Villafranca
oder
Die Kabinete und die Revolutionen.

Historisch-politischer Roman aus der Gegenwart
von

Sir John Retcliffe

Erster Band: Die Prologe.

Erste Abtheilung: Giuseppe Garibaldi.

Auf dem La Plata.

Die Luft schien noch immer in einer zitternden Bewegung von den Reflexen, welche die glühenden Strahlen der Aprilsonne von diesem beweglichen Dunstmeer zurückwarfen, das die glänzende Fläche des Wassers seit zwei Stunden bedeckte. Keine Wolke am durchsichtigen, nur für das Auge eines Eingeborenen erträglichen Gewölbe des Himmels, an dem jener alles Leben erschlaffende Feuerball bereits gluthroth zum Horizont sich senkte. Wie Kampf und Schlachtgewühl ballten die weißen Nebel sich über die Weite des riesigen Stromes, der zum Meere wird in seinen gigantischen Verhältnissen - denn das Auge des Menschen reicht nicht von einem Ufer des mächtigen La Plata zum andern über die acht deutsche Meilen breite Fläche.

Die in der Nähe des Wendekreises noch immer fast senkrechten Strahlen der Sonne erzeugen beim Ende der heißen Jahreszeit häufig solche Nebel, die in weiter Ausdehnung sich über den Spiegel des Stromes lagern und oft mehrere Tage lang anhalten, aber eben so auch dem plötzlichen Wechsel unterworfen sind. Der kühne Schiffer fürchtet sie; denn es ist unmöglich, in ihnen auf Kabellänge um sich zu schauen, und das felsige Ufer, aus dem hier ein kleiner Theil des Strandes besteht, wie die Untiefen des andern, machen jeden Versuch der Annäherung an das Land dann sehr gefährlich.

Der rollende, brausende Ton der aufschlagenden Brandung drang aus diesem Nebelchaos hinauf zur Höhe der Klippe, auf der, von einer vorspringenden Wand gegen die Strahlen der Sonne geschützt, zwei Männer in jenem dolce farniente, jenem träumerischen

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Nichtsthun lagen, das den Bewohnern des Südens so lieb und eigen ist. Von der Höhe der Klippe schweifte der Blick weit über das Nebelmeer und über das im goldigen Sonnenschein liegende Land; denn es ist eine Eigenthümlichkeit dieser Nebel, daß sie zwischen den Küsten sich niedrig über das Wasser hinballen und nicht darüber hinaus sich erstrecken.

Daher war es den Blicken der Liegenden auch möglich, sechs bis acht Mastspitzen zu sehen, die sich über diesen Nebelwogen in der Entfernung von etwa einer Seemeile erhoben und an denen die langen rothen Wimpel bewegungslos niederhingen.

Auf der andern Seite, nach Süden, Westen und Osten schweifte das Auge weit über das flache, nur in niederer Wellenformation sich erhebende Land, das gleich hinter dem Dünengürtel der Küste in üppiger tropischer Vegetation prangte, bis zu einem leichten Höhenzug, der nach Süden zu über den Salado und Rio Flores sich an die Sierra del Volcani schloß, jenseits deren das gefürchteie Pays del Diabo - das Land des Teufels - liegt. Nach West und Südwest aber schien der Horizont sich gleich dem Meere in Osten zu einer unendlichen Fläche zu dehnen - durch keine Höhe, keinen Wald, fast keinen Baum unterbrochen. Dort hinaus lagen die Pampas, durch die einsam der Hirt mit seinen wilden Heerden zieht, der Jäger den Büffel verfolgt oder der kühne wilde Indianer auf Beute schweift.

Vereinzelte Gruppen von stattlichen Korkeichen und wilden Feigenbäumen zogen sich vom Fuß der mit dem Fächercactus bedeckten Felsen nach den höchstens zwei Legua's entfernten Hügelanfängen, von deren Höhe die weißen Mauern einer Quinta im Strahl der Abendsonne leuchteten.

Die beiden Männer auf der Höhe des Felsens schienen die Absicht des Fischfangs gehabt zu haben, denn an den Steinen lehnten einige Geräthe, ein starker Fischspeer, Wurfnetze und Körbe. Aber der Nebel hatte sie überrascht und in träger Apathie hatten sie sich gelagert, um den Untergang der Sonne und den Eintritt der Nacht zu erwarten, mit dem gewöhnlich der Wind vom Lande zur See hin wechselt.

Gefährten bei ihrem Geschäft waren sie, doch äußerst verschieden in ihrem Aussehn. Der ältere von Beiden war ein

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Mohr von herkulischer Gestalt, vielleicht achtunddreißig bis vierzig Jahre zählend und von jenen schwarzen Stämmen des innern Afrika, die der Europäer nur in den wenigen Gliedern zu schauen bekommt, welche durch die Zufälle der ewig unter der schwarzen Race währenden Kriege als Gefangene nach den Küstenländern geschleppt und dort, trotz aller spekulativen Humanität der englischen Kreuzer, als Ebenholz nach den Küsten des freien Amerika verkauft werden. Diese Stämme zeichnen sich durch ihren riesigen Körperbau und durch eine fast der kaukasischen ähnliche Gesichtsbildung aus, die sie auf das Vortheilhafteste von der affenähnlichen platten Physiognomie der gewöhnlichen Neger unterscheidet.

La-Muerte, so hieß der Schwarze, war blos mit einem Hemd und kurzen Beinkleidern von hellgestreiftem Baumwollenzeug bekleidet. Sein kräftiger, mit dichtem Kraushaar bedeckter Kopf war unbedeckt, die Haut von der Schwärze des Ebenholzes. Er trug in einer grünen Schärpe um den Leib ein breites Bowie-Messer und einen kleinen Flaschenkürbis. Um seinen muskulösen Hals schlang sich eine Schnur von seltsamen Zierrathen, aus Knochen, Thier- und Menschenzähnen, Korallenstücken und Glasperlen bestehend. Auffallend an seinem sonst höchst regelmäßigen, selbst nicht unschönen Gesicht war nur der äußerst breite Mund, der dasselbe, wenn er sich öffnete und die Reihe weißer spitzgefeilter Zähne sehen ließ, fast in zwei Hälften spaltete. In den Ohren trug der Mohr schwere Goldringe.

Eine über sieben Ellen lange Lanze von im Feuer gehärtetem Holz, an dem Ende mit einer scharfen Stahlspitze und einem Busch bunter Papageienfedern versehen, stand ihm zur Seite an der Felswand. Der Mohr lag lang ausgestreckt, den Kopf in beide Arme gestützt, gleichgiltig hinabschauend in den brodelnden Nebelkessel unter ihm, aus dem der Anprall der Brandung heraufschlug, während er seine Rohrpfeife dampfte.

Ihm gegenüber, mit dem Rücken an die Felswand gelehnt, saß sein Gefährte, ein Mann von gemischtem Blut, wie der tiefgraue Teint und die gelbliche Farbe des glänzenden rastlosen Auges zeigte. Er war bedeutend jünger als sein Begleiter, vielleicht fünf- bis sechsundzwanzig Jahre, obschon einige Falten auf seiner Stirn und die scharf geprägten Züge ihn einige Jahre

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älter erscheinen ließen, als er wirklich war. Seine Gestalt war unter Mittelgröße, hager und von schwachen Hüften, wie man es bei der Indianerrace gewöhnlich findet. Füße und Hände waren untadelhaft schön, der Mund aufgeworfen, mit breiten, Sinnlichkeit und Grausamkeit andeutenden Lippen, während um die Nasenflügel und die Augenwinkel ein Zug lauernder Schlauheit und Habgier lag und die an sich schöne antike Nase entstellte. Seine Haut war von der Sonne, der Luft und den Anstrengungen noch tiefer gebräunt, als sein Blut mit sich brachte, und hatte eine Art Rattenfarbe.

In seiner mit Goldtressen und Stickereien überladenen Kleidung sprach sich die ganze Eitelkeit und der Leichtsinn des Creolen aus. Eine Jacke von grünem Sammet mit zahllosen Knöpfen von massivem Silber hing zusammengeknotet um seinen Hals. Die Calzoneras oder Beinkleider waren nach der mexikanischen Sitte an den Seiten offen, mit farbigen Schleifen gebunden, und zeigten, gleichfalls mit Goldtressen und Stickereien wie die Aermel der Jacke bedeckt, die Unterkleider von hellgelber Seide, reichten aber nur bis über das Knie, während die mexikanischen Calzoneras weit über den Fuß fallen. Das Bein, vom Knie ab, war von Gamaschen von starkem Rindsleder geschützt, an die durch Riemen der sandalenartige Schuh befestigt war. Sein langes schmales Messer mit Horngriff steckte in den Riemen der Gamaschen; ein ähnliches, mit schwererm Metallgriff - eine gefährliche Wurfwaffe in geübter Hand - befand sich in dem Shawlnetz von chilenischer Seide, das den Gürtel bildete und das weite Hemd von feinem, mit bunter Seide gestickten, Linnen zusammenhielt. Um den Hals trug er eine schwere goldene Kette mit daran hängender Kapsel, die eine Reliquie umschloß. Der kostbare Vicognehut mit blauer, lang herabhängender und goldbefranzter Schärpe umwunden lag neben ihm, er selbst, nicht wie der Neger, auf dem bloßen Felsen, sondern auf einem Poncho1 von weißer, jeder Feuchtigkeit undurchdringlichen Wolle. Ein kurzer spanischer Karabiner, reich mit Silber beschlagen, lehnte neben ihm an der Wand.

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Der Pardo drehte das Tabaksblatt in seiner Hand zum langen Cigarito, schob die übrigen Blätter wieder in den perlengestickten Beutel, den er am Gürtel trug, und zündete die Cigarre an.

»Santa virgem! ich möchte wissen, wo das Boot in diesem Nebel hingekommen, das wir vor zwei Stunden sahen. Sie müssen zu den verfluchten Ketzern, den Unidados, gehören, sonst würden sie ein Zeichen gegeben haben, die Schiffe zu finden.«

Der Mohr zuckte gleichgiltig die Achseln. »Lieben Massa Manuelo so sehr die Libertados? Ich nicht wissen, daß sie besser sein, aber viel weniger tapfer.«

»Zum Teufel mit ihnen! Es sind villaos! Ich liebe weder die Föderalisten noch die Unitarier! Sie sind einem ehrlichen Mann überall im Wege!«

Der Neger fletschte grinsend die Zähne und wies mit dem Daumen über seine Schulter nach der Ebene zurück, auf der sich unter dem Schatten der schlanken Bananen an verschiedenen Stellen Rauchsäulen in die klare Luft erhoben, die Anwesenheit von Menschengruppen andeutend.

»Beu Jäsus! Oberst Adeodato sein ein schöner Mann. Er haben einen Zauber in seinem Blick für die Weiber!«

»Den Teufel hat er, Narr! Er ist ein Feigling, sonst würde er mit seinen Gauchos nicht müßig hier umherlungern, statt drüben über'm Fluß die Apostolicos zu schlagen.«

»Senhor Manuelo wissen, daß General Rosas ihm die Hand der Senhora versprochen.«

»Möge ihm das Schicksal Quiroga's dafür werden! Aniella ist ein freies Mädchen. Der General hat kein Recht, über sie zu bestimmen. Ihre Besitzungen liegen jenseits des Stromes so gut wie hier. Ich allein bin ihr rechtmäßiger Vormund, denn sie hat keinen nähern Verwandten.«

La-Muerte blies verächtlich über die Fläche der Hand. »Was sein Massa Manuelo vor Verwandt? Ich nichts wissen davon. La-Muerte tieses wissen müssen, weil er zwanzig Jahre in tas Haus seines Herrn, und hab' die Senhora geboren seh'n. Hier - dieser Nigger selben,« er schlug kräftig auf seine breite Brust -

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»Sein Vormund von diese Senhorita. Alte Vater hab' sie ihm übergeben. Beu Jäsus!«

Der Gefährte rückte ihm näher. »Du vergißt, Amico, daß ich der Pathe des alten Herrn bin, also so gut wie sein Sohn. Ueberdies ist Senhora Aniella meine Milchschwester.«

»Puh! Es seind ein wenig schwarzes Blut in der Milch von diese Kind, aber viel schwarzes Blut in den Adern von Massa Manuelo. Warum sein Massa hierhergekommen über den Strom?«

»Höre mich an, La-Muerte,« sagte der junge Mann entschlossen. »Ich habe Dich an diesen Ort begleitet, um offen und unbelauscht mit Dir reden zu können. Du weißt, daß Senhor Crousa mir früher wohlwollte, er hätte mir sicher die Hand Aniella's nicht verweigert, wenn er länger gelebt - denn por Dios! ich bin auf dem besten Wege, mein Glück zu machen.«

»Sein Senhor Manuelo ein Haciendero geworden? Haben Massa Manuelo viele Pferde und Rinder, wie die Senhora, und Diener und Häuser? Massa seind geworden ein armer Goldsucher und die Senhorita sein vornehme Dame.«

»Ich habe Besseres als Deine Pferde und Rinder, ja selbst als Dein Gold. Ich bin kein armer Gambusino mehr, wie Du schon aus meiner Kleidung sehen kannst - ich bin reich und werde es bald noch mehr, unermeßlich reich sein. Aber ich muß Aniella besitzen.«

»Haben Massa Manuelo den Reichthum gestohlen?«

»Tilho de puta!«2 Seine Hand fuhr an das Messer. »Doch was erzürn' ich mich über Deine Worte. Du kannst es nicht wissen. Wenn Du mir schwören willst, das Geheimniß zu bewahren, will ich es Dir entdecken. Ich weiß, daß ich Dir trauen kann.«

Der Schwarze hatte sich aufgerichtet. »Beum Schäddel meines Vadders, der in dem Sand der Wüste liegen, dieses Mund soll niemals davon reden.«

»Wohlan denn! Ich war in dem Diamanten-Distrikt

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Sein Gefährte schüttelte ungläubig den Kopf. »La-Muerte's Haar' beginnen grau zu werden - La-Muerte haben es viele Malen versucht, denn dieser Schwarze lieben die glänzende Stein vor sein Leben, aber es niemals möglich.«

Der Gambusino sah sich spähend um. Dann griff er in den Busen und holte ein Säckchen von Wildleder hervor, das er an einer starken Schnur dort verborgen trug.

Er legte es auf den Poncho, öffnete es bedächtig und zeigte den funkelnden Augen des Negers, der weit vorgebeugt daneben kauerte, den Inhalt.

Es waren etwa zwanzig kleinere und zehn größere Steine - einer von diesen hatte die Größe einer kleinen Haselnuß. Das schräg darauf fallende Licht der Sonne rief tausend farbige Strahlen wach, die gleich Blitzen aus diesen eckigen, ungeschliffenen, theilweise noch von der braunen Quarzhülle bedeckten Krystallen kamen.

Diese rothen, weißen, grünen und gelben Blitze, die aus den Diamanten schossen, denn solche von der schönsten Qualität waren offenbar die Steine, blieben aber nicht funkelnder, feuriger, als die Blitze aus den Augen des Mohren.

Der Mestize, ganz mit dem Glanz seiner Steine beschäftigt, achtete in diesem Augenblick nicht darauf, denn die finstere, drohende Miene, mit welcher der Mohr ihn betrachtete, hätte ihn sonst besorgt gemacht.

»Wo, Senhor Manuelo, wo finden die Diamanten?«

»Das ist mein Geheimniß, Muerte. Die heilige Jungfrau hat es mir gegeben - es hat mich Anstrengung, List und Leiden genug gekostet. Aber Carámba! Du begreifst, daß wo dieses war, mehr ist! und daß der Gambusino Manuelo keine schlechte Parthie mehr ist für Aniella Crousa, die Haciendera.«

»Ihr sein reich - reich wie der böse Geist. Aber Ihr sein kein Cavalleiro!«

»Schweig! Wer Gold besitzt, ist Alles. Damit kann ich in der alten Welt mich zum Grafen, zum Fürsten machen lassen. Siehst Du diesen Diamant?«

Er hob einen der größern Steine zwischen zwei Fingern in die Höhe und ließ seinen Bruch funkeln.

»Ich sehen, Massa!«

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»Er soll Dein sein, wenn Du thust, was ich Dir sage. Mehr soll Dein sein - zehn solche Steine, wenn Aniella mein Weib wird!«

Der Mohr zitterte. In seinem Innern schien ein gewaltiger Kampf vorzugehen und malte sich auf seinen Zügen. Er blickte wiederholt mit Begier auf den Schatz, der vor ihm lag, und der doch im Grunde nicht viel besser für ihn war, als bunter Spieltand, und dann wieder finster auf den Versucher, der einen Diamanten nach dem andern im Lichte spielen ließ.

Endlich legte er schwer die Hand auf den Arm des Mestizen. »Thun weg die steinernen Sonnen, Senhor Manuelo. Teufel kommen in die Seele und armer La-Muerte geschworen bei der großen Schlange, als alter Massa Crousa sterben wollen, zu beschützen sein Kind wie ein Vadder und ihr zu gehorchen.«

»Diabo! Du erfüllst Deinen Schwur ziemlich schlecht, amico! Dieser Hund von Oribe hat Euch ohne viel zu fragen von der schönen Villa de las noches entretenidas3 hierher über den La Plata gebracht und will sie mit einem seiner Günstlinge verheirathen in drei Tagen, und Du leidest das, ohne Deine langen Arme zu rühren!«

»Was sollen thun La-Muerte - ein armer schwarzer Mann, wenn Senhorita nicht sagen: >Nein!<«

»So liebt sie ihn?«

»Aniella sein ein Kind - wild, jung, wie die Antilopen von die Sierra. Wissen nicht, was Liebe sein. Oberst Gondra sein ein Cavalleiro von gut Blut und ein schöner Mann. Senhora Aniella ihn nehmen wie einen andern. Er ihr sehr gleichgiltig - pah!« Er blies verächtlich in die Luft, als sei die Heirath eine Sache, die so wenig ihn wie seine Herrin etwas anginge. Dann fuhr er fort: »Wenn die Senhorita lieben und zu La-Muerte sagen: »Das sein mein Amoroso, den heirathen« - beu dem Schaddel[Schäddel] meines Vadders - das sein nun ander Ding. Wofür haben La-Muerte seinen Arm und seine Lanze? Keun andrer Mann sie heirathen.«

»Um so besser, wenn sie gleichgiltig ist gegen diese Heirath.

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Dann wird sie meine Bewerbung nicht zurückweisen, wenn dieser verfluchte Gaucho aus dem Wege geschafft ist und ich ihr gleichstehe. Dazu, Freund Muerte, mußt Du mir helfen. Es handelt sich darum, Aniella von diesem Ufer zu entführen und nach Montevideo zurückzubringen. Deshalb bin ich ihr hierher gefolgt. Mein Gold wird uns den Schutz des Präsidenten sichern und dieser Krieg ein Ende nehmen - die englischen und französischen Kaufleute in Montevideo sprechen Vieles davon.«

»Wenn Aniella sagen: »Ja!« - La-Muerte sein einverstanden und werden tödten mit diese Speer den Espagnol.«

»Das würde uns Nichts nützen, Freund, seine Gauchos würden über uns herfallen und uns Alle ermorden. Ueberdies ist die Küste von ihren Schiffen bewacht - eine Flucht unmöglich.«

»Was thun? Niggers Kopf sein zu schwer!«

»Weißt Du, wo Commodore José mit seinen Schiffen sich in diesem Augenblick aufhält? Du mußt oft Nachrichten hören von den Offizieren, die täglich in der Villa verkehren.«

»Dieser Diabo sein bald hier, sein bald da! Ein Teufel! Er verdienen ein Nigger zu sein, so tapfer. Ich hören sagen gestern, daß diese Schiffe ihn wollen aufsuchen morgen und fangen in einer Bucht am Uruguay.«

»Du hast Recht - er soll ein Teufel sein! und diese Männer aus den fremden Ländern brennen auf das Gold. Wenn er uns helfen wollte, sollten mich alle Gauchos der Welt nicht hindern, Aniella zu entführen. Aber wo ihn finden? Kennst Du ein Mittel, mich nach der Banda4 zurückzuschaffen?«

»Die Churros5 haben genommen jedes Boot an der Küste! Nicht so viel - auf zehn Leguas zu fangen einen Dintenfisch.« Er wies unwillig auf die nutzlosen Fischgeräthe.

»Aber das Boot, das wir vorhin auf der Höhe sahen?«

»Es gehören zu diese Schiff' ohn' Zweifel. Beu Jäsus! Da können es sehen. Das Wasser werden klar! aber was sein das?«

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Der dumpfe Knall eines Kanonenschusses donnerte aus den Nebelschichten herauf, die sich plötzlich, wie von einer Zauberhand gefegt, von der Fläche des Wassers zurückzurollen begannen und zum Theil in die hohen unzugänglichen Schluchten des Ufers drängten, zum Theil in einer wunderbar schnellen Weise sich auflösten und in wogenden Massen hin- und herballten, während dazwischen in langen breiten Streifen die schiefen Strahlen der Abendsonne die Fläche des riesigen Stromes erhellten und weite Fernsichten über den blauen Spiegel eröffneten.

Das eigenthümliche Schauspiel dieser Naturerscheinung war prachtvoll, aber die Aufmerksamkeit der beiden Zuschauer viel zu eifrig auf die Ereignisse selbst gerichtet, um sich an dem Spiel der Naturschönheiten zu ergötzen.

In dem offenen Raum, den sie übersahen, zeigten sich drei der ankernden Kriegsschiffe des Geschwaders von Buenos-Ayres - eine Brigg, ein Schooner und eine Goelette. Die Wimpel des vierten in weiterer Entfernung über der Nebelmasse waren nicht mehr erkennbar.

Zwischen der Goelette, der Brigg und dem Schooner ruderte auf offenem Wasser ein Boot, dasselbe, was die beiden Genossen von ihrem hohen Standpunkt aus vor Eintritt des Nebels auf der Höhe des Stromes beobachtet hatten.

Offenbar war auf einem der Kriegsschiffe das Boot entdeckt und durch den Schuß signalisirt worden. Statt aber beizulegen, hatte das Boot gewendet und suchte die Flußhöhe wieder zu gewinnen.

Aber so kaltblütig und geschickt auch das Manöver des Steuernden war - es kam um fünf Minuten zu spät. Die Bramsegel des Schooners, der am weitesten hinausstand, flatterten bereits in die Höhe und blähten sich in dem leichten Winde, der die Nebel stromabwärts vor sich her trieb, zwanzig Hände waren beschäftigt, die Klüversegel auszuschütten, andere das Ankertau zu kappen und mit einer Boie zu versehen, - und ehe das fremde Boot noch die Hälfte der nöthigen Strecke zurückgelegt hatte, stand der Schooner hinaus nach der Höhe, durchschnitt lustig die Wellen und versperrte ihm den Rückweg.

Zugleich wechselten auf den drei Schiffen rasch die Signale,

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und die Goelette, die Zeit gewonnen, ihren leichten Anker zu heben, machte sich an die Verfolgung.

Mit dem ersten Blick auf die sich entfaltenden Manöver hatten der Mestize und der Mohr als Bewohner der Küste erkannt, daß es sich um eine Verfolgung handle und daß sie sich im Irrthum befunden, als sie geglaubt, daß das Boot zu den ankernden Schiffen gehöre.

»Valha me Deos!«6 rief der Pardo, indem er eilig seine Diamanten zusammenraffte und wieder verbarg - »da ist, was wir brauchen, wenn diese Hunde von Argentinern sie nicht in den Grund bohren!«

In der That - mit einer unerhörten Dreistigkeit der Herausforderung sah man am Sterne des Bootes an der kleinen Stenge eine Flagge emporrollen und sich langsam im leichten Winde entfalten. Es waren die grünen und blauen Streifen mit dem Stierkopf von Uruguay. Der Mann am Steuer stand jetzt aufrecht, man sah, daß er auf dem kleinen Fahrzeuge den Befehl führte. Die Barke war außer ihm mit zwölf Leuten bemannt, und da von einem Verbergen seiner Manöver jetzt nicht mehr die Rede sein konnte, sah man die Mannschaft eifrig beschäftigt, einen kleinen Mast einzusetzen und das Segel aufzuhissen.

Obschon die Entfernung des Bootes von den Schiffen und dieser unter einander noch zwei Kanonenschußweiten betrug, wurde die dreiste Herausforderung der feindlichen Flagge doch von allen drei Schiffen mit mehreren Kanonenschüssen begrüßt, die freilich bloße Pulververschwendung waren.

Bevor wir dem Leser die Jagd, die jetzt begann, vor Augen führen, müssen wir einige Worte den politischen Verhältnissen des Landes widmen, in dessen Kampf wir seine Phantasie versetzt haben.

Bald nachdem sich die sogenannten La Plata-Staaten im Jahre 1810 von der spanischen Herrschaft losgerissen und als unabhängige verbundene Republiken erklärt hatten, deren vorzüglichste und mächtigste Buenos-Ayres war, brach in ihrem Innern selbst ein langjähriger und mit der größten Grausamkeit geführter

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Bürgerkrieg - der Kampf der Föderalisten gegen die Unitarier - los. Während man anfangs unter Unitariern oder Apostolicos die Partei verstand, welche verlangte, daß alle Staaten eine gemeinschaftliche, in Buenos-Ayres residirende Regierung besitzen sollten, von der die Gouverneure der übrigen Provinzen eingesetzt werden müßten, - unter den Föderalisten oder Liberalen aber die Anhänger einer Republik nach nordamerikanischem Muster, in der ein jeder besondere Staat seinen Gouverneur wählen und seine inneren Angelegenheiten selbst leiten sollte, - entstand bald über beide Namen eine solche Begriffsverwechselung, daß zuletzt gerade die entgegengesetzten Tendenzen darunter vertreten wurden und sie nur noch dazu dienten, die sich bekämpfenden und intriguirenden Parteien des Diktators Rosas und seiner Gegner zu bezeichnen.

Der wildeste Fanatismus politischer Leidenschaften, eine Grausamkeit und Blutgier sonder Gleichen, Thaten, der Hölle entsprossen, und Metzeleien, würdig der Schreckenszeit der französischen Revolution von 1792, bezeichnen jene Bürgerkriege, die erst mit der Flucht des Diktators Rosas nach London7 endeten. Namen wie Paez, Artigas, Quiroga, Oribe und Rosas werden in der Geschichte der Menschheit blutige Flecken bleiben!

Einen Hauptschauplatz dieses Krieges gab die 1817 zu Brasilien gekommene Banda Oriental ab, die sich 1825 als cisplatinische Republik constituirte und jetzt den Namen des Freistaats Uruguay führt. Die wachsende Blüthe ihrer Hauptstadt Montevideo durch die große Zahl europäischer Abenteurer reizte die Begierde Rosas, seit 1831 Diktator von Buenos-Ayres, nachdem er schon lange dessen Herrschaft geführt, und er versuchte, als 1839 eines seiner Werkzeuge, General Oribe, als Präsident von Uruguay gestürzt worden, diesen mit den Waffen an die Stelle des neuerwählten Präsidenten Fructuosa Rivera wieder einzusetzen.

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Dieser Kampf, der mit wechselndem Glück auf beiden Seiten zur See und zu Lande geführt und zwei Mal durch die Einmischung und die Blokade der französischen und englischen Flotten unterbrochen wurde, dauerte bis zum Jahre 1851.

Gegen Rosas und seine Werkzeuge, Oribe, Aldao, Pacheco und Urquiza, also gegen die sogenannten Föderalisten, kämpften auf der Seite Montevideo's und der vereinigten Unitarier außer Lavalle - der auf der Flucht nach der Niederlage bei Monte Grande im September 1841 umgekommen - noch die Generale de la Madrid, Acha, Paz, Lopez, die Obersten Nunez, Silweira und Battle, die Gebrüder Madariaga und der Kommodore Garibaldi.

Zur Zeit, in der wir unsre Erzählung beginnen, im April 1842, stand Rosas auf der Höhe seiner Macht und das Glück hatte ihn auf's Neue begünstigt, nachdem kurz vorher eine neue Anstrengung der Unitaristen ihn gefährlich bedroht hatte. Die Provinz Entrerios hatte sich gegen die Föderation erhoben, Rivera den Gouverneur Echaguë vertrieben, Paz war von Corrientes herbeigeeilt, sich mit ihm zu vereinigen, und der Gouverneur von Santa-Fé, Lopez Mascarilla, hatte sich für die Unitarier erklärt und einen großen Zug Pferde, für Oribe bestimmt, in Beschlag genommen. Der Schreck war unter den Föderalen in Buenos-Ayres allgemein und die Unitarier daselbst wagten - zu ihrem Unglück - wieder ihr Haupt zu erheben. Eine neue Mannschaft wurde ausgehoben und unter den Befehl des Generals Aldao gestellt, der ehedem Mönch gewesen und ein Seelenfreund des ermordeten Wüthrichs Quiroga war. Wäre General Lopez als der Nächste damals sogleich gegen die Stadt gerückt, so würde sie sicher in seine Gewalt gefallen sein. Aber wie in allen Bürger- und Revolutionskriegen, Rivera und Paz geriethen in Zänkereien und während dieser Zeit kam Oribe von Tucuman herab, dem Dictator zu Hilfe. Lopez flüchtete aus Santa-Fé, in dessen Hauptstadt der Tiger Oribe Blut in Strömen vergoß, Entrerios erklärte sich wieder für die Föderation und General Paz mußte sich nach Corrientes zurückziehen. -


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Die Stellung der drei Schiffe und des verfolgten Bootes war in diesem Augenblick folgende.

Die Goelette, den Anker gehoben, die Segel ausgespannt, stand in der bezeichneten Weise nach der Mündung des Stromes hinaus, die Brigg ruhig vor ihrem Anker auf der entgegengesetzten Seite so nahe dem Lande, daß die Verfolgten zwischen ihr und diesem unmöglich vorüber konnten, ohne von einer vollen Lage in den Grund gebohrt zu werden. Die Rückkehr nach dem Ufer von Uruguay hinderte der Schooner, und zwischen diesem und der Brigg lag in der entfernten Nebelbank das vierte Schiff des kleinen Geschwaders.

Gleich einer Arena für den Kampf der Gladiatoren dehnte sich die Wasserfläche vielleicht auf eine Strecke von einer Meile Breite frei zwischen den Nebelmauern.

Mit dem Hauch der Seebrise, die gewöhnlich kurz vor dem Sinken der Sonne noch stärker aufzufrischen beginnt, kam die Goelette ziemlich rasch heran.

Das Boot, den Wind fangend, setzte furchtlos seine Fahrt dem Schooner entgegen fort, der langsam ihm entgegentrieb.

Plötzlich erhellte ein Blitz den dunklen Rumpf des Schiffes, eine Wolke kräuselte empor und man sah die Kugel des langen Neunpfünders, den der Schooner auf seinem Vorderkastell führte, über die Wasserfläche ricochettiren.

Der Steuerer des Bootes hatte die Gefahr, ein bloßes Glas am Auge, wohl beachtet und zur rechten Zeit gewendet, die Kugel flog weit links ab. Drei Mal wiederholte sich das Spiel, und immer näher kam das Boot, aber durch das wiederholte Abfallen war es gezwungen worden, allzu sehr nach rechts abzuweichen, und nach einigen Minuten schien der kühne Führer sich überzeugt zu haben, daß es nicht möglich sei, die Lücke zwischen Schooner und Goelette zu passiren.

Das kleine Fahrzeug hielt plötzlich an, das Segel wurde umgeschwenkt und das Boot schoß nach der Mitte des Raumes zurück, der ihm zum Manövriren blieb, aber sich immer mehr verengte.

Schuß donnerte jetzt auf Schuß aus den langen Vorderdeckkanonen der drei Schiffe, und es gehörte die ganze Geschicklichkeit

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des Mannes am Steuer dazu, um durch fortwährende Wendungen den jetzt immer gefährlicher werdenden und näher fliegenden Kugeln kein sicheres Ziel zu bieten.

In diesem Augenblick wurde jedoch die Aufmerksamkeit der beiden Zuschauer von dem interessanten Anblick durch ein eilig näher kommendes Geräusch hinter ihnen in Anspruch genommen, das dem Schnauben und dem Hufschlag eines Pferdes glich, und in den Pausen der Schüsse deutlich hörbar war.

»Pelo amor de Deos!« rief, sich umwendend, der Pardo!8 »es ist die Portenna Gott schütze ihren Hals - der wildeste Gaucho würde das Thier nicht so anzutreiben wagen!«

Der Mohr grinste vor Vergnügen und klatschte seine derben Schenkel mit den Händen. »Nossa Senhora della Serra!9 Es sein das Kind! Was sie reiten können - issa moça he huma diabrinha!10 sie sein so muthig, wie der Cavalleiro in das Boot! Nehmen Dich in Acht, filhinha!«11

Die Warnung, die überdies im Getöse der Schüsse verhallte, fand wenig Beachtung, denn die kecke Reiterin, die auf ihrem kleinen indianischen Pferde den schmalen Felsensteig heraufgaloppirte, als jage sie auf einer europäischen Chaussee, stieß dem Thiere den silbernen Sporn an ihrer Ferse in die Flanken und war mit einem gewaltigen Satze auf dem Plateau des Felsens. Ein zweiter brachte das Thier bis dicht an den Nand des Abgrundes, aber die Dressur des Pferdes war so vortrefflich, die Hand der Reiterin so leicht und sicher, daß es nur einer leisen Bewegung des dünnen, aus Riemchen zierlich geflochtenen Zügels bedürfte, um das erhitzte Thier gleich einer Mauer unbeweglich zu fesseln.

»Logo, logo pai negro12 - was giebt's hier? Was machen die Republikanos für einen Höllenlärm? Ich hoffe,

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es ist eine neue Höflichkeit der Capitanos mir zu Ehren - und zu meiner Ueberraschung.«

»Blutiger Ernst, Aniella!« erwiederte der Mestize; »sieh' selbst - ihre Schiffe haben eine arme Barke unserer Landsleute aufgebracht!«

»Ah - Du bist da, collaço!«13 Sie reichte ihm die Hand. »Es ist nicht hübsch von Dir, daß Du mich allein läßt unter all' den Cavalleiros, da mein Verlobter fort ist. Ich wußte nicht, wo Du geblieben warst, und sattelte mein Pferd, während die Senhors beim Monte sitzen.« Sie reichte ihm die Hand und lehnte sich weit über den Hals des Pferdes, das Schauspiel zu ihren Füßen mit den großen feurigen Augen überstiegend.

Die kühne Reiterin konnte etwa achtzehn Jahre zählen, war aber bei der frühen Reife jenes Klima's bereits in ihrer ganzen Weiblichkeit entwickelt. Der gebräunte, aber durchsichtig klare Teint ihres Gesichts bezeichnete sofort die Creolin, wie man die in den amerikanischen Kolonieen geborenen Weißen nennt, und in der That war Aniella Crousa die einzige Tochter eines vornehmen portugiesischen Offiziers, der 1817 bei der Besitzergreifung Uruguay's dorthin gekommen war und bedeutenden Landbesitz an beiden Ufern des La Plata erworben hatte. Ihre reinen jungfräulichen Züge waren, wie man so häufig unter spanischen Creolen findet, von klassisch schöner Form, die Stirn niedrig, aber von fester, markirter Bildung, eine bedeutende Willenskraft verkündend, und der Mund voll und schön gewölbt. Das weit geöffnete blaue Auge, eine besondere Schönheit in diesem Himmelsstrich, strahlte bereits eine Erregbarkeit des Geistes und Herzens, die nur des zündenden Funkens bedürfte, um zur vollen Flamme emporzuschlagen.

Die Senhora trug die reizende Nationaltracht der spanischen Creolinnen, einen bis auf die Hälfte der Waden reichenden Nock von schwerer weißer Seide mit Silber gestickt, ein gleiches Leibchen, so tief ausgeschnitten, daß der Ausschnitt fast bis zum Gürtel reichte und den vollen Anblick des Busens gewährte,

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darüber das kurzärmlige offene Jäckchen von schwarzem Sammet mit zahllosen silbernen Knöpfen und Nesteln.

Eine rothe Schärpe - die Farbe der Föderalisten, zu denen der ihr bestimmte Bräutigam gehörte - umschloß ihre schlanke Taille und ließ die befranzten Enden weithin im Luftzug flattern. Der kurze Rebuco, die kappenartige Mantille von gleichfalls schwarzer Seide mit Schmelz und Spitzen geziert, war bei dem hastigen Ritt von dem Hinterhaupt auf die Schultern gesunken und ließ das prachtvolle Haar der Donna in seinem vollen Reichthum schauen, indem sein bläulich schwarzer Glanz von den letzten Strahlen der Sonne magisch beleuchtet wurde. Spanische Schnürstiefeln von rothem silbergestickten Corduan umhüllten einen so kleinen und zierlichen Fuß, diese berühmte Schönheit der Creolinnen, daß man den eines Kindes zu sehen glaubte, und schlossen sich an die feinen, hoch hinaufgehenden Gamaschenstrümpfe von gleichgefärbter Vicognewolle, bei dem wilden Ritt das Bein bis zum Knie in seinen feinen und graciösen Linien zeigend. Nur die äußerste Spitze dieses Fußes, an dessen Ferse ein silberner Sporn befestigt war, ruhte nach Gauchositte in dem engen Steigbügel von gleichem Metall.

Die schöne Reiterin trug über der Schulter eine leichte Vogelflinte. Einen eigenthümlichen Reiz gab diesem Kopf ein seltsamer Schmuck, eine jener von Gott in die Luft dieses Landes gestreuten lebendigen Mischungen von Gold, Rubinen und Smaragden, ein lebendiger Kolibri. Das niedliche Thierchen, nicht größer als ein Daumenglied, war eines der gezähmten Exemplare, welche die vornehmen Damen von Montevideo und Buenos-Ayres so sehr lichen und selbst in Gesellschaft mit sich herum tragen, obgleich es sehr schwer ist, die kleinen fliegenden Edelsteine so zu gewöhnen. Der Kolibri mit rothfunkelnder Brust und smaragdnem Gefieder saß auf der Haarkrone des Mädchens vor dem hohen mit Granaten ausgelegten Schildpattkamm, welcher die reichen Zöpfe festhielt, und begleitete mit dem Schlag seiner zierlichen Flügel und geöffnetem Schnäbelchen jede Bewegung seiner jungen Herrin.

»Santa virgem! Beschütze die armen Menschen!« flüsterte das Mädchen, als der Pardo ihr mit einigen Worten die Lage

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der Dinge erklärt. »Es sind unsere Landsleute - ich möchte meinen besten Schmuck d'rum geben, caro Manuelo, wenn wir ihnen zu helfen vermöchten!«

»Laß es Senhor Adeodato nicht hören, mana,«14 sagte spöttisch der Mestize, »er möchte es Dir übel gedenken, daß Du die Blauen in Schutz nimmst, während die Farbe Deiner Charpa roth ist. Aber, por Deos - es sind kühne Gesellen, da versuchen sie auf's Neue an der Goelette vorüber zu kommen!«

»Ihre Kugeln werden sie in den Grund bohren! Barmherziger Heiland, beschütze sie!«

Sie legte die zarte Hand über die Augen, aber schon im nächsten Moment verfolgten wieder ihre Blicke die gefährliche Scene.

»Poltãros!«!15 fluchte der Mohr - »ich sehen thun fort diese Flagge - sie ergeben gefangen!«

In der That wurde, während das Segel des Bootes - in dieser Entfernung nur ein Zielpunkt mehr - niedergelassen ward, und dieses auf das Bugspriet der Goelette zusteuerte, die Flagge von Montevideo von der Stange entfernt und ein Triumphgeschrei der Liberalos auf dem Deck und im Takelwerk des Kriegsschiffs begrüßte diese Handlung der scheinbaren Unterwerfung. Die Goelette drehte bei, den Schnabel gegen die Höhe des Stroms und traf ihre Anstalten, die Prise in Empfang zu nehmen.

Das Boot trieb langsam auf sie zu - bie Mannschaft hatte die Ruder eingezogen, der Mann im Stern stand aufrecht, mit der Linken anscheinend unthätig auf der Pinne des Steuerruders.

Die Sonne war bereits unter dem Horizont, und mit jener Schnelligkeit, mit der in der südlichen Zone die Nacht auf den Tag zu folgen pflegt, senkte sich das Dunkel über die Fläche des Wassers und die treibenden Nebelbanken, so daß nur mit Anstrengung, noch die Augen der Zuschauer auf dem Felsen den Vorgängen auf dem Wasser zu folgen vermochten.

Wie absichtslos war das Boot nach dem Hintertheil des Kriegsschiffes und an der Fallreefstreppe vorbeigetrieben, als es

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an der Schanze des Fahrzeugs anlegte. Man rief ihnen vom Bord, über dessen Bollwerk Offiziere und Matrosen lugten, zu, herauf zu kommen, und warf ihnen ein Tau zu. Der Mann am Steuer erfaßte dasselbe und zog sich daran dicht an die Schiffsseite, so daß das Boot vollkommen außer dem Bereich der Karonaden kam, mit denen die Seiten bewehrt waren. Im nächsten Augenblick hörte man bis auf der Höhe der Klippe eine mächtige, klangvolle Stimmeden spanischen Ruf: »Fuego!«16 ausstoßen und eine Salve von dreizehn Pistolenschüssen knallte über die Wasserfläche.

Im selben Augenblick hatte ein kräftiger Fuß stoß des Steuernden das Boot von dem Schiff ab- und bis unter den Stern desselben getrieben. Im Tempo fielen die sechs Ruder ein und die Barke schoß nach dem Ufer zu, ehe die Föderalisten sich von ihrer Ueberraschung erholen und das Schiff zu einer Breitseite wenden konnten, und drang kühn in die Nebelbank vor, welche den Zugang der Kluft bedeckte, auf deren überragendem Felsplateau die Senhora mit ihren beiden Gefährten sich befand.

»Pelo amor de Deos - sie wagen sich in den Höllenschlund - sie werden an der Brandung der Barre zerschellen und sind verloren, die Unglückseligen!« rief das Mädchen. »Kein Ausgang giebt aus dieser Bucht ihnen Aussicht zur Flucht!«

»Narren die,« grinste der Mohr. »Wenn nicht ersaufen in tiese Brandung, werden umkommen in tiese Pamperos, was kommen. Filhinha müssen kehren eilig zu Hause, weil Wolken nahe!«

»Nimmermehr,« sagte entschlossen das Mädchen. »Was kümmert mich der Pamperos - ich will das Schicksal der muthigen Männer erfahren!«

Indeß schienen die untrüglichen Anzeichen des drohenden Unwetters - eines mit wolkenbruchartigem Regen verbundenen Gewittersturms, der auf dem La Plata unter dem Namen Pamperos bekannt und gefürchtet ist, und oft mit der größten Schnelligkeit, zum Glück aber nie ohne seine eigenthümlichen Vorzeichen sich erhebt - eher zum Vortheil der Verfolgten zu dienen. Die Segel der Goelette wurden eingezogen, man hörte das Rasseln der

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Ankerketten, wie sie durch die Klüven sausten, das Schiff legte sich um und in der Entfernung von etwa 15 Knoten17 vor die Schlucht, in welche sich die Barke geflüchtet hatte. In dieser Entfernung auf dem morastigen tonigen Untergrund war das Schiff sicher vor den Gefahren des herrannahenden Sturmes und dem furchtbaren Aufschlagen der Brandung, die an den Felsen und der Barre tobte, welche den Zugang der Bucht zum größten Theil versperrte, indem es zugleich den einzigen Ausgang vollkommen beherrschte und den Flüchtigen, selbst wenn sie glücklich in's Innere der Schlucht gelangt sein sollten, jeden Ausweg abschnitt.

Man sah zugleich ein Boot des kleinen Kriegsschiffs niederlassen und bemannen.

»Sie wollen ihnen folgen, sie wollen sie angreifen in dem Höllenschlund,« sagte athemlos das Mädchen, indem sie von ihrem Pferde sprang und unwillkürlich nach der Flinte griff. »Wir müssen ihnen helfen!«

»Filho de Deos - Kind Gottes, was denkst Du! - Diese Schufte von Liberalos wissen, was ihr Leben werth ist, und werden sich nicht in die Gefahr begeben. Ueberdies sind ihrer zu wenig in dem Boot - sie rudern nach dem Landungsplatz, sie wollen die Gauchos aufbieten, um sie vom Lande abzusperren, und ich wundere mich in der That, daß ihre Schüsse die villaos18 noch nicht herbeigeführt haben. Sie können die Mühe sparen, denn es führt kein Ausweg aus der Bucht über die platten Felsen und sie haben ihre Leichen sicher genug.«

»Por Deos! wenn es nur das wäre!« Ihr Auge begegnete bedeutsam dem des Schwarzen. »Von den Gauchos haben sie wenig genug zu fürchten - der Oberst ist in Buenos-Ayres und die Offiziere sind in der Villa. Sie wissen so gut wie wir, daß der Pamperos nahe ist. Aber beuge Dich über den Felsrand, Muerte, und sieh' zu, ob Du erspähen kannst, was ihr Schicksal geworden.«

Der Schwarze, der jenen traurigen Namen trug, welcher

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an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnt, umschlang mit seiner Rechten einen hervorragenden Stein und beugte sich weit über den Felsen hinaus nach der Kluft.

Die Landbrise, mit jedem Augenblick schärfer über die Fläche des Stromes daher kommend, hatte die Nebel gehoben und ballte sie zu Wolken zusammen, die den Himmel verfinsterten und das nahende Ungewitter verkündeten. Der Gipfel des Felsens war jetzt in diese Wolken gehüllt, die bisher die Wasserfläche zu ihren Füßen verdeckt hatten, während diese frei sich ausdehnte. Aus der zunehmenden Dunkelheit leuchtete der weiße phosphorische Glanz der schäumenden Brandung, wie sie an der Barre emporgischte.

»Was siehst Du? - sprich!«

»Beu den Gebeunen meines Vadders, Kind - ich sehen ein schwarzes Ding da unten im Schlund - es bewegen sich - verdadeiramente - es sein Männer - sie gerettet aus tiefe infernalische Wasser!«

»Ruf' ihnen zu - sage ihnen, daß sie Freunde hier oben haben!«

Der Mohr machte aus seiner Linken eine Art Sprachrohr und brüllte hinunter:

»Gente de paz! Vivan Apostolicos!«

Einige Augenblicke hörte man Nichts, als das Brausen der Brandung, dann drang aus dem Schlunde vernehmlich eine sonore kräftige Stimme mit den in spanischer Sprache gesprochenen Worten:

»Wenn Ihr wirklich Unidados seid, die Gott und der Zufall hierher geschickt, so sagt uns, wo der Feind steht und was er beginnt?«

Der Neger wechselte sofort sein Idiom in das Spanische, die Hauptsprache dieser Länder, während nur von den brasilianischen Einwanderern das eng verwandte Portugiesisch gesprochen wird, und rief ihm zu, daß die Goelette den Ausgang der Bucht gesperrt halte und ein Boot abgesandt habe, die Aufmerksamkeit der in der Nähe bivouacquirenden Gauchos auf die Verfolgten zu lenken.

Unbesorgt auf die riesige Kraft ihres Majordomus, denn

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ein solches Amt bekleidete der Sclave in ihrem Haushalt, vertrauend, hatte sich die Senhora über ihn hinaus gebeugt und versuchte mit ihren blitzenden Augen das Dunkel in der Tiefe zu durchdringen. Aengstlich barg sich ihr kleiner flatternder Gefährte in der Wölbung ihres Haars.

»Sie dürfen nicht dort unten bleiben, Señor,« rief das schöne Mädchen, und der Silberklang ihrer Stimme zitterte vor der Erregung aufrichtiger Theilnahme. »Ehe eine halbe Stunde vergeht, wird der Pamperos in all' seiner Wuth ausbrechen und Sie würden umkommen in dieser schrecklichen Kluft.«

»Wer Sie auch sein mögen, schöne Señorita,« antwortete die Stimme aus der Tiefe - »nehmen Sie unsern Dank für die Theilnahme, die Sie uns zeigen. Der Rath ist gut - aber, diavolo - er ist schwer genug auszuführen, denn wir stecken hier in einer verdammten Falle und die Felswände sind glatt wie Spiegel!«

»Rudern Sie an das Ende der Schlucht, Señor, und warten Sie dort,« rief das Mädchen. »Wir sind im Augenblick bei Ihnen!«

Sie warf sich elastisch zurück auf ihre Füße. Der Schwarze seiner Last und seines Auftrags entledigt, folgte ihr.

»Was meinst Du damit, Aniella?« fragte erstaunt der Pardo; »giebt es einen Weg hinunter in die Schlucht?«

»Warum sollte man mich die Rastreodora19 nennen,« entgegnete das schöne Mädchen heiter lachend, »wenn ich auf zehn Leguas in der Runde nicht jeden Gang und Pfad kennen würde! Frage La-Muerte und er wird es Dir sagen. Wir sind zehn Mal zusammen hinunter gestiegen. Aber nun frisch an's Werk, denn jeder Augenblick ist kostbar. Komm, Bibi, in Dein sicher Versteck, damit Dir kein Leid widerfährt!«

Mit der Zarten Sorge, die man an hochherzigen Gemüthern stets für die ihnen anhänglichen Thiere findet, nahm sie den kleinen Vogel und barg ihn in ihrem Busen. Dann löste sie vom

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Sattel ihres Pferdes die zusammengerollte Schlinge des Lasso, warf sie um ihren Arm und übersprang die Felsspalte, welche das Plateau von dem herausführenden Fußwege schied. Im nächsten Augenblick war sie hinter den Felsvorsprüngen verschwunden.

Der Mohr schickte sich an ihr zu folgen, als die Hand des Mestizen ihn zurückhielt.

»Beim Himmel, Muerte, das ist ein wunderbares Glück,« raunte der Halbblütige ihm zu. »Diese Unidados kommen wie gerufen - nimm« - er drückte den Diamant in seine Hand - »und laß uns die Gelegenheit benutzen, unsern Plan auszuführen.«

»Bem! ich sein bereit - aber Massa wissen, daß der Wille dieses Kindes Gesetz sein für Muerte!«

Der Pardo nickte einwilligend im eitlen Selbstvertrauen und Beide beeilten sich, dem geflügelten Schritt des jungen Mädchens zu folgen. Indem sie, unbekümmert das an passiven Gehorsam gewöhnte Pferd auf dem Plateau zurücklassend, auf dem steilen Pfad um eines der vorspringenden Felsstücke bogen, schwang sich der Mohr gewandt auf dessen Höhe und half dem nachfolgenden Gefährten herauf. Die in den Fugen des Gesteins wurzelnden Schlingpflanzen zurückbiegend, stieg er mit sicherm Fuß von hier aus abwärts nach dem Innern der kleinen Bucht, von Stein zu Stein, bald an den zackigen Enden, bald an den Wurzeln der in der Tiefe immer üppiger wuchernden Lianen sich festhaltend. Vertraut mit solchen gefährlichen Wegen durch sein eigenes Handwerk, folgte ihm der Gambusino, und so gelangten Beide nach einer kurzen, aber ziemlich gefährlichen Anstrengung, auf einen Vorsprung, wo sie Aniella bereits fanden.

Es zeigte sich, daß der breite flache Stein, auf dem sie standen, etwa zehn Ellen über dem Spiegel des Wassers der Bucht lag, zu welcher die Felswand von dieser Stelle so senkrecht und glatt herniederstieg, daß ein Erklimmen ohne besondere Hilfsmittel nicht denkbar war.

Dicht unter diesem, von der mächtigen Formerin Natur gebildeten Plateau sah man auf dem verhältnißmäßig ruhigen Spiegel der Bucht die Barke der Unidados liegen - ihre Bemannung auf die Ruder gestützt, die Faust am Kolben der Pistole, des weitern Verlaufs der Ereignisse harrend.

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Aniella ließ das Ende des Lassos, den sie um den Arm gewickelt trug, in die Barke fallen. »Es ist unmöglich, weiter hinunter zu gelangen, Señor,« sagte sie. - »Sie müssen jetzt Ihrer eigenen Anstrengung vertrauen. Eilen Sie - jede Zögerung kann Ihr Verderben herbeiführen!«

Der Mann im Stern flüsterte seinen Gefährten einige Worte zu, - man hörte das Knacken der Pistolenhähne - dann erfaßte er den zugeworfenen Strick, dessen Ende das Mädchen um einen Stein geschlungen, und schwang sich mit der Sicherheit eines geübten Kletterers empor. Im nächsten Augenblick stand er vor den Helfern, die der Himmel ihnen so wunderbar gesandt.

Die herrschende Dunkelheit verhinderte, seine Züge genau zu erkennen, doch gestattete sie, zu sehen, daß der Fremde ein Mann von mittelgroßem aber muskulösem Wuchs war, und einen starken Bart trug. Er mußte noch verhältnißmäßig jung sein, wie der volle sonore Klang seiner Stimme und die Elasticität seiner Bewegungen zeigten.

»Señora,« sagte er galant, »empfangen Sie nochmals meinen Dank für die Hilfe, die Sie Unbekannten bisher geleistet. Aber erlauben Sie mir, ehe ich meine Gefährten heraufkommen lasse, Sie um Beantwortung ewiger Fragen über unsere Lage zu bitten.«

»Fragen Sie, Señor!«

»Zuerst - es soll dies kein Mißtrauen sein, aber ich bin für das Leben meiner Gefährten verantwortlich, - wie kommt es, daß wir so unverhofft auf diesem feindlichen Strande Freunden begegnen?«

»Mein Name, Señor, ist Aniella Crousa; ich bin die Tochter des verstorbenen Capitain Crousa da Pinheira, aus Montevideo!«

»Wem sollte der Ruf des ehrenwerthen Portugiesen und seiner schönen Tochter unbekannt geblieben sein, Señorita,« sagte mit einer höflichen Verbeugung der Unbekannte. »Aber verzeihen Sie, wenn ich deshalb meine Verwunderung ausspreche, Sie hier zu sehen.«

Die Dunkelheit verbarg das tiefe Erröthen, das die Wange des schönen Mädchens überzog. »Sie wissen wahrscheinlich nicht, Señor, daß ich Besitzungen auch diesseits des La Plata habe, und die

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Villa, die sich zwei Leguas von hier befindet, gehört dazu. Ich bin eine Frau und kümmere mich nicht um den politischen Streit, der leider mein Vaterland zerrüttet. Ich hatte also keine Ursache, dem Willen Don Manuel Rosas mich zu widersetzen, welcher mich aus meiner Heimath hierherführte, um mich hier zu verheirathen. Aber, ob Umdados oder Libertados - ich glaube hochherzig genug zu fühlen, um tapfere Männer nicht in die Hände grausamer Uebermacht fallen zu lassen, wenn ich es verhindern kann! - Dies sind mein Milchbruder und mein vertrauter Diener, die mir von der andern Seite des Stroms gefolgt sind.«

»Das ist genug, Señora - ich bitte um Entschuldigung und vertraue ganz Ihrem Wort. Was thun die Schiffe Admiral Brown's?«

»Der Admiral selbst ist mit seinen beiden Fregatten den La Plata hinabgesegelt, um sich nach Buenos-Ayres zu begeben. Kommodore Pedro Ximeno kommandirt den Rest des Geschwaders. Die Goelette, die Sie verfolgte, liegt etwa fünf Minnten entfernt, vor dem Eingänge der garganto do diablo,20 in die Sie wunderbarer Weise den Eingang gefunden haben, ohne an den Klippen zu zerschellen. Die Schiffe haben, so viel ich bemerken konnte, ihre Anker geworfen, und bereiten sich vor, den Pamperos zu empfangen. Aber es ist unmöglich, daß Sie die Brandung am Eingang der Schlucht in dieser Finsterniß nochmals passiren können.«

»Ich weiß es, Señora, und deshalb müssen wir den Landweg wählen, um aus dieser Falle zu entkommen. - Ahoi, Mannschaft!«

»Si - si!«

»Einen Augenblick noch, Señor!« Sie legte unwillkürlich die Hand auf seinen Arm. »Ich muß Sie von einem Umstand unterrichten, der Ihnen wahrscheinlich unbekannt ist. Es campirt eine Abtheilung Gauchos in der Nähe der Küste, zwischen hier und meinem Hause, in welchem sich die Offiziere befinden.«

»Ein Boot der Goelette muß bereits gelandet sein, um die Schufte zu benachrichtigen,« fügte der Pardo hinzu.

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»Wer kommandirt die Gauchos - wie stark sind sie?«

»Oberst Adeodato da Gondra,« entgegnete das Mädchen zaudernd - »es sind ihrer zwei Compagnieen.«

»Der Schurke - ich kenne seine Grausamkeit, aber auch seine Feigheit!«

»Er ist abwesend,« fügte die Señorita hastig hinzu, - »er befindet sich in Buenos-Ayres und kehrt erst in drei Tagen zurück. Die Offiziere seiner Milizen sind in diesem Augenblick in meinem Hause und ich hoffe, daß das Unwetter sie abhalten wird, sich mit Ihrer Verfolgung zu beschäftigen. Aber ich weiß in der That nicht, Señor, wie Sie weiter retten.« -

In der That begann das Unwetter fühlbar seinem Ausbruch näher und näher zu kommen. Die Luft umher, ohnehin schon beengt in dieser Kluft, wurde unerträglich dick und schwül, und von Zeit zu Zeit fuhr der grelle Schein von Blitzen darüber hin - in der Ferne hörte man das dumpfe Rollen des Donners.

»Befindet sich ein Boot in der Nähe, dessen wir uns bemächtigen können?«

»Nur das der Goelette - aber es wird zu gut bewacht sein. Alle Boote sind nach den Schiffen gebracht - denn, ich muß es gestehen, Señor, ich scheine selbst eine Art Gefangene, wenigstens habe ich nicht die Mittel, meine Estancia21 an diesem Ufer zu verlassen, wenn auch meine Lust am Umherstreifen wenig gehindert wird, bei welchem der Zufall und das Feuern der Schiffe mich heute hierher führten.«

Der Fremde dachte einen Augenblick nach. »So bleibt uns nur ein Mittel,« sagte er entschlossen. - »Marochetti, Sacchi und Ihr Anderen, schneidet die Taue ab und befestigt sie an den Seiten der Barke. Antonio und der Deutsche heraus zu mir! Arbeitet schnell, denn es gilt Leben und Freiheit. Wie viel Fuß Wasser unterm Boot?«

»Vier Fuß dicht am Felsen!«

Die beiden Männer schwangen sich herauf.

»Seid Ihr fertig, Kameraden?«

»Fertig! Was sollen wir thun?«

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»Alle herauf jetzt bis auf die beiden Stärksten. Wir müssen das Boot aus dem Wasser heben und über die Felsen bringen. Es ist ein verzweifeltes Mittel, aber es ist unsere einzige Rettung. Wo ist François?«

»Hier, Monsieur!« Der Knabe, ein Bursche von kaum acht Jahren, aber behend wie ein Affe, sprang auf das Plateau. »Was ist zu thun für mich?«

»Such' Dir den Weg hier hinauf und halte scharfen Ausguck, daß Niemand sich naht. Señora, darf ich Sie bitten, zurückzutreten? - An die Taue, Männer, und fest gezogen. Versucht das Boot von unten zu heben. Eins - zwei - «

Die Mannschaft der Barke bis auf zwei war an dem Lasso emporgeklimmt und hielt die Stricke, an denen man das Boot befestigt.

»Drei! - angezogen, Männer, so lieb Euch das Leben ist, denn hier kommt dieser höllische Pamperos!«

Ein Geheul wie von tausend Dämonen brach vom Meere her in den Kessel der Schlucht, und schien über ihren Häuptern im tollen Wirbel zu kochen und zu brausen. - Der ganze Himmel stand von zuckenden Feuerstrahlen in Flammen und verbreitete eine Tageshelle, die jeden Gegenstand deutlich erkennen ließ.

In diesem fahlen Licht der Blitze erblickte Aniella zum ersten Mal den Fremden deutlicher, und die gigantische Anstrengung, in der er begriffen, die jede Muskel seines Körpers spannte, erhöhte noch das Eigenthümliche seiner Erscheinung.

Er konnte etwa 32 bis 33 Jahre zählen, und obschon seine Gestalt nur mittelgroß, trug sie doch das unverkennbare Gepräge des Gebietenden, an's Befehlen Gewöhnten. Sein Gesicht war offen und frei, die Stirn hoch und mächtig hervorspringend, die Nase edel und leicht gebogen, der fest geschlossene Mund und das kräftige runde Kinn von einem starken, röthlichen Bart bedeckt, während das gelockte, zurückgestrichene Haar, frei von jeder Bedeckung, von schöner brauner Farbe sich zeigte. Das große dunkle Auge von ausgezeichnet schöner Form blickte fest hinab in die kochende Tiefe, wo vergeblich die beiden Männer sich müheten, die Barke emporzuheben.

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Die Kleidung des Unbekannten war die gewöhnliche der südamerikanischen Seeleute, weite Beinkleider von gestreiftem Baumwollenzeug mit weißer Linnenjacke, und zeigte nur dadurch den Rang des Offiziers an, daß die blau-grüne Schärpe, die seine kräftigen Hüften umschlang, mit goldenen Fransen geschmückt war.

Derselbe kurze Blick, der die Senhora die Einzelnheiten dieses Bildes umfassen ließ, zeigte ihr, daß die riesigen Anstrengungen der Männer vergeblich waren. Im selben Moment auch wandte sie sich zu dem Mohren und wies in die Tiefe.

»Zu Hilfe, Muerte!«

Man hörte einen plätschernden Fall - der nächste Blitz zeigte die aus den kochenden Wellen emportauchende Gestalt des Negers, wie er an den Steinen am Rande sich festklammerte und Kopf und Schulter unter den Boden der Barke schob.

»Hoi - up!«

Das Boot hob sich unter der gemeinschaftlichen Anstrengung und wurde emporgezogen. Im nächsten Augenblick schwangen sich die beiden Matrosen ihm nach; der Mohr folgte.

»Faßt an, Kinder - und mögen Gott und die Heiligen uns beistehen!«

Auf die Schultern der Männer gehoben, wurde die Barke Schritt um Schritt den steilen Felspfad emporgetragen, auf einem Weg, den kaum bei Tage der Fuß des kühnsten Jägers zu betreten gewagt hätte. Nur die Gewohnheit und Sicherheit der Seeleute, unbekümmert um den tobenden Sturm, auf schwanken Raaen und Tauen umherzuklettern, machte es ihnen möglich, auf dem schrecklichen Wege vorzudringen, und das grelle, kaum verschwindende Licht der Blitze diente sogar dazu, ihr Werk zu erleichtern.

Von dem jungen Mädchen mitten in diesem Aufruhr des Himmels mit ruhiger Besonnenheit zurechtgewiesen, war der Knabe gleich einer Katze voran geklettert und hatte bereits den gefahrlosern Pfad erreicht, wo das Schnauben des Pferdes ihn zuerst stutzig machte. Die Hand am Griff seines Messers stand er lauschend da, bis das Herbeikommen Aniella's und des Pardo seiner Besorgniß ein Ende machte. Glücklich und mit nur geringen Beschädigungen wurde die Barke auf den breitern Pfad

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angehoben - der Seemann, der den Befehl über seine Gefährten führte, war der Letzte, der sich heraufschwang.

Einige Augenblicke ruhten Alle von der gewaltigen Anstrengung aus. Jetzt zum ersten Mal hatte der Fremde Gelegenheit, in dem unaufhörlichen Schein der Blitze die Schönheit dieses jungen Wesens zu bewundern, dessen Energie ihn gerettet.

Mit der vollendeten Höflichkeit des Weltmanns und der biedern Offenherzigkeit des Seefahrers nahte er sich ihr und nahm ihre Hand, die er ehrerbietig an seine Lippen drückte. »Señorita,« sagte er, »der schwerste Theil unserer Rettung ist gethan, und Ihnen verdanken wir sie. Tapfere Männer werden nie vergessen, in ihr Gebet zur heiligen Jungfrau den Namen Aniella Crousa's einzuschließen. Die Fluth des Himmels wird in wenig Augenblicken herniederströmen, - es ist Zeit, daß wir nicht mehr an uns, sondern an unsre schone Retterin denken, und daß Sie uns mit Ihren Freunden oder Dienern verlassen. Wir werden leicht von hier aus eine Stelle des Ufers erreichen, an der wir unser Boot ins Wasser bringen können.«

»Ich werde Sie an eine solche führen, Señor,« sagte der Pardo hastig.

»Aber der Pamperos? - die Gefahr ist zu groß!«

»Wir sind an den Sturm und die Gefahr gewöhnt, Señorita, und der Gedanke an die Theilnahme eines Wesens wie Sie, wird unsere Kräfte stärken und uns unüberwindlich machen selbst gegen den Pamperos.« - Ein kurzes schneidendes Pfeifen brach durch das Tosen des Sturmes. »Hören Sie das Signal meiner kleinen Meerkatze - der Bursche scheint einen sichern Ort gefunden zu haben, und es ist Zeit! Auf mit dem Boot, Ihr Männer, und vorwärts. Und Sie, Señorita, leben Sie wohl, und verzeihen Sie mir, daß ich Sie dem Schutz dieses schwarzen, aber braven Mannes überlasse!«

»Nein, Señor,« sagte das Mädchen entschlossen, »ich werde von dieser Stelle nicht weichen, bis ich weiß, daß Ihre Rettung gelungen. Dieser Felsenhang wird mich schützen gegen die Fluthen des Himmels und mein Gebet wird Ihre Schritte begleiten.«

Die Seeleute waren schon mit ihrer Last voran - einige Augenblicke noch zögerte ihr kühner Führer, während bereits

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schwere Tropfen aus den tief niederhängenden Wolken herabfielen und der Sturm mit jedem neuen Stoß an gewaltiger Heftigkeit zuzunehmen schien.

»Noch Eins lassen Sie mich wissen, Señorita, ehe ich scheide,« bat der Fremde; - »lassen Sie mich erfahren, unter welchem Namen ich später an Aniella Crousa denken muß, damit, wenn mein Säbel im Kampf auf den Ihres Gatten trifft, der meine sich senke im Gedächtniß an die Retterin unsers Lebens. Den Namen - den Namen Ihres Verlobten!«

Das Haupt der Creolin war abgewandt wie in tiefer Scham, während ihr Mund, kaum hörbar im dem Toben des Sturmes, den Namen flüsterte.

Wie von einer der giftigen Nattern der Pampas gestochen, zuckte der Fremde beim Klange dieses Namens empor und ließ ihre Hand fallen, die er auf's Neue ergriffen. »Oberst de Gondra, jener Höllenhund selbst, der feige Schlächter eines Rosas und Oribe! - o Señorita, ich konnte Ihnen vergeben, daß eine Tochter Montevideo's einem Föderalisten, einem Feinde ihres Landes ihr Herz und ihre Hand gab; aber einem Scheusal in Menschengestalt, einem Mörder um des Mordes willen - niemals! - Ich wollte eher in jene Schlucht mich zurück wünschen, als daß mein Ohr diesen Namen gehört. So will ich denn der Tochter jenes Landes, für das ich mein Schwert erhoben, zeigen, was ein Fremder dafür zu thun im Stande ist, wenn die eigenen Kinder seinen Henkersknechten sich verbinden!«

Ein Schritt in die Schatten des Felsens - und er war verschwunden. - Ihr Ruf - ihr Wort verhallte in dem Toben des jetzt gleich einem Gießbach aus den geöffneten Schleusen des Himmels herabströmenden Regens, und der Mohr umfaßte die halbohnmächtige Gestalt und trug sie in den Schutz des überhangenden Felsens, wo er die geliebte Gebieterin zwischen der rauhen Wand und dem zitternden Pferde vor dem Nahen des Wetters zu schützen suchte. -

Eine Stunde war vergangen, die rinnenden Regenbäche an den Felsen zu stürzenden Strömen geworden, die Nacht zum Tage in dem zuckenden Schein der Blitze - betäubt war Ohr und Geist von dem gewaltigen Donner, der Wasser und Land aus

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seinen Grundvesten zu reißen schien; - fortgerauscht war der grimme Pamperos, den riesigen Strom enilang zu seinem Bruder, dem Meere - leise nur rieselte es die Felsenrinnen noch hinab zum Grunde der Schlucht - klar und hell brach der Strahl des Mondes durch das fliehende Gewölk, und weit über den ganzen Horizont breitete sich mit Windesschnelle der lichte, klare, sternenfunkelnde Raum.

Bewegungslos auf den Sattel ihres Pferdes gestützt, schaute die Creolin starr - stumm, ohne Antwort für die freundliche Zuspräche des treuen Negers seit dem Scheiden des Fremden, noch immer hinab auf die bewegliche Fläche, die allein noch in wilder Erregung das Bild des großen Gestirns der Nacht in weit gestreckten Reflexen spiegelte.

Erst ein lauter Ausruf des Erstaunens von den Lippen des Schwarzen erweckte sie aus ihrer Erstarrung. Das wieder lebendige Auge folgte der Richtung der Hand des Sclaven, die nach der Stelle wies, an der vor dem Sturm die Goelette ihre Anker geworfen.

Die Stelle war leer - das Schiff verschwunden, während die anderen noch sicher und ruhig an ihren Ketten lagen.

Von der Höhe des Stroms, wo der Horizont sich zu den Gewässern verlief, blitzte es auf. - Die letzten Luftwellen des Orkans trugen auf ihren Schwingungen den dumpfen Schall eines schweren Geschützes an ihr Ohr.



Der Pamperos tobte in seiner tollsten Wuth. - Die Luft schien eine feste, greifbare Finsterniß, so ungeheure Massen von Staub, aufgewirbelt auf den großen trockenen Ebenen, kamen sausend auf seinen Fittigen dahergefahren und vermischten sich mit den Strömen von Regen, daß oft nicht einmal das Licht der Blitze sie zu durchdringen vermochte, obschon deren oft mehr als zwanzig mit einem eigenthümlich rasselnden Laut ringsum von allen Seiten die Luft durchfuhren, begleitet von so gewaltigen Knallen und Schlägen, daß sie die Sinne zu betäuben drohten.

Durch diesen Aufruhr der Natur, durch diesen Gigantenkrieg von Wasser, Feuer und Luft brach sich die kleine Schaar Bahn,

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von Zeit zu Zeit im Schutze eines Felsstückes rastend, hundert Mal in Gefahr zerschmettert, ersäuft, zerrissen zu werden, und eben so oft durch jene Kraft menschlicher Energie gerettet, welche den Kampf mit den rohen Gewalten der Natur stets siegreich besteht, wenn die Hand Gottes nicht selbst diese zu den Werkzeugen seines Zornes macht! Das Boot, anfangs eine Last, wurde dann zu ihrem Schutz, wenn sie unter seinem Dach gekauert einige Augenblicke von der gewaltigen Anstrengung ruhten.

Der kurze Weg zur Küste hinab - sonst wenige Minuten erfordernd - kostete einen Kampf von fast einer halben Stunde; - während dieser Zeit, in den kurzen Pausen der Donnerschläge und während sie unter dem umgestülpten Boot selbst Schutz und neue Kräfte fanden, machte Derjenige, welchen sie Capitain José nannten, diesen Männern mit der Ruhe und Bestimmtheit eines Heros einen Vorschlag, vor dessen Gedanken schon der Gambusino, dessen Nerven doch auch durch manche Gefahr gestählt waren, zitternd zurückbebte.

Diese Männer aber, deren Muskeln von Stahl, deren Seelen von Granit schienen, willigten ohne Zaudern in den Vorschlag. François, der Knabe, den sie in ihre Mitte genommen, damit der Sturm ihn nicht über die Felsen schleudere, klatschte jubelnd in die Hände.

»Señor,« sagte der Pardo zu dem Capitain, indem er den Mund an sein Ohr legte, »gönnen Sie mir fünf Minuten - ich habe Ihnen einen Vorschlag zu thun, der Sie reich machen soll, wenn Sie dieses unausführbare Unternehmen aufgeben und in der Flucht Ihr Heil suchen, welche die heilige Jungfrau beschützen möge.«

Der Capitain antwortete nur mit einer zurückweisenden Geberde. »Das Boot auf den Kiel, Leute! - Dicht heran an die Brandung - haltet die Ruder fest und steckt die Waffen zur Hand!«

»Bei San Jacob von Compostella! ich beschwöre Sie, Señor, geben Sie mir Gehör - es betrifft die Rettung Aniella's!«

»Der Señora? - In das Boot, Leute - sechs an die Ruder - die anderen bereit am Stern zum Abstoßen. - Reden Sie, Señor, die Augenblicke sind kostbar.«

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»Sie selbst - es gilt, sie von der Tyrannei der Förderalen zu befreien - ich muß mit Commodore Garibaldi sprechen oder ihm Botschaft senden.«

»So begleiten Sie uns!«

Der Mestize zögerte.

»Bei Gott - dort kommt die Welle - der Augenblick ist da - fest, Ihr Männer. Hinein in das Boot, Señor, wenn Sie Muth haben!«

Ein Moment kurzer Ruhe schien in dem Wüthen des Sturmes eingetreten; - der Gischt der Brandung schäumte hoch auf an dem flachen Ufer, an dem sie mit dem Boot der günstigen Gelegenheit harrten. Das Auge Capitain José's, der bis an die Kniee im Wasser stand, war starr auf die dunkle, mit weißem Schaum bedeckte Wasserfläche gerichtet.

»Aniella ... « Der Mestize vollendete die Rede nicht. Gleich einer dunklen Wand kam es heran und begrub einen Augenblick lang Alles unter der überstürzenden Fluth.

Dann fühlte sich der erschrockene Gambusino von einer mächtigen Faust erfaßt und gleich einem Bündel Waare mitten zwischen die Matrosen in das Innere der Barke geschleudert. Im nächsten Moment schwamm diese, durch einen kräftigen Stoß vom Ufersand gelöst, auf dem Kamm der zurückweichenden Woge, und der Capitain schwang sich über den niedern Bord und faßte mit kräftiger Hand das Steuer.

»Die Hälfte an's Ausschöpfen, Männer,« lautete sein Befehl, und die Stimme klang so ruhig und unbewegt, als kommandire er die Manöver eines Schiffes im sichern Hafen. »Fest in die Ruder - fest, fest, oder sie schleudert uns gegen die Klippen!«

Nieder tauchte die Barke durch die anstürmende Welle und hob sich dann hoch auf ihren Gipfel - drei Mal wurde das kleine Fahrzeug zurückgeschaudert, und drei Mal trieben es die sich wie Ruthen biegenden Ruder in den eisernen Händen der Männer wieder vorwärts. Wie der Sturm, der Regen und der spritzende Gischt der Wogen so über die hohe Stirn des Mannes am Steuer peitschten und seine Haare flattern ließen, schien er

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ein Steingebild und unempfindlich gegen die Schrecken des Todes, ja selbst gegen die Donner Gottes.

Zu seinen Füßen, fast bewußtlos vor Todesangst, lag der Mestize in dem Wasser, das die Hälfte der Mannschaft mit rasender Anstrengung aus der Barke zu schöpfen arbeitete, die mit jeder überschlagenden Woge sich wieder auf's Neue füllte.

Ein tiefer Athemzug entfloh endlich dieser mächtigen Brust, ein Schimmer von Freude erglänzte im fahlen Lichte der zuckenden Blitze über das eherne Gesicht - das Boot hatte das freie Wasser gewonnen, die drohendste Gefahr war überstanden, und das kleine, durch keine Segel belästigte Fahrzeug gehorchte - ein Spiel der Wogen - doch dem Steuer, und flog regelrecht auf ihren Kämmen dahin, oder tauchte in ihre tiefen Höhlen.

Aber wie - was soll das bedeuten? Die Hand an dem Steuer wendet dasselbe; - statt hinaus auf die tobende, aber sichere Höhe der wilden Gewässer beschreibt die Barke einen weiten Bogen, und kehrt zurück zu dem Ufer nach der Stelle, wo das Licht der Blitze am Horizont wieder die mächtigen Schatten der verlassenen Felsen zeigt! - Und näher noch als das gefährliche Ufer von Stein taucht in diesem unaufhörlichen Feuer des Himmels ein andrer Schatten auf, eine dunkle Masse, schwankend und fliegend auf dem Kamm der Wellen, mit schlanken Spieren und Masten sich abzeichnend gegen den flammenden Himmel - die Goelette von ihren Ankern geschützt, harrend auf die Beute, die sie sich gesichert wähnt - lebendig oder todt; denn, selbst wenn es den Verfolgten gelungen wäre, sich in die Schlucht zu retten - kein athmendes Geschöpf kann die Wuth des Pamperos zwischen den engen Felswänden überdauern.

Der Capitain beugt sich nieder zu dem wimmernden Mestizen, seine Hand zieht ihn empor. »Wenn Sie ein Mann sind, Señor, so sorgen Sie für Ihr Leben. - Die Barke wird in wenig Momenten an der Wand jenes Schiffes zerschellen und Jeder muß dann für sich selbst sorgen. Wenn wir das Deck jenes Schiffes gewonnen, sollen Sie zum Commodore gelangen, so wahr mir Gott helfe und seine Heiligen!«

Die Gestalt des Mannes schien zu wachsen, wie er in der schwankenden Barke am Steuer stand, das Auge auf das Schiff

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gerichtet, dessen den Wellen zugekehrtem Vordertheil man näher und näher flog. »Auf Eure Posten, Kameraden - werft die Ruder in's Wasser - ihr Dienst ist vorbei für diese und jene Welt! Die Messer zwischen die Zähne und - Gott sei unseren Seelen gnädig!«

Umher zuckten zu einem Flammenmeer die Blitze, der mächtige Donner schien die Gewölbe des Himmels zu zerreißen; - eine große Woge warf auf ihrem Kamm das leichte Boot mit den fünfzehn Menschenleben gegen das Gallion des Schiffes - aber die Hand des Mannes am Steuer preßte es im letzten Augenblick zur Seite; und an der scharfen Kantung vorüber, die es wie ein Messer zerschneiden mußte, flog es am Backbord hin und stieß hoch emporgehoben gegen die Schiffswand.

Wohl krachten und brachen die leichten Planken, wohl stürzte der Wasserberg über und durch die geöffneten Fugen - die dünnen Bretter, die allein bisher die Tapferen von der Ewigkeit geschieden, versanken unter ihren Füßen. Aber der kurze Augenblick des Anpralls hatte bereits genügt für die gewandten, auf die verzweifelte That vorbereiteten Seeleute, sich an den Netzen, Wanten und Tauen des größern Fahrzeugs festzuklammern, und zerschlagen, zerschunden, zerstoßen, warfen sie sich über das Bollwerk, klimmten die Wanten hinauf und sprangen hinab auf's Verdeck.

Selbst der Einzige, dessen von dem Anprall gebrochener Arm nicht vermochte, ihn an der ergriffenen Kette festzuhalten, ein Schwede von Geburt, seit fünf Jahren durch ein abenteuerliches Leben nach Montevideo verschlagen, sank ohne Laut, ohne verrätherischen Todesschrei in die Wogen zurück.

Aber ein anderer Todesschrei gellte durch den Aufruhr der Natur - der argentinische Offizier stieß ihn aus, der auf dem Vorderdeck mit zwei Matrosen die Wache hatte, und hinter den Fockmast gekauert an diesem sich festgebunden. Der Säbel des Unitaristen-Capitains spaltete sein Haupt, als er sich empor zu raffen versuchte, erschreckt von dem Anblick der fremden Gestalten, welche die Blitze selbst auf sein Deck zu schleudern schienen, noch ehe der Anruf: Quién-vive? seine Lippen überschritten.

Ein einziger Blick in ihrem Schein belehrte den Capitain,

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daß der größte Theil seiner Leute bereits an Bord war. Er selbst hatte sich an den Ketten des Fallreeps festgehalten und hinaufgeschwungen, während seine Linke den zitternden Körper des Mestizen nach sich zog, den die Todesgefahr auf dem ihm so fremden Element doch wenigstens gelehrt hatte, sich im rechten Moment anzuklammern.

»Vivan los Unidados! Nieder mit der Föderation!« tönte eine gellende Knabenstimme vom Hinterdeck her durch Sturm und Donner.

»Por amor de Dios! Der junge Schelm ist bereits am Steuer und hetzt uns zu früh die Schurken auf den Hals. Zu Hilfe, Ihr Leute, und sperrt die Luken!«

Ein einziger schwacher Pistolenschuß knallte; der Wachmann am Steuer, der die Waffe unter seinem Regenkittel getragen, hatte ihn auf den Knaben gethan, der wie eine Katze die Treppe des Hinterdecks hinaufgehuscht und bemüht war, die Thür der Kajüte mit seinem Dolch zu sperren. Der Capitain ließ den unfreiwilligen Theilnehmer der Heldenthat auf das Deck fallen und war trotz des furchtbaren Rollens des Schiffes im nächsten Augenblick an seiner Seite; ein Schlag mit dem schweren Metallgriff des Schiffssäbels, den seine Rechte führte, streckte den Steuermaat zu Boden. Unterdeß waren die drei oder vier Männer, welche ihn begleitet, über die kleine Wachtmannschaft hergefallen, die sich auf dem Deck der Goelette befand und sich vor der Wuth des Sturmes unter dem Bollwerk und den Segeln geborgen hatte.

Jeder Stoß der breiten langen Matrosenmesser, jeder Hieb mit den Kolben der schweren Schiffspistolen, denn zu jedem andern Gebrauch hatten die Wassergüsse des Himmels und des Stromes die Waffen längst untauglich gemacht, tödtete einen Feind oder machte ihn kampfunfähig.

»Zu den Luken! zu den Luken!« klang die Stimme des Führers über Sturm und Geschrei.

Die Goelette war mit sechsundvierzig Mann bemannt; - zum Glück für die Angreifenden befanden sich zwei der Offiziere und die Bootsmannschaft der Varkaffe am Lande, die Ersteren auf der Quinta der Señora, die Anderen mit der Meldung an

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den kommandirenden Offizier bei den Gauchos, und das so rasch ausbrechende Unwetter hatte ihre Rückkehr verzögert. Dennoch überstieg die Zahl der Föderalisten-Mannschaft auf dem genommenen Schiff noch mehr als das Doppelte die ihrer Gegner.

Glücklicherweise hatte die Mannschaft selbst die Lukenklappen geschlossen, das Innere vor der strömenden Sündfluth zu schützen, und der heulende Sturm, der brüllende Donner tobten so arg, daß von dem Kampf auf Deck kaum ein Ton herunter drang in die geschlossenen Raume. Mit der furchtbarsten Anstrengung waren die Montevideer bemüht, die Lukenklappen durch Taue und was bei dem entsetzlichen Schlingern des Schiffes ihre Hand erreichen konnte, von außen festzumachen, während jeden Augenblick die Bewegungen des Schiffes sie von einem Bollwerk zum andern schleuderten. Den linken Arm um den Hauptmast geschlungen, stand der Capitain José, mit seinem Wort die rasende Arbeit der Gefährten leitend und ermunternd.

Jetzt aber, - sei es, daß ein Zufall die eingeschlossene Mannschaft aufmerksam gemacht, sei es, daß man die Wache auf Deck ablösen wollte und die Ausgänge verschlossen fand, deutlich zwischen dem Rollen des Donners hörte man die wüthenden Schläge von unten gegen die Lukenklappen und das Geschrei und die Flüche der Eingesperrten.

»Nimm die fünf Stärksten, Marochetti, und versuche das Vormars- und das Stagsegel zu setzen. Wir müssen die Anker kappen und uns der Gnade der Wellen überlassen!«

»Das ist sicheres Verderben, Giuseppe! In diesem Sturm vermag kein Mensch sich auf der Raa zu halten!«

»Es muß geschehen oder wir sind in ihren Händen!« Er hatte das Sprachrohr am Kompaßhaus gefunden. »Zwei Mann mit Aexten an die Ankerketten! Hinauf auf die Vor-Bramstänge[Bramstenge] und das Segel bereit! - Löst die Schlingen des Stag - hurtig, Männer, hurtig!«

Er sprang an's Steuer und löste die Taue, mit welchen die Spieren festgebunden waren. Das Enterbeil, mit dem er sich aus dem Waffenkranz am großen Mast bewaffnet, hing am Riemen vom Gelenk seiner rechten Hand.

»Aufgepaßt, Männer! - Wahre die Kajüte, Sacchi, und

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halte die große Luke im Auge - jetzt - auf mit dem Stagsegel! - haut - «

Eine Kugel pfiff an seinem Ohr vorbei - nicht den Knall hörte er im neuen Donner, nur das Zischen des Blei's. Schnell wie der Blitz, der am Himmel zuckte, kehrte er sich um und starrte in das drohende Antlitz eines Feindes, der sich eben über die Gallerie des Hinterdecks schwang - drei - vier Gestalten kletterten ihm nach - Kurzdegen - die glänzenden Klingen der Machetes - die Läufe der Pistolen funkelten im Feuer des Firmaments.

Der Capitain schlenderte dem nächsten Gegner das Sprachrohr in's Gesicht. »Haut das Ankertau durch! kappt! kappt!« donnerte seine gewaltige Stimme über das Deck, während er mit der Linken am Steuer sich festklammerte und die Rechte das Enterbeil schwang.

»Viva el Union!« An dem stahlbeschlagenen Stiel des Beils zersplitterte der Kurzdegen des Spaniers und der Schlag der furchtbaren Waffe warf diesen kopfüber zurück in die schäumende Fluth.

Ein gewaltiger Ruck erschütterte das Schiff bis in seinen Kiel. Gefaßt von der heranstürmenden Welle, hob sich das befreite Bugspriet hoch in die Luft, daß der Stern bis über die Gallerie in die dunkle Fluth versank, die zwei der Bedränger hinwegspülte. Mit einem Donnerknall fing sich der Sturm im gelösten Stagsegel und drohte die Taue aus ihren Schooten zu reißen. Das Schiff trieb einige Momente über Stern und drehte sich dann um sich selbst. Es war der dringende Augenblick, in welchem das Steuer seine Kraft üben mußte, wenn die Goelette nicht regungslos in die tosende Brandung treiben sollte.

Der Capitain warf sich, achtlos auf alles Andere umher, in die Speichen. »Los mit dem Vormarssegel! - alle Hände an die Taue!«

Ueber seinem unbeschützten Haupte schwebte die Machete, geschwungen von der Faust des grimmen Föderalisten, der allem die Gallerie des Decks zu überschreiten vermocht.

Einen Augenblick - und es war um den Tapfern geschehen!

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Da funkelte es über seinen auf die Speichen des Rades gebeugten Körper hinweg - eine Knabenhand nur hatte den Wurf gethan, aber die Enterpike mit der Gewalt eines Katapulks zischte durch die Luft, und die lange schneidende Spitze begrub sich in die Brust des Spaniers.

»Maldito demonio!«

Das Schiff richtete sich empor, es begann dem Steuer zu gehorchen und flog vor dem Sturmwind dahin, ab von der gefährlichen Küste.

Ein Blick auf den bäumenden Körper des Feindes auf den Planken des Decks zeigte dem Capitain, was geschehen.

»Dank, François! Beim Himmel - ich vergelte Dir's, Bursche!«

Der Knabe hielt sich keuchend an der Wantung fest, von der herab er den Wurf gethan. Mehrere der Männer eilten herbei, sie regierten das Steuer, sie bewachten die Brüstungen, um jeden der Feinde, der den verzweifelten Versuch des Emporklimmens machen sollte, hinunter zu stoßen in die noch immer tosende Fluth.

Aber die Goelette flog jetzt in verhältnißmäßiger Sicherheit vor den Wellen dahin, der Höhe des Stromes zu - die Donner verhallten in schwächeren Schlägen und der Pamperos eilte weit dem Schiffe voraus nach dem Meere. Kaum eine halbe Stunde, und durch die zerzausten fahrenden Wolken blitzten einzelne Sterne und begann der Mond seine Silberstrahlen zu streuen auf die erregten Wässer.

Die Unidados hatten bis dahin, auf's Aeußerste angestrengt, mit der Rettung und Leitung des Schiffes zu thun gehabt. Jetzt musterte der Cavitain seine Mannschaft. - Zwei fehlten von den zwölf Tapferen, den Einen hatte die zerschellende Barke mit hinabgezogen in den Todesschlund, den Andern der Sturm bei dem Lösen des Vormarssegels über Bord gerissen - Keiner war unverletzt, theils von den Quetschwunden beim Ersteigen des Schiffs und der Arbeit auf dem Deck, theils vom Kampf bei Ueberwältigung der Wachen. Aber in aller Augen war jetzt der Triumph, funkelte noch der ungebeugte kühne Geist.

»Es ist Zeit, Kameraden,« sagte der Capitain, »daß wir vollends Herren des Schiffes werden. Untersucht die beiden Karonaden

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dort und erneuert die Ladungen aus dem Pulverkasten, wenn es nöthig ist, und richtet sie gegen das Vorderkastell. Sacchi, nimm das Steuer - und Ihr Anderen stellt Euch mit den Waffen an die große Luke.«

Die Befehle waren in wenigen Augenblicken erfüllt. Man hatte dabei Manuel, den Pardo, aufgehoben, der blutig und zerschlagen sich zwischen den Geschützen festgeklammert, und ihn auf eine Bank gesetzt.

Capitain José stand mit dem Enterbeil in der Hand an der Seite der Luke. Auf seinen Befehl wurden die Decken, Taue und Ketten, die man darüber geworfen, fortgeräumt und ein Loch in die Ecke der Klappe geschlagen.

Sofort streckten sich zwei - drei Flintenläufe und Spieße hervor.

»Keine Thorheit, Männer,« sagte hastig der Capitain. »Das Schiff ist in unsrer Gewalt und ich müßte Euch Alle tödten, wenn Ihr nicht der Vernunft Raum gebt. Ist ein Offizier unter Euch, mit dem ich verhandeln kann?«

Ein junger Aspirant meldete sich, es war der einzige Offizier, der noch auf dem Schiff war; - der Capitain hatte den Tod gefunden, es war der Creole, den der Schlag des Enterbeils über die Gallerie des Sterns in die See geworfen.

»Señor,« sagte der Führer der Unidados, »das Kriegsglück ist wechselnd und es gereicht keinem Tapfern zur Schande, von einem andern Tapfern überwunden zu werden. Ihr Deck ist in unsrer Gewalt und das Schiff bereits auf der Höhe des Stromes außer jeder Möglichkeit der Hilfe für Sie. Ich gebe Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit, ob Sie meine Bedingungen annehmen wollen, - dann lasse ich Feuer geben!«

Es erfolgte eine kurze stürmische Berathung zwischen der unter der Luke versammelten Mannschaft des Schiffes, dann fragte der junge Offizier, welches die Bedingungen wären, die man ihnen gewähren wolle; denn in diesem zur Metzelei ausartenden Bürgerkriege der südamerikanischen Republiken war gewöhnlich Gefangenschaft mit grausamem Tode ziemlich gleichbedeutend.

Capitain José eröffnete ihnen, daß sie ihr Ehrenwort zu geben hätten, keinen Widerstand weiter zu versuchen, daß die

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Mannschaft einzeln auf das Deck zu steigen und ihre Waffen dort niederzulegen hätte. Dann müsse sich Jeder nach dem Vorderschiff begeben und dort sich unter dem Bollwerk niedersetzen, bis das Schiff die kleine Flottille des Commodore von Montevideo erreicht. Dafür sollte Jedem das Leben und seine persönliche Habe gesichert sein und er am Ufer von Uruguay frei an[']s Land gesetzt werden, von wo sie die Truppen Oribe's erreichen könnten, die Montevideo seit einem Jahre belagerten.

Die Bedingungen waren so überraschend günstig, daß sie alsbald angenommen wurden. Das Werk der Entwaffnung ging unter den drohenden Mündungen der Karonaden rasch vorwärts, und die besiegten Föderalisten nahmen die ihnen angewiesene Stelle ein, mit Groll im Herzen und einem Fluch auf den Lippen, als sie - noch immer einunddreißig Männer stark - erkannten, von welch' geringer Zahl sie überwunden worden.

Aber es war zu spät, den Sieg nochmals zu bestreiten, die Macht in den Händen ihrer Gegner und das feste, gebietende Auge des feindlichen Führers zeigte ihnen, daß jeder Versuch einer Auflehnung unfehlbar mit ihrem Verderben enden müsse.

»Jetzt, Kameraden,« sagte heiter der Capitain, »sind wir die Herren des Schiffes und verdienen, daß die Farben Montevideo's die besiegte Flagge von Buenos-Ayres ersetzen! Aber zum Unglück liegt die unsre auf dem Grunde der Teufelsbucht, und wir müssen uns die Freude versagen, den schönen Augen unsrer Retterin zu zeigen, was die entschlossenen Kämpfer der Freiheit zu thun vermögen!«

»Vive l'Union! Vivan los Unidados!« klang da eine helle Stimme von den Groß-Rahlingen des Mastes - die blauweißen Streifen mit der goldenen Sonne flatterten nieder auf's Deck und hoch an der Zugleine der obersten Gaffel wehte die blaugrüne Flagge von Montevideo, von einem jubelnden Viva der Tapferen begrüßt.

François, der Knabe, hatte sie um den Leib geborgen, ehe er die Felsenwand der Teufelsschlucht an dem Lasso Aniella's erstieg. Der tolle Bursche jubelte jetzt in dem Tauwerk des Mastes, den seine Hand geschmückt.

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Mit der Lösung der großen Kanone auf dem Vorderdeck wurde die Flagge begrüßt. Das Echo des Schusses war es, welches der letzte Odem hinübertrug zu dem Ohr der schönen Creolin.

Also kam's, daß ihr glänzendes Auge die Goelette nicht mehr an ihrem Ankerplatz fand!

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Jus primae noctis!

Es war am dritten Tage nach den Ereignissen, die wir so eben erzählt.

Die zur Vermählung der schönen Herrin der Quinta de los dias entretenidos - der Villa der angenehmen Tage - bestimmte neunte Stunde des Abends nahte heran. Vor der Veranda des weitläufigen Hauses waren von den Soldaten, von den Vaqueros, Peonas und schwarzen Sklaven der großen Estancia Ehrenpforten, geschmückt mit den köstlichen Manioks, den Suchils und hundert anderen der lieblichen wilden Blumen dieser Zone errichtet, und hohe Mastbäume, von deren Spitzen die blau-weiße Flagge von Buenos-Ayres und die rothen Bänder der Liberalos wehten.

Zwischen diesen Bäumen und Bogen und den Säulen der offnen Veranda hingen Guirlanden bunter Papierlaternen, des Beginns der Erleuchtung harrend; große Haufen gefällter Pfirsichbäume, des kostbaren Brennstoffes dieses Landes, lagen aufgeschichtet, um mit ihren Flammen zur Erleuchtung zu dienen und die Mosquito's abzuhalten. Eines dieser Feuer brannte bereits in der Mitte der weiten, von hohen Kastanienbäumen umgebenen Piazza, die sich vor dem Hauptgebäude den leichten Abhang hinabdehnte, während hinter dem Hause durch Opuntiencactushecken verbunden und eingezäunt sich die Wirthschaftsgebäude, die Ställe und die Hütten der Diener und Sklaven hinzogen. An seiner Flamme wurde an einem Pfahl von Eisenholz ein ganzer ausgeweideter Ochse zum großen Vergnügen der umhertanzenden und das Feuer schürenden Neger gebraten; denn heute an dem Festtag

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ruhte die Peitsche des Aufsehers, und die Aussicht auf die unbeschränkte Mahlzeit und den Tanz hielt ihre unermüdlichen Beine und Zungen in Bewegung. Die Frauen, mit ihren kleinen Kindern rittlings auf der Hüfte, und die Schaar der größeren, die sich mit den zahlreichen Hunden der Estancia balgten, durch Geschrei und Schläge in Ordnung haltend, kochten und buken in großen Töpfen und Pfannen den Reis oder mit Oel und Hammelfett gesättigte Maiskuchen. In großen Kreisen lagerten die Vaqueros und Peons - die Hirten und Diener des Guts, die Saltadores und Matadores - die Arbeiter der großen Schlächtereien - umher, mit zahlreichen Gauchos und Milizsoldaten, trinkend und spielend. Der Maté, der berauschende Paraguaithee, aus Kürbisschaalen massenweise getrunken, die Cana - Rum, Arak und Mescal,22 die in großen Kalebassen für den allgemeinen Gebrauch umherstanden, hatten bereits ihre Wirkung gethan; außerdem herrschte seit dem Pamperos noch immer jene ihm vorangehende oder nachfolgende eigenthümliche Schwüle der Luft, welche auf die Eingeborenen einen so merkwürdigen nervösen Einfluß übt, ihre Leidenschaftlichkeit bis zum höchsten Grade steigernd, daß unter ihrer Herrschaft Blutthaten und wilde Ausbrüche des Zorns überaus häufig sind.

Das Bild, das die Piazza unter diesen Umständen darbot, war ein äußerst buntes und bewegtes. An die Stämme der umgebenden Bäume gebunden, befanden sich einige Pferde der Gauchos, deren etwa an hundert auf dem weiten Platz zerstreut sein mochten, während die meisten in dem Corral - oder umzäunten Platz hinter der Villa untergebracht waren. Die Mehrzahl der wilden Reiter, in ihrer malerischen Landestracht, - den weiten weißen, nach unten zu mit Franzen besetzten Hosen, dem grellgefärbten Zeugstück um die Schenkel gewunden, das um den Leib von einem Gürtel festgehalten wird, und dem Poncho in leuchtenden Farben über der Schulter, den Kopf mit einem herabhängenden Hut oder der rothen spitzen Mütze bedeckt - war eifrig mit dem Spiel beschäftigt, dem die Bewohner des spanischen Amerika leidenschaftlich ergeben sind. Von Zeit zu Zeit unterbrach aus

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den Gruppen ein wilder Fluch oder kurzer Streit die espáda, malilla oder das basto und monte,23 - zornige Augen glühten, Messer blinkten und drohten, bis sich Andere dazwischen warfen, oder ein Cabo24 mit schweren Strafen die Streitsüchtigen bedrohte, Ruhe zu halten. Audere tanzten nach dem Klänge einer Mandoline mit den ländlichen Chinas,25 die so kokett wie die schönste Manola der Alameda von Madrid oder der Perustraße von Buenos-Ayres den seidenen Rebozo um Kopf und Schultern zu schlingen wissen.

Müßig auf den Ellenbogen gestützt, die Cigarette von Maisstroh dampfend, schaut eine Gruppe hier dem Tanze zu, einige Schwarze trippeln vergnügt dahinter von einem Bein auf's andere und kichern vor Vergnügen wie Tolle; bescheiden und ängstlich besorgt, keinem der »Señores« zu nahe zu kommen, stiehlt sich einer jener armen Race, der ursprünglichen Besitzer des Landes, der verachteten Indios manos26 durch das Gewühl, selbst von dem Neger verächtlich über die Achsel angesehen, um das kleine Häuflein der Seinen zu erreichen, die dort am Ende des Platzes unter den 12 bis 15 Ellen hohen Blüthenstengeln der Aguaven ihre Mascada27 halten, indem sie - selbst von der Nähe des Leichnams nicht beirrt, der wenige Schritte entfernt unter einem hohen Distelgesträuch liegt, das Blut aus der Todeswunde, die er beim Messergefecht im Spielstreit erhalten, noch kaum geronnen! - mit thierischer Gefräßigkeit den Teig aus Zucker, Wasser und den fortgeschütteten Yerbablättern kauen, aus denen die weißen Männer ihren Maté bereitet haben, und der ihr Lieblingsgenuß ist.

La-Muerte, trotz seiner schwarzen Farbe eine angesehene Person als Majordomo und Liebling der Haciendera unter dieser Menge, streicht zwischen derselben umher, überall zum Trinken

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und zur Lust ermunternd, die Haussclaven anhaltend, Getränke und Speisen herbeizuschaffen, und sich mit komischer Würde das Ansehn als Ordner und Leiter des Festes gebend, was ihm zwar manche höhnische Spötterei der Soldaten zuzieht, die aber rasch unterdrückt wird, wenn sich das feurige Auge des Mohren auf die Gruppe der Spötter wendet; denn Jeder hütet sich, ihn ernstlich zu erzürnen, theils weil mit seiner riesigen Kraft wenig zu spaßen ist, theils weil all' die guten Dinge des Festes durch seine Hand gespendet werden.

Dieses Fest selbst ist es, was dem Schwarzen viel Kopfzerbrechen und nicht wenig Sorge zu verursachen scheint, denn bei all' seinem Bemühen, den Cavalleiros vom Sattel und Lasso gegenüber die Honneurs des Hauses in würdiger Weise und dem Rang und Reichthum seiner Gebieterin entsprechend zu machen, kann er doch eine gewisse Unruhe nicht verbergen.

Seit dem Abend am Meeresstrande hat sich Aniella Crousa zurückgezogen in ihren Gemächern gehalten. Statt daß sie sonst gewohnt war, mit der Ungebundenheit und Freiheit eines jungen Füllens über die Hügel und die Ebene zu schweifen, eine kühne Reiterin trotz des ältesten Vaquero, und daher bewundert und geliebt von dieser rohen Menschenklasse, die stets der körperlichen Gewandtheit und geistigen Kühnheit ihre Bewunderung und Anhänglichkeit zollt, hatte sie die Quinta seit jenem Abenteuer nicht verlassen, und wenn er ihr zufällig in seinem Hausdienst begegnete, erschien sie ihm zerstreut und nachdenkend, ja, die Fragen, die er ihr über das zu bereitende Hochzeitsfest that, schien sie mit offenbarem Widerwillen zu beantworten, während sie bisher die Verheirathung als eine gleichgiltige, einmal bestimmte Sache behandelt hatte.

Nur als ihr alter Hüter und Vertrauter ihr mittheilte, daß ihr Gast und Milchbruder Manuelo mit den Unidados verschwunden sei, und in seiner aphoristischen Weise ihr die Meinung andeutete, daß der Gambusino sich den Vertheidigern seines Landes gegen die Liberalos angeschlossen habe und vielleicht gar feindliche Absichten gegen die Quinta unterstützen könne, funkelten ihre Augen und sie wandte sich ohne Antwort ab.

Am Morgen war der Oberst de Gondra von Buenos-Ayres

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zurückgekehrt, und mit der Gewalt, die er in dem Hause übte, das er bereits als das seine betrachtete, hatte er die Befehle ertheilt, sofort die getroffenen Vorbereitungen zu vollenden, damit die Hochzeitsfeier noch an demselben Abend erfolgen könne. Seitdem hatte La-Muerte die Señorita nicht wieder gesehen und alle Hände voll mit der Ausführung der ihm obliegenden Geschäfte zu thun.

Während er so hin und her durch die Gruppen der Spielenden, Tanzenden und Trinkenden ging, rollte sein glänzendes Auge häufig über den Kreis des in die aufsteigenden Abendnebel versinkenden Horizonts, gleich als erwarte er irgend ein Ereigniß. Seine lange Lanze lehnte am Eingang des Correro, in dem sich die Pferde der Gauchos befanden, und wie zufällig hatte er eine Gruppe der ältesten Vaqueros der Estancia dahin zu postiren gewußt, mit denen er sich häufig angelegentlich unterhielt. Bald wieder schaute er nach den Gemächern der Quiuta zurück, durch deren geöffnete Jalousien bereits der Strahl von hundert Kerzen leuchtete.

»Gott segne Dein schwarzes Gesicht, Tio28 Muerte,« sagte einer der Gauchos, als der Mohr an der Spielergruppe vorüberging, »aber Carámba! ich meine, es wäre Zeit, daß wir die Feuer ansteckten und uns bereit hielten, auf den Ruf der Glocke in der Kapelle uns einzustellen. Ich hoffe, Du hast mir einen guten Platz bestimmt, von dem ich Alles sehen kann.«

»Der Padre sein seit einer Stunde dort, Massa Ruperto,« brummte der Mohr; »aber tiese Coronel und seine Alferez29 sein so vertieft in ihr Spiel, tas sie die Hochzeit kanz vergessen.«

»Quien sabe? Unser Coronel ist ein Teufelskerl,« lachte der Gaucho, »und ich glaube, daß Dein Täubchen die Zeit nicht erwarten kann. Ja - ja, Camisas de Britaña, y maridos de España!30 Das reinste Blut ist in seinen Adern, er könnte nn Conde31 in dem alten Lande sein, wenn er nicht vorzöge,

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ein freier Porteños32 zu bleiben. Aber zehn Dutzend Teufel bringen ihn nicht fort, wenn er beim Monte sitzt. Nun, füll' einstweilen die Calebasse noch einmal mit Mescal - wir wollen auf die Gesundheit der Braut trinken, so lange sie noch Jungfer ist!«

Der Mohr schaute unwillig die Spötter von der Seite an und setzte seinen Weg fort. In der That wär die Stunde bereits verstrichen, die zu der Einsegnung des Paares angesetzt war, und der Priester harrte schon lange mit den beiden schwarzen Knaben, die er zum Meßdienst in die Chorröcke gesteckt hatte, in der Hauskapelle, wie eine solche in jeder Quinta und größern Hacienda vorhanden ist.

In dem Augenblick, als der schwarze Majordomus an der Gruppe der Indianos-manos vorüberging, berührte eine Hand die seine, und als er zur Seite schaute, erblickte er einen Jungen in der zerlumpten Tracht der Peons, der ihn unter seinem zerrissenen Strohhut mit schlauem Blinzeln ansah und zur Seite winkte.

Ein einziger Blick genügte, um den Schwarzen den französischen Knaben wiedererkennen zu lassen, der sich unter der Bemannung der Barke befunden, und schnell besonnen, ohne ein Zeichen des Wiedererkennens zu geben, schritt er ihm voraus außerhalb des Lichtkreises des Feuers in den Schatten eines der riesigen Kastanienbäume, welche den Platz umgaben. -


Der Saal oder die Halle, in der sich der Bräutigam mit seiner Gesellschaft befand, und deren Fenster bis auf den Boden der Veranda gingen, die vor der ganzen Front des Hauses entlang lief, bot ein eben so buntes und wildes Bild, als die Piazza vor der Terasse mit ihren Gruppen des niedern Volkes. Eine lange Tafel, besetzt mit allen Genüssen zweier Zonen und zweier Hemisphären, erstreckte sich durch die Mitte. Auf silbernen Schüsseln luden die Delicatessen des Meeres und des Landes zum Genuß; das Guana-Gelée, jenes ekelhafte und doch so kostbare Gericht aus den großen Eidechsen der Tropen, den Iguanas; - Schildkröteneier und Austern in großen Kübeln mit

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Eis. - Suppen von malayischen Vogelnestern und die gesottenen Flossen des Hayfisches; - der saftige duftige Höcker des Büffels der Pampas und die gepökelten fetten Rinderzungen; - die Tamales, die stark mit Piment gemischten Ragouts aus Fleisch und Mais; - dazwischen auf silbervergoldeten Schalen die kostbaren Früchte der Tropen, Ananas und Bananen, die köstliche Pompelmus und die riesige Pfirsich zwischen großen Vasen und Körben mit Blumen, dem wilden Jasmin und Oleander, den lieblichen Kelchen der Taturas und dem Duft der Suchil. In mächtigen Eiskübeln standen die langhalsigen und gewundenen Flaschen mit den köstlichsten Weinen der fremden Länder, welche die Schiffe aller Nationen nach Valparaiso bringen: der feurige Burgunder und liebliche Wein von Anjou aus Frankreich, die schweren Rhein- und Ungarsorten, Cyperns honigartiges Getränk, der Saft der Trauben vom Fuß des Vesuvs, die Perle Constantia vom Cap und der Gluthtrank von Madeira und Oporto, der mehrmals die Linie passirt. Dazwischen lagen und standen, zum Theil schon geleert, ganze Batterieen des schäumenden Champagners, zwischen den langhalsigen Flaschen des feurigen Refino, des seinen einheimischen Branntweins, um eine große Terrine mit Sangarihpunsch, dem kühlenden und hitzenden Lieblingsgetränk Westindiens.

Die zerbrochenen Flaschen und Gläser, die umherstehenden Kelche und kostbar ciselirten alterthümlichen goldenen und silbernen Becher, das ganze Aussehn des Zimmers bewiesen, daß die Gesellschaft, welche hier versammelt war, schon seit Stunden sich einer wilden Schwelgerei überlassen.

Ein Theil der langen Tafel war abgeräumt, Schüsseln, Teller und Flaschen auf Nebentische gestellt, die geblümte Damastdecke sorglos zurückgeschlagen, und um die Stelle her drängten sich stehend und sitzend die Anwesenden, mit Leidenschaft dem Lauf des Montespiels folgend, das hier in vollem Gange war.

Am Ende der Tafel saß in seinem breiten Butacas, dem üblichen großen Lehnsessel des spanisch-creolischen Mobiliars, der künftige Hausherr, eine große hagere Gestalt, mit kräftiger Adlernase und funkelnden, Leidenschaftlichkeit spiegelnden Augen. Oberst oder Coronel Adeodato de Gondra war ein Mann von

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einigen dreißig Jahren und von nicht unschönem Aeußern, obschon der eben erwähnte Ausdruck seiner grauen Augen seiner obern Gesichtsbildung bedeutenden Eintrag that. Die Schläfe waren schmal, die Stirn von dicken Adern durchzogen, und die halb unter einem spanischen Spitzbart versteckte Form des Kinns und des gekniffenen Mundes verrieth mehr wilde Grausamkeit, als die männliche Tugend des Muthes. Er war einer der berüchtigtsten und gefürchtetsten Anhänger des wilden Oribe und des-blutigen Diktators von Buenos-Ayres.

Der Oberst trug das Costüm der Caraccas, dem er etwas Uniformartiges zu geben versucht hatte, statt der bunten Schärpe eine breite mit Perlen und Edelsteinen gestickte Koppel über die Schultern, an der ein langer spanischer Stoßdegen mit Korbgriff hing, um den Federhut und den Arm das breite rothe Band der Föderalen mit Rosa's Bild und der Aufschrift: »Föderation oder Tod!« und »Tod den wilden Unitariern!«

Den gleichen Parteischmuck trugen sämmtliche Anwesende in der auffallendsten Weise an ihrer, die bunteste Mannichfaltigkeit des Gauchos - des Caraccas - und mexikanischen Costüms repräsentirenden Kleidung, die meisten von ihnen überdies auf den Aermel ihrer Jacken gestickt das Bild der mazorca oder Maiskolbe, oder gar eine solche in Natur an dem kostbarm Strohhut von Jigijapa befestigt, als Zeichen, daß sie dem furchtbaren Club[b] der Mazorcas angehörten, der Henkersknechte des Diktators, und von ihm zur Ausführung seiner Verfolgungen der Gegner gegründet.

Aehnliche Bänder, Schärpen und Fahnen mit dem Bildniß des Gewalthabers und den wahnsinnigsten blutdürstigsten Inschriften waren überall an den Wänden und Fenstern, angebracht.

Vor dem Bräutigam lag ein Haufen von den großen Gold-And Silbermünzen, wie sie in Amerika von dem verschicdensten Gepräge im Verkehr sind, goldene Dublonen, amerikanische Dollars, spanische Piaster und englische Sovereigns, mit jenen Bankzetteln, von denen der Diktator bei jeder politischen Bewegung neue Massen nach Gutdünken ausgab, ohne je über den Zustand der Bank Rechnung zu legen.

Aber mit jedem Albur - jeder neuen Taille des Monte -

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verminderte sich sichtlich der Gold- und Silberhaufen und strömte der Kasse des Bankhalters zu, der in fortwährendem Glück bereits kolossale Summen um sich her gehäuft hatte.

Der Bankier war ein Offizier der Miliz, ein Mann von vierzig Jahren, ein Creole mit einem leichten Schatten des indianischen Bluts, von kräftigem gedrungenem Wuchs, die Augen klein und scharf, der Mund üppig und sinnlich ausgeworfen. Die Gewandtheit, mit der er die Karten umschlug, die Gewinne auszahlte und die Verluste einstrich, zeigte den Spieler von Profession.

Fünfzehn bis zwanzig Offiziere, Rancheros und Abenteurer, welche die Gesellschaft bildeten, drängten um den Spieltisch her, setzten mit wüstem Lärmen oder beschäftigten sich mit zwei Señora's, welche die Freunde des Bräutigams mit von Buenos-Ayres gebracht hatten, und die so ziemlich den doncellas canflonas33 glichen.

Mehrere schwarze Diener schritten zwischen den Gruppen umher, eifrig beschäftigt, die Gläser der Señores stets auf's Neue mit den verschiedenen Getränken zu füllen und jedem ihrer Winke zu genügen.

«Por el amor de Dios!« sagte ein junger Stutzer mit zierlichen Guadalagrastiefeln von gepreßtem Leder und einem großen Federhut, während er die Frazada, das kurze Mäntelchen, mit Resignation um seinen Arm schlug; »dieser Satan von Capitan gewinnt all' unser Gold. Nehmt diese letzten zehn Dublonen, Señor Estevan, und mögt Ihr zur Hölle fahren!«

»Was beliebt, Señor Don Tragaduros?« fragte der Miliz-Capitain scharf.

»O, nichts weiter, alma mia!34 Ich kenne Eure vorzügliche Geschicklichkeit im Schießen und im Gebrauch des Messers, Señor, und meinte nur, ich gönnte Euch mein letztes Geld von Herzen!«

»Zum Teufel mit Deinen zehn Dublonen!« schrie ein backenbärtiger Gesell in langer Manga und der rothen Mütze der Federados; »sieh den Coronel an, amigo mio - bei

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der heiligen Jungfrau! - er setzt eine talega35 auf den Buben!«

Die Augen Aller wandten sich auf die bedeutende Summe, die des Spielers funkelten leidenschaftlich wie die des erregten Chamäleons.

»Glück in der Liebe, - Unglück im Spiel!« sagte der Bankhalter mit schlauem Lächeln, indem er die Karten zur neuen Albura mischte. »Es ist nicht mehr als billig, Señor Coronel, daß Sie heute Unglück im Spiel haben, und wir sollten aufhören. Ich glaube ohnehin, der Sacristan ist schon zwei Mal an der Thür erschienen und hat einen Wink gegeben, daß der Padre uns erwartet.«

»Nichts da! nicht von der Stelle, Capitan!« zürnte der erregte Spieler; »wir haben Zeit genug zur Hochzeit und Sie müssen mir Revange geben.«

»Ich küsse Ihnen die Hand, Señor, und bin zu Ihren Diensten. - Aß und Dame, Zehn und Bube - Sie haben verloren, Oberst - ich sagte es Ihnen im Voraus!«

Mit einem wilden Fluch stieß der Gauchoführer den Goldhaufen, der vor ihm lag, dem Glücklichen zu. Señor Estevan zählte mit einer an's Wunderbare grenzenden Geschicklichkeit die Gold- und Silberstücke und schob die Bankzettel dem Gegner zurück.

»Sie schulden mir danach noch dreihundert und fünfundvierzig Piaster, Señor Coronel,« sagte er höflich. »Sie haben vergessen, daß wir bei Beginn des Spiels ausgemacht, daß die Papiere Seiner Excellenz, bei allem Respekt vor demselben, des allzu schlechten Courses wegen eben so wenig benutzt werden dürfen, wie der Credit.«

»Mil diablos! Wollen Sie den Credit der Bank von Buenos-Ayres anfechten und den Diktator schmähen?«

»Weit entfernt davon, Señor, ich bin Ihr Diener und Seiner Excellenz Knecht. Aber hoy se paga, mannana se fia!36 wie das Sprichwort sagt. Ich appellire an diese Herren!«

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»Señor Estevan ist in seinem Recht!« erklärte einer der anwesenden großen Estancieros; die Offiziere pflichteten ihm bei.

»Carámba! es lohnt nicht der Mühe, zu streiten! Was schätzen Sie diese Diamanten, Señor? ich weiß, Sie verstehen sich darauf!«

Er riß aus der Brusttasche seiner Jacke ein Etui und öffnete es. Ein prachtvoller Schmuck von Smaragden und Diamanten, Ohrgehänge, Broche und Bracelet, funkelte den Blicken der Anwesenden entgegen. Ein allgemeiner Ruf der Bewunderung klang durch die Menge, auch die beiden Schönen mit ihren Verehrern eilten herbei, das kostbare Hochzeitsgeschenk zu bewundern.

In diesem Augenblick trat La-Muerte in den Saal und näherte sich der Tafel. Seine Augen blieben über die Köpfe der Anwesenden hinweg auf den funkelnden Steinen haften und verfolgten sie, wie der Schmuck von Hand zu Hand ging, mit habsüchtigem Ausdruck.

Der Capitain ließ die Steine in ihrem Feuer in dem Glanz der Kerzen, die man bereits seit einer Stunde angezündet, spielen und prüfte sie genau.

»Ich gebe fünfhundert Dublonen für den Schmuck!«

»Carámba! ich stehe dafür mit tausend in den Büchern Levy Aarons, des jüdischen Hundes am Plaza de la Constitucion. Aber es mag d'rum sein und Señora Aniella sich einstweilen mit einem Schmuck von Suchilblumen begnügen. Zählen Sie das Geld auf, und Champagner her, Ihr Schurken! reichen Sie mir die Flasche Aguardiente de arraz, Señor Assistente!«37

Er goß ein großes Wasserglas voll des flüssigen Feuers und stürzte es hinunter. Der Capitain begann die Dublonen aufzuzählen.

Der Blick des Coronel traf auf La-Muerte, der noch immer in der Nähe der Tafel stand. »Sieh da, das schwarze Factotum, der Haushofmeister und Ober-Ceremonienmeister meiner süßen Braut! Was stehst Du hier, Bursche, und schneidest Gesichter? Fort, und laß die Feuer und die Lampen flammen, es geht zur Hochzeit; die paar Alburs, bis ich meine Revange

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habe, wird das holde Täubchen seine Sehnsucht schon noch zügeln können. - Hinaus mit Dir, und laß es an Nichts fehlen, picaro!38 denn ich schwöre Dir, es dürfte das letzte Mal sein, daß Du in diesem Hause den Herrn spielst!«

Der Mohr verschwand. »Du bist uns noch die Erzählung, von dem Ausgang der Meuterei schuldig, amigo mio!« schrie ein dicker kurzer Mann von der Sangarih-Bowle her, ein großer Campasino und Besitzer bedeutender Querenzias,39 dessen in diesem Lande ungewöhnliche Korpulenz durch eine kostbare Zarape von Saltillo bedeckt wurde. »Cáscaras! Du sollst ein Dutzend junge Thiere haben für Deine Compagnie, aber ausführlich muß ich hören, wie der würdige Diktator - die heilige Jungfrau segne ihn! - den ekelhaften Hunden von Unitaristen den Hals abschneidet.«

»Sie haben Zeit, Señor Coronel, während Don Estevan die Dublonen zählt, die Ihnen tausend Jahre Glück bringen mögen!«

»Dieser Teufelskerl von Almirante40 hat keinem seiner Offiziere oder Matrosen erlaubt, einen Fuß an's Land zu setzen, daß wir von ihnen ein Wörtchen hätten erfahren können!«

»Der alte Seehund soll wüthend sein über den Verlust der Goelette. Der Teufel hole diese Cachivaches von Unitaristen. Sie muffen mit dem Bösen im Bunde sein!«

Die Hälfte der Gefellschaft bekreuzte sich. In der That war es auffallend, daß, während das Geschwader von Buenos-Ayres so nahe der Quinta vor Anker lag, kein Einziger der Bemannung sich weder unter den Gästen des Saales noch unter dem Volk des Hofes befand.

Ein lauter Jubel drang von diesem her durch die Jalousien, man sah den hellen Schein der Feuer auflodern, den Glanz der zahllosen bunten Laternen sich in langen Guirlanden entwickeln.

Feuerräder und Schwärmer begannen an verschiedenen Stellen ihren zischenden Lauf, Raketen, hoch in den dunklen Abend-

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Himmel steigend, verkündeten das Fest. Der Klang der Schellentrommel und Rohrpfeife rief die Schwarzen zum Tanz.

»Die Geschichte! die Geschichte!«

»Zweihundert zwanzig,« zählte die monotone Stimme des Capitains.

Der Oberst lehnte, auf den Ellenbogen gestützt, über den Tisch, seine Augen verfolgten die Goldstücke, wie sie in glänzenden Reihen sich vor ihm häuften. Von Zeit zu Zeit führte er den Becher mit den feurigen Getränk zum Munde.

»Nun, zum Teufel denn - so hört, Cameradas! Bei der heiligen Jungfrau! seit dem Rosas-Monat41 hatten wir nicht ein solches Fest. Ihr wißt, daß diese verfluchten Unidados auf die Nachricht von dem Aufstand in Santa-Fé gewaltig dreist die Köpfe erhoben hatten!«

»Mögen sie dafür in der Hölle braten!«

»Gott und den Heiligen sei Dank! die Generale Oribe und Adao haben sie mit unsrer Hilfe zu Paaren getrieben. Aber Seine Excellenza hat ein treffliches Gedächtniß. Carámba! Er weiß, was Adeodato de Gondra ihm für Beistand im gesegneten Monat geleistet, und unsere Brüder von der Mazorka sandten mir einen Wink, eilig hinüber zu kommen, um ihnen mehr Galgen aufrichten zu helfen!«

Ein brüllendes Gelächter belohnte das Wortspiel.42

»Vorgestern Abend,« fuhr der Gauchoführer mit boshaftem Lächeln fort, »begann der Tanz. Seine Excellenz hatte uns in seiner Villa Palermo ein köstliches Fest gegeben. Die Colorados43 waren in den Kasernen versammelt, des ersten Winkes gewärtig, die Kanonen des Kastells Juan de Garays44 waren auf die Stadt gerichtet. Um neun Uhr brachen wir von Palermo auf und wurden auf dem Plaza de la Victoria von unseren Leuten empfangen, die bereits das Polizeihaus umzingelt hielten, in dem

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sich diese verfluchten Unidados aus Montevideo befinden. Hei - wie der Tanz losging! das Thor auf - wir hinein! Vivan los Federados! abajo los Unidados! - die Thüren gesprengt, die Schurken herausgezogen und das Messer in ihre in Ewigkeit verfluchten Kehlen!«

»El cuchillo ni suena ni truena!«45 lachte ein bärtiger Alferez, indem er zuerst die Haarkokarde und dann den Mund der Donzella an seiner Seite küßte.

»Achtundsiebenzig der Schurken wurden in dem Gefängniß und vor der Thür desselben abgethan,« prahlte der Coronel weiter. »Dann ging es an die Jagd auf die Alameda! Glauben Sie wohl, Señor, daß wir Porteñas dort fanden, die keck genug gewesen waren, die verfluchten Farben zu tragen?«

»Abscheulich! Niederträchtig! Und was that man mit diesen Geschöpfen?[«]

»Ho! Fragen Sie hier Juanita und Elvira, wie wir mit ihnen umgesprungen sind! Pech in die Haare und die rothen Bänder d'rin festgeklebt! Herunter mit den verfluchten Kleidern bis zum Hemd und unter die Brunnen mit ihnen, den Schimpf abzuwaschen!«

»Aber die Männer, - was thaten die Männer?«

»Carámba! wir wußten sie schon zu finden, so gut sich die Feiglinge auch verstecken mochten. Hussah, die Thüren der Häuser eingeschlagen und jeden Winkel durchsucht, wo sich eine unitarische Ratte verstecken konnte. Als der Tag kam, hingen zweihundert von ihnen an den eigenen Hausthüren, und auf dem Fleischmarkt steckte an jedem Haken, auf jeder Spitze der Kopf eines verfluchten Unidados! Die Karren mußten den ganzen Morgen umherfahren, um das Aas von den Straßen aufzulesen!«46

Die ganze Gesellschaft klatschte Beifall und ergoß sich in

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Prahlereien und Schmähungen, die erst der Ruf des Obersten unterbrach, der die Goldstücke einstrich.

»Zum Teufel über die verlorene Zeit! Zum Spiel, zum Spiel! Hundert Dublonen auf das Daus!«

Alles drängte sich um das neue Spiel - die Braut - die Hochzeit - die Illumination warm vergessen!

Der Capitain zog langsam den Albur ab - das Daus hatte gewonnen.

»Victoria!« Uebermüthig strich der Oberst den Satz ein. »Dreihundert Dublonen auf die Neun!«

»Terriblemente!« - schon die dritte Karte hatte gegen ihn geschlagen. »Zweihundert auf das Aß!«

Die Taille war zu Ende - eine neue wurde begonnen. Ein pfeifender Odemzug - ein bedauernder Ruf der Umgebung - das Aß hatte verloren.

Der Coronel schob wild den Haufen Goldstücke dem Gegner zu. »Wein her!« Er riß dem Diener die entkorkte Champagnerflasche aus der Hand statt des präsentirten Glases und setzte sie an den Mund.

Als er sie niedersinken ließ, war sein Gesicht fahl, das Auge blutunterlaufen. Die Hand, mit der er sich auf den Tisch stützte, zitterte.

»Va banque!«

»Señor Coronel - die drei Alburs sind zu Ende, ich spiele nicht weiter.«

Die Augen des Gauchoführers funkelten, seine Lippen waren feucht. Er riß den Dolch aus der Schärpe, die seine Hüften umschlang, und stieß ihn mitten zwischen den Goldhaufen vor dem Capitain in den Tisch.

»Bei dem lebendigen Satan, Señor - Sie werden nicht aufhören, so lange ich spielen kann! Bin ich ein unitarischer Lump oder ein Cavalleiro? Ich setze die Quinta, in der wir sind, gegen zehntausend Dublonen!«

»Señor,« sagte Don Estevan kalt und in seinen Augen funkelte es spöttisch, »die Quinta de los dias entretenidos ist das Eigenthum Ihrer Braut - Sie haben noch kein Recht darüber!«

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»So habe ich es über diese selbst,« zischte der rasende Spieler. »Ich weiß, Capitain, daß Sie selbst auf sie hofften! Die Braut gegen den ganzen Inhalt der Bank!«

Ein Todesschweigen folgte der frechen Herausforderung. Selbst der Rausch verflog vor diesem Anerbieten, dessen zweischneidige Bedeutung Jeder begriff.

