Villafranca
oder
Die Kabinete und die Revolutionen.

von

Sir John Retcliffe

Zweiter Abschnitt:

10 Jahre!

Historisch politischer Roman aus der Gegenwart

Vierter Band.

Charlottenburg. (Fortsetzung aus dem dritten Band.)

Herr Günther beantwortete die zarte Andeutung auf seine Privatgeheimnisse nicht; er blies dicke Dampfwolken von sich und ergriff erst nach einer Weile wieder das Wort.

»Die Male hat keine Kinder mit ihrem Mann?«

»Bis jetzt nicht, Franz. Sie sieht sehr mager aus, als hätte sie das Schwindende, aber sie hat einen wahren Teufel im Leibe und in den Augen und das hält sie aufrecht. Und einen Staat macht sie, es ist nicht zum Ansehn - auch Equipage hat er ihr müssen anschaffen und sie bringt ihn sicher noch ein Mal zum Bankerott trotz des Lotteriejewinnß, der ihm damals aus der Patsche half.«

Der ehemalige Commissionair schüttelte den Kopf. »Eine merkwürdige Heirath bleibt's man immer. Ich hätte eher jedacht, daß die Thürme auf'm Gensd'armenmarkt infallen würden, als daß die Male noch einmal den schönen Carl heirathen könnte, obschon sie doch weiß, daß er es war, der ihr den Leutnant in der Friedrichsstraße runter jeputzt hat.«

»Liebe, Franz,« erwiederte die empfindsame Amande,

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»erweckt endlich Jegenliebe, so habe ich es immer jelesen. Hat Herr Potenz nicht etwa lange jenug um sie jeworben, wie Jacob um Rahel oder der Ritter von der feurigen Rose um die schöne Kunijundes von der Blutburg?«

»Ich kenn man die Herrschaften nich, aber des weeß ik, det die Male ihren Zweck dabei jehabt haben muß. Und Du sagst also, deß Sie Dir jut ufjenommen und sich mit mich aussöhnen will?«

»Ja, Franz. Es wäre auch schrecklich, wenn Jeschwister ewig mit sich jrollen sollten, wie die feindlichen Brüder von der Katzenburg am Ufer des jöttlichen Rheinstroms. Arm in Arm mit sich sollen sie über die Erde wandeln.«

»Sachte, sachte! Da heißt's doppelte Vorsicht! Ick kenne der Male ihre Mucken - sie hat ihren Zweck dabei. Na - ick habe man ausjelernt, da kommt sie an den Richtigen. Was man nich weiß, des lernt man da drüben!«

Er wies mit dem Daumen über die Schulter; die gefühlvolle Amande verstand ihn.

»Aber Franz, hast Du man schon überlegt, was wir nun anfangen werden? Vielleicht hilft uns Deine Schwester zu einem Jeschäft!«

»Damit wollen wir uns nich beeilen Amande,« sagte mit philosophischer Ruhe der ehemalige Commissionair. »Vor der Hand werd' ich mich mank erst die Verhältnisse ansehn. Ich habe man da drüben Manches erfahren, was uns helfen kann.«

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»Um Himmelswillen Franz, Du wirst Dir doch nicht zu einem schlechten Unternehmen einlassen?«

»Was denkst Du, Amande, ich werde mich doch nich mit die Jesellschaft« - er machte die Pantomime des Greifens - »vermischen. So dumm is man heut zu Tage nich mehr, des hat man leichter und bequemer. Hast Du mir nich von Samuel Jonassen erzählt?«

»Oh der Franz, - der wohnt Unter die Linden und Barone und Jrafen gehn bei ihm aus und ein, und er giebt jroße Jesellschaften.«

»Und hat doch auch im Zuchthaus jesessen - ich weeß jetzt so Manches von ihm. Ich sehe nicht in, warum ich nich dasselbe Jlück haben kann, wie Jonassen's. Wenigstens soll er mir helfen dazu - ich habe eine Empfehlung an ihn. Hinkeldey rejiert also immer noch in Berlin?«

Die Frau drängte sich an ihn. »Höre Franz,« sagte sie - »es is eine merkwürdige Jeschichte. Sie mögen ihn nich mehr leiden!«

»Wer?«

»Die vornehmen Herrn. Sie sprechen viel davon in Berlin und in den Zeitungen stehts auch, obschon er's nich leidet. Aber ich weiß mehr als sie Alle!«

»Woher?«

Die Frau war etwas verlegen und wandte den Kopf zur Seite, als sie ausweichend antwortete. »Die Jeschichte spielt schon sehr lange - von die Pferderennens vom vorigen Jahr her. Es kommt von des Spiel, und der Hinkeldey hat nich leiden wollen, daß sie man jeden

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Abend Unter den Linden viele tausend Thaler verspielt haben. Der Offizier, den Du immer Deinen Schwager nennst, ist auch dabei jewesen. Hinkeldey hat einen Polizeilieutnant jeschickt und der hat sie ufjelöst. Zuletzt ist er selber davor ufjelöst und Wrangel soll sich unjeheuer mit Hinkeldey jezankt haben. Noch neulich, als sie Karoussel jeritten haben in Seegers Reitbahn in der Dorotheenstraße, is es zu einem Zank jekommen und sie haben ihm jesagt, er wär ein Lügner.«

»Wenn's weiter Nichts ist,« meinte höchst philosophisch der Kommissionair.

»Ja aber Franz, das ist bei den vornehmen Herrn nicht wie bei uns - das Pönnk Honnörs, oder wie sie es heißen, leidet's nicht, daß sie auf's Stadtjericht jehn. Aber das Schlimmste ist ...[«]

»Nun?«

»Sie wollen nicht mehr mit ihm tanzen. Er kann auf keinen Ball mehr jehn, und wenn er sie einladet, kommen sie nicht.«

Der Commissionair lachte. »Was Hinkeldey sich davor koofen wird. Er hat ihnen manchen andern Tanz ufjespielt!«

Der wegwerfende Widerspruch machte die schöne Amande eifrig in ihren Behauptungen. »Es ist sicher wahr, auf Ehre! Der Jean hat's mehr als einmal in meiner Stube erzählt, als sie von den ruß'schen Briefen sprachen.«

»Wer ist der Jean?«

Die schöne Amande wurde noch verlegener als

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vorhin. »O,« meinte sie - »es ist ein sehr anständiger Herr, die rechte Hand von seinem Herrn, dem französchen Jesandten, und er bejleitet ihn immer, wenn er zu der magern Tänzerin jeht, die um die Ecke wohnt. Jott, was so ein Herr an so einem magern Geschöpf haben kann - wenn er doch blos die Finger auszustrecken braucht. Musje Jean hat mir die Ehre anjethan und mir an solchen Abenden manchmal besucht auf eine Tasse Thee - Alles in Ehren, und ist mit einem oder dem andern Freunde da zusammen gekommen.«

Sie waren bei diesem Theil des Gesprächs bis an den Eingang von Charlottenburg an Moskau's Garten gekommen, als hinter ihnen vom Berg herab ein Reiter mit solcher Eile gejagt kam, daß das Paar, das zufällig mitten auf der Chaussee gegangen war, kaum Zeit hatte, aus einander zu springen und auf die Seite zu flüchten.

Der Excommissionair wollte einige wenig schmeichelhafte Verwünschungen des eiligen Reiters ausstoßen, aber selbst der kurze Augenblick der Begegnung in dem hellen Mondschein hatte ihm genügt, den Reiter, einen Offizier, wiederzuerkennen, obschon er ihn mehre Jahre nicht gesehen.

»Schwerenoth,« sagte er halb lachend, halb ärgerlich, »der Schwager hätte sich doch ein Wenig in Acht nehmen können. Man findet nich alle Tage eenen Verwandten wie ich bin auf der Straße.«

Die Frau sah ihn fragend an.

»Hast Du ihn denn nicht erkannt, Amande?«

»Nein, Franz!«

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»Der Reubel war's, der Lieutnant, oder was er sonst jetzt is, der Male ihrem sein Bruder. Er scheint's verteufelt eilig zu haben und hätte wohl warten können, um mir'n Juten Abend zu sagen da dervor, daß er seines Bruders Erbschaft jeschluckt hat, die von Jott und Rechtswegen der Male ihrem Kinde hätte zukommen müssen.«

Bei der Flucht vor dem Reiter war ihm die Cigarre entfallen; er strich ein Zündholz an seinen Unaussprechbaren und steckte sich eine neue an.

»Wat war es mit den ruß'schen Briefen, Amande, von denen Du red'test?« fragte er.

»O Nichts, Franz!«

»Ich will es man wissen! Wenn Du man willst, deß ich en Auge zudrücken soll von wejen die Theejesellschaften, mit denen Du Dir verschnappt, so erzähle mir Alles. Wer weeß, wozu man's brauchen kann. Ik habe man Jlück mit die Briefgeschichtens.«

Der Zuchthäusler erinnerte sich an den Brief des unglücklichen von den deutschen Freiheitshelden in Frankfurt ermordeten Fürsten Lichnowski, der ihm eine volle Börse eingebracht hatte.

»Es ist Nichts, Franz - es fiel mir nur so ein, weil ich zufällig den Brief bei mir habe.«

»Was für 'nen Brief?«

»O, es ist keine Aufschrift drauf. Monsieur Jean sollte ihn wie die anderen bei mir abholen. Aber er wird es wohl vergessen haben, denn er hat mir lange nicht die Ehre anjethan, mich zu besuchen, seit der Zeit nicht, wo

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sie den Alten eingesteckt haben und der Lieutnant fort ist. Er fiel mir heute zufällig in die Hände, als ich das seidne Kleid anzog, um Dich abzuholen.

»Zeig her!«

Amande brachte aus ihrer mit allerlei Gegenständen gefüllten Tasche ein versiegeltes Couvert hervor, das nach dem Gefühl mehrere Papiere enthielt.

»Et is man ja keene Ufschrift d'rauf?«

»O das schadet Nichts, es war nie eine drauf. Ich weiß ja, von wem sie kommen, und für wen sie bestimmt sind.«

»So? Und wer bringt Dir denn die Briefe?«

»Der Alte - Du kennst ihn. Du hast Geschäfte mit ihm gemacht, eh Du zu dem Unjlück kamst. Techen heißt er. Jetzt ist er im Prison.«

Der Mann stutzte. Er blies eine lange Rauchwolke von sich und betrachtete den Brief nochmals hin und her.

»Seit wann is man denn die Stadtpost bei Dich injerichtet, Amande?«

»Wie Du auch reden kannst Franz!«

»Na, wenn Du's anders willst, seit wann besucht Dir denn der Musjö Jean?«

»Es war im Sommer vorigen Jahres. Herr Techen hat ihn mitjebracht und er sagte mir, er würde Hausfreund sein in die Zukunft. Seitdem beehrt er mir alle Woche. Er is sehr jebildet Franz und spricht schon janz jut unsere Muttersprache.«

»Wie oft sind solche Briefe bei Dir abjejeben worden?«

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»O im vorigen Sommer und Herbst ziemlich viele, alle Wochen, wenn sie einander nicht bei mich jetroffen haben. Seitdem weniger, nur man selten noch und darum kam auch Musjö Jean nicht mehr so oft.«

»Und weißt Du vielleicht, was in den Briefen steht?«

»Das versteht sich, warum denn nicht? ich müßte ja man jar keine Bildung besitzen, wenn ich's nicht jemerkt haben sollte. Von Krieg reden sie, Du weißt doch Franz, daß in der Zeit, wo sie Dir jefangen hielten, ein jroßer Krieg jewesen ist, mit die Franzosen und die Russen!«

»Ich weeß! So wat hört man schon selber in Spandau - wenn sie man ooch keene Kreuzzeitung vor die Jefangenen halten thun. Die Engländer sind och mank jewesen, die müssen ihre Nase in Allens stecken. Sie haben man Sebastopol in der Türkei belagert und es is en jräßliches Blutbad jewesen. Aber jekriegt haben sie doch Nischt als diesen Malakoff!«

»Richtig so hieß er. Es muß ein vornehmer General sein.«

Diesmal fühlte der Excommissionair sehr stolz seine Bildung über die seiner Frau erhaben.

»Ne, Amande,« sagte er - »diesmal irrst Du Dir, en Thurm is et, un kein General nich.«

Die romantische Dame zuckte die Achseln. »Na dann weiß ich man nich, warum se um so en Stück altes Jemäuer so en Wesens jemacht haben, daß deswegen die Bedienten immer die Briefe von's Königliche Kabinet mausen mußten. Wenn's noch der Thurm der sieben blutigen Jungfrauen oder eene bergschottische Ruine von

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Walter Scotten gewesen wäre, aber im Leben hab ich noch kein Buch von Malachof im Katalog gefunden.«

Herr Franz Günther war stehn geblieben bei den eifrigen Worten seiner Frau. »Was willst Du damit sagen Amande,« frug er, »mit den Briefen aus Königliche Kabinet? Was ist's damit?«

»Was wird's sein - der Lieutnant ließ sie abschreiben, er sagte, so hätte man immer die sichersten Nachrichten.«

Wie damals in Frankfurt, als der Student ihm den Brief des ermordeten Fürsten vorlas, regte sich in dem Vagabunden, dem Zuchthäusler, das Preußische Herz in der Frage: »Was sagst Du, Amande, unsers Königs Briefe hat der alte Halunke an die Franzosen gegeben?«

»Was weiß ich - ich kümmere mir nich um die Politik. Ich weiß nur, daß die Bedientens von zwei großen Herrn, die die rechte Hand sind am Hofe, die Briefe heimlich abschreiben aus Jefälligkeit für den Techen. Was jeht es uns an, wenn er sie an den Musjö Jean gab - er hat schon manchen Fuchs springen lassen und wenn das nich jewesen wäre, hätte ich Dir schwerlich in Epandau unterstützen können.«

Der Exkommissionair sann nach - es war ihm trotz seiner geringen Kenntniß solcher Verhältnisse sofort klar, daß dies ein Geheimniß war, dessen Kenntniß ihm auf einer oder der andern Seite Vortheil bringen müsse. Dennoch - wir wollen es zu seiner Ehre sagen - dachte er keinen Augenblick daran, daß er diesen Vortheil auf einer Seite suchen könne, die er schon mit der Muttermilch

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als eine seinem König und seinem Volk feindliche zu betrachten gelernt hatte.

»Weißt Du, wer die Herrn sind, Amande, mit deren Bedienten der Techen bekannt ist?«

»Der Eine ist en Jeneral oder en Adjutant und der Andere en Jeheimer. Sie wohnen man wenn der König drüben ist, in Potsdam, und der Alte hat manchmal die Briefe mit der Post an mir herüber jeschickt. Manteuffel is es nich, aber von dem haben sie auch jesprochen. Um Gotteswillen Franz, was thust Du - Du machst mir und Dir unglücklich!«

Er machte sich ruhig von der Hand los, die ihn in dem Geschäft des Brieferbrechens hindern wollte. »Laß mir, Amande - des ist keine Sache vor Dir. Ich mache mir um den Staat verdient.« Er hatte das Couvert ohne Weiteres erbrochen und zog zwei zusammengefaltete Papiere hervor, die in ein drittes eingeschlagen waren.

Aber der Mondschein war zu schwach, um zur Befriedigung seiner speculativen Neugier zu genügen, und es ließ sich nur erkennen, daß die beiden Blätter in ziemlich ungeschickter Handschrift eng beschrieben waren, wahrscheinlich Abschriften. Das dritte Papier war offenbar ein Brief des Uebersenders.

»Wir wollen's zu Hause lesen,« sagte der Mann. »Wenn Dein Musjöh nach dem Briefe frägt, sagst Du, die Katze hätt ihn jefressen, oder Du hättst ihn in's Feuer fallen lassen oder sonst was Unschuldiges. Ich sage Dich Amande, es is so sicher wie zwei Mal zwei vier is, deß ich meine Concession als Commissionair wiederkriege,

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obschon sie mir mit Unrecht haben fünf Jahre sitzen lassen. Wenn die Male mit sich reden läßt und der Samuel Jonas mir jebraucht, bin ich in einem Jahr wieder ein jemachter Mann und Du hast Dir meiner nich zu schämen. Aber der Teufel soll die verfluchten Kerle die Droschkenkutscher holen, nich en eenziger Dhorwagen is zu sehen und ich bin so müde, wie en abjelofner Dachshund und sehne mir nach Hause und eine doppelte Weiße.«

»Da steht ein Wagen Franz, dort in der Straße.«

»Richtig! vielleicht läßt er mit sich reden und fährt uns alleene. Alle Hagel - da ist ja auch das Pferd am Jitter anjebunden, auf dem uns unser Herr Schwager beinah umjeritten hätte. Wer wohnt denn hier?«

»Die Frau Baronin, Franz, seit ihr Mann, der Kammerherr todt ist, ich hab Dir's ja gesagt.«

»Na - en ander Mal. Jetzt hab ich keine Zeit, die Verwandtschaft anzusprechen und mir vor's Zuchthaus zu bedanken, denn ich trau ihr nich über den Weg. Komm Amande, eh uns man en Andrer zuvor kommt.«

Die Besorgniß war in der That nicht ungegründet, denn es war der einzige Wagen, der auf dem freien Platz noch hielt, und obschon derselbe trotz des guten Wetters fast öde und leer war, so sah der scharfe Blick des Exkommissa[i]rs doch von der Seite der Spree her zwei in Mäntel gehüllte Personen langsam daher kommen, die es auch auf den Wagen abgesehn zu haben schienen.

