Diener abzuwarten, und eilte nach der Verandah, unter der ihm die Marquise und einige Diener entgegenkamen.
»Wo ist Lieutenant Eglinton, Cousine?« fragte Major Maldigri, denn dieser war der Angekommene, rasch. »Wissen Sie etwas von dem Schicksal des jungen Mannes? Er ist spurlos verschwunden von der Jagdgesellschaft und Besorgniß um ihn hat mich zurückgetrieben.«
Ihre Hand zog ihn in ein Gemach, wo sie allein waren.
»So ist Ihnen der Bote des Raths nicht begegnet? Sie wissen von Nichts, was geschehen?«
»Ich habe Niemand gesehen. Diesen Morgen, bereits über der Grenze von Heiderabad, verließ ich die Gesellschaft. Aber antworten Sie mir, Marquise, was ist geschehen? mir ahnet nichts Gutes!«
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»Wenn Sie klug sind, Signor,« flüsterte die Intrigantin, »so können wir einen großen Schritt vorwärts auf dem Weg zu unserm Ziel thun. Sie wissen, welche Weisungen und Mittheilungen durch unbekannte Hand uns zugegangen sind. Offenbar rühren sie von dem Bunde her, dem Sie selbst sich in Sanct Helena angeschlossen und dessen Zwecke so glücklich mit den geheimen Instructionen unserer eigenen Mission von Paris übereinstimmen. Ein glücklicher Zufall ist uns zu Hilfe gekommen, lassen Sie ihn gewähren und den Dingen ihren Lauf, und ich bürge Ihnen dafür mit meinem Wort, daß, ehe sechs Monate vergehen, Ihre ergebenste Dienerin Lady Mallingham, die Gattin eines der einflußreichsten Mitglieder des Geheimen Rathes von Indien ist.«
»Aber ich verstehe Sie noch immer nicht! Erklären Sie mir ...«
»Eglinton ist Narr genug gewesen, gestern Nachmittag hierher zurückzukehren, zu einem Rendezvous mit der Lady. Alle drei - sie, der Liebhaber und das Kind, die Frucht ihres verbrecherischen Verhältnisses - befinden sich dort oben im Kiosk auf dem Palmenhügel, und der Baronet weiß es.«
»Der Unvorsichtige! ich fürchtete es! Welch unglücklicher Zufall hat dem Rath das Geheimniß verrathen? Hält er die Zeugen seiner Schande eingesperrt?«
»Das thut ein mächtigeres Wesen als er,« sagte sie mit Hohn.
»Welches? - was meinen Sie, Madame?«
»Die Anaconda!«
»Die Anaconda? was soll das bedeuten?«
»Es bedeutet, Major - daß während das Paar im Kiosk sich seinen Liebesfreuden überließ, der Teufel in seiner Bosheit eine Riesenschlange gesandt hat, die von dem Hügel Besitz genommen und sie in ihrem Boudoir gefangen hält, bis der Herr Gemahl sie lebendig oder todt in Empfang nehmen kann.«
Der Piemontese fuhr erschrocken zurück. »Barmherziger Gott - seit mehr als dreißig Stunden sind die Unglücklichen dort eingeschlossen und Niemand ist ihnen zu Hilfe gekommen?«
»Soll der Baronet etwa für die Verkündigung seiner Schande noch sein Leben wagen?«
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»Das darf keinen Augenblick länger so bleiben. Den Aermsten muß geholfen werden!«
Den Forteilenden hielt die Hand seiner Bundesgenossin zurück. »Was wollen Sie thun, Major? Was kümmern Sie jene Engländer? Wollen Sie selbst in überflüssigem Edelmuth zerstören, was der Zufall so glücklich für unsere Zwecke gefügt? Ich verbiete Ihnen, sich in die Sache zu mischen!«
Der ehemalige Offizier stieß sie mit Verachtung zurück. »Mein Leben, mein Dienst gehört Ihrem Kaiser - meine Ehre, mein Gefühl mir allein. Das Handwerk, das ich schon lange mit Ueberdruß treibe, soll mich wenigstens nicht der Menschenpflichten entbinden!«
Er eilte davon, nur die Büchse und Jagdtasche aus der Haudah reißend, dem Palmenhügel zu.
Es ließ sich in der That nicht entscheiden, ob seine Ankunft dem Baronet, der noch immer in der frühern Apathie auf dem gewählten Posten verweilte, angenehm oder widrig war. Er fragte, ob die Jagdgesellschaft mit ihm zurückgekehrt sei, und als der Major ihm sagte, daß dies nicht der Fall, und daß er nur aus zufälliger Veranlassung - ein Unwohlsein, wie er vorgab - umgekehrt sei, ehe irgend eine Botschaft sie erreicht hätte, erzählte er kurz das Unglück, das Gattin und Kind betroffen, ohne des Offiziers mit einer Sylbe zu erwähnen, und daß all' ihre Versuche, die Schlange zu vertreiben, erfolglos geblieben wären.
Dennoch schien mit der Ankunft des Sardiniers ein neues Leben, ein neuer Muth in alle Anwesenden zu kommen. Major Maldigri erklärte mit Energie, daß er, ohne einen Augenblick zu zögern, den Angriff gegen die Schlange unternehmen werde, und wenn auch Niemand ihm beizustehen wagen sollte. Mit kalter Ruhe, ohne eine Spur höherer Theilnahme zu verrathen, traf der Baronet seine Anstalten, ihn bei dem Angriff zu begleiten.
In diesem Augenblick - als der Major bis an den Rand des Gehölzes vorangegangen war, um im hellen Schein des Vollmondes den gefährlichen Gegner zu beobachten - tauchte eine dunkle Gestalt an seiner Seite auf und eine Hand legte sich auf seinen Arm.
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Sich umwendend erkannte er erstaunt den Derwisch und den Ryot.
»Warum will der weiße Mann, der nicht zum grausamen Volk der Faringi gehört,« fragte die gedämpfte Stimme des Erstern - »für Wesen aus dem verfluchten Stamm sein kostbares Leben wagen? Er möge sie dem Verderben überlassen, das Allah über sie verhängt hat. Der dunkle Engel deckt seinen Fittich bereits über sie.«
»Nimmermehr,« erklärte entschlossen der Angeredete. »Das schwache Weib mit dem Kinde ist unschuldig an den Leiden Deines Volkes, an den Grausamkeiten, die man den Indiern angethan. Christen- und Menschenpflicht gebieten mir, Etwas zu ihrer Rettung zu thun.«
»Mein weißer Bruder mit dem großen Herzen,« fuhr der Derwisch wie vorhin, fort, »weiß nicht, daß jene nicht allein sind. Einer ist bei ihnen, der einen rothen Rock trägt und zu seinen und unseren Feinden gehört.«
»Wer Du auch sein magst, räthselhafter Mensch, dessen seltsame Worte mir schon am Tage unserer Ankunft die Kenntniß eines wichtigen Geheimnisses verriethen - Du bist ein Mensch und wirst menschlich fühlen. Ich weiß, daß drei Unglückliche dort unsrer Hilfe harren und ohne sie verloren sind. Der junge Offizier, welcher dort so schmerzlich seinen Leichtsinn büßt, ist im Uebrigen ein wackerer, braver Mann, der dasselbe für seinen Feind thun würde.«
»Der Edelmuth ist thörichte Schwäche, wenn man auf die Rache eines unterdrückten, mißhandelten Volkes sinnt,« sagte der Derwisch mit strenger Stimme. »Denke an den Eid, den Du am leeren Grab von Sanct Helena geleistet. Verderben über Alles, was den Namen eines Faringi trägt!«
»Nicht über Weiber und Kinder,« entgegnete entschlossen der Piemontese. »Wer Du auch seist, Spion oder Verschwörer! - Du sollst mich nicht hindern, nach meinen Kräften zu thun zur Rettung der Unschuldigen.«
Er wandte sich um - aber der Derwisch hielt ihn zurück.
»So bist Du fest entschlossen, gegen die Anaconda zu kämpfen?«
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»So wahr ich ein Mann bin - ich werde es thun. Die Folgen sind in Gottes Hand.«
»Dann ist es ein Anderes. Eine Stütze der guten Sache, wie Du, darf nicht untergehen um eines Eigensinns willen im Ringen mit einem eklen Gethier, wo ihr Schwert einst Tausende zum heiligen Kampfe führen soll. Tritt hierher, Caulathy Mudaly.«
Der Ryot trat näher.
»Du wirst die Schlange in die Hände der Feigen geben. Uebe Deine Kunst, der Prophet wird es wenden, wie es bestimmt ist von Anfang der Welt.«
Der Bauer verneigte sich mürrisch, zum Zeichen des Gehorsams.
»Kehre zu dem Faringi und seinen Dienern zurück,« fuhr der Derwisch befehlend fort, »und verkünde ihnen, daß dieser beraubte und gemißhandelte Mann ihren Stolz durch seinen Witz beschämen wird. Geh - wir folgen Dir sogleich!«
Der Major - unwillkürlich gehorchend dem Einfluß des geheimnißvollen Bettlers, und vergeblich nachsinnend, wer unter dieser Maske verborgen sein könne, eilte erfreut zu dem Baronet zurück, die Nachricht zu verkünden.
Alle waren gespannt auf die Mittel, die der ländliche Jäger anwenden würde, seinen furchtbaren Feind zu vertreiben, oder vielmehr zu besiegen.
Der Bauer mit seinem Begleiter war unterdeß in den Kreis am Feuer getreten, das man wieder angezündet. Er befahl, es auszulöschen und allgemeine Stille und Schweigen zu beobachten. Dann ließ er durch zwei der Diener das Pferd ›Rookeby‹ vom Bungalow herbeiholen, das er selbst erst verrätherischer Weise am Morgen herbeigeführt.
Niemand hatte eine Ahnung, was er mit diesem Verlangen bezweckte, aber auf den Befehl des Baronets wurde Alles, was er bestimmt, auf's Eifrigste ausgeführt und das Vertrauen seiner Landsleute zu dem Jäger war so groß, daß es selbst ihre Feigheit zu überwinden schien.
Das edle Pferd wurde gebracht. Der Derwisch nahm es am Zügel und es folgte ihm willig, gleich, als erkenne es seine
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Pflicht der Dankbarkeit gegen diesen Mann. In dem Mondstrahl, der durch das dichte Tamarindenlaub brach, schien es dem Major, als betrachte der indische Bettler das schöne Thier mit jener wahren Theilnahme, welche nur ein echter Sportsman, ein wahrer Reiter seinem Rosse widmet. Jetzt führte man dasselbe an den Rand des Wäldchens, an dem entlang der Ryot die Hindu's vertheilt hatte, mit dem Befehl, das Pferd zurückzutreiben, wenn es sich nach ihrer Seite zu wenden sollte.
Der Nachtwind hatte einigermaßen die Luft von dem widrigen Dunst gereinigt, den die Schlange während der sengenden Hitze des Tages um sich verbreitet hatte. Der Ryot selbst nahm jetzt den Zügel, führte das Pferd, vorsichtig in dessen Schatten sich haltend, eine Strecke weit hinaus auf den freien Ring, welcher den Waldgurt von den Palmen auf der Spitze des Hügels schied, streifte ihm den Zügel ab, koppelte ihm damit die Vorderfüße leicht zusammen, wandte seinen Kopf nach dem Kiosk und gab ihm einen leichten Schlag auf die Kruppe, indem er sich sogleich zur Erde warf und nach dem Gehölz zurückkroch.
Das Pferd versuchte fortzugaloppiren, aber durch die Koppel gehindert, kam es nur langsam vorwärts.
Plötzlich - denn der Mond erleuchtete fast mit Tageshclle eine große Strecke - sah man es stillstehn, die Ohren spitzen, und mit einem lauten Wiehern, so rasch als möglich in der Richtung des Pavillon fortstolpern.
Der Instinkt des edlen Thieres hatte auf irgend eine Weise, selbst in dieser halb verpesteten Luft, die Nähe seines Herrn errathen.
Es war etwa noch zwanzig Schritt von dem Kiosk entfernt, und wiederholte sein fröhliches Wiehern, als ein langer, dunkler Streif von der Spitze eines Baumes mit der Geschwindigkeit des Blitzes durch die Luft zu schnellen schien und die Zuschauer bis in ihr entferntes Versteck ein lautes Zischen vernehmen, in das sich ein wildes Schnauben des schönen Pferdes und ein schmerzliches Wiehern mischte.
Der Renner hatte mit einer gewaltigen Anstrengung die Bande zersprengt, die seine Füße gefesselt, und versuchte, davonzugaloppiren. Aber es war zu spät - die Anaconda, die bei
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seiner Annäherung sich ganz ruhig in dem Gipfel der Palme verhalten, hatte ihn bereits erreicht und schlang ihre Ringe um das edle Thier, das sich kerzengerade auf den Hinterfüßen mit ihr in die Luft erhob.
Alle Anstrengungen des kräftigen Pferdes waren vergeblich. Man sah seine Gestalt wüthend kämpfen, mit den Hufen um sich schlagen, sich auf der Erde wälzen - aber sein Widerstand wurde immer schwächer, je mehr und öfter die Schlange ihre Kreise um die zuckenden Glieder zog. Dann hörte man in dem Ringen dieses, wenigstens von einer Seite sonst so stillen Kampfes, selbst an der entfernten Stelle der gespannten Zuschauer ein Knacken und Krachen, wie von durch einen gewaltigen Ruck zerbrochenen Knochen und ein Schrei durchzitterte die Luft, schneidend und schrill, wie eine Kinderstimme, und doch wieder so laut und durchdringend, daß er gar nichts Menschliches an sich haben konnte.
»Mylady ist in Gefahr - das ist ihr Geschrei,« rief ängstlich Burton, der unfern des Baronet stand.
»Nein,« sagte der Major, »ich kenne diesen seltsamen Ruf von den Schlachtfeldern her. Es ist der Todesschrei eines Rosses von edlem Blut - der arme Eglinton hat seinen Renner verloren, Rookeby ist todt, ohne daß ich diese unnütze Grausamkeit gegen ein werthvolles Thier zu begreifen vermag.«
»Das wirst Du sogleich, Sahib,« entgegnete der Derwisch, »wenn Caulathy Mudaly Dir sagt, daß der Tod dieses Pferdes der Tod der Anaconda ist. Sieh, wie sie den Cadaver nach dem Palmenstamm hinschleift. Die Dunkelheit wird Euch ein scheußliches Schauspiel ersparen, aber wenn die Schlange ihre Beute erst verschlungen hat, wird sie so unbehilflich sein, daß ein Knabe sie tödten kann.«
Die einfache List des Mannes und ihr nothwendiger Erfolg war im Augenblick Allen klar, und die Hindu begannen ein Freudengeschrei, das nur durch den strengen Befehl des Baronets, Ruhe zu halten, unterbrochen wurde; denn in so schlimmem Ruf die Anaconda bei ihnen steht, eben so gerühmt ist ihr Fleisch als Leckerbissen.
Der Ryot theilte nun mit, daß die Schlange im Begriff sei, den Körper des Pferdes nach dem nächsten Baum zu schleifen,
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ihn an diesem emporzurichten, und indem sie ihre Ringe um Stamm und Kadaver schlang, alle Knochen desselben vollends zu zerbrechen. Dann würde sie die so zerquetschte Masse mit ihrem Geifer überziehen und das gräuliche Geschäft des Verschlingens beginnen, das mehrere Stunden andauerte. Erst, wenn dieses vollendet, werde das Ungeheuer sich in einem vollkommen hilflosen Zustand befinden und keinen Widerstand mehr leisten können. Der erfahrene Jäger berechnete den Zeitpunkt, wo dies eintreten werde, auf eine Stunde nach Sonnenaufgang und rieth den Europäern, bis dahin nach dem Bungalow zurückzukehren und zu ruhen, indem nichts Anderes vorgenommen werden könne und er selbst am Saume des Wäldchens Wache halten wolle.
Aber der Baronet, obschon sichtlich durch die Wache der vorherigen Nacht und die Aufregungen ganz erschöpft, verweigerte auf das Bestimmteste, von dem Platze zu weichen. In seinen Augen glühte jetzt ein unheimliches Feuer und der Major bemerkte, daß er mit einer fieberhaften Hast die Pistolen wieder lud, die er am Tage vorher abgeschossen, seiner Gemahlin zum Signal, daß Hilfe ihr nahe sei.
Dann erst legte er sich wieder in seine Hängematte zurück. Aber die erschöpfte Natur forderte ihr Recht, noch keine halbe Stunde war vergangen, als auch sein starrer Wille ihr den Tribut zollte und er in festen Schlaf gefallen war.
Die meisten der Diener und der Dorfbewohner hatten sich zurückgezogen, Maldigri jedoch beschloß, gleich dem Baronet auszuharren auf dem Posten.
Nachdem er noch einmal in möglichster Nähe sich davon überzeugt hatte, daß die Schlange allein mit ihrer Beute beschäftigt und keine Gefahr mehr für die Eingeschlossenen zu fürchten war, wickelte auch er sich in eine Decke und warf sich am Fuß einer Tamarinde nieder, der Wachsamkeit des Ryot vertrauend.
Er mochte ungefähr drei Stunden geschlafen haben, als er mit jener dem geprüften Soldaten auch im tiefen Schlummer bleibenden Empfindlichkeit für äußere Eindrücke fühlte, daß eine fremde Hand sich leicht aus seine Schultern legte.
Sogleich schlug er die Augen auf und wollte fragen, was es gäbe? aber dieselbe Hand legte sich auf seinen Mund und eine
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Stimme flüsterte an seinem Ohr: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, sagt der Weise. Mein Bruder möge sich still erheben und mir folgen.«
Der Major erkannte augenblicklich den Derwisch, und ohne sich mit Fragen aufzuhalten, erhob er sich, warf das Gewehr über seine Schulter und folgte ihm, vorsichtig an dem festschlafenden Baronet vorüberschreitend.
Der Mond war untergegangen und die ersten Schimmer der Morgenröthe begannen sich eben zu zeigen. Der Derwisch nahm seinen Weg immer im Schatten der Bäume fort um den Hügel und der Offizier bemerkte, daß er ihn nach dessen südlicher Seite führte. Dort angelangt, traten sie aus dem Dunkel auf den freien Raum, der den Pavillon umgab, und fanden hier den Ryot und seine Tochter.
»Ist Alles sicher und können wir uns nahen?« fragte der Fakir.
»Die Schlange hat seit einer Viertelstunde ihr Mahl beendet und liegt regungslos am Fuß der Palme,« sagte der Ryot. »Dieses Mädchen kann sie tödten.«
»Wohl, so laß uns den Feind betrachten. Ich glaubte, Sahib,« der Derwisch wandte sich dabei an den Major, »Du würdest den Faringi, den Du beschützest, zu sehen wünschen, ehe der Gatte der weißen Frau erwacht ist und Gerechtigkeit übt.«
»Wunderbarer Mensch - Du kommst meinem innersten Gedanken zuvor. Laß uns eilen - durch Deine Vorsicht kann noch großes Unglück verhütet werden.«
»Wir haben Zeit,« entgegnete der Fakir, »und müssen zunächst die Anaconda beobachten.«
Auf seinen Wink schritt der Schlangenjäger voran, die anderen - Maldigri die gespannte Büchse schußfertig im Arm - folgten ihm.
So nahten sie dem Pavillon. Gern hätte der Offizier sofort einen Versuch gemacht, ihn zu betreten, aber er mußte den vorsichtig voranschreitenden Hindu's folgen. Eifrig strengte er sein Gehör an, einen Ton, einen Laut aus dem Innern des kleinen Baues zu erlauschen, der so viel Noth und Entsetzen in seinen Wänden eingeschlossen, aber vergeblich. Wenige Schritte
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schon brachten ihn auf die andre Seite und zeigten ihm ein abscheuliches Bild.
Die Anaconda lag, wie es der Jäger verkündet, am Fuß der größten Palme lang ausgestreckt am Boden, gänzlich unfähig, sich zu bewegen, und jetzt erst ließ sich die ganze Größe des Ungeheuers würdigen. Ihr Leib war dick aufgeschwollen von dem übermäßigen Fraß, die Ringe und die Farbe der angespannten Haut waren matt, in dem weit geöffneten Rachen steckte noch der Kopf des edlen Pferdes, dessen Knochen sie nicht zermalmen gekonnt, ein wahrhaft scheußlicher Anblick. Die tassengroßen Augen des Ungethüms schillerten in grünem Feuer, von Wuth und ohnmächtigem Grimm, als es das Nahen seiner Feinde erkannte und sich machtlos in ihre Hände gegeben sah; denn die convulsivischen Anstrengungen der Schlange, sich zu vertheidigen oder zu entfliehen, brachten nur geringe Bewegungen des seiner Muskelkraft jetzt beraubten Riesenleibes zu Stande.
Der stinkende Brodem, der von dem Ungeheuer und seinem eklen Fraß sich verbreitete, benahm dem Europäer fast den Athem, und er trat einige Schritte zurück. »Laßt sie uns tödten, Freunde!« sagte er hastig, »und dann den Unglücklichen zu Hilfe eilen. Jede Minute muß ihnen zu einer Ewigkeit werden!«
Der Derwisch wendete jedoch die erhobene Büchse von dem Kopf der Schlange ab. »Sie ist unschädlich für viele Tage und Du magst dem Faringi und seinen Dienern immerhin die Genugthuung lassen, sie zu tödten. Dein Schuß würde Jene nur erwecken und herbeiführen. Jetzt laß uns den Pavillon öffnen, ich fürchte nur, das Schlimme, was unsere Augen gesehen, ist noch nicht zu Ende.«
Der Major war bereits an der Eingangsthür des Kiosk und klopfte daran, indem er den Namen der Lady rief. »Oeffnen Sie getrost - alle Gefahr ist Gott sei Dank vorüber - die Anaconda ist so gut wie todt - ich bin allein hier mit zwei vertrauten Männern und dem Hindumädchen! Oeffnen Sie ohne Besorgniß!«
Keine Erwiederung - Alles blieb still. Ein finsteres aber doch nicht theilnahmloses Lächeln lag auf dem Gesicht des Fakirs.
Zelima vereinte ihre Stimme mit der des Offiziers und rief
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ihre Gebieterin, während jener den Namen des Lieutenants nannte und zu erkennen gab, daß er um sein Hiersein wisse und daß er sie Alle zu retten komme.
Wiederum Schweigen - kein Laut der Erwiederung!
»Sie müssen ohnmächtig sein,« erklärte der Piemontese, sich den kalten Schweiß von der Stirn wischend. »Wir müssen die Thür oder das Fenster erbrechen!« Er warf sich mit dem Gewicht seiner Manneskraft gegen die Thür - sie gab nach, aber sie wich nicht. Er konnte fühlen, daß ein Gegenstand im Innern das Aufgehn verhinderte.
Der Fakir hatte, ohne weiter ein Wort zu verlieren, sich an eine der fast bis zum Boden reichenden Jalousieen gemacht. Ein kräftiger Ruck, und sie war aufgerissen. Der innere Laden bot eben so wenig Widerstand und war im Nu gesprengt.
»Tritt ein,« sagte der Geheimnißvolle, »und suche Deinen Freund!«
Der Major sprang in das Gemach - sein Schrei des Entsetzens rief die Begleiter herbei.
Es war bereits hell genug, um die Gegenstände im Innern deutlich zu unterscheiden.
Schwer und dumpf - mit dem Hauch einer in diesem Klima so rasch beginnenden Verwesung geschwängert - war die Luft des kleinen, mit allem Luxus zweier Welttheile ausgestatteten Salons.
Auf dem Ruhebett lag, den bereits im ersten Stadium der Auflösung begriffenen Körper des Kindes in ihren Armen, die Lady - ruhig - die Augen geschlossen, - als ob sie schliefe.
Zwischen dem Bett und der Thür - auf dem Fußboden - erblickte man zusammengebrochen die Gestalt des jungen Offiziers, die Hand nach dem Pistol auf dem Tisch ausgestreckt, als habe sie versucht, es zu erfassen und es nicht mehr vermocht.
Der Fakir stand stumm und erschüttert bei dem Anblick, obschon er Aehnliches vermuthet. Maldigri aber knieete neben dem unglücklichen Liebhaber nieder, während zugleich das Hindumädchen an die Seite ihrer Gebieterin eilte und sie aufzuwecken suchte.
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Die beiden Rufe:
»Sie sind todt!« kreuzten sich.
»Noch ist nicht alle Aussicht verloren,« sagte hastig der Derwisch, »obschon den Beiden besser ist, wenn sie das Opfer des dunklen Engels bleiben. Laßt mich zuerst bei der Frau versuchen, ob Hilfe möglich.« Er trat zu dem Ruhebett, entfernte die Leiche des Kindes und legte die Hand auf den entblößten Busen der Lady.
»Allah habe Erbarmen mit ihr!« flehte Zelima. »Du bist ein heiliger Mann und wirst die Mam-Sahib61 wieder lebendig machen.«
Der Derwisch zog aus seinem groben Gewand eine kleine Phiole und goß zwei oder drei Tropfen des rothen Inhalts auf die Lippen der Leiche, indem er sodann innehaltend den Erfolg beobachtete. Als keine Bewegung, nicht das geringste Zucken der Nerven erfolgte, verdoppelte er die Dosis, aber selbst als er sie verdreifachte, fand sich keine Spur des Lebens in den kalten bleichen Zügen, und als er das schöne, lang bewimperte Lid ihres Auges hob, zeigte sich unverkennbar das starre, eingefallene Todtenauge.
»Es ist zu spät,« sagte er achselzuckend, »jede Spur der Lebenskraft ist seit Stunden schon entflohen, sonst würde der heilige Balsam, den ich angewendet, sie noch von den Pforten des Todes umkehren machen. Laßt uns versuchen, ob der Mann besser die Nähe der Anaconda ertragen hat.«
Der Major hatte die Kleidung des Unglücklichen geöffnet und nach dem Schlag des Herzens gesucht. Das Aussehn Eglinton's bot selbst in der Erstarrung ein schreckliches Bild. Das Gesicht schien um mindestens zwei Jahrzehnte gealtert zu haben, so dunkle Falten und Schatten hatten sich hinein gegraben; das blonde, lockige Haar des jungen Mannes war weiß geworden wie das eines Greises.
»O, sieh ihn an, den Aermsten,« rief vorwurfsvoll der Major, »er muß entsetzlich gelitten haben, und Du hättest so leicht
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ihn retten können! Mögen diese Leichen nicht einst schwer auf Deiner Seele lasten!«
Wiederum zuckte ungeduldig der Derwisch die Achseln. »Jeder ist seines Schicksals Schmied,« sagte er rauh, »ich bin nicht verantwortlich für den Tod dieses Faringi, doch laß mich versuchen, ob er zu retten ist!« Er wiederholte das Experiment und träufelte einige Tropfen zwischen die fest zusammengepreßten Zähne des jungen Offiziers. Die Wirkung zeigte sich wie ein elektrischer Strom. Der ganze Körper des Armen zuckte zusammen, die Zähne öffneten sich und ließen der Brust einen tiefen Seufzer entschlüpfen. Die offenen Augen verloren die gräßliche Starrheit, rollten einige Male umher und schlossen sich dann.
»Er lebt und wird leben,« erklärte der Fakir mit Bestimmtheit. »Laßt uns zunächst ihn an die freie Luft bringen und bestimmen, was mit ihm geschehen soll, denn die Minuten, die noch die unseren bleiben, sind gezählt.«
Er schob die Möbel bei Seite, welche die Thür sperrten, legte selbst Hand mit an, und so trugen die drei Männer den Bewußtlosen hinaus. Sie hatten ihn kaum auf den Boden niedergelegt, als auch die Morgenluft bereits ihre Wirkung übte, der Kranke mehrere tiefe Athemzüge that und wieder die Augen aufschlug, deren Ausdruck, wenn auch gestört und ängstlich, jetzt doch milder war, als vorhin.
»In einer Viertelstunde wird er zum vollen Bewußtsein gelangt sein, wenn er auch vielleicht noch wochenlang auf die Wiederkehr seiner Kräfte harren muß,« sagte der Derwisch. »Sollen wir ihn hier lassen und jetzt den Sahib wecken? Bald wird die Sonne ihr Bett verlassen.«
»Nimmermehr!« erklärte der Major, »Ihr seid nicht so unwissend, daß Ihr nicht begreifen solltet, wie das Leben dieses Mannes dennoch verloren ist, wenn Sir Mallingham ihn zu Gesicht bekommt. Er muß sich verstecken.«
»Der Zemindar ist Herr der Gegend,« erklärte der Derwisch. »Er wird jeden Fußbreit nach dem Schänder seiner Ehre durchsuchen.«
»Dann muß er fliehen - sogleich - so weit als möglich!«
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Der Derwisch deutete verächtlich auf die hinfällige Gestalt. »Ist der Faringi im Stande, seinem Feinde zu entrinnen?«
Major Maldigri trat auf ihn zu. »Geheimnißvoller Mann, wer Du auch bist! Du hast mir bereits Proben Deiner Macht und Deines Wissens gegeben. Wenn Du es willst, muß es Dir ein Leichtes sein, diesen Unglücklichen zu retten. Ich beschwöre Dich bei dem Bunde, an den Du selbst mich erinnert, mir darin beizustehen.«
Der Derwisch kreuzte die Arme. »Du siehst, daß der Faringi die Flucht nicht allein unternehmen kann. Willst Du ihn begleiten?«
»Ich will es!«
»Wohl - es sei!« sprach der Geheimnißvolle, - »Dein Wille soll geschehen. Dieses Mädchen wird Dich durch das Gebüsch nach dem Bungalow führen - nimm dort, was Du für nöthig hältst von Deinen Sachen und folge ihr an das Ufer des Gandlagama, wo seine Windung aus den Maisfeldern in die Schatten des Bananenwaldes tritt. Ein Boot wird dort mit zwei der Untiefen des Flusses kundigen Ruderern bereit sein. Diesen Faringi werden ich und Caulathy zu dem Boote schaffen, das Euch bis zur Meeresküste bringen kann. Deine Sorge ist es, von dort ihn weiter zu schaffen oder ihn seinem Schicksal zu überlassen. Du selbst wende Dich nach dem Norden, in Ongol wirst Du leicht Gelegenheit finden zur Ueberfahrt. Geh nach dem Bundelcund - der Radschah von Jhansi sucht Europäer zur Ausbildung seiner Kriegsmacht - er ist einer der Unseren und wird Dich mit offenen Armen empfangen, wenn Du ihm die Botschaft, bringst, die ich Dir geben werde.«
»Es sei, diese Umgebung ist mir drückend, ich sehne mich nach kräftigem Thun und Handeln. Aber willst Du, Geheimnißvoller, mir nicht mehr von Dir sagen, soll ich nicht erfahren, wer Du bist?«
»Du wirst es, wenn im Lande, wohin Du gehst, die Fackel der Freiheit emporlodert zum Kampf gegen die Tyrannen. Bis dahin bin ich auch für Dich, wie für Alle, nur Sofi, der Fakir! - Doch fort mit Dir, wenn Du das Leben dieses Mannes noch retten willst!«
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Maldigri fühlte die Wahrheit dieser Mahnung. Einen Blick noch voll Theilnahme und Schmerz warf er nach dem Kiosk, in dem die Leichen der Lady und ihres Knaben ruhten, dann folgte er der voraneilenden Zelima.
Caulathy Mudaly und der Derwisch blieben zurück. Der Letztere beschäftigte sich sogleich, dem noch immer halb Bewußtlosen die Uniform auszuziehen und verschiedene Gegenstande abzunehmen, die er wieder in den Kiosk trug, als habe der Flüchtling sie dort zurückgelassen. Ein böses, grimmiges Lächeln verzerrte dabei seine Züge, als er an den Baronet und dessen Gefühle dachte, wenn er diese Stätte des Unheils betreten würde. Dann erst half er seinem Gefährten, den hilflosen Körper des jungen Offiziers den Hügel hinab in das Gebüsch tragen. -
Die Nebel wichen zurück in die Schatten der Wälder und die Gründe der Thäler. Aus dem fernen Meer, über die grüne Wand des Tamarinden-Waldes erhob sich die mächtige Königin des Tages und vergoldete mit ihren ersten Strahlen die Kuppelspitze des Pavillons.
Rings umher erwachte das Leben in Hain und Flur, auf den Bergen und in den Thälern!
Nur auf dem Palmenhügel blieb es still - da ruhten Mutter und Kind! - das ohnmächtige Zischen des eklen Ungeheuers allein unterbrach das Schweigen des Todes!
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Der Derwar.