Die Stirn des Miliz-Capitains war von einem leichten Roth überzogen. »Señor Coronel,« sagte er endlich mit tiefem Gutturalton, »und die anwesenden Señors mögen unsere Worte beachten! das Anerbieten ist verführerisch, aber Sie begreifen, daß ich es nicht annehmen kann. Seine Excellenz, der Ihnen auf den Wunsch General Oribe's die Señora Crousa zur Gattin bestimmt, würde jede Aenderung unausbleiblich mit seinem Zorn bestrafen - und ich habe keine Lust, auf der Esplanada der Citadelle erschossen zu werden! Sie haben keine Macht über die Señora, ehe sie nicht selbst Ihr Eigenthum ist!«

»Mil diablos!«! Das Recht, das ich jetzt setzen will, werden Sie doch hoffentlich nicht bezweifeln! Es gilt nochmals fünfhundert Dublonen gegen die Brautnacht!«

Die Donzellas kreischten in frechem Gelächter laut auf.

Die Männer, trunken von den feurigen Getränken und den erregten Leidenschaften, klatschten Beifall über das kühne Wagniß, oder senkten wenigstens die Augen unter den drohenden Blicken, die der Oberst über die Reihe laufen ließ.

Selbst Don Estevan schien einige Augenblicke seine Ruhe verloren zu haben - wie vordem die Rothe, so überflog jetzt eine noch tiefere Blässe als gewöhnlich die markirten Züge seines Gesichts.

»Nun, Señor - wollen Sie oder nicht?«

»Nein!«

»Carájo! So leihen Sie mir Geld! ich lasse Sie nicht von der Stelle, und sollte ich Sie die ganze Nacht festhalten. Tausend Teufel - ist die Señora, der Sie so eifrig den Hof gemacht, nicht mehr fünfhundert Dublonen werth, seit Sie ihre Estancias nicht mit in den Kauf bekommen können?«

»Señor de Gondra,« sagte der Miliz-Offizier fest, ohne die höhnische Herausforderung direkt zu erwiedern, »ich kaufe Señora

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Aniella nicht - das wäre eines Cavalleiro unwürdig, - aber wir können um sie spielen. Bei meiner Ehre schwöre ich, daß ich in dieser Nacht nur noch einen einzigen Albur mit Ihnen spiele!«

»Reden Sie - schnell!«

»Ihr jus primae noctis - gegen die Bank!« Er schob die ganze vor ihm liegende bedeutende Summe mit dem Schmuck auf die Mitte der Tafel.

»Wenn Sie die Hochzeitsnacht meinen,« schrie der Oberst, her vom Latein höchstens die Worte der Messe und das Ave kannte, »so habe ich mein Recht darauf Ihnen bereits angeboten. Carámba! Die Señora darf sich nicht wenig schmeicheln, so hoch bei Ihnen im Preise zu stehen!«

»Dann ist bei Ihnen das Gegentheil der Fall, Señor Coronel.«

Die Hand des Gaucho znckte nach dem Dolch, der noch immer in der Tischplatte steckte, aber die Leidenschaft des Spiels überwand.

«Cáscaras! - was ist es auch weiter! ich mache kein Hehl daraus, daß ich nur um den Besitz der Güter ihr die Ehre meiner Hand erzeige. Juanita wird mich reichlich entschädigen!« Er zog die Dirne auf den Schooß und begrub seinen Mund auf dem ihren.

»Sie kennen die Bedingung, Señor - einen einzigen Albur,« sagte der Capitain, indem er mischte.

»Zum Teufel - vorwärts! Die Dame auf die Dame!« Er hatte das Mädchen zur Seite geschoben und seine Augen lagen fest auf dem großen Goldhaufen. Die furchtbare Leidenschaft des Spiels schien alle Wirkung der zur Betäubung in Unmassen genossenen Getränke zurückgedrängt zu haben. Auf der Stirn perlte ein kalter Schweiß und zeigte sich in dicken Tropfen an den Enden der festklebenden Haare.

»Die Dame! - die Dame!«

Der Capitain zog langsam die Karten ab - zehn - zwanzig - die zweiundzwanzigste, die fiel, war die Coeur-Dame.

»Sie haben verloren, Señor Coronel!«

Der Oberst war auf die Butaca zurückgesunken - die Schande

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oder die plötzliche Wirkung der Trunkenheit betäubte ihn - er stierte wie stumpfsinnig vor sich hin, während Niemand ihn anreden mochte und nur ein Geflüster durch die Gesellschaft lief, obschon die Meisten in nicht viel besserm Zustand als er selbst waren.

Capitain Estevan strich unterdeß ruhig die bedeutende Beute ein, indem er das Gold und Silber in einen Costal oder Sack von Aloefasern that, den Schmuck aber in seine Brusttasche schob.

Juanita, die China, war die Erste, die das Schweigen unterbrach, indem sie sich frech auf den Schooß des Bräutigams setzte und ihre Arme um seinen Hals schlang.

»Vive el amor! Was kümmert Dich die Frau, amigo mio! Gieb sie dem Thoren dort, der so viel Geld an sie gewagt, und mögen die Heiligen geben, daß Du es ihm morgen wieder abgewinnst! Laß uns lustig sein und Deine Hochzeit ohne die Braut feiern!«

Der Coronel raffte sich gewaltsam empor. »Du hast Recht, cara mia! Wir wollen uns entschädigen, indeß er seinen Partido47 nimmt! - Zu der Señorita, Deiner Herrin, picaro! und hole sie zur Kapelle!« herrschte er dem Schwarzen zu, der lauernd wieder am Eingang des Gemaches stand. »Verkünde den Leuten, daß die Trauung beginnt!«

Wenige Minuten darauf meldete der Schall der kleinen Glocke, die frei in dem Säulenthürmchen hing, das sich über die Mitte des Hauptgebäudes jeder Quinta erhebt, den so lang verzögerten Anfang der Feierlichkeit; die Gauchos, die Diener und Arbeiter des Hauses strömten herbei, um möglichst einen Platz in dem ziemlich beschrankten Raum der Kapelle zu gewinnen, die eigentlich blos aus einem dazu eingerichteten großen Zimmer auf der Hinterseite der Villa bestand, und der schwarze Majordomus kam, dem Bräutigam zu melden, daß die Braut ihn am Altare erwarte.

Alsbald ergriff der Bräutigam den Arm seines Assistente und schritt mit schwankenden Schritten, indem ihm die ganze Gesellschaft in buntem Gemisch folgte, durch die Veranda auf der

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Rückseite des Hauses nach der Kapelle, die man bereits vo den Zuschauern, gefüllt fand, während Diejenigen, welche keinen Zutritt mehr hatten finden können, außen um die gleich allen Thüren geöffneten, bis zum Boden reichenden Jalousiefenster sich drängten.

Zwischen zwei derselben an der Wand befand sich der Altar auf dessen Stufe der Kaplan mit den dienenden Chorknaben des Brautpaars harrte. Die Braut selbst mit ihren Dienerinnen stand, in eine weite mantelartige Mantille von weißem Seidenzeug gehüllt, deren Capuchon selbst ihren Kopf verdeckte, zur Seite des mit Blumen und Kränzen geschmückten Altars.

Selbst der Kaplan und die dienenden Knaben trugen, wie alle anderen Anwesenden, die rothen Bänder der Föderalisten.

»Señora,« sagte der Oberst übermüthig, indem er auf die Braut zuwankte, »ich bitte, mir zu verzeihen, daß wir Sie so lange haben warten lassen auf die Ehre, den Namen de Gondra zu führen. Aber Sie sollen Nichts dabei verloren haben, denn statt des einen Mannes empfangen Sie deren zwei.«

»Wie meinen Sie das, Señor Coronel?« antwortete kalt die Dame, deren bleiches Gesicht und deren funkelnde Augen halb unter der Kapuze verborgen waren.

»Wir werden später davon sprechen, cara mia! Jetzt aber ist es an der Zeit, daß Sie diese einfältige Hülle entfernen, die uns den Anblick Ihrer Schönheit verbirgt, und unsere Augen mit dem Glanz Ihrer gewiß reizenden Toilette erfreuen, obschon das Unglück leider gewollt hat, daß ich nicht mehr im Stande bin, ihn so zu vermehren, wie ich beabsichtigte!«

»Dann, Señora,« sagte vortretend der Miliz-Capitain, »erlauben, Sie mir, die Stelle Don Adeodato's mit seiner Bewilligung zu vertreten, und Ihnen diesen Schmuck anzubieten.«

Er zog den Smaragdschmuck hervor und bot ihn, indem er sich auf ein Knie niederließ, der Braut.

»Señores,« entgegnete, ohne die Hand nach dem geöffneten Etui zu heben, aus dessen Diamanten und Edelsteinen die zahlreichen Kerzen funkelnde Blitze schießen ließen, das junge Mädchen, »Aniella Crousa trägt bereits den einzigen Schmuck, der ihr als einer Tochter der freien Republik von Uruguay ziemt.«

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Mit einer raschen Bewegung schlug sie die Kapuze zurück und ließ den Mantel fallen. Sie trug ein Kleid von blauer Seide mit einer meergrünen Schärpe darüber. Kokarden und Schleifen von Blau und Grün waren überall in ihren Haaren, an ihren Schultern und ihren fein gerundeten Armen angebracht.

Ein allgemeiner Aufschrei des Schreckens, des Zornes, der Erbitterung erhob sich bei dieser offenbaren trotzigen Demonstration.

»Com mil diablos! was soll das heißen? was untersteh'n Sie sich?«

»Das soll bedeuten, Señor,« sagte die Dame stolz, »daß diese Quinta mein Eigenthum ist, und daß ihre Herrin nie die Fahne ihrer Landsleute verläugnen wird. Wenn Sie darauf bestehen, der Gatte einer Unitaristin zu werden, so schleppen Sie mich zum Altar, aber ich schwöre Ihnen, Aniella Crousa wird die Tochter Montevideo's zu bleiben wissen!«

»Niederträchtige! wagst Du es, Deinem Herrn zu trotzen?« schäumte der Oberst und sprang, die Hand zum Schlage erhoben, auf sie zu - aber einer der jungen Gauchos, ein Cabo oder Wachtmeister, warf sich zwischen ihn und die Señora.

»Bei der heiligen Jungfrau, Señor - bedenken Sie, daß sie ein Weib ist,« rief der junge Mann, der mit der Ritterlichkeit, die häufig den wilden Kindern der Pampas eigen ist, sich der Dame annahm, obschon sie sich offen für den Bund der politischen Gegner bekannte. »Es wäre unwürdig, eine Frau zu mißhandeln, die den Schlag nicht erwiedern kann!«

Ein strahlender Blick aus den Augen der jungen Leibdienerin der Estanciera, welcher der junge Mann seit seiner Anwesenheit in der Nähe der Quinta sein Herz geschenkt, lohnte ihm den Schutz, aber das Geschrei und das Toben der vom blindesten politischen Fanatismus entstammten Menge zeigten leider, daß die wenigen Stimmen, die sich der Señora annahmen, das Ungewitter nicht beschwören könnten, das sie selbst auf ihr Haupt niedergerufen.

Der trunkene, erbos'te Coronel kehrte die erhobene Hand gegen den Vertheidiger, aber ein Blick in das funkelnde entschlossene Auge des jungen Mannes gab ihm wahrscheinlich die Ueberzeugung, daß es höchst gefährlich sein dürfte, hier sich seiner Wuth

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zu überlassen, und er richtete diese auf's Neue gegen das schutzlosere Wesen, indem er sich begnügte, den jungen Gaucho rauh zurückzustoßen.

»Der Teufel auf Dich, Cuchillo, daß Du die unitarische Metze zu beschützen wagst. Ich will sie lehren, was sie zu erwarten hat, und die verfluchten Farben ihr vom Leibe reißen!«

Ein roher Griff in die schönen Haare des jungen Mädchens riß unter dem Beifallklatschen der trunkenen Gesellschaft die Schleifen und Kokarden aus ihrem Kopfputz.

Aniella - todtenbleich - trat zurück, die weißen Zähne dicht aufeinander geklemmt, ihre Augen funkelnd auf ihn gerichtet, während ihre Hand nach dem zierlichen Dolch in ihrem Gürtel griff. Aber die Faust des Gauchoführers faßte die ihre mit roher Gewalt, riß ihr den Griff aus den Fingern und schleuderte den Dolch auf die Erde.

»Willst Du beißen, Schlange? Ich werde Dir die Zähne ausbrechen! Auf die Knie, ramera!48 und herunter mit dem Bettel!«

Seine Faust faßte in den Busen des Kleides und riß es nebst der Schärpe mit brutaler Kraft in Fetzen, daß die Brust des Mädchens fast nackt den Augen der Umstehenden preisgegeben war, von denen Keiner, theils aus Furcht, theils aus Fanatismus, dem gefürchteten Bandenführer entgegenzutreten wagte. Nur die Dienerinnen und die schwarzen Sclaven der Quinta erhoben ein Zetergeschrei.

Die Señorita stieß einen gellenden Ruf aus, der das Geschrei übertönte. »Zu Hilfe, La-Muerte! Zu Hilfe!«

»La-Muerte kommen! La-Muerte hier!« brüllte aus dem nächsten Gemach die Stimme des eben herbeikommenden Negers, der sich wie der Stier der Pampas bei dem Ruf der geliebten Gebieterin, den Kopf gleich einem Mauerbrecher gesenkt, in die schreiende, tobende, erschreckende und drängende Menge warf.

Aber schneller als er war bereits der Rächer erschienen. Der Coronel warf die Arme in die Höhe - ein Blitz, ein Knall, Pulverdampf wirbelte auf - der Schändliche drehte sich

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rundum, während sein Blut die Señora bespritzte, und stürzte zu ihren Füßen.

Im selben Augenblick wurde mit Riesenkraft die Gruppe auseinander geschleudert, die vor den Jalousien der Veranda sich drängte, und ein Mann, gefolgt von einem zweiten, das noch rauchende Pistol in der Hand, sprang durch das Fenster in die Kapelle und stand im Nu vor dem in die Knie gesunkenen Mädchen!

»Llegad traidores!49 - die ihr ein Weib zu mißhandeln wagt!« donnerte die Stimme des Fremden. »Die Waffen nieder - die Rächer sind über Euch!«

»Vive Garbibaldi! Vive la unidád!« scholl es aus fünfzig Kehlen - Schüsse knallten - Waffen klirrten - Geschrei - Lärmen der wildesten Verwirrung - der rasende Galopp einer Reiterschaar - Kommandorufe - das Gebrüll der Liberalisten: »Verrath! Verrath!«

Und: »Verrath! Verrath!« scholl es in der Kapelle selbst, und der Miliz-Capitain, den Säbel schwingend, stürzte mit den Offizieren gegen den kühnen Eindringling, während die Gauchos nach der Piazza eilten, und die Diener und Arbeiter der Quinta schreiend durch die Zimmer und Gänge rannten.

Aber schon war La-Muerte an der Seite der Doña und ihres Beschützers; seine Riesenfaust schwang eine der schweren Gauchobüchsen, die er ergriffen, und ließ den Kolben auf den Schädel des glücklichen Spielers niederschmettern, daß dieser, wie vom Blitz getroffen, zu Boden stürzte. Ein zweiter Schuß des so glücklich zur rechten Zeit Eingedrungenen zerschmetterte das Gesicht des Assistente, das der Lauf fast berührt hatte, die Hiebe der Machete, des schweren mexikanischen Yatagans, hagelten von der Hand eines Dritten im Rücken der Föderalisten, die nach allen Seiten durch Thüren und Fenster flüchteten, da der plötzliche Ueberfall sie ganz unvorbereitet und ungenügend bewaffnet überrascht hatte.

Von der Veranda - der Piazza her, wo ein wilder Kampf

[69] sich entsponnen, heulte fort und fort der jubelnde Ruf: »Vive Garbibaldi! Vive la unidád!«

Aniella - schreckensbleich, zitternd, schaute empor zu dem unbekannten Retter, der kein Unbekannter mehr war, denn von Kampfesgluth und Anstrengung geröthet, das große funkelnde Auge drohend auf die fliehenden Gegner gerichtet, erkannte sie den Seemann, den sie vor drei Abenden aus den Gefahren der Teufelsschlucht gerettet, den Helden, der, dem Toben des Orkans und der Uebermacht der Menschen trotzend, die Goelette von ihrem Ankerplatz genommen.

Die Hände über dem entfesselten entblößten Busen gekreuzt, starrte sie mit begeistertem Blick empor, wie er so vor ihr stand in aller Mannesschöne, der kühne Kämpfer, er - dessen Vorwurf wie ein Donnerwort in ihre Seele geschlagen und ihre Scham geweckt, daß sie so gleichgiltig gewesen gegen das eigene Vaterland und die Sache, für die ihre Landsleute in Strömen ihr Blut vergossen.

Dieser Vorwurf, diese Scham hatten sie zu dem Entschluß getrieben, kühn den Feinden ihres Landes gegenüber ihre Sympathieen für dieses an den Tag zu legen.

Zum ersten Mal war ihr zugleich der Gedanke gekommen, dieser von Anderen bestimmten Verbindung zu trotzen, die ihr bisher, nach der trägen Sitte der Creolen, gleichgiltig gewesen und die ihr jetzt verhaßt geworden.

Der Wille der Eltern, der Vormünder ist es gewöhnlich, der in jenen sonst die Leidenschaften des Herzens so gewaltig fördernden Ländern über die Hand eines Mädchens verfügt.

Aber von demselben Augenblick an, wo sie sich Frau nennt, erlangt sie die Freiheit, allen ihren Wünschen und Neigungen zu folgen. Darum betrachten die jungen Creolinnen die Verheirathung auch nur als das Mittel zu ihrer Selbstständigkeit.

Anders war es freilich bei Aniella gewesen, der von Jugend auf durch die Liebe des Vaters für das einzige Kind und später, nach dem frühzeitigen Tode desselben, durch die sclavische Ergebenheit der Diener und die Nachsicht einer alten Dueña, jeder Willen gelassen worden. Das Herz hatte jedoch bei ihr noch nicht gesprochen und so fügte sie sich gleichgiltig dem Gebot der Machthaber,

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die sie nach ihren Besitzungen auf dem andern Ufer des La Plata verwiesen und ihr einen ihrer Anhänger zum Gatten bestimmt hatten, sobald nur nicht damit ihre persönliche Freiheit, ihr abenteuerlicher, selbstständiger Sinn beschränkt wurde.

Jener Auftritt am Ufer des mächtigen Stromes aber hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht und jede Stunde der einsamen Erinnerung denselben vermehrt. Sonst nur gewöhnt an die wilden Prahlereien der Föderalisten von ihren grausamen Thaten, begegnete sie dort zum ersten Male dem unerschütterlichen Muth, der ruhigen Verachtung und Bewältigung der Gefahr, der kühnen Entschlossenheit eines Mannes, dessen Bild unter den Flammen des Himmels ihrer jungen, leicht erregten Phantasie gleich dem eines Heros oder eines Ritters der großen Vorzeit des Landes ihrer Väter erschien, und der zugleich ein fühlendes, theilnehmendes, von Begeisterung für die Sache der Unabhängigkeit erfülltes Herz ihr zeigte. Da war es, wo in dem ihren jene Begeisterung, jene Energie der Freiheit und jene aufopfernde Liebe emportauchten, die durch tausend Gefahren über ferne Meere und Länder sie geleiten und die Bewunderung der Welt ihr sichern sollten, auch nachdem mit der letzten Kraft ihr Leben gebrochen war.

Daß der Charakter, die Thaten, die ganze Erscheinung dieses Mannes auf ihre Phantasie, auf ihr Herz wirken mußten, war leicht erklärlich.

Der Fremde trug in diesem Augenblicke nicht mehr die gewöhnliche Tracht der Seeleute, seine Kleidung, sein Aeußeres erinnerten an das abenteuerliche Costüm der wilden, aber ritterlichen Flibustiere Montbars, einst der Schrecken der spanischen Herrschaft auf den Antillen.

Ein spitzer spanischer Hut mit schmaler Krempe und schwarzen vollen Straußfedern deckte das tiefbraune Haar. Der kräftige Hals war frei und bloß, halb bedeckt von dem röthlichen vollen Bart, der gegen die creolische Sitte voll die untere Hälfte des Gesichts umgab. Ueber einer rothen Blouse, die von der grün-blauen Schärpe über die Schulter gekreuzt wurde, wehte der kurze weiße amerikanische Mantel; hohe Stiefel von braunem Leder bedeckten das Bein bis zur Hälfte der Schenkel und die langen blutigen Sporen zeigten, daß er einen wilden Ritt gethan.

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An seiner Hüfte hing ein fast gerader, zu Hieb und Stoß geeigneter Kavalleriesäbel mit stählerner Scheide und Korbgriff; der Gürtel der die Blouse um seine schmale, von der Kraft der breiten Brust und Hüften zeugende Taille umschloß, hatte die Pistolen getragen, deren sich der Besitzer so siegreich bedient. Ein kurzes Sprachrohr hing am silbernen Haken daran.

»Gott und der heiligen Jungfrau sei Dank,« rief eine bekannte Stimme, »die uns zur rechten Zeit hierher führten! Der Hund, den sie Dir zum Gatten gaben, liegt todt zu Deinen Füßen und Du bist frei wie sonst.«

»Du hier, Manuelo!« sagte tief aufathmend das Mädchen, »Du führtest meinen Retter hierher, - ewig will ich Dir dankbar sein dafür. Aber dieser Mann war noch nicht mein Gatte und niemals wäre er es geworden! ich schwöre es Dir!«

»Desto besser, daß Du zur Erkenntniß gekommen, cara mana! Manuelo hat Manches gelitten um Dich und hofft, daß Du es ihm lohnen wirst. Aber mache Dich bereit, mir zu folgen, Du stehst von diesem Augenblick an unter meinem Schutz!«

»Unter dem Deinen? ich denke, wir haben Beide den eines Mächtigern, und es ist Zeit, daß ich ihm danke!« Ihre Augen suchten den Helden ihres Herzens - er hatte das Gemach verlassen, aber von der äußern Veranda her hörte sie bereits seine sonore Stimme mit festem Klang Befehle durch das Getümmel und Toben des Kampfes donnern, der noch immer wild auf der Piazza tobte.

Während sie eilig die Kapelle verließ und, von dem Pardo gefolgt, nach der Veranda flog, warf La-Muerte, der mit glühendem Auge den von ihm zu Boden Geschlagenen bewacht hatte, sich nieder an seiner Seite und begann ihn zu durchsuchen.

Der schwere mit Gold gefüllte Costal, den der Capitain um seinen Leib geschlungen trug, schien nicht den geringsten Reiz für die Habgier des Mohren zu besitzen. Seine zitternde Hand suchte hastig nach dem kostbaren Schmuck, den der Betäubte gewonnen und der Braut geboten hatte, und als er das Etui gefunden, brach er mit den Zähnen und Fingern mit wunderbarer Schnelligkeit die goldene Fassung von den Diamanten und Smaragden, warf jene achtlos auf den Boden und steckte die Steine in ein

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kleines ledernes Säckchen, das er unter dem Hemd verborgen an einer starken Schnur von Aloefasern nebst jener Kette von Zähnen, Korallen und Glasperlen um den Hals trug, die seinen früher beschriebenen Schmuck bildete.

Dann erst folgte er der Vorangeeilten, bereit, seinen Antheil am Kampf zu nehmen.

Ein Bild der wildesten Verwirrung bot sich den Augen der Señora dar, als sie die Veranda erreicht hatte.

Die Unitaristen, etwa fünfzig bis sechzig Mann an der Zahl, waren vier bis fünf Leguas oberhalb der Quinta am südlichen Ufer des Flusses gelandet, wo, wie der Pardo wußte, eine bedeutende Cavallada,50 zu den Besitzungen seiner Milchschwester gehörig, in der Querenzia sich befand. Dort hatte man so vieler Pferde sich bemächtigt, als man zu dem Unternehmen bedürfte, und war dem Knaben François, der schon am Mittag als Späher vorausgegangen war, in vollem Galopp gefolgt.

Da alle Mitglieder der kleinen Schaar eben so entschlossene und in den Pampaskriegen geübte Reiter als Seeleute waren, hatte es keiner weiteren Vorbereitungen bedurft, und der einfache Riemen um das Gebiß der Pferde genügte ihnen als Zügel. La-Muerte, durch den Knaben von dem Nahen der Reiterschaar in Kenntniß gesetzt, hatte seine Maßregeln getroffen, ihr Beistand zu leisten. Indem er sich in den Corral schlich, in welchem die Gäste und die zur Quinta gekommenen Gauchos ihre Pferde hatten, lös'te er unbemerkt die Reatas oder Halsleinen, und öffnete an verschiedenen Stellen die Stangen, welche die Umzäunung des Corrals bildeten. Der kleine Franzose wurde, nachdem sich die Vaqueros und Diener zur Villa gedrängt, um die Trauung zu sehen, mit einem Bündel Schwärmer an den Eingang des Corrals gestellt, und der schwarze Haushofmeister klimmte dann zu dem Glockenthürmchen hinauf, um nach dem Nahen der Befreier auszuspähen. Dieser Umstand war es, der ihn verhinderte, schon bei dem Beginn des Auftritts in der Kapelle zugegen zu sein.

Der weithin hallende Ton der Quinta-Glocke, der zur Trauung rief, hatte die nahende Schaar zur vermehrten Eile

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angetrieben; ihr voran eilten der tapfere Führer und der Pardo, der mit den Zugängen der Quinta bekannt und durch die Glocke benachrichtigt, daß so eben erst die heilige Handlung vor sich gehe, den gewonnenen Beschützer an die Fenster der Kapelle geleitet hatte. Fast zur selben Zeit brach der Haufe der Reiter über die Piazza herein, Alles zu Boden werfend, was sich zu widersetzen wagte.

Vergeblich stürzten die Gauchos nach ihren Pferden - die Hand des verwegenen Knaben hatte beim Nahen seiner Freunde die entzündeten Schwärmer unter die wilden Rosse geschleudert, und erschreckt, entsetzt sprengten sie nach allen Seiten, durchbrachen die Barrieren und jagten nach dem Lager davon oder verloren sich in dem Dunkel der hereingebrochenen Nacht.

So ihrer Pferde beraubt, von den Schwelgereien des Abends noch halb betäubt, war der Widerstand der Gauchos bei dem unerwarteten Ueberfall trotz ihrer Uebermacht nur ein geringer. Die Befehle ihrer Offiziere verloren sich in dem wilden Getümmel, nur wenig unterstützt von den Vaqueros und den Arbeitern und Dienern der Quinta, die - Zeugen von der Beschimpfung, die man ihrer Gebieterin angethan, und den Thaten des Mohren, der mit seiner furchtbaren Lanze vereint mit den Unitaristen über deren Gegner herfiel - kaum wußten, auf welche Seite sie sich schlagen sollten. Die einzelnen Haufen der Gauchos, die sich zum tapfern Widerstand gesammelt, wurden auseinander gesprengt, das ruhige Kommando des Führers, die Disciplin, die seine Truppe zeigte, und der gefürchtete Name, den die Unidados als Schlachtruf ertönen ließen, entschieden bald den Sieg, und nach wenigen Minuten des Kampfes waren die Föderalisten aus der Villa und von der Piazza geschlagen und flohen nach allen Richtungen im Dunkel davon.

Mit der Ruhe und dem schnellen Ueberblick, der dem geborenen Feldherrn eigen, sicherte der Capitain José, wie ihn die Mannschaft der Barke an jenem Abend genannt, diesen Sieg, indem er Wachen nach allen Seiten ausstellte und nicht eher den Platz verließ, als bis er wußte, daß alle Feinde vertrieben, und seine Befehle befolgt worden, um die Mannschaft rasch zu sammeln,

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die Pferde von der gewaltigen Anstrengung verschnaufen und zur neuen bereit machen zu lassen.

Während die Unidados sich die noch nicht von dem Kampfgetümmel zerstörten Reste des schwelgerischen Mahles in Haus und Platz zu Nutzen machten, trat ihr Führer zu der Dame.

»Señora,« sagte er, »ich kam auf die Versicherung dieses Mannes, daß Sie aus den Fesseln befreit zu sein wünschten, welche die Tyrannei des Diktators von Buenos-Ayres und seiner Generale Ihnen auferlegt. Ich glaubte der Tochter Montevideo's, der Tochter eines ehrenwerthen Mannes beistehen zu müssen - wenn ich mich getäuscht, wenn ich zu weit gegangen, so bedenken Sie, daß ich die Retterin unsers Lebens und unsrer Freiheit nicht vor meinen Augen beschimpfen lassen durfte.«

»Señor,« entgegnete die Dame, indem ihre zarten Hände die seinen ergriffen, »Manuelo hat mein Herz errathen! Meine Wange erröthet, daß das Gefühl dessen, was ich meinem Vaterlande schuldig bin, so lange in meinem Herzen schlummern konnte. Aber ich schwöre, die Freiheit hat an mir eine Jüngerin gewonnen, die bereit ist, ihr Alles, ihr Leben und Sein im Kampf gegen die Unterdrückung zu opfern, und Sie, Señor, sind es, dessen Worte die heilige Begeisterung in mir wachgerufen, dem ich meine Befreiung von einem verhaßten Bande danke, dem mein Leben, meine Gebete gehören sollen!«

»Señora, Sie gehen zu weit; ich that nur meine Pflicht als Soldat und werde mich glücklich schätzen, Ihnen ferner dienen zu können. Wünschen Sie diese Küste zu verlassen, so werde ich Sie und den Glücklichen, dem Sie Ihren Schutz künftig vertrauen, sicher an das Ufer von Montevideo geleiten.«

»Meinen Schutz? - Señor, ich wüßte nicht, wem ich ihn besser anvertrauen sollte, als Ihnen.«

Der Capitain blickte sie verwirrt an. »Ich meine, Señora, der Mann, den Ihr Herz gewählt, auch wenn seine Farbe einige Schatten tiefer ist, als die unsre, hat das erste Recht, Ihr Beschützer zu sein.«

»Ich verstehe Sie nicht, Señor!«

Capitain José wandte sich zur Seite und deutete auf den Pardo, der eifrig beschäftigt war, mit Hilfe der Dienerinnen

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und der Sclaven einige Bedürfnisse und werthvolle Gegenstände zusammenzupacken.

»Sie werden seine Liebe mit Ihrer Hand belohnen,« sagte er ernst.

Das Mädchen schaute erstaunt auf ihn und dann auf den Mestizen. »Wie, Señor - Manuelo mein Gatte? Ist er rasend genug, daran zu denken?«

»So betheuerte er mir!«

»Dann hat er seinen Dank bereits sich genommen. Nie, Señor, wird Aniella Crousa das stolze Blut ihres Vaters mit dem eines Farbigen mischen!«

Ein freier Athemzug hob die Brust des Kriegers, als wäre sie von einer schweren Last befreit. Einige Augenblicke standen Beide stumm vor einander, die Señora offenbar mit bewegten Gedanken kämpfend. Man sah im Schein der brennenden Feuer, der halb zerstörten bunten Laternen, die ihrem Hochzeitsfest leuchten sollten, ihren Busen leidenschaftlich sich heben, das Auge unruhig vom Boden zu dem Manne vor ihr sich heben.

»Ich bin eine elternlose, des Schutzes bedürftige Waise,« sagte sie leise; »erst diesen Abend habe ich vernommen, in welcher schmachvollen Art man mich verhandelt, gleich dem Preise nichtswürdiger Leidenschaften. Aber ich würde dort drüben so schutzlos sein, wie hier - eilen Sie zu den Ihren zurück, Señor, ehe die Gauchos mit verstärkter Macht zurückkehren - Aniella Crousa hat nicht das Recht, noch langer das Leben der Edlen und Tapferen zu gefährden.«

Der Capitain ergriff ihre Hand. »Will Aniella Crousa mir das Recht geben, für sie zu kämpfen, zu sterben?«

Das Mädchen zitterte. »Dieses Recht, Señor - gehört allein dem Gatten!«

»Wohlan - Señora - ich bin ein Mann von wenig Worten - aber ich pflege das meine zu halten mit meinem Leben! Will Aniella Crousa das Weib Giuseppe Garibaldi's sein?« -

Das Erbeben des Entzückens flog über ihre Gestalt. »Wie, Señor - Sie selbst, der Commodore? - der Held der Freiheit Montevideo's?«

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Der kühne Parteigänger lächelte - es that ihm wohl, den Ruf seiner Thaten selbst im stillen Mädchenherzen wiederhallen zu hören.

»Wird Aniella d'rum weniger einem Manne vertrauen, weil ihm ihr Vaterland vertraut hat?« - Er blickte auf seine Uhr. »In zehn Minuten, Señora, muß ich diesen Ort verlassen. Sie schulden Giuseppe Garibaldi noch die Antwort, ob Sie sich seinem Schutz vertrauen wollen?«

Einen feurigen, leidenschaftlichen Blick warf das Mädchen auf ihn; dann, ohne Antwort zu geben, stürzte sie nach der Stelle, wo das Seil der Quintaglocke in die Veranda herabhing und begann es mit aller Kraft zu ziehen.

Nochmals schallte der Ton der Glocke weit hinaus in die Nacht, von allen Seiten eilten die Diener der Quinta, die Tapferen des Comnzodore herbei, die Waffen in der Hand, nach der Bedeutung des Signals zu fragen.

»Was ist geschehen? Pequeña hermana - was soll die Glocke, die den Feind warnt?«

»Wo ist der Padre?« herrschte die Herrin.

»Der reverendo Padre Aloysio betet am Altar, Señora, daß die heilige Jungfrau dessen Befleckung mit Blut vergeben möge!«

»Zündet die heiligen Kerzen an - wer Aniella Crousa liebt, möge ihr folgen zu der heiligsten Stunde ihres Lebens! Eine Hochzeit war Euch versprochen - bei der unbefleckten Jungfrau - Ihr sollt sie haben!«

Der Pardo ergriff entzückt ihre Hand. »So haben die Worte des Commodore Dein Herz gerührt - Du willst den Freund Deiner Kindheit, den Mann, der Dich liebt, wie sein Leben, beglücken mit Deiner Hand, ehe Du diesen Ort des Unheils verlässest?«

Die Señora stieß ihn erstaunt zurück.

»Bist Du unsinnig, Manuelo? Die Gazelle sollte den Schakal wählen, da sie den Löwen der Pampas haben kann?«

»Mil demonios - was soll das heißen? Du wagst es, den Fremden zu wählen?« Seine Hand fuhr nach dem Messer an der Seite des Beins.

»Bin ich eine freie Montevideerin oder nicht? Bin ich die

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Herrin dieser Quinta? Hat je ein Wort meines Mundes Dich an die Vermessenheit eines solchen Gedankens glauben lassen? - Diesen Mann liebe ich, seit dem Augenblick, da die Blitze des Himmels mir ihn gezeigt - ihm wird Aniella's Leben von dieser Stunde an gehören!« Sie faßte die Hand des Commodore und zog ihn fort, aber der Mestize warf sich ihnen entgegen und sperrte den Eingang. Seine Augen glühten wie Kohlen, auf seinen Lippen stand ein flockenartiger Schaum und die Adern seiner Stirn leuchteten wie rothe giftgeschwollene Schlangen.

»Fluch über Dich, wenn Du es wagst, Undankbare!« zischte er in portugiesischer Sprache. »Nicht dem hergelaufenen Abenteurer gehörst Du, sondern mir, der Dich befreit - der Dich liebt, der zu Dir betet, wie zu der heiligen Jungfrau selbst. Nicht der arme Gambusino ist es, der Deinen Besitz als Lohn all' seiner. Mühen und Leiden fordert. Ich bin reich, reicher, als Deine üppigsten Träume Dich, machen können - diese Hand soll Dir die Schatzkammer von Kaisern und Königen öffnen!«

»Und wärst Du ein Kaiser selbst,« rief das Mädchen, indem sie sich an die Brust des Commodore warf. »Hier ist der Mann, den mein Herz gewählt und niemals verlassen wird!«

»So mög' er zur Hölle fahren und Montevideo mit ihm!« Das spanische Messer funkelte durch die Luft, indem er sich wie der Jaguar im Sprunge tückisch auf ihn warf. Aber der Commodore, der regungslos dem Streit beigewohnt, ergriff mit einer blitzschnellen Wendung seinen Arm und preßte ihn dicht unterm Handgelenk, wie mit eisernen Muskeln zusammen, daß die mörderische Faust sich öffnete und der Stahl ihr entfiel. Dann schleuderte er ihn wie ein Kind den Armen der Gefährten zu.

»Hast Du José Garibaldi nicht besser kennen gelernt im Wogensturm und Todeskampf, Memme,« sagte er verächtlich, »daß Du wähnen konntest, er fürchte das Messer eines Meuchlers? Fort mit ihm und schnürt ihn an die Säule der Veranda fest - ich mag sein Blut nicht!« Er setzte das Sprachrohr an den Mund. »Die Pferde herbei - macht Euch fertig zum Aufbruch, Kameraden!« donnerte seine Stimme über den Platz hin, während sein starker Arm die Braut, umfaßte. »Wer dem Commodore und seinem Weibe folgen will, möge bereit sein im Augenblick!«

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Er trug mehr, als er sie führte, die süße Last durch die Gemächer zu der geöffneten Kapelle, wo der Priester noch immer vor dem durch den rohen Männerhaß entweihten Altar kniete. Man hatte die Leichen der beiden Erschossenen hinweggeschafft, eben so den Körper des von dem Schlage des Mohren schwer verletzten Miliz-Capitains. Das Blut der Opfer des kurzen Kampfes aber färbte noch immer die Matten und Fliesen des Bodens.

Mit wenig Worten war der Kaplan von dem Willen der Herrin der Quinta verständigt - eine volle Börse aus der Hand des Commodore und die Drohungen der triumphirenden Unidados beseitigten jeden Widerspruch und er erklärte sich bereit, die heilige Handlung zu vollziehen.

Während das so seltsam vereinte Paar auf den Stufen des Altars kniete, erscholl von draußen der Lärmen der wieder aufsitzenden Reiter und das Geschrei des gefesselten Mestizen, der die wildesten Verwünschungen auf sie schleuderte.

Die Stola war um die vereinten Hände geschlungen - der Segen über die gewechselten Ringe gesprochen, als der Knabe François durch die ihr Gebet verrichtende Menge stürzte.

»Zu den Waffen, Excellenza! die Gauchos kehren zurück, ihre Reiter schwärmen zwischen der Quinta und dem Ufer!«

Man hörte Schüsse fallen in der Ferne, welche die ausgesandten Vedetten, vor der Ueberzahl der Gegner flüchtend, mit diesen wechselten.

Der Commodore hob mit der Linken die Neuvermählte empor und drückte sie zärtlich an seine Brust. So trug er sie von seinen Leuten und den Dienern der Quinta umdrängt hinaus, auf die Veranda, von deren Höhe man in der mondklaren Nacht dunkle Reitergruppen über die Ebene hereingallopiren und hin und wieder Schüsse aufblitzen sah.

Plötzlich rollte ein ferner Donner durch die Luft, der Nachtwind, der das Geschrei der von ihrem Lager herbeieilenden Gauchos aus weiter Entfernung herüber trug, brachte auf seinen Schwingen zugleich das rollende Echo dumpfer Kanonenschläge.

Das Auge des Commodore, leuchtete. »Beim Himmel - Sacchi ist ein prompter Gesell - nicht fünf Minuten lassen

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seine Breitseiten warten über die besprochene Zeit. Die Pferde herbei, Männer!«

Plötzlich erbebte er - die Muskeln seines Gehörs schienen sich zu spannen, während er sich vorn überbeugte, die Hand am Ohr, um besser auf den Geschützdonner zu lauschen, den die Luft jetzt Stoß auf Stoß herüber trug.

»Demonio - was ist das? Das ist der Donner von schwerem Geschütz, wie keiner der Schooner und der Briggs führen kann!«

Aniella hatte sich an seinen Arm geschmiegt. »Was ist Dir, Geliebter - was bedeutet der Kanonendonner!«

»Meine Flotille greift die drei Schiffe der Föderalisten an,« sagte er hastig, »die Boote meiner Corvette warten, uns an Bord zu führen. Du mußt Deine Brautnacht unter Kanonendonner feiern, Süße, aber das ist das Leben des Seemanns und als Morgengabe will ich Dir und Montevideo jene Wimpel zu Füßen legen, die vor drei Tagen mich jagten. Wo ist das Pferd der Señora, Mohr?«

Aniella hielt ihn einen Augenblick zurück. »Heißt Dein Wagniß nicht allzusehr das Glück versuchen, mein Gemahl? So viel ich gehört, besitzt die Republik nur kleinere Schiffe, die sich mit den Fregatten Admiral Browns nicht messen können!«

»Mit den Fregatten?« Er wandte sich hastig gegen sie. »Brown ankert vor Buenos-Ayres, wir haben es blos mit den Schoonern und der Brigg zu thun!«

»Heilige Jungfrau - so weißt Du nicht - «

»Was? sprich!«

»Der Admiral ist diese Nacht zurückgekehrt, beide Fregatten liegen kampfbereit auf dem Ankerplatz, um morgen Dich anzugreifen!«

»Die Fregatten? Höll' und Verdammniß, und ich bin hier!« Er riß das Sprachrohr zum Munde. »Kameraden, es gilt, unsere Schiffe zu retten! In zwanzig Minuten müssen wir am Ufer sein! - Alferez Vincentio, nehmen Sie die Vorhut mit fünfzehn Mann! Keinen Pardon den Schurken, die in den Weg uns zu treten wagen. Wo ist Cabo Montecchi?«

»Aqui estov, Señor!«

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»Zwanzig, um uns den Rücken zu decken! Halt Dich brav, mein Freund! Zu Rosse, Aniella - jeder Augenblick kann die Ehre Deines Gatten kosten.«

Die Señora saß bereits im Sattel ihres feurigen Indianerpferdes. Der Commodore sprang auf das, welches der Mohr, ein zweites am Zügel, ihm vorführte. Der Lieutenant und die Seinen waren bereits handgemein am Eingang der Piazza mit dem ersten Haufen der Gauchos.

Der Knabe François reichte ihm die Pistolen, die er frisch geladen. »En avant, Excellenza, wir fegen die Schufte, wie der Pamperos den Sandwirbel!«

Er kletterte auf das Pferd, das La-Muerte am Zügel hatte, und setzte sich hinter dem Sattel fest. Der Commodore hatte mit der Linken den Zügel des Prairiepferdes genommen, seine Rechte, an deren Gelenk der Säbel hing, spannte das Pistol - nur mit dem Druck seiner Schenkel leitete er das feurige Roß.

»Adelante ninos!«!51 Vivan los Unidados! Vive Montevideo!« Wie eine Sturmwolke unter dem Klagegeschrei der zurückbleibenden Diener und Frauen braus'te die Reiterschaar vorwärts. Der Mohr sprang nach dem Pfeiler, an dem seine lange Lanze lehnte.

»Willst Du mich verlassen, La-Muerte? Mögen die Teufel Deine Seele verbrennen dafür!«

Der Schwarze blieb einen Augenblick an der Veranda-Säule stehen, an die der Mestize gefesselt war. »Beu der Seele meunes Vadders - Massa Manuelo haben Recht! Señora Aniella brauchen La-Muerte, aber der Nigger sein nicht so schwarz, daß er einen Freund vergessen, auch wenn tieser ein Feund sein geworden!« Ein rascher Schnitt seines scharfen Messers trennte die Bande des Pardo. »Kommen mit uns, Manuelo, tieses Kind haben ein gutes Herz und werden gut machen mit Dir!« Er schwang sich auf den Rücken des Pferdes. »Vorwärts! vorwärts!« schrie der Knabe, und in mächtigen Sprüngen jagte das Roß mit seiner Doppellast davon.

Der Haufe der Gauchos, der sich zuerst ihrem flüchtigen

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Rückzug entgegengestellt, wurde von der Gewalt des mächtigen Anpralls gesprengt und zur Seite geworfen. Die Nacht und das Handgemenge gestatteten den Gegnern nicht, von ihrer furchtbarsten Waffe, dem Lasso, Gebrauch zu machen, und da überdies die Unidados meist eben so furchtlose und gewandte Reiter waren, beschränkte sich der Kampf auf den Gebrauch der Pistolen, der Lanzen und Säbel.

Der Commodore hatte die junge Frau zu seiner Linken, ein andrer der Reiter galoppirte an ihrer freien Seite, La-Muerte, der Mohr, dicht hinter der Gruppe, mit seinem langen Speer die Herrin vor jeder Gefahr schützend.

Von dem Strome her donnerte Schuß auf Schuß, bald das Rollen einer ganzen Breitseite, bald der scharfe Knall der langen Zweiunddreißigpfünder der kleineren Schiffe. Jedes Rollen schien den Commodore erbeben zu machen und ließ ihn tiefer die Sporen in die Flanken des Renners bohren, der ihn trug.

Aber Schaar auf Schaar der Gauchos stürmte auf's Neue herbei. Die Nachricht von dem Fall ihres Führers hatte sich mit Blitzesschnelle unter den wilden Reitern verbreitet, und weniger die Liebe für den Erschossenen, als der verletzte Stolz ihrer Partei trieb sie zu rasenden Anstrengungen, die Scharte des Ueberfalls, die so rasch aus die Wegnahme der Goelette gefolgt war, auszuwetzen.

Jeder Schritt des rasenden Galopps der Flüchtigen fast war mit Blut gedüngt. Im Jagen Knie an Knie, Sattel an Sattel, schlug man sich mit der wüthendsten Erbitterung. Die Schüsse knatterten hinüber und herüber, die breiten Klingen der Säbel und Machetes funkelten im Mondlicht.

»Vorwärts, Kameraden - vorwärts! zeigt ihnen, was die Kämpfer der wahren Freiheit zu leisten vermögen!«

Der Hieb seines Säbels saus'te im dichten Gedräng über den Kopf eines Gaucho, Aniella bog sich weit zurück über die Croupe des Pferdes - über sie wirbelte die Lanze des Mohren, jeder Stoß traf einen Gegner zum Tode, jeder Schlag warf einen der Bedränger aus dem Sattel.

Ueber diesen Ball von Blut und heldenmüthiger Anstrengung,

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der sich in rasendem Lauf durch die Ebene wälzte, der Küste zu, donnerte näher und näher der Knall der Geschütze, der Breitseiten, welche die Geschwader im Kampf wechselten.

»Heilige Jungfrau, gieb, daß ich noch zur rechten Zeit komme! Gieb, daß meine Ehre rein bleibe in dem Lande, dem ich mein Blut geweiht!«

Mehr als ein Drittheil der Mannschaft des kühnen Unidadohaufens war bereits gefallen, herabgerissen im rasenden Galopp der Pferde, erschossen, verwundet und Opfer der wilden Parteiwuth.

Die Schaar, die immer heftiger tobende Seeschlacht zur Linken lassend, jagte im tollen Lauf am Ufer stromaufwärts. Man hörte jetzt deutlich die Salven der einzelnen Geschütze. Der Galopp wurde zum wüthenden Carriere, denn es galt um das Leben, früher die Bucht zu erreichen, wo die Boote harrten, ehe die Gauchos die kleine Schaar abzuschneiden vermochten.

Aber alle Anstrengung war vergeblich. Die Gegner erkannten recht wohl, um was es sich handle, und - unbekannt mit den letzten Vorgängen in der Quinta - glaubten sie bei dem Anblick der Estanciera, daß die Unidados diese entführt hätten. Ihre weniger ermüdeten Rosse gewannen mit jedem Augenblick mehr Vorsprung und drängten die Schaar vom Ufer ab.

Der Commodore sah die Gefahr - sein Entschluß war gefaßt.

»La-Muerte, bei Deinem Leben, schütze die Señora! Hierher, Alferez Vincentio!« Fuß an Fuß mit ihm dahinsprengend, ertheilte er seine Befehle. Dann preßte er dem Roß die Sporen in die Flanken und sprengte zu der Vorhut. »Hierher, Männer! zurück nach der Quinta!« Die kleine Schaar warf sich nach rechts.

Die Gauchos stutzten - ein bedeutender Haufe wandte sich, sie zu verfolgen - in die entstandene Lücke brach gleich einem Keil der Alferez Vincentio mit dem Haupttrupp. Der lange Speer des Mohren warf einen der Hauptleute der Gauchos vom Sattel - Victoria! die Bucht lag vor ihnen, denn durch die breite Oeffnung des Ufers sah man das Blitzen der Schüsse von den im Kampf begriffenen Schiffen.

Durch den Donner, durch den Lärmen klang ein gellender

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Pfiff über die Ebene, es war das Signal, daß die Hauptschaar die Bucht erreicht, und gleich darauf verkündete auch das Musketenfeuer der mit drei Booten harrenden Matrosen, daß sie den Bedrängten zu Hilfe gekommen.

Beim ersten Klang des Signals wandte der Commodore sein Pferd, und der kleine Haufe seiner Begleiter - noch acht Mann, die besten der Schaar - kehrte sich plötzlich gegen die Verfolger.

Da beide Parteien längst von ihren Schußwaffen Gebrauch gemacht hatten und bei dem wüthenden Ritt keine Zeit gewesen war, sie wieder zu laden, so waren auch beide auf die blanken Waffen beschränkt. Während aber die Gauchos in ihrer gewöhnlichen Weise in ungeordneten ausgedehnten Haufen dahersprengten, bildeten die wenigen aber disciplinirten und entschlossenen Krieger des Commodore, sämmtlich zu den italienischen Abenteurern und Flüchtlingen gehörig, die sein Ruf aus ganz Amerika um ihn versammelte, eine feste Phalanx, deren Rückstoß die Gegner nicht zu widerstehen vermochten.

Die flinken gewichtigen Säbelhiebe der Unidados brachen sich Bahn - ehe die Schaar der Gauchos sich sammeln und den Ring um sie schließen konnte, waren die erschöpften Pferde in einer letzten Anstrengung weit voran und jagten zum Ufer zurück.

Die Ueberlisteten folgten mit wildem Geschrei ihrer nochmals entgangenen Beute.

Zwei der Reiter Garibaldi's stürzten und wurden sofort niedergemetzelt, ein dritter war bereits bei dem kühnen Manöver vom Pferde gehauen - mit den fünf anderen eilte der Commodore unaufhaltsam vorwärts.

»Itaparika - ahoi!« heulte das Sprachrohr im tollen Lauf, und von rechts her, kaum noch hundert Schritt entfernt, jubelte die Antwort: »Vivan los unidados! zu Hilfe dem Commodore!« Die Bootsmannschaft, die bereits gesicherten Flüchtlinge sprangen auf's Neue an's Ufer, eine Salve der bereit gehaltenen Musketen und Trombolen empfing die anstürmenden Gauchos, aus den Leibern der keuchend zu Boden stürzenden Pferde machten die kühnen Reiter den letzten lebendigen Wall - an der Energie dieses Kampfes scheiterte der wilde, regellose Anprall der Föderalisten, und mit

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jenem plötzlichen Uebergang von dem energischen Angriff zur gänzlichen Muthlosigkeit, wenn jener nicht gelungen, stoben die Gauchos zurück.

»In die Boote! in die Boote!« donnerte der Befehl des Commodore. »Setzt die Riemen ein, Männer, ehe die Schurken zurückkehren! Auseinandergelegt, damit die Kanonade keinen Schaden thut! Vorwärts, Männer der Itaparika - damit wir das Schiff retten.«

Während die Boote auseinanderschoben und mit aller Kraft sich hinausarbeitetcn, um die im Gefecht liegenden Schiffe so rasch als möglich zu erreichen, führte der Commodore aufrecht im Stern seines großen Kutters das Steuer, wie in jener Nacht, als er die verwegene Flucht leitete. Von hier aus übersah er, so gut es sich thun ließ, die Stellung der Schiffe und entwarf den nothwendig veränderten Schlachtplan. Ihm zu Füßen lehnte auf der Spiegelbank das junge und schöne Wesen, das so eben sich ihm verbunden, um des Lebens Leiden und Lieben mit ihm zu theilen, sich vertrauend an ihn schmiegend, während der Bootsmantel, den der Alferez um sie geworfen, ihre Gestalt verhüllte.

Der tapfere Abenteurer vermöchte sich leicht aus dem Aufblitzen der Schüsse über die Stellung der beiden Flottillen zu vergewissern. In Folge der Nachrichten Manuelo's und gedrängt von der eigenen rasch entstandenen Theilnahme für die junge Herrin der Quinta, hatte er beschlossen, mit der sich anscheinend darbietenden günstigen Gelegenheit zu einem Angriff des föderalistischen Geschwaders den Ueberfall der Quinta und die Entführung der Señorita nach Montevideo zu verbinden. Aus seiner mit der so glücklichen Wegnahme der Goelette geendeten Recognoscirung wußte er, daß das bei der Quinta de los dias entretenidos ankernde Geschwader nur noch aus einer Brigg von achtzehn Kanonen, einem Schooner und einer Brigantine mit zwölf Geschützen bestand, einer Macht, der die seine überlegen war, die jetzt außer der Goelette sein eigenes Schiff, die >Itaparika<, eine Corvette von vierundzwanzig Kanonen und zwei Briggs, jede mit zwölf Kanonen und einem langen Zweiunddreißigpfünder auf dem Vordertheil, zählte. So hatte das kleine Geschwader denn unter'm Schutz der Nacht bis auf etwa acht bis zehn See-Leguas herangelegt,

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während des Tages im Versteck des Ufers mit gerefften Segeln verborgen gelegen, und hatte den Befehl erhalten, mit Sonnenuntergang stromab zu fahren und die feindliche Flottille um zehn Uhr anzugreifen, während zugleich die Boote der Corvette am Ufer den Commodore und die Schaar erwarten sollten, die dieser unter der Bemannung der Schiffe für das Abenteuer ausgefucht hatte. Die ihnen unbekannt gebliebene Rückkehr der beiden Buenos-Ayresschen Fregatten von achtundzwanzig und sechsunddreißig Kanonen änderte dagegen das Verhältniß sehr zu ihrem Nachtheil, da jetzt fünf Schiffe mit etwa hundert Geschützen ihren vier Fahrzeugen mit nicht viel mehr als der Hälfte Kanonen gegenüberstanden.

Das Gefecht, das jetzt seit etwa einer halben Stunde im Gange war, war bis dahin ziemlich resultatlos geblieben, da die Schiffe des Commodore den Vortheil gehabt hatten, sich vor dem Winde zu befinden, und Sacchi, der erste Lieutenant der >Itaparika<, zeitig genug die Anwesenheit einer größern Macht bemerkt hatte. Dennoch hatte er keinen Augenblick angestanden, dem Befehl des Commodore gemäß, den Kampf zur bestimmten Stunde zu beginnen, indem er das Feuer aus den langen Zweiunddreißigpfündern seiner Schiffe auf eine Entfernung eröffnen ließ, wo die Breitseiten der beiden Fregatten ihm nur wenig Schaden zufügen konnten. Er wußte, daß er hierdurch mindestens die feindliche Flottille beschäftigen und sie hindern würde, sich mit den im Schatten des Ufers zur Bucht rudernden Booten zu beschäftigen, während der günstige Wind den Schiffen der Gegner nicht gestattete, näher heranzulegen. Dennoch mußten auf die Dauer die Strömung und die Richtung der Brise die Schiffe der Montevideer in den Bereich ihrer Gegner bringen, und das war es, was der seemännische Blick des Commodore sogleich begriff und weshalb es ihm galt, dem Gefecht eine neue Wendung zu geben.

Da das Geschwader der Unitaristen mit der Strömung zugleich der Höhe zutrieb, dauerte es fast eine weitere halbe Stunde, ehe die Boote die am nächsten dem Ufer liegende Corvette erreichen konnten. Die Gefahr war während der Zeit nur gering gewesen, da die Richtung des feindlichen Feuers seewärts ging. Jetzt, als

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sie näher kamen, furchten einige Kugeln das Wasser um sie her, oder fielen in ihrer Nähe schadlos nieder.

»Fest an die Riemen, Männer,« befahl der Commodore, während er mit seinem Leibe den Körper seines Weibes deckte - »einige Schläge noch und wir sind unter'm Schutz der Corvette.« Nach wenigen Augenblicken lagen sie seitlangs des Schiffes. Ein Viva begrüßte den Commodore, der sich an dem Tau emporschwang und die jungfräuliche Frau aus den Armen des Mohren empfing.

»Sei gegrüßt, Aniella, in dem Hause Deines Gatten,« sagte er, indem er sie auf die Stirn küßte und auf das Deck niedersetzte. »Vielleicht gewährt es Dir nicht bessern Schutz, als das Dach, das Du verlassen - aber Deine sicherste Wohnung wird an der Brust Deines Mannes sein, und nie soll sie Dir fehlen, so lange ein Herz in ihr schlägt! - Freund Sacchi,« fuhr er fort, »nicht blos eine Tochter Montevideo's bringe ich zurück. Gott und die Jungfrau waren mit diesem Zuge, dem ich mein Glück verdanken sollte. Sie ist mein Weib, und ich bitte Dich, für diesen Schatz in dem sichersten Raum des Schiffes zu sorgen. Gehe mit ihm, Aniella, und nun, Burschen, die Raaen herum, und lassen Sie die Topgallantsegel ansetzen, Señor, denn wir müssen aus ihrer Leeseite vorüber und im Treiben mit ihnen die Breitseiten tauschen!«

Während der erste Lieutenant der Corvette den erhaltenen Befehlen Folge leistete, ertheilte der Commodore dem zweiten Offizier weitere Ordres, um sie an Bord der drei anderen Schiffe des kleinen Geschwaders zu bringen. Wenige Augenblicke darauf schoß das Boot davon und der Commodore wandte alle seine Aufmerksamkeit dem Feinde zu. Er stand auf den Hängematten der Puppe, an einem Tau sich festhaltend, und beobachtete mit dem Nachtfernrohr dte Gegner, während der Knabe François die Sporen von seinen Stiefeln lös'te.

Der erste Lieutenant war bereits wieder auf dem Verdeck und stand neben ihm.

»Es bleibt uns nichts übrig,« sagte der Commodore, »als während des Gefechts die Höhe zu gewinnen und hinüber zu legen nach dem Ufer von Uruguay. Die Fregatten sind uns zu

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stark und der Uebermacht zu weichen, ist keine Schande. Wir sind bessere Segler als sie und in zwei Stunden geht der Mond unter. Dann entkommen wir ihnen leicht.«

»Brown ist ein alter Seehund,« meinte der erste Lieutenant, »er wird sich nicht so leicht täuschen lassen und uns den Weg verlegen.«

»Wir müssen es darauf ankommen lassen. - Laß allein die Mannschaft der Steuerbord-Kanonen auf ihrem Posten bleiben und die Anderen sich zu Boden legen, wenn wir im Bereich ihres Feuers sind. Hochbootsmann - haltet Alles bereit zum Ausbessern der Segel und des Takelwerks. Zwei Strich mehr Backbord, Mann! - Die Goelette ist jetzt über den Segelbaum ihres letzten Schiffes hinaus, und auch die >Amarillis< gewinnt die Höhe. Jetzt, Sacchi, die Topsegel hinauf und den Klüver, wir müssen der >Santa Trinida Die bezeichnete Brigg trieb eben unter'm Lee der Fregatten vorüber, zwar in genügender Entfernung, aber doch nicht so weit, daß das Feuer derselben ihr nicht hatte Schaden thun sollen. Die Corvette, durch die Klüver immer weiter abtreibend, kam jetzt rasch vorwärts und fuhr in den Raum zwischen den Fregatten und der von diesen beschossenen Brigg.

Aber die Feinde hatten jetzt das Manöver erkannt und ein Berg von Segeln stieg auf den fünf Schiffen der Föderalisten empor, die jetzt gleichfalls der Landbrise genossen und vom Ufer abtrieben.

In der Zeit einer Viertelstunde befand sich die Corvette auf gleicher Steuerlinie mit der größern der beiden Fregatten, während die zweite die Brigg beschoß, deren Segel- und Stengenwerk bereits arg beschädigt schien.

»Jetzt, Männer, ist es Zeit! Laßt uns selbst den Tanz eröffnen. Feuer!«

Die zehn Kanonen der Steuerbordseite entluden ihre eisernen Boten, im Augenblick darauf prasselte die Antwort der Gegner durch das Takelwerk und riß Splitter aus dem Bollwerk. Einer der Matrosen im Vorderkastell wurde verwundet.

Der Vortheil, daß die Corvette nur mit den obersten Segeln trieb, zeigte sich in der geringen Beschädigung.

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»Sie schießen zu hoch, Sacchi,« lachte der Commodore, der noch immer auf der Hängematte stand. »Aber veramente! - Brown versteht sein Handwerk. Er hat mit Absicht den Schnabel gegen uns gekehrt, um uns seine beiden Lagen geben zu können. Richtig, jetzt wendet er und hier kommt seine Breitseite!«

Wiederum rasselten die Kugeln des Gegners über die Corvette her, die von dreien in's Holz getroffen wurde.

»Nun, Kinder, gebt's ihnen - zielt auf die Segel - es ist unsre Hoffnung!« Die gleichzeitige Entladung der Kanonen machte den zierlichen Bau bis in seinen Kiel erbeben und ein leichter Schrei des Commodore Herz erzittern, während eine zarte Hand hastig nach der seinen faßte. Mit einem Sprung war er von den Hängematten auf Deck. »Um der Heiligen willen, Señora? - was thun Sie hier? Aniella, mein Weib - was willst Du auf diesem gefährlichen Platz?«

»Es ist der meine! Glaubst Du, daß Aniella Crousa ihr Recht aufgeben wird, in ihrer Brautnacht an der Seite ihres Gatten zu sein? Bin ich darum Dein Weib, daß ich nur Dein Glück, nicht Deine Gefahren theilen sollte?«

Die junge Frau zitterte sichtlich - ihre Wange war todtenbleich, aber in ihrem schönen Auge lag ein so energischer Muth, eine so bestimmte Entschlossenheit, daß der Held des La Plata ihr nicht zu widerstreben vermochte.

»Arme Aniella - Dein hochzeitlich Lager umgiebt der Tod - Dein Brautgemach ist Blut und Pulverdampf!«

Sie sah stolz und zärtlich auf ihn. »Und glaubst Du, daß eine solche Brautnacht das Weib weniger glücklich macht, in der sie den Mann ihrer Wahl als Helden bewundern darf? Zu Deinen Füßen will ich sitzen und Tod und Schrecken trotzen, aber nicht feig dort unten bleiben, fern von Dir, in dieser Nacht, die uns Beiden gehört!«

Der Commodore drückte sie an sich und führte sie sanft unter den Schutz des Bollwerks, wo er sie niederließ. »Du hast Recht, Aniella, das Weib Giuseppe Garibaldi's gehört an seine Seite, wenn die Kugeln sausen! - Es ist Zeit, Kinder - alle Hände herauf zum Segelsetzen! Luv ab, Mann, und gebt's ihnen mit den Sterngeschützen, Señor!«

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Die Pfeife des Hochbootsmannes rief zum Segelansetzen, aus den Luken herauf, unter den Bollwerken hervor schwärmte die tapfere Mannschaft und warf sich in die Wanten, während unter des ersten Lieutenants und des Feuerwerkers Leitung die beiden langen Vierundzwanzigpfünder aus den Luken der Capitainskajüte das zur Verfolgung sich anschickende Admiralsschiff zu beschießen begannen.

Die Bäume der Corvette füllten sich mit dem weißen Linnen, das die Brise emporblähte, und wie ein Schwan schoß sie vorwärts zum Schutz der Brigg, die noch immer das Feuer der zweiten Fregatte aushielt.

»Diavolo! Warum setzt Salvadore nicht Segel an und macht sich aus dem Staube? Hinauf, Señor, in den Vormars, und sehen Sie, was mit der Santa Trinidad ist.«

Der Aspirant flog die Want hinauf - der Mondschein war noch so hell, daß er mit dem Glase leicht den Zustand der Brigg erkennen konnte - die Meldung lautete kläglich genug, das Feuer der zweiten Fregatte hatte die Brigg entsetzlich mitgenommen in ihrem Stengenwerk, so eben kam das große Giek herunter und das Schiff war ein hilfloses Wrack.

Ein Vivageschrei von der Kajüten-Batterie herauf milderte die schlimme Nachricht - ein glücklicher Schuß des Feuerwerkers hatte die Hauptstenge des Topmastes des jagenden Admiralsschiffs getroffen und mit dem ganzen Linnen- und Tauwerk herabgebracht, die Fregatte, ihrer Klüver beraubt, fiel sogleich ab - andere Schüsse mußten gleich schlimme Wirkungen gehabt haben, denn man sah das obere Segelwerk des Besan- und großen Mastes einziehen und das Schiff nur noch mit den unteren Segeln treiben.

»Jetzt, Männer, gilt es, dem Burschen dort die Zähne zu weisen, ehe sie den Schaden gebessert und wieder heraufkommen. Zwei Striche Steuerbord, Mann, und laß uns auf drei Kabellängen an ihr vorübergehen. - Sacchi soll das Feuer aus den Hinterdeck-Kanonen fortsetzen, so lange es möglich ist!«

»Die Santa Trinidad setzt ein Boot aus, Señor,« meldete der Aspirant vom Mastkorb. »Sie zeigt das Nothsignal.«

»Höll' und Teufel! - Salvadore wird sie doch nicht im Stich lassen, so lange eine Planke unter ihm hält!«

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»Das Signal wird wiederholt, Señor Commodore. Drei blaue Lichter unter'm Stern.«

»Das ist das Zeichen der höchsten Noth - sie müssen Kugeln zwischen Wind und Wasser haben und im Sinken sein. Den großen Kutter nieder und die Pinasse, wir müssen versuchen, unsere Brüder zu retten. - An die Geschütze, Männer, Kartätschen auf die Kugeln, und nicht eher Feuer, als bis Ihr das Kommando vernehmt!«

Während die Boote der Corvette in's Wasser sanken und sofort nach dem gefährdeten Schifft ruderten, kam der Segelbaum der Corvette bereits in gleiche Linie mit der zweiten Fregatte.

»Nieder auf den Boden, Aniella - soll ich die Todte in's Brautbett tragen?«

Die Breitseite der Fregatte krachte daher und schlug in den Rumpf, schwirrte durch die Luft, zerriß die Taue und zersplitterte die Bollwerke.

Der Commodore selbst stand am Ruder. »Braßt das Besansegel voll - jetzt, Männer, gebt's den Schurken! Feuer!« Die Breitseite der Corvette entlud sich durch das Manöver des kühnen Führers auf etwa zwei Kabellängen gegen die kleinere Fregatte. Der Befehl, Kartätschensäcke auf die Kugeln zu setzen, zeigte seine Folgen in dem wilden Geheul, das man von dem Bord des feindlichen Schiffes herüber hörte.

Die Corvette gewann dadurch Zeit, eine zweite Lage zu geben - als die Buenos-Ayrer erwiederten, war sie bereits über mehr als die Hälfte der Schußlinie hinaus.

»Wie ist's mit dem Stengenwerk und den Masten? - Wie viel Verwundete?«

Die Corvette, die nur um ein Geringes kleiner war, als die zweite Fregatte der Gegner, hatte vier Todte und fünf Verwundete von den beiden Lagen des Gegners - die Kreuzbramstenge war durchschossen, der große Mast von einer Vollkugel getroffen - der andere Schaden weniger bedeutend, ebenso im Rumpf.

Sogleich erscholl der Befehl, den großen Mast zu woolden, das heißt, mit vorläufigen Stützen zu sichern, während der Fockmast sich bereits mit allen Segeln und Beisatzsegeln bedeckte, die er zu tragen vermochte.

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Die Itaparika war jetzt auch der zweiten Fregatte voraus und unterhielt das Feuer gegen die beiden furchtbaren Gegner nur noch mit ihren Hinterdeck-Kanonen. Die Boote hatten die Brigg erreicht und kehrten bereits mit Mannschaft gefüllt zurück, indem sie den Segelstrich der Corvette zu kreuzen sich beeilten. Die Brigg und die Goelette hatten das Gefecht aufgegeben und standen unter vollem Segeldruck hinaus auf die Höhe, verfolgt von ihren Gegnern, die jedoch die Annäherung der Corvette in respektvoller Entfernung hielt. Dagegen begann die zweite Fregatte der Feinde jetzt unter'm Vortheil des Windes die Jagd, und das große Schiff des Admirals schien bereits genügend Schaden gebessert zu haben und begann gleichfalls heraufzukommen.

Der Commodore wußte recht gut, daß gegen diese Uebermacht ihn nur die schleunige Flucht retten konnte, und daß auch da noch die Chancen sehr zweifelhaft waren, wenn nicht irgend ein glücklicher Zufall ihm zu Hilfe kam.

Dennoch widerstrebte es seinem energischen und kühnen Geist, vor dem Feinde zu fliehen und ihm den Sieg zu lassen.

Er schritt hastig, unruhig auf dem Hinterdeck umher, während seine Befehle ausgeführt wurden und die ganze Mannschaft eifrig an der Ausbesserung oder den Geschützen beschäftigt war. Von Zeit zu Zeit wandte sich sein sorgenschwerer Blick von den Segeln der Verfolger und dem eigenen Mastwerk nach der Stelle, wo die junge Frau in der Nahe des Steuers saß, unbekümmert um Schlacht und Gefahr, einzig die Augen auf ihn gewandt, während La-Muerte, der treue Schwarze, wie ein riesiger Hund unfern von ihr auf dem Deck kauerte.

Die Boote der Corvette und der Brigg waren jetzt heran, ein Jubelgeschrei der Mannschaft begrüßte die Geretteten, die sich an den Tauen emporschwangen.

Der erste Lieutenant der Brigg, ein junger Mann aus einer der reichsten Familien Montevideo's, sprang die Stufen zum Hinterdeck empor und salutirte vor dem Commodore. Sein rechter Arm hing in einem blutigen Tuch. »An Bord gekommen, Señor! zwei Offiziere, fünfunddreißig Mann in den Booten. Sie danken Eurer Excellenza für ihre Rettung.«

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»Aber Don Salvadore, wo ist der Capitain? wie steht es um die Brigg?«

»Don Salvadore wurde das Knie von der fallenden Bramstenge zerschmettert, er weigerte sich bis zum letzten Augenblick, uns zu begleiten - zwei Kugeln trafen die Brigg unter der Wasserlinie, sie ist rettungslos verloren, auch wenn unser Stengenwerk nicht gänzlich unbrauchbar geworden.«

»Wie, Señor, und Sie konnten Ihren Commandeur verlassen?«

Das vom Blutverlust bleiche Gesicht des jungen Offiziers überflog eine helle Rothe. »Señor Commodore,« sagte er gekränkt, »Sie selbst haben uns gelehrt, was Subordination ist. Wolle es Ihnen gefallen, Ihr Glas nach der Brigg zu richten!«

Garibaldi that es. »Ich sehe einen Mann in den Wanten des Vordermastes! Er schwingt die Flagge als Nothzeichen - Señor - Sie - «

»Jener Mann ist Capitain Salvadore,« unterbrach ihn der Lieutenant. »Sein letzter Befehl war, ihn dort festzubinden, damit er bis zum letzten Augenblick die glorreichen Wimpel seines Vaterlandes vor Augen habe.«

»Um der Heiligen willen - die Brigg schwankt - sie sinkt!«

»Señor Commodore,« sagte der verwundete Offizier, »auf den Befehl jenes Mannes sind wir hier, weil er glaubte, daß wir der Sache der Freiheit mehr nützen könnten - sonst würde kein Mann von ihm gewichen sein. Jetzt erlauben Sie wenigstens, daß wir einem Tapfern den letzten Gruß bringen!«

Und ohne die Einwilligung des Commodore abzuwarten, schwang er sich mit dem unverletzten Arm in das Takelwerk, nahm seine Kappe und schwenkte sie durch die Luft.

Im Augenblick war die an Bord der Itaparika gerettete Mannschaft der Brigg seinem Beispiel gefolgt und stand in den Wantungen, auf den Bollwerken und in den Böten.

Die Brigg schwankte - deutlich sichtbar im Mondenschein - wie ein Trunkener - mit scharfem Auge sah man die dunkle Gestalt im Takelwerk die Flagge schwingen.

»An die Geschütze am Backbord! - Fertig zum Feuern!«

Aniella kniete neben dem Commodore, der, das Sprachrohr

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in der Hand, das Auge ernst und schwer auf die Brigg gerichtet hielt, während ihr Gebet zum Himmel stieg.

»Sie sinkt - sie sinkt - !«

»Fahre wohl, Kamerad - Du stirbst für die Freiheit Deines Landes - möge es mir einst auch so gut werden auf italischer Erde - ein Hurrah, Kameraden, und die Salve über sein weites Grab!«

Und »Vive la libertad! Vive Montevideo!« klang es aus zweihundert Kehlen und mischte sich in den Donner der Breitseite.

Als der Pulverdampf von der frischenden Brise vorübergetrieben wurde, suchten die Augen die Santa Trinidad - die Brigg war verschwunden, das weite Wasser ihr Grab.

Von den feindlichen Schiffen her klang es wie ein höhnendes Echo des Abschiedsrufs in fernem Triumphgeschrei - auch dort ja mußte man das Sinken der Brigg gesehen haben, und was für den Einen Schmerz, war für den Andern der Sieg!

»An die Taue, Männer! Hißt die Kreuzbramsegel! Hinauf mit jedem Linnen, was die Spieren tragen mögen!«

Mit der Gleichgültigkeit gegen den Tod und das Geschehene, die ein Hauptzug im Charakter der Seeleute ist und sie dem sterbenden Kameraden die aufopferndste Theilnahme widmen, dem Gefallenen aber nicht nutzlose Trauer folgen läßt, warf sich die Mannschaft jetzt, unterstützt durch die Besatzung der Trinidad, auf's Neue an die Arbeit. Die Ausbesserung des Schadens war, so weit thunlich, vollendet, Nothsegel waren an den Besanmast gesetzt und die Corvette segelte mit aller möglichen Schnelle, auf den Schutz der bald eintretenden Dunkelheit vertrauend, weiter, um dem übermächtigen Feinde zu entkommen.

Aber dieser war kein unkundiger und zu verachtender Gegner, Admiral Brown vielmehr ein gewiegter und erfahrener Seemann, dem nur ein so junges und thätiges Genie, wie das des italienischen Condottieri, so lange den Sieg hatte streitig machen können. Brown, ein Engländer von Geburt, war überdies in diesem Augenblick auf's Höchste entrüstet, daß es seinem kühnen Gegner auf's Neue gelungen war, ihn zu täuschen, und er fühlte, daß er Alles aufbieten müsse, die Scharte auszuwetzen. Die Nachtsignale flogen an den Signalleinen empor, und die Schifft des Geschwaders von

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Buenos-Ayres begannen sich den Befehlen zufolge auszubreiten und einen weiten Halbkreis zu bilden, in den sie die Verfolgten einschlossen.

In der Mitte dieses Halbkreises segelten die beiden Fregatten - das Admiralschiff mit aufgesetzten Nothstengen, aber vollkommen wieder seetüchtig und fast ein so guter Segler wie die Corvette.

Der Mond war untergegangen, aber bei dem klaren durchsichtigen Dunkel der Aprilnacht und der Nähe der Gegner war es leicht, die Fliehenden im Auge zu behalten.

Der Commodore Garibaldi erkannte nach einer Stunde des Manövrirens, daß es vergeblich sei, den Gegner täuschen zu wollen.

Er schritt finster auf dem Hinterdeck auf und nieder, von Zeit zu Zeit das Hängemattengitter ersteigend und mit seinem Fernrohr den Horizont durchforschend.

Die Brise war stetig und frisch, aber da die Schiffe der Montevideer jetzt unterm Winde fuhren, war sie den Jagenden günstiger, als den Gejagten.

Plötzlich blieb der Commodore stehen. »Lassen Sie den Hochbootsmann Benito kommen.«

Der Ruf ging bis zum Vorderdeck und gleich darauf erschien ein alter wettergebräunter Matrose von langer magerer Gestalt. Das Gesicht mit der gebogenen Eulennase sah aus, wie der Todtenkopf eines Geiers der Cordilleren, so fest klebte die braune Haut auf den Knochen.

»Du hast am längsten von uns' Allen den La Plata befahren, Benito?«

»Seit fünfunddreißig Jahren, Señor Commodore, aber, Valga me Dios! nie unter einem bessern Capitain!«

Der Commodore nickte ihm freundlich. »Ich weiß, daß Du Vertrauen zu mir hast, Alter, und deswegen wend' ich mich an Deine Erfahrung. Wann denkst Du, daß wir die Küste von Uruguay erreichen mögen?«

»Eine Stunde vor Tagesanbruch, Señor.«

»Und kennst Du an diesem Theile des Ufers eine Zufluchtsstätte, an der wir uns gegen Jene dort wehren können?«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Sie wissen so gut wie ich, Señor Commodore, daß die Föderalos - Gott und die Heiligen

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mögen die Hunde vernichten! - uns den Rückweg nach Siriano verlegt haben. Die Küste ist flach bei Rosario, daß man sie nicht zu Augen bekommt, bis der Kiel auf den Grund stößt.«

»So ist Deine Meinung, daß wir ihnen nicht mehr entrinnen können?«

»So ist es, Señor Commodore!«

»Aber es ist unmöglich, mit unseren drei Schiffen den Kampf gegen die Uebermacht zu bestehen.«

»Ich weiß es!«

»Und was rächst Du?«

»Wenn wir nicht mehr kämpfen können, Señor Commodore, giebt es die Pulverkammern.«

Der Befehlende schwieg einige Augenblicke. Dann sagte er ruhig: »Du hast Recht. Laß die Leute um den großen Mast zusammentreten, ich habe ihnen einige Worte zu sagen!«

»Si, si!« Der Alte schwenkte sich auf dem Absatz um, setzte seine Pfeife an die Lippen und gab das Signal: »Alle Mann herauf.«

Alsbald schwieg das bisher in den Zwischenräumen unterhaltene Feuer der Sterngeschütze und die Mannschaft kam aus den Luken herauf, aus dem Takelwerk nieder, und sammelte sich um den Mast. Nur die Steuerleute und die nöthigen Wachen blieben auf ihren Posten.

Der erste Lieutenant hatte die Batterie verlassen, die Offiziere sammelten sich um ihren Befehlshaber auf dem Hinterdeck.

»Gieb der >Concepcion< und der >Amarillis< das Signal, dicht heran zu legen, Señor Teniente!«52

Der erste Lieutenant gab den Befehl weiter, zwei blaue Lichter stiegen in den Nachthimmel empor, denen sofort das Signal der Laternen folgte.

Das Gemurmel der Mannschaft schwieg, als der Commodore auf die Stufen trat, die vom Mittelschiff zum Hinterdeck führen, und von denen aus er die dicht gedrängte Menge übersehen konnte. Dicht hinter ihm stand die junge Frau, umgeben von den Offizieren des Schiffes.

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»Wer zu weit entfernt ist,« sagte der Commodore, »um meine Worte genau zu hören, möge in das Takelwerk steigen, denn es ist nöthig, daß jeder Mann an Bord sie vernehme.«

Einen Augenblick dauerte das Geräusch, dann folgte wieder eine allgemeine Stille - man hörte nur das Knarren der Stengen und Spieren, das Anschlagen der Taue, wie der Wind durch das Segelwerk rauschte.

»Männer der Itaparika und der Santa Trinidad,« klang die ruhige sonore Stimme des Führers, »es sind nun drei Jahre, daß ich dies Deck als Euer Führer beschreite und die Schiffe der Republik gegen den überlegenen Feind geführt habe. Ihr selbst mögt mir das Zeugniß geben, ob ich je vor einer Gefahr zurückgewichen, wo es galt, die grün-blaue Flagge zu Ehren zu bringen und ihr Achtung zu verschaffen bei Freund und Feind!«

Ein beifälliges Gemurmel, das mit dem enthusiastischen Ruf: »Vive Garibaldi! Vive la libertad!« endete, beantwortete diesen Aufruf.

»Kameraden,« sagte der tapfere Condottieri, »ich danke Euch für das Zeugniß. Was ein Führer mit Tapferen, wie Ihr, zu thun vermag, haben wir der Welt bewiesen[.] - Eines aber bleibt uns noch übrig, das ist: für die Sache, der wir uns gewidmet, zu sterben, wie wir für sie gelebt haben! Flucht ist unmöglich, ich bin entschlossen, den Kampf mit jenen vier Schiffen aufzunehmen, aber selbst den Heroen haben die Götter ihre Grenzen gesteckt - den Sieg zu hoffen, wäre Wahnsinn - doch weder unsere Leiber, noch eine Planke dieser Schiffe dürfen in die Hände des Mörders Rosas und seiner Schergen fallen. Frei wollen wir sterben, wie wir gelebt, laßt uns kämpfen bis zum letzten Mann, und der Letzte möge die Lunte in die Pulverkammer werfen, damit kein Föderalo sagen kann, er habe Männer, wie uns, besiegt! Das, Kameraden, war's, was ich Euch sagen, wozu ich die Einwilligung freier Männer wollte!«

»Zum Tode! zum Tode! Vive el Comodore! Vive la lidertad! Zum Kampf! zum Kampf!« Ein einziger Schrei schien aus dieser Schaar von Tapferen emporzudonnern zum Nachthimmel. Die Tomahawks, die Säbel, die Enterpiken wurden in wahnsinniger Erregung durch die Luft geschwungen, die

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Männer umarmten sich und schworen in wilder Begeisterung, bis zum letzten Athemzug mit ihrem tapfern Führer zu kämpfen.

Der Commodore erhob die Hand, Ruhe gebietend; wie auf einen Zauberschlag legte sich der Sturm, denn Jeder begriff, daß der Befehl des Führers jetzt den strengsten Gehorsam forderte.

»Señor Teniente,« scholl der Befehl, »laß zwei Boote aussetzen. Unsere Kameraden auf der Concepcion und der Amaryllis müssen von unserm Beschluß in Kenntniß gesetzt werden!«

Lieutenant Sacchi legte die Hand an den Hut und wandte sich zu dem Hochbootsmann, den Befehl zu wiederholen.

Aber ehe er noch die Lippen geöffnet, wurde er durch den lauten gebieterischen Ruf: »Haltet ein!« unterbrochen.

Der Ruf kam aus einem Frauenmund. Auf der Treppe des Hinterdecks, an der Seite ihres Gatten und diesen zurückdrängend, stand Aniella Crousa, bleich, aber Entschlossenheit, Begeisterung in dem funkelden Auge.

»Montevideer - Söhne und Freunde meines Landes! auch ich, das Weib Eures Führers, habe Worte an Euch zu richten!«

Die wilden Gesellen, die Gefahren der Schlacht und des Sturmes, des Donners der Geschütze und des Himmels gewohnt, lauschten erstaunt dem Wohlklang dieser Frauenstimme. Der Commodore neigte den Kopf zum Zeichen seiner Einwilligung und kreuzte die Arme, den ernsten Blick mit einem Ausdruck von Theilnahme und Zärtlichkeit auf sein junges Weib gerichtet, gleich als sei auch er begierig, zu hören, was sie sagen werde.

»Freunde und Brüder,« fuhr die junge Frau fort, »Ihr habt Euch mit diesem Manne in die Gefahr gestürzt, um mich zu retten vor einem Bunde, der das Zeichen der Schmach auf die Stirn der Tochter Montevideo's gedrückt hätte. Darum - wie mein Leben Euch gehört - gehört das Eure mir; ich, die Tochter des Landes, für das Ihr kämpft, ich sage Euch: ein tapferer Tod ist erhaben, aber Euer Leben ist kostbarer für die Sache der Freiheit, als Euer Tod, und darum dürfen die Kämpfer Montevideo's nicht verzweifeln, sie müssen leben und weiter kämpfen!«

Ein tiefes Schweigen antwortete den leidenschaftlichen Worten der jungen Frau, denn die Meisten fühlten darin nicht blos die

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Begeisterung für die Sache, sondern auch den Wunsch, das Leben des geliebten Mannes zu retten.

»Ich habe von Dir gehört, als ich kaum dem Kindesalter entwuchs,« fuhr die Montevideerin fort, indem sie sich an ihren Gatten selbst wandte, »Du bist kein Sohn dieses Landes, sondern hierher gekommen von weit über dem Meer her, um Freiheit zu suchen, aus einem Lande, auf dem noch schwerer als auf uns die Hand der Tyrannei lastet. Diese Männer, die Du um Dich gesammelt, sind zum Theil Deine Landsleute, vertrieben wie Du, hoffend wie Du. Habt Ihr vergessen, daß das eigene Vaterland einst die Söhne wieder rufen kann, wenn die Stunde seiner Freiheit geschlagen, die Söhne, die seitdem ihren Arm gestählt im Kampf für die Freiheit eines fernen Landes? - Noch kenne ich die innersten Gedanken Deines Herzens nicht, José Garibaldi, mein Gatte, aber Aniella Crousa schließt von dem ihren auf das Deine, und sie weiß, daß die Freiheit des Vaterlandes der höchste Wunsch eines Lebens, wie das Deine, sein muß!«

Der Teniente Sacchi schwang den Hut. »Bei der versunkenen Herrlichkeit Roms - die Señora hat Recht! Viva Italia!«

Und »Viva Italia!« jubelte es aus fünfzig Kehlen.

Der Commodore trat zu der jungen Frau und reichte ihr die Hand. »Du hast eine tönende Saite in meinem Herzen berührt, Aniella,« sagte er. »Aber die Ehre Giuseppe Garibaldi's ist der Republik Uruguay verpfändet, und da er das Schild, das sie ihm anvertraut, nicht zurückbringen kann, darf er selbst nur auf dem Schilde zurückkehren.«

»Die Republik von Uruguay,« rief die junge Frau, »kann ein neues Geschwader bauen - sie nehme meine ganze Habe, wenn sie deren bedarf! - aber das Leben der Helden, die für sie kämpfen, vermöchte sie mit all' ihrem Golde nicht zurückzukaufen!«

»Und was will Aniella, das wir thun?«

»Euer Leben dem fernern Kampfe Montevideo's und Deinem eigenen Vaterlande bewahren. Nicht in der Kraft zum Sterben zeigt sich der wahre Muth, sondern in der Kraft zum Kämpfen.«

»Diese Planken, unser Kampfplatz, werden in einer Stunde zersplittert sein.«

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»So suche Dir einen andern!«

»Mein Handwerk ist das des Seemannes. Das Meer war die freie Heimath des Knaben!«

»Wenn das Meer undankbar ist gegen seinen Sohn, so vertraue dem Lande und lerne auf ihm fechten! Du wirst es vielleicht einst mir danken.«

»Was willst Du, das ich thun soll?«

»Kämpfet - und wenn der Augenblick gekommen und Ihr Jenen so viel Schaden als möglich gethan, so verbrennt diese Schiffe und werft Euch an's Land. Ich sah Dich im Kampfe mit den Gauchos, und Du warst ein Held dort, wie Du ein Held auf dem Meere bist. Wohlan, mein Held, wirf Dich mit Deinen Tapferen in die Pampas, und Aniella Crousa wird Dich den Kampf der Wüsten ihrer Heimath lehren!«

»Vive la libertad! In die Pampas! in die Pampas!« jubelten die Eingeborenen der Mannschaft.

»Bei der heiligen Jungfrau,« sagte der Commodore, »der Rath dieser Frau ist gut. Was meinst Du, Sacchi?«

»Ich meine, Commodore, die Worte Deines Weibes machen Männer wie wir, erröthen über den feigen Entschluß, zu sterben. Unser Leben gehört Italien - es ist gleich, ob wir bis dahin auf den Planken eines Schiffes oder in den Savannen kämpfen, wenn es für die Freiheit geschieht!«

»Du hast Recht! Wohlan denn, Kameraden, der Morgen finde uns auf dem Wege in die Pampas, diese Nacht aber gehöre unseren Feinden auf dem Wasser, und, bei dem Andenken meiner Mutter! ich will mir eine Hochzeitsfackel anzünden, daß sie bis auf das Mark ihrer Knochen brennen soll!«

Ein neues Leben, eine wahrhaft furchtbare Energie schien mit dem Entschluß auf den Condottieri gekommen zu sein. Befehl folgte auf Befehl, kurz und ohne Zögern. Zwei Offiziere flogen in den leichten Booten zu den sich nähernden beiden Schiffen, während alle drei dabei unverändert ihren Cours nach der Küste nahmen. Die Mannschaft erhielt Ordre, ihre werthvollsten Sachen in die Boote zu bringen, doch so, daß die freie Bewegung darin nicht gehindert ward. Jeder Matrose und Seesoldat wurde mit Pistolen, Tomahawk oder Säbel, und Gewehr oder Pike

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bewaffnet, reichliche Munition vertheilt und ein so großer Vorrath als möglich davon in die Boote geschafft. Die Kanonen des Backbords wurden entladen, die Karonaden des Verdecks bis an die Mündung mit Kartätschen und Flintenkugeln gefüllt und aus den Steuerbordluken gerichtet. Dann häufte man auf dem obern und untern Deck um die Masten Massen von feuerfangenden Stoffen und legte Zündlinien nach allen Theilen des Schiffes.

Die Brigg und die Goelette hatten bereits so nahe herangelegt, daß mit dem Sprachrohr die Verständigung erfolgen konnte. Der Kommodore befahl jetzt, mit den langen Sterngeschützen das Feuer auf die verfolgende Flotille wieder zu beginnen. Er selbst hatte in der Kajüte Gold und Papiere zu sich gesteckt und trug im Gürtel die mit Silber ausgelegten Pistolen, ein Geschenk des Bey von Tunis, an seiner Seite einen kostbaren maurischen Säbel mit echter Damascener-Klinge, den er mit eigener Hand im Gefecht einem berühmten Häuptling von Ziban abgenommen, als er in tunesischen Diensten stand. Aehnliche leichtere Waffen hatte er seiner Gattin gegeben.

Zwei Mann standen in den Ketten des Vorderschiffs und warfen fortwährend das Loth aus, die sich rasch verflachende Tiefe zu messen.

Der Gang der Schiffe wurde jetzt durch das Einziehen mehrerer Segel gemäßigt, nach Verlauf einer halben Stunde waren die feindlichen Fregatten so nahe herangekommen, daß sie ihr Feuer aus den Breitseiten beginnen konnten.

Die Boote am Backbord wurden nunmehr mit aller Mannschaft besetzt, die nicht zur Bedienung der Kanonen nöthig war. Aniella weigerte sich jedoch standhaft, ihren Platz an der Seite des Gatten zu verlassen und sich in die vor den Kugeln der Fregatten gesicherten Boote zu flüchten. La-Muerte und der Commodore bemühten sich, sie mit ihren eigenen Leibern zu decken.

Die Morgennebel, der Sonne vorausgehend und unter diesem Himmelsstrich die köstliche Dämmerung der mittleren Breiten ersetzend, bedeckten jetzt das Wasser und hüllten die Schiffe bis zu den Mastspitzen ein. Wie zum Hohn der Feinde befahl der Commodore Garibaldi, sofort am Bogspriet und Hintermast Laternen auszuhängen, deren Licht wie rothe Sterne durch die Nebel

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glühte - dem Feinde das Ziel seiner Lagen andeutend. Die drei Schiffe der Montevideer trieben so dicht aneinander geschlossen, daß der Klüverbaum des einen fast in die Sternfenster des andern stieß.

Da unter solchen Umständen der Feind auch nur aus seinen Backbord-Kanonen feuern konnte, erfolgten die Breitseiten in regelmäßigen Pausen und die sprühenden Blitze durchbrachen gleich breiten Feuerströmen die Nebelwand. Die Verwüstung am Bord der Schiffe von Uruguay war furchtbar und stieg mit jedem Augenblick, je näher die Fregatten der Gegner herankamen. Da diese aber von höherem Bord waren, blieben zum Glück die Lagen derselben gegen das Mast- und Takelwerk gerichtet, während die Kugeln der Itaparika in das Holz ihrer Feinde trafen.

»Fünf Fuß!« meldete der Mann in den Ketten.

»In fünf Minuten werden wir aufstoßen,« sagte der Commodore. »Der große Mast kann sich nicht halten. Gieb Befehl, Sacchi, daß die Boote zurücklegen, bis er gefallen, und laß die Schiffe von Schnabel zu Stern durch Ketten verbinden!«

Die Befehle wurden rasch ausgeführt, gewandte Matrosen schwangen sich von den Klüverbäumen nach dem Stern der Vorderschiffe und schlugen ihre Enterhaken ein, so daß bald die Amaryllis und die Concepcion zu einer festen Linie mit der Itaparika verbunden waren und nicht weiter abtreiben konnten.

Ein leises Aufscharren, dann ein stärkerer Stoß belehrte die Mannschaft der Corvette, daß ihr Schiff festsaß; eine Kugel, die in diesem Moment den verletzten schwankenden Mast traf, brachte ihn zu Falle, und er brach mit seinem ganzen Segelwerk über Backbord.

»Kappt die Taue - klar das Wrack!« donnerte die Stimme des Commodore durch das Sprachrohr. Ein Triumphgeschrei der Gegner antwortete dem Befehl, so nahe war das Admiralschiff bereits der Linie.

Der Commodore warf das Sprachrohr fort. »Sie gehen in die Falle,« sagte er mit heiterm Lachen. »Brown merkt den Streich nicht, den wir ihm spielen - seine Fregatte geht um zwei Fuß tiefer im Wasser, als die Itaparika, und wenn er die Spitzen unserer Spieren berührt, wird er festsitzen, ohne unsern

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Bord erreichen zu können. Jetzt, Männer, ist es Zeit! Die Enterer hinauf mit den Haken auf die Raaen und ein Jeder an seinen Posten!«

Eine volle gewaltige Lage der Gegner rasselte in der Entfernung von kaum fünf Faden durch das Takelwerk und in das Holz, - dann, da keine Breitseite der Itaparika mehr das Feuer erwiederte, sah man durch den Nebel einen Berg von Segeln und Masten sich heranwälzen und näher und näher kommen.

Der Commodore warf einen Blick um sich, wie sich zu überzeugen, daß Alles auf dem angewiesenen Posten, dann winkte er dem Mohren durch ein Zeichen seiner Brauen.

La-Muerte stürzte sich auf die Gebieterin, hob sie trotz ihres Sträubens empor und trug sie über das Fallreep des Backbords in den wieder herangelegten Kutter.

In diesem Augenblick begegneten sich die äußersten Spitzen der Spieren beider Schiffe. Das Takelwerk der Fregatte, ihre Bollwerke und ihr Hinterdeck waren dicht gedrängt mit Enterern gefüllt, bereit, auf das kleinere Schiff herabzustürzen.

Ein gellender Pfiff ertönte.

Wie durch einen Zauber hervorgerufen, erhoben sich auf den Raaen, wo sie bisher der Länge nach ausgestreckt gelegen, Matrosen, [Matrosen] huschten, an den Tauen sich haltend, entlang bis an die äußersten Enden und schleuderten mit der Geschicklichkeit der Pampasbewohner ihre Enterhaken und Fallleinen.

Zugleich sah man das größere Schiff, dessen Bord sich noch in der Entfernung von etwa fünf Ellen von dem der Itaparika befand, bis in die Spitzen seiner Masten erbeben. Die Fregatte hatte auf den Grund gestoßen.

Der Commodore Garibaldi schwang sich auf die Hängemattengitter der Puppe. »Hasta la vista, Señnor Almirante!53 Viva la libertad!« Seine Pistolen knallten gegen die dicht geschaarte Menge, die eine der Kugeln streifte des Admirals rechte Wange und auf das Signal antwortete eine furchtbare Breitseite der hochgerichteten und bis an die Mündung mit Kartätschen geladenen Karonaden der Corvette mit einer Salve der Flinten und

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Pistolen der Mannschaft, deren verhöhnendes Vivageschrei sich in den Donner der zerschmetternden vernichtenden Lage mischte.

Als sich die Föderalisten von der Verwirrung, von dem entsetzlichen Blutbade, das die so wohl berechnete, in solcher Nähe abgefeuerte Lage unter ihnen angerichtet hatte, erholten, und mit Wuthgeschrei in das Takelwerk emporklimmten, um von hier sich auf das ihnen vom Deck unerreichbare Schiff zu stürzen, war die Itaparika leer - kein Mann weder im Takelwerk, noch auf dem mit Blutspuren und Todten besäeten Deck zu sehen.

Die Ersten der Enterer stürzten an das Bollwerk des Backbords - durch den Schleier des Nebels sahen sie dunkle Massen auf der Fläche des Stromes dem Ufer zu sich bewegen, die Boote der Unitaristen. Ein jubelndes Hohngeschrei drang gellend herüber und mischte sich mit den Verwünschungen und den Pistolenschüssen der Betrogenen.

Aber aus den offenen Luken des Schiffes, aus den Stückpforten und Kajütenfenstern stieg ein dichter Qualm hervor, dichter, stickender, als der weiße wallende Morgennebel. Von dem Stumpf des großen Mastes her wirbelte es auf, erst schwarz und schwer, dann in züngelnden hellen Flammen, die an dem Holz und den theergetränkten Tauen emporliefen und über die Wantungen und die Segel züngelten.

Der dem Seemann so furchtbare Ruf: »Incendio! Incendio!« erklang von allen Seiten. Die Befehle der Offiziere, das Geschrei der Mannschaft steigerte die Verwirrung, Boote wurden ausgesetzt, um die Fregatte zurückzuschleppen, mit rasender Anstrengung arbeiteten in dem Tauwerk die Matrosen von Buenos-Ayres, um das Schiff frei zu machen von den verderblichen Verknotungen.

Mit Wuth im Herzen schaute der Admiral von seinem Deck auf die drohende Gefahr, die Nägel in die zuckende Brust gegraben, hörte er die Rapporte der Offiziere, welche die Meldungen brachten. Von seiner Stellung aus konnte er sehen, wie drei machtige Rauchsäulen aus diesem weißen Nebelmeer emporstiegen in den Morgenhimmel, durchzuckt von lichten Flammen, die gleich elektrischen Funken an den Masten in die Höhe liefen. Die zweite

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Fregatte und die Brigantine befanden sich fast in derselben gefährlichen Lage, wie sein eigenes Schiff.

Dann plötzlich ein gewaltiges Krachen, ein Strom von Feuer, schwarzem Rauch und Trümmern, breit hinauf gen Himmel!

»Los! Leute, los! Es gilt Euer Leben!« Die wenigen noch unverwundeten Offiziere sprangen selbst mit den Beilen zum Kappen in die Wantungen - mit gewaltigem Ruck löste sich die Fregatte aus der verhängnißvollen Umschlingung und gehorchte wieder ihrem Steuer. -


Das Licht des Tages stieg im Osten empor. An der sandigen flachen Küste stand in wirren Gruppen die Mannschaft der drei Schiffe, mit den Verwundeten und dem Ausladen der Boote beschäftigt, oder auf ihre Waffen gestützt, hinausschauend auf die weite Fläche des meerähnlichen Stromes.

Der Morgenwind zerstreute die Nebel, wie der einfallende Wolf die Heerde der Lämmer. Die Wracks der Corvette und der Amaryllis waren bis zum Wasserspiegel niedergebrannt und schwarzer Rauch wälzte sich von ihnen empor, die Trümmer der Concepcion, deren Pulverkammer zeitig genug das Feuer erreicht, treiben auf dem Wasser, die Flammen der Explosion hatten sich der Brigantine der Föderalisten mitgetheilt, und hoch auf wirbelte die Feuersäule an Tauwerk und Masten, während die Mannschaft sich in die Boote flüchtete.

Das Admiralschiff hatte weit genug zurückgelegt, um außer der dringendsten Gefahr zu sein, aber die Verwüstung an seinem Stengen- und Takelwerk war furchtbar - das Schiff nicht viel besser als ein Wrack. Nur die zweite Fregatte der Föderalisten war mit verhältnißmäßig geringer Beschädigung davon gekommen und besserte bereits eifrig Havarie.

Im Kreise der von Pulverdampf und Blut bedeckten Männer kniete die junge Frau in heißem dankenden Gebet für die Rettung des Gatten, der, an ihrer Seite stehend, die Arme über die schwer athmende Brust gekreuzt, hinausschaute auf die rauchenden Trümmer, die versinkenden Zeugen seines Ruhms und seiner Thaten. Ein Schiffer ohne Schiffe - ein Führer ohne Heer - ! nur die

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wenigen Getreuen um ihn und die gewaltige Kraft in der eigenen Brust waren ihm geblieben. Plötzlich fuhr er empor aus dem schweren Starren - sein Auge suchte im Kreise umher und winkte dem Knaben François, dessen Stirn von einer breiten Hautwunde zerrissen war, - sein Finger deutete hinaus auf das Wasser, wo in den Wellen der leichten Brandung ein Gegenstand auf und nieder trieb.

Einen Blick warf der Knabe dahin, dann war er in drei Sprüngen im Wasser und tauchte wie eine Möwe in die Fluth. Wenige Augenblicke darauf hatte er den treibenden Gegenstand erreicht, seine Hand erfaßte ihn und schwang ihn hoch über dem Haupt.

Ein Jubelruf der Tapferen antwortete ihm - es war der Flaggenstock der Itaparika mit dem grün-blauen Wimpel von Montevideo, auf welchen vergoldend die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen.

Und die ersten Strahlen der Sonne, aus dem Weltmeer emporsteigend, fielen auf den tapfern Besiegten - aber sie fielen auf einen freien Mann! -

Auf nach den Pampas! -

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Der Gefangene von Ham.

Eine flache sumpfige Gegend - nach allen Seiten die endlosen Ebenen an der Somme mit dem unbestimmten charakterlosen Horizont. Auf den feuchten sumpfigen Feldern und Wiesen hier und dort einzelne elende Bäume - das ist die Gegend, in die wir, vier Jahre überspringend, den Leser führen müssen.

Es ist der 25. Mai 1846. Die Sonne hat über die fernen Ardennen her sich erhoben und sendet ihre milden freundlichen Strahlen über die öde Gegend, die selbst der köstliche Wonnemond nicht heiterer, freundlicher machen kann.

Aus diesem Morast und Schilf, welche die Ufer des trägen Flusses bilden, erhebt sich eine dunkle rothbraune Masse von riesigen Thürmen und öden Wällen. Vier Jahrhunderte haben diese Mauern gedunkelt, seit der tapfere Graf von St. Pol sie zur Vertheidigung der Picardie erbaut. Ein langes Rechteck mit gewaltigen Cylinderthürmen an den Ecken, von denen der Thurm des Cormetable im nordwestlichen Winkel noch seinen antiken Charakter bewahrt hat, während die anderen Wälle und Mauern roh und kahl geworden, als scheue sich selbst der wuchernde Epheu, an ihnen emporzuranken.

Die ungeheuren Fenster, welche durch die dicken Mauern der Thürme Licht und Luft geben sollen, sind vermauert, die kleinen Oeffnungen, die man gelassen, schwer mit Eisen vergittert.

Auf dem westlichen Wall, von dessen Höhe man die Aussicht auf ein kleines morastumgebenes Städtchen von alterthümlicher Bauart hat, erhebt sich hundert Fuß hoch die viereckige Masse des Eingangsthurmes mit ihren sechsunddreißig Fuß dicken

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Mauern, durch welche die schmale Eingangsthür von der Zugbrücke her gebrochen ist, der einzige Zugang dieses traurigen Sarges für Lebendige.

Denn ein solcher ist es - ein einziger Blick auf diese öde Umgebung, auf diese finsteren Mauern lehrt, daß hier nur eine jener traurigen Anstalten sein kann, welche dem Vogel die Schwingen, dem Menschen das von Gott gegebene Recht der freien Bewegung rauben - ein Gefängniß.

Und so ist es! In jenen Mauern wohnten fünf Jahre jene Männer des Unheils für die weißen Lilien Frankreichs: Polignac, Chantelanze, Peyronnet und Guernont-Ranville; - in diesem Kerker beugte General Cabrera seinen intriguanten Geist!

Es ist das feste Schloß von Ham, zu dem wir den Leser geführt. -

Wenn man durch das Schloßthor eingetreten, steht zur Linken einsam ein halb verwitteter Ulmenbaum, jener Gefährte der Ruinen und der Gräber. Sein dunkles Grün paßt bereits zu der Farbe dieses Aufenthalts, denn nur wenige Stunden verdrängt die Maisonne den feuchten Schatten seiner riesigen Wächter. Vor dem Baum im innern Hof dehnt sich ein langes kasernenartiges Gebäude hin, kalt, feucht, ohne alle Architektur - erdrückt zwischen den Wällen, die seinen Horizont begrenzen und ihm Luft und Licht wegfangen. Rechts befindet sich eine kleine Eingangsthür, mit schweren Riegeln versehen. An dieser Seite ist an dem Tage unsrer Erzählung ein leichtes Baugerüst aufgerichtet, behufs einer nöthigen Reparatur. Kalkkübel, Handwerkszeug und Bausteine stehen umher.

Im ersten Stockwerk zur Linken bildet ein kleines Zimmer die Ecke des Gebäudes. Das Gitterfenster geht nach dem Thurm des Connetable und dem Wall hinaus, auf dem in schützenden Winkeln dichte Fliedersträucher angepflanzt und kleine Beete geordnet sind, auf denen einige Blumen sprossen. Rosen und die hochgeschossenen Blüthenstengel der fritillaria imperialis, der Kaiserkrone, finden sich auffallend zahlreich unter diesen Blumen und Pflanzen.

Das erwähnte Zimmer ist äußerst einfach möbliert. Ein schlechter Fayenceofen steht in einer Nische, neben dem Ofen bemerkt man ein kleines Pult von Tannenholz angenagelt. In der

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Ecke steht ein ähnliches Bett mit Vorhängen von buntem Zitz - auf einem Tisch eine Toilette von vergoldetem Silber neben einem groben Messingleuchter.

In dem Bett, halb von den Gardinen verborgen, lag ein Mann von etwa siebenunddreißig bis achtunddreißig Jahren, schlafend - träumend, denn zuweilen drängten sich einzelne Worte durch die fest zusammengepreßten Lippen, auf der schmalen hohen Stirn stand kalter Schweiß.

Straffes braunes Haar fiel in feuchten Strähnen um den eckig gebildeten Kopf; das hagere Gesicht war farblos und hatte vielmehr eine eintönige graubleiche, des Blutes entbehrende Färbung. Ein dicker dunkler Schnurr- und Kinnbart verbarg den in tiefen Falten endenden Mund; buschige Augenbrauen wölbten sich finster über das im Schlaf geschlossene Auge und die schmale, kräftig geformte Nase.

Die Gestalt, so weit sie unter der aufgeworfenen Decke sichtbar wurde, hatte etwas Eckiges, Unvortheilhaftes, war aber in ihrer Hagerkeit muskulös und ließ auf körperliche Abhärtung schließen. Die linke Hand, die auf der Bettdecke lag, war krampfhaft geballt, während die rechte häufig, gleich dem schaurigen Flockensuchen eines Sterbenden, mit den langen hageren Fingern umherfuhr.

Welche Träume, welche Gedanken mochten an dem Morgen an der arbeitenden Seele dieses Schlafenden vorübergehen, der offenbar kein gewöhnlicher Mensch war und dessen Stirn sich so finster runzelte, als läge das Geschick einer Welt in ihren Falten.

Flüchtige Gestalten der Träume - wer vermag euch festzuhalten? - nicht der Pinsel des Malers, nicht einmal die eilende Feder des Dichters! -


Ein breiter Fluß in flacher nordischer Gegend - auf ankerndem Floß ein prächtiger Pavillon, mit den Fahnen zweier mächtigen Kaiserreiche geschmückt - zwei Männer darunter Hand in Hand - an den beiden Ufern zwei gewaltige Heere in Schlachtordnung, bärtige Kosaken - die prächtigen Grenadiere der Kaisergarde -

An einem großen Tische mit Karten und Plänen bedeckt, steht

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ein Mann von untersetztem Bau in einer losgeknöpften Chasseur-Uniform, die Hände über den Rücken gelegt, eifrig über die Karten hergebeugt. Kerzen in schweren silbernen Leuchtern erhellten das mit dunklem Sammet ausgeschlagene Gemach, dessen Wände gleichfalls mit Büchern, Karten und Modellen bedeckt sind.

Plötzlich richtete sich der Mann empor, sein Gesicht war geröthet, die Adern seiner breiten Stirn blutstrotzend, das Auge wie mit Blut unterlaufen. Er trat schwankend einige Schritte auf und nieder, tauchte ein Tuch in ein silbervergoldetes Becken mit Wasser und legte es abkühlend auf Stirn und Schlafe. Dann öffnete er rasch die Thür des Kabinets, die in ein größeres, Gemach führte.

Ein Mann in der bunten Mameluckentracht saß auf einem niedern Tabouret dicht vor der Thür - ein andrer in mit schweren Goldstickereien überladener Uniform saß arbeitend an einer mit Papieren überladenen Tafel.

»Duroc - une femme!«

Die Thür schloß sich - der Mann in der Chasseur-Uniform warf sich auf den Divan und deckte das nasse Tuch über sein Gesicht. Sein ganzer Körper zitterte in leichten Convulsionen.

Nach einigen Minuten rauschte der schwere, mit goldenen Bienen gestickte Sammetvorhang einer andern Thür empor, ein reizender Frauenkopf mit hochgeschwungenen schmalen Brauen und schmachtenden Augen huschte herein und schaute umher, dann folgte die üppig-schöne Gestalt und huschte über den Teppich nach dem Divan, mit einer reizenden Bewegung den Finger auf den Mund pressend, als wolle sie sich selbst Stille gebieten für den Schläfer.

Die Dame beugte sich über ihn, der süße Athem ihres üppig geformten Mundes erwärmte das Tuch, ihre weiche Hand - die andere hielt mehrere zusammengefaltete Papiere - berührte leicht die Schulter des Mannes.

Er fuhr empor und warf das Tuch zurück. Seine stechenden Augen betrachteten erst mit Ueberraschung, dann mit wildem, mit jedem Augenblick heftiger lodernden Feuer die schöne Erscheinung.

»Wie, Du hier, ... - wie kommst Du hierher?«

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»Sire - ich wollte Sie nicht stören, aber eine kleine Bitte - ich weiß, Sie sind so liebenswürdig!« Sie streckte ihm die Papiere, die sie in der Hand hielt, entgegen.

Der Mann in Uniform nahm sie mit einer hastigen Bewegung und warf einen Blick darauf, »Ah voilà, - schon wieder Schulden, Kind? - dreimalhunderttausend Franken - c'est fort!«

»O, Sire - die Feste zu Ehren Ihrer Ankunft und des Friedens - meine Kasse ist so schlecht bestellt - und diese Leute sind so ausverschämt!« Sie lehnte schmeichelnd das Köpfchen auf seine Schulter.

Ein feuriger Schleier schien sich vor seine Augen zu legen, als sie in der üppigen Fülle des nach der Sitte der Zeit tief ausgeschnittenen Busens schwelgten. Sie zog ihn mit süßem Lächeln nach dem Tisch und drückte ihm eine Feder in die Hand; er warf rasch zwei Zeilen auf ein Blatt Papier und unterzeichnete es, steckte es aber eben so rasch in die Brusttasche der Uniform.

»Was machen Sie da, Sire? - geben Sie ...«

»Nicht eher, als ... « Er sprang nach der Thür, die in das Vorzimmer führte, und schob den Riegel davor. Dann umfaßte er wie ein wildes Thier die schöne Gestalt der Dame, preßte sein Gesicht auf ihre Brust, ihren Nacken mit wahnsinnigen Küssen und schleppte sie nach dem Divan.

»Um des Himmels willen - was machen Sie, Sire? . . ich beschwöre Sie ... « Seine gewaltsamen brutalen Liebkosungen erstickten ihre Bitten, die sich in ein leises Stöhnen auflösten - ein gurgelnder Laut - ein widerwärtig wildes Schnauben ... dann ein leichter Schrei - die Dame wand sich entsetzt in den Armen, die sie krampfhaft umschlungen hielten. Der Kopf des Mannes war hinten über gesunken, seine Augen starr, wie die eines Todten, auf den weit geöffneten Lippen stand ein weißer Schaum ...

In diesem Augenblick fielen die Augen der Dame, hilfesuchend im Zimmer umherirrend, auf die Wand zur Rechten - eine Tapetenthür hatte sich geöffnet - in ihr stand die schlanke feine Gestalt einer Frau, deren Gesicht - obschon nicht mehr

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jung - doch noch die Beweise großen Liebreizes zeigte, erhöht und erhalten durch die feinsten Künste der Toilette. Dies sonst so freundliche, heitere Gesicht mit den schwarzen schwimmenden Creolenaugen war jetzt entstellt von dem Ausdruck zorniger Entrüstung - die kleinen feinen Hände waren geballt auf den Busen gedrückt.

»Abscheulich!«

Mit einem lauten Aufschrei riß sich gewaltsam die jüngere Dame aus den sie umstrickenden Armen los und warf sich, die Hände emporstreckend, vor der andern auf die Knie - diese aber wandte sich zornglühend von ihr und trat zu dem Manne, der noch immer in demselben epileptischen krampfhaften Zustand auf dem Sopha lag. Ihre Hand deutete befehlend auf die Thür.

Die jüngere Dame verbarg das Gesicht in die Hände und verschwand. -


Ein bedeutsames dreistes Lächeln lag auf dem Gesicht des Träumenden. Vielleicht, daß sein Ohr in diesem Augenblick den Donner der Kanonen des Invalidendoms vernahm, die am 20. April 1808 den Parisern die Geburt eines zweiten Sohnes des Königs von Holland und der schönen Hortensia von Beauharnais verkündeten, vielleicht lauschte das Ohr des Träumers in diesem Augenblick jener zierlichen Melodie, die einer der Maurer summte, die eben durch das geöffnete Thor der Festung herbeikamen, das Gerüst zu besteigen. -

«Partant pour la Syrie ... « -

Andere Bilder schienen vor der Seele des Schlafenden vorüberzuziehen, andere Eindrücke spiegelten sich auf seinem Gesicht - Haß, finsterer Groll malte sich in den zusammengekniffenen Lippen, den gezogenen Brauen, den zuckenden Nüstern - dann das Gefühl der Angst, der Furcht - seine Hände öffneten sich - die Brust keuchte. -

»Werft die Waffen weg! - wir ergeben uns! - Fort mit der Fahne!«

Ein neblig-trüber, regnerischer Tag - in später Nachmittagstunde - der 25. März 1831! - Zwei Signalschüsse knallten - ein Husar kam mit der Meldung zurückgesprengt, daß eine

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Infanterie-Colonne die Straße kaum vierhundert Schritt von den Thoren der Stadt gesperrt halte. Der General forderte einen Zug Husaren, zur Recognoscirung vorzugehen. Der junge Fürst Carl Liechtenstein sprengt vor und stürzt sich mit seinem Zuge auf die Rebellenmasse, die mit der wehenden, grün-weiß-rothen Fahne die Straße besetzt hält. Die Feiglinge werfen die Gewehre weg, die Fahne sinkt - die tapferen Husaren sprengen vorwärts, die Thore von Rimini vor den Flüchtenden zu erreichen - aber diese Thore sind bereits geschlossen, eine Flintensalve empfängt sie, und sie müssen zurückkehren.

Da knallt es hinter den Hecken und Büschen, die den Weg einsäumen - die feigen Verräther haben die Zeit benutzt, ihre Gewehre wieder aufzuraffen, und schießen, hinter den Hecken und Zäunen verborgen, auf die zurückkehrenden Husaren. Ein Ober-Lieutenant, ein Corporal und vier Husaren werden von den Pferden geschossen, mehrere andere mit dem tapfern Rittmeister verwundet - der Rest des Zuges - siebenundzwanzig Mann - wendet sich gegen die Verräther, wirft das Thor von Flechtwerk das den Zugang der Hecke bildet, nieder und fällt wüthend über die Rebellen her. Die Feigen werfen, den Männern gegenüber, auf's Neue ihre Gewehre fort und fliehen nach allen Seiten, verfolgt von den erbitterten Husaren, die sie ohne Erbarmen niederhauen.

Zwei Brüder, die Anführer der verrätherischen Schaar, haben gleichfalls ihre Waffen fortgeworfen und fliehen zusammen, der jüngere, ein gewandter Läufer, eine Strecke voran, von einem Husaren verfolgt.

»Zu Hilfe, Bruder - zu Hilfe!«

Der Jüngere kehrt sich um - er sieht den Bruder zu Boden gefallen - den Säbel des Ungarn über ihn geschwungen. Aber vergebens ist der Hilferuf - der Bruder nimmt sich kaum die Zeit, einen Augenblick anzuhalten. Der Unglückliche streckt die Hände gegen den Feind. »Willst Du einen Wehrlosen ermorden?

Ihr seid keine Soldaten, Ihr seid Räuber und Mörder!«

Der Husar - Andreas Palazsdy ist sein Name - hebt sich im Bügel: »Nix Husar Räuber! Ihr Spitzbub' und Mörder! Gewehr wegwerfen und Ober-Lieutenant todtschießen -

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baszom á kutya lelkedet!« Die scharfe Klinge saust nieder - als sich der Fliehende noch ein Mal umwendet, sieht er den Bruder mit gespaltenem Kopf zu Boden stürzen. Aber er selbst ist gerettet!54 -


Wiederum fliegt über das Gesicht des Schlafenden ein Zug dämonischen Frohlockens - näher ist er dem Ziel, aber dort noch im Osten - am Throne von Wien -

Und nochmals wechselt der Traum - ein Zimmer mit hohen Fenstern, durch die man die grünen Bosquets und herrlichen Alleen des Parks von Schönbrunn sieht; - die Wässer rauschen - die Blumen erfüllen mit ihren Düften die warme Sommerluft - Alles athmet Leben, Lust und Kraft.

Nur drinnen auf dem Bett, dem einfachen Feldbett des jungen Soldaten, dessen Wiege eine goldene war - liegt ein Mann, kaum zwanzig Jahre alt, und schon ruht sein bleiches Haupt auf dem Sterbekissen, dem Busen der weinenden Mutter. Aerzte und Staatsmänner stehen umher, Männer der Wissenschaft und seine Diplomaten, berühmte Namen Europa's, und ihre prüfenden Augen, ihre berechnenden Gedanken verfolgen sorgfältig den Fortschritt des Todeskampfes auf diesem jugendlichen Antlitz - in ihrer Tasche ist die Depesche schon bereit, um den Höfen von Paris, London, Petersburg und Berlin die glückliche Nachricht zu verkünden, daß Europa unbesorgt wieder aufathmen könne, der Alp der Zukunft sei mit diesem Haupt, das sterbend zurücksinkt, von seiner Brust genommen!

Es ist der 22. Juli 1832!

Die matten Augen des Schwindsüchtigen beleben sich - sie laufen im Zimmer umher - Erinnerungen scheinen ihre gigantischen Schatten vor seinem schon der Ewigkeit gehörenden Geiste zu erheben - diese Wände scheinen ihre Echo's wiederzugeben - die Worte der Decrete, die vor dreiundzwanzig Jahren das Schicksal Oestreichs und Roms bestimmten - dort am Tisch steht noch

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die Gestalt im grauen Oberrock und dem kleinen Hut, die Feder rasselt über das Papier gleich dem Schlachtschwert -

Und zu der Mutter empor - anklagend eine Welt - verklärt durch die ewige Krone, bricht dies Auge. - »Vater - ich komme!« ist der letzte Hauch der bebenden Lippe.

Da rasselt in dunkeler Mitternacht der gespenstige Tambour seine Reveille über die Gräber der Leichenfelder von Arcole bis zur Moskaw, von den Pyramiden bis Waterloo, und die Schatten der alten Garde steigen empor aus den geöffneten Grüften - über das Meer daher, von der Felseninsel im Ocean stiebt der Hufschlag des Schimmels, d'raus sitzt der Mann im grauen Rock und breitet die Arme dem lichten Schatten entgegen, der über das Baummeer von Schönbrunn zu den Sternen emporschwebt. - »Achtung!« die Gewehre der gespenstigen Garde präsentiren klirrend - Vater und Sohn sind wieder vereint!

Nach den Hauptstädten Europa's jagen die Couriere - im Volke zwar murmelt es leise von dem giftigen englischen Gold und der bourbonischen Schlange unter der Blüthendecke der Wollust - aber Talleyrand und Wellington, Nesselrode und Metternich begrüßen die Throne als gesichert.

Doch auf dem Wege nach Arenenburg stiegt eine einfache Extrapost-Chaise, ein Fremder, in den Staubmantel gehüllt, darin; - wenige Stunden vorher hätte man ihn unter der Volksmenge sehen können, welche das Thor von Schönbrunn umstand, begierig lauschend jeder Nachricht. Jetzt lag auf diesem Gesicht die kühne Erwartung - der stolze Triumph -


Und seltsamer Weise glich das Gesicht des Schläfers den Zügen des Traumbildes - wie auf diesem malte sich auf dem seinen der kühne Triumph - die Hand des Schläfers streckt sich aus - sie hascht in die Luft - ist es eine Krone vielleicht, die er zu greifen wähnt? -

Er - jetzt der Erste der Napoleoniden! -

Der Schläfer fuhr empor, eine fremde Hand hatte leicht die seinige berührt, an der herabsinkenden leckte die Zunge eines großen Windhundes.

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»Euer Hoheit müssen sich erheben, es ist sechs Uhr, und Sie haben mir bestimmten Befehl ertheilt, Sie nicht länger schlafen zu lassen[.]«

Der Erweckte reibt sich die Augen noch in den Nachgedanken seines Traumes; er streckt die Arme und dehnt den Körper, dann richtet er sich rasch empor.

»Du hast Recht, Thelin, aber was willst Du? - die Träume sind das Einzige, was die Gefangenen haben! - Zum Teufel diese Träume, wenn sie nicht zur Wirklichkeit werden! - Sechs Uhr! armer Thelin, was werden wir thun mit dem ganzen langen Tage? Es wäre wahrlich besser gewesen, Du hättest mich schlafen lassen!«

Der Klage ungeachtet hatte er bereits das hagere Bein aus dem Bett gestreckt. Der Kammerdiener reichte ihm die Kleider.

»Euer Hoheit vergessen Fidèle, es ist heute sein Tag!«

»Es ist wahr - wie konnte ich es vergessen! Hast Du ihn bereits untersucht?« - »Er hat ein Papier!«

»Hierher, Fidèle!«

Das große Windspiel kam sofort herbei und legte die Schnauze auf das Knie seines Herrn.

»Couche!«

Der Hund legte sich nieder und streckte die Beine von sich, als wisse er im Voraus, was folgen solle. Der Kammerdiener knieete neben ihm nieder und schob die Haare an einer Stelle unter den Vorderbeinen zurück. Nur ein sehr scharfes Auge und eine sehr sorgfältige Nachforschung hätten das geschickte Versteck aufzufinden vermocht, das sich hier zeigte. Auf einem Stück der Bauchhaut des Windspiels waren die Haare abgeschoren und ein entsprechendes Stück Haut mit Haaren von gleicher Farbe so geschickt gleich einem Toupé darauf geklebt, daß es eine kleine Tasche bildete, ohne daß es sich im Mindesten von dem wirklichen Fell des Hundes unterscheiden ließ. Aus dieser Tasche holte Thelin ein kleines, flach gefaltetes Papier, das er seinem Gebieter überreichte. Es enthielt nur zwei Zeilen in Chiffreschrift, die der Bewohner des Zimmers, der vor seinem Diener in dieser Beziehung kein Geheimniß zu haben schien, laut vorlas.

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Die Worte lauteten:

Ein finsterer Groll zog über das Gesicht des Lesenden - Lippen und Zähne preßten sich fest aufeinander.

»Vergeblich gedemüthigt vor diesen Orleans! - Bei Gott, sie sollen es mir büßen, wenn meine Zeit gekommen,« murmelte er. »Aber was heißt die Andeutung mit den Briefen? - Ist General Montholon oder der Doctor schon auf?«

»Nein, Hoheit - Sie wissen, daß der General etwas leidend ist!«

»Was thut das? ich muß ihn in einer Stunde sprechen.«

»Erlauben Sie, daß ich Fidèle seine Belohnung gebe. Sie sehen, Hoheit, das arme Thier vermag sich kaum noch auf den Füßen zu halten. Bis Royon sind es fünf Lieues, die das Thier hin und her seit gestern zurückgelegt hat.«

Der Bewohner des Zimmers nickte gleichgiltig - er schaute in Gedanken vertieft auf das Blatt und hatte in seinem Egoismus längst das treue Thier vergessen, das, so trefflich abgerichtet, in zwei Nächten der Woche regelmäßig den Weg nach Royon und zurück machte und so eine Verbindung des Gefangenen mit seinen Freunden ermöglichte, während die Wenigen der Besatzung, die etwa auf den Hund achteten, der nicht einmal ein Halsband trug, ihn auf der Jagd nach Kaninchen streifend glaubten.

Der Kammerdiener setzte dem Hunde eine Schüssel mit Milch und Brod vor, das dieser rasch verschlang. Dann kroch er auf ein Kissen in einem Winkel des Gemaches, richtete die Augen auf seinen Herrn und war bald darauf eingeschlafen.

Der Gefangene, den sein Kammerdiener mit dem Titel Hoheit angeredet, hatte unterdeß seine Toilette beendet, die ziemlich complicirter Natur war, und ließ sich sein Frühstück bringen.

Wir benutzen diesen Augenblick, um einige Worte über die Person und die Antecedentien eines Mannes zu sagen, der von Gott bestimmt scheint, zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert mit dem Namen Bonaparte die Geschicke der Welt zu verknüpfen.

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Carl Ludwig Bonaparte war der dritte Sohn der Stieftochter des Kaisers Napoleon, Hortensia Eugenie von Beauharnais, seit dem 2. Januar 1800 mit Ludwig Bonaparte, dem spätern König von Holland, dem Bruder des Kaisers, vermählt. Er wurde am 20. April 1808 zu Paris geboren, wo seine Mutter damals getrennt von ihrem Gatten lebte. Der Cardinal Fesch taufte den jungen Prinzen, dessen Geburt von dem Kaiser - der damals noch keinen Leibeserben hatte - mit besonderer Freude begrüßt wurde, indem er auf die Söhne seines Bruders seine Dynastie zu vererben dachte.