Die eine war eine hohe kräftige Gestalt von robusten militärischen Formen, wie sich selbst unter dem Mantel erkennen ließ. Auch klang bei ihrem Gang zuweilen der

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metallene Ton einer Säbelscheide darunter hervor. Der Andere war kleiner, aber gleichfalls stark und kräftig gebaut, sein Gang war unruhig, ungleich und er blieb zuweilen stehen und sah sich, wie in schweren Gedanken versunken, um. Er trug einen runden Hut und hatte sich dicht in den Mantel gehüllt.

»Es ist geschehn, Freund,« sagte der Kleinere nach einer längeren Pause. »Schade, daß die Schildwache auf der Terrasse stand - ich hätte ihn gern noch einmal gesehen, aber ich konnte mich unmöglich zu erkennen geben.«

»Sie werden ihn noch oft sehen!«

»Das steht in Gottes Hand - ich glaube Nein. Seit ich am Donnerstag mein Entlasfungsgesuch eingereicht und keine Antwort erhalten habe, bin ich der Sache sicher.« Er blieb stehen und wandte sich um, indem er mit der Hand nach der Spree deutete. »Dort führt ja wohl die Brücke hinüber nach der Jungfernhaide? Ich war noch nie an der Stelle.«

»Es ist unmöglich, daß es dazu kommt. Es ist unmöglich, daß Se. Majestät nicht einschreiten sollten und sei es im letzten Augenblick.«

Der Kleinere blieb stehen und sah seinen Begleiter scharf an.

»Wie sollte der König dazu kommen - wie könnte er davon wissen, wenn Sie nicht davon gesprochen haben?«

Der Andere schwieg einen Augenblick etwas betreten, dann sagte er fest: »Ich versichere Sie auf mein Ehrenwort, daß ich Ihrem ausdrücklichen Verlangen gemäß, zu

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keinem Menschen davon gesprochen habe. Dennoch ist die Sache nicht mehr geheim und ich weiß ganz bestimmt, daß der Staatsanwalt Nörner gestern Nachmittag hier im Schloß darüber Vortrag gehalten und um Verhaltungsbefehle gebeten hat.«

»Und der König?«

»Er hat erklärt, daß er es nicht dulden würde, daß vorläufig aber Nichts zu befürchten sei.«

Ein rasches Zucken fuhr um die Mundwinkel des Kleineren, als er wieder vorwärts schritt. Dann, nach einigen Augenblicken sagte er fest: »Ich habe das gefürchtet, und deshalb die Sache beeilt und um zwei Tage früher ansetzen lassen. Was geschehen muß, muß geschehen. Ich war eher Edelmann als Beamter, und der König wird fühlen, daß sein Einschreiten hier nur mich bloßstellen würde. Ich ertrage persönlich diesen Zustand nicht länger.«

»Aber bedenken Sie, Sie haben nur als Beamter gehandelt, nur auf den ausdrücklichen Befehl des Königs.«

»Hat man dies bedacht - hat man darauf Rücksicht genommen bei alle den Vorgängen in der Gesellschaft? Es ist wahr, ich bin vielleicht oft zu hart, zu schroff aufgetreten und mag Manchen vor den Kopf gestoßen haben, aber mein Charakter ist einmal heftig. Ich habe Damm preisgegeben, was mir schon leid genug thut und sonst nicht meine Art ist. Ich stehe immer für meine Beamten ein, selbst für ihre Fehler. Aber die Sache liegt tiefer - Sie wissen das so gut wie ich. Mein Leben ist dem absoluten Königthum gewidmet und deshalb dulde ich keine Partei am Thron, keine Beeinflussung, woher sie auch

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komme. Sie sollen sich Alle fügen, der Wille und das Interesse des Königs darf allein gelten. Das wissen sie recht gut, und deshalb haßt man mich vielleicht mehr noch unter meinen Standesgenossen als unter der Demokratie, der ich den Fuß auf den Nacken gesetzt habe.«

»Ich gebe die Hoffnung zu einer Ausgleichung noch nicht aus. Ihr Gegner ist ein Mann von Ehre.«

»Das ist er - in jedem Zoll. Aber war es der nicht, so war es ein Anderer, ich weiß, daß Mehre warten, darum mußte die Sache zu Ende gebracht werden. Er oder ich - ein Edelmann seines Namens schießt sich nicht zum Spaß, und seien Sie versichert, auch ich halte Scheibe, wenn ich auch leider wenig davon verstehe. Komme ich gut davon, so kann ich mich mit Ehren zurückziehen. Wo nicht - meine Bestimmungen sind getroffen und den letzten Abschied - hab ich so eben genommen. Die Armee und der Adel des Landes, lieber Oberst, sind wichtigere Stützen des Thrones, als ein einzelner Beamter, sei er auch noch so treu und entschlossen. Es giebt im politischen Leben Phasen, wo auch die Treuesten geopfert werden müssen - ich will hoffen, diese Erfahrung bleibt Ihnen in Ihrer Laufbahn erspart.«

Sie schwiegen Beide; der Eine, weil er in aufrichtiger Freundschaft und Anhänglichkeit längst Alles erschöpft, was zu sagen war, der Andere in trüben ahnungsvollen Gedanken, die seine gewöhnliche Energie hemmten. Erst als sie nur noch wenige Schritte von dem Wagen entfernt waren und gerade an dem Excommissionair vorüber gingen, ohne weiter auf ihn zu achten, sagte der Kleinere

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»Lassen Sie uns machen, daß wir nach Hause kommen, mich friert und ich habe noch einige Briefe zu schreiben.«

Die Worte waren so laut gesprochen, daß der Exzüchtling sie hören konnte, und die scharfe Stimme der Sprechenden schien ihm bekannt und eine besondere Wirkung auf ihn zu üben, während er zugleich einsah, daß es Nichts mit seiner Speculation auf den Wagen war.

»Still, Amande - hierher - hier bleibst Du stehn und rührst Dir nich von der Stelle, bis ich Dir hole. Des Jlück bejünstigt mir schon bei meinem Eintritt in's Weichbild von Berlin.« Dann, nachdem er seine Frau instruirt, sprang er hinter den beiden Fremden drein.

»Herr Präsident, ein allereenzigstes Wort, gnädigster Herr Präsident - et sind man Staatssachen und ik bin der Günther, Franz Günther, Sie kennen mir, Sie haben mir vor fünf Jahren instechen lassen!«

Der Größere der Beiden trat dem Aufdringlichen barsch entgegen, während sein Begleiter sich hastig abwandte und den Mantelkragen um sein Gesicht zog.

»Was wollen Sie - Sie irren sich! Gehn Sie Ihrer Wege und belästigen Sie uns hier nicht!«

»I bewahre - ich möchte man blos den Herrn Präsidenten sprechen - uf en eenziges Wort, aber es is dringend - eene französche Verschwörung!«

»Sie sind ein Narr, machen Sie, daß Sie fortkommen oder man wird sich Ihrer zu entledigen wissen.«

»Et is wahrhaftig wahr - ik kenne Ihnen auch sehr jut, Herr Oberst! wenn Sie mir nur dem Präsidenten melden wollen - er kennt mir und weiß, was ich leiste

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und hier sind die Briefe, die sie man von den Spitzbuben in's Schloß abschreiben lassen, die eher nach Spandau gehören, als ich, denn ik habe noch nie nich mein Vaterland verrathen.«

Der Kleinere war näher getreten. Die plötzliche Anregung hatte die persönlichen Sorgen und Gedanken verscheucht und ihm mit einem Mal seine ganze Energie wiedergegeben.

»Was ist's mit dem Mann, wer sind Sie?«

»Günther, Herr Präsident - Franz Günther! Sie kennen mir - von wegen der Hätzel'schen Handgranaten. Die Luft in Spandau hat mir zwar freilich etwas verändert und fünf Jahre sind kein Hund, aber ...ich zürne Ihnen nicht ...«

»Was wollen Sie, da Sie mich einmal erkannt haben?«

»O, ich bin sehr bescheiden, blos meine Concession wieder als Commissionair vor Allens, und vielleicht Etwas zum Anfang!«

»Sie sind ein Unverschämter - ich werde Sie einsperren lassen!«

Aber der neue Kommissionair in spe hielt ihn am Mantel fest, als er sich von ihm wandte. »Die Briefe sind wahrhaftig ächt, gnädiger Herr Präsident - keene Flunkerei nicht. Hier hab ich sie in der Hand - der Techen ist en Spitzbube, obschon er Lieutnant jewesen sein will, und es is man doch eene Schande, deß die Franzosen des Königs Briefe lesen sollen - lieber verbrenne ick sie auf eigne Hand!«

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»Des Königs Briefe?« Der Herr im Mantel hatte sich hastig wieder umgewandt und diesen fallen lassen. »Was ist's damit? aber hüten Sie sich, mich mit Lügen und Erfindungen zu belästigen!«

»So wahr mich Jott helfen möge, Herr Präsident - da steht die Amande und sie hat mir Alles injestanden, aber des unschuldige Wurm kann Nichts nich dazu - sie wußte man nich en Mal, wat der Malakoff zu bedeuten hat.«

»Fassen Sie sich kurz, was ist's mit den Briefen?«

»Der Techen hat sie abschreiben lassen von en Paar Halunken von Bedienten. Die Namen weiß ich noch nich, aber et is en Jeneral dabei und en Jeheimer vont's Kabinet. Und en französcher Kammerdiener holte sie man immer bei meiner Frau ab, und die Russen haben deswegen ihren Malakoff injebüßt und Manteuffel wird ihn sie och nich wiederschaffen, wenn er man och in Paris is!« -

»Russische Briefe an den König - Briefe aus dem Kabinet? - Kommen Sie hierher, Mann, nehmen Sie Ihren Verstand zusammen und erzählen Sie klar und deutlich, was Sie wissen.«

Er trat einige Schritte zur Seite, wo sie weniger beobachtet oder gehört werden konnten und seine klaren, sachgemäßen Fragen kamen bald der Sache auf den Grund und entwirrten die etwas verworrene Erzählung.

Ein Zug des Triumphes, der Genugthuung flog über das Gesicht des Examinirenden, als er sich zu seinem Begleiter wandte.

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»Das ist eine eben so unerwartete als glückliche Entdeckung,« sagte er hastig und leise. »Hassenkrug ist fort nach Paris, oder wie ich höre nach Cayenne, und der alte verschmitzte Schurke leugnet Stein und Bein, daß er von den Briefen doppelten Gebrauch gemacht und die Abschriften an die Franzosen verkauft hat. Bisher konnte man ihm die Sache nicht beweisen und die ganze fatale Geschichte und der Groll darüber blieb auf uns hängen.« Er sann einige Augenblicke nach. »Die Sache ist von zu großer Wichtigkeit,« sagte er bestimmt. »Gehen Sie sogleich zu Maaß, und ersuchen Sie ihn, Ihnen für eine halbe Stunde sein Büreauzimmer zur Disposition zu stellen. Weiteres braucht er nicht zu wissen, ebensowenig, daß ich hier bin. Ich bleibe unterdeß bei diesen Personen und komme mit ihnen nach - ich will ihre Aussagen sogleich feststellen. Diese und die Beweise müssen noch diesen Abend in seine Hände kommen - es ist vielleicht der letzte Dienst, den ich ihm leisten kann und« ein finstres Lächeln lag einen Augenblick auf seinem breiten Gesicht, »hoffentlich auch ein Abschiedsgeschenk für Andere, das sie an mich erinnern wird. Befehlen Sie dem Wagen, uns jenseits des Türkischen Zeltes auf der Straße zu erwarten.«

Der Begleiter ging eilig fort, nachdem er die letzte Weisung erfüllt; der Herr, welcher gesprochen, folgte ihm, die Briefe in der Hand, langsam, von Zeit zu Zeit eine leise Frage an das etwas besorgt über den Ausgang gewordene Paar richtend.

Zehn Minuten später standen die Drei vor einem Hause

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in einer Nebenstraße. Ein Zimmer des Parterre war bereits erleuchtet, in der Thür erwartete sie der Vorausgegangene.

»Sie können unbesorgt näher treten - es ist Alles in Ordnung und wir sind allein.«

Der Herr im Mantel gab dem Paar einen befehlenden Wink, voranzugehen.

Als er die Schwelle überschreiten wollte, blieb er plötzlich stehen und faßte nach der Stirn - ein kalter Schauder durchlief seinen Körper.

»Merkwürdig,« sagte er, »es ist doch in der That nicht so kalt.«

Einen Moment darauf hatte er es überwunden und trat in das Haus.

Giebt es Ahnungen? - Gewiß - wer möchte daran zweifeln! - Wenige Stunden nachher, und der Mann im Mantel kam zum zweiten Mal über diese Schwelle, ohne daß sein Fuß sie berührte, - kalt und todt! -


In einem kleinen Salon des Landhauses, an dessen Gitter Herr Franz Günther das dampfende Pferd des Offiziers angebunden gefunden und das ihm seine Frau als die jetzige Wohnung der verwittweten Kammerherrin bezeichnet hatte, saß eine kleine Gesellschaft um den Theetisch - eine ältere Dame, groß und steif mit starrer aristokratischer Haltung. Selbst der erfahrene Verlust,

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worauf die schwarze Trauerkleidung deutete, und so manche Sorge und mancher Verdruß, die ihre Kennzeichen in den tiefen Falten über der Nasenwurzel und um die Augen eingeschrieben, hatten den hochmüthigen unleidlichen Zug um den Mund nicht verwischen können.

Es war die Kammerherrin, Freifrau von Werben selbst in ihrer Wittwentracht, die sie seit dem vor zwei Jahren erfolgten Tode ihres Gatten unverändert beibehalten hatte. Wenn sie ihn auch selbst in der Jugend nicht geliebt und nur genommen hatte, um mit ihrem gräflichen Namen nicht als ein armes vornehmes Fräulein das Gnadenbrot reicherer Verwandten oder die triste Versorgung eines adligen Stifts zu genießen, so hatte sie doch durch die lange Gewöhnung der Jahre und die bis auf einige Eigenheiten unbedingte Herrschaft, welche sie über ihn geübt, sich so in die vornehme Ehe eingelebt, daß sie seinen Verlust schmerzlich empfand. Ueberdies machte sein Tod ihr klar, daß die Stellung auch der klügsten und einflußreichsten Frau in der Gesellschaft immer wieder auf ihrem Mann basirt und mit dessen Tode - sei der Mann auch eine geistige Null gewesen - eine ganz andere Gestalt annimmt. Von den vielen Freunden und Anhängern, die sie sonst gehabt, waren die meisten gleichgültig geworden, und der unbeschränkte Einfluß, den sie sonst geübt, hatte jetzt enge Grenzen gefunden. Ueberdies hatte sie mit dem Tode ihres Gatten ein anderer Schlag getroffen - die Familiengüter in Schlesien waren als Lehne an einen entfernten männlichen Seitenverwandten des Kammerherrn gefallen und sie bezog daraus nur eine mäßige Apanage.

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Andere Erfahrungen hatten sie noch unangenehmer berührt.

Seit der bestimmten Ablehnung der argentinischen Erbschaft durch ihren Schwager, den Major, war ihr Verhältniß zur Familie ein fast feindliches geworden, denn sie betrachtete jene Handlung der Ehre und des Rechtsgefühls als gegen sich selbst gerichtet, die sie sich als die Vertreterin ihrer Schwester und deren Kinder ansah, als eine kleinliche engherzige Rancune, als eine Undankbarkeit dafür, daß eine Gräfin von ... sich herabgelassen, einen kleinen einfachen Edelmann zu heirathen. Sie zürnte ihrer Schwester, daß sie sich der Bestimmung ihres Gatten gefügt, den jüngeren Kindern, daß sie sich nicht gegen die Entscheidung des Vaters aufgelehnt, ja ihrem Liebling, dem Lieutenant selbst, daß er nicht den Muth gehabt, die Erbschaft als ihm zugehörig zu reclamiren.