Der geschwungene Dolch fuhr nicht nieder - der gehobene Arm blieb, wie von unsichtbarer Hand gefesselt, über dem Liegenden, dann wurde das Messer zur Erde geworfen und die Hände des Mörders selbst richteten den Bedrohten auf, von dessen Haupt im gewaltigen Ringen die verhüllende Kapntze gefallen war.
»Verzeihung Deinem Knecht, Sahib,« sagte die Stimme Kassim's, des Lugha, indem er augenblicklich seine eigne Verhüllung bei Seite schob und sein Gesicht erkennen ließ, »ich ahnte nicht, daß Du der Versammlung der Dhewi beiwohnen wolltest als einer der unsern, statt in den Armen Anarkalli's der Wonnen des Lebens zu genießen. Ist diese da die Bayadere? Sie weiß, daß sie bei Todesstrafe den heiligen Raum während des Opfers nicht betreten darf.«
Er wies auf das zitternde, aber vollständig verhüllte Mädchen. Glücklicherweise hatte er - noch entfernt bei dem Erscheinen des Zwerges - den englischen Ausruf der Miß nicht gehört.
Der Arzt hatte alle seine Ruhe wieder gewonnen. Er fühlte, daß nur die höchste Kaltblütigkeit ihn zu retten vermöchte.
»Bist Du mein Mayadar oder nicht? Wagt es der Mayadar, Fragen an seinen Gebieter zu thun, oder hat er willenlos seine Befehle zu vollstrecken?«
Der Hindu legte die Hand an die Stirn und beugte schweigend sein Haupt.
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»Geh voran,« befahl der Arzt, »und geleite uns in der Stille zurück zu meinem Schlafgemach. Niemand darf erfahren, daß wir dem Opfer beigewohnt. O Kaley! Ombra Nurheddin!« Die Worte, die Anarkalli ihn als Zeichen des Bundes gelehrt, überzeugten den Mörder von der Wissenschaft des Gebieters neben der Erinnerung, wie das Haupt des furchtbaren Bundes ihn gerettet und seiner Sorge übergeben, und ohne Widerrede schritt er voran, indem er die Leiche des Zwerges bei Seite schob.
Walding folgte ihm, die bebende Editha unterstützend, ohne daß er es wagen konnte, ihr ermuthigende und tröstende Worte zuzuflüstern, obschon das Mädchen natürlich das in indischer Sprache geführte Gespräch nicht verstanden hatte und nur aus der Haltung und dem Thun ihres Beschützers schließen konnte, daß sich ein neuer Ausweg zur Rettung zeige.
So eilten sie unter Kassim's Leitung durch noch einige verschlungene Gänge, stiegen Treppen und Stufen hinauf und standen endlich vor einer festen Felswand, die ihren Weg versperrte. Der Hindu jedoch ergriff einen metallenen Ring am Boden, zog daran, und im Augenblick theilten sich die Steine der Wand und bildeten einen Durchgang. Walding trat mit seinen Begleitern in den geöffneten Raum und erkannte, daß er sich in dem Badezimmer befand, welches auf die Terrasse ging, die zur Seite die Kiosks enthielt.
Von hier gelangten sie leicht nach dem Pavillon des Arztes, dessen Thür ehrerbietig der Hindu ihnen öffnete. Walding gebot ihm mit der Macht, die er über ihn gewonnen, auf der Schwelle des Kiosk zu verweilen und Niemand ihn betreten zu lassen.
Bei dem knechtischen Charakter der Hindu's im Allgemeinen und dem religiösen Fanatismus, der hier noch den Gehorsam seines neuen Dieners verstärken mußte, brauchte der Deutsche nicht zu fürchten, daß der Thug in irgend einer Weise seine Befehle übertreten werde. Dennoch brauchte er, nachdem er mit seinem Feuerzeug die Lampe wieder angezündet, die Vorsicht, mit Teppichen und Seidendecken die innere Thür des Kiosk zu verhängen, um jedes Belauschen unmöglich zu machen.
Dann erst nahte er sich seiner jungen Schutzbefohlenen, die
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auf einen der Divans zum Tode erschöpft niedergesunken war, und versuchte, ihr Muth und Hoffnung einzusprechen.
»Der Allmächtige,« sagte er, »hat Sie auf wunderbare Weise nicht aus so schrecklichen Gefahren bis jetzt errettet, um uns seine Hilfe nicht auch ferner angedeihen zu lassen. Die Anweisungen der Indi[an]erin haben sich bis jetzt bewährt, ein glücklicher Zufall ist ihnen sogar zu Hilfe gekommen, lassen Sie uns ihnen auch ferner genau Folge leisten.
»Vor Allem wird es nöthig sein, daß Sie Ihre Kleidung und ihr Aeußeres so sehr als möglich dem der Bayadere ähnlich machen, die uns Beide gerettet. Hier - er dachte mit Erröthen an den Zweck jenes Besuchs und die Stunde, die er in dessen Armen zugebracht, als er auf das bleiche, unschuldsvolle Gesicht des bedrohten Mädchens schaute - »sind der Putz und die Schmucksachen der Tänzerin. Legen Sie dieselben an, Miß, und verbergen Sie Ihr Gesicht in die dichten Schleier, wenn ja Jemand morgen durch einen Zufall dies Gemach betreten sollte. Hier ist die Hennah, die das Mädchen zurückgelassen hat. Es ist genug, um Ihr Gesicht, Ihren Hals, Ihre Arme und Ihre Füße zu färben, denn Sie müssen sich ihr so gleich als möglich machen.«
Das junge Mädchen erröthete schamhaft. »Ich will gern Alles thun, was Sie mir sagen - aber ich bitte Sie, eine kurze Zeit das Gemach zu verlassen.«
»Verzeihen Sie, Miß - doch so gern ich wollte, ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen. Mich in die Verandah zu begeben, hieße den Argwohn Kassims wecken, und das Gemach hat keinen andern Ausgang.«
»Aber das Hindumädchen muß doch ...«
Sie schwieg beschämt, denn sie fühlte, daß sie unbedachtsam gesprochen und eine tiefe Röthe überzog ihr schönes Gesicht, indem sie die Augen zu Boden schlug.
Ihr Beschützer begriff sehr wohl, was sie hatte sagen wollen und seine Verlegenheit war nicht gering. »Miß,« sagte er endlich - »ich hoffe, Sie werden der Ehre eines Mannes vertrauen, der bereit ist, für die Ihre sein Leben zu opfern. Es ist unmöglich, Sie zu verlassen, aber ich werde mich an die Wand
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stellen und durch dieses Fenster hinaus schauen, und ich verpfände Ihnen mein Wort, daß ich diese Stellung nicht verlassen werde, bis Sie selbst mich rufen. Opfern Sie das Nothwendige und Nützliche nicht thörichten Bedenken der Schaamhaftigkeit. Wir müssen den Rest dieser Nacht zusammen zubringen, aber Sie werden sich unter dem Schutz eines Bruders befinden.«
Miß Editha erhob sich und trat auf ihn zu. »Verzeihen Sie den so schwer bedrängten Gefühlen eines armen Mädchens,« sagte sie, indem sie ihm schüchtern aber mit einem Ausdruck unendlichen Vertrauens die Hand reichte. »Sie sind der einzige Freund, den Editha Highson in diesem Augenblick noch besitzt und es wäre unwürdig von ihr, Ihnen nicht das vollste Zutrauen zu schenken. Bitte - erfüllen Sie Ihr Versprechen - dies Gemach ist für kurze Zeit das meine.«
Der Deutsche führte die kleine zarte Hand an seine Lippen und küßte sie ehrerbietig, dann stellte er sich an die Hinterwand des Pavillons, öffnete zur Hälfte die Jalousieen und schaute hinaus auf den Nachthimmel und auf das Thal, dessen dunkler, in Schatten gehüllter Grund gerade zu seinen Füßen lag, da unter der Wand des Kiosk senkrecht der Fels in die Tiefe stieg.
Es war für einen lebenskräftigen Mann, dessen Blut noch wenig Stunden vorher durch die üppigen Umarmungen der Bayadere in Wallung gebracht worden, in der That keine geringe Aufgabe, hier die Marmorkälte einer Statue zu bewahren, jede Bewegung, jeden Blick der eigenen Augen sorgsam zu hüten, während dicht hinter ihm eines der reizendsten Wesen, die er je gesehen, dessen erster Anblick Gefühle in ihm wach gerufen, die ihm so lange unbekannt geblieben waren, im unschuldigen Vertrauen auf sein Wort, jene nach den Tagen grausamer und rücksichtsloser Gefangenschaft so nothwendige Toilette vornahm, deren Geheimnisse die züchtige Jungfrau sonst nur der tiefen Verschwiegenheit ihres gesicherten Schlafgemachs enthüllt. Er hörte das Rauschen der Gewänder, die Bewegungen des jugendlichen Körpers, ihren leisen Tritt, wie er über die Matten des Gemachs schwebte; er fühlte, daß sie verloren war, wenn er es gewollt, daß ihr Flehen, ihr Widerstand nutzlos gewesen wäre - und dennoch gewann er es über sich, treu seinem Wort zu bleiben,
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ihr Vertrauen zu ehren und die eigenen klopfenden Pulse mit den Gedanken an die Unschuld des Mädchens zu bekämpfen.
Nicht ahnte er - welches das Schicksal des reizenden, unschuldigen Wesens noch sein sollte, ehe ein Jahr vergangen! Wie er selbst die Würfel rollen machen würde, die ihr entsetzliches Loos entschieden, noch schlimmer, abscheulicher, als jenes, das sie gleich der indischen Wittwe auf dem Altar der gräulichen Bhawani bedroht hatte!
Eine halbe Stunde war vergangen, als die leisen, züchtig geflüsterten Worte: »Ich danke Ihnen, Sir! Kommen Sie jetzt zurück!« ihm die Erlaubniß gaben, sich umzukehren.
Sein Erstaunen war groß, als er die Veränderung sah, die mit der Person der jungen Engländerin vorgegangen war. Hätten ihr Lächeln, ihr kaum nach überstandener Todesgefahr wieder so schalkhaft heiterer Blick und die englischen Worte ihn nicht eines Andern belehrt, er würde geglaubt haben, wirklich eine junge indische Tänzerin vor sich zu sehen.
Miß Editha hatte die Kleider und den Schmuck angelegt, den die ›Granatblüthe‹ bei dem Tanz am Abend getragen, und ihr natürliches Schönheitsgefühl hatte sie gelehrt, die Kleidung in einer Weise zu ordnen, die mehr europäischem Schicklichkeitssinn entsprach. Gesicht, Hals und Arme waren von der Hennah mit der Farbe eines hellen Mahagony-Braun überzogen und selbst die blonden, reichen Locken des Mädchens schienen dunkler auszusehen. Walding bewunderte, mit welchem Geschick sie so eilig das reiche Haar nach der Sitte der indischen Tänzerinnen zu ordnen verstanden hatte. Die entblößten, in zierliche Pantoffeln gesteckten Füßchen hatte sie schaamhaft unter dem Saum ihres Gewandes verborgen.
»Bei Gott,« rief der Arzt, »diese Veränderung ist wunderbar. Wenn Sie den Schleier über Ihr reizendes Gesicht decken, ist es unmöglich, daß Jemand in Ihnen eine Faringi ahnt. Ruhen Sie jetzt ein Paar Stunden von den Schrecknissen dieser Nacht, indeß ich Ihren Schlaf bewache. Ich wiederhole Ihnen, Sie stehen unter dem Schutz meiner Ehre.«
Sie reichte ihm beide Hände. »O glauben Sie nicht,« sagte sie mit ernster Miene, »daß Furcht und Besorgniß mich hindert,
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die Ruhe zu suchen. Ich vertraue ganz Ihrem Schutz. Aber es wäre mir unmöglich, jetzt Ruhe zu finden, wo meine Gedanken noch zu der gräßlichen Lage zurückkehren, der Sie mich entrissen, und das Bild jenes furchtbaren Abgrundes vor meiner Seele steht, in den jene beiden Unglücklichen, die so viel für meine eigne Rettung gethan, sich gestürzt haben. O Gott im Himmel, was wird - was kann sein Schicksal sein, als Tod und Verderben? Niemals wird er das Licht der Sonne wieder erblicken!«
Sie verhüllte das Gesicht mit ihren Händen und vergoß heiße Thränen. Walding, dem die einzelne Erwähnung des jungen Offiziers nicht unbemerkt vorüber gegangen war, wagte nicht, ihr Trost zuzusprechen, denn er selbst zweifelte kaum an dem traurigen Ausgang des furchtbaren Versuchs trotz der eigenthümlich sinnreichen Art, in der er unternommen worden.
»Aber nein,« fuhr die Engländerin fort, »Gott hat uns selbst so wunderbar gerettet, daß es Frevel wäre, an seiner Macht und Güte auch gegen unsere Freunde zu zweifeln. Lassen Sie uns die heilige Pflicht erfüllen, die wir schon zu lange versäumt haben, ihm zu danken für seinen Schutz, und für Jene zu bitten, die ohne ihn verloren sind.«
Die Jungfrau warf sich nieder auf ihre Kniee und sandte ein heißes Dankgebet aus der Tiefe ihres unschuldigen Herzens hinauf zum Thron des Allmächtigen. Ueberwältigt von ihrem frommen Glauben knieete er, der Arzt, der Skeptiker, an ihrer Seite und betete zu dem Gott, dessen Hand ihn so wunderbar, ehe zwei Mal die Nacht gewechselt, drei Mal vom Tode: aus der Schlinge der Würger - von dem Zahn der Cobra - und von dem Dolch der Mörder gerettet hatte.
Erst als Editha sich erhob, that er dasselbe und setzte sich neben sie auf das Ruhebett.
»Wenn Sie denn der Ermüdung kein Gehör geben wollen,« sagte er, »so erzählen Sie mir, auf welche Weise Sie in die Hände der Thugs gerathen sind und wohin ich Sie führen soll.«
»Sie haben bereits gehört,« berichtete das junge Mädchen mit leisem Ton um nach dem Rath ihres Beschützers die Aufmerksamkeit des vor der Thür des Kiosk ruhenden Thugs so wenig als möglich rege zu machen, »daß ich die Nichte des General
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Wheeler bin. Mein Vater, Obristlieutenant Highson, folgte vor Jahresfrist in Kanada meiner Mutter in's Grab, und mein Oheim ließ mich, das Kind seiner einzigen Schwester, nach Indien kommen, um in seinem Hause und mit seiner eigenen Tochter zu leben. Vor etwa zwei Monaten traf ich in Kalkutta ein und benachrichtigte meinen Oheim von meiner Ankunft. Er unternahm sogleich selbst die Reise von Cawnpur zur Hauptstadt, um mich in sein Haus zu geleiten, aber leider traf statt seiner ein Brief bei mir ein, der mich benachrichtigte, daß er in Benares am Fieber erkrankt wäre, und worin er seinen Agenten anwies, mich mit der ersten sich bietenden Gelegenheit zu ihm zu senden.
»Es traf sich, daß die Wittwe eines Offiziers die Reise nach dem Norden machte, und der Agent meines Oheims glaubte nicht besser thun zu können, als mich dem Schutz ihrer Gesellschaft anzuvertrauen. Wir machten die Reise der Hitze wegen zu Wasser, indem wir von Strecke zu Strecke eines der großen Ruderboote nahmen, die den Ganges befahren. Wir waren bereits über Patna hinausgekommen, als ich zwischen Ghazipur und Benares in einer Nacht plötzlich von einem jammervollen Schrei erwachte. Ich erkannte die Stimme der Dame, meiner Begleiterin, und wollte ihr zu Hilfe eilen, aber ich fühlte mich von rauhen Männerhänden ergriffen, meinen Hilferuf gewaltsam erstickt und mich von dem Zelt auf dem Deck, das uns zur Schlafstätte diente, fortgetragen in den untern Raum des Schiffes. Von der Zeit, die nun kommt, kann ich nur wenig erzählen. Ich wurde in einem engen Raum gefangen gehalten, obschon man mir sonst kein Leides that, und mir sogar meine Kleidung und andere Bedürfnisse brachte. Selten nur, und dann auch nur bei Nacht, wenn keine anderen Schiffe in der Nähe waren, durfte ich auf das Verdeck, um frische Luft zu schöpfen. Zu anderen Zeiten lag ich wieder in tagelangem, todesähnlichem Schlaf und ich glaube, daß die Mörder mir dann Opium oder ein betäubendes Mittel unter der Nahrung gereicht haben müssen, um mich für die Zeit zu betäuben, wenn sie an großen Städten oder an belebten Stationen vorüberkamen. Zwei Mal hörte ich während der Zeit in meinem engen Kerker gleich furchtbare Schreie, wie die ersten in jener Nacht ...«
»Ihre Räuber waren Flußthugs - Mitglieder der berüchtigten
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Mördersekte, die aus dem Ganges und der Dschumna ihr Wesen treiben,« unterbrach sie der Deutsche.
»Es mag so sein, wie Sie sagen. Ich kenne zu wenig noch das indische Leben, um meinen Vermuthungen eine bestimmte Richtung geben zu können. Genug - ich habe leider von meiner Reisegefährtin und ihren Dienern nie wieder eine Spur gesehen. Vergeblich war all' mein Flehen - ich verstand ihre Sprache nicht und sie nicht die unsere oder wollten sie nicht verstehen. Die Zeit, daß ich mich auf dem Boote befand, mag zehn bis zwölf Tage gewährt haben. Als man mich auszusteigen zwang, geschah es an einem einsamen, öden Ufer. Man lud mich gleich einem Ballen Waare auf einen elenden Karren, indem man mich durch Geberden mit dem Tode bedrohte, wenn ich einen Versuch zur Flucht oder um Hilfe zu erlangen machen sollte. So zogen meine Entführer - deren Haufe sich nach und nach immer mehr vergrößerte - fünf Nächte mit mir weiter durch öde, traurige Gegenden, die einer großen Wüste glichen, indem wir am Tage während der Hitze an versteckten Orten lagerten. Zwei Tagereisen vor diesem Orte brachte ein andrer Haufe, der sich zu uns gesellte, eine junge reichgekleidete Frau, die mein Schicksal zu theilen und mehr als ich von dem zu wissen schien, was uns erwartete, denn sie geberdete sich verzweifelt und weinte und flehte, so oft man ihre Bande löste. Aber leider konnten wir uns nicht durch die Sprache verständigen. Man hat sie gestern aus jener schrecklichen Höhle, in die wir eingeschlossen worden, mit neun Anderen weggeführt.«
Der Arzt gedachte schaudernd des furchtbaren Todes der schönen Begum, und daß dasselbe Loos seiner Gesellschafterin bestimmt gewesen war, aber er hütete sich, ihr mit der Erzählung neue Schrecken zu bereiten.
»Ehe wir den Ort, wo wir uns befinden, erreichten,« fuhr die Miß fort, »versetzte man uns wieder in jenen lethargischen Schlaf, aus dem ich nur erwachte, um mich mit gefesselten Gliedern in jener schrecklichen Höhle in Gesellschaft so vieler Unglücklichen wieder zu finden. All' mein Muth war gebrochen, ich wäre trostlos verzweifelt, wenn der junge Mann, der zuerst meine Bande löste und so heldenmüthig für meine Rettung einstand, durch
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seine Worte mich nicht ermuthigt und neu gekräftigt hätte, unser schreckliches Schicksal, wie es Christen und Briten zukommt, zu ertragen.«
Die Erzählung und die grausame Erinnerung schien die Kraft des armen Mädchens erschöpft zu haben, denn sie schwieg und bald bemerkte der Arzt, daß sie aus ihrem träumenden Nachsinnen in wirklichen Schlaf gefallen war. Er deckte ihr Gesicht mit dem Schleier der Tänzerin zu, löschte die Lampe und setzte sich wieder neben sie. Bald sank das Haupt der schönen Schlafenden an seine Brust, und still und unbeweglich hielt er in süßen Gedanken die reizende Last, bis die ungewohnten Anstrengungen der zurückgelegten Reise und die Eindrücke des vergangenen Tages und der Nacht auch seine Augenlider schlossen und ihn in einen leichten Schlaf versenkten.
Dennoch war in der That dieser Schlummer nur leicht und seine sorgende Seele schien ihre volle Wachsamkeit bewahrt zu haben. Denn als eine Stunde nach Sonnenaufgang Kassim leise an die Thür pochte, um ihn zu benachrichtigen, daß Fattih-Murad-Khan, der künftige Eidam der Maharani, mit den Pferden und Dienern seiner im Hofe der Burg harre, um, wie sie besprochen, dem Maharadscha[h] von Bithoor entgegenzugehen, war er rasch wach und auf den Füßen. Er bettete die schöne Last der Nacht bequem auf die Kissen des Divans, verhüllte nochmals ihr Gesicht mit dem Schleier und legte ein Blatt aus seiner Brieftafel in ihre Hand, auf das er rasch noch einige Mahnungen zur Vorsicht geschrieben hatte. Dann öffnete er die Thür absichtlich so, daß der Hindu die Schläferin sehen konnte, und befahl ihm, indem er das Gebahren eines Eifersüchtigen nachzuahmen suchte, das Gemach bis zu seiner Rückkehr nicht zu betreten, noch von einem Andern betreten zu lassen.
Ein solcher Befehl war zu sehr den Gewohnheiten des Orients entsprechend, als daß er hätte auffallen können, und Walding verließ ziemlich beruhigt über dessen Befolgung den Kiosk.
Im untern Hofraum der Burg fand er Murad Khan auf seinem edlen Renner ›Zorab‹ nebst einem zahlreichen und glänzend ausgerüsteten Gefolge seiner harren. Auch Tukallah, der Burgherr, war bereits zu Roß, und an seiner Seite der alte General Rundschit-Sing['s].
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Es kostete dem deutschen Arzt Ueberwindung, dem Mann in's Auge zu sehen, den er für eines der höchsten Glieder, wenn nicht für das Oberhaupt der furchtbaren Sekte halten mußte und die von dem Blut so vieler Unschuldigen getränkte Hand zu fassen, die ihm geboten wurde. Ebenso scheu irrte sein Blick unter allen Männern umher, nicht wissend, welche von ihnen er der entsetzlichen Thaten anklagen müsse, und selbst Murad, der neu gewonnene Freund, entging dem Verdachte nicht. Mit Gewalt unterdrückte er den Schauder, der seine Adern durchrieselte, und erwiederte die höflichen Erkundigungen der Indier nach seinem Wohlsein mit den üblichen Redensarten der an Komplimenten so reichen Sprache. Keine Spur zeigte sich seinem spähenden Auge von den Schrecknissen und Wirrnissen der Nacht, und wenn er nicht gewußt, daß der Beweis der entsetzlichen Wahrheit auf den Kissen seines Kiosk ruhe, würde er geglaubt haben, daß Alles ein böser Traum gewesen sei.
Die kleine Schaar verließ jetzt die Burg und pasfirte den Felsweg, der hinunter in's Thal führte, Tukallah an ihrer Spitze. Bei dieser Gelegenheit, da die Reiter nur zwei und zwei den schmalen Pfad zusammen reiten konnten, nahm der Arzt absichtlich seinen Platz an der Seite des jungen Sikh, um das Versprechen, das er der Granatblüthe gegeben, zu erfüllen.
Es galt zuerst, sich die Ueberzeugung zu verschaffen, daß der ritterliche junge Mann wirklich nicht zur schrecklichen Sekte der Mörder gehöre und die Nacht bei dem Opfer zugebracht habe. Walding konnte hier allein auf seine Physiognomik vertrauen, denn kein anderes Mittel blieb ihm übrig, die Wahrheit zu erfahren.
»Hat mein junger Bruder die Nacht ungestört im süßen und festen Schlaf der Jugend zugebracht?« fragte er, sein Auge fest auf das Gesicht seines Begleiters heftend.
»Aliki, die Göttin des Traumes, war bei mir. Zu Anfang meines Schlafes erschreckte mich das Bild des Ungeheuers, dessen Gift der muthige Hakim von dem Haupt der Rose von Lahore abgewendet hat. Aber die guten Geister siegten auch im Traume und ich war der Glücklichste der Sterblichen.«
Der reine offene Geist, der in dem Auge des jungen Khan's
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blitzte, überzeugte den seelenkundigen Forscher von der Wahrheit dieser Worte.
»Ich habe nicht so angenehme Träume gehabt,« fuhr der Arzt zur Seite blickend fort, »und ohne das Versprechen, das ich Dir, junger Freund, gegeben, wäre ich gern zurückgeblieben; denn ich bin kein Krieger wie Ihr und fühle mich von den letzten Anstrengungen noch angegriffen. Wie weit beabsichtigt der Sirdar seinem Gast entgegen zu reiten?«
»Er hofft ihn acht Kos'62 jenseits des Grabmals der sieben Dattelpalmen am Ufer des schwarzen Flusses zu treffen.«
Der Arzt erbebte bei der zufälligen Nennung des Ortes.
»Was ist dies für ein Grabmal? Ich hörte bisher weder von ihm noch von dem Flusse sprechen.«
»Du siehst jenen See in der Mitte des Thales und den Bach, der ihn tränkt?«
»Der seltsame Umstand, daß er keinen sichtbaren Abfluß hat, fiel mir schon bei unserer Ankunft auf. Ich vermuthe, daß er einen unterirdischen Ausgang sich gebahnt hat.«
»Du bist ein Gelehrter - Du kannst Recht haben. Was weiß ich - ich zerbreche mir den Kopf nicht mit Dingen, die ein junger Krieger nicht zu wissen braucht. Was ich weiß, ist, daß an dem Fuß dieser das Thal umgebenden Felsen nach Mittag hin aus dunklen Klüften ein schwarzes Wasser hervorstürzt und seinen Lauf durch die Felsentrümmer in die Wüste nimmt. Zweihundert Schritte von der Stelle, wo es aus den Felsen quillt, stehen die Trümmer des heiligen Grabmals Asoka's, eines Einsiedlers aus längst vergangenen Jahrhunderten. Sieben Palmen umgeben sein Grab und der Ort wird gemieden von den Stämmen der Wüste, weil die bösen Geister dort ihre Wohnung haben.«
Der Deutsche wußte genug und er beschloß, das Gehörte zur Ausführung seines Planes zu benutzen. Die Schaar galoppirte jetzt bunt unter einander gemischt durch das Thal an der Seite des Felsengrates hin, der, von der südlichen Bergwand
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vorspringend, die unheimliche Mahrattenburg trug. Walding hatte bereits aus den Reden seiner Begleiter vernommen, daß der südliche Felsenwall einen Aus- und Eingang in das Thal bot, wie die Nordseite, aber er war erstaunt von dem großartigen Spiel der Natur, das sich seinen Blicken bot, als sie jetzt weiter am Hang des Gebirges hinauf kamen. Ein Felsenthor öffnete sich vor den Reitern und führte zu einer Gallerie von fast hundert Schritten Länge, die nur von dem Anfang und Ende her ihre Beleuchtung empfing, aber von so kolossalen Dimensionen war, daß drei Elephanten neben einander hindurch passiren konnten. Dennoch war, wie Walding sofort begriff, dieser Weg gleich dem Thor einer Festung sehr leicht gegen ein Heer zu vertheidigen.
Aus dieser Wölbung heraustretend, zog sich der Weg zwischen hohen Felsenwänden in vielfachen Windungen niederwärts, eben so sorgfältig bewacht, wie der am andern Ende des Thales, bis plötzlich aus den Bergen hervortretend die unermeßliche rothe Ebene der Thür oder Wüste vor ihren Blicken lag.
Der Zug wandte sich jetzt gegen Abend und galoppirte in die Wüste hinein, als Walding in einiger Entfernung die schlanken Stämme und wiegenden Kronen einiger Palmen über seltsam geformten Trümmern gewahrte, denen sie bereits den Rücken zuzuwenden begannen. Sofort kehrte er sich zu seinem jungen Begleiter und hemmte dessen Eile.
»Mein junger Freund möge einen Augenblick verziehen,« sagte er mit den Zeichen großer Erschöpfung, »ich fühle wirklich, daß ich meinen Kräften zu viel zugemuthet habe und den weiten Ritt durch die Einöde nicht ertragen werde. Ich will umkehren oder an einer geeigneten Stelle in der Nähe zurückbleiben, bis der Sirdar mit seinem Gast zurückkehrt. Es würde mir lieb sein, den tapfern Khan in meiner Nähe zu wissen.«
Der junge Mann, von dem Vorgeben des Arztes getäuscht, erklärte sich sogleich bereit dazu, sprengte auf seinem windesschnellen Rosse dem schon vorausgeeilten Sirdar nach, und benachrichtigte ihn von dem Unwohlsein seines Gastes. Sofort hielt Tukallah an und erschöpfte sich mit den überschwenglichen Komplimenten der indischen Höflichkeit im Bedauern über den Unfall und wollte den Europäer von mehreren seiner Begleiter
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nach der Burg zurückführen lassen. Nur mit Mühe vermochte der Arzt dies abzulehnen, indem er erklärte, daß schon die langsamere Bewegung hinreichen werde, ihn wieder herzustellen, und daß er es vorziehe, die Gelegenheit zu benutzen, am Fuß der Gebirge einige mineralogische und botanische Studien zu machen.
Der Mahrattenfürst ließ daher seinen Gast unter dem Schutz des jungen Sikhkriegers zurück, und eilte dem wichtigern Besuch entgegen. Auf die zugeflüsterte Bitte entfernte ein Wink des Khan auch die Diener, die zurückbleiben wollten, und so befanden sie sich bald allein am Fuß der Berge und in der Einöde.
»Laß zu jenen Palmen uns wenden,« bat jetzt der Arzt seinen jungen Begleiter - »ich möchte die Trümmer des Grabmals sehen und mich von dem Ursprung des Flusses überzeugen.«
»Mein Bruder hat nicht bedacht, daß an jenem Ort böse Geister hausen,« bemerkte der abergläubische Indier.
Der Arzt lächelte. »Ich fürchte die Geister so wenig, wie Du die Menschen, tapfrer Khan. Was jene betrifft, nehme ich Dich unter meinen Schutz.«
Der Khan machte keine Einwendungen weiter, denn jeder europäische Arzt gilt bei den Naturkindern ohnehin für eine Art Zauberer, der die Macht hat, den Geistern zu gebieten. Langsam ritten die Freunde nach dem Ufer des Flusses.
Schon in der Entfernung machte sich ein starkes Rauschen wahrnehmbar, das, je näher sie kamen, desto mächtiger wurde. Plötzlich um den Fuß eines Felsens biegend, sah Walding das eigenthümliche und majestätische Schauspiel vor sich.
Aus einer hohen und steilen Felswand, gleich wie aus der Mauer eines unterirdischen Kanals, brach ein mächtiger Strom trüben dunklen Wassers, zuerst im Bogen, und dann aus dem Kessel, den er sich gewühlt, zwischen Felstrümmern und sich immer mehr verflachenden Ufern in verschiedenen Krümmungen sich fortwälzend.
An einer der letztern, an dem Ufer, auf welches der Strom stieß und eine kleine Bucht bildete, stand das Grabmal des Einsiedlers, von den schwankenden Kronen der sieben Palmen überragt.
Das Gebäude mußte einst - wie dies noch bei sehr vielen
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dieser interessanten Denkmäler des alten Indiens der Fall ist, - einen sehr bedeutenden Umfang gehabt haben, denn die äußeren Umfassungsmauern, jetzt nur noch in riesigen Trümmern vorhanden, nahmen einen ziemlichen Raum ein. Wohl erhalten war allein noch der majestätische Bogen des Thores, dessen Wände mit den Zeichen der uralten Keilschrift und seltsamen Hieroglyphen bedeckt waren, die Waldings Aufmerksamkeit und Forschergeist gewiß in jeder andern Lage gefesselt hätten. Das viereckige Gebäude oder die Pagode, in welcher der Steinsarg des Einsiedlers stand war gleichfalls nur Ruine, das vergoldete Dach vielleicht schon vor Jahrtausenden zusammengestürzt, und wildes Buschwerk und Schlingpflanzen, zwischen denen der Salamander und die Schlange umherschlüpften, wucherten hoch zwischen den Steinhaufen.
Ein überaus melancholisches, ja unheimliches Aussehn des Ganzen, noch trauriger und phantastischer als das anderer Ruinen, wurde durch den Umstand hervorgerufen, daß das ganze Bauwerk von schwarzem Marmor aufgeführt gewesen war.
Murad Khan nahte sich nur mit dem Schauer abergläubischer Ehrfurcht dem Eingang, die noch bedeutend erhöht wurde, als der Arzt, der vergeblich einen ängstlichen und forschenden Blick über den Platz geworfen hatte, ihn einen Augenblick zurückhielt und ihm sagte: »Der junge Häuptling der Sikhs ist ein Mann von Ehre. Er möge mir sein Wort geben, daß er nie von dem erzählen wird, was sein Auge hier sehen, sein Ohr hier vernehmen könnte.«
Der junge Mann, von Furcht aber auch von Wißbegierde bewegt, gab das geforderte Versprechen, indem er noch immer glaubte, daß es sich hier um eine überirdische Erscheinung handle, die der weise Hakim, der seine Braut vor der gefährlichsten Schlange Indiens geschützt, herauf citiren werde.
Der Arzt, jetzt wenigstens über seinen Begleiter beruhigt, ritt von ihm gefolgt bis zum Ufer des Wassers und durchforschte dieses auf das Genaueste mit seinen Blicken.
Aber kein Zeichen, nicht die geringste Spur von der Rettung des verwegenen Mädchens und ihres Geliebten war zu sehen.
Ohnehin gehörte sie fast in das Reich der Unmöglichkeiten!
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Beide mußten auf dem furchtbaren Wege durch die Tiefen der Erde, den die Tänzerin gewählt, erstickt, oder an den Felsen von den tobenden Wassern zerschmettert worden sein.
Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, als er an das Schicksal der beiden Unglücklichen dachte, das so seltsam mit dem seinen verknüpft worden war. Dann stieg er vom Pferd und der Khan folgte ihm, die edlen, daran gewöhnten Rosse sich selbst überlassend.
Nachdem sie die mächtigen Palmen betrachtet, wandten sie sich zu dem Eingang des Grabmals und überstiegen die Trümmer, die ihn versperrten.
Plötzlich stieß der junge Krieger einen Schrei des Schreckens aus und seine weitgeöffneten Augen starrten mit unverhohlenem Entsetzen auf eine Stelle, wohin seine erhobene Hand wies.
Es war der Sarkophag des Einsiedlers oder Zauberers, wie ihn die Sage der Wüstenstämme bezeichnete, von weißem Stein, und darum um so mehr hervortretend von der Farbe der Nacht, welche die ganze Umgebung trug.
Zwei dunkle Gestalten lehnten in dem dämmernden Licht, welches das Gebäude erfüllte, an diesem Sarkophag - erst mit der Unbeweglichkeit wirklicher Bildsäulen - dann als Walding auf dem hellen Hintergrund des Eingangs erkennbarer wurde, traten Beide vorwärts, und das Staunen des Hindu wurde noch größer, als er Walding mit einem Ruf der Freude auf sie zueilen und ihre Hände fassen sah.
Es waren in der That der junge englische Offizier und die Bayadere, die durch ein halbes Wunder die entsetzliche Fahrt zurückgelegt hatten.
Lieutenant Sanders trug den rechten Arm in einem Tuch - er war bei einem Stoß an die Felsgewölbe und einem unvorsichtigen Loslassen seines Haltes gebrochen. Einige blutige Schrammen an der Stirn bildeten die anderen Verletzungen, die er davon getragen, der geschmeidige Körper des Mädchens aber war ohne alle Beschädigung geblieben. Ihre Hand hielt noch den Dolch, der ihr wichtige Dienste auf der entsetzlichen Fahrt geleistet hatte, und den sie jetzt zur Vertheidigung ihres Geliebten bewahrte.
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Wir müssen dieser seltsamen Fahrt einige Worte widmen. - So gefährlich sie von Anfang auch erschien, so wohl war sie möglich.
Anarkalli war es bekannt, daß die Thugs häufig kostbare Waaren und Gegenstände, deren Transport aus der Burg sie verheimlichen wollten, auf dem unterirdischen Wege fortschafften, den sich der Fluß durch die Wurzeln der Berge gewühlt. Dies geschah in großen tonnenartigen Ballons von beweglichen Stahlreifen, über welche, wie bereits bei der Beschreibung der Flucht aus dem Gefängniß angedeutet worden, eine elastische aber starke Gummidecke gespannt wurde, die, sich zusammenziehend, auf solche Weise luftdicht den Raum verschloß. Durch die eingeschlossene Luft mußte das seltsame Fahrzeug selbst bei ziemlich schwerer Beladung leicht oben schwimmen, und das Material, aus dem es bestand, machte es fest und elastisch gegen die Stöße der Felsen, wider welche die rasende Gewalt des Wassers es warf. Am Ausfluß des unterirdischen Stroms in der Bucht vor dem Grabmal des Einsiedlers wurden die Ballons dann von den harrenden Vertrauten der Häupter des Bundes aufgefangen, geöffnet und auseinander genommen, so daß sie leicht und unbemerkt wieder nach den unterirdischen Gewölben der Burg zurückgeschafft werden konnten.
Diese Umstände waren rasch von dem Geist der Tänzerin erwogen worden, als Walding und der Mann, um den sie sich so großen Gefahren aussetzte, darauf bestanden, auch die junge Engländerin zu retten, und sie deshalb den Plan ihrer Flucht vollständig ändern mußte. Außerdem erfüllte sie das eifersüchtige Verlangen, den Geliebten so rasch als möglich aus der Nähe des Weibes zu entfernen, das sie als ihre Nebenbuhlerin ansehen konnte, und ihn durch gemeinsame Gefahr und ihre willige Aufopferung auf's Neue an sich zu fesseln. Sie begriff, daß wenn sie Beide ihre Geistesgegenwart behielten und die eingeschlossene Luft für sie ausreichte - denn die Zeitdauer des unterirdischen Weges war ihr freilich unbekannt, und ein zufälliges Hinderniß, das Abtreiben in einen Nebenkanal, konnte ihr Verderben herbeiführen, da jeder Augenblick Verzögerung ein Leben werth war - sie wahrscheinlich auf diese Weise einen Ausweg nicht blos
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aus der Felsenburg, sondern auch aus dem Thal gewinnen könnten. Im schlimmsten Fall war der gemeinsame Tod mit dem Geliebten ihr Loos, und ihre leidenschaftliche Liebe zog diesen dem Gedanken vor, ihn für die Rettung einer Andern thätig zu wissen.
Der Offizier selbst hatte erst im Augenblick der Ausführung das furchtbare Wagniß begriffen und auch dann nur unvollkommen, vielmehr war er der Ueberzeugung, daß die Bayadere sich und ihn für die Rettung der andern Beiden einem zweifellosen Tode und spurlosen Verschwinden weihe. Dennoch hatte er nicht angestanden, für das unglückliche Mädchen sich dem Tode zu überliefern, da er besser als sie ahnen konnte, welchem furchtbaren Schicksal sie ausgesetzt sein wurde, wenn es nicht gelang, sie zu befreien. Wie sehr auch die leidenschaftliche Gluth der Hindu seinen Sinn gefesselt, so hatte doch die Nähe der weißen Gefangenen ein heiligeres, reineres und tieferes Gefühl in seinem Herzen erweckt, über das er sich selbst noch keine Rechenschaft geben konnte.
Der Instinkt der Selbsterhaltung ließ ihn, als er sich in den Sarg versenkte, den kurzen Anweisungen der Bayadere gemäß, sich an den im Innern angebrachten Haspen festklammern, im nächsten Augenblick schlüpfte die schlanke Gestalt des Mädchens zu ihm, die Oeffnung sprang zu und er fühlte sich von einem donnernden Getöse umgeben und so rasch kopfüber fortgewirbelt, daß er wohl eine Minute lang die Besinnung verlor. Als er seines Geistes wieder Herr wurde, fühlte er einen stechenden Schmerz am Arm, mit dessen Hand er den Halt im Augenblick des Sturzes losgelassen, den Körper der Tänzerin wie zum Schutz um den seinen geschlungen, und eine gänzliche Finsterniß um sich her, in der er sich wie in den Wellen eines Stromes fortgetrieben fühlte, während jedoch ihre Lage dadurch eine ruhigere und bequemere war, daß die Schwere ihrer Körper das ungewöhnliche Fahrzeug im Gleichgewicht hielt und das Rollen um sich selbst jetzt verhinderte.
Dennoch war die Bewegung so furchtbar rasch, das Hin- und Herprallen des elastischen Fahrzeuges von den Felsenwänden so mächtig, daß er wie von einem Taumel befangen blieb und
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wenigstens kein klares Gefühl dessen hatte, was mit ihm vorging. Er fühlte nur, daß die Bayadere ihn fest umschlungen hielt, denn von einer Verständigung durch ein Wort war natürlich in diesem donnerähnlichen Toben der Gewässer nicht die Rede.
Schon nach wenigen Minuten aber begann die geringe Luftmasse um sie her schwer und dick zu werden und der belebende Sauerstoff verflüchtete sich - das Athemholen wurde schwerer und schwerer, und der junge Mann fühlte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg und die Adern seiner Schläfe aufschwollen.
Zwei Mal bemerkte er durch das Gefühl, daß der Arm der Tänzerin sich hob und die Spitze des Dolches durch die elastische Decke stieß. Beide Male aber fand die Klinge Widerstand an den Felswänden des Kanals, durch den der Wasserstrom sie dahintrug.
Funken und Blitze schienen jetzt vor seinen Augen zu kreisen und sein Gehirn zu durchzucken, eine unbekannte Macht ihm die Kehle zuzuschnüren - er fühlte, daß er am Ersticken war.
In dieser Noth hob sich noch ein Mal die Hand der Bayadere, stieß den Dolch durch die Gummidecke und wendete die Klinge in der Oeffnung um. So klein der Raum auch war, so drang doch eine erfrischende kalte Luft herein, die bewies, daß ihr schwankes Fahrzeug in einem leeren Raum jetzt dahinschoß. Im nächsten Moment schon stieß der Ballon auf's Neue an die Felswand, aber der kurze Augenblick hatte doch hingereicht, ein paar Athemzüge zu thun und neue Luft in die Lungen dringen zu lassen.
Gleich darauf, nach einem neuen wirbelnden Sturz, hörte das donnernde Getöse um sie her auf und der Engländer fühlte, daß sie verhältnißmäßig ruhig dahin schwammen. Ein Seufzer, ein Ruf des Entzückens entquoll hörbar der Brust der Tänzerin und gleich einer Rasenden arbeite sie daran, mit dem Dolch eine Oeffnung in die Decke ihres Fahrzeuges zu schneiden, die der elastische Stoff nicht wieder zu schließen vermochte - einen Moment - und das köstliche Blau des Himmels fiel in seine geblendeten Augen, der frische Strom der reinen Gottesluft befreite ihn von der Last aus seiner Brust.
Nachdem die Oeffnung gewonnen, war es ein Leichtes, sie zu vergrößern; die Tänzerin, in der Freude, die Gefahr so glücklich
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überstanden zu haben, fragte nicht ein Mal ihren Gefährten, ob er zu schwimmen vermöge, sondern trennte mit kräftigen Schnitten weiter die Hülle, bis sie gänzlich zerriß, das improvisirte Fahrzeug umschlug und Beide in's Wasser stürzten. Zum Glück vermochte das Mädchen sich gewandt aus den Stahlreifen, die den Ballon gebildet, loszumachen und ihren Begleiter zu unterstützen, denn jetzt erst fühlte dieser, daß sein Arm kraftlos und gebrochen war. Der Strom hatte sie jedoch, als sie sanken, bereits gerade vor die Bucht an den sieben Palmen getrieben und es war der gewandten Schwimmerin ein Leichtes, sich und den Geliebten glücklich an's Land zu bringen.
Schon bei den ersten Worten, die Walding und der junge Offizier wechselten, sah der Khan, daß hier von keinen Gespenstern die Rede sei, und in dem Fremden einen Weißen, einen Feind erkennend, riß er das Pistol aus dem Gürtel, um ihn niederzuschießen. Aber Anarkalli, unkenntlich den Augen des Khans durch das Tuch, mit dem sie ihr Gesicht verhüllt, warf sich schützend vor den Geliebten, und Walding fiel zugleich dem jungen Krieger hindernd in den Arm.
»Bei Allem, was Dir heilig ist - bei dem Leben des Mädchens, das Du liebst - höre mich, ehe Du uns Alle in's Verderben stürzest,« beschwor er den jungen Sikh. »Mit Absicht habe ich Dich hierher geführt - Du hast ein edles Herz und wirst uns Deine Hilfe nicht verweigern. Diese Beiden sind meine Freunde, die ein glücklicher Zufall oder vielmehr die Hand Dessen, den Du Wischnu, den Erhalter, nennst, aus einer großen und schrecklichen Gefahr befreit hat. In die näheren Umstände Dich einzuweihen, verbietet uns ein heiliger Eid. Aber glaube mir, Beide verdienen Dein Mitleid.«
»Es ist ein Faringi - ein Feind meines Volkes!« erwiederte trotzig mit drohendem Auge der Khan, »kein Feind darf leben, der sich in die Nähe des letzten Horts indischer Freiheit gewagt.«
»Ich betheuere Dir, der Mann ist zwar ein Faringi, aber es ist ohne seinen Willen und ohne seine Schuld, daß er sich in der Nähe dieser Berge befindet. Ich selbst - ich schwöre es Dir zu - sehe ihn heute zum ersten Mal im Lichte des Tages.
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Fürchte Nichts von ihm und seiner Begleiterin - ein heiliger Eid und die Dankbarkeit verpflichtet ihn zum Schweigen über Malangher und seine Bewohner.«
Der Khan öffnete die Lippen zu einer neuen Frage, indem er mißtrauisch die beiden weißen Mäuner betrachtete, aber Walding kam ihm auf einen Wink und ein geflüstertes Wort der Tänzerin zuvor.
»Forsche nicht,« sagte er fest, »sondern hilf uns. Bei Deinem Haupte, Khan, ich erinnere Dich ungern daran, aber frage Dich selbst, was aus Mahana, Deiner Verlobten, geworden wäre, wenn ich, der weiße Fremdling, gezögert hätte, ihr zu Hilfe zu kommen? - Für die Rettung jener verlange ich die Rettung dieser hier von Dir! Sieh diesen Ring, den mir Deine Königin gegeben - sein Glanz ist hell, ein Zeichen, daß Du nicht unser Feind bist - aber er fordert zugleich jeden tapfern Sikh auf, wie die Maharani betheuerte, mir beizustehen. Fattih-Murad-Khan hat gelobt, der Bruder Defsen zu sein, der mit ihm Dhulip-Sing seiner Mutter zurückgeben will. Ist er so bald schon seines Versprechens vergessend?«
Der junge Krieger steckte bei dieser Erinnerung sogleich seine Waffe wieder in den Gürtel und reichte dem Arzte die Hand.
»Möge mein Bruder dem raschen Blut Fattih-Murads verzeihen,« sagte er zutraulich. »Er möge ihm sagen, was er thun soll und sich überzeugen, daß Blut und Leben seines Freundes zu seinen Diensten stehen.«
»Ich war gewiß, edler Khan, daß ich nicht vergeblich auf Deine Freundschaft und Deinen Edelmuth rechnete. Verzeihe mir, wenn ich Dich nicht mit allen Umständen der seltsamen Anwesenheit dieser Fremden bekannt mache, allein ich wiederhole Dir - daß ein Eid mich bindet und daß keine Gefahr mit ihrer Rettung für unsere Pläne, noch für die Burg des Sirdars verbunden ist. Aber sie müssen möglichst rasch diesen Ort verlassen und so weit wie möglich fliehen, denn jeder Augenblick Verzugs verschlimmert ihre Lage und wenn sie in die Hände des Sirdars oder seiner Leute fallen, sind sie rettungslos verloren.«
Der Khan dachte einige Augenblicke nach. Dann wandte er das offene kühne Auge auf den Freund. »Es liegt also dem
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weisen Hakim, dem die Lilie des Pendschab ihr Leben verdankt, viel an der Rettung dieses weißen Mannes und seiner Gefährtin?«
»Ich wiederhole es Dir - ich werde Dir ewig dankbar sein.«
»So laß sie unsere Rosse besteigen und nach Morgen zu fliehen. Der Hengst Murads ist von echtem Turkomanen-Stamm, kein Pferd der Reiter des Sirdars vermag ihn einzuholen.«
Der Deutsche umarmte dankbar den jungen Mann, denn er wußte, wie sehr dieser an seinem edlen Renner hing. »Nimm den Dank dreier Menschen für Dein hochherziges Geschenk,« sagte er »und jetzt laß uns rasch das Nöthigste besorgen. Was ist mit Ihrem Arm Sir? sind Sie verletzt?«
»Ich fürchte er ist gebrochen,« erwiederte der Offizier, der von dem indisch geführten Gespräch der Beiden nur Wenig verstanden hatte, aber aus der freudigen Miene des Arztes schloß, daß weitere Aussichten für ihre Rettung vorhanden wärm. »Leider bin ich dadurch vertheidigungslos geworden. Aber vor Allem, sagen Sie mir - ist es Ihnen gelungen, meine Unglücksgefährtin zu retten?«
»Sie befindet sich so weit sicher und ich hoffe zu Gott, sie den Ihren wiedergeben zu können. Doch jetzt haben wir es nur mit Ihnen zu thun und wie Sie zu retten sind. Lassen Sie mich zunächst Ihren Arm untersuchen und verbinden, indeß der Khan nach den Pferden sieht, die Ihnen zur Flucht dienen sollen.« Während Fattih-Murad in der That bereits zu seinem treuen Thier gegangen war, um unbemerkt zärtlichen Abschied von ihm zu nehmen, entblößte der Arzt, indem er den Aermel losschnitt, das gebrochene Glied und untersuchte es auf das Genaueste. Er fand die Röhrknochen des Vorderarms gebrochen, richtete sie ein und legte einen kunstgerechten festen Verband um den Arm, indem er sich zu dem Halt einiger Holzsplitter und mehrerer Stücken der festen Rinde bediente, die er von dem Stamm einer der Palmen abschälte. »Ich nehme an,« sagte er zu der Tänzerin, »daß Du ihn, den Du von einem so schrecklichen Tode gerettet hast, auch jetzt nicht verlassen wirst, so lange er noch in Gefahr ist?«
»Nur der Tod kann mich eher von ihm trennen!«
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»Aber weißt Du den Weg durch die Wüste zu finden?«
Das Hindumädchen lächelte verächtlich über die Frage des Europäers. »Seh' ich nicht, wo die Sonne auf und niedergeht? Sind meine Sinne nicht scharf? Ich weiß, wohin Du gehst - sende das Faringi-Mädchen mit der ersten Gelegenheit zurück zu den Ihren - noch ehe Du und der Khan Euer Ziel erreicht habt, werde ich bei Dir sein. Bis dahin muß die bleiche Mam-Sahib für die dunkle Granatblüthe gelten.«
Der Khan kam jetzt herbei, die beiden Pferde führend. »Mögen Deine Freunde ihren Fuß in den Steigbügel setzen,« sagte er, »Zögern thut nicht gut, wenn die Eile die Mutter unserer Rettung ist. Die Sonne steigt empor und wird bald den Boden der Thür mit Gluth überziehen. Mögen sie fern sein, wenn ihre Feinde zurückkehren.«
Leider waren Diese schon näher als sie dachten! Die Flüchtlinge erkannten die Wahrheit des Rathes, den der Khan ihnen gab und bestiegen die Pferde, wobei Walding dem verletzten Offizier half. Mit Absicht hatte das Hindumädchen das Roß des Deutschen gewählt, das, obschon von trefflicher Race, doch an Stärke und Schnelligkeit bei Weitem dem edlen Turkomanen-Hengst nachstand. Stuart Sanders reichte dem Arzte nochmals die Hand, und indem er Abschied nehmend sich zu ihm niederbeugte, flüsterte er ihm die Bitte zu, Editha nicht zu verlassen. Ein Händedruck gab ihm die Versicherung, das verhüllte Hindumädchen schwenkte die Hand zum Abschied und zwischen den Trümmern dahin galoppirten die Pferde der emporsteigenden Sonne entgegen.
Ein inbrünstiges Gebet sandte der Deutsche zum Himmel um seinen fernern Schutz für die Fliehenden, dann wandte er sich zu seinem Gefährten, der auf den Trümmern der Mauer stehend und die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen schützend die Wüste überblickte.
»Laß uns nun berathen, Freund Murad,« bat er - »was wir dem Sirdar und seinen Freunden sagen, um den Verlust unserer Pferde zu rechtfertigen. Ich denke, die halbe Wahrheit wird uns am besten helfen können. Wir müssen angeben, daß uns, am Ufer des Flusses ruhend, während die Pferde am
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Eingang der Trümmer zurückgelassen worden, zwei Unbekannte sie geraubt hätten und auf ihnen entflohen sind, ehe wir herbeikommen konnten.«
»Es wird gut sein, dies zu sagen und uns dazu bereit zu halten,« entgegnete ernst der junge Mann. »Wenn es ein gutes Werk ist, das wir gethan, wird Brahma die Lüge uns nicht zurechnen, die aus unserm Munde geht. Die Zeit, da wir sie aussprechen müssen, ist nahe; denn dort gegen Süden erhebt sich eine Wolke von Staub, der Sirdar kehrt eher mit Srinath Bahadur zurück, als wir gehofft haben.«
Der Doctor sprang erschrocken an die Seite seines Freundes und erblickte in der That bei schärferm Hinsehn eine leichte Staubwolke am Horizont.
»Die Unglücklichen!« rief er - »Jene werden herankommen, ehe sie noch aus dem Gesichtskreis verschwunden sind!«
In der That waren die beiden Reiter, über die Ebene galoppirend, noch deutlich sichtbar.
»Herunter und ihnen entgegen,« rief der Khan, indem er dem Europäer mit seinem Beispiel voran ging. »Jetzt gilt es, jeden Verdacht von uns abzulenken, wenn wir nicht Tukullah's Säbel über unseren Häuptern sehen wollen.«
Er eilte in der Richtung der Nahenden fort und schoß seine beiden Pistolen in die Luft, sowohl um die Aufmerksamkeit der Flüchtigen zu erregen und ihnen ein Warnungszeichen zu geben, als um damit - wenn sie schon im Gehörkreis sich befänden - ihre Erzählung von dem Raube den Herankommenden glaubhaft zu machen.
Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als von Süden her eine Reiterschaar heransprengte, der in einiger Entfernung der Reisetroß von Dromedaren und Dienern folgte, welche der Maharadschah mit sich führte.
Tukallahs scharfes Gehör hatte in großer Entfernung die beiden Pistolenschüsse gehört, und als sein Blick die beiden Fußgänger erfaßte, begriff er sogleich, daß hier etwas Ungewöhnliches geschehen sei.
Der Reiterschaar voran sprengend parirte er sein Pferd vor den beiden Freunden. »Ich hörte Schüsse, Khan, - wo ist
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›Zorab‹, Dein flinkes Roß? Warum kommen meine Gäste mir zu Fuß, wie niedere Kulis, entgegen?«
»Unglück und Verrath, edler Sirdar,« rief der junge Mann, indem er mit jener Heuchelei, welche allen Orientalen angeboren ist, seine Rolle vortrefflich spielte, »wir sind unserer Pferde beraubt worden, während wir das Grab Asoka's des Einsiedlers betrachteten. Du mußt die Diebe noch sehen, wenn Du das Auge des Adlers hast!«
Der Häuptling der furchtbaren Mördersekte erhob sich in den Steigbügeln und ließ seine Augen über die Ebene rollen. In der That erkannte er in weiter Entfernung zwei schwarze Punkte, die rasch über die Fläche strichen.
Eine dunkle Gluth überzog sogleich sein Gesicht, der Verdacht, daß es einigen der Opfer des Festes bei der nächtlichen Metzelei gelungen sein könnte, aus den unterirdischen Räumen auf einem der Ausgänge durch Zufall zu entkommen, oder daß mindestens Spione unentdeckt bis hierher an den Fuß der Felsenwälle des Thales gedrungen sein konnten, - kämpfte mit dem näher liegenden Gedanken, daß ein Paar Mitglieder des Bundes, vielleicht von der spitzbübischen Phansigar-Sekte, beim Umherschweifen der günstigen Gelegenheit zu einem Raube nicht hätten widerstehen können.
»Hast Du die Elenden näher gesehen, Khan,« fragte er hastig, »kannst Du uns ein Zeichen geben, von welchem Stamm sie waren?«
Der junge Krieger blickte zögernd auf seinen Gefährten, da er nicht wußte, wie weit dieser das Geheimniß verrathen wissen wollte. Walding aber, die Nothwendigkeit einer raschen Antwort erkennend, erwiederte sogleich: »Der Eine schien ein Europäer, die andere Gestalt die eines Weibes - ihr Gesicht aber war verhüllt.«
Eine wilde Verwünschung, in die der Name der blutigen Göttin sich mischte, entfuhr dem Munde Tukallah's. Dann wandte er sich rasch entschlossen zu den herangekommen und sich um ihn her sammelnden Reitern, und seinem Schobedar winkend und nach den fernen Reitern deutend, gab er ihm in einer den meisten Gegenwärtigen unverständlichen Sprache einen hastigen Befehl.
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Der erste Diener des Sirdar beugte zur Betheuerung seines Gehorsams das Haupt bis auf den Sattelknopf seines Pferdes, rief dann zehn seiner am besten berittenen Gefährten beim Namen und sprengte mit ihnen im vollen Rosseslauf hinein in die Wüste, den Flüchtigen nach.
Jetzt erst wandte sich der Sirdar zu dem vornehmen Gast, zu dessen Empfang er ausgezogen und der einige Schritte von ihm hielt, sich mit den beiden Fremden und dem Afghanen unterhaltend, während er ruhig und anscheinend theilnahmlos die Scene umher beobachtete.
»Möge Dein Schatten lang sein und das Glück immer an Deine Fersen gekettet, Hoheit,« sagte der Sirdar entschuldigend. »Hier ist ein Diebstahl an den Rossen zweier unserer Freunde geschehm, und Du wirst verzeihen, daß ich sofort Gerechtigkeit zu üben suchte. Murad Fattih Khan, der Sohn Gholab Sing's und der Franken-Hakim, von dem ich Dir gesprochen, stehen vor Deinem Angesicht und begrüßen den edlen Srinath Bahadur.«
Der Maharadschah verneigte sich höflich vor den Vorgestellten, wobei sein halbverschleiertes Auge an dem Europäer haften blieb.
»Der Sohn des berühmten Gholab Singh und der Weise des kalten Nordens sollen mir willkommer sein,« sagte er mit seiner angenehmen Stimme, »Srinath Bahadur hofft sie auf der Burg unsers Freundes näher kennen zu lernen.«
Das Interesse des Arztes war von der Erscheinung des Maharadschah gefesselt. Nicht allein, daß dieser der Mann war, an den ein im Augenblick der Aufregung gethaner Racheschwur ihn für eine dunkle Zukunft fesselte, der Mann, in dessen Nähe er jetzt vielleicht die Gefährten des finstern Werkes wiederfinden, jetzt selbst handelnd eintreten sollte, - noch mehr bewegte ihn der Gedanke, daß dieser Fremde und die Botschaft an ihn, das Vermächtniß eines theuren Freundes, die Ursache all' der Verfolgungen und jahrelangen Leiden gewesen, die er erduldet.
Der Maharadschah hatte sich nur wenig verändert, seit ihm unsere Erzählung zum ersten Male im fernen Kalifornien begegnete.
Er trug diesmal die Nationaltracht, weite weiße Gewänder
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von indischem Musselin, mit dem breiten viereckigen Barret, am Shawl-Gürtel den orientalischen Säbel. Nichts, als der Hilluk auf seiner Stirn, verkündete seinen vornehmen Stand, während seine Begleiter und der zahlreiche Schwarm seiner Diener in Waffen und Kleidung von Gold und Juwelen strotzten.
Seine Gestalt war voller, runder geworden, hatte die fast weichliche Zartheit verloren und begann jene Wohlbehäbigkeit anzunehmen, die man häufig bei vornehmen und reichen Orientalen findet. Auch in seinem ruhigen und dennoch interessanten Gesicht schienen alle jene Züge, die früher das geheime Grollen, den Schlummer gewaltiger Leidenschaften verkündeten, den Anzeichen einer vollkommen friedlichen, glücklichen Gemüthsstimmung Platz gemacht zu haben.
Von den dreißig Abenteurern, welche der Maharadschah vor fünf Jahren in San Francisco angeworben, war nur ein Theil noch in seinen Diensten und etwa sechs oder acht davon befanden sich, nebst dem Engländer Gibson, dem alten Gefährten Mac-Scott's, in seiner Begleitung. Mehrere hatten das Klima Indiens, die Fieber der Dschungeln oder die Klauen der Tiger von Singapore und Bengalen, andere ihre eigenen Ausschweifungen oder die wilden Abenteuer ihrer Lebensweise längst unter die Erde gebracht. Im unmittelbaren Gefolge des Maharadschah befanden sich noch die Franzosen Cordillier und Vaillant, Ralph der Bärenjäger, und der Canadier Adlerblick mit seiner nie fehlenden Büchse. Joaquin Alamos, der Mexikaner, war in Bithoor bei dem Haushofmeister des Nena mit neun Anderen zurückgeblieben.
»Möge Deine Gunst mir verzeihen, daß ich Dich noch einige Augenblicke aufhalte,« wandte sich der Sirdar zu dem Peischwa, »aber die Flucht jener Pferdediebe ist unter so eigenthümlichen Umständen erfolgt, daß ich es für nöthig halte, ihre Spuren zu prüfen.«
»Thu' nach Deinem Willen, Du bist der Gebieter, wir sind Deine Diener!« antwortete der Maharadschah mit indischer Höflichkeit.
Der Mahrattenfürst befragte nun den Khan und den Arzt und ließ sich von ihnen an die Stelle geleiten, wo der Offizier und die Tänzerin die Pferde bestiegen hatten. Der Sirdar
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befahl dem Oberjäger, die Spuren auf das Genaueste zu prüfen und nach wenigen Augenblicken schon erklärte dieser mit Bestimmtheit, daß neben den Fußstapfen des Khans und seines Freundes die Spuren zweier anderen Personen und zwar eines weißen Mannes und eines Frauenfußes sich fänden.
Tukallah machte keine Bemerkung weiter, sondern gab das Zeichen zur Fortsetzung ihres Rittes. Eine halbe Stunde nachher zog die ganze Gesellschaft über die Zugbrücke der Mahrattenburg, deren seltsamen und festen Bau der Peischwa mit Interesse betrachtete, und wurde unter dem Thor mit denselben Ceremonien von der Rani und ihrer Tochter und dem greisen General Ventura nebst den anderen Bewohnern der Burg begrüßt, wie gestern der Schloßherr selbst und seine Gäste.
Walding, nachdem er sich von dem Khan getrennt, fand auf der Schwelle seines Pavillons den Mayadar fast noch in derselben Stellung, in welcher er ihn verlassen hatte, und im Innern die Lady, in ihre Schleier und Gewänder gehüllt, ängstlich seiner harren. Niemand hatte sich ihr genaht und der Thug eine so sorgsame Wache vor ihrem Gemach gehalten, wie ein Eunuch vor dem Harem seines orientalischen Gebieters.
Der Arzt ließ durch ihn Erfrischungen herbeischaffen und berichtete während dessen der Miß von der gelungenen Rettung des Offiziers und seiner Gefährtin und den neuen Gefahren, denen die Verfolgung des Sirdars sie ausgesetzt.
Im Licht des Tages, das jetzt unbehindert das Gemach erhellte, da bei der Lage der Fenster nach dem Abgrund hin kein Späherauge zu fürchten war, erschien trotz ihrer Blässe und der Spuren der Leiden, die sie ertragen, die junge Engländerin den Augen des Deutschen noch reizender und liebenswerther, als im grellen Schein der Fackeln und in den Gefahren der vergangenen Nacht.
Mit der zartesten Aufmerksamkeit bemühte er sich, für ihre Bedürfnisse zu sorgen und ihr Muth und Hoffnung einzusprechen. Nur kurze Zeit verließ er sie, um dem Peischwa einen Besuch zu machen und bei der entthronten Königin zu erscheinen, wo die Schritte zur Befreiung ihres Sohnes reiflich erwogen und festgesetzt wurden. So war die Mittagszeit und die Siesta vergangen,
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während der zwischen dem Burgherrn und seinen einzelnen Gästen verschiedene Berathungen stattgefunden hatten, und die Stunde herangekommen, in welcher, wie der Khan seinem Freunde mitgetheilt, der Derwar oder die große Rathsversammlung der Häupter gehalten werden sollte.
Fattih Murad kam, um den Arzt dazu abzuholen, denn Tukallah hatte ihn ausdrücklich zur Theilnahme eingeladen und ihm schon am Morgen anempfohlen, gegen den Peischwa von dem Briefe des unglücklichen Dyce Sombre Nichts eher zu erwähnen, als bis er ihm einen Wink darüber geben würde.
Zum Ort der Berathung, die nun stattfinden, und die in der That einen so großen Einfluß auf die Geschicke Indiens ausüben sollte, hatte der Schloßherr das Innere der Pagode bestimmt, die eine genügende Räumlichkeit darbot. Seine schwarzen Verschnittenen standen als Wächter am Eingang, und bei Todesstrafe war jedem der untergeordneten Schloßbewohner oder Diener untersagt, sich dem Orte zu nahen.
Noch drang der Schein des Tages in den weiten, seltsam ausgestatteten Raum und vermischte sich mit dem bläulichen Licht der großen von der Decke hängenden Lampe zu einer eigenthümlichen zitternden Beleuchtung, in der die unheimliche Dekoration des Ortes noch widriger erschien. Zwischen dem riesigen Sarkophag aus den grünen Krokodillenleibern und der jetzt durch eine künstliche Wand und einen weiten wallenden Vorhang davor verborgenen Oeffnung inmitten der Elephanten-Gestalten, die den Eingang zu den unterirdischen Räumen der Burg bildete, waren die Kissen und Teppiche ausgebreitet für die Mitglieder des Derwar.
Die Versammlung, die sich hier eingefunden, bestand aus etwa 20 Personen: dem Sirdar, dem zur Linken auf einer erhöhten Stufe der Peischwa von Bithoor, zur Rechten in gleicher Weise die entthronte Königin von Lahore saßen, General Bonaventura, den beiden Fremden, die am Abend vorher eingetroffen waren, dem Afghanenhäuptling, dem Khan und dem Arzt und acht anderen Männern, ihrem Aeußern nach Brahminen, Derwische und Krieger, die sich Walding jedoch nicht erinnerte, schon am Tage vorher gesehen zu haben. Einer unter den Fremden fiel ihm besonders
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auf, wegen des Schnitts seines Gesichts und seiner Kleidung die ihn als einen Sohn des himmlischen Reiches der Mitte bezeichneten.
Nachdem die Diener mit den im Orient üblichen Ceremonien den Gästen die Hukah's gereicht und sich entfernt hatten, indem nur die beiden stummen Leibdiener des Burgherrn zurückblieben, eröffnete dieser die Berathung.
»Möge Euer Schatten lang und Euer Feuerauge klar sein!« begann er seine Rede, »verschieden ist unsere Farbe, verschieden unser Ursprung und das Volk, dem wir entsprossen, wie der Gott, zu dem wir beten. Ich sehe um mich Könige und Sudders,63 Brahminen und Krieger, Männer, die den Propheten anbeten und die Söhne der heiligen Mariam und des Fó. Wir kommen von Aufgang und Niedergang, von Mittag und Mitternacht zu einem großen Zwecke, in einem Gedanken, der uns beseelt: Fluch den Faringi!«
Und wie vor fünf Jahren auf der Insel im einsamen Weltmeer am leeren Grab des Giganten, dessen Leben, das gleiche Ziel gehabt, erklang es in der Runde:
»Fluch den Faringi!«
Nur zwei Stimmen schwiegen im Kreise und die Verwünschung blieb auf ihren Lippen - auf den Lippen des um sein Erbe von dem stolzen Krämervolk betrogenen Inder-Fürsten Nena-Sahib, und auf den Lippen des von den prahlerischen Vorkämpfern der Völkerfreiheit mit Geißelhieben geknechteten Deutschen Walding.
»Die Vedas64 erzählen,« fuhr der Sirdar fort, »wie das Weltall in Wischnu's Schooß auf der Weltschlange Addisserschen im Milchmeer lag und aus einer Lotospflanze, die aus dem Nabel Wischnu's wuchs, die Welt entstand. Sie ward bevölkert mit braunen, gelben, schwarzen und weißen Menschen und jedem
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Volk gab Brahma, das Urwesen, einen Theil dieser Erde. Den Hindu's gab er die Veda's, den Kahlköpfen65 den Koran, und den Christen das Buch, aus dem die Missionare lesen. Aber die Hindu's waren seine liebsten Kinder, und darum erschlug er den Riesen Hajagriwa, als dieser die Veda's geraubt, und gab sie ihnen zurück. Das Land, das sie bewohnten, war von den Göttern bevorzugt, Gold und Myrrhen und alle köstlichen Früchte wuchsen in ihm, und Fürsten, deren Stämme so alt wie die Welt, beherrschten seine Bewohner. Der Ruf seines Reichthums ging über die Gebirge und Meere, und die Kahlköpfe kamen, davon angelockt, nach Hindostan, schlugen unsere Väter in vielen Schlachten und ließen sich nieder in unseren Thälern. Aber es waren Männer wie wir, sie achteten unsern Glauben, verschmolzen sich mit unseren Sitten und wurden Hindu's, wenn sie auch den Propheten anbeteten. Die Zeit ist so lange her, daß wir ihrer nicht mehr denken können. Auch die Weißen kamen zu uns. Brahma hat sie mit der Farbe der Dereta's gezeichnet. Wie es unter den braunen Menschen böse und schlechte giebt, von denen der gute Geist sein Angesicht gewendet hat, so giebt es auch unter den Weißen tapfre und weise Stämme, und der Krieger mit den weißen Haaren, der unter uns sitzt, und der kluge Hakim gehören ihnen an, wie die beiden Männer, die uns ein großer Fürst gesandt hat. Sie haben ein Herz für ihre braunen Brüder und wollen mit ihnen ihr Wissen theilen. Aber was können sie thun gegen unsere Herren, die auch die ihren sind? Die Faringi beherrschen die weißen Länder und sind die mächtigste Nation. Wir waren Thoren, als wir sie an unseren Küsten aufnahmen und ihnen Gutes thaten. Hundert Jahre - ein Tropfen nur in dem Meer unsrer Geschichte - sind vergangen, und ihr Fuß ist bis zu den Bergen des Himalaya vorgeschritten, und die Hindostani sind ihre Sclaven geworden. Das Feld, das wir bauen, der Handel, den wir treiben, trägt nur Früchte für sie, unsere Söhne sind ihre Söldner, unser Glaube, unsere Sitten sind ihr Spott, fremde Männer regieren uns und sitzen auf den Thronen, die unsere Väter einnahmen. Unglück! Unglück! Wo ist
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Gerechtigkeit bei ihnen zu finden, die in dem eigenen Lande Willkür und Raub herrschen lassen? Viele Jahre habe ich unter ihnen gelebt und gesehen, wie der Sohn den Vater, der Bruder den Bruder um schnöden Goldes willen zerfleischt. Wollen wir ewig ihre Diener sein? Wollen wir warten, bis unser Glaube ganz unterdrückt ist, bis unsere letzte Kraft gebrochen, unsere letzte Erinnerung vertilgt ist, bis wir Nichts sind, als niedere Sklaven einer Handvoll hochmüthiger Faringi, und wie die Hunde von dem Bissen leben, der von ihrer Tafel fällt? Wer ist unter uns, der nicht über Gewaltthat, Betrug und Raub dieser Faringi Klage zu führen hat?«
Die Rani erhob sich: »Fluch den Faringi! Sie haben meinen Kindern das Erbe ihres Vaters geraubt!«
»Verdammniß über die weißen Verräther,« rief der Afghanen-Häuptling, wild seinen Säbel schüttelnd, »sie haben uns betrogen um das Land am Sindh, das wir besaßen.«
»Die Sonne des Weltalls, der Beherrscher des himmlischen Reiches der Mitte ist erzürnt auf die Engländer,« sagte der Chinese, »sie sind in unser Land gedrungen wie Räuber und zwingen uns, das Gift, das sie uns bringen, zu kaufen.«
»Mein Vater war ein freier Beludschen-Fürst,« sprach ein andrer der Männer. »Wo ist das Land im Sindh, das ich noch mein eigen nenne? Fluch den Räubern!«
»Und Delhi - das goldene Delhi? Wo ist der Hindu, der nicht an seine Größe dächte und mit Schmerz die Werke Akbar's und Aureng Zeb's, meiner Ahnen, erniedrigt sähe zum Eigenthum der falschen Faringi? Ist der Mogul, mein Vater, etwas Andres, als die Puppe ihres Willens?«
Der Fremde, welcher also gesprochen, hatte sich erhoben und das Gewand eines Derwisch, das ihn bisher verhüllt, fallen lassen. Es war ein noch junger Mann von edler Gesichtsbildung und reicher indischer Kleidung, und seine Miene drückte leidenschaftlichen Haß gegen die Nation aus, die den berühmten Thron seiner Vater zu einem machtlosen Schattenbild gemacht hatte.
Nur der Sirdar schien nicht überrascht von der Anwesenheit des Prinzen, der sich durch seinen jugendlichen Ungestüm verrathen, während alle Anderen bisher in ihm nur einen
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untergeordneten Boten und Vertrauten des halbentthronten Kaisers von Delhi gesehen hatten.
»Es ist Akbar-Jehan, der zehnte Sohn des erhabenen Großmoguls,« sagte er, indem er aufstand, und dem Prinzen den Platz zwischen der Rani und dem Peischwa anwies. »Wir erkennen dankbar das Zeichen des Vertrauens, das Mahomed-Abul-Schah uns durch die Sendung seines Lieblingskindes bewiesen hat. - Nur die Meinung eines der Häupter dieser Berathung vermisse ich noch. Sollte Srinath Bahadur, der Sohn Bazie-Rû's, vergessen haben, daß die Faringi sich weigern, ihn als Peischwa von Bithoor und den Erben seines Vaters anzuerkennen!«
Eine dunkle Röthe überzog urplötzlich das Gesicht des Angeredeten, der träge Schleier seiner Augen verschwand, und ein Blitz voll Zorn schoß auf den Redner.
»Das Gesetz unserer Väter macht das Kind, dem wir unsern Namen geben, auch wenn es nicht von unserm Blute stammt, zu unserm rechtmäßigen Erben. Noch Niemand hat daran gezweifelt oder dem Erben sein Rechte streitig gemacht.«
»Kein Hindu - kein Muselman - Du sprichst die Wahrheit. Aber erkennen die Faringi Dein Recht an?«
»Zahlreiche Fälle aus den Fürsten-Familien Hindostans sprechen dafür.«
»Wohl - ich zweifle nicht daran. Aber ich frage, ob die Compagnie Deinen unzweifelhaften Anspruch auf die Peischwa-Würde und die Entschädigung, die Dein Vater rechtlich bezog, bestätigt hat.«
»Du weißt ohne Deine Frage, daß ich einen Prozeß darum führe. Ich sandte Baber-Dutt, meinen Bruder, nach England, mein Recht zu vertheidigen, und die weiße Königin und die Regierung des Landes haben es anerkannt.«
»Das ist etwas Anderes. Der Sahib-Gouverneur hat Dir also die Würde ertheilt?«
Wiederum erröthete der Maharadschah. »Das nicht,« sagte er verlegen. »Man erkannte nur mein Recht an, man verwies mich an die Compagnie, an die Regierung in Kalkutta und diese hat die Sache verzögert.«
»Wenn ich mich recht erinnere,« fuhr der Sirdar nicht ohne
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Spott fort, »so sind fünf Jahre seitdem vergangen. Hat der tapfere Srinath Bahadur unterdessen sich nur mit der Jagd und den Freuden des Harems beschäftigt, ohne etwas weiter für sein angestammtes Recht zu thun?«
»Ich unterhalte keinen Harem, Freund Tantia-Topi,« sagte der Maharadscha[h] finster, »sondern besitze eine Gattin, die alle Rechte der Rani genießt. Ich habe meinen Bruder noch einmal mit einer Beschwerde über die Zögerung der Compagnie nach London gesendet, und ich weiß gewiß, daß das Parlament meine Klage hören und sich Gehorsam verschaffen wird. Ich bin ein Hindostani wie Du und empfinde mit Schmerzen, daß mein Land die Fesseln der Fremden trägt. Aber das Volk der Hindu ist noch nicht vorgeschnitten und gebildet genug, um seinen alten Glanz wieder zu erringen, und die Männer, die uns beherrschen, wissen mehr als wir und sind tapfer und gerecht. Ich wünsche Indien seine Freiheit, aber warum sollte ich selbst gegen die streiten, die meine Freunde sind?«
Der Sirdar antwortete ihm nicht, sondern klatschte in die Hände.
Alsbald rauschte der Vorhang zwischen den Elephanten zur Seite und ein Fremder in indischer Kleidung trat in den Kreis der Berathenden.
Der Maharadschah erhob sich hastig von seinem Sitze. »Was sehen meine Augen? Baber-Dutt, mein Bruder! Wie kommst Du hierher?«
»Ich bin am zehnten Tage des Monats in Suratschi eingetroffen und erhielt dort die Nachricht, daß ich Dich hier auf der Rückkehr von Bombay finden würde. Feuer war unter meinen Sohlen, bis ich Dich wieder sah.«
»So kommst Du nicht von Bithoor, bist nicht in unserer Heimath gewesen und bringst mir keine Nachricht von meinem Weibe?«
»Du hörst es, daß ich durch das Meer von Maskat gekommen bin und die verfluchte Stadt der weißen Geldwechsler nicht berührt habe. Ich habe die Stämme der Wüste besucht auf meiner Reise und mehr Gerechtigkeit unter ihnen gefunden.
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als unter den stolzesten Faringi's. Ich kann nicht wissen, was die Christin macht.«
»Ich weiß, Baber-Dutt, Du liebst sie nicht, obgleich sie es um Dich und Alle, die ihr nahe stehen, verdient. Aber -« er zögerte offenbar mit der Frage und nur der feste Blick des alten Mahratten nöthigte ihn dazu, »sprich, welche Nachricht bringst Du mir in der Sache, wegen deren Du zum zweiten Male die Reise unternommen!«
»Lies selbst.« Der Bote reichte ihm ein Schreiben, mit dem großen Siegel des Staatssecretairs der Kolonien verschlossen.
Der Maharadschah erbrach hastig das Dokument und durchlas es. Je weiter seine Augen über die Zeilen flogen, desto finsterer zogen sich die Falten seiner Stirn, und seine Zähne bissen fest die untere Lippe, daß zwei große Blutstropfen über das glatte Kinn rollten.
»Worte - Worte! -« murmelte er, indem seine Hand krampfhaft das Schreiben zusammenballte und es weit von sich schleuderte. Ein Blitz dämonischen Grimms flammte aus seinen braunen Augen, aber mit einer Gewalt sondergleichen unterdrückte er den aufbrausenden Sturm der Leidenschaften, ergriff eine goldene Kapsel, die er an einer Kette von gleichem Metall um die Brust trug und öffnete sie durch den Druck einer Feder. Die hohle Hand verbarg zwar den Inhalt, der sich allein seinen Augen zeigte, aber der Anblick schien eine zauberische Wirkung auf ihn zu üben. Es war, als wenn ein entfesselter Dämon plötzlich beruhigt würde, eine vom Sturm erregte See sich in den glatten friedlichen Spiegel verwandelte. Die Falten seiner Stirn verschwanden, das Feuer seiner Augen verschleierte sich wieder, der bezähmte Tiger winkte dankend seinem Bruder und ging zu seinem Sitz zurück, auf den er sich niederließ, als wäre so eben nicht die Verhöhnung seiner sehnsüchtigsten ehrgeizigen Wünsche ihm kund geworden.
Und der Zauber, der diesen Sturm so rasch, so vollständig beschworen?
Er bestand allein in einem kleinen Miniaturbild, das jene Kapsel umschloß. Aber der feurige, so oft von seinen Leidenschaften hingerissene Indier hat dem Wesen, das jenes Bild
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darstellte, geschworen, es jedes Mal zu betrachten, wenn er fühlte, daß der ungestüme Zorn sich seiner bemeistern wolle.
»Es ist gut,« sagte der Maharadschah - »ich danke Dir. Mein Vater hat Recht gehabt mit seinen Zweifeln. Die Minister der Königin verweisen mich wiederum an den Rath zu Kalkutta und versprechen, mein gerechtes Gesuch zu unterstützen.«
Der Sirdar stampfte wild mit dem Fuß auf. »Ist denn der Löwe zum Lamm geworden, der Krieger zum Feigling, der die Ruthe küßt, die ihn schlägt? Ganz Indien kennt die Tyrannei, die Schmach, die man Dir angethan und sieht mit Scham den Mann, auf den es gehofft, sich zum Diener seiner Tyrannen herabwürdigen. Du weißt, Srinath Bahadur, was hier verhandelt werden soll. Wir glaubten, einen Bundesgenossen in Dir zu finden, nicht einen Verräther. Geh hin zu Deinen weißen Freunden und verkünde ihnen den Blitz, der über ihrem Haupte schwebt. Vielleicht, daß sie Dich zum Dank statt zum Peischwa, der Dein Vater war, zum Aufseher ihrer Peons66 machen.«
Die Hand des beleidigten Maharadschah flog an den Griff seines Säbels, sein Auge sprühte Verderben dem Unvorsichtigen, und die Umsitzenden glaubten Zeugen einer blutigen That werden zu müssen, aber nochmals beruhigte sich durch die eiserne Macht seines Willens der Zorn dieses Mannes. Die Hand verließ den Griff seiner Waffe, während er sich stolz erhob und seine weiten Gewänder zusammennahm. »Deine Worte sind Lügen, alter Mann,« sagte er mit erzwungener Ruhe, »aber Dein Haar ist weiß und Nena wird seine Hand nicht erheben gegen den, unter dessen Dach er verweilt. Mögen die Götter die Beleidigung Deines Gastfreundes Dir vergeben. Der Sohn Bazie-Rû's ist ein Freund der Faringi und will seine Hand nicht in das Blut der Brüder seines Weibes tauchen. Aber höher noch liebt er sein Vaterland und wird es mit Freuden begrüßen, wenn es sich frei gemacht von den Fesseln der Fremden. Was Ihr sinnt, war mir längst kein Geheimniß; niemals aber wird Srinath Bahadur den weißen Männern verrathen, was Denen, die ihm vertraut, Verderben bringen müßte.«
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Er wollte den Kreis verlassen und sich hinwegbegeben, aber der alte Mahrattenfürst warf sich ihm in den Weg. »Nicht beleidigen wollte Dich, den Gastfreund, meine Zunge, edler Nena,« betheuerte der finstere Alte, »nur aufreizen Dich, auf den wir so viele Hoffnungen gesetzt und der sich einst nicht ohne Absicht mit einer Schaar tapferer Männer umgab, die keine Faringi waren. Wir haben falsch gehofft, vergeblich geharrt. Cama67 hat über die Dunkeläugige gesiegt und den Löwen schwach gemacht. Aber fern sei es von uns, daß wir einem Sohne Bazie-Rû's mißtrauen sollten. Bleibe bei uns, Nena, und höre, was beschlossen wird, denn ich hoffe, die Stunde wird kommen, wo Du Dich dessen, was Du gehört, erinnern wirst und mit uns kämpfen gegen den gemeinsamen Feind. Wenn Du bis dahin die Hand nicht erheben willst für die Sache des Vaterlandes, so gewähre wenigstens Denen, die ihr Leben zu opfern bereit sind, Deinen Schutz, verwende die fremden Schätze, die jetzt ungenützt liegen, zu ihrer Hilfe, und fördre damit die Rache eines Todten an seinen Verderbern.«
Der Nena war nach den ersten Worten seines Wirthes schweigend auf seinen Sitz zurückgekehrt und sah jetzt befremdet auf den Sirdar. »Was meinst Du damit?«
»Ich meine das Erbe Dyce Sombres, des Enkels der großen Begum von Somroo, dessen Besitz Dir zusteht!«
»Ich besitze nur eine Kiste mit Edelsteinen und Dokumenten, die meinem Pflegevater von der Begum anvertraut war und die ihrem Enkel oder seinen Erben auf sein Verlangen gegen ein gewisses Zeichen ausgehändigt werden sollte. Der Auftrag ist an mich übergegangen, aber Niemand hat sich bis jetzt zum Empfang gemeldet, und niemals hat meine Hand den Deckel des anvertrauten Gutes berührt.«
»Du selbst bist der Erbe der Schätze der Begum und all' ihrer hinterlassenen Güter in Indien, die Du den habgierigen Krallen der Faringi entreißen wirst. Hier« - er nahm die Papiere aus den Falten seiner Gewänder, - »ist das Testament meines unglücklichen Mayadars, das Dich zum Erben einsetzt; und dieser
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Mann war Zeuge, daß Dyce noch auf seinem Todtenbett diese Verfügung bestätigte.«
Der Nena empfing mit Erstaunen - denn bis jetzt hatte er durch die Intriguen der englischen Familie keine Sylbe von seinem Anrecht auf die reiche Erbschaft erfahren - die Dokumente, die Walding mit gleichem Befremden in den Händen des Mahratten sah, da ihm doch bekannt war, auf wie seltsame Weise sie aus dem Todtenzimmer verschwunden waren.
»Deine Sache ist es, edler Maharadschah,« fuhr der Sirdar mit leichtem Hohn fort, »jetzt von Deinen Freunden, den Faringi, auch hierin Dein Recht zu erstreiten. Doch wichtiger, als das Erbe dieser großen Landgüter, die von der Habsucht unserer Tyrannen ausgesogen sind, ist der Brief, den der Hakim Dir auszuhändigen hat, und der die geheimen Zeichen enthält, welche die Begum bestimmt hat. Tritt vor, Franke, und übergieb diesem Mann das Schreiben, das Du fünf Jahre lang mit Gefahr Deines Lebens und unter den Mißhandlungen Deiner Feinde für diese Stunde aufbewahrt hast.«
So aufgefordert trat der deutsche Arzt vor, zog aus seiner Brusttasche das wohlverwahrte Dokument, das so seltsame und blutige Intriguen veranlaßt hatte, und übergab es dem Maharadschah, der es sofort öffnete.
»Die Pergamente,« sprach der Sirdar weiter, »welche in jenem Kasten enthalten sind, sind wichtig für Deine eigenen Ansprüche auf die Erbschaft, die Schätze aber, die er sonst birgt, gehören den Beiden, die der Verstorbene dazu bestimmt hat, daß sie seine Leiden rächen im Kampf gegen England!«
Und: »Kampf gegen England!« hallte es wieder im Kreise.
»Ich bin bereit, dem Franken das Erbe meiner Väter auszuhändigen, wenn er mich nach Bithoor begleiten will,« erklärte der Maharadschah. »Er steht von diesem Augenblick an unter meinem Schutz und ich bürge für jedes Haar seines Hauptes.«
Der Arzt ergriff froh die Gelegenheit. »Wenn Du es erlaubst, Hoheit, schließe ich mich Deinem Gefolge an. Aber ich kann nicht allein über den Schatz bestimmen, den mein verstorbener Freund hinterlassen. Gegründeter sind die Rechte eines Mannes darüber, der leider das Opfer eines traurigen Irrthums
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oder« - sein Blick traf den Sirdar - »eines Verbrechens geworden und wahrscheinlich den unverdienten Leiden an fremden Küsten erlegen ist.«
»Wenn der weise Hakim Capitain Ochterlony meint,« erwiederte der Sirdar, »so mag er ruhig sein. Er wird ihn wiedersehen, wenn die Zeit gekommen und möge bis dahin den Racheschwur, den er geleistet, so treulich halten, wie ihn der Verbannte von Sydney halten wird!«
Der Mahratte hatte dies mit einer solchen Bestimmtheit gesagt, indem er sich dabei der englischen Sprache bediente, daß Walding kaum zweifeln konnte, er wisse mehr von dem Schicksal des unglücklichen Mannes. Doch wagte er nicht, jetzt weiter danach zu fragen.
Die Versammelten hatten mit orientalischer Ruhe der Entwickelung der Scene mit dem Maharadschah beigewohnt, ohne eine Bemerkung zu machen, jetzt aber erhob die Rani ihre Hand und sprach:
»Die Feinde der Faringi sind bereit zu hören, was der Bund der Chupattie68 beschließt,«
»Es ist Zeit davon zu reden,« sagte der Sirdar. »Wenn der Mond neun Mal gewechselt hat, wird etwas Weißes sterben und die Hindostani werden ihr Haupt in die Wolken erheben. Jeder möge berichten, was er zu sagen hat. Fattih Murad Khan ist der jüngste unserer Freunde, er möge sprechen und verkünden, was der weise Gholab Singh bereit ist zu thun.«
»Leider vermag ich nur wenig zu versprechen,« sagte der Jüngling, »Gholab Singh ist ein weiser Mann, aber er redet dies und er redet das. Er hat mich gesendet, um Theil an der Gefahr zu nehmen und fünfhundert Reiter aus den Gebirgen werden mir folgen, wenn ein fester Platz in den Händen der Hindostani ist. Wenn es ihnen gelingt, die Faringi zu schlagen, so wird Gholab Singh das Pendschab in Flammen setzen und die Maharani wieder auf den Thron von Lahore erheben.«
»Um sein eigen Blut ihn theilen zu lassen, wenn erst
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Murad Khan sich mit der Rose des Pendschab vermählt hat,« spottete der Prinz von Delhi. »Es ist bekannt, daß der weise Gholab seinen ältesten Sohn in Kalkutta als Geißel seiner Treue für die Faringi wohnen läßt, während er uns seinen Jüngsten gesandt hat. Der Statthalter der Faringi am Himalaya hat zwei Gesichter!«
»Willst Du meinen Erzeuger beleidigen, falscher Mahomedaner?« schrie der Khan entrüstet und griff zum Säbel. »Möge die Zunge verdorren, die giftige Verleumdung zu sprechen wagt!«
»Still, Knaben,« befahl der Sirdar. »Es ist unrecht von Dir, o Prinz, den Khan zu beleidigen, während andererseits Wahrheit in Deinen Worten ist. Gholab Singh ist ein vorsichtiger Mann, der nach seinem Vortheil handelt. Wenn er es aufrichtig mit der Befreiung Hindostan's meinte, könnte sein Wort allein die stolzen Faringi in's Meer jagen. Viele Stämme der Sikhkrieger sehen auf ihn, und es sind ihrer siebzigtausend in der Armee der Compagnie. Wenn sie sich mit uns verbinden, wird kein Faringi am Leben bleiben, um zu seiner Heimath zurückzukehren.«
»Die Sikhs,« sagte noch immer unwillig der Khan - »haben nicht vergessen, daß die Hindu-Sepoy's es waren, mit deren Hilfe die Faringi die Freiheit des Pendschab unterjocht. Warum sollten sie ihr Blut jetzt geben für die Freiheit ihrer Feinde?«
»Unglücklicher Zwiespalt!« rief die Königin, indem sie ihre Hände erhob. »Die Sikh's und die Hindu's sind Brüder und die Fremden allein haben den Argwohn zwischen sie gesäet. Die Sikh's werden die Stimme ihrer Rani hören, wenn die Fahne des Kampfes geschwungen wird!«
»Wenn es der edlen Rani so aufrichtig um die Einigkeit der beiden Völker zu thun ist,« sagte aufs Neue der hochmüthige Prinz von Delhi, »so möge sie das Kleinod der Sikh's, das sie besitzt, nicht wieder einem Sikh geben, sondern einem Manne aus dem Blut Akbar des Großen, das über die Hindu gebietet!«
Diese offene und unerwartete Werbung, hervorgegangen aus
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der Eifersucht, die seit Jahrhunderten zwischen den benachbarten Stämmen geherrscht, machte Alle verstummen. Wohl ahnte Niemand, daß die eben gesprochenen Worte es sein sollten, welche allein die Herrschaft der Engländer noch längere Zeit über Ostindien aufrecht halten und den gewaltigen Aufstand auf engere Grenzen beschränken würden, als er sonst offenbar gehabt hätte, dennoch fühlten der Sirdar und die Nami selbst im Augenblick der politische Wichtigkeit des Vorschlags und welche Zerwürfniß er unter zwei mächtigen Parteien hervorrufen könnte. Fattih Murad Khan war der Erste, welcher eine Antwort bereit hatte. »Der Schakal,« sagte er stolz, »ist lüstern nach fremdem Gut. Er möge erst ein Wolf werden und auf dem Schlachtfeld zeigen, daß er zu kämpfen versteht, ehe er seine Ansprüche auf die Krone der Schönheit vorzubringen wagt.«
»Hochmüthiger Sikh,« erwiederte der Prinz, »diese Hand wird die Fahne der Freiheit auf die goldenen Thore von Delhi pflanzen und die Faringi wie Spreu im Winde vor sich her treiben. Sie ist nicht die Hand eines gemeinen Kriegers, die den Einzelnen auf dem Schlachtfeld erschlägt.«
Der Streit zwischen den beiden jungen Rivalen um Ruhm und Liebe drohte aufs Neue auszubrechen, wenn nicht die Maharani ihn unterdrückt hätte.
»Deine Werbung, o Prinz,« sagte sie, sich majestätisch aufrichtend, »ehrt mich, aber der tapfere Khan hat bereits mein Versprechen. Das Geschick möge entscheiden, wer der Glückliche sein wird, der den gefangenen Sohn mir zurückführt. Er allein hat über die Rose von Lahore zu entscheiden, wenn er auf dem Thron seines Vaters sitzt.«
»Möge es der Maharani gefallen,« sprach der Sirdar eilig dazwischen, indem er der Fürstin einen Wink mit den Augen gab, »uns mitzutheilen, was der Krieg der Hindu's gegen die weißen Faringi von Seiten unserer Freunde in Nepaul zu erwarten hat?«
»Du weißt, daß sein Herrscher mir Schutz gewährt und die Compagnie haßt. Aber Jung Bahadur, sein Minister und der Günstling der Königin ist allmächtig und auf seinen Willen wird
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es ankommen, ob die Ghurka's69 uns oder den Faringi zu Hilfe kommen, in deren fernem Nebellande er sich jetzt befindet.«
»Wenn er zurückgekehrt ist,« sagte der Sirdar, »müssen wir ihn zu gewinnen suchen. Er liebt das Gold und die Macht, und es wird viele Männer geben, die bei dem Kriege unabhängige Fürsten werden. Unsere Brüder aus Malwah, Goudawan und dem Dekan mögen für ihr Land sprechen.«
»Salar Dscheng, der Wessir des Nizam von Haiderabad ist ein Freund der Faringi,« sagte ein mahomedanischer Derwisch, »aber die Soldaten seines Herrn sind treue Söhne des Koran und hassen die Faringi auf's Blut. Wenn sie erfahren, daß der Glaube des Propheten in Gefahr ist, werden sie ihre Waffen erheben und den Nizam vom Thron stoßen.«
»Wir rechnen auf den Dekan erst, wenn der Kampf im Gange ist,« sagte der Mahratte. »Die glorreichen Erinnerungen Hyder Aly's von Mysore werden nicht erstorben sein in den Erinnerungen seiner Völker. Ein treuer Freund unserer Sache durchstreift das Land im Süden und sammelt unsere Freunde. Die Sepoy's von Madras sind nicht die, auf welchen die Hoffnungen Hindostans beruhen. Ihre Kaste ist gemischt, es sind Neger, Malayen und Männer von den Inseln unter ihnen, die kein Herz haben für die Freiheit. Auch ihre Zeit wird kommen.«
»Der Scindia und Holkar,« berichtete der Abgesandte von Malwa und Bundelkund, »weisen die Anerbietungen, die ihnen gemacht werden, zurück. Sie sind Freunde der Faringi.«
»Fluch ihnen! Das Fürstenblut der Mahratten ist in ihren Adern, und dennoch wollen sie lieber als Sklaven leben, denn als freie Mäuner sterben!«
»Ihre Krieger,« fuhr der Berichterstatter fort, »sind die unseren. Die Hauptleute warten auf die Sendung der heiligen Kuchen und werden zu den Fahnen des Rao von Jhansi stoßen, der den Aufstand in seinem Lande beginnen wird. Zehntausend kampfgerüstete Männer warten auf unsern Wink.«
»Die Bhawani hat sein Leben genommen,« sagte der Sirdar.
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»Die Seele unsers Freundes hat ihre neun Wandelungen angetreten. Der Scindia wird sein Land nehmen - es ist ein harter Schlag für unsre Sache. Die Rani selbst hat mir Botschaft gesandt, ehe sie den Scheiterhaufen bestieg.«
»Friede sei mit ihr!« murmelten die Lippen sämmtlicher Hindu in der Versammlung. »Agni70 wolle ihre Seele zum Himmel tragen!«
»Mögen unsere Freunde aus Bengalen, Allahabad und dem Rohilcand uns ihren Bericht machen,« fuhr der Sirdar fort. »Bis jetzt haben wir nur Schlimmes gehört - ihre Lippen sollen unseren Ohren Wonnen verkünden.«
»Die Treulosigkeit der Faringi wird mit jedem Tage unerträglicher, wir sind die Sohle ihrer Füße,« sagte ein Mann, dessen stolzer Gestalt und schönen Zügen jener körperliche und geistige Adel unverkennbar aufgedrückt war, der das edle und so schmählich mißhandelte Volk der Rohilla's auszeichnet. »Vierzigtausend Männer werden bereit sein, das Schwert zu ergreifen.«
»Ich kenne Deine Landsleute, edler Kur-Singh,« bemerkte der Sirdar, »und vertraue auf ihre Tapferkeit. Möge der würdige Subadar-Sahib Ali-Khan jetzt sprechen und uns von der Armee von Bengalen berichten,«
»Fünfzigtausend Sepoy's werden die Hand gegen die Faringi erheben. Hier sind die Listen der Regimenter und ihrer Kasten. Hindu und Moslem sind einig in dem Mißtrauen gegen die Engländer - die Brahminen haben in jeder Kaserne, in jedem Fort einen geheimen Bund unter den Männern errichtet, von Kalkutta bis über die Grenzen des Audh. Es bedarf nur des Schürens, um die Flamme hochlodern zu machen.«
»Haben Eure weißen Gebieter wieder Neuerungen in dem Dienst und den Gebräuchen des Heeres eingeführt?« fragte der Mahratte.
»Die Sepoy's sollen künftig nicht mehr ihre eigenen Patronen fertigen. Man wird sie aus dem Land der Nebel uns senden.«
Eine wilde Freude zuckte über das Gesicht des Sirdars.
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»Das ist - was wir brauchen! Aus ihren eigenen Patronen wollen wir den stolzen Faringi ein Feuer bereiten, das sie in die Luft sprengen soll. Hört mich an, Freunde und Brüder!«
»Wir hören!«
»Unter sämmtlichen Sepoy's der vier Regentschaften müssen geheime Gerüchte verbreitet werden. Den Hindu's müssen die Brahminen verkünden, daß ihre Patronen mit dem Fett der heiligen Kühe71 bereitet werden, den Moslems, daß zu den ihren das Schmalz der unreinen Thiere72 verwendet wird. Das wird die Gemüther in Gährung bringen durch das ganze Land und zweimalhunderttausend Bayonnette für uns zum Kampf rufen!«
»Der Plan ist gut - der Teufel selbst hätte ihn nicht besser aushecken können,« sagte General Ventura. »Ich kenne den Fanatismus und weiß, daß kein Vernunftpredigen, kein Beweis des Gegentheils den Wahn zu stören vermag, der wie eine Wasserfluth sich mit rasender Schnelle verbreitet.«
»Aber die Sikh-Regimenter sind weder Hindu's noch Mohamedaner, sie spotten des Glaubens der Einen wie der Anderen,« bemerkte der Subadar.
»Der allgemeine Taumel - die Feindschaft gegen die Faringi - mein Ruf zu den Waffen wird sie mit fortreißen!« beharrte die Maharani.
Mehrere der Versammelten wiegten zweifelnd das Haupt, als glaubten sie an das Versprechen nicht besonders.
»Hier sind Briefe von Man-Singh, dem Rao von Mundoger und dem Desahi von Hembzi,« fuhr Tukallah, oder Tantiah-Topi, wie er bei den indischen Stämmen genannt wurde, die nicht zu den Mahratten, seinem eigenen Volke, gehörten, fort. »Sie versprechen, in der Radschputana und dem Bombay-Distrikt den Aufruhr zu leiten. Daula-Chan, der Naib-Nazim von Budaon, der Rajah von Sorapore und Gorhuccus-Singh, der Radschah von Goudah, harren auf unsern Wink. Der
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Radschah von Shunda wird sich auf den verrätherischen Nizzam werfen, wenn er es wagt, den Faringi beizustehen.«
»Cartiteia73 wird uns beistehen, sie zu verderben,« schwur einer der Krieger. »Mohamed Musuful, mein Gebieter, der Thusildar von Piluni wird mit fünftausend Reitern und zweihundert Elephanten gegen sie ziehen.«
Auch die Uebrigen berichteten aus den verschiedenen Theilen Indiens, wie Alles bereitet werde zum Ausbruch der allgemeinen Empörung.
Der geheime Leiter des furchtbaren Bundes der Rache neigte sich jetzt vor den Fremden. »Die Tapferen des großen Sultans in den Ländern, wo Brahma den ewigen Schnee geschaffen, haben gehört, wie die Söhne Hindostan's bereit sind, ihr Blut gegen die Faringi, unsere und Eure Feinde, zu vergießen. Der große Sultan, unser Freund, weiß um unsere Hoffnungen. Was gedenkt er zu thun?«
Der Eine der beiden fremden Offiziere mit dem slavischen Gesichtsschnitt öffnete ein Portefeuille, das er auf seinen Knieen getragen und keinen Moment aus der Hand oder den Augen gelassen hatte, und nahm verschiedene Papiere heraus.
»Seine Majestät, der Kaiser,« sagte er mit einer ehrerbietigen Bewegung des Hauptes, »haben mit Schmerz die ungerechte Entthronung so vieler edlen Fürsten eines Landes gesehen, an dem ihr Herz innigen Antheil nimmt. Seine Majestät würden sich aufrichtig freuen, die alte Herrschaft des Großmoguls wieder in ihrem Glanz, die Erben des berühmten Rundschid-Singhs, des Freundes unsers verewigten Herrn, wieder eingesetzt und die Rechte des Königreichs Audh hergestellt zu sehen. England mit seiner unersättlichen Habsucht breitet seine Macht immer weiter aus - es müssen ihr Schranken gesetzt werden. Darum wird es unser Herr der Kaiser mit Beifall begrüßen, wenn die alt berühmte Nation der Hindu ihre Freiheit gegen die britischen Eroberer vertheidigt.«
Der Sirdar lächelte spöttisch. »Goldene Worte stürzen kein eisern Thor ein, sagt das weise Sprüchwort. Ist das Alles,
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was der große Sultan der kalten Länder für unsere Noth thut?«
»Dies Papier,« erwiederte der Offizier, indem er es im Laufe seiner Rede übergab, »enthält eine genaue Uebersicht der in ganz Indien stationirten militairischen Macht der britischen Krone und der Compagnie, genauer, als sie Deine eigenen Berichte würden zusammenstellen können, tapferer Sirdar. Sie kommt aus dem geheimen Kabinet des General-Gouverneurs in Kalkutta. Danach besteht die Truppenzahl im Dienst der indischen Verwaltung augenblicklich in 29,000 Mann Europäern, wovon mehr als der fünfte Theil Offiziere sind, und 234,000 Mann Sepoy's. Die Zahl der irregulairen Truppen bei der Finanz-, Polizei- und Justiz-Verwaltung wird gleichfalls sich auf 300,000 Mann belaufen. Als zuverlässig kann die Regierung nur auf die Europäer rechnen. - Dies zweite Papier enthält den ganzen Stand der englischen Armee und ihre Stationirung in den verschiedenen Welttheilen. Die Entfernungen sind bei allen Positionen angegeben und die Zeiten berechnet, in welcher die Regimenter von entfernten Stationen nach Indien transportirt werden können. Unser Gesandter in Konstantinopel wird das Seine thun, zu bewirken, daß der nähere Transport über Suez Schwierigkeiten und Hindernissen unterliegt. Der Effectivbestand der englischen Armee ist in diesem Augenblick nach den kolossalen Verlusten in dem Krimfeldzug, außer den indischen Truppen, auf 65,000 Mann geschmolzen, von denen 40,000 in Europa stehen. England ist außer Stande, im Laufe eines Jahres mehr als weitere 30,000 Mann nach Indien zu schicken, selbst wenn es in Gefahr, ist, das ganze Land zu verlieren. Diese Summe schon wäre das Höchste, Möglichste! aber es wird kaum die Hälfte leisten können. Ein Krieg von drei Jahren muß England banquerott an Menschen machen. Sie aber haben 200,000 Sepoy's und Irregulaire, auf die Sie rechnen können, die Dschungeln, die Hitze und die Cholera zu Ihren Bundesgenossen. Dies dritte Papier enthält die Angabe der Vorräthe von Munition und Geschütz, die an den persischen Grenzen zur Disposition bereit liegen, und die Namen von zwanzig Offizieren der kaukasischen Armee, die bereit sind, bei den indischen Truppen einzutreten.«
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»Der Kaiser, unser Herr,« fuhr der zweite Agent fort, »wird eine Ursache haben, ein Truppencorps an den Grenzen von Turkistan zusammenzuziehen, wenn ein Streit zwischen Persien und den Briten entsteht.« Sein diplomatisches Lächeln verkündete, daß bereits ein solcher im Werk sei. »Der wichtigste Schlag aber für den englisch-indischen Interessenten muß von Osten herkommen!« Er deutete auf den Mandarin, auf dem sich jetzt Aller Blicke wandten.
»Der Gebieter des Weltalls,« erklärte der Chinese, »wird die rothhaarigen Barbaren das Gewicht seines Zornes fühlen lassen und die Sonne seines Antlitzes vor ihnen verhüllen. Man wird die Factoreien, welche unsere Großmuth ihnen in Kuang-Tscheu74 gestattet hat, verbrennen und ihnen die Leiber aufschneiden. Die Schiffe der Barbaren sollen das Wasser des Sitiang nicht länger beschmutzen.«
»Maschallah,« schwor der Afghane, sich den dunklen Bart streichend, - »Dost Mohammed Khan ist bereit, das Blutbad von Kabul zu wiederholen. Wenn man uns Peschaur, das uns der Faringi gestohlen, wiedergiebt, werden unsere Krieger bereit sein, über den Sindh zu gehen!«
»Die Kinder des Propheten sind in unserm Bunde,« erklärte Baber-Dutt, der Bruder des zögernden Peischwa, ein leidenschaftlicher Gegner der Engländer. »Nicht vergeblich hat der Freund des tapfern Kur-Singh den Weg durch die arabische Wüste gemacht! Wo der Koran gepredigt wird, ist blutiger Haß gegen die Faringi! Die Türken sehen in ihnen allein die Ursach vom Verfall ihres Reiches. In Aegypten und ganz Arabien gährt und kocht der Zorn gegen die falschen Christen. Ich war auf den Inseln, auf denen die Moslems und die Griechen wohnen und in der Stadt, die sie Alessandria nennen nach dem großen Sultan, der vor zweitausend Jahren mit seinen Kriegern bis zum Indus zog. Mit einer arabischen Praua kam ich nach Dscheddah im Rothen Meer und zog durch die Wüste bis zum Meere von Ormuz. Die tapfern Stämme von Yemen und Hadramaut harren nur der Gelegenheit, sich auf die weißen Männer von Aden
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zu stürzen. Die heiligen Imams von Mekka und Medina werden den Krieg gegen die Franken predigen und alle Araber der Wüste, im Land des Suderi und Ahyssa's haben den Fuß im Bügel und den Speer in der Hand. Von Kahira bis Maskat lautet ein Ruf: Tod den Faringi!«
Und: »Tod den Faringi!« hallte der Ruf der Versammlung in der Pagode der indischen Thur, der Ströme von Blut und Entsetzen über Millionen Menschen und ein weites herrliches Land ergießen sollte.
Mit teuflischem Stolz auf sein drohendes Werk sah das Haupt der furchtbaren Würgersekte auf den Peischwa, der nicht ohne Staunen und in tiefem Sinnen der Entwickelung des riesigen Planes zugehört hatte.
»Die Frage, deren Entscheidung uns hier vor Allem zusammen geführt,« begann der Sirdar auf's Neue - »ist jene: wann soll der Streich geführt werden auf das Haupt der Faringi und wo soll der Ruf der Freiheit und Rache zuerst die Hindostani aus ihrem Schlafe erwecken?«
Jetzt erhob sich ein lebhafter Streit zwischen den eingebornen Mitgliedern der Versammlung.
Der Prinz von Delhi verlangte, daß die mächtige Hauptstadt des alten Reichs der Großmogule der Ausgangspunkt und Rückhalt des Kampfes werde, und Mähe Tschund, die entthronte Königin von Lahore war geneigt, ihm beizustimmen, da der Kerker ihres Sohnes unfern Delhi lag. Die geheimen Agenten der Begum von Audh jedoch, die im Namen ihres schwachen, von den Engländern nach seiner Entsetzung in einer Art von Gefangenschaft oder polizeilicher Aufsicht in Bengalen gehaltenen Gatten seit der Beraubung die Verhandlungen mit den Unzufriedenen leitete und namentlich die Aufmerksamkeit und allgemeine Hoffnung auf Nena Sahib gelenkt hatte, bestanden darauf, das Audh zum Schauplatz des Ausbruchs zu machen, da hier die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten der Compagnie-Verwaltung am drückendsten auf den Bewohnern lasteten.
Ein anderer Vorschlag ging dahin, in Kalkutta selbst, am Sitz der Regierung, die Fahne der Empörung zu erheben, sich des Forts William in einer Nacht zu bemächtigen und den
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Gouverneur und alle Beamte gleichzeitig zu ermorden. Tukallah selbst war für den Ausbruch des Kampfes an verschiedenen Stellen zugleich und hielt die Einöden der Radschputana für den geeignetsten Hinterhalt des Krieges, um denselben nach dem Pendschab, dem Bezirk von Bombay, nach Audh und dem südlichen Theil der mächtigen Halbinsel hinzudrängen. Die Offiziere mengten sich jetzt in den Streit und General Ventura legte einen Operationsplan vor, der sich gleichfalls für das mittlere Indien entschied und noch dadurch empfohlen wurde, daß nach den Uebersichten der russischen Agenten von den vertragsmäßig jederzeit in Indien stationirten 26 königlichen Regimentern (20 zu Fuß und 6 zu Pferde) nur 4 Infanterie- und 2 Kavallerie-Regimenter auf dem ungeheuer weiten Raum von den Ufern des Indus bis zum Bramaputra, also auf einem Flächenraum von beinahe 400 geographischen Meilen, zerstreut lagen. Der Plan, in Kalkutta selbst die Empörung ausbrechen zu lassen, wurde von vornherein durch den Umstand widerrathen, daß in der Hauptstadt 4 europäische Regimenter standen, Fort William nur von solchen besetzt gehalten wurde, und daß hauptsächlich in Bengalen die englischen Artillerie-Brigaden und die Sikh-Regimenter stationirt waren, deren Theilnahme an der Empörung bei dem Nationalhaß gegen die Sepoy's mindestens als sehr zweifelhaft erschien.
So wurden denn Lucknow, als die Hauptstadt des Audh, und Delhi und Mirut als die Punkte bestimmt, an denen der Aufruhr zunächst ausbrechen sollte, und als Zeit dafür das Mo-Harrem-Fest der Muselmänner im nächsten Jahre festgesetzt, bis wohin alle Vorbereitungen zu dem gewaltigen Kampf vollständig beendet und die Sepoy-Regimenter in ganz Indien durch die Agenten des Bundes zur offenen Erhebung vorbereitet sein sollten.
Im Laufe der trotz des sonst so apathischen Charakters des Orientalen stürmischen Debatte, an der der beleidigte Erbe des Peischwa von Bithoor absichtlich keinen Antheil genommen, hatte sich auf seinen Wink der deutsche Arzt ihm genähert und hinter ihm Platz genommen. In dem Gewirr dit streitenden Stimmen befragte Srinath Bahadur den Boten seines unglücklichen Verwandten um Nachrichten von dem Verstorbenen.
Diese Gelegenheit hielt Walding für günstig, um seinem
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neuen Beschützer das Papier zuzustellen, das die Bayadere ihm zu diesem Zweck gegeben hatte.
»Hoheit,« sagte er während einer Pause des Gesprächs, »der Brief meines unglücklichen Freundes ist nicht das Einzige, was ich Dir zu überreichen habe. Du hast mich Deines Schutzes versichert - darf ich auf denselben in jedem Falle für mich und ein anderes Wesen, das ich zu vertheidigen habe, bauen?«
»Srinath Bahadur ist gewohnt, sein Wort mit seinem Leben zu lösen! Kein Haar des Hauptes soll Dir und den Deinen berührt werden, so lange Du unter meinem Schutze stehst.«
»Dies Blatt,« fuhr der Deutsche fort, indem er es dem Bahadur verstohlen reichte, »ist mir anvertraut worden, es Dir zu übergeben.«
Der Indier nahm es und warf einen gleichgiltigen Blick daraus. Aber plötzlich, bei dem Anblick eines dem Ueberbringer unverständlichen Schriftzeichens auf dem Umschlag, begannen seine Augen zu funkeln, er riß es hastig auseinander und überflog die wenigen Zeilen, die es enthielt.
Sein blasses Gesicht nahm die fahle Farbe des Schreckens an, seine Züge schienen starr zu werden, nur die Nüstern öffneten sich weit und zuckten auf und nieder, wie das Schnauben des Tigers, den seine Hand so oft besiegt. Plötzlich griff diese nach dem Arm des erschrockenen Boten und preßte ihn mit eiserner Gewalt, daß dieser vor Schmerz hätte aufschreien mögen.
»Wer gab Ihnen das Blatt, Sir? - Antwort, bei Allem, was Ihnen heilig und theuer ist!« zischte die Stimme des Maharadschah in französischer Sprache.
»Um des Himmels willen, beruhigen Sie sich, Hoheit - Sie sollen Alles erfahren, was ich Ihnen sagen kann. Ziehen Sie nicht unnütz die Aufmerksamkeit der Anderen auf uns, oder ich müßte schweigen!«
»Sprechen Sie, Sir, - Sie sehen, ich kann Alles ertragen!« Die wechselnde Farbe auf seinem Gesicht, das unheimliche Blitzen seiner Augen, das Zittern seiner Hand strafte die Rede Lügen.
»Ein Weib - eine Bayadere gab es mir!«
»Wo ist sie?«
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Walding zauderte mit der Antwort.
»Hören Sie mich an, Herr,« fuhr der Indier in den tiefen, seine innere Erregung verkündenden Gutturaltönen seines Landes fort. »Dies Blatt benachrichtigt mich in geheimnißvollen Worten, aber in Zeichen, die mir für die Wahrheit der Nachricht bürgen, daß einem Wesen, dem theuersten, das ich auf der Welt besitze, dem Schatz meiner Seele und meiner Gedanken, eine schreckliche Gefahr droht! Jetzt, Herr, urtheilen Sie, daß ich um jeden Preis die wahre Ueberbringerin dieser Zeilen sprechen muß.«
»Auch auf jede Gefahr hin?«
»Auch dieses! Ich bin der Mann nicht, der vor ihrem schwarzen Antlitz zurückbebt. Reden Sie, ich beschwöre Sie!«
»Ich kann Ihnen nur Weniges mittheilen, Hoheit, das Sie auf die Spur leiten kann, und ich fürchte, auch dieses wird Ihnen nicht helfen. Die Bayadere hat bereits diesen schrecklichen Ort verlassen.«
»Wann?«
»Diesen Morgen. - Sie sahen ihre leichte Gestalt, nur noch ein Punkt, verschwinden am Rande der Wüste.«
»Wie - jene beiden Flüchtlinge, welche die Reiter des Sirdar's verfolgen?«
»Möge der Himmel sie beschützen! Aber still, um Gottes Willen. - Niemand, am wenigsten unser Wirth, darf ahnen, wer jene Flüchtige war.«
»Aber warum entfloh die Bayadere?«
»Das hängt mit einem Geheimniß zusammen, das ich nicht enthüllen darf. Nur so viel kann und muß ich Eurer Hoheit vertrauen, daß die Person, für die ich Ihren Schutz angerufen, die Stelle Anarkalli's vertritt und von ihr aus einer furchtbaren Gefahr errettet worden ist.«
»Anarkalli - die berühmteste Tänzerin Indiens?«
»So ist ihr Name. Sie selbst vertraute mir, daß sie die Tochter Tukallah's sei, obschon er es nicht ahnt.«
»Wiewohl sie häufig an den Ufern des Ganges gewesen,« sagte nachdenkend der Fürst, »so begreife ich doch nicht, wie sie zu dieser wichtigen Botschaft kommt, für die ich jede Stunde mit Gold aufwiegen würde. Auch ist in diesen Zeilen davon die Rede,
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daß der Eilbote, dem sie anvertraut worden, mir nähere Kunde geben Würde. War der Mann, der mit ihr entflohen, vielleicht dieser Bote?«
»Nein, Hoheit, es ist ein englischer Offizier, der ihr das Leben verdankt.«
»Und können Sie mir gar keine Andeutung geben, was aus dem wahren Boten geworden ist, wo ich ihn finden kann?«
Der Arzt schwieg, - er kämpfte mit sich und überlegte, wie weit er seine Vermuthungen enthüllen dürfe, ohne seinen Tukallah und der Bayadere geleisteten Eid zu brechen. Dennoch drängte ihn die Sorge, das ihm anvertraute unschuldige Wesen zu retten, sich um jeden Preis das Vertrauen des Maharadschah zu sichern.
»Hoheit,« sagte er endlich, »als ich von dem englischen Schiff am Ufer des Sindh entflohen war und den Weg durch die zahllosen Gefahren eines unbekannten Landes einschlug, Sie aufzusuchen, wurde ich am Rande der Thur von zwei jener indischen Mörder, die gleich Schlangen im Verborgenen ihr furchtbares Handwerk treiben, überfallen.«
»Sie waren in den Händen der Thugs, wenn ich Sie recht verstehe, und leben noch?« fragte mit offenbarem Erstaunen der Prinz.
»Ein Wunder rettete mich - die Dazwischenkunft des Herrn dieser Burg. Könnte nicht auf gleiche Weise der Eilbote an Sie in die Hände der Mörder gefallen und ihm jenes Papier geraubt worden sein?«
»Aber wie kommt dann die Tänzerin in dessen Besitz?« - Rasche Gedankenfolgen zuckten offenbar durch sein Gehirn und suchten das Räthsel zu lösen. Mißtrauisch maßen zwei Mal seine Blicke den Arzt, denn vertraut mit den Sitten und vielen Geheimnissen seiner Heimath, kamen seine Ideen der Wahrheit ziemlich nahe.
»Sie sagten so eben, Sir, daß Tukallah, oder Tantia-Topi, wie die Hindu ihn nennen, Sie aus den Händen der Mörder befreit hat. Geschah es durch Ueberfall und Gewalt?«
»Tukallah's Ansehn,« erwiederte zaudernd der Deutsche, »scheint so groß in diesen Gegenden, sein Wort so gefürchtet, daß
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seine Gegenwart allein hinreichte, mich zu retten. Wenigstens sah ich keine Anwendung von Gewalt.«
»Und Anarkalli ist die Tochter Tukallah's, und rettete den Engländer?«
»Sie liebt ihn und hat ihn unglücklicher Weise in Gefahr gebracht. Doch, Hoheit, das ist Alles, was ich Ihnen sagen, darf - fragen Sie nicht weiter, ein doppelter Eid - verschließt meine Lippen.«
»Ich weiß genug, Herr. Treffen Sie Ihre Anstalten, um mich sofort zu begleiten, - ich werde Sorge tragen, daß die Haudah eines meiner Elephanten für Sie und die Person, die Sie aus dieser Burg entfernen wollen, bereit ist. Diese Männer haben ihre Berathung beendet - ich muß sogleich meinen Entschluß verkünden.«
In der That schien der Derwar jetzt zur Einigkeit in den wichtigsten Beschlüssen gekommen und der Maharadschah nahm eine Pause wahr, um sich zu erheben und zu dem Herrn der Burg zu treten.
»Mögen die Geister der großen Krieger Hindostans aus vergangenen Jahrhunderten Euch beistehen, tapferer Sirdar,« sagte er. »Srinath Bahadur ist ein Sohn Indiens und wird glücklich sein, das Land seiner Väter frei zu sehen, wenn er auch die weißen Faringi seine Freunde nennt. Damit er wisse, ob er es noch ferner thun kann, muß er sofort Deine Burg verlassen und eilig seinen Weg nach Bithoor richten. Ein böser Geist hat seine Seele eingenommen und er darf nicht länger weilen unter seinen Brüdern.«
Der Sirdar sah ihn befremdet und mißtrauisch an: »Du willst uns so plötzlich verlassen - jetzt und in dieser wichtigen Stunde?«
»Eine böse Ahnung ruft mich fort von hier - ich bitte Dich, tapferer Sirdar, laß meine Leute benachrichtigen, daß sie sich bereit halten, binnen einer Stunde aufzubrechen. Das Feuer brennt die Sohlen meiner Füße, bis ich meinen Palast zu Bithoor erreicht habe.«
Die Ankündigung dieses plötzlichen, unter den obwaltenden Umständen so eigenthümlichen Entschlusses rief eine allgemeine
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Bewegung unter den Mitgliedern des Derwar hervor und offen ertönte von mehreren Seiten der Ruf, man dürfe den Maharadschah nicht abreisen lassen, ohne daß er durch einen heiligen Eid sich ihnen verbunden. Er habe zu viel gehört und wolle sie jetzt den Engländern verrathen.
Während dieser Sturm um ihn sich erhob, stand Srinath Bahadur mit verächtlichem Lächeln, die Linke auf den Griff seines Säbels gestützt, an den weißen Marmor des Grabmals gelehnt, und heftete fest seine Augen auf das finstre Antlitz seines Wirthes.
»Möge Baber-Dutt, mein Bruder,« befahl er in ruhigem Tone, »in die Höfe der Burg gehen und die Diener Srinath Bahadur's benachrichtigen, daß sie sich bereit halten, da unser Wirth die Pflicht gegen seinen Gast nicht zu kennen scheint.«
»Nimmermehr! laßt Keinen sich entfernen! Tod dem Falschen, der uns zu verrathen wagt!« ertönte es aus dem Kreise, der sich um Wirth und Gast drängte.
Baber-Dutt zauderte, dem Befehle zu gehorchen.
Die Augen des Maharadschah erweiterten ihren Kreis, wie die eines wilden Thieres bei dem Widerstand, den sein Wille fand, und die braune glänzende Pupille schien zu wachsen und die ganze Wölbung des Augapfels einzunehmen. Ein Blitz, ein Strahl, eine Flamme schien aus diesem sonst so gleichgiltigen matten Auge hervorzubrechen gleich der verheerenden Explosion einer entfesselten Pulvermine.
»Zur Thür, Baber-Dutt! und wehe dem, der Dich aufzuhalten wagt!«
Der Tiger stand zum Sprunge bereit, sich allein auf die Verwegenen zu stürzen, die es wagen sollten, seinem Befehl sich entgegen zu stellen. Seine Hand hielt den Griff des Säbels umfaßt, während um ihn her bereits Klingen im Schein der Fackeln und Lampen blitzten, die jetzt den Raum der Pagode erhellten.
Da warf sich der Mahratte zwischen die Streitenden.
»Zurück!« schallte seine mächtige Stimme, »Niemand soll sagen, daß Tukallah unter seinem Dach den Gast beleidigen ließ oder seinen Willen beschränkte. Die Faringi mögen das Gastrecht schänden, nicht der freie Mahratte. Nena Sahib hat
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das Recht zu gehen, wie er gekommen und wird unser Vertrauen mit sich nehmen.«
Der Blitz in den Augen des Maharadschah verschwand, seine Hand ließ den Schwertgriff fahren. »Ich danke Dir, tapfrer Sirdar,« sagte er kalt, »daß Du Srinath Bahadur Gerechtigkeit widerfahren lässest. Was mich so eilig von Dir treibt, hat Nichts mit den Dingen zu thun, die Ihr hier verhandelt. Tantia-Topi hat selbst so viele Geheimnisse, daß er auch die seiner Freunde achten wird! - Laß den jungen Khan der Shiks[Sikhs] und den Franken Hakim sich bereit halten, mich zu begleiten, denn ich schwöre der edlen Maharani, daß ich selbst ihr Werk fördern will. Der Sohn soll der Mutter zurückgegeben sein als Beweis, daß Srinath Bahadur es treu mit Hindostan meint, noch ehe der Mond zwei Mal gewechselt, oder ich will den Tilluk von meiner Stirn reißen und der Hund eines Paria werden.«
Ohne ein Wort weiter an Jene, die ihm mißtraut, zu verlieren, schritt der Indier-Fürst nach dem Thor der Pagode und trat in den Hofraum, wo die Diener bereits die Anstalten zur glänzenderen Wiederholung des Festes vom gestrigen Abend getroffen hatten.
Die Nachricht, daß der Maharadschah noch am selben Abend aufbrechen und seine Reise fortsetzen wollte, verbreitete sich schnell und seine Begleiter eilten herbei, die Befehle des Gebieters in Empfang zu nehmen.
Rasch hatte der Sirdar eine kurze Berathung mit der Königin von Lahore und den Vornehmsten des Derwar gepflogen, und der Beschluß lautete, daß der Khan und der Deutsche den Maharadschah begleiten sollten, um mit seiner Hilfe das Werk der Befreiung des jungen Prinzen zu unternehmen. Tukallah versuchte noch ein Mal, seinen Gast zu bewegen, bis zum andern Morgen sich Ruhe zu gönnen und dann in Begleitung des Prinzen und der Maharana die Reise nach den Ufern des Sedletsch zu machen, da der Maharadschah aber ungeduldig auf seinem Willen bestand und erklärte, daß er seinen Weg mitten durch die Wüste über das Arawalli-Gebirge nach Djeipur und Gwalior richten wolle, traf er alle Anstalten für die Abreise seines Gastes, wie
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sie ein höflicher Wirth nur bereiten kann. Der Glanz zahlreicher Fackeln erhellte die Höfe der Burg und den Felsenweg hinunter in's Thal, und Reiter standen bereit, den Zug des Maharadschah durch den Felsenpaß zu geleiten und ihn in der gewünschten Richtung weiter zu führen. Während ein rasches Mahl eingenommen wurde, flog ein Eilbote bereits auf flüchtigem Renner voran, um Pferde und Saumthiere auf dem Wege bereit zu halten, denn der Peischwa verlangte mit möglichster Schnelle zu reisen, und wollte unterwegs den größten Theil seines Gefolges zurücklassen.
Sobald die Abreise des Nena entschieden war, hatte Walding die Miß davon in Kenntniß gesetzt und durch Kassim einen weiten verhüllenden Ueberwurf herbeischaffen lassen. Vergeblich aber war seine Hoffnung und sein Bemühen, sich des unheimlichen Dieners selbst bei dieser Gelegenheit zu entledigen. Der Thug erklärte, daß es seine Pflicht geböte, ihm bis an's Ende der Welt zu folgen und bis der Tod seinen Eid löse, und der Arzt mußte, um nicht den Argwohn des Mahrattenhäuptlings zu erregen, sich in die Nothwendigkeit dieser Begleitung, fügen.
An seinem Arm verließ das zitternde Mädchen, in die langen Feredschi's oder orientalischen Obergewänder gehüllt, den Kiosk und betrat den untern Hof der Würgerburg, wo deren Bewohner und Gäste in dem bunten Treiben der Abreise versammelt waren.
Der Peischwa - denn diese Würde wurde ihm wenigstens von allen seinen Landsleuten zuerkannt, auch wenn die Compagnie sich geweigert, sie zu bestätigen, - bewies, daß er trotz der Aufregung seiner Seele und der Besorgniß, die sie erfüllte, an den Arzt und seinen Schützling gedacht habe; denn kaum hatte er den Hof betreten, als der Wink Nena Sahibs ihm den Elephanten zuwies, dessen Haudah sie aufnehmen sollte.
Auf das Zeichen seines Mahoud beugte das mächtige Thier die Knie der plumpen Vorderfüße, die Leiter wurde angesetzt, und von dem Arzt unterstützt, bestieg Miß Editha die Haudah.
In diesem Augenblick kam der Sirdar heran und winkte ihr zu verweilen.
Das Herz in der Brust des Arztes hörte auf zu schlagen - ein Wort, ein Blick konnte ihr Aller Verderben werden.
Vergeblich versuchte er, dem Burgherrn in den Weg zu treten
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und ihn mit Worten des Dankes zu beschäftigen, dieser hatte aber offenbar die Absicht, mit der falschen Bayadere selbst zu sprechen, und als er an der Seite ihres Thieres stand, winkte er ihr zu, sich zu ihm herab zu beugen.
»Die Granatblüthe,« sagte er zu dem zitternden Arzt, »soll nicht blos die Freude Deines Leibes, sondern wird auch die beste Helferin Eures Unternehmens sein. Sie ist schlau und gewandt und kennt meinen Willen. Ehe ein Mond vergeht, werden wir uns wiedersehen, denn die Zeit ist nahe, wo das Erbe Dyce Sombres seine Freunde versammeln wird. Nimm diesen, Beutel mit Gold, Weib, und thue, wie Du's befohlen.« Er fügte einige Sätze in einer dem Deutschen unverständlichen Sprache hinzu und reichte ihr den Beutel.
Zu Waldings Erstaunen und Freude hatte die junge Engländerin die Geistesgegenwart, nach der Sitte der Indier den Salem vor ihrem Gebieter zu machen, indem sie die Hand an Brust und Stirn legte, um sie dann auszustrecken zur Empfangnahme des Geschenks.
Da ließ ein tückischer Zufall, ein wehender Luftzug die Falten des weiten Feredschi von dieser Hand und dem Vorderarm gleiten.
Der Blick des Sirdar fiel auf deren blendende Weiße - befremdet, mißtrauisch, trat er zurück und öffnete den Mund zu dem Befehl an die Bayadere, sich zu entschleiern.
Der Beutel mit Gold fiel klirrend zu Boden.
Alles war verloren!
Zum Glück wachte das Auge seines neuen Beschützers über dem gefährdeten Paar. Der Maharadschah sah, daß irgend eine Gefahr drohte und rasch die silberne Pfeife, die er nach der Sitte vornehmer Hindu's an einer Schnur zum Ruf der Diener trug, ergreifend, gab er mit schrillem Ton das Signal zum Aufbruch.
Walding hatte das Gold vom Boden gerafft und sprang auf den Rücken des Elephanten. Die Geistesgegenwart der Lady hatte im Augenblick die verrätherische Hand wieder unter den Falten des Gewandes verborgen, und den Salem wiederholend zog sie sich zurück in das Innere der Haudah. Das mächtige
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Thier erhob sich und der Sirdar trat zurück, im Glauben, daß das zitternde Licht der Fackeln seine Augen getäuscht.
Durch die Wölbungen des Thores, über die Balken der Zugbrücke donnerten die schweren Tritte der gewaltigen Thiere, die Hufschläge der Rosse.
Aber erst als die Felsenwände des Passes hinter ihnen, und im bleichen Licht des Mondes die weiten Flächen der Thur vor ihnen lagen, fühlte des Deutschen Herz sich der schweren Last entledigt und der Gefahr entronnen, und mit einer unwillkürlichen Bewegung preßte er die Hand der Geretteten im Dank gegen den Allmächtigen an seine Brust.