Der zweite Sohn Hortensia's, geboren am 5. Mai 1807, starb bereits am 14. November 1810, der älteste, Prinz Napoleon Ludwig, verschwand im Jahre 1831 auf geheimnißvolle Weise.

Bei dem Sturz seines Onkels, erst sieben Jahre alt, ging der Prinz Louis Bonaparte nach der Rückkehr der Bourbonen mit seiner Mutter in die Verbannung, zuerst nach Augsburg, später nach der Schweiz, studirte unter General Dufour auf der Thuner Militairschule Artilleriewissenschaft und versuchte nach der Juli-Revolution von Florenz aus die Erlaubniß zur Rückkehr nach Frankreich zu erhalten, die ihm jedoch verweigert wurde.

Prinz Louis Bonaparte trat hierauf im November 1830 mit seinem ältern Bruder zu Rom in den berüchtigten Bund der Carbonari, ward ein eifriges Mitglied desselben und versuchte bei einer Straßen-Emeute, unter Vortragung der rothen Fahne, die Bevölkerung zur Erhebung für die Republik zu bewegen. Trotz des Schutzes des Cardinals mußte die ganze Familie nach Ancona flüchten, da die pästlichen Carabimers bereits die Ordre zu ihrer Verhaftung hatten, und die beiden Prinzen stellten sich jetzt (1831) offen an die Spitze der republikanischen Empörung, die eine provisorische Regierung zu Bologna einrichtete. Die haltlose Revolution brach bald zusammen vor den österreichischen Bajonetten; die Großmuth des Corps-Commandanten, Feldmarschall-Lieutenants Meinrad Baron Geppert, der in Ancona im Palazzo der Königin Hortense selbst sein Quartier nahm, bekümmerte sich weder um diese, noch um ihren von einer Krankheit genesenden Sohn, durch den Tod seines ältern Bruders jetzt Prinz Louis Napoleon Bonaparte, und ließ Beide ungehindert von dannen ziehen.

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Sie flohen über Frankreich, wo Ludwig Philipp die Exkönigin besuchte und ihr seinen Schutz zusicherte, nach England, von wo sie jedoch, bald nach der Schweiz zurückkehrten und auf dem Schloß Arenenburg im Thurgau ihren Wohnsitz nahmen.

Hier schrieb Louis Napoleon mehrere politische und militairische Brochüren und machte die Bekanntschaft des Obersten Parquin, eines durch großes Vermögen unabhängigen alten Soldaten des Kaisers, der sich seit dem Jahre 1826 auf dem Wolfsberg niedergelassen hatte.

Oberst Parquin war ein enthusiastischer Anhänger des Namens Napoleon; - das war nicht zu verwundern - er wurde auf folgende Weise mit dem Kreuz decorirt.

Eines Tages, als der Kaiser Revue über ein Armee-Corps abgehalten, sah er nach der Inspection einen jungen Offizier aus den Reihen galoppiren, vom Pferde steigen und sich in seinen Weg stellen. Der Kaiser reitet auf ihn zu. Die Haltung des Offiziers, so wie seine mannhaften Züge, die durch eine tiefe Narbe über Lippe und Wange noch mehr hervorgehoben wurden, fielen ihm auf; dennoch fragt er ihn barsch: »Wer bist Du? was willst Du?« - »Ich bin neunundzwanzig Jahre alt,« antwortete der Offizier, fest den durchbohrenden Blick aushaltend, »ich zähle eilf Dienstjahre, ich habe fünf Feldzüge mitgemacht, ich habe fünf Wunden, ich habe einem Marschall das Leben gerettet und dem Feinde drei Fahnen abgenommen. Ich bitte um das Kreuz, Sire!« - »Nehmen Sie das meine, Capitain! Ich hoffe, beim nächsten Feldzug Sie an der Spitze eines Regiments zu sehen!«

Das war der Oberst Parquin, der den Prinzen nach Straßburg begleitete, als dieser zum ersten Male versuchte, Kaiser zu spielen!

Der Prinz hatte im Juni 1836 Arenenburg verlassen und sich nach Baden-Baden begeben, wo er sich mit mehreren französischen Offizieren aus den der Grenze zunächst gelegenen Garnisonen in Verbindung setzte und Oberst Vaudrey, gleichfalls einen alten Bonapartisten, der die in Straßburg garnisonirende Artillerie kommandirte, für sich gewann. Im August begab er sich heimlich nach dieser Stadt und hatte dort eine Zusammenkunft mit

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fünfzehn Offizieren, die ihm ihre Unterstützung und Mitwirkung versprachen. Es ist eine Lüge, wenn er in dem Briefe an Odilon-Barrot, dem er von der Polizei-Präfectur von Paris aus schrieb, um ihn für die Vertheidigung seiner Gefährten zu gewinnen, behauptet, daß kein Complott stattgefunden, daß Oberst Vaudrey erst wenige Stunden vor dem Ausbruch die Ursache seiner Anwesenheit in Straßburg erfahren habe. Am 28. October traf der Prinz wieder in Straßburg ein und hielt am Abend des 29sten eine Versammlung seiner Mitverschworenen. Am 30. October, früh um fünf Uhr, versammelte Oberst Vaudrey das vierte Artillerie-Regiment, dasselbe, in welchem sein Oheim als Capitain vor Toulon den ersten Stein seines Glücks und seines Ruhmes legte, im Hofe der Kaserne Austerlitz und stellte den Soldaten Louis Napoleon mit den Worten vor: »Soldaten, eine große Revolution beginnt in diesem Augenblick. Der Neffe des Kaisers steht vor Euch. Er kommt, um sich an Eure Spitze zu stellen, und dem Vaterlande seinen Ruhm und seine Freiheit wiederzugeben. Jetzt gilt es, für eine große Sache, die Sache des Volkes, zu siegen oder zu sterben! Soldaten des vierten Artillerie-Regiments, kann der Neffe des Kaisers auf Euch rechnen?« - Der Prinz vertheilte zugleich eine Proclamation, welche die Juli-Regierung für ungesetzlich erklärte und einen National-Kongreß verlangte. Er sagte ihnen, daß er durch eine Deputation der Städte und Garnisonen des Ostens nach Frankreich berufen worden sei, Frankreich die Freiheit zurückzubringen! In der That ließ sich das Regiment hinreißen und erklärte sich unter dem Ruf: »Es lebe der Kaiser! es lebe die Freiheit!« für ihn. Während Lieutenant Laity die Pontonniere bearbeitete, versuchte der Prinz den Festungs-Commandanten, General Voirol, für sich zu gewinnen, und begab sich, als dies nicht gelang, nach der Finkmatt-Kaserne, um sich des sechsundvierzigsten Infanterie-Regiments zu versichern. Aber die Geistesgegenwart des Oberst-Lieutenants Taillandier machte hier sofort dem Versuch ein Ende. Das Regiment blieb treu, der Prinz mit seinen Anhängern wurde verhaftet und nach Paris gebracht. Die Milde oder vielmehr die Schwäche der Juli-Regierung wagte nicht, ihn zu bestrafen, und

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begnügte sich damit, ihn nach Lorient und von dort durch die Fregatte Andromeda nach New-York bringen zu lassen.

Mit dieser Entfernung von Frankreich war aber dem jungen Revolutionär wenig gedient, und schon im September 1837 war er wieder auf Schloß Arenenburg, wo am 3. October die Herzogin von St. Leu - die Königin Hortense - in seinen Armen starb. Seine Gefährten bei dem Straßburger Putsch waren gleichfalls frei ausgegangen, nur Lieutenant Laity wurde später wegen einer Brochüre über das Straßburger Attentat vom Pairshof zu einer Geldbuße von zehntausend Franken und fünf Jahren Festung verurtheilt.

Die Einverständnisse und Umtriebe, welche der Prinz von der Schweiz aus in Frankreich unterhielt, veranlaßten Ludwig Philipp, im Einverstäudniß mit dem österreichischen Kabinet, durch seinen Gesandten, den Herzog von Montebello - den Sohn des Marschalls Lannes - energisch von der Schweiz die Ausweisung Louis Bonaparte's zu verlangen. Schon im April 1832 hatte der Prinz das Bürgerrecht des Cantons Thurgau empfangen, und die Radikalen der Schweiz schlugen daher gewaltigen Lärmen gegen die verlangte Ausweisung und klirrten mit den Waffen. Aber Louis Napoleon begriff, daß er sich doch nicht werde halten können, da die Forderung durch die Ansammlung einer Truppenmacht an der Schweizer Grenze unterstützt wurde, und zog es vor, abermals in England, dieser großen, vom Meer gesicherten Freistätte aller Revolutionen des Festlandes, ein Asyl zu suchen. Hier blieb er, im geheimen Verkehr mit den Führern der politischen Flüchtlinge aus Italien, Polen, Rußland und Frankreich und den englischen Radikalen, bis zum Jahre 1840. Aber die Rastlosigkeit seines Charakters und der Ehrgeiz, der ihn beseelte, ließen ihn nicht länger ruhen und bewogen ihn, wie ungünstig auch trotz der Demoralisation Frankreichs unter der sogenannten Bürger-Regierung die Verhältnisse waren, zu einem neuen Versuch, sich der französischen Krone zu bemächtigen, der noch kläglicher endete, als der erste.

Der Prinz miethete in London ein englisches Dampfschiff, tbe city of Edinburgh, und schiffte sich auf diesem mit dem

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Grafen Montholon, Oberst Voison und dreiundfünfzig anderen Personen nebst einem zahmen Adler ein, den er als Theatercoup über seinem Haupte steigen lassen wollte.

Selbst die eifrigsten Verehrer Louis Napoleons suchen den Putsch von Boulogne nicht zu einer Heldenthat zu stempeln. Er unternahm ihn offenbar, um die Gelegenheit der Sympathien zu benutzen, welche damals die Expedition nach St. Helena zur Ueberführung der Asche des Kaisers für den napoleonischen Namen wachgerufen hatte.

Der Prinz landete am 6. August in der Nähe von Boulogne, nachdem er durch seine Agenten in Frankreich, Lombard, Mesonau und Parquin, verschiedene Versuche gemacht, Anhänger in den Garnisonen und unter verschiedenen hochgestellten Personen sich zu sichern.

Drei dieser Agenten, Aladenize, Bataille und Forestier, erwarteten ihn am Ufer. Gegen fünf Uhr Morgens marschirte die Schaar in die Stadt und durchzog die Straßen mit dem Ruf: »Es lebe der Kaiser!« Aber schon der Versuch, einen Posten, aus vier Mann und einem Sergeanten bestehend, an sich zu ziehen, mißglückte. Der Prinz begab sich in die Kaserne des zweiundvierzigsten Regiments und versuchte die Soldaten und Offiziere zum Uebertritt zu bewegen. Als der Capitain Col-Puygellier sich weigerte, auf die Versprechungen zu hören, schoß er eine Pistole auf ihn ab, wodurch ein hinter diesem stehender Soldat verwundet wurde.

Während die Schaar nach dem mißglückten Versuch nach der obern Stadt zog, begegnete man bereits dem Unter-Präfecten, der sich ihr entgegen warf und dafür mit Schlägen mißhandelt wurde. Lombard pflanzte die Fahne auf eine Säule auf, aber mit Ausnahme eines einzigen Lieutenants trat Niemand über, die Nationalgarde versammelte sich rasch und nahm, nachdem einige Schüsse gewechselt worden, Louis Napoleon und sein Gefolge gefangen, ehe sie sich wieder einschiffen konnten.

Die Nachsicht der herrschenden Regierung hatte jetzt ein Ende, der Prinz wurde vor die Pairskammer unter der Anklage des Hochverraths gestellt und zu lebenslänglicher, Graf Montholon und drei Andere wurden zu zwanzigjähriger Einsperrung, die

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Uebrigen zu Freiheitsstrafen von verschiedener Dauer, der übergetretene Lieutenant aber zur Deportation verurtheilt.

Am 8. October schlossen sich die Thore der Festung Ham hinter Louis Napoleon in demselben Augenblick, wo die Fregatte Belle-Poule vor der Insel St. Helena ihre Anker auswarf, um die Asche Napoleons abzuholen.

Außer dem General Montholon theilten sein Arzt, Dr. Conneau und der Kammerdiener Thelin seine Haft.

Das war der Mann, den wir auf seinem einsamen Lager träumend gefunden - das war der Gefangene von Ham, der noch wenige Tage vorher an einen Freund geschrieben: »Ich werde von hier aus nur noch auf den Kirchhof oder in die Tuilerien kommen!« -


Thelin brachte dem Prinzen, wie alle Morgen, die Journale, darunter den Progrès du Pas-de-Calais, das demokratische Blatt, an dem der Prinz in den letzten Jahren seiner Gefangenschaft ganz offenkundig mitarbeitete und welches unter Anderem das bekannte »Demokratische Glaubensbekenntniß des Prinzen Ludwig Napoleon Bonaparte« brachte. Aber heute hatte der Gefangene wenig Aufmerksamkeit für die Debatten der Journale, die bereits mit einer Zügellosigkeit auftraten, welche die Regierung Ludwig Philipps mit jedem Tage mehr untergrub. Nach einer kurzen Beschäftigung mit denselben, während deren der Prinz unruhig auf und nieder ging, erschien der General Montholon.

Der General - der berühmte Freund des Kaisers auf St. Helena - zählte damals bereits vierundsechszig Jahre. Seit seiner Jugend war Charles Tristan de Montholon, Graf von Lee, einer der eifrigsten Anhänger der Napoleoniden gewesen und hatte am 18. Brümaire aus der Hand des ersten Consuls den Ehrensäbel erworben. Die Feldzüge in Italien, Oesterreich und Polen hatten seinen Leib mit Narben bedeckt. Er war es, der 1811 von Würzburg aus jene merkwürdige Denkschrift an den Kaiser über die Lage der deutschen Höfe und deren feindselige Gesinnung gegen Frankreich richtete, die den Kaiser hätte warnen können, wenn der corsische Uebermuth nicht eben die ganze Welt außer Frankreich gering geschätzt hätte. Als bei der Abdankung

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von Fontainebleau so viele der Paladine der neuen Tafelrunde auf das Schmählichste von ihrem alten Herrn abfielen, und, um den eigenen Raub zu sichern, ihn im Unglück verließen, war es General Montholon, der seinem Kommando im Departement der Loire herbeieilte, um dem Besiegten seine Dienste anzubieten. Deß erinnerte sich der Kaiser in den hundert Tagen und ernannte ihn zu seinem General-Adjutanten. Als Wellington und Blücher mit den Blutströmen von Belle-Alliance die Strahlen des neuerglühten Meteors für immer gelöscht und die englischen Schiffe den gestürzten Giganten auf sein Felsengrab Helena führen sollten, da war es wieder General Montholon, der ihn zu begleiten verlangte und ihm mit seiner Familie folgte. Seine Ergebenheit und Treue für den Gefangenen blieben dieselbe bis zu dessen letztem Athemzug, und die Gestalt des Generals wird auf dem Bilde dieser großen Sühne und dieser gigantischen Historie, die man das Sterbebett von Longwood nennt, immer den zweiten Platz einnehmen.

Der dritte gebührt zweifelsohne dem Kerkermeister - Hudson Lowe!

Von dem Kaiser zu einem der Testamentsvollstrecker ernannt und zum Bewahrer eines Theils seiner Manuscripte bestellt, scheute General Montholon weder Mühe noch Opfer, um die übernommene Pflicht zu erfüllen, wie die von ihm herausgegebenen Schriften beweisen.

Daß ein solcher Mann auch ein treuer und fanatischer Anhänger der Familie des Kaisers sein mußte, läßt sich denken. Nach dem Tode des Herzogs von Reichsstadt richtete er sein Auge auf den Prinzen Louis Napoleon, als den nächsten Erben der politischen Hinterlassenschaft des Kaisers, und er war es hauptsächlich, der in dessen Inneren die Hoffnung auf den französischen Thron nährte. -

Der Prinz eilte dem General entgegen. »Wissen Sie schon, daß mein Gesuch an den König eine abschlägliche Antwort erfahren wird?«

»Ich habe nie daran gezweifelt; was konnten Sie von einem Orleans erwarten? Sie wissen, daß ich mich stets gegen einen solchen Schritt erklärt habe.«

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»Aber mein armer Vater - seine Todesgefahr war eine so gute Gelegenheit, mir die Freiheit zu geben,« meinte der Gefangene naiv.

»Hoffen Sie auf das Volk, die Nation, Hoheit, nicht auf die Diplomaten,« sagte der alte General mit Feuer. »Die Unzufriedenheit mit dieser Bastard-Regierung wächst mit jedem Tage. Dieser Mann war blind, daß er es wagte, die Manen des Kaisers in dem Herzen des Volkes und der Armee zu wecken, indem er seine Asche nach dem Invalidendom führte!«

Der Prinz lächelte bitter. »Auf das Volk? ich habe es kennen gelernt - ich verachte die Canaille gründlich aus tiefstem Herzen. Der vergoldete Sarkophag im Invalidendom macht diese leichtsinnige Menge vergessen, daß ein lebender Bonaparte in dem Sarg dieser Wände verschmachtet!«

»Auch Ihre Zeit wird kommen, Hoheit - die Schule, die Sie jetzt durchmachen, wird Ihrer Zukunft einst Früchte tragen, Sie lernen die schwere Kunst, zu warten!«

»Warten! warten - und unterdeß rollt die Welt und eine andere Dynastie befestigt sich auf diesem Throne, der mir gehört!«

»Ich dächte, Sie hätten sich nicht zu beklagen. Während Sie diese Mauern umschlossen, hat das Schicksal Ihren gefährlichsten Gegner aus dem Wege geräumt. Der Herzog von Orleans allein war Ihnen gefährlich, denn die Armee liebte ihn, weil er kühn und tapfer war!«

Der Prinz schwieg unzufrieden. »Ich kann es nicht länger aushalten hier,« sagte er dann, »ich verzehre mich selbst! Ich werde keine Zeit mehr haben, mit ihnen Allen fertig zu werden - Einem nach dem Andern, und Sie wissen doch, Graf, daß ich ein guter Erbe bin, der jedes Legat gewissenhaft zahlen will!«

Der General nickte mit dem grauen Kopf. »Rußland, Oesterreich, Preußen - und dann England! Sie sind ein gelehriger Schüler, Sire. Aber wenn Ihr Blut zu ungeduldig wird, - warum haben Sie den wiederholten Vorschlag der Soldaten der Garnison nicht längst angenommen, Ihnen zur Flucht behilflich zu sein?«

Der Prinz biß sich auf die Lippen. Er wollte nicht gestehen, daß er mehrmals die größte Lust dazu gehabt, daß ihm

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aber der Erfolg stets zu zweifelhaft erschienen war. Selbst dem bewährten Freunde der Familie gegenüber konnte er es nicht unterlassen, zu heucheln. »Sie kennen mein Herz, Graf - ich wünsche, nicht noch mehr Freunde in's Verderben zu stürzen, es ist genug, daß ich Sie hier sehe!«

Der General zuckte ungeduldig die Achseln. »Wenn Sie nicht den Muth haben, durch Ströme von Blut zu waten, so werden Sie nie Ihr Ziel erreichen. Für den, der einen Thron erobern will, dürfen die Menschen blos Werkzeuge sein. Aber ich kenne Sie besser. Wenn Sie erst die Macht haben, werden Sie die Menschen benutzen, noch weniger empfindsam, als der Kaiser, Ihr Oheim!«

Das Auge des Prinzen funkelte, als er so offen sich in seinen geheimsten Gedanken angegriffen sah. »Sie vergessen einen andern wichtigern Punkt!«

»Welchen?«

»Den Umstand, daß stets, wenn wir glaubten, der Soldaten sicher zu sein, ein unerwartetes Hinderniß dazwischen trat, - ein Wechsel der Wachen, eine strengere Aufsicht - selbst ein plötzlicher Wechsel der Garnison.«

»Es ist wahr - sie ist bereits fünf Mal geändert worden, seit wir hier sind.«

»Es will mich zuweilen bedünken,« fuhr der Prinz ungeduldig fort, »als hätten wir hier außer unseren offiziellen, einen geheimen Aufseher, der nicht will, daß ich ohne seine Erlaubniß diesen schändlichen Ort verlasse, während er auf der andern Seite vermeidet, mir Ungelegenheiten zu verursachen. Selbst die Correspondenz durch Fidèle scheint ihm nicht unbekannt zu sein, denn zwei Mal sind Briefe, die er überbringen mußte, auf unerklärliche Weise verschwunden, ohne daß mir irgend eine Spur gezeigt, wo sie geblieben. Wären sie in den Händen der Regierung, so hätte sie sicher davon Gebrauch gemacht.«

Der General schwieg nachdenkend - der seltsame Umstand, auf den der Prinz aufmerksam gemacht, war ihm zur Genüge bekannt, aber eben so wenig erklärlich.

In diesem Augenblick wurde die Unterhaltung durch ein dreimaliges Kratzen an der Thür unterbrochen.

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»Komm herein, Thelin - was giebt es?«

»Hoheit,« sagte der eintretende Kammerdiener, »ich sehe den Boten des Gouverneurs über den Hof kommen mit dem Briefpacket. Ein Fremder ist bei ihm.«

»Endlich! Vielleicht die Bestätigung der Nachricht! Nehmen Sie die Briefe in Empfang, General, ich mag dieses widerwärtige Gesicht nicht sehen; es ist mir immer, als wolle der Mensch mich vergiften mit seinen Augen.«

Der Prinz und der Graf befanden sich in dem vor dem Schlafzimmer liegenden Gemach, das dem Ersteren zum Salon, zur Bibliothek und zum Arbeitscabinet diente. Die beiden Fenster desselben, welche die Aussicht auf den Schloßthurm am Eingang und auf die Ulme im innern Hofe gewährten, waren sorgfältig mit festen Eisenstangen vergittert. Auf beiden Seiten des Kamins stand in grau angestrichenen Ständern von Tannenholz die kleine Bibliothek des künftigen Despoten von Frankreich.

Der Bewohner dieser ärmlichen Zimmer, zu denen noch die gleiche Wohnung des Doctors Conneau und zwei andere ähnliche Zimmer aus der andern Seite eines schmalen Ganges kamen, in deren einem sich der Prinz mit chemischen Versuchen beschäftigte, - wollte eben den Salon verlassen und sich in sein Schlafzimmer zurückziehen, als der Kammerdiener nochmals eintrat und meldete:

»Capitain Bernard bittet um die Erlaubniß, Eurer Hoheit Briefe überreichen und Ihnen einen Fremden vorstellen zu dürfen.«

Zu gleicher Zeit überreichte Thelin die Karte desselben. Der Prinz hatte kaum Zeit, den Namen der Karte zu lesen, »Henry Viscount von Heresford,« und sie dem General hinüberzureichen, als die Thür, noch ehe er die Annahme des Besuches ausgesprochen, ziemlich brusque geöffnet wurde und der Offizier, gefolgt von dem Fremden, auf der Schwelle erschien.

Der Capitain Bernard, der Offizier vom Platz, war eine große, ziemlich ungeschlachte Gestalt mit rohen, an das Feldlager erinnernden Manieren. Sein Gesicht glich auffallend dem eines Bullenbeißers mit zottigen wirren Haaren und wurde noch mehr durch eine tiefe Narbe entstellt, welche quer über den Mund schnitt und einen Theil seiner Lippen gleich einer Hasenscharte weggenommen hatte. Das Einzige, was in diesem Gesicht nicht

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geradezu widerwärtig, schien ein Paar großer blauer Augen, deren Ausdruck der einer großen Ruhe und Entschlossenheit war. Der Capitain hatte sich in Afrika unter Bugeaud bei vielen Gelegenheiten ausgezeichnet und war in Folge einer Schußwunde, die sein linkes Bein lähmte, zum Festungsdienst versetzt worden. Die Art und Weise, wie er seit den drei Jahren, die er sich in Ham befand, den Prinzen behandelte, der durch seine Stellung gezwungen war, sich in allen Angelegenheiten an ihn zu wenden, hatte einen tiefen Haß in diesem gegen ihn hervorgerufen.

»Citoyen Bonaparte,« sagte eintretend der Capitain, »ich bedaure, Sie mit meiner Gegenwart schon so zeitig behelligen zu müssen, aber ich habe den Auftrag des Gouverneurs, Ihnen diese für Sie eingegangenen Briefe zu überbringen und Ihnen diesen Engländer vorzustellen, der Ihnen seinen Besuch zu machen wünscht.

Er legte mehrere Briefe vor den Prinzen nieder, die alle, bis auf einen mit einem großen amtlichen Siegel verschlossenen, geöffnet waren. Der Gefangene war seinem Besuch höflich entgegengetreten und lud ihn mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen, während der Capitain nach einer kurzen und kalten Begrüßung des Generals sich mit dem Nucken gegen das Fenster lehnte und in dieser Stellung gemäß seiner Dienstinstruction Zeuge der Unterhaltung blieb.

»Mylord,« sagte der Prinz, »empfangen Sie zunächst meinen Dank für die Ehre, daß Sie auf Ihrem Wege durch Frankreich einem Ihnen unbekannten Gefangenen einen Besuch widmen, und genehmigen Sie meine Entschuldigung, daß ich Sie nicht in Ihrer eigenen Sprache begrüße, aber dieser Herr hier« - er wies auf den Capitain - »versteht, so viel ich weiß, kein Englisch, und er ist der Aufseher selbst meiner Worte!«

» Yes, yes! - geniren Sie sich nicht! ich bin nur gekommen, Sie zu sehen, weil ich gehört sprechen so viel von Ihnen und Sie nie gesehen in London. Ich liebe sehr die Merkwürdigkeiten - Monsieur Guizot ist so gütig gewesen, mir anzuvertrauen diesen Brief, als ich war in Paris, um den Königsmörder Lecomte zu sehen.«

»So verdanke ich Ihnen, Mylord, die Ueberbringung dieser Depesche.

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»Yes! Lesen Sie - geniren Sie sich nicht - ich werde Sie unterdeß sehen!«

Der Engländer legte sich mit der Unverschämtheit eines echten Excentric in seinen Stuhl zurück, hielt das Lorgnon vor das Auge und begann, den Prinzen von oben bis unten gleich einer Sehenswürdigkeit zu mustern. Obschon er als vornehmer Herr das Französische fließend sprach, redete er es doch mit der scharfen englischen Betonung und jener eigenthümlichen Wortstellung, die auf der Stelle den echten Sohn des Inselreichs erkennen ließ.

Indem der Prinz, ohnehin bisher nur von den Formen der Höflichkeit in seiner Begier nach der königlichen Antwort davon zurückgehalten, jetzt begierig danach griff, warf er selbst einen Blick auf den Besuch, den er dem Ruf nach längst kannte, den er aber während seines Aufenthalts in England nie persönlich gesehen, da der Marquis damals Nord-Afrika bereiste, um mit Gerard Löwen zu schießen, und plötzlich sich entschlossen hatte, mit seiner Jacht eine Reise um die Welt zu machen.

Der berühmte Londoner Excentric schien ein Mann von einigen dreißig Jahren, von schlanker, ziemlich großer Gestalt. Er trug kurz abgeschnittene röthliche Haare, die den Irländer verriethen, und nach englischer Sitte einen starken hochblonden Backenbart mit sorgfältig rasirtem Kinn. Seine Gesichtsfarbe war etwas dunkel, die Züge waren fein, gewissermaßen etwas weibisch und nach der Nase spitz zugekniffen, die Stirn niedrig, das von langen Wimpern verschleierte Auge matt und hinter einer Brille noch mehr versteckt. Die sorgfältigste Eleganz der neuesten Mode aus den Ateliers von Stolz repräsentirte sich in seiner Kleidung und zeigte den gewissenhaften Lion.

Dennoch lag Etwas in dem Gesicht und der Erscheinung des vornehmen Besuchers, der durch seinen Reichthum und seine Sonderbarkeiten allen Salons Europa's zu sprechen gab, was dem Prinzen besonders auffallen mußte, denn er wiederholte zwei Mal mit einem Zug leichten Nachdenkens den Blick auf dies Gesicht, ehe er den Brief nahm und öffnete.

Eine dunkle Röthe überzog das grau-bleiche Gesicht des Prinzen bei dem Lesen der wenigen Zeilen. Es war eine kurze und kalte Weigerung des Ministers auf einen nochmaligen Brief,

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den der Prinz an Louis Philipp geschrieben und worin er ihn gebeten hatte, ihn seiner Haft in Ham zu entlassen, um sich auf den Wunsch seines schwer kranken Vaters zu diesem nach Florenz begeben zu können, indem er versprach, sich jedes weitern Versuches gegen die Juli-Regierung zu enthalten. Der Brief war durch den Sohn des Marschalls Ney dem Könige selbst übergeben worden.

Obschon, wie wir wissen, Louis Napoleon bereits durch die geheimen Correspondenzen, die er mit ihm ergebenen Personen führte, von dem abschläglichen Inhalt unterrichtet war, vermochte er doch nicht, seine Bewegung vor dem Fremden, der ihn rücksichtslos anstarrte, zu unterdrücken. Er reichte das Schreiben General Montholon und sagte: »Es ist, wie wir gedacht - man verweigert mir auf das Härteste eine Gunst, die ich verlangt. Entschuldigen Sie, Mylord - aber ein armer Gefangener ist nicht immer Herr seiner Gefühle!«

»O, ich weiß - ich weiß! Es ist nicht angenehm, gefangen bleiben zu müssen, wenn man sein will gern frei.«

»So kennen Sie den Inhalt des Briefes!«

»Yes! Ganz Paris kennt ihn bereits. Sie haben sich wieder ein Mal blamirt, Sir, mit Ihrem Schreiben, und Ihre Freunde sind sehr bös!«

Der Prinz fuhr auf bei dieser Impertinenz und wiederum röthete sich seine Stirn; aber die ruhige Insolenz, mit welcher der Brite ihn ansah, bewog ihn, sich wieder niederzusetzen.

»Ihre Ausdrücke sind etwas hart, Mylord,« sagte er nach einer Pause, »indeß - ich habe zu bedenken, daß Ihnen die Gefühle eines französischen Herzens fremd sind.«

»Bah - ich sage, was ich denke. Sie wissen sehr gut, Sir, daß ich habe Recht. Entweder Ihr Brief an Louis Philipp sein eine Lüge, oder Sie haben gehandelt sehr thöricht. Dieser König ist kein Narr - Monsieur Guizot lacht Sie aus - er sagt, das bonapartistische Blut werde Zeit haben, hier seine ehrgeizigen Pläne vergessen zu lernen.«

»Wie, Mylord - man denkt doch wohl nicht im Ernst daran, mich hier mein ganzes Leben eingesperrt zu halten?«

»Warum nicht, Sir? Madame La Duchesse d'Orleans

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wissen sehr wohl, daß ihre Aussicht auf den Thron von Frankreich nicht gefährdet wird durch den Grafen von Chambord, sondern durch den Namen Bonaparte!«

»Ha, dieses Weib! Preußen hat sich beeilt, ihr legitimes Blut an den Thron von Frankreich zu verkaufen, um diesen für die Orleans festzukitten. - Bei meiner Seele - die Bourbonen haben alle Ursache, diesen Liebesdienst nicht zu vergessen, und ich werde es gleichfalls nicht thun. Ich will sie zur Bettlerin machen, zum ewigen Juden der modernen Völker, gleich den Bourbonen, wenn ich erst frei sein werde!«

»Vorläufig, Monseigneur, sind Sie es nicht - und es ist dazu wenig Aussicht!«

Der Prinz bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Kommen Euer Herrlichkeit hierher, um einen Besiegten und Gefangenen zu verspotten?« sagte General Montholon mit strenger Miene.

»Nein, Sir!« - Der Engländer richtete sein kaltes, ruhiges Auge auf den alten Krieger und spielte gleichgiltig mit seinem Lorgnon. »Ich komme hierher, um Monseigneur zu machen eine Einladung!«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie waren bei dem Turnier, das Lord Eglinton gegeben in Schottland. Wohlan, Monseigneur, wir haben heute den 25. Mai - ich beabsichtige zu geben auch ein Turnier, das vereinigen soll alle Abenteurer von ganz Europa, und bin gekommen, Sie einzuladen dazu!«

»Mylord - das heißt, die Verhöhnung, deren Sie bereits General Montholon beschuldigt, nur vermehren. Ich bin Gefangener!«

»O - man hat Beispiele der Flucht! - Wenn es Ihnen ist recht, wollen wir davon sprechen.«

»Mein Herr - «

»Ich habe Ihnen zu sagen Einiges darüber, Sir, aber wir sind nicht allein hier.«

»Mylord - was Sie mir auch mitzutheilen haben, Capitain Bernard kann es eben so gut hören, wie mein Freund General Montholon. Ich habe keine Geheimnisse mit Ihnen.«

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»O doch - einige kleine! - Was diesen Herrn betrifft,« fuhr der Brite gleichgiltig fort, indem er auf den Capitain wies, »so kümmere ich mich nicht darum. Aber ich habe Ihnen zu sagen viel, was der Herr General nicht wird hören gern. Sie haben da, wie ich sehe, ein andres Zimmer. Lassen Sie uns gehen da hinein, indeß diese Herren bewachen unsre Thür!«

»Mylord - ich begreife Sie nicht, und bei all' meiner Nachsicht für Ihre Excentricitäten müssen Sie doch eine Grenze haben. Der Herr Capitain Bernard gestattet mir nicht, Besuche unter vier Augen zu empfangen, und ich muß daher auf die Ehre verzichten ... «

»Ah bah - wenn Sie beunruhigt nur das! ... « Der Lord wandte sich zu dem beaufsichtigenden Offizier und machte ein schnelles Zeichen von der Stirn zur Brust mit seiner linken Hand.

Der Capitain verbeugte sich, indem ein Lächeln sein häßliches Gesicht überflog, und wies mit der Hand nach der Thür des Schlafzimmers.

»Jetzt, Monseigneur,« sagte der Brite fest, indem er sich erhob, »lassen Sie uns gehen, denn wir haben schon verloren der Zeit zuviel. Lassen Sie Ihren Diener oder Doctor Conneau stehen auf Wache in dem Gang, und Sie, meine Herren, bewachen den Salon und den Hof und bürgen für jede Ueberraschung.«

Der Prinz sah erstaunt bald seinen bisherigen Nächter, bald den Engländer an; aber begreifend, daß es sich hier um ein Geheimniß handle, und gewöhnt an die Intriguen aller Factionen, gab er dem General Montholon einen Wink und öffnete dem Lord die Thür seines Schlafgemaches, indem er ihn einlud, einzutreten.

Als sie Beide sich hier allein befanden und einander gegenüber saßen, eröffnete der englische Pair sofort das Gespräch.

»Monseigneur,« sagte er, »Sie werden mich finden vertraut mit Ihren Angelegenheiten besser, als Sie denken. Wir müssen sprechen offen wie Männer und ich werde Ihnen geben Beweise, daß Sie mir vertrauen können. Sie wünschen sobald als möglich zu verlassen den Kerker von Ham?«

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Der Prinz nickte.

»Sie haben dazu weniger Aussicht als je. Die Herzogin von Orleans hat sich energisch gegen jede Befreiung im Familienrath ausgesprochen und die schwache Nachgiebigkeit des Königs besiegt. Die Garnison wird binnen drei Tagen auf's Neue gewechselt werden mit einem Regiment, das zu den Afrikanern gehört und den Herzögen unbedingt ergeben ist, die Maßregeln Ihrer Haft sollen verschärft und Ihnen namentlich die journalistischen Arbeiten verboten werden. Hier, dieser Brief von Odilon-Barrot wird das, was ich Ihnen sage, bestätigen.«

Der Lord hatte eine Brieftafel geöffnet und überreichte aus einer Reihe von Briefen, die sich darin befanden, einen dem Prinzen, der ihn rasch überflog.

»Das ist sehr niederschlagend, Mylord, ich gestehe es. Aber Sie werden mir zugeben, daß der gegenwärtige Zustand Frankreichs ein solcher ist, welcher alle Augenblicke eine Umwälzung, in Aussicht stellt.«

»Sie vergessen, Monseigneur, daß Louis Philipp seit sechszehn Jahren verstanden hat, eine der Parteien mit der andern in Schach zu halten, die Konstitutionellen mit den Radikalen, die Legitimisten mit den alten Anhängern des Kaiserthums. Die Krisis ist allerdings nahe, aber bedenken Sie wohl, daß man zur Verhütung einer solchen auch gewaltsame Mittel anwendet, wenn es gilt, einen Thron zu erhalten. Man hat gegen die Socialisten die Bajonnete - ein zufälliger Tod in den Mauern von Ham kann die Familie Orleans sehr rasch von einem andern gefährlichen Gegner befreien.«

»Wie, Mylord - Sie glauben, mein Leben wäre in Gefahr?«

»Die Beispiele in der Geschichte fehlen nicht. Ihr Oheim ließ Enghien erschießen, blos weil er ihn für den Gefährlichsten hielt. In der Politik giebt es keine Verbrechen, sondern nur Nothwendigkeiten und Staatsstreiche.«

»Aber ich habe Freunde außerhalb dieser Mauern, die für meine Zukunft wachen, Personen, die mir nahe stehen!«

Der Lord lachte. »Die dynastische Opposition der Herren Odilon-Barrot und Duvergier d'Hauranne? Sie haben nur Worte. Ihre persönlichen Freunde und Verwandten? Warten

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Sie.« Er nahm einen zweiten Brief hervor. »Sie werden hier die Antworten finden auf die Vorschläge, die Sie vor acht Tagen mittelst Ihres getreuen Fidèle abgesandt haben.«

»Wie - Mylord - Sie wissen ... ?«

»Ich wiederhole Ihnen, ich weiß Alles. Lesen Sie!«

»Von meinem Bruder, von Morny!« Er las hastig - bitterer Aerger zeigte sich auf seinem Gesicht und er ballte den Brief, noch bevor er ihn ganz gelesen, in der Hand zusammen. »Daß sich meine Mutter mit einem Gecken, wie der schöne Flahault, vergessen konnte, trägt seine Früchte.55 Seine Runkelrübenspekulationen gehen ihm über die Zukunft seiner Familie.«

Wiederum zuckte das spöttische Lächeln um den Mund des Engländers. »Der Deputirte von Puy-de-Dome,« sagte er, »ist gänzlich ruinirt - eine Revolution eine gewagte Sache. Er findet bessern Vortheil in diesem Augenblick, von dem Vater seines intimen Freundes irgend eine Actienconcession sich zuweisen zu lassen, oder irgend ein hübsches Amt, das er verkaufen kann. Hier ist ein Brief von Ihrem St. Simonisten.«

»Von Persigny? Er wenigstens ist ein treuer Freund - er hat es in Straßburg und Boulogne bewiesen.«

»Herr von Persigny verkehrt jetzt ziemlich frei in Versailles, und ich muß gestehen, er besitzt noch denselben Eifer für Sie, wie früher, aber ihm fehlt jeder Einfluß auf die Parteien. Sie haben noch einen Versuch bei Magnan gemacht?«

Der Prinz sah ihn mit unverhohlenem Erstaunen an.

»Der General ist ein glücklicher Soldat, der zwar dem Kaiser Alles verdankt - aber er wird nur nach einem Erfolge sich Ihnen anschließen, ebenso Castellane. Der würdige Pair hofft bei einem abermaligen Dynastiewechsel auf den wirklichen Marschall, wie er Maréchal de Camp wurde, damit die Herzogin von Berry ihre in Arrest geschickten Tänzer durch einen neuen Obersten des Regiments für den Ball in den Tuilerien zurückerhielt.

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Die Genannten sind die einflußreichsten von den alten Offizieren - die jüngeren, namentlich die Armee von Algier, sind Orleanisten oder - Republikaner; - nur ein großer Erfolg kann sie Ihnen gewinnen, und bis jetzt, Monseigneur, haben Sie nur die Erfolge der Lächerlichkeit für sich.«

»Mylord - was berechtigt Sie zu dieser Sprache?«

»Ich wiederhole es Ihnen, die Theilnahme für Sie und - meine eigenen Pläne. Wenn man Revolutionen machen will, darf man nicht mit Blut sparen. Merken Sie sich die Lehre! Jeder Putsch wird zur Lächerlichkeit und stärkt den Gegner.«

Der Prinz hatte mit fortwährend wachsendem Erstaunen der energischen Redeweise dieses Mannes zugehört, um so mehr, als ihm diese Stimme, die jetzt jeden fremden Accent verloren, immer bekannter vorkam. So sehr er auch sich zu beherrschen und seine Gedanken zu verheimlichen verstand, vermochte er doch dem räthselhaften Besuch gegenüber die Eindrücke nicht zu verbergen. Er erhob sich ärgerlich über diese Niederlage.

»Mein Herr,« sagte er entschlossen, »Sie sind nicht, was Sie scheinen, entweder also ... «

»Nachdem ich Sie überzeugt, daß Sie von Ihren bonapartistischen Freunden Nichts zu hoffen haben,« sagte lachend der Engländer, »will ich Ihnen einen andern Freund zeigen, der es vielleicht besser versteht, Ihnen zu helfen.«

Er schob mit einer schnellen Bewegung der Hand die Brille von den Augen und riß die falsche Tour, Brauen und Backenbart, den er trug, ab.

Mit Gedankenschnelle schien sich das Aeußere des Mannes verändert zu haben. Lockiges schwarzes Haar umgab eine hohe gebietende Stirn, die von mächtigen Gedanken und Leidenschaften gefnrcht war. In dem Schwung dieser dunklen Brauen und der stammenden Gluth der großen dunklen Augen, die bisher zum monotonen Starren verschleiert gewefen waren, lag etwas so Mächtiges, daß man fühlte, man müsse sich diesem Willen unterwerfen oder kämpfen mit ihm auf Tod und Leben. Das Gesicht, - bisher spitz und spöttisch, hatte eine edle Regelmäßigkeit angenommen, die Keiner vergessen konnte, der es ein Mal gesehen.

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Der Gefangene starrte es mit Erstannen an. »Um des Himmels willen - Signor Mazzini! ... «

»Still! nicht so laut. Wir sind erst beim Prolog, mein Lieber, und haben noch viel zu verhandeln. Es freut mich, daß meine Maske selbst so scharfe Augen, wie die Ihren, getäuscht, und ich wünsche um alle Welt nicht, daß General Montholon erfahrt, wer ich bin; denn das möchte meine Absichten stark gefährden.«

Der berühmte Verschwörer schob lächelnd dem noch immer fassungslosen Haupte der Bonapartisten seinen Sessel wieder hin. »Setzen Sie sich, Prinz, und lassen Sie uns weiter plaudern. Was ist da zu verwundern, daß Sie mich ein Mal in den Mauern von Ham sehen? Sie wissen, ich habe den Zauberring, der mich unsichtbar macht und durch die Schlüssellöcher spazieren läßt, wenn ich will.«

»Aber Capitain Bernard ... «

»Ist ein Mitglied der Marianne, so gut wie Sie eigentlich noch den Carbonari's angehören.«

»Das erklärt mir Manches!«

»Wohlan, lassen Sie uns jetzt von Geschäften sprechen. Sie wissen, daß Sie diesen tollen Zug nach Boulogne ganz gegen meinen Rath unternahmen, obschon ich Ihnen Forestier dazu lieh. Der Ausgang war vorauszusehen, und ich habe Ihnen denselben vorausgesagt. Wäre Louis Philipp ein Mann gewesen, so hätte er Sie erschießen lassen. Sie können also noch von Glück sagen, daß Sie so davon gekommen sind. Unterdeß sind die Verhältnisse ernsterer Art geworden, und was ich Ihnen vorhin unter der Maske meines guten Freundes, des Marquis, gesagt, der mich in diesem Augenblick im Costüm seines Bedienten im Hotel dieser guten Stadt Ham erwartet, das war keine leere Drohung, soudern ist Wahrheit.«

»So glauben Sie wirklich - man könnte ... «

»Die jetzige Regierung muß eilen, wenigstens einen ihrer Feinde für immer abzufertigen. Sie haben gesehen, wohin Sie mit Ihrer Speculation auf Wiederherstellung des Kaiserthums gekommen sind, die ich Ihnen übrigens gar nicht verüblen will. Der Bonapartismus vermag Sie nicht aus diesem Kerker zu

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retten und Ihnen eine Zukunft zu begründen. Wohlan, ich komme mit einem andern Vorschlag, der Beides zu leisten vermag.«

»Sprechen Sie, Signor!«

»Sie vermögen keine Revolution zu machen, aber Sie können einer solchen dienen. Lassen Sie Ihre Träume von dem Kaiserthron fallen und werfen Sie sich aufrichtig den Republikanern in die Arme. Dann sollen Sie in zwei Stunden frei und in zwei Jahren Präsident der französischen Republik sein!«

Der Prinz sah vor sich nieder. Jetzt, nachdem er wußte, mit wem er zu thun, kehrte alle Zurückhaltung und Heuchelei seines Charakters zurück, und er folgte wie ein vorsichtiger Spieler Schritt vor Schritt den kühnen Schachzügen des Gegners.

»Signor,« sagte er endlich, »seien wir aufrichtig. Sie brauchen mich!«

»Gewiß - ich fürchte mich nicht, es offen zu gestehen. Im Jahre Dreißig, als ich im Kerker von Savona lag und meine Mutter mir in einem Brot den Zettel mit den Worten sandte: »Polonia insurrexit!« war ich es, der rieth, Sie an die Spitze der polnischen Revolution zu stellen. Sie zauderten, und als Sie sich endlich entschlossen hatten, traf Sie in Dresden die Nachricht von dem Sturm auf Praga.«

Der Prinz beugte schweigend das Haupt unter diesem Vorwurf.

»Sie wurden ein Mitglied der Carbonari,« fuhr unbarmherzig der Agitator fort, der nie einen Augenblick von seinem großen Ziel, der Befreiung Italiens, abgewichen war, - »und Sie versuchten, die Sünde von Warschau in Italien wieder gut zu machen, aber Ihre Feigheit bei Rimini verdarb Alles.«

»Das Blut der Bonaparte ist dort geblieben - vergessen Sie das nicht, Signor!«

»Nicht das Ihre, Prinz! - Sie wendeten sich von den republikanischen Verbindungen ab, andere Einflüsse begannen Sie zu bestimmen, die Idee der Wiederherstellung des napoleonischen Kaiserthrones in Ihnen alles Andere zu beherrschen. Sie wissen selbst, wie weit Sie damit gekommen sind; Sie haben sich lächerlich gemacht, das Schlimmste, was einem Mann des Umsturzes passiren kann. Aber noch übt der Name Napoleon einen bedeutenden Zauber, nicht allein in Frankreich, sondern in der ganzen

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Welt; in Verbindung mit ihm wäre die republikanische Partei allmächtig, und deshalb, Prinz, komme ich in diesen Kerker, um Ihnen eine solche Verbindung vorzuschlagen. Ihr demokratisches Glaubensbekenntniß56 zeigt mir, wenn es aufrichtig gemeint ist, daß Sie würdig geworden, die Sache der Freiheit zu vorfechten, und für die Befriedigung Ihres Ehrgeizes werden wir die Sorge tragen.«

Der Neffe des Kaisers hob langsam die Augen auf den kühnen Enthusiasten. »Sie wissen, Signor - ich bin ein Gefangener, die Nachrichten dringen nur zum Theil zu mir. Welche Aussichten hat die Revolution?«

»Ich will Ihnen die Skizze kurz entwerfen. Hier in Frankreich wird die Regierung täglich verhaßter; selbst den Bürgerstand, auf den sie sich bisher mit ihrer Friedenspolitik gestützt, beginnt dies System von erkaufter Volksvertretung, Verkäuflichkeit der Aemter, Bestechung, gemeiner Spekulationen und Immoralität vom Minister bis zum Thürsteher herab anzuekeln. Cabierès und Teste stehen am Rande eines Scandalprozesses, der König selbst ist durch die Veröffentlichung der geheimen Briefe dem Haß verfallen, die Armee, nur so weit sie in Afrika beschäftigt ist, zufrieden; Die nächsten Kammerwahlen müssen das System in seiner ganzen Erbärmlichkeit zeigen. Die geheimen Gesellschaften vergrößern sich mit jedem Tage, der »National« predigt die Republik, die Communisten erheben offen ihr Schild, Louis Blanc, Flocon, Albert, Ledru Rollin, Raspail, Carnot, Mari Caussin, Sobrier und Blanqui warten auf das erste Signal; - die Legitimisten, Ihre eigene Partei, werden die Revolution begünstigen, in der der Stärkste oder der Klügste Sieger bleibt.«

»Aber das andere Europa? wird man nicht im Fall einer Umwälzung die Bourbons mit den deutschen Bajonneten wieder auf den Thron Frankreichs zu setzen suchen?«

»Wenn Paris das Signal gegeben hat, wird das andere Europa sich, ehe vier Wochen vergangen sind, erheben. In Berlin

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ist Alles vorbereitet, unsere Agenten warten nur auf eine günstige Gelegenheit, die offenbare Liebhaberei des Königs zum Constitutionalismus für die Revolution auszubeuten. Polen wird dazu wieder das Signal geben, obschon es in Posen und Krakau jetzt unterlegen und Miroslawski ein Gefangener ist. Wien und Dresden werden mit der Revolution nachfolgen - in einem der süddeutschen Staaten ist ein großer Theil der Truppen bereits auf unsrer Seite.« Die Idee der Wiederherstellung eines einigen Deutschlands wird die trägen Gemüther verlocken. Man wird die deutschen Provinzen jenseits der Eider gegen die dänische Herrschaft revoltiren und so England und Rußland zu thun geben. Für Letzteres sorgt Bakunin. Oesterreich steht am Rande seines Verderbens. In Prag, in Ungarn, in Mailand wird die Revolution zu gleicher Zeit ausbrechen; - in Ungarn ist uns ein großes Talent in der Person des Pesther Advokaten Kossuth entstanden; in Italien wirken Mamiani, Balbi, d'Azeglio und Gioberti - den tüchtigsten Kopf bewahre ich mir an den Ufern des La Plata.«

»Aber Sardinien - der Papst?«

»König Carl Albert ist ein Spielwerk in unseren Händen. Seine Eitelkeit verblendet ihn, wie sie ihn früher zum Tyrannen machte. Ich durchschaue ihn, Mein Brief hat es schon im Jahre Einunddreißig bewiesen. Er glaubt sich zum Schwert Italiens berufen und sehnt sich danach, mit Oesterreich sich zu messen und die Lombardei in die Tasche zu stecken. Er sowohl wie Papst Pius ahnen nicht, daß sie nur ein Werkzeug in unseren Händen sind.«

»Die Schilderungen, Signor, mögen richtig sein, Sie müssen dies besser wissen, als ich. Aber Sie haben mir noch immer nicht den Preis genannt, den ich zu zahlen habe.«

»Wohl - kommen wir zur Sache. Ich brauche zur Befreiung Italiens die Umwälzung in Frankreich, denn das Bündniß dieses Bürgerkönigs mit Oesterreich wird täglich inniger, seine Einmischung in die Schweizer Angelegenheiten immer gefährlicher. Der Name Napoleon hat seine Zauberkraft für die Franzosen - Sie werden diesen Namen an die Spitze der

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Revolution stellen und der Sieg ist unser. Ich verspreche Ihnen dafür die Präsidentschaft der Republik Frankreich.« Revolution stellen und der Sieg ist unser. Ich verspreche Ihnen dafür die Präsidentschaft der Republik Frankreich.«

»Aber was muß ich thun?«

»Präsident bleiben, ohne Kaiser werden zu wollen, und die italienische Revolution unterstützen.«

»Und wenn ich mich nun weigere?«

»So bleiben Sie Gefangener in Ham, bis die Politik der Orleans oder der strafende Dolch eines Carbonari Ihrem Ehrgeiz ein Ende macht. Sie werden sich des Schwurs erinnern, der das Recht giebt, den Abtrünnigen mit dem Tode zu bestrafen.«

Der Prinz schaute betreten zu Boden. »Sie haben ein verführerisches Bild gezeichnet, Signor. In welcher Zeit glanben Sie, daß die Revolution ausbrechen kann?«

»In hier[?] und zwei Jahren - was man thun will, muß ein Ganzes sein. Italien und Paris sind zwar bereit, aber unsere Agenten in Polen, Ungarn und Deutschland brauchen Zeit. Mit jedem Tage verwickeln sich die Tyrannen fester in ihr Netz. Europa schlaft auf einem Vulkan57 Das Blut der Gebrüder Bandiera58 ist nicht umsonst geflossen. Ob Graham und Aberdeen59 auch meine Briefe stehlen und mich belauern lassen - sie wissen Nichts, und die englischen Radikalen sind stark genug, Mich zu schützen. Meine Proteste gegen das schändliche Werbesystem in der Schweiz für die römische Tyrannei und gegen, die Bedrohung der Unabhängigkeit Krakau's schüren in diesem Augenblick neue Flammen. Wenn die Zeit gekommen, werden sie ausbrechen!«

»Wer wird Italien insurgiren?«

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»Ein Mann, auf dessen Eifer und Thatkraft man volles Vertrauen setzen darf, - Garibaldi

»Aber er befindet sich in Montevideo.«

»Wann die Zeit gekommen, wird er meinen Ruf erhalten und ihm folgen. Graf Walewski60 der Sohn Ihres Oheims, der wenigstens Ihren Namen ehrenvoll in Polen vertrat, hält die Hand über ihm, während Herr Guizot glaubt, daß er einzig seine Instruktionen in den La Plata-Staaten vertritt.«

»Resümiren Sie kurz die Bedingungen, die Sie mir stellen!«

»Die >Internationale Liga der Völker< bietet Ihnen die Bundesgenossenschaft. Sie wird Sie an die Spitze der französischen Republik stellen, und Sie verbinden sich dagegen auf den Eid, den Sie beim Eintritt in die Carbonari's geschworen, die Revolutionen der Nationalitäten mit den französischen Waffen zu unterstützen und namentlich die Freiheit Italiens erkämpfen zu helfen und zu schützen.«

»Welche Bedenkzeit geben Sie mir? - denn ich breche mit der Vergangenheit und der Zukunft.«

»Fünf Minuten - die Zukunft gehört Ihnen!«

Der Gefangene war an das Fenster getreten und starrte, die Stirn an die Scheiben gedrückt, hinaus nach dem öden Wall und den finsteren Umrissen des Thurmes des Connetable. Die Sehnsucht nach Freiheit und Macht kämpfte gewaltig in seinem Herzen gegen die Träume eines größern Ehrgeizes. Plötzlich zuckte er zusammen, ein stolzes Lächeln überflog sein bleiches Gesicht - sein Auge war auf die einsame Schildwache am Wall gefallen. Der junge Soldat, der dort stand, hielt unverwandt die Blicke auf ihn gerichtet und als er sich bemerkt sah, schaute er rasch umher und präsentirte dann das Gewehr.

Der kleine Zug der Anhänglichkeit für den Namen Napoleon entschied über das Schicksal der Revolutionen. Der Gefangene preßte fest die Zahne zusammen, indem er murmelte: »Jedes Mittel

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zum Ziel!« und wandte sich rasch gegen das Haupt der europäischen Agitation.

»Ich bin entschlossen!«

»Die Antwort?«

»Ich will frei sein. Italien soll es sein, sobald ich an der Spitze der französischen Armee stehe.«

»Das ist genug, Bürger Präsident. Wiederholen Sie den Eid!« Er zog aus der Brusttasche seines Rocks einen Dolch, um dessen Klinge ein Cypressenzweig mit weiß-roth-grünem Band geschlungen war - das berühmte Erkennungs- und Erinnerungszeichen des >Jungen Italiens< an die Märtyrer seiner Sache; die Klinge trug die Devise des Bundes: >Jetzt und Immer!< Louis Napoleon legte die Hand auf diese Klinge und wiederholte die furchtbaren Worte, die der Italiener ihm vorsagte.

»Jetzt, Prinz, wissen Sie, was Sie zu erwarten haben, im Fall Sie Ihren Eid nicht halten. Das Weitere verhandeln wir in London, und es ist Zeit, sich mit Ihrer Flucht zu beschäftigen. Lassen Sie mich meine Toilette wieder herstellen und in den Salon zurückkehren. Was Sie General Montholon sagen wollen, ist Ihre Sache!« -


Wir haben einige Worte über die Person und die Entwickelung eines Mannes einzufügen, der - ein mächtiges Prinzip vertretend - so tief bereits eingegriffen hat in die Geschichte der Gegenwart.

Joseph Mazzini ist im Jahre 1809 in Genua geboren, wo sein Vater Arzt und Professor an der Universität war. Mit der Muttermilch sog er die republikanischen Grundsätze und die Begeisterung für die italienische Unabhängigkeit ein.

Von der Natur mit einem gebietenden Aeußern, einem scharfen Verstand und großem Talent ausgestattet, stürzte er sich als Jüngling schon in den politischen Parteistreit. Im Jahre 1830, als die Bewegung in Frankreich die italienischen Regierungen allarmirte, war die piemontesische die erste, die zu Verhaftungen schritt, und des Carbonarismus verdächtig, mußte er sechs Monat in der Festung Savona schmachten und dann verbannt sein Vaterland verlassen. Er begab sich nach Marseille, wo die Exilirten

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ganz Italiens zusammenströmten und gründete dort den Geheimbund des >Jungen Italiens<.

Im Jahre 1831 richtete Mazzini den berühmten Brief an Karl Albert, der mit den verhängnißvollen Worten schloß: »Die Nachwelt wird darüber richten, ob Sie es vorzogen, der Erste unter Ihren Zeitgenossen oder der letzte von Italiens Tyrannen zu sein.«

Der Einfluß des jungen Italiens wuchs mit Riesenschnelle - die Agitation verbreitete sich über die ganze Halbinsel und die italienischen Regierungen forderten von Louis Philipp die Vertreibung Mazzini's und seiner Anhänger aus Frankreich. Mazzini ging nach Genf, wo er den Plan zu einer Revolution in Piemont entwarf. Der Versuch - im Februar 1834 - scheiterte an dem Verrath des General Ramorino, und Mazzini wurde von der Regierung Karl Alberts zum Tode verurtheilt. Er antwortete, indem er mit der Umgestaltung des >Jungen Italiens<, zu einem >Jungen Europa< einen Bund der Völker gegen die Throne in's Leben zu rufen unternahm. Revolutionaire Schriften und Manifeste folgten rasch auf einander, bis die Kabinete von Turin, Wien, Berlin und Paris energisch seine Ausweisung von der Schweiz forderten. Er begab sich nach England, um von hier aus seine Agitation für die Revolutionirung Italiens und die Leitung der Propaganda für das übrige Europa fortzusetzen, während er gleichzeitig sich einen geheimen Zufluchtsort in der Nähe von Genf, zwischen Weinbergen versteckt, bewahrte. Die zahlreichen Genossen seines Bundes dienten ihm dazu, die Agitation in Italien fortzusetzen, während er zugleich mit, rastloser Thätigkeit keine Gelegenheit vorübergehen ließ, die Sache der übrigen Emigrationen zu der seinigen zu machen und durch sie das englische Volk aufzuregen. Während dieser revolutionären Agitation fand sein Genie Zeit zu glänzenden literarischen Arbeiten und zur Gründung einer Sonntagsschule für die armen Savoyarden-Knaben, bei welcher er selbst das Lehramt übernahm. Wir haben bereits oben erwähnt, daß nach dem Unternehmen der Gebrüder Bandiera das Ministerium Wellington-Aberdeen im Jahre 1844 seine Agitation zu beschränken und zu überwachen

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suchte, aher die ausschweifenden Begriffe der englischen Presse von Freiheit - so bald sie nicht den eigenen Vortheil berührt - sicherten ihm den öffentlichen Schutz und entflammten seine Thätigkeit zu immer kühneren Planen. Das war der Augenblick der Gründung der >Internationalen Liga der Völker< und der Einführung des berühmten Agitators in den Rahmen unsers Buches.

Der falsche Lord hatte seine Toilette vollendet. - Als sie in den Salon zurückkehrten, fanden sie dort die Gruppe noch unverändert, nur daß Doctor Conneau sich eingefunden und mit dem Capitain sprach, während General Montholon sich mit den Journalen beschäftigte.

Der Prinz ging auf den alten Soldaten zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »General,« sagte er - »Sie sind mein ergebener Freund und werden sich daher freuen, zu hören, daß sich endlich eine Gelegenheit bietet, diesem Kerker zu entfliehen.«

»So lassen Sie uns ihn so bald als möglich verlassen, Hoheit. Parbleu! - ich wollte es nicht sagen, aber ich bin seiner herzlich müde!«

Der Prinz war in einiger Verlegenheit. »Die Anordnungen, mein lieber General,« meinte er, »gehören diesem Herrn. Ich habe an Mylord gleichfalls einen aufrichtigen und ergebenen Freund gefunden und wir müssen uns in seine Anweisungen fügen. Ich weiß selbst noch nicht, welche Mittel er anwenden will, mich zu entführen, ohne andere Personen zu compromittiren.«

Sein Blick bezeichnete den Offizier, der mit, der frühern starren Gleichgiltigkeit den Verhandlungen zuhörte.

»So lassen Sie hören, mein Herr,« sagte der General finster zu dem Engländer, denn er haßte die ganze Nation von Grund seiner Seele und ein gewisses Gefühl schärfte noch seine Abneigung gegen das Individuum insbesondere. »Lassen Sie hören, denn ich werde nur meine Einwilligung geben, wenn ich die Sicherheit des Gelingens sehe.«

Der falsche Viscount zog ruhig seine Uhr. »Es ist jetzt neun Uhr - in fünf Minuten werde ich Sie verlassen, und

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dem Gouverneur sagen, daß ich meinen Besuch nicht habe verlängern dürfen, weil Sie befinden sich krank.«

»Ich - oh kehren Sie sich nicht an mich, Mylord.«

Der Verschwörer lächelte. »Ich hoffe Sie stets zu sehen bei guter Gesundheit, General. Es ist aber nöthig, daß Sie sich legen zu Bett, und der Doctor verschreibt eine Medizin. Monseigneur wird zubringen bei Ihnen den Tag.«

»Ich verstehe noch immer nicht,« murrte der General, der unzufrieden zu werden begann.

»Der Prinz wird sich in einer Stunde in Ihre Wohnung begeben und dort bleiben den ganzen Tag. Nachdem er eingetreten, wird er seinen Bart vollständig abschneiden, und sobald Alles sicher ist, anlegen seine Verkleidung.«

»Welche?«

»Sie werden haben bemerkt, daß an diesem Hause mehrere Arbeiter sind thätig. Um Mittag entfernen sich diese Leute alle aus der Festung. Sie werden warten zehn Minuten und dann als Arbeiter gehen hinterher, als ob Sie sich verspätet hätten.«

»Parbleu - der Plan ist nicht übel, aber wo bleiben wir?«

»Thelin kann vorausgehen dem Prinzen, um Medizin zu holen in der Stadt.«

»Und ich und Doctor Conneau?«

»Sie, General, bleiben in Ihrem Bett und der Doctor wird Ihnen leisten Gesellschaft oder spazieren gehen auf den Wällen.«

Der Graf zog ein schiefes Gesicht, indeß faßte er sich alsbald und sagte mit einem schlecht verhehlten Seufzer: »Wenn's denn nicht anders sein kann - in Gottes Namen! Aber was bürgt uns für die Sicherheit des Prinzen, wenn es ihm auch gelungen, unerkannt aus dem Thor zu kommen?«

»In einer Stunde reise ich ab. Ich nehme den Weg über St. Quentin, Eambray und Valenciennes nach Brüssel - es ist derselbe, dem der Prinz wird folgen. In Ham wird stehen ein einfaches Fuhrwerk bereit, aber mit tüchtigem Pferd. Hier ist die Adresse, wo Monsieur Thelin es kann holen ab - Sie werden warten auf das Fuhrwerk am Kirchhof von St. Sülpice. Monsieur Thelin wird nehmen auf diesen Paß Extrapost in

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St. Quentin. Am Kreuzweg nach Beauvoir, wo Sie verlassen den Wagen, werden Sie finden einen Mann in grüner Blouse mit einem Packen. Dieses Packet enthält die Kleider, die Sie anzulegen haben. Die Person, die Sie erwartet, wird Ihren Diener über das Weitere unterrichten und Sie führen um die Stadt auf den Weg nach Cambray, wo Sie die Extrapost erwarten. Der Paß ist gut und Sie werden Postpferde bereit finden bis Brüssel.«

»Ihre Anstalten lassen nichts zu wünschen übrig, Mylord, ich gestehe es zu - aber mir scheint die Hauptsache noch zu fehlen.«

»Was?«

»Die Verkleidung selbst - wie kann einer von uns sie erlangen, ohne daß es auffällt?«

Der Lord zuckte spöttisch die Achseln über die geringe Voraussicht. »Ist es Ihnen gefällig, Capitain, sich ein wenig auszukleiden?«

Ohne ein Wort zu sagen, trat der Offizier in eine Ecke des Zimmers und zog seinen Uniformsrock aus. Er trug darunter eine alte Blouse, die er abzog, und um die Brust gewunden eine mit Farbe und Kalkflecken beschmutzte Hose. Eine ähnliche Ledermütze, die er aus der Tasche zog, vervollständigte das Costüm, dessen er sich rasch entledigte.

»Ich würde Ihnen mitgebracht haben eine falsche Perücke«, sagte der Lord, »aber Sie wissen vielleicht nicht damit umzugehen und ein Zufall kann werden zum Verräther. Das Abschneiden der Haare und des Bartes ist besser. Vor der Thür des Generals finden Sie Holzschuhe - das Weitere wird sein die Sache Ihrer Gegenwart des Geistes. Und jetzt, Sir, leben Sie wohl - ich werde erwarten Sie morgen in Brüssel!«

Der Prinz reichte ihm stumm die Hand, ein kräftiger Händedruck bestätigte den geschlossenen Bund. -


Es war zwölf Uhr Mittags, die Arbeiter an dem Bau hatten wenige Minuten vorher ihre Arbeit verlassen und sich durch das Thor der Festung entfernt, als Thelin, der die Erlaubniß erhalten hatte, eine Medizin für General Montholon in

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der Stadt bereiten zu lassen, den Hund Fidèle an der Schnur, das Haus verließ und nach dem Thor zuging.

Etwa zwanzig Schritt hinter ihm folgte der Prinz, als Arbeiter verkleidet, plumpe Holzschuhe an den Füßen, das Gesicht beschmiert und ein großes Brett auf der Schulter.

So ging er mitten durch die Wachen und die auf dem Hofe sich umhertreibenden Soldaten dreist auf den Thorweg des Schloßthurmes zu.

In diesem Augenblick kam ein Schlossergeselle, der ihn für einen Kameraden hielt, und wollte ihn ansprechen. Thelin gewahrte es glücklicher Weise noch zeitig genug, trat auf den Schlosser zu und ließ sich Feuer von ihm für seine Cigarre geben.

Etwas weiter entfernt begegnet der Prinz einem Offizier, der einen Brief liest, aber nicht auf ihn achtet, dann schreitet er durch eine Gruppe von dreißig Soldaten, die vor der Wachtstube stehen, durch.

Endlich, nachdem er, ohne eine Miene zu verziehen, an mehrere[n] Schildwachen vorbeigekommen, befand er sich vor der letzten am Thor.

Er wollte das Gitter eben passiren, das der Thorwart Thelin öffnete, als er eine Stimme flüstern hörte:

»Gott geleite Sie und vergessen Sie Frankreich nicht!«

Der Prinz erbebte - seine Augen aufschlagend, erkannte er in der Schildwache, die gesprochen, den jungen Soldaten, der drei Stunden vorher vor seinem Fenster Posten gestanden und ihn salutirt hatte.

Der Prinz setzte, während der Thorwart das Gitter öffnete, sein schweres Brett dicht neben der Schildwache nieder und bückte sich, als beschäftige er sich mit seinen Schuhen. »Ich danke Dir, Freund. Dein Name?«

»Florentin Jeannon

»Wenn Du hörst, daß ich in den Tuilerien bin, so fordere Dir Dein Lieutenants-Patent bei mir.«

Der Soldat half ihm selbst das Brett wieder auf die Schulter heben - wenige Augenblicke nachher überschritt der Prinz die Zugbrücke und setzte nach sechs Jahren zum ersten Male wieder seinen Fuß auf freie Erde.

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Während Thelin nach der Stadt ging, um an dem bestimmten Orte das Cabriolet zu holen, schritt der Flüchtling trotz seiner Holzschuhe rasch vorwärts und erreichte glücklich den Kirchhof von St. Sulpice, wo er den Wagen erwarten sollte. Es war eine qualvolle Viertelstunde, bis dieser kam, denn jeden Augenblick fürchtete er das Allarmzeichen von den Wällen der Festung zu hören, das seine Flucht verkündete. Endlich erschien der Wagen, der Prinz stieg auf den Bock und übernahm die Rolle des Kutschers. Sobald man aus dem Gesichtskreis der Wälle war, ging es im Galopp davon.

Eine Stunde nachher war man am Kreuzweg von Beauvoir, im Angesicht der einst so berühmten Veste St. Quentin. Ein Mann, mit einer grünen Blouse bekleidet und einem Ranzen neben sich, saß auf dem Rain unter dem Schatten des Gebüsches, das sich bis an die Straße erstreckte. Als der Wagen nahete, erhob er sich und betrachtete die Reisenden aufmerksam; dann trat er zu dem haltenden Wagen und machte rasch mit dem Daumen der linken Hand das Freimaurerzeichen der Carbonari.

Der Prinz erwiederte es.

»Steigen Sie aus, Signor,« sagte der Fremde in reinem Italienisch, »und gehen Sie einstweilen in jenes Gebüsch. Ich werde Ihnen sogleich folgen, sobald ich diesem Manne einige Anweisungen gegeben.«

Der Flüchtling gehorchte ohne Weiteres - nach wenigen Worten mit Thelin kam ihm der Fremde in's Gebüsch nach und öffnete sein Packet.

Ein vollständiger Reise-Anzug, wie ihn etwa wohlhabende Kaufleute tragen, war darin. Der Prinz kleidete sich rasch um, der Fremde steckte die Arbeiterkleider in seinen Ranzen und reichte dem Prinzen dann ein Paar gezogene Terzerols und ein Stilet.

»Für den Nothfall, - aber es wird nicht nöthig sein, Ihr Paß wird Sie ohne Aufenthalt über die Grenze bringen, wenn ein unglücklicher Zufall Ihre Flucht nicht etwa zu zeitig verrathen hat. Sind Sie hinreichend mit Geld versehen?«

»Ich habe mitgenommen, was ich hatte - aber es ist nicht viel.«

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»Nehmen Sie diese Börse - es sind fünfzig Sovereigns darin, und nun kommen Sie.«

Der Prinz folgte seinem Führer, von dem er nicht wußte, ob er ihn kannte und in das Geheimniß eingeweiht war; denn er hatte in seiner Anrede noch kein Wort fallen lassen, was darauf hindeutete.

Sie gingen auf einem Fußsteig im Gebüsch fort und um die Stadt, bis sie nach etwa einer halben Stunde die Chaussee nach Cambray erreichten und an der Brücke Halt machten, die über den Fluß führt.

Wenige Minuten darauf sahen sie eine Staubwolke vom Thor von St. Quentin her rasch daher kommen.

»Das ist der Wagen!«

Die Extrapost war nur wenige Schritte noch entfernt und Thelin winkte bereits seinem Herrn, als Plötzlich der Fremde diesen hart an den Arm faßte.

»Diavolo! Sehen Sie dort hin!«

Ein Blick genügte. Auf der Straße von St. Quentin kamen zwei Gensd'armen im vollen Galopp daher gesprengt.

»Wir sind verrathen - man kennt meine Flucht - man verfolgt uns!«

»Hinein in den Wagen und schießen Sie den Postillon vom Bock, wenn er nicht im Carriere fährt. - Ihre Hand, Prinz, daß ich sie küsse! Diese Hand wird Italien die Freiheit wiedergeben!«

»Und Sie? ... «

»Was ist an meinem Leben gelegen? Ich werde es opfern, um die Schergen der Gewalt aufzuhalten und meinem Vaterlande seine Hoffnung zu erhalten.«

Er hob ihn in den Wagen - der Schlag fiel zu.

»Ihr Name, Freund - Ihren Namen!«

»Felix Orsini

Der Wagen rasselte davon - der Italiener stellte sich mitten in den Weg, die Hand am Griff des Doppelpistols unter seiner Blouse. Sein energisches, kühnes Gesicht zeigte den gefaßten Entschluß.

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In diesem Augenblick schlugen die Gensd'armen, kaum noch hundert Schritt von ihm, den Feldweg nach Vermond ein und galoppirten plaudernd weiter. -


Prinz Louis Napoleon, dem es gelungen, nach sechsjähriger Haft vor vier Tagen aus seinem Kerker in Ham zu entfliehen, ist heute Morgen in London angekommen. Er hat einen Brief an Sir Nobert Peel gerichtet, in welchem er dem Minister erklärt, daß er sein Gefängniß nicht verlassen habe, um einen neuen Versuch gegen die Regierung Ludwig Philipps zu unternehmen. Der Prinz spricht die Hoffnung aus, daß diese freiwillige Erklärung genügen werde, um die Gefangenschaft seiner Freunde abzukürzen.

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Ein preußischer Edelmann.

Die >Internationale Liga der Völker< hatte Wort gehalten. Noch waren zwei Jahre nicht vergangen - am 24. Februar der Thron von Orleans in den Staub geschleudert, in Paris all' das Wogen des tollsten republikanischen Fractionskampfes - in Wien am 13. und 14. März die Revolution ausgebrochen und Metternich verjagt - in München und Dresden Emeuten - Schleswig-Holstein hatte sich erhoben und proclamirte eine provisorische Regierung - Mailand und Venedig schwangen offen die Fahne der italienischen Unabhängigkeit und der Losreißung von Oesterreich.

In Berlin, der sonst so soliden, nur in Satyre und Gassenhauern Opposition machenden Hauptstadt des deutschen Nordens und der liberalen Hoflieferanten, hatte am 18ten der Kampf begonnen und war am 19ten fortgesetzt worden. Juden, Polen und Franzosen - wie die Kreuzzeitung vier Monate später sagte - hatten eine neue Aera aus Barrikaden aufgebaut, und die preußische Uniform war durch das erhabene Opfer eines Rückzugs gedemüthigt worden, von dem Niemand wußte, wer ihn geboten! -


Sonntag Reminiscere! Es ist der Abend des 19. März. Der Mond warf sein klares friedliches Licht auf den ruhigen Spiegel des schönen Havelbeckens, das sich zwischen den leichten waldigen Höhen um die grüne Fischerinsel schlingt, die das Pichelswerder heißt - eine Waldidylle der sandigen Mark, wie man sie nicht freundlicher für einsames Träumen sich wünschen könnte.

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Das Immergrün der Nadelhölzer auf den südlichen Bergwänden wirft dunkele Schatten auf das Wasser - weiße Schwäne halten ihre Nachtruh' in dem dichten Geröhr des Ufers - nur hin und wieder wird der funkelnde, weithin dehnende Silberstreif des Mondes auf der leise rauschenden Wasserfläche durch die schlanken Stangen und Reifen der Hamen unterbrochen, welche die Fischer ausgestellt. Der Winter hat zwar kaum seine rauhe Decke abgestreift, aber doch treiben die prächtigen Eichen der hohen Insel bald knospende Blätter - nicht des beginnenden Völkerfrühlings, den sie da drüben über'm Berg hin mit Blut getauft, sondern des sonnigen Frühlings, dessen das Menschenherz sich freut bei jeder Wiederkehr, bis jener Winter kommt, der es in die Erde legt als Saatkorn für den ewigen Frühling.

Dunkel und ruhig liegen die wenigen Fischerhütten auf Gelände und Insel - drüben vom Fischerdorf her bellt ein zänkischer Hofhund - sonst athmet Alles den Frieden der Nacht. Was kümmert es die einfachen Menschen, daß man sich drüben in der Hauptstadt schlägt und der Donner der Kartätschen gegen die Empörung kracht; - ob Republikaner, ob Constitutionelle oder Monarchisten, - die ehrlichen Berliner werden, wenn der Sommer gekommen, nach wie vor der Forstverwaltung den Zaun zerbrechen und vom >Bock< durch den waldigen Grund in lustigen Gesellschaften hierher wandeln, um Krebse und Aale zu speisen, und bei dem Concert der Harmonika in Hemdsärmeln auf dem Nasen zu tanzen!

Dort, wo die Sage den letzten Wendenfürsten Jaczko auf der Flucht vor den Deutschen sich in die heimischen Gewässer stürzen und die alten Götter verläugnen läßt, und König Friedrich Wilhelm IV. ein Denkmal mit dem Eisenschild des alten Gebieters der Mark auf dem Bergvorsprung errichten ließ, - am Schildhorn - vereinigt sich der durch die Insel getheilte Strom auf's Neue und bildet einen breiten glänzenden Spiegel. Lauter murmeln die Wellen, rascher eilt der Strom und der Windzug rauscht über die Fläche - oft zum Sturm sich erhebend, der dem unachtsamen Schiffer Gefahr droht.

Im Fahrwasser an den Höhen entlang von Spandau her kommt ein großer vierruderiger Kahn und wendet sich jetzt der

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Mitte des Beckens zu, um hier die Strömung besser zu benutzen. Der Kahn trägt außer den vier Ruderern noch eine gleiche Anzahl von Personen. Auf dem Mittelbrett vor den Ruderern sitzen ein Mann und eine Frau. Der Erstere ist von hoher Gestalt und breiter Brust, so weit es der weite Mantel, in den er sich gehüllt, erkennen läßt. Ein runder Hut ist tief in seine kräftige Stirn gedrückt.

Die Dame neben ihm hüllt sich schauernd in ihren Pelz, denn die Luft, die über das Wasser her streicht, ist frisch, ja kalt. Ein dunkeler Hut mit dichtem Schleier bedeckt ihr Gesicht, nur zuweilen - denn beide Personen wechseln nur selten leise einige Worte - macht sich unter dem Pelz und dem Schleier eine leichte, aber energische Bewegung bemerkbar, als werde die Hand gegen die Brust gepreßt, um eine nervöse Aufregung gewaltsam zu unterdrücken.

Im Stern und im Schnabel des Bootes sitzen zwei Offiziere in Feldmützen. Der zuweilen vom Luftzug geöffnete Paletot zeigt die Uniform des Genie-Corps, auch die vier Ruderer tragen die Pionier-Uniform, sind aber unbewaffnet. Wenn dagegen jener Luftzug die Mäntel der Offiziere hebt, kann ein scharfes Auge den Beschlag der Pistolenkolben im Mondlicht blinken sehen, die aus ihrer Brusttasche ragen. Die Augen der beiden Offiziere spähen fortwährend scharf umher nach den Ufern, nach dem Wasserspiegel, oder bewachen aufmerksam jede Bewegung der Ruderer. Von Zeit zu Zeit giebt der Offizier im Stern des Kahns eine leise Anweisung an die Ruderer und ermuntert sie zu größerer Anstrengung.

Plötzlich erhebt sich der Offizier an der Spitze des Bootes zu halber Höhe, stützt sich auf ein Knie und schaut, die Augen mit der Hand bedeckend, scharf hinaus auf die spiegelnde Wasserstäche. Dann winkt er mit der Hand zurück nach den Ruderern.

»Halt!«

Die Ruder heben sich ohne Geräusch aus dem Wasser, bereit, jeden Augenblick wieder eingesetzt zu werden.

»Was giebt es?«

Die Dame preßt sich ängstlich an den Herrn, der die Frage gethan.

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Der Offizier im Stern hat die Pistolen aus der Tasche gezogen; man hört in der Sülle der Nacht zugleich mit dem eigenthümlichen Plätschern entfernter Ruderschläge das Knacken der Hähne beim Spannen. Der andere Offizier wendet sich gegen den Herrn auf der Bank.

»Es kommt uns ein Boot entgegen, stromaufwärts oder von Gatow her - ich kann es nicht entscheiden. Dort der dunkle Punkt.«

»Vielleicht ein Fischerkahn.«

»Ich zweifle - Fischer haben in dieser Stunde und um diese Jahreszeit Nichts auf dem Wasser zu schaffen.«

»Was sollen wir thun?«

»Ich erwarte Ihre Befehle. Das Boot muß uns bereits im hellen Fahrwasser bemerkt haben - ein Zurückrudern in den Schatten des Ufers wäre kaum rathsam.«

»Und Sie, mein Herr - was ist Ihre Meinung?« Der Mann im Mantel hatte sich an den Offizier im Stern gewandt.

»Vorwärts zu gehen - wenn Verrath im Spiel ist, über [i]hn hinweg!«

»Vorwärts denn!«

Die Ruderer setzten auf einen Wink wieder ein und das Boot seinen Weg fort. Das andere war bereits so nahe gekommen, daß man seine schwarzen Schatten sich deutlich auf dem Wasserspiegel abzeichnen sah. Es schien vier Personen zu enthalten.

Der zweite Offizier lenkte das Boot etwas zur Seite, um an dem entgegenkommenden in gemessener Entfernung vorüberzufahren, als dieses plötzlich seine Richtung änderte und gerade auf sie losruderte.

Die Dame drängte sich fest an den Arm ihres Begleiters. Die beiden Offiziere ergriffen jeder ein Pistol.

»Ruhig, meine Herren - keine Uebereilung - es ist vielleicht eine Nachricht, die uns entgegengesandt wird.«

»Das ist kaum möglich - Niemand ... «

»Halten Sie einen Augenblick ein, wenn es Ihnen gefällig ist,« sagte eine ruhige, ernste Stimme über das Wasser her. »Ich habe eine Frage an Sie zu richten.«

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»Lassen Sie einhalten!« Der Mann im Mantel, der diesen Wunsch oder diesen Befehl ausgesprochen, zog den Kragen höher um sein Gesicht, das war die einzige Bewegung, die er machte. So ließ man den zweiten Kahn ruhig näher kommen; einen Augenblick darauf lag er zur Seite in der Entfernung einer halben Ruderlänge. Die Offiziere, die nur ungern diese Nähe zu dulden schienen, überzeugten sich sofort, daß hier keine Gefahr drohen könne.

In dem Kahn saß ein alter Mann, wie der weiße Schnurr- und Backenbart zeigte, eine große hagere Gestalt in einem einfachen Paletot, eine niedere Jagdmütze auf dem Kopf, neben ihm ein Knabe von etwa fünfzehn Jahren. Zwei Fischer - gewöhnliche Leute - führten die Ruder.

»Verzeihen Sie, meine Herren,« sagte der alte Mann, »daß ich Sie angehalten. Aber als diese guten Leute« - er wies auf seine Ruderer - »mir sagten, daß Ihr Fahrzeug kein Nachen aus Pichelsberg oder dem Werder sein könne, glaubte ich, daß ich vielleicht einige Nachricht aus Berlin von Ihnen erfahren könne.«

»Was wünschen Sie zu wissen, mein Herr?« fragte der ältere Offizier, ohne auf die indirekte Frage, die in der Anrede des Alten lag, zu antworten.

»Zuerst was machen Seine Majestät der König

»Der König,« erwiederte der Herr im Mantel mit tiefer vibrirender Stimme - »der König befindet sich im Schutz seiner lieben Berliner!«

»Schämen Sie sich, mein Herr,« sagte erzürnt der alte Mann, »solche Worte von nichtswürdigen Rebellen zu gebrauchen, während Sie die Ehre haben, in Gesellschaft preußischer Offiziere zu sein, wie mir die Uniform dieser Herren zeigt. An diese richte ich meine Frage, was machen Seine Majestät?«

»Seine Majestät der König befindet sich, so viel wir wissen, in Berlin und, wie es scheint, in Sicherheit,« antwortete der ältere Offizier, »denn die Truppen haben auf Allerhöchsten Befehl Berlin verlassen!«

»Also wirklich! O, ich wollte es nicht glauben!« Der alte Mann bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, man hörte seine keuchenden, stöhnenden Athemzüge.

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»Mein Herr,« sagte der Mann im Mantel mit freundlichem Ton, - »wir sind gute Preußen und Freunde des Königs wie Sie. Darf ich Sie fragen, wer Sie sind und wohin Sie wollen?«

Die Gestalt des alten Mannes richtete sich militairisch straff in die Höhe. »Ich habe nie in meinem Leben meinen Namen Verschwiegen. Ich bin der Major außer Diensten von Röbel, mein Gut liegt zwischen Barnim und Nauen.«

»Und wie kommen Sie hierher?«

»Ich hole die Leiche meines Sohnes, der gestern im Dienst des Königs von den Rebellen erschossen wurde. Sie soll in der Gruft meiner Väter liegen, nicht unter dem Gesindel!«

Die Worte waren mit fester, ruhiger Stimme gesprochen, nur in dem dumpfen Klänge zitterte das Vaterherz.

Eine feierliche Stille folgte den Worten - Niemand wagte sie mehrere Augenblicke zu unterbrechen - langsam trieben die Kähne mit einander stromab und näherten sich einander.

»Ich habe davon gehört,« sagte endlich der Herr im Mantel, »und beklage Sie aufrichtig. War der Gefallene Ihr einziger Sohn?«

»Mein Herr, ich habe deren drei. Der erste gehört seinem Geschlecht, das ist so Sitte im Hause der Röbel, der zweite dem König, - der dritte,« er legte die Hand auf das Haupt des Knaben an seiner Seite - »seiner Mutter und mir. Das muß sich nun ändern!«

Der Herr im Mantel lehnte sich über den Rand des Kahnes und reichte dem alten Mann die Hand hinüber. »Leben Sie wohl, Herr Major, und Gott sei mit Ihnen auf Ihrem schweren Wege!«

Kragen und Mantel waren zurückgefallen, das volle Mondlicht auf das ernste, stattliche Gesicht des Sprechenden.

»Um Gotteswillen ... «

»Still! - und möge Jeder dem Könige so dienen wie Sie und Ihr Haus!«

Ein Wink mit der Hand - die Ruder fielen in's Wasser und fort rauschte das Boot.

Der alte Edelmann stand aufrecht in dem seinen, er hatte

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den Hut abgenommen, - der Nachtwind spielte mit seinen weißen Haaren, während er unverwandt dem Boote nachschaute.

Erst als es in der Richtung stromabwärts nach der Pfaueninsel zu aus dem zitternden Lichtkreis des Strombeckens gänzlich verschwunden war, setzte Herr von Röbel sich nieder und gab seinen Ruderern den Befehl, weiter zu fahren.

Lange saß er so stumm und nachdenkend, während die flacher werdenden Ufer an ihnen vorbeizogen, der Knabe wagte ihn nicht anzusprechen. Erst als aus dem Schatten der Nacht die dunkelen Umrisse der Festung hervortraten, brach er das Schweigen und wandte sich an den Knaben.

»Mein Sohn,« sagte er - »meine Augen haben gesehen, was sie hofften niemals wieder zu sehen. Gott allein weiß es, welche Zeiten kommen werden - aber wenn einst diese Stunde auch aus dem Gedächtniß Derer gestrichen sein sollte, die das Recht haben zu vergessen - dann vergiß Du doch nicht, was Du gesehen hast und heute sehen wirst - Dein Lebelang!« -


Es war gegen Mitternacht, als der Kahn des Herrn von Röbel die Unterbaumbrücke passirte und in die Stadt einfuhr, an den Schiffen vorbei, die zu beiden Seiten des Ufers ankerten. An dem Garnisonlazareth vorüber, wohin man die Leichen der an den beiden verhängnißvollen Tagen im Straßenkampf gefallenen Soldaten meist gebracht hatte, unter der Marschalls- und Weidendamer Brücke her setzte der Kahn ungehindert seinen Weg fort bis zur Brücke, die vom Gießhaus nach dem neuen Museum führt. Dort - in der verhältnißmäßig öden Gegend - legte der Kahn auf Befehl des Majors an eine Landungstreppe und er stieg mit dem Knaben aus.

»Ihr wißt, was wir ausgemacht, Männer,« sagte er zu den beiden Schiffern; - »Ihr verlaßt den Kahn unter keinen Umständen, bis ich oder mein Sohn Euch rufen.«

»Ja, Herr - seien Sie unbesorgt!«

Der alte Edelmann sah nach der Uhr. »Noch eine halbe Stunde Zeit! - Laß uns prüfen, wie es in der Stadt aussieht.« Er nahm den Knaben an die Hand und schritt mit ihm am Kanal entlang der Brücke zu. Sein erste rGang galt dem Schloß des Königs.

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Trotz der späten Stunde waren die Straßen noch mit wogenden Menschengruppen besetzt - Alles schrie, lärmte, erzählte oder hörte den Rednern zu, die sich dem Volke aufdrängten - Arbeiter, die seit Jahresfrist gewohnt waren, das große Wort über sociale Theorieen zu führen oder in vertrauter Stube von Barrikadenbau zu reden; - jüdische Handlungscommis, die die Zeitungshalle zu Helden des Liberalismus umgeschaffen; - Stadträthe, die hofften, Oberbürgermeister zu werden; - verdorbene Assessoren und vagabondirende Literaten; - Wenige darunter, die ein verständiges, beruhigendes Wort zu dem allgemeinen Thema der Brutalität der Soldateska, dem glorreichen Sieg der Freiheit, den Tellschüssen der berliner Schützengilde und den bis zum Wahnwitz sich steigernden Forderungen hatten. Männer, Frauen, Kinder durcheinander, zwischen den Bürgern jene unheimlichen Gestalten, die Aasvögel der Revolutionen, die auftauchten wie der Bodensatz des Pfuhls, der aufgerührt ist von den Schlägen des Alligators, den er so lange verborgen.

Junge Leute ohne Gedanken und Pflichten rasselten mit dem Schleppsäbel auf dem Pflaster, billig Soldaten zu spielen; - Spießbürger, die gar zu gern die Courage herausstrecken, wenn die Gefahr vorüber, erinnerten sich noch ein Mal der Tage ihrer Wehrzeit und schleppten die Muskete; selbst das jämmerliche Geschlecht der Geheimen Räthe, dieses bureaukratischen Kreb[s]schadens Berlins, begann aus dem vierundzwanzigstündigen Versteck hervorzukommen, redete liberal und wollte wieder an der Spitze stehen.

Im Ganzen doch bei all' diesem Schmutz und dieser Verwirrung ein gewisser Zug militairischer Ordnung und Ringen nach Organisation, bei all' diesem betäubenden Raisonnement und den Lügen vom Himmel herab der Wunsch nach etwas Festem, sicher Gestaltetem. Das Soldatenblut in Preußen verläugnete sich selbst nicht in dem Sturmwogen der Rebellion und dem Triumph der Selbstverherrlichung.

Bürgergruppen besprachen schon ruhiger den Wechsel des Ministeriums - die gemachten Verheißungen; - im Ganzen erwartete selbst der Verständigste eine neue goldene Aera, denn der Drang des Reformfiebers, das seit zwei Jahren durch das Mark Europa's schlich, hatte alle Nerven mit Electricität überladen,

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und der Druck, unter dem krasser Büreaukratismus und unverständiges[unverständigen] Experimentiren der Regierung gegenüber den socialen umwälzenden Ideen von jenseits des Rheins her das Volk gehalten, hatte auch die Conservativsten verletzt und die Nothwendigkeit von Reformen in ihnen zum Bewußtsein gebracht. Der Major war nicht so engherzig, daß er sich diesen Gedanken verschlossen hätte; unwillkürlich in seinem Schmerz und Jammer fiel ihm das kleine Rencontre ein, das er noch ganz kürzlich mit den Schreiberchikanen der Vormundsschaftbehörde gehabt, als diese drei Erlasse an ihn gerichtet, anzuzeigen, weshalb auf dem Gute seines Mündels die Sau, ehe sie gestorben, noch ihre Ferkel aufgefressen hätte? und daß er zwanzig Thaler Ordnungsstrafe für die von der Galle diktirte Antwort hatte zahlen müssen: »Damit sie nicht unter's Ober-Vormundsschaftsgericht kommen möchten!« - er hätte lächeln können bei dem kleinen Zug, der ihm durch den Sinn ging, aber er war zu tief verletzt von Allem, was er sah; denn nach seiner politischen Religion konnten Reformen nur vom Könige ausgehen, der unverletzlich geheiligten Macht von Gottes Gnaden, nicht von unten herauf nach dem Thron, und jede Auflehnung gegen Ehrfurcht und Gehorsam für die höchste Autorität war in seinen Augen ein vatermörderisches Verbrechen. Dazu gefielen ihm die vielen Judengesichter unter den Schreiern, die fremden Laute fremder Nationalitäten und Provinzen nicht - er hatte auch eine Volkserhebung mitgemacht, damals, als der König die Nation zu den Waffen rief - und das Bild der Begeisterung, von Dreizehn war ein ganz anderes - der Feind: die Fremdherrschaft, nicht, im Königsschlosse der Hohenzollern! Der Crawall, die Emeute waren ihm in tiefster Seele verhaßt.

Es sollte noch schlimmer kommen - jeder Schritt weiter grub neue Stacheln in seine Brust.

In den meisten Fenstern brannten noch die Reste der Illumination, mit der am Abend die Stadt den Sieg gefeiert. Je näher die Beiden dem Schloß kamen, desto dichter drängten sich die Gruppen.

An der Ecke des Gespensterhauses, aus dessen Fenstern einige Monate nachher, am Tage des projectirten Aufgehens Preußens in Frankfurt, wieder die rothe Fahne geschwenkt wurde, stand ein

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Mann auf einem Stein und las der Menge die beiden Proclamationen des Tages vor: den Wechsel des Ministeriums von Männern, welche der Revolution nicht vorzubeugen gewußt, in Männer, welche sie weder zu bändigen noch zu leiten verstanden, - und das Decret der allgemeinen Bürgerbewaffnung.

Durch die offenen Schloßhöfe, in denen lustig großs Feuer brannten, wogte die Menge; - die improvisirte Bürgerwehr hielt auf den Corridors und in den Sälen nominell Posten, auf der Schloßwache commercirte eine Bande betrunkener Studenten mit Hiebern und abenteuerlicher Bewaffnung aus den Kellern des Schlosses, oder beschmutzte die Wände mit frechen Sudeleien; - Deputationen von Gott weiß was alles für Corporationen drängten trotz der späten Stunde noch immer nach den Gemächern des zum Tode erschöpften Monarchen und verlangten die Minister zu sprechen. Das Schloß war kein Haus mehr des Königs, sondern die Karavanserai für Jedermann.

Aber die erschütterndste, schrecklichste Scene bot der innere Schloßhof. Dort - vor den Gemächern des Königs - lagen auf Bahren die Leichen der Barrikadenkämpfer, die man am Nachmittag, nachdem das Militair entfernt worden, vor das Schloßportal geschleppt und den König und die Königin anzuschauen gezwungen hatte.

Noch starrten die Augen der blutigen Todten ungeschlossen empor, die klaffenden Wunden - der brutale Haß hatte die am Schrecklichsten verstümmelten ausgesucht! - mit geronnenem Blut und - o, bitterer Hohn! mit Blumen bedeckt - die Hände krampfhaft geballt. Dichte Gruppen umdrängten eben wieder die Zeugen des blutigen Tages; denn ein Weib aus dem Volke lag schreiend, jammernd über einer der Leichen und raufte das Haar, während ein einjähriger Knahe auf den Füßen seines Erzeugers saß, mit den Blumen spielte und neugierig auf die Flammen der Pechfackeln umherschaute.

Noch vor Jahresfrist war die kleine Familie so ruhig, so glücklich gewesen - der Mann bei seiner Hände Arbeit, die Frau mit dem Kinde. Da kam die Politik in dies ruhige, stille Dasein - das Gift, ärger wie Spiel und Trunk ...

Ein Spitzbubengesicht hatte mit raffinirter Geistesgegenwart

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die Scene benutzt und neben die halb bewußtlose Frau seinen Hut gesetzt. »Sie wohnt in einem Hause mit mir, meine Herren! Das arme Geschöpf wird verhungern müssen mit ihrem Wurm, nun die Henkersknechte ihren Mann erstochen, wenn Sie sich ihrer nicht erbarmen!«

Und große und kleine Geldstücke flogen von allen Seiten in den schäbigen Hut - es ist eine wohlthätige, gutmüthige Nation, diese Berliner, und leichtgläubig bis zur Dummheit!

Den alten Edelmann lief es wie kalter Schauer durch das Blut. Die verstümmelte Leiche da vor ihm war es vielleicht, die lebendig die mörderische Kugel auf seinen Sohn gesandt - und dennoch war seine Seele tief erschüttert. Seine Hand griff in die Tasche und warf eine ganze Faust voll Münzen in den Hut, selbst Gold darunter.

»Gott segne es Ihnen, Herr, Sie sind ein echter Patriot und theilen mit Ihren armen Brüdern!« winselte der Gauner, von rückwärts her aber schlug eine Hand burschikos auf die Schulter des Edelmannes. »Brav gemacht, alter Schwede! Es wird Dein Herz erfreuen, zu hören, daß wir den armen Kameraden da wacker gerächt! Auf Burschenehre, ich war dabei, als er mit der Fahne fiel und wir sie zwei Mal von der Barrikade zurückjagten!«

Herr von Röbel wandte sich rasch um, aus seinem zornigen Gesicht war jede Spur des Mitleids verschwunden, seine Augen blitzten unter den buschigen grauen Brauen drohend auf den von Wein und Reden erregten Studenten, der, plötzlich ernüchtert, mit erbleichendem Angesicht ihn anstarrte.

»Um Himmelswillen, Herr Major - Sie hier ... «

»Dorthin, Herr,« sagte der alte Offizier mit schneidender Kälte, indem er mit dem Finger nach einer menschenleeren Stelle wies. »Da Sie es sind, so habe ich Ihnen einige Worte zu sagen!« Er schritt voran nach dem Säulengang; bleich, zitternd folgte ihm der junge Mann, ohne die Hand des Knaben zu berühren, die dieser ihm bot.

»Herr,« sagte der Edelmann, indem er sich an der Stelle umwandte, »ich sehe, daß ich mich nicht getäuscht habe, wenn ich meine Kinder warnte vor der Freundschaft mit Ihnen. Ich ehre

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das graue Haar Ihres Vaters, der mit mir in mancher Schlacht zusammen gestanden, - aber ich werde ihm sagen, wenn Sie sich noch einmal im Pfarrhaus von Bodendorf blicken lassen, werde ich Sie mit meinen Jagdhunden aus dem Dorfe hetzen lassen!«

»Hören Sie mich an, Herr Major - Sie urtheilen zu einseitig ... «

»Wissen Sie, wo die Leiche meines Sohnes liegt und wo ich Gottlieb finden kann?«

»Er wartet auf Ihre Befehle, wie er mir sagte ... Erlauben Sie, Herr Major ... «

Der alte Mann machte eine verächtliche Handbewegung.

»Bemühen Sie sich nicht, Herr Meißner ... ich weiß in der Residenz meines Königs Bescheid und will Sie Ihren politischen Pflichten nicht entziehen.« Er wandte sich nach dem Schloßthor und winkte dem Knaben, ihm zu folgen. Mehrere Studenten und Bürgergardisten kamen heran. »Was wollte der alte Kerl von Dir, dem man den Reaktionair auf fünfzig Schritte ansteht? Himmel-Tausend-Teufel sollen ihn holen, wenn er gewagt hat, unverschämt zu sein. Du stehst ja ganz katzenjammerig aus, Bursche! - Haltet den alten Hallunken fest!«

Der Student sprang mit einem Satz ihnen in den Weg - seine Hand lag am Griff des rasselnden Hiebers. »Daß Keiner es wage! Ihr kennt mich! Ich steche Jeden über den Haufen, der einen Finger an ihn legt!« -

Der Major mit seinem Sohn war durch das Portal geschritten. Er hatte es aufgegeben, bis hinauf in die Vorgemächer des Königs zu dringen, wie er erst beabsichtigt, um sich selbst von der Sicherheit des Monarchen zu überzeugen und seine Person anzubieten. Er fühlte, was konnte er, der Einzelne, thun, wo der König seine Treuesten aufgegeben und selbst entfernt hatte.

Ein rascher Schritt holte ihn unter dem Portal ein, unter dem er, noch einen Blick auf das seltsame Schauspiel dieser Volkssouveränität werfend, stehen geblieben. »Lassen Sie uns gehen, Herr von Röbel,« sagte leise die Stimme des Vorüberschreitenden, - hier ist kein Ort für Männer, wie Sie und ich!«

Unter der nächsten unzerbrochenen Laterne erkannte der alte

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Offizier den jungen Mann, der mehrmals mit dem erschossenen Sohn bei ihm zur Jagd gewesen, obschon er jetzt in einen Civilmantel gehüllt war und den Schnurrbart abgeschnitten hatte. »Wie - Sie sind es, Herr Graf - wo kommen Sie her?«

»Ich sah Sie im Schloßhof bei den Leichen dieser - Männer und wollte Ihnen eben einen Wink geben, sich nicht zu exponiren, als Sie ein Recontre mit jenem Studenten zu haben schienen.«

»Es ist der Sohn meines Pastors, eines würdigen Mannes. Wenn die Sonne wieder aufgegangen, wird der Fluch seines Vaters den Abtrünnigen über die Erde jagen!«

»Bester Major - wenn alle Söhne, die heute andrer Meinung sind, als ihre Väter, deshalb den Fluch derselben erben müßten, - die Bergeslast wäre zu groß für die neue Generation! - Aber lassen wir das und sprechen wir von Wichtigerm. Es hat Sie leider ein schwerer Verlust getroffen - wir beklagen Sie Alle, das Regiment wird untröstlich sein darüber!«

»Er ist für seinen König gefallen, Herr Graf!«

»O, es kann uns Allen passiren, dafür sind wir Soldaten. Aber Ferdinand war der Eleganteste, Lustigste von uns Allen, ein Cavalier comme il faut! Auf Ehre! Er ritt wie ein Centaur! - und fallen zu müssen von solcher Bürger-Canaille, es ist affreus!«

Der Major schwieg - der leichtsinnige herzlose Ton dieser preußischen jeunesse dorée, die das halbe Leben vor Kranzler mit den Beinen über den Eisengittern zugebracht, und zu der auch sein Ferdinand gehört, wie sein Geldbeutel wohl empfunden, beleidigte ihn.

Aber der nächste Augenblick versöhnte ihn wieder. Man ging eben an der Bank vorüber; der junge Offizier faßte krampfhaft seinen Arm - seine Lippen bebten, die Augen funkelten, als er sie auf die Stelle richtete, wo jetzt am Eingang ein Mitglied der neuen Bürgerwehr auf- und abschritt.

»Hier fiel der Erste - ein wackrer Soldat, der seinen Posten nicht verlassen wollte! O, ich kenne den Meuchelmörder, und Gott gnade dem jämmerlichen Volkstribun, wenn er mir je unter die Klinge kommt!«

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»Sagen Sie mir, Herr Graf - ich bin erst seit einer halben Stunde in Berlin, und was wir auf dem Lande erfahren, ist nur unvollkommen - wie ist es möglich, daß die Truppen von einer Emeute besiegt werden konnten?«

»Besiegt? Nun, bei meinem Wappen, Herr von Röbel - wenn wir besiegt worden - es wäre eine Ehre gegen das, was wir ertragen haben! Mit dem Pallasch in der Scheide den Hohn des Gesindes dulden zu müssen und hinausgewiesen werden, wie begossene Hunde, während wir Nichts sehnlicher wünschten, als ein Ende zu machen - das schmerzt mehr, wie die Kugel oder der Messerstich. Auf Ehre - wenn sich die preußische Armee je bewährt hat, so that sie es heute durch den Gehorsam!«

»Die Ueberraschung muß Alle verblendet haben ... «

»Die Ueberraschung! Nun, by Jove! - seit vierzehn Tagen schliefen wir auf einem gährenden Vulkan. Die Versammlungen der fremden Wühler unter den Zelten und auf Tivoli kannte in Berlin jedes Kind!«

»Aber that denn die Polizei Nichts?«

»Die Polizei? Wenn ich der Herr wäre, ließ ich einem Polizei-Präsidenten den Kopf vor die Füße legen, der acht Tage zusieht, wie Stein auf Stein zur Barrikade zusammengetragen wird, und Nichts dagegen hat, als Berichte.«

»Aber warum nahm die Militär-Behörde denn die Sache nicht in die Hand? Der Gouverneur ... «

»Der Gouverneur besah sich gestern Mittag den Beginn der Revolte mitten im Volk vor dem Schloßportal und hatte dann einige eilige Briefe zu schreiben!«

Der alte Offizier murmelte eine bittere Verwünschung. »Aber wenn, wie Sie sagen, unsere braven Soldaten überall Sieger waren, wer trägt die Schuld an dem Befehl des Rückzugs?«

»Federfuchser,« knirschte der junge Soldat, »Federfuchser und Verrath. Ein Schleier ruht darüber - und wird vielleicht niemals gehoben werden. Der Minister selbst, der unfähig gewesen, das Unheil zu verhüten, zwang General Prittwitz, den Einzigen, der seine Energie bewahrt, sogar die Stellungen zu räumen, die man zur Sicherung des Königs für das Militär reservirt hatte, als die Deputationen dessen Rückzug erlangt hatten. Ich stand

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dabei - zehn Schritt von dem General, und weiß, daß Verrath im Spiel gewesen sein muß mit falschen Befehlen an mehr als einer Stelle.«

»Aber der König?«

»O, wenn Sie gesehen, was er gelitten an diesem Tage, in dieser Nacht! - keinen Augenblick Ruhe - hundert Rathschläge um ihn her, hundert sich widersprechende Forderungen an sein Herz! Deputationen auf Deputationen, ohne Auftrag und Macht, Menschen sich aufdrängend mit ihren Rathschlägen, die man sonst mit Fußtritten aus dem Schlosse gejagt! nur ein Despot konnte das überwältigen, nicht ein Herz, wie das seine! Glauben Sie mir, Herr Major, als die Truppen das Schloß verlassen mußten, als es entschieden war, daß er nicht fortzog in der Mitte seiner Getreuen aus dieser verhaßten Stadt - als wir die brüllende Meute auf den Höfen und Gängen hörten, wir allein zurückgeblieben, eine Anzahl von Offizieren, bereit, zu sterben, wie einst die Schweizer auf den Treppen und an den Thüren von Versailles für Ludwig den Sechszehnten, Thränen waren in unseren Augen, nicht Thränen über das Scheiden vom Leben, - sondern Thränen der Scham und des Männergrimms!«

Der alte Offizier drückte dem Begleiter stumm die Hand. Das sonst so leichtsinnige, süffisante, selbst geckenhaft anmaßende Wesen des jungen Mannes, der nur von Tänzerinnen, Pferden und Parade zu sprechen pflegte, hatte in diesem Ausbruch der edlern Natur etwas Erhabenes, Hinreißendes.

»Voilà - auf Ehre, sehen Sie den Spaß,« - die Drei gingen eben über den Gensd'armenmarkt, ohne daß der arme Vater es wußte, daß er fast die Steine betrat, die das Blut seines Erstgebornen vor wenig Stunden benetzt - »wie sich der Mensch dort beeilt, im Schutz der Nacht sein Hoflieferanten-Schild von der Thür abzunehmen! Der Teufel soll mich holen - ich werde ihm meine Kundschaft entziehen, wenn wir erst wieder zurück sind! Auf Parole! Wenn die Geschichte wieder in Ordnung ist, wird man einen Orden zur Belohnung der Treue für die Hoflieferanten, die Hoteliers und die famose Courage der Beamten gründen müssen!«

Sie setzten einige Augenblicke schweigend ihren Weg fort.

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«A propos, Herr Major,« schnarrte der junge Graf, »Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie hierher führt und ob ich Ihnen dienen kann?«

»Wenn Sie nicht wissen, wo ich die Leiche meines Sohnes finden kann, so muß ich auf diesen Brief allein meine Hoffnung setzen!« Er reichte ihm ein schlecht zusammengefaltetes grobes Papier, auf dem mit Bleistift einige Zeilen in unorthographischer großer Handschrift standen. Der Offizier las sie am Laternenschein der Ecke:

»Wer ist dieser Gottlieb? Sollte es nicht etwa eine Falle sein?«

»Unmöglich - der Brief ist vom Burschen meines Sohnes, der auf dem Gut geboren ist. Ein Mann brachte mir den Brief gegen Abend, dem der brave Kerl als Botenlohn seine silberne Uhr gegeben!«

»Merkwürdig - auf Ehre! ich hörte im Schloß diese Nacht, daß er unter den Gebliebenen sei und daß man die Todten und Verwundeten nach dem Garnison-Lazareth gebracht. Da sind wir am Palais des Prinzen. Wissen Sie, daß die Populace gestern in allem Ernst seine Abdankung verlangt hat? Erst wollte die Canaille das Palais niederbrennen, aber die Studenten haben es gerettet. Sie sagten wegen der Bibliothek daneben!«

»So haben sie doch eine gute That gethan!«

»Ein Student zeichnete sich aus dabei - ich muß den Namen schon gehört haben, aber der Teufel behalte all' die bürgerlichen Namen. Traurig genug, daß selbst Männer von Blut bei dem Schwindel geholfen. Wissen Sie, Major, wer am meisten zu der sogenannten Volksbewaffnung gerathen? Fürst Lichnowski!«

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»Wer die wilden Gewalten enifesselt, wird oft selbst ihr Opfer.«

»Sehen Sie, was man aus dem Palais gemacht hat! >Volkseigenthum!< - >Nationalgut!< - Bah! die erste Probe von Schreibfreiheit ohne Censur! Man hat ein Bittschriften-Büreau darin etablirt, wie ich höre. Affreus! Bittschriften mit Flintenschüssen geschrieben. Ich wünschte, die Cassette voll Gold, die man Seiner Majestät abgegaunert, käme wenigstens einigen hübschen Wittwen zu gute, statt raffinirten Spitzbuben. - Können Sie sich denken, daß die Minister wirklich auf die Entfernung des Prinzen gedrungen? Ich hoffe, Seine Königliche Hoheit sind in Sicherheit und bereiten uns Revange vor.«

»Er ist es - Gott sei Dank! Kein Mann auf dem Lande, der nicht bereit sein wird, wenn er ruft! - Ich wollte, der König wäre es ebenso!«

»Sie erinnern mich, daß ich verteufelt müde bin, Major. Sechsunddreißig Stunden nicht geschlafen. Ich kam eben aus den Antichambres, als ich Sie traf. Wenn auch das Militair die Stadt verlassen hat, so bewachen wir Offiziere doch Seine Majestät in Civil - ohne daß sie es selbst wissen. Es ist fatal genug in der schlechten Gesellschaft, die man dort findet! Morgen um neun Uhr trifft mich wieder die Reihe - darum excüsiren Sie mich, wenn Sie mich nicht etwa noch brauchen. Ich falle um vor Müdigkeit, auf Ehrenwort!«

»Verzeihen Sie, daß ich Sie so lange aufgehalten, und möge Gott mit Ihnen sein bei der heiligen Pflicht, die Sie übernommen. Leben Sie wohl, Herr Graf!«

»Gott befohlen, Herr Major, und - drücken Sie dem Todten im Namen der Kameraden die Hand!« - Er war schon mehrere Schritte entfernt, als er sich nochmals umwandte und dem über den Platz Schreitenden nacheilte. »Noch Eins, Herr Major! wenn Sie den Fuchs verkaufen, da Ferdinand ihn doch nicht mehr reitet, so erinnern Sie sich, daß ich die Vorhand habe. Ein famoses Pferd - er parirte fünf Fuß Barriere und gewann die zwanzig Friedrichsd'ors! Vergessen Sie nicht!« - Damit war er verschwunden.

Den Knaben an der Hand, der mit Staunen und Interesse

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die Scenen umher betrachtete, ging der alte Edelmann quer über den Platz nach dem Kastanienwäldchen zu, das sich hinter der Universität und der Wache erstreckt. Ein Blick auf die Uhr hatte ihm gezeigt, daß noch zehn Minuten an der bestimmten Zeit fehlten, und an militairische Pünktlichkeit gewöhnt, setzte er sich auf eine der steinernen Bänke im Schatten der großen Bäume nieder, um hier den Glockenschlag zu erwarten.

Der Platz war jetzt ziemlich einsam und dunkel, da der Mond hinter den großen Gebäuden stand. Nur wenige Personen benutzten den öden Durchgang, und der Major und sein Sohn blieben, im Schatten sitzend, selbst von den Wenigen unbemerkt.

Der Knabe wollte eben seinen Vater anreden, als ihm dieser die Hand auf den Mund legte und ihm ein Zeichen gab, sich nicht zu regen.

Zwei Männer gingen, kaum fünf Schritt entfernt, hinter ihnen auf und nieder in eifrigem Gespräch, das sie offenbar hier gänzlich ohne Zeugen wähnten.

»Die Schrift,« sagte der eine Größere in dem scharfen Accent des von Polen gesprochenen Deutsch, »ist übergeben sogleich. Man hat uns versprochen den Erfolg. Wenn meine Brüder nicht sind frei morgen früh, werden wir stürmen das Gefängniß.«

»Unbesorgt, liebster Graf, man wird es nicht wagen, das Geringste abzuschlagen. Wir halten die Sache jetzt in der Hand - vor Mittag muß die allgemeine Amnestie proclamirt sein, da diese Dummköpfe einmal nicht weiter zu treiben waren und sich schon vor dem eigenen Spektakel zu fürchten beginnen, den sie gemacht. Jetzt ist die Hauptsache, den möglichsten Eclat aus Allem zu machen und die Regierung an die Spitze der deutschen Revolution zu drängen. Diese Halbheit ... «

»Wir lieben den König,« unterbrach ihn der Pole, »wenn er giebt frei unser Volk, werden wir schlagen mit ihm gegen Jedermann!«

»Dann werden Sie bald genug Feinde auf dem Halse haben, so wie nur ein freies einiges Deutschland auf die Fahne geschrieben ist - Monarchie oder Republik ist gleichgiltig dabei,« sagte lachend der Andere, eine untersetzte starke Gestalt von Mittelgröße.

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»Die Sache ist so ungeschickt ausgegangen, daß wir nicht ein Mal unsern Zweck mit dem Zeughaus und den neuen Gewehren erreicht haben. Ich weiß ganz bestimmt, daß die Erfindung existirt und Massen davon im Zeughaus lagern, dessen Bewachung sich jetzt diese Tölpel anmaßen. Hören Sie wohl, Herr Graf! Die Befreiung Mieroslawski's und seiner Gefährten darf nicht eine bloße Begnadigung der Regierung, sie muß eine Demonstration des Volks, die Gefangenen müssen im Triumph eingeholt werden; damit identificirt sich die Berliner Revolution im Voraus mit Allem, was Sie in Polen thun werden. Aber - ich brauche Geld!«

Der Andere reichte ihm eine Börse. »Es sind darin hundert Louisd'ors. Wir verlassen uns auf Sie.«

»Unbesorgt - ich werde selbst dabei sein. Hier ist der Entwurf einer Proclamation - sie muß in deutscher und polnischer Sprache gedruckt werden. Und nun Adieu, Herr Graf, denn ich darf meine Collegen nicht zu lange aus den Augen lassen - sie haben gewandte Finger. Auf Wiedersehn vor dem Zellengefängniß!«

Die Beiden trennten sich; der Major wollte sich erheben und dem Einen nacheilen, um sein Gesicht zu sehen, aber in diesem Augenblick trug der Nachtwind den Schlag der zwölften Stunde und das Glockenspiel vom Thurm der Klosterkirche herüber, dessen Choral so wenig harmonirte zu den Scenen der bewegten Stadt.

Der alte Edelmann seufzte schwer; was konnte er, der Einzelne, helfen und hindern, wo die Großen und Mächtigen auf der abschüssigen Bahn haltlos dahin schwankten? Es war Zeit, an sein eigenes kleines Schicksal - an den eigenen bittern Schmerz zu denken.

Er ging eilig nach dem Ort des Rendezvous.

An der Rückwand der Neuen Wache, aus deren Innerm frische Studentenlieder und die Töne eines lustigen Gelages der neuen Bürgerwehr erklangen, schlich eine Gestalt unruhig auf und nieder. Der alte Mann trat hastig auf sie zu. »Bist Du es, Gottlieb?«

»Um Himmelswillen, Sie selber, Herr Major - und der

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junge Herr! Ach, über das Unglück! aber ich konnte wahrhaftig nicht helfen!« Der ehrliche Bursche schluchzte wie ein Kind, indem er nach der Hand des Gutsherrn haschte, sie zu küssen.

»Wo ist die Leiche? Warum hat man sie nicht mit den anderen in's Lazareth gebracht? Du sollst die näheren Umstände mir später erzählen.«

»Ach, gnädiger Herr - wir hielten es für das Beste! Und dann konnten wir sie nicht von ihm trennen, als sie ihn erst geseh'n. Es war herzzerreißend, und Herr Meißner meinte selbst, es wäre das Klügste, ihn bei ihr zu lassen.«

»Bei ihr? - was bedeutet das? - Hat der Bube auch hier seine Hand im Spiel?«

Der Soldat, der einen alten Flausrock und eine Civilmütze trug, begann auf's Neue zu schluchzen statt jeder Antwort. Nur einzelne Betheuerungen konnte man daraus vernehmen, wie, daß sie sich so sehr geliebt hatten, daß er seinem jungen Herrn nicht widersprechen dürfen, und daß er Nichts daran habe ändern können.

Der Herr von Röbel athmete schwer und gepreßt auf. »Vorwärts denn,« befahl er barsch, »das Reden nutzt Nichts, ich muß selbst sehen! Führe uns an den Ort, wo die Leiche sich befindet, sei es, wo es will!«

Der Befehl war so bestimmt und entschlossen, daß der an Respekt gewöhnte Bursche keine Ausflucht weiter versuchte, sondern stumm voranging.

Er führte den Vater und den Sohn durch das Wäldchen und zwei oder drei Querstraßen, dann trat er in ein an der Mauer eines Kirchhofes sich hinstreckendes einstöckiges Haus und winkte den Beiden, ihm zu folgen. -


Wir treten vor dem Major und seinem Knaben eine Viertelstunde vorher in dies Haus.

Im hohen Parterregeschoß, zu dem eine steinerne Vorsprungtreppe führte, befand sich zur linken Hand des entgegengesetzt den Berliner Neubauten ziemlich breiten Flurs eine kleine Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern und einer Küche.

Die beiden Zimmer, nicht hoch, aber geräumig, waren elegant möblirt - man sah auf den ersten Blick, daß die Hand eines Tapezirers der Aristokratie, wie Hiltl oder Limann, hier ohne

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die bürgerliche Rücksicht auf Kosten das Ensemble geschaffen, daneben aber in den kleinen zierlichen Einzelnheiten, den Stickereien, den Blumen am Fenster, dem muntern Kanari in seinem Messingbauer und den hundert Kleinigkeiten, welche die eleganteste Dekoration erst wohnlich und gemüthlich machen: daß hier eine Frauenhand schaffte und webte.

Während das vordere Zimmer mit seinem Mobiliar einen kleinen Salon oder ein bequem für Männer- und Frauenbedürfnisse eingerichtetes Wohngemach bildete, war das zweite zum Boudoir der Bewohnerin eingerichtet. Ein breites Bett mit Vorhängen erhob sich etwas abseit von der Wand, ein weicher Teppich bedeckte den Boden, eine hübsche Toilette stand auf der Marmorplatte des Tisches und im Winkel des Gemachs eine neue vollständig eingerichtete Wiege.

Diese Wiege war leer, sie erwartete erst das Pfand, das sie aufnehmen sollte, und die junge künftige Mutter, die mit so vieler Sorgfalt und Liebe dies Lager bereitet - sie stand jetzt an dem Lager Eines, der ältere Rechte an ihre Liebe hatte, als das Pfand in ihrem Schooß, das Einzige, was ihr von ihm bleiben sollte auf Erden.

Die bunten Gardinen des Bettes, die so oft das stille Liebesglück in ihre verschwiegenen Falten verschleiert, waren zurückgeschlagen, - auf der weißen weichen Decke lag lang hingestreckt die Leiche eines Mannes. Das Gesicht - von der Hand des Todes nicht entstellt, wie dies bei Schußwunden der Fall zu sein pflegt - war kräftig und hübsch geformt, und zeigte, daß der Todte in der Vollkraft der Jugend gestanden. Der braune Schnurrbart stach gespenstig von der bleichen Farbe dieses Gesichts ab, die nur durch die blauen blutigen Ränder einer Wunde quer über die Stirn unterbrochen wurde. Der Mund war fest geschlossen, die Brauen noch im Tode drohend zusammengezogen, gleich als zürnten sie dem Verrath, der ihn gefällt.

Man hatte dem Todten die Uniform ausgezogen, sie lag mit geronnenem Blut bedeckt am Boden, ebenso der treue Säbel, welcher der erstarrten Hand erst hatte entwunden werden müssen. Das zurückgeschlagene Hemd zeigte auf der entblößten, kräftig

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gewölbten Brust einen kleinen runden, bereits schwarzen Fleck, von dem bläulich graue Strahlen verliefen.

Es war die Todeswunde, die der junge Soldat in Vollziehung seiner Pflicht empfangen - die Büchsenkugel war so nahe an den edelsten Theilen des Lebens in die Brust geschlagen, daß es nicht mehr des Hiebes über die Stirn bedurft hatte, dieses kräftige junge Leben zu enden.

Die Thüren zwischen beiden Zimmern waren geöffnet; nahe derselben im vordern Zimmer saß ein Mann - noch ziemlich jung, vielleicht dreißig Jahre, aber Lüderlichkeit und Abspannung hatten seinem Gesicht einen weit ältern Ausdruck gegeben. Die Stirn war niedrig und gedrückt, durch einen Wall von rothblonden Haaren noch verkürzt, die Augen, die etwas Mürrisches hatten, von braunen Rändern umgeben, tief unter der Wölbung der Brauen liegend, das Gesicht - bis auf jene Spuren nicht unschön - von einem dichten rothen Bart umgeben, der bis auf die Mitte der Brust herabhing. Der Mann, eine schwächliche mittelgroße Gestalt, war mit einer blauen Blouse bekleidet, trug auch im Zimmer einen dunkeln Calabreserhut mit einer rothen Hahnenfeder daran und hatte zwischen den Knieen eine Muskete. Von Zeit zu Zeit richtete sich sein unstätes Auge mit einer gewissen Scheu durch die Thür des Zimmers auf eine Frau, die regungslos an dem Fußende des Bettes stand, die Augen auf die Leiche geheftet.

Es war ein junges Weib von offenbar höchstens neunzehn Jahren, obschon in diesem Augenblick ihr schönes bleiches Gesicht durch den starren Ausdruck eines tiefen Seelenschmerzes und jene eigenthümliche Verwischung der feineren Züge, welche die >süße Strafe der Frauen< hervorzurufen pflegt, nicht in seiner vollen jugendlichen Frische und Schönheit zum Ausdruck kam.

Prachtvolle Haare vom schönsten Blond umgaben das mehr gerundete als ovale Gesicht, zwei Flechten, handbreit, von denen aber nur die eine diademartig um die freie reine Stirn locker geschlungen war, während die andere, halb gelöst, wirr über Schulter und Busen niederhing, und eine Menge sonst so reizend geringelter langer Locken zu beiden Seiten der Schläfe jetzt schlaff und feucht niederfielen.

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Man sah, daß die schönen, nur etwas starren lichtblauen Augen - das Zeichen einer stillen, aber gewaltigen Energie - keine jener Thränen mehr zu vergießen hatten, deren Spuren noch auf den bleichen Wangen lagen. Selbst die vollen, üppig zum Genuß gewölbten Lippen des etwas sinnlichen Mundes hatten ihren dunkeln Karmin verloren und erschienen fahl und matt.

Die Gestalt des Mädchens - denn ein solches war es, obschon sie die Spuren weit vorgerückter Schwangerschaft trug - war groß und üppig geformt, ihre Büste und die Wölbung der Hüften von einer wahrhaft junonischen Schönheit. Das Kleid, das sie trug, zeigte die Spuren höchster Unordnung, gegen welche die Aufregung des Geistes gleichgiltig macht, und war über und über mit Blut befleckt.

»Höre, Malchen,« sagte der Mann schmeichelnd, der trotz der Verschiedenheit der Gesichter doch eine gewisse Familienähnlichkeit mit dem Mädchen zeigte - »Du könntest wohl etwas herausrücken, damit ich mir einen Trunk holen könnte - vielleicht findet sich auch noch ein Schluck in Deinem Schrank. Gieb mir den Schlüssel, Kind, oder Geld!«

Das Mädchen achtete nicht auf die Worte - keine Fiber ihres Körpers rührte sich - sie schien gar nicht gehört zu haben, daß zu ihr gesprochen worden.

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich die ganze Nacht eine solche Leichenwache halten kann, ohne eine billige Herzstärkung,« fuhr der Mann unwirsch fort. »Sei vernünftig, Male, Deine Art weckt Den da doch nicht wieder auf, und es wird Einem ganz unheimlich so in Gesellschaft von Zweien, von denen man nicht weiß, wer eigentlich der Todte ist! Ich muß etwas zu trinken haben.«

Er stieß mit dem Kolben des Gewehrs auf den Fußboden - die Frau wandte ihr bleiches Gesicht langsam nach ihm hin und der gläserne Blick starrte ihn unheimlich an.

»Das Haus des Todes ist kein Wirthshaus - geh' fort von hier!«

Die Worte klangen so ruhig, so tonlos, wie mechanisch, ohne jede Erregung des Gefühls.