Damals, als das Kind des am 18. März erschossenen Offiziers ihr zu so gelegener Zeit verschwunden, oder vielmehr nach den Angaben der Hauptmannswittwe verunglückt war, hatte sie noch einen Angriff auf ihren Schwager versucht und von ihm verlangt, Schritte zur Zurücknahme seiner Abweisung zu thun, aber denselben Bescheid erhalten. Dennoch hatte sie den Plan nicht aufgegeben. Auf ihre Veranlassung war ihr Liebling der Gesandtschaft in Paris für kurze Zeit attachirt worden und sie hatte aus eigenen Mitteln die Kosten bestritten. Ihre Pläne schienen von dem besten Erfolg begleitet; denn wie wir wissen war der Lieutenant von Reubel von dem Obersten

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Massaignac, dem reichen Haciendero auf das Freundlichste aufgenommen und protegirt worden.

Trotz der Verlobung der einzigen Tochter des argentinischen Nabobs mit dem Grafen Guzmann hoffte nach den Berichten ihres Neffen die Freifrau, daß es ihm gelingen würde, die reiche Erbin zu erobern und so die durch den Eigensinn seines Vaters verworfene Erbschaft in zehnfachem Maße wieder zu gewinnen.

All' diesen Hoffnungen und Plänen hatten die schrecklichen Ereignisse des 4. Dezember ein so unerwartetes als trauriges Ende gemacht.

Mit dem Tode - sagen wir lieber dem unnatürlichen Morde des Obersten war jede Aussicht auf eine Fortsetzung seines Verhältnisses zu der Familie des Ermordeten dem Preußischen Offizier verschwunden. Der Sohn des Obersten, der Spahi-Capitain, jetzt Adjutant des Kriegsministers, hatte sofort die Zügel des Familienregiments ergriffen, und sein schmuzig geiziger und egoistischer Charakter hatte sich nicht gescheut, den von seinem Vater so generös dem Sohne seines Lebensretters bei seinem Bankier eröffneten Credit als persönliche Schuld zurückzuverlangen.

Die Forderung des Vicomte mußte schon als Ehrenschuld gedeckt werden, - der Major durfte unmöglich darum wissen - und es geschah dies mit Hilfe des Kommissionsraths und der Kammerherrin, die noch immer ihre Pläne auf die amerikanische Erbschaft nicht aufgab.

Aber trotz der mannhaften Weise, in der sich der Lieutenant v. Reubel in den Dezember-Tagen zu Paris und auf dem schweren Wundlager benommen - der

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Leichtsinn seines Charakters riß ihn bald wieder in die alten Kreise und das frühere Leben; - er war noch kein halbes Jahr wieder in Berlin, als er sich in den Klauen jener Harpyen befand, die hier ein förmlich organisirtes Netz bilden, um die alten und vornehmen Familien der großen Grundbesitzer des Landes durch ihre Söhne zu ruiniren.

Wir scheuen uns keinen Augenblick, diesen täglich mehr um sich fressenden Krebsschaden zu berühren und ihn schonungslos aufzudecken. Was in Berlin, in Preußen geschieht, mag auch in andern Ländern und Hauptstädten der Fall sein, aber nirgends ist es so tief greifend und tief fressend, nirgends ist die Wucherei so mächtig und ausgebreitet und reichen sich die Gauner und Speculanten, jüdische wie christliche, so die Hand.

Der Adel des Landes, treu seiner Historie und seiner ritterlichen Aufgabe der Neuzeit: nachdem die Einzeln- und Standeskämpfe des Mittelalters überwunden worden, eine Stütze und Mauer des Königthrones zu sein! - ist grade recht hervortretend in Preußen ein Kern des Volksheeres, der Armee, aus den Landessöhnen bestehend, geworden. Acht Zehntel aller Söhne der adligen Familien treten in die Armee, theils um den Kriegsdienst zu ihrer Lebensaufgabe zu machen, theils um wenigstens einige Jahre in derselben zu dienen, nicht blos der für jeden Preußen gesetzlichen Dienstzeit zu genügen. Der Adel sucht darin, um gerecht zu sein, nicht einen Vortheil, sondern eine Ehre. Die Erben der begütertsten Besitzer, sie halten es

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für eine Ehrenpflicht, in ihren jüngern Jahren zu »dienen« und diese Pflicht vererbt sich von Vater auf Sohn.

Seit hundert Jahren - im siebenjährigen Kriege - in den Freiheitskriegen - auch 1848 und 49 haben die Söhne des alten Landesadels, wie statistisch nachgewiesen ist - in weit überwiegend großem Verhältniß gegen alle andern Stände die ruhmvollen Schlachtfelder des Vaterlands mit ihren Leichnamen gedeckt.

Das ist der Beweis, daß sie da waren, wohin, sie nach Stand und Pflicht gehörten: voran in der Gefahr!

Der Preuße, der dies leugnet, leugnet die ruhmvolle Geschichte seines Vaterlandes! Die Unterscheidung zwischen Adel und Volk ist eine jämmerliche, der Adel gehört zum Preußischen Volk eben so gut, wie der Bürger und Landmann, sie alle sind Eins, wenn es das Vaterland gilt.

Wir haben aber hier keine Abhandlung über Patriotismus und Stände zu schreiben, sondern einfach eine traurige Erfahrung zu registriren.

Der Militairdienst des Adels ist zu einem gefährlichen Messer geworden, welches das speculirende Kapital an seine Wurzel, den Familienbesitz, legt.

Der junge Adel drängt sich vornehmlich zur Cavalerie und zur Garde; fast sämmtliche Offizierstellen sind von ihm besetzt. Die dienenden Offiziere aus dem Bürgerstand bemühen sich von vorn herein weniger darum, weil die äußere Repräsentation und die gesellschaftlichen hergebrachten Ansprüche hier einen weit größeren Kostenaufwand fordern. Deshalb dienen in diesen Chargen durchgängig

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eben nur die Wohlhabenden und Reichen; das reiche Judenthum würde sich gewiß, schon der Eitelkeit wegen, auch ihrer bemächtigen, wenn nicht überhaupt eine gewisse Antipathie gegen den Militairdienst und seine bestimmten strengen Formen in seinem Charakter läge.

Diese Verhältnisse veranlassen denn in den Residenzen des Landes das Zusammenströmen einer Menge Söhne aus den vornehmsten und ersten Familien des Landes, ausgerüstet mit einem mehr oder weniger reichen Zuschuß der Familie. Dieser Zuschuß würde genügen für die gewöhnlichen mit der Stellung verknüpften Standes- und Ehrenausgaben - er ist aber nicht berechnet auf eine leichtsinnige Verschwendung, zu der die Verführungen einer großen Stadt und das Beispiel so leicht junge, noch durch das Leben nicht geprüfte und gestählte Gemüther hinreißen. Es ist ein edler und schöner Charakterzug des Adels, das Geld nicht als das Höchste zu achten - aber er artet leicht in Verachtung desselben aus. Die Möglichkeit, leicht Geld zu erhalten, stumpft das Gewissen über die Art und Weise ab.

Auf diese Erfahrung speculirt das Kapital. Es giebt in Berlin mehrere förmlich organisirte Verbindungen von Wucherern, die, wie der Jäger auf seine Beute, so auf den nach Berlin kommenden jungen Adel des Landes lauern, um ihn in ihre Netze zu verstricken.

Diese Gaunergesellschaften führen förmlich Buch und Rechnung über den Werth, d. h. über das Vermögen aller namhaften Familien des Landes; - sobald ein Sohn derselben auf dem Schauplatz zum Eintritt in die Armee

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oder eine andere Carriere erscheint, um harmlos seine Jugend und seine Stellung zu genießen, umgarnen ihn ihre Fäden.

Nur Wenige entgehen ihnen ganz durch Glück oder Charakterfestigkeit.

Der Drang, es Reicheren gleich, oder zuvorzuthun, eine zufällige Ausgabe über den Etat, Leichtsinn und Genuß oder eine sogenannte Ehrenausgabe führen leicht zu einer Geldverlegenheit. Zur Beseitigung derselben ist das bequemste Mittel nicht offenes Vertrauen gegen die Seinigen, sondern die Contrahirung einer Schuld - einer Wechselschuld. Ein Helfer in der Noth, der die Vorwürfe oder Ermahnungen des Vaters oder Vormunds erspart, ist leicht gefunden - die bereits erfahrenen Freunde empfehlen ihn - und der erste Schritt ist gethan; mit der Unterzeichnung des ersten Wechsels ist der junge Mann, der Träger eines vornehmen, geachteten Namens in den Händen einer gaunerischen Clicque, aus denen er sich nur mit großen Opfern, oft nur mit Verlust seines ganzen Vermögens, seiner bürgerlichen Stellung, ja seines guten Namens - zuweilen gar nicht retten kann.

Aber der erste Schritt wird ihm noch weit leichter gemacht - man kommt ihm entgegen und drängt ihn dazu, - man wartet nicht erst die Gelegenheit und das Bedürfniß nach Geld ab, nein der Wucherer läßt ihm durch geschickte Agenten schon vorher jede beliebige Summe unter den günstigsten Bedingungen anbieten. Von der Wiederbezahlung soll erst die Rede sein, wenn Jener in

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den Besitz seines Erbes gekommen, eine reiche Heirath gemacht, oder eine hohe Stellung eingenommen hat.

Welcher unerfahrene junge Mann wird nicht eine solche Gelegenheit willkommen heißen, nicht von ihr Gebrauch machen! Der Kommissionair, dieser Giftpilz des Lebens der Hauptstadt, der gewandte gewissenlose Zutreiber des Wucherers, die Kanaille, die so unentbehrlich geworden wie aus der Börse der Makler, und die womöglich beide Theile betrügt, macht auch hier den Schritt so leicht durch seine Unterhandlung.

Aber damit ist das Netz geworfen - der Vogel gefangen.

Der erste Wechsel ist nur die erste Masche; die Zinsen sind nicht übermäßig, die Frist ist die gewöhnliche - die Verfallzeit kommt heran, ohne daß der Schuldner an die Kleinigkeit denkt - man ist ja so bereit zu prolongiren! Ueberdies haben sich durch das leichte Erhalten der Mittel die Bedürfnisse vermehrt - man prolongirt nicht nur, man macht neue größere Schulden, um die alten zu decken und neue Mittel zu haben.

Aber die Schulden wachsen wie die Lawinen, aus den zwölf Prozent werden fünfzig, ja hundert und noch weit mehr! Dazu ist es nicht mehr das baare Geld, was der Schuldner wirklich erhält - das ist nur der kleinste Theil; faule Wechsel und Papiere, schlechte Cigarren, die unnützesten Dinge sind es, die er mit annehmen muß. Man glaube nicht, daß wir übertreiben! es ist eine Thatsache, daß der ausgestopfte Affe eines Berliner Wucherers als Zugabe zu jedem Wechsel für eine erhebliche Summe

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jahrelang figurirte und immer wieder zu seinem Herrn zurückkam, bis dieser jetzt mehre Häuser und ein großes Hôtel besitzt, während viele Familien, vornehm und gering, an ihm zu Grunde gegangen sind, während so mancher hoffnungsvolle glänzende junge Mann seinetwegen Vaterland und Karriere hat opfern und ein Flüchtling werden müssen.

Je länger diese Wechselmacherei dauert, desto höher steigen natürlich die Prozente, mit desto größeren Opfern muß die neue Anleihe erkauft werden. Meistentheils legen sich in diesem Stadium reiche Verwandte in's Mittel und lösen die Wechsel ein, die allein den Wucherer bereichern. Die Sache wird vertuscht, der junge Aristokrat hat eine Lection erhalten und ist vielleicht selbst verständiger geworden - er zieht sich zurück, und benutzt die gemachten Erfahrungen.

Aber wie viele Andere werden vorwärts getrieben auf der einmal betretenen Bahn! Kaum sind die ersten Schulden befriedigt, so wird der offene Kredit wieder entgegengetragen und das Spiel beginnt von Neuem. Bald ist es nicht mehr der Eine der leiht; der leichtsinnige Schuldenmacher leiht von Mehreren, um die Forderung des Einen mit dem höheren Darlehn des Andern zu bezahlen, ohne zu ahnen, daß sie Alle unter einer Decke stecken und Einer dem Andern die Beute in's Garn treibt. Nun erhebt der Wucherer Schwierigkeiten, - das Geld ist rar, die Zeiten sind schlecht - man muß an die eigene Familie denken, man muß selbst Garantieen geben und braucht jetzt

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andere Namen auf den Schuldscheinen und Wechseln, als die eines ebenso verschuldeten Kameraden.

Und dennoch muß das Geld geschafft werden, - ein Pferd, das man bereits behandelt! - ein Schmuck für eine jener leichten Schönen, die von den Brettern oder einer andern Gelegenheit her Herz und Sinne des Mannes umgarnt haben! - die in's Kolossale angeschwellte Rechnung des Delikateßhändlers für all' die kleinen Gelage und die süßen Soupers im verschwiegenen Zimmer - endlich die Ehrenschuld im Spiel, sie müssen gedeckt werden, unter allen Umständen!

Und an wen sich wenden? die Hilfsquellen sind erschöpft, alle Verwandten sind oft genug in Anspruch genommen, von den Freunden ist Nichts zu holen, als Gefälligkeitsaccepte, und die haben beim Wucherer keinen Cours mehr!

Zuweilen, und nicht selten, ist es grade ein solches Gefälligkeitsaccept, das mit dem Verderben droht, ein Accept über eine hohe Summe, das man einem Freunde in einer ähnlichen Verlegenheit nicht abschlagen konnte. Der Wechsel war fällig - er hat nicht zahlen können, sein künstliches Gebäude ist vielleicht schon über ihm zusammen gebrochen und er hat versucht, seinen Namen jenseits des Weltmeers oder in den blutigen Kämpfen des Kaukasus zu verbergen.

Dann muß der unglückliche Acceptant zahlen, zahlen ohne Gnade und Barmherzigkeit.

Oder es ist wirklich eine jener dringenden

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Ehrenpflichten, die man erfüllen muß, ein gebrochenes Leben ist zu bezahlen, eine drohende Schmach ist abzukaufen.

Unter drei Fällen von vier sind es aber Ausgaben der Eitelkeit, die kein Zurücktreten mehr zulassen will, oder jene sogenannten Ehrenschulden des Spiels.

Des Spiels - dieses Fluchs der bürgerlichen Gesellschaft, ihrem Seegen: der Arbeit gegenüber.

Wie kläglich erscheinen dem Beobachter dieser Gesellschaft alle jene öffentlichen Declamationen gegen die grünen Tische der Bäder, während der Dämon der Leidenschaft im Geheimen zehnfach gefährlicher in allen Klassen dieser Gesellschaft von den Unterhaltungen der Jockey-Clubs, den Millionen der Börsen-Agiotage und der frevelhaften Spekulation mit den Brodernten einer ganzen Bevölkerung, bis zum Kümmelblättchen des Bauernfängers sein Wesen treibt.

Den Jobber, der am Ultimo die verspielten Prozente nicht zahlt, wirft man hinaus; der Aristokrat, der seine Schuld vom Spieltisch oder der Rennbahn nicht löst, ist vervehmt in der Gesellschaft.

Beides sind Ehrenschulden!!

Und vor dem Ausschluß aus dieser Gesellschaft steht wie vor einem Abgrund der junge Mann, der Stolz seines Vaters, die Freude seiner Mutter.

Aus dem Abgrund aber langt eine Teufelskralle, - nicht etwa, um ihn hinabzuziehen! Gott bewahre - nein, um ihm zu helfen!

Diese Kralle - es ist die Hand des Wucherers.

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Die Hand öffnet sich - in ihr ist ein frischer Wechsel mit hellem Geldklang.

Die Hand hält zugleich eine Feder - es braucht ja nur eines Namens, eines kurzen Namens, den der Geldbedürftige unterzeichnen soll.

Aber - dieser Name ist nicht der Seine! er hat vielleicht denselben Klang, aber ein einfacher Buchstabe ändert ihn - es ist der Name seines Vaters, seines Onkels, seines Bruders, oder eines andern Verwandten - vielleicht gar der Namen eines reichen Freundes - vielleicht -

Oder wenn es wirklich der seine ist, dann ist ihm ein falscher Titel, ein höherer, ihm nicht gehöriger Rang beigesetzt.