Der nächtliche Weg, den die kleine Karawane des Maharadschah durch die Wüste nahm, erstreckte sich in derselben Richtung, welche am Morgen die beiden Flüchtlinge eingeschlagen hatten.
Diesen muß zunächst die Erzählung folgen, ehe sie zu dem blutigen Helden unsers Buches und seinen Schützlingen zurückkehren kann.
Bald hatte die Bayadere, durch die warnenden Schüsse des Khans aufmerksam gemacht auf die Rückkehr des Sirdar's und seiner Gäste, bemerkt, daß schon nach kurzer Zeit Anstalten zu ihrer Verfolgung getroffen wurden.
Der Vorsprung, den sie bereits gewonnen, war indeß bedeutend, und die Flüchtlinge waren eifrig besorgt, ihn unverkürzt zu erhalten, ohne ihre Pferde allzu heftig anzustrengen. Anarkalli wußte, daß ihre Pferde mindestens das Gleiche zu leisten vermöchten, was die Rosse der Verfolger zu thun im Stande waren, ja, daß der berühmte Turkomanenhengst, den der Edelmuth des Khan ihnen gegeben, allein mit leichter Mühe seinen Reiter aus dem Gesichtskreis der Mahratten tragen könne, - aber es wäre gänzlich zwecklos gewesen, sich zu trennen, und sie sah ein, daß die Jagd daher eine sehr langwierige werden würde, und erst im Dunkel der Nacht sie Hoffnung hätten, ihren Feinden zu entkommen, wenn die Kraft der Pferde bis dahin aushielt.
Ein Manöver ihrer Verfolger nöthigte sie jedoch, von der
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Richtung, die sie anfangs direct nach Osten genommen, um den nähern Rand der Wüste nach jener Seite zu gewinnen, abzuweichen, und sich weiter nach Süden hin in die traurigen Einöden der Thur oder Thul zu vertiefen. Den ganzen Vormittag ging, trotz der steigenden Sonnengluth, ihr Ritt in jener Richtung und der Scharfsinn des Mädchens fand Mittel, aus einem Theil ihrer Gewänder und wilden Pflanzen, die sie antrafen, schützende Hüllen für sich und den Geliebten gegen den Sonnenstich zu bereiten. Mit Schrecken jedoch bemerkte sie, daß dieser bald nur mit Mühe sich im Sattel zu halten vermochte.
Die Leiden der vorhergegangenen Tage und Wochen, die Entbehrung jeder Nahrung seit 24 Stunden, der Schmerz der erhaltenen Verletzung endlich, vereint mit der drückenden Hitze, hätten auch eine kräftigere Natur als die des jungen Offiziers überwältigen müssen. Trotz seiner Anstrengungen, sich aufrecht zu erhalten, schwankte er auf dem edlen Pferde, das ihn trug, und die Bayadere sah voraus, daß er nicht lange mehr sich würde aufrecht erhalten können, wenn es nicht gelänge, ihm Ruhe und Erfrischung zu schaffen.
In diesem Augenblick, als sie bereits daran dachte, das Blut ihrer Adern dem Geliebten zum Trank aufzunöthigen, fielen ihre Augen auf ein niederes Gestrüpp, an dem sie eben vorbeijagten, der Gebirgskette zu, die sich bereits vor ihnen erhob, denn es war schon am Nachmittag, und der Galopp ihrer Renner mußte sie mindestens fünfzig englische Meilen von der Burg der Thugs entfernt haben. Mit einem Freudenruf hielt das Mädchen ihr Roß an, sprang aus dem Sattel und rief ihrem Begleiter zu, inne zu halten. Dann half sie ihm vom Pferde, legte ihn sanft auf den heißen Erdboden und bereitete von den Resten ihres Schleiers ihm eine Schirmwand gegen die Sonnenstrahlen. Der Blick auf das Gestrüpp hatte ihr gezeigt, daß hier jene Cactusart wuchs, welche die Eigenthümlichkeit hat, in ihren großen kelchartigen Blättern den Nachtthau des Himmels und die Feuchtigkeit der Luft aufzufangen, und zu einem reinen, süßen und stärkenden Saft destillirt, tagelang in ziemlich bedeutender Menge zu bewahren. Diese von der Hand des Allmächtigen in die Oedeneien der Wüste verstreute Pflanze ist oft die einzige Hilfe
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und Rettung von Menschen und Thieren; denn außer der erfrischenden Feuchtigkeit, die sie in Gegenden bietet, wo oft Tagereisen weit keine Spur von Wasser anzutreffen ist, ist auch das zarte, süße Fleisch ihrer Blätter und Stengel eine Lieblingsnahrung der Thiere und wird auch von den Reisenden selbst genossen.
Indem die Tänzerin bei der Entdeckung dieses wie von Gott gesandten Hilfsmittels ihre Augen zugleich über den Horizont schweifen ließ, erkannte sie, daß sie wohl eine Stunde Zeit vor sich hatten, ehe ihre Verfolger, die sich in einem weiten Halbkreis in Abtheilungen von zwei und drei Mann getheilt und sie so einzuschließen versucht hatten, nahe genug auf ihren gewiß auch erschöpften Pferden herankommen konnten, um ihnen gefährlich zu werden.
Rasch entschlossen entschied sie sich dafür, hier eine nothwendige Rast zu machen und die Annäherung der Feinde bis auf einen gewissen Punkt zu erwarten, um ihnen dann mit den einigermaßen ausgeruhten Pferden auf's Neue zu entfliehen.
Sie öffnete daher diesen den Zaum und ließ sie an den Stauden der Cacteen sich Nahrung suchen, während sie eine Anzahl der Blätterkelche mit der thauigen Flüssigkeit sammelte, um den Erschöpften damit zu stärken.
Nicht eher, als bis dies vollständig geschehen, gestattete sie ihren eigenen Lippen, gleichfalls sich zu erfrischen. Sie bat den Offizier, sich der Ruhe zu überlassen, der er so sehr bedurfte, mit dem Versprechen, ihn zur rechten Zeit zu wecken, und setzte sich an die Seite des fast im Augenblick Entschlafenen, das Näherkommen ihrer Verfolger zu beobachten.
Dies verzögerte sich länger, als sie zu hoffen gewagt, da die Diener Tukallah's wegen des plötzlichen Verschwindens der Flüchtlinge aus ihrem Gesicht langsamer und mit größerer Vorsicht sich dem Punkte näherten, wo sie dieselben zuletzt bemerkt. Es mochte eine volle Stunde verflossen sein, als Anarkalli ihren Schützling weckte und die Pferde herbeiführte. Die Reiter des Sirdars waren kaum noch eine englische Meile entfernt und kamen nun so schnell heran, als es der Zustand ihrer abgetriebenen Pferde erlaubte, da sie jetzt wieder ihre Opfer entdeckt hatten.
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Noch einmal erfrischte die Tänzerin ihren Schützling mit dem Wasser der Pflanzen, half ihm auf den Renner des Khans und schwang sich dann auf den ihren. Ein verächtliches Schwingen ihrer Hand in der Luft gegen die Verfolger wurde von diesen mit wildem Geschrei und dem nutzlosen Abfeuern mehrerer Flinten- und Pistolenschüsse erwiedert, dann ließen sie ihre Rosse den Zügel fühlen und jagten auf's Neue davon.
Aber sie hatten noch kaum hundert Schritt zurückgelegt, als die Bayadere mit Entsetzen bemerkte, daß ihr Pferd stark auf dem einen Fuß lahmte. Trotz alles Antreibens wurde das Uebel von Minute zu Minute stärker, es blieb hinter seinem Gefährten zurück und endlich mit schmerzlichem Wiehern ganz stehen.
Lieutenant Sanders hielt sogleich sein Pferd an und fragte nach der Ursache des Verweilens.
»Ein böser Geist ist in dem Fuß meines Rosses,« erklärte die Tänzerin, - »sein Huf muß verletzt sein und einen der großen Dornen der Dschungel oder einen spitzen Stein eingetreten haben.« Sie war bereits am Boden und überzeugte sich von der Richtigkeit der ersten Vermuthung, aber zugleich auch, daß die Verwundung so bedeutend war, daß das Thier den Lauf nicht weiter fortsetzen konnte.
»Lakschmi75 ist wider uns,« sagte sie hastig, »wir müssen uns trennen! Fliehe, o Faringi, dem Aufgang der Sonne zu und gedenke des Hindumädchens, das Dich geliebt bis zum Tode!«
Ihre Hand deutete ihm die Richtung der Flucht - ihr großes dunkles Auge hing noch ein Mal mit leidenschaftlichem Blick an seiner geliebten Gestalt.
Aber der Offizier, statt nach ihrem Willen das Pferd anzutreiben zum weitern Lauf, machte Anstalt, seinen Sitz wieder zu verlassen. »Du mußt wenig wissen von der Ehre eines britischen Offiziers, Mädchen,« sagte er in bestimmtem Tone, »wenn Du glaubst, Stuart Sanders würde, seine Lebensretterin feig verlassen. Wenn wir nicht zusammen fliehen können, werden wir zusammen sterben.«
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Sie hielt ihn zurück, - sie beschwor ihn mit Thränen, der Schnelligkeit seines Rosses zu vertrauen und sich zu retten.
»Nicht ohne Dich, Anarkalli,« erklärte der junge Mann mit ritterlichem Entschluß. »Schwinge Dich auf die Kruppe meines Pferdes, es ist stark genug uns Beide zu tragen. Weigerst Du Dich, bei meiner Ehre! so fliehe ich keinen Schritt weiter!«
Eine Flintenkugel, die über sie hinwegstrich, verstärkte seine Worte, - das Triumphgeschrei der Verfolger tönte laut in ihren Ohren.
Da sprang die Tänzerin mit einer raschen Bewegung auf das Pferd. »Fort! Fort! und Cartikaia möge uns helfen!« und den Geliebten gegen die wiederholten Schüsse mit dem eigenen Körper deckend, spornte sie den Renner mit der Spitze ihres Dolches, und weit aus griff das edle Thier zu gewaltigem Lauf und trug bald die Doppellast aus dem Bereich ihrer Feinde.
Von Neuem begann jetzt die wilde Hetze. Von den zehn Reitern Tukallah's vermochte nur noch die Hälfte die Verfolgung fortzusetzen, die jetzt in gerader Linie den emporsteigenden Bergwänden zuging. Auch diese letzten Verfolger konnten nur mit Anstrengung die übertriebenen Pferde weiter bringen. Sie warfen die Flinten und Lanzen, zuletzt selbst die Pistolen fort, um sich zu erleichtern und folgten, jetzt nur den Säbel in der Faust, in Zwischenräumen, je nach der Kraft ihrer Rosse, den weit voraus sprengenden Flüchtlingen.
Anarkalli erkannte jetzt die Absicht, in der ihre Gegner sie nach dieser Richtung gedrängt hatten. Ein Zweig des Arawalli-Gebirges erhob sich in seinen kühnen unzugänglichen Massen vor ihnen, und am Fuß dieser Berge dehnten sich die Moräste und Sümpfe aus, denen verschiedene kleine Nebenflüsse des Saben ihren Ursprung verdanken.
Schon geraume Zeit wand ihr Lauf sich zwischen diesen Sümpfen hin, und wie ermüdet auch die Pferde ihrer Verfolger, und wie weit sie ihnen auch vorausgekommen waren, erkannte das Mädchen doch, daß auch ihr Turkomanenhengst nicht länger die doppelte Last zu tragen vermöge und die Entscheidung herannahe.
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Endlich erblickten sie sich auf einer schmalen Felsenenge, die zwischen tiefen Sümpfen zu einer breiten Lagune und über diese hinweg zu einer hohen Bergwand führte, vor der sich eine mit indischen Fichten bewachsene Strecke Landes im Halbkreis ausdehnte, so daß sie von Sumpf und Bergen eingeschlossen und kein Ausgang sichtbar war. Umzukehren und einen andern Weg zu suchen war nicht mehr möglich, denn zwei der Reiter des Sirdar folgten ihnen jetzt in der Entfernung von etwa fünfzehnhundert Schritt.
In die mit wildem Gebüsch und Schlingpflanzen bewachsene Bergwand schien eine enge Schlucht oder Spalte zu führen und am Eingange derselben erkannten sie jetzt die große Gestalt eines Mannes mit langem weißen Bart, phantastisch in Lumpen und Thierhäute gekleidet. Seine Füße waren nackt und in der Hand hielt er einen großen keulenartigen Ast oder Baum.
»Lakschmi sei gelobt!« rief das Mädchen, indem es das Roß auf die seltsame Erscheinung zutrieb. »Das muß Fair-Eddin, der heilige Einsiedler der Sümpfe sein, der Rao der Krokodile! Laß uns seinen Schutz erflehen!« Sie warf sich von dem wankenden Pferde, half ihrem Gefährten herunter und zog ihn nach dem Bewohner dieser Wüstenei hin.
Der Greis hatte mit wilden Blicken die Scene und die Herankommenden betrachtet. Ein unheimliches fanatisches Feuer glühte in seinen gerötheten Augen, als er jetzt mit nerviger Faust die Keule durch die Luft schwang.
Jetzt erst konnte der Offizier bemerken, welche furchtbare Waffe dieselbe abgab. Das untere Ende des jungen Baumes, denn aus einem solchen bestand die Keule des Fakirs, bildete noch der dicke Wurzelknoten, durch den lange starke Eisenspitzen geschlagen waren, so daß er dem Kolben eines alterthümlichen Morgensterns glich, nur fester und noch gefährlicher, als ein solcher.
»Fluch über Dich, Tochter des bösen Geistes. Weißt Du nicht, daß kein Weib sich der Hütte Fair-Eddin's, des Einsiedlers nahen darf? Entweiche zur Stelle mit dem Ungläubigen von hier, ehe meine Keule Euer Hirn verspritzt, oder die Stimme meine Kinder ruft, daß sie Euch verschlingen!«
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Der Engländer wollte seine treue Gefährtin aus der gefahrbringenden Nähe des wahnwitzigen Fanatikers hinwegziehen, um lieber als Mann kämpfend gegen seine Verfolger den Tod zu finden, aber Anarkalli riß sich von seiner Hand los, flog furchtlos auf den Grimmigen zu und umfaßte seine Kniee.
»Vater,« rief sie, »Wischnu ist gnädig, der mich in meiner höchsten Noth Dich, den Todtgeglaubten, Verlorenen, finden läßt! Rette mich und jenen Mann, dem meine Seele gehört, vor unseren Verfolgern!«
Der Fakir ließ bei diesem Anruf die erhobene Keule sinken. »Wer nennt mich Vater mit einer Stimme, die aus dem Grabe vergangener Zeiten tönt?« fragte er mit melancholischem Ausdruck. »Wer bist Du Weib, - die mich an Vergangenes mahnt?«
»Bei dem Andenken Deines Weibes, meiner Mutter, - obschon sie Deine Liebe nicht verdiente! Du bist Araban, der Brahmine, und ich bin Anarkalli, das Kind, das Du auf Deinen Armen getragen und das die Freude Deines Herzens war, bis zu jenem Tage, da die Faringi Dein Weib beschuldigten, eine Thug zu sein und sie hinrichteten. Willst Du mich sterben sehen zu Deinen Füßen?«
Fair-Eddin, der Einsiedler, strich mit der Hand über seine Stirn, gleich als wolle er seine Gedanken sammeln. »Deine Stimme ist die des Kindes der Falschen und Deine Augen leuchten wie die Blüthe der Granate. Aber Araban, der Wächter des Tempels von Hadramaut, ist todt und Fair-Eddin allein weilt unter den Lebendigen! Willst Du Dein Leben von dem, der seit langen Jahren selber mit Sehnsucht des Todes harrt? Ich habe andere Kinder als Dich und sie sind gehorsam meiner Stimme, während Du flohst aus der Hütte dessen, der Dich genährt mit seinem Herzen.«
Das Herbeikommen der Reiter Tukallah's unterbrach seine Rede. Sie stürmten mit wildem Geschrei, die Säbel schwingend, heran.
»Fort mit Euch in jene Höhle und schließt hinter Euch die Thür. Nehmt Euer Roß mit Euch, - meine Kinder sind hungrig!«
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Ohne ein Wort weiter zu entgegnen, zog Anarkalli, den Zügel des Rosses haltend, dieses und den Offizier nach dem Eingang der Höhle, die sich in die Bergwand öffnete. Eine leichte Thür, von Weiden und Schlingpflanzen geflochten, bildete die Pforte und einen sehr zweifelhaften Schutz, als sie in den gewölbeartigen Raum der Höhle eingetreten waren, die bei dem sinkenden Licht des Tages nur eine spärliche Helle durch die Spalten der Thür und durch eine Lampe erhielt, die im Hintergrund vor einer mit einem grünen Vorhang verhangenen Nische brannte.
Stuart Sanders, der sich des Dolches der Tänzerin bemächtigt hatte, blieb an der Thür stehen, die Scene vor dem Eingang zu beobachten, und entschlossen, den Ersten, der es versuchen würde, mit in die Höhle einzudringen, niederzustoßen.
»Was wollt Ihr auf der Insel Fair-Eddins?« fuhr der Einsiedler die heranstürmenden Reiter rauh an, indem er wiederum seine mächtige Keule schwang. »Wer wagt es, mein Gebiet in solcher Weise zu betreten?«
»Heiliger Mann,« sagte der Schobedar - »verzeih' unsrer Eile, aber wir sind auf Befehl unsers Herrn, des mächtigen Sirdars der Malangher-Burg, Tukallah's, des Mahratten, in der Verfolgung zweier flüchtiger Verbrecher begriffen, die Deinen Schutz nicht verdienen. Gieb sie heraus, frommer Einsiedler, und kein Haar auf Deinem Haupte soll gekrümmt werden.«
»Fort mit Dir, feiler Sclave eines blutigen Gebieters. Kehre zurück zu Deinem Herrn und sage ihm: wer das Kleid des Königs der Gepanzerten berührt, stehe unter seinem Schutz.«
»Fakir - widersetze Dich nicht vergeblich unserm Willen,« sprach der Anführer der Reiter, deren Zahl bereits auf vier angewachsen war. »Du bist ein Greis und kannst die Flüchtlinge nicht gegen eine überlegene Zahl vertheidigen. In wenig Augenblicken werden zehn Reiter mir zur Seite stehen, und wir müssen den Mann und das Weib haben um jeden Preis, todt oder lebendig!«
»Der Fluch Yama's über Dich, wenn Du es wagst, meinem Worte ungehorsam zu sein! Die Folgen kommen über Dich!«
»Was sollen wir uns mit dem alten Thoren streiten,« rief einer der Reiter, ein Mahomedaner und der wildeste von Allen,
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indem er vom Pferde sprang - »indeß uns vielleicht die sichere Beute durch eine seiner Listen entrissen wird. Vorwärts, Brüder, und seine Schuld ist es, wenn ihm Unheil widerfährt.«
Während die Anderen noch zauderten, Hand an den durch ihren Glauben geheiligten Fanatiker zu legen, sprang der Moslem vorwärts.
Der Fakir schwang mit einem grimmigen Ruf seine Keule. Zugleich brachte er eine kurze Rohrpfeife, die er in seinem Gürtel trug, an die Lippen und blies einen schrillenden, lang gezogenen Ton darauf.
Er war noch nicht verklungen, als das trübe, schlammige Wasser der Lagune umher an sechs verschiedenen Stellen emporwallte und Töne sich hören ließen, wie das Zusammenklappen harter Bretter.
Aus den Schlammkreisen erhoben sich sechs scheußliche Riesenhäupter, schlugen die langen, spitzen Kinnläden mit jenem Geräusch auf einander, und stierten mit den großen, gläsernen Augen umher.
Wiederum scholl, während der Angreifer erstarrt zurückwich, der schrille Ton der Rohrpfeife in anderer Modulation.
Das schlammige Wasser spritzte empor, während sechs gewaltige Leiber herausschossen und auf den kurzen breiten Schwimmfüßen wie auf gemeinsames Kommando an's Ufer rannten.
Sechs riesige Krokodile öffneten ihre gewaltigen Zahnreihen gegen die Feinde ihres Gebieters.76
Der unglückliche Moslem sah zu spät die furchtbare Gefahr ein, in die er sich gestürzt, und suchte vergeblich sein Pferd zu erreichen, das erschreckt nach dem Felsendamm zurückrannte, wohin bereits die anderen Reiter zurückgeflüchtet waren. Die nächste der riesigen Eidechsen verrannte ihm den Weg, ein Schlag mit dem schuppigen Schwanz traf ihn und warf ihn zur Seite, im
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nächsten Moment hatte sich das Krokodil gewandt, sein langer Rachen schnappte nach dem Unglücklichen, erfaßte ihn um die Mitte des Leibes, und unter dem Jammergeschrei des Mannes verschwand das Ungeheuer mit seiner Beute in der trüben Fluth der Lagune.
Das Schreckliche geschah so rasch, daß die Worte unsrer Erzählung kaum seine Zeitdauer erreichen. Die fünf anderen Krokodile, als sie sahen, daß die nächste Beute ihnen entgangen, hockten auf den Ton der Pfeife wie Hunde umher, und ließen ihre Kinnladen mit jenem scheußlichen Ton auf[-] und niederklappen. Der Einsiedler holte von dem Stamm einer Fichte mehrere dort aufgehängte halb verweste Stücken Fleisch und warf sie den grimmigen Eidechsen zu, die wild durch einander schossen und um die Nahrung sich balgten und bissen. Als eines der Ungethüme dabei dem Fakir zu nahe kam, versetzte er ihm einen gewaltigen Schlag mit seiner Stachelkeule, worauf dasselbe mit einem Laut, der wie Kindergeschrei klang, davon huschte.
Mit Staunen und Entsetzen hatte der britische Offizier dies Schauspiel durch die Spalten der Thür mit angesehen, und konnte sich des Schauders nicht erwehren, obschon ihre Rettung dadurch gesichert ward.
Der Abend war unterdeß herangekommen und die Dunkelheit trat mit jener Schnelligkeit ein, die in den Tropengegenden den Uebergang der Dämmerung fast gänzlich ausschließt. Der Fakir, unbekümmert um die kämpfenden Ungeheuer, trat an den Rand des Felsendammes und schaute aufmerksam umher. Dann erst öffnete er die Thür der Hütte und betrat die Höhle, die ihm zur Wohnung diente.
»Eine Lüge würde über die Lippen Fair-Eddins gehen,« sagte er finster, nachdem er eine große eherne Lampe von antiker Form angezündet und an einer von der Decke der Höhle hängenden Kette befestigt hatte, »wenn ich gleich wie der Wirth den Gastfreund Dich willkommen heißen wollte, o Faringi! Doch hast Du Dich in meinen Schutz begeben und er soll Dir und jenem Mädchen werden. Nehmt das Wenige, was an Speise und Trank vorhanden ist, indeß ich Dein Lager bereite. Für diese Nacht seid Ihr sicher, denn die Kinder des Sumpfes
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bewachen den Eingang und wehe dem, der sich ihnen im Dunkeln zu nahen wagt.«
Er nahm aus einer Nische der Wand eine Schaale mit Honig, Früchten und Maiskuchen und setzte das einfache Mahl mit einem Kruge Wasser auf einen Felsblock. Er selbst begnügte sich mit einer Hand voll getrocknetem Reis.
Die Bayadere war unterdeß auf alle mögliche Weise bemüht, die Lage ihres Geliebten zu erleichtern. Sie untersuchte seinen Arm, befestigte den Verband auf's Neue und kühlte die Geschwulst mit Wasser. Der Fakir sah ihr schweigend zu, dann erhob er sich, ging hinter den Vorhang am Ende der Höhle und kam mit einer Flasche zurück, die mit einer hellen durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.
»Es ist thöricht, daß ich das Wasser des Lebens verschwenden will an einen Ungläubigen,« sagte er, indem er die Flasche sorgfältig entkorkte und einen kleinen Theil der Flüssigkeit in eine Schaale goß, »aber die Söhne der Dämonen verdienen, daß ihnen ihr Opfer entzogen werde, weil sie selbst an der Heiligkeit dieser Freistätte gefrevelt. Feuchte das Tuch mit diesem Wasser, das von der Hand guter Geister in der Nacht des Wischnufestes aus der heiligen Quelle auf der Höhe des Dhawalagiri geschöpft ist, dessen Spitze noch kein menschlicher Fuß betreten hat. Jeder Tropfen des kostbaren Naß ist wie der Thau des Himmels und heilt die Wunden.«
Das Mädchen that, wie der Greis befohlen, und befeuchtete den kranken Arm. Dann goß der Einsiedler noch ein Mal von dem Wasser in die Schaale und streute ein Pulver hinein, das ein leichtes Aufbrausen verursachte.
»Trink,« sagte er, indem er dem Engländer die Schaale reichte, »und mit Wischnu's Segen wird morgen jede Spur des Fiebers gewichen sein. - Trink, Hund von einem Faringi!« wiederholte er wild und griff nach seiner Keule, als der Lieutenant einige Augenblicke mißtrauisch zauderte. »Trink, oder ich zerschmettere Deinen Kopf! Wagst Du es, den heiligen Zauber zu verachten, der in dem Wasser wohnt, übermüthiger Christ?« Seine Augen glühten in wahnwitzigem Zorn auf, so daß der Offizier auf jede Gefahr hin sich beeilte, den Trank zu verschlucken.
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Sogleich legte sich der Zorn des Fakirs und er zeigte sich bemüht, für seinen Gast ein Lager zu bereiten. Einige Thierfelle wurden in einer Seitenhöhle - wohin auch das Pferd gebracht worden nachdem es getränkt und mit Maiskörnern gefüttert war, - ausgebreitet und hier hieß der Herr der Höhle seinen Gast Platz nehmen. Sanders fühlte eine behagliche Wärme durch seine Adern sich ergießen und zugleich eine große aber nicht unangenehme Mattigkeit seine Augenlider sinken machen. Eine kurze Zeit noch, nachdem er sich auf dem Lager ausgestreckt, horchte er auf das klagende Geräusch der Kinnladen der Krokodile vor der Hütte und ihr dem Kindergekreisch ähnliches Geschrei, so wie auf die Rede des Fakirs, der in einem ihm unbekannten Dialekt in der größern Höhle mit der Tänzerin sprach. Dann verschwammen die bunten Gestalten und Ereignisse des vergangenen Tages zu einem wirren Bilde und ein tiefer wohlthätiger Schlaf überwältigte seine erschöpften Sinne.
Es war bereits mehrere Stunden nach Sonnenaufgang, als ihn die Berührung der Hand Anarkalli's weckte.
Er fuhr aus seinem Schlafe empor und fühlte sich überaus wohl und gekräftigt, die Schmerzen an seinem Arm waren wunderbar verschwunden, und er sprang rasch von seinem Lager, auf dem er sich in die Mitte seiner Kameraden zu Cawnpur geträumt hatte.
Es bedurfte in der That eines kurzen Besinnens und eines Blickes auf die Felsenwände der Höhle und in das besorgte Antlitz seiner schönen Beschützerin, um sich seine Lage und die ihm drohenden Gefahren zurückzurufen.
»Es ist Zeit, daß wir uns zum Aufbruch rüsten,« sagte die Bayadere, »neues Unglück ist auf unseren Fersen, und Krischna möge uns Kraft und Muth geben, ihm zu widerstehen.«
Erst jetzt, als er sie näher betrachtete, bemerkte der Offizier, daß das Mädchen Männerkleidung trug. Ein Turban verhüllte ihre schönen Haarflechten und in ihrem Gürtel steckten Pistolen und Dolch. Gleiche Waffen hielt sie für ihn in der Hand und auf dem Boden lag eine ähnliche orientalische Kleidung wie die ihre.
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»Was ist geschehen? Wie kommst Du zu diesen Kleidern?« fragte der Engländer.
»Die Reiter Tukallah's,« berichtete die Bayadere, »haben sich um den Ausgang der Moräste vertheilt und bewachen ihn auf allen Seiten, um unsere Flucht zu hindern, denn sie wissen, daß diese Felsen unübersteiglich sind. Sie haben zwei der Ihren zurück in die Wüste gesandt, um Hilfe herbei zu holen. Ehe diese zurückkehren, müssen wir noch ein Mal der Kraft unsers Pferdes und der gütigen Göttin vertrauen. Fair-Eddin, der Einsiedler, ist mein Vater, wenn auch nicht mein Erzeuger! Glücklich waren die Tage, als ich unter seinen Augen noch an den Ufern des Sudletsch lebte. Erst der Tod meiner Mutter, der Thug, gab ihm Kenntniß, daß sie ihn hintergangen. Er verstieß mich und zog sich zurück in die Tiefen der Einöde, in frommen Betrachtungen den Uebergang seiner Wandlungen zu erwarten. Längst schon glaubte ich ihn todt, als Lakschmi unsere Schritte gestern hierher lenkte. Meine Bitten haben sein Herz gerührt und er hat versprochen, unsere Flucht zu sichern. Diese Waffen und diese Kleider hat er uns aus den Vorräthen gegeben, welche die wandernden Stämme, die ihn verehren, in diesen unterirdischen Höhlen niedergelegt haben. Lege die Gewänder so rasch wie möglich an, indeß ich das Pferd, welches uns tragen muß, bereit halte.«
Als sie sich hierauf entfernt, vertauschte der Offizier nicht ungern seine Kleidung, die sich in Folge der Abenteuer, welche ihn betroffen, in einem höchst traurigen Zustande befand, mit den bequemen orientalischen Gewändern, und stand bald in der kleidsamen Tracht eines Wüstenreiters da.
So trat er in die größere Höhle, wo Anarkalli seiner harrte mit einem Brei von Mais, den sie ihn rasch zu sich zu nehmen bat. Fair-Eddin war nicht in der Höhle, aber der Engländer hatte kaum sein kärgliches Mahl vollendet und Zügel und Gurt seines Pferdes untersucht, als der Einsiedler hereinstürzte.
»Fort mit Euch!« rief er - »warum zögert Ihr, wenn das Unheil auf Euren Fersen ist? Eure Feinde haben Beistand gefunden in der Wüste, und kommen heran, Euch zu fangen! Fort, ehe sie jeden Weg durch die Sümpfe versperrt haben!«
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Der junge Krieger ergriff sogleich den Zügel seines Pferdes, es aus der Höhle zu ziehen und die Flucht zu versuchen, Anarkalli aber eilte ihm voran zum Eingang und warf einen Blick über die Gegend umher.
»Es ist bereits zu spät,« sagte sie - »die Reiter haben den Zugang des Dammes besetzt und breiten sich nach allen Seiten aus. In wenigen Augenblicken werden sie vor der Thür und wir dennoch verloren sein, wenn Du uns nicht nochmals errettest, Vater.«
In der That hatte einer der ausgesandten Boten in der Wüste einen Trupp umherschweifender Beludschen angetroffen und die wilden Krieger durch Versprechungen bewogen, ihnen Beistand zu leisten. Der Trupp hatte zahlreiche Posten im Halbkreis um den Zufluchtsort der Verfolgten aufgestellt damit sie ihm nicht auf einem andern Wege entwischen möchten, und nahte sich vorsichtig und langsam auf dem gewöhnlichen Pfad über die Lagune, deren Tiefe die furchtbaren Gegner verbarg, die am Abend vorher sie in die Flucht geschlagen.
»Rufe die Krokodile, alter Mann, oder es wird zu spät,« flehte die Tänzerin. »Schon haben sie die Hälfte des Weges erreicht!«
»Was hilft es, daß ich meine Kinder auf die Verfluchten hetze,« murrte der Greis. »Der Knall der Feuerwaffen in ihrer Hand wird sie erschrecken und zurück in die Sümpfe jagen! Indeß gelingt es vielleicht, sie aufzuhalten; denn ich möchte nicht das letzte Mittel anwenden, das mir bleibt, obschon Ihr mein Brod gegessen habt und ich Euch retten muß um jeden Preis.«
Er ergriff seine Keule und verließ wiederum die Höhle, wo der Lieutenant unterdeß, so gut der Gebrauch des einen Armes es ihm erlaubte, die erhaltenen Waffen zum Kampf in Stand setzte. -
Gleich darauf hörten sie die Rohrpfeife des Fakirs seine furchtbaren Wächter herbeirufen, und das klappernde Geräusch ihrer Kinnbacken verkündete alsbald, daß die grimmigen Eidechsen auf ihrem Posten waren.
Auch die Reiter hatten ihre Feinde erblickt und rückten, schußfertig, die Flinten in der Hand, mit Geschrei heran, während
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Fair-Eddin die Keule um sein Haupt schwang und mit lautem Geheul einen wilden Tanz begann, gleich als wolle er die Bestien dadurch zum Widerstande ermuntern.
Der Offizier und das Mädchen beobachteten die furchtbare Scene durch die Spalten der Thür.
Die Diener des Sirdar und ihre Genossen schienen jedoch sehr wohl zu wissen, daß sie in solcher Anzahl und beim hellen Lichte des Tages weniger von den grimmigen Reptilen zu fürchten hatten, und fuhren fort, näher zu kommen.
»Söhne unreiner Thiere,« heulte der Fakir - »wollt Ihr es nochmals wagen, die Wohnung des Friedens zu verletzen? Der Fluch des Himmels ist über Euren Häuptern und wird Euch vernichten, ehe Ihr es ahnt!«
»Wir wollen Nichts von Dir und haben nicht im Sinn, Dich zu kränken,« rief der Schobedar, »aber sei weise, wie Dein weißes Haar es gebietet, und gieb uns die Fremdlinge heraus, die gestern bei Dir Schutz gefunden.«
Der Fakir stieß ein höhnisches Gelächter aus. »Schau auf die Wolke, die über den Himmel zieht. Weißt Du, woher sie gekommen und wohin sie geht? Der wilde Pfau verkündet dem Baum nicht, auf, den er sich niedergelassen, wohin sein Flug geht. Suche ihre Spuren in der Wüste. Ein Narr ist, wer die Fährte seines Feindes kalt werden läßt.«
»Deine Ausflüchte helfen Dir Nichts,« erwiederte unwillig der Mahratte. »Wir haben den Fels und die Sümpfe bewacht, und wissen, daß sie nicht entflohen sein können. Rufe die Krokodile fort, wir möchten ihnen Nichts zu Leide thun, obschon sie sich verschuldet haben, denn wir wissen nicht, ob nicht die Seelen unserer Verwandten in ihren Leibern wohnen!77 Aber wir wollen
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Deine Hütte untersuchen und uns überzeugen, daß die Flüchtlinge nicht mehr darin verborgen sind.«
»So kommt herbei und seht!« höhnte der Fakir, indem er aufs Neue den wilden Tanz begann und zugleich abwechselnd auf seiner Rohrflöte eine Art von Melodie blies, welcher die Krokodile aufmerksam zuzuhören schienen, indem sie mit ihren langen Schnürleibern gleichsam einen Wall um ihn bildeten und die langen Rachen, die fast ein Dritttheil ihrer ganzen Länge ausmachen, gähnend aufrissen und zusammenklappten.
Mehrere der Ungeheuer mochten eine Länge von 20 bis 24 Fuß haben, und als sie so umherkauerten, glichen ihre braunen, bepanzerten Leiber einer Reihe knorriger Eichenstämme, die der Monsoon zu Boden geworfen.
»Die Sache muß ein Ende haben,« rief der Schobedar, indem er sein Roß vorwärts spornte und seine Flinte erhob. »Schont den alten Thoren, denn es ist ein heiliger Mann, und dann gebt Feuer auf die Bestien. Yama möge es uns vergeben, wenn wir damit einen unserer Onkel oder eine unserer Basen verwunden sollten!«
Die Kugeln prasselten auf den dicken Schildern der Rieseneidechsen, ohne ihnen weitern Schaden zu thun, als sie zu erschrecken. Nur eine der Bestien hatte durch ihre zufällige Lage eine Kugel in den Unterleib, den weichsten und allein verwundbaren Theil ihrer Körper, erhalten, sie schnellte sich beinahe kerzengerade in die Höhe, öffnete den Rachen wie eine Scheere weit und stürzte sich mit einem wüthenden Sprunge in's Wasser. Augenblicklich folgte ihr die ganze Schaar und verschwand in der trüben Fluth.
Als sich der Pulverdampf verzogen, war jedoch auch der Einsiedler verschwunden. Er hatte die Gelegenheit benutzt, um sich in das Innere seiner Höhle zurückzuziehen und war jetzt bemüht, die sehr zweifelhafte Haltbarkeit der Thür durch das Vorschieben großer Steine und eines mächtigen, zu diesem Behuf im Innern aufbewahrten Balkens zu verstärken.
Sie schlagen ihre Beute gewöhnlich mit dem Schwanz nieder und schleppen sie dann in's Wasser.
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Die Mahratten wußten, daß sie jetzt nichts weiter von den Krokodilen zu fürchten hatten, ritten auf den Platz vor der Höhle, banden ihre Rosse an die Bäume und machten sich bereit, den Eingang zur Höhle zu erzwingen.
Unterdeß hatte der Einsiedler zwei Fackeln aus einer Felsspalte hervorgeholt, zündete die eine an und gab sie der Tänzerin. »Wenn Du ein Krieger der Faringi bist,« befahl der Greis, »so thue einen Schuß durch die Thür unter den Haufen dieser Söhne der Finsterniß; es wird sie abhalten und uns Zeit gewahren. Du, Tochter, nimm den Zügel des Pferdes und ziehe jenen Vorhang zur Seite.«
Während Anarkalli that, wie ihr befohlen, trat der alte Fanatiker, der in dem Augenblick der Gefahr sich überaus besonnen und entschlossen zeigte, nochmals an die Seite des Offiziers und legte sein Auge an eine der Oeffnungen der Thür.
Die Männer, jetzt etwa zwanzig bis dreißig an der Zahl, kamen eben heran und waren vielleicht noch fünfzehn Schritt von der Thür entfernt.
»Steht, Söhne des Teufels!« schrie der Greis. »Das Verderben ist vor Euch und hinter Euch, Ihr Verächter der Heiligen. Schaut um Euch und Ihr werdet das Nahen Derer sehen, die uns zu Hilfe eilen.«
Der Schobedar blickte sich um und sah mit seinen Genossen in der That jenseits der Sümpfe eine Staubwolke heran kommen, die eine große Reiterschaar zu bergen schien.
»Um so mehr ist es Zeit, den Befehl unsers Herrn zu vollbringen. Gieb die Flüchtlinge heraus oder die Folgen kommen auf Dein Haupt!«
»Verfluchter! ich sage Dir, Krischna ist mit uns! Du aber wirst das Licht des Tages nicht wiedersehen.«
»Vorwärts, Freunde, erbrecht die Thür!«
Die Reiter machten einen Anlauf.
»Nimm den Vordersten der Schurken auf's Korn,« flüsterte der Fakir, »er ist ein Kahlkopf und mag zur Gehennah fahren. Dann wirf Dich rasch zur Seite, denn sie werden uns ihre Kugeln senden.«
Der Beludsche berührte fast die Thür, als ihn der Pistolenschuß
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des Offiziers mitten in die Brust traf. Er warf mit einem Allahruf die Arme in die Höhe und stürzte zu Boden, mit seinem Körper den engen Zugang versperrend.
Die Angreifenden wichen bestürzt zurück, da sie nicht geglaubt hatten, daß die Verfolgten mit Feuergewehr versehen wären und begannen jetzt aus einiger Entfernung den Zugang der Höhle mit ihren Flinten zu beschießen. Die beiden Vertheidiger derselben hatten sich jedoch längst zurückgezogen, nachdem der Offizier noch einen Blick durch die Thür geworfen und bemerkt hatte, daß in der That eine Reiterschaar, mit Pferden, Elephanten und Dromedaren durch die Wüste herankam.
Jetzt bemerkte er, was er nach der Bildung der Höhle schon am Abend vorher geahnt, daß der Vorhang in deren Hintergrund nur den Zugang weiterer unterirdischer Räume verbarg. Der Fakir winkte ihm, eilig zu folgen, ergriff jetzt die Fackel und schritt ihnen rüstig voran in ein Labyrinth von Gängen und Windungen, das immer tiefer in das Innere des Berges hineinführte. Der Weg war oft holprig und uneben von Felsstücken unterbrochen, und da sie das Pferd mit großer Vorsicht führen mußten, kamen sie verhältnißmäßig nur langsam vorwärts. Fliegendes und kriechendes Gewürm erhob sich von Decke und Wänden, je weiter sie kamen, und das Licht der einsamen Fackel spiegelte sich bald an den Stalaktyten ungeheurer Wölbungen, bald von so niederen Wänden und Decken, daß kaum das Pferd hindurchzubringen war.
Sie konnten noch keine zehn Minuten vorwärts gedrungen sein, da verkündete ihnen das im Echo der Felsengänge sich fortpflanzende Geräusch das Stürzen der Thür und das Triumphgeschrei ihrer Feinde, daß diese in die Höhle eingedrungen waren.
Das stärkere Rufen und Lärmen zeigte ihnen bald, daß jene den Weg ihrer Flucht entdeckt und auf ihrer Verfolgung begriffen waren.
»Die Dämonen mögen ihre Schritte irre leiten!« rief der Greis. »Vorwärts, vorwärts, sonst erreichen sie Euch, ehe wir in Sicherheit sind.« - -
Unter den Pinien vor dem Eingang der Berghöhle hielten jetzt mehrere Reiter von jener Karavane, welche das scharfe Auge
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des Einsiedlers durch die Wüste herankommen gesehen, deren größerer Theil aber jenseits der Sümpfe zurückgeblieben war.
Einige Fragen, die der Anführer der Fremden an die Diener Tukallah's und die Beludschen gethan, überzeugte ihn, daß er auf der richtigen Spur sei.
»Tausend Rupien!« rief der vornehme Fremde mit erhobener Stimme, »wenn Ihr das Weib lebendig aus der Höhle bringt. Aber der Tod dem, der ihr ein Haar zu krümmen wagt!«
Durch die Aussicht auf die Belohnung angefeuert, drangen die wilden Bewohner der Wüste mit verdoppeltem Eifer in die finsteren Windungen der Höhle ein, aus denen ihnen der ferne Schein der Fackel wie ein Leitstern leuchtete. Die Drohung des Nena, denn dieser war der Reisende, der auf seinem eiligen Zug durch die Wüste, von der Nachricht des einen zurückgesandten Reiters und dem Knall der Schüsse auf die Krokodile geleitet, mit dem deutschen Arzt und dem Khan herangekommen war, hielt sie ab, hinter den Flüchtigen von ihren Schußwaffen Gebrauch zu machen. - -
Im Umschauen bemerkte der Offizier, der das Pferd vorwärts trieb, welches seine Begleiterin am Zügel führte, daß die Feinde immer näher kamen, und nur durch die Windungen der Gänge behindert, kaum hundert Schritte noch von ihnen waren. Auch der Fakir hatte die Nähe der Gefahr bemerkt, drängte jedoch noch immer zum Vorwärtseilen.
»Nur wenige Augenblicke noch,« mahnte er, »und nicht die Macht Akhbars in seinem Glanze sollte im Stande gewesen sein, Euch zu erreichen. Nimm die Fackel, Tochter, und gehe voran, Du aber, Christ, bleibe bei mir, und wenn sich einer der Verfluchten naht, so schieße ihn nieder.«
Der Gang hatte sich jetzt zu einer weiten Wölbung mit flachem Boden erweitert, über welchen die Flüchtigen rasch dahin eilten. Majestätische Felsmassen schienen über ihnen zu hängen, gleich als wollten sie jeden Augenblick von der Decke des Gewölbes sich lösen. Der Fakir deutete nach der gegenüberliegenden Wand, wo zwei kolossale Felsklumpen, gegen einander geneigt, kaum Raum ließen zu einem schmalen Gang.
»Dort hinein, Anarkalli, und vorwärts! Vor Dir sei der
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Tag, hinter Dir die Nacht. Hinein in den Gang mit Dir, Christ, und thue, wie ich Dir befohlen.«
Der Greis schwang sich auf einen Stein im Eingang der Schlucht und steckte seine Keule gleich einem Hebel unter den riesigen Felsblock, der auf seiner Unterlage nur mit scharfer Kante schwebend, gleichsam wie ein Schlußstein, die ganze Last des hängenden Gewölbes zu tragen schien.
Die Mahratten Tukallah's und die Beludschen drangen mit Triumphgeschrei in den offenen Raum und eilten der Bayadere nach, die mit Mühe das Pferd vorwärts zog.
Lieutenant Sanders legte die zweite Pistole auf den Vorsprung eines Steins, zielte bedächtig und sein Schuß warf den Vordersten zu Boden.
»Nieder mit den Hunden,« schrie der Schobedar, in dem Zorn die Drohung des Nena vergessend, »laßt uns sie tödten, wenn sie sich nicht ergeben wollen!«
Eine Flintensalve krachte durch das Gewölbe und gleich einem gigantischen Echo des die Luft erschütternden Knalls rollte es wie tausend Donner durch die Gänge und Klüfte. Der urweltliche Fels schien zu erbeben, der mächtige Berg aus seinen Fugen zu reißen und sich zu bewegen. Ein erstickender Staub benahm für einige Augenblicke dem Offizier und der Tänzerin die Luft und verlöschte die Fackel. Ihre Hände tasteten verzweifelnd in der furchtbaren Dunkelheit umher, dann rang ein Schrei der Verzweiflung sich aus der Brust des Mädchens.
Der Ruf des Offiziers und ein klagendes Stöhnen antworteten ihr.
»Wo bist Du, Anarkalli, meine Tochter?« fragte eine leise Stimme. »Komm her zu mir, daß ich Dich segne, ehe Yama mich zu dem Reiche der Schatten ruft. Nimm diesen Stein und schlage mit der Klinge Deines Dolches Feuer, daß ich noch ein Mal Dein Antlitz sehe.«
Die Tänzerin hatte sich zu dem Ort hingetastet, von dem die Stimme herkam, und Stein und Zunder gefunden, den ihr der Fakir reichte. Wenige Augenblicke nachher verbreitete die Fackel wieder ihr Licht und zeigte die furchtbare Zerstörung, welche sie gerettet.
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Die Kraft des Fanatikers, vielleicht verbunden mit der Erschütterung der Schüsse hatte den Felsblock am Eingange der Schlucht von seiner Unterlage gehoben und mit ihm die ganze Decke des Gewölbes zusammengestürzt. Der Weg, den die Laune der Natur vor Jahrtausenden geschaffen, war für die Ewigkeit geschlossen. Die Mehrzahl ihrer Verfolger lag unter den Trümmern begraben, nur Wenige, die das Gewölbe noch nicht betreten, erreichten wieder das Tageslicht und verkündeten dem harrenden Peischwa das furchtbare Ereigniß, von dem sie natürlich auch die Flüchtlinge vernichtet glauben mußten.
Der Greis selbst, der diese furchtbare Explosion hervorgerufen, lag am Boden, ein Stein hatte seine Brust getroffen und ihn tödtlich verletzt. Die Schatten des Todes lagerten bereits auf seinem Antlitz.
»Tretet her zu mir,« sagte der Sterbende, »daß mein Wort Euch den Weg der Rettung zeigen möge. Ich gehe zu Yama, um auf reizenden Pfaden unter dem Schatten duftender Bäume zu wandern, zwischen Strömen, bedeckt von Lotos und überschüttet mit Blumen. Die Luft wird ertönen von den Hymnen der Seligen und dem melodischen Gesänge der Engel. Arme Anarkalli - Deine Mutter ist nicht unter jenen! Der Weg der Bösen geht auf schmalem Pfade durch Finsterniß, über brennenden Sand und scharfe Steine, die mit jedem Schritt ihre Füße zerfleischen. Sie sind nackend, gequält von Durst, bedeckt mit Schmutz und Blut, und übergossen mit heißer Asche und brennenden Kohlen. Von schrecklichen Geistern beunruhigt, erfüllen sie die Luft mit ihrem Geschrei und ihren Klagen.«78
Beide knieeten neben dem Sterbenden, bemüht, ihm die möglichste Erleichterung zu verschaffen.
»Schiwa ruft mich zu den heiligen Wandlungen,« flüsterte der Brahmine. »Zieht den Gang weiter - er führt Euch an die andere Seite des Gebirges - sie müßten zehn Stunden reiten, wollten sie jene Stelle erreichen.« Seine Augen nahmen plötzlich einen seltsamen Glanz an. »Doch warum fliehen den Tod? Steht nicht Bhawani hinter Euch und legt die Hand auf
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Euer Haupt? Ströme von Blut! Ströme von Blut! Und er - dessen Leben Du jetzt wie Deinen Augapfel schirmst - er muß sterben von Deiner eigenen Hand! Das Blut einer Thug rollt in Deinen Adern! - Weh mir - tödtet das Krokodil nicht! tödtet das Krokodil nicht - meine Seele ist in ihm!«
Die Gestalt des Greises streckte sich - ein Röcheln gurgelte seine Kehle herauf, blutiger Schaum röthete die Lippen - ein Zucken der Glieder, eine Bewegung der Hand - und er hatte ausgelitten.
Der Offizier schauderte zusammen, als er die kalte Hand der Tänzerin auf der seinigen fühlte - sie, die ihm nach der Prophezeihung des Todten dennoch den Tod bringen sollte.
»Laß uns aufbrechen, das Licht des Tages zu finden,« tönte die zitternde Summe des Mädchens. »Unser Weg ist weit, und er hat den seinigen begonnen!«
Sie deckte ein Tuch über das Gesicht des Todten und ging mit der Fackel voran, den Pfad zum Leben zu suchen.
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Tod den Faringi!