»Das hast Du gut sagen - zum Vergnügen bin ich nicht

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hier und wäre viel lieber draußen bei den Kameraden, bei denen es lustig nach der Anstrengung von gestern hergeht. Ich denke, mir gebührt auch mein redlich Theil! Aber ein ehrlicher Kerl hält sein Wort, und ich habe versprochen, die Nacht über Dich und ihn zu wachen. Dann giebt mir Herr Meißner morgen früh zwei Thaler, und die kann ich brauchen, denn ich habe keinen Pfennig mehr, und Amanda kümmert sich keinen Pfifferling um mich, wenn ich ohne Moneten bin.«

»Geh' - ich brauche Dich nicht! Gottlieb ist bei mir!«

»Na, wer weiß, ob er wiederkommt, er wird es auch für das Beste halten, seine Haut in Sicherheit zu bringen, wie die Anderen. Es könnte ihm und Dir schlimm gehen, wenn man erführe, daß ein Soldat sich hier versteckt hält. Ueberdies bist Du doch meine Schwester, und ich kann Dich nicht verlassen in Deinem Unglück, obschon Du's wahrhaftig nicht verdienst für die Schande, die Du über die Familie gebracht hast!«

Brust, Hals und Gesicht der Trauernden färbten sich einen Augenblick lang mit dem Purpur des aufwallenden Blutes. »Schande? - ich - über Dich?« zitterte sie mit einem flammenden Blitz des Auges. »Ueber meine Familie? - Wo ist sie - außer Dir Verächtlichem?«

»Nun - ich meine nur, wir sind doch ehrlicher Leute Kinder, und bei der Erziehung, die Du gehabt - und jetzt ... «

Er machte eine freche bezeichnende Bewegung.

»Wer hat sich je um mich bekümmert, seit meine arme Mutter starb, als ich kaum fünf Jahre alt war,« fuhr das Mädchen mit einer gewissen stolzen Würde fort - »etwa Du, der Du zehn Jahre älter warst und selbst froh, als Lehrling in die Werkstätte zu kommen? Wer fragte meinen Willen, als man mich zum Schooßhund des reichen Mannes machte, blos weil diese Haare so golden waren, wie die seines verstorbenen Kindes? - Es ist wahr, er war gut gegen mich, und putzte mich und gab mir Lehrer weit über meinen Stand hinaus - aber was that all' die verschwendete Güte, als nur mich dann desto tiefer den Fall und die Kluft fühlen zu lassen, die mich von den Glücklichen der Erde trennte! Wurde das, was sie eine Wohlthat, ein Glück nannten, nicht zur bittern Grausamkeit für mich, als

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der alte Mann, der mich als Spielzeug genommen, vom Schlag gerührt an der Tafel der Ueppigkeit, todt in sein Haus gebracht wurde, und die harte Hand des Menschengesetzes, die nur gelten läßt, was in ihren Akten schwarz auf weiß geschrieben steht, mich aus diesem Hause jagte - mit neuen Ansprüchen an's Leben, und dennoch - ein halbes Kind noch! - unfähig, sie zu erfüllen!«

»Das kommt davon, wenn Handwerkers-Töchter, wie Du, Franzö[si]sch lernen,« sagte der liebenswürdige Bruder gleichgiltig, indem er sich eine neue Cigarre ansteckte. »Aber habe ich nicht wie ein rechtschaffener Verwandter an Dir gehandelt, als Du in der Patsche saßest, und Dich in der Buchdruckerei als Maschinenmädel angebracht?«

Das schöne Madchen sah ihn mit Schaudern an. »Wehe der Aermsten,« sagte sie, die Hand erhebend, die in solche Gesellschaft geräth - sie ist verloren für ewig! Zehn Mal lieber dienen als die niederste Magd, als noch ein Mal die Hölle jenes halben Jahres erleben!«

»Bah! ist Dir's etwa besser gegangen, als Du eine Nähterin wurdest und bei dem Talglicht Nacht um Nacht Dir die Augen verdarbst?«

Sie faltete die Hände über die Brust. »Es ist wahr, Franz, ich war ein armes Geschöpf, und meine Thränen haben oft genug das trockene Brot befeuchtet, das ich in meiner kalten Dachkammer aß. Aber ich war frei und ehrlich, und der Schmerz und die Noth gehörten mir allein! O, die Menschen sind hart, und nur Einen gab es, der gut und freundlich gegen mich war, gegen mich, das Mädchen aus dem Volke, und diesen Einen habt Ihr, die Ihr Euch das Volk nennt, ermordet

Der Mann wollte hastig Etwas entgegnen, unterdrückte es aber. »Du siehst, zu was er Dich gemacht hat!« sagte er giftig.

Sie warf ihm einen Blick unaussprechlicher Verachtung zu. »Was ich ihm gab, gab ich ihm freiwillig, aus der Tiefe meines Herzens, nicht für sein Gold, seine schönen Kleider und all' diesen Reichthum um mich her, nicht wie Tausende meiner armen Schwestern thun, - deren junges Herz es nicht ertragen kann, die

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Freude, den Glanz und die Lust zu sehen, und zu darben an dem harten Brod und zu frieren in dem dünnen Kleid!«

»Champagner und Austern sollen freilich besser schmecken,« murrte der Bruder, »obschon ich nicht darüber urtheilen kann, und in Sammet und Seide ist ein anderes Leben, als im Kattunrock!«

Amalie schlug das Auge nach oben - sie schien mehr mit sich selber zu reden, als mit dem Manne vor ihr.

»Man nennt diese große Stadt die Stadt der Wohlthätigkeit und der guten Herzen,« fuhr sie mit schmerzlicher Bitterkeit fort. »Man baut Krankenhäuser und gründet Herbergen für die Gefallenen! Die >sittlich verwahrlosten Kinder< werden erzogen, die Waisen von klein auf bewahrt und genährt und gelehrt! man steppt Kragen und stickt Spitzen zum Besten verschämter Armen, die diese selber kaufen und tragen - man sammelt Tausende für die Erziehung der Heidenkinder in China oder am Kap! aber das ist noch Keinem von all' den Menschenfreunden eingefallen, die in der Vossischen Zeitung jeden Groschen ihrer Gaben gedruckt lesen müssen, noch keiner der vornehmen müßigen Damen, die sich den Himmel erstürmen wallen mit Perlen und Canevas für die wohlthätigen Weihnachtsausstellungen, - daß es so leicht wäre, Hunderte junger Geschöpfe, die gern arbeiten, die gern brav und unschuldig bleiben möchten, vor dem Falle zu retten und ihre Herzen und ihre Körper zu bewahren vor dem Verderben, das sie in's Arbeitshaus und zur Charite oder zu den Höhlen der öffentlichen Schande führt!«

»Willst Du vielleicht, daß die vornehmen Leute ein Kloster für die Nähtermamsells bauen?« fragte der Bruder höhnisch.

Sie war ihm nahe getreten und hatte die Hand auf seine Schulter gelegt - vielleicht seit der Kindheit war sie nicht so freundlich und milde zu ihm gewesen, wie sie jetzt zu ihm sprach. Die Starrheit des tiefen Seelenschmerzes schien sich zu lösen in den Gedanken, denen sie nachhing. »Sieh, Franz,« sagte sie zutraulich, »ich dachte so oft bei mir, wie leicht müßte es sein, eine Anstalt, einen Verein aus all' den reichen Gaben zu gründen, die hier für die Sühne der Sünden, verschwendet werden, um junge Mädchen, die ihr Leben mit ihrer Handarbeit fristen, wirklich

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zu unterstützen. Nicht Hunderte, nein, Tausende der armen Geschöpfe verdienen mit dem angestrengtesten Nähen, Häkeln und Sticken drei - vier - höchstens fünf Silbergroschen täglich. Davon sollen sie Wohnung, Nahrung, Holz und Licht bezahlen, und sich kleiden! Es ist unmöglich - während ein kleiner wöchentlicher Zuschuß, Jeder gegeben, die nachweis't, daß sie rechtschaffen arbeitet, ihr den Lebensunterhalt ermöglichen könnte, der von jenem Verdienst nicht zu schaffen ist. Nicht der kleinste bescheidenste Wunsch der Jugend - ja, nicht das nackte Leben ist davon zu bestreiten - und wie gar nun erst, wenn ein so armes Wesen krank wird, nicht elend und siech, daß die Polizei sie in's Krankenhaus schickt, sondern leidend und duldend, hinschwindend ihre Kräfte, daß sie selbst das Wenige nicht mehr verdienen kann, was bisher der eiserne Fleiß und das Opfer der Nächte noch erworben!«61

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Der Mann sah finster vor sich hin. »Geht's uns vielleicht besser?« fragte er. »Aber ich kenne viele Mädels, die ein ganz gut Geld verdienen mit Schneidern, Putzmachen und solchen Dingen!«

»Das sind die Glücklichen unter den Vielen. Nicht Alle können es erschwingen, das Nöthige zu lernen, ehe sie eintreten in diese Bahn, Anderen fehlt es an Geschick und Geschmack. Und siehst Du denn in die Herzen jener Glücklicheren - weißt Du, mit welchen geheimen Opfern, mit welcher geheimen Schande gar manche von ihnen das geringe Mehr, die äußere Existenz erkauft haben?«

»Es ist Alles Eins! Die Eine thut's deswegen, die Andre auf andre Weise. Wenn Du so klug redest, warum bliebst Du nicht in Deiner Dachkammer?«

»Er liebte mich, Franz! er allein auf der Welt, nicht die Anderen, die mit Anträgen mich verfolgten, weil sie sagten, daß ich schön wäre, und mich dann verstoßen hätten zu dem großen Haufen, wenn sie ihrer Lüste überdrüssig geworden. Er liebte mich und ich liebte ihn seit jenem Tage! Wie heute steht es noch lebendig vor meiner Seele - das große Manöver draußen auf dem Tempelhofer Felde. Wir waren hinausgegangen, ich und zwei Mädchen aus dem Magazin, für das ich nähte; - des lieben Gottes Sonnenschein und der schöne Anblick war ja ein so billiges Vergnügen, das wir arme Geschöpfe uns machen konnten. Wir waren weit vorgekommen auf der Chaussee mitten im Gedräng, der Staub verhüllte Alles - da erscholl plötzlich der Ruf: »Die Kavallerie kommt - fort! fort!« und auseinander stürzte die Menge - der Eine dahin, der Andere dorthin. Ehe ich mir's recht bewußt war, flüchtete ich allein - ohne Gedanken, wohin. Plötzlich hörte ich's hinter mir donnern, als wenn die Erde bebte - Kommandorufe - Trompetensignale - näher und näher! Ich glaubte wahnsinnig zu werden vor Angst und fühlte die Kniee unter mir brechen, dennoch stürzte ich weiter, - wie ich später gehört, der Kolonne gerade entgegen - Reitergestalten

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stoben an mir vorüber in den Staubwolken, in meinen Ohren dröhnte es - der Boden unter mir erzitterte - ich fiel auf die Knie und schrie laut auf, als ein dunkler Körper an mir vorbeisauste. »Unsinnige - Du bist verloren!« Die Hand ließ die Pistole fallen und packte meine gefalteten Hände - ein gewaltiger Ruck, daß mir die Arme aus den Gelenken zu gehen schienen, dann lag ich quer über dem Sattelknopf des bäumenden Pferdes und im Carriere jagte es davon, keine fünfzig Schritte hinter den Plänklern die geschlossene Kolonne im rasenden Galopp.

»Da[Da] - als wir aus der Wolke von Staub brachen und mein Retter querfeldein zur Chaussee jagte und mich niedersetzte im Schutz des Baumes unter dem Jubelruf und dem Klatschen der Menge - da, Franz, da sah ich zum ersten Male in das Auge, das jetzt geschlossen ist für immer! da sprach das erste freundliche Wort zu mir jene bleiche Lippe, die so oft warm auf der meinen geruht, und nimmer - nimmer wieder mich rufen wird!«

Die erschütterte Natur brach sich Bahn in einem heißen Thränenstrom, krampfhaft schluchzend lag das schöne Mädchen an dem Stuhl des wüsten Menschen - ihres einzigen Verwandten auf der Welt.

Der Bruder kraute sich verlegen, unwirsch den Bart. »Es ist wahr,« murrte er endlich, »es war ein teufelsmäßiges Reiterstückchen! Renz selber hätte es nicht besser machen können! Aber was thut's - dafür hat er Dich doch zur Hure gemacht und Du wirst jetzt mit dem Bankert ohne Namen und Alimente dasitzen!«

Das Mädchen sprang empor und schüttelte wild die thränenfeuchten Locken zurück. »Abscheulicher - ich wäre sein Weib öffentlich - wie ich's vor Gott bin - wenn er's bereits gekonnt hätte!«

»Seine Frau - Du eine Edeldame! Du bist verrückt! Man kennt die Redensarten, womit sie Euch ködern.«

»Bube! Du willst ihn zum Lügner machen in seinem Grabe?« Sie flog zum Secretair, der an der Wand des Vorderzimmers stand - die Schubfächer flogen auf, dann das geheime Fach der Mitte. Begierig folgten ihr die Augen des

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Mannes, als sie aus dem Kasten ein Papier zog und es an die Brust drückte. »Er meinte es ehrlich mit dem armen Mädchen, wenn er auch ein vornehmer Herr war! In einem halben Jahre war er mündig - dann erhielt er das Erbtheil seiner Mutter und wir zogen fort, weit weg von hier, wo andere Menschen wohnen, die nicht stolz sind auf den Namen von Jahrhunderten, sondern gelten lassen den lebenden Menschen, wie er ist. Dies Papier gab er mir am Tage, als ich ihm sagte, daß ich das Pfand seiner Liebe unter'm Herzen trug, und es soll das Erbtheil Deines Kindes sein, Ferdinand, wenn uns Beide die Erde deckt!«

Sie warf achtlos das Papier zurück auf den Secretair und sich schluchzend am Lager des Todten nieder, dessen Hand sie mit Küssen bedeckte.

»Na - das ist gut, wenigstens kannst Du dem Alten mit dem Papier da eine hübsche Summe herauszwacken. Im Grunde war er eine gute Haut, es that mir leid genug, als ich ihn stürzen sah. Ich hoffe, der Lump, der ihn schoß, geräth mir noch ein Mal unter die Hände, und dann will ich's ihm anstreichen!«

»So kennst Du ihn - so warst Du dabei?« Sie richtete sich empor - ihre Augen glühten wie Flammen auf den Bruder.

»Nun freilich - ich erzählte Dir's ja - aber Du hörtest nicht. Keine fünfzig Schritt war ich von ihm.«

»Wer that den Schuß?«

»Je nun,« brummte ausweichend der Mürrische, den es ärgerte, sich verschnappt zu haben, »irgend Einer von der Barrikade oder aus den Häusern; vielleicht kennst Du ihn gut genug!«

Sie hatte sich wie der Panther zum Sprunge auf seine Beute erhoben. »Wer that den Schuß, Franz? Du weißt, wie gütig er gegen Dich war - wie schändlich Du hinter meinem Rücken seine Güte gebrandschatzt hast, und niemals schlug er Dir's ab.«

»Das ist wahr, Malchen - ich komme mir wirklich manchmal wie ein recht schlechter Kerl vor - aber ich war's noch mehr, wenn ich einen von unsrer Seite verrathen wollte! Es ist ja egal nun - todt ist todt!«

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Sie war mit einem Sprung vor dem Secretair und riß eine Schublade auf. Ein Etui mit Schmucksachen stog zur Seite, dann brach sie eine Geldrolle mitten durch und reichte ihm die Hälfte.

»Nimm! aber den Namen! den Namen!«

Der wüste Mensch hatte mit habgierigem Blick dicht hinter ihr den Inhalt der kleinen Kasse verfolgt. »Ich kann es wirklich nicht thun, Male,« sagte er, »mein Gewissen ist mir für die Paar Thaler nicht feil und es taugt ohnehin zu Nichts!«

Sie schleuderte ihm die andere Hälfte der Rolle zu und stülpte den Inhalt der ganzen Lade in seine Blouse. »Nimm Alles - Alles - dies Geld - den Schmuck, aber bei der Mutter, die uns Beide geboren, beschwöre ich Dich - den Namen! - den Namen!«

Franz schüttelte den Kopf. »Ich kenne Dich, Male, Du hast im Grunde ein tückisch Gemüth und richtest ein Unheil an!«

»Was kümmert's Dich? Ich gab Dir Alles, was ich auf der Welt besitze - aber tausend Mal mehr würd' ich Dir geben für den Namen! Den Namen, Schurke, den Namen, oder ich tödte Dich!«

»Nun, im Grunde - was ist dabei? - er rühmte sich's heute Morgen ja öffentlich, und es muß doch Alles veramnestirt werden. Wenn Du's denn wissen willst - Dein alter Courmacher that's, der schöne Carl, der Dir so lange nachgelaufen ist. Es war eigentlich ein Eifersuchtsstückchen!«

Ihr Antlitz war aschfarben - das Auge starr, durchdringend auf ihn geheftet. »Weißt Du es gewiß?«

»Zum Henker, wenn ich Dir's sage,« murrte der Mann, in seiner Ehre verletzt. »Ich habe einen redlichen Handel mit Dir gemacht. Er stand über mir am Fenster und ich sah, wie er zielte. Als der arme Mensch gestürzt war und die Bursche über ihn herfielen, sagte er: »Der nimmt keinem Bürgerlichen die Mädels mehr weg!«

Langsam - mit einer Grauen erregenden Ruhe schritt das Mädchen zu dem Lager des Todten - nur in den Augen glühte ein dämonisches Feuer. Der rohe Bursche erbebte, als er sie so sah und zog sich unwillkürlich nach der Thür zurück.

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»Für mich also bist Du gestorben, Du, mein Geliebter, mein Gatte, für mich - die Arme - Niedere, die tausend Mal ihr Leben für das Deine geopfert hätte! So - weil ich's nicht geben kann dem Lebenden - will ich's geben dem Todten! Nur der Rache gehöre mein Dasein, wenn Dein Kind geboren, und wie jede Stunde ohne Dich mir zur bittern Qual wird, will ich jede Stunde dem Mörder mit allen Mitteln des Weibes zur Hölle machen auf Erden, bis er verzweifeln soll hier und in Ewigkeit!«

Die Linke auf der Todeswunde des Geliebten, streckte sie die Rechte betheuernd gegen den Himmel. Einen Moment lang schien das Weib aus Stein gehauen, so unbeweglich war ihre Gestalt - so weiß ihr Gesicht. Dann wandte sie sich zu dem Manne an der Thür. »Und jetzt hinaus mit Dir, Bube! fort von der Stätte des heiligen Todes! Genosse der blutigen Mörder und Mörder Du selbst!«

Die Geberde, mit der sie ihn von sich wies, war so erschütternd und so erhabenen Zornes, daß der wüste Mensch die Augen vor ihr niederschlug und nicht zu widersprechen wagte.

»Wenn Du mich brauchst, Malchen ... «

»Hinaus!«

Er verschwand. - Als er die Wohnung verließ, murrend über die bezeigte Schwäche, aber seine Beute wohl verwahrend, indem er die Muskete hinter sich drein schleppte, stieß er im Hausflur heftig an einen Mann, dem zwei andere Personen folgten.

»Donnerwetter - haben Sie keine Augen im Kopf, alter Narr?«

Statt der Antwort auf die Impertinenz fragte der Fremde nur mit gepreßter Stimme: »Wo ist es?« und eine dem Barrikadenkämpfer bekannte Stnnme antwortete: »Links - gleich die erste Thür!«

»Wenn Sie zu meiner Schwester wollen, Herr,« sagte der Arbeiter etwas weniger barsch - »das arme Wurm ist leidend und kann jetzt Niemanden nich sprechen!«

Der Fremde stieß ihn ungeduldig zur Seite und öffnete die Thür. Im Schein der Straßenlaterne erkannte der Mann unter der Hausthür den verkleideten Soldaten, Gottlieb, den Burschen

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des Todten und einen Knaben. Der Erstere winkte ihm bedeutsam, zu schweigen und zu gehen. Als er an dem Knaben vorüberging, maßen sich im Schein der Gaslaterne ihre Augen; der junge Mensch sah ihm scharf in's Gesicht, als wolle er sich die Physiognomie einprägen, und der Arbeiter erwiederte ebenso den Blick; dann verlor er sich hastig in den jetzt öde werdenden Straßen. -


Der Major hatte die Thür geöffnet und war eingetreten in's Zimmer, Gottlieb und der Knabe folgten ihm.

Der alte Mann blieb am Eingang eine Weile stehen, - es dunkelte ihm vor den Augen, all' der Vaterschmerz - der erhabenste auf Erden um das todte Kind - kam über ihn, seine Hand griff umher nach einer Stütze und er blieb eine Zeit lang an der Stuhllehne, die er erfaßt, ehe er die Umgebung erkennen und seine Fassung wiedergewinnen konnte.

Durch die offene Thür sah er im zweiten Zimmer das Bett - auf diesem Bett ausgestreckt eine Gestalt - er fragte nicht weiter, er stürzte dorthin und stand an der Leiche seines Erstgeborenen. Erhabener Schmerz des Vaters, der Mutter am Todtenlager des geliebten Kindes! Du, so ganz rein von den Schlacken der irdischen Leidenschaften und ihrem Egoismus - je tiefer, desto ehrwürdiger bist Du!

Der alte Mann erfaßte die Hand des Todten und beugte sich über ihn - Thränen - die salzige Kost des Schmerzes! - perlten Tropfen auf Tropfen langsam über die gefurchten Wangen - der Todte vor ihm war das einzige Erbe des Weibes seiner Jugendliebe, die auch längst im Schatten der alten Linden schlief auf dem Kirchhof seines Dorfes.

Laut schluchzte der Knabe am Lager des Bruders, dessen ritterlich heiteres Wesen er mehr geliebt, als selbst die beiden rechten Geschwister - im Winkel stand der Soldat und greinte, daß ihn der Bock stieß.

»Der Herr hat ihn gegeben - der Herr hat ihn genommen! Sein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden!«

Ein tiefer Seufzer antwortete hinter den Vorhängen des Lagers der Liebe und des Todes her dem Gebet - der Major

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richtete sich empor, sein graues strenges Auge fiel auf die knieende Frauengestalt.

»Wer ist diese Person?« fragte er streng den Soldaten. »Was thut sie bei dem Todten?«

»Gnädiger Herr - es ist - es ist - « stotterte der Bursche. »Sie wissen ja schon! Ach Gott, sei[e]n Sie gnädig mit ihr - ich kann nichts davor!«

Das Mädchen richtete sich empor. »Ich bin seine Wittwe, Herr,« sagte sie ruhig und fest.

»Und ich bin sein Vater und werde auf dem Namen eines Röbel selbst in seinem Grabe keinen Flecken dulden.« Die Stimme des alten Edelmannes klang noch rauher wie seine Worte. »Ich sehe, wie die Dinge hier stehen und wo das viele Geld geblieben ist. Das erklärt mir Manches. Sei Sie so gut, uns einige Augenblicke in diesem Zimmer allein zu lassen - ich habe mit dem Todten zu thun. Dann werde ich mit Ihr weiter sprechen!«

Er wies befehlend nach der Thür - langsam, kalt, ohne eine Bewegung des Widerstrebens schritt das Mädchen hinaus. Auf einen Wink des Majors schloß der Soldat die Thür.

»Jetzt komm hierher!«

Zitternd trat der Bursche dem Bett näher, zu dessen Häupten sich der alte Edelmann gesetzt hatte, das Auge auf den Todten geheftet, während der Knabe noch immer weinend zu dessen Füßen kniete.

»Steh' auf, Otto, und höre, wie ein Röbel gestorben ist. Jetzt, Mann, rapportire, wie kam es.«

Unwillkürlich legte der Gottlieb salutirend die Hand an die Stirn, als stände er vor seinem vorgesetzten Offizier. »Wir standen man zwei Escadrons auf dem Platz, als der Befehl kam, zum Transport von die Gefangenen Unterstützung nach die ... straße zu schicken, wo das erste Bataillon von Seiner Majestät zweitem Königsregiment mit dem Bayonnet die Barrikaden der Rebellen nehmen thäte. An die Ecke der ... straße stand wieder eine große Barrikade aus Wagen, Fässern und Steinen, und der Angriff war schonst zwei Mal zurückgeschlagen worden, denn die Leute schossen man aus die Fenster und warfen mit Steinen. Es war's Kommando jegeben, ein Jeschütz herbeizuholen und die

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Artilleristen protzten ab zwei Viertel hinter uns. Da erhielt der Junker die Ordre, mit 'nem Trompeter vorzureiten, dem Gesindel unter die Nase, und es aufzufordern, ruhig nach Hause zu jehn, eh wir Ernst machten. Ich sah, wie der gnädige Junker mit der Hand winkte, - aber er konnte den Mund noch nich ufjethan haben, als er die Arme in die Luft streckte und von's Pferd fiel.«

Ein Schluchzen quoll die Kehle des armen Burschen herauf, und, erstickte seine Stimme.

»Weiter!« befahl tonlos der alte Offizier.

Gottlieb räusperte sich. »Es hatte so ein nichtswürdiger Kerl aus dem Fenster geschossen,« fuhr er fort, - »ick habe den Rauch noch jesehn. Der Junker hatte genug, es war wahrhaftig nich nöthig, deß die Halunken noch über die Barrikade sprangen und ihm den Hieb über den Kopp jaben. Aber ich habe den schwarzbraunen Schurken mir jemerkt, und wenn ick ihn wiedertreffe ... «

»War der Ferdinand zur Stelle todt?«

Der Soldat wischte sich die Augen mit dem Aermel seines Flausches. »Der Trompeter hat mich nachher erzählt, er hätte ihn sagen hören: »Ach Iott! ach Iott!« als er vom Pferde stürzte, ehe er selbsten davon ritt. Als wir herankamen und ich ihnst aufhob, zuckte er nich mehr!«

Der Major faltete die Hände. »So ist er gestorben, wie ein braver Soldat und wie ein Sohn seines Hauses. Der Tod sühnt alles Andere! Laßt uns beten für seine Seele!«

Kein Laut war hörbar, als das leise Murmeln der Betenden und das unterdrückte Schluchzen des Knaben. Die Astrallampe auf der Kommode zur Seite warf ihren weißen geisterhaften Schein auf die Gruppe der Lebenden und das Angesicht des Todten.

Der Major erhob sich und küßte die Stirn der Leiche.

»Otto, mein Sohn, tritt her zu Deinem Bruder!«

Der Knabe gehorchte.

»Sieben Röbel,« sagte der alte Edelmann langsam, »sind gefallen gegen den Feind bei Jena, Görschen und Ligny für den König und das Vaterland. Ich bin der Letzte mit meinen Söhnen

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vom Geschlecht Derer von Röbel. Der hier liegt, ist der Erste, der gefallen ist von der Hand seiner Landsleute. Aber wenn der Schild mit den Adlerflügeln und dem Baum auch über meinem Grabe zerschlagen werden müßte, so lange ein Röbel lebt, soll er für das Königthum stehen!«

Er nahm die Hand seines Jüngsten und legte sie auf die Todeswunde des Gefallenen.

»Hier, Knabe,« sprach er feierlich, »schwöre mir auf diese Wunde, die der Verrath geschlagen, daß Du, zum Manne geworden, den Tod Deines Bruders rächen willst im Kampf gegen die Revolution, wo immer auch sie ihr blutiges Haupt gegen den rechtmäßigen Fürsten erhebt. Schwöre es bei dem Namen Deines Hauses und auf das Evangelium!«

»Ich schwöre es,« sagte der Knabe mit fester Stimme.

Der alte Edelmann nahm seinen blonden Lockenkopf zwischen die Hände und küßte ihn auf die Stirn. »So weihe ich Dich zum Kämpfer des Königthums von Gottes Gnaden und zum Feinde der Revolution. Die Rache ist des Namens von Röbel würdig!«

Eine Thräne - die letzte - fiel auf seine reine Stirn. Der Knabe küßte die Hand seines Vaters und dann die Brust des todten Bruders.

Zwei Schwüre der Rache waren gethan am starren Leichnam - das Mädchen seines Herzens hatte Vergeltung gelobt dem Mörder; und die entfesselte Dämonennatur des Weibes sollte ihr Wort lösen, zu Boden tretend Alles, was bisher ihr lieb und werth gewesen, den Schwur zu halten!

Und dort - der alte Mann, in dem der Vater aufging in dem preußischen Edelmann: - das Princip war es, dem er den klirrenden Handschuh entgegen schleuderte, dem er den neuen Kämpfer weihte, nachdem der erste gefallen, - nicht die Verfolgung des einzelnen Mörders! -

»Du wirst nach dem Kahn gehen, Gottlieb,« befahl der Major, - »und einen der Bootsleute hierher führen. Bringt das Brett aus dem Kahn mit Euch und Stricke. Begleite ihn, Otto, oder bleib vor der Thür. Was ich hier noch zu verhandeln habe, paßt nicht für Deine Ohren.«

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Er ging nach der Thür und legte die Hand auf die Klinke. Der Soldat fiel auf die Knie. »Euer Gnaden, Herr Major,« sagte er greinend, - »machen Sie's man jnädig mit ihr - um des jungen Herrn willen.«

Der alte Offizier sah ihn finster an. »Narr - in was mengst Du Dich? Thu', was ich Dir befohlen!« Er öffnete die Thür und trat in das vordere Gemach.

Der Soldat schlich wie ein eingeschüchterter Hund hindurch und verließ das Haus, der Junker folgte ihm; aber ein so tiefes Mitleid mit dem jungen Mädchen, das er im Hindurchgehen starr und theilnahmlos auf einem Sessel sitzen sah, beschlich sein junges Herz, obschon er noch kaum ihr Verhältniß zu dem todten Bruder zu verstehen vermochte, daß er sich weigerte, Gottlieb zum Wasser zu begleiten, und an die Hausthür gelehnt, lieber zurückblieb.

Ein Mann stieg die Stufen herauf - eine warme Hand drückte die seine. »Gott sei Dank, daß ich Dich allein treffe, Otto!«

»Du bist's, Rudolph! Um Himmelswillen, daß Dich der Vater nicht hört. Er ist sehr zornig gegen Dich!«

Es war in der That der Student, der dem Major und dem Knaben im Schloßhof an den blutigen Leichen der Barrikadenkämpfer begegnet war, aber er hatte jetzt die klirrenden Waffen und äußeren Abzeichen abgelegt und sich in einen Mantel gehüllt.

»Darum eben schlich ich um's Haus, Dich oder Gottlieb zu treffen,« sagte der Student. »Vor Allem - wie geht es zu Hause und was macht Rosamunde?«

»Der Schmerz liegt über Allen,« erwiederte der Knabe, - »das Band ist zerrissen, das uns zusammenhielt, und die arme Schwester wird noch mehr weinen, wenn sie hört, was Du gethan, um Dich von uns zu trennen. O Rudolph, wie konntest Du ihm mit den Waffen gegenüber stehen, der Dich so sehr liebte, und vielleicht die Kugel senden helfen in sein treues Herz?!«

Der Student zuckte schmerzlich zusammen und strich mit der Hand dann über die Stirn. »Knabe,« sagte er heftig, - »ich liebte ihn, wie Du ihn nur lieben konntest, ich liebte ihn wie meinen Bruder, und willig hätte ich mein Leben gegeben für

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das seine. Aber was weißt Du von dem großen Streit der Principien, die uns trennten! Du hörst nur die starre, einseitige Meinung Deines Vaters und begreifst nicht, wie der thatendurstigen Jugend die Brust schwellt, wenn sie den Flügelschlag der neuen Aera hört, die heraufsteigt für das Vaterland. Ein freies, großes, einiges Deutschland, eine Nation, die würdig ist, selbst über ihr Wohl und Wehe zu entscheiden, Freiheit des Menschen und der Entwickelung seiner Kräfte, nicht länger eine schnöde Herrschaft des Aberglaubens, des Reichthums und der Geburt!«

Der Knabe schüttelte trübe den Kopf. »Du gehst andere Wege wie wir, Rudolph,« sagte er schmerzlich. »Ich bin noch zu jung, um zu entscheiden, wo das Wahre und Rechte liegt, aber ich meine, wo Männer wie Dein Vater und der meinige einig sind, da könnte wenigstens nichts Unrechtes sein, und über Mord und Empörung kann unmöglich der Weg zum Guten führen!«

»Das Blut, Knabe, ist von jeher die furchtbar nothwendige Taufe alles Großen in der Menschengeschichte gewesen!«

»Wohl - so sei es! Du hast gewählt; Ferdinand, Dein Freund und Bruder, ist erschlagen von Deinen neuen Freunden - der Kummer Deines armen Vaters - der Schwester Thränen, die so aufrichtig an Dir hängt - Alles wiegt Nichts gegen das, was Du Dir gewählt. Gehe Deine Wege, wir werden die unseren gehen. Ich bin ein Röbel - ein Knabe noch, wie Du sagst - aber Du sollst erfahren, daß diese Stunde mich zum Manne gemacht hat. Fortan ist eine Kluft zwischen uns und Allem, was dieser Revolution anhangt; und wann die Zeit gekommen, werd' auch ich Dir gegenüber stehen!«

»Das walte Gott - es war genug an dem Einen! O, Otto! - mein Herz ist zerrissen, aber ich kann nicht anders, denn ich bin ein Sohn meines Vaterlandes und seine Freiheit ist seiner Kinder heilige Pflicht. Grüße Rosamunden und sage ihr - sage ihr, daß, was uns auch trennen mag, der Freund ihrer Jugend sie nie vergessen wird.«

»Horch!«

Ein schmerzlicher wilder Aufschrei, aus dem Zimmer zur Linken kommend, unterbrach ihre Unterredung.

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»Da drinnen,« sagte der Student mit Bitterkeit, »geht etwas vor, das auch zum Kapitel der Standesherrlichkeit und der unterdrückten Menschenrechte gehört. Dein Bruder war ein Demokrat wie wir, auch wenn er die Uniform trug, denn seine Liebe war beim Volke! - Möge Gott Deinem Vater das Herz nicht anrechnen, das er da drinnen zerreißt!«


Der Major von Röbel war unruhig einige Male im Zimmer auf- und abgeschritten - er vermochte einen gewissen Einfluß nicht abzuschütteln, den das Wesen des Mädchens vor ihm auf ihn ausübte.

Endlich unzufrieden mit sich selbst, zeigte er sich in diesem Gefühle noch rauher, strenger, als er vielleicht anfangs beabsichtigt. Er trat auf die Unglückliche zu.

»Wie heißt Sie?«

»Amalie Günther.«

»Wer waren Ihre Eltern?«

»Ehrliche Handwerker, Herr; ich selbst eine Näh[t]erin, die für die Leinengeschäfte arbeitete.«

»Da hat Sie ein ehrlich Stück Brod mit einem schlechten Gewerbe vertauscht! Sie weiß jetzt, wer ich bin - und ich sehe, wie hier Alles zugegangen ist. Sie war die Maitresse meines Sohnes. Sind die Möbel hier gemiethet oder - Ihr Eigenthum?«

»Ihr Sohn hat sie gekauft.«

»Sie mag behalten, was er an Sie verschwendet hat. Ich denke, damit werden Ihre Ansprüche genügend bezahlt sein.«

Das Mädchen stand auf. »Herr,« sagte sie ruhig, »ich habe eine Pflicht zu erfüllen gegen das Erbe Ihres Sohnes unter meinem Herzen, sonst würde ich Sie bitten, alle diese Sachen fortnehmen zu lassen.«

»Ich sehe, daß Sie schwanger ist,« - sprach der Edelmann hart. - »Bei Frauenzimmern Ihres Schlages braucht man nicht zu untersuchen, von Wem? Sie nimmt den Besten - und Der da drinnen muß geduldig herhalten? Ich werde meinen Advokaten beauftragen, wenn das Kind geboren ist, Ihr die gewöhnlichen Alimente auszuzahlen. Sie mag sich an ihn wenden - hier ist seine Adresse. Aber ich bitte mir aus, daß Sie mich

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und die Meinen in keiner Weise weiter molestirt und den Namen von Röbel nicht mehr in den Mund nimmt.«

»Das Kind, mein Herr, das ich gebären werde,« entgegnete die Beleidigte unbeweglich, »ist das Kind Ihres Sohnes, und es wird auf seinen Namen getauft werden.«

Das Gesicht des alten Edelmannes wurde wie mit Blut übergossen und er machte im ersten Augenblick eine drohende Bewegung gegen das Weib. »Unverschämte! wage es - das Kind einer öffentlichen Dirne meinen Namen! - Doch - es ist unnöthig, daß ich mich aufrege, für Frauenzimmer Deines Gelichters werden die Freiheitshelden draußen auf den Gassen doch wohl noch das Arbeitshaus gelassen haben!«

»Ihre Beleidigungen, Herr,« - entgegnete das junge Weib kalt, - »kann ich nicht erwiedern. Sie sind der Vater dessen, der selbst im Tode noch mein Gott ist auf Erden. Wäre er lebendig, so würde er Ihnen sagen, daß er selbst dem Kinde das Recht auf seinen Namen gegeben, und daß Sie sein Weib schmähen, das diesen Namen getragen haben würde, wenn er nicht eine starre Leiche da drinnen läge!«

»Lüge - lächerliche Lüge! Ein Röbel und die Schwester eines Barrikadenlumpen, die ihn vielleicht ermorden liest, um besser ihr Spiel zu treiben - eine Metze - «

»Halten Sie ein, Herr!« Die Gestalt der jungen Frau schien empor zu wachsen, ihr Auge maß sich furchtlos mit dem des erbitterten, tief verletzten Aristokraten. »Ich bin kein feiles Geschöpf, weil ich ein Herz hatte, so gut und treu, wie es Ihre vornehmen Damen nur haben können! Dies Herz gehörte Ihrem Sohne, Herr, und er wenigstens hat es verstanden, wenn es auch in der Brust eines armen und niedern Mädchens schlug. Gott schuf die Menschen gleich mit ihren Ansprüchen und Rechten auf das Glück - nur die Menschen selbst haben es anders gemacht und die Scheidewände erfunden. Der Aufruhr, der draußen durch die Gassen tobt und der sein Herzblut gekostet - er schwänge vielleicht nicht die blutige Fahne, wenn die Reichen und Vornehmen mehr bedacht, daß die Güter des Herzens den Menschen adeln, nicht der Zufall der Geburt. Sein Weib - nicht seine Maitresse war ich, wenn uns auch des Priesters Segen

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noch nicht getraut, und sein Wort hat er verpfändet, daß, wie sein Herz, er auch seinen Namen mit mir und dem Kinde theilen werde. Darum fordere ich ihn für das Kind - ich selbst bedarf seiner nicht, denn mein Weg ist ein anderer!«

»Ein Eheversprechen? - Lüge! schändliche Lüge! - so weit hat er sich nicht vergessen, oder mein Fluch würde ihm folgen in's Grab!«

»Ich lüge niemals - Gott vielleicht legte die Ahnung in seine Seele - darum zwang er mich, es geschrieben von seiner Hand anzunehmen, wo doch sein Wort mir mehr galt wie hundert Eide.«

Der alte Edelmann zitterte bleich und erschöpft, als sie ruhig an ihm vorüber nach dem Schreibtisch schritt, in dem sie das Dokument bewahrte. Kalter Schweiß stand in Tropfen vor seiner Stirn, als er halbgebrochen murmelte:

»Beweise, Weib, Beweise für Deine Lüge, denn ein Röbel darf niemals sein Wort brechen, ob lebendig oder todt!«

Sie war an den Schreibtisch getreten und zog den Schub auf; das Papier fehlte darin; jetzt erinnerte sie sich daran, daß sie es vorher dem Bruder gezeigt. Hastig warf sie die Sachen durcheinander, riß die Schubladen auf, ihre Finger suchten fieberhaft - ihre Augen glühten ängstlich - nirgends, nirgends das verhängnisvolle Dokument. Die Wahrheit, die furchtbare Wahrheit stieg vor ihr empor - es war fort! - der eigene Bruder -

Da war es, wo jener gellende Schrei, den der Knabe und der Student gehört, sich ihrer gequälten Brust entrang. Die Hände flehend erhoben taumelte sie auf den Edelmann zu:

»Beim ewigen Gott - ich sagte Ihnen die Wahrheit - aber es ist fort - gestohlen vor wenig Augenblicken!«

Der Major trocknete sich den Schweiß von der Stirn. »Spare Sie sich die Komödie, Mamsell,« sagte er hart und streng. »Es war wie ich dachte, - so weit konnte er sich unmöglich vergessen. Die Speculation auf das Vermögen seiner Mutter war nicht schlecht, aber sie ist mißglückt!«

»Barmherziger Himmel - ich schwöre Ihnen - Ferdinand ... «

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»Nenne Sie den Namen nicht mehr,« donnerte der alte Offizier, »oder es wird hoffentlich noch so viel Gerechtigkeit in Berlin geben, um einer Hure den Mund zu stopfen! Fort da - !«

Er stieß sie rauh zurück, daß sie am Sessel niedersank und ging nach der Thür, an der es klopfte. Gottlieb und der eine Schiffer standen davor und traten auf seinen Wink herein; sie trugen ein Brett. Der Knabe folgte ihnen. Draußen an der Hausthür verschwand der Schatten des Studenten.

»Hier hinein!« befahl der Major; - der Soldat, der einen scheuen Blick auf das unglückliche Mädchen warf, folgte in das zweite Zimmer. Auf den Befehl des Majors schoben sie das Brett an die Seite des Todten und legten diesen darauf. Die Leiche wurde mit Stricken festgebunden und der Major warf das Laken darüber.

»Nehmt ihn auf und folgt mir - es ist Zeit, daß wir diesen Ort verlassen.« Er ging voran, den Säbel des Todten unter dem Arm. Der Soldat und der Schiffer hoben die Leiche auf; - als sie durch die vordere Stube schritten, fuhr das unglückliche Mädchen aus ihrer Betäubung empor und stürzte auf sie los. »Was ist das - was tragt Ihr dort?« - Ihr irres Auge fiel auf das leere Lager. - »Ewiger Gott! Ihr wollt ihn mir nehmen!« Wie eine Wahnsinnige warf sie sich den Männern entgegen. »Er ist mein! mein! ich lasse ihn nicht! Laßt mich noch ein Mal ihn sehen, wenn Ihr Menschen seid!«

Der Major stieß sie unsanft zurück und öffnete die Thür. »Er hat kein Geld mehr zu vergeuden,« sagte er rauh. »Sie wird sich zu trösten wissen!«

Das Mädchen taumelte wie eine Trunkene. Sie drehte sich um sich selbst, die Arme in der Luft, als sich die Thür hinter der Leiche schloß.

»Ferdinand! Ferdinand!«

Der Schrei war herzzerreißend, dann stürzte sie schwerfällig, ohnmächtig zu Boden.

Noch ein Mal öffnete sich behutsam die Thür - der Knabe lauschte scheu herein, beugte sich weinend einen Augenblick nieder

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zu der Ohnmächtigen - und folgte dann eilig den Vorangegangenen.

Durch den Thränenschleier, der seine Augen trübte, bemerkte er in einiger Entfernung vor dem kleinen Trauerzuge her einen Schatten gleiten - er sah ihn mit einer Gruppe sprechen, die des Weges kam, und die Männer bei Seite treten; sein Herz sagte ihm, wer es war, der der Leiche des Freundes - des Feindes den letzten Dienst erwies.

Unbelästigt kam der alte Edelmann mit seinen Begleitern und ihrer traurigen Last an die Landungstreppe, wo der Kahn ihrer harrte. -

Als der Student zurückkehrte zu dem Liebesasyl des Todten, getrieben von Besorgniß um die Aermste, fand er sie noch in derselben Lage bewußtlos am Boden.

An ihrer Seite lag die kleine Börse und die goldene Uhr des Knaben. -

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Die Strapazir-Menscher.

Es war der erste Sonntag im April; der wehende Hauch des Frühlings hatte längst auf Sümpfen und Strömen die Eiskruste des Winters gebrochen und das frische Grün knospete überall lustig hervor. Die weiten monotonen, nur selten von Hügel und Wald unterbrochenen Niederungen der Theiß, nach ihrer Verbindung mit dem Körös, breiteten sich vor den Blicken aus, ein unübersehbares Gebiet von Steppen und Sümpfen, jetzt meilenweit überschwemmt durch die Gewässer, welche der schmelzende Schnee der Karpathen in den flachen trägen Strom ergoß.

Schaaren wilder Enten bedeckten die Wasserfläche der Sümpfe - die Schnepfe strich über das Geröhr, der Strandläufer hüpfte von Scholle zu Scholle und die Rohrdommel ließ im dichten Schilf ihren weithin hörbaren Ruf erschallen.

Gleich der Schildwache stand der große Fischreiher auf seinem hagern langen Bein, die andere Klaue unsichtbar fest unter den grauweißen Leib gezogen, den langen Hals tief zwischen die Schultern gedrückt, das Auge fast geschlossen. Aber wehe dem Fisch, der sich, von der unbeweglichen Gestalt getäuscht, in seine Nähe wagt. Wie eine Stahlfeder schnellt der Hals vorwärts, der lange Schnabel streckt sich aus und der Bewohner des andern Elements wird zappelnd der schützenden Tiefe entzogen und zur Mahlzeit verspeist.

Und jeden Augenblick wiederholt sich das Schauspiel, denn kein Fluß Europa's ist so fischreich, wie die Lagunen der Theiß, und selbst die Seefische - Störe, Hausen und riesige Lachse - treten durch die Donau herauf in den Strom und laichen in dem schlammigen, ruhigen Gewässer.

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Die Zahl der Wasservögel ist unermeßlich - ihr Gekreisch, ihr Schwirren und Fliegen über den weiten Feldern von Rohr und Schilf gleicht oft einer ewig wechselnden, schnatternden, pfeifenden, krächzenden Wolke, wenn ein fremder Laut sie aufstört.

Da - aus der schwirrenden, schreienden Masse - erhebt sich majestätisch im stolzen Flug zu den Wolken des Himmels auf weit gedehnten Schwingen ein prächtiger Vogel. Es ist der schöne Königsreiher, dessen seltene, kostbare Federn den stolzen Schmuck des Kalpaks eines gold- und juwelenstrotzenden Magnaten zu bilden bestimmt sind. Hei - wo ist der ritterliche Retter, die schöne Dame, den behaubten Falken auf der Hand - wo tönt der Ruf des Falkoniers - wo galoppirt die glänzende Schaar der edlen Jagd nach, die einst Kaiser und Könige fesselte? - O, die edle Beize - aus der Mode gekommen, wie so Vieles! Statt der alten prächtigen Freuden der Fürsten und Herren in Wald und Flur, beim Becher und Turnier: Spekulation in Eisenbahnen und Bergwerken, Spiritus, Runkelrübenzucker-Fabriken und Badereisen zum grünen Tisch!

Die Welt ist eine andere geworden. Der Schachergeist des Materiellen regiert, aber die Poesie und die Thatkraft flüchten in die fernsten Winkel - den Urwald - die Steppe - der Wüste.

Vielleicht, daß die Pußta, die sich weit vor den Blicken dehnte, ein solcher Winkel noch war.

Dort, wo sich aus dem Sumpf in leichter Anschwellung der Boden zur unermeßlichen Savanne hob, galoppirte eine Heerde wilder Pferde über die Fläche, der braune Roßhirt hinter ihnen drein, die Peitsche hoch geschwungen, die kräftigen, kaum bis zum Knie von elender Wollenhose bedeckten Beine fest um den Leib des sattellosen Hengstes geschlungen, den sein wilder Zuruf mehr lenkte, als der Strick, der den Zügel bildet. Unter dem braunen, niedern Hut mit den breiten Rändern flattert das lange, glänzend schwarze Haar, der braune Mantel von Filztuch, die einzige Tracht über dem schmutzig grauen Hemd, oft über dem nackten Leib, weht im Winde.

Zur Tränke an einer der sumpfigen Lachen geht die wilde Jagd, vor der Ente und Kibitz erschrocken in die Höhe stieben und die Luft mit ihrem Gekreisch und Geschnatter erfüllen.

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»Grüß' Di Gott, Rózsa! Kommst zur Schänke, wenn's Mittag macht?«

Der wilde Reiter schwenkt bejahend den Hut. »Hui, Szabó - werd' dort sein! Muß tanzen heutigen Tages!« Der Schweinehirt am Hügel, an dem weit zerstreut bis zum Rande des Weidenbusches die borstige Heerde von mehr als tausend Stück lagert, sinkt zurück in den Schmutz. Es sind, so weit das Auge trägt, die beiden einzigen menschlichen Gestalten der Pußta.

Doch dort - am Horizont, nach Westen hin, wo die Erle und später die einsame Tanne den Horizont zu säumen beginnt, kräuselt sich Rauch in die heitere blaue Luft - das ewig freundliche Zeichen der Nähe des Menschen und seiner Häuslichkeit.

Zwei ungarische Meilen vom Rande der Sümpfe entfernt zeigt sich der Boden etwas fruchtbarer und ergiebiger. Nicht daß es das freundliche lachende Ansehen der Umgebungen eines deutschen Dorfes trüge - keine Spur von Getreidefeld und solidem Ackerbau, aber zwischen den Fichten, die sich dichter und dichter erheben, zeigen sich einzelne Zeichen doch des dürftigen Anbaues, die langen Furchen eines Kukuruzfeldes mit den sprossenden Stengeln. Trockener und sandiger wird der Boden, je weiter man kommt, eine Art von Weg windet sich durch die Fichten, eine vereinzelte Tanya zeigt sich im gerodeten Raum zwischen den Stämmen - eine Strecke weiter eine zweite, dann in der Lichtung des Gehölzes eine ganze Fala, eine Reihe von Hütten und Häusern, im Kreise weit von einander gebaut, ein ungarisches Dorf.

In der Mitte des Platzes erhebt sich die Kirche - klein, aber stattlich, von Ziegelsteinen erbaut in modernem Styl. Der Magnat hat sie von einem Baumeister aus Wien vor fünf Jahren erst errichten lassen statt der alten moscheeähnlichen Kapelle, deren Gemäuer, noch aus der Türkenherrschaft stammend, in weiten Sprüngen auseinanderklaffte. Damit hat er seinem Gewissen für irgend eine wilde That und den Humanitätsprojecten der Regierung Genüge geleistet, und das Kirchlein von Telek ist weit und breit als eine besondere Herrlichkeit verschrieen. Die Schule? - was kümmert ihn die Schule? Der Bauer hat zu gehorchen - lernt er das, ist's gut!

Zwei Gebäude stehen sich gegenüber an den Seiten der Kirche,

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das eine ist die Schänke, das andere - lang gedehnt, einstöckig, von Lehm und Holz errichtet, mit den Schoben der nahen Sümpfe gedeckt - die Kaserne, denn es liegt einer der Posten im Dorfe, welche die Regierung über das ganze Land zerstreut hat. Man wundert sich, wie das kleine Detaschement hierher kommt, aber vielleicht hat das Gouvernement seine besonderen Ursachen gehabt - vielleicht traut man dem vornehmen Adel der Umgegend nicht besonders - vielleicht, daß das wachsende Unwesen der Betyáren die Gegend allzu unsicher macht, oder die Steuern und Zehnten schlecht eingehen, oder man einen Sammelplatz für die Werber braucht. So viel ist gewiß, daß ein Hauptmann vom Banater Regiment Erzherzog Albrecht mit zwanzig Mann und drei Gendarmen hier stationirt ist, während in der Runde von zehn Meilen mehrere kleinere Posten unter seinem Befehl stehen.

Die Soldaten lungern vor dem langen Gebäude umher - nur einer oder zwei sitzen drüben in der Schänke, denn es ist nicht viel Freundschaft zwischen der slavischen Race und den Magyaren, und die neueren Ereignisse, die Stellung, welche der Banus Jellacic der ungarischen Bewegung gegenüber einzunehmen beginnt, vergrößert die Spannung immer mehr.

Die Soldaten waren hagere sehnige Gestalten mit dunkelen Pandurengesichtern, der pechgewichste Schnurrbart, unter dem die weißen Zähne wie die eines Raubthiers hervorblitzten, hing in dünnen Strähnen bis auf die Brust herab oder war hinten am Kopf um die langen fettglänzenden Haare zusammengebunden, die unter der hohen schwarzen Mütze straff niederfielen. In den rothen Mantel gehüllt, die kurze Pfeife im Munde, lagen sie vor der Thür, dem Würfelspiel Zweier von ihnen zuschauend, oder dehnten sich an der Wand im Sonnenschein. Selbst die Wache lehnte sorglos auf der Mündung der langen Flinte aus. ihrem Posten, ohne sich um das Treiben auf dem Platze sonderlich zu kümmern.

Ueber den Platz selbst aus dem Fichtenwald von Szegedin her lief ein ziemlich gut erhaltener Fahrweg an der Reihe der Tanyen entlang und führte, um einen Vorsprung des Waldes biegend, einen Hügel hinauf, von dessen mäßiger Höhe in der Entfernung von kaum fünfzehn Minuten vom Dorf ein stattliches,

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halb alterthümliches Gebäude herabsah. Zwei viereckige Thürme, noch aus der Feudalzeit mit Mauern von kolossaler Dicke und crenelirten Zinnen versehen, verbunden durch einen eben so festen, etwa fünfzig Schritt langen Mittelbau, bildeten den Haupttheil. Jahrhunderte alter Epheu mit Stämmen, so dick wie ein Mannesschenkel, bekleidete hoch hinauf bis zu den Zinnen das rothgraue Gemäuer mit seinen Bogenfenstern, Erkern und Altanen, und seltsam, wie bunte Schleifenzier an einem alten stählernen Brustharnisch, nahm sich die moderne, mit grünen Gewächsen und frühen Bwmen besetzte, zeltartig überspannte Veranda aus, die vor dem Mittelgebäude zwischen den Thürmen hinlief, und aus der breite Marmorstufen zu der Auffahrt niederführten, deren steinerne Rampe mit vergoldeten Statuen geschmückt war. Rechts und links an die Thürme, im stumpfen Winkel vorspringend, lehnten sich zwei Flügel, ganz im modernen Geschmack erbaut, und die abstechenden Formen und Farben machten in der That einen eigenthümlichen Eindruck.

Der Fuß der theils zu einem Rasenplatz, theils zu einem weiten Hof umgeschaffenen Anhöhe war mit weitläufigen schönen Pferdeställen umgeben, an die sich zu beiden Seiten andere Wirthschaftsgebäude anschlossen, zum Theil in der bessern Jahreszeit von mächtigen Nußbäumen verdeckt, von denen von der Einfahrt ab eine stattliche kurze Allee bis zum Einschnitt des Schloßweges in die allgemeine Heerstraße lief.

Ueberhaupt schien, so wie man um die Ecke der Föhrenwaldung gebogen war, die Gegend wie mit einem Zauberschlag eine andre geworden. Die breiten Gräben, welche früher die Anhöhe der alten Feudalburg umgaben und aus den Lagunen der Theiß gespeist worden, waren ausgefüllt mit fruchtbarem Erdreich; an das Schloß selbst lehnte sich ein weitläufiger Park, und rechts und links auf dem leicht emporsteigenden Gelände zeigten sich große Weingarten, jetzt freilich noch dürr und öde, aber bald ein grüner Schmuck der Gegend.

Das Schloß und das Land umher, obschon viele Nemesembereks oder magyarische Freibauern darauf wohnten, gehörte meilenweit einem der reichsten und stolzesten Magnaten Ungarns aus der Familie Pálffy, und die beiden Fahnen von den Thürmen,

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zur Linken die mit den österreichischen Farben, schwarz und gelb, zur Rechten mit dem Wappen des Besitzers in den ungarischen Nationalfarben, grün, weiß und roth, verkündeten die Anwesenheit des Herrn.

Der Sonntag Lätare, ein bei allen slavischen und mit den slavischen Stämmen verbundenen Völkern noch immer mit mancherlei alten Gebräuchen und abergläubischen Ceremonieen verbundener Tag, zusammenfallend mit der Miethsdingung, hatte den Platz, vor der Kirche und die Tanyen mit einer fortwährend sich mehrenden bunten Menge gefüllt, die nach dem beendigten Gottesdienst jetzt der ungebundensten Fröhlichkeit sich überließ. Jeden Augenblick kamen im wilden Jagen die leichten Korbwagen der umliegenden Tanyenbesitzer an, die Chikos stehend auf der Deichsel, die lange Peitsche schwingend oder den breitrandrigen schwarzen Hut, die drei oder vier kleinen langmähmgen Pferde im tollsten Galopp und dennoch so geschickt gelenkt, daß mitten zwischen den Gruppen und fliegenden Buden kein Unfall geschah; reiche Bauern in der kleidsamen magyarischen Tracht mit über das Flechtwerk des Wagens herabhangenden Beinen, auf den Sitzen von Maisstroh Frauen und Mädchen, heiter lachend und winkend. Stattliche Bursche galoppirten hinterdrein oder voraus, neben dem wohlhabenden Bauerssohn der wilde Hirt der Pußta. Vor der Schänke oder einer Tanye, deren Besitzer befreundet oder verwandt, hielten Wagen und Reiter, lustigen Willkommen bringt der Hausvater mit dem Steinkrug in der Hand, das Eljen auf den Lippen; die Frauen begrüßen sich, die Mädchen streichen ihre Zöpfe und bewundern gegenseitig den reichen Putz der eingeflochtenen Gold- und Silbermünzen und der langen Flitternadeln.

Zehn Mundarten mehren die Verschiedenheit. Durch das bunte Gewühl schreitet stolz der Magyare, den anliegenden blauen Dolman, die fest bis zum Knie schließenden Beinkleider von gleicher Farbe mit schwarzen oder weißen, zuweilen auch silbernen Schnüren und Tressen in endlosen Schnörkeln besetzt, die schwarze Weste mit hundert silbernen Knöpfen verziert, um den Hals leicht das Seidentuch geschlungen, im Mund die kurze Pfeife, auf dem Kopf der breiträndrige schwarze Hut. Sporen klirren an den Fersen der blanken Cismen oder Stiefeln, die bis zum Knie hinaufreichen

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und dort mit einer goldenen Borte oder Franzen besetzt sind. Der Szekler in seiner phantastischen Tracht, der Walache in dem weißen zottigen Mantel von Ziegenhaar, mit bunten Bändern besetzt, die viereckigen Beinkleider gleich den Calzoneras der Mexikaner geschlitzt; - der Hirt aus den Szegediner Pußten mit dem weißen Szür oder Bauernpelz und den weilen Gatyen, dem Beinkleid; - der gewandte listige Jude oder Grieche durch die Gruppen der Männer und Frauen sich drängend, überall schlecht vergoldete Ketten und Uhren, Tombakschmuck mit blitzenden Steinen, Bänder, Nadeln und Zwirn anbietend und preisend; - der deutsche Fuhrmann in seinem blauen Kittel, der die zur Seite stehenden hochbeladenen Frachtwagen hinauf führt aus dem Banat nach Buda-Pesth, oder sein Landsmann, der wohlhabende Schafzüchter aus den deutschen Kolonie[e]n in Siebenbürgen; - der Kroat mit dem listigen frechen Gesicht; Alles drängt sich schreiend, lärmend, lustig durch einander. Sorgfältig weicht der arme Slowak in seinem theergetränkten Hemd, den braunen, von Lederstücken zusammengehaltenen Mantel um die Schulter gezogen, der lustigen Menge aus - er ist der Paria unter den bunten Stämmen, deren fleißigster, ewig bereitwilliger Arbeiter er doch ist, und selbst der braune Zigeuner dort, der vor seiner Schmiede die Pferde beschlägt, die ihm in großer Anzahl zugeführt werden, wendet verächtlich den Kopf ab, wenn er vorüber schleicht.

Vor dem Wirthshaus standen unter dem großen Nußbaum mit den knospenden Blättern Tische und Bänke, denn die Zahl der Zechenden hatte in dem langen niedern Gebäude selbst bei Weitem nicht Raum gefunden. Ein Faß Szegediner Landwein lag an der Wand auf einem Balkenlager, und die Wirthin und ihre Tochter waren beschäftigt, fortwährend den Hahn zu drehen und Krug auf Krug einzuschänkcn, die über die Köpfe der Umdrängenden fortgereicht wurden. An den Tischen, auf den aus Tonnen, Schemeln und Brettern improvisirten Banken saßen die älteren Bauern, die Inhaber und Pächter der Tanyen, die Fuhrleute und Viehhändler, schwatzend von Krieg und Frieden, von der neuen Regierung, die über Ungarn gekommen, den letzten Raubzügen der Betyáren und Raizen, oder der drohenden Haltung und der Grausamkeit der Kroaten an der Grenze des Banats.

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Mancher drohende, grollende Blick flog dabei hinüber nach dem Wachthaus und den lungernden Panduren, mancher laute Fluch in der an scheußlichen Verwünschungen so reichen magyarischen Sprache scholl keck und herausfordernd aus dem Kreise der Zecher.

Am Baum, auf der natürlichen Estrade eines leeren Stückfasses und zweier mächtigen Kiefernkloben, hockte ein wunderliches Orchester, vier Zigeuner, der eine den schweren Cymbal schlagend, zwei andere auf der Huszt oder Geige spielend, während der vierte die melancholische Flöte blies. Das war keine Musik nach Noten und Takt, wie wir sie kennen - kaum eine Melodie zu nennen, wenn nicht etwa die Instrumente sich zu einem kecken Nationaltanz vereinten. Sie machte den Eindruck einer wilden Improvisation - ein Instrument folgte dem andern, nahm ihm die erste Stimme ab, änderte den Takt, den Rhythmus, die Melodie, ging in eine andere Tonart über, und dennoch kein Mißton, kein störender Akkord, kein falscher Griff. Wenn die Flöte, erschöpft von den grellen oder klagenden Tönen, inne hielt oder zu langsamerem Tempo überging - wenn sie in leise verhallendem Ton zu enden drohte, dann rissen die kräftigen Bogenstriche der Geiger sie wieder fort zu neuen Anstrengungen. Diese Musik glich dem Gesang, dem lustigen oder klagenden Gezwitscher der Vögel draußen in Wald und Flur. Man muß diese sinnverwirrenden, berückenden Töne, diese scharfen, in die Seele schneidenden Akkorde gehört haben, um ihre Wirkung auf die träumerischen und doch so kräftigen slavischen und magyarischen Naturen zu begreifen.

Noch war es nicht an der Zeit für den Tanz, und die jungen Bursche und stattlichen vollbusigen Mädchengestalten umstanden daher nur lauschend die Musik oder brachen bei einer lustigen Tanzmelodie in laute Eljen aus und schlugen die Fersen im Takt zusammen. Kreuzerstücke, ja blanke Zwanziger flogen in die Schellentrommel, mit der die junge Zigeunerin - fast ein Kind noch und trotz der raschen Entwickelung dieser Volksstämme erst an der Grenze der Weiblichkeit - zwischen dem Gedräng sich aalgleich umherwand, die runden brennenden Augen bald sehnsüchtig bittend, bald neckisch herausfordernd in die braunen Blicke der Männer tauchend. Die Mädchen lauschten den

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geheimnißvollen Aussprüchen der alten Hexe, die ihnen aus der Fläche der Hand blanke Husaren und reiche Tanyenbesitzer oder gar einen prächtigen Edelmannssohn zum Geliebten versprach, Weinberge und Land und das Haus voll Kinder. Ein langer, brauner Zigeunerkerl verkaufte Salben und Amulete, die gegen das Melonenfieber, das Verschlagen der Pferde und die Hartherzigkeit der Geliebten gleich helfen mußten; fliegende Garküchen schmorten im Fett die Kolben des Kukurutz[Kukuruz] oder reichten das gekochte Fohlenfleisch, Collacz und brennende Paprika, die jedes andern Menschen Schlund, als den eines Ungarn, gleich Oleum versengt haben würden. Verkäufer von scharfem Slibowitza, dem Branntwein aus Pfirsich- und Pflaumenkernen, hatten ihren Kram an verschiedenen Stellen aufgeschlagen, und der Roß- oder Schweinehirt, der den Kreuzer für das Maaß Wein nicht aufzubringen vermochte, der sparsame Chopaki oder der des Getränkes gewohnte Walache holten hier ihre Herzstärkung.

In der großen, reinlich geweißten Schänkstube, deren Wände mit den hoch bis zur Decke aufgethürmten Federbetten, Heiligenbildern und Krügen und Flaschen geschmückt waren, saß um die roh gezimmerten Tische, über denen zahlreiches Zinn- und Irdengeschirr aufgehängt war, stattliche Gesellschaft, die freien Wirthe und Tanyenbesitzer des Dorfes, den grauen Schnurrbart streichend, den Weinkrug vor sich, den Négryóckri-Joseph, der kluge Wirth, nie leer ließ. Am Ende des größten Tisches, gleichsam der Gesellschaft präsidirend, saß ein alter Husarenwachtmeister in Dolman, Kalpak und Pelz, den Säbel zwischen den Füßen, und führte das große Wort, während seine schwarzen Augen mit jugendlicher Frische nicht allein im Gemach, sondern durch das offene Fenster, an dem er saß, auch draußen umherfuhren und die kräftigen Gestalten der jungen Bursche auf dem Platz mit schlecht verhehltem Interesse maßen.

»Kutialelki erdök! Der Teufel soll mein Eingeweide holen,« sagte er lustig, indem er sich den Wein aus dem gewichsten Schnurrbart strich, »nennen sich das Soldaten. Hunde! Spricht ehrlicher Husar nicht mit den rothen Kerls. Glaubt Ihr vielleicht, König von Hungarn wolle aus seinen Kindern solche rothe Burschen machen, die zu Nichts gut, als zum Todtschießen?

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Nix da - ein ungarischer Bursch muß werden Husar, wie ich bin!«

»Bist auch was Recht's geworden in diese Jahre viele, daß gezogen bist mit den Werbern davon, Bruderherz!« meinte einer der Bauern.

Der Husar schoß einen bösen Blick auf ihn und richtete sich zu seiner vollen Höhe empor. »Was weißt Du vom Soldatenstand, János,« sagte er rauh, »bist geblieben zu Haus, als die Trompeten haben geblasen und unsere Säbel dem Franzos gemacht das Garaus. Hast Mädle meiniges gefreit und sitzest auf Haus und Hof, während ich, Andreas Paláczi, mich hab' getummelt nun fünfunddreißig Jahre im Sattel. Bin ich geworden Wachtmeister, is sich das Nix? Hab' ich niemals bereut, wenn ich auch hab' gedacht an der Wanka schwarze Augen.


                               [»]Vom Rößlein zum Tanz,
                               Und vom Tanze zum Wein,
                               Und vom Weine zum Mädel,
                               Husar muß man sein!«


Der alte Soldat schwang den Weinkrug. »Is sich keine Courage mehr in ganz Hungarnland. Wenn der Kaiser-König Soldaten braucht, wer anders kann ihm helfen, als braves Volk von Arpáds Stamm?«

»Eljen Hungaria!« klang es im Kreise, und die Kruge stießen an einander, daß die Scherben flogen und der Wein über den Tisch floß.

»Teremtete! Es sein Alles ganz gut,« meinte der widerspenstige Tanyenbesitzer, »aber die Swabi in Wien halten nicht, was sie dem Ungarisch-Mann versprochen. Bassa manelka! Du kommst nicht umsonst hierher, ich kenne Dich! Warum willst Du holen unsere Söhne, wo nicht ist Franzos unser Feind?«

»Der Franzos nicht unser Feind?« höhnte der Husar. »Dummkopf, der Franzos ist alle Mal Feind von Kaiser in Wien und ein nichtswürdiger Heide, schlechter als Jude und Türk'!«

»Das ist nicht wahr! Mutter meiniges möge verschwarzen, wenn wahr ist, was Du sagst.« Der Bauer schlug mit der Faust auf den Tisch. »Bin ich nicht gewesen in Buda-Pesth vor Tagen zehn? hab' ich nicht gehört mit diesen Ohren, daß

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Franzos ist unser Freund? Hat gejagt die Swabi zum Teufel und is frei wie Ungarland, wenn ihm sein Recht wird! Wer hat gemacht, daß wir haben Reichstag in Pesth, als unser Freund Franzos?«

Der Wachtmeister sah sich finster um, seine Augen hafteten auf einem großen Mann im Pelz am nächsten Tisch, der ihm den Rücken kehrte. »Ich weiß,« sagte er heftig, »daß die Fremden umgehen im Land und verführen ungarisch Blut. Kommt davon, daß in Pesth die Aktendrescher sitzen an Ständetafel und schimpfen auf König und Ordnung. Aber der Teufel hole ihre Hundeseelen und alle schurkischen Rebellen mit ihnen tausend Mal in die unterste Slowakenhölle.«

Der Mann im Pelz stand auf und trat zu dem Tisch des alten Soldaten; er schien den Augenblick für günstig zu halten, sich in's Gespräch zu mischen.

Es war ein großer stattlicher Mann in ungarischer Nationaltracht, im Dolman und den Mente oder Pelz auf der linken Schulter. Unter dem niedern breitrandigen Hut hervor, von dicken Brauen gedrückt, funkelte ein lebhaftes Auge.

»Wenn Ihr es auf die neue Regierung münzt, Wachtmeister,« sagte er mit bestimmtem Ton, »so thut Ihr Unrecht. Seid selbst ein Ungar, und solltet Euch freuen, daß Männer aufgetreten, die dem Volke ihr Recht schassen. Hat nicht der König selbst in Wien es anerkannt, daß Ungarn bitteres Unrecht geschehe, und die neue Regierung eingesetzt? Das sind Männer nach unserm Herzen! Der Bauer soll auf seinem Lande frei sein vom Robot! Wie der Geringsten Einer soll der stolze Magnat seine Steuern zahlen, statt des Landes Mark zu saugen. Haben wir nicht ein Recht, mitzusitzen und mitzusprechen, wie die Herren selber - kostet es nicht unser eigen Hab und Blut? Warum sollen die freien Magyaren den Decem zahlen an faule Pfaffen und herrische Edelleute? Wenn Ihr echte Söhne seid von Arpáds Stamm, nicht schlechte Serben und Slowaken, so ruft ein Eljen den Männern, die dem Vaterlande Ruhm bringen und uns das Recht freier Männer! Eljen Kossuth! Eljen Batthiányi!«

Und »Eljen Kossuth! Batthiányi!« donnerte es aus

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fünfzig Kehlen, und der Ruf pflanzte sich fort durch die Menge auf dem Platz.

Selbst der alte Husar hatte mitgetrunken und gerufen - galt es doch dem Vaterlande, der Nation, die jedem Ungarnherzen so theuer sind, und noch war Nichts gesprochen, das seinen Soldatengeist oder den Gehorsam gegen den Kaiser beleidigte. Aber schon die nächsten Worte belehrten ihn, was das Ziel des Fremden war.

»Sollen wir Ungarns Jugend, unsere Söhne und Brüder ziehen lassen zum Dienst der Swabi[-]Kälber, der slowakischen Ziegen, oder der kroatischen Eichelschweine? - was gehen uns die Händel der Deutschen in Wien an - der Ungar möge in Ungarn bleiben und dem Wolfe die Zähne zeigen, wenn er kommt!«

Der Wachtmeister strich sich grimmig den Bart und stieß wild seinen Krug auf den Tisch. »Teremtete!« fluchte er. »Wann hat sich je Ungar gefragt, warum ziehen de« Säbel für König-Kaiser, wenn ist Krieg? Echter ungarischer Husar immer bereit, zu schützen das Kaiserhaus!«

»Das ist wahr,« riefen die Männer. »Ein Eljen für den König!«

»Wo wäre denn der Krieg?« fuhr der Lange wieder höhnisch nach dem dreimaligen Hurrah fort. »Warum sollen wir werben lassen für den Frieden? Es ist ein altes Recht der pragmatischen Union, daß die ungarischen Soldaten nur im Fall eines Angriffs auf das Reich zum Kriege gebraucht werden dürfen und beim Frieden zurückkehren sollen in die Grenzen des Landes. Statt dessen sehen wir die rothmäntligen Diebe hier und unsere Söhne draußen im Reich.« Er wies nach der Pandurenwache gegenüber.

»Nicht Krieg? was weiß Kerl wie Du davon?« zürnte der alte Soldat. »Kaiser brauchen tapfere Ungarn, um Nudelfresser in Italien zu hauen. Sind sie noch schlechter als Franzos, wollen sie machen heilige Vater unser kaput!« Er schlug andächtig ein Kreuz, der größte Theil der Anwesenden, zur katholischen Kirche gehörig, folgte seinem Beispiel, und die Meinung neigte sich stark auf seine Seite.

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»Unsinn!« sagte der Fremde; »Niemand will dem Papst etwas thun. Aber Freiheit wollen die Italiener so gut, wie wir. Oder hat jedes Volk nicht etwa das Recht auf seine eigene Sprache, seine Sitte und sein Land? Warum will man die Italiener knechten, wenn sie Italiener sein wollen?«

»Sind sich Rebellen verfluchte,« schrie hitzig der Husar. »Müssen lernen gehorchen, wenn Kaiser sagt, thu' dies, thu' das! Können nicht sein eine Nation wie wir, weil keine Ungarn sind, und wir ihr Land erobert für den Kaiser. Den Teufel auf Dein Maul! Komm her, Bursch'!« Er winkte einem Mann, der demüthig eben zur Thür hereinschaute, als suche er Jemand, und sogleich sich wieder vor den gestrengen Magyaren entfernen wollte.

»Hierher, sag ich Dir - komm hierher!«

Der Angeredete trat schüchtern herein und näherte sich, den Hut in der Hand, dem allen Soldaten.

Es war der Schweinehirt vom Ufer der Theiß, in der ärmlichen Tracht der Slowaken, obschon er eine besondere Sorgfalt auf sie verwandt und zum Fest seinen besten Sonntagsstaat angezogen hatte, ein neues Hemd und einen weniger zerlumpten Mantel.

Trotz der ärmlichen Kleidung und der demüthigen Haltung war der Mann eine stattliche Erscheinung. Er mochte etwa zweiundzwanzig Jahre zählen und war, wie die meisten Slaven, von hoher schlanker Statur, aber die schmalen Hüften und die hochgewölbte Brust zeigten besondere Kraft. Sein braunes Gesicht hatte eine edle Bildung, aus der die schmale Nase kühn gebogen wie ein Adlerschnabel hervorsprang. Die großen mandelartig geschnittenen Augen waren jetzt demüthig zu Boden gerichtet und von den langen dichten Wimpern verschleiert, aber wenn er zufällig den Blick hob, lag in dem ganzen Wesen des Burschen, trotz der anerzogenen Scheu und Demuth, eine gewisse wilde Energie und Kraft, wie das Feuer des Vulkans unter der Schneedecke.

»Wie heißest Du?«

»Szabó - Herr Husar,« lispelte der Hirt. »Szabó Palkó, ein armer Slowak, Herr!«

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»Es ist der Schweinehirt von der Tanya des Paul Mészáros,« sagte einer der Anwesenden.

»Es ist ein Slowak,« verächtlich ein Andrer.

»Tét nem ember!«62

»Richtig, Bruderherz! Nun denkt Euch,« fuhr der Wachtmeister fort, der dabei heimlich die Gestalt des Hirten mit Kennerblicken wohlgefällig musterte, »denkt Euch, wenn dieser Bursche, der nicht viel besser ist, als das Vieh, das er hütet, jetzt plötzlich käme und zu Euch spräche: »Ich bin ein Slowak und habe Rechte gleichigte, wie der Magyar. Ich will sein frei und nicht mehr dienen dem Magyar, sondern sitzen in der Tanya. Der Magyar soll reden meine Sprache, ich nicht die seinigte. Ich will werden ein Herr in dem Land, weil ich geboren in dieses, und der Magyar soll dienen mir als Hirt, wie ich gedient ihm.« Was würdet Ihr sagen dazu?«

Ein höhnisches Gelächter erscholl riugs umher - das war ein Gedanke, den ein Magyarengemüth nie im Entferntesten auch nur geträumt, und selbst der arme Mensch, der den Gegenstand des Hohns bildete, fühlte sich ganz unheimlich bei solcher Idee.

»Istem teremtete! Is sich denn etwas Besseres ein lombardischer Citronenfresser als ein slowakisches Schwein?« triumphirte der Soldat. »Steht nicht Dein Sohn, Mihal Gabor, als guter Grenadier in des Kaiser-Königs Stadt Mailand, und soll sich kommandiren lassen von Italiener lumpigen? Pfui über den Dummkopf, der daran denkt, und nicht schlagen will für Königs und Swabi-Kaiser sein Land!«

Die treffliche Logik des alten Soldaten that ihre Wirkung. Der Gedanke, daß ein Slowak politische Rechte fordern könne, bewies ihnen klar, daß die Italiener nicht den geringsten Anspruch auf Freiheit hätten, und die trotz des Deutschenhasses seit Jahrhunderten gehegte und mit Strömen von Blut bewiesene Liebe zum Kaiserhause war noch nicht, wie durch die ferneren Ereignisse geschah, so untergraben, daß der Gedanke, für das Recht ihres Königs zu fechten, sie nicht hätte begeistern sollen.

Jeder Magyar ist ein geborner Soldat, der Krieg ist sein

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Leben, der Sattel des feurigen Rosses der Platz, wo der Ungar am liebsten sich sieht! Feurig und muthig, wie der Franzose, ist er diesem an Körperkraft und Ausdauer bei Weitem überlegen. Der Magyar ist nicht für die Arbeit geschaffen - das Handwerk von der Feueresse bis zum Fidelbogen für den Zigeuner, der Handel und die Industrie dem Deutschen und dem Griechen - der Schacher dem Juden und die Feldarbeit dem Slowaken, aber dem echten Magyaren für den Ernst der Krieg, für die Lust der Tanz!

Der kluge Sieger im Wortstreit schwang den Krug. »Wein her, Négryóckri-Joseph! Gutes Getränk fließen sich besser durch die Kehle bei Denkspruch fein. Ein gutes Weib, ein hübsch Mädel, ein scharfer Säbel und ein tüchtiger Fluch! Bassa manelka! Unser König braucht Soldaten, und der Ungargott soll die Hundeseele eines Edelmannes in den stinkendsten Sumpf verwandeln, der seinem Sohne nicht gestatten will, für sein Land und seinen König zu reiten!«

Auf einen Wink von ihm am Fenster - der Wachtmeister schien sich trefflich mit den Zigeunern zu verstehen! - stimmte die Musikbande draußen den Czardas, den wilden Kriegstanz der Magyaren, an; die Bauern tranken dem listigen Vorläufer der Werber zu und versprachen, Nichts dawider zu haben, wenn ihre Söhne den Kalpak nähmen; der Fluch, den der alte Soldat darauf gesetzt, duldete bei einem Edelmann, wie jeder Freibauer sich selbst nennt, ohnehin keinen Widerspruch, und ein allgemeines Eljen sprach den Veschluß aus, keine >väterliche Hundeseele< sein zu wollen.

Der Wachtmeister hatte unterdeß den Slowaken zur Seite gewinkt. »Du kannst jetzt gehen, Szabó,« sagte er, »aber halte Dich in der Nähe. Du scheinst mir kein solches Vieh zu sein, wie Deine Brüder, und ich habe Lust, Dich glücklich zumachen!«

»Ich danke Dir, Herr!« stöhnte der Slowak. Er ahnte, was kommen solle.

»Jetzt geh' - ich werde später mit Dir reden, denn ich habe hier noch Einen auf dem Korn.« Aber der alte Soldat sah sich vergeblich nach seinem Gegner von vorhin um, während der Slowak davon schlich; der fremde, im Dorfe unbekannte und

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wahrscheinlich zum Gefolge der Gäste auf dem Schloß gehörige Magyar hatte sich, fluchend über den Knechtssinn seiner Landsleute, wie er es nannte, entfernt und draußen in der Menge verloren.

In dieser stieß auch der Slowak bald auf einen Bekannten. Es war der wilde Roßhirt, der am Morgen in der Pußta an ihm vorbeigaloppirt. Szabó betrachtete ihn mit ängstlich besorgtem Blick und sah sich scheu um. »Siehst nach den Gendarmen, Söhnchen?« lachte leise der Blasse, denn das Gesicht des Hirten, sonst gutmüthig und freundlich, nur von einem durchbohrend scharfen Auge belebt, war von dunklem, aber auffallend bleichem Teint. »Bah - was kümmern sie mich! Schlage ihnen ein Schnippchen oder jage ihnen 'ne Kugel durch den Wanst. Keine Million Teufel soll mich hindern, mich zu vergnügen und mit meinem Weibe zu tanzen.«

»Um Gott - Rózsa,« flüsterte der Schweinehirt. »Sei nicht zu dreist, Du hast Feinde überall und Viele kennen Dich.«

Der Mann im weißen Szür, dem zottigen Bauernpelz, rollte zornig das dunkle Auge. »Hund von einem Slowaken! hüte Dich, meinen Namen auch nur zu denken. Du willst nicht der Unsre sein, so bringe uns auch nicht in Gefahr, oder es möchte Dir schlimm ergeh'n!«

»Der Slowak verräth Niemand,« entgegnete leise der Bursche, »aber er mag auch nicht rauben und plündern. Nur wer ihm Böses thut, den haßt er, und Du hast Dein Brod mit mir getheilt, als arme Mutter mein vor Hunger sterben wollt.« Er machte eine Bewegung, als wolle er dem Andern die Hand küssen, der aber zog sie rasch zurück. »Das hast Du mir reichlich vergolten im letzten Winter, als die Flinte mir auf den Bären versagte, der von Siebenbürgen herüber gekommen, und Du Dich zwischen mich und die Bestie warfst. Aber sei unbesorgt, Abraham ist bei mir, und der Wirth der Schänke ist unser Freund. Die treuen Flinten sind bei ihm versteckt. Katharina belauert die Spitzbuben von Gendarmen, denen die weißen Raben die Eingeweide verschlingen mögen. Ich muß hier bleiben, denn ich hab' ein Geschäft wichtiges hier!« Der ár, denn ein solcher war er offenbar seiner Rede nach, nickte ihm kurz zu und ging

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nach der nächsten Slibowitza-Bude, der Slowak aber schlich bescheiden weiter aus dem Gedräng, als eine von der Arbeit harte, aber dennoch für ihn in ihrem warmen Druck so lieb' und weiche Hand die seine faßte.

»Tanzest Du heute mit mir, Szabó? Du bist ja so stattlich geputzt in der blauen Gatya und der Bunda,63 daß Hanka Dir Ehre anthun muß!« neckte eine freundliche Stimme. Er sah Die, welche er so lange im Gedräng gesucht, mit einer Freundin an seiner Seite und nahm sie in seinen Arm. »Die Heiligen segnen Dich, herzallerliebstes Kind, und lassen es Dir wohl geh'n! mein Auge schweifte nach Dir. Nur wenn ich in's Angesicht Dir sehe oder den blutigen Wolf zu Boden schlage, fühl' ich mich glücklich, und eine schwere Wolke der Sorge drückt heute mein Herz, wenn Szabó so schön Dich schaut, schöner als all' die stolzen Magyaren-Dirnen in ihrem Putz!«

In der That war das Mädchen vor ihm in ihrer malerischen Tracht eine liebliche Erscheinung. Sie besaß all' jenen melancholischen, züchtigen Reiz, den die Slavenschönheiten zeigen und der ihre so unklassische Gesichtsbildung oft so interessant macht. Das Gesicht, mehr rund als oval, hatte einen schüchternen, freundlichen Ausdruck, die großen braunen, in leichtem Winkel geschnittenen Rehaugen einen so zutraulichen, milden Glanz, daß er wie ein Sonnenstrahl aus der bräunlichen Färbung des Teints leuchtete. Frische Lippen und schöne Zähne, perlengleich, wenn der Mund sich zu heiterm Lachen öffnete, erhöhten die angenehme Zusammenstimmung von Unschuld und Freundlichkeit, die sich auf diesem Gesicht ausprägte, das von blonden, üppigen Haarzöpfen umkränzt wurde, auf denen das slowakische Vogelnest, die Parta, ein golddurchwirkter zollbreiter Streif von schwarzem Sammet, saß, der hinten am Haar befestigt ist. Aehnlich den Magyaren-Mädchen trug die junge Slowakin den kurzen, weiten, faltigen Rock und die Jacke von grünem Halbtuch, die unter dem rothen, mit Schnüren besetzten Mieder durch einen langen, mit Fransen besetzten Gürtel zusammengehalten wird. Ein Pelz, mit dem werthvollen Felle des Luchs ausgeschlagen, den die Hand

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des Geliebten erlegt - eine Zierde, die sich nicht verdient zu haben selbst dem ärmsten Mädchen zur Schande gereicht - hing von ihrer Schulter. Die Fußbekleidung unterschied sich dagegen nach der Landessitte von den zierlichen Corduanstiefelchen der Magyarinnen durch die weit plumpere Form und die schweren mit Blumen und anderen Figuren verzierten Hufeisen.

Wenn der Sonntagsstaat des armen Slowaken-Mädchens auch von groben Stoffen und statt der Silberfranzen und Troddeln der reichen Tanyatöchter nur mit wollenem Band verziert war, so kleidete er doch reinlich und zierlich die nicht große, aber üppig kräftige Gestalt von jugendlicher Frische.

»Szent-Elisabeth - was ficht Dich an, Szabó? ich glaubte Dich lustig zu finden, weil ich mich um Deinetwillen geputzt mit der Bunda, die Du mir geschenkt, statt die schönen Gulden für unsern Haushalt zu bewahren, und nun schaust Du finster, wie das Gewitter, wenn es von der Donau daher zieht. Sprich, was ist Dir begegnet?«

»Dachtest Du nicht daran, daß heute ist Lätare,« sagte der junge Mann traurig, »daß der Herr wählt die Mädchen und Du zwei Jahre dienen mußt, wenn sein Auge auf Dich fällt, statt daß am Sanct Bonifaciustag lustige Hochzeit ist? Ich möcht', Du wärest in Deinem Rock von Halinatuch geblieben, statt aufzuputzen Dich wie der Auerhahn, wenn er zur Beiz geht.«

»Ei, sei nicht unwirsch, Szabó,« lachte das Mädchen. »Der gnädige Graf und der Verwalter wissen, daß die kleine Hanka ein arm' Slowaken-Mädel ist und in des Herrn Garten arbeitet mit ihrer Mutter für die kleine Hütte und das Hirsefeld, das man uns läßt. Giebt's doch viele Dirnen von ungarisch Blut, die gern die Menscher werden auf dem Schloß. Wer fragt nach der Verachteten!«

»Weiß nicht!« murrte der Slowak - »hab' so mich schon wenden und dreheü müssen und wollt', ich wär' draußen mit Dir in der Pußta, weil der alte Schnurrbart dort geworfen hat auf mich ein Auge und red't davon, mich glücklich zu machen.«

»Vielleicht schenkt er Dir schöne blanke Gulden oder gar einen neuen Anzug,« meinte unschuldig das Mädchen. »Gott

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und die Heiligen sind mit den armen Slowaken und finden sich immer gute Menschen, die Liebes an ihnen thun. Weißt, wie wäre sonst der Török so glücklich geworden in Wien, wenn Gott nicht die Augen der vornehmen Gräfin gelenkt auf sein junges Gesicht.«

»Weiß nicht, ob's ein besonderes Glück ist,« sagte, noch immer finster trotz der Schmeichelworte des Mädchens, der Sau-Hirt. »Mit den blanken Gulden aber ist's Nichts - zum Soldaten wollen sie mich werben; das ist die Ursach', daß der stolze Husar sprach mit 'nem armen Slowaken, und was Dich angeht, so will mir's nicht aus der Seele, daß ich wünschte, Du wärest daheim.«

»Aber Du weißt, daß wir Hörige sind, Szabó,« sagte das Mädchen, »ich war am Jacobitag siebzehn Jahre, und der Vogt würde die Mutter strafen, wenn ich nicht gekommen wäre zur Wahl!«

»Verflucht sei das Recht, das des Weibes Leib und Seele giebt in den Willen der Reichen. Möge ihr Blut zahlen die Lüste, die sie üben an dem unterdrückten Volk!«

»Du redest Dich um Deinen Hals, Szabó,« bat das Mädchen. »Da kommen die Herren - laß uns zur Seite treten, wie sich's ziemt.«

Auf der Straße aus dem Walde brauste ein Reiter- und Wagenzug: zwei Heiducken voran, dann eine prächtige wiener Equipage, ein offener Phaeton, durch vier Rappen von bestem Vollblut gezogen, die der wilde, phantastisch in die fliegende Jacke und die weiten, weißen Gatyen gekleidete Kocsis vom Bock aus zügelte. Auf den schwellenden Kissen saßen der Graf, der stolze Eigenthümer der weiten Güter, und ein alter Offizier in der hechtgrauen österreichischen Generals-Uniform. In einem zweiten Wagen folgte mit einer ältern Dame ein russischer Offizier, über die Obersten-Uniform den gelbgrauen Mantel geschlagen.

Zwischen den Equipagen und um sie her galoppirte die Cavalcade, jüngere und ältere Männer in der prachtvollen ungarischen Nationaltracht auf schäumenden, von dem rothen, reich vergoldeten türkischen Zügelwerk gebändigten Rossen, kecke Centauren-Gestalten, Roß und Reiter ein Wesen, die Fülle der Kraft, das

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Feuer todesverachtenden Muthes, stolzen selbstbewußten Gefühls in den strotzenden Adern, in den sprühenden Augen. Und mitten zwischen ihnen eine hohe schlanke Frauengestalt im eng an die schönen Formen schmiegenden Reitkleid von hellblauem Tuch, reich mit Silber gestickt, über den schwarzen flatternden Locken die zierliche Ungarnmütze mit der National-Kokarde und dem zitternden Busch der kostbaren Reiherfedern, von blitzender Diamantagraffe gehalten.

Eine würdige Tochter des berühmten Geschlechts mit dem stolzen Gesicht, den seinen schmalen Zügen, der kühn gebogenen Nase und gewölbt geschnittenem Mund. Wie die kleine Hand so leicht den arabischen Schimmel regierte, von dessen Gebiß der Schaum flog, das Ebenbild der Mutter aus dem alten Geschlecht der Helden von Sigéth und des ganzen Stolzes des Vaters: Cäcilie, eine echte Pálffy!

Aus dem Zuge heraus im Carriere durch die flüchtende Menge, ohne Rücksicht auf Glieder und Leben der Menschen, den fliegenden Kram des jüdischen Hausirers, überreitend, jagte der Hauptmann der Heiduckenwache und parirte das Pferd vor dem Hause, daß es auf die Fesseln zurücksank. Die Soldaten hatten die Gewehre ergriffen und standen bereits in Reih' und Glied.

Zu den wilden charakteristischen Gestalten paßte der Führer, ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, groß, sehnig und hager, mit dem finstern Zuge auf der Stirn, den die Racen der untern Donau zu haben pflegen. In den schiefen Augen lag Härte und Grausamkeit, das eckige Kinn verkündete starren Sinn und Energie der Leidenschaften. Um die knochige Gestalt, hing der rothe Szeklermantel wie der Feuerschein des bösen Geistes, als sie sich vom Pferde warf und vor die Soldaten sprang.

»Achtung! - Präsentirt das Gewehr!«

Die kleine Zigeunertrommel schlug, die Gewehre klirrten in den unbehilflichen taktlosen Handgriffen der rohen Grenzer, und Reiter und Equipagen hielten in dem schnell von der Menge gebildeten Kreis vor der Wache.

Die Herren verließen die Wagen, die Reiter gaben zum Theil ihre Pferde den herbeieilenden Dienern. Der russische Oberst, der so eben seine Dame aus der Equipage gehoben,

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sprang eilig herbei, der jungen Gräfin die Hand zu bieten, sich aus dem Sattel zu schwingen. Ihr blitzendes Auge schaute sich vergebens nach dem Cavalier um, dem sie den Ritterdienst zugedacht. Aber Graf Stephan hielt abseit unter der Menge und beugte sich, unbekümmert um seine Pflicht, vom Sattel, mit einem Fremden zu sprechen. Unwillig berührte sie leicht die Hand des Russen und schwang sich mit der Sicherheit der vollendeten Reiterin vom Pferde.

Der Feldzeugmeister, ein alter Mann mit dem starren österreichischen Kriegergesicht, war zu den Soldaten getreten und musterte die martialischen Gestalten. »Fürwahr, an der Grenze der Türkei oder in einem Dorf Ihrer Pußten, lieber Graf,« sagte er zu dem begleitenden Wirth, »mögen die Bursche an ihrem Platze sein, aber ich würde mich sehr bedenken, sie bei unseren Wienern auch nur drei Tage einzuquartieren. Ich meine, die Kehlen würden eben so in Gefahr sein, wie was nicht niet- und nagelfest wäre im Hause. Sie würden dem lieben Herrgott die Sterne vom Himmel stehlen, wenn sie nur hinauf könnten.«

»Wenn Euer Excellenz, meinen, daß das Kroaten- und Grenzer-Gesindel in Ungarn lieber gesehen ist, sind Euer Excellenz im Irrthum,« entgegnete stolz der Graf. »Es macht böses Blut im Lande, daß die Regierung sich auf die slavischen Nationalitäten stützt, und der Banus hat sich in letzter Zeit Dinge erlaubt, die Ungarn nicht dulden darf. Die Beschwerden der Stände darüber sind ein Theil unserer Forderungen.«

»Ich weiß, ich weiß - aber ich denke, wir sind einverstanden darüber, liebster Graf, daß das Land jetzt um jeden Preis ruhig gehalten werden muß. Wir brauchen die deutschen und ungarischen Truppen in Italien und der Hauptstadt, und müssen gerüstet sein für unsere Rechte, da der König von Preußen sich an die Spitze der deutschen Bewegung durch seine Proclamation gestellt hat.«

Der Ungar lächelte verächtlich. »So lange wir zu Oesterreich stehen und seine Kriege fechten, hat es nichts zu fürchten. Moriamur pro rege nostro! Aber man verräth uns in Wien selbst, man macht den Rebellen Versprechungen, welche die uralten Rechte der Magnaten auf's Schwerste kränken. Man will

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unsere Güter mit Grundsteuern belasten und uns dafür den Robot nehmen. Der Bauer und der Bürger sollen gleiches Recht haben, wie der Magnat. Wenn der König selbst den Adel ruinirt, mag er sehen, wie er mit dem Pöbel und Preußen fertig wird.«

»Das sind die nothwendigen Früchte der Ideen, mit denen dieser saubere Herr Kossuth und Ihr eigener Verwandter Batthiányi dem Volke die Köpfe verdrehen. Ich hoffe, der Neffe wird in dem Haufe, eines Pálffy keinen Platz finden für die Theorieen seines Oheims!«

»Sei[e]n Sie unbesorgt - Graf Stephan Batthiányi sollte der Verlobte meiner Tochter werden, aber noch heute heb' ich das Verhältniß auf, ich mag keinen Verräther seines Standes zu meinem Schwiegersohn. Lieber noch soll sie Fürst Trubetzkoi haben. - Man hätte von vorn herein nicht die Phantastereien der jungen Leute und Weiber sanctioniren sollen durch Nachgeben und Ernennung ihrer Helden zu Ministern!«

»Ich versichere Sie, der Kaiser hat es nur mit dem größten Widerstreben gethan und bedauert lebhaft, daß er Männer wie Sie beleidigen und aus dem Rath des Erzherzog Palatinus entfernen mußte. Aber es soll Ihnen volle Satisfaction werden, sobald wir wieder Herren der Situation sind, und dazu eben brauchen wir die Kroaten und Böhmen. Ihnen und Ihren Freunden das zu sagen und mich von der Stimmung zu überzeugen, habe ich diese Inspectionsreise übernommen. Wir sind so fest entschlossen wie Sie, an den alten Rechten und Satzungen der Stande festzuhalten im Kleinen wie im Großen, wenn wir auch scheinbar für kurze Zeit der Strömung nachgeben. A propos, Graf, ist es nicht gerade die Ausübung eines Ihrer alten Herrenrechte, die uns hierher führt?«

»So ist es, Excellenz; die Strapazir-Menscher sollen gewählt werden, und ich habe meinen Verwaltern strengen Befehl ertheilt, alle Pflichtigen zu stellen, um gerade jetzt zu zeigen, daß der Adel seinen Rechten Nichts vergiebt. Wenn es Ihnen gefällig ist, so lasse ich beginnen. Wir sprechen nach Tisch weiter über die politischen Fragen. Am Abend wollen wir uns dann den Tanz anschauen - Sie werden sehen, wie wenig das Volk sich um Politik kümmert, wenn ihm nicht die Köpfe verdreht werden.«

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Die beiden Aristokraten, die langsam im Gespräch sich von der Gesellschaft abgesondert, näherten sich dieser wieder. Die Dorfrichter und Amtleute hatten unterdeß Ordnung in die Menge zu bringen gesucht und in einer breiten Doppelreihe die Mädchen aufgestellt, welche in diesem Jahre der Bestimmung und Wahl der Gutsherrschaft verfallen waren.

Die Wahl der Strapazir-Menscher ist eine alte, aus der Zeit der Leibeigenschaft herstammende und in vielen Gegenden Ungarns bis in die neueste Zeit aufrecht erhaltene Sitte.

Am ersten Sonntag des April versammeln sich vor dem Gutsherrn alle Mädchen des Gutsbezirks, welche seit dem letzten Frühjahr ihr siebzehntes Jahr zurückgelegt haben. Der Edelmann wählt unter ihnen die, welche er zum Dienst auf seinem Hofe oder in seinem Hause braucht - sie müssen ihm zwei Jahre dienen und sind ihm Unterthan mit Leib und Leben.

Nach dem Gutsherrn kommt der Offizier des Militär-Commando's, das in dem Bezirk stationirt ist.

Er hat das Recht, sich das Mädchen zu wählen, das ihm am besten gefällt. Sie verrichtet Magdsdienste bei ihm und ihr Körper dient zur Befriedigung seiner Lust. Im nächsten Jahre, oder wenn er ihrer überdrüssig geworden, verfällt sie zu gleichem Zweck den Soldaten des Commando's; wenn die zwei Jahre um sind, kehrt sie zurück mit dem, was sie sich erspart, in die Hütte der Eltern. Niemand rechnet ihr den Dienst zm Schande - der alte Gebrauch will es so, der Edelmann ist der Herr des Landes, der Leib der Hörigen gehört ihm, wie der Grund und Boden, und der Soldat ist stets ein Edelmann!

In neuerer Zeit wird die alte Sitte zwar nicht mehr in gleicher Ausdehnung geübt, und mit dem Vasallenthum und der Leibeigenschaft sind die Verpflichtungen gefallen, aber noch immer hat sich in vielen Gegenden des Landes der Brauch selbst erhalten; der Dienst geschieht gegen Lohn, und selbst die Töchter der Freibauern nehmen keinen Anstand, mit denen der Häusler und Roboten des Guts, jener großen Bevölkerung, die von dem Gut des Edelmannes lebt, sich einzustellen in die Reihe und ihren Dienst anzubieten.

Es ist wie mit dem Dienst der Söhne des Landes für den

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König und Kaiser. Wie hoch der Ungar auch seine Freiheit achtet, - jeder Bursche würde es für eine Schande halten und von den Weibern verspottet werden, wollte er den Werbern feig aus dem Wege gehen.

Eben so ist es mit den Mädchen. Da stets die Schönsten und Stärksten gewählt werden, gilt die Wahl für eine Ehre, nach der man sich drängt. -


Graf Stephan hatte dem Mann gewinkt, der vorher in der Csárda gegen den alten Husaren das Wort geführt, als sei etwas an seinem Sattelzeug in Unordnung, das gebessert werden könne, ohne daß er abzusteigen brauche. Während der Fremde sich mit dem Gurt zu thun machte, flüsterte der junge Edelmann mit ihm. »Haben Sie Nachrichten, Mak

»Er wird diesen Abend hier eintreffen. Der Wirth der Csárda ist benachrichtigt, das hintere Zimmer für uns bewahrt.«

Der Graf neigte noch tiefer den Kopf. »Beobachten Sie jede Vorsichtsmaßregel,« sagte er eindringlich. »Das Zusammentreffen unserer Freunde muß in dem Lärmen der Zecher und dem Trubel des Festtags möglichst unbemerkt bleiben. Die Ankunft des Grafen Latour macht uns besondere Vorsicht nothwendig und auch dem Russen trau' ich nicht. Der Moskowite ist ein Spion. Ist der Betyár zur Stelle?«

»Ich habe ihn gesprochen; er bewegt sich dreist in der Menge.«

»Rózsa Sándor ist ein ganzer Kerl. Männer wie ihn werden wir brauchen können. Ich werde ihn dem Minister vorstellen. Jetzt Adieu, Freund, und Vorsicht, damit mein Verwandter Nichts merkt, die Entlassung hat ihn zu unserm Feinde gemacht. Sobald die Tafel aufgehoben, nehme ich mit den Anderen die Gelegenheit wahr, zu Euch zu kommen.«

Er richtete sich im Sattel empor und ritt langsam der Scene im Mittelpunkt des Platzes zu.

Der Verwalter verlas die Namen der gutsgehörigen Mädchen, keine Einzige fehlte - viele freie dagegen hatten sich in ihre Reihe gestellt. Die derben ungarischen Gestalten in den hellblauen und grünen kurzen Röcken und Jacken, den Kopftüchern, Schleierhäubchen und Krönchen von Goldstoss darüber, nahmen

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sich stattlich aus, wie sich eine jede vorzudrängen und ihre Vorzüge geltend zu machen suchte, während die Slowaken-Mädchen demüthig zurücktraten.

Während die Gesellschaft vom Schloß durch die Reihe sich bewegte und der Graf und sein Verwalter hin und wieder eins der Mädchen zum Dienst bezeichneten, das dann, als wäre ihr eine besondere Ehre geschehen, dankend den Rockschoß des Herrn küßte und von den Ihren fröhlich umringt wurde, hatte sich Graf Stephan der schönen, von dem russischen Fürsten geführten Tochter des Hauses genähert.

Der junge Graf war eine hohe, schlanke Gestalt und die prächtige Nationalkleidung hob noch mehr die edlen Formen des Wuchses. Ueber dem Dolman, dessen blaue Farbe unter der Masse der Silberstickereien und Schnüre fast verschwand, hing der kostbare Pelz. Die rothen mit Tressen besetzten Beinkleider zeigten knapp bis zu den Knöcheln herab die Formen des kräftigen Beins, wo sich die gelbe Topanka, der Halbstiefel mit den breiten silbernen Sporen anschloß. Um die Hüfte wand sich die Schärpe in den ungarischen Nationalfarben, die gleiche Kokarde prangte am Kalpak. Das Gesicht des jungen, etwa dreiundzwanzigjährigen Mannes war intelligent und aufgeweckt. Wie sein berühmter, durch seinen Tod zum politischen Märtyrer bestimmter Oheim, war er ein eifriger Anhänger der Sache der nationalen Unabhängigkeit.

»Mein Cousin,« sagte die Gräfin Cäcilie, den finstern Blick des jungen Mannes nach den Wählenden auffangend, »scheint an dem alten Recht wenig Gefallen zu finden.«

»Es ist, wie Sie sagen, schöne Cousine. Der Brauch gehört nicht mehr in unsere Zeit und ist eines freien Volkes unwürdig. Leib und Wille jedes Menschen sind frei geschaffen von Gott und nicht das Sklaveneigenthum eines Andern.«

»Ich sehe nicht ein, was diesen Leuten für Nachtheil dadurch geschieht, daß sie dienen müssen,« sprach der Russe. »Wir machen weniger Umstände damit, der Bauer gehört dem Edelmann, und er kann ihn nehmen, wann's ihm beliebt.«

»Das mag bei Ihnen Sitte sein, Fürst, Gott sei Dank, nicht mehr bei uns.«

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»So viel ich weiß, bemerkte der Oberst höhnisch, »sind auch in Ungarn alle Rechte bei den bevorzugten Klassen, und das >misera plebs contribuens<64 hat nur zu gehorchen und zu zahlen.«

»Das soll anders werden,« sagte enthusiastisch der junge Mann, »mit der neuen Zeit, die über mein Vaterland gekommen ist. Der niedrigste Juhasz65 Ungarns soll sein Recht vertreten sehen in der Verfassung, so gut wie der reichste Magnat. Jeder soll gleich tragen zu den Lasten des Staates, aber auch gleichen Anspruch haben an ihn, nur der Adel des Herzens und Genies werden künftig herrschen.«

»Das sind die französischen Theorieen von Dreiundneunzig und der deutschen Phantasten,« erwiederte spöttisch der Fürst. »Der Kaiser, Ihr Herr, wird solchen Ideen nicht nachgeben und Waffen dagegen haben.«

»Der Kaiser ist unser König, nicht unser Herr. Oesterreich besitzt, Gott sei Dank, kein Sibirien.«

»Das ist schade genug; ich denke aber, der Kufstein wird für politische Schwärmer und - Rebellen genügen!«

Die Hand des jungen Magnaten fuhr an den Säbelgriff; die Augen der Nebenbuhler maßen sich herausfordernd. Gräfin Cäcilie, die den Arm des Fürsten losgelassen, trat dazwischen. »Es ist unartig, meine Herren,« sagte sie gebietend, »sich in meiner Gesellschaft über Politik zu streiten. Dafür sind Ständetafeln und das Kabinet meines Vaters. - Sie sind zu unvorsichtig, Stephan,« fuhr sie in lateinischer Sprache, die jedem vornehmen Ungar geläufig ist, zu dem jungen Manne fort. »Sie werden meinen Vater durch diese Angriffe gegen die Rechte des Adels noch ganz erbittern. - Wie stehen unsere Angelegenheiten?«

»Die Versammlung findet diesen Abend statt!« erwiederte rasch der Graf. »Richten Sie es ein, daß Sie der Gesellschaft

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sich entziehen können. Mak ist bereits hier und bemüht, das Landvolk gegen die Werber aufzuregen.«

»Meine klassische Gelehrsamkeit ist zu gering, Gräfin,« bemerkte mit so devoter Miene der Fürst, daß man nicht wissen konnte, ob sie Malice oder Beschämung ausdrückte, »als daß ich Ihnen in die Zeit der Römer folgen könnte - ich muß mich mit der Sprache der Gallier begnügen, um Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Excellenz die Frau Gräfin Ihnen dort winkt.«

»Sie haben Recht, Durchlaucht, und ich bitte um Entschuldigung, aber es ist eine alte ungarische Gewohnheit. Wir wollen sehen, was meine Mutter wünscht.«

Die stolze Schönheit rauschte weiter - einen Augenblick blieben die beiden Nebenbuhler zurück und ihre Augen begegneten sich.

»Da ich zufällig den Kufstein noch nicht bewohne,« sagte mit einer kalten Verbeugung Graf Stephan, »so werden Sie, Herr Oberst, mir vielleicht die Ehre erzeigen, Ihre Bezeichnung als Rebell zu vertreten.«

»Ich stehe zu Diensten,« erwiederte stolz der Russe.

»Der Mond geht um Neun auf - also diesen Abend um zehn Uhr - ich werde Sie an jenem Vorsprung des Waldes erwarten.«

»Und ich meine Abreise ankündigen - das ist ja doch hauptsächlich, was Sie bezwecken.«

Er folgte mit höhnischem Lächeln der jungen Gräfin, die bereits mit ihrer Mutter sprach. Das Lorgnon in's Auge gekniffen, prüfte er mit der Miene des Kenners die Reihe der Mädchen, bis sein Blick an den beiden letzten hängen blieb: Hanka, der Slowakin, und der jungen Zigeunerin, die vorhin die Kreuzer der Menge gesammelt und sich jetzt keck in den Kreis der älteren Dirnen gedrangt hatte.

Die Blicke der in Lumpen gehüllten Kleinen funkelten wie zwei glühende Kohlen aus dem braun-bleichen Gesicht. Es lag, Etwas in den Zügen des vierzehn- oder fünfzehnjährigen Mädchens, das in seiner Entwickelung einen Vulkan von Leidenschaft und Wollust ahnen ließ, und der Fürst mit jener brutalen Neigung, welche die altrussische Aristokratie für die Frauen des

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Zigeunerstammes hegt, trat unwillkürlich einige Schritte näher, um diese sich entwickelnden Formen, die verschmitzte Lockung in den Augen der kleinen Hexe besser zu würdigen.

»Ich meine, Du bedürftest eines Mädchens für Deine französische Zofe, Kind,« sagte die Gräfin zur Tochter - »sich zu, ob Dir eine der Dirnen gefällt.«

Grafin Cäcilie betrachtete die Mädchen - auf Hanka blieb ihr Auge, ihr Finger wies auf sie. »Diese gefällt mir.«

Die Gräfin sah durch ihr Glas nach dem erröthenden Mädchen. »Es ist eine Slowakin,« meinte sie verächtlich, »Du mußt ein magyarisches Mädchen wählen, obschon sie weniger zur Arbeit taugen. Wir müssen uns in diesem Augenblick populair machen.«

Graf Stephan bestätigte. »Wählen Sie selbst, Maman - die Person ist mir gleich. - Was hatten Sie noch mit dem russischen Spion, Vetter? Wenn es zu einem Rencontre kommt, vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Sekundant sein muß. Ich hasse dieses fatale Tartarengesicht.«

Der junge Mann flüsterte ihr einige beruhigende Worte zu und blieb fortan an ihrer Seite trotz der finsteren Blicke des alten Grafen. Die Gräfin hatte unterdeß ihre Wahl getroffen, sie war auf die Tochter des angesehensten Tanyenbesitzers gefallen, der, obschon er sich, wie fast jeder der Freibauern, für einen Edelmann hielt, doch in unzähligen Eljen seine Freude darüber zeigte, sein Kind im Schloß zu sehen. In diesem Augenblick theilten zwei Ereignisse die Aufmerksamkeit der Menge.

Auf der Straße von Kecskemet daher jagte eln leichter Korbwagen, der Csiko auf dem Vordersitz blies in ein altes verbogenes Horn und kündigte zugleich durch seine bunte Jacke sich als Postillon der nächsten Station an. Auf dem Sitz von Maisstroh saß ein junger Offizier, der, sobald das Gefahr vor der Schänke hielt, nach dem Wirth rief.

Négryóckri-Joseph kam eilig herbei und zog die Mütze; der Soldat findet in Ungarn immer Beachtung. »Was befehlen Euer Gnaden? Mein Haus steht zu Diensten.«

»Ich bedarf Nichts als eine Antwort. Befindet sich Seine Excellenz der Feldzeugmeister Graf von Latour noch auf dem Schloß des Herrn Oberst-Kämmerer?«

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»Teremtete! Herr, kommen zur rechten Zeit. Excellenz stehen da drüben mit ganze Herrschaft und schauen junge Dirnen aus Dorf gehörige!«

Der Offizier sprang vom Wagen und schritt eilig durch die Menge. Der alte General hatte ihn bereits bemerkt und kam ihm entgegen. »Verzeihung, Excellenz, daß ich Sie hier aufsuche, aber die Depesche duldet keinen Aufschub. Von Sr. Maj. dem Kaiser.«

Der General legte die Hand an den Hut, dann nahm er die Depesche und öffnete sie. Es war ein amtliches Schreiben der Militair Central-Kanzlei und einliegend ein Handbillet. Der Feldzeugmeister las zuerst dieses, dann das officielle Schreiben.

»Ich werde leider von Euer Excellenz Gastfreundschaft nicht länger Gebrauch machen können,« sagte er verbindlich zu seinem Wirth, »und bitte um die Erlaubniß, sogleich nach dem Schloß zurückkehren zu dürfen, um meine Reiseanstalten zu treffen. Man beruft mich nach Wien zurück und Seine apostolische Majestät haben die Gnade gehabt, mir das Portefeuille des Kriegsministeriums in Stelle des General Zanini zu übertragen.«

Er nahm den Oberst-Kämmerer unter den Arm und ging mit ihm in ernstvertraulicher Unterredung über den Platz, nachdem er den Ueberbringer der Depesche angewiesen, ihm zu folgen. -

»Bassa Manelka! Der Teufel hole das Viehzeug! Was thust Du hier unter den Hörigen? Pack' Dich, schwarzer Satan, eh' ich Dir die Peitsche gebe!«

Tunsa, das braune Zigeunermädchen, drückte sich wie ein Wiesel zusammen, das ein Schlupfloch sucht. Ihre brennenden schwarzen Augen blickten so verlockend demüthig zu dem barschen Verwalter auf, der sie mit roher Gewalt aus dem Kreise treiben wollte. »Tunsa möchte so gern den blanken Herren dienen, hat's schlimm bei Vater und Bruder, wenig zu essen, viele Schlag'. Warum soll Tunsa nicht eben so gut sein, wie schlechte Slowaken-Mädchen?«

»Narr - Volk wie Du ist nicht zum Arbeiten gewöhnt und zu was Anderm bist Du noch zu jung. Pack Dich!« Eine Hand klopfte dem Verwalter auf die Schulter; es war der Hauptmann der Panduren.

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»Bei der Saba! komm' ich bald an die Reih'?«

»Die Herrschaft hat gewählt, es ist an Ihnen, sich das Mensch auszusuchen.«

Der Panduren-Offizier strich wohlgefällig den lang herabhängenden pechgewichsten Schnurrbart. »Wie viele?« fragte er lüstern.

»Eine, Hauptmann, eine!« lachte der Verwalter. »Bassa manelka - Sie sind ein halber Türke! Die Wahl steht Ihnen frei.«

»Ne 'ma Turtschina bez potuitscheniaka!« Wieder durchliefen die funkelnden Augen des Panduren die Reihe. Bei allem Haß, der zwischen den Nationalitäten gährt, hätte doch jede der Magyaren-Dirnen die Wahl gern auf sich fallen sehen; wie gesagt, es ist eine rohe Anerkenntniß der Schönheit und keine Schmach im Volke mit diesem Kebs-Verhältniß verbunden.

Die Augen des Panduren begegneten zwei anderen, die neugierig ihm folgten. Es war Szabó, der Kanász,66 der neben seinem Mädchen stand, ihre Hand in der seinen, Beide hocherfreut, daß die Gefahr an ihnen vorübergegangen. Nun brauchten sie nicht zu warten, am nächsten Bonifaciustag konnte der Staregessy, der Hochzeits-Aelteste, bestellt werden. Der Offizier wählte sicher eine der reichen Magyaren-Dirnen, die sich loskaufen mochte, wenn sie sich zu dem Dienst nicht hergeben wollte.

Aber plötzlich leuchtete es wie Besorgniß und Schrecken in den Blicken des Burschen - die Augen des Offiziers funkelten höhnisch und drohend gegen ihn, der Pandur streckte die Hand aus und legte sie schwer auf die Schulter des Slowaken-Mädchens. »Diese da soll mein Mensch sein und unsere Kuwelian67 kochen!«

Der Verwalter nickte gleichgiltig und machte ein Zeichen bei dem Namen. Was kümmerte ihn die Todtenblässe, das Zittern des Mädchens, der kurze stöhnende Aufschrei des Mannes an ihrer Seite?

»Vergebt, Herr - Hanka soll werden mein Weib am Szent

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Bonifaztag!« Dem Kanász klappten die Zähne, seine Glieder zitterten vor innerer Aufregung, als er diese Einrede vorbrachte.

Dummkopf! - Such' eine Andere, oder frag' nach zwei Jahren nach; für jetzt gehört sie Seiner Gestrengen. - Bedanke Dich, Hanka, für die Ehre, die Dir geworden. Bist ein Blitzmädel und gönn' Dir's von Herzen. Mach' Dich lustig heutigen Tages, die Zeit ist Dein. Um neun Uhr trittst Du den Dienst an; hast Du verstanden?«

Das arme Mädchen neigte stumm das Haupt - sie dachte an keinen Widerstand, die Gewohnheit der barbarischen Sitte war zu groß, als daß sie selbst ihr Unglück recht gefühlt hatte.

Desto tiefer empfand es für sie der Mann, der sie liebte. Es war, als ob alle Schleusen seines Gefühls, die Erkenntniß seiner Menschenrechte sich plötzlich in ihm geöffnet und ränge im wilden Kampf mit der gewohnten Demuth und Niedrigkeit; als ob er jetzt erst fühlte, wie theuer das Mädchen seinem Herzen. Er hatte die schwieligen Hände auf die Augen gedrückt, er stöhnte und taumelte wie ein Trunkener.

Der Verwalter war schon längst fort und zu den Wagen geeilt, welche die Herrschaft unter dem Eljenrufen der Menge eben besteigen wollte. Der Panduren-Capitain sah mit boshaft schielendem Blick auf den Unglücklichen und winkte dem Mädchen. »Um Neun beim Appell dort im Hause, oder sollst Du Jurisch kennen lernen, Du und Deinigte!« Damit ging er.

Neben dem Zigeunerkind, der Einzigen, die mit Theilnahme das so plötzlich getrennte Paar betrachtete, stand plötzlich der russische Fürst.

»Tuds né metul? Sprichst Du deutsch, kleine Hexe?«

»Igen urom, blanker Herr. Willst Du mir einen silbernen Gulden schenken? Ich sage Dir wahr, ob Du Glück hast bei der blanken Gräfin.«

»Närrchen - mehr als den Gulden. Nimm das einstweilen« - er reichte ihr zwei Imperials, seine Augen glühten aus den funkelnden der Kleinen - »nimm und sei heute Abend dort drüben, wo das Kreuz steht am Wald. Ich habe mit Dir zu reden; es handelt sich um Dein Glück.«

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»Sorge nicht, Blanker - Tunsa wird dort sein - sie möchte gern glücklich werden!«

Der Oberst erreichte die Equipagen, noch ehe der General und sein Wirth ihren Wagen bestiegen. Indem er sich an den neuen Minister drängte und ihm gratulirte, nahm er die günstige Gelegenheit wahr, ihm leise einige Worte zu sagen. »Diesen Abend noch wird in der Csárda eine Versammlung der Revolutionsmänner stattfinden - treffen Sie Ihre Anstalten danach, Excellenz; man will die Wegführung der jungen Mannschaft durch die Werber verhindern. Graf Batthiányi glaubte nicht, daß ich Latein verstände, und verrieth sich.«

Der Minister drückte ihm dankend die Hand. »Ich werde dafür sorgen. In einer halben Stunde soll der Offizier, der die Depesche brachte, nach Szegedin unterwegs sein.«

Die Wagen rollten dem Schloß zu. -

Jubelnd, in überlauter toller Lustigkeit drängte die Menge an dem Hirten und seinem Liebchen vorüber - der Tag gehörte noch den gewählten Dirnen zur Freude und Lust, er mußte gefeiert werden, und Vater, Brüder und Liebsten halfen dazu.

Wer kümmerte sich um das Paar, um die bedrohte Liebe, die zertretenen Herzen? Er war ja nur ein Slowak - sie war ja nur ein Slowaken-Mädchen, und die Wahl eine Ehre für sie. Was that's im schlimmsten Fall dem Burschen, ob sein Mädchen zwei kurze Jahre bei des Königs Soldaten schlief - dann konnte er sie immer noch heirathen, wenn er Lust hatte!

Eine Hand faßte den Arm des Stöhnenden. »Was greinst Du, Bruderherz? Du bist zwar nur ein schlechter Slowak, aber Du bist ein Mann, und ein Mann darf nicht weinen in ungarischem Land!«

Der Schweinehirt stöhnte tief auf. »Es ist aus mit mir! Hauptmann, verfluchtiger haben gewählt Hanka zum Mensch, nix Hochzeit, nix Freude mehr auf der Welt - Szabó kann sterben geh'n!«

»Narr! Nimm Dein Mädel im Arm und hinaus mit ihr in die Pußten! Die Herren in Buda-Pesth halten die Hand jetzt über tapferen Betyár! Dem rothen Hund eine Kugel durch den Leib - ich leihe Dir meine Flinte!«

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Katharina, die Frau des Räubers,68 suchte ihrerseits das weinende Mädchen zu trösten; der Betyár war der Einzige, der ihm eine uneigennützige Theilnahme bewies, denn selbst der alte Husaren-Wachtmeister, dessen Nahen den falschen Roßhirten verscheuchte, hatte seine Absichten im Auge, obgleich dem biedern Soldatenherzen der Jammer des Burschen leid that. »Frisch auf, Junge; der Mädel giebt's überall in der weitigen Welt, und ein schlanker Kerl, wie Du, darf sich nicht gramen, wenn besser Lieb ihm winkt!


                               Der Tage giebt's viel!
                               Das Rößlein zum Ernst
                               Und das Mädel zum Spiel!


Nimm den Kalpak, ich werd's schon machen und Dich zum Soldat, obgleich Du ein Slowak bist!«

»Ach, gnädiger Herr Soldat - wollte gern dem König dienen,« stöhnte der Hirt, »wenn ich wußt', daß Hattka nicht heut zu dem rothen Hauptmann müßt'! Bin ein Kerl unglücklicher, wenn's geschieht, und thu' mir ein Leids!«

Der Husar sann einige Augenblicke nach. »Höre, Du bist ein Thor, aber es will mich bedünken, Du hast nicht ganz Unrecht, wenn Dir die Dirne wirklich an's Herz gewachsen. Bassa manelka - hätt' die Wanka auch selbst dem Schloßherrn meinigen nicht überlassen mögen, eh' ich Husar ward. Kann Dir nicht selber helfen, Bursch', aber einen Rath will ich Dir geben, wenn Du versprechen willst, den Kalpak zu nehmen, wenn's glückt. Slowaken-Mädel wird warten auf Dich, besser als die Magyaren-Dirn', die den Janczi heirathete, als ich kaum meinigten Rücken gekehrt!«

»Beim Szent Kereszt!69 Szabó wird thun, was Ihr befehlt, wenn Ihr so gut sein wollt, zu rathen in seinem Unglück.«

»Hab' dem Hauptmann aus dem Banat Nix zu befehlen,«

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sagte der alte Soldat, »aber ein Andrer hat's. Hast Du den General geseh'n, der gekommen, mit Grafen unsrigtem?«

»Hab'!«

»Teremtete! Kann sich befehlen dem Lump von Panduren mir nix, Dir nix! Ist geworden die Excellenz Graf Latour vom Feldzeugmeister der Erste im Reich nach König-Kaiser, ist geworden Kriegsminister. Geh' zu ihm auf's Schloß, mach' Fußfall, sag' wolltest werden braver Husar, wenn Hauptmann Pandur Dir laßt Deine Dirn'!«

»O, Szent Istvan! Wie kommt armer Slowak in das Schloß vor großem Grafen? Ist sich ein unmöglich Ding!«

»Ist Deine Sache, Bursch' - hab' ich kein Liebchen, um die ich's thu'. Sag', Du bringst ein schön Geschenk, lassen's Dich schon zu. Kenne die großen Herren. Ist Sitte, zu bringen ein Geschenk, wenn man hat eine Bitte!«

»Aber ich bin arm - ein Slowak hat nichts, als das Leben!«

Der Husar zuckte die Achseln und blies einen Strom von Tabaksqualm dem Unglücklichen in's Gesicht. »Dann rath' ich Dir, nimm den Kalpak und laß die Dirn' dem Rothen!«

Er wollte gehen, als der Slowak ihn festhielt. »Halt, Herr! ich hab's! Gott und die Heiligen haben's gegeben dem armen Szabó in seine Seele. Er wird haben ein schönes Geschenk für den hohen Herrn. Weine nicht, Hanka - sei lustig und tanz' mit unseren Brüdern!«

»Wo willst Du hin?«

»Frag' nicht, Herz! Wenn Abend kommt, ist Szabó bei Dir! Szavö wird für den König reiten, aber Hanka wird nicht dem rothen Offizier gehören!« Er schwang lustig den Hut und rannte wie besessen davon. Kopfschüttelnd schaute ihm der Husar, schon halb getröstet das Mädchen nach, und als die anderen Slowaken-Dirnen kamen, sie zum Tanz zu holen und heimlich den Sieg zu preisen, den sie über die stolzen Magyaren-Mädchen errungen, waren die Thränen versiegt, und sie dachte an das Schicksal des Abends bereits nicht anders, wie als ob es so sein müsse und gewesen sei von Alters her.

Wenn der Szabó sie liebte - was schadete es ihm? Nach

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zwei Jahren konnte er sie ja freien, wenn der Narr nicht vorher unter die Soldaten ging!


Die Werber waren am Nachmittag richtig gekommen und nach ihnen der Abend, und Tanz und Gelag im vollsten Gang, denn der Ungar, wenn er einen Festtag begeht, will die Lust mit vollen Zügen genießen und endet erst spät.

Die große Stube der Csárda, des Dorfwirthshauses, war gedrängt voll von zechenden Bauern, jungen Burschen und Husaren. Die Zigeuner saßen unter den Fenstern und spielten lustige Weisen - ein frisches Weinfaß war unter dem Nußbaum aufgeschlagen, im Flur, der die Küche bildete, auf dem Platz vor der Schänke tanzten die Bursche und Mädchen den Hahnentanz; die Csikos und Gulyas, die Pferde- und Rinderhirten, ließen ihre Peitsche klatschen um die fliegenden Dirnen im lustigen Peitschentanz; lauter Jubel und Gesang an allen Ecken - drüben vor der Kirchenthür, um die Herren Magyaren nicht zu stören, drehte sich das slowakische Volk in dem wilden Reigen, bis Tänzer und Tänzerin schwindelnd zu Boden stürzten.

An dem großen Tisch, in der Schänke wurde angeworben. Die Bursche drängten sich förmlich hinzu, wer zurückgewiesen wurde, schlich beschämt unter dem Gelächter der Dirnen davon; es waren ihrer wenige genug, denn der Wachtmeister schien Ordre zu haben, daß diesmal der Kalpak jedem Kopfe passen müsse, die einzige Prüfung, die mit den Rekruten vorgenommen wurde. Ein Handschlag war der Fahneneid. Dann ging's zurück zum Trunk und Tanz' - es war ja die letzte Nacht in der Heimath - mit dem Morgengrauen zogen die Werber mit den Geworbenen davon.

Hei! wie heiß waren die Küsse der Mädchen, wie flogen die kecken Dirnen im Mohntanz, wie klapperte das Silber im Beutel, den der Vater dem Jungen wohlgefüllt mit dem langmähnigen flinken Pferd mit auf den Weg gab, auf den Weg, von dem er vielleicht nicht wiederkehren sollte in's Ungarland.

Die frisch geworbenen Rekruten, die Strapazir-Menscher vom Mittag waren die Wildesten, Lustigsten in der Menge der Lustigen. Es war ja der letzte Abend der Freiheit!