Noch bedenkt sich das zurückbebende Ehrgefühl - noch warnt die innere Stimme!

Aber die eingebildete Noth drängt - der unglückliche Federzug ist geschehen!

Mit diesem Federzuge ist der hohe glanzreiche aristokratische Name das Leibeigenthum des Wucherers geworden.

Denn was kümmert den Wucherer der angehende Attaché, der Fähnrich oder Lieutenant - um derenwillen hat er wahrhaftig nicht jahrelang sich gemüht, geschmiegt, geschmeichelt, intriguirt und getrotzt! Was kümmert es ihn, ob ein Lieutenant zum Teufel geht, oder sich eine Kugel vor den Kopf schießt - sein Wild, es ist ein höheres - besseres! Daß der junge Mann seine hoch in Tausende aufgelaufenen Wechsel und Ehrenscheine nicht bezahlen kann,

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das wußte er von vorn herein, - aber darum war's ihm wahrhaftig auch nicht zu thun!

Mit allen möglichen Opfern wird die erste verhängnißvolle Unterschrift eingelöst - die Brust athmet auf! - aber es ist nur eine Galgenfrist! bald folgt, denn die Bahn ist abschüssig und ohne Halt, - die zweite, dritte, die eine verhängnißvoller, gewichtiger noch als die andere.

Endlich ist die Summe erreicht, auf die der Wucherer die Familie für seine »Einkommensteuer« abgeschätzt hat. Der gefälschte Wechsel - wir müssen das traurige Wort aussprechen - ist fällig, der unglückliche Betrogene hat freilich nur Namen mißbraucht, von denen er weiß, daß sie ihn im äußersten Falle nicht im Stich lassen, daß sie seine Ehre nicht an den Pranger schlagen lassen werden - aber welche Kämpfe gehören dazu, welche Opfer - und vielleicht sind selbst diese vergeblich; - denn jenes unglückliche Papier ist eine entsetzliche Waffe in der Hand des Besitzers und oft - öfter als man denkt, geht seine Speculation auf ganz andere Dinge, als die große Summe, die vielleicht eine Familie ruinirt.

Selten ist es die Spinne selbst, die das Netz gewebt, die am Schluß desselben auch den Henker spielt. Diese Leute haben ihre Werkzeuge, die Eintreiber; raffinirte oder rohe ungeschlachte Menschen, wahre Blutigel und Peiniger, die sich an den Schuldner hängen, so bald die Schuld fällig, und ihn ängstigen und drängen mit aller Brutalität, mit einem wahrhaft höllischen Raffinement. Der Darleiher erscheint nur selten als der Einkassirer, nur im Anfang, wo die Schuld noch nicht gefährlich ist und er

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durch seine Gefälligkeit das Vertrauen seines Opfers gewinnen will. Später stehen ihm hundert Entschuldigungen zu Gebote, die ihn gezwungen haben, den Wechsel aus den Händen zu geben, - hätte er ihn noch, er würde gern Nachsicht haben, aber jene mystische Person, der Inhaber des Papiers ist ein schrecklicher Mensch, der kein Herz hat und so und so viel für sein Schweigen verlangt.

Der Eintreiber ist auch immer eine andere Person als der Commissionair. Der Letztere wird sich nie seine gute Bekanntschaft verderben, es sei denn, daß er es für vortheilhafter hält, die ganze Valuta in die Tasche zu stecken und es auf eine Criminalklage ankommen zu lassen, die in den meisten Fällen, um dem Aufsehen einer öffentlichen Verhandlung zu entgehen, nicht einmal erhoben wird! -

Es bestehen ferner an gewissen Orten Berlin's förmliche wohlbekannte Wechselbörsen, wo die Wechsel von einer Hand in die andere gehen, wo die glänzendsten Namen ganz öffentlich coursiren und taxirt werden, und wo man sie wie Waaren betrachtet, mit denen Einer den Andern zu überlisten, zu übergaunern sucht.

Wir haben Wechsel von Prinzen, Fürsten und Thronerben in dieser Weise coursiren sehen, zu Summen, die ein großes Vermögen bilden! Es vereinigten sich förmlich die berüchtigsten Wucherer - jeder Mann in Berlin kennt ihre verfluchten Namen, während sie sich doch aufgebläht mitten in der Gesellschaft bewegen - um auf gemeinsames Risiko diese Wechsel anzukaufen. Später und sei es nach Jahren, wenn die Aussteller zu Vermögen gelangt sind,

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oder die Familie sich veranlaßt sieht, ein Arrangement zu treffen, kommen sie immer wieder zu ihrem Geld. Und selbst wenn sie nur fünfzig Prozent ihrer Forderungen erhalten, machen sie immer noch ein glänzendes Geschäft, denn in den meisten Fällen bei den angewachsenen Summen hat der Betrogene noch nicht 25 Prozent wirklich erhalten - das Andere sind Zins auf Zinsen.

Aber wir reden hier von den kleinern Opfern, die nicht in fürstliche Chatoullen greifen können, die nur gewöhnliche von Vater auf Sohn durch Geschlechter hindurch ererbte Vermögen zu verlieren haben.

Es ist eine Thatsache, daß in dem Handel und Schacher dieser Wechselbörsen den Käufern und Verkäufern sehr gut bekannt ist, daß viele der Wechsel ungültig und falsch sind, daß sie vor das Kriminalgericht gehören. Aber das wird grade zum Gegenstand der Speculation. Man hütet sich nur, davon zu sprechen - man thut, als hätte man keine Ahnung davon bis zum letzten Augenblick.

Endlich kommt dieser, und der Schlag fällt. Dann sammeln sich plötzlich die zerstreuten Wechsel wieder in einer Hand, der wohl instruirte Eintreiber erscheint bei den Eltern, dem Vormund, den Verwandten und fordert das Geld.

Wir wollen die Scene des Schreckens, der Geständnisse, die Versuche einer Vermittelung nicht malen - Jeder kann sie ermessen.

Dann beugt sich das weiße Haupt eines Vaters, der auf den Sohn seine Hoffnungen gesetzt, in tiefer Sorge; - der Sohn, für den er schon so viel gethan, ist ihm

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verloren, - und ob es der Liebling seiner alten Tage ist, er gedenkt der Pflichten, die er gegen die andern Glieder seiner Familie hat - jener möge tragen, was er verschuldet!

Da aber raunt ihm ein Teufel das Wort: Schande! in's Ohr - die Drohung der Schmach auf seinen Namen, der Jahrhunderte lang unbefleckt in den Annalen des Vaterlandes geprangt, getränkt von dem Blut seiner Schlachtfelder, voran wo es galt, den Thron zu stützen und Alles, was Ehre und Recht muthig zu vertheidigen!

Und dieser Name soll als der eines gemeinen Fälschers vor den Gerichten des Landes stehen? er soll von der Presse durch die Gosse der Oeffentlichkeit geschleppt und mit boshaftem Hohn begeifert werden - mit Fingern wird man auf ihn zeigen und sagen: - sein Sohn sitzt im Zuchthaus!

Wer nie auf die Tradition, auf die Ehre des Familiennamens gehalten hat, der mag vielleicht diesen Kampf nicht begreifen - wer auf den Namen seiner Väter stolz sein darf, der wird ihn verstehen.

Die Mutter fleht - die jüngern Geschwister entsagen - dann wird die Hypothekenlast, die von der Kriegszeit her noch schwer auf dem Grundbesitz lastet, bis zum letzten Werth vermehrt, ja, oft wird Alles verkauft, das Gut, die Habe der Familie, um die Schulden des leichtsinnigen Sohnes zu decken und die Ehre des Namens zu retten.

Oder wenn auch für den Augenblick die mit großen Opfern erkauften Anleihen helfen - die Intriguen jenes socialen Maulwurfs, des Geldspeculanten, treffen doch ihr Ziel - ein Kapital, das nicht zu erschwingen ist, wird gekündigt -

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für einen Spottpreis fällt in der Subhastation das seit länger als einem Jahrhundert vererbte Familiengut in die Hände des Wucherers, der seine Eichen und Buchen zu geldbringendem Bau- und Brennholz herunterschlägt und den Boden parcellirt.

Vielleicht auch, daß der würdige Geldspeculant die Lust hat, selbst einmal als Rittergutsbesitzer zu paradiren und sich mit Frau und Familie in den Kreis der Aristokratie zu drängen. Für Geld ist heut zu Tage Alles zu haben.

Manches Mal - wir wiederholen es - sind die Speculationen des Geldmannes auch noch auf ganz andere Dinge gerichtet - er braucht den Namen selbst, er braucht Fleisch und Blut für seine Tochter und Söhne!

Warum sollte er es nicht verbessern durch die Kreuzung - warum sollte er für sein Steckenpferd nicht fünfzigtausend Thaler wegwerfen, um eine Tochter als Baronin, oder einen Sohn in den exclusiven Cirkeln zu sehen!

Mit Erschrecken gewahrt der aufmerksame Beobachter, wie der feste Grundbesitz nicht blos in der Hauptstadt und in den großen Städten des Staates, sondern selbst auf dem sogenannten Land immer mehr in die Hände dieser speculativen Blutsauger übergeht, wie ein Familienreichthum nach dem andern aus der Reihe des Adels und des angesessenen Bürgerthums verschwindet, um in die Hände der Speculation überzugehen.

Die Güter auf dem Lande sind hoch verschuldet, der Haus- und Grundbesitz in den Städten wandert in die Hände des Schachers - seit 20 Jahren ist Berlin aus einem

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Besitz der Bürger, eine Residenz des Wucherkapitals geworden, das mit dem Grund- und Häuserbesitz eine neue Erpressung ausübt.

Man beschuldige uns nicht der Uebertreibung. Während auffallend viele alt angesessene Familien des Landes verarmt und von ihrem Erbe vertrieben worden sind, hat der Wucherer sich gemästet und erwirbt ein Gut, ein Haus nach dem andern.

Denn was hier vom Adel des Landes gesagt worden, gilt - in veränderten Formen - ebenso gut und in noch größeren Dimensionen von dem früher wohlhabenden Bürgerstand. Die Physiognomie des Besitzes droht eine andere zu werden, und ist es zum Theil schon. Man schlage die Hypothekenbücher des Landes oder den Berliner Adreßkalender nach und sehe, wie der Besitz sich seit fünfzehn Jahren verändert hat. Es ist hier nicht unsere Aufgabe von dem Wucher mit der Arbeit zu sprechen, - wir haben es allein mit dem Wurm zu thun, der giftig an den Wurzeln des großen Grundbesitzes nagt. Wer einigermaßen die Geheimnisse der Gesellschaft kennt, der weiß, welche traurigen Dramen hier gespielt haben.

Und noch eine andere böse Seite hat dies Treiben - es droht, auch unter Denen, die den Adel des Landes einst repräsentiren sollen, gar häufig das Gefühl für Ehre und Rechtschaffenheit zu untergraben es macht sie oft gleichgültig gegen den Ehrenklang ihres Namens; sie schämen sich nicht mehr, ganz öffentlich mit solchen Personen zu verkehren, ja ihnen zu antichambriren und - die demokratische Presse registrirt ja schonungslos und sich vergnügt

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die Hände reibend die Fälle - sie lernen vom Schwindler den Schwindel und gebrauchen ihn schon als Schutzwaffe. -

Manche ernste und strenge Maßregeln sind in neuerer Zeit gegen diesen socialen Krebs ergriffen worden und der Vater scheut sich nicht mehr, statt dem Leichtsinn des Sohnes die Existenz der Familie zu opfern, dem Wucherer zu trotzen und ihm seine Beute durch die Polizei oder die Gerichte aus den Zähnen reißen zu lassen - aber immer geht damit ein Stück von dem alten Glanz, ja von der alten Ehre verloren! In der Zeit aber, in der die gegenwärtigen Scenen unserer Geschichte spielen, war das Unwesen auf seiner Höhe und zu einem selbst die Augen des Königs auf sich ziehenden Maaße gestiegen, und selbst eines Hinkeldey eiserne Hand und eine, jede Schranke des geschriebenen Gesetzes überspringende Willkür vermochte nicht, hier durchgreifend zu helfen, ja sie war mit eine Ursache der Vervehmung gegen ihn in gewissen Kreisen.

Wir kehren von dieser socialen Abschweifung, die in der Form des Romans eine leider noch immer eiternde Wunde mit ernsten Worten blos gelegt, zu unserer Geschichte zurück.



Die große Gestalt der Kammerherrin schien noch hagerer und stolzer geworden, wie sie in ihrer dunklen Wittwentracht in der Mitte des Sophas saß und ihre grauen Augen mit einer leichten Malice den kleinen Hof- und Stadtanekdötchen folgen ließ, die ihr Gegenüber mit unerschöpflicher Geläufigkeit zum Besten gab.

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Dies vis-à-vis war die wohlgenährte Figur des Kommissionsraths, des Vertrauten und Geschäftsführers ihres seeligen Gatten. Der Rath war freilich auch um die Zahl der Jahre älter geworden, aber wie deren Spuren an den runden behäbigen Gestalten, die den Bauch als einen Hauptzweck des Daseins betrachten und cultiviren, überhaupt weniger sich zeigen, so sah man sie auch Herrn Boltmann weniger an und einige kleine gemüthliche Toiletten-Künste trugen überdies noch das Ihre dazu bei.

Der Rath hatte die Jahre hindurch mit der alten Gewandtheit und Verschlagenheit seine Stellung in den exclusiven Kreisen zu bewahren, ja seinen Einfluß durch die ausgedehntere Kenntniß so mancher Familiengeheimnisse noch zu vermehren gewußt, während er zugleich sich in jener immer riesiger anschwellenden politischen Geldaristokratie einen bedeutenden Einfluß zu schaffen verstand.

Man sprach mancherlei von diesem Einfluß und der zweideutigen Stellung des Kommissionsraths, die ihn allen Parteien genehm, ja nothwendig machte, und selbst die Regierung in ihrem speculativen, aber soliden Büreaukratismus, den das Ministerium Manteuffel repräsentirte, hatte ihn schon zu verschiedenen Verhandlungen mit den Parteien benützt, ja man munkelte von geheimen Besprechungen, die selbst höchste Personen mit ihm hätten. Namentlich sollte dies der Fall gewesen sein bei den Conferenzen in Olmütz und Dresden, bei der Sprengung des neu gegründeten Fürstenbundes und bei der vorsichtigen und isolirten Stellung, die sich das Preußische Kabinet während des Krimmkrieges bewahrt hatte.

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Eine Thatsache war zweifellos - die katholische Partei hatte seit der Uebersiedelung des Kommissionsraths nach Berlin bedeutend an Ausdehnung, an Macht und Einfluß in Berlin selbst, in den Kammern und in der Residenz gewonnen; sie bildete jetzt offen eine Macht und trat als solche auf.

Der Kommissionsrath befand sich hier in seinem Eigenthum; die Villa in Charlottenburg gehörte ihm, wie das Haus in Berlin, Er hatte sie bei einer Gelegenheit, von der der Lieutenant v. Reubel wahrscheinlich etwas Näheres hätte erzählen können, von der Freifrau gekauft, der er sehr gern das obere Stockwerk als ihren Wittwensitz überlassen hatte. Auch in Potsdam besaß er ein Haus.

Die Hälfte des Parterregeschosses bewohnte der Kommissionsrath selbst, wenn er sich in Charlottenburg aufhielt - die andere der Portier und Gärtner, dem er die Beaufsichtigung der Besitzung anvertraut hatte.

Der Kommissionsrath saß gemächlich in seinem Lehnstuhl, die Tasse Thee vor sich, und eine Havannah zwischen dem Daumen und Zeigefinger, denn er erfreute sich der merkwürdigen und seine Stellung am Besten kennzeichnenden Erlaubniß von Seiten der Dame, daß er des Abends in der Theestunde bei ihr rauchen durfte - eine Erlaubniß, die selbst der seelige Kammerherr niemals besessen. Die Augenlider des Raths waren halb geschlossen, er schien auf Nichts als auf sein augenblickliches Wohlbehagen bedacht zu sein, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte, und dennoch hörte und beobachtete er Alles und ein leiser Wink, ein leichtes Zucken der Achseln oder

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Brauen, und ein hingeworfenes Wort gab der Freifrau Rath oder bestimmte ihren Entschluß.