Der Palast Nena Sahibs zu Bithoor im Audh - jetzt von der Rache der Engländer zerstört - war ein prächtiges, langgedehntes Gebäude in halb europäischem, halb indischem Styl. Das Erdgeschoß war von Steinen erbaut, eine Reihe massiver Pfeiler, die Hallen und Gänge bildeten, in denen sich die zahllosen Diener, die Seyces und Palankinträger des Haushalts und der Gäste aufhielten. Diese steinerne Unterlage bildete ein großes nach hinten geöffnetes Viereck, das einen von den schönsten Bäumen und Strauchpflanzen Indiens beschatteten Garten enthielt. Dreißig Springbrunnen schmückten diesen, mit chinesischen Pavillons, riesigen Volieren und künstlichen Felsengrotten versehenen Raum, in dem eine große Anzahl von Bildsäulen aus europäischer Meisterhand aus seltsame Weise von dem goldenen und farbigen Luxus der indischen Dekorationen abstach. Auf dem steinernen Untergeschoß erhob sich der leichte hölzerne Bau der Hauptetage, eine Reihe von Sälen, die mit allem Glanz europäischer Kunst und indischer Verschwendung ausgestattet waren. Die kostbarsten Teppiche der englischen Fabriken wechselten hier mit den dicken Geweben Turkistans und Persiens und dem Mosaikparket der kunstfertigen chinesischen Holzarbeiter. Große Krystall- und Broncelüstres hingen, oft in Ueberzahl, zwischen den Panka's von den gemalten Decken, und werthvolle Gemälde, neben den werthlosen Copien, welche betrügerische Spekulation dem Hausherrn aufgedrängt, bedeckten, mit kostbaren Spiegeln dazwischen, die
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vergoldeten Wände. Alle jene hundertartigen Nippes- und Kunstsachen, welche der europäische Luxus erfunden, wechselten mit kostbarem japanischen Porzellan und indischen Möbeln von Rosenholz oder solchen aus londoner und pariser Werkstätten. Dennoch war dieses ungeheure Conglomerat orientalischen und europäischen Luxus nicht ohne eine gewisse Symmetrie, nicht in völlig geschmacklosem Durcheinander, wie man es in den Palästen der reichen Hindu's in Kalkutta und Madras zu finden gewohnt ist. Eine ordnende Hand, ein gebildeterer Geschmack schien ein gewisses System in diese verschwenderische Ausstattung gebracht zu haben und sie zu überwachen. Ja in einzelnen der prächtigen Gemächer konnte man ganz deutlich den empfänglichern Frauensinn erkennen, der mit der wilden Anschauung von Pracht und Reichthum gekämpft und sie verdrängt hatte.
Rund um die Außenseite dieser Reihe von Sälen lief auf dem vorspringenden untern Geschoß eine von vergoldeten und gemalten Säulen getragene Veranda mit breitem Zeltdach, mit wohlriechenden Gewächsen, mit Divans und Teppichen dekorirt, während auf der innern Seite der schmalere Gang einer Rampe sich an den bis zum Boden reichenden Jalousiefenstern entlang zog, von der fünf breite Marmortreppen hinab in das Eden des Gartens führten.
Nach orientalischer Sitte, welche es für unwürdig erachtet, daß über der Wohnung des Gebieters sich andere Räume befinden, erhob sich unmittelbar über dem Hauptgeschoß das Dach, theils flach nach dem morgenländischen, Gebrauch, mit Blumen und Orangerien verziert, theils in vergoldeten phantastischen Kuppeln sich wölbend, und durch schlanke durchbrochene eiserne Treppen mit der Veranda verbunden.
Die vierte Seite dieses prächtigen Bauwerks war, wie erwähnt, offen und durch ein hohes und dichtes Broncegitter, das nur in der Mitte eine wohlverschlossene Thür hatte, von einem zweiten Garten getrennt, der zwar eine Fortsetzung des erstern schien, aber ein ganz andres Genre zeigte. Eine dichte Wand von hohen Mango's versperrte die Aussicht in das Innere dieser Abtheilung.
Hier stand, mit der Front nach dem Ufer des Ganges
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gekehrt, das indische Haus, das der Adoptivsohn des verstorbenen Peischwa bewohnte, gleich vielen seiner Landsleute den prächtigen Palast mit seiner halbeuropäischen Einrichtung nur für die Feste und den Verkehr mit den Weißen benutzend, für gewöhnlich aber ganz nach den Gebräuchen seiner Heimath als wahrer Orientale lebend. Die einzige Abweichung von altindischer Sitte in diesem seinem Hause war, daß dasselbe nicht so streng durch Mauern und Höfe von der Außenwelt abgesondert wurde, doch hat in dieser Beziehung das Zusammenleben mit den Europäern ohnehin viel gemildert. Rechts und links von dem Oblongum des Palastes, in einiger Entfernung und durch mächtige Pipala-Bäume verborgen, befanden sich auf der einen Seite die Ställe für die Elephanten, Dromedare und Lastthiere, auf der andern für die zahlreichen edlen Rosse des Maharadschah, der ein eben so großer Freund des Turfs als der Jagd war. Hier auch waren die Wohnungen der Diener und Anhänger des Fürsten, jener eigenthümlichen Leibwache indischer und europäischer Abenteurer, die er sich nach und nach gebildet, und die mit blinder Ergebenheit seinem Willen gehorchte.
Ein langes Eisengitter mit Thüren und Einfahrten schloß den Vorplatz des Hauses von der Straße ab, während ein breiter Kanal vom Ganges hergeleitet bis an diesen Vorplatz sich erstreckte und dem Besitzer somit erlaubte, aus einem Säulengang direkt den Fuß in seine Barken zu setzen.
Die Umgebung des Palastes war gewöhnlich bis spät in die Nacht von einem Haufen von Müßiggängern, lungernden Dienern aller Art, indischen und mohamedanischen religiösen Bettlern, Tänzern und Gauklern belagert; denn die Freigebigkeit und Großmuth des Maharadschah war durch ganz Indien berühmt, und die bedeutenden Schätze, die ihm der Peischwa hinterlassen, reichten auch ohne die ihm verweigerte Apanage der Compagnie hin, einen fast königlichen Aufwand zu unterhalten, und er vertheilte seine Wohlthaten ohne Rücksicht auf das religiöse Bekenntniß seiner Anhänger und Gäste.
Seit drei Monaten jedoch - eine solche Zeit war verstrichen seit dem letzten Kapitel unserer Erzählung - schien die Freude und die Lust aus den glänzenden Hallen des Palastes zu
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Bithoor verschwunden. Nicht den Schein von tausend Kerzen ließen die Fenster mehr hinaus in die Nacht flammen, nicht das Gelärm der Palankinträger, der Mahouds und Pferdehalter und der unendlichen Dienerschaar, der Ruf der Fakire und das Geräusch ab- und zuströmender Gäste erklang mehr am Hauptthor des Palastes. Einsam und schweigend lag das prächtige Gebäude und nur aus den Zweigen der Tamarinden erklang der liebliche wonnige Gesang der Bulbul oder indischen Nachtigall, der Hazardasitana oder des Vogels mit tausend Liedern, wie ihn die poetische Sprache des Landes nennt.
Seit dem räthselhaften Verschwinden des geliebten Weibes, von dem die eifrigsten Nachforschungen des Maharadschah auch nicht die geringste Spur hatten ermitteln können, lag es wie ein finstrer Schleier auf der Seele des Fürsten. Er hielt sich größtentheils in seine innersten Gemächer eingeschlossen, sah nur wenige Menschen und verbrachte seine Zeit im stummen Brüten. Gibson war der Einzige, mit dem er sich besprach. Der Bote, den er bald nach seiner Rückkehr nach Jhansi gesandt, sich nach dem Zustand O'Sullivans zu erkundigen, hatte die Nachricht gebracht, daß dieser an den Folgen der furchtbaren Operation, wie Doctor Todd gefürchtet, gestorben war. Selbst das Aeußere des Maharadschah hatte der in seinem Innern tobende Schmerz, der glühende Durst nach Rache, ohne daß er wußte, wen sie treffen solle, verändert in der kurzen Zeit. Der volle, lebenskräftige, Genuß und Gefahren liebende Mann war ein finsterer Fanatiker geworden, aus dessen Augen ein verzehrendes Feuer brannte. Jener unheimliche, dämonische Blick, der früher in Momenten der höchsten Aufregung aus seinen dunklen Augen zu blitzen pflegte, aber alsbald wieder unter einer gewissen Lethargie verschwand, brach jetzt öfter als je hervor und scheuchte seine Umgebung zurück.
Wenn aber auch das Palastthor des Maharadschah einsam und leer, wenn das Haus, das er bewohnte, traurig und still war, so war dies Schweigen und diese Trauer doch keineswegs ringsumher verbreitet.
Die Regenzeit war vorüber - man zählte an dem Tage, da wir unsere Geschichte wieder aufnehmen, den 18. October -
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und der erquickende Himmelshauch der gemäßigten Jahreszeit lag über der prächtigen, üppigreichen Gegend. Der lange Regen hatte die Fruchtbarkeit der an und für sich schon so mächtigen Vegetation noch erhöht - Kräuter und Blumen, Büsche und Bäume kehrten ihr Haupt dem warmen, aber wenigstens erträglichen Glanze der Sonne zu, und neue Blüthenkeime schossen empor.
In diese Zeit fällt das reizende poetische Fest der Wasserlichter.
Manche unserer Leser werden sich vielleicht eines ähnlichen Gebrauchs im östlichen Deutschland aus ihrer fröhlichen Kinderzeit erinnern. Am heiligen Weihnachtsabend, wenn die Kuchen verzehrt und die Nüsse geknackt sind, kommt eine Schüssel mit Wasser auf den Tisch. Jeder sucht sich eine leere halbe Nußschaale aus, befestigt ein Stückchen vom bunten Wachsstock darein, zündet das Miniaturlicht an und gemeinsam setzt man die kleinen Schiffe in das vorher bewegte Wasser. Wie sie schwimmen, ob mit einander, ob getrennt, ihr Fortbrennen und Verlöschen gilt als Omen für das künftige Schicksal der Schiffsherrn.79
Dieser Gebrauch scheint aus Indien, dem Mutterland der Nationen, zu stammen und Jahrtausende alt zu sein.
An dem bestimmten Tage - und es war der Tag, an dem wir unsere Erzählung wieder aufgenommen - wenn die Natur sich erfrischt und die Sonne sich ihrem Untergang zuneigt, strömen die Frauen und Mädchen der Hindu's, oft aus weiter Ferne herbeigekommen, zu den Ufern des Ganges, des heiligen Stroms. Jede hält in der zierlichen kleinen Hand ein aus Holz oder Borke geschnitztes, reich verziertes Kahnchen. Dann, wenn die Sonne am Horizont versunken ist und die Dämmerung mit jenem eigenthümlich raschen Uebergang des Südens sich in die sternengoldne Tropennacht verwandelt, sieht man, so weit das Auge reicht, Tausende weißer Gestalten ihre Kähnchen, auf denen sich eine
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brennende Lampe befindet, in den Fluß setzen. Jede verfolgt mit ängstlicher Spannung das von den Wellen geschaukelte Schiffchen mit ihrem Hoffnungslichte, an dessen Erhaltung irgend ein Wunsch sich knüpft. Bleibt es so lange sichtbar, als das Auge es zu verfolgen vermag, dann wird der dem heiligen Strom anvertraute Wunsch erfüllt, erlischt es aber früher, so ist auch die gehegte Hoffnung untergegangen. Und obgleich ich tausend solcher kleinen Lämpchen von den Wellen bergauf bergab geschaukelt werden, so weiß doch jede das ihrige bis in weite Ferne genau zu unterscheiden.
Auch an diesem Abend drängten sich die leichten zierlichen Gestalten der Frauen und Mädchen mit ihren lichten, wallenden Gewändern zu den Ufern des riesigen Stroms und bald blinkten unter heiterm Gelächter und Gesang zahllose kleine Flämmchen, so weit das Auge zu tragen vermochte.
Alle Bewohner der vielen größeren und kleineren Ortschaften in der Nähe des Stroms waren in Bewegung und bildeten ein buntes Volksgedräng an den Ufern, denn Tanz und Spiel schließt allemal das Fest und der Jubel dauert bis spät in die Nacht.
Die indischen Diener des Maharadschah waren bei dem Fest, der Gebieter hatte ihnen die Erlaubniß gegeben, den Abend und die Nacht allein ihrem Vergnügen zu widmen.
Der Anschein, der das Bungalow des Bahadurs in Einsamkeit und Stille versenkt sein ließ, trog jedoch. Wer mit scharfem Auge den Vorhof des Gebäudes beobachtet hätte, würde bemerkt haben, daß dunkle Gestalten an den Zugängen lehnten, gleichsam absichtslos Wache haltend gegen jede Ueberraschung: die Prätorianer des Maharadschah, die Mitglieder jener Cohorte, die er sich gebildet.
Wenn auch die Front des Gebäudes dunkel war, so glänzte doch Licht durch die Jalousieen der hinteren Gemächer; die Pforte, die beide Gärten verband, war gleichfalls geöffnet und der Kanadier Adlerblick stand hier auf Wache.
In einem nach indischer Sitte dekorirten Gemach schritt finster der Maharadschah auf und nieder. Er trug die Kleidung eines Sepoys, einen weiten indischen Mantel darüber geschlagen,
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in dem Gürtel Pistolen und einen gekrümmten Malayendolch. Cordillier und Vaillant in ähnlicher Tracht wie der Gebieter, Ralph, der Bärenjäger, seine riesige Gestalt in die eines englischen Matrosen gesteckt, lehnten an den Wänden des Gemachs, mit ihren Waffen beschäftigt, oder sich leise Bemerkungen zuflüsternd.
An der Thür stand der Schotte Mac-Scott. Sein Antlitz, das seit wenigen Monaten schwer gealtert, drückte Kummer und Schmerz aus, so oft sein Auge auf den Gebieter fiel, der - wenn ihm das seine begegnete - es finster abwandte. Der Zorn des Bahadur hatte sich ungerechter Weise auf seinen alten Erzieher geworfen und ließ diesen den Verlust Margarethens entgelten, da er die Sorge um sie bei der Reise nach Bombay ihm auf die Seele gebunden. Der unglückliche Zufall, der den tapfern Tigerjäger an jenem verhängnißvollen Morgen entfernt gehabt, schien ihn alles Vertrauens beraubt zu haben, und wenn auch selbst die argwöhnische Seele des Indiers keinen Verdacht gegen ihn hegen konnte, herrschte doch durch das Fehlschlagen jeder Mühe zur Auffindung einer Spur ein tiefer Groll in ihm vor, der in der rauhen Weise, mit der er den frühern Liebling behandelte, sich kundgab.
»Hoheit,« sagte endlich der Schotte, »es ist Zeit, daß wir aufbrechen. Eine Stunde nach Sonnenuntergang sollte der Doctor zu dem Prinzen gerufen werden, und wir müssen zur Stelle sein, die Flüchtigen zu empfangen.«
Der Maharadschah fuhr aus seinem Sinnen empor. »Laß die Pferde vorführen. - Sind die Frauen vom heiligen Strom zurück?«
»Noch nicht, Hoheit. Gibson ist mit ihnen und sorgt für ihre Sicherheit.«
»So bitte sie, wenn sie zurückkommen, sich sogleich in ihre Gemächer zu begeben und sie nicht zu verlassen, bis ich ihnen Botschaft sende. Wie lange ist es her, daß der Khan und sein Begleiter voraus nach Cawnpur sind?«
»Eine Stunde, Hoheit. Aber ich glaubte, ich sollte Dich begleiten? Es wäre das erste Mal, daß Mac-Scott an der Seite des Nena fehlte in der Stunde der Gefahr.«
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»Bei Yama, dem Unterirdischen! hättest Du nie an der Seite Der gefehlt, die Deiner Sorge vertraut war, es stände besser um Dich und mich! Du wirst hier bleiben und mit Gibson Alles zur ungesäumten Fortsetzung der Flucht bereiten. Ist Joaquin Alamos auf seinem Posten?«
»Er harrt mit den Pferden.«
»Wohl! So laßt uns aufbrechen!«
Er winkte dem Schotten, voran zu gehen, und verließ, gefolgt von seinen Getreuen, das Gemach und das Haus. Vor der Veranda hielt der Mexikaner die Zügel von sechs Vollblutrennern, die ungeduldig den Boden stampften. Der Maharadschah legte die Linke auf den Bug des nächsten Rosses, und ohne die Steigbügel zu berühren, sprang er in den Sattel. Die Uebrigen hatten alsbald gleichfalls ihre Pferde bestiegen, und nachdem sie vorsichtig ein Seitenthor passirt und sich möglichst im Dunkel haltend eine Strecke weit geritten waren, setzten sie ihre Rosse in Galopp und jagten auf der Straße nach Cawnpur weiter.
Ein ziemlich dichtes Wäldchen von Kokospalmen und Tamarinden zieht sich auf der Mitte des Weges die Militairstraße entlang, die sich bald vom Ufer des Ganges abwendet.
Als sie sich der unglücklichen Stelle näherten, an welcher seine Gattin geraubt worden, ließ der Maharadschah sein edles Pferd langsamer gehn und indem er seinen Gefährten befahl voranzureiten und ihn vor den Thoren der Stadt zu erwarten, ließ er seinem Roß die Zügel hängen und versank in eine düstere Träumerei.
Plötzlich erfaßte eine Hand den Zügel des Pferdes und zwei dunkle Gestalten erhoben sich vor ihm auf dem Wege im Schatten der mächtigen Tamarinden.
»Wenn der Tiger auf Beute streicht,« sagte eine tiefe Stimme, »ist er nicht gewohnt, die Augen zu schließen. Der Peischwa von Bithoor möge sich erinnern, daß seine Feinde wach sind.«
Der Maharadschah, obschon ihm der Ton dieser Stimme nicht unbekannt schien, faßte nach dem Pistol im Gürtel und war mit einer raschen Bewegung im Nu wieder Herr seines Pferdes.
»Wer seid Ihr? was wollt Ihr in der Stunde der Nacht?«
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Der Fremde lachte heiser. »Ist es so weit gekommen, daß Srinath Bahadur seine Freunde fürchtet, wenn sie an der Stelle zu ihm treten, deren Erinnerung aus ihm wieder einen Mann machen sollte? - Drei Mal erst hat der Glanz des Mondes sich erneut, seit ich Dir sagte, daß die Stunde kommen werde, wo Du bedauern würdest, die Hand der Rächer zurückgestoßen zu haben.«
Der Strahl des Mondes fiel bei einer Bewegung auf den Sprechenden.
»Tantia-Topi!«
»Ich selbst, Bahadur. Sollen die Gäste, die Dein Haus in diesem Augenblick verbirgt, nicht vollzählig sein?«
Ein Grauen überflog den Inderfürsten, als er sich der Erzählung des deutschen Arztes und seines eigenen Verdachts gegen diesen Mann erinnerte und unwillkürlich behielt er die Hand am Griff der Pistole.
»Wo kommst Du her, Sirdar? was ist Deine Absicht?«
»Wo ich herkomme, Nena? Tukallah ist überall und bald wird man von einem Ende Indiens bis zum andern seine Stimme vernehmen. Meinst Du, daß ich in den Einöden der Thur nicht erfahren, daß der tolle Versuch des Delhi-Prinzen, den Sohn der Maharani aus Firozpur vor seinem Nebenbuhler zu entführen, mißglückt sei und die Versetzung des gefangenen Knaben nach Cawnpur zur Folge gehabt? - Was ich will? Die Nacht der Lichter am heiligen Strom ist wichtiger für uns Alle, Srinath Bahadur, als Du denkst. Einen jungen Adler, der in den Fesseln der Faringi schmachtet, will ich Dir befreien helfen und dem Tiger des Audh seine Krallen und seine Zähne wieder geben mit dem Reh, das man ihm geraubt.«
Der Bahadur prallte zurück. »Was bedeuten die Worte, Sirdar? Bei Deinem und meinem Leben, spiele nicht mit dem Herzen Srinath Bahadur's!«
Der Mahratte lachte verächtlich. »Frage diesen da, er wird Dir Antwort geben!«
Der Fürst betrachtete den Begleiter Tukallah's. Es war eine hohe Gestalt mit ernstem, stolzem Gesicht, das ein grau werdender Bart umwallte. Die hohe Kegelmütze der indischen
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religiösen Bettler bedeckte sein Haupt, ihr brauner zerlumpter Mantel hüllte seinen Leib ein.
»Wer bist Du?«
»Dein Gläubiger!«
»Jeder heilige Derwisch oder Fakir hat das Recht auf die Habe Srinath Bahadurs und noch nimmer ist ein solcher, ohne daß die Schuld bezahlt worden, von seiner Schwelle gegangen.«
»Du irrst! ich komme nicht, bei Dir zu bitten. Ich bringe Dir ein Geschenk.«
»Welches?«
»Die Gewißheit und die Rache!«
»Höre Mensch, ich bin nicht gewohnt, mit mir in Worten spielen zu lassen. Nochmals - wer bist Du?«
»Meiner Namen sind vielerlei. Die Bewohner des Dekan nennen mich den Derwisch Sofi. In meiner Heimath -«
»Nun?«
»Kennst Du die Säule, die aus der Esplanada von Kalkutta vor dem Palast des General-Gouverneurs, Eures Herrn und Gebieters, steht?«
»Der General-Gouverneur ist nicht mein Herr, sondern die Königin von England. Die Säule kennt jedes Kind in Indien. Es ist das Denkmal General Ochterlony's.«
»Wohl, Bahadur. In den Adern Dessen, der vor Dir steht, fließt dasselbe Blut, das vergossen ward für die Eroberung dieses Landes. Aber es ist geschändet durch die Schläge der Peitsche, vertrocknet in den Wüsten Australiens - und dennoch zum Katarakt geschwollen, dessen Fluthen Deine und meine Feinde begraben sollen. Nenne den Namen der Säule und Du nennst den Namen Dessen, der sie stürzen wird.«
»Capitain Ochterlony?«
»Ich bin's!«
Der Maharadschah warf sich mit einem Sprunge vom Pferde und umarmte herzlich das ehemalige Parlaments-Mitglied von Großbritannien.
»Seien Sie mir willkommen, Capitain, von ganzer Seele,« sagte er mit Gefühl. »Viel hab' ich von Ihnen, von diesem
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Manne und dem Franken-Arzte gehört, der mit Ihnen am Sterbelager meines unglücklichen Verwandten stand. Lassen Sie mich die Hand des Freundes auf die schlimmen Wunden legen, die das Leben Ihnen geschlagen. Das Erbe Dyce Sombres liegt bereit für Sie - lassen Sie uns umkehren und Sie als theuern Gast über meine Schwelle führen.«
»Das Unheil, Prinz,« entgegnete ernst der ehemalige Capitain, »wird auch ohne mich schnell genug über jene Schwelle schreiten. Sie haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, die thränengerötheten Augen einer Mutter und einer Schwester können ohne Ihren Beistand nicht getrocknet werden. Und haben Sie nicht gehört, Prinz, daß ich eine noch wichtigere Sendung zu beenden habe?«
»Welche?«
»Sie der Rache wiederzugeben.«
»Reden Sie klar - ich beschwöre Sie!«
»Wohlan denn - eine ernste Stunde, ein Wendepunkt Ihres Lebens ist Ihnen nahe. Ich weiß, oder glaube zu wissen, wo Lady Margarethe, Ihre Gemahlin, sich befindet.«
Der Bahadur warf sich auf ihn. »Rede, Mann - wo, wo ist sie? - Nimm Alles, was ich habe für ein Wort Gewißheit.«
»Beantworten Sie die eine Frage - was werden Sie an Denen thun, die sie Ihnen geraubt?«
»Wollen Sie die Tigerkatze fragen, was sie Denen thut, die ihr das Junge geraubt? Rächen will ich mich, vertilgen die Brut von der Erde, die es gewagt, an mein Liebstes zu tasten!«
»Und wenn es nicht gemeine Diebe und Mörder, wie Ihr Land sie erzeugt, wenn es die Gebieter desselben, die Faringi selbst wären?«
»Tod dann allen Faringi, Männern, Müttern und Kindern! Tod dem verfluchten Geschlecht!«
»Wohl, Prinz - ehe zwei Stunden vergehen, werden Sie die Gewißheit haben. Zu Rosse, Prinz, und nach Cawnpur, Ihr Werk zu thun. Wir vollenden das unsere, und wenn das Weib Ihres Herzens noch unter den Lebendigen, sollen Ihre Arme es umfangen oder Ihre Hand die Mörder bestrafen.«
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Und plötzlich, wie sie gekommen, waren beide Gestalten im Schatten der Bäume verschwunden und der Ruf des Inderfürsten verhallte ohne Antwort in der Einsamkeit der Nacht.
Da gab er seinem Rosse die Sporen und wie der Geist des Unheils, das über die Geschlechter der Menschen kommt, jagte er nach Cawnpur.