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Die Menge hatte sich auch sichtlich vermehrt durch neue Zukömmlinge. Wilde kühne Gestalten zeigten sich unter dem muntern Bauernvolk - die Hirten entfernter Pußten, die erst mit dem sinkenden Abend gekommen, die Nacht hier zu verjubeln. Auch vornehme Gäste kamen - zu Pferd und zu Wagen; in die weißen Mäntel von Halinatuch gehüllt, schlichen sie durch die Menge oder verloren sich an der Hinterthür der Csárda.

Es war bereits dunkel, ein Feuer von Fichtenkloben brannte auf dem Platz vor der Kirche, große Fichtenspähne leuchteten statt der Fackeln vor der Thür der Schänke und an den fliegenden Buden der Slibowitza-Verkäufer, als auf der Straße von Pesth her ein Dreigespann vor die Thür der Csárda rasselte. Zwei Männer saßen darin und stiegen aus.

Der Mann, den der junge Graf Batthiányi mit dem Namen Mak benannt, schien sie erwartet zu haben, denn er war alsbald an der niedern Korbkalesche und begrüßte sie mit mehreren Anderen, die aus dem Gewühl und dem Hause herbeikamen. Dienstfertig zeigte Négryóckri-Joseph, der Wirth, über den Flur den Weg zu dem im Anbau gelegenen Hinterzimmer, das für die Fremden bereit gehalten schien. Als sie das Haus betraten, blieb der Aeltere von ihnen - er mochte etwa sechsundvierzig Jahre zählen - einen Augenblick stehen und schaute auf das lustige Nachtbild auf dem Platz. Der Mantel war von seiner Schulter herabgesunken und enthüllte die fein gebaute Gestalt von mittlerer Größe, die in den ungarischen Attila gekleidet war. Unter der Mütze mit der Feder schaute ein bräunliches Gesicht von nationalem Ausdruck hervor, mit scharfem Profil, von einem lichtbraunen gestutzten Bart umrahmt. Das sonst milde Auge verfinsterte sich, als die prahlerischen Flüche der Werber zu seinen Ohren drangen, als er die jungen Bursche mit den Kalpaks der Husaren auf dem Kopf tanzen und springen sah. Sein Begleiter mußte ihn erinnern, ehe er weiter ging.

Die Fremden mochten noch keine halbe Stunde angekommen sein und hatten sich, nach einem kurzen Imbiß und feurigen Trunk, die auszeichnende Federmütze mit dem das Gesicht beschattenden breiträndrigen Hut der Landleute vertauschend, unter das Volk gemischt, als auf dem Wege vom Schloß her die Reisewagen

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heranfuhren, Vorreiter mit Fackeln voran, und auf dem Kirchplatz hielten. Gleich hinterher kam zu Fuß die Gesellschaft vom Schloß, der Oberst-Kämmerer mit dem neuen Kriegsminister, dn russische Fürst mit der stolzen Tochter des Hauses, Batthiányi und viele andere der Gäste. Sie gaben den Scheidenden das Geleit; denn auch der russische Oberst hatte angekündigt, daß er noch diesen Abend seine Reise nach Belgrad und den Fürstenthümern fortsetzen müsse, und sie wollten den Fremden nun das Dorffest in seinem muntersten Glanz noch zeigen.

Ein Eljengeschrei begrüßte die Herrschaft und ihre Gäste, aber es war nicht mehr der allgemeine jubelnde Zuruf, Mak und seine Gefährten hatten während des Nachmittags ihre Zeit nicht verloren; viel lauter tönte der Ruf: »Eljen Hungaria!« - ja, es mischte sich von vielen Stimmen ein » Eljen Bathiányi! Eljen Kossuth! Eljen szabadság!«70 ein. Der Minister runzelte die Stirn, aber er war klug genug, zu thun, als höre er es nicht.

Die Gesellschaft blieb auf dem Platz vor dem Nußbaum stehen; - hätte der österreichische General gewußt, welche glühenden drohenden Blicke von mehreren Stellen der Menge auf ihn gerichtet waren, ihm wäre vielleicht eine Ahnung des furchtbaren Schicksals aufgestiegen, das der hohe Posten, den er so eben übernommen, ihm bringen sollte!

»Den Czardas, den Czardas!« befahl der Verwalter. - »Seine Excellenz wünschen den Czardas zu sehen, ehe das Volk den Tod austreibt!«

Ein lustiges Eljen antwortete dem willkommenen Gebot. Im Nu faßten die Husaren und die rüstigsten Tänzer der Menge die Mädchen, drehten sie wirbelnd im Kreise, stellten sich zum Tanze und schlugen die Hacken zusammen, daß die Sporen im Takt klirrten.

Dem Minister hatte sich Hauptmann Jurisch, der Commandeur des Postens, genähert, sich zu verabschieden.

»Ich höre,« sagte der General, »das Unwesen der Betyáren nimmt in der Gegend auffallend zu. Halten Sie strenge Aufsicht,

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Hauptmann, und suchen Sie des berüchtigten Rózsa Sándor, des Gefährlichsten, habhaft zu werden. Es steht ein Preis auf seinem Kopf.«

»Fünftausend Gulden, Excellenz,« sagte demüthig der Offizier. »Wollt' sie haben schon längst, wär' nix so dickköpfig dumm dies Volk im Szegediner Land.«

Der Minister winkte ihn näher heran. »Die Stimmung hier umher gefällt mir überhaupt nicht,« sagte er leiser. »Sie sind Offizier des Kaisers und der Banus von Croatien hat Sie als treu und zuverlässig empfohlen. Haben Sie ein Auge auf Alles - es sollen Zusammenkünfte der Unzufriedenen in der Nähe stattfinden. Ich habe bereits den Befehl nach Szegedin gesandt, daß Ihr Commando verstärkt werde, um die Nachbarschaft im Zaum zu halten - geben Sie dem Wachtmeister der Werber einen Wink, sich darnach zu richten.«

Der Offizier legte salutirend die Hand an die Mütze und zog ein grimmiges Gesicht, das dem Volk nichts Gutes bedeutete. »Besorgen Euer Excellenz nix, kann ich mich verlassen auf Haiducken die meinigten.«

Graf Stephan berührte leicht den Arm seiner schönen Cousine. »Blicken Sie dorthin, Cäcilie - dort unter dem Baum, links von den Zigeunern.«

»Zwei Männer in der Bunda. »Ich kann die Gesichter unter den großen Hüten nicht erkennen.«

»Er ist es - der zur Rechten!«

»Wer?«

»Der Agitator - die Hoffnung Ungarns!«

Eine freudige Röthe überzog das Gesicht des schönen Mädchens. »Ich sah ihn nie,« sprach sie hochaufathmend - »der Zufall trieb immer sein Spiel und unser Aufenthalt am Kaiserhof.«

»Sie sollen ihn heut noch kennen lernen. Um 9 Uhr ist die Zusammenkunft. Wenn Sie ihr beiwohnen wollen, sind Sie willkommen.«

»Sobald diese Fremden fort - bin ich da!«

Keck und lustig schrillten die Fidelstriche der Zigeuner, die gellenden Töne der kleinen Flöte - Männer und Weiber jauchzten vor Lust im stürmischen Tanz, ein allgemeiner ansteckender Taumel schien die Menge erfaßt zu haben, selbst die ältesten Bauern hoben

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die Hacken und nickten mit den kurzen Pfeifenstummeln den Takt, während die Augen in der Erinnerung der wilden Jugendlust glühten!

»Eljen Hungaria!«71

Wie sie sprangen und wirbelten die rüstigen Tänzer, in den kecken, zierlichen Pas, die unsere ausgemergelten Balletkünstler so kläglich zu copiren sich mühen, ein jämmerlicher Schatten der Stahlkraft dieser Beine und Muskeln, des Feuers der Blicke, der Energie jeder Bewegung. Hoch auf im kräftigen Satz, bald wieder lang geschnellt am Boden, klirrend das Eisen der Fersen im lnstigen Spiel, das zum blutigen Ernst das muthige Roß in's Gewühl der Schlacht spornt, auf die schlanke Hüfte die Faust gestemmt, die so kräftig den Säbel schwingt! O, welche Lust, welcher Stolz, ein Husar zu sein! -

Plötzlich gellt es mitten hinein in die rauschende Musik, in das Eljenjauchzen der Tänzer und Zuschauer.

»Platz für Szabó! Platz für Szabó, den Kanász! - Ein Geschenk für den Swabi-General!«

Ein Gelächter bricht sich Bahn - was will der lumpige Slowak? - wie kann der Schweinehirt es wagen? Der Tanz stockt - durch die scheu zur Seite drängende Menge keucht eine hohe Gestalt heran, eine schwere Last auf der Schulter, von dem zerrissenen blutbefleckten Bunda halb verhüllt, aus der Wolle des Mantels ein funkelndes grünes Auge, zuckende langbehaarte Beine mit scharfen Krallen.

Szabó, der Sauhirt, ist es wirklich, der den Tanz der Magyaren stört. Hinter ihm drein zieht der furchtlose verkappte Betyár das Slowaken-Mädchen, das er vom Platz an der Kirchenthür geholt, wo sie nach Weiberart den Liebesgram und die Sorge um den Liebsten unterdeß im Wirbeldrehen vertanzt hat.

Der Schweinehirt bietet einen furchtbaren Anblick. Sein Gesicht ist von Schmutz und Blut und einem tiefen Riß auf der linken Wange entstellt, die offene Brust, um die das zerrissene Feiertagshemd in Fetzen hängt, zeigt eine gleiche Wunde, wie von scharfen Klauen zerrissen, seine ganze Kleidung ist mit Blut

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und Morast besudelt, nur sein großes Auge leuchtet triumphirend, voll freudiger Hoffnung.

Vor der Gruppe der Herrschaft angekommen, wirft er mit einer raschen Geberde die Last, die er trägt, dicht vor den Füßen des Generals zu Boden und sich daneben auf die Kniee, die Hände bittend erhoben.

»O Herr, nimm, was Szabó Dir bringt, zum Geschenk, und laß ihm Hanka, sein Leben!«

Ein Schrei des Schreckens, des Erstaunens entschlüpfte jedem Mund - die Umstehenden wichen scheu zurück.

Das Geschenk, das der arme Pußtenhirt bringt, ist ein riesiger lebendiger Wolf. Das Thier ist an den vier Füßen zusammengeknebelt und so seiner Kraft beraubt. Der heiße dampfende Rachen der Bestie ist durch ein kurzes, starkes, an beiden Enden gespitztes Holz auseinander gespeilt und zeigt, von dem geronnenen Blut des zerrissenen Gaumens besteckt, die scharfen glänzenden Zahnreihen; die grünen runden Augen des wüthenden machtlosen Thieres suchen vergeblich ein Opfer.

Der Wolf hatte auf der Stirn zwischen den Augen einen großen gelbweißen Fleck - jeder der anwesenden Hirten und Bauern erkannte ihn daran; er war der gefürchtetste Schafdieb der Gegend und hatte schon viele Pferde zerrissen. Vergeblich war alle Jagd bisher auf ihn gewesen.

Aber dem armen Slowaken hatte die Liebe das Herz und den Arm gestählt. Vielleicht hatte er einmal gehört, daß große Herren wilde Bestien in Menagerien halten; das Einzige, was er schenken konnte, war sein Blut. Er hatte es darauf gewagt, ohne Waffen die Bestie in ihrem Lager, das er in der Pußta aufgespürt, zu überfallen und sie mit Hilfe seines dicken Wollenmantels zu knebeln.

»Was soll das bedeuten? - wer ist der Bursche?«

»O Herr - der Gott der Magyaren und der armen Slowaken mögen rühren Herz das Deinigte! Ich bin Szabó, der Kanász - und der Hauptmann der Rothen hat gewählt mein Mädchen zum Mensch, das ich freien wollt' am Szent Bonifaztag. Du bist ein Mächtiger, Herr! gieb frei das Slowaken-Mädchen, und Szabó wird geh'n für Dich und den König unsern in den Tod!«

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»Was redet der Mensch? - er scheint ein muthiger Kerl und sollte Grenadier werden. Das Regiment >Richter< kann Leute brauchen!«

Der Hauptmann der Panduren drängte sich herbei. »Kenn' ich den Bursch', Excellenz! ist er einer von den Zuhaltern des Rózsa Sándor, des Betyár; weiß er, wo der Spitzbub' versteckt, und will nicht sagen, wo?«

Der Minister faltete finster die Stirn. »Kennst Du Rózsa, den Räuber?«

Der Slowak beugte die Stirn. »O Herr gnädiger, höre meine Bitte!«

»Als getreuer Unterthan des Königs mußt Du angeben, wo die Gesetzverächter zu finden sind. - Nehmen Sie die nöthige Mannschaft, Capitain, und lassen Sie sich von dem Mann zu dem Ort führen, wo der Räuber festzunehmen ist. Er soll seinen Antheil haben an der ausgesetzten Belohnung!«

»Herr, gnädiger mein!« stöhnte der Slowak, »was hat Betyár zu schaffen mit Hanka, meinem Lieb?!«

»Was soll's mit dem Mädchen? - was will der Bursche eigentlich?«

Der Gutsherr schlug sich in's Mittel. »Der Capitain, Excellenz, hat bei der Wahl vorhin, wenn ich recht verstanden, ein Mädchen zu seinem Dienst bestimmt, das der Hirt heirathen will. Der Offizier ist in seinem Recht.«

Der Haiduck strich sich den Schnurrbart und lächelte wohlgefällig.

»Hoher Herr,« wimmerte der Slowak, »Hanka ist das Leben von armen Szabó. Wer sie ihm nimmt, nimmt seine Seele. Herr, üb' Gnade und befiehl Hauptmann, zu geben die Hanka frei, bei der Mutter des Szent Christ, oder es geschieht ein Unglück!«

»Willst Du bekennen, wo der Betyár sich versteckt hält?«

»Herr - der Slowak ist kein Verräther. Ueb' Gnade an ihm, wie der Herrgott Dir mög' gnädig sein in Deiner Todesstunde!« Er umfaßte die Füße des Feldzeugmeisters, der ihn rauh von sich stieß. »Du verdienst keine Rücksicht. Die Rechte der Soldaten müssen geehrt werden und sollen um eines Verstockten

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willen, wie Du, keine Ausnahme erleiden. Die Sache ist Ihre Angelegenheit, Capitain, und geht mich Nichts an. Wenn Du sagen wolltest, wo der Betyár ist - das änderte die Sache!«

»Ich kann nicht, Herr!«

- Der General stieß ihn nochmals von sich. »Leben Sie Wohl, Herr Graf - ich habe schon zu lange mich versäumt.«

»Erbarmen, Herr! - Erbarmen mit Szabó und der Hanka!«

»Befreien Sie mich von dem Frechen. Lassen Sie ihn den Werbern überweisen, damit er gehorchen lernt!«

Zehn Hände griffen nach dem armen Slowaken, der mit blutunterlaufenen Augen und entstelltem Gesicht auf den Mann starrte, der so hartherzig seine letzte Hoffnung vernichtete.

Eine Umwälzung schien in seiner Seele, in seinem ganzen Wesen vorzugehen, seine Augen schossen einen Blitz finstern Hasses, seine Hand schüttelte sich drohend gegen den Mächtigen! -

»Bei dem Gott der Slowaken, Fluch über Dich, der Du so mit der Bitte der Armen thust! Möge Dir auch keine Gnade werden!« -

Die Husaren und einige der mitleidigeren der Bauern rissen ihn zurück und hielten ihn fest; der Menge dauerte überhaupt die Scene schon zu lange - sie wollte zu Lust und Tanz zurückkehren - der >Toder Slowak ist kein Mensch!<[.]

Der Minister hatte bereits den Fuß auf dem Wagentritt, als eine mächtige Stimme erscholl und ihn umschauen machte.

»Wenn Ihr den Rózsa Sándor braucht, um dem Szabó zu helfen - hier ist er!«

In der Mitte des Kreises stand trotzig der kecke Geächtete, auf seinem blassen Gesicht ein spöttisches Lachen.

»Du hast mich geseh'n - zwanzig hier können's bezeugen, daß ich der Sándor bin; nun halt' Dein Swabiwort und glückliche Reise!«

»Wo sind die Gendarmen? Greift den Unverschämten! Auf ihn, Soldaten!«

Einer der nahe stehenden Gendarmen stürzte sich auf den Betyáren, aber das Volk wich zurück, selbst die Husaren machten

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mehr Lärmen, als wirkliche Anstalten, den Räuber zu fassen, von dem der Ruf bereits so wilde Thaten erzählte. Der kecke Feind des Gesetzes ist immer der Held der ungebildeten Menge.

Dem Betyáren hatte sein Weib die Flinte in die Hand gedrückt, die sie auf sein Geheiß aus der Csárda geholt. »Közel ne jöjj, mert mindjárt meghalz!«72 donnerte die Stimme des Räubers und sein Kolbenschlag traf den Helm des muthigen jungen Gendarmen, daß er wie ein gefällter Baum lang zu Boden üürzte. Mit höhnischem Gelächter sprang der Räuber durch die ihm Bahn machende Menge davon; dem nächsten der verfolgenden Gendarmen, jenen dem Volk so verhaßten Häschern des Gesetzes, streckte einer der Männer in Mänteln den Fuß vor, daß er fiel - über ihm schloß sich die Menge und regalirte ihn mit Fußtritten, und im nächsten Augenblick schon scholl durch den entstandenen Lärmen der spöttische Eljenruf des fliehenden Räubers und der Galopp seines Pferdes, der ihn in die sichere Pußta trug, wo er jeder Verfolgung gespottet hätte.

Daß eine solche ganz unnütz wäre, erkannte sofort der Hauptmann der herbeieilenden Panduren; dennoch sandte er drei oder vier derselben zur Unterstützung der Gendarmen dem Flüchtlinge nach. Ueberdies waren Scenen wie die eben vorgegangene in dem wilden Volksleben zu gewöhnlich, um viel daraus zu machen. Der Feldzeugmeister aber schüttelte bedenklich den Kopf. »Das Volk ist allzu verwildert, Graf,« sagte er zu dem Oberst-Kämmerer. »Es kommt eine schlimme Zeit über Oesterreich; mögen Alle, die es wahrhaft gut meinen mit dem Vaterlande, fest zusammenhalten.« Er reichte ihm nochmals die Hand und stieg in den Wagen. Aus dem Schlage winkte er noch den Panduren-Offizier heran. »Halten Sie strenge Aufsicht auf Alles, was hier vorgeht diesen Abend, und erstatten Sie darüber Rapport, Herr,« sagte er ernst. »Noch im Laufe der Nacht erhalten Sie Verstärkung von Szegedin. Lassen Sie den Burschen, der mit den Betyáren unter einer Decke steckt, festnehmen und in's nächste Werbedepot abliefern. Gott gebe, daß der Kaiser an diesem Lande nicht noch schlimmere Erfahrungen macht, als bisher.«

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Die Postillone hieben auf die Pferde und der Wagen flog davon auf der einsamen Straße nach Pesth. Wenige Monate später - und Graf Baillet von Latour sollte mit dem eigenen Leben diese Erfahrung bezahlen!

Der russische Fürst verabschiedete sich jetzt gleichfalls - er hatte noch vor Beginn der Tafel eine kurze Unterredung mit dem Oberst-Kämmerer gehabt, und dieser begleitete ihn mit besonderer Höflichkeit zu seinem Wagen und lud ihn laut ein, recht bald den Besuch zu wiederholen.

»Wenn Ihre Excellenz die Frau Gräfin und Comtesse Cäcilie mir die Hoffnung gewähren wollen, daß die Erneuerung meiner Huldigungen ihnen nicht unangenehm sein wird,« sagte der Russe galant, »so hoffe ich Sie im nächsten Herbst auf Ihren Gütern oder im Winter in Wien wiederzusehen und dort eine bedeutsame Frage für mein Leben weiter zu erörtern.«

Die Comtesse verneigte sich kalt. »Die Gäste des Grafen, meines Vaters, werden stets bei uns die gebührende Aufnahme finden.« Sie achtete das Stirnrunzeln des Magnaten nicht, als sie sich kurz ab wieder zu ihrem jungen Verwandten kehrte.

Der Fürst zog die Uhr. »Wahrhaftig! in anderthalb Stunden schon zehn Uhr - ich kann um Mitternacht in Szegedin eintreffen, wenn ich unterweges keinen Aufenthalt finde!« Sein Auge begegnete dabei dem Blick des jungen Magnaten - ein flüchtiger Wink genügte, sich zu verständigen; dennoch hatte die Gräfin ihn aufgefangen. Der Fürst grüßte noch wiederholt, während das rasche Dreigespann ihn bereits davon trug. Der alte Magnat reichte seiner Tochter den Arm, um sie zum eigenen Wagen zu führen - Graf Stephan hatte erklärt, noch im Dorfe zurückbleiben zu wollen; mehrere der jüngeren Edelleute, welche die Gesellschaft des Oberst-Kämmerer gebildet, schlossen sich ihm an.

Als Jurisch, der Panduren-Capitain, nach dem Platz zurückkehrte, war um den gefesselten Wolf und den Slowaken noch immer ein zahlreicher Kreis versammelt, aber die veränderliche Stimmung der Menge bereits wieder der Neigung zur tollen Lust gewichen.

Das Hauptfest des Abends war ja noch im Rückstand!

»Laßt uns den halál austreiben! Den halál! den halál!«

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Die jungen Bursche heulten und schrieen, die Mädchen jubelten.

Wer soll der halál sein? - Wo ist ein Slowak?«

»Bassa manelka! Wer anders, als Szabó! Ist sich braver Bursch'! Hat den Wolf gefangen! Wird sich wehren tapfer!« Ein Eljen für den Szabó, den farkasvadász!«73

Zwanzig, dreißig Hände faßten den starr vor sich hin brütenden Burschen, an dessen Schulter die Hanka weinte.

»Sei lustig, Szabó, Slowak! Sollst haben Slibowitza und Wein, wenn machst Deine Sache gut! Laß Mädel laufen, giebt's viele in der Welt!«

Rohe Hände langten herüber, dem Slowaken mit Holzkohlen das Gesicht zu schwärzen, Hut und Mantel wurden ihm mit Gewalt abgerissen und eine alte Kuhhaut ihm umgeworfen, auf den Kopf drückte man ihm einen Kranz von Maisstroh, an dem zwei Ochsenhörner befestigt waren.

Vergeblich wehrte sich der Mann wie verzweifelt gegen die ihm zugedachte Ehre; dem Tollmuth der jungen kräftigen Bursche gegenüber, unterstützt von den jubilirenden Bauern, reichte seine Kraft nicht aus, ja, mancher harte Faustschlag traf den Widerstrebenden, und sein Widerstand erhöhte nur noch die Lust, denn der halál muß sich wehren, ehe er geschwemmt wird, sonst fehlt das Beste.

Wir haben bereits erwähnt, daß in den Ländern der slavischen Racen noch viele alte Volksgebräuche, theils aus der Heidenzeit, theils aus der ersten Periode der Einführung des Christenthums, sich erhalten haben.

Dazu gehört das >Tod-Austreiben< am Sonntag Lätare vor Ostern. Ein als Teufel vermummter Bursche wird auf einem Wagen oder Pferde durch das Dorf geführt, unter dem Hohngeschrei, dem Schmutzwerfen und den brutalen Späßen der Menge in einer Pferdeschwemme geschwemmt und ein Strohmann an seiner Stelle vor der Kirchthür verbrannt. Während des Umzugs sammeln seine Kameraden bei den Dorfbewohnern Lebensmittel,

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Geld oder sonstige Geschenke, die theils verzehrt werden, theils dem Hauptacteur zu Gute kommen.

Die Bursche des Falu oder Dorfs meinten daher, dem Sauhirten noch eine große Gunst zu erzeigen, indem sie ihn zum halál machten.

Offenbar soll der Gebrauch an die Vernichtung, das Austreiben der alten Heidengötzen erinnern. -

»Vorwärts Szabó! lauf, daß wir den Tod fangen!«

»Ist sich der Wolf ein schönes Geschenk an Excellenz General,« sagte der Panduren-Offizier, der sah, daß jetzt nicht der Augenblick sei, sich des Slowaken zu bemächtigen - »können wir brauchen das Fell. Tragt ihn in das Haus und werft ihn hinter die Thür. Kann nicht der Jäger schlafen bei Hanka, soll wenigstens bewachen sein Geschenk unser Lager!«

Zwei der Panduren steckten ihr Gewehr durch die Beine des Wolfs und schleppten ihn nach dem Wachthaus.

»Es ist Zeit, daß Du antrittst den Dienst - nehmt sie mit und habt ein Aug' auf sie!« Einer der Soldaten faßte sie am Arm. »Brauchst nix zu weinen, Wetterhex'! Sollst haben Alles gut und wenig Schlag', wenn Du folgst unsre Offizier!«

Sie schluchzte laut auf, indem der Haiduck sie fortzog. Szabó sah - Szabó hörte es; - gestoßen, getrieben von allen Seiten, stürzte er sich auf den Kreis, sich Bahn zu machen zu ihr, aber Gelächter, Geschrei, Jauchzen roher Lust begegneten seiner Wuth, wie seinen Bitten. Die grausamen Verfolger drängten ihn weit ab, sie schlugen mit Feuerbränden nach ihm, sie stießen und schoben - wie ein gehetztes Wild floh er vorwärts, die wilden behenden Bursche immer dicht hinter ihm d'rein, weit über das Dorf hinaus in die Haide, bis er erschöpft, athemlos zusammenbrach und sie den Ueberwältigten, Willenlosen, die Zigeunermusik voran, im Triumph auf dem alten blinden Pferde zurückschleppten, von Thür zu Thür mit lustigem Gesang, den falschen >To Brennende Kiehnspähne, an den Wänden in eisernen Ringen aufgesteckt, nach der Sitte der Tanyen, erhellten das niedere, aber ziemlich große Gemach, das den hintern Anbau der Csárda bildete, meist zur Aufbewahrung von Feldfrüchten oder Geräthschaften

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dienend, jetzt aber mit Männern gefüllt, die in Gruppen sich unterredeten, oder im Halbkreis den Fremden umgaben, der am Abend auf der Straße von Pesth eingetroffen war.

Es befanden sich mehrere der Gäste des Oberst-Kämmerer in der Versammlung, die zum Theil aus jüngeren Männern in der reichen ungarischen Nationaltracht und Mitgliedern des geringern Adels aus der Gegend, zum Theil aus Männern verschiedenen bürgerlichen Standes, Aerzten, Advokaten, Kaufleuten, Grundbesitzern aus Szegedin und aus niederen Beamten bestand. Auch mehrere Bauern und Tanyenbesitzer und selbst solche, die am Mittag noch willig ihre Söhne dem Werbebann versprochen, befanden sich jetzt darunter. Die Vornehmsten und Einflußreichsten der Gesellschaft hatten sich um den Fremden gesammelt und unterhielten sich eifrig mit ihm; Graf Stephan ging von einer der Gruppen zur andern, mit Allen sprechend und unruhig lauschend, ob die Gräfin nicht bald erscheinen werde.

Der Fremde sah nach der Uhr. »Es ist Zeit, Graf, daß wir die Versammlung eröffnen,« sagte er mit dem Tone des Befehls, - »in zwei Stunden spätestens muß ich auf dem Wege sein, denn man erwartet mich morgen in Szolnok. Geben Sie das Zeichen, daß die Berathung beginnt.«

»Einige Augenblicke noch, Gräfin Cäcilie hat versprochen zu erscheinen und muß jeden Augenblick kommen.«

»Ich weiß, daß die junge Gräfin und ihre Mutter eifrige Freundinnen der heiligen Sache der Nation sind,« beharrte der Fremde, »aber was wir hier zu beschließen haben, ist Männerwerk und darf durch keine Weiberlaune aufgehalten werden. Geben Sie das Zeichen, daß ich zu der Versammlung sprechen will!«

Der junge Graf verneigte sich und schlug mit dem Griff seines Säbels auf den Tisch - sogleich verstummten alle Gespräche und Alle versammelten sich im Halbkreis um den Mann, dessen Agitation seit einigen Jahren schon die Blicke und Hoffnungen aller Unzufriedenen in Ungarn und jetzt des ganzen Europa's auf ihn gelenkt hatte.

Wir haben bereits sein Aeußeres beschrieben.

Ludwig Kossuth, - denn der berühmte Agitator selbst war es, der in der Versammlung erschienen, - zählte damals bereits

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sechsundvierzig Jahre.74 Der Sohn armer adeliger Eltern kroatischen Stammes, erhielt er seine erste Bildung im Piaristen-Collegium zu Satoralja-Ujhely und studirte die Rechte auf dem Collegium zu Sarospatak. Nachdem er von 1827-31 in seinem Comitat die Advokatenpraxis betrieben und sich als Redner Einfluß in den Comitats-Versammlungen gewonnen, trieb ihn glühende Begeisterung für die Sache Ungarns und wohl ebenso - da er eigentlich der magyarischen Nationalität gar nicht angehörte - feuriger Ehrgeiz nach Pesth, sich dort ein größeres Feld seiner Thätigkeit zu suchen. Er war der Erste, der die Landtags-Verhandlungen in Preßburg - um der Censur zu begegnen, in einem geschriebenen Journal - veröffentlichte. Mit Wesselény und Anderen wegen eines ähnlichen Journals und Opposition gegen die Regierung 1837 des Hochverraths angeklagt und in Ofen gefangen gesetzt, wurde er durch die erzwungene Amnestie von 1840 befreit und trat nun als Redakteur des >Pesti hirlap< an die Spitze der demokratischen Opposition, deren Lehren immer mächtiger in die große Masse drangen und das Evangelium der Jugend wurden. Im November 1847 vom Pesther Comitat als Deputirter zum Landtag geschickt, wurde er bald einer der Führer der Opposition und riß durch seine Kühnheit und seine glänzende Beredtsamkeit Alles mit sich fort. Preßfreiheit, ein verantwortliches Ministerium, Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn, öffentliche Verhandlung aller Staats-Angelegenheiten, allgemeine Besteuerung auch des Adels und Gleichheit vor dem Gesetz, Reform des Urbarialwesens und Abstellung der Aviticität, das waren die Forderungen der Volkspartei, nachdem auf den früheren Reichstagen bereits die Herrschaft der magyarischen Sprache durchgesetzt worden.

Man befand sich im heftigen Kampf mit der unfähigen starren Regierungsmaschine, als die französische Revolution vom Februar 1848 ausbrach und mit ihr auch die Bewegung in Ungarn.

Am 3. März hatte Kossuth eine feurige flammende Rede in der Versammlung der Stände gehalten - auf den Flügeln der Presse flog sie nach Wien, und die Volkserhebung der Kaiserstadt,

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Metternichs Sturz war die Folge davon. Eine magyarische Deputation, an ihrer Spitze Graf Ludwig Batthiányi, der Führer der liberalen Adelspartei, und Kossuth, der Leiter und Vorkämpfer des Volkes, erschien in der Hauptstadt und zog am Vormittag des 16. März, unter dem Jubelruf der zahllosen Volksmenge, im glänzenden National-Costüm zu Fuß durch die Straßen Wiens nach der Hofburg, dem zitternden Kaiser die Adresse des ungarischen Reichstags zu überbringen. Die Antwort war die Ernennung des Grafen Batthiányi zum Präsidenten eines besondern ungarischen Ministeriums, in das Szemere, Deák, Méssáros und Kossuth als Finanzminister, eintraten - die Abschaffung der Roboten, der Zehnten an den Klerus, allgemeine Besteuerung und die Bildung einer National-Garde.

Aber schon in der nächsten Zeit wuchsen die Forderungen, wuchsen die Pläne der Führer der bisher unblutigen Revolution - nicht mehr eine constitutionelle abgesonderte Regierung Ungarns - ein völliges Losreißen von der österreichischen Monarchie, ein freies Ungarn galt es, zu erringen, und wer könnte zweifeln, daß schon damals dem Ehrgeiz des berühmten Agitators die Wahlkrone Ungarns als das Ziel seiner stolzen Pläne vorschweben mochte. Dazu kam der rasch hervortretende Gegensatz der deutschen, der kroatischen und serbischen Nationalitäten, welche die Herrschaft des Magyarenthums nicht dulden wollten und gleiche Rechte verlangten, - die Agitation und Wahl Jellachichs zum Banus von Kroatien.

Der constitutionellen Partei gegenüber, die mit dem, mit den Neuerungen und dem drohenden Verlust aller Rechte unzufriedenen hohen Adel noch fest zum Verband mit Oesterreich hielt, entwickelte die Demokratie die rührigste Thätigkeit; - die Sendboten der Führer zogen durch das Land, die Gemüther des Landvolks, dem bisher der Kaiser-König als ein von Ungarn untrennbarer Begriff, die Treue für das Haus Habsburg als eine mit der Muttermilch eingesogene heilige Pflicht galt, auf den gänzlichen Bruch vorzubereiten; - Kossuth selbst flog mit Windeseile im Geheimen von einer Versammlung zur andern und schürte das Feuer.

Eine solche war es, in der er jetzt erschienen, denn Süd-Ungarn

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war der Hauptplatz der wachsenden Agitation, die bereits die Aufmerksamkeit und die Sorge Rußlands, des großen Rivalen der Donau, erregte.

»Männer vom Blute Arpáds - Magyarenbrüder!« erscholl die sonore Stimme des Agitators und kein andrer Laut war hörbar in der Versammlung - »der Ruf des Vaterlandes, seine Noth hat uns hier versammelt, damit wir berathen mögen, wie unsre Freiheit nicht blos zu erringen, sondern auch zu sichern sei für alle Zukunft. Denn falsch ist der Deutsche und herrschsüchtig, und nimmer wird er es ehrlich meinen mit Ungarns Recht. Drei Jahrhunderte hat die Krone des heiligen Stephan auf einem unsrer Nation fremden Haupt gesessen, drei Jahrhunderte hat der Magyar seine Habe und sein Blut gegeben zur Vertheidigung des Kaiserhauses, das uns zum Lohn unsere Freiheiten geraubt, und aus freien Männern Sklaven gemacht hat, wie seine anderen Völker sind. Von Osten dämmert der Tag, aber von Westen her stieg die Sonne der Freiheit empor, die leuchten soll über alle Völker, und so auch über das Ungarland. Ein Sturm - gewaltiger als der Orkan der Steppen - rüttelte an dem Thor der Kaiserburg zu Wien: der Wille der Völker; Ungarns hochherzige Söhne nahmen innigen Antheil, als sich die so lange geknechteten Völker in Paris, in Wien und dem Preußenland erhoben - und der Ungar verlangte gleichfalls sein Recht. Man hat nicht gewagt, es uns zu verweigern; denn in dem Hauch jenes Sturmes zittern die Throne und die Tyrannen fliehen vor dem entfesselten Zorn des Volkes. Metternich, der Feind unsrer Freiheit, ist nicht mehr, der schwache Kaiser bewilligt Alles - Ungarn hat wieder seine eigene Regierung! - Aber schon sinnen die Rathgeber der österreichischen Krone, wie sie das Ungarland, ihr theuerstes Kleinod, auf's Neue beugen und es seiner Waffen berauben können. Blickt um Euch, Brüder, Magyaren - wenig erst ist gethan für die wahre Freiheit des Volkes, denn die Männer, denen die große Aufgabe geworden, haben mit tausend Hindernissen zu kämpfen. An den Reichen und Mächtigen, die ihre Vorrechte opfern sollen zum Besten des Volkes, hat der Oesterreicher seine Stützen - unter den Swabi, die wir in unserm Lande duldeten und reich machten mit unseren Ernten, nähren

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seine Söldlinge den hochmüthigen Undank - den falschen Kroaten, den tückischen Slaven hetzen die Schlangenwege der Wiener Politik gegen Euch, die wahren und einzigen Herren dieses Landes. Der Palatinus zaudert und sucht ängstlich den Fortschritt der Freiheit aufzuhalten. Drohend rüstet unser Feind, der Ban, an der Grenze und will sich nicht fügen in die Befehle des Reichsraths und der Minister, obschon doch Kroatien und Slavonien Ungarn Unterthan sein sollen. Glaubt Ihr, daß er das aus eigenem Willen gethan, oder nicht vielmehr im hinterlistigen Auftrag der Hofkanzlei zu Wien?«

»Schmach über die Swabi! - Laßt ihn kommen, den Räuber von Agram - wir wollen ihm zeigen, was ungarische Säbel vermögen!« Die Hand der Männer klirrte an den Waffen oder hob sich betheuernd in die Höhe.

»Werdet Ihr es wirklich?« fragte der Redner höhnisch. »Sagt mir, Brüder, Magyaren, womit wollt Ihr den Banns besiegen und Euer Recht gegen die Intriguen von Wien vertheidigen? Habt Ihr keine Augen, zu sehen, daß die slavonischen und illyrischen Regimenter von der falschen Politik des Kaiserhauses in's Land gezogen werden, und der Kroat und Pandur die Posten in Euren Städten und Dörfern bildet? Wißt Ihr nicht, daß die ungarischen Truppen gegen unsere heiligen Verträge in diesem Augenblick nach Italien geschleppt werden, um für die Swabi gegen ein Volk zu fechten, das seine Freiheit schützen will, gleich wie wir das Ungarland? Was nützt uns die Bildung einer National-Garde, wenn täglich die Blüthe des Landes von den schlauen Werbern aus dem Lande selbst geholt wird, um unter österreichischen Fahnen - vielleicht nächstens gegen Ungarn selbst zu kämpfen!«

»Nimmermehr - kein Magyar kämpft gegen sein Vaterland!«

»Wartet's ab - ihre Schlauheit hat schon Weisere bethört, als die rasche Jugend. Ich sehe Männer unter uns, wackere freie Männer, die noch vor wenigen Stunden ihre Söhne den österreichischen Schergen verkauft haben, während das Ungarland vielleicht am Vorabend eines blutigen Krieges für seine Freiheit steht! Könnt Ihr Eure Rechte vertheidigen, wenn Ihr Eure Kämpfer selbst in die Fremde treibt? Schmach über das Ungarnherz,

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das dem Vaterlande den Rücken wendet in der Stunde der Gefahr - hundert Mal größere Schmach dem freien Mann, der sein Kind zum Schergen der Fremden macht!«

Eine wilde Erregung gab sich in der Versammlung kund. »Er hat Recht! Ungarns Söhne gehören in Ungarns Grenzen, so will es das Gesetz der Union! Was sollen wir thun, um unsere Rechte zu wahren, um die Freiheit zu schützen?«

»Zwanzig Schritte von hier verlocken die Werber Eure Kinder. Werdet Ihr sie ziehen lassen ungehindert? Schande über Euch, wenn Ihr's thut. Habt Ihr geseh'n, wie der stolze Magnat mit dem Leib Eurer Töchter feilscht - werdet Ihr es länger dulden? Bildet Vereine überall durch's Land, bewaffnet Euch und Eure Söhne, damit der erste Ruf Euch bereit findet, und wählt die Führer. Alte Soldaten sind unter Euch - laßt sie die Schwadronen und die Bataillone der Honveds bilden. Vertreibt Gewalt mit Gewalt und das fremde Soldatenvolk; Vieles, was das Ministerium noch nicht wagen darf, kann ungescheut das Volk thun. Sendet Männer in die Ständeversammlung, die wahre Freunde des Volks, nicht der Deutschen und der Magnaten sind. Alle ungarischen Truppen müssen nach Ungarn zurückgesandt werden, Kroatien muß sich unterwerfen - die Feinde der Freiheit müssen abgesetzt, die Aufhebung der Roboten und Zehnten, die Besteuerung der Magnaten muß nicht blos versprochen, sie muß sofort eingeführt werden. Wenn der König-Kaiser ein Herz für Ungarn hat, so möge er selbst nach Buda-Pesth kommen - dahin gehört der Herrscher von Ungarn, und wenn er sich weigert - was soll Ungarn länger dann mit solchem König, der nicht sein rechter König sein will?«

Das kühne Wort machte Anfangs Viele erbeben - aber es war gesprochen, der Zunder in die erregten Gemüther geworfen und blutige Ernte sollte er tragen!

»Nieder mit den Feinden der Freiheit!« rief enthusiastisch der junge Magnat. »Auf dem Altar des Vaterlandes opfere ich die Rechte meines Standes und will Nichts sein, als ein freier Ungar! Ein unabhängiges freies Ungarreich und der beste seiner Söhne an seiner Spitze! Schwört mit mir den heiligen Eid, Magyarenbrüder, unser Blut und Leben derFreiheit des Vaterlandes zu weihen!«

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»Blut und Leben! Wir schwören es!« Die Säbel flogen aus den Scheiden, die Hände streckten sich empor zum Schwur.

Mak, der gewandte Agent der revolutionairen Partei, war auf die Bank gesprungen. »Und Leben und Blut für den Vorkämpfer unsrer Freiheit! Unsern Eid Ludwig Kossuth, dem Führer der Ungarn!«

Und wiederum wurde der Schwur geleistet; die Männer umarmten einander im Rausch wilder Begeisterung, kühner, glänzender Träume von der Wiedergeburt des Vaterlandes.

Der Agitator drückte dem jungen Magnaten die Hand. »Sorgen Sie mit Mak dafür, daß die Adresse mit den Forderungen an den Reichstag sofort unterzeichnet wird. Der Ausmarsch der Rekruten wird die beste Gelegenheit sein, die Bewegung ausbrechen zu lassen und die Menge mit fortzureißen. Ihr Oheim und ich rechnen auf das Comitat.«

Mak hatte unterdeß die Bauern und Tanyenbesitzer bearbeitet; - es wurde beschlossen, daß die junge Mannschaft noch im Lauf der Nacht in die Pußten geschickt werden sollte, um den Werbern entzogen zu werden. Die Männer entfernten sich, ihren Freunden und Nachbarn den gefaßten Entschluß zu verkündigen.

»Zum Henker mit dem Hund von Betyáren!« sagte Mak, von ihrer Begleitung zurückkehrend. »Ich rechnete sicher darauf, daß er den Gendarmen eine Nase drehen und zur rechten Zeit wieder hier sein würde; denn an Muth, dem Teufel die Zähne zu weisen, fehlt es ihm nicht. Aber ich habe mich vergeblich nach ihm und dem Weibe umgeseh'n, obschon es gleich zehn Uhr ist.«

»Zehn Uhr?« Der junge Magnat, der mit dem Agitator und mehreren Führern der Versammlung eifrig beschäftigt gewesen, sprang erschrocken auf. »Isten nyéla! - es ist die höchste Zeit. Begleiten Sie mich - einer von Ihnen, meine Herren! Es gilt eine Ehrensache, und ich muß um zehn Uhr zur Stelle sein!«

»Mit wem?« Der Minister hielt ihn am Arm zurück.

»Mit dem russischen Spion - dem Gast meines Vetters Pálffy. Seine Abreise war nur scheinbar, er erwartet mich am Saum des Waldes!«

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»Ich bin der Ihre, Stephan,« sagte einer der jungen Edelleute. »Ich sah am Mittag, wie Sie Worte wechselten, und dachte mir den Ausgang um der Gräfin willen. Haben Sie Pistolen?«

»Der Russe wird die seinen geben.« Sie griffen nach den Mänteln und stürzten dem Ausgang zu, aber ein donnerndes »Halt!« fesselte ihren Fuß.

Die sonst so ruhige, fast milde Stirn des Agitators hatte sich finster zusammengezogen, in seinen Augen lag drohender Zorn.

»Nicht von der Stelle, sag' ich! - Ist das der Gehorsam, den Ihr mir gelobt? gehört einem thörichten Streit das Blut, das Ihr dem Vaterlande geweiht? - Schließen Sie die Thür, Mak - Keiner soll das Gemach verlassen, ehe wir unser heiliges Werk berathen!«

Die Uhr des nahen Kirchthurms hob aus, man hörte die hellen Glockenschläge der zehnten Stunde.

Graf Stephan taumelte zurück und schlug die Hände vor das Gesicht. »Meine Ehre! - ich bin gebrandmarkt, wenn ich nicht zur Stelle komme. Dieser falsche Russe wird meine Schande durch die Welt schreien!«

»Er wird Ihnen vielleicht eher gegenüber stehen, als Sie es denken,« sagte der Minister streng. »In der ersten Schlacht für Ungarns Freiheit, der allein Ihr Leben gehört, werden Sie zeigen, daß ein Batthiányi kein Feigling sein kann. Ich bin Ihrem Oheim für Sie verantwortlich - dort ist Ihr Platz - schreiben Sie, was ich Ihnen diktire.«

Der junge Magnat wankte fast willenlos zu dem Tisch - seine Hand faßte krampfhaft die Feder, während der Minister ihn fest unter seinem Blick hielt.

Kossuth diktirte: »An die Bewohner der Comitate Szegedin und Gyula.« Mechanisch fuhr die Feder über das Papier - aber noch ehe die Worte vollendet waren, stampfte der junge Graf sie wild auf den Tisch und sprang empor. Sein Gesicht glühte - sein Entschluß war gefaßt. »Geben Sie Raum, Herr,« sagte er rauh zu dem ihm noch einmal entgegentretenden Minister - »über die Ehre eines Batthiányi hat ein Kossuth nicht zu entscheiden. Fort von der Thür, Mak, oder ich spalte Ihnen

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den Schädel!« Den blanken Säbel in der Faust, stürzte er nach der Thür, die der Agent auf einen Wink des Ministers frei gab, und eilte hinaus; - der von ihm gewählte Sekundant folgte ihm - wann ließe ein Ungar sich die Gelegenheit zum Kampf entgehen!

»Thörichte Knaben,« murmelte der Agitator - »Ungarn braucht Eurer nicht, um frei zu werden, aber wenn der Zügel in meiner Hand, soll Euer trotziges Magnatenblut gehorchen lernen! - Was ist das für ein Lärmen vor der Csárda? - es muß etwas Ungewöhnliches geschehen sein - vielleicht sind sie handgemein mit den Werbern!«

Man hörte in der That einen wilden Lärmen, Weibergekreisch, Männerstimmen, die nach Waffen riefen, - gellendes Hilfegeschrei - Mord! - Alle eilten dem Ausgang zu, zu schauen, was es gäbe. -

Graf Stephan hatte die Schwelle der Csárda noch nicht überschritten, als zwei Reiter in gestrecktem Galopp heran sprengten und sich von den Pferden warfen - ein junger Mann in der Magyarentracht, in den langen Halinamantel gehüllt, das Gesicht mit dem breiträudrigen Hut verdeckt - hinter ihm in seinem Szür der Betyár.

»Was ist hier geschehen? - was geht hier vor?«

Vor der Stimme bebte der junge Magnat zurück. »Bei allen Heiligen - Gräfin Cäcilie?«

»Still - « Das Mädchen, denn sie war es in der That, legte ihm die Hand auf den Mund. »Ist der Minister noch hier?«

»In der Hinterstube - sie sind Alle versammelt. Verzeihen Sie, daß ich mich nicht aufhalte, und leihen Sie mir Ihr Pferd. Eine Ehrenpflicht, die ich fast versäumte ... «

Die Gräfin faßte ihn an den Arm und wies auf einen großen Blutfleck auf ihrem weißen Mantel. »Unbesorgt,« sagte sie, »Ihre Ehre ist gewahrt, Vetter; Rózsa kann Ihnen das Weitere sagen. Aber wenn Herr Kossuth hier nicht gesehen zu sein wünscht, so muß er dazu thun. In zehn Minuten wird eine Compagnie Militair aus Szegedin hier sein, die zum Schutz der Werber kommt!«

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Der Minister stand bereits hinter ihnen und hatte die letzten Worte gehört. »Lassen Sie anspannen, Mak,« sagte er ruhig, »und Dank Ihnen für die Warnung. Ich hoffe, die Zeit ist nicht mehr fern, wo der Minister Ungarns den Soldaten des deutschen Kaisers auf andere Weise begegnen wird.«

Schüsse knallten in dem Knäuel der Menge, die sich um das Wachthaus drängte - kopfüber stürzten Männer und Frauen über einander her - ein wildes Geheul - über die Liegenden hinweg sprang ein dunkler Körper und huschte über den Platz, das schreiende Volk hinter ihm drein -


Der bedeutsame Wink, den der russische Fürst und Graf Stephan beim Scheiden ausgetauscht, die Betonung, die der Erstere auf die zehnte Stunde gelegt, und das Zurückbleiben des jungen Magnaten im Dorfe, hatten Gräfin Cäcilie vollends überzeugt, daß ihr Verdacht über die Folgen des Streites am Morgen richtig gewesen und eine Herausforderung der beiden Nebenbuhler stattgehabt hatte.

Kühn und männlich in allen Entschlüssen, war der ihre sogleich gefaßt; nicht das Duell zu verhindern, das konnte der stolzen Tochter der Pálffy's nicht in den Sinn kommen, aber die Aufregung, die Besorgniß um den Mann, dem sie ihre Liebe gegeben, hätte sie unmöglich unthätig des Ausgangs harren lassen.

Ein kurzes Nachdenken zeigte ihr, daß das Rendezvous auf der Straße nach Szegedin oder in ihrer Nahe stattfinden mußte, auf welcher Fürst Trubetzkoi abgereist war.

Ihre Erziehung hatte sie mit allen männlichen Uebungen vertraut gemacht; - mit leichter Mühe verschaffte sie sich aus der Garderobe ihres verstorbenen Bruders ein ungarisches Männer-Costüm, das dem des Grafen Stephan glich. Eine halbe Stunde nach ihrer Rückkehr in's Schloß stand sie an dem Seitenausgang des Parks, wo der Reitknecht auf ihren Befehl ihr Pferd bereit hielt - zwei Minuten nachher jagte sie allein durch die lichte Mondnacht querfeldein über die Fläche, das Dorf vermeidend, bis sie jenseits desselben die Straße nach Szegedin erreicht hatte.

Hier mäßigte die Gräfin den Lauf ihres Pferdes und ritt

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langsam den Weg entlang, zur Rechten und Linken spähend, ob sie kein Anzeichen bemerken könne. So war sie bereits einige Minuten in dem Tannenwalde fortgeritten, als sie an einer von dem Mond beschienenen Stelle das Schnauben eines Pferdes hörte und das niedrige Gehäge sich theilen sah. Ein Reiter, in den weißen Szür gehüllt, den breitrandigen Hut über das Gesicht gezogen, erschien in der Oeffnung, und die Flinte in seinem Arm, bereit zum Anschlag, bewies ihr, daß sie auf ihrer Hut sein müsse.

Im Augenblick war eine der beiden Pistolen, die sie in die Schärpe gesteckt, in ihrer Hand und der Hahn gespannt. Das Knacken desselben schien jedoch wenig Eindruck auf den Fremden zu machen.

»Baszom a Mágnást! laßt das Ding stecken,« sagte er gleichmüthig; »wenn ich Euch an's Leben oder auch nur Euch etwas leichter machen wollte, würde ich nicht gewartet haben, bis der Puffer in Eurer Hand war. Wenn Ihr, wie ich nach Eurer Kleidung schließe, ein echter Magyar seid, sollt Ihr einem Manne einen Dienst erweisen, dessen Ruf schlimm genng ist, der ihn aber, bei Gott! sich verdient hat nur an den Feinden und den Blutsaugern des Vaterlandes!«

»Was willst Du?«

»Die Stimme sollt' ich kennen,« meinte der Fremde, »obschon ich sie selten genug gehört habe, und ich nicht wüßte, wie die Eigenthümerin hierher käme zu dieser Stund'!«

»Nochmals - was willst Du? Ich habe ein Magyarenherz und verrathe keinen Landsmann!«

»Teremtete! Der Teufel soll meinen Leib fressen, wenn es nicht ist, wie ich gedacht. Ist sich's die schöne Gräfin vom Schloß, des jungen Herrn Braut seinigte!«

»Und wer bist Du?«

Der Betyár nahm den Hut ab und warf die Flinte auf den Rücken. Das volle Mondlicht fiel auf sein Gesicht. »Weiß nicht, ob schöne Dame gehört von Rózsa Sándor, dem Betyár; bin ich's, wie er leibt und lebt.«

Die Gräfin erbebte einen Augenblick, sich allein in dem Wald, in so unmittelbarer Nähe des weit berüchtigten Räubers

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zu sehen, sofort aber gedachte sie seines muthigen und von einem gewissen Edelmuth zeugenden Auftretens zu Gunsten des armen Slowaken, dessen Zeugin sie gewesen, und begriff, daß sie persönlich Nichts von ihm zu fürchten hatte. Seine nächsten Worte bestätigten dies auch.

»Gendarmen verflüchtige haben mich getrieben weit hinaus in die Pußta, aber hab' ich ihnen gedreht Nase so groß, und bin gekehrt zurück, während sie laufen immerzu nach dem Fluß. Möge der Teufel ihre Seelen in den Sumpf stecken. Rózsa hat versprochen, in dem Falu zu sein, wenn die Männer zusammenkommen, die ein Herz haben für's freie Ungarland! Ich muß in das Dorf, aber ich möchte gern wissen vorher, was geschehen ist, nachdem ich geritten davon, und ob die Spitzbuben haben gefangen gesetzt Katharina, das Weib meinigtes.«

»So viel ich weiß, ist Nichts der Art geschehen. Man hat Deine Verfolgung aufgegeben, als zwecklos, und wenn Du warten willst, sollst Du unter dem Schutz eines Mannes in das Falu75 zurückkehren, an den die Häscher sich nicht wagen werden. Bist Du auf dem Wege von Szegedin einem Wagen mit dem Dreigespann begegnet - einem der Gäste meines Vaters?«

»Teremtete! werd' ich nicht! Es war der russische Knäs.«

»Wohl! und er hat seinen Weg fortgesetzt?«

»Weiß nicht, was er hat - glaub', er ist Spion, und bin ihm gefolgt deshalb. Eine Meile von hier hat er lassen umkehren den Wagen - ist gefahren dort drüben an's Waldend', wo die drei Tannen stehen. Da sitzt der Knäs seit einer halben Stund' im Mondschein und thut schön mit der Zigeuner-Dirn', die gewartet auf ihn, wo Kreuz steht das steinerne.«

»Höre mich an, Mann,« sagte entschlossen die Gräfin. »Kannst Du mich in die Nähe führen, ohne daß er's merkt? Ich möchte ihn belauschen - denn die Dirne ist nicht die einzige Ursach', wegen deren er zurückgekehrt ist.« Ein Gedanke, von dem aufsteigenden Zorn gegen den treulosen Bewerber erweckt, flog durch ihren Kopf. »Vielleicht hab' ich noch ein ander Geschäft, und Du sollst reich belohnt werden für den Dienst.«

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Die Frauen vergeben eine Beleidigung ihrer Schönheit nie, selbst wenn der Beleidiger nicht ein begünstigter, sondern ein abgewiesener Bewerber ist!

Der Betyár erklärte sich bereit. Nachdem Beide von den Pferden gestiegen, ging er voran und führte sie vorsichtig am Saum der jungen Föhrung entlang in die Nähe der bezeichneten Stelle.

»Pscht - Herrin - schau' auf! Da sind sie, so wahr Augen die meinigten sehen können.«

Gräfin Cäcilie erblickte den Wagen, auf dessen Bock der Kammerdiener des Fürsten saß, seine Pfeife rauchend. Der Csikos lag neben seinen Pferden auf der Erde.

Etwa hundert Schritt von der Stelle, wo der Wagen hielt, saßen ein Mann und ein Mädchen auf den Wurzeln einer großen Tanne. Der Mann hatte eine Rumflasche neben sich stehen und das Mädchen im Arm. Es waren der Fürst und die junge Zigeunerin. Die Gräfin befand sich jetzt - indem sie allein vorsichtig so weit sich genähert - kaum zwanzig Schritt hinter dem Paar, und in der Stille der Nacht hörte sie die lüsternen frechen Liebkosungen des Tartaren, die ihr das Blut in die jungfräulichen Wangen trieben.

»Ich dachte mir's fast,« lachte der Fürst, indem er das Zigeunermädchen noch enger auf seinen Schooß zog, »daß der junge Kampfhahn ausbleiben würde. Er mag sich in den Augen der stolzen Närrin sonnen, während ich Deine heißen Lippen küsse, Mädchen, die mehr werth sind, als alle Gräfinnen des ganzen Ungarns.«

Die junge Dirne hatte sich rückwärts mit dem Oberkörper über seine Knie gelegt; ihr geöffneter Mund zeigte die weißen Reihen der Zähne, die unwillkürlich trotz ihrer Regelmäßigkeit und Kleinheit an das Gebiß des Wolfes erinnerten, den Szabó mitten zwischen die vornehme Gesellschaft geworfen hatte. Ihre Hand spielte an seinem Kinn, die schwarzen Augen waren halb geschlossen.

»Nimmst Du Tunsa mit in Dein goldenes Schloß, Blanker?« fragte sie. »Tunsa will Dich lieben und küssen, wenn Du ihr schöne Kleider giebst und rothes Gold!«

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» Du sollst mit nach Moskau und Petersburg - ich laß Dich ausbilden von den Französischen Tänzern, kleine Hexe, und Du sollst Dein eigen Haus haben, wie eine Fürstin.«

»Aber die Dienstleute im Schloß sagen, Du wolltest die weiße Gräfin heirathen, oder der blanke Magnat, der so stolz auf die armen Zigeuner herabsieht. Aber d'rum soll er sie nicht haben, sondern Du. Tunsa wird's schon machen und ist gar nicht eifersüchtig, wenn Du nur ihr Glück machst, wie Du versprochen hast!«

»Närrin - Du willst mir zur Gräfin verhelfen? Wie wolltest Du's anfangen?« Er küßte wieder ihre rothen Lippen und fuhr mit lüsterner Hand über die halb entwickelten Formen.

»O, Tunsa kann Vieles, wenn sie auch noch jung ist. Sie hat die Mumeli[-]Swa, die Mutter des Stammes, oft belauscht, wenn sie ihre Liebestränke kochte. So wahr der Aldobaran über dem stolzen Schloß funkelt, aus dem sie das arme Zigeunerkind mit den Hunden jagten, als es in der Winterkälte um Brod und Raum am Feuer für die Großmutter bat, die schlanke Gräfin soll Dein werden, der Du die offene Hand hast für die Kinder der Haide!«

Der Fürst spielte lächelnd mit den Pistolen, die er neben sich gelegt. »Ich denke, ich habe hier ein Mittel, mein Püppchen, das sicherer zum Ziele führt, als all' Deine Zaubertränke. Wir wollen warten, bis die Uhr im Dorf die zehnte Stunde geschlagen, und dann fort nach Szegedin. Seine Ehre ist verloren, wenn er nicht kommt, und die Braut dazu. Einstweilen laß uns das Leben voll Lust genießen bis zum letzten Tropfen. Halt - was schleicht dort im Holz?«

»Es ist der Fuchs, der auf Beute geht, Blanker, oder der Hase in seinem Nest,« lachte das Zigeunerkind. »Trink', Blanker, und küsse Tunsa, denn es weht kalt über die Haide.«

Er setzte die Flasche an den Mund und sog den heißen starken Trank in langem Zug, dann riß er die Dirne zu sich nieder.

Die Gräfin hatte sich hastig entfernt. Wenige Augenblicke nachher saß sie wieder zu Roß; einige Worte hatten genügt, den Betyár über seine Rolle zu verständigen und seinen Widerspruch zu besiegen. -

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Der Fürst sprang empor. »Dort kommen Reiter aus dem Gehölz!« Er pfiff nach seinem Kammerdiener, der eilig herbeikam. »Führe das Mädchen zum Wagen und laß sie dort bleiben bis die Sache entschieden. Hier, Kind, nimm die Börse, und kehre zu den Deinen zurück oder geh', wohin Du willst, wenn der Satan mir einen Streich spielen sollte!«

Noch bevor der erste Reiter herankam, - der zweite hielt sich in einiger Entfernung, - war der Diener, der an solche Geschäfte seines Herrn gewöhnt schien, wieder bei ihm.

Der Mann stieg vom Pferde und band dasselbe an einen Stamm, der zweite that dasselbe und blieb, in seinen Mantel gehüllt, stehen.

»Ist sich Graf Istvan76 dort gekommen allein mit mir. Bin ich freier Ungar, also Edelmann so gut wie Einer,« sagte der Mann ohne weitere Vorstellung. »Können wir gehen an's Werk, todtzuschießen schuftigen Moskowiten.«

Der Fürst lachte hell auf. »Eine neue Species von Secundanten - indeß das paßt zu dem meinen. Sprich mit dem Gentleman, Pierre, und bringe das Nöthige in Ordnung.«

Er ging einige Schritte auf und nieder, der französische Kammerdiener machte mehr durch Zeichen als durch Worte sich dem Ungar verständlich und maß die Entfernung ab, fünfzehn Schritt. Der Ungar wies grinsend auf die Pistolen, die er in der Hand trug, und bedeutete ihn, daß jeder der Herren sich seiner eigenen Waffe bedienen solle.

Der russische Oberst stellte sich auf seinen Platz, sogleich kam der Mann im Mantel heran, ließ diesen fallen und zeigte die Person des Grafen Stephan in der ungarischen Tracht; nur der breite Hut beschattete tief das Gesicht, so daß der Fürst trotz des hellen Mondscheins nicht die Züge des Gegners zu erkennen vermochte.

»Da unsere höchst ehrenwerthen Zeugen,« sagte er spöttisch, »sich nicht verstehen und unsere Rechte bestimmen können, so schlage ich vor, gleichzeitig zu schießen, sobald mein Kammerdiener zum

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dritten Mal in die Hände klatscht. Er hat einige Erfahrung in solchen Dingen.«

Sein Gegner machte eine stumme zustimmende Verbeugung - der Diener des Russen trat zur Seite.

»Fene egyemek! Ich will seine Hundeseele haben, wenn er Ihnen ein Leids thut!«

»Still!«

»Sind Sie bereit, Herr Graf?«

Der Magnat nickte und hob das Pistol.

Der Diener schlug zum ersten Mal die Hände in einander.

»Zielen Sie gut - es gilt Ihrer schönen Cousine. Wenn Sie noch etwas in diesem Leben an sie zu bestellen haben ... «

»Schurke!«

Der Russe stutzte bei dem Klang dieser Stimme - im selben Moment klatschte das dritte Signal und die beiden Schüsse verschmolzen in einem einzigen Knall. -


»Hussah! Baszom a lelkedet! Ein lustiger Halál! Frisch auf, Burschen! in die Schwemme mit ihm! in die Schwemme!«

Der tolle Knäuel peitschte auf den lahmen Gaul, im wilden Jagen ging es der Pferdeschwemme zu - Pferd und Reiter flogen kopfüber in den Morast.

»Wo ist der Halál? Laßt uns den Teufel verbrennen! Kurvanyád! Ein lustiges Feuer, Bursche, und den Reigen d'rum her!«

Erschöpft, zerschlagen, zerstoßen, blutend, von Schmutz und Wasser triefend, floh der Slowak, von seinen Peinigern befreit, die ihr wüstes Spiel jetzt mit der Strohpuppe trieben, über den Platz, sprang über die Fenzen und Düngerhaufen der Tanyen, und erreichte keuchend das Wachthaus. Sein Aussehn glich fast nichts Menschlichem mehr.

»Wo ist der Capitány? - um der Szent Muttergottes willen - Szabó muß sprechen den Capitány!« Die Panduren der Wache lachten ihn aus - er rang keuchend mit ihnen, bis er die Thür des großen Flurs gewonnen, wo um das Herdfeuer die wilden Soldaten lagerten und der Capitain mit dem langen

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Schibuck saß und sich von Hanka, dem Strapazir-Mensch, den heißen Punsch, mit rothem Pfeffer gewürzt, brauen ließ.

»Was will der Hund? Den Teufel über seine Seele!«

Der Slowak warf sich zu seinen Füßen und umklammerte seine Knie. »Erbarmen, Gestrenger! Szabó will Dein Knecht werden und Alles thun, aber gieb die Hanka frei!«

»Hund von einem Slowaken - Du und Deinigte sind schuld, daß Jurisch im Dorf bleiben mußte, statt an der Tafel des Magnaten sich gut zu thun. Fort mit Dir, eh' ich Dich schlagen lasse todt wie tolles Vieh. In die Kammer, Dirn', und bereite mein Lager. Es ist Zeit, daß ich komme zu meinem Recht!«

Er faßte das willenlose Mädchen und stieß sie durch die Thür, die zu der niedern, aber geräumigen Stube führte, welche sein Quartier bildete. »Fürcht' Dich nix vor dem Wolf! Ist ja Hochzeitsgeschenk von Deinem Liebsten und kann zuseh'n zu unsrer Lust!«

Der Slowak hatte sich erhoben - sein Auge leuchtete wie der zuckende Blitz aus dem Schmutz und Blut, die ihn entstellten.

»Willst Du die Hanka frei geben, Capitány?«

»Ist der Bursche verrückt?«

»Zum letztigen Mal - verhütig' es Gott, aber es giebt ein Unglück!«

»Die Dirne ist schön und ihr Leib ist jung! Sie soll mir machen Lust vielligte, so wahr ich der Jurisch heiße!«

Ein wüthender Faustschlag traf ihn in den frechen Mund, daß das Blut unter dem langen Schnurrbart hervorquoll. Mit einem raschen Griff hatte der Slowak zugleich den Säbel des Taumelnden aus der Scheide gerissen und stürzte mit der blanken Klinge auf ihn los.

Aber ehe der geschwungene Stahl ihn noch durchbohren konnte, warfen zwei der Panduren sich zwischen sie, andere faßten den Sauhirten um den Leib und warfen ihn trotz seines rasenden Widerstandes zu Boden. Der Lärmen hatte die draußen lungernden Soldaten und viele Weiber und Männer an die Thür gezogen. Die Nachricht, daß Szabó Palkó, der Kanász, der Panduren-Hauptmann habe erschlagen wollen, verbreitete sich

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schnell und rief manches nur halb unterdrückte Eljen für den wackern Burschen hervor.

Hanka, die Aermste, um die alles das geschehen, hatte das Gemach verlassen und kniete vor dem Offizier, der sich auf einen Schemel am Feuer niedergesetzt, das Blut aus dem Gesicht trocknete und das grünliche schiefe Auge mit satanischem Ausdruck auf den Unglücklichen gerichtet hielt, der gewagt hatte, sich an ihm zu vergreifen.

»Bindet den Hurensohn! Schnürt ihm die Glieder fest, daß die Bestie sich nicht regen kann.«

Mit Stricken wurden dem Slowaken Arme und Beine von der fixen Hand der Panduren zusammengeschnürt, daß er wie ein Ball auf dem Padlás, dem gestampften Lehmfußboden, lag.

»Soll ich ihm stecken Knebel in Mund den seinigten, oder ihm schlitzen die Zunge mit dem Messer?« fragte der eine der Henker.

»Nein! Er soll reden und schreien - Baszom a császárt! Sein Geschrei soll sein Lust für Jurisch's Ohr!« Er hatte sich erhoben und war zu dem Gefangenen getreten. »Hund verfluchtiger,« sagte er mit einem tückischen Fußtritt, »weißt Du, daß ich könnte Dich lassen machen todt, weil Du vergriffen Dich am Offizier?«

»Erbarmen, Herr!« schluchzte das Mädchen; »schenke Szabó das Leben - wir wollen Dir Beide dienen unser Lebelang!«

Der Hauptmann faßte die hübsche Slowakin und riß sie empor. »Weiß ich was Besseres, als zu machen den Hund todt - kann ihn brauchen der Kaiser und soll er vorher haben Strafe, die seine Hundeseele soll schmerzen mehr, als der Tod. Werft das Vieh hinein in die Kammer, soll er liegen bei seinem Geschenk die ganze Nacht und sehen, wie Panduren-Offizier hat sein Recht in schuftigem Ungarland!«

Die rohen Grenzer jubelten über den Einfall ihres Führers - wie ein lebloser Sack wurde der Slowak aufgehoben und auf den Fußboden der Wohnung des Hauptmanns geworfen, kaum zwei Schritt von dem Wolf entfernt. Der Panduren-Offizier schleppte das Mädchen hinein. »Haltet die Wach' gut, Haiducki, und daß Keiner uns stört!« Dann schloß er die leichte Bretterthür.

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Das Gemach des Hauptmanns war ziemlich groß, denn es nahm die ganze Breite des Gebäudes ein und bildete dessen Ende. Zwei Kiehnspähne, in eisernen Klammern an der dünnen, nur von Lehm und Fachwerk gebildeten Wand, beleuchteten die Stube und trieben ihren Qualm an die niedere Decke. Das ganze Mobiliar bestand aus einem grob gezimmerten, im Boden festgemachten Tisch mit einigem Schreibgeräth, Gläsern und Krügen darauf, zwei oder drei Schemeln und einer großen Pritsche oder Feldbettstelle am andern Ende des Zimmers, in der ein Bund Maisstroh, ein Bärenfell und einige wollene Decken das Lager des Postenkommandanten bildeten. Auf Pflöcken an den Wänden hingen Kleidungsstücke und Waffen des Hauptmanns. Ein einziges schmales Fenster ging hinaus auf den Kirchplatz. Einige neugierige Gesichter tauchten wie Schatten vor den erblindeten Scheiben auf beim Eintritt des Grenzers und seiner Beute, verschwanden aber gleich darauf, von der Schildwache vertrieben.

Zur Seite der Thür lag das gefesselte Raubthier, machtlos in seiner Wuth und zuweilen nur ein heiseres Schnauben aus der zerrissenen Kehle hören lassend; kaum zwei Schritte von ihm entfernt, im Winkel, dicht an der Hinterwand der Stube und des Gebäudes, befand sich der Slowak, dessen Arme und Beine mitleidslos zusammengeschnürt waren.

Seit seiner Ueberwältigung hatte der Aermste keinen Laut mehr von sich gegeben und ohne sich zu rühren die Mißhandlungen der Soldaten ertragen. Auch jetzt lag er stumm und still, nur sein dunkles, fest auf die Slowakin gerichtetes Auge zeigte, daß noch Leben in ihm war.

Der Hauptmann ließ das bebende Mädchen eine alte Decke vor das Fenster hängen, während er den Säbel, Mantel und Mütze ablegte.

»Zieh' Dich aus, Hanka!«

Das arme Slowaken-Mädchen zitterte so stark, daß sie sich nicht zu rühren vermochte. Der Pandur hatte selbst die Decken des Lagers zurückgeworfen und begann sich zu entkleiden.

»Wird's, Dirne, oder soll die Peitsche helfen?«

Das Mädchen, das im Gefühl der altgewohnten Knechtschaft und hergebrachten Sitte sich vielleicht gar nicht geweigert haben würde,

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die rohen Befehle ihres neuen Herrn zu erfüllen, wenn nicht die Gegenwart des Geliebten ihr Herz zusammengeschnürt und den Widerstand der Schamhaftigkeit in ihr wachgerufen hatte, hob stehend die Hände zu ihm empor.

»Herunter mit der Bunda!« Er hatte eine schwere Peitsche ergriffen und schwang sie drohend gegen das Mädchen. Ihre zitternden Hände verrichteten ihm nicht schnell genug das Werk, mit frecher Faust riß er in einem Griff den Pelz von ihren Schultern, die Parta aus ihrem Haar. Ein zweiter Griff zerriß die Haken des Mieders, das Hemd über ihrem Busen. Zu dem Rausch und der Brutalität des Hasses kam mit dem Blick auf die enthüllten vollen Formen des Mädchens die roheste Sinnlichkeit.

»Schnell, Dirne - spute Dich! - Du siehst ja, Szabó Liebster der Deinigte wird ungeduldig und will in's Brautbett!«

Die Peitsche klatschte drohend zu dem rohen höhnenden Gelächter durch die Luft - in der Pause eines Moments klang ein Ton durch das Gemach, wie das zermalmende Aufeinanderknirschen der Zähne.

»O, Herr - ich will Alles leiden - aber schone mein - thu' fort die Spähne!«

»Närrchen - was kümmert Dich das Licht?« Er riß das Kleid ihr vom Leibe, erfaßte die Flüchtende mit starkem Arm und schleppte sie zum Lager. »Soll ich Gehorsam lehren noch einer slowakischen Magd? Den Teufel über Deinen Trotz - wag' nicht zu mucken, sonst sollst Du fühlen die Faust des Jurisch!« Er warf sie brutal auf das Bett und legte die gespannten Pistolen auf den Schemel am Kopfende.

»Nun, Szabó, Slowak, sei lustig, Bursch', und heul' mit dem Wolf uns das Brautlied! Nimmer wirst Du heben die Hand wider Jurisch mehr!«

Die Kleider flogen auf den Boden; wie der Wolf auf seine Beute, stürzte er sich auf das Lager und umfaßte den schaudernd sich windenden Körper des schluchzenden Mädchens.

Die flackernde, rothe Gluth der Kiehnspähne schlug durch's Gemach und warf ihren schwachen, züngelnden Schein auf die empörende Scene.

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Dann, als schämte sich das Licht dessen, was es beschien, erlosch knisternd der eine Flambeau - darauf der andere.

Draußen auf dem Platz tönte noch immer das lustige Toben der Menge, die Fiedel und schrillende Flöte der Zigeuner - die Strapazir-Menscher flogen im wilden Tanze mit den trunkenen jubilirenden Burschen.

In dem Gemach hörte man nur das unterliegende Ringen - das Stöhnen brutaler Gier, das leise Wimmern des Mädchens und das Schnauben des Wolfes. Der Mensch wetteiferte mit der Bestie.

»Hei, Szabó Slowak, bei Szent Lajos! die Dirne ist süß! Baszom teremtete! wie gefällt Dir die Brautnacht?«

Eine halbe Stunde mochte vergangen sein - jeder Widerstand des armen Mädchens hatte aufgehört, der Mörder ihres Glückes berauschte sich in der Erschöpfung der brutalen Lust.

Welche Feder vermöchte zu beschreiben, ja, nur anzudeuten, was während der Zeit der unfreiwillige Zeuge seiner Schmach, der rohe Sohn der Natur mit seinen ungezähmten Leidenschaften und Gefühlen empfand.

Aus dem Starrkrampf, der zuletzt seine Sinne und Nerven umfangen hielt, erweckte ihn jetzt ein kratzendes, scharrendes Geräusch, das dicht an seinem Kopfe in der Wand seit mehreren Minuten fortdauerte.

Gleichgiltig gegen Alles, außer der Wuth und dem Schmerz, die ihn verzehrten, rührte er sich nicht.

Dann hörte das Geräusch, das immer näher gedrungen, auf, und ein kalter Luftzug berührte seine mit Schweiß bedeckte Stirn.

Er wußte, ohne das Haupt zu wenden, daß dieser Luftzug von einer Oeffnung in der leichten Lehmwand herkommen mußte, die eine unbekannte Hand von Außen gemacht.

»Szabó Palkó - Szabó Slowak!«

Der Hauch der fremden Stimme war so leicht, daß er kaum zu seinem Ohre drang - dennoch, in dem gespannten Zustand der Nerven, fühlte er sogleich, daß eine befreundete Seele ihm nahe.

Es geschieht so selten, daß dem Sohne seines verachteten Stammes die Theilnahme einer fremden Menschenbrust wird, daß

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schon die Ahnung davon in seinem tiefsten Elend ihm ein Lichtschein vom Himmel dünkt und seine Seele zu neuer Stahlkraft erhebt.

Mit unsäglichem Schmerz drehte er den Kopf der Oeffnung zu. »Wer ruft Szabó, den Elenden?«

Der leise Ton schien draußen vernommen, denn sofort kam die Antwort: »Kathrina Vodo, das Weib des Sándor, ist's, die Dir nahe!«

»Dank Dir, Kathrina! Die Unglücklichen allein wissen, wie wohl eine Freundesstimme thut. Wo ist der Betyár?«

»Er ist fort und ich hoffe, in Sicherheit. Kann Kathrina etwas für Dich thun, Szabó Slowak? Ich weiß, daß Du den Rózsa meinigten gerettet vor den Tatzen des Bärens und möchte dankbar Dir sein.«

Der Gefesselte schwieg einen Augenblick; dann flüsterte er:

»Hast Du ein Messer?«

»Ja!«

»Versuch' es, ob Du den Strick durchschneiden kannst, der meine Hände und Füße knebelt.«

Er wand und drehte sich, bis der Knoten dem Loch in der Mauer gegenüberkam; aber vergeblich waren die Bemühungen der Frau, mit dem Messer den Strick zu erreichen, und die seinen, den Knebel um die Gelenke nahe genug zu bringen.

»Kann ich nicht - es ist unmöglich! Armer Szabó!«

Ein Gedanke - der Hölle entstiegen und deunoch eine Wohlthat seinem gemarterten Hirn - zuckte durch seine Seele.

»Laß das Messer fallen - schieb es herein!«

Ein leichter Klang der fallenden Klinge verkündete, daß sie seiner Weisung Folge geleistet.

»Ich danke Dir, Kathrina Bodo. Grüße den Rózsa und bet' für die Seele vom armen Slowak. Die Panduren möchten Dich sehen, wenn Du länger weilst um des Szabó willen.«

»Was murmelt das Thier?« Der Capitain fuhr aus seinem Taumel empor. »Sie ist schmuck, Dein Mädel, Hund von einem Slowaken! - Küsse mich, Dirne, daß Dein Liebster es hört.«

Und laut schmatzten die geilen Küsse durch das Dunkel.

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Der Sauhirt hatte nach langem Suchen das Messer erfaßt. Zu der eigenen Befreiung konnte er es nicht anwenden, das machte die Lage der geschnürten Hände unmöglich. Wie eine Kugel schob sich der menschliche Ball von der Wand ab nach der Stelle, wo der Wolf lag, geschnürt wie er selbst.

Es war, als ob das Thier die Nähe seines Feindes, seines Ueberwinders fühlte - es schnob und keuchte und wälzte sich unruhig hin und her.

»Teufel verfluchtiger - haltet Ruh', Du und der Wolf! seid Ihr Beide eifersüchtig, Szabó Slowak?«

Der Gefangene antwortete nicht. Er hatte sich mühsam so gedreht, daß seine Handgelenke die Krallen des Wolfes berührten; das Messer begann an dem Knoten des Strickes zu sägen, obschon die scharfen Klauen seine Hände und Arme zerfleischten.

Wer ihn hätte schauen können in dem Dunkel, das im Gemach herrschte, nur durch den schmalen Lichtreflex gedämpft, der durch die Spalten der schlechten Thür vom He[e]rdfeuer des Flurs hereinfiel, würde seine Augen jetzt grimmiger haben funkeln sehen, als die des Wolfs, seine Brust im unterdrückten Stöhnen sich gewaltiger heben, als die Flanken des keuchenden Thieres.

Seine blutenden Finger suchten nach dem Strick, der den Wolf geknebelt hielt - nur noch an dünnen Fasern hing der Knoten.

»Küsse mich, Dirne! Lustig! lustig! bist ein tüchtig Mensch - sollst's gut haben bei Jurisch! Fene egyemek! was ist's mit dem Vieh? - Kutya teremtete! was thust Du mit dem Wolf?«

Ein wildes Geheul - ein Hohngelächter antwortete ihm - zwischen den Zähnen hervor zog die Hand des Slowaken das Holz aus dem Rachen der Bestie, daß Fetzen Fleisch und Knochensplitter daran hingen - mit einem heftigen Ruck bei dem Schmerz riß der Wolf die Bande vollends auseinander und sprang empor.

»Hussah, Wolf! hussah, Kamerad! Wolf und Slowak kommen zur Hochzeit!« Es war, als ob das Thier auch jetzt noch, im Ausbruch ungefesselter Wuth und des grimmen Schmerzes, den Bezwinger fürchte, denn nicht auf diesen, die sichere Beute, warf es sich, sondern sprang, einer andern Witterung folgend,

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mit dumpfem Geheul vorwärts. Ein Pistolenschuß knallte auf's Gerathewohl durch das Dunkel, die Kugel schlug in die Mauer und der Pulverblitz zeigte, durch die Luft fliegend im gewaltigen Satz, das grimme Thier mit den glühenden Augen, dem gesträubten Haar, und wie der Schütze entsetzt sich auf dem Lager zurückwarf, nach Hilfe brüllend.

Im nächsten Moment ein wildes Ringen - der entsetzliche Fluch einer Männerstimme - der gellende, furchtbare Schmerzensschrei eines Weibes, der in Röcheln verscholl; - gegen die vereinte Kraft der Panduren, die aus dem Flur ihrem Offizier zu Hilfe eilten, hielt der Slowak mit Riesenkraft, zusammengeschnürt wie er war, minutenlang die Thür, die sich nach Innen öffnete, und vor die er sich gewälzt. In dem Lichtschein, der mit der aufgedrängten Spalte lang durch das Gemach gerade auf das Bett des Hauptmanns fiel, erschien ein wirrer, sich bäumender Knäuel - Schrei auf Schrei - Röcheln - das Geheul des Thieres -

Endlich gelang es den Panduren, die Thür aufzudrücken und mit Waffen und Feuerbränden in das Gemach zu dringen. Zwischen den beiden Ersten sprang der Wolf mit gewaltigem Satz hindurch, warf einen Dritten über den Haufen und gewann die offene Thür des Wachthauses. Schüsse knallten hinter ihm drein - kopfüber stürzte die neugierig herbeiströmende Menge auseinander und mitten durch sie hindurch floh in weiten Sprüngen die bluttriefende Bestie wie ein gespenstiger Schatten davon, der Haide zu.

Der Schauplatz des furchtbaren Ereignisses war jetzt gedrängt voll Menschen. Alles fragte' erzählte, zeterte. Der Anblick, der sich den Augen bot, war in der That entsetzlich. Die fast nackte Leiche der jungen Slowakin hing zu dem Lager heraus in einer Blutlache, die Brust zerfleischt, die Kehle von den scharfen Zähnen der Bestie durchbissen. Der Panduren-Hauptmann lag ohnmächtig, lebendig, aber von Wunden bedeckt, neben ihr. Gesicht, Brust, Arme waren in dem wüthenden Kampf mit der Bestie auf das Furchtbarste verletzt, sein ganzer Anblick eine einzige Masse von Blut. Dennoch schien eben nur der Blutverlust ihn seiner Sinne beraubt zu haben und kein

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edlerer Theil verletzt zu sein, wie das Athmen der Brust und eine rasche Untersuchung des alten Husaren-Wachtmeisters ergab; daß er sich zurückgeworfen auf die andere Seite des Lagers, hatte ihn vor dem ersten Angriff des wüthenden Thieres gerettet, das sich zunächst auf das unglückliche, schutzlose Mädchen geworfen.

»Wo ist der Slowak? Hat die Bestie ihn zerrissen?« fragte der Husar.

»Ist sich lebendig - hat sich heile Haut, weil er mit dem Teufel im Bund!« schrieen die Panduren durcheinander, als die menschliche Kugel von Fußtritten nach dem blutigen Lager gestoßen wurde. »Er muß sterben! Hat gemacht den Wolf frei und gelegen vor der Thür!«

Säbel und Handjars erhoben sich, ihm das Garaus zu machen; die Wache hatte seinen Ruf gehört - der Umstand, daß der Wolf ihn verschont, verbreitete den Glauben an irgend eine übernatürliche Kraft.

»Unsinn!« schrie der Husar, die Bedränger zurückstoßend. »Daß Keiner Hand an ihn zu legen wage, der Slowak gehört Kaiser-König, ist er Soldat! Seht selbst - seine Hände und Arme sind gleichfalls vom Wolfe zerbissen. Löst dem Schelm die Stricke - der Teufel hole den rothröckigen Schuft, der ihn hierher geschleppt!« Auf seinen Befehl löste einer der Husaren die Bande des Gefangenen. Durch einen Fußtritt belehrt, daß er von seiner Freiheit Gebrauch zu machen habe, erhob sich der Slowak. Sein Auge ruhte starr, mit unheimlichem Ausdruck auf der Leiche des Mädchens und dem blutigen Körper seines Feindes. Sein Gesicht hatte eine aschgraue Färbung, die verwundeten Arme und Hände waren über die Brust gekreuzt.

»O Szabó Slowak,« flüsterte eine Stimme an seiner Seite, »was hast Du gethan!« Kathrina, das Betyárenweib, zeigte ihm verborgen das Messer, dessen sie sich in der Verwirrung unbemerkt wieder bemächtigt. »Was hast Du gethan, böser Bub'!«

»Was ich mußte!« Er wandte nicht ein Mal das Haupt nach ihr um.

»Der Slowak darf nicht fort! Er muß vor den Richter! Isten nyéla! Keiner der Burschen soll mit den Swabi-Werbern ziehen!« Viele Stimmen schrieen widersprechende Betheuerungen

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durcheinander. Der alte Husar schaute sich giftig um - viele Gesichter, die noch vor einer Stunde mit ihm den Weinkrug geleert und auf's Wohl der jungen Husaren getrunken hatten, blickten ihn jetzt trotzig, drohend an.

Da wirbelte eine Trommel - Kommandoworte - Gewehre klirrten auf dem Platz -


»Was ist geschehen, Cäcilie? Wessen ist das Blut auf Ihrem Mantel? - was soll die Verkleidung? Sie tragen den Arm im Tuch?«

»Eine Schramme, Vetter, Nichts als eine Schramme - die Kugel, die Ihrem Herzen bestimmt war, streifte blos meinen linken Arm. Die meine traf besser. Da sehen Sie!«

Von der Kirche her marschirte der Zug der Soldaten. Hinter ihnen kam eine Kutsche, der Wagen des russischen Obersten, von Soldaten mit Kiehnfackeln umgeben.

Auf dem Boden des Wagens kniete das Zigeuner-Mädchen und hielt den Kopf des Verwundeten an ihrer Brust, ihm jede mögliche Hilfe beweisend. Der Fürst lag auf den besteckten Kissen ausgestreckt, das Blut schien aus einer gefährlichen Hüften- oder Weichenwunde gequollen, die sein französischer Kammerdiener so gut als möglich verbunden hatte.

»Mumeli-Swa? wo ist die Mumeli-Swa?«

Die alte Zigeuner-Hexe drängte durch die Menge. »Was willst Du, Goldkind? Wo bist Du gewesen so lange?«

»Koch' Deine Kräuter, Mutter Mumeli-Swa, der Herr mit der offenen Hand bedarf ihrer. Die Blanken morden einander, und für die braunen Leute kommt gute Zeit. Die weiße Herrin soll die Seine werden, wenn er aufkommt, - Tunsa hat's ihm versprochen - wenn sie auch wenig Freude von einander haben werden!« setzte sie spöttisch hinzu.

Der Wagen fuhr nach der Czárda. -

»Fort mit uns, Vetter Stephan,« flüsterte die Gräfin. »Wir wollen mit dem Minister reden - es ist besser, Sie kehren auf der Stelle mit diesem nach Pesth zurück, denn wir werden den Russen auf das Schloß holen müssen, und der Graf, mein Vater, wird sehr erbittert gegen Sie sein.«

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»Ich bin gebeugt - entehrt - «

»Ebbadta! Keine Thorheit! Ihr Blut gehört jetzt mir und ich weihe es dem Vaterlande! Ungarns Tochter hat sich selbst frei gemacht von drohenden Banden - befreien Sie Ungarn von den seinen!«

Sie zog ihn mit sich fort.

Fünf Minuten später, noch ehe der russische Fürst in die Csárda gebracht worden und der Offizier des angetroffenen Detachements von den Ereignissen des Abends durch die Werber recht in Kenntniß gesetzt war, rasselte aus dem hintern Thor der Herberge das Gefähr, mit dem zwei Stunden vorher der künftige Diktator Ungarns zu der Versammlung gekommen. Drei Männer, in ihre Mäntel gehüllt, saßen auf dem Stroh; Rózsa Sándor, der Csikos und Betyár, lenkte das flüchtige Dreigespann, das auf der Straße nach Pesth und Szolnok den leichten Korbwagen davon trug.

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Aniella.

1. Die Mission von San Dolores.

Sechs Jahre fast waren verflossen, seit der Commodore Garibaldi mit der eigenen Vernichtung seiner Schiffe den Kampf auf dem ihm seit der Jugend vertrauten Element Valet gesagt und mit seinen Getreuen sich in die Pampas und die Einöden des Paraguay und Uruguay geworfen hatte, als Gaucho den blutigen Kampf mit den Gauchos fortsetzend.

Mit wechselndem Glück war seither von den Föderalisten und Unitarien fortgekämpft worden, Oribe hatte Nunez geschlagen und bei Villaguay am 22. November 1842 unterlegen, machte die Niederlage aber durch den großen Sieg bei Arroyo grande vergessen, nach welchem er an sechshundert Gefangene auf das Grausamste massakriren ließ. Montevideo rüstete sich zur verzweifelten Vertheidigung, viele Ausländer selbst griffen zu den Waffen und alle Sclaven wurden freigegeben, um im Heere zu dienen.

Jetzt mischten sich England und Frankreich auf's Neue in den Streit, um ihre Handelsinteressen aus dem La Plata zu vertreten. Im Februar 1843 hatte Oribe Montevideo von der Landseite eingeschlossen, durch das ganze Gebiet wüthete der Guerillakrieg, in dem sich Garibaldi mit seiner italienischen Legion vielfach auszeichnete. Tapfer focht er bei dem mißglückten Sturm auf das Dorf Cerro Largo und in der Niederlage von India Muerta, wo Urquiza das Heer Ritzera's zerstreute. Mit Silveira warf er sich in die Gebirge von Maldonado, nachdem der Sieger die empörende Menschenschlächterei an neunhundert

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wehrlosen Gefangenen wiederholt hatte, kämpfte mit den Madariaga's am 4. Februar 1846 bei Laguna Limpia, und machte seinen Namen durch die heldenmüthige Vertheidigung Salto's nicht blos durch ganz Südamerika, sondern selbst in Europa berühmt und gefürchtet. Nach dem Sieg von San Antonio ließ die provisorische Regierung von Montevideo seinen Namen und den Jahrestag der Schlacht mit goldenen Lettern auf die Fahne der italienischen Legion schreiben.

Aber Aprilwetter, Spiel, Frauengunst und Kriegsglück, sagen die Sprichwörter aller Nationen, sind veränderlich! Frankreich und England hatten zwar Buenos-Ayres den Krieg erklärt, die kleine Flotte des Diktators Rosas, der einst Garibaldi so heldenmüthig widerstanden, bei Punta Obligado vernichtet, und hielten den La Plata geschlossen; aber in Folge eines Streites mit dem Präsidenten von Montevideo, Dom Joaquin Suarez, hob Lord Howden die englische Blokade auf. Graf Walewski, der französische Gesandte und eifrige Beschützer Garibaldi's, verließ im Juni 1847 Montevideo und die französische Unterstützung wurde täglich geringer. Ribera hatte sich über die brasilianische Grenze flüchten müssen, und nur wenige Schaaren unter entschlossenen Führern unterhielten noch den Guerillakrieg im Binnenland gegen Oribe und Urquiza. -


So war der Stand der öffentlichen Angelegenheiten, als an einem schönen Morgen zu Ende des März des Jahres Achtundvierzig eine wohl an tausend Mann starke Schaar von Reitern und Fußvolk jenseits des Rio Negro durch die auslaufenden Thäler des San Gabriel-Gebirges in der Richtung des Uruguay und der brasilianischen Grenze dahin zog.

Die Schaar schien mehr der Kenntniß ihrer Führer, als den kaum sichtbaren Spuren eines gebahnten Pfades zu vertrauen, die sich oft gänzlich in der hervortretenden Wildniß verloren. Das Thal, durch das sie zogen, war ziemlich breit und der von einem kleinen Bach durchflossene Grund offen, nur hin und wieder von Palmengruppen unterbrochen. Die Algarova breitete dort ihre weitschattende Krone, und wie ein leichter, zierlicher Federstrauß wogte der luftige Gipfel der Jaguapalme im Windhauch. Wo der kleine Bach sich schlammige Buchten im

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fetten Urboden wühlte, dehnten sich kolossale Affenbrodbäume und streckte der gewaltige Händebaum die ungeheuren knorrigen Aeste mit dem zartwolligen Laube und den duftenden Purpurblumen, um die, wie fliegende Brillanten und Smaragden, die Schaar der niedlichen Kolibri's schwirrt.

Von Strecke zu Strecke trat an den Abhängen von Norden her der Urwald mit seinen Ausläufern in's Thal, üppig grüne Quebrada's77 mit den ungeheuren Stämmen der Mahagoni- und Wollbäume und den silberblätterigen Cecropien. Um die Riesen des Waldes flattert das duftige Laub der Demanthusarten, das sich wie welkend zusammenzieht, wenn der Arras mit dem bunten Gefieder hindurchschlüpft und sich zu seinen Gefährten aufschwingt, die aus der Krone der stolzen Piritupalme ihr kreischendes Geschrei ertönen lassen und mit den krummen Schnäbeln die gelbrothen Aepfel ihrer reichen Fruchttraube hacken. Im Gipfel der breitastigen Bertholletia thront ein alter bärtiger Brüllaffe; unter ihm, die Augen auf ihn gerichtet, der dunkle Chor der werthen Gesippen, hoffnungsvolle Affenjünglinge, zärtliche Mütter des Miripigeschlechts mit sußen haarigen Säuglingen auf dem Rücken. Der Patriarch erhebt die dröhnende Stimme und Alle fallen ein, daß stundenweit der Wald ertönt. Der Traueraffe mit dem weißen Haarkranz um das fahle Gesicht, hängt, mit dem Winkelschwanz sich haltend, an einem Zweig des Wollbaums und horcht dem entsetzlichen Concert, dem das Faulthier mit widrigem Klagelaut beistimmt. Die Schaar der Hokhühner flattert durch das Dickicht der Farrenkräuter und seltsam gebildeten Erichtheen. Behutsam auf den Aesten sich hinschwingend, sucht der Cuguar den eifrigen Concertisten sich zu nähern, die indeß der scharfe Schrei des wachsamen gaukelnden Sagouins zeitig noch warnt. Augenblicklich verstummt der laute Chor und ist wie verschwunden. Der gierige Verfolger weiß, daß das Nachsetzen durchaus fruchtlos sein würde, und drückt sich, grimmig knurrend, in die Gabel der Aeste, das Frühstück zu erlauern, das zu erschleichen ihm nicht gelang. Aber ein anderer Laut macht ihn stutzen - sein feiner Geruch, sein scharfes Auge wittert das Nahen des größern Räubers, des

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Menschen, und eilig springt er von seinem Sitz und flüchtet in die Tiefen des Waldes.

Voran dem Zug, in der Entfernung von etwa fünfhundert Schritt, reitet ein kleiner Haufe von etwa zehn Personen in der Bewaffnung und der Kleidung der Gauchos, mit breiten Sombreros die Flinte über der Schulter, die Beine durch dicke Lederkamaschen gegen die langen Stacheln des Feigencactus geschützt, das Messer in den Riemen der Kamasche und den Poncho auf dem Sattel. Nur zwei Personen machten eine Ausnahme davon, ein junger Mann von etwa achtzehn Jahren in einem Sammet-collet und gleichen, bis an die Knie reichenden, zur Seite geschlitzten Calzoneras, unter denen ein anschließendes Lederbeinkleid bis in den kurzen Korduanstiefel reichte. Ein grauer Filzhut mit rothen Flamigofedern saß auf dem schwarzen Lockenhaar, welches das braune, frische Gesicht mit den kecken Augen und kühnen Zügen einrahmte. Die Rechte hielt einen gezogenen Karabiner schußfertig auf den Schenkel gestützt, während er mit der Linken sicher das feurige Pferd lenkte, dessen Bewegungen man es ansah, daß es noch nicht lange die wilde Cavallada verlassen hatte.

Der zweite war ein riesiger Mohr, statt anderer Waffen nur mit einer überaus langen Lanze versehen. Das eigenthümliche Halsband, der breite Mund und die schweren Goldringe in den Ohren zeigten eine dem Leser bekannte Gestalt, La-Muerte, den Majordomus der ehemaligen Señorita Aniella auf der Quinta.

»Beu der großen Obih-Schlange,« sagte der Schwarze, der mit dem Jüngling einige Schritte vorausgeritten war, »wir sind nun drei Tage durch die Ebenen und die Thäler gezogen, und müßten den Fluß längst erreicht haben. Was denken Massa Franzisco dazu?«

»Was ich denke, Schwarzer? ich hoffe nur, daß wir die föderalistischen Schurken bald vor dem Lauf unserer Büchsen haben werden. Wind und Wetter! es war kurzweiliger, auf dem Top der alten Itaparika Wache zu halten, als ewig hier durch Bäume und Sträucher nach einem Feinde auszuspähen, der sich auf die Schnelligkeit seines Pferdes verläßt.«

Der Mohr lachte grinsend vor sich hin. »Massa Commodore

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sprechen noch neulich zur Señora, Klein Massa Franzisco säßen jetzt auf dem Recado78 so fest, wie sonst auf der Raa, und wären grad' so gut, wie geborner Gaucho!«

»Ei potz Sturmsegel und Bramstenge,« lachte der geschmeichelte Jüngling, »ich bin gerade kein schlechter Reiter und das Leben gefallt mir auch sonst ganz gut. Für Abwechselung sorgen der Bluthund Urquiza und der Commodore. Aber was ich eigentlich sagen wollte - Du mußt das verwetterte Mestizen-Gesicht länger kennen als ich, und so frag' ich Dich, was hältst Du von seiner Nachricht?«

Der Schwarze warf einen flüchtigen Blick zurück auf die Spitze der nachfolgenden Kolonne, dann schüttelte er besorgt den Kopf. »La-Muerte,« sagte er, »waren viele Jahre gut Freund mit Manuelo, aber ein Pardo haben kein weißes und kein schwarzes Herz, haben viel Haß in dem seinen.«

»Aber er ist ein Freund oder Verwandter der Señora, wie ich gehört. Der Zank in der Quinta, dessen ich mich noch recht wohl erinnere, mag Ursach' sein, daß er so lange fern blieb.«

»Massa Franzisco kennen Seele von Pardo nicht,« meinte der Mohr. »La-Muerte wird ein scharfes Auge für ihn haben.«

»Der Brief, den er dem Commodore vom Oberst Silveira brachte, war unzweifelhaft echt, und er selbst erbot sich, die Schaar dem Feinde in den Rücken zu führen. Ich hörte seine Versicherung, daß er die Gegend genau kenne, und die Señora verbürgte sich für seine Treue.«

»Massa Manuelo sein ein Gambusino. Wenn er uns führen will recht, kennt er mit verbundenen Augen jeden Schritt. Die Lanze La-Muerte's ist lang, wenn der Pardo ein Verräther ist. Was da sehen Massa Franzisco?«

Der junge Mann hatte sein Pferd angehalten und schaute aufmerksam nach einem Felsstück weiter hinauf im Thal, das sich jetzt mehr und mehr zu verengern begann.

Am Fuß einer mächtiger Ceder, die sich aus dem Felsgrat erhob, sah man die Gestalt eines Mannes gleich einer Bildsäule sich an dem lichten Horizont abzeichnen. Selbst das Näherkommen

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des Zuges schien weder seine Neugierde noch seine Furcht zu erregen, so unbeweglich stand die Figur, die, wie man jetzt bemerkte, sich auf einen langen Bogen stützte und deren glattgeschorenes Haupt nur mit drei aufrecht stehenden Geierfedern geschmückt war. Der Fremde trug ein indianisches Jagdhemd, das seine schlanke, noch jugendliche Gestalt zeigte, und mit Perlen und Federn verzierte Mocassins. Als man näher kam, bemerkte man, daß er zu dem Geschlecht der alten Bewohner des Landes, ehe die spanische Herrschaft sie vertrieb, gehörte und noch ein Jüngling, kaum von dem Alter des jungen Franzosen an des Mohren Seite, war. Er mußte sich auf der Jagd befunden haben, denn ein Hirsch, von dem Pfeil des Schützen durchbohrt, lag zu seinen Füßen.

Der kleine Reitertrupp hielt am Fuße des Felsblocks und einer der eingeborenen Soldaten, der die Sprache der Stämme der Puelches-Indianer etwas verstand, rief ihm in dieser zu, herunter zu kommen, um mit ihnen zu reden.

Während der junge Indianer schweigend gehorchte, kam der Hauptzug des kleinen Heeres herbei.

An der Spitze desselben befand sich der kühne Condottieri, dessen Ruf und Namen der Schrecken der Liberados geworden war, mit seiner Gattin, Señora Aniella, die ihn seit jener schrecklichen Nacht auf dem La Plata keinen Augenblick verlassen und alle seine Gefahren und Entbehrungen muthig getheilt hatte. An ihrer Seite ritt der Pardo, den sie einst verschmäht und der den Dolch auf das Herz des Mannes gezückt hatte, der so rasch ihre Liebe gewonnen. Die Falten und Züge seines tiefgrauen Gesichts waren noch schärfer und härter, das glänzende Auge noch rastloser geworden, als da wir ihm zuerst am Ufer des La Plata begegneten. Seine Kleidung zeigte Nichts mehr von dem frühern Glanz und der Eitelkeit, sondern war im Gegentheil unscheinbar, ja dürftig. Nur das Pferd, das er ritt, war von auffallender Schönheit und der kräftigsten und ausdauerndsten Indianerrace.

Der Commodore trug, wie früher, den weißen Mantel über der rothen Blouse, die seine kräftige Gestalt umkleidete, und den grauen Hut mit den wogenden Straußfedern. Sein Gesicht war von der Sonne der Pampas und den zahllosen Anstrengungen und Entbehrungen noch brauner und hagerer geworden, hatte

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aber noch an männlicher Schönheit und dem Ausdruck der Würde und Kraft gewonnen. Man sah ihm an, daß der Befehl seine Gewohnheit, der unwiderrufliche, rasche Entschluß seine innerste Natur geworden war. Diesen Ernst, diese Strenge milderte allein der freundliche Ausdruck seines großen klaren Auges, wenn es sich mit Zärtlichkeit und Stolz auf die junge Frau wandte, die in kurzem Reitrock, einen leichten Kavalleriesäbel an ihrer Seite, Pistolen in der rothen Seidenschärpe um ihre schlanke Taille, auf einem kleinen grauen Pferde an seiner Seite ritt, auf dem Knopf ihres Sattels einen Bastkorb, der zwischen einer Wiege und einer Hängematte die Mitte hielt und in dem ein wunderhübsches Kind von etwa einem Jahre lag.

Eine Schaar von wohl zweihundert Reitern, nach Willkür gekleidet und bewaffnet, Abenteurer aus jedem Lande Europa's und Amerika's, aber Alle kühne, trotzige Gestalten, schloß sich an den Führer. Ein ziemlich disciplinirter Haufen von Fußsoldaten, von Sacchi kommandirt, folgte, und eine zweite Anzahl von Reitern bildete die Nachhut. Die Krieger der Pampas und der Savannen beschweren sich nicht mit vielem Gepäck; der Poncho dient ihnen zur Decke und zum Lager, ein Säckchen mit Pemmican und ihre Flinten sichern ihnen den Unterhalt.

Des Commodore Falkenauge hatte schon von fern den Indianer bemerkt; als er herankam, winkte er, ihn herbei zu führen. Der ganze Zug der Soldaten blieb halten und viele der ermüdeten Fußgänger benutzten die Gelegenheit, sich auf den Boden zu werfen, denn man war bereits seit vier Stunden marschirt.

Der junge Indianer stand jetzt vor dem Anführer und seiner Gesellschaft. Er konnte, wie wir bemerkt, kaum achtzehn Jahre zählen und war hoch und schlank gewachsen, seine Glieder zeigten noch die Hagerkeit der Jugend, sein Gesicht, von heller Kupferfarbe, nicht entstellt durch die Sitte des Tätowirens oder wilde Malereien, war auffallend edel und von antikem Schnitt. Während er die wollene Decke aus dem kostbaren Vicognahaar um Schulter und Brust zusammenzog, streifte sein Auge ruhig über den Halbkreis, der ihn umgab, und blieb dann mit offenbarer Bewunderung auf dem lieblichen Antlitz der jungen Mutter hängen.

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Der Commodore übernahm selbst das Verhör. »Verstehst Du Spanisch oder Portugiesisch?« fragte er.

»Der rothe Mann hat gelernt, mehr als eine Zunge im Munde zu haben, seit sein weißer Bruder über das Weltmeer gekommen,« sagte der Indianer im besten Spanisch. »Frage, und Mato-Topah wird Dir antworten.«

»Von welchem Stamm bist Du und wohnst Du in dieser Gegend?«

»Der Adler der Weißen fragt viel auf ein Mal. Mato-Topah ist der Letzte vom Blute der Aroges, die einst die Gebieter waren von den Quellen der Parana bis zum großen Fluß. Wenn der - >Junge Condor< zu dem Land seiner Väter gegangen ist, wird keine Brust mehr das Zeichen seines Stammes tragen.« Er schlug mit einer leichten Bewegung die Decke zurück und den Augen der Europäer zeigte sich auf der Brust des Jünglings das in heller blauer Farbe tätowirte Bild eines Geierkopfes.

»Mein junger Bruder hat meine zweite Frage noch nicht beantwortet,« sagte der Commodore. »Ist er ein Bewohner dieser Gegend und kennt er sie genau?«

Der Jüngling wies nach dem Hirsch auf dem Felsblock. »Mato-Topah ist auf der Jagd,« antwortete er ausweichend, »der Jäger kennt die Fährten des Wildes.«

»Kannst Du uns sagen, wie weit wir noch vom Uruguay entfernt sind?«

»Ehe die Sonne den Mittag erreicht, könnte Dein Pferd aus seinen gelben Wellen trinken. Aber es wird ihn niemals sehen. Die weißen Männer sind Thoren, ihre Weiber dorthin zu führen, wo der Tod ihrer harrt.«

»Was willst Du damit sagen, junger Mensch? - Befinden sich Feinde zwischen hier und dem Fluß?«

»Wenn mein Vater so weise wäre, wie er tapfer ist, würde er wissen, daß die >blutige Han79 ihn erwartet, wo sein Pfad schmal wird.«

Die Nachricht war überraschend. Man hatte geglaubt, nach

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den Nachrichten, die der Pardo als Bote des Obersten Silveira gebracht, daß der General der Föderalisten sich im Gebiet von Entre-Rios jenseits des Flusses befände und mit einer Bedrohung der Stadt Concordia beschäftigt sei, die sich unter dem Obersten für die Sache der Banda Oriental erklärt hatte, und der der Commodore zu Hilfe ziehen wollte. Dennoch hegte der tapfere Führer keinen Verdacht gegen den Mann, der nach so langen Jahren zum ersten Male wieder bei seiner Milchschwester und ihrem Gatten erschienen war; denn der Brief, den er überbrachte, war unzweifelhaft echt.

Concordia mußte daher gefallen oder Urquiza aus irgend einem Grunde über den Uruguay zurückgegangen sein.

»Bist Du dessen gewiß, Knabe, was Du sagst?«

»Das Augo Mato-Topah's ist scharf. Es hat die Weißen gezählt, als die Sonne aufging.«

Ein Verdacht fuhr durch die Seele des Italieners. »Wie kommt es, daß Du die Sprache der Spanier so geläufig sprichst?«

Der junge Mann lächelte. »Wenn der weiße Adler es vorzieht, mit dem Kinde der Berge in der Sprache der Franken zu reden,« sagte er in gleich geläufigem Französisch, »wird der junge Condor ihm in dieser antworten.«

Das Erstaunen des Commodore über diese Fertigkeit hier in der Einöde des Urwaldes war groß. »Wie kommst Du zu solcher Kenntniß, Jüngling? Hast Du in Montevideo gelebt?«

»Mato-Topah hat niemals die Städte der Weißen besucht. Er liebt den Wald und ist sein Kind. Was er weiß, hat sein weißer Vater ihn gelehrt, in dessen Toldo seine Schwester wohnt.«

Der Anführer hätte gern weiter geforscht, aber er fühlte, daß jetzt Wichtigeres zu erfahren ihm oblag. »Wie hoch schlägst Du die Stärke unserer Feinde an?«

»Sie sind zahlreich, wie die Cedern des Urwalds. Die rothen Kinder der Pampa's sind bei der >blutigen HanGierigen Auge<. Wenn der weiße Adler auf jenen Felsen steigt, kann er sie sehen vor und hinter sich.«

Was keiner der tapfern Krieger bisher gewußt, daß sie von schlauen Feinden schon längst verfolgt worden und jetzt gänzlich

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umzingelt waren, hatte der junge Sohn der Wildniß ohne Mühe erspäht.

Der Commodore warf einen stammenden Blick auf den Pardo, aber die ruhige, unbesorgte Haltung desselben unterdrückte seinen Verdacht. Er sprang eilig vom Pferde und erklimmte den Felsen. Von dessen Höhe überzeugte ihn ein Blick, daß der Indianer die Wahrheit gesprochen. Am Ende des Thales zeigten sich dunkele Haufen von Reitern, über die Höhen, die sie vor einer Stunde passirt, galoppirten dichte Schaaren heran, durch das Glas, welches er bei sich führte, erkannte er deutlich Massen der wilden Puelches-Indianer, untermischt mit den Schaaren der Gauchos und regulairen Soldaten. Der Feind mußte ihm mindestens um das Vierfache überlegen sein. Noch bevor er den Felsen verließ, wimmelten alle Höhen von den Reiterzügen und ihr höllisches Geschrei drang durch die dünne, klare Luft bis zu seinem Ohr.

Im Nu war er zurück in der Ebene und im Sattel seines Rosses. Die Trompete und das Schützenhorn gab das Signal, zu sammeln, und die einzelnen Reiter und Soldaten, die sich von dem Hauptzug entfernt, kamen schon bei dem Anblick der Gefahr, die bald Keinem mehr verborgen blieb, eilig herbei und stellten sich in die Glieder.

Commodore Garibaldi hatte die einzelnen Führer schnell um sich versammelt; eine kurze Berathung reichte hin, sie seine Meinung theilen zu machen, daß man um jeden Preis vordringen und den Uruguay oder wenigstens eine bessere Position erreichen müsse, wo man hoffen könne, sich mit Erfolg gegen die Uebermacht des Feindes an Reiterei zu vertheidigen.

Der offene, ehrliche Charakter des Commodore wies auch jetzt noch jeden Glauben an einen Verrath und daß der Pardo von den veränderten Bewegungen des Feindes Kenntniß gehabt habe, zurück. Während seine Unteranführer mit der Ausführung seiner raschen und entschlossenen Befehle beschäftigt waren, wandte er sich noch ein Mal zu dem jungen Indianer, dessen Augen noch immer mit dem höchsten Interesse und Bewunderung allen Bewegungen der jungen Frau folgten, deren Antlitz keine Spur von Furcht, sondern nur Muth und unbedingtes Vertrauen auf ihren Gatten bekundete.

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»Mein Sohn ist noch zu jung, um auf dem Pfade eines indianischen Kriegers gewandelt zu sein,« sagte Garibaldi in der bilderreichen Sprache der Stämme des Ostens, »aber wenn er in dieser Gegend bekannt ist, kann er uns dennoch vielleicht einen Rath ertheilen.«

Der junge Wilde sah ihn mit einem raschen funkelnden Blick an. »Die >Große Medicin< wollte aus Mato-Topah eine Taube machen, aber der junge Geier vergißt nicht, daß er Schwingen zum Fliegen und Krallen für seine Feinde hat. Der Vater des >jungen Condor< hat den Schnee der Anden und das Herzblut der feigen Aripones gesehen, - er war ein großer Krieger! - Mato-Topah wird das Haus des weißen Mannes verlassen, in dem seine Schwester wohnt, und ein Krieger werden, wie sein Vater.«

»Ich hoffe es, Jüngling. Jetzt höre mich wohl an. Du siehst die Zahl unserer Feinde und wirst begreifen, daß wir bei allem Muth ihrer Uebermacht in diesem offenen Grunde nicht widerstehen können. Glaubst Du, daß wir das Ufer des Uruguay erreichen können, oder weißt Du einen Ort in der Nähe, wo eine tapfere Schaar sich mit Erfolg gegen eine Menge vertheidigen kann?«

Eine rasche Antwort schwebte sichtbar dem Wilden auf der Zunge, aber er unterdrückte sie eben so schnell. In seinem Innern schien ein Kampf vor sich zu gehen zwischen dem Wunsch, den Kriegern gegen die Bundesgenossen der ihm verhaßten Puelches und Aripones zu helfen, und einer Rücksicht, die ihm Schweigen empfahl.

»Die >Große Medizin<,« sagte er endlich mit tiefem Gutturalton, »ist ein Freund des Friedens. Alle, die in seiner Nähe wohnen, haben die Streitaxt begraben. Sechszehn Jahre war er der Vater des >jungen Condor< und der >schlanken Palme< - ich möchte nicht Kummer und Blut bringen auf sein weißes Haupt, noch die Flamme in seine friedliche Hütte.«

»Wenn es ein weißer Mann ist, von dem Du sprichst, Knabe,« meinte unmuthig der Italiener, »so wird er es Dir Dank wissen, wenn Du tapfere Krieger seiner Farbe nicht machtlos in die Hände ihrer Feinde fallen läßt. Aber ich habe schon

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zu viel der kostbaren Zeit mit Dir verloren. Laß zwei Züge Deiner Reiter vorrücken, Freund Sacchi, und wirf jene Schurken zurück, die uns zu nahe kommen. Begieb Dich in den Schutz der Infanteristen, Aniella, und Du, mein Junge, hierher zu mir, wenn ich Dich brauche!«

Der junge Franzose war rasch an seiner Seite, aber statt dem Befehl ihres Gatten zu gehorchen, wandte die Señora ihr Pferd zu dem jungen Indianer.

»Wenn mein Bruder ein Krieger werden will,« sagte sie mit sanfter Stimme, seine früheren Worte wiederholend, »so hat er die Pflicht, den Schwächeren und Bedrängten zu helfen. Will der >junge Condor<, daß eine Frau und ihr Kind in die Hände jener Mörder fallen, wenn ein Wort von ihm sie retten kann?«

Der Jüngling streckte rasch den Arm nach einer Hügelreihe in nordwestlicher Richtung aus. »Wenn der >singende Vogel< mit seinen Männern nach jener Seite sich wendet, wird er in das Thal des Friedens kommen und die Mission von San Dolores finden. Die Mauern sind stark und mögen ihn schützen gegen alle Feinde!«

Ein Laut, wie eine unterdrückte Verwünschung, folgte den Worten des jungen Mannes. Als die Señora sich umschaute, hatte der Pardo, ihr Milchbruder, sich auf den Hals seines Pferdes gebeugt und machte sich mit dem Sattelzeug zu schaffen.

Die Entdeckung, daß eine der alten Missionen, welche sich über ganz Südamerika bis tief hinein in die Steppen und Urwälder erstrecken, sich in der Nähe befand, war so überraschend als wichtig. Diese oft weitläufigen und von Stein errichteten Gebäude sind größtentheils noch ein Werk des frommen christlichen Eifers vergangener Jahrhunderte und gleichsam die ersten Vesten der Civilisation, mit denen die kühnen Patres der Gesellschaft Jesu in die Einöden vordrangen, um den Indianern das Christenthum zu bringen und zugleich vortheilhafte Handelsstationen unter ihnen zu gründen. Der Commodore erfuhr jetzt rasch auf seine Fragen, die sich der junge Indianer nach der einmal erfolgten Entdeckung nicht mehr zu beantworten weigerte, daß die Mission in einem Seitenthal, kaum eine Legua entfernt, sich befand und aus einem großen massiven Gebäude, mit halb verfallenen Mauern umgeben,

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bestand. Die Missionare hatten das >Thal des Friedens<, wie der Jüngling den Ort nannte, schon zur Zeit der ersten Unabhängigkeitskriege verlassen, und die Gebäude waren seit etwa fünfzehn Jahren blos von einem alten weißen Mann bewohnt, den Mato-Topah als die >Große Medizin< bezeichnete, und dem kleinen Rest eines untergegangenen friedlichen Indianerstammes, den der Greis im Ackerbau und Gartenzucht unterrichtet hatte. Der weiße Vater dieser kleinen Gemeinde stand durch sein Wissen, durch seine medicinischen Kenntnisse und seine Güte und Milde rings umher in einem Ruf, der Weiße und Indianer abhielt, den Frieden seines Asyls auf irgend eine Weise zu stören.

Die Gefahr war jedoch zu dringend, die Pflicht als Führer der ihm vertrauenden Schaar zu gebietend für den tapfern Condottieri, um eine andere Pflicht obwalten zu lassen. Sobald er sich von der Lage des Orts genügend unterrichtet, ertheilte der Commodore Garibaldi kurz und bestimmt seine Befehle und die ganze Truppe setzte, rings von ihren Reiterpiquets flankirt, ihren Marsch mit möglichster Schnelle das Thal entlang fort.

Bereits erfüllte der Lärmen der einzelnen Reiterscharmützel die Thalebene. Mit der geschickten Benutzung der kleinen Baumgruppen und aller Terrainvortheile, welche die Kriegführung der Indianer und Gauchos charakterisirt, fochten die vorgeschobenen Reiterhaufen beider Parteien, der Knall der Flinten dröhnte von allen Seiten, der Pulverdampf wirbelte rings umher empor und das gellende Kriegsgeschrei der bald vordringenden, bald fliehenden Wilden brach sich an den breiten Thalwänden.

Noch waren die Hauptschaaren des Feindes von beiden Seiten des Thales her nicht in's Gefecht getreten, aber die dunklen Colonnen kamen näher und näher heran, die Menge der Verfolger wuchs mit jedem Augenblick, und Marochetti, der Führer der Fußsoldaten, war bereits zwei Mal genöthigt gewesen, seine Colonne Halt machen zu lassen und den ungestümen Anprall einer indianischen Reiterschaar mit einer allgemeinen Salve zurückzuweisen.

Als jedoch der Commodore der von dem Indianer als den Eingang des Thales ihm bezeichneten Stelle sich näherte, erkannte er leicht, daß er seinen Rückzug nicht ohne einen entscheidenden

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Kampf werde bewirken können. Eine vorspringende steile Anhöhe theilte den Eingang in Hufeisenform. Dahinter erhob sich das Gelände in Form einer langgestreckten Hügelwand, in deren Rücken, wie Mato-Topah berichtete, das Thal des Friedens und die Ruinen der Mission San Dolores sich befanden.

Die Streitmacht des Feindes, welche den Montevideern den Weg nach dem Uruguay versperrte, langte in demselben Augenblick an dem westlichen Eingang des Thales an, wo die Reiter Sacchi's, bei denen sich jetzt der Commodore befand, die östliche Oeffnung erreichten.

»Reite zu Marochetti zurück, Franzisco,« befahl der Commodore seinem jungen Adjutanten, »und sage ihm, sofort nach der Mission vorzudringen und die Zugänge zu besetzen, indeß wir ihm jene Schurken vom Leibe halten, und nimm diesen Burschen mit Dir, ihnen den Weg zu zeigen.«

Der junge Franzose wandte sein Pferd. Seit er erfahren, daß der Indianer-Jüngling seine Muttersprache redete, hatte er eine große Vorliebe für ihn.

»Dort läuft ein Pferd, junger Condor,« sagte er, »fang' es und folge mir.«

»Mato-Topah's Fuß ist so schnell, wie die weiße Stute der Pampas. Er wird dem >springenden Dammhirsch< zur Seite bleiben.«

In der That rannte der Indianer ohne Anstrengung neben dem galoppirenden Pferde des jungen Franzosen her, der rasch seinen Auftrag vollführte und dann zu der Vorhut zurückkehrte.

Diese war bereits im Kampf mit den Gauchos und Indianern. Da jedes Einzelgefecht bei der Uebermacht der Gegner ihnen Verderben bringen mußte, hatte der Führer das Signal zum Sammeln gegeben und führte seine Reiter in langer Front im Galopp gegen den Feind. Die bessere Bewaffnung der italienischen Legion und ihre größere Taktik und Ordnung waren allerdings gefährlich, aber die Reitergewandtheit ihrer Gegner glich vollkommen den Uebelstand wieder aus. Die Italiener und Franzosen sind nie vollendete Reiter gewesen, während die Kinder der Pampas mit ihren Pferden ein Leib und eine Seele werden. Eine Strecke weit durch den Anprall zurückgeworfen, öffneten

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sich ihre Haufen zu beiden Seiten und kehrten mit Blitzesschnelle auf den Flanken zum Angriff zurück. Der Lasso wirbelte mit nie fehlender Sicherheit durch die Luft, die lange Indianerlanze traf im Fluge ihr Opfer, während der Reiter, zur Seite des Pferdes hangend, dem Gegner fast unsichtbar blieb. sich ihre Haufen zu beiden Seiten und kehrten mit Blitzesschnelle auf den Flanken zum Angriff zurück. Der Lasso wirbelte mit nie fehlender Sicherheit durch die Luft, die lange Indianerlanze traf im Fluge ihr Opfer, während der Reiter, zur Seite des Pferdes hangend, dem Gegner fast unsichtbar blieb.

Die kleine Schaar des Commodore wurde zurückgedrängt und nur mit Mühe gelang es dem Führer, durch den westlichen Zugang des Thales sich zurückzuziehen und auf dem Gelände seine Leute in fester Phalanx zu fammeln.

Marochetti, unterstützt von den Reitern des Nachtrabs, hatte unterdeß, trotz der wüthenden Angriffe auf seine Schaar, den Befehl des Commodore ausgeführt und glücklich von der andern Seite das Hochland erreicht, hinter dessen Abhang, etwa zweitausend Schritt noch entfernt, das Thal des Friedens sich erstreckte.

Urquiza, denn der wilde und grausame General der Liberalisten selbst war zur Vernichtung seines gefürchteten Feindes und Nebenbuhlers um den Ruhm des kühnsten Guerilla Südamerika's ausgezogen, bemerkte mit Wuth im Herzen, daß Jener im Begriff war, der ihm gelegten Schlinge zu entgehen und einen Vortheil zu gewinnen, der das kleine Heer noch vor der Vernichtung retten konnte. Er sandte dem >schwarzen Raben<, so hieß der Kazik der Puelches, den Befehl, mit seinen Reitern den Weg über den Hügelrücken dem unitaristischen Fußvolk abzuschneiden, und warf sich mit den Gauchos auf den Commodore, während die dichten Schaaren der Aripones sich gegen die kleine, aber entschlossene Phalanx stürzten.

Der aufsteigende Hügelrücken bildete jetzt ein einziges Schlachtfeld. Die Infanterie-Colonne, von den sicheren Kugeln der Feinde decimirt, hatte sich in ein Quarree formirt und rückte langsam vorwärts, während die wilden Reiter sie auf allen Seiten umschwärmten, an die Seite ihrer Pferde gepreßt, bis fast an die Spitzen ihrer Bajonnette heranjagten, ihre Pfeile oder Karabiner abschössen und dann eben so unsichtbar davon flogen. Das Feld war mit Leichen von Pferden und Männern bedeckt, die Luft schien von dem gellenden Kriegsgeschrei der Wilden zu erbeben und der Pulverdampf wirbelte hoch empor in den lichten Aether,

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aus dem die Sonne jetzt glühende Strahlen herabschoß und die Anstrengungen des Kampfes vermehrte.

Unter den Reitergeschwadern der Indianer befand sich ein Trupp der wilden Milizen von Buenos-Ayres. Ihr Führer war ein Creole, ein Mann von etwa sechsundvierzig Jahren und gedrungenem, kräftigen Wuchs. Zwei Mal, als er mit seinen Reitern nahe heran kam, begegneten sich die Augen des Pardo mit den seinen, und er deutete mit leichtem Wink auf die Gattin des Commodore, die er in der Mitte des Quarree's an seiner Seite hielt, in dem einen Arm das Kind, das sie vor den Kugeln und Pfeilen hinter dem Kopf des Pferdes schützte, an der andern Hand den leichten Säbel hängend, während ihr Auge über das Schlachtfeld nach der Seite schweifte, wo ihr kühner Gemahl für ihren Rückzug kämpfte, indem er selbst mit dem Rest seiner Tapferen sich langsam nach seiner Infanterie zurückzog. La-Muerte und der junge Indianer waren an ihrer andern Seite.

Die Lage des Commodore wurde mit jedem Augenblick mißlicher und gefährlicher - er selbst focht wie der geringste seiner Reiter, deren kaum noch fünfzig um ihn versammelt waren, während die anderen gefallen oder in einzelnen Trupps über den Hügelabhang zerstreut kämpften.