An der andern Seite des Tisches saß ein junger Mann - eine kräftige feste und sichere Gestalt mit gebräuntem offenem Gesicht und blauem Auge, eine jener glücklichen Naturen, zu deren Mannhaftigkeit und Ehre man auf den ersten Blick Vertrauen fassen muß.

Der junge Mann mochte etwa 23 Jahre zählen; die frische gesunde Farbe seines Gesichts zeigte jenes männliche Braun, das allein die Erziehung auf dem Lande und in frischer freier Luft giebt. In seinem Auge lag ein fester ruhiger Muth, ein ernstes Selbstvertrauen, um den von einem kleinen blonden Bart beschatteten Mund ein ihm sofort die Herzen gewinnender Zug von Güte. Der Physiognom aber hätte in der ganzen Structur dieses Kopfes, besonders der kräftigen breiten Stirn, eine große Energie des Willens, das klare Erfassen und unbeugsame Festhalten eines großen Gedankens, einer innern Ueberzeugung erkannt.

Obschon er keine Uniform trug, vielmehr sich sehr gewohnt und leicht in dem grauen joppenartigen Jagdrock bewegte und in der Gemächlichkeit seiner Kleidung den Landwirth oder den Reisenden verrieth, lag doch auch Etwas in seiner Haltung, was deutlich bewies, daß er dem Militairstand angehört und mindestens die gewöhnliche Dienstpflicht seinem Vaterlande geleistet hatte, obschon der Orden, den er trotz seiner Jugend an der Brust trug, ein fremder, ein österreichischer war.

Neben ihm, auf die Lehne eines Stuhls gelehnt und

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durch fortwährende hastige Bewegungen und Blicke seine Ungeduld verrathend, befand sich der Lieutenant Friedrich von Reubel, der eine halbe Stunde vorher durch den Galop seines Pferdes die beiden Wanderer auf der Spandauer Chaussee erschreckt hatte. Obschon er mehr als vier Jahre älter war und sein Gesicht der Frische der Jugend entbehrte, vielmehr angegriffen und nervös aussah, war doch jene gewisse Familienähnlichkeit nicht zu verkennen, die - ohne daß man im Detail sagen kann, worin sie besteht - sich selbst in ganz verschiedenen Gesichtern der Geschwister zeigt. In der That waren es auch Brüder, denn der Jüngere war Otto von Reubel, der zum Manne gewordene und gekräftigte Knabe, dem wir in der ersten Hälfte unsers Buchs bereits an verschiedenen Stellen begegnet sind.

Er hatte gehalten, was der Knabe versprach. Die erhabene Idee der Treue, der ihn sein Vater an dem Todtenlager seines für das Königthum gefallenen Bruders geweiht, war mit ihm gewachsen und groß geworden, nicht eine poetische Schwärmerei, sondern eine Fleisch und Blut gewordene männliche Ueberzeugung, eine Nothwendigkeit und Pflicht seines Lebens, an deren Sieg er dieses jeden Augenblick mit voller Ruhe zu setzen bereit war. Er war ein Preuße bis in's Mark seiner Knochen, wie sein alter Vater, ein Royalist mit jedem Tropfen seines Bluts, aber nicht blos, weil er als solcher geboren war, sondern aus der vollen Ueberzeugung des Prinzips, die er in dem Europa spaltenden Kampfe gewonnen, und deshalb in erster Reihe zwar der Soldat des Throns der Hohenzollern, aber zugleich ein Streiter für das Princip der Legitimität, wo

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seine Fahne im heißen Kampf der Geister und der Schwerter wehte. Er verband mit dem Feuer und der Begeisterung der Jugend bereits die Consequenz des Mannes.

Selbst die hoch aristokratische, in scharfen Vorurtheilen sich bewegende Tante, obgleich sie ihn im Grunde nicht leiden mochte, so wenig wie seinen Vater, hatte einen gewissen Respect vor dem jungen Mann und zeigte ihm nur selten ihre Launen. Ohnehin kam er wenig genug in ihre Nähe, wohin es ihn nicht zog.

»Du willst also morgen abreisen Otto?« frug der Lieutenant.

»Mit dem ersten Zug. Zu was man sich entschlossen hat, soll man rasch thun,« sagte der junge Mann. »Der Vater hat mir zwei Jahre bewilligt, ich werde Paris, die Schweiz, Italien und ein Stück des Orients besuchen. Vielleicht« - ein leichtes Lächeln umzog seinen Mund, - »daß dieser Plan auch schon in seinem Anfang eine kleine Aenderung erleidet. Freund Meuron hat einigen Einfluß darauf.«

»Der Lieutenant von den Schützen?«

»Wir dienten zusammen und verließen zu gleicher Zeit den Dienst.«

»Und wo befindet sich Herr von Meuron jetzt?« warf die Tante ein.

»Wo er hingehört - in Neuchâtel!«

Die Freifrau verzog den Mund zu einem stolzen Hohn. »Ich begreife nicht,« sagte sie hart, »wenn man die Ehre gehabt hat, in der Armee Seiner Majestät des

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Königs von Preußen, des angestammten Monarchen, zu dienen, wie man zu diesen Rebellen sich zurücksehnen kann.«

»Es ist seine Heimath, Tante, und diese zieht mit hundert Banden.«

Der Rath mengte sich in das Gespräch. »Ich habe gehört, daß in letzterer Zeit mehre Offiziere aus vornehmen Schweizer Familien, die hier dienten, die Preußische Armee verlassen haben und nach der Schweiz zurückgekehrt sind?«

Sein Auge, ohne den Anschein der Beobachtung zu haben, folgte doch aufmerksam dem Ausdruck in den Zügen des jungen Mannes.

»Sie meinen aus Neuchâteler Familien!«

»Nun ja - aus der Schweiz ...Neuchâtel gehört ja jetzt zur Schweiz.«

»Entschuldigen Sie mein Herr, - in meinen Augen gehört das Fürstenthum Neuchâtel nach wie vor zu Preußen und ich kann in jenen Herren keine Schweizer, sondern nur meine Landsleute seheu, so lange Se. Majestät der König von Preußen sein Anrecht an diesen Theil seines Erbes nicht auf legalem Wege an eine andere Macht übertragen hat, was in der That ein Unglück für die getreuen Unterthanen wäre, die Se. Majestät dort zählt.«

»Bah - warum sind sie denn Achtundvierzig so willig gute Schweizer geworden? Der König von Preußen kann nicht so unklug sein, wegen eines abgelegenen kleinen Ländchens, das für die Krone Preußen gar keinen Werth hat, einen Krieg anzufangen, der schon wegen der getrennten Lage des Landes und der Stellung der Schweiz

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willen zu höchst gefährlichen Verwickelungen mit Frankreich und Oesterreich führen könnte!«

»Meiner Ansicht nach,« sagte der junge Mann mit strenger Stimme, »ist es nicht die Sache Seiner Majestät des Königs, sondern der Unterthanen, die ihm Treue geschworen, die Preußische Fahne in Neuenburg wieder aufzupflanzen und der Herrschaft der Rebellion ein Ende zu machen, obschon das Preußische Recht weder französische Willkür, noch österreichische Intriguen zu scheuen hat. Hoffentlich wird Herr von Manteuffel die Gelegenheit nicht versäumen, bei dem Congreß in Paris die Rechte Preußens geltend zu machen.«

Der Kommissionsrath lächelte, aber er antwortete nicht direkt. »Sie werden Neuchâtel besuchen, Herr von Röbel?« sagte er dann plötzlich.

»Ja, mein Herr!«

»Ich zweifle nicht, daß Sie durch Herrn von Meuron in die ersten Familien eingeführt sein werden, indeß eine Empfehlung mehr, so unbedeutend sie sein mag, kann Ihnen vielleicht nützen. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen diese zu geben?«

»Mein Neffe wird sie mit Dank annehmen, liebster Rath,« bemerkte die Freifrau. »Junge Leute müssen stets suchen, achtungswerthe Bekanntschaften zu machen.«

»Meine Adresse, gnädige Frau,« bemerkte der Rath, »ist eine sehr bescheidene. Es ist blos die eines kleinen Wirths in Serrières, aber -« er sagte die Worte mit einer gewissen Bedeutung - »man kann in Lagen kommen, wo man die Hilfe der scheinbar Unbedeutendsten

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braucht, und der Mann, dessen Adresse ich hier auf die Karte schreibe, ist zuverlässig und gewandt.«

Er hatte die Karte überschrieben und reichte sie dem jungen Mann, der sie mit einer kalten Verbeugung empfing. »Sie kommen zu einer interessanten Zeit nach Paris,« fuhr der Rath fort, »und die Frau Gräfin Törkyónyi, der Sie die gnädige Frau ohne Zweifel empfohlen hat, wird vortrefflich geeignet sein, Sie mit allen Celebritäten und allen Neuigkeiten des Tages bekannt zu machen. Es sind zwar erst drei Wochen her, daß sie nach Paris abgereist ist, aber ihre Briefe sind voll der pikantesten Anekdoten und beweisen, daß sie die besten Quellen hat.«

»Ich werde nicht die Ehre haben, der Frau Gräfin meine Aufwartung zu machen.«

»Da sehen Sie den starrköpfigen Eigensinn,« sagte heftig die Freifrau - »sie könnte ihm so viel nützen und er weigert sich gradezu, einen Brief an sie mitzunehmen.«

»Liebe Tante - Sie werden mich entschuldigen - die Gesellschaft der Frau Gräfin ist nicht die meine!«

Das Gesicht der Dame röthete sich, ihre lange Gestalt richtete sich kerzengrade auf. »Ich bin zwar der Impertinenzen von Deiner Familie gewöhnt,« sagte sie bitter, »indeß bitte ich, Dich doch zu erinnern, daß die Frau Gräfin meine vertraute Freundin ist.«

Es schwebte eine Entgegnung auf den Lippen des jungen Mannes, indeß er unterdrückte sie. Ueberdies mischte sich der Lieutenant, der bisher mit allen Zeichen der Ungeduld sich hin und her bewegt, in das Gespräch.

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»Sie haben Briefe von der Gräfin bekommen, chère Tante?«

»Diesen Abend - wir sprachen so eben davon, als Du kamst. Auch Doktor Lazare, der Secretair der Gräfin, hat geschrieben, der Herr Rath war eben beschäftigt, uns einige Stellen aus dem Briefe vorzulesen. In der That, ich beneide Dich fast; denn Paris ist in diesem Augenblick der Sammelpunkt aller Personen von Einfluß und Distinction. Ja - wenn der Baron noch lebte ...«

»Erlauben Sie mir die Frage, ob die Briefe Ihnen keine Nachricht von Personen meiner Bekanntschaft bringen?« -

»Du meinst die Massaignacs? Die Gräfin hat ihre Bekanntschaft gemacht und der Doktor ist bereits Hausfreund. Der Graf nimmt eine angesehene Stelle am Hofe ein, er war bei Beginn des Krieges mit dem Prinzen in der Türkei.«

»Dann hat er gewiß eine kugelsichere Stelle gehabt,« sagte lachend der Jüngere der Brüder.

»Und die Comteß?«

»Sie ist noch immer spurlos verschwunden und ihr Bruder soll bereits auf Todeserklärung angetragen haben. Das Unglück verfolgt unsere Aussichten auf allen Wegen. Wäre der Eigensinn Deines Vaters nicht gewesen ...«

Otto von Röbel unterbrach sie, indem er sich erhob. »Ich bitte Sie, meine gnädige Tante, meinen Vater außer Spiel zu lassen und unsern Abschied nicht zu trüben. Es ist Zeit, daß ich Ihnen Lebewohl sage - Fritz wird mich hoffentlich begleiten, da er bereits seine Wohnung verlassen

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hatte, als ich am Nachmittag ihn in Berlin aufsuchte. Wir haben doch noch so Manches zu besprechen.«

»Ich hatte eine Einladung zu einem Kameraden in Spandau,« sagte der Offizier nicht ohne eine gewisse Verlegenheit - »ich habe nur noch etwas Dringendes mit der Tante zu besprechen und stehe Dir dann zu Diensten. Wollen Sie die Güte haben, mir einige Augenblicke zu schenken, chère Tante?«

Die Freifrau warf einen raschen Blick auf den Kommissionsrath; dieser, anscheinend nur mit seinen Briefen beschäftigt, antwortete durch eine kaum merkliche Kopfbewegung.

»Ich denke, chèr neveu, es wird wohl Zeit haben bis morgen. Du kannst mich besuchen, wenn Otto abgereist ist, ich habe einige Sachen gehört, über die ich ohnehin mit Dir zu reden wünschte. Du scheinst ja jetzt sehr oft in Spandau zu sein - oder in der Umgegend!«

Das Gesicht des Offiziers übergoß sich mit Blut. »Es ist nothwendig, liebe Tante, daß ich Sie noch heute spreche - ich muß darauf bestehen!«

Sie erhob sich ärgerlich. »So komm - ich kann mir denken, was es ist, nach der Gesellschaft, aus der Du kommst! Ich bitte Sie, noch zu verweilen, lieber Rath, ich wünsche noch mit Ihnen zu reden.«

Sie ging in ein Nebenzimmer, der Offizier folgte ihr.

Der jüngere Röbel hatte mit einem gewissen Erstaunen der Scene zugehört - der Blick, mit dem er den Kommissionsrath maß, drückte ziemlich unverholen seine Verwunderung darüber aus, daß er als Fremder nicht den

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Takt gezeigt hatte, lieber selbst zu gehen. Der Rath schien aber diese Absicht durchaus nicht zu haben; er blieb behaglich in seinem Lehnstuhl und schenkte sich selbst eine frische Tasse Thee ein.

»Bitte, Herr von Röbel - langen Sie mir den Rum herüber. Es ist alter Jamaika - das Haus in Hamburg, von dem ich ihn bezogen, hat ihn schon zehn Jahre lagern lassen und giebt ihn nur an vertraute Freunde. Waren Sie gestern im Theater?«

»Nein, mein Herr - Sie haben gehört, daß ich erst diesen Mittag von dem Gut meines Vaters nach Berlin gekommen bin.«

»Schade - ich hätte gern eine frische unbefangene Meinung über das neue Stück gehört. Der Verfasser ist ein obscurer Mensch, dem es bisher schlecht genug ging, aber sein Narciß wird Furore machen, Dessoir giebt seine Rolle vortrefflich. Sie werden viel Neues und Interessantes in Paris sehen - aber Gott sei Dank fehlt es augenblicklich auch hier nicht an Neuigkeiten.«

»Ich interessire mich wenig dafür und auf dem Lande hören wir nur, was die Zeitungen bringen.«

»Die Kreuzzeitung natürlich - das Blatt hat sehr gute Berichte während des Krieges gebracht - nur über Oesterreich ist es weniger gut bedient. Ein wahrer Dorn im Auge der ehemaligen Demokratie! Das Königthum in Preußen verdankt ihm viel - seine Gründung war eine That! Es soll sich nicht gut stehen in diesem Augenblick mit Herrn von Hinkeldey?«

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»Ich weiß Nichts davon.«

»So - ich dachte! Aber die Stärke der Zeitung wird immer die sein, wenn sie noch in einer gewissen Opposition zur Regierung steht - versteht sich nach Rechts. Herr von Manteuffel hat sehr wohl den Satz begriffen, daß das Ministerium immer noch eine Partei hinter sich haben muß, die weiter geht, als die Regierung. - Ein schrecklicher Fall, der mit dem Doktor Janson und seiner Familie?«

»Ich las von dem traurigen Ereigniß und hörte in Potsdam davon.«

Aus dem Nebenzimmer vernahm man ziemlich laut die harte Stimme der Baronin. Der Rath beeilte sich, sie mit seiner Unterhaltung zu verdecken.