Wir haben bereits in einem frühern Kapitel erwähnt, daß Cawnpur an und für sich nur ein geringer, schmutziger Ort an dem rechten Ufer des Ganges ist, aber bedeutend als Waffenplatz der Engländer und durch die weitausgedehnte Reihe der Vorstädte und Bungalows der Offiziere und Kaufleute. Am nördlichen Ende, in geringer Entfernung vom Ufer des Stroms, liegt das kleine aber ziemlich feste Fort, von mehreren Kasernen umgeben.
Hierhin hatte man nach dem mißglückten ersten Befreiungsversuch Dhulip-Singh, den jungen Thronerben von Lahore, gebracht, da Firozpur zu nahe der Grenze seiner Heimath lag und man daher neue und kühnere Versuche der Bewohner des Pendschab, seiner ehemaligen Unterthanen, fürchten mußte. Er genoß selbst innerhalb des Forts wenige Freiheit, und wurde streng von allem Verkehr mit der Außenwelt, namentlich mit den Eingebornen, abgesondert gehalten.
Wie in Bithoor und an allen anderen Orten am Ufer des heiligen Stroms war dasselbe auch hier an diesem Abend von vielen tausend Menschen belebt.
Es war ein Festtag für die ganze Stadt, Indier wie Europäer, denn auch diese zogen schaulustig und plaudernd in der Menge umher.
Ein Gruppe englischer Damen, von mehreren Offizieren begleitet, kam den Abhang des Ufers herab in der Nähe der Schiffbrücke, die auf die Straße nach Lucknow mündet, und nahte sich dem Rande des Wassers. Heiteres Gelächter und Scherz tönte aus der Mitte der Gesellschaft. Die meisten der Damen hatten gleichfalls zierliche Schiffchen in der Hand oder ließen sie von den Kavalieren tragen.
»Darf man wissen,« fragte die spöttische Stimme eines
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Offiziers, »was Miß Wheeler mit diesem famosen Dreimaster für Wünsche nach dem Ocean senden will?«
»Bewahre, Sir - das wäre allzu neugierig,« lachte die junge Dame. »Man sagt, Major Rivers habe selbst der Geheimnisse so viele, daß er wohl die Anderer zu achten verpflichtet sei!«
Die Abfertigung war zu deutlich, um mißverstanden zu werden und ein Gelächter der anderen Offiziere folgte ihr.
»Auf meine Ehre,« sagte Lieutenant Halliday, - »ich würde mich glücklich schätzen, mein Lämpchen auf den Bug der Fregatte Miß Soldie's pflanzen zu dürfen. Auch ich habe meine Wünsche im Verborgenen.«
»So lassen Sie dieselben allein flott werden,« rief die muntere Tochter des Generals, ihrer Freundin zu Hilfe kommend. »Es ist nicht mehr als billig, daß ein so tapferer Offizier und Jäger sich auch als Seemann bewähre. Außerdem gehören die Fluthen des Ganges diesmal uns Frauen und wenn die Herren sich in das Spiel mischen, treiben sie Piraterie.«
»Ich engagire mich als Schiffsarzt,« erklärte Doctor Todd-Brice, - »aber ich bin zweifelhaft, welches Segel ich in dem Convoi wählen soll. Das Admiralschiff führt mir zu starke Batterieen von Witz und Bosheit, Miß Soldie hat zwei Kaper in ihrem Fahrwasser,« er warf einen schalkhaften Blick auf den Lieutenant und Capitain Forbes, von denen der eine das Schiff, der andere das Tuch der Dame trug, »und Miß Highson, unsere-Heldin, hat ein für alle Mal Kompaß und Steuerruder den Händen ihres Retters aus der Höhle der Thugs anvertraut, als daß auf einen Platz in ihrer Schiffs-Equipage zu hoffen wäre. Was meinen Sie, Toby, mein guter Bursch, da wir Beide allein von allen diesen schönen Damen ausgeschlossen sind, wollen wir dem Laskar dort, der eine ganze Flotte feil bietet, seine beste Barke abkaufen und mit unseren Wünschen für besseres Glück bei den Damen darauf einschiffen?«
Der lange Fähnrich warf dem ewigen Quäler einen bitterbösen Blick zu. »Ich fürchte, Doctor, die Proviantkammer auf einem solchen Schiff würde nicht hinreichen für Sie!«
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»Diesmal,« lachte der Resident, »hat er's Ihnen gegeben, Brice.«
»Ein Kieselstein sprüht Funken, wenn er geschlagen wird,« meinte der Walliser, »warum nicht eine Fähnrichsseele, die im Punkte der Liebe kein Kieselherz, sondern weich wie Butter ist. Der Henker soll mich holen, wenn ich mein Schiff anders befrachte, als mit der Frage an das Schicksal, ob Ihr Koch, Miß, uns heute eine Suppe von Schildkröten oder von Vogelnestern vorsetzen wird, da Seine Excellenz, Ihr Papa, ein Mal die Thorheit begangen, uns einzuladen.«
»Vogelnester, Doctorchen, Vogelnester sollen Sie haben, eine ganze chinesische Schiffsladung voll, und Ihr Lieblingsgericht, das abscheuliche Guaven-Gelee,« scherzte die Tochter des Generals.
»Dann bedaur' ich Sanders, der die jour hat und Nichts davon abbekommt,« sagte der Arzt, indem er sich lüstern die Mundwinkel wischte. »Ich bin ein kluger Mann und habe mich bei Zeiten von allem Dienst losgemacht. Bekommt irgend einer unserer braunen Halunken Zahnschmerzen oder Leibgrimmen, mag mein Assistent oder Kollege Clifford ihn in den Schooß Brahma's spediren. Ich kenne den Dry-Madeira Ihres verehrten Papa's und kein Ding in der Welt soll mich dabei stören.«
»Ihr Kollege ist ein trauriger Gesellschafter auch an der Meßtafel, Doctor,« bemerkte Capitain Lowe. »Wäre nicht sein Verdienst um die Rettung Miß Highsons und unsers wackern Kameraden, so wie die warme Empfehlung Nena Sahibs - wir protestirten gegen sein Patent bei dem lustigen Zwei und dreißigsten.«
»Schade, daß der Prinz noch immer um jene irländische Dame so verzweifelt trauern soll,« meinte eine junge Miß, - »erinnern Sie sich, Arabella, im vorigen Jahr gab er uns an diesem Abend eines seiner Zauberfeste in seinem prächtigen Palast zu Bithoor.«
»Armer Mann! Je mehr er sie geliebt hat, desto grausamer muß sein Verlust sein!«
»Pah - es ist ja nur ein Indier und sein Glauben gestattet ihm reichen Ersatz.«
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Editha Highson wandte sich von Halliday, dem herzlosen Sprecher, und stützte ihre Hand auf den Arm des Lieutenant Sanders, als er ihn ihr bot beim Hinabsteigen von der Böschung des Ufers. Ihre Blicke begegneten sich dabei und strahlten in Liebe.
»Theure Editha!«
Der Druck ihrer Hand gab ihm die süße Erwiederung. »Wie traurig ist es, daß Sie diesen Abend nicht in unserer Gesellschaft sein können!«
»Sie wissen, der General, Ihr Oheim hält streng auf den Dienst. Ich darf seine gute Meinung nicht verscherzen, wo ich bald ein theures Kleinod von seiner Hand begehren will. Er behandelt mich wie einen Sohn und ich muß seiner Güte würdig sein.«
In der That galt der junge Offizier bereits, wenigstens im Kreis ihrer Bekannten, für den begünstigten Verehrer der schönen Nichte des Generals und als ihr halber Verlobter, wenn diese Eigenschaft auch noch nicht öffentlich declarirt worden.
Wir haben einige Worte über das Gelingen seiner Flucht nachzutragen. Erst an der Grenze des Gebietes der Compagnie, in Firozpur, hatte die Bayadere ihren Schützling verlassen. Sie weigerte sich, seinem Verlangen, ihn zu begleiten, Folge zu leisten, aber sie sagte ihm, daß sie immer in seiner Nähe sein, daß ihre Liebe ihn schirmend umschweben werde. Der Sinnenrausch, der ihn in jene furchtbare Gefahr gestürzt und ihn wieder in ihrer Nähe alles Andere vergessen gemacht, vereint mit der Dankbarkeit, die er ihr schuldete, ließ ihn ihr auf's Neue seine Liebe betheuern und sie bitten, mit ihm zu gehen, ein Verlangen, dem, wie erwähnt, das Mädchen, trotz ihrer Leidenschaft, widerstand, um nicht neue Gefahren auf ihn zu bringen. Noch in der Stunde, da sie sich trennten, warnte sie ihn, seinen Schwur des Schweigens zu halten und nicht treulos gegen ihre Liebe zu werden; denn die Töchter einer heißen Sonne wüßten gebrochene Eide schrecklich zu rächen.
Da an der Grenze der Wüste Walding mit einem Theil des Gefolges des von Angst und Besorgniß unaufhaltsam vorwärts getriebenen Maharadschah zurückgeblieben war, so wurde es leicht,
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ohne das bisher so wohl bewahrte Geheimniß zu verrathen, die Rollen der beiden Mädchen zu vertauschen. Anarkalli, die Tänzerin, trat an die Stelle Editha's und diese wurde von Agra aus durch den Offizier nach Cawnpur und in die Arme ihrer Familie geleitet, die sie längst verloren geglaubt.
Die Abenteuer des Offiziers und der Engländerin konnten natürlich nicht verschwiegen bleiben, ohnehin war die Miß nicht durch dasselbe Versprechen gebunden, wie ihr Schicksalsgefährte. Da bei ihrem erst so kurzen Aufenthalt in Indien ihr jedoch die Sitten und die Sprache des Landes gänzlich fremd, die bronzenen Physiognomieen ununterscheidbar waren und sie nicht die geringste Idee von der Lage und dem Namen der Orte hatte, in denen ihr ein so schreckliches Loos gedroht, auch ihr Retter sie absichtlich darüber und über den Charakter der Karawane im Unklaren gelassen, mit der sie den Weg durch die Wüste gemacht, so konnten ihre Aussagen nur geringe Spuren geben.
Lieutenant Sanders selbst kannte weder die Namen noch die Lage und das Aussehn der Burg der Thugs. Ueberdies band ihn sein Ehrenwort, Alles zu verschweigen, was die Personen, die bei seiner Rettung mitgewirkt, compromittiren konnte. Da nun Doctor Walding in Firozpur mit dem Khan und der Bayadere zurückgeblieben war, konnten die Behörden aus den Aussagen des Offiziers und der Dame nur die längst bekannte Thatsache entnehmen, daß die indische Wüste einen oder mehrere Hauptsammelplätze der furchtbaren Würgerbande barg, indem über das Bestehen der verbrecherischen Verbindung selbst überhaupt nicht der geringste Zweifel herrschte; denn es befanden sich in den Gefängnissen der Präsidentschaften zu jener Zeit über 700 Personen, der Theilnahme an dem Bunde der Mörder verdächtig und angeklagt.
So mußte man sich begnügen, ein Dutzend der Verurtheilten zur Warnung aufzuhängen und die von Major Sleemann im Jahre 1851 begonnenen Maßregeln zur Verfolgung der Sekte mit neuer Strenge wieder aufzunehmen.
Als Walding einen Monat später unter dem Namen eines Doctor Clifford in Cawnpur eintraf, war das Interesse an der Untersuchung zum Theil schon durch jene neuen Eindrücke
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geschwächt, welche in so wildem und abenteuerlichem Lande mit jedem Tage wechseln. Die Auskunft, die er über seinen Antheil an der Rettung des Offiziers und der Lady ertheilte, beschränkte sich auf die Angabe, daß er gleichfalls Gefangener in den Händen der Thugs und nur durch dritte ihm unbekannte Personen gerettet und in Stand gesetzt worden, auch zur Rettung seiner Schicksalsgefährten beizutragen. Dagegen sicherte sie ihm den Schutz des Generals Wheeler, und durch dessen und des Maharadschah Protektion wurde ihm die Stelle des während der Regenzeit an der Cholera verstorbenen Oberarztes des 32. Regiments interimistisch übertragen.
Mit dem Gefühl schmerzlicher Täuschung mußte Walding jedoch bald die Erfahrung machen, daß die Hoffnung, die ihn nach Cawnpur begleitet, eine vergebliche gewesen. Lieutenant Stuart Sanders war kaum dem Zauberrausch entronnen, mit dem die glühende Leidenschaftlichkeit der Tänzerin ihn umfangen, als ein gewisses Grauen sein Herz erkaltete und das Bild Editha Highsons seine Seele mehr und mehr einnahm. Die ritterliche Art und Weise, wie er sie in der Höhle der Thugs vertheidigt und die eigene Rettung zurückgewiesen, wenn sie, die Fremde, nicht Theil nehmen könne, hatten einen tiefen Eindruck auf das Herz des Mädchens gemacht. Für Walding, oder Clifford, wie er auch für sie und Stuart Sanders hieß, fühlte sie wohl eine warme Dankbarkeit und Freundschaft, aber die zartere Blüthe ihres Herzens gehörte dem jüngern Mann. - -
Editha sah zu dem Geliebten empor. »Sie haben Recht, Stuart,« bemerkte sie auf seine frühere Entgegnung, »aber der Abend wird mir traurig vergehen, da Sie entfernt bleiben.«
»So lassen Sie mich jetzt wenigstens das Glück genießen, in Ihrer Nähe zu bleiben und zusammen mit Ihnen das Orakel für unsere Wünsche versuchen, das tausende von gläubigen Herzen hier versammelt hält. Schauen Sie die sehnsüchtigen und ängstlichen Blicke, mit denen diese Schaar von Mädchen und Frauen das Spiel verfolgt, als gälte es wirklich die Zukunft und die Entscheidung ihres Lebens.«
»Und warum wollen Sie so ungläubig zweifeln,« sagte das Mädchen, indem ihre Hand sich leicht auf seinen Arm legte, »daß
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in diesem Lande der Wunder ein Jahrtausende alter Brauch nicht wirklich das Vertrauen rechtfertige, das so viele Herzen auf ihn setzen? So gut wie das Schicksal der Menschen nach dem Glauben der Vorzeit in dem ewigen Buch der Sterne geschrieben stehen soll, so gut mögen die Fluthen dieses Flusses der bangen Menschenseele Hoffnung oder Trauer deuten können. Steuert nicht das Lebensschiff jedes Menschen hinaus in die unbekannte dunkle Fluth, und keiner weiß, an welcher Küste es landen, an welcher Klippe es zerschellen wird.«
»Für das unsere liegen die Klippen und Stürme hoffentlich hinter uns,« entgegnete feurig der junge Offizier, »und wir schiffen den blumigen Auen einer Vereinigung entgegen, die mein höchstes Glück sein wird. Sehen Sie dahin - Miß Soldie und Halliday haben so eben ihre Dreimaster von Stapel gelassen, Rivers und Ihre schöne Cousine verfolgen bereits die ihren mit dem Operngucker, und hier kommt Löwe mit zwei brennenden Lampen, die seine Galanterie uns überlassen wird.«
»Ich weiß nicht,« sagte die Lady, »ich empfinde eine gewisse Bangniß vor dem Spiel - man sollte nie mit der Zukunft freveln.«
»Thorheit, Editha,« rief ihre Cousine, »Du darfst keine Ausnahme von uns Allen machen. Nur keine Unterschleife, Lieutenant Sanders, und paßt hübsch auf Eure Schiffchen auf, denn es ist wahrhaftig nicht leicht für unsere europäischen Augen, diese Glühwürmer des Schicksals unter der schwimmenden Illumination zu verfolgen.«
Editha und der Offizier setzten jetzt gleichzeitig von dem Floß, auf das sie getreten, sich niederbeugend ihre Schiffe in die dunklen Wellen des Stromes.
Ihre Blicke begegneten sich dabei, tauchten sich tief in einander - Beide erfüllte derselbe Gedanke.
»Seht, wie hübsch das Pärchen schwimmt,« rief die heitere Tochter des Generals, die längst die mühsame Verfolgung des eigenen Fahrzeuges aufgegeben, indem sie in die Hände klatschte, »wie zwei Turteltäubchen, die zu Nest fliegen, oder zwei der kleinen Papageien, die nicht von einander weichen. Sir Stuart, Ihr Lebenslauf wird künftig ein sehr friedlicher sein, ich sehe Sie
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schon in Schlafrock und Pantoffeln als Nabob auf den Lorbeern Ihrer Jugend ruhen.«
In der That schaukelten die beiden Schiffchen, bereits mehrere Schritte vom Ufer entfernt, leicht und zierlich auf dem sanften Wellenzug, kaum eine Spanne von einander getrennt, und die Lämpchen in ihnen brannten hell und munter.
Plötzlich drängte sich eine weiße Gestalt - eine indische Frau in ihren wallenden Gewändern - durch die vornehme, hochgeborne Gesellschaft und glitt an das Ufer nieder. Sie hielt in ihrer Hand die zierliche Nachbildung einer Praua in Miniatur, auf deren Vordertheil eine Lampe aus wohlriechendem Harz brannte, sprang einige Schritte in den Fluß vor und setzte ihr Schiff kaum eine Elle weit hinter den beiden des Offiziers und der Lady auf den Spiegel des Wassers.
Obschon der Vorfall ganz unbedeutend und bei der Menschenmenge am Ufer und dem Eifer der Eingebornen, sich an dem Spiel zu betheiligen, leicht erklärlich war, erregte doch die Dreistigkeit der Frau bei der sonst so großen Demuth und Schüchternheit der Hindu's im Verkehr mit ihren weißen Gebietern einige Aufmerksamkeit, und Miß Editha klammerte sich unwillkürlich, von einer ihr selbst unerklärlichen Besorgniß befangen, an den Arm ihres Geliebten und flüsterte: »mein Schiff, mein Schiff!«
In der That, war es die Bewegung, welche der Sprung der Hindu in das Wasser in diesem hervorgebracht, war es ein zufälliger Wellenschlag, der vom Ufer zurückprallte - der Kamm einer Welle erhob sich aus der dunklen Fluth und trüg das Schiff der Fremden wie in lustiger Jagd hinter den beiden Fahrzeugen der Liebenden drein.
Einen Augenblick noch, dann fuhr der leichte Rindenkahn der Hindu zwischen die beiden kleinen Nachen und trennte sie. Von dem Anprall schwankten die drei Fahrzeuge, die Lampen zischten vor dem spritzenden Wasser und dann war Nacht und Dunkel an der Stelle, wo noch wenig Minuten vorher die prophetischen Leuchtfeuer des Glückes dreier Menschen geglüht hatten.
Ein leiser Schrei - ein schadenfrohes Gelächter des Residenten, in das sich ein ähnliches, nur schrillender, boshafter, mischte - Editha schwankte in den Arm ihrer Cousine.
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»Um Gottes Willen, Miß Highson ist ohnmächtig! - Ihr Flacon, meine Damen!«
Zwischen den besorgten Liebenden und der erschreckten Dame seines Herzens tauchte, wie der Erde entwachsen, die Gestalt der Indierin empor, die Hand nach dem Fluß hin ausgestreckt, wo die prophetischen Lichter verschwunden waren.
Ihre Linke hob den verhüllenden Yaschmack zur Seile und das glänzende dunkle Auge Anarkalli's flammte mit dem Ausdruck leidenschaftlicher Eifersucht ihm entgegen.
Der Name der Tänzerin - die er weit entfernt glaubte und von der er bereits zu hoffen gelernt, daß sie sich nicht nach Cawnpur wagen würde, erstarb auf seinen Lippen. Ohne ein Wort zu sagen, hob die Bayadere die Hand drohend und warnend gegen ihn, und verschwand eben so rasch und geheimnißvoll, wie sie gekommen.