»Zu Hilfe, Marochetti - zu Hilfe Ihrem General - er unterliegt!« rief plötzlich die Señora. »Lassen Sie die Reihe öffnen, daß wir ihn befreien!« Sie reichte das Kind in wilder Hast dem Pardo. »Nimm, Manuelo! Schütze es mit Deinem Leben! - Zu Hilfe dem Commodore!«

Ihr Ruf galt dem stürzenden Gatten. Sein Federbusch war in dem wogenden Getümmel verschwunden - sein weißer Mantel flatterte zu Boden - über ihn hinweg Pferde und Menschen - blitzende Säbel, geschwungene Büchsen -

Marochetti faßte den Zügel ihres Pferdes. »Keine Unbesonnenheit, Señora - Ihre Sicherheit ist mir anvertraut!« Aber er hatte keine Zeit, sich weiter darum zu kümmern, denn in demselben Augenblick stürmten in einer dichtgeschlossenen Schaar wohl fünfhundert indianische Reiter von zwei Seiten gegen das Quarrée, von dem >Schwarzen Raben< selbst und

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dem Milizmajor geführt, und diesmal alle gewöhnlichen Listen des Schutzes verschmähend, offenbar entschlossen, das Quarrée zu sprengen. Zugleich stieß der Pardo seinem kräftigen Pferde die Sporen tief in die Flanken, daß es hoch emporbäumte, und ein rothes Tuch, die Farbe der Liberalisten, aus seiner Jacke ziehend und es durch die Luft schwenkend, warf er mit einem gewaltigen Sprung seines Rosses die vor ihm Stehenden zu Boden, durchbrach die Seite des Quarrée's und flog mit dem. Ruf: »Viva el federación!« in die Reihe der Anstürmenden, die den Verräther mit Jubelgeschrei begrüßten und sich wie ein überfluthender Gebirgsstrom in die von ihm geöffnete Lücke stürzten. Die Verwirrung war furchtbar und von den schlimmsten Folgen. Mit starrem Auge hatte die Señora den Verrath ihres Milchbruders gesehen, über dessen plötzliche Rückkehr nach sechs Jahren sie sich aufrichtig gefreut und für dessen Zuverlässigkeit sie sich bei ihrem Gemahl verbürgt hatte. Denn der Brief, den er überbracht, war in der That von der Hand des Obersten Silveira, der wahre Bote aber in die Hände Urquiza's gefallen, der sofort den Plan entworfen hatte, seinen tapfern Gegner damit in eine Falle zu locken. Der Gambusino, der sich gerade in dem Lager Urquiza's befand, als der Bote Silveira's kam, hatte lange nach einer günstigen Gelegenheit gespäht, sich für die Verschmähung Aniella's und den Triumph des Commodore an Beiden zu rächen. Mit dem raschen Uebergang der heißblütigen südlichen Charaktere haßte er jetzt Aniella so gewaltig, wie er sie sonst geliebt, und selbst das Bewußtsein fabelhafter Reichthümer, mit dem er am Ufer des La Plata vor dem Mohren geprahlt und nach denen er nur die Hand auszustrecken brauchte, war Nichts für ihn, ehe er nicht auf empfindliche Weise seine Rache gekühlt. Nach jener Nacht, als ihn die Hand des Mohren von seinen Banden befreit, war er in die Hände der Gauchos gefallen, als einer der Begleiter der Montevideer bei ihrem Eindringen in die Kapelle erkannt worden und mit Mühe dem Tode entgangen. Seine Diamanten retteten ihm zwar das Leben, aber er wurde nach Buenos-Ayres geschleppt und dort in einen Kerker geworfen, wo er Jahre lang schmachtete. Ein Zufall erst verschaffte ihm die Freiheit wieder, nur um mit

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Gewalt in die Schaar der Milizen gesteckt zu werden, die der Diktator von Zeit zu Zeit aushob, um die Truppen seines Generals zu verstärken. In dem Führer der Milizen des Generals fand der Mestize einen Mann, den er auf der Quinta de los dias entretenidos gekannt; dieser machte ihn sofort zu seinem Alferez und verbürgte sich für ihn, als er sich erbot, den Brief an den Commodore zu überbringen und ihn in die Falle zu lecken, denn sein Haß war mit jedem Tage der Gefangenschaft, die er erlitten, gewachsen und hundert schwere Eide hatten teuflische Rache gelobt. -

Einen Augenblick schwankte die junge Frau, ob sie dem Verräther und ihrem Kinde folgen oder ihrem Gatten zu Hilfe eilen sollte. Sie wandte sich mit rascher Entschlossenheit zu dem Mohren an ihrer Seite. »Hinter ihm d'rein, La-Muerte, und bringe mir mein Kind oder sein verrätherisch Herz, wenn Du je Aniella geliebt!« Dann spornte sie ihr Pferd nach jener Seite, wo sie ihren Gatten fallen gesehen, und schwang ihren Säbel: »Für Garibaldi und Uruguay!« Aber ihr Heldenmuth sollte sie selbst in's Verderben stürzen. Die Bewegung ihres Pferdes hatte sie von den Ihren getrennt, die einen Kampf der Verzweiflung Mann gegen Mann fochten oder in der Richtung der Mission flohen. Ein grimmiges Antlitz, mit gräßlicher Malerei, bedeckt, erschien vor ihrem Auge, die mächtige Keule des >Schwarzen Raben< schwebte zum zerschmetterndem Schlage über ihrem Haupte, als der Jüngling Mato-Topah an ihrer Seite, der allein ihr gefolgt war, den Schlachtruf seines Stammes hören ließ und schnell wie der Blitz seinen Bogen spannte. Der Pfeil drang durch das linke Auge des grimmigen Wilden in sein Gehirn, und rückwärts auf die Croupe seines Pferdes stürzend, stieß der >Schwarze Rabe< sein letztes Wuthgeheul aus. Der Tod ihres berühmten Führers unterbrach einige Augenblicke den wüthenden Angriff der Puelches, und Marochetti benutzte die augenblickliche Pause des Kampfes, um mit einem Theil seiner Tapferen die Höhe des Hügelrückens zu gewinnen. Aber ehe Aniella ihm folgen konnte oder sich zu den Reitern ihres Gatten durchzuschlagen vermochte, fühlte sie sich von kräftigen Armen umschlungen und den Säbel ihrer Hand entwunden. »Schöne Doña,« sagte

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eine Stimme, »ich habe ein altes Recht an Sie - sträuben Sie sich nicht, Sie sind meine Gefangene!«

»Señor Don Estevan!« rief die Dame, in dem Capitain der Milizen den Genossen des schamlosen Adeodato erkennend - »lassen Sie mich los, Schändlicher!« Doch der Sieger lachte ihrer Anstrengungen. »Das Kriegsglück soll Sie mir diesmal fester halten, als das Glück der Karten,« spottete er. »Ich muß Entschädigung haben für den Kolbenschlag Ihres schwarzen Schurken, der mir damals fast den Schädel zermalmt und der, wenn ich nicht irre, dort hinter meinem Lieutenant galoppirt. Hierher Cabal[l]eros, und nehmt die Dame in Eure Hut, Ihr bürgt mir mit Eurem Kopf für den guten Fang.«

Der Señora wurden rasch von den Reitern des Majors die Arme mit ihrer eigenen Schärpe gebunden und zwei Mann führten sie aus dem Getümmel. Aber die arme Gefangene hob dankend die schönen Augen zum heitern Himmel empor, denn ein letzter Blick auf das Gewirr des Kampfes hatte ihr wieder den flatternden weißen Mantel und den Federbusch des Commodore auf der Höhe des Hügels gezeigt, wie er den Rest seiner Tapferen um sich sammelte und mit ihnen hinter der Höhe verschwand.

Aus der verzweifelten Lage, in welcher der kühne Führer der Montevideer sich befand, durch eine Wunde im rechten Arm gelähmt und durch den Schlag eines Bolo vom Pferde geworfen, hatte ihn der junge Franzose und ein rascher Angriff Sacchi's mit einer gesammelten Schaar befreit. Der junge Franzose focht mit der Gewandtheit und der Kraft eines Panthers über dem Körper seines Generals gegen die Gauchos, bis es ihm gelang, diesem Raum zu schaffen und ihn wieder in den Sattel zu bringen. Die Gefahr des geliebten Anführers, dessen Schwertarm machtlos geworden, trieb die Freischaaren zu einer letzten energischen Anstrengung; über die stürzenden Gauchos hinweg hieben sie sich Bahn zu der Höhe des Hügels, eine Salve der Schützen, mit denen sie sich hier vereinten, trieb die Feinde zurück, und ehe Urquiza oder Don Estevan auf's Neue sie erreichen konnten, hatten sie die Ringmauer der Mission erreicht und von ihr Besitz genommen. Es waren etwa drei- bis vierhundert Mann, denen es geglückt war, den Schutz der Gebäude zu erreichen, aber ihre

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Zahl und die rasch entschlossenen Befehle des Commodore reichten hin, diese Stellung gegen den Feind für's Erste zu halten.

Die Mission bestand aus einem viereckigen, einen innern Hof umgebenden, klosterartigen Gebäude, um das sich im Kreise eine halb verfallene Ringmauer zog. Das Hauptgebäude selbst hatte außer dem Erdgeschoß nur ein Stockwerk und nach spanischer Weise ein flaches Dach. An jeder der vier Ecken erhob sich ein kleines Thürmchen, von dem Zahn der Zeit und der Macht der Jahrhunderte jetzt gebrochen und zerbröckelnd. Selbst die Mauern des Hauses waren an vielen Stellen verfallen und in dem obern Stock gähnten die engen Fenster zu breiten Spalten und Oeffnungen, aber die kleine Kirche, welche die eine Seite des Vierecks nach den Hügeln zu eingenommen, und der breite viereckige Thurm, welcher den Haupteingang bildete, waren in ihrem massiven Mauerwerk noch ziemlich wohl erhalten, und das Ganze bekundete, daß die Mission schon bei ihrer ersten Anlage zu einer Veste und zur Vertheidigung der Bewohner gegen die wilden Stamme bestimmt gewesen, welche damals noch die Savannen und Wälder diesseits des Uruguay bewohuten.

Ein Bach mit hohem, dicht mit Aloe und Schlingpflanzen bewachsenem Ufer, im nahen Urwald entspringend, durchfloß in geringer Entfernung von der Mission das Thal und wandte seinen Lauf dem Flusse zu, der nach seiner Vereinigung mit dem Paraguay jenen meerartigen Strom, den La Plata, bildet. An dem Ufer dieses Baches und dem Saum des Waldes erhoben sich vielleicht zehn oder fünfzehn einfache Hütten, zierlicher und fester gebaut, als die gewöhnlichen Wigwams der Indianer, und von Brodbäumen und schlanken Palmen beschattet. Kleine Gärten mit Mais- und Weizenfeldern und Blumen, von Cactushecken eingezäunt, zeigten die friedliche Beschäftigung der Bewohner, und das Thal schien mit Recht seinen Namen >válle de páz< zu tragen, denn der Anblick, den es bot, gehörte zu den lieblichsten Idyllen des prächtigen Südens.

An der Grenze der Tropen vereinigten sich ihre Reize, ihr üppiger Pflanzenwuchs hier mit den Gewächsen und Blumen, dem mildern Klima und der angenehmen Luft der gemäßigten Zonen. Neben der schlanken Fächerpalme mit ihren zitternden Blättern

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erfüllte die Orange mit ihrem Blüthenduft das Thal, um die langen düsteren Zweige der Montezumafichte und die gewaltige Tanne der Anden, bis zum Fuß in das schwarzgrüne Trauerkleid ihrer langen Nadeln gehüllt, wand sich der Wunderflor der Orchideen und Aroiden. Neben den manneshohen Farrenkräutern grünten Lorbeer- und Myrthengebüsche - von dem Wipfel des riesigen Rothholzbaumes flattern die duftigen Passifloren, der Lianen zierliche Schmetterlingsblumen. Den ungeheuren Demanthusstammen, den Mahagoni- und Acajoubäumen folgt in der Tiefe des Thals ein Wäldchen von Citronenbäumen, umrankt von wildem Wein, - mit zarten Federbüschen geschmückt schwimmen leichte Samenkörner durch den Blüthenduft herab - und leichtgelbe dünne Staubnebelflocken - Myriaden kieselschaliger Organismen, die nur dem scharf gewaffneten Auge die Geheimnisse ihres Lebens enthüllen! - ziehen in der Luftströmung des nahen Flusses. Der Rasengrund zeigt durch die Befeuchtung des schlangelnden Waldbaches einen dunklen Smaragdteppich, - die Hockohühner suchen in ganzen Truppen am Waldsaum Beeren und eine Heerde von Schweinen trollt den Bach entlang, bis eine Lücke in der stacheligen Hecke von Sauso, die den Wald einfaßt, ihnen erlaubt, sein bergendes Dickicht zu gewinnen. Im hohen Nest auf der Bertholletia klappert der scheue Ringstorch und das Heer der Papageien schnattert in den Kronen der Palmen, während der Kolibri in den Kelch der Blume taucht, seine süße Nahrung zu saugen.

Welcher Friede, welche Lieblichkeit lag noch vor wenigen Stunden über dem Thal, das jetzt der Knall der Büchse, der Hufschlag der Rosse und das Stöhnen der Sterbenden erfüllt. -

Aengstlich waren bei dem Lärmen der Schlacht die Bewohner dieser Hütten in den Schutz der Mission entflohen. Jetzt stürzten von allen Seiten die flüchtenden Montevideer herbei und drangen mit den armen Indianern zugleich durch das Thor, das Jene vergeblich zu sperren suchten.

Der Commodore sprengte herbei und hielt, von seinen Reitern umgeben, vor der Pforte, während Marochetti mit seinen Schützen bereits im Schutz der verfallenen Umfassungsmauer ein wohlgezieltes Heckenfeuer gegen den nachstürmenden Feind unterhielt. Noch immer eilten flüchtige Krieger herbei und sammelten

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sich um ihren Führer. Auch der junge Indianer, der so tapfer bei seinen neuen Freunden ausgehalten, erschien jetzt bei ihnen und blieb neben dem Commodore stehen. Seine Haltung war ruhig, in seinem Auge glänzte ein unterdrückter Triumph.

Unter dem Thor der Mission stand bei dem Heransprengen des Commodore und seiner Reiter ein alter Mann, ein Greis, nach der Ehrerbietung, die ihm seine Umgebung erwies, offenbar der Herr oder Besitzer des Ortes. Er mußte weit über Siebenzig zählen, sein spärliches Haar fiel in langen, weißen Locken um seine breite, intelligente Stirn und sein schön geformtes Haupt. Sein Gesicht zeigte, trotz des hohen Alters, noch Frische und Rüstigkeit und eine fein geschnittene, geistreiche Bildung. Nur seine dunkelen Augen drückten Aengstlichkeit, Zweifel und Kummer aus, und Theilnahme kämpfte in ihnen mit Furcht und Aerger, während er sie bald auf dem Commodore und seinen Begleitern, bald auf dem jungen Indianer haften ließ. Er trug nach der Sitte der Eingebornen einen Poncho von feiner, weißer Lamawolle über seinen Schultern und einen breiten Sombrero. An seiner Schulter lehnte ein junges, schönes Indianerweib, dessen freundliches Gesicht offenbare Aehnlichkeit mit den Zügen Mato-Topah's erwies.

»Wer sind Sie und was wollen Sie in meinem Hause, daß Sie mit der Gewalt der Waffen hier eindringen und dies friedliche Thal mit dem Geräusch der Schlacht und blutigen Scenen erfüllen?« fragte der Greis streng.

»Señor,« entgegnete der Commodore, »es ist jetzt keine Zeit zu Erklärungen und Entschuldigungen. Die Noth, die große Gebieterin, drängt uns; von diesem Jüngling erfuhr ich zu unserm Glück die Nähe der Mission, und da Sie ein Europäer zu sein scheinen, werden Sie Ihren bedrängten Landsleuten die Hilfe nicht versagen!«

»Dieser Knabe hat thöricht gehandelt, indem er Sie hierher führte. Möge er nicht schwer noch das Unglück zu bereuen haben, was er über das Leben der Seinen gebracht.«

Mato-Topah, der anfangs sein Haupt gebeugt, erhob es jetzt stolz. »Der junge Condor,« sagte er, »ist ein Mann geworden und er ist der Bruder tapferer Krieger. Die heilige Mariam verbietet ihm, den Scalp eines Feindes zu nehmen, aber

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die großen Krieger der Aroges, die im Himmel sind, werden sich freuen, wenn sie in seinem Haar die Feder des >Schwarzen Raben< sehen.«

»Unglücklicher - was hast Du gethan?«

»Mato-Topah hat den Mörder seines Vaters erschlagen. Ich habe in dem Buch der Bücher gelesen: Auge um Auge und Zahn um Zahn! Der junge Condor ist ein Krieger geworden und wird seine Schwester und die >Große Medizin< beschützen.«

»Wir haben keine Zeit zu weiteren Erörterungen, Señor,« unterbrach ihn der Commodore unwillig; »das Recht des Krieges kennt keine Rücksicht. Geben Sie Raum meinen Leuten und sagen Sie mir, wo meine Frau sich befindet.«

»Ihre Gattin? - ich kenne sie nicht!«

»Mein Weib, ja. Wo ist sie? Aniella, wo ist mein Kind?«

»Es befindet sich, so viel ich weiß, keine Dame und kein Kind in der Mission.«

Der tapfere Nizzanese war trotz seiner Wunde mit einem Satz von seinem Pferde - sein Antlitz wurde fahl bei dem plötzlichen Gedanken, daß dem Weibe seines Herzens ein Unglück begegnet sein könne. Seit sechs Jahren hatte sie ihm in jeder Gefahr zur Seite gestanden, manchen Kampf, manches kühne Abenteuer bestanden; er hatte sich an den Gedanken gewöhnt, daß das Unheil an dieser theuren Gestalt keine Macht habe.

Desto entsetzlicher überfiel ihn jetzt die Furcht des Verlustes, denn er hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, sie im Schutz Marochetti's in der Mission bereits zu finden.

Wenige Fragen überzeugten ihn, daß sein Weib sich nicht unter Denen befand, welchen der Rückzug in den Schutz der Mission gelungen war. Keiner - selbst Marochetti nicht - wußte in dem Getümmel des Kampfes Gewisses über das Schicksal der unglücklichen Frau. Nur von dem Verrath des Pardo, von seiner Flucht und der Verfolgung durch den treuen Schwarzen erhielt der Commodore Gewißheit. Das Ereigniß war unter dem Allgriff der Abiponen in ss wilder Eile vor sich gegangen, daß Marochetti gar nicht den Wechsel des Kindes bemerkt, und nur wußte, daß im Augenblick der Sprengung des Quarrée's sie ihrem Galten zu Hilfe geeilt war.

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»Fluch über meine Thorheit, daß ich ihr Leben fremdem Schutz anvertraut,« schrie der unglückliche Mann. »Laßt mich fort, mein Weib und Kind zu suchen, da kein Freund an ihrer Seite war, sie zu schützen!«

Die Männer standen stumm und traurig im Kreise um ihren Führer - sogar die Bewohner der Mission waren erschüttert von der Verzweiflung des Helden und vergaßen des Schicksals, das ihrer selbst harrte. Mato-Topah berührte leicht den Arm des Commodore.

»Der Schmerz macht meinen tapfern Bruder ungerecht,« sagte er mit seinem ruhigen Gutturalton. >Der »junge Condor< war an der Seite des >Singenden Vogels<.«

»Wie, Jüngling - und Du wagtest nicht, ihr beizustehen?«

»Ein Krieger spricht nicht zwei Mal. Mato-Topah hat gesagt, daß er den >Schwarzen Raben< der Puelches erschlug, als dessen Hand über dem >Singenden Vogel< schwebte.«

»Segen über Dich, Knabe! aber wo ist sie?«

»Die weißen Männer sperren die gefiederten Sänger des Waldes in ihre Gitter von Eisen. Der Mann mit dem bösen Blick hat den Nestling entführt, denn er ist ein Verräther, aber der böse Geist ist auf seinen Fersen. Mato-Topah ist ein Mann geworden, und er wird den >Singenden Vogel< zurückführen zu dem großen Kaziken der weißen Krieger.«

Das Scharmützel an den Mauern der Mission hatte während dieser kurzen Scene seinen Fortgang genommen, aber die Truppen Urquiza's sowohl, als ihre Verbündeten hatten sich nicht weiter vorgewagt, als sie den Rest ihrer Gegner im Schutz einer guten Position sahen. Sie begnügten sich, die versprengten Flüchtlinge zu verfolgen und sich unter ihren Führern zu sammeln, um einen erfolgreichen Angriff gegen die Mission unternehmen zu können.

Der Commodore fühlte, nachdem er die Nachricht erhalten, daß seine Gattin nicht getödtet, sondern gefangen in den Händen der Feinde sei, daß ihm eine andere heilige Pflicht zu erfüllen bleibe, die Sorge für die, deren Führer er war und die er durch das zu große Vertrauen auf die Botschaft Alveiro's der Niederlage ausgesetzt hatte. Mit dem Gedanken an diese Pflicht

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kehrte auch sofort seine volle Energie zurück. Ein leichter Verband genügte für die Verletzungen, die er bei dem Sturz erhalten, und, den Arm in der Binde, ordnete er rasch alle Vertheidigungsmaßregeln an, besetzte die weitläufigen Mauern der Mission und ließ die Zugänge verbarrikadiren. Eine rasche Zählung ergab, daß sich an vierhundert Mann glücklich in die Mauern gerettet hatten; der Rest war erschlagen, gefangen genommen oder zerstreut.

Ueberall, wohin der Commodore eilte, war der junge Indianer an seiner Seite. Er zeigte ihm die innere Einrichtung des Gebäudes und bekundete trotz seiner Jugend jenen besondern Scharfblick für die schwachen Punkte der Vertheidigung, welcher den künftigen Kriegshäuptling verkündete. Der Greis hatte sich mit seinem jungen Weibe in eines der unteren Gemächer zurückgezogen. - Alle erwarteten hier in trauerndem Schweigen das Resultat der Ereignisse, die auf so plötzliche Weise ihren stillen Frieden unterbrochen hatten.

Der Sturm ließ in der That nicht lange auf sich warten. Unter Urquiza's eigener Leitung kamen die Gaucho's heran, während die Büchsen und Bogen ihrer wilden Genossen jede Oeffnung des Gebäudes, jede Lücke der verfallenen Mauer bedrohten, um die Mission zu erstürmen, denn der grausame General der Föderation achtete seinen Sieg und seinen Triumph nicht vollständig, so lange sein berühmter Gegner noch am Leben und an der Spitze einer Handvoll seiner kühnen Abenteurer stand. Aber wie bei dem furchtbaren Sturm auf Salto stand ihm die feste Ruhe und Entschlossenheit des geprüften Kriegers entgegen, und nach einem mörderischen Kampf von fast einer halben Stunde, bei dem das Messer und die Büchse wüthete, wurden die Gaucho's zurückgetrieben, ohne mehr als den Besitz der äußern Mauer erreicht zu haben, wo sie den sicheren Kugeln ihrer Gegner ausgesetzt waren. Das Mauerwerk der Mission war so fest, jede der schmalen Fensteröffnungen des unteren Geschosses so wohl vergittert, und das massive Thor von schwerem, selbst dem Feuer unzugänglichen Eisenholz so kräftig vertheidigt, daß Urquiza einsah, nur der Hunger oder Artillerie könne ihm die Vernichtung seiner Gegner sichern.

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Auf flüchtigen Pferden eilten die Ueberbringer seiner Befehle davon. Unterdeß besetzten seine Truppen das ganze Thal und umgaben die Mission mit einem lebendigen Wall. Selbst der Weg zu, dem Bach war den Belagerten jetzt versperrt, ein um so empfindlicherer Schlag für sie, als bei der Nähe dieses Wassers die Mission selbst keinen Brunnen enthielt und der brennende Durst der großen Menschenzahl bald den kleinen Wasservorrath im Gebäude aufgezehrt hatte. Unter Thränen und Wehklagen sahen die Bewohner des Thales von dem Dach der Mission ihre Felder und Gärten verwüstet, ihre friedlichen Hütten in Flammen aufgehen, die viele Jahre lang das Ansehn, welches der Greis, den sie mit dem Namen der >Großen Medizin< bezeichneten, unter weißen und rothen Männern genoß, und sein Fernhalten von allen Parteikämpfen der Republiken vor jedem Angriff bewahrt hatte.

Die Erschöpfung, welcher nach dem schweren Doppelkampf beide Parteien unterlagen, vermehrt durch die jetzt eingetretene brennende Sonnengluth des Mittags, stellte eine Art von Waffenstillstand her. Der Commodore benutzte die Zeit, um alle Chancen für den Widerstand oder das Entkommen seiner kleinen Schaar zu prüfen - aber wohin er auch seinen Blick wendete, welchen Plan er auch fassen mochte, nirgends bot sich ihm eine Aussicht des Gelingens. Der Versuch, mit seinen dreihundert Mann sich durch die vierfache Uebermacht des fast ganz aus Reiterei bestehenden Feindes durchzuschlagen, konnte nur von der offenbaren Verzweiflung eingegeben werden; - dennoch war es das Einzige, was unternommen werden konnte, da jeder Proviant und selbst genügende Munition zum langen Widerstand in der Mission fehlten.

Auf die steinerne Balustrade des flachen Daches den gesunden Arm, in die Hand das Haupt gestützt, schaute der kühne Krieger auf das schöne Thal und die rings umher lagernden Gruppen seiner Feinde. Sein Herz war schwer - schwer in Sorge um das Loos seiner tapferen Gefährten - und in Sorge um das Schicksal von Weib und Kind; denn das sorgfältigste Ausspähen nach dem Lager der Liberalisten hatte keine Spur von der Anwesenheit der schönen Gefangenen gezeigt.

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Als die glühende Mittagshitze vorüber, und die Sonne sich im Westen über die majestätischen Wipfel der Riesen des Urwaldes niedersenkte, welcher das Thal einschloß, begannen die Feindseligkeiten wieder in dem Knattern der Flinten und Büchsen, doch beschränkten sich die Belagerer darauf, daß ihre Schützen die Gegner in Bewegung hielten. Der Commodore erkannte, daß ein Gefahr drohender Plan, das Erwarten eines Ereignisses dieser Haltung zu Grunde liegen müsse, und mit finsterer Ahnung beobachtete er die Posten, welche der Feind am Ufer des Baches entlang stromabwärts, so weit das Auge seinem Lauf folgen konnte, aufgestellt hatte.

Die Wahrheit der Befürchtung sollte sich bald kundgeben. Die Sonne war kaum hinter dem Uruguay gesunken und die in jenen Zonen äußerst kurze Dämmerung hatte dem Dunkel Platz gemacht, das sofort durch einen Kreis von hundert Feuern rings um die belagerte Mission her erhellt wurde, als ein wildes Triumphgeschrei vom Ufer des kleinen Flusses her herauf gellte und die Aufmerksamkeit der Belagerten fesselte. Man sah Reiter mit brennenden Holzfackeln auf beiden Seiten herauf galoppiren und ihnen zwei große Piroguen schwer beladen auf dem Wasser folgen. Das Räthsel dieser Fracht lös'te sich bald - es waren zwei leichte Feldgeschütze, die auf den Befehl des Generals auseinander genommen und vom Uruguay zu dem Lagerplatz der Gauchos transportirt worden waren. Unter Leitung der Offiziere war die Mannschaft alsbald beschäftigt, die kleinen Kanonen auszuladen und zusammenzusetzen, und sie dem verbarrikadirten und der bisherigen Angriffe spottenden Thor der Mission gegenüber aufzustellen.

Bei dem seltenen Gebrauch, den die Artillerie in den Reiter-und Schützenkriegen der Pampas und der Gebirge findet, ist die moralische Wirkung ihrer Anwendung um so größer, und wenn auch die Schaar des Commodore größtentheils aus europäischen Abenteurern bestand, so befanden sich doch auch viele Eingeborene der Banda Oriental darunter, und selbst auf die Kühnsten der Europäer machte die Ankunft der Geschütze in ihrer verzweifelten Lage einen entmuthigenden Eindruck.

Der Commodore stand wieder auf seinem Posten und

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beobachtete finster die Anstalten des Feindes, als eine Hand sich leicht auf seinen Arm legte. Umschauend erkannte er den jungen Indianer, der bei der Abwehr des Sturmes auf die Mission tapfer mitgefochten hatte.

»Der große Kazike der weißen Krieger zählt seine Feinde,« sagte der Jüngling ernst, »und er findet, daß ihrer zu viele sind für seine Tapferen. Wenn die Wölfe den Bären überfallen, ist es keine Schande für ihn, zu fliehen, denn ihre Zahl ist wie die der Bäume in den Wäldern.«

Der Condottieri schüttelte trübe den Kopf. »Das ist leichter gesagt, wie gethan. Bleiben ist ebenso gewisser Untergang, wie der Versuch der Flucht. Es ist keine Aussicht, der Uebermacht zu entrinnen, und uns bleibt nur übrig, als Männer zu sterben.«

»Warum redet der tapfere Häuptling nicht mit der >Großen Medizin »Das mag sein, Jüngling - aber er ist kein Krieger. Was sollte ein Greis uns helfen, wo Männer, gewohnt, dem Tode in's Auge zu schauen, rathlos sind!«

Der junge Mann wiegte bedeutsam sein Haupt. »Ein Vogel hat Mato-Topah in's Ohr gesungen, daß die >Große Medizin< alle die Tapferen in die Wälder führen könne, wenn sie wollte, und die Hunde von Abipones würden vergeblich ihre Spur suchen.«

»Wenn der Alte dies vermöchte, wäre es eine Schmach, seine Laudsleute der Wuth dieser blutigen Schurken preiszugeben. Ueberdies würden sie bei dem Sturm schwerlich ihn und die Seinen schonen.«

»Die >Große Medizin< liebt den Frieden, aber sie hat ein Herz für die Freunde. Der Häuptling möge seine Rettung von meinem alten Vater fordern im Namen seines großen Freundes, der in Deinem Lande wohnt weit über dem Wasser.«

»Wer kann dies sein?«

Der Indianer zog ein Buch unter seiner Decke hervor und reichte es dem Commodore. »Die Zunge des >Jungen Condors< vermag den Namen nicht zu sprechen. Hier steht er geschrieben.«

Garibaldi nahm neugierig das Buch und trat zu dem nächsten

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Posten, der, seine Cigarre dampfend, den Feind beobachtete. Im Schutz der Balustrade zündete er aus seinem Taschenfeuerzeug ein kleines Wachslicht an und besah das Buch. Es war der >Essai politique sur l'isle de Cuba.<[<.] Auf dem Titelblatt stand eine kurze Widmung in enger, kaum leserlicher Handschrift und französischer Sprache. Aber der Name war deutlich: Alexander von Humboldt.

Dieser Name des großen Gelehrten hier in der Wildniß des Uruguay überraschte den tapfern Piemontesen um so mehr, als er sich erinnerte, daß bereits vierundvierzig Jahre verstrichen waren, seit der Naturforscher Südamerika durchwandert hatte, und das Buch, das er in seiner Hand hielt, erst im Jahre 1826 in Paris erschienen war. Der Eigenthümer war also wahrscheinlich ein Europäer und seine Bekanntschaft mit dem berühmten Naturforscher stammte aus Europa. Die seltsamen Umstände bewogen ihn jedoch, den Rath des jungen Mannes nicht unbeachtet zu lassen und wenigstens einen Versuch zu machen, sei es auch nur, um Näheres über seinen unfreiwilligen Wirth zu erfahren. Nachdem er Sacchi den Auftrag gegeben, die Barrikadirung des Thores so viel als möglich zu verstärken, ließ er sich von dem jungen Indianer nach der Wohnung der >Großen Medizin< führen.

Das Gemach, das er betrat, im Parterre der Mission und früher wahrscheinlich das Refectorium oder die Bibliothek derselben, zeigte auf den ersten Blick, daß hier ein in diesen wilden Einöden seltener Geist hause, und die Neigungen des Bewohners. Rings an den Wänden liefen lange Regale, von Mahagoni- oder Cedernholz roh gezimmert, und gefüllt mit den Mappen großer Herbarien, Bündeln von Kräutern und Mineralien. Ausgestopfte Thiere und Schlangen, Insekten- und Käfersammlungen, kurz, alle Schätze der wissenschaftlichen Forschung vieler Jahre waren überall aufgehäuft, hingen von der Decke und lagen auf dem Boden oder auf großen rohen Tischen zwischen Büchern, einigen physikalischen Instrumenten und Papieren. Indianische Waffen, Jagd- und Ackergeräthe befanden sich in den Ecken. Unter all' diesen Gegenständen saß der greise Sammler mit seinem jungen indianischen Weibe, das er mehr wie eine Tochter zu lieben und zu behandeln schien, in finsterm Schweigen, während die Indianer

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der Mission ab- und zugingen und Botschaften brachten von dem Stande des Kampfes.

»Señor,« sagte der Commodore bei seinem Eintritt, »nur mit Bedauern störe ich Sie auch hier in Ihrer Einsamkeit, nachdem das Kriegsglück uns gezwungen hat, von Ihrer Wohnung zu unsrer Vertheidigung Besitz zu nehmen und die Stille Ihres Thales mit dem Lärmen der Schlacht zu erfüllen. Aber die hohe Pflicht, für das Leben mehrerer hundert tapferer Männer einzustehen, das einem nichtswürdigen Verrath zum Opfer fallen soll, zwingt mich, jede Rücksicht diesem heiligen Zweck zu opfern. General Urquiza hat Kanonen aus seinem Lager erhalten; vielleicht schon diese Nacht, jedenfalls mit dem Anbruch des Tages wird er die Beschießung dieses Gebäudes beginnen, und es ist nicht möglich, auch wenn es der Mangel an Wasser und Vorräthen gestattete, den Kugeln seiner Geschütze und der Uebermacht zu widerstehen. Ein Ergeben hieße dagegen bei einem solchen Feinde blos, dem Messer des Mörders überliefern, was dem Kampfe entgangen ist. So bleibt uns denn Nichts, als ein ehrlicher Soldatentod, und ich komme, Sie von dem Schicksal in Kenntniß zu setzen, das uns Allen droht; denn ich fürchte, General Urquiza und seine wilden Krieger werden auch der Schuldlosen an diesem Kampf wenig achten.«

»An dem Leben eines Greises ist wenig gelegen, Herr,« entgegnete der Alte nicht ohne Bitterkeit; »ich vergebe Ihnen als Christ, was mir auch geschehen möge. Schwerer aber wird die Schuld auf Ihnen lasten, daß Sie das Leben dieser Schuldlosen solcher Gefahr ausgesetzt haben und die Wissenschaft um die Erfahrungen vieler Mühen und Jahre bringen.«

»Ich bin ein Mann des Schwertes,« sagte der Commodore stolz, »als solcher muß ich handeln und habe das Theuerste, was ich hatte, mein Weib und mein Kind geopfert - Sie leiden nicht schwerer, als ich selbst. Ich kenne Ihren Namen nicht, aber mancherlei Umstände lassen mich schließen, daß Sie nicht ein geborener Südamerikaner, daß Sie ein Europäer sind, wie die Mehrzahl von uns. Bei dem Andenken an die alte Welt, bei den Erinnerungen alter Liebe und Freundschaft, die Sie vielleicht noch an jene knüpfen, bei Ihrer Freundschaft zu dem großen

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König der Geister, nicht blos Europa's, sondern der ganzen Welt, dem Helden der Freiheit im Reiche der Wissenschaft, bei der Erinnerung an Alexander von Humboldt frage ich Sie, haben Sie einen Rath, Señor, wissen Sie einen Ausweg, vierhundert Ihrer Landsleute Freiheit, Ehre und Leben zu retten?«

Der alte Mann war bei der Nennung des Namens mit sichtlicher Erregung auf ihn zugetreten. »Kennen Sie ihn? was wissen Sie von Alexander? - Ist er noch unter den Lebendigen? - schnell, reden Sie!«

»Ich könnte Sie täuschen,« sagte der Italiener, »aber ich mag es nicht. Ihren Freund kenne ich nur, wie jeder gebildete Mann Europas ihn kennt und verehrt. Aber ich habe gehört, daß er ausgezeichnet und geschätzt noch in hohem Greisenalter mit ungeschwächtem Geist lebt und bei dem Monarchen, dem er leider dient, stets die Sache der Freiheit vertreten hat. Für diese haben wir hier gekämpft und ich fühle', wenn Sie uns helfen können und es verweigern, weil es Sie das Opfer Ihrer Ruhe kostet, können Sie nie ein Freund eines großen Menschen gewesen sein.«

Der Greis schaute ihn mit sanftem, vorwurfsvollem Auge an. »Ich werde versuchen, Sie zu retten,« sagte er, »da Gott das Mittel in meine Hand gelegt hat. Aber Sie müssen mir ein Gelöbniß thun.«

»Jedes, Señor, das sich mit meiner Ehre verträgt.«

»Ich gehe bereits seit einiger Zeit mit dem Wunsch und Gedanken um, dies Land zu verlassen, das sechszehn Jahre mir Schutz und Frieden gegeben, aber jetzt der Schauplatz von Mord und Raub ist, der auch dies Asyl meiner letzten Tage schon wiederholt bedroht hat. Ich will in die Stille jener Urwälder zurückkehren, in denen ich einen Theil meiner jüngeren Jahre verlebt, und dort mein Grab suchen. Aber ich hoffte, alle diese Schätze, die ich gesammelt, der Wissenschaft zu erhalten. Diese Hoffnung muß ich aufgeben, denn es ist unmöglich, sie mit uns fortzuschaffen, und wenn der wilde Urquiza Sie nicht mehr hier findet, wird er selbst die todten Mauern seiner Rache opfern. Deshalb, Señor, werden ich und die Meinen Sie auf der Flucht begleiten und mit Ihnen ziehen, bis unsere Wege sich hoffentlich

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für immer scheiden. Was ich von Ihnen fordere, ist das: Ihr Ehrenwort, daß Sie dies Manuscript an Humboldt, dessen Freund sich, wie Sie Recht haben, ein unbedeutender Mensch wie ich nicht nennen darf, befördern wollen, sei es von Montevideo, sei es, wmn Sie einst nach Europa zurückkehren.«

»Ich gebe Ihnen das Ehrenwort eines Soldaten darauf.«

Der Greis nahm aus einem Kästchen von Cedernholz ein eng beschriebenes Heft und reichte es dem Commodore. »Nehmen Sie - es ist die Frucht vieler einsamen Jahre und angestrengter Forschungen. Möge es in seinen Werken der Welt einst zu Gute kommen oder ihn wenigstens an den Mann erinnern, der in der schönen Jugend seine Gefahren und seine Mühen theilen durfte.«

»Aber Ihren Namen, Herr - Ihren eigenen Namen?«

»Ich heiße Aimée Bonpland.«

»Wie - der berühmte Reisegefährte Humboldt's? Der große Gelehrte, den der Tyrann Francia so lange in Paraguay der civilisirten Welt entzog, die ihn gleich seinem großen Freunde bewunderte?«

Der Krieger der Revolution ahnte wohl wenig, daß er in diesem Augenblick in den Einöden Amerika's der Wissenschaft eine ähnliche Huldigung brachte, wie wenige Tage zuvor die Zöglinge der revolutionairen Lehren, Studenten der empörten Hauptstadt Preußens, sie dem Freunde des Mannes, vor dem er stand, gebracht hatten.80

Der Greis lächelte bescheiden. »Doctor Francia, lieber Herr,« sagte er freundlich, »hatte von seinem Standpunkt nicht so ganz unrecht, und jedenfalls war er ein großer Mann, wenn er auch ein Tyrann war. Doch gehen wir zu Wichtigerem. Verstehen Sie Italienisch?«

Der Commodore lachte. »Ich sollte es meinen, Señor, da es meine Muttersprache ist. Aber soll sie uns vielleicht helfen, die Soldaten Urquiza's blind zu machen, damit sie unsre Flucht nicht bemerken?«

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Aimée Bonpland hatte aus dem Kästchen eine zweite Rolle genommen und entfaltete sie. Es war ein Pergament, anscheinend älter als hundert Jahre, und mit einer eckigen Mönchshand in italienischer Sprache beschrieben.

»Ich verstehe zu wenig die angenehmen Klänge Ihrer Heimath,« sagte er, »und konnte daher nur oberflächlich, so weit mir mein Latein und Französisch zu Hilfe kam, den Inhalt dieser Schrift entziffern, die ich mit anderen alten Büchern in einem verborgenen Mauerschrank der ehemaligen Bibliothek gefunden habe. So viel ich ersehen, schreibt der alte Jesuit, ihr Verfasser, Pater Xaverio aus Bologna, von einem geheimen Gang, den die Brüder Missionaire aus diesem Haufe anlegten, um im Fall der Ueberwältigung durch die wilden Indianerstämme entfliehen zu können. Aber das Nähere, wie gesagt, war mir nicht genau verständlich.«

Der Commodore bemächtigte sich hastig des wichtigen Manuscripts. Je weiter er las, desto mehr klärte sich seine kummerbelastete Stirn. »Das ist ein höchst glücklicher Fund - ich wollte nur, mein armes Weib könnte an unsrer Rettung Theil nehmen. Es ist, wie Sie sagen, ein breiter gewölbter Gang und daher hoffentlich noch wohl erhalten vorhanden, der von der Kapelle aus an der Stelle in das Bett des Baches führt, wo dieser aus der Quebrada in's Thal tritt.«

»Und wo ist der Eingang?«

»Unter dem Hochaltar. Drei eingehauene Kreuze bezeichnen die Steintafel, die sich entfernen läßt.«

»Ich dachte mir's fast. Jetzt, Señor, mögen Sie sich, wenn die Feinde nicht so weit hinaus lagern, was ich nicht glaube, für gerettet ansehen. Ich will jetzt den Weg so gut finden, als hätte ich ihn hundert Mal gemacht. Treffen Sie Ihre Anstalten, ich will die meinen vorbereiten. In einer Stunde können wir im Schutz des Waldes sein!«

Der Commodore legte traurig die Hand an die Stirn. »Mein Weib - mein armes Weib! Wenn ich von hier entfliehe, bleibt sie völlig schutzlos der Willkür dieser Schurken ausgesetzt, ohne zu erfahren, wohin ich mich gewendet!«

Mato-Topah, der bisher ruhig an dem Eingang gelehnt

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hatte, ohne sich in die Unterredung der beiden Europäer zu mischen, trat jetzt näher.

»Der >Weiße Adler< möge unbesorgt sein, Mato-Topah hat versprochen, über den >Singenden Vogel< zu wachen. Er wird ihm die Worte seines Gatten in's Ohr flüstern und ihn zu diesem führen. Wenn der große Krieger in die Wälder geht, wird Mato-Topah den Pfad des Spähers betreten und die Spur der Gefangenen verfolgen.«

Der Commodore reichte ihm die Hand. »Jüngling, wenn Du das thust, möge der Himmel Dich dafür lohnen. Ich werde Dir einige Zeilen an Aniella geben; bald hoffe ich im Stande zu sein, gegen ihren grausamen Entführer einen Schlag zu thun und ihre Freiheit zu gewinnen. Bis dahin möge sie standhaft sein. Aber jetzt, meine Freunde, laßt uns untersuchen, ob jenes Manuscript Wahrheit enthält und ob der darin bezeichnete Gang auch noch passirbar ist.«

Der Commodore, Bonpland, der junge Indianer und zwei oder drei der unitaristischen Offiziere machten sich sofort auf den Weg nach der Capelle, in der eine Anzahl von Soldaten mit ungebrochenem Muth, aber in verzweifelter Resignation, denn Jeder kannte das drohende Schicksal, lagerte. Der Greis schritt sogleich zum Altar, ging um denselben her und hieß Mato-Topah, der eine Holzfackel trug, leuchten.

»Wenn es seine Richtigkeit hat mit dem, was Sie gelesen, Monsieur,« sagte er, »so muß es dieser Stein sein, denn hier finden sich noch die Spuren der Zeichen, wie sie beschrieben sind.«

In der That erblickte man bei dem Licht der Fackel auf einer großen aufrecht stehenden Granitplatte die rohe, vom Zahn der Zeit halb verwischte Form von drei Kreuzen.

»Das Zeichen ist da - aber wie sollten wir den Stein fortschaffen? He - Leute herbei! versucht Aexte und Hacken hierher zu bringen!«

»Nicht doch, Monsieur - wenn dieser Stein den Gang bedeckt, muß es ein Mittel geben, ihn fortzuheben oder in seinen Angeln zu bewegen.«

»Sie haben Recht!« Der Commodore rüttelte an dem Mein und versuchte ihn zur Seite zu schieben oder hineinzudrücken

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- vergeblich! Sein bereits von der Hoffnung geröthetes Antlitz entfärbte sich, große Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, vergebens vereinten die Offiziere ihre Anstrengungen mit ihm.

»Es ist umsonst - wir müssen mit Gewalt ihn herausbrechen und uns Ueberzeugung verschaffen, aber ich fürchte, es wird Alles vergeblich und der Weg längst verschüttet sein.«

Der junge Indianer, der bisher den Anstrengungen geleuchtet, trat ruhig zu dem Stein.

»Der >Weiße Adler< möge mir erlauben, den Versuch zu machen, und seine Augen öffnen.«

Er hielt die Flamme der Fackel an die Fugen des Steins und fuhr langsam an diesen entlang.

Plötzlich sahen Alle, die dem Versuch mit gespannter Erwartung folgten und sofort dessen Absicht begriffen, die Flamme wie von einem starken Luftzug heftig nach außen flackern.

»Der Gang ist da und nicht verschüttet,« sagte der Jüngling, »und hier ist der Weg, ihn zu öffnen.« Er ergriff eines der herbeigebrachten Beile, steckte die Klinge an einer unscheinbar breitern Stelle der untern Fuge, nachdem er sie von dem Staub und Schmutz gereinigt hatte, zwischen diese und preßte mit aller Kraft dagegen.

Ein Freudenruf erhob sich - der Stein gab nach, man hörte ein schweres Knarren und die mächtige Platte bewegte sich gleich einer Fallthür in einer obern Angel, öffnete sich nach innen und zeigte einen dunklen Schlund, aus dem ein kalter, ziemlich frischer Luftstrom hervorbrach.

Stufen führten in die verhängnißvolle Tiefe, die nicht zum Grabe, sondern zum Wege des Lebens werden sollte.

Es war, als ob der Stein eine gleiche Last von Aller Brust genommen hätte, obschon die Meisten noch nicht wußten, um was es sich handle. Selbst das Auge des Commodore, dessen eherne Ruhe nur selten bewegt wurde, funkelte freudiger über den Erfolg. »Knabe,« sagte er, »wir Alle, die dem Blutbade der Schlacht entronnen sind, danken Dir das Leben und jetzt auch den Weg zur Freiheit. Sacchi - geschwind - die besten Schützen und laß aus

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den Fenstern und vom Dach ein einzelnes Feuer auf die Bedienung der Kanonen eröffnen, um sie so lange wie möglich aufzuhalten. François - sammle die Leute und führe sie, mit Ausnahme der Posten, hierher. Die Pferde müssen zurückbleiben - nur Waffen und Munition dürfen mitgenommen werden. Treffen Sie Ihre Anstalten, Señor Bonpland, in einer halben Stunde muß Alles zum Aufdruch bereit sein. Wer will mit mir den Weg recognosciren?«

Zehn - Zwanzig boten sich an; der Commodore wählte den jungen Indianer und einen Italiener. Während seine Befehle zur Vertheidigung des Gebäudes ausgeführt wurden, machten sie sich bereit, den gefährlichen Gang zu wagen. Eine kleine Lampe wurde herbeigebracht und so sorgfältig geschirmt, daß ihr Schein nicht von unberufenen Augen entdeckt werden konnte; dann, die Pistole in der Hand, den Säbel unter'm Arm, folgte der Commodore dem Jüngling, der, mit der Lampe vorangehend, den Führer machte.

Die Zurückbleibenden sahen sie mit bangem Herzen etwa fünfundzwanzig Stufen in die Tiefe hinabsteigen und dann im Dunkel verschwinden.

Nachdem sie die Stufen hinabgestiegen, sahen sich der Commodore und seine Begleiter in einem gewölbten Gange, etwas über Manneshöhe und etwa drei Ellen breit, in dem sie rasch auf ebenem Boden fortschreiten konnten. Derselbe war in Folge der Jahreszeit trocken und die Luft darin, wenn auch schwül, doch ziemlich rein und von Strecke zu Strecke von einem frischen Strom unterbrochen. Nachdem sie mit der nöthigen Vorsicht etwa fünf Minuten vorgeschritten waren, konnten sie deutlich über ihren Häuptern die Schritte von Menschen, das Galoppiren von Pferden und Lärmen und Schreien hören.

Immer weiter drangen sie vor und der Gang schien allmählich in die Höhe zu steigen. Das Geräusch der lagernden Feinde war zwar verstummt, aber ein anderes - anscheinend vor ihnen - ließ sich mit jedem Schritt immer näher und näher hören.

Die Männer hielten an und eine kurze Berathung, dann blieben der Commodore und der Soldat zurück, während der junge Indianer im Dunkel vorwärts ging.

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Nach wenigen Minuten kam er zurück und winkte dem Commodore. Schweigend führte er ihn dem Geräusch zu, das sich immer mehr zu einem Rauschen und Brausen gestaltete, dessen Ursach' der Commodore nicht begreifen konnte. Ein frischer, kühler Luftstrom kam ihm entgegen, ein feuchter Dunst wehte ihn an, und als der Gang plötzlich einen Winkel machte und er um die Ecke trat, sah er vor sich eine eigenthümliche Dämmerung, einen beweglichen Schleier, durch welchen in der Ferne feurige Lichter zu flimmern schienen.

»Der tapfere Kazike der weißen Männer befindet sich außer dem Bereich seiner Feinde,« sagte Mato-Topah. »Wir sind in der Quebrada, und diese ewige Hülle, die der große Geist der weißen und rothen Männer vor das Werk der frommen Brüder gebreitet hat, ist der Iguassy, der aus dem Urwald kommt und über die Felsen strömt in das Thal. Der >weiße Adler< sieht durch den Schleier des Wassers die Feuer der >Blutigen Han »Aber wie sollen wir aus dieser Höhle kommen?«

»Die Liane rankt von den Ufern ihr dichtes Netz, bis sie die Wellen des Baches küssen. Es muß ein Ausweg sein durch die Gebüsche.«

Eine kurze Untersuchung genügte ihm in der That, diesen zu finden. Obschon der Jüngling seit seiner Kindheit vielleicht tausend Mal am Fuß und in der Nähe des kleinen Wasserfalls gewefen war und jeden Fußbreit des Thals und seiner Umgebung kannte, hatte doch selbst das scharfe Auge eines Indianers den Ausgang nicht entdeckt, da die fast tropische Ueppigkeit des Pflanzenwuchses seit der langen Reihe von Jahren, daß er nicht benutzt worden, die Lianen- und Cactuswand, welche ihn bedeckte und bildete, zu einer undurchdringlichen Mauer geformt hatte. Der Scharfsinn des Indianers und seine Kenntniß der äußern Umgebung ließen ihn jedoch alsbald errathen, wo der frühere Ausgang war.

In diesem Augenblick rollte der Donner eines schweren Schusses zwischen dem Knattern des Flintenfeuers aus dem Thale herauf - die Föderalisten hatten den ersten, Versuch mit ihren Kanonen gemacht. Ein wildes Geschrei folgte ihrer Entladung.

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»Der >Weiße Adler< möge eilen und die Seinen hierher führen, ehe die große Büchse den Zugang des Hauses öffnet,« sagte der Jüngling. »Es sind rothe Männer genug in der Mission, um die Spur der Tapferen für diese Nacht zu verbergen. Mato-Topah's Beil wird unterdeß den Pfad für ihren Fuß öffnen.«

Während der Commodore rasch zurückeilte und ihm den Legionair zum Beistand sandte, machte sich der junge Indianer rasch an's Werk, von der Felsenplatte unter dem Wasserstrom hinweg einen Ausweg durch die Mauer des dichten stacheligen Pflanzenwuchses zu hauen. Der tapfere Anführer der Freischaar wußte, daß es eines mehrmaligen Abfeuerns der leichten Geschütze, selbst wenn die Geschicklichkeit der Artilleristen Urquiza's eine größere gewesen wäre, bedürfen würde, um das Thor der Mission oder einen Theil der Mauer zu einer gangbaren Bresche zu verwandeln; dennoch beeilte er seinen Schritt so sehr als möglich und wurde bei seinem Erscheinen in der Kapelle von den Harrenden, die schon besorgt um ihn waren, mit Jubel empfangen.

Der größte Theil der Legionaire, die Familie des greisen Naturforschers mit dem Werthvollsten ihrer Habe und die armen Indianer waren bereits in der Kapelle versammelt, während der Rest der Schaar aus den Fenstern der Mission das Feuer gegen die triumphirenden Gauchos unterhielt.

Die Befehle des Commodore waren kurz und entschlossen. Nachdem er Bonpland den Erfolg der Recognoscirung mitgetheilt, sandte er unter Marochetti's Leitung die Versammelten truppweise in den Gang voraus mit der Anweisung der größten Eile und Stille, dann eilte er selbst nach dem Eingang der Mission, gegen welchen das Feuer der Kanonen gerichtet war.

Da die Büchsen der Belagerten die Bedienungsmannschaft gezwungen hatten, sich außerhalb ihrer Tragweite zu halten, war das Schießen um so unsicherer, und die ersten Schüsse hatten nur die Mauern der Mission getroffen. Als der Commodore jedoch bei den Vertheidigern ankam, traf eine Kugel den Thorweg und sprengte ihn auf. Das Triumphgeschrei der Gauchos, die sofort zum Angriff herbeiströmten, wurde aber durch den Anblick

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der Barrikade, die Sacchi unter dem Thor errichtet, und eine wirksame Büchsensalve unterbrochen, mit welcher die zurückgebliebenen Vertheidiger sie empfingen, und sie zogen sich hastig nach ihren Kanonen zurück, deren Feuer es überlassend, das Hinderniß ihres Vordringens weiter zu zerstören.

Der Commodore wußte, daß, nachdem die Artilleristen jetzt die Distance gefunden, zwei oder drei weitere Schüsse hinreichen mußten, den Zugang der Mission frei zu machen, und sah den wilden Urquiza unter seinen Leuten umhersprengen, sie zum Sturm anzufeuern. Kein Augenblick war zu verlieren - er gab das Zeichen zum Rückzug, und unbemerkt von ihren Gegnern verschwanden die Vertheidiger der Mauern von ihren Posten und eilten zur Kapelle. Wenige Minuten darauf hatten sie sich in den Gang zurückgezogen und die Granittafel hinter sich geschlossen und mit mehreren großen Steinblöcken von Innen versperrt, die zu diesem Behuf seit der Erbauung des Ganges auf den obersten Stufen der Treppe aufgehäuft waren. In dem Augenblick, wo sie in den Schooß der Erde hinabstiegen, hörten sie das Krachen der einschlagenden Vollkugeln und das Geheul der Gauchos und Wilden, die von allen Seiten gegen die Mission zum Angriff heranstürmten. -


Eine Stunde später standen auf der Höhe der Quebrada am Rande des Urwalds drei Männer und schauten zurück auf das Thal, während die Nachhut einer dunklen Menschen-Colonne sich die Schlucht entlang immer tiefer in den Wald hineinwand und ein zweiter kleinerer Trupp von Männern, Frauen und Kindern unter den hohen Bäumen harrte.

Aus der Mitte des Thales, von der Stelle, wo die Mission sich befand, wälzte sich eine glühende Feuerwolke hinauf in den sternenbedeckten Nachthimmel und sandte ihren falben Schein bis zur entfernten Höhe, wo die drei Flüchtlinge im Schutz der Sausohecke standen. Sie durften sich hier sicher glauben, denn die Gauchos konnten unmöglich vor dem Morgen die Spuren ihres Abzugs im Walde finden, selbst wenn sie überhaupt auf den Gedanken kamen, daß es ihnen gelungen sei, sich zu retten. Es war vielmehr wahrscheinlich, daß die Gauchos, als sie bei dem Sturm auf die Mission diese leer und nur die Pferde ihrer

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Gegner gefunden, geglaubt hatten, daß die Menschen in irgend ein geheimes Versteck des weitläufigen Gebäudes geflüchtet wären, und da sie dies nicht finden konnten, die Mission angezündet hatten, um so ihren Feinden den sichern Untergang zu bereiten.

Mit tiefem Schmerz sah der Greis, denn dieser, der Commodore und Mato-Topah bildeten die einsame Gruppe, auf den Flammen die dunkelen Contouren der Mauern sich abzeichnen, die so lange seine friedliche Heimath gewesen waren, die alle Schätze seines Sammelns und Forschens bargen und in deren Nähe er sein Grab zu finden gehofft hatte. Geliebt und verehrt von den Naturmenschen, die ihn umgaben, hatte er hier sechszehn Jahre zugebracht. Es war im Jahre 1832, als Aimée Bonpland sich in Buenos-Ayres befand und von dort an seinen berühmten Freund nach Europa schrieb und seine Rückkehr hoffen ließ, daß ihm plötzlich diese Absicht wieder leid wurde und er in die Wildnisse Paraguay's zurückzukehren beschloß. Auf dem Wege dahin fand er in der Nähe des Zusammenflusses der beiden mächtigen Ströme auf dem Gebiet eines Indianerhäuptlings, der ihn und seinen Freund einst nach den Anden geleitet, die Tupah desselben von feindlichen Stämmen zerstört, ihn selbst und die Seinen erschlagen und nichts von der Familie übrig, als die beiden Enkel des alten Häuptlings, ein Mädchen von zehn und einen Knaben von zwei Jahren, welche sich bei der Vernichtung ihres Stammes in die Wälder geflüchtet hatten. Der Gelehrte nahm sie mit sich und schlug in der verfallenen, herrenlosen Mission San Dolores nahe der brasilianischen Grenze seinen Wohnsitz auf, wo er einsam und von der civilisirten Welt gänzlich geschieden, seinen Forschungen und der Erziehung der Kinder lebte, das Mädchen nach einigen Jahren zu seinem Weibe machend, um ihr den Schutz dieses Namens und sich die Pflege eines dankbaren Herzens zu sichern. Es war im Jahre 1840, als er zum letzten Male durch Reisende, die zufällig in seine Abgeschiedenheit gcriethen, von seinem berühmten, von der civilisirten Welt gefeierten Freunde hörte und ihm eine Nachricht von seinem Leben hatte zukommen lassen. -

»Es ist Zeit, daß wir scheiden, Monsieur,« sagte der alte Mann, sich mit Vorliebe der Sprache seines Vaterlandes bedienend.

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»Sie müssen weit hinweg von dieser Stelle sein, wenn die Sonne über jenen Wäldern sich erhebt. Unser Weg führt nach Norden - der Ihre nach Westen. Gott sei mit Ihnen und den Ihren; denn wenn Sie auch schweres Leid über mich gebracht - Sie haben die Erinnerungen meiner alten Brust geweckt und unser Beider Heimath ist jenseits des Weltmeeres! So vergebe ich Ihnen von Herzen all' den Schmerz, den Ihre Nähe mir gebracht, und beschwöre Sie nur, erfüllen Sie das Versprechen, das Sie mir gegeben, wenn Sie Europa wiedersehen.«

»Sie haben mein Wort, Señor,« sagte der Commodore ernst. »Warum aber wollen Sie in unserm Schutz nicht noch eine Strecke bleiben, bis Sie vor jeder Gefahr sicher sind?«

Der alte Mann schüttelte das Haupt. »Ich bin schon zu lange in Ihrer Nähe gewesen. Es ist nicht zu besorgen, daß die Gauchos uns in den Urwald verfolgen, und in zwei Tagen erreichen wir die brasilianische Grenze und San Gabriel. Leben Sie wohl, Monsieur, Gott geleite Sie und gebe Ihnen bald Ihr Weib zurück. Laß uns aufbrechen, mein Sohn, die Stunde ist da.«

Der Jüngling beugte sich vor dem alten Mann mit der Ehrerbietung, welche die indianische Jugend stets dem Alter zollt. »Die Große Medizin scheint die Stimme des jungen Condors nicht vernommen zu haben,« sagte er achtungsvoll. »Die Scalpfedern des Schwarzen Raben zieren sein Haupt.«

»Was soll's, Knabe - was soll's? Es ist schlimm genug, daß Du Menschenblut vergießen mußtest.«

»Wenn die Schwingen des Condors gewachsen sind, verläßt er das Nest,« fuhr der junge Mann unbewegt fort. »Mato-Topah fühlt, daß er ein Mann geworden, und er hat dem Weißen Adler sein Wort verpfändet, den Singenden Vogel zu suchen.«

»Knabe - um des Himmels willen - es konnte nicht Dein Ernst sein, Dich in diese neue Gefahr zu stürzen und uns zu verlassen. Bedenke, Du bist der Letzte Deines Namens!«

»Der Aroge ist ein Krieger - das weiße Haar meines Vaters hat den Condor zu lange von dem Flug abgehalten, der

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ihm gebührt. Mato-Topah wird zum Wigwam der Großen Medizin zurückkehren, wenn sein Name der Schrecken der Feinde geworden!«

Der alte Mann verbarg sein Gesicht in die Hände - er fühlte, daß die stolze Natur des Indianers in seinem Pflegesohn erwacht war, daß jedes Widerstehen vergebens sein würde.

»Lassen Sie den jungen Adler seine Schwingen prüfen, Señor,« sagte nicht ohne Bewegung der Commodore. »Wen die Natur zum Krieger bestimmt hat, der findet nicht Raum am friedlichen Herd. Jedem Menschen ist sein Loos zugetheilt, dem Weißen, wie dem Rothen. Du aber, Jüngling, nimm den Händedruck eines Mannes, dem Du sein Theuerstes retten willst und der Dir gelobt, einen Krieger aus Dir zu machen, dessen Name mit Ehren genannt wird, wie der des weisesten Forschers! Nimm dies Blatt für mein Weib - wohin wir uns durchschlagen, weißt Du, und Gott helfe Dir!«

Er reichte ihm das Blatt aus seiner Brieftafel, auf das er vor dem Verlassen der Mission einige flüchtige Worte geschrieben hatte, und drückte ihm die Hand; als er sie dem Greise zum Abschied bot, wandte dieser sich von ihm. »Gehen Sie, Herr,« sagte er finster; »dort brennt mein Haus - hier geht der Sohn meiner Sorge für Sie in den Tod - es ist genug an Ihrer Nähe. Wo Ihr Fuß hintritt, wird er Blut und Elend säen! Du aber, junger Thor, geh' in Dein Verderben - mein weißes Haar hätte mich größere Weisheit lehren sollen, als aus dem jungen Cuguar ein Lamm machen zu wollen.«

Er schritt festen Trittes zu der Gruppe der harrenden Indianer - einige Worte zu seinem Weibe, und mit dem blinden Gehorsam der indianischen Frauen, die nur das Gebot des Gatten kennt, hob die >Schlanke Palme< das Packet, das den Rest ihrer Habe barg, auf ihren Kopf, und die kleine Schaar verlor sich in der Finsterniß des Urwalds.

Wenige Augenblicke darauf trennten sich auch der Commodore und sein neuer Freund. Der Condottieri eilte seiner Schaar am Rande der Quebrada nach, der junge Indianer aber warf die Flinte über die Schulter, die er so sicher zu führen verstand,

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wie den Bogen, fühlte nach dem Beil in seinem Gürtel und verschwand mit unhörbarem Tritt in der Richtung des Ortes, wo am Mittag die Schlacht getobt.

2. Die Diamanten-Schlucht.

Wir müssen die treue und kühne Gattin des tapfern Parteigängers vorerst noch in den Händen ihrer Sieger auf dem Wege zu dem Hauptlager des Gaucho-Generals jenseits des Uruguay vor Concordia lassen und zunächst uns zu dem Pardo und seinem Verfolger wenden.

Wir wissen, daß Manuelo mit dem geraubten Kinde, der Schnelligkeit seines Pferdes vertrauend und durch das rothe Tuch als einer der Föderalisten kenntlich, über die Ebene floh und sich in den Urwald warf.

La-Muerte, der Mohr, folgte seinem ehemaligen Gefährten mit aller Erbitterung, die ihm dessen Verrätherei eingeflößt, und allem Eifer der Liebe für die Herrin und ihr Kind. Aber noch ehe sie den Saum des Waldes erreicht hatten, mußte er schon bemerken, daß es ihm - wenn nicht ein besonderer Zufall einträte - unmöglich sein würde, den Mestizen einzuholen, weil dessen Pferd weit kräftiger und schneller war, als das seine. Dennoch setzte er mit aller möglichen Eile seine Verfolgung fort, fest entschlossen, sie nicht aufzugeben, bis er sein Ziel erreicht habe.

Aber auch der Pardo wußte, welchen gefährlichen Feind er auf seiner Ferse hatte und welcher geübte und scharfsinnige Rostreador der Mohr war, fähig, seine Spur über den ganzen Continent Südamerika's zu verfolgen. Zuerst kam ihm daher der Gedanke, wenn sie weit genug sich in die Einsamkeit des Waldes vertieft hätten, durch die verlockendsten Versprechungen den Schwarzen für sich zu gewinnen; aber er erinnerte sich bald, daß, welche Gier er auch nach dem Besitz der Diamanten gezeigt hatte, doch seine Treue für Aniella unbestechlich und durch keine Schätze der Welt abzukaufen wäre. Ohnehin widerstand ihm der Gedanke, sein Geheimniß mit einem Andern theilen zu sollen. Eben so

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wenig verhieß ihm ein offener Kampf mit dem Mohren einen Erfolg; denn wenn ihn auch ein Blick rückwärts überzeugt hatte, daß derselbe nicht mit Schießwaffen, und nur mit Lanze und Messer bewaffnet war, so kannte er doch seine riesige Stärke zu gut und bedachte, daß den Zufälligkeiten des Kampfes sich aussetzen leicht seine Rache und sein Leben zugleich vernichten hieß. Er beschloß daher, sich auf die Schnelligkeit seines Pferdes und seine Schlauheit zu verlassen, um jede Spur seines Weges zu verbergen.

Er setzte demnach eilig seinen Ritt in einer, von seinem eigentlichen Ziele gänzlich abweichenden Richtung fort, und lange vorher hatte er jedes Zeichen von Verfolgung hinter sich gelassen und sprengte einsam durch die Lichtungen des majestätischen Urwalds.

Er verfolgte diesen Weg bis gegen den Eintritt des Abends, dann hielt er sein Pferd am Rande eines kleinen Waldbaches an, schnallte den Poncho und den kleinen Beutel mit getrocknetem Fleisch vom Sattel und suchte in den nahen Büschen ein Bündel von Dornenzweigen, die er an die Steigbügel des Pferdes band, das er von seinem Zügel befreit hatte. Ein Schlag auf die Kruppe setzte das erschöpfte Thier auf's Neue in Bewegung, und gestachelt von den in seine Flanken schlagenden Dornen rannte es wie toll davon. Das Kind, das anfangs viel geschrieen, später aber trotz des rasenden Rittes wieder eingeschlafen war, hatte kurz vorher auf's Neue seine klaren, hübschen Augen geöffnet und wimmerte jetzt kläglich, offenbar vor Hunger und Durst. Es war ein Mädchen, etwa eilf Monate alt, begann bereits die ersten Laute zu stammeln, und das kleine Gesichtchen zeigte die schönen und feinen Züge der Mutter.

Der Pardo hatte zugleich mit den Dornen einige Hände voll saftiger, wohlschmeckender Beeren gesammelt und fütterte damit das Kind, weichte ihm ein wenig Pemmican in Wasser ein und stillte mit dieser kräftigen Nahrung seinen und der Kleinen Appetit. Nachdem dies geschehen, befestigte er die fliegende Wiege des Kindes mit dem Zaumriemen des Pferdes auf seinem Rücken, zog seine Stiefeln aus und trat in das Wasser, indem er die Spuren auf der Stelle, von der er das Pferd verjagt, so

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arrangirte, als sei er dort wieder aufgestiegen, und dann rückwärts bis an den Rand des Baches ging. In diesem setzte er dann wohl eine halbe Stunde weit, dem Lauf des Wassers entgegen, seinen Weg fort, überzeugt, daß er so jede Auffindung der Spur unmöglich gemacht. Erst als die Dunkelheit eingetreten und er einen steinigen, harten Boden in der Nähe der Quelle erreicht hatte, verließ er das Wasser, erstieg den Felsen, der über der Quelle hing und von Bäumen und Buschwerk frei war, und bereitete hier in der Wildniß sein Nachtlager, indem er sich und das Kind in die dichten Falten des Poncho hüllte, und die gespannte Flinte im Bereich seiner Hand neben sich auf den Boden legte. -


Es war am siebenten Tage nach der Zerstörung der Mission und der Flucht des Mestizen, als unsre Erzählung denselben in einer, etwa dreißig Leguas nordöstlich von der Stelle, wo wir ihn verlassen, gelegenen Gegend auf dem Gebiet der brasilianischen Provinz Rio-Grande do Sul zwischen dem Rio-Vacacahy und einem Nebenfluß des Uruguay wiederfindet. Es war eine überaus wilde, öde Gebirgsgegend, in der zerklüftete Felsen und tiefe, wie von gewaltigen Erdumwälzungen in die Oberfläche der Erde gerissene Schluchten abwechselten. In dieser einsamen und traurigen Scenerie öffnete sich ein Thal von gleichem Charakter, das ziemlich schroff zu einem weiten Felsplateau aufstieg und dessen Grund das Bett eines mächtigen, vielleicht seit Jahrtausenden versiegten Bergstroms gebildet hatte, zu dem von beiden Seiten von der Höhe der Felsen tiefe und schroffe Schluchten herabliefen. Die Vegetation dieser wilden und schauerlichen Gegend stach durch ihre Spärlichkcit und ihren Charakter hart gegen den fast tropischen, üppigen Pflanzenwuchs der tiefern Waldregion ab. Nur die Montezumafichte streckte ihren Stamm von den Spitzen der Felsen in die Luft und drängte ihre mächtigen Wurzeln zwischen das Gestein, Flechten wucherten in großer Fülle und die Moose bedeckten mit ihrem fußhohen Grün die Felsen und Steine.

Der Thalgrund mußte vor vielen, vielen Jahren zu einer Gold- oder Diamantenwäsche gedient haben, denn an den Seiten des ausgetrockneten Corregos oder Waldbachs sah man die bemoosten und verwitterten Trümmer einzelner Ranchos oder Hütten

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und Umzäunungen. Jetzt aber war Alles längst der Vergessenheit einer undankbar gewordenen Mühe anheimgefallen, keine Spur des Lebens zeigte sich in dieser traurigen Einöde, als der Gaviao do Sortone, der nackthalsige Falke mit schwarzem, stahlglänzendem Gefieder, der hoch über den Felsen schwebte, oder eine He[e]rde großer Miripi-Affen, die, aus den Wäldern herausgekommen, durch die Felsen sprang.

Es mochte etwa acht Uhr Morgens sein, als über den Rand einer steilen, versteckten Felsspalte sich ein braunes Gesicht hob und das scharfe Auge des Einsamen sorgfältig umherspähte. Dann trat die ganze Gestalt des Mannes aus der engen, schroffen Felswandung, sah nochmals umher und lenkte die Schritte nach dem Urwald am Fuß dieses wilden Felsenmeers. Der Pardo, denn dieser war es, hatte die Flinte über die Schulter, doch schien sie ihm jetzt ein nutzloses Instrument, vielmehr spähte sein Auge auf der kurzen Wanderung, die er unternahm, nach eßbaren Wurzeln und Moosen, die er in seiner Tasche sammelte, und nach den Beeren und herben, aber schmackhaften Früchten der Waldbäume.

Das Gesicht des Gambusino war hager und eingefallen, wie die Mienen Derer zu sein pflegen, die von Hunger und Entbehrungen leiden. Ein wochenlanger Bart verunstaltete sein Antlitz und seine Kleidung war an vielen Stellen zerrissen und zeigte die Spuren eines rauhen Aufenthalts.

Obschon der Pardo längst sich sicher wußte vor jeder Verfolgung und die völlige Einsamkeit dieser Gegend kannte, vernachlässigte er doch keine Vorsichtsmaßregel auf seinem Wege, aber Nichts zeigte sich seinem Auge, was ihn im Geringsten hätte beunruhigen können. Während er in dem dichten Unterholz, das den hochstämmigen Urwald begrenzte, nach den Beeren und Früchten suchte, welche bereits seit mehreren Tagen seine und des Kindes einzige Nahrung gebildet hatten, schreckte ihn plötzlich ein Geräusch. Er griff nach seiner Flinte und machte sich schußbereit, als er bemerkte, daß es eine Jacutinga mit ihren Jungen war, die durch das Lianengebüsch rauschte. Seine Augen funkelten vor lebhafter Gier nach dem Fleisch des Thieres - zwei Mal hob er die Flinte, um zu feuern, aber jedes Mal ließ

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er sie wieder sinken, die Berechnung überwog den Hunger - wenn der Zufall irgend einen Menschen in die Nähe der Einöde geführt hätte, konnte der Knall ihn verrathen, und er wollte ja allein sein, er wollte nicht theilen!

Nachdem er einen hinreichenden Vorrath wilder Früchte gesammelt, lenkte er seine Schritte zu einer Stelle des Waldes, wo eine kleine Quelle entsprang. Er löschte zuerst seinen Durst und füllte dann eine Flasche, die er mitgebracht.

»Noch zwei Tage - nein, noch drei oder vier,« murmelte er, »dann werde ich reich genug sein, und so lange wird es das Kind schon noch aushalten!« Seine Augen funkelten in unheimlichem Feuer bei dem Gedanken an diesen Reichthum - er betrog sich selbst mit der Zeit, die er sich bestimmte; denn im Grunde seines Herzens fühlte er, daß nach den Erfolgen der letzten Tage er nicht vermögen würde sich loszureißen, bis er Alles, Alles erschöpft.

Und dennoch besaß dieser Mann, der mit einer Handvoll Beeren oder einer zähen Wurzel kümmerlich sein Leben fristete, bereits Reichthümer, nach denen mancher König lüstern sein durfte!

Der Pardo machte sich nun auf den Rückweg, bei dem er gleiche Vorsicht beobachtete. Erst nachdem er sich überzeugt, daß kein menschliches Wesen zu sehen war, betrat er sein geliebtes Felsenlabyrinth und näherte sich der Spalte, aus der er emporgestiegen war.

Der Gambusino war jedoch kaum in dieser verschwunden, als sich an einer Stelle des dichten Unterholzes, die den Blick den Thalgrund hinauf gestattete, die Wand eines Lianengebüsches leise bewegte, dann zertheilte und ein schwarzes Menschenantlitz zum Vorschein kam. Der breite, dicklippige Mund öffnete sich zu einem lustigen Grinsen und zeigte die blendend weißen, scharf gefeilten Zahnreihen La-Muerte's, des Mohren. Sein dunkles, scharfes Auge durchspähte gleichfalls vorsichtig die ganze Umgebung, und dann wand sich gleich einer riesigen schwarzen Schlange der mächtige Körper des Negers aus dem Gebüsch.

»La-Muerte haben diesen Bösewicht,« flüsterte der treue Mohr, »haben viel Mühe gekostet, aber werden klein Piccaninny befreien und Massa Manuelo auf seinen Schädel klopfen.«

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Vorsichtig blieb der Schwarze dann hinter dem nächsten Felsstück liegen, um erst weiter zu beobachten, ob der Pardo nicht nochmals zurückkehrte, ehe er ihm zu seinem Schlupfwinkel folgte.

Diese Zögerung sollte leider die furchtbarsten Folgen haben. Aber ist es denn nicht häufig so? Wissen wir bei der besten That, bei der edelsten Handlung der Aufopferung, der Liebe und des Muthes, ob nicht unser geringstes Zögern, der Schritt, den wir thun, die Hand, die wir heben, das Wort, das den Lippen entflieht, schon der Gedanke, den wir fassen, - Tod und Entsetzen in jener Gliederung der Ereignisse hervorrufen kann, die wir Menschen so oft Zufall nennen und die das Auge Gottes allein beherrscht? - Der Kunstgriff des Pardo an dem Ufer des Baches hatte allerdings den Schwarzen getäuscht und dieser zwei Tage mit der Aufsuchung des Pferdes verloren, bis er es von den Raubthieren des Waldes zerrissen gefunden und alsdann die List seines frühern Gefährten entdeckt hatte. Zurückgekehrt zu dem Bach, wußte er alsbald, daß dieser die Spur des Kinderräubers verbergen mußte, und setzte am Rande desselben seine Nachsuchungen fort, bis er sie wiedergefunden.

Der Mohr war ein zu erfahrener Rostreador, um sie alsdann trotz aller Listen, die der Gambusino auch weiter angewandt, wieder gänzlich zu verlieren, und er folgte ihm, freilich mit großem Zeitverlust, bis zu dem Felsenthal, in dessen Nähe er am Abend vorher eingetroffen war.

Die Felskluft, zu der sich der Pardo gewendet, war eine der schaurigsten und wildesten des ganzen Thales. Man wand sich durch einen langen Felsspalt, der Jahrtausende lang schon zur Rinne der Fluthen der Regenzeit oder einer Bergquelle gedient haben mochte, unter überhängenden Felsstücken empor, die so locker und los über einander gethürmt lagen, daß jede Erschütterung sie herabzustürzen drohte, bis zu einer natürlichen Felsenpforte - einem Loch von etwa anderthalb Ellen Höhe, welche das Wasser zum Ausfluß sich gehöhlt. Jenseits dieser Oeffnung, die wahrscheinlich früher viel enger gewesen und nur durch den Zahn der Zeit oder ein zufälliges Naturereigniß, seit die Diamantenwäsche des Thals aufgegeben worden, sich erweitert hatte, dehnte sich die

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Schlucht zu einer Art Rundung aus, rings umgeben von glatten, hohen Felswänden mit Hunderten kleiner Rinnen und Ritzen, wie sie das Bergwasser niederströmend sich eingegraben hatte, bis es diesen Felskessel füllte und durch jene Oeffnung dem Thalgrund zuströmte.

Dies war der Ort, wo der Pardo sein Lager aufgeschlagen, die Quelle, aus der er seine Schätze schöpfte, kolossaler, als die glühendste Phantasie sie ihm je vorgemalt.

Es war etwa ein halbes Jahr vor der Zeit, daß wir ihm am Ufer des La Plata begegnet sind, als er durch einen Zufall diesen Ort entdeckt hatte. Auf einer seiner Streifereien, welche die Gambusinos des Südens häufig nach den verlassenen Minen und Wäschen der Regierung richten, war er in jene Gegend gekommen und hatte im Grunde des Thals und in den Rinnen der Berggewässer verschiedene Nachgrabungen gehalten, wie vor ihm wahrscheinlich schon viele seiner Gefährten gethan hatten, ohne die geringste Ausbeute zu finden. Da bemerkte er, eines Morgens unter dem Schutz eines Felsens liegend, einen Affen, der mit einem in der Sonne wunderbar glänzenden Stein spielte. Er scheuchte den Affen auf und dieser floh in das Felsenlabyrinth, wohin er ihn verfolgte und so den Eingang der Schlucht fand. Eine Kugel streckte das Thier nieder und in seinen Backentaschen fand der Pardo den Stein wieder, der seine Aufmerksamkeit erregt. Er schien ihm anfangs ein diamantenähnlicher Topas von reinem Wasser und nicht unbedeutendem Werth. In dem Lehm, der die Rinnen und Löcher der Felsen füllte, fand er noch mehrere ähnliche Steine, und diese waren es, die er mit nach Montevideo genommen hatte, um sich dort von dem Werth dieses Fundes Ueberzeugung zu verschaffen; denn der Eintritt der Regenzeit hatte ihn aus der Schlucht vertrieben und jede fernere Nachsuchung unmöglich gemacht. Erst in Montevideo überzeugte er sich durch die angestellten Versuche, daß was er kaum zu hoffen gewagt, Wirklichkeit sei und die gefundenen Steine Diamanten erster Qualität von bedeutendem Werth waren. Er wäre sofort wieder nach der Quelle dieser Schätze geeilt, wenn er nicht gewußt, daß während der Regenzeit jeder Versuch vergeblich sein mußte, und zugleich nicht gefürchtet hätte, Andere auf seinen Weg

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aufmerksam zu machen. Der gewöhnliche Leichtsinn und die Eitelkeit der Halbfarbigen trieb ihn an, von dem bereits erworbenen Reichthum Gebrauch zu machen, und der Hochmuth raunte ihm zu, einer lang verhehlten glühenden Leidenschaft jetzt nachzugeben und als Bewerber um die Hand seiner Milchschwester aufzutreten und diese sich erst zu sichern, da er nicht zu fürchten brauchte, daß das Geheimuiß jener Schlucht, die der Zufall ihm entdeckt, bei der gänzlichen Oede jener Gegend in andere Hände fallen werde.

Wir wissen, wie der Gang der Ereignisse und seine ungezähmte Leidenschaft ihn in eine Lage brachten, die ihn sechs Jahre verhinderte, den Diamanten-Distrikt auf's Neue zu besuchen und der entdeckten Schätze sich zu bemeistern. Die Gier danach stand nur seinem Verlangen, sich an den vermeintlichen Urhebern seiner Leiden zu rächen, nach, und in dem Gedanken, sobald dies geschehen, sofort sich aus den Weg zu machen nach dem Felsenthal, hatte er Sorge getragen, stets Alles bei sich zu führen, was ihm bei seinem Vorhaben von Nutzen und nöthig sein konnte. Es kann seltsam erscheinen, daß er sich auf einem so weiten und gefährlichen Weg der Beschwerde unterzogen, das Kind mit sich zu schleppen, statt sich seiner durch einen Mord oder sein Aussetzen in dem Urwald zu entledigen. Aber der Pardo, obschon Gcwissensscrupel nicht seine Schwäche waren, bebte doch vor einem nutzlosen Morde des kleinen Wesens zurück, ja, er empfand sogar ein gewisses rachsüchtiges Behagen in dem Gedanken, das Leben des Kindes in seiner Gewalt zu behalten und zu beschützen. Er glaubte den Vater erschlagen und die Mutter todt oder mindestens gefangen, und wußte dann, welchen Schmerz ihr lebend oder im Sterben der Raub ihres Kindes bereitet haben mußte. Der stete Anblick desselben war ein Triumph, ein stachelnder Reiz seiner Rache. Darum hatte er beschlossen, es mit sich zu nehmen in die fernen Länder, wohin er sich begeben wollte, wenn er die Schätze der Diamanten-Schlucht erschöpft; denn mit jedem neuen Fund wuchs die habsüchtige Gier, die zum wilden Fieber stieg, das nimmer genug bekommen kann. - Der Pardo hatte sich durch die enge Oeffnung gedrängt und befand sich jetzt in der Diamanten-Schlucht.

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Wir haben bereits versucht, dem Leser das äußere Bild derselben vor Augen zu führen.

Der Felskessel hatte im Innern die Ausdehnung eines großen Zimmers - die Wände stiegen schroff etwa dreißig bis vierzig Fuß in die Höhe, nur unterbrochen durch einzelne Risse, Löcher und Regenrinnen, doch schwer oder fast unmöglich von Innen zu ersteigen; den einzigen Ausgang bildete die bereits erwähnte Höhlung zu dem engen Felsspalt. Wucherndes Moos drängte sich aus den Felsspalten, der Boden bestand aus einem dicken, von der Hitze der trockenen Jahreszeit jetzt fast zu Staub verbrannten Lehm. In einem Winkel dieser Schlucht, die von der hochstehenden Sonne jetzt mit einer Fluth von Licht Übergossen war, lag das Kind Aniella's auf einem Lager von Moos und Kräutern. Der Pardo hatte der Kleinen einen Theil der gesammelten Früchte gegeben und das Kind kroch spielend auf dem Boden umher, begierig nach weiterm Vorrath suchend, denn es war abgehagert gleich dem Mestizen.

Dieser saß neben einem großen, tafelförmigen Stein, auf dem ein langes Messer, ein kleiner, aber schwerer Hammer und zwei feine englische Feilen lagen. Der Boden war in regelmäßige Quadrate mit einer kleinen Handschaufel abgestochen und etwa zum vierten Theil durchgraben.

Die Stelle um den Pardo her war auf der einen Seite mit zerriebenem, sorgfältig gesichtetem Thon bedeckt, während auf der andern ein Häuschen größerer oder kleinerer, anscheinend zu Stein gewordener harter Thonstückchen von unregelmäßiger Form lag, die er einzeln sorgfältig prüfte, indem er mit dem Hammer die feste Hülle zerschlug und mit dem Messer und der Feile das todte Gestein abbrach. Alle Leidenschaft schien bei jedem neuen Versuch betheiligt, seine Aufregung dieselbe wie die des Spielers, der am grünen Tisch sein Gold, seine Habe auf die Karte setzt, und von deren Umschlag Gewinn oder Verlust, Leben oder Tod erwartet. Die Flinte lehnte an der Felswand, wo der Poncho zu einem Lager ausgebreitet war.

Von Zeit zu Zeit wandten sich jedoch die Blicke des Mestizen von seiner Arbeit hinweg nach einer Stelle des Steines - und seine ganze Seele schien dann in seinen Augen zu funkeln, minutenlang

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war alles Andere vergessen und ein stolzes, gieriges Lächeln überflog sein hageres Gesicht, wenn seine Phantasie all' die Bilder von jeder Lust und jedem Genuß der Erde ihm malte, die jene kleine Stelle ihm verschaffen würde: Reichthum - schöne Frauen - Macht - Ansehn - den Neid, die Bewunderung, den Gehorsam einer Welt!

Dort auf jener Stelle lag der lederne Beutel, der den kleinen Vorrath von Pemmican enthalten, - die Schnur war gelöst, der Beutel geöffnet - statt des rohen materiellen Fleischpulvers jetzt ein anderer, kostbarerer Inhalt darin bewahrt.

Die Sonnenstrahlen, die durch die offene Decke der Schlucht hereinbrachen, reflectirten mit tausend glänzenden Lichtern in den zu leuchtendem Feuer gewordenen flammenden Farben des Regenbogens von jener Stelle, wo in dem geöffneten Beutel eine Anzahl der kostbarsten Diamanten glänzte. Die Form der Oktaedern und Rhombendodekaedern, welche sie bildeten, vermochte zwar ihren Schein nicht zu dem verdoppelten Glanz des Schliffs zu entwickeln, aber die sorgfältige Reinigung, die der Pardo mit seinen Instrumenten jedem einzelnen Stein hatte zu Theil werden lassen, zeigte doch ihr natürliches Feuer und warf genug Reflexe, um die Stelle mit einem wundersamen, zauberischen Glanz zu erfüllen.

Es waren vielleicht hundert Steine, die der Mestize bereits gewonnen, darunter einige von so bedeutender Größe, daß, wenn sie auch nicht den Sancy'schen Diamant81 oder den berühmten

[318] Koh-i-noor82 erreichten, sie doch fast dem in der Krone von Preußen enthaltenen, unter dem Namen >Regent< oder >Pitt< bekannten Kleinod gleichkamen.

Der Werth dieser kostbaren Steine, auch der von geringerm Gewicht, wurde dadurch noch gehoben, daß die meisten von ihnen zu den berühmten farbigen Diamanten gehörten und in Grau, Gelb, Grün und Braun spiegelten, ja einige die höchst seltene orange, rothe und blaue Farbe zeigten. Ein Meer des Lichts schien von diesen Steinen auszugehen und die schwere dicke Luft über ihnen gleichsam zu zittern unter der Strahlenbrechung dieser flammenden Farben.

Das Kind war bis zu dem Steinblock gekrochen, hatte sich an diesem aufgerichtet und streckte die Händchen nach dem glänzenden flimmernden Spielwerk aus, als der Pardo es bemerkte, den Beutel aus seinen Händen riß und die Schnur zuzog. »Putao!« murmelte er, »willst Du mir meinen Reichthum nehmen, wie Deine Mutter mir das Herz aus der Brust gestohlen?« Er legte den Beutel zur Seite und begab sich wieder an seine Arbeit. Plötzlich jauchzte er laut auf.

»Carámba! wieder ein Stein - die Heiligen sind mir gnädig' Ich will ihnen eine Kerze weihen, so dick wie mein Arm, wenn ich erst den Placer ausgebeutet. Die Thörin, die -

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mich um den bettelhaften Piraten verlassen! In jedem Blick auf ihr Fleisch und Blut will ich meine Rache genießen - es soll meine Sclavin sein, meine niedrigste Dienerin, wenn die Frauen der alten Welt zu meinen Füßen liegen! Man hat mir erzählt von den Herrlichkeiten in London und Paris - Carájo! - ich will sie genießen - Alles - Alles! Heilige Jungfrau - das kostbarste Stück von allen - ein schwarzer Diamant

In der That hatte die zerbröckelte Hülle einen Stein von wunderbarem Farbenglanz in seinen Fingern gelassen. Er war länglich rund, etwa von der Größe einer türkischen Bohne oder einer kleinen Haselnuß, ohne scharfe Kanten und Ecken und von einer fast schwarzen Farbe. Der Strahlenglanz, den er entwickelte, war unheimlich, aber wunderbar prächtig. Purpurfarbene und violette Blitze schienen aus ihm hervorzusprühen, als der Pardo ihn jetzt hin- und herdrehend im Sonnenschein funkeln ließ. Das Eigenthümliche, Geheimnißvolle, was im Diamant liegt, jenes Licht und Feuer, das selbstständig in seinen von Jahrtausenden versteinerten Gasen zu wohnen und nur dem Strahl der Sonne zu antworten, nicht willen- und leblos ihn blos zu reftektiren scheint, war durch die überaus seltene Farbe des gefundenen Steins noch auffallender, dämonischer. Diesem höllischen, diabolischen Glanz schien das Feuer in den Augen des Mestizen zu entsprechen, einen so wilden Ausdruck hatten sie, von so leidenschaftlicher, gieriger Freude waren seine Züge verzerrt, als er triumphirend den Stein drehte, wischte und putzte. Dann - als käme ihm der Gedanke plötzlich ein - legte er ihn hastig hinter sich und griff eifrig nach dem Haufen von Thonstücken. »Mehr! mehr!« murmelte er; - »Wo dieser war, müssen sich mehr der Steine finden. Jeder Juwelier in Rio de Janeiro würde mit Freuden zehntausend Milreis dafür geben! Ich muß sie alle haben - alle!« Er hämmerte hastig d'rauf los - aber Stück für Stück fiel zerbröckelt zu Atomen aus seiner Hand, ohne daß etwas Anderes sich zeigte, als taubes, werthloses Gestein.

Die Adern seiner Stirn schwollen in leidenschaftlicher Erregung, immer hastiger arbeiteten seine zitternden Hände, -

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aber vergeblich - keine Spur eines Diamanten mehr zeigten die aufgehäuften Thonstücke.

»Carámba - Maldito! Sollte er der einzige sein? - bei allen Teufeln - wo ist der Stein?«

Seine Augen starrten auf das Kind, das wieder am Block emporgekrochen war, den glänzenden Stein erfaßt hatte und ihn eben spielend in den Mund steckte.

»Carájo! bist Du des Teufels? Heraus mit dem Diamanten!« Er fuhr so hastig und roh auf das Kind zu, daß dieses zurückschrak und zu Boden fiel. Es schluckte und würgte - sein Gesichtchen wurde blutroth - die Augen traten aus dem Kopf - dann, nach einer gewaltsamen Anstrengung, begann es ängstlich zu schreien.

Das Antlitz des Pardo wurde fast grün vor Wuth und Schrecken. Er faßte das Kind roh an die Kehle und schwang es empor - das arme Geschöpf wimmerte kläglich.

»Verfluchte Bestie - soll mir denn immer von Deinem Blut nur das Schlimmste kommen? Heraus mit dem Stein, und sollte ich Dir das Herz aus dem Leibe reißen!« Er schmetterte das hilflose Kind in blinder Wuth nieder auf den Fels, daß Blut die zarten Glieder überströmte, und suchte ihm mit roher Faust in den Hals zu greifen.

Das Jammergeschrei des armen Kindes war kläglich, aber jeder Ton - der Anblick des Blutes schien nur die bestialische Wuth des Gambusino zu vermehren. Die Adern seiner Stirn waren dick geschwollen wie Stränge, in den Augen leuchtete ein teuflisches Feuer - dunkle Röthe überschwemmte sein Gesicht, als wolle das Blut zu allen Fibern herausdrängen!

»Den Diamanten!« keuchte seine Brust - »gieb den Diamanten heraus, Brut der Verfluchten!«

Im nächsten Augenblick blitzte das Messer hoch in seiner Faust - ein Stoß - ein schwacher Schrei - und mit einem Schnitt spaltete er den Körper des unglücklichen Geschöpfes vom Hals bis zum Leib und seine blutüberströmten Hände wühlten mit satanischer Gier in dem in Todeszuckungen sich krümmenden Fleisch.

»Den Stein - den Stein! Gelobt seien die Heiligen - da ist er!«

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Er hielt ihn mit keuchendem Athem empor - zwischen dem Blut blitzte es in höllischem Strahl - lang hin - ein Strahl, wie das stechende Auge eines Teufels.

Dann fiel sein eigenes plötzlich auf die geschlachtete Kinderleiche, die jetzt regungslos auf dem Stein zwischen dem aufgerissenen Beutel und den zerstreuten Diamanten lag.

»Heilige Jungfrau - was hab' ich gethan!« Die Reaction, die nach diesem höllischen Paroxysmus teuflicher Habsucht kam, war fast eben so schrecklich.

Aber dieser Empfindung sollte rasch eine andere - die des Schreckens - folgen!

»Verdammter Piccaninny-Mörder! - Möge der Fluch des Obi Dich verderben!«

Der Pardo starrte empor und auf der Höhe der Felsenwand in das fahle Antlitz La-Muerte's, dessen wolliges Haar zu starren Spitzen emporstand, während die Augen vor Entsetzen nur das Weiße des Apfels zeigten.

»O Du arm' Piccaninny!83 - o Du Teufel, verfluchtiger!« schrie der Mohr. »Sterben sollst Du, wie Du Kind von Señora gemordet!« Und seine Hand schwang drohend die lange Lanze.

Aus seinem Schrecken auffahrend hatte der Mestize nach dem Gewehr gegriffen und richtete es auf den Schwarzen. »Verfluchter Du selbst! Du selbst mußt sterben, denn Du hast zu viel gesehen!«

Der Speer zischte durch die Luft und schleuderte die sich entladende Flinte aus den Händen des Mörders, ihn selbst nur leicht am Arm verwundend. Aber ein donnerndes Prasseln antwortete dem Knall des Schusses.

Die Kugel plattete sich auf der Felswand über der Oeffnung - nicht der Arm des Mohren, sondern die Hand des allmächtigen Gottes hielt Gericht über den feigen Mörder des hilflosen Kindes! In der Felsenschlucht rollte die Explosion des Schusses wie zehnfacher Donner, die engen Wände der Schlucht erbebten unter dem Luftdruck und eine gewaltige Masse des überhängenden

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Gesteins löste sich aus seinen lockeren Fugen und stürzte mit Krachen nieder, den Zugang des Felskessels mit seinen Trümmern dicht versperrend.

Der Pardo war von dem Schlag der Lanze und der Erschütterung der Luft in die Knie gesunken - im nächsten Augenblick erkannte er das Schreckliche seiner Lage und fiel ohnmächtig nieder auf das Gesicht. -


Es war Nacht, als der Gambusino von dem frischen Thau, der auf seine Glieder fiel, wieder zum Bewußtsein kam. Der Mond stand hoch am Himmel und sein bleicher Strahl tauchte, fast Tageshelle verbreitend, nieder auf den Grund der Schlucht. Auf dem Stein in der Mitte lag in seinem gespenstigen Licht der schwarze Diamant neben der blutigen, verstümmelten Leiche des Kindes.

Der Pardo saß auf dem Boden - er legte die Hand an die Stirn, Alles schien ihm wie ein wüster Traum - erst nach und nach erinnerte er sich, wo er sich befand, was geschehen.

Neben ihm steckte noch tief im Boden der lange Speer des Mohren, sein Arm schmerzte von dem geronnenen Blut der Streifwunde - dort drüben blitzte der unheimliche schwarzrothe Strahl - da lag der Sack mit den Diamanten - und dort -

Es durchschauerte ihn wie Fieberfrost, als er am Boden hin nach der Stelle kroch, wo der Ausgang sich zur Felsenspalte öffnete. Aber eine dichte Mauer versperrte ihn. Vergeblich war sein Drängen und Stoßen an den Steinen, sein Rütteln und Graben - seine Hände bluteten von den scharfen Kanten und nicht eine Linie breit wich die ungeheure Steinlast.

Sein Haar begann sich zu sträuben - wieder und wiederum versuchte er seine Kraft - Gott im Himmel! war er denn lebendig begraben - begraben mit dem Leichnam des Kindes und den Millionen an kaltem Juwelenglanz?

Wie er sich so abmühte, erschreckte ihn ein heiseres, höhnisches Lachen von der Höhe des Felsens. »Piccaninny-Mörder müssen sterben! Massa Manuelo haben klein Aniella ermordet, Fluch über sein Blut!«

»La-Muerte - höre mich an!«

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»Mussen sterben! mussen sterben! Helfen Nichts, zu reden mit schwarzem Mann - Wehe! Wehe!«

Der Pardo warf sich in finsterm Grimm auf den Poncho an der Felswand. Er hoffte auf den Tag, aber er vermochte nicht zu schlafen, so erschöpft er war, der blutige Leichnam des Kindes und die unheimlichen Blitze des Diamanten standen ihm immer vor Augen. Er verhüllte das Gesicht, um nicht hinüber zu sehen nach dem schrecklichen Fleck, den die bleichen Mondstrahlen erleuchteten.

Es war eine schreckliche Nacht für den Mörder; drunten im Urwald heulte der Jaguar, und sausend bogen sich die langen düsteren Zweige der Montezumafichte vor dem Winde!

Die Stunden schienen Jahre zu werden in seinen Gedanken!

Dann endlich rötheten sich die Ränder des Felskessels und der jungfräuliche Tag zog herauf mit glühend verschämten Wangen aus der Umarmung der Nacht, wie die junge Braut sich löst verschämt aus den Armen des Geliebten.

Der Jaguar verstummte und zog sich zurück in die Tiefen des Waldes - der Mensch erwachte und begann sein Tagewerk - grausamer als das der Bestie der Wildniß!

Die Sonne stand schon hoch über den Felsen, ehe der Pardo es wagte, die Decke von seinem Antlitz zu schlagen und scheu umherzuschauen. Ein brennender Durst trieb ihn empor - seit dem vorigen Morgen hatte kein Tropfen Wasser seine jetzt heiße, trockene Kehle benetzt.

Die Augen fest auf den Boden gerichtet - denn er wagte nicht, nach oben zu schauen, noch nach der Steinplatte mit seinem Opfer - schlich er nach dem Winkel, wo die Kalebasse mit dem Wasser stand, das er am vorigen Morgen an der Waldquelle geholt.

Ein wilder Fluch entfuhr seinem Munde - die Flasche war heruntergefallen von dem Felsvorsprung, auf den er sie gestellt, entweder von der Erschütterung der Explosion oder heruntergestoßen von dem Kinde - das wenige Wasser, das darin geblieben, war längst verdunstet von der heißen Atmosphäre.

Vergeblich setzte er sie an den Mund - dann schleuderte er sie grimmig zu Boden.

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Wieder antwortete ihm ein heiseres, höhnisches Lachen von der Höhe der Felswand - der Rächer wachte! Der kurze, scheue Blick nach oben zeigte ihm das schwarze Gesicht des ehemaligen Gefährten.

Stumm rannte er auf's Neue zu dem von der Hand Gottes verschlossenen Eingang und begann wieder den verzweifelten Versuch, die gewaltigen Steinmassen zu erschüttern und hinwegzuschieben. Er stemmte den Flintenlauf zwischen die Fugen und bediente sich seiner als Hebel - der Schaft brach und blieb in seinen Händen; - er raffte das noch blutige Messer vom Boden auf, wohin er es geworfen, und stieß es in die Spalten der Steine - die Klinge zersplitterte an den scharfen Kanten - die Masse rührte sich nicht; - die mit der Kraft der Verzweiflung geführten Hammerschläge lösten kaum einzelne Splitter los.

Nach stundenlanger Anstrengung schien der Mestize endlich das Vergebliche jeder Arbeit einzusehen und einen neuen Entschluß zu fassen.

Die Sonne sendete glühende Strahlen hinunter in den Felskessel. Manuelo waffnete sich mit finsterm Trotz und schaute nach dem Rande der Felsen - der Mohr war nicht mehr zu sehen, die Sonnenhitze schien ihn von seinem Posten vertrieben zu haben in den Schatten vielleicht eines andern Felshanges oder Baumes; - vielleicht hatte er ihn ganz seinem Schicksal überlassen, nachdem er sich überzeugt, daß jeder Ausgang der Schlucht versperrt war. Bereits begann unter dem glühenden Himmel und in der schwülen, durch den Luftzug der Oeffnung nicht mehr erfrischten Atmosphäre der Leichnam des Kindes die schreckliche Auflösung. Hoch droben am glänzenden Himmel schwebte ein dunkler Punkt - ein Geier - als wittere er die Beute - es war das einzige lebendige Wesen außer ihm.

Der Pardo suchte jetzt mit aller Gewalt seine Ruhe, sein kaltes Blut wiederzugewinnen. Er verbarg den Beutel mit den Diamanten auf seiner Brust; - aber obschon es ihn mit der wieder erwachenden Gier der Habsucht einen bedeutenden Kampf kostete, gewann er es doch nicht über sich, den verhängnißvollen schwarzen Stein den gewonnenen Juwelen hinzuzufügen. Es graute ihm davor, und er ließ ihn dort, wo er lag, neben dem

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verwesenden Leichnam. Dann steckte er das Heft des Messers mit dem Stumpf der Klinge in den Gürtel und prüfte mit dem Blick die Felsenwände Fuß um Fuß.

Er schien zuletzt gefunden zu haben, was er suchte - ein höhnisches Lächeln zuckte um seinen Mund, während er die Lanze des Mohren aus dem Boden zog und die Stücke der zerbrochenen Flinte und die beiden Feilen zu sich steckte.

»La-Muerte - höre mich!«

Keine Antwort folgte dem Ruf; der Pardo wiederholte ihn zwei - drei Mal, immer lauter und dringender.

Alles blieb still.

»Er ist fort! - die Heiligen seien gepriesen! Ich werde leben und mich rächen!«

Er stürzte zu der Felswand, zur Stelle, die er vorhin für die allein mögliche erkannt. Dort stemmte er den langen Speer des Mohren in den weichen Fußboden und lehnte ihn in eine Felsenritze der Wand fest. Nachdem er sich nochmals überzeugt, daß er die Diamanten auf der Brust und alles Nöthige im Gürtel hatte, begann er das schwierige Werk der Ersteigung. Jede Spalte, jede Ritze der Felswand und der sich kreuzenden Regenrinnen benutzend, um den Fuß zu neuem Halt einzuzwängen, wo kaum die Zehe Platz zu haben schien, stieg er weiter und weiter. Als er fast das Ende der Lanze erreicht, bohrte er die zerbrochenen Stücke der Flinte in die Felsritzen, um weitern Halt für die Hände und Füße zu gewinnen - dann die beiden Feilen, mit denen er die Diamanten gereinigt. Triumph leuchtete aus seinem durch die rasende Anstrengung verzerrten Antlitz, je höher er kam, endlich fehlten kaum noch sechs Fuß zum Rande des Felsens. Er ergriff die letzte Waffe, die er hatte, das zerbrochene Messer, und preßte es in die Spalte. Lieber wollte er mit seinen Händen oder einem Stein und Ast die Raubthiere des Waldes bekämpfen, waffenlos jeder Gefahr trotzen, als in diesem steinernen Sarge langsam verschmachten.

Es glückte ihm, das Messer zu befestigen - er schwang sich empor - seine Hand erfaßte den Rand der Felsen, einen vorspringenden Stein - heilige Jungfrau! - gerettet - gerettet! er hob sich mit der Anstrengung aller Muskeln empor -

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sein Kopf stieg über den Felsrand - vor ihm die Freiheit - das Leben - der Reichthum - schon erkannte sein Auge das dunkle Baummeer des Urwalds -

»Carámba!«

Dicht vor ihm, hinter dem Felsblock empor, an den seine Rechte sich klammerte, richtete sich das schwarze, drohende Gesicht des Mohren auf.

»Piccaninny-Mörder müssen sterben, wo klein weißer Engel gestorben sind!«

Der Gambusino versuchte mit beiden Händen sich festzuklammern und auf die Höhe zu schwingen - Schaum trat auf seine Lippen bei der gewaltigen Anstrengung und der entsetzlichen Angst - seine Augen irrten blutunterlaufen umher.

»Laß mich herauf, La-Muerte - laß mich herauf - ich will Dich reich machen, so wahr die Heiligen mir gnädig sein mögen!«

Der breite Mund des Mohren zog sich grinsend fast von einem Ohr zum andern. »Massa Manuelo sein ein halber weißer Mann, ein Caballeiro! dürfen nicht fürchten den Tod. Möchten klein Kinder morden, dieser Caballeiro, und dann nicht sterben? Ho, ho!« Sein Gelächter war teuflisch, als er die Finger des Pardo mit unwiderstehlicher Gewalt langsam von der Felsenkante losbrach.

Der Mörder wehrte sich verzweifelt, indem er sich festzuhalten und ihn selbst zu umklammern suchte. »La-Muerte, mein Freund, - hab' Erbarmen mit mir - ich will Dir Schätze geben - laß mich hinauf - hinauf ... «

Sein Geschrei erstickte in grausigem Röcheln - der Mohr preßte seine Kehle zusammen und stieß ihn mit unwiderstehlicher Kraft zurück. Einen Augenblick schlugen die Arme des Verbrechers verzweifelt durch die Luft, wie als suchten sie dort einen neuen Haltpunkt, - dann stürzte er rücklings über und schlug schwer auf den Boden der Schlucht nieder.

Das grimmige Gelächter des Mohren begleitete seinen Fall.

Wieder war ein Tag und eine Nacht vergangen - wieder drang der heiße Strahl der Sonne in das furchtbare Felsengrab.

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Ein gurgelnder Laut quoll herauf - kaum noch einer menschlichen Stimme ähnlich.

»La-Muerte - wo bist Du?«

»Hier, Señor Don Manuelo. Der arme Nigger flechten von den Lianen schönen festen Strick, zu steigen in diesen Ort, wenn Massa Manuelo todt sein.«

»La-Muerte - bei der Mutter, die Dich geboren - habe Erbarmen mit mir! Mein Schenkel ist gebrochen bei dem verfluchten Sturz - mein Bein geschwollen - es zerreißt meine Eingeweide - es brennt wie höllisches Feuer in meiner Kehle! Wasser - einen Tropfen Wasser, so wahr Du ein Christ bist und an Gott und die Heiligen glaubst!«

Der Mohr lachte hämisch. »La-Muerte glauben nur an Obischlange84 wenn er auf dem Pfad der Rache sein. Nix Christ - bloßer Mohr, und kennen kein Mitleid.«

»Ich will Dir Millionen geben - sieh diese Diamanten! Sie sind ein Königreich werth. Ich will Dir ein Drittheil geben - nein, die Hälfte, wenn Du mich rettest! - Du sollst Alles haben. Alles!«

Der Mohr saß mit herabhängenden Beinen auf dem Felsrand. »Massa Manuelo machen armen schwarzen Mann lachen! La-Muerte wird finden all' die schönen blanken Steine, die er so sehr liebt, wenn Massa todt sein.«

»Parsaro! mögest Du ... « Der giftige Fluch verwandelte sich in wildes Stöhnen des Hasses und Schmerzes und dann wieder in heiseres Gurgeln. »Hilfe - Hilfe - Mutter Gottes, ich sterbe! - Nein, ich will nicht sterben - will leben - und müßt' ich das Fleisch von meinen Beinen nagen! - Dort - dort« -


Noch zwei Tage waren vergangen. - Leser, hast Du je von Ugolino gelesen und dem Torre di fame von Gualandi? Wenn das Schwert Italiens in der Scheide rasselt gegen die Herrschaft des germanischen Stammes - wer wendet die Blätter der Geschichte des Landes, wo der Lorbeer und die Orange wächst,

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und liest die Schrift von Feuer, Blut und Schande in dem Buche, das die italische Freiheit heißt, ohne zu schaudern in jedem Nerv? -

Aber vielleicht ist es das göttliche Recht der Nationalitäten, sich selbst zu zerfleischen! -

Die Schrecken des Hungerthurmes von Pisa hatten ihr Echo gefunden in der Schlucht der Sierra do Sul!

Wenn der Ruf des Campanero den Morgen verkündete, bis zum Augenblick, daß murrend und unheimlich seufzendes Aechzen ausstoßend der Nachtaffe durch die düstere Krone des ficus gigantea glitt! - beim heißen Mittag, wenn der Gecko durch die Blatter raschelte, wie um Mitternacht, wenn der leuchtende Cucujus-schwarm durch die Büsche schwirrte, der Vampyr mit lautlosem Flügelschlag die Felsenspalten verließ und der hungernde Jaguar im fernen Walde seine Stimme erhob - immer stiegen gräßliche Töne aus der Schlucht empor - zuerst die verzweifelnde Bitte, das heisere Geschrei, der wilde Fluch - dann der rasende Schmerz, der in den Eingeweiden wühlt - das Stöhnen des langen Kampfes und das Aechzen des sterbenden Mörders.

Um ihn her Schätze, um eine Welt zu kaufen, und nicht genügend für ein Stück Brod, für einen einzigen Trunk der verschmachtenden Kehle!

Denn der leuchtende Diamant dort unten, den der sterbende Verräther mit der letzten Kraft seiner Hand an die röchelnde Brust drückte, konnte nicht härter sein, als das Herz, nicht tauber, als das Ohr des schwarzen Rächers, der, unempfindlich für Fluch und Bitte, für Jammer und Todesgestöhn, da droben saß, sein Seil flechtend und ein muntres Lied summend, wie die Neger sie dichten zu ihrem Tanz und ihren Festen.

Dann kam eine Nacht und ein Morgen, und Alles war still dort unten auf dem Grunde der Diamanten-Schlucht. Auf dem Felsblock bleichten die weißen abgenagten Knochen des Kindes, und neben dem funkelnden schwarzen Diamanten traf der Sonnenstrahl auf eine gekrümmte, regungslose Gestalt - kaum der menschlichen Form noch ähnlich - und hoch oben am Himmel zog der Geier seine lüsternen Kreise.

Die Lianen-Leiter des Mohren war schon längst fertig, ihr

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Ende um den Felsblock geschlungen, den die Hand des ringenden Mörders so hoffend umklammert hatte.

Jetzt warf der Schwarze mit spöttischem Lachen das andere Ende in die Schlucht. »Vier Tage früher, Massa Manuelo, und Du sein jetzt kein stiller Mann! Schöner Pardo werden nimmermehr klein Piccaninny schlachten!«

Er stieg in die Schlucht. -

3. Peard, der Menschenjäger.

Jenseits des Uruguay, der hier die Breite der Donau bei Sistowo oder Rustschuk hat, befand sich das Lager der föderalistischen Truppen gegen Concordia, wo Oberst Silveira auf's Neue die Fahne für die Union und den Präsidenten Joaquin Suarez erhoben hatte.

Der Kampf war schon seit länger als zwei Monaten mit gleicher Lauheit und häufigen Unterbrechungen von beiden Seiten geführt worden, und beide kühne Anführer hatten während dessen häufige Streifzüge nach dem Innern des Landes unternommen. Einige kleinere Fahrzeuge, der Rest der Flotte von Buenos-Ayres, behaupteten den Uruguay und vermittelten die Verbindung ihrer Partei mit beiden Ufern.

Das Lager der Föderalisten war etwa eine Legua südlich von Concordia am Rande des Stromes aufgeschlagen und bestand aus einer Reihe von Zelten und fliegenden Hütten, wie sie die Gauchos und die Indianer in den Pampas zu errichten pflegen. Eine kleine Batterie von vier Geschützen, von denen auf den Befehl des Generals jetzt zwei nach der Mission gebracht worden waren, diente mehr dazu, die Bewohner von Concordia zu beunruhigen, als ihnen zu schaden. Die kleine Armee des Föderalisten-Generals bestand außer den wilden Verbündeten aus etwa dreitausend Mann, von denen die Hälfte vor der Stadt zurückgelassen worden war, als seine Späher ihm die Nachricht von der Annäherung des Commodore brachten.

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Besorgt jedoch vor einem Ausfall des kühnen Silveira, hatte er alsbald, nachdem die Schaar Garibaldi's geschlagen und in die Flucht getrieben worden, dem Führer der Milizen den Befehl gegeben, über den Uruguay zurückzukehren, da er sich stark genug wußte, mit den Gauchos und den Indianern den Rest seiner Feinde zu vernichten, der sich in die Mission geflüchtet hatte.

Die Empfindungen der jungen Frau, als sie sich so plötzlich von Gatten und Kind hinweggerissen und in den Handen grausamer Feinde sah, wären noch schwerer und schmerzlicher gewesen, hätte nicht der letzte Blick auf das Schlachtfeld ihr gezeigt, daß der Commodore sich wieder unter den Seinen befand, und sie nicht gewußt, wie unbesieglich sein Muth, wie groß seine Umsicht und Entschlossenheit in der Gefahr war, die ihn schon aus den schwierigsten Lagen befreit. Was das Kind betraf, so vertraute sie unbedingt auf die Treue und die Ergebenheit des Mohren und wußte, daß er nicht zurückkehren würde, ohne dem Verräther seinen Raub abgenommen zu haben. Freilich genügte dies Vertrauen so wenig, um die Liebe der Gattin, wie um die Angst der Mutter zu beruhigen.

Gegen Mittag erreichte die Gefangene mit ihrer Escorte den Fluß und setzte alsbald auf flachen Booten über den Strom. Den Befehlen Don Estevans gemäß wurde sie in sein Zelt gebracht und ein Posten vor den Eingang gestellt. Da sich das Zelt mitten im Lager befand, schien eine Flucht unmöglich; dennoch hörte die junge Frau keinen Augenblick auf, daran zu denken, und sie sah sich kaum allein, nachdem man ihr die schmählichen Bande abgenommen, als sie sorgfältig ihre Umgebung prüfte und jeden Gegenstand im Zelt betrachtete. Es befanden sich verschiedene Waffen darin, und sie nahm ein starkes spanisches Messer und verbarg es unter ihre Kleider, während der Soldat, der vor der Oeffnung des Zeltes auf- und niederschritt, sich gerade abgewandt hatte.

Ihre sehnsüchtigen Blicke fielen auf den Strom und seine breite gelbe Fläche. Hinter jenem entfernten waldigen Ufer kämpfte in diesem Augenblick vielleicht der tapfere Gatte seinen letzten Kampf gegen die Uebermacht. Ein wilder Schmerz überkam sie, wenn sie bedachte, daß sie selbst durch ihr Vertrauen auf den verrätherischen

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Pardo dazu geholfen, so viele tapfere Männer in das Verderben zu locken.

Von dem Zelt aus, in dem man sie jetzt bei der steigenden Hitze des Tages ungestört der Siesta überließ, nachdem man ihr einige Nahrungsmittel gereicht, konnte sie den Fluß und das jenseitige Ufer übersehen und erblickte daher nach einigen Stunden die Ankunft Don Estevans und seines Trupps, die sich zum Uebersetzen anschickten.

Das Herz schwoll ihr bis zum Ersticken, als sie bedachte, daß Alles vorüber sein müsse, da der Offizier mit seinen Milizen zurückkehrte. Das wilde Triumphgeschrei, mit welchem der Major am Ufer von den Semen begrüßt wurde, zerschnitt ihr das Herz. Sie begrub das Gesicht in die Hände und weinte bitterlich.

Plötzlich schlug ein Wort an ihr Ohr, das ihre Aufmerksamkeit erregte und auf's Neue die Hoffnung in ihrem Herzen lebendig machte. Es war ein Soldat des gelandeten Trupps der Milizen, der sich mit der Wache vor dem Zelt unterhielt.

»Carámba!« prahlte der Mann, »ich schwöre Dir, Remigio, bei San Antonio, meinem Schutzpatron, wir haben die erbärmlichen Hunde grimmig zusammengehauen. Kein Einziger wird seine Zunge heimbringen, um diesen niederen unitaristischen Schurken zu erzählen, wie die Männer von Buenos-Ayres ihre Machete zu führen verstehen!«

»Und warum, amigo mio, holt man jetzt die Kanonen?«

»Bah!« meinte der Andre, indem er sich eine neue Cigarette rollte und sie an der seines Kameraden anzündete - »es ist eine Laune Seiner Excellenza. Der Bote holte uns ein, als wir das Ufer erreichten. Der General will sich das Vergnügen machen, die alte Ruine zusammenzuschießen, die in der Nähe der Stelle unsers glorreichen Sieges liegt und wohin sich einige dieser hartköpfigen Schurken zurückgezogen haben müssen. Ich wette mit Dir fünfzig Realen, daß sie um Gnade bitten, wenn sie unsre gewaltige Artillerie sehen.«

»Carájo! Ich glaub' es wohl, aber es wird ihnen wenig helfen auf dem Weg zur Hölle, denn es sollen verteufelt viele Ketzer unter ihnen sein, die nicht einmal die Gnade des Fegefeuers verdienen. Statt einer Kugel oder eines guten Messerstichs

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wird der General den Ast eines Korkbaumes und einen guten Strick für sie haben. Hast Du keine Beute gemacht an den vielen Ungläubigen, die Du erschlagen, Señor Don Truxillos?«

»Nicht viel. Diese Schurken von Unitaristen und Ausländern berauben uns um unser rechtmäßiges Eigenthum, indem sie Nichts in ihren Taschen führen, wenn man ihnen die Ehre anthut, ihnen den Kopf abzuschneiden. - Diese zwei Ringe und zwanzig Pesaros sind Alles, was ich den Gefangenen in der Eil' abnehmen konnte.«

»Ist es Ihnen gefällig, Señor Don Alvaro Truxillos de Esta La Mancia,« fragte die Schildwache, zu der noblen Grandezza altspanischer Höflichkeit übergehend, »mit mir um die Ringe und das Geld gegen diese goldene Toquilla85 zu spielen?«

»Mit Vergnügen, Señor Don Remigio Vasquez. Sie wissen, daß ich nie einem Freunde einen solchen Dienst abschlage!«

Der Posten lehnte sein Gewehr an das Zelt, zog ein sehr schmutziges Spiel Karten aus der Tasche, und die beiden etwas stark zerlumpten Caballeros setzten sich auf ihre Ponchos und begannen sofort ihr Spiel, indem alles Andere um sie her nicht mehr für sie vorhanden war.

Das Herz schlug der jungen Frau hoch bei der Nachricht, die sie aus dem Gespräch entnahm und die ihr zugleich erklärte, warum der Major der Milizen noch nicht bei ihr erschienen war. Jetzt wußte sie, daß es ihrem Gatten gelungen sein mußte, sich bis zur Mission durchzuschlagen und hier dem Feinde erfolgreichen Widerstand zu leisten. Sie zweifelte keinen Augenblick, daß es den reichen Hilfsmitteln seines muthigen Geistes auch ferner gelingen werde, sich und die Seinen zu retten, und ihr Entschluß, zu entfliehen und wieder zu ihm zu gelangen, befestigte sich immer mehr.

Zugleich bemerkte sie, wie am Ufer oberhalb des Lagers Anstalten getroffen wurden, die von dem General verlangten Geschütze einzuschiffen. Die drei oder vier kleinen Fahrzeuge, die auf dem Flusse kreuzten, ruderten nach jener Stelle, und Aniella's

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heiße Gebete um irgend einen Unfall oder eine Verzögerung begleiteten die Boote, welche die Kanonen trugen.

Die verschiedensten Pläne hatte sie bereits für einen Fluchtversuch entworfen, aber alle erwiesen sich bei näherer Prüfung als unausführbar; dagegen erschien ihr für alle Fälle als das Nothwendigste und Nächste, ihre Wächter und vor Allem Don Estevan über ihre wahren Gesinnungen zu täuschen. Alles Weitere mußte dann dem Zufall überlassen bleiben.

So empfing sie denn den Major, als dieser endlich erschien, zu seiner großen Verwunderung mit ruhiger, ja heiterer Miene.

»Señor,« erwiederte sie auf seine höfliche Frage nach ihrem Befinden und ob seine Leute auch für sie gesorgt - »das Kriegsgeschick hat mich in Ihre Hände gegeben, und obschon Sie mich anfangs nicht gerade als Caballero behandelt haben, beginne ich doch einzusehen, daß ich vielleicht den Heiligen Dank sagen kann für die Wendung, die mein Geschick genommen, und wenn ich wüßte, was aus meinem armen Kinde geworden, das Manuels mir entrissen, würde ich ganz ruhig sein.«

»Dann beruhigen Sie sich, schöne Señora,« sagte der Major galant. »Der Pardo ist mein Alferez und wird bald zurückkehren, wenn er nicht schon zu Don Urquiza's Schaar gestoßen ist. Aber por el amor de Dios! Sie sehen mich verwundert, Doña, über Ihre Rede. Man sagte mir, daß Sie diesen schurkischen Fremdling aus Liebe geheirathet hätten und ihm wie sein Schatten folgten?«

»Señor,« erwiederte die junge Frau mit verstellter Trauer, »es war bitterer Zwang, der mich an seiner Seite hielt, ich war nicht viel besser, als eine Gefangene. Tausend Mal habe ich den thörichten Schritt bereut, der mich dem Schutz Seiner Excellenz des Diktators entfliehen ließ und mich fast all' meines Vermögens diesseits und jenseits des La Plata beraubt hat.«

Der Milizen-Offizier rückte ihr eifrig näher. Er war ein Mann der Berechnung, hatte schon früher sein Auge auf die reiche Erbin gerichtet gehabt und war nur der Furcht vor dem Einfluß des Obersten Adeodato und der blutigen Rotte der Mazorceros gewichen. »Ich küsse Ihrer Schönheit tausend Mal die Hände für diese Nachricht,« sagte er galant. »Ich glaubte

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eine widerspenstige Gefangene zu finden, und begegne dem besten Glück für meine Hoffnungen! Ich habe ein Anrecht auf Sie, reizende Doña, denn ich gewann Sie dem Coronel Adeodato, der beiläufig ein Caballero von ziemlich schlechten Sitten war, im ehrlichen Monte ab. Es sind noch Zeugen genug vorhanden. Was Ihre Güter betrifft, so zweifle ich nicht, daß Seine Excellenz der Diktator sich ein Vergnügen daraus machen würde, meine Verdienste damit zu belohnen, wenn die rechtmäßige Erbin zu ihrer Pflicht zurückkehrt und ihren gehorsamsten Diener zum Glücklichsten der Sterblichen machen wollte.«

»Aber Señor - bedenken Sie, ich bin verheirathet!«

»Carámba! Sie werden es in einigen Stunden nicht mehr sein. General Urquiza hat geschworen, diese italienischen Landstreicher zu vernichten. Es ist so gut wie geschehen, und ich gratulire Ihnen zur Wittwenschaft!«

Die Hand Aniella's zuckte nach dem verborgenen Dolch, aber sie bezwang sich. »Selbst wenn ich so glücklich wäre, Wittwe zu werden, Señor Don Estevan, dürfte ich nicht daran denken, Sie zu erhören. Ihr Alferez Manuelo erhebt ältere Ansprüche an mich.«

»Der Schurke mit dem unreinen Blut? ich will ihn in den Uruguay werfen, wenn er sich je wieder blicken läßt. Bekümmern Sie sich nicht um ein so niedrig gebornes Geschöpf und nehmen Sie meine Huldigungen an!«

Der galante Major befahl, Erfrischungen vor das Zelt zu bringen, und setzte seine Bewerbung mit dem Uebermuth und der Sicherheit eines Siegers fort, der wußte, daß ihm Nichts verweigert werden dürfe. Doña Aniella mußte sich mit Gewalt bezwingen, um oft ihrem Zorn und ihrem Schmerz nicht freien Lauf zu lassen; ihre Angst wuchs mit jeder Minute und die Hoffnung auf eine Gelegenheit zur Flucht schwand immer mehr bei dem Anblick um sie her.

Die Milizen und zurückgebliebenen Gauchos hatten sich ringsum gelagert, von ihren zurückgekommenen Gefährten den nähern Bericht der Schlacht zu hören; die Offiziere waren zu gleichem Zweck herbeigekommen, da sie überdies gewohnt waren, daß der Major alle Abend, wenn der Dienst es erlaubte, Bank

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hielt. Man hatte große Feuer angezündet, um die lästigen Mosquitos zu verscheuchen, und in zahlreichen Gruppen lagen, saßen und standen Offiziere und Soldaten umher, rauchend, plaudernd und spielend, während sie dazu den scharfen Mescal oder den duftigen Paraguaythee tranken.

In einiger Entfernung sah man die dunklen Gestalten der Schildwachen in ihre Ponchos gehüllt mit den glühenden Cigarren, die gleich Leuchtkäfern schimmerten. Vergebens hatte die kühne Gattin des tapfern Commodore gehofft, daß der Sieg der Föderalisten ihnen zu einem Gelage Veranlassung geben würde, das ihre Wachsamkeit einschläferte. Señor Estevan war kein Freund berauschender Getränke, wie ihr alter Verlobter Adeodato gewesen war, und hielt in diesem Punkt auch bei seinen Leuten ziemlich strenge Ordnung. Er selbst begnügte sich mit dem starken Thee, und die einzige Leidenschaft, die er zu haben schien, war das Spiel, denn seine Augen folgten mit lebhaftem Interesse dem Monte, das beim Schein eines Feuers in seiner Nähe von zwei jüngeren Offizieren um bedeutende Summen gespielt wurde.

»Carájo!!« sagte der eine derselben, indem er die Karten aus den Boden warf, »Sie haben zu viel Glück heut, Señor Don Baraja! Was meinen Sie wohl, Major, das ich in fünf Abzügen verspielt habe? Hundert baare Dublonen und mein Pferd El-Noro.«

»Ich kenne es, Señor - es ist unter Brüdern die gleiche Summe werth, und ich würde sie Ihnen längst geboten haben, wenn ich nicht den >Sausenden Win »Carámba! Sie wollen doch nicht sagen, Major, daß Ihr Pferd das meine übertrifft?«

»Mit Ihrer Erlaubniß, Señor Capitano, gewiß will ich das!«

»Den Teufel auch! Wollen Sie wetten, daß ich jene Palmen an dem Hügel dort auf dem äußersten Vorposten mit >El Noro< eher erreiche, als Sie?«

»Mit Vergnügen, Señor Capitano, vorausgesetzt, daß Ihnen Don Baraja das Pferd leiht, das, wie Sie sich erinnern werden, nicht mehr das Ihre ist.«

Der Alferez bezeigte mit Vergnügen seine Einwilligung.

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Wann hätte ein Creole je ein wagendes Spiel oder ein Bewohner der Pampas einen Ritt zu Ehren seines Pferdes ausgeschlagen!

»Um was gilt die Wette, Señor Don Estevan? Sie haben eine prächtige Anguera.86 Wollen Sie dieselbe gegen meine Pistolen mit dem Silberbeschlag setzen?«

»Es sei. Lassen Sie die Pferde bringen.«

Diese befanden sich in der Nähe und wurden bald herbeigebracht. Es waren schöne Thiere mit weiten Nüstern, großen rothen Augen und schmalen Flanken, das eine von andalusischer Zucht, das andere von der wilden indianischen Race.

Man bedarf in den Pampas nicht so vieler Vorbereitungen zu einem Wettrennen, als in Europa. Die Sättel waren alsbald aufgelegt und die Reiter in den Bügeln. Die Mannschaft sammelte sich umher und bildete ein langes Spalier - einer der Offiziere gab das Zeichen und dahin flogen die beiden Renner unter dem lauten Hurrah der Reiter und der Zuschauer.