»Schade, daß Sie nicht gestern hier waren, Sie hätten eine interessante historische Persönlichkeit bei mir getroffen - ich habe mir die Freiheit genommen, den General auch Ihrer Frau Tante vorzustellen.«

»Wen meinen Sie?«

»Paëz - den Exdictator von Venezuela. Ich lernte ihn kennen, als ich in Südamerika war; er hielt sich zwei Tage hier auf.«

»Das blutdürstige Ungeheuer?«

»Ach, bah - glauben Sie nicht Alles, was die Zeitungen erzählen. Er hatte allerdings den Grundsatz, sich nie mit Gefangenen zu belästigen, aber was ist das Erschießen einiger hundert Halbindianer gegen die Metzeleien der hochcivilisirten Nationen in der Krimm? Sie sollten ihn sehen, mit dem dicken, runden, gemüthlichen Gesicht

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und einer Figur wie die meine - wem wird es da einfallen, das kleine Gemetzel von Carabobi mit der Alma oder Inkermann zu vergleichen? - Er ist mit dem weiblichen ewigen Juden gestern zusammen abgereist.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Mit der bekannten Reisenden Ida Pfeiffer - sie will zur Abwechselung einmal nach Madagaskar. Ich möchte wissen, was das der Welt nützen soll - so wenig als die Entscheidung über die Echtheit oder Falschheit der Palymsesse des Griechen Simonides, den die Berliner Polizei jetzt beim Kragen hat, oder der Streit, ob der Schulmeister Bacherl oder der Dichter Halm den Fechter von Ravenna geschrieben hat. Die Menschen quälen sich in der That um lächerliche Dinge.«

»Der Streit scheint mir mehr widerwärtig wie lächerlich zu sein - man sollte die Verdienste eines Dichters wie Halm nicht durch die Albernheiten eines verrückten Dorfschulmeisters herabwürdigen lassen.«

»Bah - als ob nicht auch ein Dorfschulmeister einen guten Gedanken haben könnte! Jetzt geht auch der Stadtgerichtsrath Werther Herrn Laube zu Leibe und verlangt das Erstgeburtsrecht des »Esser.« Man kann sich nicht immer mit Politik beschäftigen. Man will auch einmal eine Abwechselung haben. Die Debatte über den famosen Antrag Wagener's auf Abschaffung des Artikel 4 ist durch die Erklärung der Regierung verhindert worden, die conservativen Zweckessen für den Präsidenten Peters und Herrn von Gerlach sind glücklich verdaut, Dawison's und Devrient's Gastspiel sind überwundene Standpunkte, Petsch

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darf nicht mehr kuriren, Gerson's Contirungsprozeß ist genug beklatscht worden und selbst die Schreckensscene in der Kreutzberg'schen Menagerie ist überwunden - Berlin muß durchaus etwas Neues haben, und - hoffentlich passirt etwas ganz Besonderes in den nächsten Tagen, vielleicht ein kleines Todtschießen oder dergleichen.«

Der Ton, mit dem der Rath die letzte Bemerkung machte, hatte zwar nichts Besonderes, aber der Blick auf den jungen Mann, der sie begleitete, war sondirend. Die Antwort, die gegeben wurde, bewies, daß sein Gesellschafter den Worten keinerlei Bedeutung unterlegte und nur bemüht war, ihn selbst am Reden zu halten; denn wiederum wurde das Gespräch im Nebenzimmer ziemlich laut und man hörte den Namen einer bekannten Tänzerin, mit zornigem Ton von der Freifrau ausgesprochen.

»Was ist in der Menagerie geschehen? Schade, daß ich nicht Zeit hatte, sie zu besuchen - es sollen prächtige Exemplare darunter sein.«

»O ja - namentlich ein Königstiger, so schön wie ich ihn selbst auf Java nicht gesehen, als ich vor dreißig Jahren dort war. Auch der Löwe ist ein tüchtiges Exemplar. Ich war grade dort an dem Abend; denn ich will Ihnen gestehen, ich habe eine kleine Passion für dergleichen Schauspiele - es hat etwas Aufregendes für mich, zu sehen, wie der menschliche Geist die rohe Kraft und Wildheit der Bestien bändigt.«

»Und der Vorfall?«

»Hier haben Sie ihn. Der Thierbändiger hat alle Abende seine Produktionen mit Nero, dem Löwen, und

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dem Tiger Mark zu machen, indem er die Verbindungsthür der beiden Käfige öffnet und die Thiere zu einander läßt. Noch nie ist Etwas dabei passirt - sie folgen freilich knurrend, aber wie die Hunde. An dem Abend aber, von dem ich rede, als Kreuzberger die Thür öffnet, wirft sich unversehens der Tiger mit einem gewaltigen Sprung auf den Löwen und reißt ihn im Nu zu Boden. Das Gebrüll der Bestien war furchtbar und erschütterte die Bude - die meisten Zuschauer mochten glauben, es gehöre zur Produktion, obschon sie vor dem schrecklichen Schauspiel erbebten, ich aber - der ich die Kämpfe der Bestien in dem Thierzwinger des Rajah von Solo gesehen, und die erschrocken herbei eilenden Wärter wußten sogleich, was geschehen. Wir sahen, daß dem Thierbändiger durch die brüllenden und sich wälzenden Bestien der Ausgang versperrt war, aber wir fühlten auch instinktmäßig, daß, wenn es ihm nicht gelang, sie sofort auseinander zu bringen, er verloren war; denn die blinde Wuth der Bestien hätte ihn sofort niedergerissen.«

Der junge Mann horchte der Beschreibung des furchtbaren Auftritts mit einem Interesse, das ihn die Unterredung im Nebenzimmer vergessen ließ.

»Aber was that der Mann - wie wurde er gerettet?«

»Er rettete sich selbst. Kaltblütigkeit und Unerschrockenheit sind immer die besten Helfer - merken Sie sich das für Ihr Leben. So aufgeregt ich war, konnte ich mich doch nicht enthalten, in diesem Augenblick meine ganze Aufmerksamkeit auf das Gesicht des Thierbändigers zu

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werfen. Es war bleich, aber starr wie Marmor, nur die runden schwarzen Augen funkelten wie zwei Feuerstrahlen, als er mit einer blitzschnellen Bewegung das stets für solche Fälle bereit gehaltene Pistol hervorzog, um es dicht an den Ohren der Thiere abzuschießen und sie durch den Knall zu erschrecken. Ich sah, wie er sich bückte, wie er das Pistol an den Kopf des Tigers hielt und losdrückte - aber der Hahn schlug auf, ohne daß der Schuß erfolgte, das Zündhütchen mußte herunter gefallen sein.«

Der Rath machte eine Pause und nahm behaglich einen Schluck Thee, während sein Gesellschafter mit sichtlicher Spannung an seinen Lippen hing.

»Weiter, Herr, weiter! Um Gotteswillen, es geschah doch kein Unglück?«

»Bah - ich wiederhole Ihnen, Herr von Röbel, ein energischer Wille beugt stets die unverständige Kraft. Haben Sie jemals ein gutes Werk über die sogenannte Gesellschaft Jesu gelesen?«

»Was hat diese mit dem Vorfall zu thun - ich bitte Sie, erzählen Sie weiter!«

»Nicht? - nun es ist Schade, daß Sie morgen schon abreisen, ich könnte Ihnen sonst eine vortreffliche Schrift leihen. Mir sind die Jesuiten immer vorgekommen, wie die Thierbändiger, die, wenn das wahr ist, was man von ihnen behauptet, die Leidenschaften der Menschen, die Macht der Hochstehenden und die rohe Kraft der Völker allein durch Klugheit und festen Willen zähmen und leiten.«

»Ich bitte Sie, erzählen Sie lieber den Ausgang der Scene. Ich kümmere mich herzlich wenig um die Jesuiten

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und glaube, daß ihre Macht heutzutage nur noch in der Einbildung besteht!«

»Meinen Sie? - Der Thierbändiger warf sich zurück an die Wand des Käfigs, sein Gesicht war einen Moment lang dunkel geröthet, es war, als stiege ihm das Blut zu Kopf - dann aber ließ er das Pistol fallen, ergriff die an seinem Handgelenk hängende Drahtpeitsche und schlug auf die beiden Bestien ein, als prügle er einen alten Hund, der sich nicht mehr zur Wehre setzen kann.«

»Und die Thiere?«

»Sie gehorchten der Peitsche und fuhren auseinander, wie Knaben, die vom Schulmeister bei einer Straßenbalgerei attrapirt worden sind. Der Tiger kroch heulend und blutend, denn die Pranke seines Feindes hatte ihm die Nase zerrissen, in seinen Käfig zurück, den sein Herr sogleich versperrte, und der Löwe -«

»Nun - der Löwe?«

»Er legte sich, wie tief beschämt über seine Niederlage in den entferntesten Winkel und verließ ihn die nächsten 24 Stunden nicht wieder. Der alte Bursche hatte einen tüchtigen Riß an der Stirn weg und erst an dem Blut merkte das Publikum, daß es diesmal Ernst gegolten und es für seine acht Groschen leicht ein Schauspiel hätte zu sehen bekommen können, wie sie etwa der Namensvetter des Löwen zur Ergötzlichkeit seinen lieben Römern zum Besten gab.«

Jede Bemerkung des jungen Mannes wurde durch den raschen Eintritt des Offiziers abgeschnitten, der roth

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und erhitzt aus dem Zimmer trat und nach seinem Paletot und seiner Mütze griff.

»Komm Otto! ich bin hier fertig!«

Die Freifrau war ihm gefolgt, auch auf ihrem hagern strengen Gesicht zeigten sich die Spuren von Aufregung, die Stirn und die schmalen Lippen waren unwillig zusammen gezogen.

»Geh' Undankbarer - das ist der Dank für meine Nachsicht und Liebe!«

Der Offizier war schon an der Thür. Er schien wenig auf den Zorn der Dame zu achten und wandte sich nur um, um nochmals seinen Bruder anzureden.

»Es ist Zeit, Otto - mein Pferd steht vor der Thür. Ich muß Dich sprechen!«

Er ging ohne Gruß davon. Die Kammerherrin hatte sich wieder auf das Sopha gesetzt, kerzengrade, aber sie hielt das Tuch vor das Gesicht. Otto von Röbel fühlte sich auf das Höchste bedrückt durch die Scene, namentlich durch die Anwesenheit eines Fremden dabei. Er nahm daher gleichfalls seinen Hut und trat zu der Verwandten, um sich von ihr zu verabschieden.

»Verzeihen Sie, liebe Tante,« sagte er freundlich, »daß ich Sie so verlasse. Fritz ist gut, er ist nur etwas aufbrausend; er wird sein Unrecht gewiß einsehen, und Sie werden ihm verzeihen. Mich aber behalten Sie in Ihrem freundlichen Andenken und der Himmel lasse mich Sie wohl und gesund wiederfinden, wenn er mich selbst glücklich zur Heimath zurückführt.«

Er küßte ehrerbietig ihre Hand. Die Freifrau nahm

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das Tuch vom Gesicht und erhob sich; - man sah die seltenen Spuren von Thränen auf diesem festen verschlossenen Gesicht.

»Bleib' noch einen Augenblick,« sagte sie fest - »Jener Undankbare kann wohl so lange auf Dich warten.«

Dann ging sie ruhigen Schritts zu ihrem Secretair, öffnete mehre Schubladen und kam mit dem Gegenstand zurück, den sie gesucht. Es war eine goldene Dose mit einer Namenschiffre in Emaille.

»Ich habe Dir niemals Etwas geschenkt, Neffe,« sagte sie ernst - »meine ganze Liebe gehörte dem Undankbaren. Ich habe vielleicht Unrecht gethan, Dich und die Rosamunde zu vernachlässigen - aber es läßt sich nicht ändern. Nimm dies als ein Andenken an mich und Deinen verstorbenen Onkel. Er hat sie lange getragen, denn sie war auch ihm ein Andenken von einem Mann, dem er einst Gelegenheit hatte, einen wichtigen Dienst zu leisten. Und nun geh mit Gott und denke mit Freundlichkeit der Schwester Deiner Mutter, wenn Du mich etwa nicht wieder finden solltest; denn ich habe nie etwas Anderes gewollt, als den Glanz und die Ehre der Familie.«

Sie küßte ihn auf die Stirn und deutete mit ruhiger sicherer Geberde nach der Thür.

Der junge Mann küßte nochmals ihre Hand, grüßte dann flüchtig und zurückhaltend den Rath und verließ gleichfalls das Zimmer.

Die Freifrau sah lange starr vor sich hin; selbst ihrem Vertrauten gegenüber zögerte sie, ihr Herz zu öffnen und ihre Sorgen auszusprechen.

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Der Rath kam ihr zu Hilfe. »Der junge Herr wollte sicher wieder Geld?«

Sie nickte. »Er ist sehr leichtsinnig!«

»Aber Sie gaben es ihm nicht?«

»Nein - obschon er anfangs bat und dann behauptete, seine Ehre stände auf dem Spiel!«

»Die hat in letzter Zeit ziemlich oft auf dem Spiel gestanden,« sagte der Rath phlegmatisch. »Bei der Dame da drüben ist gerade nicht sehr viel davon zu holen!

»Wenn er nur dahin ginge, das könnte ich ihm noch vergeben - es ist immer eine Frau, und ein Cavalier kann sich verführen lassen! aber Sie selbst haben mir die Beweise gegeben, daß er ... daß er ...«

»Daß er die Gesellschaften des Herrn Samuel Jonas besucht und mit ihm in sehr vertrautem Verhältniß steht? - O beruhigen Sie sich, gnädige Frau - Herr Jonas ist jetzt ein sehr gesuchter Mann und Barone und Grafen verkehren bei ihm. Er hat Ihren Neffen in ganz besondere Protektion genommen und hat Nichts dawider, daß er seiner Tochter Rosa den Hof macht.«

Das Gesicht der Freifrau röthete sich von dunkler Gluth. »Mein Herr - keine Unverschämtheit!« sagte sie zornig.

Der Rath blieb sehr kalt und eisig. »O, ich sage keineswegs, daß er ernstliche Absichten hat - Gott soll mich bewahren! Wir müssen uns in die neue Zeit fügen, gnädige Frau - die Leute vom Geldsack führen jetzt das Regiment und Geld ist eine Tünche, die alle Vergangenheit deckt. Darf ich das Nähere wissen, was dem jungen Herrn passirt ist?«

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»Der Unglückliche hat wiederum gespielt!«

»Bei der Tänzerin?«

»Wo anders - es muß ja ein förmliches Raubnest dort etablirt sein für den jungen Adel!«

»Aber ein sehr elegantes und comfortables. Doch, Sie irren sich, - die Herren finden in der Stadt weit eher Gelegenheit. Madame liebt nur das Solide und zieht sogar den älteren Bürgerstand vor, wenn er nur aus guten Bankiers, Rentiers und reichen Hausbesitzern oder Geschäftsleuten besteht. Erst neulich hat ein simpler Berliner Bürger dort 30000 Thlr. verloren und sich und seine Familie ruinirt.«

»Das kommt davon, wenn solche Leute sich über ihren Stand erheben!«

»Sie haben Recht, gnädige Frau, das Spiel ist eine zu kostspielige Passion für die Stände, die schon durch ihre Geburt bestimmt sind, zu erwerben. Wir hätten Ihre Neffen nicht zusammen fortgehen lassen sollen.«

»Warum?«

»Weil der jüngere wahrscheinlich einen Theil seines Reisegeldes einbüßen wird.«

»Mein Herr!«

»Gnädige Frau?«

Die Kammerherrin bezwang sich. »Aber wenn es wirklich der Fall sein sollte, wenn es eine Ehrenschuld ist, die er decken muß? Vielleicht, daß es ihn zur Umkehr bewöge -«

Der Rath sah sie ruhig an. »Ich habe kein Recht,« sagte er kalt, »Sie zu verhindern, sich vollends zu ruiniren. Aber als Freund Ihres verstorbenen Gatten habe ich die Pflicht, Sie zu warnen. Ihr Vermögen ist dadurch, daß

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Sie die Schulden Ihres Neffen in Paris gedeckt haben, vollständig darauf gegangen, die Rente, die Sie von dem Güternachlaß beziehen, bereits auf ein Jahr verpfändet - wollen Sie, einem leichtsinnigen jungen Mann zu Liebe, auch noch Ihre Stellung bei Hofe compromittiren?«

Das Mittel half - jene Luft der exclusiven Region, die ihr Lebensbedürfniß war, ging ihr noch über die Vorliebe und Neigung zu dem leichtsinnigen Neffen. Mit dem gewöhnlichen Frauentakt, der es liebt, die Schuld sofort auf Andere zu wälzen, beruhigte sie sich schnell. »Sie haben Recht, - warum sollte ich mich dafür opfern, wo die Thorheit und der Eigensinn seines Vaters allein die Schuld tragen? Hätte er ihn nicht um die Erbschaft gebracht, so wäre der Fritz nicht in Verlegenheit. Jetzt mag er die Folgen tragen! Sind Sie nicht auch der Meinung, lieber Rath?«

Ein unheimliches Lächeln glitt flüchtig über das Gesicht des Gefragten; er wußte, in welchen schlimmen Händen der leichtsinnige junge Mann sich befand, und was über kurz oder lang die Folge sein mußte, aber er vermied möglichst, auf die Erbschaft, das Lieblingsthema der Freifrau zurückzukommen und wandte das Gespräch auf einen andern Punkt.