Es war zwei Stunden später, das nächtliche Fest in vollem Gange. Vor den Pagoden und Tempeln tanzten die Bayaderen, Gaukler und Mährchenerzähler hatten an den Ufern des Flusses ihre wandernde Bühne, oft nur aus einem Teppich bestehend, aufgeschlagen. Die öffentlichen Garköche hielten in ihren Buden feil und an einzelnen Herden bereiteten die Mitglieder der verschiedenen Kasten ihr abgesondertes Mahl. Feuerwerke wurden abgebrannt, Freudenschüsse knallten rings umher, und mit jener kindischen Lust, der sich der Hindu so leicht hingiebt, erschallten auf allen Seiten die eintönigen, doch nicht unangenehmen, Gefährte des Volkes, und überall war die Freude und das Vergnügen in vollem Gange.
Auch in den Häusern der Vornehmen und Reichen waren Festlichkeiten aller Art und an den Thüren der Höfe wurden den Bettlern und Kranken Lebensmittel ausgetheilt. Wir haben bereits erwähnt, daß auch im Landhaus des Gouverneurs, General Wheeler, ein kleines Fest stattfand, und dem entsprechend überließ sich die ganze Garnison der Freiheit und dem Vergnügen. Man sah die trotzigen, anmaßenden, selbstgefälligen Gestalten der englischen Soldaten und Sergeanten mit dem Hochmuth, der selbst den geringsten Europäer, gegenüber den eingebornen Racen, in diesem
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Lande charakterisirt, durch diese Menge der verschiedensten Nationalitäten daher schreiten, während die Sepoy's, welche nach dem Dienst ihre Uniformen abgelegt hatten, in ihren weiten indischen Gewändern mit den Abzeichen ihrer Kaste, mit ihren Familien vor den Baracken saßen oder an den allgemeinen Festlichkeiten Theil nahmen.
Hindu's und Muhamedaner, Laskaren, Malayen, Parsi's, Chinesen und Araber, alle die unzähligen Stämme und Farbenabstufungen des Orients bewegten sich hier in buntem Gewühl und füllten die Gänge der geöffneten Bazars.
Es war in der zehnten Stunde, oder, nach indischer Rechnung, die Nacht und Tag, diesen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in zwei Hälften, und jede dieser Hälften wieder in Ghary's von je 24 Minutendauer scheidet, im achten Ghary der Nacht, als Doctor Walding oder vielmehr Clifford mit seinem indischen Diener, der einen Arzneikasten unter dem Arme trug, durch das Thor des Forts schritt. Auf dem Platz vor demselben, auf dem die Allarmkanone stand, vergnügten sich die müßigen Sepoy's und Soldaten im Zuschauen der Künste einer Gauklerbande und der Tänze einer Gesellschaft Bayaderen, und die Nachricht, daß Anarkalli, die berühmteste Tänzerin Indiens, sich darunter befände, lockte selbst die Offiziere und die Schildwachen näher.
Die Citadelle stammte aus der Zeit der Herrschaft der Großmogule und bestand zum Theil noch aus den alten Thürmen und Mauern, die mit Anlagen und Einrichtungen der neuern Kriegskunst verstärkt waren. Das obere Stockwerk eines dieser Thürme war Duhlip-Singh - dem Erben der Herrscher von Lahore - zur Wohnung und zum Gefängniß angewiesen. Der unglückliche Jüngling wurde hier seit dem mißlungenen Fluchtversuch in Firozpur mit großer Strenge bewacht, ein Posten stand vor der Thür seines Gemachs, dessen mit Eisenstäben vergittertes Fenster wohl 25 Ellen über dem darunter herlaufenden Wall sich erhob, und nur in Begleitung eines britischen Sergeanten dürfte er sich eine Stunde in den Höfen oder auf den Wällen der kleinen Feste ergehen.
Dennoch hatten alle Vorsichtsmaßregeln nicht verhindern
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können, daß die Freunde des Gefangenen aufs Neue mit ihm Verbindungen anknüpften. Ein Zettel, den ihm ein indischer Soldat zusteckte, hatte ihm empfohlen, sich schon am Tage vor dem Fest der schwimmenden Lichter krank zu stellen und die Hilfe eines Arztes zu verlangen. Dies traf den Hospital-Arzt und dessen Funktionen vertrat zur Zeit Walding.
Auf seine Meldung beim wachthabenden Offizier führte ein alter Sergeant, der seit länger als 20 Jahren in Indien diente, den Arzt und seinen Begleiter die Treppen hinauf und schoß die Thür auf, vor der ein Posten - wie der prüfende Blick des Arztes zu seinem Leidwesen bemerkte: ein Europäer - stand.
»Der Herr hat seine Geißel über den ungläubigen Heiden geschwungen,« sagte der Sergeant Gately, der zu den strengen Presbyterianern gehörte, während er öffnete. »Als ich vorhin bei ihm war, schnaubete er im wilden Fieber, wie das Streitroß der Amalekiter, und es that meiner Seele weh, obschon er zu denen gehört, welche die Höhen des Baals gebauet im Thal Ben-Hinnom, daß sie ihre Söhne und Töchter dem Moloch verbrannten.«
»Der Jüngling hat ein heftiges Fieber, ich werde ihm zur Ader lassen und habe deshalb einen Diener mitgebracht, um mir den nöthigen Beistand zu leisten.«
Der Sergeant sah mit Verachtung und Widerwillen auf den Hindu. »Die Kinder Israels sollten sich nicht mit den Aussätzigen vermischen. Ich darf diesen Sohn Satans nicht in das Gemach des Heiden lassen: Es ist strenger Befehl.«
»Aber ich brauche seine Hilfe zu den ärztlichen Verrichtungen!«
»Diese Hand wird die Hilfe des Gottlosen ersetzen, Doctor. Es ist besser, daß der Leib verderbe, als daß die Seele in Gefahr komme. Treten Sie ein, und Du, schwarzer Sohn des Teufels, bleibe unter der Aufsicht dieses Streiters des Herrn zurück.« Er schlug Kassim die Thür vor der Nase zu, nachdem er ihm das Kästchen mit den Instrumenten abgenommen.
In dem Gemach, das der Arzt und der Sergeant betraten, waren nur geringe Bequemlichkeiten für den verwöhnten, an die
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Bedienung von hundert Händen gewöhnten Fürstensohn Indiens vorhanden. Dhulip-Singh, in sein Obergewand gehüllt, lag auf einem Rohrdivan, und schaute, auf den Arm gestützt, vor sich hin. Eine fieberhafte Röthe war auf seinem hübschen jugendlichen Gesicht und seine schwarzen Augen funkelten wie im Delirium.
Der Arzt trat zu ihm, ergriff seine Hand und fühlte seinen Puls. Er befand sich in der größten Verlegenheit, denn die unerwartete Begleitung des alten fanatischen Platzsergeanten, während sonst ein gewöhnlicher Unteroffizier der jedesmaligen Wache dazu kommandirt zu werden pflegte, drohte den ganzen Entweichungsplan zu Nichte zu machen.
Er fühlte jedoch, daß es einen raschen Entschluß galt und daß Geistesgegenwart vielleicht dennoch die Gefahr wenden und das Spiel zu einem glücklichen Erfolg umkehren könne. Es galt vor Allem, einige Augenblicke mit dem Gefangenen allein zu sein.
»Das Fieber ist im Zunehmen,« erklärte der Doctor, »ich muß den Aderlaß vornehmen und einige beruhigende Mittel anwenden. Vermögen Sie sich zu erheben, Hoheit, und auf diesen Stuhl zu setzen? - es würde mir die Operation erleichtern.«
Der Prinz sah ihn mit wirren, erstaunten Blicken an, während der Doctor Verbandzeug und Instrumente aus seinem Kasten suchte.
»Ich fühle mich sehr krank und weiß nicht, ob Dein Thun Linderung meinen Leiden geben wird, weiser Hakim,« murmelte der Gefangene, »aber ich habe Vertrauen zu Dir und die Götter mögen Deine Freundlichkeit lohnen, besser als ich es kann.«
»Sprich nicht zu ehrbaren Christen von Deinen falschen Götzen, schwarzer Heide,« brummte der Sergeant. »Wende Dein Herz zu dem allein wahren Gott. Denn siehe, der Herr kommt gewaltiglich und sein Arm wird herrschen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm und seine Vergeltung ist vor ihm.«
»Holen Sie frisches Wasser, Sergeant,« unterbrach seinen Bibeleifer mit strenger Stimme der Arzt, »da Sie doch meinem Diener die Hilfeleistung nicht gestatten wollen. Haben Sie wohl Acht, daß es mit Eis gekühlt ist und besorgen Sie zugleich noch
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etwas Charpie - ich sehe, daß Kassim vergessen hat, sie mitzubringen.«
Der Schließer murmelte einige Worte des Widerspruchs, wagte aber doch nicht, dem Geheiß ungehorsam zu sein und verließ das Gemach. Dagegen hörten sie ihn draußen die Riegel sorgfältig vorschieben und der Schildwache anempfehlen, den indischen Diener der Thür nicht nahe kommen zu lassen.
Seine Schritte waren kaum verhallt, als der Arzt, der aufmerksam an der Thür gelauscht, sich zu dem Gefangenen wandte.
»Rasch den Aermel Ihres Rockes hinauf, Prinz, wir müssen den Mann täuschen, als sei Ihnen wirklich zur Ader gelassen. Unser Plan ist gescheitert an dem unglücklichen Umstand, daß dieser Murrkopf mich nur allein das Gemach betreten lassen will und mit Argusaugen uns bewacht. Sie sollten sich in die Gewänder Kassims, meines Dieners, hüllen, und dieser an Ihrer Stelle zurückbleiben und dann die Flucht versuchen. Bei der allgemeinen Unruhe und dem Lärmen des Festes durfte ich hoffen, Sie unerkannt aus dem Thor der Citadelle zu bringen.«
»Ich bin zum Unglück geboren, - Lakschmi hält ihre Augen verschlossen gegen mich,« jammerte der Jüngling. »O Mähe Tschund, meine unglückliche Mutter und Du Mahana, arme Schwester! mein Auge wird Euch niemals wieder sehen!«
Walding hatte indeß eine Schaale ergriffen und leerte ein Fläschchen mit Hühnerblut da hinein, das er in der Tasche seines Rockes mitgebracht. »Noch ist Nichts verloren, Prinz, wenn Sie den Muth und die Kraft haben, die Rolle selbst zu übernehmen, die Kassim bei Ihrer Flucht zugedacht war. Haben Sie gethan, was der Zettel Ihnen anempfahl, den ich Ihnen gestern zusteckte?«
»Es ist geschehen - ich habe mit der Flüssigkeit, die Sie mir als Medizin zurückließen, die Gitterstäbe des Fensters alle Stunden befeuchtet.«
»So muß das Scheidewasser seine Schuldigkeit gethan haben und die Eisenstangen werden einer mäßigen Kraftanstrengung weichen. Diese Binde, die ich um Ihren Arm wickele, ist eigends dazu gefertigt, und von doppeltem Linnen, das in der Mitte ein starkes Seidenband enthält - sie kann eine Last zweifach so schwer als die Ihre tragen, und ist lang genug, um doppelt bis zum
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Boden zu reichen, denn Sie müssen dieselbe mit fortnehmen, um keine Spur der Flucht zurück zu lassen.«
»Aber es steht ein Posten am Fuße des Thurms auf dem Wall!«
»Der Mann ist einer der Unseren - ein Hindu-Sepoy, den der Haik Beni-Mahib, seit der Beschimpfung durch einen jungen Offizier ein wüthender Feind der Engländer, dahin gestellt hat. Er wird Ihre Flucht unterstützen, Hoheit und Sie über die Bastionen geleiten. Es handelt sich nur darum, daß Sie den Muth haben, das Wagstück sogleich nach meiner Entfernung und mit so wenig Geräusch auszuführen, daß der englische Posten vor Ihrer Thür keinen Verdacht schöpft.«
Man hörte die Schritte eines Nahenden. »Stellen Sie sich erschöpft und verlangen Sie ungestört zu sein - der Glaube, daß ich Ihnen zur Ader gelassen, wird das Geheimniß Ihrer Flucht erhöhen.«
Die Thür öffnete sich und der mürrische Sergeant trat mit einer Kanne Wasser und dem verlangten Leinenzeug ein, während der Doctor eifrig die mit Blut befeuchtete Binde um den Arm des Gefangenen wand, dessen Seelenaufregung und Unruhe die Simulation des Fiebers erleichterten.
»Das Blut der Gottlosen und der Heiden ist ein wohlgefälliges Opfer dem Gott Zebaoth,« sagte der Zelot - »wie ich sehe, Sir, habt Ihr bereits das Messer in das Fleisch dieses Kindes der Finsterniß gesenkt!«
»Ich durfte nicht länger zögern, Sergeant - der Zustand des Kranken scheint mir ziemlich gefährlich oder ich müßte mich sehr täuschen. Reicht das Gefäß mit dem Eiswasser her, daß ich die Binde befeuchte und das Blut von dem Arm wasche.« Der Sergeant that das Geheißene, während Dhulip Singh mit jener Verstellungskunst, deren Fähigkeit den Orientalen angeboren scheint, den Zustand eines Schwerkranken nachahmte und ungestört zu ruhen verlangte.
Walding erklärte es für das Beste, was geschehen könnte, und nachdem er versprochen, am andern Tage nach dem Befinden des Patienten sehen zu wollen, verließ er diesen mit dem Sergeanten.
Vor der Thür erwartete ihn Kassim, sein wildes blutgieriges
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Auge traf bedeutungsvoll auf das seines Mayadar, während seine Hand unter das Gewand nach dem Griff des dort verborgenen vergifteten Malayendolchs faßte. Es hätte nur eines Winkes des Arztes bedurft und der wilde, über die Vereitelung seiner Aufgabe erbitterte Thug hätte sich auf die Schildwacht und den Kerkermeister gestürzt und beide erdolcht. Aber der Doctor sah ihn warnend an und ein unbemerkliches Zeichen empfahl ihm Ruhe und Vorsicht.
So stiegen sie die Treppe des Thurmes hinab, an dessen Thür Walding dem Sergeanten Gute Nacht sagte. Als er aus dem Thor der Citadelle trat und über den mit Fackeln erhellten Vorplatz schritt, kam Anarkalli mit dem Tambourin auf ihn zu, wie eine Gabe heischend, während ihr Auge forschend einen Moment auf seinem Begleiter ruhte. Der Arzt schüttelte bedeutungsvoll den Kopf, und indem er ihr einige An[n]ahs reichte, flüsterte er ihr zu, noch eine kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Soldaten zu beschäftigen. - -
In einiger Entfernung von dem Thor der Citadelle warteten im Schatten eines alten Gemäuers mehrere Personen in der Tracht der Sepoy's oder indischer Laskaren. Hierhin wendete hastig der Arzt seine Schritte, gefolgt von Kassim. Ein unterdrückter Freudenruf begrüßte ihn, aber alsbald erkannten die Harrenden, daß sie sich getäuscht.
Es war der Nena mit zwei seiner abenteuerlichen Trabanten, der hier des Gelingens der Unternehmung harrte, während die anderen Mitglieder seiner Truppe theils in einer entfernten Vorstadt mit den Pferden warteten, theils auf der andern Seite der Citadelle den Weg bewachten, den Kassim einschlagen sollte, wenn die Rettung des jungen Prinzen durch den Wechsel der Kleidung und der Personen ausgeführt worden wäre.
Mit eiligen Worten berichtete Walding das Hinderniß, das die Rettung zu vereiteln drohte, und daß der Prinz sich entschlossen habe, selbst das schwierigere Wagniß zu versuchen, daß sie ihn also auf der andern Seite am Fuß des Walles zu erwarten hätten.
Der Maharadschah winkte dem Kanadier, der seine treue und bewährte Gefährtin, die lange Flinte, im Arm hielt
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und deutete nach dem Eingang des Forts, wo die Lärmkanone postirt war.
»Es mögen etwa 300 Schritt bis zu jenem Geschütz sein,« sagte er, »getraust Du Dich, auf diese Entfernung sicher im Dunkel Dein Ziel zu treffen?«
Adlerblick verzog den breiten Mund zu einem verächtlichen Grinsen. »Pardious!« murrte er, »ich habe am Colorado in einer Nacht fünf Apachen-Krieger erschossen, die so dunkle Häute hatten, wie die Schatten ihrer Berge. Ich werde doch heute ein Ziel nicht fehlen, wo die Nacht fast so hell ist wie der Tag von den Fackeln und Feuern, die sie angezündet.«
»Du siehst die Kanone. Wenn es irgend ein Soldat wagt, die Lunte zu erheben, um sie abzufeuern, so schieße den Schurken nieder, ehe seine Hand das Zündloch erreicht, und mach Dich aus dem Staube.«
»Ist es Ihr Feind, Hoheit?«
»Ja.«
»Dann ist es auch der meine und ich habe Nichts dawider. Andernfalls wäre die Sache nicht viel besser, wie ein kleiner Mord, obschon man sich hier zu Lande an Manches gewöhnt.«
Der Trapper untersuchte sein Gewehr, setzte ein neues Zündhütchen auf und richtete sein Auge nach der entfernten Kanone.
Der Maharadschah, ohne seiner Bemerkungen zu achten und des Gehorsams gewiß, verließ den Mann, beorderte seinen Gefährten, in einiger Entfernung sich auf die Lauer gegen die Kasernements hin zu stellen, und näherte sich dann dem vorspringenden Winkel der Bastion, von dem aus man das Gefängniß des jungen Prinzen beobachten konnte.
Die dunkle Gestalt einer Schildwache schritt auf der Krone des Walles auf und nieder.
Der Maharadschah ahmte drei Mal den Zischlaut einer Schlange nach, und aus dem Schatten eines Oleandergebüsches erhoben sich zwei dunkle Gestalten und nahten sich ihm vorsichtig. Es waren Murad-Khan und Alamos der Mexikaner.
»Hat der Hakim mit dem Prinzen das Thor glücklich verlassen,« fragte ungeduldig der Khan, dem der Maharadschah eben
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deshalb den entfernten Posten angewiesen, um eine Unbesonnenheit zu verhindern.
»Es ist ein unglücklicher Zufall eingetreten,« erwiederte der Fürst, den die Theilnahme an dem Abenteuer aus seinem finsteren Brüten gerissen und zur Thätigkeit angeregt hatte, »Freund Walding hat das Gemach des Prinzen allein betreten müssen, seinem Diener Kassim wuche der Eintritt verweigert. Dhulip Singh wird die Flucht durch das Fenster versuchen. Halten wir uns bereit, sie zu unterstützen. Deine Flinte, Bursche!«
Er nahm dem Mexikaner das Gewehr ab.
»Was willst Du thun, Hoheit?«
»Bei der ersten verdächtigen Bewegung jenem Burschen dort, der die Wache auf dem Wall hat, eine Kugel durch den Kopf schießen. Man muß darauf vorgesehen sein, daß auch hier ein tückischer Zufall uns einen Possen spielt. Du kennst den Weg zu der Stelle, wo der Kahn unterhalb der Brücke Eurer harrt, Alamos?«
»Mit verbundenen Augen würde ich ihn finden.«
»Der indische Diener wird am jenseitigen Ufer mit den Pferden zur Stelle sein. Du darfst den Prinzen nicht verlassen, Khan, bis er in völliger Sicherheit ist.«
»Und Mahana und ihre Mutter?«
»Sie werden Euch unter sicherer Begleitung noch diese Nacht folgen und in Audh mit Euch zusammentreffen. Die Begum wird Euch dort die Mittel zur weitern Flucht verschaffen. Bis dahin würde jede Gemeinschaft Euch verrathen.«
»Still!« - die Hand des Mexikaners deutete nach dem Thurme.
Der Maharadschah hob das Gewehr und nahm den Sepoy auf's Korn; der jedoch that, als ginge das, was sich über ihm ereignete, ihn Nichts an, und schritt nach der andern Seite des Thurmes.
Jetzt sah man deutlich in dem matten Licht der Sternennacht einen dunklen Gegenstand aus dem obern Fenster dieses Thurmes sich schwingen und rasch an der Mauer niedergleiten.
Einen Augenblick nachher erschienen zwei Gestalten auf der
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Höhe des Walles - dieser Moment war die gefährliche Krisis, denn er mußte entscheiden, ob die Schildwacht Freund oder Feind war.
Zum Glück für den Erfolg des Unternehmens gehörte der wachehaltende Sepoy wirklich zu denen, die sich bereits in geheime Conspirationen gegen die Engländer eingelassen. Der Gefangene hatte nicht so bald den Boden erreicht, als Jener Gewehr und Tschako wegwarf und ihin zurief, daß Beistand in der Nähe sei. Beide eilten jetzt an den Rand des Walles, nachdem sie das Doppelband, an dem sich der Prinz aus seinem Kerker herabgelassen, an sich gezogen.
»Kannst Du schwimmen?« fragte der Sepoy den Flüchtling.
»Nein.«
»So laß Dich ruhig in das Wasser des Grabens gleiten und halte Dich an meinem Gürtel fest. - Still- ich höre Schritte - das ist der Offizier der Ronde! - schnell, schnell, oder wir sind verloren!«
Während der Sepoy und der Flüchtling an dem Wall hinabglitten, kam ein Mann auf dem innern Rundgang um den Vorsprung des Thurmes gerade auf die Stelle zu, die Jene so eben verlassen hatten.
Der Offizier, denn ein solcher war es, und zwar Lieutenant Stuart Sanders, blieb einen Augenblick erstaunt stehen, als er die Schildwacht nicht auf ihrem Posten sah und keine Spur von dem Mann entdeckte; hierauf hörten die Lauscher auf dem andern Ufer des Wallgrabens deutlich seinen Anruf:
»Schildwacht! Schildwacht!«
Dann, als keine Antwort erfolgte, sprang er vor und sah das Gewehr und den Tschako des Sepoy's am Boden liegen.
Zugleich vernahm man ein lautes Plätschern in dem Wallgraben, das durch das ungeschickte Hinabgleiten des jungen Mannes entstand.
»Halt! - Wer da?« Der Offizier bückte sich, das weggeworfene Gewehr zu ergreifen. Diese Bewegung rettete sein Leben, denn im selben Augenblick knallte der Schuß des Maharadschah und die Kugel schlug gegen die Wand des Thurmes.
»Verrath!« In dem hellen Schimmer der Nacht sah der junge Krieger deutlich zwei Gestalten den Wasserspiegel des
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Grabens theilen, und die Ueberzeugung, daß nicht die bloße Desertion eines Postens, sondern ein anderes Vergehen - wahrscheinlich die Flucht des Gefangenen - vorliege, schoß ihm durch den Kopf.
»Stop! oder ich gebe Feuer!«
Die Flüchtigen waren bereits an der andern Seite des Grabens, aber die Böschung war hier so steil, oder der Sepoy hatte gerade eine der tieferen Stellen gewählt, daß er, von dem Gewicht des Prinzen belästigt, nicht emporzuklimmen vermochte.
»Ich ertrinke! Zu Hilfe! zu Hilfe!« stöhnte die Stimme Dhulip Singh's.
Der Maharadschah, Murad Khan und der Mexikaner sprangen herbei, ohne Rücksicht auf die Gefahr, der sie sich bloßstellten.
In einem Augenblick der Stille hörte man den Offizier abdrücken. Aber der Hahn schlug nutzlos auf das Piston; der Sepoy hatte weislich die Ladung aus dem Gewehr gezogen.
»Den Lasso - den Lasso hinunter, sonst sind sie verloren!« befahl der Bahadur. »Dort kommen die gottverdammten Schurken!«
In der That - obschon der Schuß des Maharadschah bei dem fortwährenden Knallen der Freudensalven und Raketen wenig Aufmerksamkeit erregt hatte - eilten jetzt auf den Ruf des Offiziers: »Wache herbei! Verrath!« mehrere Posten herzu und schossen auf's Gerathewohl ihre Gewehre ab.
Der Sepoy hatte unterdeß im Graben den zugeworfenen Lederstrick des Mexikaners glücklich erfaßt und die Schlinge über den Prinzen gezogen. Die Kraft der drei Männer hob die Last leicht auf den Rand - mit ihr zugleich schwang sich der Soldat in die Höhe.
»Jetzt, Khan, mach daß Du fortkommst mit dem Jüngling,« flüsterte der Fürst, »in der Eile allein liegt Eure Rettung. Ich werde die Rothröcke aufhalten, so lange es geht - zunächst jenen dort.«
Er deutete nach dem englischen Offizier, der, als er sah, daß die Flüchtlinge sich glücklich aus dem Graben gerettet, sofort erkannte, daß hier nichts zu thun blieb, als das Allarmzeichen zu
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geben und sich durch die Herbeikommenden drängend, den Wall entlang nach dem Hauptthor der Citadelle flog.
Ohne sich weiter um seine Gefährten zu kümmern, eilte der Maharadschah nach der Stelle zurück, wo er den Kanadier Adlerblick zurückgelassen.
In demselben Augenblicke, wo er den ehemaligen Trapper erreichte, erschien Lieutenant Sanders unter dem Bogen des Thors und sprang über die Zugbrücke vorwärts nach dem freien Platz, wo die Kanone, von einem Posten bewacht stand, und noch eine Menge Personen um die Gaukler versammelt waren, die bei dem entstehenden Lärmen ihre Künste unterbrachen und sich neugierig nach der Citadelle drängten.
Neben Adlerblick und dem Franzosen Cordollier fand der Maharadschah die Bayadere.
»Aufgepaßt, Mann! Schieß den Faringi nieder, wenn er sich der Kanone zu nahen wagt.«
Die lange, niemals lhr Ziel schwere Büchse des Kanadiers lag im Anschlag.
Der englische Offizier hatte jetzt das Geschütz erreicht. Er riß - ohne erst die Schildwach herbeizurufen - die Lunte von dem Gestell, schwang sie durch die Luft, um sie neu anzufachen und senkte sie nach dem Zündloch.
»Bei allen Dämonen - Feuer!« befahl der Hindu.
Ein gellender Angstschrei ertönte - mit ihm warf sich die Bayadere vor die Mündung der Flinte und schlug den Lauf in die Höhe. Der Schuß ging los und das Pulver verbrannte das Gesicht der Tänzerin, während die Kugel die Flechten ihres reichen Haares zerriß.
In demselben Augenblick donnerte der Allarmschuß des Geschützes. Die Kugel des Trappers hatte einen der unglücklichen Hindu-Gaukler getroffen, der einen Sprung in die Luft machte, die Arme in die Höhe warf und todt zu Boden stürzte.
»Wahnsinnige Thörin,« zürnte der Fürst, »das Signal hetzt uns vor der Zeit die ganze Garnison auf den Hals und fordert zur Verfolgung der Deserteure auf. Suche Jeder, so gut er kann, den Sammelplatz zu erreichen, wo die Pferde stehen.«
Der Wirbel der Allarmtrommeln aus dem Fort und den
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naheliegenden Kasernen und der ferne, rasch näherschwellende Ruf: Feuer! Feuer!« unterbrach ihn.
Capitain Cordollier faßte den Arm seines Gebieters und deutete nach rückwärts, wo man durch die Zwischenräume der Bäume, vom Strom abwärts, die Reihe der Bungalows sich ziehen sah.
Eine rothglühende Feuersäule erhob sich über das dunkle Laub und wälzte sich weithin am nächtlichen Horizont.
»Sie werden andere Dinge zu thun haben, als uns zu verfolgen, Hoheit,« sagte er. »Wenn mich die Richtung nicht trügt, ist es das Landhaus des Residenten, das in Flammen steht oder eins der zunächstgelegenen Bungalows.«
»Das rettet uns und den Prinzen,« flüsterte der Fürst. »Aber nun fort und nehmt jenes thörichte Weib mit Euch, die, einen Faringi zu retten, ihre Brüder verräth.«
Er wandte sich nach der Tänzerin um - aber Anarkalli war verschwunden.


Obschon ein Brand in einer orientalischen Stadt selten viel Aufmerksamkeit erregt, da die Sache bei der leichten feuergefährlichen Bauart zu oft vorkommt und häufig ganze Quartiere binnen wenig Stunden in Asche gelegt werden, veranlaßte doch das Gerücht, daß das Landhaus des viel gefürchteten und wenig beliebten Residenten in vollen Flammen stand, ein mehr als gewöhnliches Zusammenströmen der Volksmenge. Die Nachricht von dem Brand traf zugleich mit der Flucht des Sikh-Prinzen im Salon des Gouverneurs ein und störte das Fest. Der General vermuthete sogleich, daß beide Ereignisse in Zusammenhang ständen und ertheilte zugleich seine Befehle zur Verfolgung der Flüchtigen und zur Löschung des Brandes. Der Generalmarsch wirbelte durch die Straßen und Bazars, die Signalhörner riefen zum Sammeln und von allen Seiten eilten die unter der Bevölkerung zerstreuten Sepoy's nach ihren Allarmplätzen, während die Pompier-Compagnien bereits nach dem Ort des Brandes marschirten.
Eine dichtgedrängte Menschenmasse umgab die Stätte, und ihr höhnisches Geschrei, ihr Widerwille, den Dienern des Hauses
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irgend eine Handreichung zur Hilfe zu thun, außer etwa um die Gelegenheit zum Raub zu benutzen, bewies klar, wie verhaßt Major Rivers unter der Bevölkerung war.
Das Feuer war, während der größte Theil der Dienerschaft sich an den Ufern des Flusses umhertrieb, plötzlich in den vorderen Räumen des Bungalow ausgebrochen. Die Flamme schlug kaum in die Höhe und die wenigen zurückgebliebenen Diener rannten schreiend und rathlos umher, als wie aus der Erde emporgestiegen mehrere fremde Gestalten auf dem Schauplatz erschienen, die Diener zurückstießen und theils in das Innere des Bungalows drangen, theils mit Gewalt die Gitter der Umzäunung öffneten, um dem zufluthenden Pöbel ungehinderten Einlaß zu gewähren. Eine gewisse Uebereinstimmung schien in Allem, was sie thaten, zu liegen. Ein Mann, in die Lumpen eines Fakirs gehüllt, sprach in fanatischen Worten die sich sammelnde Menge an und verkündete, daß die Feuersbrunst eine Strafe der Götter gegen die tyrannischen Unterdrücker sei und forderte sie auf, dem Gericht des Himmels freien Lauf zu lassen.
Das Geheul des Pöbels zeigte, welche Sympathieen die fanatische Rede in ihm erweckte. Dichter und dichter schloß sich die Volksmenge und verhinderte durch ihren passiven Widerstand, daß die Verständigeren sich hindurchdrängen und zum Löschen der Feuersbrunst thätig sein konnten.
Drei Männer waren es, welche während dessen, unbekümmert um die sprühenden Funken und stürzenden Balken, in das Innere der Villa eingedrungen. Der Eine, welcher den Führer zu machen schien, war ein kleiner, alter Mann in indischer Kleidung, von dessen Turban ein kurzer Schleier herabhing, das Gesicht verbergend. Die beiden Anderen trugen die Tracht der Laskaren oder indischen Bootsleute; der ältere war in einen weiten arabischen Mantel gehüllt, des zweiten Gesichtszüge trugen, obschon von der Sonne heißer Zonen gebräunt und von Leiden entstellt, offenbar das europäische Gepräge. Seine Hand schwang eine schwere Spitzaxt, die sie so leicht wie eine Feder regierte.
Den Greis voran, eilten sie durch die Reihe der Gemächer, in denen wir einige Monate vorher, vor dem Abzug zu jener
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schrecklichen Tigerjagd, Eduard O'Sullivan und seine beiden Gefährten sich für die nächtliche Orgie vorbereiten sahen. Rauch und Gluth erfüllte bereits diese Räume, denn die Flammen verbreiteten sich an dem trocknen Bambusgebälk und dem andern leichten Baumaterial mit großer Schnelligkeit.
Die Absicht, an den Kostbarkeiten und werthvollen Gegenständen, welche diese Gemächer schmückten, sich zu bereichern, schien den drei Eindringenden jedoch vollständig fern zu liegen. Ohne sie im geringsten zu beachten, durcheilten sie diese Räume und richteten, von dem Alten geführt, ihre Schritte nach jenem langen, mit Blumen decorirten Korridor, der das Hauptgebäude des Bungalows mit der Reihe von Pavillons und Kiosk's verband, welche, wie das Gerücht sagte und wie wir aus den früheren Scenen unsrer Erzählung wissen, das Harem des Residenten barg.
Die Gefahr der Feuersbrunst war noch nicht bis hierher gekommen, obschon der Lärmen derselben auch in diesen Theil des weitläufigen Gebäudes gedrungen sein und die Bewohner erschreckt haben mußte.
Sie hatten kaum den Gang betreten, als ihnen Hassan, der Oberaufseher des Residenten, abwehrend entgegenstürzte.
»Zurück, Unglückliche! kein fremder Fuß darf die Zenanah betreten! Wir bedürfen Eurer Hilfe nicht, um hier zu retten!«
»Fort mit Dir selbst, schändlicher Kuppler!« kreischte die Stimme des Alten, und: »Nurjesan! Nurjesan! wo bist Du?« klang laut sein Ruf.
In dem Ringen mit dem Aufseher fiel zugleich dem Greise der Turban vom Haupt und enthüllte seine Züge.
»Tippo Singh, der Babu! Fürchte die Rache des Sahib!«
»Nimmer soll Dein Mund verrathen, was Dein Auge gesehen, feiger Sclave,« zürnte der beraubte Vater und stieß seinen Dolch in den Leib des Mannes. »Möge Yama Deine Thaten sichten, wie er Deinen Gebieter richten wird.«
Der Unglückliche stürzte mit Geschrei zu Boden und über seinen Todeskampf hinweg sprangen die Drei vorwärts.
Durch den Lärmen von Außen drang ihnen das Gekreisch der Weiber entgegen, die aus den verschlossenen und wohl gesicherten Räumen des Harems von dem Tumult und der
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ungewöhnlichen, durch das offene Dach der früher beschriebenen Rotunde hereinbringenden Helle erschreckt, vergeblich einen Ausweg suchten und von Innen an die Thür ihres glänzenden Kerkers schlugen und Auskunft und Beistand verlangten.
Vor dieser Thür zeigte sich ein neues Hinderniß. Hier hielt der schwarze Eunuch des Residenten Wache und seine funkelnden Augen, seine drohenden Geberden bewiesen, daß er nicht gutwillig seinen Posten verlassen und den Eingang öffnen werde.
»Laßt mich voran,« befahl der ältere der beiden Laskaren, als er die Zögerung des Babu beim Anblick des drohend geschwungenen Säbels des Schwarzen bemerkte, »ich will mit dem Schurken fertig werden, bevor seine geschlitzte Zunge einen Laut zu stammeln vermag. Oeffne jene Thür, Bursche und mach' Dich davon, ehe das Feuer Dich noch schwärzer bratet, als die Natur Dich geschaffen.«
Der Neger fletschte grimmig die Zähne, stieß ein heiseres Geschrei aus und holte zu einem Streich aus.
Mit Blitzesschnelle hatte der Rais der Praua, denn unser alter Bekannter, der Uskoke Danilos von der albanesischen Küste, der Gefährte Maldrigi's war es, den die Rani von Jhansi auf die Spur des Residenten gehetzt und der jetzt in die Geheimnisse seines Hauses einbrach, der Gefahr begegnend, den weiten arabischen Mantel um seinen linken Arm geschlungen, und diesen schützend über seinen Kopf erhebend, unterlief er den Mohren, fing mit dem dicken Gewebe den Hieb des Säbels auf und gab seinem Gegner zugleich einen heftigen Tritt gegen die Schienbeine, diesen verwundbarsten Theil der Schwarzen. Heulend vor Schmerz beugte sich dieser nieder, der Uskoke aber entriß ihm die Waffe und ohne eine eigene zu berühren führte er mit dem Griff des Säbels einen so mächtigen Schlag gegen den Wollkopf des Negers, daß jeder andere menschliche Schädel davon zerschmettert worden wäre und selbst der Schwarze völlig betäubt zu Boden stürzte. Ohne den gefällten Feind weiter zu beachten, entriß der Rais seinem Gürtel den Schlüssel, und öffnete die Thür.
Als die Odalisken das Aufschließen derselben vernahmen, waren sie halb beruhigt und zugleich ängstlich, ihre rauhen
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Wächter zu erzürnen, in das Gemach zurückgewichen und harrten zitternd des Ausgangs des Lännens.
Einen Augenblick blieben die Eindringenden wie geblendet von so viel Reichthum und Glanz auf der Schwelle: stehen und starrten auf das Bild vor sich, das an die goldnen Gärten, der ewig jungen Houri's im Paradiese der Mahomedaner erinnerte. Die zehn Mädchen, noch reizender durch die Aenderung ihrer Bekleidung und die Angst und Besorgniß, die aus ihren Wesir sprach, drängten sich wie eine Heerde um die alte Hexe, die Aya, ihre Hüterin, die bei dem Anblick der fremden Männer ein Zetergeschrei erhob und sie mit dem Horn ihres Sahibs bedrohte.
Mit dem Rufe: »Nurjesan! mein Kind!« stürzt, der Babu auf eine der zierlichen Gestalten zu und preßte sie in seine Arme. Bestürzt wankte das Hindumädchen zurück und verhüllte ihr Gesicht mit dem Schleier, indem sie das Gefühl ihrer Schande, die sie bereits liebgewonnen, mit Gewalt bei dem unerwarteten Anblick ihres Vaters überkam. Schluchzend warf sie sich auf den Divan, während der alte Mann vor ihr kniete und mit Schmeichelworten sie zu beruhigen suchte.
Während dessen hatten die Blicke des Uskoken die Schaar der Odalisken gemustert, gleich als suchten sie nach einem bestimmten Gegenstand, den sie nicht aufzufinden vermochten.
»Der Schuft von Schobedar hat mich getäuscht,« murmelte er zwischen den Zähnen, »unter diesen Weibern ist keine einzige, die einer Europäerin ähnlich sieht, es müßte denn Jene dort sein.« Seine Hand wies unwillkürlich auf Narika, die schöne Kashmirerin, deren zarter und weißer Teint und edle kaukasische Gesichtsbildung sie von ihren Gefährtinnen unterschied. »Was sagst Du, Mann, ist es die Gesuchte?«
»Unmöglich,« antwortete sein Gefährte, der bisher bei der ganzen wilden Scene sich schweigend verhalten hatte, obschon seine Augen gleich wie in rachsüchtiger Gluth sunkelten, seine festgepreßten Lippen den Entschluß energischer That bekundeten. »Das ist die Lady nicht - laß uns suchen nach ihr, Capitain, denn dieser Mann hat der schwarzen Verstecke genug in seinem Herzen,
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warum sollte er sie nicht in seinem Hause haben, wo er die Folgen seiner schwarzen Thaten zu fürchten hat?«
»Du hast Recht - und jenes Mädchen, das ich zuerst für die Gesuchte hielt, muß diejenige sein, welche uns Auskunft über sie geben kann. Bewache die Thür, indeß ich handle.«
Er sprang vor in das Gemach unter dem Gekreisch der Weiber, die ihre Stimmen jetzt mit dem Gezeter der Alten vereinten.
»Schweigt!« befahl er mit donnernder Stimme. »Tod und Verderben sind über Euch - ich komme, Euch zu retten. Aber keine soll den Flammen entrinnen, die bereits das Haus Eures schändlichen Herrn erfaßt, ehe ich nicht weiß, wo die Engländerin, die vor drei Monden geraubt und hierher gebracht worden ist, gefangen gehalten wird.«
Die Weiber fielen auf die Knie und jammerten und betheuerten, daß sie von Nichts wüßten, nur die Kashmirerin blieb aufrecht stehen und gab ein Zeichen, als wolle sie sprechen. Aber die alte Hexe machte eine wüthende Bewegung gegen sie, um ihr den Mund zu verschließen.
»Dein Name ist Narika, Mädchen?« fragte der Rais.
Die Kashmirerin sah ihn erstaunt an und schüttelte das Haupt zur Bejahung.
»Im Namen des jungen Faringi, der Dich geliebt, im Namen des Mannes, der Dir den Ring geschenkt, den Du hier am Finger trägst, und den Dein Herr in's Verderben gestürzt - kannst Du mir sagen, wo die Gefangene, seine Schwester, ist? Wir wissen, daß sie heimlich in diesen Aufenthält der Schande gebracht worden.«
Das Auge des armen, den Lüsten ihres Gebieters und seiner Genossen dienenden Mädchens funkelte bei der Erinnerung an den Mann, der ihr in dem Sinnenrausch der Orgien dennoch eine gewisse Neigung, eine Bevorzugung gezeigt und die Gefühle ihres jungen feurigen Herzens für sich erweckt hatte.
»Sie wird mich tödten, wenn ich es sage,« flüsterte sie, indem sie auf die Alte deutete, die vor Schreck und Wuth knirschend nach einem Messer in ihrem Gürtel griff.
»Bei der Panagia, sei unbesorgt, Mädchen - Niemand soll
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Dir ein Haar krümmen, am wenigsten die alte Vettel, die ich eher zur Hölle schicken will, wohin sie gehört.« Ein rascher Griff von ihm entriß der Hand der Alten das Messer, das sie nach dem Mädchen zu[ü]ckte und warf sie auf die Kissen. Einen Augenblick darauf hatte er ihr Hände und Füße geknebelt und den Mund verstopft.
»Jetzt rede - aber rasch - denn das Feuer dringt näher und unsere Augenblicke sind gezählt.«
»Ich weiß nur, daß ein weißes Weib, eine Faringi, hier gefangen gehalten wird. Sie allein,« sie deutete auf die Aya, »kann sagen, wo sie ist, denn nur sie und der Moslem Hassan sahen sie.«
»Das ist sie - das muß sie sein. Antwort, Du Scheusal - wo ist die Gattin des Nena?« Er hatte ihren Mund von dem Knebel befreit, aber die Alte fletschte grimmig ihre wenigen Zähne und spie mit einer Verwünschung nach ihm.
»Um Gottes Willen, Capitain, rasch, rasch!« schrie von der Thür her, die er geöffnet, der Gefährte des Albanesen auf Englisch. »Das Feuer hat den Corridor erreicht und ich höre den Generalmarsch der Soldaten.«
»Willst Du reden, Canaglia?«
Nur ein grimmiger Blick aus den grünfunkelnden Augen der Alten und der Versuch, sich loszuwinden, antworteten ihm.
Im Nu hatte Danilos von seinem Halse eine dünne aber feste Schnur geknüpft, an der er ein Amulet trug, und sie um die Stirn des Weibes gewunden. Dann steckte er den Griff seines Dolches zwischen die Schnur und begann sie zusammen zu drehen.
Ein entsetzliches, gellendes Geschrei erfüllte das Gemach, das Knistern der Flammen, das Geheul des draußen versammelten Pöbels übertäubend.
»Willst Du reden?«
Seine Hand drehte den Dolch - die Augen schienen, sich aus ihren Höhlen zu drängen, der Anblick ihres verzerrten runzelvollen Gesichts war furchtbar.
»Erbarmen, Sahib - ich will bekennen, Alles, Alles, was Du willst!«
»Befindet sich die Gattin des Maharadschah von Bithoor in dieser Höhle des Lasters?«
»Der Sahib Resident hat sie entführen lassen. Die ist hier - aber -«
»Wo ist sie?«
»Im geheimen Gemach unter dem Boden des nächsten Kiosk - sie ist -«
»Wo ist der Eingang! Sprich Hexe oder stirb!«
»Erbarmen! In der Wand jenes Gemachs,« ihre Augen deuteten nach einem der mit wollüstiger Pracht eingerichteten Seitenkabinette - »befindet sich eine verborgene Thür zum nächsten Kiosk. Unter dem Teppich in seiner Mitte führt die Fallthür hinab in das Gefängniß der Faringi!«
»Die Schlüssel, wo sind die Schlüssel?«
»Ich habe sie nicht - der Sahib-Resident allein besitzt sie!«
Wiederum, heftiger als zuvor, schnitt die Schnur das Fleisch bis auf den Knochen durch. »Barmherzigkeit bei der Mutter, die Dich geboren,« heulte die Alte. »Möge ich ewig verdammt sein, wenn ich Dir Lügen sagte!«
Der Uskoke sprang empor. »Es ist kein Augenblick zu verlieren. Suche die Thür und schlage sie ein, Enrico!«
Sein jüngerer Gefährte war bereits in dem Kabinet und untersuchte die Wände. Gleich darauf donnerten die Hiebe seiner Spitzaxt in das Holz und rissen breite Splitter heraus.
»Hier ist die Thür - die Hexe sprach die Wahrheit!«
Unter seinen gewaltigen Schlägen brach die verborgene Tapeten-Thür in Stücken, ein frischer Luftstrom drang in das Gemach, aber zugleich dröhnte von der andern Seite her das Gekrach der zusammenstürzenden Balken, das Glas der Bedachung sprang von der sengenden Hitze und der Rauch der immer näher rasenden Flamme drang durch den vordern Eingang.
Die Frauen erhoben ein gellendes Hilfegeschrei.
Danilos riß den Babu empor. »Fort mit Dir, Mann, wenn Du Dich und Dein Kind retten willst. Dort hinaus muß ein Ausgang nach dem Garten sein, ich fühle es an dem Luftzug. Ihr Alle flieht, wenn Euch das Leben lieb ist, denn in wenig Minuten wird all' diese Herrlichkeit ein Raub der Flammen
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sein, und bei der Panagia, Ihr seid zu schön dazu, um zu verbrennen!«
Er sprang durch die Oeffnung der eingeschlagenen Thür; in wilder Hast folgten ihm der Babu mit seiner Tochter und die Odalisken, ohne auf das Jammergeschrei des alten Weibes zu achten, das sie anflehte, sie nicht hilflos dem Flammentode zu überlassen.
Der Raum, den sie durch die eingeschlagene Thür betraten, war zunächst wieder ein kurzer Corridor, der zu einem andern Pavillon führte. Einige Axthiebe des Laskars zertrümmerten die verschließenden Jalousien und die Todesangst der Frauen erweiterte mit Gewalt die Oeffnung, durch die sie sich ins Freie und die dichten Bosquets des Gartens stürzten, der durch die Gluth des Brandes mit Tageshelle übergossen war.
Der Uskoke und sein Gefährte dagegen stießen die Thür des zweiten Pavillons ein und betraten das genügend von dem Feuerschein erleuchtete Innere.
Es war auf das Kostbarste geschmückt, aber leer. Ein rascher Blick umher zeigte den Beiden, daß die Fenster mit engen und starken vergoldeten Broncegittern verschlossen waren.
»Wo ist der Eingang - was sagte die Alte?«
»Hier unter dem Teppich in der Mitte!« beantwortete eine dritte Stimme die Frage. Umschauend sah der Uskoke das Mädchen aus Kashemir hinter sich stehen.
»Was thust Du hier? warum bist Du nicht geflohen mit Deinen Gefährtinnen?«
Die Schöne machte die unnachahmbare Bewegung der Orientalen mit der Hand vom Mund, wodurch sie ihre Gleichgiltigkeit ausdrücken. »Wallah - warum sollte Narika fliehen? Sie kann hier eben so gut sterben, wie anderswo. Ich habe Niemand, der für mich sorgen würde und mein Herz ist leer, seit der Sahib mit den goldenen Haaren nicht mehr zu mir kommt.«
»Du sollst uns begleiten, Mädchen,« entschied der Rais - »überdies bedürfen wir vielleicht Deiner Hilfe. Schiebe den Teppich bei Seite, der den Zugang bedecken soll. Rasch, rasch, - denn die Hitze dringt schon hierher!«
Die Matte war bereits zur Seite gezogen. Der Fußboden
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war von chinesischer Holzmosaik, aber keine Spur einer Oeffnung darin!«
»Höll und Teufel! Die alte Vettel hat uns betrogen - möge dafür das Feuer ihr Glied für Glied vom Leibe sengen! Fort mit uns!«
»Halt! halt!« rief das Mädchen - »hier ist die Fallthür!« Ihr scharfes Auge hatte in dem Gefüg des Getäfels die Spur entdeckt. »Da ist ein Ring eingesenkt und hier ist das Schloß!«
»Brauche die Axt, Enrico, als gälte es Dein Leben!«
Der Andere sah ihn mit flammendem Blick an. »Besseres stählt meinen Arm, Capitain! die Gewißheit der Rache!«
Vor seinen wüthenden Schlägen sprangen die Planken - wenige Augenblicke und das Schloß der Fallthür zersprang und die Axt hob die schwere Last in ihren Angeln. Eine viereckige Oeffnung gähnte ihnen entgegen, die Stufen einer Treppe führten hinab - Lichtschimmer glänzte aus der Tiefe.
»Mein Bräut'gam war ein schöner Mann,
Er saß gar stolz zu Roß!
Am hohen Fels von Karnogan
Da steht sein gold'nes Schloß!«
tönte es in der melancholischen Melodie einer irischen Volksballade herauf, und die zitternden Töne klangen so deutlich und traurig, daß selbst der wilde Uskoke erschüttert zauderte.
Im nächsten Augenblick aber hatte er den Eindruck überwunden und sprang die Stufen hinab, von Narika gefolgt, während der Mann, den er mit dem Namen Enrico benannt, auf seinen Befehl an der Fallthür zurückblieb.
Der Anblick, der sich dem Uskoken und der Kashmirerin bot, wirkte noch erschütternder, als der seltsame Gesang, den sie gehört.
Der Raum, in den die Treppe mündete, war ein unterirdisches Gewölbe von runder Form. Die Mauern waren mit weichen Bastmatten ausgeschlagen, die das Geräusch dämpften und zugleich einige vergitterte Oeffnungen in der Höhe bargen, durch welche die nöthige Luft in dies Gemach gelangte. Eine eiserne Lampe hing in Ketten von der Decke und verbreitete ihren trüben Schein über den noch trübern Aufenthalt.
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Auf dem Boden in der Mitte dieses Raumes auf einem Haufen Reisstroh kauerte eine weibliche Gestalt in reicher, aber jetzt von der Feuchtigkeit, die während der Regenzeit das Erdreich und so auch das unterirdische Gewölbe durchdrungen hatte, modernder, zerstörter und an mehreren Stellen zerrissener orientalischer Kleidung.
Ein Blick in das hagere, hohle Antlitz der armen bleichen Gefangenen zeigte aber sogleich, daß eine kältere Sonne als die des Orients dem Lande ihrer Geburt geleuchtet haben mußte. Ihr langes blondes Haar von wunderbarer Farbe hing fessellos in ungeregelten Strähnen und Locken um ihren Kopf und bedeckte mit seinen Spitzen den Boden.
Das Gesicht, mager und eingefallen, zeigte dennoch in seinen Contouren den ganzen Reiz celtischer Abstammung, aber der ängstlich leidende Ausdruck der einst so schönen und kühnen Augen, die hohl unter der Stirn hervorschauten, gab ihm jetzt etwas entsetzlich Gespenstiges.
Die junge Frau wiegte singend im Takt den Kopf, als sie aber den Mann und das Mädchen eintreten sah, streckte sie ihnen mit einem Schrei die hageren Hände wie zur Abwehr entgegen.
»Rührt mich nicht an! rührt mich nicht an!« bat sie mit ängstlichem Ton. »Wißt Ihr nicht, daß ich die Tigerbraut bin? - Barmherziger Gott, er wird Euch und mich zerreißen! - Thut keinen Schritt weiter - ich rufe den Nena!
»Und kommt er nicht mehr zurück?
Und kommt er nicht mehr zurück?
Er ist todt, o weh!
In Dein Todesbett geh,
Er kommt ja nimmer zurück!«80
Der rohe Uskoke schauderte. »Sie ist es - wir können nicht zweifeln. Aber beim Acheron - hier ist traurigeres Unheil noch, als wir gefürchtet.«
Narika hatte zwar die englisch gesprochenen Worte des unglücklichen Wesens vor ihnen nicht verstanden, aber sie begriff das Entsetzliche.
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»Allah hat ihre Seele mit Nacht bedeckt,« sagte sie. »Was auch ihr Loos hier gewesen - sie gehört zu den Unschuldigen.«81
»Ihr seid gut - Ihr seid keine Faringi - ich kenne Euch!« flüsterte die junge Frau. »Sagt nicht der Glaube Eures Landes, daß die Flammen den Leib rein brennen zu neuem Leben? - Ich will rein sein, ich gehöre ihm allein! Wo ist die Sotti - ich höre die Flammen knistern.«
»Mylady ermannt Euch! Wir sind hier, Euch zu befreien. Das Haus steht in Brand, wir müssen flüchten.«
»Seht Ihr - wie er in die Arena springt - das Eisen flammt in seiner Hand - meine Seele war die seine - er ist gerettet! - Hei - ich bin die Tigerbraut - aber ein anderer Tiger hat mich gefaßt - er reißt die Kleider von meinem Leib - er erstickt meine Stimme - Nena, rette Dein Weib!
Der Räuber fröhnt der Lust und dann
Höhnt er das Liebchen fein,
Jetzt magst Du, Held von Karnogan,
Die Buhlerin Dir frei'n.«
»Herauf, herauf! ich höre die Signale der Soldaten,« tönte von oben her der Warnungsruf des Laskaren.
»Wir müssen Gewalt brauchen,« murmelte der Uskoke, als die Unglückliche vor seiner Annäherung aufspringend floh und ein Augstgeschrei erhob. »Bei dem Namen Eures Bruders, Mylady, wir sind Freunde und kommen, Euch zu retten. Eduard O'Sullivan -«
Die Unglückliche sprang auf ihn zu. »Eduard sagst Du? - Wer schrieb den Brief? - Barmherziger Gott, der Brief!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht - diesen Augenblick nahm der Albanese war und hob sie in seinen Armen empor. Sie leistete keinen Widerstand, nur ein leises Wimmern drang aus ihrer keuchenden Brust.
So trug er sie die Treppe hinauf. Feurige Gluth umgab den Pavillon, an dem leichten Holz der Wände des verbindenden Ganges leckte bereits die tausendzüngige Flamme in die Höhe -
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der Kiosk, dessen üppige Pracht sie vor wenig Minuten verlassen hatten, krachte zusammen und begrub das Angstgeheul der Aya.
Von der Front des brennenden Bungalow her rasselten die Trommeln der anrückenden Militairwache, die den Pöbel durchbrach, tönte das Kommando, der Ruf der Pompiers.
»Nimm sie in Deine Arme, hülle ihr Haupt in den Shawl, Mädchen!« befahl der Rais, »und nun mir nach!« Er entriß die Axt seinem Gefährten und drang zurück in den Rauch und die Flammen. Sein jüngerer Gefährte, die Gerettete auf seinen Armen, folgte ihm, hinter diesem die Odaliske.
»Hier - hier hinaus! Springt hinab!« Der Uskoke gab ihnen das Beispiel und sprang durch die durchbrochene Jalousie in den Garten. Im nächsten Augenblick flohen sie durch die Gebüsche nach der Mauer zu, die den Garten nach der Seite des Flusses umgab.
Jetzt hatten sie die Mauer erreicht, durch welche eine Pforte in's Freie führte. Der Albanese wollte sich eben ihr nähern, um mit Gewalt sie zu öffnen, als sie von Außen her aufgeschlossen wurde und der Resident in Begleitung des Lancier-Capitains Mowbray und einiger Diener in den Garten stürzte.
Die Nachricht von dem Brande seines Hauses hatte ihn bei dem Fest des Gouverneurs getroffen; - wüthend über das Unheil, das sein ränkevoller Geist sofort nicht als Zufall, sondern als das Werk eines Feindes betrachtete, war er nach der Brandstätte geeilt und betrat dieselbe jetzt, statt sich durch die Volksmenge am vordern Eingang zu drangen, mit seinem Vertrauten von der Gartenseite.
Sein Blick hatte sofort die Laskaren und die Last entdeckt, die der Jüngere trug.
»Steht, Diebe! - nieder mit dem gestohlenen Gut! Bewacht die Thür, daß sie nicht entwischen können!«
Der Uskoke warf sich, die Axt schwingend, die er noch in der Hand trug, gegen den Capitain und die Diener, und erreichte die Pforte, durch die er Narika in's Freie stieß, dann sie offen haltend für den Gefährten, indem seine schwere Waffe die Gegner in respektvoller Entfernung hielt.
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Jenem hatte sich unterdeß der Resident entgegengeworfen und ihn am Arm gefaßt.
»Was trägst Du hier, Schurke?«
»Die Rache für die Todten!«
Die Hand des Residenten riß den großen, verhüllenden Schleier herab, in den Narika die unglückliche Gefangene gehüllt. Von ihrem bleichen, hagern Gesicht hob sich sein Auge voll Furcht auf das Antlitz ihres Retters.
Zwei funkelnde Augen blitzten ihm entgegen im Schein der nahen Feuersbrunst.
Wie von dem Zahn einer Schlange getroffen, fuhr er jäh zurück.
»Hendrik Prätorius!82 - Verflucht!«
Der unglückliche Geliebte der geopferten Luise hob mit grellem, wildem Hohnlachen die leichte Gestalt der Wahnsinnigen wieder in die Höhe. »Kennst Du mich jetzt? Dann weißt Du, warum ich diese aus den Flammen geholt, Bösewicht! Deine Stunde ist nahe!«
Und an dem unwillkürlich Zurückweichenden vorüber sprang er vorwärts und erreichte mit seiner Last die Pforte.
»Auf Wiedersehn, Capitain Rivers!« scholl die Stimme des Todfeindes - dann fiel die Thür krachend in's Schloß und die Flüchtigen waren mit ihrer Beute glücklich entkommen.