Der >Sausende Win Im Galopp, der gewöhnlichen Gangart der amerikanischen Pferde, kamen sie zurück, der Major ziemlich ärgerlicher Laune, weniger über den Verlust der Anguera, als über die Niederlage seines bisher für unübertrefflich gehaltenen Pferdes.

In diesem Augenblick fielen Aniella's Blicke, indem sie dachte, wie glücklich sie wäre, auf dem Rücken eines dieser Renner davon eilen zu können, auf ihr eigenes silbergraues Pferd, das unfern des Zeltes in den Reihen der Miliz-Rosse stand.

»Der Teufel hat sein Spie! getrieben, schöne Señora,« sagte der Major ärgerlich. »Ich glaubte heute den >Sausenden Win [337]

Stich gelassen. Quien sabe? Was weiß ich! es ist das erste Mal, daß er es thut, und ich will ihn in seine Querenzia zurückschicken, sobald wir wieder in den Grenzen von Buenos-Ayres sind. Bringe die Anguera, Jaime, sie ist das Eigenthum des Señor Don Ruperto Alava.«

Die Gattin des Commodore war an das Pferd herangetreten und liebkoste es. »Es ist ein wackeres Thier, Señor,« sagte sie, »und hat geleistet, was möglich ist. Aber ich kenne nur ein Roß, das im Stande ist, jenem Andalusier die Spitze zu bieten!«

»Carámba! und das wäre?«

»Es ist in Ihrem Besitz, Señor Don Estevanl«

»In meinem Besitz? Was meinen Sie, schöne Señora?«

»Jenen Grauschimmel dort!«

»Teufel - das wäre! Er sieht aus, als könne er höchstens mit einem Mulo um die Wette rennen.«

»Und doch, Señor Major, versichere ich Sie, daß er jenes spanische Vollblut aus dem Felde schlagen würde.«

»Kennen Sie denn das Pferd?«

»Es war das meine und gehört jetzt Ihnen.«

»O,« sagte der Major galant, »ich küsse Ihre Hände, mögen Sie tausend Jahre leben, Señora. Sie wissen sehr wohl, daß ich Ihr Sklave bin, und Alles, was ich besitze, Ihnen gehört. - Aber führt das Pferd herbei, Bursche - wir wollen einen Versuch damit machen. Wer wettet darauf, Caballeros?«

Zehn Stimmen erboten sich, dagegen zu wetten. Das Aussehn der Stute, wenn auch stark und muskulös, versprach doch keinen besondern Renner.

Man hatte das Pferd gesattelt und der Major schwang sich in die Bügel. Aber obschon er ihm Zügel und Sporen gab, rührte sich das Roß nicht von der Stelle.

Aniella lachte heiter. Sie wußte, daß jede Miene, jedes Wort zu viel oder zu wenig noch im letzten Augenblick ihr keckes Spiel verrathen konnte und bot alle Kaltblütigkeit auf.

»Sie werden sich vergebliche Mühe geben, Señor,« sagte sie. »Der Graue wird nicht von der Stelle gehen und ist Nichts als ein gewöhnliches Pferd, wenn er nicht seine Herrin auf dem

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Rücken fühlt. Aber lassen Sie mich ihn einen Augenblick besteigen, und ich will Ihnen zeigen, daß er jenes spanische Pferd, das Sie El-Noro nennen, weit hinter sich läßt.«

Der Major schaute sie mißtrauisch von der Seite an. »Das wäre eine treffliche Gelegenheit zur Flucht, Señora mia!«

Die Dame lachte laut. »Wohin denn, Señor? Ihre Posten stehen überall. Fürchten diese Caballeros eine unbewaffnete Frau? Indeß wie Sie wollen, ich möchte nur dem Señor dort nicht die Ehre des Abends lassen und hoffte, ein Caballero, der Aniella Crousa zu gewinnen wünscht, würde einige Dublonen auf ihr Wort verwetten!«

Sie wandte ihm unwillig den Rücken, Don Estevan aber sprang schnell aus dem Sattel. »Bei San Antonio, Señora, Sie mißverstehen mich gänzlich. Die Einwendungen, die ich machte, galten nur der Bewahrung meines Glücks. Heda - nehmt zehn Mann Eure Pferde und galoppirt zu jener Gruppe von Biberbäumen dort, wo der Posten nach Süden steht. Das Terrain am Fluß entlang wird sich besser zu dem Ritt eignen, als nach der andern Seite. Ich wette fünfzig Gold-Dublonen auf unsre schöne Gefangene, Caballeros!«

Die Amazone war auch in der ganzen Armee ihrer bisherigen Gegner als eine kühne und gewandte Reiterin bekannt, und das Vertrauen, das sie auf ihr Pferd zeigte, erwarb diesem daher noch mehr Aufmerksamkeit, als früher. Die Gauchonatur ihrer Sieger war jetzt aufgeregt, Jeder hatte ein Wort für die beiden Pferde, und hundert verschiedene Geschichten und Bemerkungen über die wilden Ritte und Renner der Pampas kreuzten sich während der Vorbereitungen zu dem Wettlauf.

Diese wurden von dem Major vor den Augen der Dame mit etwas größerer Sorgfalt als vorher getroffen. Sie that jedoch, als achte sie nicht darauf, daß man das etwa zweitausend Schritt entfernte Ziel, das in der sternenklaren Nacht bei der Durchsichtigkeit der Atmosphäre deutlich zu sehen war, stromabwärts bestimmt hatte, damit sie nicht etwa den Versuch mache, über die Posten hinaus nach Concordia zu entfliehen, so wie, daß auf einen Wink des Majors mehrere der berittenen Caballeros sich auf der Landseite der zum Wettlauf gewählten Richtung

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aufstellten, die auf der andern Seite von dem ziemlich hohen und steilen Ufer des Flusses begrenzt wurde, der nur an dem Lagerplatz eine bequeme Landungsstelle bot.

Ihr Herz klopfte, als wolle es die Brust zersprengen, und dennoch galt es, ruhig und kalt zu bleiben. Um die fieberhafte Röthe ihrer Wangen zu verbergen, beschäftigte sie sich eifrig mit ihrem Pferde.

»Nun denn, Señora,« sagte der Major, nachdem Alles vorbereitet war, »geben Sie uns eine Probe Ihrer Geschicklichkeit als Reiterin und der gerühmten Eigenschaften Ihres Pferdes. Lassen Sie mich die fünfzig Dublonen gewinnen, ich verliere dafür mein Herz und meine Freiheit!«

»Ich werde das Möglichste thun!«

Er bot ihr galant das Knie zum Aufsteigen; sie setzte den Fuß darauf und schwang sich nach der Art der spanischen und südamerikanischen Frauen, die wie die Männer reiten, wie ein Vogel in den Sattel.

»Sind Sie bereit, schöne Señora?«

»Ich warte, Señor Don Estevan!«

Der Blick, mit dem sie diese Worte begleitete, der Ausdruck ihres schönen Gesichts waren so eigenthümlich, daß der Milizen-Major stutzte und schon ihren Zügel ergreifen und die Wette zurücknehmen wollte; aber schon hatte seine Hand unwillkürlich das Zeichen gegeben und dahin stürmten beide Pferde unter dem anfeuernden Geschrei der Menge, im Galopp, der bald zum rasenden Carriere wurde.

Der Graue hielt sich wacker, aber schon nach den ersten zweihundert Schritten hatte der spanische Renner einen Vorsprung, der sich mit jedem Augenblick vergrößerte.

Plötzlich sah man das Pferd der Dame von der geraden Richtung abbrechen und dem kaum fünfzig Schritt entfernten Ufer des Flusses zujagen.

Im ersten Moment glaubte man, daß das Roß mit seiner Reiterin durchgehe und Schrecken lag auf Aller Gesichtern - im nächsten aber machte dieser dem Ausbruch drohenden Zornes und leidenschaftlichen Aergers Platz; denn man sah deutlich, wie am Rande des Ufers die Señora ihr Pferd hob und mit Sporen

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und Zuruf es stachelnd in gewaltigem Sprung hinunter in die Tiefe setzte.

Man hörte das Aufspritzen des Wassers, dann den Triumphruf der kühnen Frau: »Viva la unidad! « als sie wieder emportauchte.

»Mordito! - Die Hexe hat uns betrogen! Sie entflieht - ihr nach, Kameraden! Fangt sie! fangt sie!«

Der Major stürzte wüthend nach dem Ufer - von allen Seiten eilten die Zuschauer des seltsamen Wettrennens, die ausgestellten Wachen mit leidenschaftlichem Durcheinanderschreien herbei.

»Wo sind die Schiffe? - Ruft sie herbei! - Treibt Eure Pferde in's Wasser - verfolgt sie! verfolgt sie!«

Aber die Boote und Fahrzeuge waren weit oberhalb, zumeist am jenseitigen Ufer, wohin sie die Kanonen geschafft hatten - und selbst die kühnen Hacienderos und Vaqueros wagten sich nur vorsichtig mit ihren Pferden an das Ufer hinab und kaum zehn - zwanzig Schritt weit in den Fluß, dessen Tiefe und Strömung hier sehr bedeutend war.

»Bei San Jago - der weibliche Teufel wird entkommen! Schießt auf sie - möge ihr verrätherisches Blut den Uruguay färben!«

Viele Musketen entluden sich und sandten ihre bleiernen Boten über die dunkele Fläche des Wassers hinter der Flüchtigen d'rein. Aber keiner traf die kühne Frau, die im Strom sich mit jener Kaltblütigkeit des wahren Muthes, welche selbst in der größten Gefahr jeden Vortheil, jeden Umstand berechnet, sogleich von ihrem treuen Pferde geworfen und langsam hinter ihm d'rein schwimmend sich von ihm mit fortziehen ließ, indem sie sich blos an seinem Schweif festhielt.

Das treffliche Roß, von der Last der Reiterin befreit, arbeitete sich ruhig weiter, indem es, die Nüstern ihr entgegen, die Strömung zu durchschneiden suchte und weit von ihr mit seiner Herrin hinabgeführt wurde. Aber die ungeheure Breite war dennoch zu viel für die Ausdauer des edlen Thieres, wie für die Kräfte der unglücklichen Frau.

Das Wasser ging ihr häufig über den Kopf und drohte sie zu ersticken, da sie nur mit einer Hand sich oben zu halten vermochte.

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Die Muskeln des linken Armes, mit dem sie sich festhielt, erschlafften und begannen nachzulassen, während das gurgelnde Schnauben des edlen Thieres ihr zeigte, daß auch dessen Kräfte zu Ende gingen.

Mit einer letzten Anstrengung erhob sie sich aus dem Wasser und richtete ihre Blicke nach dem rettenden Ufer - ach, die dunklen Schatten desselben waren noch weit, weit entfernt, und sie fühlte, daß ihre Kraft nicht mehr ausreichend war, es zu erreichen.

»Ave maria purissima - Sin pecade concebida - « Zwei Mal schon hatte die erstarrende Hand den Schweif des Pferdes verloren, das mit seinen letzten Anstrengungen weiter schwamm - sie hielt sich jetzt an die lange Mähne des Thieres angeklammert und zog im Todeskrampf damit seinen Kopf unter das Wasser - der Graue machte eine heftige Bewegung und Aniella fühlte die nassen Haare aus ihrer Hand entgleiten -

- »José, mein Gatte - mein Kind - «

Die arme Frau verlor das Bewußtsein - wie im Traum nur war es ihr, als erfasse sie eine fremde Kraft und trage sie über die Wellen - ob in das Leben - ob in das Jenseits - die schwindenden Sinne wußten es nicht. -


Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich auf dem Lande, auf einer flach auslaufenden Stelle des Ufers von Montevideo, und ihr treues Pferd, mit seinem Gebiß ihr Gesicht und ihre Hände beschnubbernd, neben sich. Erst nach einigen Augenblicken gewann sie Besinnung genug, sich an das Vergangene zu erinnern. Die Spuren der Zähne an ihren Kleidern zeigten ihr, daß das Thier allein ihr Retter gewesen. Es hatte in dem Augenblick seiner vollen Erschöpfung Grund auf einer Sandbank gefunden, die von dem Ufer weit hinein reichte in den Fluß, und in dem Moment, wo die Wellen den Körper seiner Herrin an ihm vorüber rissen, hatte es diesen erfaßt und bis zum Ufer mit den Zähnen über Wasser erhalten.

Sie schüttelte das Wasser aus ihren Haaren und warf einen Blick zurück auf das nasse Grab, dem sie so eben entronnen. Drüben am jenseitigen Ufer brannten die Wachtfeuer der Föderalisten

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und über die Fläche des Stromes sah sie ein großes Boot mit schwellendem Segel daher kommen. »Noch ein Mal, Mola, meine treue Stute,« sagte sie, schmeichelnd den Hals des Pferdes klopfend - »die Verfolger kommen dort, sie dürfen uns nicht mehr hier finden!« Das treue Thier wieherte ihr zu, gleich als verstände es die Worte seiner Gebieterin, die sich jetzt rasch in den Sattel schwang und mit ihm im Schutz der hohen Bäume und dichten Büsche davon galoppirte. -


Der Morgen dämmerte über die hohen Wipfel des Urwalds, als Aniella Garibaldi, den Zügel ihres Pferdes um den Arm geschlungen, vorsichtig auf der Nordseite des >válle de páz< auf dem Gipfel einer der umgebenden Höhen aus dem Hochwald trat und durch die Büsche bis zu einer freien Stelle sich Bahn machte, von der aus sie eine volle Aussicht auf das einst so liebliche Thal gewann. Während des nächtlichen Rittes hatte ein mächtiger Feuerschein ihr den Weg gezeigt und mit banger Ahnung ihr Herz erfüllt.

An der Stelle der Indianerhütten, die sich an den Hügeln und Berghängen hinauf gezogen, lagen nur einzelne verkohlte Trümmermassen. Aus dem geborstenen massiven Gemäuer der Mission, dessen Festigkeit selbst dem entfesselten Element widerstanden, wälzten sich dunkle Rauchwolken hinauf in den Morgenhimmel. Alles war Trümmer und Ruinen - Tod und Vernichtung.

Um diese Ruinen her lagerte die Schaar der Föderalisten; Gauchos und Indianer, deren Einzelne die Trümmer durchforschten, während Andere sich bereit machten, die Gegend umher zu durchstreifen. Die Mehrzahl lag, von der Anstrengung des vorhergegangenen Tages erschöpft, noch tief im Schlaf, theils im freien Felde oder unter dem Schutz der Bäume, in ihre Ponchos gehüllt, theils um niedergebrannte Feuer.

Es konnte kein Zweifel sein - Garibaldi, der Tapfere, Kühne, Hochherzige - der Mann ihres Herzens und ihrer Wahl - der Vater ihres verlorenen Kindes - er lag todt und starr mit seinen Kriegern unter jenen Ruinen, die als sein riesiger Sarkophag in der Einöde des Waldes zum Himmel dampften.

Die junge Frau sank in die Knie - ein Thränenstrom

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bedeckte ihr Gesicht und erleichterte ihr Herz. Sie betete für den Todten, den sie nie wiedersehen, dessen Leiche sie nicht einmal suchen und begraben durfte.

Die Sonne stieg empor über den Hohen im Osten und der grünen Mauer des Urwalds - im Thal erwachte das Leben - nicht die Glocke der Mission rief die friedlichen Bewohner mehr zur gemeinsamen Andacht - die Trompete schmetterte ihre kriegerischen Klänge und der gellende Ruf der Wilden weckte das Echo der Höhen. Wie zum Hohn der Gefallenen wurden die beiden Kanonen gelöst, die am Abend vorher allein den tapfern Widerstand bezwingen und die letzte Zuflucht der italienischen Legion brechen gekonnt.

Aniella begriff, daß jeder Augenblick längern Verweilens sich einer nutzlosen Gefahr preisgeben hieß. Die Pflicht der Gattin endete an jenem steinernen Sarge, den rauchenden Trümmern der Mission, und die Erbschaft der Mutter begann.

Aniella warf noch einen Blick auf die Stätte des Ruhmes und des vermeintlichen Endes des geliebten Gatten, dann faßte sie den Zügel ihres Pferdes und führte es zurück in den Urwald.

Sie umging das Thal nach der Richtung, welche sie den Pardo und den Mohren hatte einschlagen sehen. Als sie in die Nähe der Stelle kam, wo die Quebrada mit dem Waldbach in das Thal mündete, kreuzte sie die noch frische Spur Bonplands und seiner Indianer. Nachdem sie dieselbe sorgfältig untersucht, schloß sie daraus, daß die Bewohner des Thals und der Mission sich durch die Flucht gerettet, und setzte ihren eigenen Weg, den Spuren des Pardos und des Mohren folgend, nach Nordost in die Tiefe des Waldes fort.

Kaum fünfhundert Schritt zur Rechten, und sie hätte die breite Fährte gefunden, welche der Rest der italienischen Legion auf seiner Flucht zurückgelassen, die deutliche Sprache der Einöde für das scharfe Auge der Rostreadora.

Ermüdet von den Anstrengungen des vorhergegangenen Tages und den überstandenen Gefahren der Nacht, konnte die junge Frau mit ihrem eben so erschöpften Pferde nur langsam ihren Weg durch die Oede des Waldes verfolgen, der immer großartiger und imposanter sich um sie her entfaltete.

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In der Nähe des Thals war die Vegetation und ihre gefiederte und thierische Bevölkerung reich und mannichfaltig. Die Arassaris wiegten sich auf dem Genipababaum, der zugleich mit seinen schönen weißen Blüthen und Früchten überdeckt war. Andere Bäume in seiner Nähe waren mit den Nestern des Iapus so dicht behängt, daß die Spitzen aller Zweige sich darunter neigten. Dickichte von der Banana do mato oder Heliconie mit hohen steifen Blättern, bedeckt mit Thau, versperrten ihr zuweilen gänzlich den Weg, und die Jacaranda mimosa, wucherte in riesiger Fülle in den Niederungen.

Nirgens eine Stelle ohne die üppigste Fülle der jungfräulichen Natur. An allen Stammen blühten, rankten, wucherten und hefteten sich Passifloren, Caladium- und Epidendron-Arten, Pfeffer und Begonien und die mannichfachen Farrenkräuter, Flechten und Moose. Das Dickicht, durch das sie sich oft mit dem schweren spanischen Messer einen Durchgang hauen mußte, bildeten die Geschlechter der Kokos, der Bignouien, Mimosen, Lorbeeren, Myrthen und Feigen mit hundert anderen noch unbekannten Baumarten, deren abgefallene Blüthen die Erde bedeckten. Andere mit Blumen völlig bedeckte Bäume und Gebüsche leuchteten schon von ferne in den wechselndsten Farben weiß, hochgelb, hochroth, rosenroth, violet, himmelblau, und an den Ataleiros oder sumpfigen Stellen drängten dicht geschlossen auf langen Schäften die großen schönen elliptischen Blätter der Heliconien sich empor, oft zehn bis zwölf Fuß hoch und mit sonderbar gebildeten hochrothen oder feuerfarbenen Blüthen prangend. Weiterhin wuchsen auf den riesigen säulenartigen Stämmen, hoch oben in der Theilung der Aeste, ungeheure Bromeliastauden mit großen Blumenkolben oder Trauben, hochzinnoberroth oder von anderen schönen Farben. Von ihnen fielen große Bündel von Wurzeln gleich Stricken herab, bis auf die Erde niederhängend. Tausendfältige Schlingpflanzen von den zartesten Formen bis zur Dicke eines Mannesschenkels, von hartem zähen Holze, Bauhinien, Banistenen und Paulinien verflochten die Stämme und stiegen bis zur höchsten Höhe der Baumkronen, wo sie blühten und Früchte trugen, ohne daß je ein menschliches Auge sie erblickt. Aus vielen dieser Wucherpftanzen war der Stamm herausgefault,

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um den sie sich geschlungen hatten, die kolossale gewundene Schlange erhob sich allein zur riesigen Höhe und der leiseste Luftzug trug den Wohlgeruch der überall wuchernden Vanille durch den Wald.

Diese wunderbare und reiche Pflanzenwelt war eben so mannigfaltig[mannichfaltig] belebt. Der Miripi-Affe in zahllosen Familien schnatterte auf den Aesten; die Jacutingas - eine Schweineart - suchten in Heerden von fünf bis zwanzig Stück ihr Futter unter den abgefallenen Früchten; das Gürtelthier wühlte mit wunderbarer Schnelligkeit seine plumpe Gestalt in den Erdhügel und die bunten Tinamu-Hühner flogen bei der Annäherung der Reiterin scheu vom Boden auf. Die verschiedenen Arten der Spechte, der Baumhacker und Fliegenfänger, der Ameisenfänger und der kleinen Papageien erfüllten den Blätterdom mit ihrem Geschrei, die Hockos liefen in Schaaren umher und die Stimme des Sabélé übertönte den kreischenden Lärmen, während die glänzende Schlange wie ein züngelnder Blitz durch die Gräser schnellte.

Je weiter aber die kühne Reisende kam, desto stiller und majestätischer wurde der Urwald - schauerlich wilde Thäler, wo eine kühle ewige Dämmerung herrscht, wechselten mit tiefen Schluchten und ansehnlichen Höhen ab. Hier verblühten an den jetzt meist vertrockneten Wald-Corregos87 unbekannte Prachtblumen, fern und unbewundert vom menschlichen Auge. Nur der einsame Tritt des jagenden Patacho, der des Aeta und der Unze stören die stille Ruhe dieser abgeschiedenen Wildnisse.

Nach einer kurzen Rast für sich und das Pferd, das reiche Nahrung an dem unter dem Namen Capin de Sabélé bekannten Grase mit den zierlich gefiederten Blättern fand, während ihre eigene aus Früchten und Wurzeln und dem klaren Trunk der Quelle bestand, setzte Aniella unerschrocken ihren Weg fort, in der Absicht und Hoffnung, am andern Tage die Spur des Kindesräubers und seines Verfolgers wieder zu kreuzen, deren Richtung sie hatte verlassen müssen, da sie gegen Mittag nach jener Seite hin die frischen Zeichen zweier großen Jaguars gefunden hatte, deren Begegnen sie bei dem Mangel an Feuerwaffen eben so sehr wie die streifenden Wilden von Urquiza's Corps fürchten mußte.

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So drang sie immer tiefer ein in die Oede des Waldes, und eine wie geschickte und kundige Jägerin sie auch in den Pampas und den niederen Regionen an der Küste des Meeres und des Amazonenstroms gewesen war, hier hörte ihre Erfahrung auf, und als die Nacht völlig hereinbrach, hatte sie jede feste Richtung verloren, da das dichte Blätterdach der Bäume kaum dem Mondstrahl einen Durchgang gestattete.

Sie beschloß daher, an der Stelle, wo sie war, zu übernachten, ohne zu wagen, in solcher Nähe der Mission ein Feuer anzuzünden, was sie nach Jägerart leicht vermocht hätte, wenn ihr auch die gewöhnlichen Hilfsmittel dazu fehlten, und wiewohl die Gefahr durch Raubthiere eine solche Vorsichtsmaßregel dringend nothwendig gemacht hätte.

Sie bereitete ihr Lager von Farrenkraut und Moos zwischen den seltsamen Wurzeln eines großen Barrigudo-Baumes. Fünf bis sechs Fuß hoch von der Erde entspringen aus seinem unten dünnen Stamm Leisten, die sich zu förmlichen Bohlen und Brettern an den Seiten platt zusammengedrückt gestalten und dann schräg in die Erde hinablaufen, wo sie die großen dicken Wurzeln dieser Bäume bilden, während über ihnen der Stamm in riesiger Dicke und Höhe sich erhebt. Dem Sinken der Sonne folgte schnell die Nacht. Eben noch war des Glockenvogels Ruf verhallt, der Papageien kreischendes Geschrei - und jetzt war Alles todtenstill! Dann begannen das schnurrende Murren des Nachtaffen, das Winseln und Pfeifen des Sagajou und plötzlich die entsetzlichen Laute des Brüllaffen, der, in ganzen Gesellschaften auf dem weiten Geäst eines Mahagonibaumes vertheilt, in Pausen die grause Stimme erhob. Aus einem entfernten Sumpf mischte sich der dumpfe Schrei der Riesenkröte mit dem gedehnten Geheul des gefährlichen Chibi-Guazu, der gescheckten Waldkatze, dem grellen Katzengeschrei des Margay, und dem grollenden Gebrüll des Jaguarette.

Aber selbst dies höllische Concert und der Gedanke an alle Gefahren der Wildniß vermochte nicht, die Augen der erschöpften Frau auch nur Minuten länger offen zu halten, und indem sie ihre Seele und ihren Leib der Obhut Dessen empfahl, der in der gewaltigen Einsamkeit des Urwalds herrscht, wie unter den

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Gewölben gothischer Dome, zu seinen Ehren erbaut, entschlief sie, dicht an den Leib ihres treuen Pferdes gepreßt und allein von der Decke geschützt, die ein glücklicher Zufall noch an dessen Sattel hatte befestigt sein lassen, der ihr jetzt zum Kissen diente.

Die Sonne stand schon hoch über dem Horizont und ihre Strahlen brachen durch das gewaltige Blätterdach, als Aniella durch eine warme Berührung ihrer unter der Decke hervorragenden Hand und einen quikenden Ton erweckt wurde. Die Augen aufschlagend, erkannte sie durch die Falten der Decke, daß ein junges Pecari sich in ihrer Nähe befand, und den Nutzen des Fanges rasch einsehend, stieß sie dem Thier das Messer, das sie während des Schlafes zu ihrem Schutz nicht aus der Hand gelassen, in den Hals und sprang empor.

Der Silbergraue weidete einige Schritte weit von ihr das saftige Sabélé-Gras und um sie her war Nichts als die Einsamkeit des Waldes.

Sie dankte Gott und ihrer Schutzheiligen für das glückliche Ueberstehen der Nacht und begann alsdann sofort ihre Vorbereitungen für die Fortsetzung ihres Weges.

Das Erste, was sie als nothwendig erkannte, war, sich eine bessere Waffe gegen die Thiere der Wiloniß herzustellen. Indem sie sich an den gefährlichen Speer ihres treuen schwarzen Haushofmeisters erinnerte, schnitt sie einen jungen Stamm von zähem festem Holz und etwa sechs bis sieben Fuß Länge ab, und befestigte an seiner Spitze das starke spanische Messer, das sie aus dem Zelt Don Estevans genommen, mit Riemen, die sie aus dem überflüssigen Lederzeug des Zaumes schnitt, und zähen Schlingpflanzen, so daß sie sich einen festen und starken Speer damit herstellte. Dann suchte sie zu ihrer eigenen Nahrung einige Waldfrüchte, weidete das junge Pecari aus, um es mitzunehmen, und sattelte den mit freudigem Wiehern herbeikommenden Grauen. Nachdem sie sich durch den Stand der Sonne einigermaßen orientirt, schwang sie sich auf und verfolgte muthig ihren Weg hinein in die Oede des Waldes.

Aber vergeblich war ihr Suchen nach der Spur des Mestizen und des Mohren. Sei es, daß diese durch einen Zufall verwischt oder von ihr übersehen wurde, sei es, daß sie von vorn herein

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eine falsche Richtung eingeschlagen, sie vermochte kein Zeichen mehr davon zu entdecken und der Tag verging in vergeblichen Nachforschungen, die sie nur immer tiefer in die Wildniß führten und immer mehr sie verirrten.

Am Abend zündete sie ein Feuer an einer verdeckten Stelle an und briet das mitgenommene Fleisch des Pecari, denn ihre Kräfte waren jetzt durch zweitägiges Fasten erschöpft.

Im Schutz des Feuers brachte sie die Nacht zu; - der dritte und vierte Tag vergingen wie der zweite, und unbewußt war sie auf ihren Irrwegen wieder in die Nähe der Mission gekommen.

Dies war um so gefährlicher, als die Witterung der zahlreichen unbegrabenen Leichen eine Menge von Raubthieren in die Nähe des Schlachtfeldes gelockt hatte. Bereits im Laufe des Tages war sie zwei Mal auf solche gestoßen, die jedoch bei ihrem Anblick die Flucht genommen.

Der Abend sank nieder, als sie sich unfern der Quelle des Corrego fand, an der der Pardo mit ihrem Kinde die erste Nacht zugebracht hatte.

Aniella hatte trocknes Holz gesammelt und ein Feuer im Schutz des Hügels angezündet. Der Rest des Fleisches von dem jungen Pecari war verzehrt, und das kummerschwere Haupt in die Hand gestützt, saß sie da und dachte des geliebten Todten und des verlorenen Kindes.

Plötzlich wurde sie durch die Unruhe des Pferdes erschreckt, das mit weit geöffneten Nüstern und gesträubten Mähnen sich zitternd neben sie stellte und wild nach verschiedenen Seiten schnob, als wittere es einen gefährlichen Feind.

Zugleich ließ sich von einer Seite aus dem dunklen Waldkreise, der den Feuerschein begrenzte, ein leises klagendes Miauen hören, und ein heiseres Gebrüll antwortete von der andern Seite her.

Das muthige Herz der jungen Frau erbebte in ihrer Brust. Sie hatte diese Stimme des Waldes in den letzten Tagen schon oft gehört und erzitterte vor ihrer Bedeutung.

Es war die amerikanische Tigerin, der Jaguar, die ihren Gefährten rief, und dieser hatte aus der Tiefe des Waldes geantwortet.

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Sie warf in ihrer Angst neue Brände auf das Feuer und weithin leuchtete der Schein. Wer die Augen des Adlers gehabt und hoch wie dieser über dem Wipfel des Urwalds geschwebt hätte, würde gesehen haben, daß das Feuer der jungen Frau nicht das einzige war, was um diese Zeit und in dieser Gegend leuchtete. An drei Stellen, weit genug von einander entfernt, daß eine Partei von der andern Nichts wissen konnte, aber nahe genug, um sich leicht zu erreichen, brannten drei verschiedene Feuer und verkündeten die Anwesenheit dreier Gruppen. -

Die lodernde Flamme, welche die Hand der jungen Frau nährte, schien jedoch diesmal ihre einschüchternde Wirkung nicht auf die gefährlichen Bewohner der Wildniß zu üben. Das Miauen und Brüllen der beiden Katzen scholl lauter und näher, und das Pferd sträubte sich, schlug aus und geberdete sich wie rasend vor Furcht, obschon es seine Herrin wiederholt zu beruhigen und ihm zu schmeicheln suchte.

Die arme Frau wußte, daß der Verlust ihres Pferdes sie selbst verderben mußte. Sie band es daher an den Stamm eines nahen Baumes fest und machte sich bereit, mit ihrem eigenen Leben das des Thieres zu vertheidigen, das sie aus den Wellen des Uruguay gerettet.

Sie legte sich einen Brand zurecht, um sich seiner im Augenblick der Gefahr zu bedienen, und faßte ihren Speer, die einzige Waffe, die sie besaß.

So muthig sie war und so manche Gefahr sie schon bestanden, der Tod in der schrecklichen Gestalt unter den Zähnen und Klauen wilder Bestien machte sie erbeben und verursachte ihr tiefes Grauen. Nur der Gedanke an ihr Kind gab ihr Energie und Kraft, der Gefahr die Stirn zu bieten.

Mehrere Male hatten die beiden Jaguars den Platz umkreist, ohne sich in den Schein des Feuers zu wagen, aber mit jedem Augenblick wurde ihr Geheul grimmiger, ihre Dreistigkeit größer. Sie konnte deutlich das grüne Feuer der Augen zwischen den hohen Stämmen des Waldes und den Büschen sehen, die wie unbewegliche Leuchtkäfer in der Entfernung von kaum fünfzig oder sechszig Schritten funkelten.

Die Bestien mußten durch irgend einen Zufall von dem

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Leichenmahl verjagt oder sonst vom grimmen Hunger getrieben sein, daß sie sich so kühn in die Nähe der Menschen wagten. Aniella fühlte, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen, und sie befahl ihre Seele und ihr Kind Gott und glaubte, daß sie bald dort Oben mit Dem vereinigt sein werde, der ihr vorangegangen.

Die Jaguars hatten sich wieder getrennt und belauerten den Platz von entgegengesetzten Seiten. Plötzlich stieß das Männchen ein wüthendes Gebrüll aus und sprang mit weitem Satz in den Lichtkreis.

Aniella hatte kaum Zeit, sich vor das Pferd auf ein Knie zu werfen und ihren Speer vorzustrecken, als der Sprung des Jaguars erfolgte.

In diesem schrecklichen Augenblick bewährte sich das sichere Auge und die feste Hand der Jägerin. Das scharfe Messer an der Spitze ihrer Lanze traf mitten auf die weißgelbe Brust des Raubthieres und durchbohrte sie. Aber obschon die Klinge bis an das Holz eindrang, war die Kraft des Sprunges doch so mächtig, daß der zähe Schaft der Lanze ihr aus der Hand gerissen und sie durch denselben zu Boden geworfen wurde.

Das Pferd befreite sich mit einem gewaltigen Ruck in wildem Schrecken von seinen Banden und galoppirte den Hügel hinab in die Finsterniß des Waldes. Zugleich schlug mit dem wüthenden Schnauben des verwundeten Jaguars, dessen Brust ein breiter Blutstrom entquoll und der vergeblich sich von dem Eisen loszumachen strebte, ein wüthendes Geheul nahe an ihre Ohren.

Sie erhob sich auf ihre Knie und blickte nach der andern Seite, von wo das zweite Geheul erscholl. Entsetzen! - Kaum zwanzig Fuß weit von ihr kauerte das Weibchen des Jaguars auf seinen Hintertatzen - seine Augen rollten wie Feuerräder und sein weit geöffneter Rachen dampfte heißen Athem.

Und sie war ohne jede Waffe - sie wußte, daß es selbst vergeblich gewesen wäre, die Hand nach dem Feuerbrand zu strecken; denn in diesem Stadium der Wuth konnte Nichts mehr die sonstige Scheu der Bestie erregen, selbst wenn sie rasch genug ihn hätte ergreifen können.

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Der Jaguar stieß einen kurzen Schrei aus und erhob sich zum Sprung - Aniella war verloren! -

In diesem Augenblick zwischen Leben und Tod hörte sie ein schrillendes Schwirren dicht über ihrem Haupte - den ihr aus den Schlachten bekannten Ton, mit dem das Blei die Luft zerreißt - und den Knall einer Büchse, mit dem sich das Geheul des zurückfallenden Raubthieres mischte.

Aber bevor sie selbst noch den Gedanken einer unvorhofften Rettung zu fassen vermochte, gellte ein Geheul - zehnfach wilder als das der erschossenen Bestie - in ihre Ohren, von dem Echo des Waldes zurückgeworfen; dunkle Gestalten sprangen vor ihren entsetzten Augen durch die Flammen, sie fühlte ihre Arme gefaßt und im Nu zusammengeschnürt, und eh' sie einen Laut von sich geben konnte, sich emporgehoben und unter gellendem Triumphgeschrei fortgetragen.

Als sie - halb wahnsinnig vor Angst und Abscheu - die Augen um sich warf, starrten ihre Blicke in die grimmigen, mit grellen Farben bemalten Gesichter indianischer Krieger, verzerrt von grausamem Jubel - sie befand sich in den Händen der wilden Puelches!


Wir haben bereits erwähnt, daß an drei verschiedenen Stellen unfern von einander zur selben Zeit Feuer brannten, die Lagerstätte einsamer Wanderer beschützend.

Etwa eine halbe Legua von dem Hügel, auf dem Aniella ihr Lager aufgeschlagen und von den Jaguars angegriffen worden war, flammte unter einem riesigen Mahagonibaum ein stattliches, von trocknem Holz genährtes Feuer, an dem zwei gabelförmige Hölzer aufgesteckt waren, in denen statt des Bratspießes ein eiserner Ladestock mit zwei fetten Hockohühnern und der Keule eines Pecari sich drehte, während dicht daneben in eisernem Topf das Wasser zum duftigen Paraguaythee brodelte.

Eine zierliche, mit so großer Sorgfalt gearbeitete Menage von gediegenem Silber, daß alle Gegenstände zusammengepackt einen, zum Transport bequemen, überaus kleinen Raum einnahmen,

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stand ausgebreitet auf dem schwellenden Moosteppich, und der Anblick des Luxus civilisirten Lebens mitten in der Oede des wilden Urwalds machte einen eigenthümlichen Eindruck.

Am Boden weiterhin lagen vier leichte Zeltstangen mit der vollständigen Decke eines Zeltes aus starkem, mit Gummi getränktem Zeug, eine Büchse und eine Doppelflinte mit schön geschnitztem Schaft und damascirten Läufen, aus den berühmten Werkstätten von Lejeune in Paris, und ein Paar trefflich gearbeiteter Revolver, zu jener Zeit eine erst kürzlich von Oberst Colt erfundene und in Amerika in Gebrauch gekommene Waffe. Desgleichen ein großer Packsattel mit einer Menge von Taschen, Etuis und Futteralen, wie sie der Comfort eines reichen und bequemen Reisenden auf den Heerstraßen des civilisirten Europa's oder die sybaritische Verwöhnung eines englischen Nabobs in Calcutta oder Madras erfordert.

Drei starke stattliche Pferde, für raschen Lauf und Strapazen gleich geeignet, weideten unfern des Lagers im Bereich des Feuerscheins mit gekoppelten Beinen, so daß sie nicht zu entweichen vermochten.

Einen gleichen Contrast, wie das üppige Geräth mit den Strapazen der Wildniß, bildete die Persönlichkeit der beiden Männer, welche hier ihr Lager aufgeschlagen.

An dem Feuer, den Bratspieß sorgfältig drehend und aus einer indianischen Thonpfeife rauchend, saß ein Mann von wahrhaft riesiger Statur, gegen die selbst die Gestalt La-Muerte's wie die eines Kindes verschwand. Er war volle sechs Fuß sechs bis acht Zoll hoch, und die Breite seiner Schultern und seiner Brust, der Umfang seiner Arme und Schenkel entsprach dieser kolossalen Größe. Wie alle Männer von großer Stärke und Muskelkraft, hatte er schmale Hüften und lange sehnige Arme. Der Riese mochte etwa fünfundvierzig bis fünfzig Jahre zählen, und das schlichte blonde Haar, das seinen für die kolossalen Verhaltnisse seiner Figur etwas kleinen Kopf allein bedeckte, während seine Mütze von Biberfell jetzt neben ihm lag, wie die großen grauen Augen, deren Blick ruhig und gleichgiltig war, bewiesen seine nordische Herkunft.

Der Mann trug ein Jagdhemd von grünem schmutzigen

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Calico, unter dem sich bei jeder Oeffnung die nackte Brust zeigte, Beinkleider und Gamaschen von Hirschleder und ein Paar plumpe mit Nägeln beschlagene Schuhe, und an einem derselben einen langen, mexicanischen Sporn, mit dem er das arme Pferd, das ihn tragen mußte, oft genug zu stacheln genöthigt war, wenn er nicht lieber vorzog, zu Fuß zu gehen. In seiner linken Gamasche steckte ein großes Bowiemesser mit schwerem hölzernen Griff, mit Nägeln beschlagen. Die Jagdtasche mit dem daran befestigten Pulverhorn und Kugelbeutel lag neben ihm, und eine lange und schwere, kanadische[canadische] Büchse von kleinem Kaliber lehnte im Bereich seiner Hand an den Wurzeln des mächtigen Baumes.

Das Gesicht dieses Mannes, ursprünglich von weißem und zartem Teint, war von der Sonne, dem Wind und dem Regen gebräunt und gefurcht. Es zeigte keinen hervorstechenden Zug, vielmehr nur eine gewisse Gutmüthigkeit und eine phlegmatische Gleichgültigkeit. Seine Stirn war breit, knochig und deutete mit dem viereckigen Kinn auf ruhigen Muth und zähe Ausdauer.

Er war ein Canadier von Geburt und einer jener seltsamen und unerschrockenen Helden der Einöden, der Rangers oder Waldgänger, welche in den Steppen der Felsgebirge von Texas und der Sonora die immer mehr verschwindenden Uebergange zwischen der europäischen Civilisation und der wilden Freiheit der Urstämme bilden.

Zwei oder drei Schritt von ihm hing eine Hängematte, von Kokosfasern geflochten, von einem weit ausstehenden Ast des knorrigen Mahagonibaumes herab, etwa drei oder vier Fuß über dem Boden. In derselben, bequem ausgestreckt und mit einer gewissen apathischen Abspannung dem Thun des Riesen zuschauend, lag ein andrer Mann, dessen Alter schwer zu bestimmen sein mochte, wenn man allein nach den schlaffen, verlebten Zügen- seines feinen und regelmäßig schönen Gesichts hätte schließen wollen. Dennoch war er höchstens achtundzwanzig bis dreißig Jahre, von zierlicher, fast mädchenhafter Gestalt, die jedoch eine ungeahnte Muskelkraft barg, und höchstens von Mittelgröße, so daß er sich, wenn die Beiden neben einander standen, wie ein Knabe neben dem Riesen aufnahm. Er hatte trotz seiner Jugend spärliches

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röthlich blondes Haar, das jetzt von einer goldgestickten, griechischen Mütze bedeckt war, und trug einen starken Backenbart nach englischer Form, unten stark und lang mit freiem Kinn. Seine Augen waren wässern, hellblau, gewöhnlich ohne allen Ausdruck und durch ein perennirendes Blinzeln noch mehr entstellt; sein Teint war fast krankhaft, zart und nur durch die dunkelen Schatten unter den Augen unterbrochen.

An diesem Mann fehlte Nichts, um ihn selbst in der Wildniß des Urwalds zum fashionablen Stutzer des Londoner Jachtclubs oder der exclusivsten Coterie der Almaks zu machen. Er trug einen kurzen, gesteppten Schlafrock von chinesischer Seide, durch eine Goldschnur um seine Taille zusammengehalten. Beinkleider und Gilet waren offenbar aus dem Atelier von Stolz, wenn auch in ihrem Schnitt jetzt vielleicht ein halbes Jahr hinter der neuesten Nummer des Londoner Modejournals zurück; der kleine Fuß in einen Stiefel von Glanzleder gepreßt und der von einer Rubinnadel zusammengehaltene Knoten des Halstuches so fashionable geschlungen, daß sich Lord Palmerston selbst für keine Abendgesellschaft dessen geschämt haben würde.

Der seltsame Stutzer dehnte sich in der rekelhaften englischen Manier, entfernte mit der mit Lila-Glacée's behandschuhten Hand die Havannah-Cigarre aus seinem Munde und gähnte laut und lange. Dann kniff er das Lorgnon in die linke Augenhöhle, wandte den Kopf nach dem Canadier und betrachtete seine Zubereitungen.

»Felsenherz,« sagte er lispelnd, und mit einem gewissen Schnarren der Stimme.

»Sir!«

»Sind Sie bald fertig mit Ihrer Zubereitung? Fleurette hat Appetit - das arme Thierchen ist so erschreckt worden!«

Der Riese murmelte etwas zwischen den Zähnen, was nicht deutlich zu verstehen war, aber keineswegs wie eine Schmeichelei für Fleurette klang.

»Das arme Thier,« fuhr der Stutzer fort, indem er ein Bologneserhündchen von jener Miniaturrace, die kaum eine Männerfaust hoch wird, das er in der Brust seines Schlafrocks wärmte, liebkoste - »denken Sie nur, Felsenherz, wenn es bei

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seinem lieblichen Umherspringen von diesen Bestien, den Jaguars, gefressen worden wäre, die vorhin bei uns vorüber rannten.«

»Wie zum Teufel mögen Sie sich um den Hund ängstigen, Sir,« sagte ungeduldig der Riese, »wo Sie selbst so nahe daran waren, gefressen zu werden.«

»Bah - das ging Sie an! Sie vergessen unsern Contract!«

»Ich vergesse Nichts, Sir, wofür ich mein Wort verpfändet habe,« erwiederte der Waldgänger, indem er den Bratspieß, von seinen Gabeln hob und sich ziemlich plump anschickte, das kräftige Mahl der Wildniß auf der silbernen Schüssel zu serviren. »Aber wissen möcht' ich doch, warum Sie für das nutzlose Vieh eine solche Sorgfalt hegen?«

Der Engländer - denn ein solcher vom bizarresten Schlag war offenbar sein Herr oder Gefährte - küßte den kleinen Hund und setzte sich, nicht ohne Stöhnen über die Mühseligkeit, aufrecht in seiner Hängematte, indem er die Beine herabhängen ließ.

»Aber by Jove, Felsenherz - ich begreife Sie nicht und Sie tragen Ihren Namen mit Recht. Denken Sie doch das arme liebe Thierchen zwischen den Zähnen dieser Jaguars! Der Gedanke daran macht mich schon übel.«

»Dann begreife ich nicht, Sir, wie es Ihnen Vergnügen machen kann, Menschen zu erschießen und sterben zu sehen!«

»O, die Aufregung, Felsenherz - die Aufregung. Ueberdies sind es ja nur Wilde. Sie wollen mir ja leider nicht gestatten, einen weißen Mann zu schießen, obschon das ganz gewiß weit interessanter wäre.«

»Ich glaube, daß dem rothen Mann die Kugel und der Tod so weh' thut als einem weißen.«

»O, sagen Sie das nicht, Felsenherz,« lispelte der Brite, indem er zärtlich mit dem Hündchen spielte. »Es muß ein großer Unterschied sein. Denken Sie sich, wenn ein Mann wie ich - nein, ich kann den Gedanken gar nicht denken! - wissen Sie, ein Mann wie Sie, obschon Sie von den kostbaren Genüssen des Lebens wenig genug wissen und nie bei Béfour gespeist haben, oder die Taglioni und Cerito tanzen sahen - also wenn Sie sterben müßten, so in voller Kraft und Gesundheit - denken Sie, Sie würden sich doch ganz anders sträuben, als so ein

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Wilder, der nichts hat als seinen - fi donc! räuchrigen, unangenehm riechenden Wigwam!«

»Ich denke, ich bin ein Christ, Herr,« sagte der Waldgänger einfach, »wenigstens hat mich's meine arme Mutter gelehrt, so viel es in ihren Kräften stand, und ich hoffe, ich werde meiner Farbe keine Schande machen, weder wenn mich Kugel oder Tomahawk im Gefecht treffen sollten, noch wenn Gott es will, an ihrem verdammten Marterpfahl. Ich schieße das Gewürm auch nieder, wo mir's in den Weg tritt, aber ich thu's doch nur, um es unschädlich zu machen und meine arme Mutter und die kleinen blondhaarigen Mädchen zu rächen, die sie scalpirten, als ich noch ein Knabe war.«

»Damned! ich möchte gern ein Mal das Sterben eines Scalpirten sehen, aber Sie wollten immer Ihr Messer nicht brauchen, als wir damals mit den Comanchen oft genug Gelegenheit gehabt hatten. So ein Kerl muß merkwürdige Zuckungen machen, wenn ihm die Kopfhaut herunter ist und dieser abscheuliche Tod kommt.«

Der Waldmann antwortete nicht, sondern reinigte seinen Ladestock, den er mit den Fingern aus dem gebratenen Fleisch gezogen, von den daran hängen gebliebenen Resten.

»O Felsenherz - die Gabel, die Gabel!« rief der Engländer, indem er einen Fuß langsam und vorsichtig auf den Boden setzte. »Sie haben noch viel zu sehr die schlechten Sitten der Wildniß! - Sagen Sie - wie viel Hirsche oder Büffel haben Sie wohl schon mit jener ungeschlachten Büchse dort erlegt?«

Der Waldgänger lachte. »Wie soll ich das wissen? - es mag ihrer eine hübsche Anzahl sein!«

»Und empfinden Sie besonderes Vergnügen, wenn es Ihnen gelingt, einen guten Schuß anzubringen und das Wild niederzustrecken?«

»Gewiß, Sir - goddam! ich müßte kein echter Jäger sein, wenn das nicht der Fall wäre!«

»Nun wohl, lieber Freund! Sehen Sie, wie Sie Vergnügen dabei empfinden, wenn ein Hirsch, von Ihrer Kugel getroffen, in die Höhe springt, oder die kräftige Gestalt eines Büffels wankt und fällt, so empfinde ich jetzt denselben Genuß,

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wenn ein Mensch die Arme in die Luft wirft und allerlei Capriolen schneidet, die ein unvernünftiges Thier gar nicht zu machen versteht, weil sein Gliederbau nicht so vollkommen ist, wie der unsere.«

»S[c]hocking!«88

»Darüber, mein Bester, sind wir verschiedener Ansicht,« meinte der Andere, indem er gleichmüthig seinen zweiten Fuß auf die Erde stellte und Anstalt machte, die Hängematte zu verlassen. »Ein Hirsch ist so gut ein Geschöpf, wie ein Mensch. Ueberdies ist der Tod ein Wissenschaftliches Studium, welches das höchste Interesse für uns haben muß. Jeder Doctor in Europa bringt in seiner Ignoranz zehn Mal mehr Menschen um's Leben, als ich für mein Vergnügen und zur Bereicherung meiner Betrachtungen über das abscheuliche Sterben thue, denn ich gestehe, ich fürchte mich selbst ganz außerordentlich davor und studire es daher um so eifriger. Sagen Sie selbst, hat irgend ein andrer Mann, vom Großmogul oder Selbstherrscher aller Reußen bis zum schmutzigen Häuptling einer Bande Sioux herunter, mehr Recht, Menschen für seine Zänkereien oder seine Habsucht todschießen zu lassen, als ich es habe, alljährlich einige Dutzend armer Teufel statt der Hirsche oder Rehböcke zu meinem Vergnügen niederzuschießen? Aber by Jove, Mann, Ihr Braten duftet ganz vortrefflich, obgleich ihm die Trüffelfüllung fehlt, und Sie wissen, daß Sie nach unserm Contract verpflichtet sind, täglich für drei Mahlzeiten für mich, Fleurette und die drei Pferde zu sorgen.«

Damit näherte er sich dem Feuer und betrachtete durch sein Lorgnon die Vorbereitungen zur Mahlzeit.

»Hier ist das Essen, Sir,« sagte kurz der Waldgänger. »Wenn Sie Hunger haben, langen Sie zu.« Er nahm eines der Hühner, zerriß es mit den Fingern, ohne sich die Mühe zu geben, das Messer anzuwenden, und begann seine Mahlzeit.

Der Engländer sah ihm erst mit prüdem Ekel, dann mit einem gewissen Neid zu. Endlich, da sich der Andere durchaus nicht weiter um ihn bekümmerte, bequemte er sich, sich auf eine

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der Decken niederzulassen, schnitt mit größter Zierlichkeit einen Flügel des zweiten Huhns ab, schälte das Fleisch von den Knochen und fütterte damit das Hündchen, worauf er selbst den zweiten Flügel zu verspeisen begann.

»Es ist erstaunlich, Felsenherz,« sagte er, »was Sie für einen Appetit haben. Aber ich wiederhole Ihnen, Sie braten das Fleisch etwas zu viel. Fleurette liebt den Saft so sehr - das arme Thier hat ja nicht einmal Milch in dieser schändlichen Wüstenei. Bitte, holen Sie mir den Senf und bringen Sie meinen Becher mit.«

Der Riese stand gehorsam auf und holte aus einer Tasche die Senfbüchse und das Futteral mit dem Becher. Derselbe war von Gold und auf seiner Fläche eines der ältesten und berühmtesten Wappen Englands gravirt.

»Dies Indianerbrod ist wahrhaft abscheulich,« fuhr sein Gefährte fort, »man zerbricht sich die Zähne daran. Strapazen - Aerger - Anstrengung - Nichts als Anstrengung in diesem verwünschten Lande!«

»Warum zum Teufel sind Sie dann hierher gekommen, Sir?«

»O - ich hörte so viel von dem Stoicismus Ihrer Wilden beim Sterben. Haben Sie Cooper gelesen und seinen Letzten Mohikaner?«

»Gott sei Dank, ich kenne Ihre verdammten Buchstaben nicht und weiß nicht, was Sie mit dem letzten Mohikan meinen. Der Stamm hat unter den Delawaren existirt, wie ich gehört, aber es ist schon lange her, daß er verschwunden ist.«

»Mit Uncas und Chingachgook, mein Lieber. Bitte, gießen Sie mir etwas von Ihrem Paraguaythee in meinen Becher, er regt so sanft die Nerven auf! Also dieser Herr Cooper schildert so schön den Tod Ihrer Wilden - aber ich finde, er hat sehr übertrieben. Wissen Sie, Fe[l]senherz, wie viele Löwen ich am Cap geschossen?«

»Nein, Sir!«

»Zehn, mein Lieber - und ich kann Sie versichern, es waren ganz andere Bursche, als Ihre Pumas. Es liegt Etwas in dem Auge des Löwen, wenn man so mit der Büchse dabei steht, die ihm eben den Rest gegeben, und der stolze Bursche so

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unter den Mähnen hervor das grüne Auge im letzten Zucken auf Einen richtet. Aber sagte ich Ihnen, wie viel Tiger ich in Singapore schoß?«

»Jaguars, Sir?«

»Nein - wirkliche Tiger - nicht Ihre Katzen. Fünfzehn Stück, mein Alter. Ich kann Sie versichern, es ist ein eigenthümliches Gefühl, wenn der gefleckte Leib sich streckt und das blutige Auge zum letzten Mal auf den Feind rollt. Selbst der sanfte, traurige Blick der wilden Elephanten erregt kein so angenehmes Prickeln, und ich erlegte ihrer doch über dreißig. Aber ich sage Ihnen, es ist Alles Nichts gegen einen geschossenen Menschen, wenn der Bursche halbwegs ein wenig Gefühl hat.«

Der Canadier sah ihn mit einem finstern Blick von der Seite an und beschäftigte seine Kinnbacken eifrig mit dem Pecari-Braten, während der Engländer sorgsam ein Stück Brust des Huhns tranchirte. »Man wird der Löwen und Tiger und der Elephanten so müde, Freundchen, es ist immer dasselbe - nichts Aufregendes! Das einzige, wahre Vergnügen, das ich hatte, war, als ich ein Mal so glücklich war, auf Borneo einen echten Orang zu tödten - die Capriolen, die der große Bursche schnitt, brachten mich zuerst auf den Gedanken, selbst Menschen zu schießen, obgleich ich ihrer genug schon vorher hatte sterben sehen, und zwar auf die verschiedenste Weise. Bitte - langen Sie mir den Jamaica herüber. Still, Fleurette - still, mein Hündchen - da, dieser beste Bissen ist für Dich, mein zärtliches Thierchen!«

Er goß sorgfaltig einen Theelöffel voll Rum - keinen Tropfen mehr, keinen weniger, und schüttete ihn in den Becher.

»Wissen Sie, Felsenherz, es ist aber Alles Nichts gegen einen selbst gethanen guten Schuß. Ich sah einem Kerl in China den Leib aufschneiden und die Eingeweide herausnehmen, während er noch lebte. Es war interessant, aber wenig aufregend. Für den Burschen selbst mochte es vielleicht mehr sein! - Die Wilden auf Neuseeland zerschmettern mit einem einzigen Schlage ihrer Keulen einen Kopf wie eine Nuß - was haben sie davon? - es ist unsinnig! In Constantinopel sah ich drei Arnauten, die ein Bischen gemordet, den Kopf abschneiden; ich hatte dem Bimbaschi fünfhundert Piaster gegeben, daß er mich neben sich stehen

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ließ - aber das Geld war wirklich fortgeworfen! Die Köpfe wurden so ruhig herunter geschnitten, wie sich ein Kohlkopf abschneiden läßt!«

Der Waldgänger griff hastig bei der abscheulichen Beschreibung nach der Rumflasche und trank mit gewaltigen Zügen.

»Selbst diese vielgerühmten Thugs in Bengalen und dem Karnatic, so geübt sie sind, haben nur wenig Genuß von ihrem Handwerk. Sie tödten nur, um zu vernichten, nicht um zu beobachten, ja, sie verhüllen sogar gewöhnlich das Gesicht ihres Opfers mit dem gefährlichen Tuch. Obschon das Erwürgen wenig fashionable ist, wollte ich mich doch unter sie aufnehmen lassen, und wandte mich an Faringhea, der damals in Cawnpoor saß. Aber der Schurke wollte Nichts davon wissen, obgleich ich ihm all' meinen Einfluß anbot, ihm vom General-Gouverneur seine Freiheit zu verschaffen, blos weil ich das Unglück hatte, als Christ geboren zu sein.«

Man konnte nicht sagen, was empörender war, diese fast naive Gleichgültigkeit, mit welcher der Menschenjäger von fremdem Mord sprach, oder die abscheuliche Idiosyncrasie, die er selbst dafür zeigte. Selbst in der rohen, an Kampf und Blutvergießen gewöhnten Natur des Waldgängers sprachen diese Gefühle sich deutlich in der Weise aus, wie er weiter fortrückte.

»Diese Suttih's oder Wittwenverbrennungen entziehen der Beobachtung gleichfalls gerade den interessantesten Augenblick. Die Schufte von Brahminen machen die armen Geschöpft sogar ganz unempfindlich durch ihre Kampher-Präparate. Ich sah ein junges Weib von kaum siebzehn Jahren so gleichgiltig sich auf den Holzstoß setzen, als keiner Ihrer gerühmtesten Krieger am Marterpfahl stehen würde.«

»Wie, Capitain,« sagte entrüstet der Canadier, »und Sie konnten es ansehen, daß ein schwaches Weib wirklich verbrannt wurde? Das ist eine Teufelei, die selbst bei den Sioux nicht vorkommen würde!«

»O - ich mußte mich im Palankin fünfhundert englische Meilen weit tragen lassen, um einem solchen Fest beizuwohnen, denn die Regierung Ihrer Majestät fängt nachgerade an, selbst

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in Indien so alberne Humanitätsgrundsätze aufzustellen, daß das Volk in seinen interessantesten Sitten verkürzt wird!«

Der Canadier murmelte etwas vor sich hin, was der Benennung >Schinderknecht< überaus ähnlich klang.

»Ich wiederhole Ihnen,« fuhr der Capitain fort, »alle diese Todesarten kommen der Aufregung, die man bei einem guten Schuß empfindet, indem man sich sicher weiß, nicht im Entferntesten gleich. Ich machte den ersten Versuch in Australien bei einer Buschfahrt, und obgleich es nur ein roher Schwarzer war, mehr Vieh als Mensch, empfand ich doch so viele Aufregung, einen so angenehmen neuen Reiz dabei, daß mich aller Spleen, dem ich mich bereits hingegeben, völlig verließ, und es seitdem mir zur wahren Nothwendigkeit geworden ist, mein Nervensystem von Zeit zu, Zeit wieder dadurch anzuregen. Schon dieses Zielen auf ein mit Seele gleich uns begabtes Geschöpf, dieses Aufwerfen der Arme, wenn es die Kugel empfängt, dann dieses Umdrehen um sich selbst und Zusammenstürzen, und vor Allem nachher die Beobachtung der Zuckungen und des Arbeitens der Gesichtsmuskeln, während das Auge immer starrer und starrer wird - es ist das Pikanteste, was man in dieser langweiligen Welt noch finden kann, und es ist nur traurig, daß Sie mir nicht erlauben wollen, Versuche mit Weißen anzustellen, die selbst in diesem Lande in der Cultur immer noch höher stehen, als jene nur halb empfindlichen Wilden, die in Wahrheit von Natur aus gegen das Sterben weit gleichgiltiger sind!«

»Goddam - Sie mögen es auf Ihre Gefahr hin wagen,« sagte der Canadier mit einem grimmigen Seitenblick und indem er bedeutsam nach seiner Büchse griff. »Dieser verfluchte Contract spricht nur von Wilden!«

»A propos - von unserm Contract, Felsenherz,« sagte, vollständig gleichgiltig gegen die Drohung, der Capitain. »Sie erinnern sich doch der Bedingungen?«

»Zum Teufel ja! Der Satan hat mich dazu verleitet! - es ist demüthigend genug, daß ich sie erfüllen mußte, wie ein Mann!«

»Nicht ganz, Felsenherz, nicht ganz! Sie erinnern sich wohl, wenn Sie darüber nachdenken!«

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»Wie, Sir?« fragte der Riese wild. »Wagen Sie es, zu behaupten, daß Felsenherz sein Wort gebrochen hat?«

»O nicht doch, mein Lieber - ich möchte nur eine kleine Vergeßlichkeit andeuten.«

Felsenherz störte verlegen in dem Feuer, man konnte bemerken, daß es ihm unangenehm war, die Sache zur Sprache gebracht zu sehen, und daß er es so lange als möglich hinausschieben wollte.

»Hab' ich Sie nicht, allen Gefahren zum Trotz, sicher durch ganz Amerika von den Felsgebirgen bis hierher, begleitet, und ist Ihnen ein Finger geritzt oder ein Haar gekrümmt worden von einem Feinde?«

»Nein, Felsenherz - das sage ich nicht. Sie haben im Gegentheil Ihr werthes Leben häufig allzusehr erponirt für meine Sicherheit. Sie haben den § 2 ganz vortrefflich erfüllt.«

»Nun, was wollen Sie noch? Hab' ich nicht für das, was Sie Ihre Bequemlichkeit nennen, gesorgt, als wäre ich eine indianische Squaw oder gar ein besorgtes Weib aus den Städten des Ostens? Goddam your eyes - ich begreife in der That nicht, wie ein Mann, den ich in der Stunde der Noth wie eine Eiche stehen und Strapazen und Hunger mit Gleichgültigkeit habe ertragen sehen, wie ein Affe sich an hundert weibische Dinge hängen kann!«

Der Capitain lachte herzlich, indem er sich nach der Mahlzeit in einem mit Gold und Perlmutter ausgelegten Taschenspiegel beäugelte und seinen Backenbart kämmte. »By Jove, das verstehen Sie nicht, Felsenherz, das verstehen Sie nicht! Sie sind ein ganz vortrefflicher Kerl in Ihrer Art, aber Sie haben keinen Begriff vom Comfort.«

»Aber Sir - wenn Sie sich so verweichlichen - sagen Sie mir, wie Sie zu anderen Zeiten Entbehrungen und Anstrengungen so leicht zu ertragen vermochten, die ein Mann wie ich kaum zu besiegen vermochte?«

In der That hatte der Dandy auf ihren abenteuerlichen Wanderungen davon wunderbare Proben abgelegt.

Der Menschenjäger lachte, »Damn! - das macht das Blut! Haben Sie nie gehört, daß ein Pferd von echter Race,

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wenn es gilt, härtere Anstrengungen erträgt, als jedes Roß aus den Querenzia's der Savannen? - Ich bin durch die indische Thurr gewandert, zehn Tage, ohne mehr als eine bittere Wurzel zur Nahrung und den Thau des Himmels zum Getränk, während selbst die eingeborenen Beludschen gleich den Fliegen um mich her verschmachteten. Ich war am Bord eines Schiffes, das auf der Fahrt um's Cap die Nordwestwinde bis zur arktischen Region verschlagen hatten, und die Pumpen arbeiteten drei Tage und drei Nächte, und jeder Mann an ihnen für sein Leben. Und als wir das Wasser bewältigt, fehlte es uns an demselben, und hundertundzwanzig Mann, Weiber und Kinder, mußten vierzehn Tage lang ausharren, unter der brennenden Hitze des Tages und der Kälte der Nacht, Jeder kaum täglich ein Weinglas voll der eklen schlammigen Flüssigkeit. - Pah! - das ist es Alles nicht, was ich meine, Mann. - Sie wissen recht gut, worauf ich ziele.«

Felsenherz murmelte einige unverständliche Worte als Entgegnung.

»Erinnern Sie sich des Datums unsers Vertrages?« -

»Der Teufel hole ihn! Es war der dreißigste März!«

»Und heute haben wir den neunundzwanzigsten.«

»Gott sei Dank! - Ich will dem Teufel lieber dienen oder einer alten Siouxhexe, als Ihnen länger, Sir, und werde die Stunde segnen, die mich meiner Verpflichtungen entbindet.«

Dem Capitain schien die Artigkeit höchst gleichgiltig. Er zog sein Taschenbuch aus der Brust und blätterte darin. »Richtig


    -- wir schlossen den Vertrag am dreißigsten März in Sanct[Saint] Louis
    -- in vierundzwanzig Stunden ist Ihr Jahr um und ich schulde Ihnen hundert Pfund Sterling, zwei Fäßchen Pulver, Blei und jene Doppelflinte dort, nebst der Rückfahrt nach New-Orleans. Aber sollten Sie mir nicht selbst noch Einiges schulden?«

Das Gesicht des Waldgängers verzog sich finster und er murmelte Etwas in den Bart, was der Andere nicht verstand oder verstehen wollte. Der Capitain blätterte in dem Buch.

»Am zehnten Mai bei dem Ueberfall in den Felsgebirgen drei Arapahoes erschossen. Ist es nicht so?«

Der Canadier nickte.

»Drei Tage darauf jagte ich dem Cherokeesen, der mir das

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Rasirfutteral stahl und den Sie mir gebunden zurückbrachten, Felsenherz, die Kugel durch den Kopf.«

Der Führer warf ihm einen Blick zu, der seine Verachtung für die That zeigte.

»Macht vier. Nun kommt ein stattlicher Posten, als wir in Gesellschaft der Osagen, der schmutzigen Hunde, gegen die Creeks zogen. Ich erlegte fünfzehn aus dem Hinterhalt der Insel - eigentlich sechszehn, aber der Kerl, den ich mit dem Tomahawk niederschlug, zählt nicht, da unser Contract dahin lautet, daß Sie sie mir zum Schuß bringen.«

Felsenherz starrte finster in das Feuer.

Der Capitain blätterte weiter. »Am zehnten Juli zwei Mimbrennos; die Bursche sträubten sich anständig gegen den Tod, ich muß es zugestehen - ich traf den einen unter der rechten Schulter und es dauerte lange, ehe er starb. Am Fünfzehnten auf der Flucht vor der Tejuas- und Apachen-Rotte fünf davon, während Sie mir den Rücken deckten. Es ist wahr, ich hatte verteufelt wenig davon, da ich im Galoppiren schoß und jedes Verweilen mir den Scalp hätte kosten können; aber Sie sind in Ihrem Recht und können sie zählen, denn ich habe leider vergessen, in dem § 5 hinzuzufügen, daß es mir darauf ankam, die Halunken sterben zu sehen. Also sechsundzwanzig!«

Die Stirn des Waldgängers zog sich immer finsterer, drohender zusammen.

»Nun kommt eine lange Pause,« fuhr der Engländer fort. »Es war, als ich in der Sierra Verde krank lag, in dem Wigwam der Yamos. Der alte Häuptling war ein merkwürdiges Exemplar und oft auf dem Kriegspfade gewesen. Ich hätte ihn gern geschossen, aber es ging doch anständiger Weise nicht an. Sein Sohn, der >Schnelle Pfeil<, fiel in unsrer Vertheidigung gegen die Comanchen. Erinnern Sie sich dessen, Felsenherz?«

Der Ranger bedeckte das Gesicht mit den Händen - aus seiner breiten Brust drang es, wie ein Stöhnen. Es war eine der schmerzlichsten Erinnerungen dieses empörenden Vertrages, trotz seines allgemeinen Hasses gegen das rothe Geschlecht, daß er einen jungen und tapfern Krieger hatte opfern müssen, um diesen Mann zu retten!

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»Wir machten damals gute Geschäfte, Felsenherz - Sie tödteten zwölf von diesen Comanche, ich in drei Monaten einundzwanzig, ehe wir den Rio Grande hinunterfuhren und uns in Brownsville einschifften nach Venezuela. Seitdem ist es spärlich genug gegangen - drei von den häßlichen lehmfressenden Amoria's; - wir durchzogen ganz Bolivia und Paraguay, und diese sogenannten Llanos de Manso, die zahmen Indianer, hielten nicht ein einziges Mal Stich; - zwei Cayapo's in den brasilianischen Gebirgen - das war Alles in vollen drei Monaten.«

»Die Rothhäute des Südens,« sagte der Waldführer finster, »sind feig oder friedlich - sie haben uns Nichts zu Leide gethan.«

»Richtig, Felsenherz, und deshalb kamen wir den Uruguay herab, weil wir hörten, daß die Pampas-Indianer an den Kriegen dieser spanischen Narren und Meuchelmörder Theil nehmen. Nun, da sind wir; - aber nach unsrer Rechnung, Felsenherz, fehlen mir noch acht Schüsse zu den sechszigen, die ich innerhalb eines Jahres von Ihnen zu fordern hatte, und - morgen um Mittag läuft das Jahr ab!«

Der Canadier hatte das Haupt in die Hand gestützt und starrte finster vor sich hin. Mit Gewalt riß er sich jetzt empor. »Sir,« sagte er, »kein Mann wird läugnen, daß Sie in Ihrem Recht sind, aber das ewige Wesen dort oben, das wir Gott, und das jene Rothhäute den großen Geist nennen, möge mir vergeben, daß ich jenen höllischen Contract mit Ihnen geschlossen habe. Als Sie mir den Vorschlag machten, glaubte ich einen Mann in Ihnen, der ein schweres Unrecht, wie ich, an den rothen Männern zu rächen hätte, und ich schlug in die Hand eines Kameraden - nicht in die eines Mörders. Gott hört uns Beide - geben Sie mir mein Wort zurück und begnügen Sie sich mit den traurigen Thaten, die wir gethan, und ich mag Nichts von Ihrem Gold und Ihrem Reichthum!«

»By Jove, Felsenherz - Sie sind ein Narr,« lachte der Capitain. »Machen Sie sich nicht albern mit Ihrem Gewissen, Sie, der schon hundert rothe Männer zu Boden gestreckt hat! Der Contract ist morgen zu Ende, aber ich werde kein Thor sein, daß ich Ihrer Scrupel wegen die beste Lust verliere. Wenn

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meine Büchse still liegen muß - very well - so ist's Ihre Sache, mein Wild mir nachzuliefern!«

Der Riese richtete sich straff empor und griff nach seiner Büchse. »Wenn Sie denn durchaus darauf bestehen, so kommen Sie. Es ist wahr, ich hätte ein leichter Gewissen gehabt für die kommenden Jahre, aber mein Wort mnß gehalten werden.«

Der Engländer sah ihn erstaunt an. »Wie - jetzt - es ist Nacht und es ist doch hier keine Gelegenheit zu unsrer Jagd?«

Der Waldgänger lächelte verächtlich. » Seit vierundzwanzig Stunden sind wir auf der Fährte eines Trupps von Puelches.«

Der Capitain sprang, wie von einer Stahlfeder geschnellt, empor. »Wie - und Sie sagten mir Nichts davon? - Wie viele sind ihrer?«

»Genug, Sir, um meine Schuld an Sie abzutragen, und zu wenig, um für Ihr kostbares Leben zu fürchten. - Teufel - was bedeutet das?« Das Echo eines entfernten Schusses hatte den Ausruf veranlaßt, zugleich hörte man in den Gebüschen ein Geräusch, wie das Durchbrechen eines großen Thieres - dann ein Wiehern, dem die Pferde der Beiden, die Ohren spitzend, antworteten. Der Canadier hatte seine große Büchse schußbereit in der Hand, auch der Engländer seine Doppelflinte aufgenommen, als ein silbergraues Pferd zwischen den hohen Stämmen des Waldes wild daher galoppirte und sich wie aus Instinct der Stelle näherte, wo das Feuer und die Nähe der Menschen ihm Schutz versprach.

Der Waldgänger hatte sofort seine schwere Büchse fallen lassen, war mit einer Schnelligkeit, die bei seinem kolossalen Gliederbau überraschte, dem fremden Pferde in den Weg gesprungen und hatte es an dem schleifenden zerrissenen Zügel erfaßt. Er versuchte es jetzt zu beruhigen, führte es zu den anderen Pferden und untersuchte seine Zäumung und den lose von dem Rücken hängenden und niedergerutschten Sattel auf das Sorgfältigste. Dann, nachdem er ihm die Vorderbeine gleich den anderen Pferden gekoppelt hatte, wandte er sich zu seinem Begleiter. Sein Gesicht drückte eine gewisse Freude und Befriedigung aus und seine Augen leuchteten vor Kampflust.

»Machen Sie sich fertig, Capitain - wir werden eine

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ehrliche Verfolgung und einen gerechten Kampf haben, keinen Mord. Dieses Pferd gehört einem Weißen - es müssen weiße Männer in der Nähe fein, von welcher Partei, ist gleichgiltig, und wahrscheinlich von den Rothhäuten überfallen. Lassen Sie uns aufbrechen so rasch als möglich.«

Den Engländer schien eine gewaltige Schüchternheit zu überkommen, seine Bewegungen waren zaudernd, unschlüssig. »Aber die Gefahr?« sagte er endlich; »wir könnten in einen Hinterhalt fallen und unser eigenes Leben verlieren!«

Der Riese sah ihn mit Verachtung an. »Bah - es sind ihrer nur zwölf - für was bin ich da? - aber wenn Sie Furcht haben, so bleiben Sie' hier, ich werde allein gehen, denn vielleicht können wir noch einem oder dem andern Christenmenschen helfen gegen diese rothen Teufel!«

»Furcht - o nein,« sagte rasch der Capitain, indem er seine Flinte aufnahm; »ich war nur besorgt, und Sie wissen, Felsenherz, daß Sie mir noch acht Schüsse schulden. Nehmen wir die Pferde?«

»Es ist unnöthig und gefährlich in der Nacht - sie müssen zurückbleiben, bis wir Näheres wissen. Sie sind sicher hier - es sind ihrer vier, und kein Raubthier wird sich demnach an ihre Hufe wagen. Die Natur lehrt sie, sich vereint zu vertheidigen.«

Er hatte, während er sprach, das Geschirr schnell zusammengerafft und mit einer der Decken bedeckt. Dann belud er sich mit dem Schießbedarf für Beide und nahm seine schwere Büchse und die seines Gefährten auf.

»Aber was thu' ich mit Fleurette?«

»Zum Teufel mit dem Vieh! Stecken Sie es in eine Schachtel - denn ich habe nicht Lust, noch einmal durch sein Gekläff mir eine Büchsenkugel durch die Mütze zuzuziehen, wie am Rio Grande.«

»O, Felsenherz - was sind Sie grausam und unbillig gegen das liebe Thier! Aber Ihr Rath ist in der That gut; ich werde Fleurette in das Küchenfutteral stecken und ihr Luft lassen. Aber warten Sie und lassen Sie mich nicht allein nachlaufen. Ich möchte um Alles in der Welt keine hundert Schritt allein in dieser Wildniß thun!«

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Und dennoch, nachdem er sich einmal auf dem Wege befand, zeigte der Zärtling eine Ausdauer und Eile, vorwärts zu kommen, die von der Vorsicht seines Führers mehrmals zurückgehalten werden mußte. Indem sie der Richtung folgten, aus welcher der Graue gekommen, erblickten sie nach dem Marsch von etwa zehn Minuten über den hügeligen, häufig mit Unterholz bedeckten Boden den fernen Schein eines Feuers. Die schwere, nie fehlende Büchse schußfertig im Arm, schlich der Canadier näher, hinter ihm d'rein der Capitain mit gleicher Vorsicht. Aber nachdem sie eine Zeit lang aus einem dichten Busch die Stelle beobachtet hatten, wo das Feuer noch immer brannte, überzeugten sie sich, daß kein menschliches Wesen in der Nähe war, und betraten den freien Platz.

Der Waldgänger ließ seinen Begleiter unter dem Hügel Halt machen und prüfte sorgfältig alle Spuren. Das Feuer war auseinander geworfen, Spuren von den Füßen mehrerer Menschen in der Nähe so wirr durcheinander, als habe ein Kampf stattgefunden; - an einem dünnen Stamm hing der abgerissene Zügel des Pferdes, auf der einen Seite des Feuers lag ein todter Jaguar, eine Lanze in der Brust, auf der andern das Weibchen, durch den Kopf geschossen. Spuren von Tritten, dicht zusammengedrängt, führten nach entgegengesetzter Seite in den Wald.

Nachdem Felsenherz lange und sorgsam alle diese Zeichen betrachtet und den Speer aus der Leiche des Jaguars entfernt hatte, kehrte er zu dem Engländer zurück.

»Es ist ein seltsamer Umstand vorhanden,« sagte er, »der jeden sichern Schluß erschwert. Ein Weißer hat hier gelagert, er ist zu Pferde gekommen, und der Graue, den wir gefangen, war dies Pferd. Aber seine Fußspuren sind so klein, daß sie eher einem Kinde, als einem Manne anzugehören scheinen. Dann hat ein Kampf stattgefunden mit zwei Jaguars und fünf Indianern. Einen der Jaguars hat der Weiße getödtet, denn das Messer, das ich in seiner Brust fand, gehört offenbar einem Weißen, und der Stoß ist mit großer Kraft und sicherer Hand geführt worden, was wiederum nicht mit den Kinderspuren zusammenpaßt. Aber ich finde nirgends eine Spur von der Leiche

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des weißen Knaben - also müssen sie ihn als Gefangenen mit sich fortgeführt haben, und wir können ihn vielleicht befreien oder wenigstens rächen.«

Sein Gesicht hatte bei dem Gedanken einen drohenden Ausdruck angenommen und er schwang die schwere Büchse wie eine Weideuruthe dnrch die Luft.

»So ist's recht, Felsenherz,« sagte der Capitain; »ich hoffe, Sie werden aber daran denken, daß ich meine bestimmte Zahl haben muß!«

»Sei[e]n Sie unbesorgt, Sir - es werden schon immer Einige noch für mich übrig bleiben. Aber nun vorwärts, Sir, da ihre Spuren noch warm sind, und bevor die Schurken vielleicht noch mehr Unheil anzetteln.«

Er schritt eilig in der Richtung, welche die Spuren zeigten, davon, der englische Capitain folgte ihm auf dem Fuße.

Die Nacht erschwerte allerdings die Verfolgung der Zeichen, aber der jetzt aufgegangene Mond beleuchtete von Raum zu Raum die freien Plätze des Waldes, über die ihr Weg führte, und dort fand der Waldgänger die weiteren Spuren der geraden Richtung, die er verfolgte.

Sie hatten etwa eine Viertelstunde diesen Weg fortgesetzt, als Felsenherz plötzlich still stand und die Hand auf den Arm seines Gefährten legte.

»Sehen Sie, Capitain, den Schein? Wir sind am Ziel!«

In der That leuchtete in ewiger Entfernung durch die hohen Stämme der Bäume ein matter rother Schein.

»Ich sehe das Licht,« flüsterte der Engländer, indem er sein Gewehr fertig machte, »aber ich kann nicht begreifen, wo die Indianer sein können!«

Der erfahrene Waldgänger lachte still vor sich hin. »Die Sache ist sehr klar - die Schurken lagern in einer der Quebrada's. Lassen Sie uns mit aller Vorsicht näher gehen für den Fall, daß sie Wachen ausgestellt haben, und überlassen Sie mir dann das Nöthige.«

Behutsam schlichen Beide vorwärts, der Waldgänger voran, aber nirgends zeigte sich die Spur einer Schildwacht - die Indianer glaubten sich vollkommen sicher.

Auf diese Weise gelang es Felsenherz und dem Engländer, bis an den steil abfallenden Rand der Waldschlucht vorzudringen. Der Anblick, der sich ihnen, die das dichte Gebüsch vollkommen verbarg, bot, war allerdings geeignet, ihre Nerven zu erschüttern und ihre Theilnahme zu erregen.

Die Quebrada zog sich tief und steil unter einem Hügel hinab und mündete weiterhin in eine größere thalartige Oeffnung, in der ein Waldbach seinen Lauf nahm. Die Schlucht war etwa fünfzig Schritt breit und der Rand von hohen Waldbäumen überragt, das Versteck für das Nachtlager also mit all' der Vorsicht gewählt, welche die Indianer gewöhnlich anzuwenden pflegen.

Dennoch war von denselben ein wichtiger Punkt außer Acht, der vielmehr in Folge der Tragödie im Innern der Schlucht vernachlässigt worden. Die Pferde der kleinen Bande befanden sich, ziemlich entfernt von deren Lagerplatz, zusammengekoppelt, aber ohne Aufsicht am Ausgang der Quebrada.

An ihrem entgegengesetzten Ende, dicht unter dem Hügelsturz, brannte ein großes Feuer in der Nähe eines jungen Acajoubaumes. Zwölf Indianer, deren Malerei in weißer und rother Farbe und Aufputz mit den Wolfsschwänzen an ihrem Gürtel, wie ihre Bewaffnung sogleich erkennen ließ, daß sie sich auf dem Kriegs-Pfade befanden, waren mit verschiedenen schlimmen Vorbereitungen beschäftigt. Die Einen prüften die Schneide ihres Tomahawk oder die Schärfe ihrer Messer, Andere - die sich im Besitz schlechter spanischer Karabiner befanden - untersuchten dieselben oder erprobten die Schnellkraft ihrer Bogensehnen, und Zwei oder Drei machten die eisernen Spitzen ihrer langen Lanzen im Feuer glühend.

Die Bande bestand, wie der Waldgänger richtig vermuthet hatte, aus Puelches von den Schaaren Urquiza's, und war von einem jungen Krieger geführt, der zum ersten Mal den Schmuck eines Häuptlings, die Adlerfedern, in der Scalplocke seines Hauptes trug; es war Taloga-Teh, die >Lauernde Schlange<, ein Sohn des Schwarzen Raben, durch seine Bosheit, seine List und seine Grausamkeit selbst bei seinem Stamme gefürchtet und verabscheut.

Am Tage nach der Einäscherung der Mission hatten die

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umherstreifenden Indianerbanden die breiten Spuren der unter Führung des Commodore entkommenen Schaar entdeckt, aber erst nach längerer Nachforschung auch den Ausgang des unterirdischen Ganges unter dem Wasserfall durch die von Mato-Toftah niedergeschnittene Buschwand gefunden. Die Wuth Urquiza's, als er sah, daß auf diese Weise ihm wahrscheinlich der größte Theil der gehaßten Feinde entgangen, war unbeschreiblich, und er sandte sofort Späher und Abtheilungen aus, sie zu verfolgen. Da die Entdeckung jedoch erst am Nachmittag geschehen war und die Verfolgung im Urwald nicht mit Anwendung aller Schnelligkeit der Pferde geschehen konnte, war der Vorsprung der italienischen Legion zu bedeutend, um die Fortsetzung ihrer Flucht wirksam hindern zu können, und die ausgesandten Trupps kehrten schon am zweiten Tage zurück, ohne mehr ausgerichtet zu haben, als erfolglose und mit Verlust zurückgeschlagene Scharmützel mit dem Nachtrab der tapfern Schaar.

Ueberdies ist der Waldkrieg nicht die Sache der Indianerstämme der Pampas, die nicht an die Gefechte und Wanderungen zu Fuß gewöhnt sind, und deren halbes Leben der Sattel, deren Kraft und Erfolg das Pferd ist.

Während Urquiza bereits über den Uruguay zur Belagerung Concordia's zurückgegangen war, die Banden der Indianer aber noch diesseits und jenseits des Flusses umherschwärmten, entdeckte eine derselben in der Nähe der válle de páz die Anwesenheit Mato-Topah's, der mit großer List sich in das Lager der Föderalisten geschlichen und dort die Flucht und den wahrscheinlichen Tod Aniella's in dem Strom erfahren hatte, worauf er alsbald nach dem andern Ufer zurückkehrte. Eine geheime Ahnung sagte ihm, daß die schöne Weiße den Gefahren des Wassers glücklich entkommen sei und daß er am ersten Aussicht habe, sie in der Nähe des Missionsthales wiederzufinden, wo sie sich gewiß versteckt, um Auskunft über das Schicksal ihres Gatten und der Seinen zu erforschen. Indem er sein Gesicht und seine Brust mit den Kriegsfarben seiner Feinde bemalte, wagte er sich in ihr Lager, um Kundschaft zu sammeln, ob man die Spuren der jungen Frau entdeckt oder sie selbst wieder gefangen genommen,

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und ob es dem >Weißen Adler< und seinen Freunden gelungen sei, sich glücklich zurückzuziehen.

Bei dieser Gelegenheit wurde seine Anwesenheit durch einen unglücklichen Zufall verrathen. Es war bekannt unter den Puelches, daß ihr berühmter Kazike durch ein Weib der Weißen und einen jungen fremden Indianer getödtet worden, und nur durch seine vollständige Ortskenntniß und indem er alle seine Waffen, mit Ausnahme seines Beils, auf der eiligen Flucht verlor, gelang es Mato-Topah, der Wuth und Rache der getäuschten Wilden zu entkommen und sich in den Urwald zu flüchten, dessen Verstecke und Geheimnisse ihm wohl bekannt waren und ihn vor seinen Verfolgern schützten.

Die schlimmste Bande derselben, die Taloga's oder der >Lauernden Schlange<, war eben auf dem Rückweg nach dem Uruguay begriffen, nachdem sie, so weit es für die Pferde zugänglich, vorgedrungen war, als sie auf die unglückliche Gattin des Commodore stieß, die ihr Irrweg bis auf etwa drei oder vier Leguas in die Nähe der Mission zurückgeführt hatte. Während die Bande in der Schlucht ihr Feuer anzündete und das Nachtlager bereitete, hatte Taloga mit einigen seiner Männer die Nachbarschaft durchstreift, das unvorsichtig an offener Stelle flammende Feuer der Montevideerin bemerkt und war gerade zur rechten Zeit herbeigekommen, um durch seinen Schuß ihr Leben vor den Zähnen des Jaguars zu retten und einem noch schrecklichern Schicksal aufzubewahren.

Der junge Wilde mochte etwa vier bis fünf Jahre mehr zählen, als Mato-Topah, und war von gedrungener Gestalt, noch unter Mittelgröße. Sein Kopf hatte auffallend viele Aehnlichkeit mit der platten Bildung des Thieres, von dem er den Namen führte, und die scheußliche Malerei seines Gesichts schien absichtlich diese Täuschung noch zu vermehren. Er trug auf seinem sonst nackten Oberkörper die blaue, mit goldenen Tressen geschmückte Uniformjacke eines der Offiziere der Unitarier, die er nach dem Gefecht der Leiche abgezogen, und um den rasirten Kopf bundartig die Schärpe mit den italienischen Farben geschlungen, so daß die Enden hinten lang herunterhingen und mit den drei oder vier Wolfsschwänzen umherflogen, die als

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Zeichen eines Kriegers hinten vom Gürtel und seinen mit Federn und Haaren benähten Beinkleidern von Wildleder bis über die Moccasins niederfielen. Der Indianer war mit Messer und Tomahawk bewaffnet und führte die Flinte Mato-Topah's in seiner Hand. In ähnlichem bunten und in seiner grotesken Zusammensetzung abscheulichen Costüm befanden sich seine Begleiter.

Taloga schien in großer Aufregung; die Grimassen und Bewegungen, die er machte, zeigten wilde und leidenschaftliche Drohungen, und die Züge seines scheußlichen Gesichts waren so abschreckend, der Ausdruck seiner kleinen funkelnden Augen so furchtbar und blutdürstig, daß ein starker, dem Tode mit Muth auf den Schlachtfeldern Trotz bietender Mann davor hätte erbeben können, - um wie viel mehr das verhältnißmäßig so schwache und zarte Wesen, dem sie galten.

Denn vor ihm, an den Stamm des Baumes gebunden, stand die junge Frau des Commodore und ihre Augen verfolgten mit Entsetzen die Vorbereitungen einer schrecklichen Marter, welche die Wilden trafen. Die spanische Jacke und das Hemd waren von ihren Schultern gerissen, und der entblößte Oberkörper, die volle weiße Brust des armen Weibes schien mit jedem Moment die rothe Todeswunde zu erwarten, während das dunkle Haar wirr und fessellos um das bleiche, schöne Gesicht hing.

Die Aermste wußte, daß jede Bitte bei den grausamen Wilden ein verlorener Hauch war, und suchte alle ihre Kräfte zu sammeln, um dem unvermeidlichen Tode mit jenem Muthe zu begegnen, der allein auf die Indianer Eindruck zu machen im Stande ist. Taloga hatte mit seinen Gefährten beschlossen, die weiße Frau, die man als Diejenige wiedererkannt, bei deren Bedrohung der Schwarze Rabe gefallen war, ihrer Rache zu opfern, da sie wohl wußten, daß, wenn sie dieselbe als Gefangene in das Lager brächten, sie ihnen von Urquiza oder Estevan als eine willkommene Beute wieder abgenommen werden würde. Aber man hatte mit jener empörenden Grausamkeit, welche die wilden Krieger der Pampas wie der Prairien und Savannen auszeichnet, verabredet, die junge Frau vor ihrem Tode den Martern zu unterwerfen, da sie glaubten, sie wisse um die Verstecke Mato-Topah's und könne ihn in ihre Hände liefern.

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Aniella verstand nur einzelne Worte und Ausrufungen von der Sprache der Indianer, und als Taloga ihr in schlechtem Spanisch die Frage nach dem jungen Aroge vorlegte und die schrecklichsten Drohungen gegen sie ausstieß, wenn sie seinen Aufenthalt nicht verrathen werde, begnügte sie sich, keine Antwort zu geben, denn sie wußte, daß jede Betheuerung ihrer Unkenntniß nutzlos sein werde.

Die Lauernde Schlange malte ihr eben in gräßlichen Bildern die Martern aus, die alsbald beginnen sollten, und schwang den Tomahawk dicht vor ihren Augen, daß die scharfe Schneide jeden Augenblick sie zu verletzen drohte, als Felsenherz mit dem Capitain auf dem hohen Rand der Schlucht erschien und die wilde Scene erblickte.

»By Jove,« flüsterte der Engländer, »da haben Sie die Erklärung Ihrer Scrupel über die Spuren, Felsenherz - es ist ein Weib, und ein weißes dazu, und wenn mich mein Augenglas nicht trügt, sogar ziemlich jung und hübsch. Lassen Sie mich sehen!«

Er zog einen Operngucker aus der Tasche, öffnete das Futteral und richtete das Glas auf die Unglückliche.

»Gott verdamm' Ihre Augen, Sir,« murmelte der Waldläufer, indem er seine schwere Büchse spannte. »Sehen Sie nicht, daß die rothen Schurken die Unglückliche martern wollen, und daß wir keinen Augenblick zu verlieren haben, um ihr zu Hilfe zu kommen?«

»Aber mein Bester,« sagte der Brite in gleichem Ton und indem er die Waffe des Andern niederdrückte - »das ist eben eine Sache, die ich noch keineswegs beabsichtige. Ich sah nie in meinem Leben ein Weib zu Tode martern, denn die Anwendung des >Kittie< und der >Zimmermannskäfer<89 bei den indianischen Weibern ist wohl schmerzlich, aber doch nicht absolut tödtlich. Eine so vortreffliche Gelegenheit dürfte ich nie wieder haben - dieses Glas wird mir bei dem Licht des Feuers jede Miene des hübschen Geschöpfes zeigen. Schade nur, daß wir nicht auch ihre Reden verstehen können. Mit den Indianern können wir

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nachher fertig werden, wenn Alles vorüber ist, und wissen Sie, Felsenherz - ich erlasse Ihnen zwei Schüsse, wenn Sie das Schauspiel dort unten nicht voreilig stören wollen.«

Der Alte stieß eine bittere Verwünschung statt jeder Antwort aus.

»Nun - wenn Sie denn nicht wollen,« meinte ärgerlich der Capitain, »so lassen Sie mich wenigstens den ersten Schuß auf die junge Frau thun, damit der Kerl sie da mit seiner Axt nicht länger ängstigt. Ich werde sie dicht unter der linken Brust nehmen, damit sie nicht länger zu leiden hat.«

»Ich schlage Ihnen den Schädel ein, wenn Sie dem Weibe ein Haar krümmen, und möchten die Schurken mich nachher auch scalpiren,« drohte der Jäger, indem er mit finsterm entschlossenem Blick den schweren Kolben seiner Büchse hob.

»Damned, Felsenherz - Sie tyrannisiren mich wirklich! Aber wenn Sie in der That so läppisch eigensinnig sind, so lassen Sie uns beginnen, denn der Bursche dort unten in dem Hanswurst-Costüm geberdet sich immer wilder und ich gebe keinen Sixpence für das Leben des Weibes!«

»Fürchten Sie Nichts - noch ist es nicht so weit, und ich werde zur rechten Zeit da sein. Ein Indianer - ob in den Pampas oder an den Rocky-Mountains, ihre Natur bleibt sich gleich - wird nicht leicht sich um den Genuß langsamer Qualen seines Feindes bringen, wenn er Zeit dazu hat. Aber sagen Sie mir offen, Sir - haben Sie den Muth, hier allein zu bleiben, um das ganze Gewürm zu vernichten, das eine Frau zu martern wagt?«

»Bah - was den Muth betrifft! Aber es ist langweilig, so allein zu sein, und das Laden der Gewehre ist so mühsam! Ueberdies verpflichtet Sie der Contract, für meine Sicherheit zu sorgen!«

»Es soll Ihnen kein Haar gekrümmt werden, Sir, so weit ein Mensch das verhindern kann. Sie haben die Büchse und die Doppelflinte, also drei Schüsse - überdies die Puffer da mit zehn Kugeln in ihren Läufen, die freilich nicht viel taugen; aber ich sah Sie doch zwei Osagen damit erschießen, die Ihnen zu nahe kamen. Sie sollen die acht Schuß haben, die ich Ihnen

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schuldig bin, überdies sind Sie hier auf der steilen Seite der Schlucht und können mit Bequemlichkeit Jeden niederschießen, der es wagt, hier herauf zu klimmen. Aber kurz und gut, entschließen Sie sich, denn das Gewürm macht wahrhaftig Anstalt, mit der Feuermarter zu beginnen! Geben Sie mir zwei Stücke von dem Schwamm, mit dem Sie Ihre Cigarren gewöhnlich anzünden!«

»Nun, wenn Sie meinen, Felsenherz,« sagte gähnend der Engländer, indem er ihm die Patentschwämmchen aus seiner Cigarrentasche reichte, »ich will Sie an Ihrem Operationsplan nicht hindern. Aber die Feuermarter, wie Sie die Sache nennen, könnten Sie mich doch sehen lassen!«

Der Waldläufer hielt es nicht der Mühe werth, ihm auf diesen menschenfreundlichen Vorschlag zu antworten, und nachdem er seinem Gefährten anempfohlen, nicht eher zu schießen, als bis er den Knall seiner eigenen Büchse gehört, und dann sich zu begnügen, den Ausgang der Schlucht zu bestreichen und die Flucht dorthin mit seinen Kugeln zu verhindern, verließ er ihn so geräuschlos, daß der Capitain seine Entfernung nicht eher bemerkte, als bis er ihn, umschauend, nicht mehr an seiner Seite fand.

Felsenherz glitt, trotz seines kolossalen Körpers und seiner Schwere, in gebückter Haltung leicht wie eine Schlange durch das Buschwerk und Unterholz am Rande der Schlucht entlang, nicht mehr Geräusch machend, als ein Einhörnchen, das durch die Zweige sich schwingt, und erreichte in Zeit von etwa fünf Minuten die Stelle, wo die Pferde der Puelches nach der gewöhnlichen Manier der Pampas angepflockt waren, indem der Lasso um ihren Hals geschlungen und das Ende desselben in die Erde vergraben und festgestampft wird. Hier warf sich der Canadier flach auf den Boden, und nachdem er sich nochmals überzeugt, daß keine Wache dabei aufgestellt war, oder die aufgestellte sich zu den Vorbereitungen am Feuer geschlichen hatte, kroch er bis zu der Stelle, wo die Enden der langen Lassos in eine gemeinschaftliche Grube festgemacht waren. Die Pferde, die einen langen Tagemarsch gemacht und reichlich geweidet hatten, lagen auf dem Grase, und der Waldläufer war zu sehr mit der Natur der Thiere vertraut, um sie durch allzu rasche Annäherung scheu zu machen.

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Nachdem er daher, ohne mehr als ein gelegentliches Aufschnauben und Wälzen dieses oder jenes Pferdes veranlaßt zu haben, bis zu jener Stelle gekommen war, lockerte er mit seinem Messer die festgetretene Erde, so daß die Enden der Leinen nur lose lagen, und zog sich dann in gleicher Weise aus dem Kreise der Thiere zurück. Dann ließ er die beiden Schwämmchen, die er sich von seinem Gefährten hatte geben lassen, sprühen, hüllte jedes in zwei frische Blätter und steckte das eine in die Nüstern, das andere unter den Schweif der beiden nächsten Pferde. Sobald dies geschehen, setzte er vorsichtig seinen Weg fort und gelangte auf diese Weise unentdeckt an die andere Seite der Schlucht, wo er, ungefähr seinem Gefährten gegenüber, im Rücken der bedrohten Gefangenen sich das geeignete Versteck für sein Vorhaben aussuchte.

Unterdeß hatten die Indianer ihre Vorbereitungen zu der Marter beendet. Auf ein Zeichen Taloga's kamen alle Mitglieder der Bande herbei, stellten sich in einen Halbkreis um die Gefangene, und indem sie ihre Messer, Tomahawks und Speere schwangen, begannen sie ein wildes Geschrei, vor dem die zarten Nerven des Engländers erbebten.

Aniella begriff, daß der Augenblick ihres Todes gekommen, und sie wandte ihre Seele zu Gott, um Kraft und Ergebung zu bitten, jene Leiden als Christin zu ertragen, die ihr den Weg öffnen sollten zu dem Jenseits, wohin sie Gatten und Kind bereits vorangegangen glaubte.

Die Lauernde Schlange hob die Hand und augenblicklich schwieg das gellende Geheul der Puelches.

»Die Tapferen der Pampas,« sagte er giftig, »haben hundert Mittel, die Zunge ihrer Feinde zu lösen. Meine Männer verlangen zu wissen, wo dieser Feigling von Aroge geblieben? - Will die weiße Frau ihren Mund öffnen, es freiwillig zu sagen?«

» - Du bist voll der Gnaden - der Herr ist mit Dir!« betete die Gefangene.

»Ich will Deine Zunge ausreißen und sie den Hunden vorwerfen,« tobte der Wilde. »Die rothen Männer werden der Mutter der weißen Teufel das Fleisch von den Gliedern brennen!«

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»Heilige Mutter Gottes - bitte für uns Sünder in der Stunde des Todes - Amen!«

Taloga stieß einen Schrei der Wuth aus. »Mögen meine Tapferen die Marter beginnen! Das Geschrei der weißen Hündin soll Wollust sein für die Ohren der rothen Krieger!«

Er trat mit der nachgeahmten Würde eines Häuptlings zurück und die zwei Jüngsten der Horde schritten sogleich vor, Feuerbrände in den Händen, um sie an die entblößte Brust der Märtyrerin zu halten. Mit scheußlichem grinsenden Lachen näherten sie sich.

»Fluch der Hündin! Fluch der Hündin! Martert sie - martert sie!«

Die Teufel schwangen die Brände, daß die Funken umherstoben und ihr schönes Haar versengten - Aniella schloß die Augen -

»José - mein Kind - «

Ein gellender Schrei fuhr aus ihrem Munde - die Flamme hatte ihre zarte Haut berührt -

In diesen Schrei mischte sich der Knall einer Büchse - der Schurke, der das hilflose Weib berührt, warf den Brand und die Arme in die Luft, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden.

Der zweite der rohen Henkersknechte hatte nicht Zeit, die mit dem brennenden Spahn bereits ausgestreckte Hand zurückzuziehen, als ein Schuß von der andern Seite jenem gleichsam antwortete und die Kugel ihm durch den Rücken in's Herz fuhr. Wie ein gefällter Stamm fiel er vorn über auf die gefesselte Gefangene, sie mit seinem Blute bespritzend.

»Verrath - Verrath! Zu den Pferden - zu den Pferden!« gellte die Stimme des erschrockenen Taloga, der sich sofort zur Flucht wandte. Aber das Schnauben, Wiehern und Bäumen schlug in demselben Augenblick an sein Ohr und gleich darauf der Galopp der Rosse, die, von dem Schlagen der beiden verbrannten Thiere erschreckt, nicht mehr zurückgehalten von den Leinen und durch den Knall der Flinten in Furcht gesetzt, in wildem Rasen davon rannten.

Die ganze noch übrige Bande stürzte sofort nach dem Ausgang

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der Schlucht, aber der Schnellfüßigste hatte noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als eine Kugel ihm durch den Leib fuhr und gleich darauf der Nächste fiel.

Die acht Puelches flüchteten jetzt, ihr Kriegsgeschrei ausstoßend, so schnell sie konnten, unter den hohen Uferrand, von dessen Höhe sie die letzten drei Schüsse kommen gesehen, in der Meinung, daß dort die größere Zahl ihrer Feinde verborgen sei, und in der Hoffnung, daß die fast überhängende Wand der Schlucht ihnen Schutz gewähren könne; denn der Boden der Quebrada bot ihnen, mit Ausnahme einiger dünnen Bäume, keinerlei Versteck.

Felsenherz wußte jedoch, sehr wohl, daß es zu gefährlich sein dürfte, sich auf ein langes Gefecht einzulassen oder eine List der Wilden abzuwarten, und ohne sich die Zeit zu nehmen, seine Büchse wieder zu laden, steckte er seine Bibermütze auf den Lauf und hob sie vorsichtig seitwärts auf einen Zweig des Gebüsches. Sogleich feuerten die drei mit Karabinern bewaffneten Indianer in dieser Richtung und die anderen schossen ihre Pfeile dahin ab, aber der Waldgänger war ein zu alter und erfahrener Krieger, um das nicht vorausgesehen und sich gehörig gedeckt zu haben. Die Kugeln rasselten dnrch die Zweige und Blätter, und nur ein Pfeil streifte kraftlos seinen Arm, ohne ihn zu verwunden.

Felsenherz ließ ein höhnendes Lachen erschallen, das die Indianer zur Wuth entstammte, und wie vorsichtig und feig auch sonst ihre Natur sein mochte, riß dieser Hohn sie doch fort, und sie stürzten zusammen aus dem Versteck und nach der gegenüberliegenden Wand der Quebrada.

Die ganze Bewegung war so rasch vorgegangen, daß auch der Engländer keine Zeit gefunden, seine Gewehre wieder zu laden. Auf die geringe Entfernung vertrauend, bediente er sich daher seiner Revolver und feuerte rasch hinter einander fünf Schüsse ab, die zwei der Puelches verwundeten, ohne sie jedoch zu tödten.

Diese neue Niederlage erhöhte die Verzweiflung der Angegriffenen noch mehr und Taloga, in der Gefangenen die Ursache des Angriffs glaubend, ergriff einen der Speere, deren Spitze die Seinen in der Flamme geglüht, und schleuderte ihn nach der unglücklichen Frau.

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Nur eine rasche Bewegung des zum Glück nicht gefesselten Hauptes rettete sie. Die gewichtige Lanze fuhr so dicht an ihren Schläfen vorüber, daß die scharfe Eisenspitze ihre dunklen Haarflechten durchschnitt und an den Stamm des Ahorn festnagelte.

Taloga hatte kaum das Mißlingen seines Wurfes erkannt, als er ein wildes Geschrei ausstieß und, von seinen Kriegern gefolgt, auf die Unglückliche mit erhobenem Messer zustürzte.

Aniella war verloren, denn der Capitain lud ruhig seine Flinte, ohne sich um ihre Gefahr zu kümmern, als mit der Schnelle des Blitzes die riesige Gestalt des Waldgängers an dem Abhang herunter glitt und fast im selben Moment des Sturzes sich aufraffte und zwischen die Frau und die rasenden Wilden warf.

Ein Schlag der schweren Büchse zerschmetterte dem nächsten der Puelches den Kopf - die Lauernde Schlange entging nur einem gleichen Schicksal, indem der Häuptling sich rückwärts zu Boden warf.

Die Erscheinung dieses furchtbaren Gegners erschreckte die Wilden, aber Taloga war kaltblütig genug, im Augenblick der höchsten Aufregung zu erkennen, daß der Feind über keine Kugel gebot und nur durch seine Körperkraft ihnen gefährlich sei. Indem er seinen Tomahawk nach dem Canadier schleuderte und ihn leicht an der linken Schulter verwundete, versammelte er durch einen Zuruf seine sechs Gefährten um sich und stürzte mit ihnen der Erdwand zu, auf deren Höhe der Engländer seinen bis jetzt so sichern Hinterhalt gefunden.

Dies war das Werk eines Augenblicks. Zwei Schüsse knallten ihnen entgegen, und einer der bereits Verwundeten und ein andrer der Krieger stürzten zur Erde; aber noch immer blieben fünf gefährliche Gegner zurück, und diese erklommen jetzt an verschiedenen Stellen die Erdwand.

Der Waldläufer hatte mit einigen Schnitten seines Messers die Bande getrennt, welche die junge Frau an dem Stamm festhielten, aber der Schreck und die entsetzlichen Eindrücke der letzten Stunde waren zu stark selbst für ihren Geist, und kaum befreit, sank sie ohnmächtig zusammen über die Leichen der beiden erschossenen Puelches.

Felsenherz hatte nicht die Zeit, sich mit ihr weiter zu beschäftigen,

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denn sein >Contract< rief ihn zum Beistand seines Gefährten.

Als er jedoch mit der Gelenkigkeit eines Hirsches nach der entgegengesetzten Seite der Schlucht sprang, nur mit seinem Messer bewaffnet, da er die schwere Büchse bei der Befreiung Aniella's fallen gelassen, warfen sich ihm die beiden Letzten der Indianer entgegen, nachdem sie eine vergebliche Anstrengung gemacht, die Erdwand zu erklimmen, was ihren Gefährten bereits zur Hälfte gelungen war. Es waren zufällig die beiden ältesten und stärksten Männer der Bande, Krieger von Muth und Erfahrung, und mit jener verzweifelten Aufopferung, welche die rothen Kämpfer bei einem nicht mehr zu vermeidenden Handgemenge auszeichnet, beschlossen sie im Augenblick, mit Aufopferung ihres Lebens die Flucht oder den letzten Kampf des Sohnes ihres berühmtesten Kaziken zu decken.

Ihr furchtbarer Gegner war zu dicht hinter ihnen, um von ihren Karabinern oder Pfeilen noch Gebrauch machen zu können, und indem sie Messer und Tomahawk schwangen, stürzten sie mit gellendem Kriegsruf zugleich auf den Canadier los.

Felsenherz begriff in diesem gefährlichen Augenblick, daß er nur einen Stoß oder Hieb mit seiner Waffe werde pariren können und zugleich dem andern ausgesetzt bleibe, und indem er sein Messer fallen ließ, ergriff er mit sicherm Blick und bloßer Faust den bewaffneten Arm jedes der beiden Indianer und drehte ihn mit riesiger Kraft aus dem Gelenk, daß sich das Krachen der Knochen und der weichenden Bänder mit dem Schmerzensruf der beiden Verletzten mischte. Dann die kraftlos gewordenen Arme niederfallen lassend, faßte er den ersten der Krieger, schwang ihn wie ein Kind in die Luft und schleuderte den betäubten Körper über seinen Kopf hinweg mitten in die Gluth des Feuers, an dem sie noch vor Kurzem die Marter ihrer Gefangenen bereitet.

Wandodoh - oder >Büffelauge<, wie der zweite Indianer seiner rothen vorstehenden Augen wegen bei seinem Stamme hieß - sank unwillkürlich bei diesem Anblick von der furchtbaren Körperkraft des Weißen in die Knie, und das Auge starr auf ihn gerichtet, ohne es zu wagen, den unverletzten Arm auch nur zur Vertheidigung zu erheben, empfing er den Faustschlag des

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Canadiers auf sein nacktes Haupt und fiel ohne Laut todt auf sein Gesicht.

Als Felsenherz auf diese Weise sich von seinen Feinden befreit hatte, sah er sich nach seinem Gefährten um diesem Beistand zu leisten.

Aber der Kampf war auch hier bereits entschieden.

Mit einer, bei diesem bizarren, für seine Person so ängstlich besorgten Charakter kaum zu begreifenden Kaltblütigkeit hatte der Capitain die drei Indianer die Erdwand der Quebrada heraufklimmen lassen und erst, als er sie nahe genug sah, um seines Schusses sicher zu sein, erhob er sich und schoß mit dem ihm gebliebenen Revolver die beiden vordersten, ruhig zielend, durch den Leib.

Sie öffneten die Arme, stießen einen wilden Schrei aus, und die Augen mit dem Ausdruck des Hasses und der Verzweiflung auf ihn gerichtet, stürzten sie zurück in den Grund.

Der Engländer verfolgte sie mit befriedigter Spannung, wie sie von Wurzel zu Wurzel vergeblich sich festzuhalten suchten. Noch nie hatte er den ersten Effekt eines Schusses in solcher Nähe beobachten können, und er hatte über dem teuflischen Behagen, das ihn erfüllte, fast das eigene Leben eingebüßt, denn Taloga schwang sich während deß über den Rand der Schlucht, und nur einen einzigen und anscheinend seiner Kraft nicht gewachsenen Feind vor sich sehend, stürzte er auf ihn zu und schwang den Karabiner zum vernichtenden Schlage.

Der Brite sah den Kolben über seinem Haupte schweben und hatte kaum Zeit, sich zur Seite zu werfen, um dem herabsausenden Schlage zu entgehen. Er parirte ihn mit dem Revolver, der ihm aus der Hand geschleudert wurde, und waffenlos sah er sich dem Feinde preisgegeben, der zum neuen vernichtenden Hiebe ausholte.

Dieser Mann, der sich fürchtete, den Finger zu ritzen, der um die Kräuselung jedes Haares seines Bartes besorgt war und Nervenzuckungen beim Stich eines Mosquitos bekam, stürzte jetzt, ohne einen Moment zu zögern, auf den Indianer los, unterlief ihn und umschlang ihn so fest, daß der Karabiner zur nutzlosen Waffe wurde und jener ihn fallen ließ. Im nächsten Augenblick rollten beide Kämpfer selbst fest umschlungen auf den Boden und

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drehten sich wie zwei Schlangen vier, fünf Mal um sich selbst, die Gesichter dicht auf einander gepreßt, die Augen in einander gebohrt.

Aber während der Wilde mit der Wuth und dem Haß der Verzweiflung unter krampfhafter Anspannung aller Muskeln rang, behielt sein Gegner volle Ruhe und Kaltblütigkeit, selbst während sein Gesicht unter der Faust Taloga's, die an seiner Gurgel lag, sich röthete und seine Adern schwollen; denn seine Rechte behielt ebenfalls den Hals des Feindes umspannt und seine Muskeln schienen von Stahl, gegen den die Kraft des Indianers erlahmte, dessen Augen unter dem Druck aus ihren Höhlen zu treten schienen. Taloga öffnete daher seine Hand und suchte das Messer in seinem Gürtel zu erfassen. Diese Bewegung benutzte der Brite, ihn unter sich auf den Rücken zu werfen und ihm das Knie auf die Brust zu setzen. Die Lauernde Schlange machte einen Versuch zum Stoß, aber der Engländer hatte bereits seine Hand dicht unterm Gelenk gepackt, und indem er sie mit einer unwiderstehlichen Kraft niederdrückte, zwang er sie, die scharfe Klinge selbst über den Hals ihres Eigenthümers zu ziehen.

»Dieser Lump von Felsenherz,« murrte der Capitain, »nöthigt mich wahrhaftig, mein bestes Vergnügen zu opfern und diesem Kerl die Gurgel abzuschneiden. Ich bin neugierig, wo er bis morgen einen Andern hernehmen wird!«

Ein Strom von schwarzem Blut sprang aus den durchschnittenen Adern und beschmutzte sein Jabot. »Es ist abscheulich,« jammerte er, »ein anständiges Hemd ist in dieser Wildniß gar nicht zu haben, und dieser Schurke von Indianer thut's mir zum Possen!« Er führte noch ein Mal die zusammengepreßte Hand durch die klaffende Halswunde, daß die Klinge bis auf den Nackenwirbel schnitt; die Augen des Puelches rollten wild, sein Mund öffnete sich schnappend und ergoß Ströme von Blut, und der Körper erbebte in den letzten Zuckungen. -

»Verdammt unfashionable,« sagte der Brite, indem er sich erhob, mit seinem Cambric-Taschentuch das Blut von den Handen wischte und es dann auf die Leiche warf. »Wo zum Teufel bekomm' ich hier Wasser her, um mich zu säubern? Es wird mich meinen ganzen Rest von Eau de Cologne kosten, um mich von

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der Umarmung dieses schmutzigen Burschen zu reinigen, und das, Master Felsenherz,« fuhr er, zu dem Waldgänger gewandt, fort, der eben die Höhe erstieg, »ist allem Ihre Schuld. Sie versprachen mir acht bequeme Schuß, und nun habe ich nur sieben und dazu meine Wäsche besudeln müssen, daß mir der Geruch Migraine machen wird, und meine Manchetten zerrissen!«

»Sparen Sie Ihre Thorheiten, Sir, nachdem Sie gefochten wie ein Mann,« erwiederte rauh der Canadier. »Folgen Sie mir rasch und lassen Sie uns die Frau fortschaffen. Es ist ein blutiges Nachtwerk, das wir gethan, und der Knall der Flinten könnte uns leicht Gefährten dieser rothen Teufel auf den Hals ziehen; denn ich glaube, diesen Mittag die Spuren von mehr als einer Bande bemerkt zu haben. Lassen Sie uns eilig den Ort verlassen, es ist genug des Kampfes!«

»Ei bewahre, Felsenherz - was denken Sie! Drei der Männer müssen noch Athem haben, denn ich zielte mit Absicht unterhalb der Brusthöhle und auf die Lungen, und Sie wissen, meine Hand ist sicher. Ich kann wenigstens bei Denen noch meine Beobachtungen anstellen.«

Der Canadier warf ihm einen Blick des Unwillens zu und stieg, ohne ein Wort zu sagen, wieder in die Schlucht hinunter; der Engländer folgte ihm mit äußerster Behutsamkeit, nachdem er seinen Revolver wieder zu sich gesteckt.

Es war, wenigstens zum Theil, wie er gesagt. Einer der beiden Indianer, welche er bei dem Anlauf gegen die Erdwand getroffen, saß mit dem Rücken an die Seite der Schlucht gelehnt und preßte die Hand auf seine Wunde. Die Kugel war durch die Lungen gegangen und jeder Athemzug ließ das Blut aus seinem Munde strömen. Er erwartetete mit finsterm Blick die Nahenden.

Der zweite Indianer war bereits verschieden, aber der durch die ersten Revolverschüsse leicht Verwundete, der mit der Zischenden Schlange die Wand der Quebrada zu ersteigen versucht und dabei einen neuen Schuß empfangen hatte, ohne daß auch dieser tödtlich war, hatte bei dem Sturz den Fuß gebrochen und wälzte sich hilflos und stöhnend in seinem Blute auf dem Boden, denn er war noch sehr jung und zum ersten Male auf dem Kriegspfad.

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»By Jove!« schnarrte der Capitain, als er zu dem alten Indianer trat, seine Toilette möglichst wieder in Ordnung brachte und nach seinem Lorgnon griff - »dieser Spitzbube da oben hat mir das Glas zerbrochen und in dieser Wildniß ist kein anderes zu bekommen. Fatal - äußerst fatal, sich auf seine eigenen Augen verlassen zu sollen! - Nichts als Unannehmlichkeiten, die mir passiren! - Sie müssen sterben, mein Bester,« wandte er sich zu dem Indianer, indem er seine Uhr zog. »Ich sehe aus dem hellen Blut, das aus Ihrem Munde kommt, daß ich richtig gezielt - der linke Lungenflügel - in fünf Minuten werden Sie bei Ihrem großen Geiste sein und mit den berühmten Kriegern Ihres Stammes auf der Prairie des Paradieses die unermeßlichen Heerden von Büffeln und Hirschen jagen.«

Der kaltblütige Spott oder diese secirende Gleichgültigkeit des Furchtbarsten, was das menschliche Wesen kennt, war wahrhaft grauenerregend!

Der sterbende Krieger, der zum Glück nicht die Rede seines Feindes verstand, rollte seine Augen, während das Blut bei jedem Athemzug zwischen seinen Fingern und seinen Zähnen hervorquoll.

»Assauna-Lungh,« murmelte er, »ist ein tapferer Krieger. Er wird eingehen zu seinen Vätern ohne Klage und indem er den blassen Gesichtern flucht!«

»Sie regen sich unnöthig auf, Lieber,« sagte der Capitain, indem er sich über ihn beugte. »Jedes Wort in Ihrer Lage ist ein halber Mord an sich selbst - sehen Sie, da kommt der Tod - dies Starren der Augen und der Schauder der Glieder - die Kinnlade fällt herunter - schade, daß ich mein Glas nicht habe - jetzt - jetzt sind Sie todt, mein Bester, und ich kann von Ihren Kameraden profitiren.«

Er wandte sich, behaglich die Hände reibend, zu dem jüngern Verwundeten. »Die Reihe kommt nun an Sie - aber ich glaube wahrhaftig, ich habe wie ein Stümper geschossen - die Sache wird zu lange dauern!« Er prüfte überlegend den Revolver, den er in der Hand trug, und richtete das zwinkernde wässrige Auge bald auf die Waffe, bald auf den im Schmerz der dreifachen Wunden sich krümmenden Jüngling. »Ich habe noch nie

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in solcher Nähe einen Schuß durch das Rückgrat versuchen können,« meinte er, »die Gelegenheit wäre vortrefflich!«

Der Revolver, den er bereits gespannt, wurde ihm aus der Hand geschlagen. Der Canadier trug die ohnmächtige Frau auf seinen Armen. »Lassen Sie die Rothhaut sterben, wie Gott es ihr beschieden,« sagte er wild, »und folgen Sie mir, oder bei der Seele meiner armen Mutter, Sie sollen allein hier zurückbleiben an diesem Orte des Blutes.«

Ohne seine Antwort abzuwarten, schritt er mit seiner Last vorwärts, dem Ausgang der Schlucht zu, und wandte sich dann in den Wald nach der Richtung, aus welcher sie gekommen waren.

Der Capitain zauderte einige Augenblicke, ob er dem Führer folgen, oder den Tod seines Opfers abwarten und nöthigenfalls beschleunigen sollte; aber die Besorgniß, allein in der Wildniß zurückzubleiben, überwog, und nachdem er seinen Revolver wieder aufgesucht, folgte er dem Waldgänger.

Die Bürde, welche dieser noch immer trug, schien ihn nur wenig zu hindern, und ohne sich irgendwie über den Weg zu bedenken, schritt er rüstig vorwärts, während der Engländer hinter ihm d'rein trabte.

Bald fanden sie in der That auch die Stelle wieder auf, wo noch die Kohlen des Feuers glimmten, das Aniella hier angezündet. Hier machten sie einen kurzen Halt, um der jungen Frau, die während des Weges ihr Bewußtsein wieder gewonnen, Zeit zu gönnen, sich zu erholen.

Ihr Erstaunen, sich aus der höchsten Gefahr so wunderbar gerettet und befreit zu sehen, war groß. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß ihre beiden Retter bloße Reisende waren und nicht zur Partei ihrer weißen Gegner gehörten, erzählte sie ihnen knrz die Geschichte ihrer Gefangennahme, der Niederlage und Vernichtung der Ihren und ihrer Flucht, ohne den Namen ihres Gatten zu nennen, und wie sie auf's Neue in die Hände noch grausamerer Feinde gefallen war.

Während der kurzen Erzählung hatte der Waldgänger mit geübter Hand das Fell des Jaguars abgestreift, und indem er es über seine Schulter warf, fragte er die junge Frau, ob sie sich stark genug fühle, ihren Weg fortzusetzen; denn ihre Erzählung

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hatte ihn auf den Schluß geführt, daß sie sich in der Nähe der Mission befänden und noch zahlreiche Feinde in deren Umgebung gleich der Bande umherstreiften, die sie so eben vernichtet hatten.

In der letztern Annahme ging allerdings die Besorgiß des erfahrenen Jägers und Kriegers zu weit, denn die Bande Taloga's war die letzte gewesen, die von der Verfolgung der italienischen Legion und Mato-Topah's zurückkehrte; aber allerdings befanden sich an dem diesseitigen Ufer des Uruguay immer noch genug Indianer, um für ihre Sicherheit eine möglichst weite Entfernung wünschenswerth zu machen.

Aniella erklärte, daß sie Kraft genug gewonnen, um ihre Befreier nicht länger aufhalten zu müssen, und der Waldgänger schlug sofort die Richtung nach dem Lagerplatz ein, wo sie ihr Eigenthum und die Pferde zurückgelassen hatten.

Der Capitain, jetzt ganz wieder der süßliche näselnde Stutzer, beeilte sich, der Dame, die möglichst ihre Kleidung geordnet, den Arm zu bieten, aber Aniella erklärte sich kräftig genug, um allein zu gehen, und so setzten sie ihren Weg fort, indem der Engländer die Dame bald mit Bemerkungen über die letzten ihm bekannten Pariser Moden und neuesten Almanachs - Dinge, von denen Aniella keine Silbe verstand, - bald mit seinen empörenden Detaillirungen über den Todeskampf der erschossenen Indianer unterhielt, die ihr Herz noch kränker machten, als es schon durch die Erinnerung der überstandenen Gefahren und des Verlustes von Gatten und Kind sich fühlte.

So gelangten sie an den Ort ihres Lagers, und hier machte Felsenherz, da die Pferde bereits mehrere Stunden geruht hatten, den Vorschlag, sofort aufzubrechen und bis zum Anbruch des Tages in der Richtung nach Südosten weiter zu ziehen, wo, wie er von Aniella hörte, die Niederungen und Ansiedlungen beginnen mußten. Die Absicht, die diesem Vorschlag zu Grunde lag, war, sobald als möglich eine weitere Entfernung zwischen die kleine Gesellschaft und die Scene des letzten Kampfes zu bringen, damit, wenn das Echo der Schüsse andere Indianerbanden oder Gauchos herbeigelockt haben sollte, sie nicht überfallen werden möchten, da das Verfolgen ihrer Spur bei Nacht viel bedeutenderen Schwierigkeiten unterlag.

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Der Capitain machte erst große Einwendungen, indem er es für unmöglich erklärte, seine Bequemlichkeit zu opfern und seine kostbare Gesundheit einer nächtlichen Wanderung auszusetzen; aber die Bemerkung des Waldgängers, daß sie wahrscheilich nur dadurch ihre Scalpe retten könnten, bewog ihn alsbald, seine Zustimmung zu geben, und Felsenherz machte sich rüstig daran, die Pferde zu satteln und das Packroß zu beladen. Der zerrissene Zügel von Aniella's Pferd war bald wieder hergestellt, und nachdem Felsenherz sich mit einer Anzahl Spähne von harzigem Holz versehen, löschte er das Feuer aus und die Gesellschaft machte sich auf den Weg.

Zunächst führte Felsenherz sie zwei oder drei Mal in sich erweiternden Kreisen um das bisherige Lager, machte falsche Fährten in den Wald und schlug erst dann die Richtung ein, die er von Anfang an beabsichtigte.

Der Führer ritt oder ging voran, je nach der Beschaffenheit des Grundes, das Packpferd führend; Aniella und hinter ihr der über jede Mühseligkeit stöhnende Engländer folgten. An den Stellen, wo der Mondschein durch die hohen Wipfel der Bäume in die Säulenhalle des Urwalds niederdrang oder freiere Flächen beschien, setzte die kleine Gesellschaft mit geringerer Mühe ihren Weg fort, in dem Dickicht des Waldes aber, dessen Laubdach weite Strecken hindurch zu einem dichten, jeden Strahl des Himmels ausschließenden Gewölbe wurde, konnte man nur mit Hilfe der angezündeten Holzspähne sich weiter bewegen, deren Schein zugleich dazu diente, die wilden streifenden Thiere des Waldes zu verscheuchen.

Die kleine Gesellschaft setzte ihren Marsch bis eine Stunde nach Sonnenaufgang fort, dann erst hielt der Waldgänger sie für genügend sicher und suchte einen Lagerplatz, um Rast zu halten, da die Kräfte seiner Begleiter und der Thiere erschöpft waren, während seine Muskeln von Eisen und Stahl schienen, die keine Anstrengung berühren konnte. Die junge Frau hatte in den letzten Stunden nur mit seiner Unterstützung sich auf ihrem Pferde zu erhalten vermocht, und als man jetzt anhielt, sank sie halb bewußtlos auf den Boden und verfiel sogleich in einen tiefen Schlaf.

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Felsenherz schlug das kleine Reisezelt des Capitains auf einem Hügel auf, der eine freie Aussicht über die sich lichtende Waldlandschaft gestattete, unter dem Schatten mehrerer hochwüchsigen Kuhbäume oder Palos de vacca, wie der Spanier sie nennt, mit ihren schirmförmigen Kronen, und prächtiger großblättriger Bananen, deren milchartiger Saft und köstliche Früchte ihnen Labung und Nahrung versprachen. Der Capitain erklärte, mit einer Decke auf dem Rasen oder seiner Hängematte vorlieb nehmen zu wollen, und so trug der Canadier die junge Frau in das Zelt und bettete sie dort so bequem als möglich.

Nachdem der Brite unter der Wache seines Begleiters mehrere Stunden im Schatten der Bäume geschlafen hatte, erwachte er gegen Mittag unter der steigenden Hitze des Tages von selbst, dehnte und reckte sich, und begann seine Toilette zu machen.