»Se. Majestät sind heute Nachmittag von Neu-Ruppin zurückgekehrt?«

»Um halb Sechs.«

»Nichts Neues aus dem Schloß?«

»Doch! die Anwesenheit Otto's verhinderte mich nur, es Ihnen mitzutheilen, da Sie erst so spät von Berlin kamen. Eine Dame wartete auf den König und bat um Gehör.«

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»Nun?«

»Sie hat Se. Majestät mitgetheilt, daß das Duell des Polizei-Präsidenten schon morgen stattfinden soll.«

»Wirklich! Und wer war denn die Dame, die so vortrefflich unterrichtet ist?«

»Eine ältere Hofdame - der Name thut ja Nichts zur Sache!«

»Das ist wahr. Wissen Sie, was der König geantwortet hat?«

»Seine Majestät haben sie beruhigt - die Sache wäre keineswegs so eilig und würde in Ordnung gebracht werden.«

Der Rath schien über die Nachricht nachzudenken, aber er wurde darin unterbrochen, indem sich die Thür öffnete und sein alter Diener hereinschaute.

»Was willst Du, Andreas - was giebt's?«

»Es ist Jemand unten, Herr Rath, der Sie zu sprechen wünscht.«

Der Kommissionsrath war aufgestanden und zu dem Diener getreten.

»Wer ist es?«

Der Alte sagte ihm ein Wort in's Ohr; der Rath wandte sich sofort zur Baronin. »Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich Sie auf einige Augenblicke verlassen muß. Sollte es Etwas sein, was uns Beide interessirt, so komme ich noch herauf - sonst auf Wiedersehen morgen.«

Er verließ das Zimmer und ging nach dem Parterregeschoß.

In einem kleinen mit Raffinement jetzt noch für die

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Wintersaison eingerichteten Salon erwartete ihn der Besucher. -

Es war ein Mann von vorgerückten Jahren, obschon die schmale hagere Gestalt und das gleiche längliche Gesicht ihn jünger erscheinen ließen, als er wirklich war. Das Haar war kurz und spärlich, das Gesicht faltig, die Nase fein und etwas gebogen, das Auge ziemlich matt und häßlich, die Haltung aristokratisch.

Der Fremde hatte sich's bequem gemacht, als ob er zu Hause sei, oder dem Rath durch seinen Besuch eine Ehre erzeige. Doch lag in seinem ganzen Wesen eine gewisse höfische Cordialität. Er hatte einen amerikanischen Schaukelstuhl zu dem Kamin gezogen, in dem ein leichtes Feuer brannte, und wärmte sich behaglich. Als der Rath eintrat, lehnte er sich aus dem Stuhl vor und streckte ihm, ohne aufzustehn, eine der seinen hagern Hände entgegen.

»Guten Abend, lieber Commissionsrath - ich habe Sie gewiß gestört in einem zärtlichen ttzw-a-tew mit Ihrer höchst verehrungswürdigen aber in allen Richtungen etwas passirten Mietherin? - Nun - Nichts für ungut! Jeder hat seinen Geschmack, und Treue in alten Freundschaften ist eine sehr lobenswerthe Eigenschaft. A propos, warum waren Sie vorgestern nicht bei den Lessings?«

»Ich war leider verhindert, Excellenz!«

»Still, mit der Excellenz - die steht nicht im Mandat - wir müssen uns etwas nach dem Geschmack der liberalen Wähler richten und uns populair machen. Aber ich wollte nicht zur Stadt zurück, ohne sie besucht zu haben - darum komme ich so spät nach.«

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»Euer Excellenz - Sie waren im Schloß?«

»Das kann ich so eigentlich nicht sagen, indeß, es bleibt sich ziemlich gleich, wie Sie wissen. Zum Beweis dafür kann ich Ihnen mittheilen, daß vor kaum 15 Minuten ein reitender Bote mit einer Ordre an Westphalen nach Berlin gesandt worden ist.«

»Noch an den Herrn Minister?«

»Ganz recht - aber ich weiß, er bleibt spät auf. Und wollen Sie wissen, was die Ordre enthält?«

»Wenn Sie die Gnade haben wollen, es mir mitzutheilen!«

»Oh, kein politisches Staatsgeheimniß, Herr von Manteuffel hat die alle mit nach Paris genommen. Es ist nur die Ordre an den Minister, von der Stunde des Empfangs ab den Gegner des Herrn von Hinkeldey auf das Genaueste, aber sehr secret, beobachten, das heißt, ihn unter polizeiliche Aufsicht stellen zu lassen.«

»Der Zwist wird demnach keine blutigen Folgen haben? »Wer weiß!« ich hörte bereits davon!«

Die Worte waren in so eigenthümlichem Ton hingeworfen, daß der Rath stutzte.

»Wie meinen Sie das?«

»Wissen Sie, was die Ordre veranlaßt hat?«

»Wie soll ich das wissen - ich hoffe es durch Euer Excellenz zu erfahren.«

»Vor etwa einer halben Stunde ist eine Depesche im Schloß abgegeben worden. Die Adresse an Se. Majestät ist von der Hand des Polizei-Präsidenten, eben so ein Protokoll über die Aussage zweier unbekannter Personen, das

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einlag. Es enthielt den Beweis, nach dem man in der Untersuchung gegen den Agenten Techen so lange geforscht hat, daß die gestohlenen Depeschen aus Petersburg in der That an ein fremdes Gouvernement verkauft waren und die Abschriften regelmäßig nicht bloß zu Herrn v. Manteuffel, sondern auch in die französische Gesandtschaft wanderten.«

»Den Teufel! Und wer hat diese Entdeckung gemacht?«

»Der Generaldirektor. Die concurrirenden Personen sind ganz unbedeutender Natur. Der König ist äußerst aufgebracht - wäre Niebuhr da gewesen, statt weislich krank, er hätte vielleicht diesmal eine Folio-Ausgabe erhalten, statt des frühern Octav. Die Depesche an den Minister des Innern wurde sofort expedirt und ich wette Zehn gegen Eins, daß Herr v. Hinkeldey morgen Vormittag eine lange und vertrauliche Audienz hat, statt im Namen der Preußischen Bureaukratie mit der Aristokratie Kugeln wechseln zu müssen.«

Der Rath sann augenscheinlich betroffen von der Mittheilung nach.

»Teufel« - sagte er - »das Zerwürfniß war so schön im Gang. Der Ausgang des Duells ist ganz Nebensache und gleichgültig - aber ist es einmal gestört und bekannt, so kann es überhaupt nicht stattfinden. Der General-Direktor darf unter keinen Umständen wieder Einfluß und das Vertrauen des Königs gewinnen. Aber ich gestehe - mein Latein ist am Ende!«

Sein Gesellschafter nahm ein Papier aus der Tasche und reichte es ihm. Es war ein Memoire in Quart;

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ein ganzer Bogen in Doppelspalten gedruckt, datirt von Anfang März, ohne Angabe des Druckorts.

»Was ist das?«

»Lesen Sie! Es ist diesen Abend in tausend Exemplaren in Berlin durch die Stadtpost verbreitet worden. Sie wissen wohl nichts davon, da Sie nicht dort waren.«

Der Rath überflog eifrig die sieben Seiten. Einzelne Worte, die er während der Lectüre ausstieß, bewiesen das große Interesse, das er daran nahm. Als er fertig war, schlug er mit triumphirender Miene das Blatt zusammen und gab es zurück. »Das ist Alles, was wir brauchen! - ich mache dem Schreiber oder Erfinder des Streichs ein Kompliment, es ist der erste tüchtige Coup, dessen sich die Gothaner rühmen können und vollkommen geeignet, durch Compromittirung und Mißtrauen den Zwiespalt der beiden conservativen Factoren unheilbar zu machen. Die klare Veröffentlichung, daß Herr von Manteuffel und der General-Direktor die Sache in der Hand hatten, ist zu schlagend. Es muß noch diesen Abend in die geeignete Hand kommen und das Gift wird seine Wirkung thun! Erlauben Sie mir, davon Gebrauch zu machen?«

»Ganz, wie Sie wollen!«

Der Rath schlug die Druckschrift in ein Couvert, das er jedoch mit keiner Adresse versah. »So! - Brief gegen Brief! Wer das letzte Wort hat, hat den Sieg! Erlauben Sie, daß ich Sie einige Augenblicke allein lasse!«

Sein Besuch machte eine bloße Handbewegung. Der Rath verließ das Zimmer und man hörte ihn die Treppe im Flur hinauf steigen.

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Zehn Minuten darauf saß er diesem Besuch wieder gegenüber.

»Ich gratulire zu dem großdeutschen Ministerium!«

»O liebster Rath, so weit sind wir noch lange nicht; erst müssen wir Manteuffel und die Kreuzzeitungspartei los sein und das geht so rasch nicht - diese Leute sind wie die Kletten und der König ist auf seine specifisch Preußische Politik versessen und glaubt Wunder, welche Großthat er mit der Zurückweisung der deutschen Kaiserkrone gethan hat. In diesem Augenblick hat Preußen durch seine feste Neutralität in der orientalischen Frage sich eine zu günstige Stellung in Deutschland gemacht - der Schimmel von Bronzell und die Niederlagen von Dresden und Olmütz sind überwunden. Man muß es erst wieder isoliren und ihm beweisen, wie wenig es auf die deutschen Fürsten zählen kann und daß es sich einzig dem Volk in die Arme werfen muß. Man muß ihm einen Rival gegenüber stellen, um es vorwärts zu treiben!«

»Oesterreich!«

»Das ist Nichts - Oesterreich ist mit sich selbst noch nicht fertig und überdies zu gefährlich. Unsere Puppe muß nur Macht haben und drohend erscheinen durch uns selbst. Der Mann dazu ist ja da!«

»Sie meinen den Herzog?«

»Versteht sich - kann ein Besserer gefunden werden? Zu dergleichen sind die Koburger wie expreß auf der Welt. Der liebe Gott hat sie ganz besonders zur constitutionellen oder liberalen Aushülfe geschaffen, sie sind die politischen Mädchen für Alles! Oder haben Sie je gehört, daß die

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Engländer mit dem Prinzen Albert, die Belgier mit Leopold oder die Portugiesen mit dem Mann der Maria da Gloria unzufrieden gewesen? Sehen Sie, das ist die echte rechte constitutionelle Fürstenrace, wie sie eine Deputirtenkammer braucht - sie hat das Talent der ungefährlichen Intrigue und der anständigen Repräsentation!«

»Dann liegt aber die Gefahr nahe, daß die Demokratie sich ihrer eben so leicht bemächtigt!«

»Nicht doch - nur bis zu einem gewissen Grade. Ich glaube nicht, daß sich Einer zum Präsidenten der deutschen Republik hergeben würde. Ein anständiger Königstitel, so ein gewisser constitutioneller Purpur, sei es in Form einer Krone oder eines königlichen Unterrocks, ist das, was nothwendig ist. Schade, daß in diesem Augenblick die Familie nicht zahlreicher ist, wir könnten sie brauchen. Zum Glück kann England jetzt aushelfen. Es fehlt nicht an einigen Ländern und Ländchen ohne legitimen Thronerben und ein Congreß oder ein kleines Arrangement mit Frankreich schiebt sie leicht ein. Ich versichere Sie, lassen Sie die Engländer erst an ein Paar Stellen in Deutschland festen Fuß gefaßt haben, und Sie sollen Ihre Freude erleben, wie prächtig das constitutionelle Leben emporwächst.«

»Sie sagen alles Dies in einem Ton, daß man in der That nicht weiß, was eigentlich Ihr Ernst ist. Ich kann mir kaum einbilden, daß Sie wirklich ein deutsches Kaiserthum unter einem Herzog von Koburg denken können!«

»Es wäre nur ein letztes Auskunftsmittel - ich bin ein viel zu guter Preuße, um nicht Preußen an der Spitze von Deutschland sehen zu wollen, indem es darin aufgeht.

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Aber dazu muß es getrieben werden. Wir wollen keine Selbstherrscher mehr, so wenig wie eine Republik, sondern Fürsten, die sich dem Verein der Nation fügen und mit der Repräsentation zufrieden sind. Die Macht muß da liegen, wo sie hin gehört, in den Händen der Vertreter des Volks. Und die Fürsten werden das einsehen, wenn man sie geschickt erst etwas compromittirt hat. Man muß diese Stützen, auf denen der Feudalismus ruht, einigermaßen beschneiden. Hebung des coulanten Kapitals auf Kosten des conservativen Grundbesitzes, Emancipation von der Kirche durch die Einführung der Civilehe und des freien Unterrichts, eine gewisse Souverainetät des Richterstandes, genaue Kontrolle der Finanzen und Unterordnung des Militairs unter die Verfassung - das ist vollkommen genügend.«

»Aber glauben Sie, daß das Volk bereits reif ist für ein solches constitutionelles System?«

»Gewiß! Vor der Demokratie oder besser vor der Republik hat man in Deutschland eine bestimmte Scheu, sie wird, wenigstens in diesem Jahrhundert schwerlich aufkommen. Der Constitutionalismus gewährt dieselben Freiheiten bei größerer Sicherheit. Ich bin überzeugt, in zehn Jahren werden wir eine deutsche Verfassung haben!«

»Mit Koburg an der Spitze?«

»Nein - ich hoffe mit Preußen.«

»Und Oesterreich?«

»Oesterreich hat zu verschiedene Elemente, um ganz in das System zu passen. Es wird mit seinen deutschen Provinzen sich dem Allgemeinen unterordnen oder ganz

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ausgeschlossen bleiben müssen. Oesterreich hat in diesem Augenblick mit seinem Concordat die deutschen Sympathien verloren. - Der Liberalismus muß dort erst wieder Kraft und Kraft und Einfluß gewinnen.«

»Und glauben Sie, daß die deutschen Fürsten so willig zustimmen werden?«

»Manche - manche auch nicht! Aber die Kammern haben fast überall das Geldbewilligungsrecht. Sie sehen ein, daß sie Concessionen machen und mit der Zeit fortschreiten müssen. Ist erst der Widerstand Preußens gebrochen, dann fallen die andern von selbst uns zu, selbst der Eigensinn Hannovers und die Stabilität Mecklenburgs wird sich beugen, und deshalb müssen jetzt alle Mittel benutzt werden, um das reactionäre System in Preußen zu beseitigen. Die liberalen Ideen sind überall thätig; wir benutzen die Demokratie und schicken sie in's Feuer, während die Früchte uns gehören.«

»Es ist ein gefährliches Bündniß, Excellenz - es könnte leicht in das Gegentheil umschlagen!«

»Bah! - wir operiren mit einem Theil gegen den andern, mit der Reaktion gegen die Demokratie. Darin liegt eben die Regierungskunst und wir werden das Gleichgewicht zu bewahren wissen, wenn wir erst wieder am Ruder sind. Ich weiß, daß Sie zu uns gehören und sich nach dieser Taktik Einfluß in allen Parteien bewahrt haben, deshalb spreche ich mich so offen aus. Männer wie Sie sind für uns von besonderem Werth. Wir werden es nicht vergessen, daß wir Ihnen manchen wichtigen Wink verdanken.«

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Der Rath hatte während des Gesprächs ein Schubfach seines Secretairs aufgeschlossen und eine Mappe herausgenommen, in der er blätterte.

»Sie rechnen also gewissermaßen auf eine Coalition der liberalen Fürsten Deutschlands, um Preußen zu nöthigen, den jetzigen Weg zu verlassen.«

»Wenn es sein muß - ja! Die Interessen Deutschlands müssen, wenn es zur Entscheidung kommt, über denen Preußens stehen.«

»Vielleicht kann ich Ihnen einen Wink geben. Haben Sie je von einem Briefe gehört, den der König von Württemberg, der Nestor der deutschen Fürsten, während der Dresdner Conferenzen an den Fürsten Schwarzenberg geschrieben hat?«

»Nein, wir hielten uns damals aus Princip von allen Staatsgeschäften entfernt. - So viel ich weiß, hat auch nie eine Zeitung eines solchen Erwähnung gethan.«

»Die Zeitungen wissen gar Manches nicht, was nichts desto weniger doch existirt. Hier ist die Abschrift jenes Briefes - er hat auch jetzt noch genug Interesse für Ihre Freunde in Württemberg und Baden.«1

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Der Andere las das Aktenstück. »Ich danke Ihnen liebster Rath - es ist eine Erklärung, an die wir uns halten werden, wenn es Zeit ist. Doch jetzt leben Sie wohl - es ist Zeit, daß ich nach Berlin zurückkehre. Ich

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hoffe, daß das kleine Memoire seine Schuldigkeit thun und die Versöhnung der Reaction in die Luft sprengen wird! Ich bin neugierig auf die morgenden Neuigkeiten!«

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Er drückte lachend dem Rath die Hand und dieser begleitete ihn zu der Hausthür. Als er mit einem spöttischen Lächeln auf dem breiten Gesicht in sein Zimmer zurückkehrte, hatte den Platz des Gegangenen bereits eine andere Person eingenommen, ein Mann, klein, hager und schmächtig, aber mit klugem Gesichtsausdruck, in einen blauen Mantel gehüllt, bei dessen Oeffnen man eine dunkle Kleidung erkannte, wie sie die katholischen Geistlichen im bürgerlichen Leben zu tragen pflegen.