Der Südwind blähte helfend das dreieckige Segel einer Praua, die mit aller Kraft von sechs Ruderern stromaufwärts getrieben ward.
Am Steuer stand der junge, aus seiner Heimath vertriebene Boor, jetzt der erste Maat oder Gehilfe des albanesischen Corsaren auf den indischen Gewässern, während an das niedere Bollwerk des Fahrzeuges gelehnt der Schiffsherr selbst mit Tantiah-Topi oder Tukallah, dem Mahratten-Sirdar, und dem graubärtigen Fakir, der dem Nena im Hain die Rückkehr der Geliebten verkündet und bei dem Brande das Volk angeredet hatte, die Gruppe am Fuß des kleinen Mastes des Fahrzeugs mit schweigender Trauer betrachtete.
Am Fuß des Mastes saßen zwei Frauen: das Mädchen aus
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Kashemir, und die Gattin des Nena, das bleiche Haupt an Jener Brust gelehnt und mit glanzlosen Augen vor sich hinstarrend.
Vor den beiden Frauen aber hockte, in einen weiten arabischen Mantel gehüllt, ein Mann.
Sein Gesicht war noch jung, obschon hohl und eingefallen, und bekundete den Europäer, aber sein verwilderter Bart und sein Haar waren vollständig ergraut.
Aus diesen todten, glanzlosen Augen sprach, wie aus denen der unglücklichen Irländerin, der Irrsinn.
»Das ist schön, daß Du wiedergekommen bist, Helene,« murmelte der Mann, - »ich glaubte schon, die böse Schlange habe auch Dich gefressen wie mich und den kleinen Eduard. Wenn ›Rookeby‹, mein edles Pferd, wieder bei Kräften ist, wollen wir auf und davon, wie Du gesagt hast, zu Lady Margareth, der schönen Gattin des großen Nena von Bithoor. Sie wird uns beschützen vor unseren Feinden, der Schlange und Deinem Gatten. Hei! wie wird er uns vergeblich suchen. ›Rookeby‹ ist ein schnelles Roß!«
Er kicherte vor sich hin, gleich als freue er sich über den Zorn des betrogenen Gatten, und haschte nach der Hand Derer, deren heller Stern erloschen war in entsetzlichem Schicksal gleich dem seinen.
»Fürchte Dich nicht vor den fremden Leuten,« flüsterte er weiter, sich vorwärts beugend, - »die Männer aus Hindostan sagen zwar, Lionel sei krank und schwach, aber sie thun uns Nichts zu Leide. Nur die Engländer sind unsere Feinde - aber wir haben ›Rookeby‹, mein edles Pferd, und spotten ihrer!«
Selbst in den Irrträumen des Wahnsinns gedachte der Unglückliche des treuen Thiers.
Die Gattin des Nena blickte ihn starr an. »Du bist nicht Laertes, mein Bruder! Auch nicht Eduard - der Furchtbare hat mir gesagt, daß Eduard todt ist. Die Tiger verschlingen alle O'Sullivans.«
Der Irre lächelte und nickte stillfreundlich vor sich hin. »Du hast Recht, Kind, ich bin längst todt. Die Schlange hat mich gefressen und Dich der Tiger. Es war doch schön, als wir noch jung und tugendhaft waren.«
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Wild faßte sie seinen Arm und blickte ihm mit fieberhafter Gluth in's Auge.
»Tugend? Weißt Du nicht, daß Frauentugend die Treue ist, hartherziger Engländer? Mordest Du die Treue mit Deinem Gift, das die Sinne und Glieder betäubt und willst von Tugend reden?
               Hitze trockne
Mein Hirn auf, Thränen, siebenfach gesalzen
Brennt meiner Augen Kraft und Tugend aus!
Wo ist die Weide? wo ist der Kranz? Das entehrte Weib gehört in's Wasser oder in's Feuer!«
»Furchtbares Schicksal!« sagte der Derwisch zu seinen Gefährten - »es wird sein Herz brechen, das so sehr an ihr gehangen!«
»So ist es die Strafe dafür, daß sie ihm mehr galt als Heimath und Glauben. Fluch seiner Gleichgiltigkeit gegen das Wehe des eigenen Landes! Wer Schmach säet, der wird die Schmach ernten.«
»Doch wird er den Schlag ertragen? - Wird er sein, was wir von ihm hoffen?«
»Wenig kennst Du den Nena, wenn Du fürchtest, die Wunde, die man ihm geschlagen, werde seine Kraft erlahmen. Wenn die Tigerin ihr Junges rächt, schwillt die Kraft ihrer Muskeln. Schiwa, der Zerstörer hat den Geist dieses Weibes genommen, damit der des Mannes frei werde von den Fesseln, die ihn banden. Wie die Mine zerstörend emporflammt, wenn der Funke das Pulver berührt, so wird die Rache des Maharadschah Alles verderben, dem er bisher angehangen.«
»So möge es sein, wie traurig auch das Schicksal der Aermsten ist,« meinte der Derwisch. »Wir brauchen seinen Namen und seine Schätze, um das Duab und das Audh in Flammen zu setzen. Wird Nichts den Weg verrathen, den wir zu ihm genommen?«
»Wenn die Flucht des Sikh-Prinzen gelungen, muß der Nena längst nach Bithoor zurück sein. So groß auch die Macht und die Bosheit des Faringi ist, er darf es nicht wagen, sein Opfer in das Haus des Nena zu verfolgen, und wenn der Morgen
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graut, wird diese Praua unter den tausend ähnlichen Schiffen verborgen sein, die den heiligen Strom bedecken.«
»Ich spotte ihrer Verfolgung,« sagte der Uskoke. »Viele Mittel hab' ich, ihre Augen zu täuschen; doch seht, dort schwimmen die Lichter von Bithoor, und jene dunkle Masse, die sich über die Wipfel der Tamarinden erhebt, ist der Palast des Maharadschah. Herum mit dem Steuer, Enrico, und wende das Schiff nach dem Ufer. Soll ich das Zeichen geben?«
Der Sirdar bejahte und im nächsten Augenblick zischte eine Rakete von der Praua in die Höhe und ließ hoch am Himmelsbogen ihre blauen Sterne durch das Dunkel schwimmen.
Sogleich antwortete vom Ufer her das Aufsteigen einer andern Rakete mit rothem Licht.
»Baber-Dutt ist auf seinem Posten,« erklärte Tukallah - »lege die Praua an der Stelle gegen das Ufer, Freund, wo das rothe Licht leuchtet und laß das Boot in Bereitschaft setzen, Dein Werk ist gethan und die Rani soll erfahren, daß es gut gethan wurde.«
Der Derwisch war, während das Boot wendete, zu den beiden Unglücklichen getreten und auf sein ernstes und strenges Gesicht lagerte sich ein tiefes und inniges Mitleid.
»Arme Wesen - unglücklich durch eigne und fremde Schuld,« murmelte er - »muß Euer Elend zum Mittel werden, die Freiheit zu fördern? Welch' schreckliche Saat wird aus dem Schrecklichen entspringen! - Ja Fluch, Fluch ihnen, deren Härte und deren Egoismus Euer Verderben herbeigeführt! Fluch ihnen, die mir selbst das Herz erhärtet gegen solches Elend und mich hinausgetrieben haben in einen Kampf, in dem Pein und Entsetzen zum täglichen Brod, und die Qualen der Unschuldigen zum Spiele der Leidenschaften geworden sind. Die Dämonen sind entfesselt - aber wehe! ich zweifle, daß dies die Hand ist, der sie gehorchen werden!«
Und die Stirn an den Mast gelehnt, horchte er traurig auf den leisen Gesang der Irren vom Ritter von Karnogan, dem der tückische Feind die Braut entführt und entehrt, während die Praua unfern des Bithoor-Palastes Anker warf.
In dem großen Gemach des Bungalow, in dem bei Beginn
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des Festes der Wasserlichter - dessen nächtlicher Jubel noch immer die Stille der Nacht unterbrach - der Nena mit seinen Getreuen der Stunde des Aufbruchs entgegen geharrt, befanden sich fast dieselben Personen wieder versammelt, nur daß statt Murad Khans die Gestalten zweier Frauen seine Stelle auf dem Divan eingenommen: Mahe Tschund, die entthronte Königin von Lahore und ihre Tochter.
Bleiern waren die Stunden bangen Harrens ihnen verflossen, bis die Rückkehr des Nena ihnen Kunde gebracht, daß der Khan mit dem Befreiten bereits weit auf dem Wege nach Audh sei. Die stolze hohe Frau wollte sich zu den Füßen des Maharadschah werfen, aber dieser lehnte jeden Dank ab, und als das junge liebliche Mädchen mit Thränen der Freude seine Hand an ihre Stirn, an ihre Brust und Lippen führte, leuchtete ein Strahl warmen Mitgefühls aus seinem Auge und quollen Worte der Ermunterung und der Hoffnung von seinem Mund.
Der Geist des Maharadschah war auch, nachdem die Aufregung des nächtlichen Abenteuers vorüber, noch immer erregt und unruhig, denn die seltsame Begegnung auf der Straße nach Cawnpur und das geheimnißvolle Versprechen des Fakirs ließ ihn nicht in den Zustand stumpfer Leiden zurückversinken, der so lange seinen kräftigen Geist umnachtet.
Man hatte die weiteren Schritte berathen, und es war beschlossen worden, daß am nächsten Morgen die beiden Frauen verkleidet unter dem Schutz einiger Jäger des Maharadschah aufbrechen und die Straße nach Audh einschlagen sollten, um dort mit Dhulip Singh zusammen zu treffen. Unter der Menge der von dem Fest an den Ufern des heiligen Flusses Heimkehrenden war keine Gefahr vor Entdeckung zu besorgen und nachdem der Nena seine genauen Befehle ertheilt und bei den Frauen nochmals sich entschuldigt hatte, daß er sie ihrer eigenen Sicherheit halber nur ohne alles ihrem Range gebührendes Ceremoniel habe bei sich aufnehmen können, war er im Begriff, sie selbst durch den Garten des Bungalow nach den Gemächern zurückzugeleiten, die sie heimlich seit mehreren Tagen in dem jetzt so öden Palast bewohnten, als plötzlich drei Schläge an die Thür, die nach der Veranda des Kanals führte, seinen Fuß an den Boden fesselten.
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Der erste Gedanke war Verrath und Ueberraschung, da keiner der Wächter das Nahen Fremder verkündet hatte, und die Hand des Nena fuhr nach dem Säbel an seiner Seite. Bald aber hatte er seine Ruhe und Entschlossenheit wieder gewonnen, und seiner Umgebung winkend sich ruhig zu verhalten, näherte er sich selbst der Thür.
»Wer wagt es, zu dieser Stunde die Ruhe des Maharadschah von Bithoor zu stören?«
»Freunde des Peischwa!«
»Die Worte sind leicht auf der Zunge der Menschen. Freunde sind selten und sie kommen beim Lichte des Tages!«
»Der Peischwa weiß,« entgegnete die Stimme des Einlaßbegehrenden, »daß Freunde auch ungerufen im Dunkel der Nacht erscheinen. Er selbst hat es erfahren an diesem Abend unter dem Schatten der Tamarinden auf dem Weg nach Cawnpur. Er möge uns öffnen und das Geschenk entgegennehmen, das seine große Freundin von Jhansi ihm sendet.«
Der Nena erbebte. Er erkannte die Stimme, und die Worte, die der verkleidete Fakir vor wenig Stunden auf dem Wege nach Cawnpur zu ihm, gesprochen, erfüllten seine Seele.
Unwillkürlich fühlte er, daß er an der Schwelle eines wichtigen Ereignisses stehe. In seiner Brust kämpften Angst und Glück - erst nach einigen Augenblicken, die ihm Jahre dünkten, hatte er die Fassung gewonnen, zu handeln.
Er trat einen Schritt zurück, in die Mitte des Gemachs, während Aller Blicke an ihm hingen und die ungewohnte Aufregung in seinem Wesen beobachteten.
Dann streckte er die Hand aus nach der Thür und befahl mit gepreßter Stimme:
»Oeffnet!«
Die Thür flog auf - zwei Männer erschienen in ihrem Rahmen, eine ganz von einem weiten indischen Shawl verhüllte Gestalt in ihrer Mitte führend; hinter ihnen erblickte der Nena das ernste und traurige Antlitz eines Dritten: Baber-Dutt's, seines Bruders, den er während mehrerer Tage nicht gesehen.
Die beiden Männer waren Tantiah Topi, der Mahratten-Sirdar - sein Gastfreund auf der Burg Malangher - das
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Haupt der Verschwörung gegen die Faringi, und der geheimnißvolle Derwisch.
Der Nena erzitterte - das Blut schien aus seinen Adern zu verschwinden, als sein Auge auf der verhüllten Gestalt in ihrer Mitte ruhte.
Die seltsame Gruppe trat vor in das Gemach und blieb wenige Schritte vor dem Herrn des Hauses stehen.
Auf einen Wink Baber-Dutt's schloß Gibson die Thür, durch welche sie eingetreten und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
»Sei willkommen, edler Sirdar, Du und Deine Begleiter in dem Hause Srinath Bahadur's,« sagte der Nena mit zitternder Stimme, »möge Lakschmi, die Göttin des Glückes, Deinen Eintritt über diese Schwelle begleiten!«
Man sah bei dem Ton seiner Stimme die verhüllte Gestalt erbeben und dann vernahm man durch die Decke des Shawls ein leises Singen, wie das Zirpen einer Grille im Grase:
»Mein Bräut'gam war ein schöner Mann,
Und saß gar stolz zu Roß!
Am hohen Fels von Karnogan ...«
Die Augen des Nena erweiterten sich und begannen jenen furchtbaren, geheimnißvollen Ausdruck anzunehmen, den sie im Kampf gegen den Tiger und am Sarkophag in der Pagode Schiwa's gezeigt, als die Verschworenen ihn hindern wollten, sie zu verlassen.
»Bei der Dreieinigkeit der Götter - rede, Mann, was soll jene Gestalt bedeuten - was bringst Du mir?«
»Das Geschenk der Rani von Jhansi, das Dich zum Manne machen soll. - Nur Du allein hast das Recht, diese Hülle zu heben.«
Der Nena trat hastig auf sie zu - in dem Maße, als er sich näherte, wichen der Mahratte und der Derwisch zurück und er stand allein in der Mitte des Gemachs vor der verhüllten Gestalt.
»Jetzt magst Du stolzer Karnogan
Die Buhlerin Dir frei'n!«
»Capitain Ochterlony,« sagte der Maharadschah zagend,
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»bei der Mutter, die Sie geboren - bei dem Gott, zu dem Sie beten - geben Sie mir Antwort - was soll dies Alles bedeuten?«
»Muth, Prinz - sehen Sie selbst und - seien Sie ein Mann, der das Unvermeidliche zu tragen versteht.«
Als hätte er einen verzweifelten Entschluß gefaßt, ergriff die Hand des Maharadschah hastig den Shawl und riß ihn herab.
Starr, einer Marmorstatue ähnlich, das hohle Auge ausdruckslos umherschweifend, stand die Gestalt der Irländerin, ohne sich zu rühren, auf der Stelle, wo ihre Führer sie hingestellt.
»Margarethe!«
Der Schrei des Maharadschah zuckte so grell durch das Gemach, daß Schauder durch die Adern der Hörer bebte.
Er schlug an das Ohr der Frau, der es galt, und eine leichte Röthe zeigte sich auf ihren Wangen. Dann wandten sich ihre Augen auf den Mann, der sie so unendlich geliebt, und ein ängstliches, verlegenes Lachen entstellte ihr abgehärmtes Gesicht.
»Ich bitte Dich, Freund,« sagte sie im Flüsterton, »sprich dem Nena nicht davon, daß Margaretha's Bruder sie in's Verderben gelockt und daß sie das Bett eines andern Mannes getheilt hat. Der Nena hat eine böse Natur - ich kenne ihn - sie schläft nur unter der Liebe zur schönen Margareth' und könnte uns Alle vernichten!«
»Margarethe - Weib - Geliebte meiner Seele - kennst Du mich nicht?«
»Ophelia hat ihren Kranz zerrissen, Hamlet, der Dänen-Prinz, mag sie nicht. Und dennoch
        er liebt Ophelia, vierzigtausend Brüder
Mit ihrem ganzen Maß von Liebe hätten
Nicht seine Summ' erreicht!«
Der Nena wischte den kalten Schweiß von seiner Stirn - die Farbe seines Angesichts war fahl - das erst so blitzende Auge irrte stier, gleich dem des unglücklichen Wesens vor ihm, umher von einem zum andern.
Es war so todtenstill im Gemach, daß man das steigende Keuchen seiner Brust hörte.
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»Baber-Dutt - mein Bruder - sprich zu mir. Ende das Spiel - -«
»Husch! husch! Da läuft sie hin, die Treue, als hätte sie tausend Beine. Ich weiß es wohl, es war Feuer in meinen Adern und Blei in meinem Gehirn, als ich sie brach - aber der Nena wird's nicht glauben. Ich bitte Dich, sag' ihm Nichts davon, vom falschen Verwalter, der seines Herrn Tochter stahl.«
»Erbarmen! Erbarmen! - Aeffen mich die Dämonen? Ist dies das Weib meines Herzens? Ist sie -«
Die Hand des ehemaligen Parlamentsmitgliedes legte sich auf seine Schulter. »Gott im Himmel weiß allein, was uns frommt. Seine Hand hat die Schleier des Wahnsinns über die Verzweiflung dieser Aermsten gedeckt.«
Ein dröhnender Schall - der Maharadschah stürzte zu Boden - Alle eilten hinzu, ihm beizustehen.
In diesem entsetzlichen Augenblick vernahm man ein neues heftiges Klopfen am Eingang des Bungalow und gleich darauf öffnete sich eine der inneren Thüren und Ralph, der Bärenjäger, der am Thore die Wache gehabt, trat hastig ein.
»Wo ist der Maharadschah?«
Mac-Scott, Gibson und die Rani knieten neben dem anscheinend Bewußtlosen und rieben seine Schläfe und seine Stirn mit Essenzen, während Mahana, das junge unschuldige Mädchen, obschon sie nur wenig von der schrecklichen Scene verstanden hatte, der armen Wahnsinnigen sich näherte, und indem sie ihre Hand ergriff, sie zum Divan zu führen versuchte.
Capitain Ochterlony machte seinem finstern Gefährten Vorwürfe, daß er darauf bestanden, dem unglücklichen Fürsten so ohne alle Vorbereitung das Schreckliche zu verkünden.
»Wo ist der Maharadschah?« wiederholte der Riese die Frage.
Baber-Dutt trat ihm entgegen. »Siehst Du nicht, Mann, daß der Nena erkrankt ist? Was willst Du von ihm? was ist geschehen!«
»Ein Läufer von Cawnpur bringt dies Blatt. Er sagt, es gälte Tod und Leben!«
Baber-Dutt riß das Papier auf. Es enthielt eine einzige Zeile:
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»Die Geier folgen dem Fluge der Schwalbe in das Nest des Adlers!«
»Tod und Verdammniß über die rothröckigen Schurken! Was ist zu thun?«
In diesem Augenblick erhob sich der Maharadschah. Sein Aussehn glich dem eines Todten, aber sein Auge starr, fest und unheimlich, zeigte, daß er jetzt vollkommen wieder Herr seiner Sinne war.
Ohne ein Wort zu sprechen, stieß er ruhig die Personen zurück, die ihn helfend umgaben und stand auf.
Das Aeußere des Nena zeigte sich in diesen wenigen Augenblicken vollständig verändert.
Er war zehn Jahre älter geworden.
Zwischen den Brauen lag eine tiefe Falte furchtbarer, unheilverkündender Entschlossenheit. Um den Mund tiefte sich ein häßlicher böser Hohn, ein Ausdruck grausamer Gier, der die Oberlippe hob, und die spitzen weißen Zähne gleich dem Gebiß eines Raubthiers erscheinen ließ.
Die Augen waren, wie bereits gesagt, starr und fest, aber man sah, daß das verschleierte Feuer der Leidenschaft jeden Augenblick durch die Hülle brechen könne.
Der Nena glich einem Tiger, der sich von dem Ruf der Jäger getroffen, von seinem Lager erhebt, um den Feinden entgegen zu gehen.
Niemand wagte ihn anzusprechen, jeder unterlag dem Eindruck dieser so schrecklichen Veränderung.
Langsamen Schrittes trat der Maharadschah zu der Irren, hob sie in seinen Armen empor und trug sie zu den Kissen des nächsten Divans, auf die er sie sorgsam niederlegte, indem er sie, wie die Mutter ein Kind, in den weiten Shawl einhüllte.
Ruhig, ohne Bewegung, nur ihre wirren Lieder leise vor sich hin summend, ließ die Unglückliche Alles mit sich geschehen.
Baber-Dutt fühlte, daß jeder Augenblick kostbar war. »Mein Bruder,« sagte er, indem er auf den Nena zutrat, - »dieser Brief ...«
Der Maharadschah winkte ihm mit der Hand Schweigen. »Ich weiß - ich hörte es. - Mac-Scott, die Thore des Gitters
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geöffnet, daß die Faringi-Häscher kein Hinderniß finden! Cordillier, sorge dafür, daß alle Leute sich zurückziehen, aber bewaffnet in der Nähe bleiben, um auf das erste Zeichen zum Kampf bereit zu sein. Nichts darf verrathen, daß wir benachrichtigt sind. Ralph und Adlerblick werden diese Thüren bewachen und Niemandem, der dies Gemach betritt, ohne meinen Befehl es zu verlassen gestatten. - Hoheit, ich weiß nicht, wie weit der Verdacht der Faringi sich erstreckt. Du und die Prinzessin werden hier in meiner unmittelbaren Nähe sicherer sein, als in Euren Gemächern. Aber es ist nothwendig, daß Ihr als die Dienerinnen des Hauses erscheint und Euch mit dieser Unglücklichen zu schaffen macht.«
Die entthronte Königin begriff sofort die Zweckmäßigkeit des Rathes und mit der Gewandtheit einer Frau, die an Gefahren gewöhnt ist, entfernte sie aus ihrer und ihrer Tochter Kleidung verschiedene Gegenstände, die Verdacht hätten erregen können, und ordnete Turban und Schleier nach der einfachen Art der niederen Hindufrauen.
Der Mahratte wendete sich jetzt zu dem Nena, der alle diese Befehle so ruhig und sicher ertheilt hatte, als wären seine Nerven von Eisen, als hatte nicht eben der entsetzliche Schlag seine Seele in ihren Tiefen zerrissen.
»Was beschließest Du über uns? Sollen wir fliehen oder uns verbergen?«
»Keiner, der als Gast die Schwelle Srinath Bahadurs überschritten, hat hier zu fürchten. Wie seid Ihr hierher gekommen, mit - mit jener dort?«
»Auf dem Ganges in der Praua eines arabischen Rais, unsers Vertrauten. Dein Bruder erwartete uns.«
»Wo ist das Schiff und das Boot, das Euch brachte?«
»Das letztere ist zurückgekehrt zur Praua. Diese liegt in einiger Entfernung vom Ufer, gegenüber dem Bungalow und soll uns morgen den Strom hinauf führen.«
Der Nena hatte die Hand des verkleideten Derwisch ergriffen, der mit Erstaunen und Theilnahme das Gebahren des Hindufürsten, die erhabene aber mehr noch furchtbare Entwickelung dieses Charakters verfolgte.
»Freund meines Freundes,« sagte er mit fester Stimme, -
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»ich bitte Dich, wäge die Worte, die Du sprichst, ehe Du meine Frage beantwortest, denn das Schicksal von Tausenden hängt an dem Hauch Deines Mundes. Wo fandet Ihr das Weib Srinath Bahadurs, des Maharadschah von Bithoor?«
»Bei dem Gotte der Christen! bei meiner Ehre! in dem Harem eines der Tyrannen Deines Landes, eines Engländers, der sie entführt und entehrt. So wenigstens lassen die Klagen ihres zerstörten Geistes glauben.«
Die Augen des Bahadurs schlossen sich einen Moment. Der Capitain sah, wie Schweiß sein bleiches Gesicht bedeckte, wie die krampfhaft geballte Faust erzitterte.
Dann zuckte es durch diesen Leib wie das gewaltige Ringen nach Fassung, sein Auge öffnete sich und suchte umher.
»Baber-Dutt!«
»Was befiehlst Du, mein Bruder?«
»Sind die Ruder in der Barke an der Wasserpforte?«
»Ich werde dafür sorgen.«
»So geh' und wirf Dich in den Strom. Schwimm nach der Praua dieser Männer und befiehl dem Rais, seine Anker zu lichten und stromaufwärts zu fahren ohne einen Augenblick der Zögerung, eine Stunde weit bis zur Stelle, wo die Sandbank von Osten weit hinaus in den Fluß tritt. Du bleibst auf dem Schiff. Erhält der Rais bis morgen eine Stunde nach Sonnenaufgang keine Nachricht, so möge er zurückkehren an das Ufer von Bithoor. Geh' - und Niemand erblicke Dich auf Deinem Wege.«
»Er ist gefährlich - die Krokodile ...«
Der Bahadur lächelte verächtlich. »Die Krokodile werden es nicht wagen, den Boten des Tigers von Bithoor anzutasten. Geh und thue, wie ich Dir befahl.«
Und sich wieder zu dem Capitain wendend, während Baber-Dutt das Gemach verließ, fragte er:
»Den Namen des Faringi! sage mir den Namen!«
»Du mußt sein Haus in Flammen gesehen haben, ehe Du Cawnpur verlassen hast, angezündet von der Hand der Rächer, um Dem Weib zu befreien.«
»Rivers - der Resident?«
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Der Capitain nickte schweigend.
»Rivers, der Freund und Gefährte ihres und meines Bruders? Der Haß spricht aus Dir und jenem finstern Mann dort! Nimmer hätte es der Faringi gewagt, seine Hand an das Weib Srinath Bahadurs zu legen!«
»Rivers selbst trieb den Unglücklichen zum Kampf mit dem Tiger, um ihn von der Schwester zu entfernen.«
Der Nena preßte die geballten Hände an die pochenden Schläfe. »Du lügst! Du lügst! Er war der Erste, welcher den Tod O'Sullivan's beklagte!«
»Die Gräber werden sich öffnen, Dir die Wahrheit meiner Worte zu beweisen. Zwei Menschen hat jener Mann lebendig begraben - den Bruder und die Schwester! Aber die Hand Gottes hat sie erhalten zu rächenden Zeugen von dem Verbrechen der Tyrannen Indiens!«
Der Nena starrte ihn verwirrt an: »Eduard O'Sullivan!«
»Er ist todt und dennoch lebendig!«
»Und sie - sie -«
»Der Rais der Praua, und ein Mann, dem der Verbrecher im fernen Lande gleichfalls die Braut geraubt, holten sie aus dem unterirdischen Kerker seines Harems vom faulenden Stroh, wo das Opfer seiner Lüste begraben war, um nimmer wieder das Tageslicht zu schauen und die Rächer zu rufen.«
»So sei er verflucht! verflucht! und mit ihm das Volk, das ihn geboren! Das Kind im Leibe der weißen Mutter soll büßen für die Thaten seines Erzeugers! Der Strom des Jammers soll über ihre Geschlechter kommen und sie vertilgen vom Angesicht der Erde! Die Dunkeläugige soll ihre Seelen zerreißen und sie tauchen in den dunklen Strom der Vernichtung! Mögen die Geister meiner Väter Schmach häufen auf das Gedächtniß Srinath Bahadurs, wenn der Tiger von Bithoor nicht badet in einem Meer weißen Blutes! Fluch und Tod den Faringi!«


Vor dem Bungalow rasselte der Hufschlag vieler Pferde, Waffen klangen, das Kommando eines britischen Offiziers - - -

Schlange und Tiger.

Die Frauen erbebten bei diesen kriegerischen Tönen, die ihnen eine drohende Gefahr verkündeten; selbst die Männer wechselten die Farbe. Außer dem Nena waren jetzt nur der Sirdar und der Derwisch, Mac-Scott und die beiden zu Wächtern der Thüren Bestellten: der Bärenjäger Ralph und der Kanadier Adlerblick in dem Gemach.
Die drohend gen Himmel geballte Hand des Bahadur sank langsam nieder - das Feuer seiner Augen erlosch zu der gewöhnlichen Schlaffheit, ja nahm einen häßlichen Ausdruck an, und ohne eine Spur von dem Sturm von Leidenschaft zu zeigen, der so eben noch das innerste Mark seines Lebens erschüttert, als ob er einen willkommenen Freundesbesuch erwarte, wandte er sich nach der Thür, die so eben geöffnet wurde.
»Der Subadar-Sahib Mowbray und der Jemedar-Sahib Sanders aus Cawnpur wünschen Seine Hoheit den Maharadschah zu sprechen,« meldete die Stimme Gibson's. Die genannten beiden Offiziere traten ein und hinter ihnen, ehe die Thür sich schloß, vernahm man das Klirren von Säbelscheiden auf dem Marmorboden des Vorzimmers.
»Seien Sie mir willkommen, Sahibs! Der Palast von Bithoor hat leider lange das Vergnügen entbehren müssen, die englischen Freunde seines trauernden Herrn in seinen Mauern zu sehen.«
Die Offiziere verneigten sich höflich. Die Blicke Mowbray's
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musterten aufmerksam das Gemach und die Anwesenden, und blieben mit offenbarem Interesse an der Gruppe der Frauen am Divan hängen.
»Verzeihung, Fürst, daß wir Sie so spät noch stören,« sagte der Lieutenant. »Indeß es geschieht auf Befehl Seiner Excellenz des Gouverneurs. Ein wichtiger Vorfall in Cawnpur heute Abend ist die Ursache.«
»Sie machen mich besorgt, Sir. Indeß ehe ich weiter höre, lassen Sie mich die Pflichten des Wirthes erfüllen. Gibson, sorge für Erfrischungen und - eine leise Ironie leuchtete durch seine Worte - »daß es der Begleitung der Gentlemen an Nichts fehle. Verzeihen Sie, Mowbray, daß ich Sie noch nicht besonders begrüßt. Ich hoffe, Sie waren wohl, seit ich Sie nicht sah, und unser gemeinschaftlicher Freund, der Resident, ist es gleichfalls. Ich bedauere, daß er zu denken scheint, ich rechnete ihm den Tod meines unglücklichen Schwagers zu, während ich doch überzeugt bin, daß er gewiß alles Mögliche aufbot, den wahnsinnigen Kampf zu verhindern.«
»So wissen Sie noch nicht, Hoheit, was Rivers passirt ist?«
»Sie erschrecken mich in der That - wie sollte ich ...«
»Entschuldigen Sie, Fürst, daß ich zuerst meinen amtlichen Auftrag ausrichte,« unterbrach der Ordonnanz-Offizier des Generals das Gespräch. »Es wird Ihnen bekannt sein, daß Dhulip Singh, der junge Prätendent des Thrones von Lahore, in Cawnpur sich als Gefangener befand.«
»Ich erinnere mich, davon gehört zu haben, Sir, er wurde ja wohl von Firozpur vor einigen Wochen dahin gebracht? Das Gerücht traf mich zu einer Zeit, wo ich selbst unter zu schweren eigenen Leiden gebeugt war, so daß ich leider ihrer nicht genug achtete, sonst hätte ich General Wheeler gebeten, mir zu gestatten, den von dem Ehrgeiz seiner Mutter mißleiteten Jüngling besuchen zu dürfen, da er ein entfernter Verwandter von mir ist.«
Die beiden Offiziere wechselten einen Blick mit einander.
»Dhulip Singh,« fuhr der Lieutenant fort, indem er den Maharadschah scharf beobachtete, »ist durch List und Betrug diesen Abend aus seinem Gefängniß in der Citadelle von Cawnpur entflohen, oder vielmehr entführt worden.«
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»Zugleich,« fügte der Lanzier-Capitain hinzu, »ist das Landhaus des Residenten von ruchloser Hand in Brand gesteckt worden und bis auf den Grund niedergebrannt.«
»Um des Himmelswillen - welche schlimmen Ereignisse an einem Abend. Sind die Thäter ergriffen?«
»Noch nicht, aber wir sind ihnen auf der Spur, denn viele Umstände lassen vermuthen, daß die Flucht und der Brand in Zusammenhang stehen und ein Werk der ränkevollen entthronten Königin von Lahore Mähe Tschund sind, die sich wahrscheinlich in der Nähe befindet.«
»Und Sie sind auf der Verfolgung des Flüchtlings oder der Mordbrenner begriffen?« fragte der Indier mit dem Ton naiven Mißverständnisses. »Seine Excellenz soll nicht umsonst auf meine Hilfe gerechnet haben; ich stelle meine wenigen Mittel auf das Bereitwilligste zur Disposition.«
Der junge Offizier erröthete verlegen. »Das nicht, Hoheit - General Wheeler ist von Ihrer Ergebenheit für die Interessen der Regierung überzeugt - nichtsdestoweniger ...«
Die bisher so zuvorkommende freundliche Haltung des Maharadschah wurde stolz und kühl.
»Nun, Sir - ich will nicht hoffen ...«
»Es soll Sie nicht beleidigen, Hoheit, aber - wir sind beauftragt, Erkundigungen bei Ihnen einzuziehen, ob der übelberathene Flüchtling vielleicht bei Ihnen Schutz gesucht, und ...«
»Eine Nachsuchung nach dem Knaben bei mir zu halten, blos weil ich ein Hindu bin und in der Nähe von Cawnpur wohne,« vollendete der Maharadschah kalt. »Bitte, Sir, vollziehen Sie Ihre Befehle. Die Offiziere der Garnison von Cawnpur waren zu oft Gäste in dem armen Hause Srinath Bahadurs, als daß sie seine Räume für eine Durchsuchung nicht genügend kennen sollten.«
»Ich fühle ganz das Unangenehme meines Auftrags, Hoheit,« erklärte beschämt der Offizier, »und wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben ...«
»Sir,« sagte kalt der Fürst, »die Kinder dieses Landes sind schon gewöhnt, ihre Anhänglichkeit und Hingebung an die englische Regierung durch Mißtrauen und Kränkungen vergolten zu
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sehen, als daß sie sich darüber beschweren dürften. Indeß glaubte ich wirklich durch meinen Rang und die Dienste, die ich erwiesen, vor persönlichen Beleidigungen geschützt zu sein. Ich werde mich - sollten Sie nicht etwa den Auftrag haben, über meine Freiheit zu disponiren - morgen früh nach Cawnpur begeben, um General Wheeler mein Bedauern auszusprechen, daß man bei Srinath Bahadur eine Unterstützung der Feinde der Regierung auch nur für möglich halten konnte, um so mehr, als ein mindestens eben so merkwürdiges Ereigniß, wie die Flucht eines Gefangenen oder der Brand eines Bungalow mich bereits hatte beschließen lassen, die Hilfe des Generals und des Residenten morgen zu weiteren Nachforschungen in Anspruch zu nehmen.«
»Darf ich wissen, was Sie meinen, Fürst?« fragte der Capitain, der - obschon ihm die Anwesenheit der unglücklichen Irländerin in dem Hause des Residenten gleichfalls Geheimniß geblieben - auf spezielle Veranlassung desselben das Kommando nach Bithoor begleitet hatte.
Rivers wußte durch die Begegnung im Garten, daß sein unglückliches Opfer nicht in den Flammen umgekommen, sondern in den Händen eines Feindes war. Aber er konnte nicht mit Bestimmtheit wissen, ob der Brand seines Hauses und die Befreiung der Irländerin ein Werk ihres betrogenen Gatten oder ein Zufall war und ob man sie bereits nach Bithoor zurückgebracht. In jedem Fall beschloß er, auf seine Macht vertrauend, einer Anklage mit keckem Läugnen entgegen zu treten, da der Wahnsinn der Unglücklichen jedes giltige Zeugniß unmöglich machte, und Hendri[c]k Prätorius, der Deserteur, nicht wagen durfte, gegen ihn aufzutreten. Aber er beschloß, alles Mögliche aufzubieten, diesem plötzlich erschienenen Feinde auf die Spur zu kommen und ihn unschädlich zu machen. Er selbst sprach den Verdacht aus, daß der Nena an der Flucht des Prinzen betheiligt sein könne und rieth zu seiner sofortigen Verhaftung, und nur der rechtliche, biedere Sinn des Generals verhinderte die Maßregel, indem er sich begnügte, durch Absendung der Offiziere sich zu überzeugen, daß der Maharadschah in seinem Palast anwesend und bei den Vorgängen des Abends nicht bethätigt sei.
»Sie wissen,« fuhr der Maharadschah fort, »daß Lady
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Margareth, meine Gattin, vor etwa drei Monaten, während meiner unglücklichen Abwesenheit, auf eine unerklärliche Weise verschwunden ist!«
»Ganz Audh weiß es und beklagt Sie, und kennt und ehrt Ihren tiefen Schmerz, Hoheit. Die verruchten Thugs ...«
»Die Thugs sind unschuldig an diesem Verbrechen. Sehen Sie selbst.«
Er schritt zu dem Divan und zog die verhüllende Decke fort. Augenblicklich erkannten die Offiziere die oft gesehene Frau trotz der Spuren des Elends und der Krankheit.
»Lady Margareth! Um Gotteswillen, Hoheit - -«
»Sorgt für Eure Gebieterin und bereitet ihr Gemach,« befahl der Maharadschah den beiden Frauen. »Diese Jammergestalt, krank, jeder Erinnerung beraubt, Sir, ist das, was von der Gattin Srinath Bahadurs zu ihm zurückgekehrt ist.«
»Aber wie - wann?«
»Kaum eine Stunde vor Ihrer Ankunft fanden meine Diener mein Weib allein an der Thür meines Hauses liegend. Begreifen Sie nun, Sir, daß ich andere Sorgen habe, als die Flucht Dhulip Singhs zu fördern und ihn zu verbergen!«
Lieutenant Sanders - selbst der kaltherzige lüderliche Mowbray waren erschüttert von dem schrecklichen Anblick, der sich ihnen so unerwartet geboten.
»Haben Sie noch keine Spur - keine Vermuthung, Sir, wer die Räuber gewesen?« fragte der Lieutenant.
»Hören Sie das Lachen - die Worte der Unglücklichen,« sagte der Maharadschah, nach der Irren deutend, die in den Armen der Frauen eben wieder die traurige Ballade, von wirren Phantasieen unterbrochen, anhob, »und Sie werden sich überzeugen, daß ihre Vernunft und ihre Erinnerung dahin ist. Offenbar war sie von den Phansigars, den Dieben, geraubt und ist erst wieder freigelassen worden, nachdem man ihren Verstand mit giftigen Mitteln verwirrt hat. Die Schurken wollten sich rächen dafür, daß ich ein Dutzend ihrer Genossen auf meinem Gebiet hängen ließ, weil sie einen Faringi-Kaufmann beraubt.«
»Aber Sie sind so gefaßt, so ruhig, Hoheit, bei dem entsetzlichen Ereigniß?«
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»Was kann ich gegen das Schicksal thun?« erwiederte mit der Resignation eines ächten Orientalm der Hindu. »Das Fatum steht über uns, und seit drei Monaten betrauere ich mein Weib als eine Todte.«
Der Capitain winkte mit leisem Achselzucken seinem Gefährten, gleich als wolle er sagen: da sehen Sie, was an den Gefühlen dieser Halbwilden ist! Lieutenant Sanders jedoch ergriff mit aufrichtiger Theilnahme die Hand des Maharadschah. »Hoheit,« sagte er, »das Unglück, das Sie betroffen, ist zu groß, als daß ich mir es nicht zum Verbrechen anrechnen würde, Sie noch länger zu stören. Wir kehren nach Cawnpur zurück, und wenn es irgend in unserer Macht steht, Ihnen mit Etwas zu dienen, dann befehlen Sie über unsern Eifer.«
»Wenn ich Sie bitten darf, Sir, so senden Sie mir sobald als möglich ärztliche Hilfe, vielleicht Doctor Clifford.«
»Der Doctor,« sagte der Lieutenant zögernd, »befindet sich augenblicklich in Haft - ich zweifle aber keinen Augenblick, daß es ihm gelingen wird, sich von jedem Verdacht zu reinigen, dem Entflohenen Hilfe geleistet zu haben, und ich hoffe, schon morgen früh ihn wieder in Freiheit zu sehen.«
Der Bahadur lächelte trübe. »Wahrlich, Sir,« sagte er, »es scheint schwer, dem Verdacht Ihrer Behörden zu entgehen, selbst bei der treuesten Pflichterfüllung. Wenn Sie noch den geringsten Argwohn hegen, so durchsuchen Sie auf das Strengste mein Haus. Daß hier unter meinen Freunden und Dienern das Knabengesicht Dhulip Singhs nicht zu finden ist, werden Sie sich bereits überzeugt haben. Mir aber erlauben Sie, für jene Unglückliche Sorge zu tragen und sie in die Gemächer zu schaffen, die sie in glücklichen Tagen bewohnte. Meine Diener sollen Sie indeß als meine Gäste mit Allem versehen.«
Die Offiziere jedoch, jetzt überzeugt, daß der Gesuchte hier nicht zu finden sei und der Nena keine Kenntniß der Flucht gehabt, lehnten sein Anerbieten auf das Bestimmteste ab und verabschiedeten sich.
Wenige Minuten darauf ertönte das Kommando zum Abmarsch und die Reiter trabten auf der Straße nach Cawnpur wieder davon.
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Der Nena hatte die Offiziere bis an das Thor des Bungalow begleitet und sie gebeten, den General und den Residenten von dem seltsamen Wiederfinden seiner Gattin in Kenntniß zu setzen, bis er selbst am andern Morgen bei ihnen erscheinen könne. Einige Augenblicke noch stand er aus der Schwelle des Thors und schaute den Soldaten nach. Dann spie er verächtlich hinter ihnen drein und wandte sich um.
Alles Höfische, Ruhige und Gedrückte war aus seiner Haltung verschwunden, sein Auge blitzte unheimlich und entschlossen wie vorher, in dem festen Tritt, mit dem er zu dem Gemach zurückkehrte, wo seine Freunde versammelt waren, lag der energische Wille der That.
»Laß den Zugang bewachen, Gibson, und überzeuge Dich, daß kein englischer Späher in der Nähe zurückgeblieben,« befahl er. »Welche Stunde der Nacht ist es?«
»Mitternacht, Hoheit!«
»Dann können die Diener und Frauen des Haushalts jeden Augenblick von dem Fest zurückkehren. Ohnehin wird sie das Erscheinen der Faringi-Soldaten erschreckt haben. Die Ankunft meines Weibes soll ihnen verborgen bleiben bis morgen.«
Während seine Befehle ausgeführt wurden, trat er zu seinen Freunden. Tukallah hatte unterdeß der Königin, die nur wenig Englisch verstand, mitgetheilt, daß die Faringi ihre Nähe argwöhnten, und es war beschlossen worden, daß die Maharani bei Tagesanbruch ihre Reise in Männerkleidern antreten, die Prinzessin aber vorläufig unter der Maske einer Dienerin im Schutz des Maharadschah zurückbleiben sollte, bis Nachricht von dem glücklichen Entkommen der Mutter und des Sohnes eingegangen und sie ohne Gefahr folgen könnte.
Da nur Wenigen die Anwesenheit der Königin in Bithoor bekannt, so bestand diese selbst darauf, sofort von ihrer Tochter und den Freunden zu scheiden, und sich in die ihr eingeräumten geheimen Gemächer in dem einen Flügel des Palastes zurückzuziehen.
Der Maharadschah befahl Mac-Scott, seinem alten Erzieher, die Maharani dahin zu geleiten und für ihre Sicherheit zu sorgen.
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Die Nähe des jungen, lieblichen Mädchens schien einen beruhigenden Einfluß auf den Zustand der armen Irren auszuüben, denn sie war stiller und stiller geworden und die gänzliche Erschöpfung ihrer Kräfte hatte sie endlich in einen festen und tiefen Schlaf versinken lassen. In diesem Zustand trug der Maharadschah, gefolgt von der jungen Prinzessin, die theure Last auf seinen Armen nach der Zenanah.
Dort legte er sie sanft auf das Lager, das so lange einsam und leer gewesen, und schlug sorgfältig die Vorhänge um dasselbe. Mahana bereitete sich ein Lager im Vorgemach, so daß sie jede Bewegung der Kranken hören konnte.
Die Männer hatten sich auf den Teppichen und Divans der Halle, in der sie bis jetzt versammelt gewesen, zum Schlafe niedergestreckt, und noch ehe eine Viertelstunde vergangen, lag das Bungalow finster und in tiefer Ruhe.
Die einzeln heimkehrenden indischen Diener suchten geräuschlos ihre Lagerstätten.
Nur zwei Männer wachten - der stille Frieden der Nacht gewährte ihnen keine Ruhe nach den leidenschaftlichen Erregungen des Tages.
Es waren der Bahadur und Tukallah, der Guru der Thugs.
Der Letztere lag, das finstere Gesicht in die Hand gestützt, sinnend auf der Matte, die ihm zum Lager diente. Er fühlte, daß er über den Nena gesiegt und den Tiger in ihm geweckt hatte, aber die plötzliche Verwandlung im Benehmen des Bahadurs bei dem Eintreffen der britischen Offiziere machte ihn stutzig und er begann zu zweifeln, ob der Charakter des Fürsten auch stark genug sei, die erweckten Leidenschaften in Thaten zu äußern.
Plötzlich, ohne daß er die Annäherung eines Andern bemerkt, berührte eine fremde Hand leise seine Schulter.
Der Mahratte fuhr in die Höhe und seine Hand unwillkürlich an den Griff seines Handjars.
Umschauend sah er einen in seine weißen Obergewänder gehüllten Mann vor sich stehen. Die Falten des Mantels öffneten sich einen Augenblick - es war der Nena!
Er legte den Finger auf die Lippen und deutete auf die
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Schlafenden umher. Dann beugte er sich zu ihm nieder. Was er sagte, schien mehr ein Hauch der Gedanken und dennoch schlug es deutlich an das Ohr des Mahratten.
»Komm - ich habe mit Dir zu sprechen!«
Wie ein Schatten glitt er durch das Gemach und den Teppich, der die Thür zum Garten bedeckte.
Der Sirdar erhob sich, und bei dem schwachen Schein des Sternenlichts sorgfältig die Berührung der Schlafenden vermeidend, folgte er dem Nena.
Dieser erwartete ihn auf dem Platz vor der Veranda.
Schweigend schritt er voran, weiter in das Dickicht des Gartens - der Mahratte folgte ihm.
Es war eine erhaben schöne Nacht. Sind in diesem Lande die Monate der Regenzeit vorüber, dann tritt die verjüngende und treibende Kraft der Natur in einer wunderbaren Fülle auf. Das Laub der Sträucher und Bäume erneuert sich fast sichtbar, die Gräser schießen auf, daß ihre Höhe einen großen Mann überragt, alle die tausend Schlingpflanzen wuchern zu undurchdringlichem Dickicht, und die Blumen treiben Knospen und Blüthen vor dem Auge des Menschen.
Köstlicher Wohlgeruch erfüllte die Luft. Aus dem dunklen Laub der Cypressen und den gefiederten Blättern der Tamarinden flötete die indische Nachtigall ihre süßen Lieder.
Millionen lebender grün und roth schimmernder Funken - jene leuchtenden Käfer, die der Tropenwelt eigen und im Glühen unserer Johanniswürmchen einen schwachen Abdruck finden - leuchteten durch die Luft und blitzten aus dem Dunkel der Gebüsche.
Dazwischen hörte man das Plätschern der Fontainen, das Rauschen des gewaltigen Stromes und die Töne der Luft und Freude, die noch immer nicht erstorben war.
Und die Sterne funkelten an diesem lichten Nachthimmel so prächtig, das weite Gewölbe des Himmelsdomes spannte sich so majestätisch über die ruhende Erde, daß das kleine Menschenherz überall hätte Frieden und Glück sehen mögen.
Aber Frieden und Glück - wie selten wohnen sie unter dem Sternenzelt! Wie wenig war in dem lieblichen kleinen Raume
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des Gartens und Palastes - dessen Besitzer von Millionen beneidet wurde - Frieden und Glück zu finden. Leidenschaft in ihrer furchtbarsten Gestalt, wie sie das arme Menschenherz zerfleischen mag, wüthete hier - Schmerz und Jammer - und die goldenen Hallen von Bithoor bargen nur zwei hoffende und glückliche Herzen: das der Mutter und ihrer Tochter, glücklich über die Rettung des Bruders und Sohnes.
Rosige Träume versüßten den Schlummer beider - der Maharani und der Prinzessin von Lahore. In den Traum der Letztern flocht sich das Bild des Mannes, dem ihr junges Herz schlug, Murad Khans, des tapfern Sohnes der Berge von Kashemir.
An dem Marmorbassin der mittlern Fontaine blieb der Maharadschah stehen und lehnte stumm und nachdenkend mehrere Minuten an den kalten Stein.
Vor ihm, ihn ruhig beobachtend, stand der Mahratte.
Jetzt erhob der Nena sein Haupt. Sein Blick war kalt und entschlossen und schwer zugleich, als wolle er in das Innerste der Seelen dringen, als er sich jetzt zu dem Sirdar wandte.
»Tukallah oder Tantiah Topi - Guru der Thugs! - Srinath Bahadur hat mit Dir zu reden.«
Unwillkürlich fuhr der Mahrattenhäuptling zusammen und eine dunkle Röthe überflog sein Gesicht.
»Was fällt Dir ein, edler Bahadur? Mit welchem Namen nennst Du mich?«
Der Nena lächelte verächtlich. »Wenn Du es denn so willst - wohlan! - ich habe eine Frage an Dich zu stellen.«
»Frage!«
»Du bist ein Mitglied des Bundes der Würger, vielleicht ihr Oberhaupt? - Ich habe Beweise, die ...«
»Halt ein - Thor! Weißt Du nicht, daß wer die Geheimnisse der Diener der mächtigen Bhawani enthüllt, ihr opfern oder sterben muß!«
»Bin ich ein Sohn Indiens und sollte es nicht wissen? Antworte auf meine Frage!«
Der Mahratte sann einige Augenblicke schweigend nach, dann fragte er selbst:
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»Sage mir, wie kamst Du zu dem Glauben?«
»Schon als Knabe, als ich einige Zeit am Hofe der großen Begum vom Somroo zubrachte mit Dyce Ochterlony, meinem unglücklichen Verwandten und seinen Schwestern, sah ich einst in den Wäldern umherschweifend und im Gebüsch verborgen einen Wanderer tödten, der am Fuß einer Tamarinde schlief. Zwei der Männer, die es thaten, waren mir unbekannt, der dritte hatte sich erst kurze Zeit vorher zu ihnen gesellt, und ich kannte ihn wohl. Es war der Mayadar meines Verwandten - Du selbst.«
»Und Du bewahrtest das Geheimniß, Srinath Bahadur?«
»Ich bewahrte es in der Knabenbrust, - was sollte ich davon reden. Der Wanderer war vielleicht Dein Feind, und Du hattest ein Recht, ihn zu tödten. Viele Jahre dachte ich nicht mehr an die Erinnerung des Knaben - bis sie vor wenig Monden wieder in mir empor stieg und das, was ich erfuhr, bestätigte.«
»Fahre fort, Bahadur. Von welcher Gelegenheit sprichst Du?«
»Von Malangher, Deiner Burg! Ich ahne ihre Geheimnisse, denn ich selbst entzog der Bhawani dort zwei der ihr geweihten Opfer!«
»Wahnsinniger Thor - so mußt Du sterben!« Seine Hand faßte nach dem Dolch im Gürtel.
Der Bahadur winkte verächtlich. »Ich werde sie der Dunkeläugigen wieder geben, denn es waren Faringi, und mehr als sie. Ströme von Blut, Berge von Leichen soll die mit den Schlangenarmen von Srinath Bahadur empfangen! Auf ihren Altar will ich die Zerstörung von tausend Leben legen. Erbärmlicher Dienst, den Ihr der erhabenen Göttin der Vernichtung weiht, indem Ihr das Leben eines einzelnen Wanderers nehmt und gleich der Schlange den arglosen Wicht überfallt, der eingeht durch Euch zu den neun Wanderungen der Seele, statt die Völker und Geschlechter nieder zu werfen vor die Stufen ihres Tempels und mit den Gräbern Derer, denen Brahma keine Auferstehung gewährt, das Angesicht der Erde zu bedecken!«
»Und bist Du der Mann, Srinath Bahadur - das große Werk der Vernichtung zu vollenden?«
»Ich bin es, Tantiah-Topi! Sage mir jetzt, bist Du ein Thug?«
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»Ich bin es! Sei der Unsere, oder stirb!«
»Du bist das oberste Haupt des Bundes?«
»Ich bin nur ein Guru - doch einer der mächtigsten und größten unter den Dienern der Khali. Ich bin der Nächste zur Oberherrschaft über Alle, die der Göttin folgen, und werde sie besitzen, ehe die Weltschlange zum zweiten Mal in den Arm der Nacht gesunken ist! - Seine Zeit ist gekommen!«
»Wohlan ich will ein Thug werden wie Du - kein Mörder der einzelnen Wehrlosen, aber der Vernichter und Zerstörer der Erschaffenen. Ich will ein Volk opfern auf den blutigen Stufen ihres Altars - aber ich muß der Herr sein über den Tod und alle seine Diener - nicht sein niederer Knecht! Wüthen will ich unter den Lebendigen, gleich dem Tiger unter dem feigen Wild der Dschungel! Ein Grab soll die Welt sein und die Brut der Faringi seien die Ersten, die es füllen! Gieb mir die Macht, Tantiah-Topi, gieb mir die Macht! und die Göttin soll jauchzen über die Opfer, die ich ihr bringe!«
»Srinath Bahadur,« sagte langsam der Andere - »ich kenne Dich wohl! Du bist der Tiger, und wirst die Geschlechter der Sterblichen zerfleischen. Bei der heiligen Spitzaxt - Du sollst das Oberhaupt der Würger sein, wenn Du die Proben bestehst, und ich der Erste Deiner Sclaven!«
»Wann - Mensch! wann soll die Macht in meinen Händen sein? denn meine Seele lechzt nach dem Werk der Vernichtung.«
»Bist Du der Tiger, so sei auch die Schlange; daß Du ihre Klugheit und ihre Geschmeidigkeit besitzest, hast Du gezeigt, als die Faringi-Offiziere in das Geheimniß Deines Bungalow drangen. Da, Srinath Bahadur, lernte ich Dich bewundern, und dieser Stunde hast Du es zu danken, daß Du der Erste aller Menschen werden sollst, in dessen Hand die Macht des Todes ist.«
»Ich will die Schlange sein, wie ich fühle, daß ich der Tiger bin. Gleich der Schlange werde ich harren der rechten Zeit, auf das Opfer zu stürzen, wenn ich weiß, daß die Macht in meinen Händen ist. Sprich, wann werde ich der Ober-Guru aller Würger sein?«
»Noch in dieser Nacht - wenn Du willst!«
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»Ich will! - Was hab' ich zu thun, um ein Thug zu sein, wie Du?«
»Zu beweisen - daß Du ein Mann bist!«
»Rede!«
»Ehe Du küssen darfst die heilige Spitzaxt, mußt Du der Opfer drei auf den Altar der großen Bhawane legen - drei Opfer, die zeigen, daß Du mit Allem, was Dir heilig war im Leben, gebrochen, um ihr zu dienen!«
»Ich will.«
»Kannst Du den Freund tödten, dessen Lager Du getheilt, dessen Arm Dich beschützt, dessen Liebe Deine trüben Stunden erheitert, Deine frohen getheilt hat, der sein Leben eingesetzt für das Deine? Kannst Du lohnen die heilige Schuld des Dankes mit Tod und Vernichtung im Dienst der Khali!«
»Ich will.«
»Kannst Du täuschen das Vertrauen? kannst Du das Leben des Gastes opfern, der Deine Schwelle überschritt und dessen Haupt zu schirmen Dir heiligste Pflicht - kannst Du die Jugend und Unschuld opfern auf dem Altar der Khali!«
»Ich will!«
»Wohlan, so beweise es! Das dritte Opfer will ich selbst Dir zeigen, wenn es an der Zeit ist.«
Der Maharadschah starrte eine kurze Zeit vor sich hin - Gedanken und Gefühle wälzten sich in dieser jetzt mit der Lossagung von allem Heiligen, Menschlichen kämpfenden Brust. Dann fielen seine Augen auf den einsamen schwachen Schimmer der Lampe, die aus der Zenanah des Bungalow ihren spärlichen Lichtstreif in das Dunkel der Büsche sandte, das schreckliche Loos des geliebten Weibes verkündend, und seine Gestalt schnellte in die Höhe, wie das Raubthier zum Sprung.
»Wie soll ich die Opfer bringen?«
Der Mahratte knüpfte das furchtbare Seidentuch los, das seinen Turban umwand, und reichte es ihm.
Dann nahm er den Dolch aus seinem Gürtel und gab ihm gleichfalls denselben.
»Nimm Beides! die Bhawani gestattet es Dir, zu wählen für das erste der Opfer; denn Messer und Tuch sind geweiht an
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ihrem Altar, und die des Werkes nicht geübte Hand darf nicht fehlen, wo es so Wichtiges giebt. Bist Du entschlossen?«
»Ich bin's!«
Der Sirdar ahmte zwei Mal den Schrei des Adlers nach.
Sogleich tauchten aus dem Schatten der Gebüsche zwei menschliche Gestalten auf und nahten sich erfurchtsvoll, die Hände über der Brust gekreuzt.
Es waren zwei fast nackte, broncefarbene Männer, nur mit dem Hüftenbund bekleidet und um den Kopf das verhängnißvolle Seidentuch geschlungen.
»Holt Eure Werkzeuge, Ihr Lugha's, und grabt das Grab an dieser Stelle!« befahl der Guru.
Die beiden Thug's neigten gehorsam das Haupt und verschwanden. Wenige Augenblicke darauf kehrten sie zurück, ein kleines, einer Schaufel ähnliches Eisen in der Hand, das sie an die Spitze eines Stabes steckten und mit dem sie sich mit wunderbarer Behendigkeit daran machten, ein langes und breites Grab zu graben, indem sie zuerst den Rasen in viereckigen Stücken ausstachen und sorgfältig bei Seite legten, dann aber den Boden mit einer Schnelligkeit und Geschicklichkeit aushöhlten, die bewies, welche Uebung sie in ihrem schrecklichen Handwerk besaßen.
Das Grab wuchs vor den Augen des Maharadschah in die Tiefe.
Plötzlich gab der Mahratte das Zeichen einzuhalten - man hörte Schritte, die von der Seite des Palastes daherkamen.
»Der Fuß eines Fremden naht! Verbergt Euch!« befahl der Guru.
Der Maharadschah winkte verneinend. Es hat keine Gefahr - bleibt an Eurer Arbeit!«
»Wer ist es, der kommt?«
»Das erste der Opfer!« Er ging dem Nahenden entgegen und traf ihn wenige Schritte von dem geöffneten Gitter, das den Garten des Palastes von dem des Bungalow trennte.
Es war Mac-Scott, der Schotte, der Lehrer und Erzieher des Maharadschah, sein treuer Diener und Freund, der Gefährte in hundert Gefahren, der ihn so viele Jahre gleich einem Sohne geliebt.
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»Woher kommst Du?« fragte ihn der Bahadur.
»Hoheit - ich komme von der Schwelle der Maharani, deren Sicherheit während dieser Nacht Du mir anvertraut hast. Ich glaubte Stimmen zu hören im Innern der Gärten, und wollte mich überzeugen, ob Späher oder Feinde in der Nähe. Erlaube, daß ich zu meiner Pflicht zurückkehre.«
»Ich habe eine andere für Dich. Komm!«
Er schritt ihm voran nach dem Platz vor dem Springbrunnen, wo die Lugha's bei ihrem Rahen mit ihrer schrecklichen Arbeit inne hielten, und in den Schatten der Gebüsche zurücktraten.
An dem Rande des bereits drei Fuß tiefen Grabes stand der Mahratte, die Arme über die Brust gekreuzt.
Das Helldunkel der Nacht erlaubte nicht, das Gesicht der handelnden Personen näher zu beobachten. Bei dem Licht des Tages wäre der wackere Squire erschrocken gewesen vor der fahlen Farbe, die das Gesicht seines Herrn bedeckte und dem unheimlichen gespenstigen Schimmer seiner Augen.
»Antworte mir vor diesem Mann auf meine Fragen, Mac-Scott,« befahl der Maharadschah mit dumpfer Stimme, indem sein Finger auf den Mahratten wies. »Wie lange ist es her, daß Du des Knaben Srinath Freund wurdest?«
»Du weißt es, Hoheit,« sagte der alte Mann erfreut über die Benennung, die ihm die Wiederkehr der Gunst und des Vertrauens seines Zöglings verbürgte. »Ich trat zwei Jahre eher als Gibson in den Dienst des Peischwa, Deines Vaters, und sechszehn Mal hat der große Regen seitdem das Land von Indien befruchtet.«
»Und warst Du mir nicht wie ein Vater, wie ein Freund? Hast Du mich nicht geliebt, obschon Du ein Faringi und ich ein Sohn der heißen Sonne war?«
»Gott weiß es, Hoheit. Es waren wenige Tage in diesen sechszehn langen Jahren, die ich getrennt von Dir zubrachte, und wollte der Himmel, es wären ihrer gar keine gewesen, denn dann hätte ich das Unglück nicht gehabt, zu erfahren, daß Deine Augen auf dies weiße Haar noch mit Groll und Mißtrauen schauen könnten.« Es lag eine schmerzliche, tief empfindende Resignation
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in den Worten des alten Mannes. »Ich habe keinen Sohn meines eigenen Blutes gehabt, Hoheit, Dich aber liebte ich, wie ich einen solchen geliebt hätte. Ich lehrte Dich die Sprache meiner Heimath und der Franzosen und was ich sonst von Sitten und Künsten noch wußte nach dem rauhen abenteuerlichen Leben meiner Jugend, wie der Steuermann den Matrosen, oder das Wild des Waldes sein Junges. Ich sah Dich zum Manne reifen und war stolz auf Dich.«
»Zwei Mal, Mac-Scott, war Deine Hand und Deine Klinge zwischen mir und dem Tiger, den meine Kugel nur verwundet,« fuhr der Maharadschah fort, »ein drittes Mal rettetest Du mich aus den Fluthen des Ganges, als ein Krampf meine Kraft erlahmte.«
»Was erwähnst Du der alten Geschichten, Hoheit! Ich that nur, was Pflicht und Neigung gebot, und es lohnt nicht der Mühe, davon weiter zu sprechen.«
»So liebst Du mich noch und bist mein Freund?«
»Ich werde glücklich sein, Hoheit, wenn Du mich wieder so nennst! Die letzten Monate haben mein altes Herz schwer betrübt mit der Furcht, daß Du mir Deine Liebe entzogen hättest.«
»Und würdest Du für Deinen Sohn, Deinen Freund willig ein Opfer bringen, ein Wagniß bestehen?«
»Mein Blut für Dich, Hoheit, wenn es Dir nutzen kann! Sage mir, was ich thun soll, und diese alten Knochen werden so jung und rüstig sich zeigen, wie damals, als ich Dich zuerst ein Segel spannen und die Kugel in einen Büchsenlauf stoßen lehrte. Mein altes Leben gehört Dir, Du weißt es.«
»So gieb es für mich - und die Bhawani möge es empfangen!« Der Malayendolch blitzte im Sternenlicht und die Klinge bohrte sich bis zum Heft in die Seite des alten Mannes.
Der greise Tigerjäger warf die Arme in die Luft, taumelte einige Schritte, und stürzte mit einem Aechzen nieder an dem Rande des Grabes, das so plötzlich das seine werden sollte.
»Nena - Prinz - was thust Du? - ich bin des Todes!«
»Du bist es - Du selbst botest mir Dein Leben.«
»Und Deine Hand - barmherziger Gott, sei ihm und meiner
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Seele gnädig!« Ein dunkler Blutstrom quoll über die Lippen des Opfers, die lange sehnige Gestalt krümmte sich im Todeskampf - nur wenige Augenblicke und Alles war vorüber, und zwischen den duftenden Blumen und Blättern, unter dem heitern, glänzenden Sternenhimmel lag die blutige Leiche des alten Mannes und das gebrochene Auge starrte hinauf zu dem Dome des rächenden und richtenden Gottes.
Der Nena zeigte auf die Leiche. »Möge die Bhawani das Opfer empfangen!«
Der Mahratte tauchte seine Hand in das Blut des Ermordeten und berührte Stirn und Augenlider des Mörders damit. Dann klatschte er in die Hände und sogleich erschienen die beiden Lugha's wieder und begannen ihre Arbeit auf's Neue.
»Du hast die Schwäche der Dankbarkeit aus Deinem Herzen gerissen,« sprach der Furchtbare, »Deine Seele ist stark. Zeige, daß auch die heiligste Sitte der Väter ein Hauch ist vor der Dunkeläugigen, daß der Gast Deiner Schwelle, der Schlaf des Schuldlosen, der Dir vertraut, nicht Schirm ist gegen den Ruf der Khali.«
Der Maharadschah ließ den Dolch fallen, seine Hand griff nach dem Rumal, dem mörderischen Seidentuch, und sein Fuß hob sich zum Gehen.
Dann plötzlich hielt er zögernd inne - offenbar kämpfte er mit sich selbst, welchen Weg er nehmen solle.
Der Mahratte betrachtete ihn höhnisch.
»Du zauderst!«
»Bei den Unterirdischen - nein!«
Der Bahadur verschwand in den Büschen, in der Richtung des matten Strahles der Lampe aus der Zenanah.