»Wenn Sie hier ein Paar Stunden Siesta halten wollen, Felsenherz,« sagte er, »so will ich gern die Wache für Sie übernehmen. By Jove! ich bewundere Ihre Ausdauer, aber Sie sind immerhin nur ein Mensch. Es ist eine verteufelte Hitze hier und dieser Platz sehr exponirt. Sie werden schuld sein, daß ich mir vollends meinen Teint verderbe. Bitte, langen Sie mir doch aus dem Gepäck meinen Sonnenschirm her - diese gelben Schufte, die Chinesen und Hindu's, verstehen in der That, was zum Comfort gehört. Ich wünschte nur, ich hatte so eine gazellenäugige Bayadere hier zur Stelle, um mir etwas Luft zu fächeln. Aber vielleicht thut das Frauenzimmer da im Zelt mir den Gefallen - es wäre nicht mehr als billig für die Anstrengung, die ich gestern Abend um sie gehabt habe.«

Der Waldgänger, der unterdeß aus der Milch des palo de vacco und gerösteten wilden Kaffeebohnen, die er auf ihrem Wege von vereinzelten Büschen gesammelt hatte, nebst dem Maté- oder Paraguaythee ein Mahl bereitet hatte, warf ihm einen finstern Blick zu. »Lassen Sie die Miß schlafen, Sir, und stören Sie die Arme nicht mit Ihren Thorheiten,« sagte er. »Wenn Sie nach der Sonne sehen und sich erinnern, daß heute der 30. März ist, werden Sie wissen, daß in einer Stunde unser Contract gelöst ist, und ich werde es niemals zugeben, daß das junge Wesen an unsrer Seite von Ihnen beleidigt wird!«

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Der Capitain lachte hell auf. »Ich glaube gar, Felsenherz, Sie sind verliebt in die Spanierin! Damned! es fällt mir nicht im Traum ein, die hübsche Wittwe beleidigen zu wollen. Aber - bon Dieu - zu was wären denn die Frauenzimmer auf der Welt, als zu unsrer Bequemlichkeit?«

»Es sind hilflose Geschöpfe, Sir, und nur solche verdammten Rothhäute können es über ihr Gewissen bringen, sie zu quälen.«

»Bah - die Schöne da drinnen scheint mir nach ihrer Erzählung ziemlich geeignet sich selbst zu helfen. Aber was die Indianer betrifft - was sagten Sie so eben von unserm Contract?«

»Daß in einer Stunde die Sonne in Mittag steht und er dann zu Ende ist.«

»Nichts da, nichts da, mein Alter - Sie sollen pünktlich Ihre Bezahlung haben, aber Sie bleiben mir noch für eine Rothhaut verpflichtet.«

»Was meinen Sie, Capitain?«

»Nun, zum Henker - Sie können doch den Burschen nicht rechnen, dem ich gestern die Kehle abschneiden mußte? Sechzig Schuß - so lautet unser Abkommen - und ich habe erst, ganz genau gerechnet, wie Sie gestern selbst einräumen mußten, neunundfünfzig gehabt. Demnach fehlt mir noch Einer - und eher lasse ich Sie nicht los!«

»Nimmermehr, Sir - ich bin es müde, Ihr Mordgehilfe zu sein!«

»Pfui, Felsenherz - was sind das für plebejische Ausdrücke!« Der Capitain steckte sich mit freundlichem Lächeln eine Cigarre an. »Aber - auf Ehre, Freundchen, ich bin durch Ihre Eile ohnehin um das Sterben der beiden Kerle gekommen, und ich werde Sie nicht eher loslassen, als bis ich noch einen der rothen Bursche vor dem Rohr gehabt. Legen Sie sich nieder, Felsenherz, und ruhen Sie ein Wenig - Sie werden dann bessern Humors sein, wenn wir nach der Siesta aufbrechen.«

»Sie wollen die Wache halten, Sir, und werden der Müdigkeit nicht nachgeben?«

»Zum Henker, Mann - ich denke, Sie kennen mich! Ueberdies hab' ich wichtige Dinge zu thun. Ich bin seit zwei Tagen nicht rasirt und muß ausseh'n wie ein Barbar. Bitte -

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reichen Sie mir das Toilette-Necessaire da aus dem Gepäck und meine Büchse.«

Er war zu bequem, um aufzustehen und die Hand auszustrecken, und dennoch wußte der Canadier aus Erfahrung, daß, wenn der Engländer ein Mal die Wache übernommen, er sich fest auf seine Aufmerksamkeit verlassen könne.

»Wohl, Sir,« sagte er; »wecken Sie mich nach zwei oder drei Stunden, die Hitze wird dann vorüber sein und ich habe genug geschlafen - wir wollen dann aufbrechen.«

»Bon!« Der Capitain blies den Rauch seiner Cigarre in die Luft und betrachtete bereits sein Gesicht in einem Handspiegel.

Felsenherz warf sich auf der Schattenseite des Zeltes auf den Boden, die Jagdtasche unter seinem Kopf, die treue Büchse in der Hand, und war in wenigen Augenblicken fest eingeschlafen.

Es ist, als ob diese Männer von Stahl, welche die Wildnisse und Einöden des neuen Continents bewohnen, nicht die Bedürfnisse gewöhnlicher Menschen empfänden. Sie ertragen Hunger und Durst, Anstrengungen und Mühseligkeiten aller Art ohne einen Laut der Klage, scheinen die Eigenschaft zu haben, den Schlaf nach ihrem Willen zu beherrschen, und wenn sie - im Schutz eines sichern Verstecks oder der Wache eines zuverlässigen Gefährten - sich ihm überlassen, drängt sich in die wenigen Stunden die neue Kräftigung für Tage, und ihr Ohr bleibt selbst im Schlaf auf der Lauer für jedes verdächtige Geräusch. -


Der Waldgänger mochte etwa eine Stunde ungestört geschlafen haben, als das leise Knacken eines Flintenhahns sein Ohr traf und ihn sofort weckte.

Er hob vorsichtig den Kops, schob, ohne sich zu erheben, seinen Körper bis über den Rand des Zeltes hinaus und schaute sich nach seinem Gefährten um.

Der Capitain bot einen halb komischen, halb drohenden Anblick. Verschiedene Kämme, Bürsten, Pomadenbüchschen und sein Rasirzeug lagen ausgebreitet neben ihm auf dem Rasen, er selbst hockte, den Kopf mit einem Taschentuch umbunden, das Gesicht eingeseift und erst zur Hälfte rasirt, hinter dem Sattel seines Pferdes, die Büchse im Anschlag.

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Das Auge des Waldgängers folgte rasch der Richtung des Laufs und er sah mit nicht geringem Schrecken den Gegenstand, welcher die Besorgniß des Capitains erregt hatte.

Aus einem, etwa dreihundert Schritt entfernten Oleander-Gebüsch kam langsam und vorsichtig die Gestalt eines Indianers hervor, der seine Aufmerksamkeit auf den Lagerplatz der Weißen richtete.

Er trug eine Flinte in der Hand, Messer und Tomahawk im Gürtel, seine Scheitellocke war mit drei Adlerfedern geschmückt und sein Gesicht zeigte jene bunte Malerei, welche die rothen Männer anlegen, wenn sie sich auf dem Kriegspfade befinden.

Einen Augenblick schaute der Indianer umher, dann schien sein scharfes Auge den Feind auf dem Hügel zu erspähen - er that rasch einen Schritt vor und streckte die Hand in die Höhe, mit der Fläche nach Außen gekehrt.

»Vorsicht, Sir - schießen Sie nicht - es kann ein Freund sein!«

Die halblaute Warnung des Canadiers kam zu spät - die Büchse des Capitains krachte, der fremde Indianer that einen Sprung, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden.

»Diesmal,« sagte der Engländer, gemüthlich lachend, indem er sich zu erheben Anstalt machte und den Waldgänger bereits neben sich sah - »diesmal, Felsenherz, hab' ich den Burschen so recht con amore auf's Korn nehmen können; - es ist der beste Schuß, den ich seit einem Jahre gethan, und obschon er eigentlich auf meine eigene Rechnung fällt, soll er Ihnen doch zu Gute kommen. Der Bursche muß die Kugel zwei Zoll unter der Herzgrube haben und lebt sicher noch eine Viertelstunde, so daß wir Zeit haben, ihn zu beobachten!«

Der Waldgänger drückte ihn nieder. »Vorsicht, Sir - jede Unvorsichtigkeit kann Ihnen das Leben kosten, wenn mehr Indianer in der Nähe sind!«

»Ah bah, Felsenherz,« sagte unbekümmert der Capitain, indem er sich erhob - »ich beobachte den Burschen seit fünfzehn Minuten und sah, wie er sich allein heranschlich. Was hat der Kerl? - er macht es uns wahrhaftig bequem und kommt uns den halben Weg entgegen gekrochen!«

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Der Canadier war gleichfalls aufgesprungen. »Lassen Sie uns hin zu ihm, Sir - ich sah, wie er das Friedenszeichen machte - und ich fürchte, der Schuß war übereilt und eine schlimme That!«

Sie liefen Beide dem Indianer entgegen, der mit Anstrengung seiner Kräfte in der Richtung nach dem Lager fortgekrochen war und jetzt, als er sie herankommen sah, am Fuß einer Facherpalme erschöpft liegen blieb.

»Das ist nicht die Malerei der Schurken von Puelches,« sagte der Waldgänger, als er näher kam; »die Farben sind mir unbekannt. Der Indianer ist fast noch ein Knabe, und dennoch trägt er die Adlerfedern bereits auf dem Scalp.«

Beide Männer blieben vor dem Verwundeten stehen, der den Rücken an den Stamm der Palme gelehnt hatte und die eine Hand auf die Wunde gepreßt hielt, die in der That sich an der von dem Schützen angegebenen Stelle befand. Ein Strom von Blut drang bei jedem Athemzuge des Verwundeten zwischen seinen Fingern hindurch.

Sein Gesicht war trotz der Malerei, die es entstellte, von edlem, offenem Ausdruck, und er unterdrückte männlich die Zuckungen des Schmerzes, welche darüber hinflogen, während sein großes dunkles Auge mit einem ruhigen Vorwurf auf seinen Mördern haftete.

»Rothhaut,« sagte der Waldgänger in spanischer Sprache, »ich fürchte, wir haben uns übereilt. Nach den Farben Deiner Malerei gehörst Du nicht zu den Spitzbuben von Puelches!«

Ein Zug stolzen Hohns flog um die zuckenden Lippen des Verwundeten. »Sind die Augen der weißen >Bärenhan Er schlug die blutige Decke von seiner Brust und zeigte die Tätowirung der beiden Geierköpfe. Es war in der That der unglückliche Jüngling - der letzte Zweig von dem edlen und tapfern Stamme der Aroge, den die mörderische Kugel des Menschenjägers getroffen hatte.

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»Ich wollte ein Horn des besten Pulvers d'rüm geben, Knabe, wenn ich eine Minute eher vom Schlafe erwacht wäre,« sagte mit einem ihm selbst noch unerklärlichen Bedauern der Riese, indem er neben dem Indianer niederkniete und Anstalten machte, die Wunde zu untersuchen. »Aber vielleicht läßt sich noch Etwas für Dich thun; Du bist jung und kräftig und kannst die Wunde' überdauern.«

Der Indianer hob drei Finger in die Höhe. »Mato-Topah zählte eilf todte Feinde in der Quebrada - und drei von ihnen haben die gleiche Wunde. Der letzte Aroge geht zu dem guten Jesus und dem großen Geist, der über die Jagdgründe seiner Väter, wie über den Himmel der Christen herrscht!«

Der Waldgänger versuchte, den unglücklichen Jüngling in eine bequemere Stellung zu bringen. »Ich liebe zwar im Ganzen die Rothhäute nicht, Knabe,« sagte er, »und ich habe wahrhaftig keine Ursache dazu, aber es freut mich doch, daß ich es nicht bin, der Dir die Kugel zugeschickt hat.«

»Mato-Topah weiß es! Der Mann mit dem kalten Auge ist ein guter Schütze, aber er hätte nicht in dieses Land kommen sollen, wo des Krieges genug ist, wenn er die Zeichen des Friedens nicht versteht!«

Der Capitain hatte den Sinn der Worte begriffen, obgleich er nur wenig Spanisch verstand. »Zum Henker auch - was braucht der rothe Vagabond hier umherzustreifen!« brummte er; »ich muß meinen sechzigsten Schuß haben, und ein Indianer ist so gut wie der andre; Futter für's Pulver! Futter für's Pulver! sagt der lustige John!«90

»Wie kamst Du zu der Puelches-Bande und warum verfolgtest Du uns, Knabe?« fragte der Canadier den sichtlich schwächer Werdenden.

»Der >Junge Condor< sucht den >Singenden Vogel<. Er gab dem verwundeten Krieger, der um Wasser flehte, sein Cacho91 mit Wasser, und der sterbende Feind vertraute ihm, daß zwei große Krieger der weißen Männer den >Singenden Vogel< von dem Marterpfahl gerettet und ihn davon geführt hätten. Mato-Topah

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folgte ihrer Spur, denn er schwor einen Eid dem >Weißen Adler<, sein Weib zu suchen und ihr Botschaft zu bringen - aber nirgends kann er sie sehen und die Schatten kommen über sein Auge!«

»Wenn ich Dich recht verstehe, so meinst Du das spanische Weib, das wir den Handen der Puelches entrissen. Was ist mit ihr? - sie ist hier, Knabe!«

»Wo? wo? - tragt mich hin zu ihr, wenn Ihr Christen seid! - Heilige Jungfrau, sei gebenedeiet - ich sehe sie wieder - «

Er breitete die Arme empor und versuchte sie aufzurichten - die Schatten des Todes schienen von seinem Antlitz zu weichen, seine Augen strahlten neues Feuer -

Ein Schrei des Schmerzes, der Angst und doch des freudigen Wiedererkennens machte die Männer sich umschauen. Aniella, die der Schuß aus dem tiefen Schlaf geweckt, die in Besorgniß das Zelt verlassen hatte und - ihre Beschützer am Fuß der Palme um einen Fremden beschäftigt sehend - sogleich herbeigeeilt war, erkannte mit dem scharfen Auge des Weibes, trotz seines wilden Kriegerschmucks, den jungen Indianer, der im Kampfe ihr Leben beschirmt, und stürzte auf ihn zu.

»Mutter Gottes! was ist geschehen? Wie kommt der indianische Knabe hierher? Santa Aloysia - wer hat das gethan? Laßt ihn nicht sterben, ohne daß er mir Nachricht giebt von dem Tode meiner Geliebten!«

Der leidende Jüngling zog aus seinem Busen ein gefaltetes Blatt, besteckt mit seinem Lebensblut, und streckte die Hand mit ihm nach der weinenden Frau. »Möge der >Singende Vogel< mit seiner süßen Stimme wieder den Wald und die Ebene erfreuen und seine Thränen trocknen,« flüsterte er - »der >Weiße Adler< ist gerettet und Mato-Topah kann heimgehen zu seinen Vätern, denn er hat sein Wort gehalten!«

»Knabe - um der Heiligen willen - stirb nicht - rede - sprich! José wäre gerettet - wo? wo ist er?« Sie hatte krampfhaft seinen Arm gefaßt und beugte sich mit stammenden Augen über den Sterbenden, der in die Arme des Waldgangers zurückgesunken war.

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»Jetzt kommt der Tod - passen Sie auf, Felsenherz,« flüsterte der Capitain, die Uhr in der Hand. »Ganz das hippocratische Gesicht - ich wünschte nur, er hätte vorher die verteufelte Malerei abgewaschen - und very well - genau fünfzehn Minuten nach dem Schuß!«

Der Canadier schleuderte ihm einen so drohenden Blick zu, daß er unwillkürlich zurückfuhr und schwieg.

»Mato-Topah ist ein Krieger - die Tapferen seines Volkes werden ihn willkommen heißen im Paradiese und die Mutter der Gnaden wird für ihn bitten,« murmelte der Sterbende, den Glauben seiner Väter und die heiligen Lehren seiner Erziehung im Delirium des Todeskampfes vermischend - »wo ist der >Weiße Adler<, daß er der >Großen Medizin< sagt, wie ein Aroge sein Wort gehalten? Ich sehe die Engel am himmlischen Thron und der >Singende Vogel< ist unter ihnen - Mato-Topah ist ein Knabe, aber er erschlug den großen Kaziken der Puelches - er ist - er ist - «

Das Blut gurgelte aus der Kehle - ein Schauder ging durch die jugendlich kräftigen Glieder und sein Haupt sank zur Seite. -

Der Stamm der Aroge war erloschen! - Die junge Frau kniete, aufgelöst in Schmerz und Bekümmerniß, an der Seite des Todten, leise Gebete sprechend, bis der Capitain sie unterbrach, indem er das blutige Blatt, das vor der erhabenen Nähe des Todes bis jetzt unbeachtet geblieben und ihrer Hand entfallen war, aufhob und ihr überreichte.

»By Jove, Mistreß,« sagte er in seinem Idiom, »hätten ich gewußt, daß Sie weinen würden um dieses indianische Mensch - I hätten wollen ihn lassen leben sehre gern. - Aber Goddam! - dieser Brief seind geadressirt an Señora Garibaldi? Was den Teufel - Sie thun doch nicht sein die Gattin von das berühmte Commodore? No - no!«

»Mein Name ist Aniella Garibaldi, Señor,« sagte ernst die junge Frau, nachdem sie das Blatt überflogen und mit einem dankenden Blick zum Himmel an ihre Brust gedrückt - »und Gott und die heilige Jungfrau haben mein trauerndes Gebet erhört und mir den geliebten Gatten erhalten. Sie haben mein

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Leben gerettet, Señor, und ich habe d'rum kein Recht, Ihnen einen Vorwurf zu machen. Aber das Wenige, was ich mein noch nenne' auf der Welt, möchte ich d'rum geben, wenn ich dieses Leben, das Ihre Hand zwecklos vernichtet, zurückkaufen könnte; denn auch er hat nicht nur das meine bewahrt, sondern auch das theurere mir des Gatten gerettet!«

»Auf Ehre, Mistreß - es thun mir selber leid jetzt - aber c'est un fait accompli! was lassen sich da thun?«

»Ich werde für Sie beten, Sir, daß Gott Ihnen diesen - Tod nicht anrechnen möge. Ich glaube Sie der Sorge für mich überheben zu können und ohne fernere Gefahr die Colonia del Carmen erreichen zu können, wohin mein Gatte sich mit den Seinen nach diesen Zeilen gewendet hat, wenn ich die letzte Pflicht an diesem Todten erfüllt habe, wozu mir wohl dieser ehrliche Mann behilflich sein wird.«

Der Waldgänger nickte schweigend und drückte die Hand, die sie ihm reichte. Dann - während die Frau in ihren Gebeten fortfuhr - begann er mit seinem breiten Bowiemesser und seinen Händen ein Grab zu graben.

Der Capitain, der vergebens ein Gespräch anzuknüpfen versucht hatte, ging, eine Zeit lang französische Opern-Melodieen pfeifend oder seine Nägel besehend, auf und nieder, dann erinnerte er sich plötzlich, daß er seine Toilette noch nicht vollendet, und eilte erschrocken zum Zelte zurück, um das wichtige Geschäft des Rasirens fortzusetzen.

Nach einer Arbeit von zwei Stunden, die nur die riesige Körperkraft des Canadiers hatte fördern können, war die Grube lang und tief genug, und der Waldgänger legte unter den Thränen Aniella's den Körper des Jünglings in das Grab und bedeckte ihn mit Erde, Zweigen und Steinen. Indem er sich der Gewohnheit seiner Kindheit erinnerte, als seine Mutter ihn noch beten gelehrt, kniete der rauhe Mann an dem Hügel nieder, der ein edles Herz deckte, wenn es auch unter einer rothen Haut geschlagen, und betete stumm und mit schwer beladener Seele für die des Gemordeten.

Dann stand er auf und ging nach dem Lagerplatz zurück, während er die junge Frau unter der Palme ließ. Dort

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sattelte er das silbergraue Pferd, hing seine Büchse und Jagdtasche um, und den Grauen am Zügel führend, trat er zu dem Englander, der eben mit seiner Toilette fertig geworden war.

»Capitain Peard,« sagte der Canadier, indem er den Gefährten zum ersten Mal mit seinem Namen anredete - »ich bitte Sie, mir den Vertrag zu zeigen, den ich heute vor einem Jahre mit Ihnen eingegangen bin!«

»O, Sie haben ihn erfüllt, mein Alter, ich weiß es,« rief der Capitain, indem er ihm freundlich auf die Schulter klopfte. »Ich bin ganz zufrieden mit Ihnen, und by Jove - Sie sollen es auch mit mir sein, sobald wir nach Montevideo, Buenos-Ayres oder sonst einem vernünftigen Orte kommen, wo man eine Tratte auf London kassiren kann!«

»Das Papier, Sir - das Papier!« sagte, ungeduldig mit dem Fuße stampfend, der Waldgänger.

»Nun, wenn Sie darauf bestehen, Felsenherz - hier ist es.« Er nahm es aus seiner Brieftasche. »Hier sind Ihre drei Kreuze, aber ich sage Ihnen, es ist so gut bei mir aufgehoben, wie bei Ihnen selbst, wenn ich auch jetzt Ihr Schuldner bin.«

Der Canadier riß es ihm aus den Händen und in hundert kleine Stücke, die er in der Luft davon fliegen ließ.

»Ei zum Henker, was machen Sie denn da, Felsenherz?« rief der Capitain erstaunt. »Doch Sie sollen Nichts verlieren dabei, wenn auch meine Unterschrift zerrissen ist. Nun aber, dächte ich, träfen wir Anstalten zum Aufbruch, damit wir vor Nacht noch einige Stunden weiter kommen. Satteln Sie die Pferde und packen Sie das Zelt ein, ich ... «

Der Waldgänger hob die Hand nach der sinkenden Sonne. »Seit vier Stunden, Sir,« sagte er mit finsterm Ernst, »habe ich aufgehört, Ihr Diener zu sein, und Gott möge mir vergeben, daß ich mich vom Teufel blenden ließ, es je zu werden. Unser Contract ist gelöst, Sir - und unsere Wege trennen sich hier!«

»Aber Felsenherz - sind Sie toll? - Ihr Lohn - Ihr Geld - «

»Ich war es, Sir, als der Teufel der Habsucht mich verführte, jenen schändlichen blutigen Handel mit Ihnen zu schließen.

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Behalten Sie Ihr Gold - ich mag es nicht - es klebt Blut daran, das schwer auf meiner Seele brennen wird, wenn meine Stunde gekommen! - Gehen Sie Ihrer Wege, Sir, wie ich die meinen! denn bei dem Andenken meiner Mutter und dem Eid eines ehrlichen Mannes - ich schieße Sie nieder wie einen tollen Wolf, wenn Sie je wieder wagen, auf die Weite einer Büchsenkugel mir zu nahe zu kommen!«

Er kehrte ihm den Rücken und schritt, den Grauen führend, nach dem Platz zu, wo er die junge Frau zurückgelassen.

Der Capitain eilte ihm nach. »Aber Felsenherz - Sie werden mich doch hier nicht allein in der Wildniß lassen! Ich muß für Ihre Rückfahrt nach New-Orleans und Saint Louis sorgen!«

Der Waldgänger kehrte sich um - der Blick, mit dem er nach, seiner Büchse faßte und an das Schloß derselben griff, war so drohend, so wahrhaft furchtbar, daß der Engländer zurückbebte und verstummend stehen blieb.

Felsenherz ging weiter. Als er zu der Dame gekommen, hob er sie auf den Sattel ihres Thieres, und indem er es am Zügel ergriff, schritt er schweigend, ohne einen Blick nach rückwärts zu thun, mit ihm in der Richtung nach Osten weiter.

Der Capitain war ihm einige Schritte gefolgt - dann blieb er stehen und sah dem Paare nach, bis es zwischen den Stämmen der mächtigen Waldriesen verschwunden war.

»Goddam!« murmelte er, »eine fatale Geschichte! Felsenherz ist ein Narr oder hat den Spleen bekommen. Wahrhaftig - ich werde gezwungen sein, mich selber zu bedienen und für meine zarte Gesundheit zu sorgen! Shocking! auf Ehre!«

Er blickte um sich - sein Fuß berührte das Grab des armen indianischen Knaben, der letzten Beute seiner Jagd! - über ihm rauschten die langen Fächerblätter der Palme im Luftstrom gleich Geisterstimmen:

»Mörder!«

»Fatal! sehr fatal! Dies Land und die Menschen sind, auf Ehre! ganz uncultivirt!« Er zog sein Taschenbuch, um den »Sechszigsten« zu registriren.

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Auf nach Europa!

1. Die alte Garde.

Zwischen dem Rio Yi und den Zuflüssen des Lago Mirim, im Norden begrenzt von den Bergketten und Urwaldungen, die von der Südgrenze Brasiliens herüberstreifen, liegt eine weite Ebene, auf der die reichsten Estanciero's und Saladero's92 Montevideo's ihre Besitzungen haben.

Eine der größten und reichsten war die Estancia del Carmen, dem Marquis Fourichon de Massaignac, einem Offizier der alten Kaisergarde und aus einem der edelsten Geschlechter Frankreichs stammend, angehörig.

Der Marquis, im Jahre Achtundachtzig geboren, war als Knabe - nachdem seine Familie theils ausgewandert oder meist unter dem Messer der Guillotine gefallen war - in den Händen eines alten Soldaten zurückgeblieben, der auf den Besitzungen seines Vaters geboren war und jetzt einige Wohlthaten an dem Kinde vergalt, indem er ihm die seinem Begriff nach beste Erziehung gab, wie sie zu einem Soldaten und einem enthusiastischen Anhänger des aufgehenden Sternes des ersten Consuls erforderlich war. Zehn Jahre alt, machte der Knabe bereits als Tambour den Feldzug nach Egypten mit, wurde im achtzehnten nach der Schlacht von Austerlitz zum Lieutenant in einem Husaren-Regiment ernannt und von der Hand des Kaisers selbst bei Eßlingen mit dem Kreuz der Ehrenlegion dekorirt.

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Sein Pflegevater war bei Austerlitz gefallen, und seitdem hatte der junge Offizier den in der Revolutionszeit abgelegten Namen seiner Familie wieder angenommen. Es ist bekannt, daß Napoleon die Mitglieder des alten Adels auf alle Weise an sich zu fesseln suchte und protegirte. Dies war auch mit dem jungen Offizier der Fall, der fortan sein Schicksal unauflöslich mit dem Stern des Kaisers verbunden sah. Ein unglückliches Duell hinderte ihn, den Feldzug nach Rußland mitzumachen, und während er in den Bädern von Bagnères Heilung suchte und fand, machte er hier die Bekanntschaft eines reichen Estanciero's von Montevideo und seiner schönen Tochter Carmen, mit der Jener Frankreich bereiste.

Die Feldzüge von Achtzehnhundert dreizehn und vierzehn unterbrachen diese Bekanntschaft und führten den jungen Capitain auf's Neue auf die Schlachtfelder, wo er sich Ehren und Rang erwarb.

Als Major und Escadronschef fand ihn die Restauration, die gern seinem alten Namen Rechnung getragen, wenn er sich nicht bei jeder Gelegenheit als enragirter Bonapartist gezeigt hätte. So war denn auch kaum die Nachricht von der Landung des Kaisers erschollen, als er mit Ney und Labedoyère die Fahnen der Bourbonen verließ und zu den napoleonischen Adlern eilte.

Zum Obersten des zweiten Regiments der Garde-Husaren ernannt, unterstützte er bei Belle-Alliance den Angriff Lobau's gegen die von Ligny anrückenden Preußen und sank mit zerschmettertem Arm unter den Leichenhaufen der Seinen. Ein Zufall und die Menschenfreundlichkeit eines preußischen Offiziers rettete sein Leben, ermöglichte zuerst seine Heilung und schützte ihn später vor der Rache der Bourbonen, die alle Diejenigen suchte, welche zu dem >Ursurpator< übergegangen waren. Oberst Massaignac entkam nach England und schiffte sich hier nach Süd-Amerika ein, wo schon damals der Kampf der Föderalisten und Unitarier den Abenteurern und Flüchtlingen aller Lander ein reiches Feld bot. Hier in Montevideo fand der siebenundzwanzigjährige Oberst seine Freunde aus den Bädern von Bagnères wieder, und ehe zwei Jahre vergangen, war er der glückliche Gatte

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der schönen Carmen und einer der reichsten Heerdenbesitzer der Banda Oriental.

Zehn Jahre vor der Zeit unserer Geschichte war die Gattin des Obersten gestorben und hatte ihn im Besitz der beiden jüngsten ihrer Kinder, eines Knaben und eines Mädchen, zurückgelassen, von denen der erste damals zehn, das Mädchen acht Jahre zählte. Der Marquis hatte sich längst ganz in das freie kräftige Leben der Pampas eingewöhnt, dessen Sitten und wilde Genüsse sich mit den Erinnerungen seiner Jugend in seine Zeit theilten. Obwohl ihm sein Reichthum und die Länge der Zeit die Rückkehr nach Frankreich erlaubt hätten, zog er es vor, auf der Estancia zu bleiben. Aber die Sympathieen für sein Vaterland, die Erinnerungen seines stolzen Namens und seiner eigenen Jugend verließen ihn nicht und bewogen ihn, seinen Kindern eine ganz französische Erziehung zu geben, indem er seinen Sohn Amadé in die Armee von Algier treten ließ und seine Tochter, die nach ihrer schönen Mutter genannt wurde, in eine Pariser Erziehungsanstalt schickte, wo sie fünf Jahre blieb.

Der Takt des Marquis, mit welchem er mit beiden kämpfenden Parteien verkehrte, ohne sich in den herrschenden Streit zu mischen; - die willigen Opfer, die er häufig Rosas und seinen Generalen gebracht, hatten ihm von diesem einen Schutzbrief verschafft, während auf der andern Seite ihm der europäische Einfluß, namentlich zur Zeit, als Graf Walewski französischer Geschäftsträger in Montevideo war, vor jeder Belästigung schützte, die ohnehin gewöhnlich mehr die am La Plata selbst oder unmittelbar an der Küste wohnenden Landbesitzer traf. Er war bekannt mit allen hervorragenden Führern beider Parteien und alle hatten zu Zeiten Schutz oder eine freundliche Aufnahme in seiner Estancia gefunden. Indem man ihn noch immer mehr als Ausländer, denn als Montevideer betrachtete, erregte sein politisches Verhalten nicht jenen leidenschaftlichen Fanatismus, mit dem sich die Eingeborenen der La Plata-Staaten in diesem Bürgerkriege verfolgten. -

Dies waren die ziemlich eigenthümlichen, aber im ganzen Lande wohlbekannten Verhältnisse des reichen Estancieros, auf dessen Besitzung wir jetzt den Leser führen.

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Es war am dritten Morgen nach den Ereignissen, die wir zuletzt geschildert, als auf den weiten Flächen, welche die Estancia del Carmen umgaben, ein überaus lebendiges und belebtes Bild sich entfaltete. An dem dunklen braunen Aussehn der Erde, der starren Gräser und der in üppiger waldartiger Fülle wuchernden Distelgebüsche, welche von Strecke zu Strecke aus weite Flächen diesen sanft gewellten Boden bedeckten, und während des Frühjahrs und Sommers eine Hauptnahrung und der Aufenthalt für die im halb wilden Zustand umherstreifenden Vieh- und Pferdeheerden sind, sah man, daß der Spätherbst mit voller Macht herrschte. Einzelne schwere Regengüsse und die Kälte während der Nächte verkündeten den nahen Winter, der freilich unter diesen Breiten sich in andrer Weise als bei uns zeigt, aber dennoch auch gewisse Vorbereitungen erfordert.

Zu diesen gehört vor Allem das Abbrennen der Ebenen, um den frischen Trieben des Frühjahrs neuen Platz zu machen. Zu diesem eigenthümlichen und nicht gefahrlosen Schauspiel war der gegenwärtige Tag von den Estancieros der ganzen Fläche östlich des Yi gewählt.

Die Estancia des Marquis lag auf einem Hügel, unfern des Ufers eines kleinen Baches, der seine Richtung nach Süden nahm und sich in einen Nebenfluß des Rio Yi ergoß. Sie bestand noch, wie zu Zeiten seines Vorgängers, aus einem langen niedern Gebäude von Adobes, oder ungebrannten Lehmziegeln und Fachwerk, mit dem starken Schilf und Colihue-Rohr bedeckt, und da der Oberst ein von Jugend auf an die Strapazen und Gefahren des Kriegerlebens gewöhnter Mann war, hatte er es anfangs aus Gleichgültigkeit, später aus Politik verschmäht, das rauhe und einfache Aeußere seiner Behausung zu verändern, obschon der Besitzer von Millionen selbst in dieser Einöde jeden Glanz und jede Eleganz hätte schaffen können. Das Haus war daher nur größer und ausgedehnter als gewöhnlich, und nur sein Inneres unterschied es zum Theil von ähnlichen Gebäuden.

Wie überall fand sich in der Mitte die geräumige Küche, wo die Peonas und die Vaqueanos93 der Estancia aßen und

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schliefen, zur Rechten die große Stube für den Capataz oder Aufseher, und zwei kleinere Gemächer für den Marquis selbst bestimmt und soldatisch eingerichtet.

Den zweiten Flügel jedoch nahmen drei oder vier Frauengemächer ein, in deren Ausstattung der reichste Luxus der Pariser und Londoner Magazine mit den einfachen Geräthen der Pampas zu seltsamer Weise sich mischte. Ein prächtiger Flügel von Erard stand an der getünchten Lehmwand und Brüsseler Teppiche von den schönsten Mustern bedeckten den gestampften Boden. Von den Balken der Decke hingen kostbare Krystallkronen, und Fauteuils mit schwellenden Polstern wechselten mit plumpen Rohrstühlen, Pferdesätteln und chinesischen Koffern.

Das Gebäude war mit einem tiefen Graben umgeben, über den bewegliche Bretterbrücken zu einer Reihe von Hütten führten, die den verheiratheten Peons oder den fremden Gauchos zum Aufenthalt dienten, die zu gewissen Zeiten des Jahres in den Dienst des Estancieros traten. Hier befand sich auch der Corral, ein von rohen Pallisaden umgebenes Gehäge mit einem Ziehbrunnen, langen hölzernen Trögen und einem Dutzend starker Pfähle, um die Pferde daran zu binden.

Drei ähnliche nur größere runde Umzäunungen von tausend bis fünfzehnhundert Schritt im Durchmesser, gleichfalls mit einem Graben und starken Pallisaden umgeben und mit einem Thor von mehr als acht Ellen Breite, befanden sich in einer angemessenen Entfernung zur Aufnahme der Heerden bei Gelegenheiten, wie die gegenwärtige, bestimmt.

Ueber die Ebene selbst sah man auf verschiedenen höheren Punkten in meilenweiten Zwischenräumen die Rodios oder Sammelstangen aufgerichtet, um welche die Abtheilungen der Heerden in Mitte ihrer Apostaderos oder Weideplätze sich sammeln.

Zwischen den drei größeren Umzäunungen befand sich jetzt für das Schauspiel des Tages die Gesellschaft, zu der unsre Erzählung uns führt. -

Der Commodore Garibaldi war nach einem angestrengten Marsch vor zwei Tagen auf der Villa del Carmen mit dem Rest der italienischen Legion eingetroffen und die erste freudige Kunde, die ihm hier wurde, war die Nachricht von einem glücklichen

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Gefecht, das die Truppen des Präsidenten gegen Oribe in der Nähe von Montevideo bestanden hatten. Obschon durch diesen Erfolg die Waage der Unitarier wieder höher gestiegen, hatte er doch auf den Wunsch des ihm wohlbekannten Obersten seine kleine Schaar unter Marochetti's Befehl nach kurzer Rast weiter nach dem Süden marschiren lassen, und war nur mit François und etwa zwanzig Männern zurückgeblieben, um mit dem Estanciero um den nöthigen Bedarf an Pferden für seine Leute zu unterhandeln und diese dann nachzuführen. Dies fiel glücklicher Weise für seine Wünsche mit der Zeit zusammen, in welcher alljährlich die ungeheuren Heerden der Estancia kurz vor Anbruch des Winters zusammengebracht zu werden pflegen; das Hornvieh, um es vor dem Brand der Ebenen zu schützen und die Auswahl zum Verkauf an die Saladeros zu treffen, die Pferde, um die jungen Fohlen des Jahres auszuzeichnen und die alljährliche Schur der Mähnen und Schweife vorzunehmen, die, in Stränge geflochten, nach Montevideo und von dort nach Europa geschickt werden. Denn Wenige, die in der alten Welt auf den schwellenden Polstern des Divans oder der Matratze ihre Glieder dehnen, ahnen wohl, daß die elastische Fülle aus den unabsehbaren Ebenen des Parana, des Rio Negro oder La Plata stammt.

Bereits am Tage vorher waren die Rinderheerden, wohl 30-40,000 Stück, durch ihre Peons, Paisano[']s94 und gemietheten Gauchos aus ihren verschiedenen Puestos zusammengetrieben unde, nachdem mit Hilfe der Señelos95 die zum Verkauf bestimmten Stiere, diesmal 2000 an der Zahl, abgesondert worden, in die große dazu bestimmte Umzäunung getrieben. Das ausgesuchte Schlachtvieh war den Reseros oder Viehtreibern übergeben worden, die mit ihren Knechten und gemietheten Indios manos die Heerden jenseits der Wasserscheide auf den Weg zur Küste getrieben hatten, wo sie in keiner Gefahr mehr vor dem Abbrennen der Ebene waren. An demselben Tage noch hatte man das Brennen und Auszeichnen des jungen Viehes vorgenommen, denn da die Heerden

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der Estancieros frei über das oft dreißig bis vierzig Quadrat-Leguas96 große, Gebiet der Estancia schweifen, ist jedes Thier mit dem Stempel seines Herrn gebrannt, um es von den Heerden der Nachbarn zu unterscheiden. -

Schon mit Sonnenaufgang hatte am gegenwärtigen Tage das Eintreiben der Pferde, das mehr einer Jagd gleicht, begonnen. Von den Sammelplätzen an den rodios aus wurden die einzelnen Manadas, die wilden unter einem Leithengst stehenden Heerden, und die Tropillas, die kleineren - unseren Postzügen ähnlichen gleichfarbigen - Haufen junger Hengste mit ihrer Madrina - der glockengeschmückten Leitstute - nach den großen Corrals getrieben, wobei es die gefährliche Hauptaufgabe der kühnen Peons bleibt, die einzelnen Heerden von einander zu halten, da sonst leicht ein erbitterter Kampf der Leithengste mit einander entsteht.

Aus diesem Grunde auch wurden die Tropillas in einen besondern Corral, abgesondert von den Manadas, gebracht, während zwischen den letzteren wohl fünfzig oder sechszig jener kühnen Reiter umherjagten, mit Lasso und Bola die widerspenstigen Thiere bändigend.

Diese Männer - die Vaqueanos und Peons - denen sich, auf der Ebene zerstreut, noch wohl hundert ihrer Kameraden, theils Leute der Estancia und Chacareros, oder kleine Ackerbauer, theils zum Dienst des Tages gemiethet, anschlössen, - erschienen gleich ehernen Centauren. Meist von gedrungenem Wuchs und alle von großer Körperkraft, hatte ihr Aussehn durch die großen schwarzen Bärte, die langen Messer im Gürtel oder Stiefel und das verwilderte, hinter ihnen herfliegende Haar etwas Furchterregendes, auffallend Wildes, während ihr Charakter im Ganzen ehrlich und harmlos ist und nur durch zwei Leidenschaften zu wilden Thaten entstammt wird: die Liebe und das Spiel! Den breitkrämpigen Strohhut mit Straußfedern geschmückt, den Poncho um den Oberkörper geschlungen, während die Beine mit kurzen Hosen von grobwollenem Zeuge und hohen Stiefeln aus der Schenkelhaut der Pferde bedeckt sind, an dem rechten Fuß den

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pfundschweren spannenlangen Sporn mit den scharfen Spitzen, so jagten sie im Galopp - denn eine andre Reitart kennt der Bewohner der Pampas nicht - auf den muthigen Hengsten umher, die Ringe des Lassos um den Arm, oder die Bola - die lederumnähten, durch geflochtene Riemen verbundenen drei Steinkugeln - in der nie fehlenden Hand geschwungen, bis Kugel oder Schlinge nach dem gewählten Opfer flog und die Linke des Reiters zugleich den schweren Zaum anriß, daß das Pferd im schärfsten Rennen, wie von einem Blitz getroffen, auf die Hinterschenkel zurückfiel.

Dann sprangen die Paisanos zu dem zu Boden gerissenen Thiere, und im Nu waren die Kamm- und Schwanzhaare abgeschnitten oder das glühende Eisen auf das zischende Fleisch des Schenkels gesetzt; das Thier wurde von der Schlinge befreit und flüchtete schnaubend unter die Heerde seiner Gefährten.

Mit einer wahrhaft wunderbaren Gewandtheit entgingen die Reiter dabei häufig dem Schlagen und Beißen der wüthenden Leithengste, zwischen deren Kämpfe sie sich warfen. Bald völlig auf die Kruppe zurückgebogen, bald auf die Seite geworfen, an Mähne und Bügel hängend, jagten sie dahin, um im nächsten Augenblick, wenn die Gefahr vorüber, sich auf's Neue in den Sattel zu schwingen und den günstigen Augenblick zu benutzen, um den Verfolger unschädlich zu machen.

Auf einer Art erhabener hölzerner Plattform zwischen den beiden großen Corrals der Pferde und des Rindviehes, von der aus man das bunte belebte Schauspiel trefflich übersehen konnte, stand der Haciendero mit seiner Gesellschaft, von Zeit zu Zeit seinem Capataz eines oder das andre der Rosse bezeichnend, das ihm zum Hausdienst der Hacienda behagte oder das er zum Verkauf an seinen Gastfreund, den Commodore, bestimmte. Mit nie fehlendem Blick verfolgten die Vaqueanos und Peons das Thier durch die wirbelnde Menge - die Schlinge fiel, und der Gefangene wurde durch das Thor der Umzäunung nach dem kleinen Corral in der Nähe des Haufes gebracht und dort festgebunden.

Der Marquis war trotz seiner sechszig Jahre noch immer eine stattliche martialische Gestalt, hoch und gerade gerichtet, den alten Soldaten kennzeichnend. Ein buschiger grauer Schnurrbart

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umschattete den Mund, aus dem von den Strapazen der Jugend und dem spätern halbwilden Leben im Freien mit der Farbe unverwüstlicher Gesundheit gebräunten Gesicht blitzten unter dem grauen Haar ein Paar dunkle Augen so kühn und gebieterisch, wie sie nur in der kräftigen Jugendzeit an der Spitze seines Regiments beim donnernden Angriff gegen den Feind gestammt haben mochten. Bei aller Kraft und soldatischer Derbheit prägte sich in der Gestalt wie in dem Gesicht doch unverkennbar ein gewisser Adel aus, und seine französische Beweglichkeit und Lebendigkeit hatte etwas von der spanischen Grandezza und ceremoniellen Höflichkeit seiner neuen Landsleute angenommen.

Der Haciendero trug ein halb militairisches, halb Gaucho-Costüm: einen polnischen, uniformmäßig zugeknöpften kurzen Rock, auf dessen Brust das Kreuz der Ehrenlegion glänzte, kurze spanische Sammetbeinkleider und hohe Stiefeln von Fohlenleder mit schweren Reitersporen. Ein breiter Sombrero von Jipijapa-Stroh schützte ihn gegen die Strahlen der Sonne, und die lange daumendicke Cigarre zwischen den Zähnen vollendete das Costüm.

Der linke Aermel seines Rockes war leer an der Brust befestigt, während an dem rechten Handgelenk eine schwere Peitsche von dem Leder des Flußschweins hing.

Der Oberst war in eifrigem Gespräch mit dem Commodore und einigen seiner Begleiter. Auf den Zügen des berühmten Condottieri lagerte eine düstre Wolke des Ernstes und der Trauer um sein verlornes Weib und Kind. Bereits am Tage vorher hatte der Marquis zwei seiner gewandtesten Diener nach den Ufern des Uruguay abgesandt, um möglichst das Schicksal der Verlorenen zu erkunden. Der Commodore, der längst jede Hoffnung auf das Versprechen und die schwachen Kräfte des indianischen Knaben aufgegeben, hatte einen der Diener mit einem Brief an Urquiza verschen, in welchem er seinem grausamen Feinde die Auswechselung zweier früher gefangenen Milizoffiziere gegen die Freiheit seiner Gattin bot oder ihn zum Zweikampf forderte, wenn er es gewagt, ihr Leides zu thun.

Nahe der Gruppe des Wirthes und seiner tapferen Gäste stand eine zweite, anziehender, freundlicher durch den Reiz der Jugend und Schönheit - es war die junge Marquise mit ihrer

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französischen Kammerfrau und einigen eingeborenen creolischen Dienerinnen nebst vier oder fünf Cabal[l]eros, die eifrig ihr den Hof machten.

Unter der Zahl der Letzteren und offenbar einer der nicht am wenigsten Begünstigten war François, der jugendliche assistente oder Adjutant des Commodore.

Wir haben bereits früher Gelegenheit gehabt, die vortheilhafte äußere Entwickelung zu schildern, die aus dem Knaben, der aus den brüllenden Wogen der Brandung die Flagge der >Itaparika< holte, einen eben so kühnen und stattlichen Jüngling gemacht hatte. Das Leben im Felde und die steten Anstrengungen des Steppenkampfes hatten ihm ein männliches Ansehn über seine Jahre hinaus gegeben, und das offene, kühne und leichte Wesen, was aus seiner Laufbahn als Seemann in die des Pampaskriegers übergegangen war, berechtigte ihn, trotz seiner mangelhaften gesellschaftlichen Bildung, mit seinem gewandtern Nebenbuhler in die Schranken zu treten.

Aber auch auf sein Wissen und die äußeren Formen der Bildung war die Nähe und der tägliche Umgang des Commodore und seiner schönen Gattin nicht ohne veredelnden Einfluß geblieben. Wenn der junge Franzose bei einem steten kriegerischen Leben im Felde auch keine Gelegenheit gehabt, sich viel Büchergelehrsamkeit zu erwerben, so hatten doch die Gespräche und das Beispiel des Führers, der eine besondere Vorliebe für ihn hegte, auf feine Sitten und feine Anschauungen vortheilhaft gewirkt. Es war daher nicht zu verwundern, daß die Augen der schönen Señorita nicht ungern auf ihm verweilten und sie mit jener graziösen Coquetterie, die den Frauen spanischen Stammes angeboren scheint, seine Huldigungen ermunterte.

Aber der Nebenbuhler, mit dem er in die Schranken trat, war in der That nicht zu verachten, um so mehr, als ein offizielles Recht ihm zur Seite stand, da er schon seit ihrer Kindheit der Verlobte der schönen Haciendera war.

Don Alvaro Guzman de Montijo war der Sprößling des alten spanischen Grafengeschlechts der Guzman, das bei den bürgerlichen Kriegen der Carlisten und Christinos auf Seite der Letzteren gestanden, und dessen Mitglieder bei dem Siege der

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Partei zum Theil in hohe Würden gekommen. Don Alvaro hatte als Page im Dienst der Königin Christine gestanden und war bei ihrer Vertreibung mit einigen seiner Verwandten nach Frankreich gegangen, wo er sich später von ihnen trennte und nach der neuen Welt schiffte. Denn da er sein Vermögen verloren hatte und jetzt ein bloßer Abenteurer war, gedachte er einer Verlobung, die seine verstorbene Mutter für ihn geschlossen. Diese war eine Verwandte und Freundin der Señora Carmen, der ältern, mehrere Jahre früher als diese verheirathet, und die beiden Freundinnen hatten, nach der Sitte der spanischen vornehmen Familien, ihre beiden Kinder schon in der Jugend verlobt, der Oberst aber viel zu sehr seine Frau geliebt, um deren noch auf dem Todtenbett wiederholten Wunsch zu widersprechen und ihr Gelöbniß zu brechen.

Don Alvaro zählte gegenwärtig achtundzwanzig Jahre und besaß eine Menge glänzender Eigenschaften, die seiner Braut nicht gerade Ursache geben konnten, mit ihrem Schicksal unzufrieden zu sein, obschon er ihr sonst ziemlich gleichgiltig war. In manchen Beziehungen aber ähnelte sich ihr Charakter in auffallender Weise.

Der Spanier war von Mittelgröße und hagerer, aber ebenmäßiger Statur. Seine Füße und Hände waren klein, aber ein Kenner der Formen hätte sehen können, daß es seinen Muskeln und Sehnen keineswegs an Spannkraft fehlte. Gleich seinem Wuchs war sein Gesicht schmal und dessen Bildung falkenartig. Schmale hochgeschwungene Brauen liefen über der Wurzel der Nase zusammen und bildeten beinahe eine Linie, wodurch die stechenden dunklen Augen etwas Unheimliches bekamen, das jedoch von dem stereotypen höfischen Lächeln, das auf seinem Gesicht lag, gemildert wurde. Ein Physiognom hätte aus den schmalen Lippen des kleinen Mundes und dem ironischen Zug um die Nasenwinkel, den der Schnurrbart zum Theil verdeckte, das Talent der Intrigue und versteckten Ehrgeiz, wie aus den etwas hervorstehenden Backenknochen Schlauheit und Verstand gefolgert. Seine Manieren waren die eines vollendeten Höflings, seine Bildung die eines Weltmannes und seine Unterhaltung bestechend.

Diesen beiden Bewunderern gegenüber, denen sich noch zwei oder drei junge Stutzer aus Montevideo oder Söhne benachbarter

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Hacienderos anschlossen, benahm sich die schöne Tochter des Obersten bald wie eine Königin, die den Fuß auf dem Nacken ihrer Sclaven hält, bald gleich der Manola, deren Coquetterie auf der Alameda die Herzen der Männer fesseln will.

Das creolische und französische Blut mischte sich in dem Aeußern und den Eigenschaften der jungen Dame auf eine eigenthümliche Weise mit einander. Ihr Teint zeigte eine sehr helle Olivenfarbe, sammetartig, wie der Flaum, der auf der Frucht liegt, und gleichförmig, ohne von dem Roth der Wangen unterbrochen zu werden. Nur das dunkle Incarnat der vollen, üppig geworfenen Lippe und das glänzende Schwarz der Brauen und der Wimpern, unter denen sich tiefblaue Augen mit einem verführerisch schmachtenden Ausdruck rastlos bewegten, unterbrach die Monotonie der Hautfarbe. Die Stirn war halb gewölbt, die Nase leicht gebogen und mit weit geöffneten Nüstern von der kräftigen Spitze bis zur Wange versehen. Wenn die volle, von einem leichten dunklen Flaum beschattete Oberlippe, was häufig bei der Lebhaftigkeit ihrer Geberden und Sprache geschah, zurückzuckte, wurde eine glänzende Reihe kleiner spitzer Zähne sichtbar, die dem schönen Gesicht etwas Wildes, Pantherähnliches gaben. Das Oval desselben war schön geformt und von einem schwarzen üppigen Haarwuchs umgeben, auf dem der Sonnenschein röthliche Reflexe schimmern ließ. Das kleine etwas zurückfallende Kinn schloß sich in voller ungebrochener Linie dem schön und kräftig geformten Halse an, und das zurückgeschlagene mantillenartige Capuchon von Rosa-Atlas, mit kostbaren Valencienner Spitzen besetzt, ließ die Farben und Formen dieses köstlichen Kopfes, dieses Halses und dieser Schultern, um die es sich schützend gegen die Strahlen der Sonne schloß, desto eindrucksvoller hervortreten. Die Gestalt der jungen, jetzt achtzehnjährigen Dame war von mittlerer Größe und zeigte bereits die Anlage jener üppigen Wellenformen, die so aufregend für das Auge ist, ohne durch deutsche oder niederländische Fülle das Graziöse und Leichte einzubüßen. Jede ihrer Bewegungen, ihr Spiel mit dem schönen, mit Spitzen besetzten Pariser Sonnenschirm zeigte jenen eigenthümlichen elastischen Zauber, der dem Gang wie den geringsten Bewegungen der spanischen Frauen eigen ist.

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Die Señorita trug hier in der Einöde der Estancias eine reiche und geschmackvolle Pariser Toilette, gleich als wolle sie damit von der halbwilden charakteristischen Umgebung desto coquetter abstechen, und der weiße feine Stoff und der moderne Schnitt ihrer Morgenrobe stand ihrer schönen Figur in der That bezaubernd.

Wie wir bereits erwähnt, in dieser wilden und romantischen Umgebung einzig die Pariser Salondame affectirend, unterhielt sie sich, zum großen Verdruß der anwesenden Creolen, mit den beiden bevorzugten Anbetern meist in französischer Sprache. -

»Es ist wahrscheinlich, Monsieur le Commodore,« sagte der Marquis, »daß ich Sie binnen Kurzem in Montevideo oder doch an den Ufern des La Plata wiedersehen werde, wenn Sie mir nicht das Vergnügen machen, Ihren Aufenthalt auf acht Tage auszudehnen, damit ich Sie begleiten kann; denn eine eigenthümliche Angelegenheit fordert meine Anwesenheit in Montevideo oder Buenos-Ayres, und ich habe bereits an General Oribe geschrieben, um mir die nöthigen Geleitspapiere zu verschaffen.«

»Ist es erlaubt, Euer Excellenz nach der Ursache zu fragen und ob ich vielleicht so glücklich sein kann, Ihnen dabei zu dienen?«

»Es handelt sich um eine Testamentsklausel meines verstorbenen Schwiegervaters und um die Geschichte meiner eigenen Jugend. Sehen Sie jene Tropilla dort von schwarzen Hengsten mit der prächtigen isabellfarbenen Madrina an ihrer Spitze?«

»Ich bewunderte sie längst schon und wünschte, sie gehörte zu der Zahl der Pferde, die Euer Excellenz mir überlassen wollen.«

»Sie gehört dazu und der Capataz giebt eben das Zeichen, sie einzufangen. Aber Sie werden dafür nicht mein Schuldner sein, Monsieur, sondern der eines Fremden.«

Der Commodore sah ihn fragend an.

»Es ist der letzte Rest der Cavallada des Puestos,« fuhr der Oberst lächelnd fort, »der diesen Arm oder vielmehr mein Leben bezahlen soll. Doch hören Sie den Zusammenhang. Sie wissen, daß ich den Arm bei Belle-Alliance verlor. Mein Regiment gehörte zur Reserve, als Grouchy uns verrätherischer Weise die Preußen von St. Lambert her in die Flanke kommen ließ, während Soults Colonnen auf dem Punkt waren, die britischen

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Eisenfronten zu werfen. Die Garde-Husaren waren unter den Truppen, die der Kaiser auf seinen letzten Wurf setzte! Ich seh' ihn noch vor mir, das kalte graue Gesicht, wie er auf seinem Schimmel heransprengte und stumm nach den dunklen Linien des Feindes wies, wie er aus dem Walde debouchirte. »Halten Sie ihn auf, Oberst,« sagte er, »nur eine Stunde! Ihre Generals-Epauletten sind dort!« - Fort ging's im donnernden Carriere - Blüchers Husaren schwärmten bereits über die Ebene und seine leichte Artillerie donnerte todsprühend von den Höhen. Drei Mal kam ich mit dem Regiment heran, die Batterie zu nehmen, und drei Mal mußten wir zurück - die Kartätschen und das Feuer der Jäger, die zur Unterstützung der Batterie herangekommen, räumten die Sattel. Dann kamen die brandenburgischen Kürassiere heran wie eine weiße Wolke und warfen uns über den Haufen. In dem Augenblick, als mein linker Arm von einer Büchsenkugel zerschmettert wurde, spaltete der Pallaschhieb des Offiziers, mit dem ich focht, meine Bärenmütze, und nur die eiserne Platte darin schützte meinen Schädel, aber der Hieb warf mich bewußtlos vom Pferde.«

»So geriethen Sie in die Gefangenschaft der Preußen?«

»Nicht so ganz! Als ich wieder zu mir kam, lag ich an einem Bivouacfeuer und meine Wunden waren, so gut es ging, verbunden. Der preußische Offizier saß neben mir, und obschon mein Säbel ihm arg über die Stirn gefahren war, hatte er für mich gesorgt, als wäre ich sein Waffenkamerad. Durch seine Verwendung kam ich in's preußische Lazareth nach Valenciennes, wo mir der Arm amputirt wurde. Es war das Geringste, was der brave Feind für mich that. Die Spione Ludwigs waren wie die Harpyen hinter uns her, die wir bei der Rückkehr des Kaisers die weiße Fahne verlassen hatten und zu seinen Adlern geeilt waren, und ich war kaum genesen, als ich nach Paris gebracht wurde, um die Untersuchung gegen Ney und Labedoyere zu theilen. Ein Zufall führte mich bei der Ankunft in Paris mit dem Offizier zusammen, dem ich meine Rettung auf dem Schlachtfelde von Belle-Alliance verdankte, und er war es, der sich meiner annahm, meine Flucht vorbereitete und mich, als Courier nach Berlin gehend, in der Kleidung seines Burschen über die

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belgische Grenze brachte und mir die Mittel gab, nach England zu entkommen!«

»Ein braver Soldat und ein wackrer Mann! - Hörten Sie nie wieder von ihm?«

»Er wies die Freundschaft des Bonapartisten zurück und wollte nur als Soldat gegen den Soldaten gehandelt haben,« fuhr der Oberst fort. »Sie wissen, daß ich von England alsbald nach den La Plata-Staaten ging, hier alte Freunde aus der Zeit meines Glückes und Glanzes und Ruhe und ein friedliches Leben an der Hand eines geliebten Weibes fand. Ich weiß nicht, ob mein braver Feind und Retter von damals noch lebt, aber ich hoffe, daß er ebenso glücklich geworden ist, als ich, denn wie ich mich erinnere, vertraute er mir damals, daß in der Heimath ihm ein geliebtes Mädchen seines Standes erwarte, um seine Gattin zu werden.«

»Doch ich begreife noch immer nicht, Herr Marquis, wie Ihre damalige Rettung mit der Tropilla jener prächtigen Rappen zusammenhängen sollte.«

»Mein Schwiegervater kannte meine Geschichte und meine Schuld. Ohne mein Wissen bestimmte er am Tage meiner Hochzeit eine neu von der Regierung an der Grenze seiner Estancia erkaufte Station zum Eigenthum meines Retters im fernen Europa. Die Heerden des Hornviehes und die Manadas, die auf diesem Puesto gezüchtet wurden, waren der wachsende Reichthum eines Europäers, der keine Ahnung von diesem Besitz in den fernen Steppen Amerika's hatte. Ich selbst erhielt erst Kunde davon beim Tode meines Schwiegervaters. Eine besondere Klausel seines Testaments setzte fest, daß die Heerden der bestimmten Station dreißig Jahre lang vom Tag unserer Trauung zum Besten meines Retters verwaltet, und nach dieser Zeit der Ertrag derselben der Familie oder seinem ältesten Sohn überliefert werden sollte als ein Zeichen dankbarer Erinnerung. Gestern war der Tag meiner Hochzeit, die Stiere des Puestos sind verkauft und die Reseros bereits mit ihnen auf dem Weg, die Manadas sind für Sie ausgewählt und mein Rechnungsführer hat das Conto geschlossen. Barbe de Dieu! - es liegen bei meinem Banquier in Montevideo hunderttausend Pistolen in Wechseln auf Lafitte

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in Paris bereit, und es handelt sich nur darum, sie dem rechten Eigenthümer zu überliefern!«

»Mein Gott, das sind mehr als eine und eine halbe Million Lires!«

»Was wundert Sie dabei, Monsieur le Colonel? Das Vermögen Carmens wird davon nicht berührt und die Erbschaft wird beweisen, daß die Soldaten der alten Garde des Kaisers weder Freund noch Feind vergessen!«

»Aber jener Offizier kann längst gestorben sein. Wie wollen Sie ihn auffinden, wenn Sie seit dreißig Jahren nie wieder von ihm gehört?«

»D'rum brauch' ich einen sichern Agenten, den richtigen Erben zu suchen, und darum war die Erbschaft nicht für ihn selbst, sondern seinem ältesten Kinde bestimmt.«

»Wie hieß der Brave?«

»Pardi! Diese deutschen Namen sind so verteufelt schwer auszusprechen! Ich bewahre das Blatt, worauf er ihn selbst geschrieben, in meinem Portefeuille.« Er öffnete die Brieftasche und zog ein kleines vergilbtes Papier hervor. »Lesen Sie selbst!«

Der Commodore las neugierig die Adresse: >Fréderic de Reubel, Lieutenant au service de Sa Majesté le roi de Prusse. Curassiers de Brandebourg.<

»Ein Wechsel, der mit Zinsen bezahlt wird,« sagte er lächelnd, indem er das Papier zurückreichte. »Ich wünsche, daß Sie eine zuverlässige Person finden mögen, der Sie den Auftrag anvertrauen können. Aber was geht dort vor?«

»Barbe de Dieu! Der tolle Bursche ist mitten im Corral und handhabt den Lasso, als wäre er in den Pampas geboren! Das Pferd soll das seine sein, wenn er es zu Boden bringt' - Was wollen Sie, Señor Capataz?«

»Wir sehen nach Westen den Rauch steigen, Excellenza, und die Zeichen an den Rodios. Es ist Zeit, daß wir das Signal zum Anzünden der Fläche geben!«

»Einen Augenblick noch, Señor Capataz - lassen Sie uns sehen, was jener junge Franzose beginnt! Pardieu - was fällt dem Grafen ein? Sind die beiden Narren toll geworden?«

Die Aufmerksamkeit Aller wandte sich der zweiten Gruppe

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zu, wo die Coquetterie der jungen Marquise einen ziemlich gefährlichen Wettstreit hervorgerufen hatte. -

»Sie dürfen nicht glauben, Monsieur, daß ich in Paris ganz meine alten Geschicklichkeiten vergessen habe,« scherzte die Dame. »Monsieur le Marquis erzog mich zu einer Reiterin, und man hat mich in Chantilly mehr als ein Mal bewundert. Mein Bruder war vor zwei Jahren in Paris und führte mich zu den Rennen. Sie sind Kinderspiel gegen unsere Ritte in den Pampas! Auch verstehe ich die Bolas und den Lasso zu werfen!«

»Ich will mich an die Fockraa schnüren lassen, schöne Dame,« sagte galant der Adjutant, »wenn ich nicht überzeugt bin, daß die wildeste Manada vor diesen schönen Augen so fromm wird, wie ein Lamm. Ich möchte Sie wohl auf einem Ritt durch die Ebene begleiten.«

»Das Glück können Sie haben, wenn Sie sich bis morgen gedulden,« lachte die junge Marquise. »Annitta, mein Kind - beginnt morgen nicht meine spanische Woche?«

»Die Señora wissen es,« erwiederte die angeredete Dienerin. »Der Rebozo liegt bereit.«

»Es ist schade - es hätte einen Tag früher sein müssen, aber ich muß Ordnung halten, Messieurs! Sie müssen wissen, Señor Assistente, daß ich meine Wochen habe. Die eine bin ich Pariserin, in der andern gehöre ich Spanien. Alle meine Liebhabereien sind danach geregelt. Pa' hält selbst streng darauf, und ich weiß wirklich nicht, wie er mich lieber sieht. Fragen Sie Monsieur le Comte, ob ich nicht mit jedem Peon um die Wette reite.«

»Der Señor wird es morgen auf seine Kosten erkennen lernen. So viel ich gehört, ritt er noch vor einigen Jahren Segelstangen statt der wilden Pferde der Pampas.«

Der junge Franzose kehrte sich rasch zu dem Spötter. »Mein Dienst auf der >Itaparika<, Señor Conde, hat mich nicht gehindert, ein Soldat der Pampas zu werden. Ich glaube, daß der Dienst in der italienischen Legion eine bessere Schule für körperliche Uebungen und Gefahren ist, als das Parquet der Salons von Paris und Madrid.«

»Ich muß Ihnen bemerken, Señor Assistente, daß der Name

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Alvaro de Guzman mehr als ein Mal unter den Toreadors, der Arena von Madrid genannt wurde!«

»Keine Prahlereien, meine Herren,« lachte die schöne Carmen. »Für zwei Cavaliere wie Sie wird es an Gelegenheit nicht fehlen, hier Ihre Talente zu zeigen, und wer den Sieg davon trägt, soll die Ehre haben, heute eine Quadrille oder einen Fandango mit mir zu tanzen bei dem Fest, das der Oberst den Dienern der Hacienda am Abend giebt!«

»Die Aufgabe, Madame la Marquise, die Aufgabe?«

»Mon Dieu - wählen Sie selbst! Sie müssen wissen, was Sie im Sattel leisten können. Den Señor[e]s hier steht es natürlich frei, an der Bewerbung Theil zu nehmen!«

Es war offenbar, daß sie ihrem Verlobten einen Streich spielen wollte, da sie sehr wohl wußte, daß er es in den wilden Reiterkünsten der Eingeborenen mit diesen nicht aufnehmen konnte und mit der Handhabung des Lassos gar nicht vertraut war. Die Aufforderung der Dame rief ein Jubelgeschrei unter den jungen Creolen hervor, denen die Rolle, die sie den gewandteren Rivalen gegenüber bisher gespielt, schon längst ärgerlich war, und die sich gern unter die wilde, ihrer Erziehung mehr zusagende Beschäftigung der Reiter gemischt hatten. Der Ruf nach Pferden erscholl, und ehe fünf Minuten vergingen, waren die jungen Männer im Sattel und ordneten die Lassos, die ihnen von den Vaqueanos gereicht wurden, um den rechten Arm.

Die junge Marquise, die über der Theilnahme an dem aufregenden Schauspiel ganz vergessen zu haben schien, daß ihre >Pariser Woche< noch nicht zu Ende sei, wandte sich mit erkünsteltem Erstaunen zu ihrem Verlobten, der ruhig am Rand der Estrade stehen geblieben war, nachdem er einem Diener einige Worte gesagt hatte. Eine leichte Röthe färbte seine Stirn, als seine Blicke den gewandteren Rivalen solgten, und seine schmalen Lippen waren scharf zusammengepreßt, sonst aber keine Spur des Aergers an ihm sichtbar, den er empfand.

»Wie, Señor Conde - Sie schließen sich aus von der Bewerbung um meine Hand zum Fandango?« sagte die junge Dame mit spöttischem Ton. »Das ist wenig galant von Ihnen,

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Don Alvaro, und verspricht nicht viel für Ihre Aufmerksamkeit als Gemahl!«

»Adelante! Adelante!« riefen die jungen Hacienderos und sprengten durch die geöffnete Pforte des Corrals.

»Cascaras!« rief das wilde Mädchen - »ich glaube, ich schicke die Pariserin zum Henker vor der Zeit. Sehen Sie, Don Alvaro, wie unser kleine Assistente in den Corral setzt! Hombre! was für ein Mann! Er reitet, als wär' er ein geborner Gaucho!« Sie klatschte in die kleinen Hände und schwenkte ihren Sonnenschirm. »In den Sattel! in den Sattel, amigo mio! wie können Sie einen Augenblick zaudern? Arellanos hält Ihr Pferd!«

Die jungen Männer waren in den Corral gesprengt und hatten die Rolle der Peons übernommen, die sich bescheiden vor den Herren an die Einfriedigung zurückgezogen. Die Pferde rannten noch immer wild durcheinander, die Tropillas sich dicht zusammenhaltend und daher dem Wurf des Lasso schwerer zugänglich. Der junge Franzose hatte sich den kräftigsten der schwarzen Hengste ausersehen, die der isabellfarbenen Madrina folgten, und versuchte durch alle Reiterkünste, ihn von der Heerde zu sondern.

Don Guzman warf einen eisig kalten Blick auf das aufregende Schauspiel, ohne Anstalt zu machen, das ihm vorgeführte Pferd zu besteigen.

»Der Señor Assistente braucht ein Pferd, um General Urquiza und seinen Gauchos zu entgehen,« sagte er mit Hohn. »Es ist in seinem Interesse, das schnellste zu wählen.«

»Pfui über Sie, Don Alvaro! Der Tapferste kann Unglück haben, und Pa' hegt große Achtung vor dem Señor Commodore und seinen Kriegern.«

Der Graf zuckte die Achseln.

»Wer mir gefallen will, Señor Conde,« fuhr die Dame mit Stolz fort, »muß ein Mann von Muth und Kraft sein, kein Mann der Glacé[e]handschuh und der Besorgniß vor Gefahr! - Bravo! Bravo, Señor Assistente! - die Schlinge war trefflich geworfen!«

Die durchbohrenden und doch so kalten Augen des Spaniers ruhten fest und hochmüthig auf ihr. »Sie scheinen der Ansicht,

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Niña,«97 sagte er frostig, »daß ein Mann, der Glacé[e]handschuh trägt und nicht gerade den Stallknecht zu spielen versteht, deshalb keinen Muth haben soll?«

»Sie sprechen ganz meine Meinung aus, Señor,« erwiederte hochmüthig und achtlos das Mädchen, mit ihrem Augenglas die Bewegung der Reiter verfolgend. »Sehen Sie den jungen Franzosen - er hat den Hengst gebändigt! Die Paisanos springen hinzu - er hat den Sieg über Sie davon getragen, Don Alvaro, und mich gewonnen!«

»Noch nicht, Señora, und er möge sich hüten, es zu versuchen!« sagte der Spanier kalt. »Gieb!«

Der Diener, den der Graf abgeschickt, kam auf schäumendem Pferde von der Hacienda daher gejagt und warf sein Roß dicht vor der Estrade auf die Hinterfesseln, daß seine kräftigen Glieder erbebten.

Er trug in seiner Hand einen kurzen starken Degen - der blaugraue matte Stahl zeigte eine echte Toledoklinge.

Ein Jubelruf von dem Corral der Pferde her verkündete den Sieg des Franzosen über den wildesten der Hengste. Die Paisanos warfen sich auf die gebändigten Thiere, bliesen in ihre Nüstern und führten sie aus dem großen Corral.

Der spanische Graf nahm von den Schultern einer der eingeborenen Dienerinnen die flatternde Schärpe von rother chilenischer Seide und breitete sie über die Reitgerte, die er trug. »Mit Erlaubniß, Kind, nimm diese Dublone dafür!«

Dann nahm er das Schwert aus der Hand des Reiters und stieg die Stufen der Estrade hinab.

»Was soll dies bedeuten? Wohin, Señor Conde, wenn ich fragen darf?«

»Señora, Sie erlaubten Jedem von uns, seine Aufgabe nach eigenen Fähigkeiten zu wählen. Ich ziehe vor, Ihnen auf andre Weise, denn als Jockey, zu beweisen, daß es Ihrem künftigen Gemahl nicht an Muth oder Kraft gebricht.«

Er schritt ruhig weiter über den Raum, der die beiden

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Corrals trennte, und näherte sich dem Zugang des für die wilden Rinderheerden bestimmten.

Dies war der Augenblick, in welchem der Ruf des Estanciero die allgemeine Aufmerksamkeit auf seinen künftigen Schwiegersohn lenkte.

Die junge Marquise zog ihre Mantille fester um sich, schloß die Lippen des schönen Mundes und verfolgte mit festem Auge jede Bewegung des ihr bestimmten Gatten, den sie bisher mit großem Uebermuth zu behandeln gewohnt gewesen. Ueber ihre Stirn flog eine Wolke besonderer Gedanken.

Don Alvaro hatte jetzt die kleinere, etwa fünfzig Schritt im Durchmesser große Umpfählung betreten, die vor dem Eingang des großen Corrals sich befand und dazu diente, die zum Verkauf oder zum Zeichnen ausgewählten Thiere von der Masse der Heerde abzusondern. Der Schlagbaum des Eingangs war eben von den Wächtern gehoben und zwei Vaqueanos trieben mit ihren Stachelstöcken einen kräftigen, zweijährigen Stier in den Raum; der Lasso flog um die Hörner des Thiers - ein zweiter um seine Hinterfüße, und mit wüthendem Gebrüll stürzte der Bulle zu Boden. Im Augenblicke sprangen die Paisanos hinzu und setzten das zischende Eisen auf seine Schenkel. Mit einem plötzlichen Ruck riß sich das wüthende Thier los von den haltenden Fesseln, schleuderte zwei der Knechte zur Seite und galoppirte schnaubend durch den Raum.

»Zurück ihr Alle!« befahl die kräftige Stimme des Grafen, »Daß Niemand wage dem Thier zu nahen!«

Die Paisanos sprangen über die Schranken, die Vaqueanos flüchteten nach dem großen Corral, Don Alvaro stand allem in der Mitte des Platzes und schwang die Reitgerte mit dem rothen Shawl dem Thier entgegen.

»Ein Stiergefecht, so wahr ich lebe! Das tolle Mädchen hat gewiß die Sache angestiftet! Kommen Sie heraus, Graf, und setzen Sie nicht unnütz Ihr Leben auf's Spiel!«

Der Spanier hörte oder achtete nicht auf die Worte des Marquis. Das wüthende Thier hatte bis dahin Nichts von der kühnen Herausforderung gesehen, jetzt aber, einen Augenblick in seinem Rundlauf stillstehend, um zu verschnaufen, erblickte es die

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verhaßte Farbe, und den Kopf senkend, daß die dampfenden Nüstern fast den Boden berührten, stürzte es in wilden Sprüngen gerade auf den Grafen zu.

Ein Schrei der Angst erscholl von der Tribüne, aber der Spanier kannte zu wohl die Stimme seiner Verlobten, um sich über das Zeichen der Theilnahme an seiner Gefahr zu täuschen.

Im Augenblick, als der Stier dicht vor ihm war und seine Hörner ihn fast schon berührten, sprang er mit graziöser Gewandtheit zur Seite und das wüthende Thier schoß unter dem rothen Tnch durch, bis es mit dem Kopf gegen die starke Verpfählung rannte. Als es sich umkehrte, schienen seine kleinen schwarzen Augen Feuer zu sprühen und dicker Schaum stand vor seinem Maul. Zwei Mal noch stürzte der Bulle gegen die seine Wuth immer mehr reizenden Farben, und beide Male gelang es dem neuen Matador, im Augenblick der höchsten Gefahr sich glücklich zur Seite zu werfen.

Als der Stier zum vierten Male jetzt herankam, erkannte man aus der festen Stellung, die der junge Mann annahm, daß es jetzt zur Entscheidung kommen mußte.

Die Vaqueanos und Paisanos in und um die Corrals hatten ihre Beschäftigung eingestellt, und mit der Theilnahme, die jedes kühne Thun bei den wilden, auf die Ausbildung der körperlichen Kräfte mehr als der geistigen angewiesenen, Völkern erregt, hing jedes Auge an dem improvisirten Kampf.

Auch François und die jungen Creolen hielten, des eigenen Sieges vergessend, unbeweglich an der Verzäunung, bereit, ihrem Mitrivalen mit dem Lasso zu Hilfe zu springen.

Der Stier schien zu wissen, daß die bisherige Art seines Angriffs seinem Gegner den Vortheil über ihn gab, denn er kam jetzt heran galoppirt, den Schweif hoch in der Luft, die Nüstern erhoben und die Hörner zurückgelegt. Seine schwarzen Augen funkelten und von seinem Maul tropfte der Schaum in weißen Flocken. Erst als er kaum noch drei Schritt von seinem Feind entfernt war, hielt er plötzlich an, stemmte die Vorderbeine fest und senkte den Kopf zwischen sie, um im nächsten Augenblick auf seinen Gegner anzuspringen und ihn auf seine Hörner zu spießen. Aber dieser Augenblick war verderblich für ihn selbst. Man sah

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die schlanke Gestalt des Spaniers sich leicht vorwärts bewegen, der rothe Shawl flog über den Kopf des Thieres, und ehe sich dasselbe von den Falten befreit, verschwand der Degen des Grafen fast bis zur Hälfte der Klinge in dem Nacken des Stiers.

Der Stoß war so sicher und kräftig geführt, gerade in das Gelenk zwischen dem kurzen Hals und den breiten Schulterblättern, daß der Bulle, wie von einem Blitz getroffen, in die Kniee und dann schwerfällig zu Boden stürzte. Er zuckte noch einige Augenblicke mit den Beinen und streckte sich dann verendend.

Ein donnerndes Bravo- und Vivageschrei begleitete diesen Erfolg der Kühnheit und Gewandtheit. Selbst die junge Marquise konnte sich nicht enthalten, lebhaft in die Hände zu klatschen. François war enthusiastisch in seinem Beifall.

»Bravo! bravo! Der Graf hat es vortrefflich gemacht - ich hätte ihm solche Kraft und Sicherheit nicht zugetraut, dem süßen Damenritter,« rief der Oberst. »Ich sah es nicht besser im Cirkus von Madrid, als König Joseph das große Stiergefecht gab und die besten Matadore von Andalusien und Estremadura versammelt waren. Und jetzt, Señor Capataz, wenn es Ihnen gefällig ist, auf mit den Signalen; denn es ist Zeit, daß wir unser Morgenwerk beenden!«

Während der Oberst und der Commodore dem im Triumph von den jungen Männern zurückgeführten Grafen entgegen ging, flog an der hohen Stange des nächsten rodio ein Bündel angezündeter Pfirsichäste in die Höhe, und im Augenblick stammten an zehn Stellen entlang des Flusses die zerstreuten Rohr- und Disteldickichte in Feuer auf, und die Paisanos, die sie angezündet, jagten in rasendem Galopp zu der durch den umgebenden Graben gesicherten Hacienda oder dem Platz, auf dem sich die Gesellschaft befand, zurück.

Don Alvaro, begleitet von seinem Rivalen, dem Obersten und seinen Gästen und dem Haufen der Peons und Diener des Haciendero, nahte sich der Estrade, auf der noch immer die Marquise stand, und schritt mit ruhiger Würde die wenigen Stufen hinauf. Oben angekommen, legte er den Degen, den er aus dem Körper des Stiers gezogen, und die von seinen Hörnern genommene,

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mit dem Blut des Thieres bespritzte Schärpe zu den Füßen des jungen Mädchens nieder.

»Señora,« sagte er mit jener stolzen Höflichkeit, welche stets den Spanier auszeichnet - »Ihr unwürdiger und gehorsamer Verlobter erlaubt sich, die Beweise zu Ihren Füßen niederzulegen, daß auch die Erziehung der Salons in Madrid nicht ganz alle körperlichen Uebungen auszuschließen pflegt, die Sie so sehr an den edlen Caballeros dieses Landes bewundern. Da ich mich auf den Wurf des Lasso nicht verstehe, habe ich versucht, auf andre Weise mein Anrecht auf Ihre Hand für das Fest dieses Abends aufrecht zu erhalten.«

»Und Sie haben sie verdient, Señor Conde,« erwiederte kokett die Schöne. »Ich gestehe es zu, ich muß Sie, ohne diesen Caballeros zu nahe treten zu wollen, in dem Wettkampf der Gewandtheit und Geschicklichkeit als Sieger erkennen.«

»Ich, hoffe, Señora, es immer zu bleiben!«

Der Blick der dem ihrigen begegnete, war demüthig, ehrerbietig, aber dennoch fühlte Carmen, daß ein gewisser versteckter Triumph, eine heimliche Drohung darin lag, und ihr schönes Gesicht überflog eine rasche dunkle Röthe.

»Wir wollen sehen, Señor Don Alvaro!«

Dann, sich niederbeugend, nahm sie die blutbespritzte Schärpe und schlang sie um ihre Taille.

»Was machst Du, Kind? - Du befleckst ja Dein Kleid!«

»Quien sabe! was thut es? Señor Don Alvaro hat mir einen so blutigen Beweis seiner Zuneigung gegeben, daß ich ihm beweisen muß, ich fürchte seine Art nicht. Aber sehen Sie, Señor Assistente, das prächtige Schauspiel. Ich habe es lange nicht gesehen und es erweckt in mir alle Erinnerungen der Kindheit.«

In der That war der Anblick, der sich entfaltete, ein eben so überraschender als großartiger.

Die Ebene war, wie wir bereits erwähnt, auf großen Strecken mit den jetzt vertrockneten mannshohen Distelbüschen bedeckt, die üppig auf den Pampas und den Apostaderos98 Südamerika's wuchern. Die angezündete Flamme verbreitete sich mit rasender

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Schnelligkeit über das dürre hohe Riedgras, das die Zwischenräume bedeckte, lief an den Büschen empor und erhob gleichsam feurige Berge aus diesem knisternden Gluthmeer, das sich weiter und weiter schlängelte.

Die Umgebung der großen Corrals, die überdies durch die um die Verzäunungen laufenden Gräben geschützt waren, konnte von den fliegenden Flammen nicht berührt werden, da hier, theils durch die Bemühung der Paisanos, theils durch die Hufe der Tausende von Thieren, jede Spur von Pflanzenwuchs vertilgt war, der dem Feuer hätte Nahrung geben können, so daß die Gesellschaft sich eben so sicher auf der Estrade befand, wie die Thiere in den Corrals. Dennoch erhoben dieselben bei dem Anblick des Feuers und dem Geruch des Rauchs ein Brüllen und Wiehern, das weit über die Ebene scholl, und rannten wie toll durcheinander.

In diesem Moment faßte der Commodore den Arm des Haciendero und deutete nach Osten. Der Wind kam von Süden her und der Rauch war an den meisten Stellen noch niedrig und in breiten Lücken über den Boden geballt, so daß von dem höhern Standpunkt, den die Gesellschaft einnahm, man darüber hinweg und die noch freie Ebene weit übersehen konnte.

»Dort scheint sich einer Ihrer Reiter verspätet zu haben, Monsieur le Colonel, der Mann wird doch keine Gefahr laufen?«

»Carámba! - der Bursche verdient zu verbrennen, wenn er so fahrlässig gewesen ist. Wer fehlt von den Rodiomännern, Señor Capataz?«

»Niemand, Excellenza, so viel ich weiß. Heda, Bursche - sind die vier Feuerwächter von den Rodios zurück?«

»Hier sind wir, Señor Eapataz!«

»Dann, Excellenza, ist jener Mann ein Fremder, und wenn er nicht die Gebräuche und Hilfsmittel der Pampas kennt, wird er in große Gefahr kommen.«

»Mir scheint, daß es ein Reisender ist, denn er kommt auf dem Wege von Corralva daher.«

Aller Augen waren auf den fernen Reiter gerichtet, der noch mehr als eine halbe Legua entfernt sein mochte, aber bei der Duchsichtigkeit der Luft doch deutlich erkennbar war, wenn nicht

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der jetzt immer höher wirbelnde Rauch ihn von Zeit zu Zeit verbarg.

»Wenn er eine Ahnung hat, daß zu seiner Linken der Fluß ist, und er sich in dieser Richtung hält, wird er sich mit leichter Mühe schützen,« meinte der Capataz.

»Santa virgem! - Blicken Sie dort hin, Caballeros - dort ist die Gefahr weit schrecklicher! Himmel - die armen Leute sind verloren, wenn Niemand ihnen beisteht!«

Aller Blicke wandten sich von dem fernen Reiter ab und der Richtung zu, nach der Carmen wies, die zufällig unter dem Eindruck, den die Gefahr des Fremden machte, den Horizont mit ihren Augen durchlaufen hatte.

»Barbe de Dieu! Ist denn heute der Teufel los mit solch' unsinnigen Narren? Wo kommen die Thoren her, um sich selbst den Tod in dem Steppenfeuer zu geben?«

Zwei Gestalten sah man in der Richtung des fernen Waldsaumes nach Norden zu auf der Spitze einer leichten Erhöhung hervortreten, die bisher ihre Annäherung verborgen hatte. Sie waren ziemlich eben so weit wie der Reiter im Osten entfernt, aber offenbar in größerer Gefahr, da dort die Dickichte der Disteln und Rohrniederungen weit größer und zahlreicher waren, und der Wind die wandernde Feuersbrunst gerade auf sie zutrieb.

Durch die weite Oeffnung, die derselbe Luftstrom, welcher die Gefahr erhöhte, in die ballenden Rauchwirbel riß, konnte man die fernen Gestalten einige Minuten lang deutlich sehen. Es waren zwei Personen, die eine zu Pferde, die andre zu Fuß; beide hielten dicht zusammen auf der Spitze des Hügels und schienen in einer Berathung begriffen, wie sie der drohenden Gefahr entrinnen könnten. Im nächsten Moment schlossen die Rauchwolken wieder die Aussicht.

»Mein Gott, Señor Coronel, läßt sich denn gar Nichts sür die Unvorsichtigen thun?«

»Ich fürchte, es ist Alles vergeblich, Commodore! Señor Capataz, wissen Sie ein Mittel?«

»Hört - ein Schuß! Sie geben ein Signal - sie rufen um Hilfe! Heilige Margaritta - stehen Sie ihnen bei, Señores! Helfen Sie! retten Sie!«

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»Señora - es ist vergeblich - der Boden, über den die Flamme gelaufen, ist für eine halbe Stunde ein glühender Rost, kein Fuß kann ihn betreten!«

Die junge Dame war in die Knie gesunken und barg schaudernd ihr Gesicht in die Hände.

Wieder öffnete ein Windstoß den Rauch - wieder sah man die Gruppe.

Die Person zu Pferde hielt noch unverändert auf derselben Stelle und schien mit einem Tuch zu wehen, der Fußgänger schien gebückt auf dem Boden beschäftigt.

»Carámba! - sie müssen mit den Sitten der Pampas vertraut sein. Aber es wird ihm nicht gelingen, Boden genug frei zu machen, ehe die Flamme sie erreicht, und in dem Rauch müssen sie ersticken, wenn sie dort bleiben. Warum giebt der Thor nicht seinem Pferde die Sporen und versucht wenigstens allein den Wald zu erreichen und sein Leben zu retten. Carájo! ich glaube wahrhaftig, es ist ein Weib dabei!«

»Ein Weib?!« - Die Worte des erfahrenen Capataz riefen das Echo des Schreckens hervor aus dem Munde der Umstehenden.

»Ein Weib? Barmherziger Gott - wir müssen sie retten!«

»Hundert Piaster, Leute, dem, der den Ritt wagt!«

Aber das großmüthige Gebot des Haciendero fand keine Antwort. Selbst die kühnsten Vaqueanos wußten, daß es unmöglich sei, in dem Rauch, der jetzt dichter und dichter Alles umhüllte, den Weg zu finden, und daß der Fuß eines Pferdes oder Menschen den brennenden Boden betreten könne.

Ein allgemeines Schweigen erkannte die Unmöglichkeit an und war wie das stumme Todesurtheil der Unglücklichen.

Carmen schluchzte laut - die Mädchen jammerten und beteten.

»Halten Sie die Richtung fest, Señor Commodore, in der Sie die Leute gesehen!« klang plötzlich eine frische und kräftige Stimme. »Heran, Männer, und haltet ein Pferd bereit, das stärkste und schnellste, das gesattelt ist!«

Die Marquise sah mit einem neuen Hoffnungsstrahl in den Augen empor. Der Commodore kannte gleich ihr die Stimme.

»Was willst Du thun, Francisco, mein Sohn? was hast Du?«

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Der junge Offizier, der so rasch, als es seine Last erlaubte, von dem Corral der Rinder daher eilte, schleppte die Stierhaut hinter sich her, welche die Paisanos alsbald von dem durch die Hand des aristokratischen Matadors erlegten Bullen abgezogen hatten.

»Ein Pferd herbei! ein Pferd! - Taucht einen Poncho ins Wasser! - Schnell einen Lasso in Riemen geschnitten!«

Der Befehl eines entschlossenen Mannes - obschon noch Niemand begriff, wo hinaus er wollte - übte einen elektrischen Einfluß. Einige der Peons kamen mit dem kräftigen Hengst herbei, den der junge Franzose vorhin geritten, andere weichten ihre Ponchos in die Rinnen von Rohr, die vom Brunnen der Hacienda nach den langen Holztrögen der Corrals führten.

Der Offizier hatte sich auf den Boden geworfen; sein scharfes langes Messer schnitt die frische, feuchte, von Fett und Blut noch triefende Haut in große viereckige Stücke.

»Haltet das Pferd fest - hinten und vorn! Hebt ihm den Huf auf!«

»Bei den heiligen Märtyrern! Der Señor hat das einzige Mittel gefunden, durch die Flammen zu kommen!« Der verständige umsichtige Capataz hatte alsbald die Absicht des Jünglings begriffen und half ihm mit enthusiastischer Bewunderung. In zwei Minuten waren die Hufe und unteren Beine des Pferdes bis zum Kniee mit den Stücken der Stierhaut, die feuchte, frische Seite nach außen, umwunden und diese festgeschnürt.

»O, Vater - er wird sie retten! ich wußte es wohl!« Das schöne Mädchen hielt ihre Hände freudig gegen den entschlossenen jungen Mann ausgestreckt.

Dieser hatte eine Kapsel hervorgezogen und geöffnet, die an einer Schnur um seinen Hals hing. Es war ein kleiner Compaß, wie ihn Seeleute häufig tragen, und er verglich ihn hastig mit der Richtung, die ihm der Commodore in der jetzt jedem Auge undurchdringlichen Rauchwand bezeichnete.

»Nord-Nord-Ost - zwei Striche zu Ost! - Jetzt, Señor Conde, hoffe ich, Ihnen zu beweisen, daß bei einem Ritt auf den Raaen man auch Manches lernen kann! Ich lasse Ihnen die leichtere Aufgabe - helfen Sie dem Fremden auf der Straße

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von Corralva, indeß ich mein Heil versuche. - Lassen Sie die Glocke der Hacienda läuten, Señor Coronel, damit wir einen Halt für den Rückweg haben, und nun die Ponchos her und Gott befohlen, schöne Dame!«

Er sprang in den Sattel - der Commodore selbst hüllte ihn in den triefenden Poncho - ein zweiter wurde über das Pferd geworfen.

»Die heilige Jungfrau sei mit Ihnen, tapferer Caballero!«

Ein tiefer Spornstich in die Flanken des widerbäumenden Rosses - dann schoß es mit der Schnelligkeit des Pfeils in die wirbelnde Rauchwand, die im Nu jede Spur von ihm begrub. -

Ein reges Leben war jetzt auf dem Platz - die kühne That des jungen Franzosen hatte Alles zur Thätigkeit erregt. Bald erklang die Glocke der Hacienda, die Peons hatten den Madrinas ihre Leitglocken abgenommen und setzten sie um die Corrals her in Bewegung. Reiter, den Capataz an der Spitze, versuchten, am Ufer des Baches entlang, wo bereits das Feuer erloschen war und nur dichter Rauch noch über den Boden ballte, in der Richtung des Weges vorzudringen, auf dem man den fremden Reisenden hatte herankommen sehen.

Diesen Reitern schloß sich Don Alvaro an, dem die fieberische Erregung und Sorge, welche seine schöne Verlobte für den jungen Assistente der italienischen Legion zeigte, unangenehm berührte und die Lippen zusammenpressen machte.

Der Commodore zeigte die größte Besorgniß - wiederholt verließ er die Estrade und versuchte über den Umkreis der Corrals in das Meer von knisternden Flammen und Ranch vorzudringen; aber die Gluth war noch zu groß - das Feuer, wenn auch nicht mehr hoch auflodernd, knisterte fortwährend noch an den Resten der Gräser und Pflanzenkörper hin.

Alles lauschte jedem Laut, wenn auf Augenblicke die Glocke der Hacienda schwieg; die schöne Estanciera hatte nur Sinn und Aufmerksamkeit für die Seite, nach welcher der junge Franzose hin verschwunden war, ohne sich um das Schicksal ihres Verlobten zu bekümmern.

Eine Viertelstunde war vergangen - Minute auf Minute

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verstrich, den Harrenden sich zu Stunden dehnend. Das Feuer war in der Umgebung bereits verlöscht, der Luftstrom vom Wasser her trieb die dünneren und dünneren Rauchwolken vor sich her.

»Itaparika - Hoi - hoh!«

Ein dunkler Körper spaltete die Wolken; auf schnaubendem Pferde, geschwärzt von Rauch, die Haare verbrannt, die Kleider versengt - eine in den Poncho verhüllte Gestalt an die Brust gedrückt, kam der Jüngling daher gesprengt. Das keuchende Roß, gleich dem Reiter die frischere Luft einsaugend, stieß ein pfeifendes Schnauben aus den erweiterten Lungen, als es dicht vor der Estrade in die Knie stürzte - Männer sprangen herbei - Hände streckten sich zur Hilfe aus - dann schwang der junge Offizier die verhüllte Gestalt empor - sein keuchender Mund versuchte vergeblich zu sprechen - seine Hand riß den Poncho auseinander und zeigte eine ohnmächtige Frau - selbst im Bilde des ewigen Schlafes reizend und schön - und legte sie in die Arme des Commodore.

»Barmherziger Himmel - Aniella - mein Weib!«

Der Retter sank ohnmächtig neben dem Glücklichen zu Boden. -


Der Rauch des Steppenbrandes war in meilenweite Ferne verzogen - nur am Horizont wälzten sich seine Säulen noch empor.

Ueber die hin und wieder noch glimmende Fläche schreitet den Corrals zu vorsichtig ein Mann, Zaum und Sattel auf den Schultern tragend. Seine rauhe lederne Kleidung ist von Blut und Rauch geschwärzt, vom Blut des armen Pferdes, mit dessen Tod er das eigene Leben erkauft, vom Rauch des Feuers, das ihm, im geöffneten Leibe des Grauen kauernd, Nichts anzuhaben vermochte. An seiner Bewaffnung fehlt nur das Pulverhorn.

Es ist Felsenherz, der Waldgänger. Er kommt, zu sehen, ob der junge Soldat, der wie ein rettender Engel im Augenblick der höchsten Gefahr erschienen, die Frau glücklich in Sicherheit zu bringen vermocht, die er bis hierher geleitet.

Sie war in Sicherheit! In den Armen des geliebten Gatten erwachte sie zu neuem Leben, noch ehe der junge Offizier, um den Carmen und ihre Dienerinnen eifrig beschäftigt waren,

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sich von der tiefen, durch den eingeathmeten Stickstoff hervorgerufenen Betäubung erholt hatte.

Hundert Fragen kreuzten sich, kurze Worte der überstandenen Gefahren flogen von Mund zu Mund - nur der Gedanke an den verlorenen Engel, in dem sich ihre Liebe vereint, trübte das Glück dieses Wiedersehns.

So traf sie der rauhe, aber biedere Canadier, und der Commodore streckte ihm dankbar die Hand entgegen und reichte sie dann dem Jüngling, den er erzogen und der ihm heute so reich den Schutz gelohnt, und dem ein strahlender Blick aus dunklen schönen Augen wieder die eigene muthige und entschlossene That lohnte.

So trafen sie - den Kreis der Glücklichen und der theilnehmenden jubelnden Freunde - die Reiter, die, den fremden Reisenden in ihrer Mitte, unter Triumphgeschrei heransprengten. Sie hatten den Fremden in der Nähe des Wassers getroffen, wohin er sich, dem Instinct des Pferdes sich überlassend, glücklich gerettet hatte.

Jetzt warf er sich von dem erschöpften Thier. »Briefe aus Europa, Signor Commodore! Gott und diesen wackeren Männern sei Dank, daß ich sie Dir noch zu überbringen im Stande bin!«

»Wie, Sacchi - Du hier? wo kommst Du her?«

»Direkt aus dem Lager der Unseren, die wir mit Sehnsucht Deine Ankunft mit den Pferden erwarten. Aber ich sehe, Dein Zurückbleiben hat Glück gebracht, und ich grüße Sie, Signora, im Namen Aller, die aus jenem mörderischen Gefecht entkommen. Eine Last ist von meiner Brust, daß ich Sie wiedersehe!«

»Die Botschaft, Sacchi, die Botschaft!« Er hielt das treue Weib mit der Linken umschlungen, während er bereits wieder im Gefühl der Pflicht mahnend die Hand dem Freund und Waffengefährten entgegenstreckte.

Der Capitano nestelte eine Ledertasche aus seinem Brustlatz. »Der französische Consul sandte sie durch einen Eilboten von Montevideo mit dem Auftrag, sie nur in Deine Hände zu geben. Marochetti wollte sie keinem Andern vertrauen, und ich übernahm es, sie Dir zu überbringen, was mir beinahe schlecht genug bekommen wäre.« Er reichte ihm das sorgfältig verschlossene

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Schreiben. »Auch für Sie, Signor Marchese, habe ich Zeitungen und Briefe.«

Der Commodore hatte hastig das Couvert geöffnet - neben dem Schreiben des Consuls, das die Mittheilung enthielt, daß am 5ten das Dampfschiff nach Lissabon und Southampton absegele, fiel ein dicht zusammengefalteter und sorgfältig verschlossener Brief heraus. Auf dem Siegel befanden sich ein Sphinx, darüber zwei gekreuzte Dolche.

Der Commodore erbrach bei dem Anblick rasch das Blatt - es enthielt nur zwei Zeilen, die er abgewandt von den Anderen las. Sie lauteten:


»Komm - es ist Zeit! Italien und ich erwarten Dich in Mailand.


»Was zum Teufel geht denn vor in der alten Welt, Monsieur le Commodore?« rief der Oberst. »Haben Sie gleiche Nachrichten aus Europa? Die Orleans sind verjagt - Frankreich hat die Republik erklärt - in Deutschland und Italien sind Revolutionen ausgebrochen und die alten Throne stürzen! Barbe de Dieu! es wird wieder Raum für einen alten Soldaten! - Geschwind lassen Sie uns zur Hacienda, um aus den Zeitungen das Nähere zu erfahren!«

»Ich muß Ihrem gastlichen Hause schleunigst Lebewohl sagen, Señor Coronel. In sechs Tagen muß ich in Montevideo sein - meine Parole lautet: Auf nach Europa!«

»Bravo, Commodore, und vielleicht sehen wir uns bald dort wieder. Aber ich begleite Sie nach Montevideo,« fuhr er leiser fort - »hier ist ein Brief aus London - vom Prinzen selbst! ein anderer von Walewski - große Dinge bereiten sich vor - man braucht mein Geld - Gott gebe es, vielleicht später noch meinen gesunden Arm! Er soll es haben, Beides - denn er ist von seinem Blut! Die alte Garde ist bereit, und hat es nie vergessen, ihr: >Vive l'Empereur!

Der Condottieri, sein Weib am Arm, zog den alten Bonapartisten mit sich fort. Die Offiziere folgten ihnen.

»Um aller Narrheit und aller Thorheit willen - was hat das zu bedeuten, Monsieur le Comte? - Sind sie denn Alle närrisch geworden?«

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»Das bedeutet, schöne Carmen,« sagte der Spanier galant, aber mit einem leichten Hohn, »daß ich Aussicht habe, diese reizende Hand baldigst nicht blos zum Fandango zu erhalten. Erst die Hochzeit und dann - auch wir nach Europa!«

2. Der schwarze Diamant.

Am Strande von Montevideo herrscht buntes Leben. Der Hafen ist gefüllt mit kleineren Kauffahrtei- und Transportschiffen - draußen weit auf der Rhede liegt die Andromède mit der Flagge des Contre-Admirals Leprédour - eine zweite französische Fregatte nebst dem Rest des Geschwaders und der englische Dampfer Centaur mit der Flagge des Contre-Admirals Henderson, denn der flach sich senkende Strand erlaubt es nicht, im Hafen selbst zu ankern. Dort auch steigt die Rauchsäule des >Wellington< empor, des großen Dampfers, der am Tage vorher von Buenos-Ayres gekommen und binnen wenigen Stunden seinen Rückweg über Rio de Janeiro, Bahia, Pernambuco und Lissabon antreten wird, den er in fünfunddreißig Tagen vollenden soll.

Die Ansicht des Landes von der Rhede aus ist nicht schön. Die bis auf den fünfhundert Fuß hohen Berg, welcher der Stadt den Namen gegeben, im Allgemeinen flachen Contouren des Bodens und die Abwesenheit aller Bäume und jeden Grüns geben der Küste etwas Oedes und Düsteres. Die Stadt selbst ist, wie alle spanisch-amerikanischen Städte, schmutzig und trist, und zeigt die Spuren der langen Belagerung. Die Straßen durchschneiden einander im rechten Winkel, die Häuser sind von Stein, groß, aber meist nur Erdgeschosse, selten sich zu einem zweiten Stockwerk versteigend, die bis zum Boden reichenden Fenster im Parterre mit den grün gestrichenen Eisengittern verschlossen. Darüber hinaus hebt sich am plaza mayor die unschöne Kathedrale mit ihrer Kuppel und den zwei Thürmen. Die sonst zierlichere Vorstadt außerhalb der halb verfallenen Befestigungslinien ist gänzlich zerstört.

Aber am Hafen selbst merkt man nur wenig von der Nähe

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des Feindes, hier ist Leben, Handel und Gedräng. Am Strande entlang läuft ein Platz von ziemlich unordentlichem, schmutzigem, aber bunt belebtem Aussehn. In dem flachen Wasser des Ufers bewegen sich eine Menge Badender - selbst Weiber aus den niederen Klassen oft in der einfachen Tracht der Aeltermutter des Menschengeschlechts, - ja sogar Damen machen am Strande ganz ungenirt ihre Toilette. Magere Hunde streifen umher, sich den Abfall aller Arten von Speisen zu suchen; - Damen promeniren auf dem Trottoir, das allein es möglich macht, bei Regenwetter die jämmerlich gepflasterten Straßen zu passiren, zwischeu den Negerweibern mit dem Kleiderbündel auf dem Kopf, der kurzen Pfeife oder dem Cigarrenstummel im Munde, und die übel gestalteten nackten Füße der Letzteren stechen nicht weniger gegen die niedlichen, mit der größten Coquetterie gezeigten Chaussüren ab, als ihre groben und grinsenden Gesichter gegen die reinen und edlen Züge der Anderen. Einem Paar europäischen Marine-Offizieren weicht höflich der Soldat von der Landesmiliz mit seiner plumpen Tracht aus, Pferde stehen ganz lose, aber unbeweglich wie Bildsäulen, hier und dort vor den Häufern und Läden, ihre Reiter erwartend, während andere im kurzen Galopp die ihrigen über den Platz tragen. Ein Priester mit dem ungeheuren Hut à la Basil wandert gravitätisch durch die Menge, und selbst die Damen räumen ihm die innere Seite des Trottoirs und werden durch seine höfliche Verbeugung und seinen Segen belohnt; - spanische Creolen, Savoyarden, Brasilianer, Franzosen, englische Kaufleute, Yankee-Matrosen und Neger und die vielen, zwischen Schwarz, Weiß und der indianischen Farbe vorkommenden Mischungen bewegen sich unter einander. An den beiden Landungsbrücken ist namentlich das Gedränge stark und wird durch die zahlreichen Boote und die großen Lastkarren mit den Rädern von drei Ellen Durchmesser vermehrt, die, von ihren Pferden und Maulthieren gezogen, in's Meer bis zu den Löschprahmen fahren. Der Lärmen von zehn Sprachen unter einander ist ohrbetäubeud.

An der eisernen Landungsbrücke liegt das große Boot des >Wellington<, die letzten Reisenden für das Dampfschiff nach Europa aufzunehmen

Sie stehen unfern der Brücke auf dem Platz, in der Mitte

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ihrer Freunde: - der Commodore, an seinem Arm die heldenmüthige Gattin hängend, François, Sacchi, Marochetti und zwei andere Offiziere der tapfern Legion. Der Rest derselben, der dem Gemetzel an der Mission San Dolores entkommen, ist um sie her versammelt - die nächsten Kauffahrtei- und Auswanderer-Schiffe werden die meisten von ihnen dem geliebten Führer nachbringen an die Gestade der Heimath.

Sie sind am Tage vorher von dem Küstenstädtchen Maldonado, das sich in den Händen der Unitarier befindet, in Montevideo eingetroffen. Hier hat der Commodore seinen Befehl in die Hände des Präsidenten Ribera niedergelegt - er ist ein freier Mann, jetzt gehört er seinem Vaterlande.

In Montevideo hat der Condottieri der Revolution seinen Gastfreund, den Marquis, mit Carmen und ihrem künftigen Gemahl wieder getroffen. Sie sind an ihrer Seite, um die Scheidenden bis zum Boot zu begleiten. Auch Felsenherz, der Waldgänger, ist zur Stelle; das nächste Schiff von Rio de Janeiro oder Pernambuco nach New-Orleans wird ihn in die Einöden der Felsgebirge zurückführen.

Der Oberst nimmt den Arm des Commodore, während Carmen und die junge Frau von ihrem Wiedersehn in Europa sprechen.

»Sie haben alle Papiere, Monsieur le Commodore,« sagt der Oberst; »die Wechsel für Carlton-Terrace99 im Betrage von einer Million auf Fould und Oppenheim in Paris, den vom Notario publico bescheinigten Auszug aus dem Testament meines Schwiegervaters und die Notizen über die Person des Erben. Die Familie muß in der Nähe der preußischen Hauptstadt ihren Wohnsitz haben. Sie versprechen mir, selbst oder durch einen treuen und zuverlässigen Mann den Erben aufzusuchen und ihm das Geld einzuhändigen, das Sie in englische Bankcheks umsetzen werden?«

»Ich gelobe es Ihnen. Ich schulde Ihnen viel, Marquis - Ihre Gastfreundschaft ließ mich mein theures Weib wiederfinden.«

»Brave Herzen verstehen sich, Commodore, unter welchem

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Himmel und unter welchem Kleide sie sich auch finden mögen. Für Ihren Auftrag werde ich keine Mühe scheuen. Ich denke, in Jahresfrist, wenn Alles dort drüben geht, wie ich hoffe, sehen wir uns in Frankreich oder Italien wieder. Gott sei mit Ihnen und mit Ihrem Schwert!« Er reichte ihm die ihm gebliebene Hand - in dem festen Druck verstanden sich die Männer. -

An der Seite der schönen Spanierin stand der Assistente François, bemüht, ein Wort des Scheidens von ihren Lippen, einen Blick der schönen sprechenden Augen zu erhalten; aber die des eifersüchtigen Spaniers bewachten jede ihrer Bewegungen, jeden Laut des Mundes.

Ueber die Rhede her donnerte ein Schuß - der mahnende Signalschuß des >Wellington< für das Boot zur Abfahrt. Der Midshipman, der die Bootsmannschaft kommandirte, nahte sich höflich den Reisenden und mahnte, daß es Zeit sei.

Der Commodore umfaßte die weinende Gattin. »Der Augenblick ist gekommen, Du mußt scheiden von dem Land, das Dich geboren, um dem Manne Deiner Wahl zu folgen auf fremde Erde!«

»O José - mein Kind! mein Kind! dürfen wir es verlassen?«

»Gott allein weiß, ob es noch unter den Lebenden; allem menschlichen Ermessen nach hat er unsern Engel zu sich genommen! Unsere Freunde haben uns versprochen, jede noch mögliche Nachforschung nach ihm und dem treuen Diener anzustellen - das ist Alles, was wir thun können, wo andere nicht minder heilige Pflichten uns rufen! - Lebt wohl, Ihr Freunde - lebt glücklich auf der Erde Amerika's!«

Er unterstützte die halb ohnmächtige Frau und führte sie nach der Landungsbrücke, umdrängt von den Freunden und Gefährten.

Plötzlich öffnete sie - wie von dem magnetischen Strahl der Sympathie getroffen - weit die bisher geschlossenen Angen.

»Haltet ein - laßt mich! - er kommt - er kommt - er bringt mein Kind!«

Sie riß sich los von den haltenden Armen, sie breitete die ihren aus nach dem Platz - über denselben daher auf abgetriebenem Pferde galoppirte ein Neger - seine Hand schwang die

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lange Colihue-Lanze durch die Luft - von seinem Schenkel und seiner Stirn rann das Blut - vor sich auf dem Sattel trug der Reiter ein in den Poncho gehülltes Packet -

- »La-Muerte - der Mohr!«

Die Señora Garibaldi sank in die Knie - sie breitete die Hände nach dem Boten des Glücks: »Wann, sci gesegnet - ich weiß es, Du kommst nicht ohne mein Kind!«

Als der Schwarze, von seinen alten Gefährten umringt, das wilde Steppenpferd anhielt, brach das zum Tode gehetzte Thier zusammen - im Ritt aus Tod und Leben hatte es ihn noch so eben durch die Postenkette der Gauchos Oribe's um die blokirte Stadt getragen, mit einer Kugel im Schenkel und einem Streifschuß am harten Mohrenschädel.

Des Commodore Hand liegt auf seiner Schulter: »Mann - Freund - rede, wo ist unser Kind? Siehst Du nicht, daß das Mutterherz vergeht vor Sehnsucht?«

Der Ashantée beugte sein Knie und schlug das Packet im Poncho auseinander. »Filhinha haben La-Muerte geheißen, Mutter zu bringen ihr klein Piccaninny - hier Alles, was von ihm geblieben sein auf der Welt! Weißer Geist von kleinem weißen Engel sein dort oben beim großen Himmelsgott,« - er breitete sorgfältig das seidene Tuch vor der unglücklichen Mutter aus, das die bleichen Gebeine ihres Lieblings barg - »und hier sein das Herz des Verräthers, wie La-Muerte geschworen!« Sein blutiges Antlitz grinste in teuflischer Freude, als er das verschrumpfte, vertrocknete Glied mit den zerrissenen Adern aus seiner Blätterhülle auf den Boden warf, während Alle scheu entsetzt zurücktraten.

Die unglückliche Frau bedeckte ihr Antlitz mit den Händen und schluchzte laut - kein Auge blieb thränenleer in ihrer Umgebung.

»Unglücksbote - wie ist es geschehen? - rede!« befahl der Commodore.

Der Mohr schüttelte seinen grauen Wollkopf. »Kommen niemals über dieses Negers seine Lippen. Piccaninny todt - böser Pardo auch gestorben - mehr nimma nicht sagen können. Nehmen dies, arme Mutter - wahren es wohl - kommen von

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klein Kind, heilig Obizeichen,« flüsterte er, »und dürfen nimmer wieder die Mutterbrust verlassen!«

Zwischen seinen schwarzen Fingern funkelte es wie noch schwärzeres Feuer - dämonisch, wie der Hölle entstiegen - der schwarze Diamant - und die arme Mutter erbebte in sympathetischem Grauen, als er den furchtbaren Stein in ihre Hand drückte.

Dennoch - wie von unsichtbaren Mächten getrieben - schlossen sich krampfhaft die Finger um die unheilvolle Reliquie. -

Während der Marquis und alle Anderen - selbst der Graf de Montijo - mit der unerwarteten Episode und dem leidenden Paar beschäftigt waren, nahte sich dem jungen Assistenten die schöne Haciendera.

»Wird mein junger Held seine Freundin jenseits des Weltmeeres auch nicht vergessen, wenn er dort drüben in neuen Gefahren den Lorbeer um seine jugendliche Stirn schlingt?« fragte das schöne Weib mit feurigem Blick.

»Señorita - ich war ein Knabe, als ich die Hacienda betrat - mit dem Herzen eines Mannes, der einen Andern um sein Glück beneidet, hab' ich sie verlassen. Dem armen François, der nicht ein Mal einen Namen besitzt, wird der Stern Carmen vorleuchten in jeder Gefahr und ihn begeistern, wenn er auch nicht streben darf nach ihm!«

»Und der Stern Carmen,« flüsterte die Doña, »soll ihm von keiner neidischen Wolke verdeckt sein, wenn wir uns wiedersehen. Ich bin Ihnen noch den Preis schuldig, Señor Francisco, für den Ritt durch's Feuer; - die Hand dem Gemahl - den Handschuh dem Caballero! - Auf Wiedersehn im schönen Frankreich!«

Sie entzog ihm die Hand - aber der seidene duftende Handschuh, das Zeichen ihrer Gunst, blieb in der seinen! Dort der Diamant - hier der Handschuh - die Reliquie der Vergangenheit und das Pfand der Zukunft! -

Zwei Schüsse donnerten rasch hinter einander d'rein über den glänzenden Spiegel der Rhede her - an der Signalleine des entfernten Dampfers stiegen die mahnenden Flaggen empor.

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»Sir,« sagte der Midshipman, »ich muß das Boot abstoßen lassen ohne Sie, wenn Sie länger noch zögern.«

Der Commodore hob die weinende Gattin in seinen Armen empor und trug sie nach der Brücke.

»Lebt wohl, Ihr Freunde - Gott sei mit Euch!«

Felsenherz empfing sie im Boot. Sein Auge maß mit Interesse die kräftige, der seinen ähnliche Gestalt des Mohren, der mit den theuren Resten des Kindes herbeihinkte. Sacchi - Marochetti gaben den letzten Händedruck und sprangen in's Boot.

Die tapferen Krieger der italienischen Legion drängten sich am Ufer - die halbe Bevölkerung von Montevideo bedeckte den Platz, dem scheidenden Helden den Abschiedsgruß zu bringen - auf der Brücke stand der Präsident Ribera mit seinen Adjutanten und begrüßte den Krieger - die Damen wehten mit ihren Tüchern - das Volk schwenkte die Mützen - tausend Stimmen riefen ihr: »à dios! à dios!«

Der Midshipman ergriff das Steuer. »Eingesetzt, Männer - eins - zwei - stoßt ab!«

Das Boot bewegte sich von der Brücke - die sechs Ruder tauchten in's Meer.

In Reihe standen die Krieger der Legion - die Fahne mit den Namen der Stätten ihrer Siege senkte sich salutirend bis zum Boden.

»Evviva Garibaldi

Der neue Achill der Revolution, den ihr Odysseus holte von der andern Hemisphäre, Throne zu stürzen und Reiche zu ändern, stand auf der Bank des Boots - seine Linke um das Theuerste geschlungen, das er mitbrachte aus der Fremde zur heimischen Erde - die Rechte schwang den befiederten Hut:

»Lebt wohl, Brüder! A rivederci in Italia liberata


Als das Boot an der zweiten Brücke vorüberschoß, schauderte plötzlich die weinende Frau zusammen und ihre Haud wies zitternd nach der drängenden Menge:

»Dort! - dort!«

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Die Faust des Waldgängers ballte sich um den Lauf seiner Büchse - sein sonst so ruhiges Auge sprühte Feuer.

Dort unter der Menge, das Lorgnon am Auge, freundlich nickend und winkend, stand wohlbehalten Capitain Peard, der Menschenjäger.

Das war das letzte Omen vom blutgedüngten Boden der Republik am La Plata!

Inhalt.

Erste Abtheilung:

Giuseppe Garibaldi.

               Auf dem La Plata 5

               Jus primae noctis 47

               Der Gefangene von Ham 106

               Ein preußischer Edelmann 150

               Die Strapazir-Menscher 193

               Aniella.

                       1. Die Mission von San Dolores266

                       2. Die Diamanten-Schlucht 308

                       3. Peard, der Menschenjäger 329

               Auf nach Europa!

                       1. Die alte Garde400

                       2. Der schwarze Diamant 432


Berichtigung.

Seite 24, Zeile 6 von unten: Buenos-Ayres statt Valparaiso. Im ersten Kapitel einige Male das spanische Viva statt Vive.


Footnotes:

1Viereckiger Mantel, der über den Rücken und die Brust herabfällt und in der Mitte eine Oeffnung für den Kopf hat.

2Die Flüche und Schimpfnamen der portugiesischen Sprache sind meist so abscheulich, daß wir vorziehen, sie nicht zu übersetzen.

3 Der angenehmen Nächte.

4Banda Oriental, der alte Namen der Provinz Uruguay unter der brasilianischen Herrschaft.

5Landläufer.

6So wahr mir Gott helfe!

71852. - Die Broschüren, welche als Buchhändler-Speculation kürzlich erschienen sind und eine Lebensbeschreibung Garibaldi's geben sollen, behandeln u. A. seine Betheiligung an den Kämpfen in Südamerika und die dortigen Vorgänge mit einer solchen Unwissenheit und Oberflächlichkeit, daß man schon daraus auf den Werth des Ganzen schließen kann.

8Benennung der Mestizen oder Mischlinge von Weißen und Indianern in den La Plata-Staaten.

9Bei unsrer lieben Frau vom Gebirge!

10Das Mädchen hat den Teufel im Leibe! (Portugiesisch.)

11Töchterchen!

12Nun, schwarzer Papa!

13Milchbruder.

14Schwesterchen.

15Feiglinge.

16Feuer!

17Ein zur Bestimmung der Fahrten auf der See gebräuchliches Maaß. Ein Knoten = 25 Ellen.

18Lümmel.

19Pfad- und Spurfinderin. Der Scharfsinn der südamerikanischen Rastreodores übersteigt fast noch die vielgerühmten Leistungen der nordamerikanischen Wilden in ihren wunderbaren Erfolgen.

20Teufelsschlucht.

21Landbesitzung.

22Branntwein aus den Wurzeln der Aloe.

23Kartenspiele, von denen namentlich das letztere, ein Hazardspiel, beliebt ist.

24Wachtmeister.

25Grisetten.

26Zahme Indianer - solche, die unter den Weißen als Arbeiter leben, im Gegensatz zu den Indios bravos, den wilden freien Stämmen der Pampas und der Sierra.

27Wörtlich: Kauen.

28Oheim! Eine Lieblingsansprache.

29Oberst und Lieutenants.

30»Hemden von englischer Leinwand und Ehemänner aus Spanien!« ein beliebtes Sprichwort.

31Graf.

32Sprich Portenjos, Portenjas: Bewohner von Buenos-Ayres.

33Leichtfertige Mädchen, Loretten.

34Meine Seele!

35Ein Beutel mit tausend Piastern; die Silberladungen der Maulthiere werden gewöhnlich danach berechnet.

36Heute für Geld, morgen umsonst!

37Arakbranntwein; assistente: Adjutant.

38Hundsfott.

39Pferdezüchter auf dem Lande: Querenzia heißen die Bezirke, in denen die halbwilden Pferde sich aufhalten.

40Admiral.

41Der October 1840, so genannt wegen der blutigen Metzeleien, die der Diktator damals durch seine Morzorceros unter seinen Politischen Gegnern halten ließ.

42Mas heißt im Spanischen »mehr«, horca, der »Galgen«.

43Milizen, so genannt von ihrer rothen Uniform.

44Des Gründers von Buenos-Ayres, 1580.

45Das Messer macht weder Geräusch noch Knall!

46Leider historisch! Gegen diese schreckliche Wiederholung der Gurgelabschneiderei vom October 1840, bei der über siebenhundert Menschen ermordet wurden, wagten nur der französische, der brasilianische und der nordamerikanische Consul Vorstellungen. Der englische Minister Manderille kümmerte sich nicht darum.

47Gewinnantheil.

48Dirne - Courtisane.

49Heran, Feiglinge.

50Heerde von Pferden.

51Vorwärts, Kinder!

52Lieutenant.

53Auf Wiedersehen, Admiral!

54Der ältere Bruder des Kaisers der Franzosen, Prinz Napol[e]on Ludwig, geboren am 11. Oktober 1804, verschwand im Jahre 1831 plötzlich auf geheimnißvolle Weise. Die meisten napoleonischem Schriftsteller behaupten, er sei an den Masern gestorben. Hier die Wahrheit!

55Graf Morny ist der natürliche Sohn der schönen Königin Hortense und ihres Großstallmeisters, des eben so galanten als schönen Grafen Joseph Flahault de la Billarderie, und am 23. October 1812 in Paris geboren. Der kinderlose Graf Morny aus Isle de France wurde für 800,000 Francs bewogen, das Kind zu adoptiren.

56Vom 21. October 1843.

57Die eigenen Worte Mazzini's in seinem Manifest bei Gründung der Liga.

58Die Gebrüder Bandiera, österreichische Marine-Offiziere, gingen mit dem tollen Plane um, die österreichische Flotte der italienischen Revolution in die Hände zu spielen und wurden in Calabrien gefangen und erschossen.

59Die Thatsache, daß der damalige Staatssecretair des Innern, Sir James Graham, im Einverständniß mit Lord Wellington und Aberdeen, die Korrespondenz Mazzini's überwachte und seine Pläne den italienischen Regierungen mittheilte, erregte bekanntlich in England große Entrüstung. Die öffentliche Meinung nahm den Revolutionair in Schutz und rächte die Verletzung des Briefgeheimnisses mit der Spottbezeichnung: gegrahamt!

60Graf Walewski, am 4. Mai 1810 geboren, ist der natürliche Sohn des Kaisers Napoleon und der schönen Polin Walewska, die er aus einem Ball in Warschau kennen lernte und von ihrem alten Gatten nach dem Schloß Walowize entführen ließ.

61Das große Princip der Humanität sollte sein, den Krebsschaden zu verhüten, nicht die Krankheit zu heilen oder auszuschneiden mit Messer und Feuer. Wer die Prostitution Berlins kennt, wer sieht, wie täglich eine neue Schaar junger, für ein besseres Schicksal geeigneter Mädchen ihr verfällt, wird ehrlich uns beistimmen. Wir schreiben Romane, nicht um dem Kitzel der Lesewelt zu fröhnen, sondern um Zeitgeschichte in bunten Farben zu malen, und wir sind überzeugt, daß viele, viele jener armen Geschöpfe nicht blos der öffentlichen, sondern auch der gelegentlichen Prostitution entgehen würden, wenn sie wüßten, daß sie bei Fleiß und Arbeit wirklich eristiren könnten. So sehen sie von vorn herein, daß es nicht möglich ist; - die besseren, tieferen Naturen sehen sich nach heimlichen Hilfsquellen zu dem Verdienst der Arbeit um, die flacheren, leichtsinnigeren geben diese ganz daran und werfen sich der Schande direct in die Arme!

Wir werden später Gelegenheit haben, neben diesem materiellen Leiden und Zwang noch auf einen scheußlicheren zurückzukommen, auf den demoralisirenden Wucher, der mit der Arbeit überhaupt getrieben wird, um für die Beschäftigung die Prostituirung der weiblichen Arbeiterinnen einzutauschen! Dieser Wucher mit Zinsen, hundert Mal schändlicher als der Shyloks, findet in Berlin in dem ausgedehntesten Maaße statt, und das jüdische Magazinwesen, gegenüber dem alten Handwerk, ist sein hauptsächlichster Boden!! -

62Ein magyarisches Sprichwort: Der Slowak ist kein Mensch!

63Dem Schafpelz.

64Das niedere Volk, das nach der altungarischen Verfassung an den Reichstagen keinen Antheil hatte. Selbst die Deputirten des dritten Standes, der Städte, hatten nur Sitz, aber keine Stimme.

65Schafhirt.

66Schweinehirt.

67Die Lieblingssuppe der Panduren.

68Die Betyáren sind die umherschweifenden Räuber der ungarischen Steppen, gewöhnlich Hirten, oder als solche von Zeit zu Zeit sich wieder verdingend, um die Verfolgung zu täuschen.

69Heiligen Kreuz.

70Es lebe die Freiheit.

71Hoch das Ungarland!

72Komm mir nicht nahe, sonst stirbst Du!

73Wolfsjäger.

74Er ist am 16. September 1802 zu Menok im Comitat Zemplen geboren.

75Dorf.

76Stephan.

77Waldschluchten.

78Gauchosattel.

79Der indianische Name Urquiza's.

80Als das Volk beim Kampf am 16. März in eine Wohnung der Oranienburg-Straße drang und Studenten in deren Besitzer Humboldt erkannten, stellten sie sofort eine Sicherheitswache vor die Thür des Gelehrten.

81Der Sancy'sche Diamant befindet sich seit ungefähr vier Jahrhunderten in Europa und kam aus Indien. Der erste Besitzer war Karl der Kühne, der ihn in der Schlacht bei Nancy trug, wo er fiel. Ein Schweizersoldat fand den Diamanten und verkaufte ihn für einen Gulden an einen Geistlichen. Im Jahre 1489 kam er an Anton, König von Portugal, der ihn aus Geldnoth für 100,000 Francs an einen Franzosen verkaufte, durch den er an Sancy kam, von welchem er den Namen erhalten hat. Als Sancy als Gesandter nach Solothurn ging, befahl ihm König Heinrich III., ihm als Pfand jenen Diamanten zu schicken. Der Diener, welcher ihn überbringen sollte, wurde aber unterwegs angefallen und ermordet, nachdem er den Diamanten verschluckt hatte. Sancy ließ den Leichnam öffnen und fand den Edelstein im Magen. Jacob II. von England besaß diesen Diamanten 1688, als er nach Frankreich kam. Später war er im Besitze Ludwigs XIV. und Ludwigs XV., der ihn bei seiner Krönung trug. Im Jahre 1835 wurde er für eine halbe Million Rubel von dem Oberjägermeister des Kaisers von Rußland erkauft. Er hat die Gestalt einer Birne, wiegt 53\frac 12 Karat und ist vom reinsten Wasser.

82Der Koh-i-noor (Berg des Lichts), auf drei Millionen Rupien geschätzt, früher im Besitz des Radschah von Lahore, von den Engländern erbeutet, ist jetzt Eigenthum der Königin Victoria und wurde bei der großen Industrie-Ausstellung in London gezeigt.

Jeder der bekannten und großen Diamanten, hat seine oft sehr merkwürdige Geschichte. Der >Braganza<, der 1741 in Brasilien gefunden wurde, wiegt 1680 Karat, ist jedoch noch nicht geschliffen und befindet sich in der Krone von Portugal; der >Orlow<, ursprünglich das Auge einer Brahmastatue in Indien und von einem Soldaten nach jahrelangem Tempcldiest geraubt, wurde 1775 für die Kaiserin Katharina II. in Amsterdam angekauft; der >Regent< oder >Pitt<, so genannt, weil er durch den Engländer Pitt dem Regenten Herzog von Orleans verkauft wurde, später im Besitz Napoleons, wurde von den Preußen bei Belle-Alliance erbeutetet und befindet sich im preußischen Kronschatz.

83Gewöhnlicher Ausdruck der Neger für kleine Kinder.

84Der Obidienst ist im Geheimen unter den Negern Amerika's sehr verbreitet.

85Hutschnur.

86Satteldecke.

87Waldbäche.

88Abscheulich!

89Vergleiche den Roman desselben Autors, >Nena Sahib<, II. Theil.

90Falstaff.

91Ein Horn als Gefäß.

92Saladero's und Matadero's sind die großen Schlächtereien, in denen das Vieh der Pampas zu Tausenden zur Gewinnung des Fleisches, der Häute und Hörner, des Talges und der Thierkohle geschlachtet wird. - Estancia heißen die Landgüter der Viehzüchter im Innern.

93Hirten.

94Niedere Knechte.

95Die gezähmten Thiere, die zur Gewöhnung und Einfangung der wilden gebraucht werden.

96Vier spanische Leguas = drei geographische Meilen.

97Donna.

98Weiden.

99Der Aufenthaltsort Louis Napoleons in England.




Werke von Sir John Retcliffe

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