Der Schlaf der Wahnsinnigen war tief und schwer, das Keuchen ihrer Athemzüge deutlich hörbar im offenen Nebengemach, in dem Mahana, die Prinzessin von Lahore, schlief.
Das junge Mädchen lag auf einem Haufen gelbseidener Kissen in züchtiger Stellung, halb von dem Yaschmack, dem langen farbigen Schleier, verhüllt. Der reizende Kopf, von den entfesselten, wallenden Haaren umflossen, ruhte auf dem entblößten
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linken Arm, während die kleine zierliche Hand - eine Schönheit, die namentlich den indischen Frauen eigen ist - den knospend und fest gewölbten Busen schützend bedeckte, den die herabgeglittene Hülle entblößt ließ. Das sanfte Roth der Jugend, der Gesundheit und der Unschuld lag auf ihren dunklen Wangen, und der volle Mund war halb geöffnet, gleich als komme der Name des Mannes, dem ihr junges kindliches Herz schlug, über die rothen Lippen.
Reizende Träume mochten ihr Lager umgaukeln, denn mehr als ein Mal schwebte ein holdes, freundliches Lächeln über ihre Züge und die langen Wimpern der Lider zuckten, als wollten sie ihre Schleier heben, den Gegenstand des Traumes in Wirklichkeit den Augen der Schlummernden zu zeigen.
Ahnungslose, süße Unschuld! Spiegelt der Traum Dir nur Bilder des Glückes und der Wonnen des Lebens, ohne Dich zu warnen vor dem Tiger, der unter Blumen heranschleicht, Dich zu zerreißen?
Ach - auf der reinen Stirn des Mädchens liegt nur Frieden und Glück, kein Bangen und Fürchten.
Arme Mutter - hast Du den Sohn nur gewonnen, um die Tochter zu verlieren? Wo bist Du, stolze, Heimathlose Königin von Lahore, daß Du Dein Kind dem Mörder zur Beute lässest?
Die Maharani lag im tiefen Schlaf, nach so viel Stunden der Spannung und Aufregung, nach mancher bangenden Nacht. Auch sie träumte - vielleicht vom wiedererweckten Glanz des alten Thrones Rundschid Singh's, auf dem Dhulip Singh, ihr Sohn, saß.
Aber Du, Murad Khan, tapferer, junger, ungestümer Held! Du Liebling und Ebenbild des Krischna - Sohn von Kashemir - wo bist Du bei der Gefahr der Geliebten?
Aber die Stirn der Schlummernden war ja heiter - der Frieden eines glücklichen Traumes lag auf ihr.
Durch die ödesten Striche des Landes, welche den Ganges von seinem Bruder, dem Gogra, trennen, jagte die kleine Reiterschaar, die den geretteten Sikh-Prinzen geleitete, an seiner Seite der junge Khan, das Auge spähend umher nach jeder
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Gefahr, stolz und glücklich in dem Dienst, den er leistete, entschlossen, mit seinem Herzblut den Bruder Mahana's zu vertheidigen.
Wie sollte er auch fürchten für sie? War sie nicht unter dem Schutz der edlen Mutter und unter dem Dach des edlen, mächtigen Freundes, unter dem unverletzbaren Schirm der heiligen Gastfreundschaft? Hatte er nicht noch wenig Stunden vorher in ihr feuchtes, liebeschwimmendes Auge geblickt?
Glückliche Mahana, die Du von dem Tapfern, Schönen und Edlen geliebt wirst!


Der Teppich am Eingang des Gemachs hob sich - ein bleiches, fahles Männergesicht schaute hinein, stiere Augen lauschten durch das Gemach.
Nur die Athemzüge der Schlummernden belebten den Raum.
Dann glitt die Gestalt des Lauschenden herein - geräuschlos, wie die Bewegungen einer Schlange.
Kalter Schweiß perlte in dicken Tropfen von der blutig bezeichneten Stirn - die schmalen Lippen waren zusammengepreßt von dem Ringen eines entsetzlichen Entschlusses! - Arme Mahana! hätte Dein Auge sich geöffnet, Du wärest erbebt im Schreck vor dem Anblick dieses Gorgonenhauptes.
Denn gleich den Schlangen des Minervenschildes flatterten die Zipfel des Seidentuchs um seinen Hals, um seine Schultern.
Und wie die Schlange sich windet in unhörbaren Wellen zu ihrem ahnungslosen Opfer, wand sich der Bleiche über den weichen Teppich des Gemachs zu dem Lager des unschuldigen, schlummernden Mädchens.
Der kleine, zarte Fuß lauschte aus dem deckenden Gewand und kippte und wippte so zierlich im Takt, als klinge das Tamburin, die Flöte und die Trommel den Bayaderen zum Tanz.
Arme Mahana - stört noch keine Ahnung den Frieden Deines Traumes?
Giebt es überhaupt Ahnungen? Streckt denn wirklich die Seele ihre Fühlfäden aus in dem Traume und Schlaf, den wir bewußtes Leben nennen? tastet sie umher, wie der Käfer nach der drohenden Gefahr, - giebt es eine fühlende und empfindende, Atmosphäre außer unserm Körper, die in Rapport steht zugleich
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mit Seele und Welt? Giebt es eine Trennung liebender Geister vom Körper, die kommen können aus weiter Ferne, uns zu warnen, wenn Unheil droht?
Wer ermißt die ewigen Fragen über die Materie der Seele, - wer beantwortet sie?!
Mahana schlummerte ruhig weiter, keine Ahnung schlich sich in ihren Traum, kein Schutzgeist nahte ihr mit warnendem Flügelschlag.
Der Bleiche war an ihrer Seite und beugte sich über sie, ihren Athem belauschend. Dann zog seine Rechte das verhängnißvolle Tuch vom Nacken und seine stieren Blicke beobachteten die Lage der Schlummernden, um ein schreckliches Werk zu vollbringen.
Sie mochte wohl zu ungünstig sein, denn der Furchtbare ließ das erhobene Tuch wieder sinken. Der Kopf der Prinzessin ruhte, wie erwähnt, auf ihrem linken gebogenen Arm - und dieser schützte noch das junge Leben.
Einige Augenblicke vergingen - Momente - so kurze Atome in der Ewigkeit und dennoch so lang, so inhaltschwer, daß der Kampf einer mächtigen Seele noch ein Mal all' seine Phasen durchtoben konnte.
Da regte es sich in dem Nebenzimmer.
Die unglückliche Gattin des Nena schien erwacht oder im Traume zu sprechen. Sie sang das schaurige Lied Ophelia's, von dem Weidenbaume am Bach.
Augenblicklich erwachte das Hindumädchen und erhob den Kopf, nach der Kranken zu lauschen.
Ihr Auge fiel auf das entstellte, blutgezeichnete Gesicht des Fremden und wurde starr vor Schreck.
Ihre erste Bewegung war die der Schamhaftigkeit, denn sie zog die niedergefallene Decke über den entblößten Busen. Zugleich aber öffnete sich der kleine Mund, als wolle er einen Ruf des Schreckens, der Hilfe ausstoßen.
Aber kein Ton kam über ihre Lippen. Noch ehe ein Laut sich ihnen entrungen, flog das Tuch über ihr Haupt und eine starke Faust umkrallte den zarten Hals und erstickte den Ruf.


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Aus dem Gebüsch trat der Nena - er trug eine schwere, in eine Decke gehüllte Last, einer Menschengestalt ähnlich, auf seiner Schulter.
So trat er auf den Platz vor dem Springbrunnen, wo die Lugha's jetzt ihr nächtliches Werk vollendet hatten, und warf die Bürde von seiner Schulter an der andern Seite des Grabes zu Boden.
»Nimm!« sagte er finster, »das Dach Srinath Bahadurs ist fürder kein Schirm mehr für den Gast!«
Er kreuzte die Arme, während der Guru die Decke von dem Opfer entfernte.
Ein junger in leichte Nachtgewänder gehüllter Frauenkörper lag vor ihnen - das Haupt noch in den Rumal geschnürt, unter dem die Locken und Flechten des Haars hervorquollen.
»Mähe Tschund,« sagte der Sirdar spottend, »wird sich künftig mit dem Sohne begnügen müssen, und Murad eine kalte Braut in die Arme schließen! - Legt die Geweihten der Dunkeläugigen in das Grab und tilgt seine Spuren.«.
Mit der an ihnen gewohnten Schnelligkeit und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, legten die beiden Lugha's zuerst die Leiche des ermordeten Schotten in das Grab und neben diese, mit den Füßen nach der entgegengesetzten Seite, die des jungen Mädchens.
Im Nu bedeckte Erde die beiden Körper und das Grab füllte sich.
»Ich warte des Dritten!« sagte der Maharadschah mit dumpfem Tone.
Der Sirdar sah nach den Sternbildern.
»Es ist Zeit! - Wo ist das Lager der Bheels?«
»In den Ruinen des Tempels der Dunkeläugigen, in der Dschungel von Dscheddahgoor,« erwiederte einer der Lugha's.
»Wie weit ist es dahin?«
»Vier Koß!«83
»So laß uns aufbrechen. Kannst Du uns Pferde geben,
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ohne daß es die Aufmerksamkeit Deiner Diener erregt?« fragte der Guru den Fürsten.
Dieser nickte stumm und schritt voran nach dem Ausgang, der nach der Seite der Ställe führte. Die Lugha's blieben zurück und vollendeten das Grab, über das sie so sorgfältig den ausgehobenen Rasen deckten, den sie mit dem Wasser des Springbrunnen befeuchteten, daß auch das schärfste Auge keine Spur des Geschehenen zu entdecken vermocht hätte.
Der Bahadur öffnete mit einem Schlüssel die Thür der Seitenmauer, verschloß sie sorgfältig und führte den Thug schweigend durch die Lorbeer- und Myrthengebüsche weiter bis zu den Ställen, in die er eintrat.
Wenige Minuten darauf erschien er wieder mit zwei nur mit ihren Decken gesattelten indischen Moustangs.
»Kein englisches oder arabisches Pferd würde den Ritt aushalten, den wir zu machen haben,« sagte er, indem er den einfachen Zügel von starken Bastschnüren des einen Thiers dem Gefährten reichte. »Fort denn!«
Er warf sich auf das kleine aber starke Thier mit den zottigen, buschigen Haaren und den rothen wie Kohlen funkelnden Augen und sprengte davon.
Ihm folgte der Mahratte.


Zwei wilde Reiter flogen durch den Sumpf, den das austretende Wasser des Ganges alljährlich bei der Regenzeit füllte - zwei Reiter, gleich gespenstigen Dämonen der Nacht. Die kleinen kräftigen Pferde sprangen gleich Kobolden von einer Erhöhung zur andern, so einen Weg durch das Moor findend, wo jedes andere Roß beim nächsten Tritt versunken wäre.
Und als sie den festen Boden gewonnen und in das Dickicht der Dschungel eindrangen, stürzten sich die muthigen Thiere, vertrauend auf ihr hornartiges Fell, furchtlos in das Gestrüpp der Lianen, des Feigencactus und der zähen mit Dornen bedeckten Schlingpflanzen, kein Hinderniß kennend, überall sich Bahn brechend, die Reiter hatten nur genug zu thun, sich selbst zu schützen, und mancher Fetzen ihrer Kleidung blich im Hindurchfliegen an den Ranken und Dornen zurück.


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Der tolle Ritt - der Maharadschah voran, der den Weg zeigte - mochte kaum mehr denn eine halbe Stunde gedauert haben, als die Dschungel sich lichtete und der jetzt aufgegangene Mond den Reitern einen freien Platz zeigte, in dessen Mitte aus einem Hügel sich die wohlerhaltenen Beste eines uralten Hindutempels erhoben, durch ihre massiven dunklen Formen sich von dem Nachthimmel abzeichnend.
Aus dem Innern dieser Ruinen glühte ein Feuerschein und warf durch die Oeffnungen des durch die Macht der Jahrtausende zerbröckelten Marmors grelle Lichter auf die riesigen phantastischen Trümmer und die Lichtung.
Die Reiter hatten diese kaum mit den ersten Sprüngen ihrer Moustangs betreten, als sie plötzlich am weitern Vordringen gehindert wurden, denn zwei dunkle Gestalten von wildem Aussehn erhoben sich wie aus der Erde gewachsen vor ihnen, fielen den Pferden in die Zügel und schwangen drohend gigantische Keulen.
»Haltet ein, Unglückliche! Wer seid Ihr, daß Ihr den Ausgestoßenen und Verfluchten zu nahen wagt?«
»Freunde der Bheels! Diener der ewigen Vernichtung!« antwortete die feste Stimme des Mahratten. »Wo sind die Häupter?«
»Im Tempel der Schrecklichen, Soma,84 der Bruder der Surya,85 hat sein Licht über die Erde erhoben, die heiligen Feuer brennen, und er, der im Namen der Mächtigsten, gebietet, wartet seine Stunde!«
Der Maharadschah hatte mit Interesse in dem klaren Licht des Mondes die Gestalten der beiden Waldbewohner, der Mitglieder des rauhen und verachteten Stammes der Bheels betrachtet, der durch ganz Indien gleich wilden Thieren gehetzt wird, nur in den rauhesten Gebirgen und Wildnissen sein Dasein fristet, und dessen Hand gegen Alle erhoben ist, wie die Hand Aller gegen ihn.
Es waren kräftige Männer, größer und von stärkeren Formen,
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als der gewöhnliche Hinduschlag. Langes schwarzes Haar hing straff bis auf die Schulter nieder und bildete ihre einzige Kopfbedeckung. Ihr Körper war in Thierfelle gehüllt, das Rauhe nach außen gekehrt und von einem Binsenstrick um die Hüften zusammen gehalten. Große Metallringe hingen, durch ihre Nasenknorpel gezogen, über ihre starken Lippen und verlängerten ihre Ohrlappen zu unförmlicher Ausdehnung. Die Farbe ihres muskulösen Leibes war ein helles Mahagonibraun, nur durch Schmutz entstellt und verdunkelt. Im Uebrigen erschien ihre Gesichtsform nicht unedel und der Ausdruck ihrer Augen kühn und trotzig. In der Hand trugen sie mächtige Keulen von schwerem Holz und der Eine einen langen Bogen mit Rohrpfeilen, deren Spitze in das tödtliche Gift des geheimnißvollen Bohun-Upas-Baumes getaucht war.
Der Sirdar sprang von dem Pferde, es den Bheels überlassend, dafür Sorge zu tragen, winkte dem Fürsten, seinem Beispiel zu folgen und schritt nach den Ruinen der Pagode.
Ein seltsamer Anblick bot sich ihnen, als sie durch den halb zusammeugestürzten Bogen des Thors in den äußern Vorhof traten.
Ein Feuer von trockenem Dschungelkraut und Zweigen brannte in der Mitte des Raumes und um dasselbe lagerte ein zahlreicher Haufe von Bheels, Männer, Weiber und Kinder, theils schlafend, theils auf den Knieen hockend im Kreise mit seltsamen Geberden eine Art von Trauergesang hermurmelnd, dessen eintönige Melodie zuweilen zu einem gellenden Klagelaut anschwoll, gleich der Todtenklage der Irländer. Die doppelten Lichtreflexe des Mondscheins und der Flammen zeigten eine eigenthümliche Wirkung auf die Umgebung. Die grotesken riesigen Steinbilder, welche karyatidenartig die Pfeiler der Pagode bildeten, schienen in dem flackernden Licht lebendig zu werden und sich zu bewegen.
Das eintönige Gemurmel des Gesanges schwieg, als die beiden Fremden den Hof betraten, und Aller Blicke wandten sich auf sie. Tukallah hielt sich jedoch nicht mit der Menge auf, sondern schritt durch die Gruppen hindurch auf den Eingang der Pagode zu, an dem zwei bewaffnete Bheels lehnten, gab ihnen
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gleich den äußeren Wachen die Loosung und trat mit seinem Begleiter in das Innere.
Die geborstenen, ihres Schmuckes entkleideten Wände zeigten die Pracht, die ehemals hier geherrscht, in den Ueberresten der Vergoldungen und der Täfelung von seltenem Gestein.
In dem Hintergrunde des Tempels erhob sich der große Würfel von schwarzem Marmor, der vor Jahrhunderten, wahrscheinlich noch vor den Eroberungen der Mahomedaner, dem Bilde der Göttin zum Piedestal gedient hatte, und jetzt leer stand. Ueber ihm steckte eine Fackel an der Wand, und beleuchtete die Gruppe zwischen der hintern Seite des Steines und der Mauer.
Auf einem rohen Lager von Dschungelkraut und Thierfellen lag ein alter Mann, offenbar dem Tode nahe, mit geschlossenen Augen, die nur von Zeit zu Zeit sich öffneten und einen erlöschenden Blick auf seine Umgebung richteten.
Diese bestand aus drei Männern: einem ehrwürdigen Brahminen, den Tilluk, das Zeichen der höchsten Kaste, gleich Srinath Bahadur auf der Stirn; einem Bheel, dessen Haar mit drei aufrechtstehenden Adlerfedern geschmückt war, dem Zeichen der Häuptlingswürde, und dessen Züge unverkennbar das Gepräge der nahen Blutsverwandtschaft mit dem Greise trugen; und einem gelben Malayen in reicher kostbarer Kleidung und Bewaffnung. Tukallah machte den Dreien das Erkennungszeichen der Thugs, das die Bayadere dem deutschen Arzt in den unterirdischen Gewölben der Würgerburg verrathen hatte, und die Drei erwiederten es.
»Wer naht dem Lager Dessen, der bereit ist, der großen Mutter Rechenschaft abzulegen von seinen Thaten?« fragte der Greis. »Die Schatten des Todes, den ich achtzig Jahre dem Geschlecht des Erzeugers gebracht, trüben meine Augen!«
»Tukallah, Vater, den die Hindu Tantia Topi nennen,« antwortete der Mahratte. »Er kommt, Deinen Segen und Deinen Willen zu empfangen.«
»So sind ihrer genug,« sagte der Greis - »der Sohn der Berge, der Weise der Städte, der Krieger des Mittags und der Herr der Wüste. Sei mir gegrüßt Du, der Liebste der Diener der Bhawani! Aber mein Auge sieht der Bewerber fünf, wer ist jener dort?« Er deutete auf den Fürsten.
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»Ein Thug gleich uns - zu dessen Gunsten ich meinen Ansprüchen und Deinem Erbe zu entsagen bereit bin. Srinath Bahadur, der Peischwa von Bithoor! Er kommt die heilige Spitzaxt zu küssen!«
Eine allgemeine Bewegung gab sich unter den Anwesenden kund bei der Nennung dieses Namens. Der Alte erhob sich auf seinen hagern Arm und starrte einige Augenblicke den Maharadschah an, der seinen Blick fest erwiederte.
»Auf Deiner Stirn ist Blut - Blut ist in Deinen Augen, Tod in den Falten Deines Mundes, Peischwa von Bithoor,« flüsterte der Greis, »sei willkommen im Bunde des Todes.« Er enthüllte mit einer Bewegung der Hand einen in seinem Lager verborgenen Gegenstand - es war eine stählerne Spitzaxt, von alterthümlicher Form. Ein großer, feurig rother Edelstein, ähnlich dem sagenhaften Karfunkel, bildete den Knopf des kurzen Griffes und schien von unermeßlichem Werth, denn er strahlte im Licht der Fackel, gleich einem Diamanten, rothe Blitze.
Der Greis hielt dem Maharadschah die Waffe hin, sie zu küssen. Statt sie jedoch mit dem Munde zu berühren, ergriff sie der Bahadur mit kräftiger Faust, entriß sie der Hand des Alten, und schwang die Axt hoch durch die Luft.
Ein Wuthschrei der drei getäuschten Bewerber um die oberste Macht des Bundes war die Antwort der kühnen That. Nur der Mahratte blieb ruhig - sein Auge begegnete mit dem Funkeln wilder Befriedigung dem fragenden des Nena, während sein Finger auf den Greis wies, der den kühnen Mann erstaunt anstarrte.
Der Maharadschah trat einen Schritt vor, die Schneide der Axt, das Feuer des Edelsteins funkelten gleich einem Blitz in dem Licht der Fackel, indem er die Waffe über dem Haupt schwang, und im nächsten Augenblick begrub die scharfe Spitze sich in dem Haupt des bisherigen Besitzers.
Ein noch wilderes Geschrei der drei Guru's antwortete dem Worde, und sie faßten nach ihren Waffen, um ihn zu rächen, aber der Mahratte warf sich zwischen sie und den Nena. »Im Namen der Göttin - er ist es, dem die Hand des Todten die heilige Waffe gereicht, er ist jetzt der Guru der Guru's und das
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Haupt des Bundes - die Bhawani selbst hat entschieden! Wagt Ihr es, ihr zu widerstreben, wo ich ihrem Ausspruch mich füge? Denkt Eures Eides und beugt Euch vor dem Herrn der heiligen Axt!« -
Und er selbst sank vor dem Nena auf die Knie und küßte demüthig sein Gewand. Und die drei Guru's beugten gleichfalls das Haupt und warfen sich nieder, mit der Stirn den Boden berührend zum Zeichen des Gehorsams - über ihnen aber stand der Srinath und schwang mit dämonisch leuchtendem Auge in stolzem Frohlocken die Axt um das Haupt.
Da plötzlich schrillte ein gellender Allarmruf durch die Luft - Schüsse ertönten, Trompetensignale - das »Hurrah« englischer Soldaten - Wuth- und Klagegeschrei und gellender Kampfruf!
Bestürzt sprangen die Guru's empor, ihre wuthflammenden Augen trafen den Nena, der Ruf: »Verrath!« zeigte ihren ersten Gedanken. Aber der Nena selbst war offenbar von dem Unerwarteten einen Augenblick bestürzt, und schaute rathlos umher.
»Schießt die Bestien nieder, die Mordbrenner! keinen Pardon den schwarzen Schurken!« hörte man laut die Stimme Mowbray's auf der Lichtung durch den Lärmen des Ueberfalls kommandiren.
»Bei der Waffe, die meine Hand hält,« schwor der Bahadur - »Brüder, die Hölle, nicht ich, hat die weißen Teufel über uns geführt. Kämpfe und rette sich Jeder so gut er vermag.«
Und das heilige Zeichen des Mörderbundes schwingend stürzte er allein voran nach dem Eingang der Pagode.
Zwei englische Soldaten waren eben im Begriff, in das Innere zu dringen. Der Nena erfaßte mit der Linken das Gewehr des Einen und drückte es zur Seite, während seine furchtbare Waffe den Kopf des zweiten bis zur Nasenwurzel spaltete. Dann sprang er in's Freie.
Die Scene war hier entsetzlich. Frauen und Kinder stürzten heulend umher, die Männer kämpften mit wildem Trotz aber offenbarem Nachtheil gegen die englischen Soldaten, die sie, auf der Verfolgung des entflohenen Prinzen begriffen und durch einen Spion von dem verdächtigen Lager der Bheels in der Dschungel
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unterrichtet und von einer andern Seite unbemerkt herangeführt, überfallen hatten, unterstützt durch das Lanzier-Piket, das sich auf der Rückkehr von Bithoor dem Detachement angeschlossen hatte. Pistolen- und Gewehrschüsse knallten auf allen Seiten. Die einfachen Waffen der Bheels vermochten Nichts gegen die europäische Disciplin und Bewaffnung, und die Reiter Mowbrays, über die Lichtung vertheilt, verhinderten die Hindu's, sich in das schützende Dickicht der Dschungel zu werfen und trieben sie stets in die Bajonnete und Kugeln der Feinde zurück.
Mit dem raschen Ueberblick des künftigen Feldherrn erkannte der Nena die gefährliche Lage, und daß es gälte, zu sterben oder sich unerkannt durchzuschlagen. Die Turbanbinde vom Haupt zu reißen und sie verhüllend um das Gesicht zu schlingen, daß nur die Augen frei blieben, war das Werk eines Augenblicks. Zugleich sah er Tukullah an seiner Seite, den Säbel in der Faust und mit ihm die drei Guru's.
»Der Galgen ist unser Loos, wenn die weißen Hunde uns fangen,« rief der Fürst. »Vorwärts, Brüder, und mir nach!«
Und über die Trümmer springend, den großen Eingang des Hofes vermeidend, der bereits von den englischen Soldaten besetzt war, eilte er nach der Seitenmauer und schwang sich leicht wie ein Vogel darüber hin.
Tukullah und der Malaye folgten ihm, die beiden Anderen waren bereits im Kampf mit herbeilaufenden Soldaten begriffen.
Der Bahadur eilte nach der Richtung davon, wo er die Moustangs zurückgelassen, aber drei heransprengende Reiter versperrten ihm den Weg. Die Lanze des Einen bohrte den Malayen an den Boden fest, Tukallah war im Kampf mit dem Zweiten - der Nena sah ihn fallen, von einem Pistolenschuß getroffen, während über seinem eigenen Haupte der Säbel des Dritten blitzte.
»Nieder mit den mordbrennerischen Hunden! Zu Boden mit dem Gesindel!«
Er erkannte die Stimme Mowbray's und tauchte nieder unter den Bauch des Pferdes, dem Hieb zu entgehen. Zugleich faßte er mit der Kraft eines Löwen das Bein des Offiziers und riß ihn aus dem Sattel.
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»Zu Hilfe, Leute! zu Hilfe!« Aber die Spitzaxt des Nena hatte mit gewaltigem Hieb das Roß des zweiten Reiters getroffen, daß es schwer verwundet mit ihm davon sprengte, und ein fliehender Bheel beschäftigte den Dritten.
Der Maharadschah bog sich nieder zu dem Offizier, der unter seinen Knieen am Boden lag, und lüftete den Schleier von seinem Gesicht; das Mondlicht zeigte klar und deutlich das teuflische Grinsen, das es entstellte.
»Kennst Du mich, weißer Hund?«
»Hell and damnation - Nena Sahib!«
»Stirb mit dem Namen auf Deinen Lippen!«
Die Spitze der Axt begrub sich in die Gurgel des Engländers.
Mit übermenschlicher Kraft warf der Fürst den Körper des Mahratten auf seine Schulter und sprang nach dem Dickicht der Dschungel.
Ein gellender Pfiff - in kurzer Entfernung beantwortet von einem rauhen Wiehern.
Das Antlitz, das der Nena nach dem Kampfplatz zurückwandte, spiegelte den Triumph eines Teufels. Die Hand schwang dräuend die Axt empor.
»Tod den Faringi!«
Das Geröhr und die Büsche der Dschungel schlossen sich hinter ihm und seiner blutigen Last.

Footnotes:

1Die Göttin der Zerstörung, die Genossin Schiwa's, die in der Dreieinigkeit der indischen Götterlehre - auf die wir später näher zu sprechen kommen - das zerstörende Princip repräsentirt. Die beiden anderen Hauptgötter sind Brahma und Wischnu, das erschaffende und das erhaltende Princip.
2Ein andrer Name der Bhawani.
3Das Grab, in welches die Thugs ihre Opfer verbergen.
4Würger.
5Die Priester der Thugs.
6Häuptling.
7Priester und Obere der Thugs.
8Die Klasse der Thugs, die sich mit dem Begraben der Leichen beschäftigt.
9Der berühmte Diamant, jetzt Eigenthum der englischen Krone.
10Sahib - Herr! Die indische Anrede.
11Ein Wind an den indischen Küsten, der in gewissen Strichen und zu gewissen Jahreszeiten weht.
12Regulaire Soldaten.
131848, 1849.
14Kommt! kommt! (Hindostanisch.)
15Die Sonne und der Gott der Sonne.
16Der Mond.
17Der Gott des Feuer's.
18Wasserpfeife - bei den Türken: Nargileh.
19Der persische Cäsar.
20Abgeklärte Butter.
21Der Gott der Liebe.
22Oberhaupt.
23Kali, Bawabni, Durga - alles Namen der Göttin.
24Das Seidentuch.
25Der beliebteste Heros der indischen Götterlehre.
26Letzteres ein in Indien unter den Thugs durch ihre eigenen Priester verbreiteter Irrthum, weil häufig Europäer dem Fest der Devi[y] in der Pagode bei Calcutta beigewohnt hatten.
27Blutsaamen.
28Die indische Sage von der Entstehung der Thugs, die bis ins fernste Alterthum hineinreicht. Schon Herodot erwähnt im Heere des Xerxes eine Rotte dieser Mörder.
29Indische Goldstücke.
30Eingeborne auf Sold dienende Soldaten der Ostmoischen Compagnie.
31Zeichen, Omen.
32Die Wittwen-Verbrennung.
33 Arzt.
34Die Göttin des Glücks.
35Schlingen.
36Die zur Erdrosselung dienenden seidenen Tücher.
37Erdrosselt!
38100 Rupien - 66\frac 23 Thaler. Ein engl. Fähnrich bezieht in Indien monatlich 200 Rupien - in ähnlicher Weise sind die Civilgehälter normirt.
39Zwei indische Getreidearten.
40Man beschuldige uns bei den nachfolgenden entsetzlichen Scenen nicht etwa der Uebertreibung. Eine nach langem Zögern und Widerstreben der englischen Regierung endlich angestellte Untersuchung hat ergeben daß unter dem Ministerium Palmerston die »Tortur« bei der Steuerhebung in Indien auf das Furchtbarste ausgeübt wurde. Ein dem Parlament vorgelegtes und im Auszug in vielen londoner Zeitungen veröffentlichtes Aktenstück: »Bericht der Untersuchungs-Kommission über illegale (!) Fälle von Tortur in der Präsidentschaft Madras,« bringt - obschon es die Sache im mildesten Lichte darzustellen sucht, die grausamsten Fälle unterdrückt und von anderen Theilen Indiens gar nicht spricht - Beschreibungen, welche die Schrecken der nachstehenden noch überbieten.
41Untereinnehmer.
42Eine Münze im Werthe von 16 Pfennigen.
43Die geringste Münze, etwa 1\frac 12 Pfennige.
44Herr.
45Die Namen der Gemarterten bei dieser so scheußlichen Scene sind historisch.
46Aktenmäßige Thatsache.
47Diese Antwort auf die gerichtliche Klage der Mißhandelten ist gleichfalls Thatsache.
48Fahrenheit.
49Der Hauptstadt Siam's, berühmt in diesen Arbeiten.
50Der gemeinschaftliche Garnisonstisch.
51Das 78. (Hochländer) Regiment verlor z. B. im Sind vom 6. September 1844 bis zum 31. Januar 1845, also in noch nicht 6 Monaten 588 Menschen.
52Banquiers.
53Der Kornak oder Wärter des Elephanten.
54Die eingeborenen Regimenter liegen nicht in Kasernen, sondern in Linien, d. h. zehn Reihen von Hütten mit Strohdächern, von denen jede Compagnie eine zugetheilt erhält. Vor einer jeden solchen Reihe liegt ein kleines rundes Gebäude zur Aufbewahrung der Waffen und Montirungsstücke, wozu der Schlüssel sich in den Händen des wachthabenden Havildar (Sergeanten) befindet.
55Corporal.
56Die Wittwenverbrennung.
57Wirklich in einigen Residenturen befohlen.
58500,000 Rupien oder 10,000 Pfund Sterling.
59Die Kuh wild von den Hindu's heilig gehalten.
60Indischer Kampfruf.
61Die Herrin.
62Indische Meilen, 33 auf einen Grad.
63Die vier indischen Hauptkasten, die wieder in zahlreiche Untertasten zerfallen, sind: 1) die Brahminen, der Priester- und Gelehrtenstand, 2) die Xetris, der Kriegerstand, 3) die Waissias oder Banianen, der Handelsstand, 4) die Sudders, der Handwerker- und Arbeiterstand. Außer den Kasten, als unrein, stehen die Paria's.
64Die heiligen Bücher (Mythen) der Indier.
65Mahomedaner.
66Polizeisoldaten.
67Der Gott der Liebe.
68Der heilige[n] Kuchen, wie schon früher erwähnt, das Wahrzeichen der Verschworenen.
69Bergvölker aus Nepaul.
70Der Gott des Feuers.
71Nach dem Glauben der Hindu's ist die Kuh ein heiliges Thier, das sie nicht tödten dürfen.
72Der Schweine, deren Fleisch und Fett der Koran verbietet.
73Der Gott des Krieges.
74Canton.
75Die Göttin des Glücks.
76Man beschuldige uns hier nicht etwa einer phantastischen Uebertreibung. Es existirt in der That in Indien ein solcher Teich, dessen scheußliche Bewohner auf das Zeichen der an seinem Rande wohnenden Fakirs an's Ufer kommen, wie Hunde zu gehorchen gewohnt sind, und häufig Fremden gezeigt werden.
77Der Aberglaube der Indier versetzt die Seelen ihrer verstorbenen Verwandten bei den neun Wanderungen, die sie nach ihrer Religion nach dem Leben noch durchzumachen haben, namentlich gern in die Körper der Tiger und Krokodile. Er tödtet daher auch selten die Bestie, ehe sie nicht Menschenfleisch genossen. Dann sagt er: »ada hala« (er hat sich verschuldet), und verfolgt sie. - Die Krokodile sind im Ganzen auf dem Lande scheu, gewöhnlich greifen sie nur im Wasser Menschen und Thiere an. Dagegen giebt es auch Gegenden, wo sie weit kecker und grimmiger sind, als in anderen.
78Dies ist die indische Beschreibung von Himmel und Hölle.
79In Schlesien zum Beispiel bestand die Sitte noch allgemein in der Jugendzeit des Verfassers. Leider schwinden dergleichen sinnige und, wie hier erwiesen wird, uralte Volksgebräuche immermehr vor der sogenannten materialistischen Aufklärung, dem Tode aller Gemüthlichkeit und Poesie des Volkes.
80Ophelia im »Hamlet«.
81Bei den Orientalen die Bezeichnung für die Irrsinnigen.
82Gemeint ist wohl Pieter Pretorius. (Anmerkung HP)
83Indische Meilen, 3 auf eine deutsche.
84Der Gott des Mondes.
85Die Sonne.




Werke von Sir John Retcliffe

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