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Der Rath schüttelte ihm die Hand. »Andreas sagte mir, daß Sie im Kabinet säßen. Ich hoffe, Sie haben unsere Unterredung von A bis Z mit angehört. Diese Gothaer sind unverbesserlich, aber auch unbezahlbar. Sie sehen in ihrem Dünkel nicht, wie sie von beiden Seiten benützt werden, aber ohne sie würden wir in der That einen schweren Standpunkt mit Preußen haben. Der Brocken - dieser ganz werthlose Brief, mehr Geschwätz als Gefahr, - den ich ihm hingeworfen, wird sein blindes Vertrauen verdoppeln, daß ich zu ihnen gehöre. Ich kann es beiden Parteien nicht verdenken, daß man sie in der Kammer als den gemeinschaftlichen Prügeljungen behandelt. Sollten sie ja noch ein Mal an die Regierung kommen, so werden sie sich gründlich blamiren!«

»So viel ich durch die Portiere hören konnte, hat er uns indeß den Dienst geleistet, um dessen willen ich so spät noch komme. Hier sind noch zwei Exemplare des verbreiteten Briefes.«

»Die Baronin ist mit dem ersten bereits an die richtige Stelle!«

»Und wie befindet sich mein künftiges Beichtkind?«

»Sie hat sich sehr nach Ihrem Besuch gesehnt und Sie werden ihr morgen um so viel willkommener sein, als sie diesen Abend einen Auftritt mit ihrem liederlichen Neffen hatte, der sie sehr alterirt, obschon sie es sich nicht merken lassen will. - Aber haben Sie Nachrichten von dem Kinde?«

»Die frommen Schwestern klagen sehr über den ungeberdigen hartnäckigen Charakter des Mädchens. Körperlich ist sie so wohl, wie man nur wünschen kann.«[]

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Sie hat den Trotz und die Unbeugsamkeit von der Mutter geerbt - aber diese Eigenschaften müssen gebrochen werden. Wissen Sie, was das Frauenzimmer gethan hat? Sie haßt den Mann, der am 18. März ihren Liebhaber, den Vater des Mädchens erschossen hatte, auf's Bitterste und hat ihm die teuflischsten Schlingen gelegt, um ihn zu verderben. Er war bereits bankerott, als ihm ein großer Lotteriegewinn und andere Zufälle zu Hilfe kamen, denn er ist ein gewandter Mensch, und ihn in kurzer Zeit wieder wohlhabend machten. Jetzt hat sie ihn, den Gehaßten, geheirathet, nur um ihn so desto sicherer zu ruiniren durch ihre eigene Verschwendung und die Thorheiten, zu denen sie ihn reizt.«

»Wenn sie ihr Kind behalten hätte, -«

»Der Zufall hat es uns in den Schoos geworfen, oder vielmehr die Vorsehung. Nahmen wir es nicht, so fiel es in die Hände jenes Verbrechers, ihres Bruders - oder in die der Baronin und Beide hätten es nur für ihre Pläne gebraucht. Jetzt gehören das Mädchen und seine Ansprüche uns, das Testament ist noch immer in Gültigkeit und daß die Familie gegen unsere Beweise keine Einsprüche erheben wird, dafür werden wir sorgen. Die schlechten Leidenschaften Derer, die uns im Wege stehen, werden sie vernichten - dann ist es Zeit für uns. Doch nun zu Wichtigerem. Wie lauten Ihre Nachrichten aus London?«

»Die Rüstungen werden mit großer Anstrengung betrieben, alle Häfen und Depots an der Küste sollen befestigt werden.«

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»Man fürchtet also, daß England das nächste Ziel für den Ehrgeiz oder die Revange des Kaisers sein wird.«

»Die offenbare Annäherung an Rußland hat die Besorgniß erregt - die englischen Zeitungen sprechen sich ziemlich ungenirt über die Alliirten aus.«

»Das ist der Aerger wegen der Niederlagen in der Krimm. Die Enthüllungen Lacy Evans im Parlament über die jämmerliche Führung der britischen Truppen in der Krimm; der Uebermuth, mit dem Stratford sich in Constantinopel als Herr geberdet und den Sultan gezwungen hat, seinen Ball zu besuchen; die Excesse der englisch-italienischen Legion; die Intriguen Sardiniens mit diesem Satan Cavour in Paris: das sind alles beachtenswerthe Zeichen, aber sie geben keinen Ausschlag. Glauben Sie mir, vor der Hand wird die entente cordiale, wenn auch einige Risse, doch noch lange keinen Bruch erhalten, denn der Kaiser Louis Napoléon braucht England noch als Staffage und Reserve für andere Pläne. Erst später, wenn er mit den anderen Mächten Europa's fertig ist, kommt England an die Reihe. Und wenn er aus dem orientalischen Krieg Nichts davon trägt, als die Genehmigung der Lesseps'schen Pläne des Suez-Kanals, ist es ein wichtiger Triumph. Sehr richtig hat Thiers neulich bemerkt: »Frieden! ja bisher hat er Glück gehabt, aber nach dem Frieden wird er Genie haben müssen!« Es gilt ihm, die Spaltung zwischen England und Rußland dauernd zu machen und der Haß ist bereits groß genug, das beweisen all' die kleinen Züge und Anekdoten. Man agitirt ganz geschickt mit kleinen Bosheiten. So zum Beispiel

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fand man, als Graf Walewski bei seinem Fest neulich den Conferenzsaal mit den dreizehn unglücklichen Stühlen seinen Gästen geöffnet hatte, auf dem Tisch am Morgen ein Blatt Papier mit einem gemeinen englischen Schimpfwort gegen Rußland und vor dem Platz Orloffs war mit Bleistift auf ein anderes Blatt »Prenez garde!« geschrieben. Orloff hat neulich gründlich dem neuen Protegée der Engländer, Cavour, die Wahrheit gesagt, und als Lord Clarendon wegen Nicolajeff drängte, gab der Graf sehr bezeichnend zur Antwort: »Wenn man in jeder Festung eines großen Staates eine Gefahr für den kleineren sähe, müßte England vor Allem Gibraltar schleifen!« Der Pariser Witz sagt bereits: »Die Engländer und die Russen sind so weit auseinander, et pourtant il n'y a que Benedetti entre eux!2 Nicht ohne Bedeutung war neulich die zahlreiche Betheiligung am Todestage des Kaisers Nicolaus!«

»Es ist traurig, daß dies auch in Wien geschehen, - er war der Unterdrücker der katholischen Kirche in Polen und unsere Brüder erwarten, daß man die Conferenzen benutzen wird, um die Sache des unglücklichen Polens zu vertreten!«

»Meine Nachrichten aus Paris und Warschau lauten anders - auch in Rom ist man der Ansicht, daß die Gelegenheit nicht günstig sei. Zunächst muß man abwarten, welche Stellung der Kaiser Alexander zu Polen einnehmen wird - man hofft auf ein bedeutendes Entgegenkommen

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gegen den päpstlichen Stuhl. Preußen steht frisch und gerüstet und würde Rußland sofort zu Hilfe kommen - für Oesterreich aber entspränge in diesem Augenblick eine bedeutende Gefahr durch eine polnische Erhebung - dann ...«

»Nun?«

»Ich fürchte nach Allem, daß Oesterreich es sein wird, welches zunächst die napoleonische Politik bedroht. Aus diesem Grunde gilt es auch, seine Suprematie in Deutschland wieder zu sichern und Preußen zu isoliren. Wenn dies gelungen, dann wird es Zeit sein, an Polen zu denken - in diesem Augenblick ist es zu gefährlich, die Revolution zu unterstützen, wo es auch sei, und die Stützen Roms zu schwächen.«

Der Andere dachte einige Augenblicke nach, dann nickte er zustimmend. »Ich muß mich Ihrer Ansicht beugen,« sagte er, »obschon ich es ungern thue. Die Stellung unserer Kirche in Polen wird täglich trauriger und das griechische Schisma, das uns die Macht über Geistliche und Laien entreißt, nimmt zu. - Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß der Herzog heute Abend angekommen ist und morgen nach Wien weiter reist!«

Der Rath rieb sich die Hände. »Das ist vortrefflich. Ich hoffe man wird in Wien klug genug sein, sich seine Sympathien zu sichern. Die Folgen gehören nicht der nächsten Zeit, aber der Zukunft. Der Abfall zweier protestantischen Fürsten von Preußen wird nicht ohne Wirkung bleiben - in Baden und Hessen lauert man nur auf die Gelegenheit, es dem Beispiel Oesterreichs mit Rußland nachzuthun. Die Regierung muß zu der Erkenntniß gebracht werden, daß sie

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ohne die Unterstützung der katholischen Partei dem Sieg der Revolution über kurz oder lang entgegengeht. Dann ist unser Einfluß gesichert. Und nun noch Eins, wann schreiben Sie an unsere Freunde in Freiburg und Luzern?«

»Morgen!«

»Dann lassen Sie gefälligst eine kleine Warnung einfließen wegen der Schweizer Papiere. Man möge sich so bald als möglich des Neuenburger Anlehens entledigen!«

»Wie so - was ist geschehen?«

»O Nichts - ich habe nur manchmal so ein kleines Vorgefühl, das sich an unbedeutende Dinge knüpft. Die Zahl der Royalisten in Neuchâtel ist noch immer sehr bedeutend und wir haben keine Ursache, der Demokratie in der Schweiz einen Schlag zu ersparen. Die erste Kenntniß von der Aufhebung der Spiritus-Bonifikation und dem Abschluß des Waffenstillstandes in der Krimm hat uns gestern an der Börse einen Profit gesichert, den ich nicht gern wieder an einem andern Ort verlieren möchte. Carracho! ich möchte die Gesichter der adligen Spiritusfabrikanten sehen, wenn sie wüßten, wer ihnen den Streich mit der Brochüre »das tägliche Brod und der Spiritus!« gespielt hat! - Die Course werden jetzt regelmässig[regelmäßig] steigen, die pariser Berathungen können nichts Entscheidendes mehr bringen - man ist auf den Frieden vorbereitet und das Spiel ist jetzt Sache der Bankiers. Sie können Louis Napoléon eine Dankadresse votiren!«

Der geistliche Herr lachte. »Der schlesische Adel beglückwünscht den Kaiser Alexander und die Magdeburger Synagoge

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Bonaparte - das Centrum hat in der That eine glückliche Stellung! Aber nun gute Nacht - ich bin müde und muß morgen bei Zeiten nach Berlin zurückkehren. Bemühen Sie sich nicht, Sie wissen, ich habe nicht weit bis zu unserem Kloster, dem die Heiligen Segen und Gedeihen schenken mögen!«

»Ich beneide Sie um die Nachtruhe,« sagte ihn begleitend der Rath. »Ich muß die Baronin noch sprechen, um den Erfolg zu erfahren, und habe dann wichtige Berichte zu schreiben. Gutenacht!«

Der alte Diener öffnete mit dem Leuchter in der Hand ehrerbietig die Thür.



»Fünfundzwanzig Friedrichsd'or auf die Dame!«

»A moitié, monsieur le baron!«

Die weiche, schön geformte Hand der Andalusierin neckte ihn mit dem Champagnerglase, ehe sie es selbst an die vollen rothen Lippen setzte, denen das seine Pomadenroth von Dupuytren den jugendlichen Purpur wieder gegeben hatte.

Die Toilette der Spanierin war vortrefflich gewählt. In dem blauschwarzen Haar die feuerrothen Mohnblumen und weißen Perlen hoben das Feuer des dunklen Auges, die seine schwarze Linie, welche die untere Wimper geschickt verstärkte, verlieh demselben eine Tiefe und Gluth, welche den tiefen Schatten vergessen machte, der bereits unter ihm lag. Das Passé des kräftigen lebensbegehrlichen Gesichts war sehr geschickt durch die feinsten Künste der Bühnentoilette verjüngt und der dunklere südliche Teint verlieh ihm

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eine Wärme und Fülle, welche der Bedeutung des sichtbaren Flaums entsprach, der wie bei vielen der glühenden Frauen des Südens die Oberlippe säumte.

Aber der Hauptreiz dieses Weibes lag in der unvergleichlichen so üppigen und doch graziösen und schlangengewandten Gestalt. Diese lüsternen verlockenden Wellenformen des Halses und Nackens, der ganzen köstlichen Büste bogen sich so verführerisch in dem tief ausgeschnittenen schwarzseidenen spanischen Kleide mit dem halb geöffneten Mieder, - der kurze schwarze Schleier fiel so kokett von der Haarkrone nieder auf den sammetartigen Nacken - die vollen bis an die kurzen, nur einige Finger breit über die Achsel hinausgehenden Aermel entblößten Arme bewegten sich so graziös - die breiten gerundeten Hüften von einer rothen Schärpe umschlungen wiegten sich so voll, so herausfordernd, wie man es höchstens auf der Alameda von Sevilla oder dem plaza mayor von Mexiko sehen mag, daß es kein Wunder war, wenn der Berliner Banquier, der reiche alte Gourmand in Menschenfleisch, und selbst das jüngere Geschlecht in Enthusiasmus darüber gerathen war!

Die Gesellschaft war ziemlich merkwürdig zusammengesetzt - der jüngere Theil bestand aus zwei oder drei Offizieren in Civil und eben so vielen Mitgliedern der Diplomatie. Die Gesichter und blasirten Mienen verkündeten jene Uebersättigung in allen Genüssen des Lebens, die nur noch in den raffinirtesten Abwechselungen eine Anregung finden mag.

Die Zahl der älteren Mitglieder der Herrengesellschaft - außer der Dame des Hauses sah man in einem offenen

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Nebenzimmer, mit dem Rücken der Portiere des Salons zugekehrt, nur noch eine jüngere feingebaute und sehr einfach gekleidete Mädchengestalt vor dem Klavier sitzen - war die überwiegende. Sie gehörten offenbar sehr verschiedenen Ständen und Lebensstellungen an. In der Mitte, dem Bankhalter gegenüber, denn es wurde lebhaft pointirt und es war dazu, wie in den privilegirten Spielhöllen der Bäder ein besonderer Temple in die Tischplatte eingelegt, saß ein großer schlanker Mann von aristokratischem Ansehen, aber sehr legèren, oft plumpen Manieren, die namentlich in der Behandlung seiner Nachbarn zu Tage kamen.

Er mochte etwa fünfzig Jahr alt sein, das Auge hatte etwas fieberisch Zuckendes, Rastloses, ohne deshalb geistreich zu sein, vielmehr lag es wie Störung des Geistes in ihm; - die Nase war grob und unangenehm, nur der Mund hatte eine schöne seine Form behalten, sonst sah Alles in dem Gesicht verwittert, frühzeitig gealtert, ruinenhaft aus. Ein Diamant von bedeutendem Werth schmückte seine helle Cravatte, - sonst war seine Toilette ziemlich derangirt und wenig zusammenpassend.

Er behandelte den ihm gegenüber sitzenden Bankhalter mit einer gewissen Cordialität, die zuweilen zur beleidigenden Geringschätzung ausartete, während dieser, ein noch jüngerer Mann mit rothem gesunden Gesicht und kleinen listigen Augen, in eleganter Sportsmen-Toilette, sich stets sehr devot zeigte. Die Nebensitzenden boten ein Bild des größten Contrastes: ein runder, dicker Herr, bedeutend über die Fünfzig hinaus, die fetten, mit Brillanten bedeckten Finger behaglich mit den Berlocques der Uhr oder den Karten

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spielend, in dem dicken, glänzenden Gesicht, von einer vortrefflich gearbeiteten blonden pariser Tour überdacht, zwei zwinkernde Augen, die ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Spiel und der Dame des Hauses theilten, welche jedesmal, wenn sie in seine Nähe kam, seine Hände vertraulich und süßlich bis zur Unverschämtheit tätschelten. Auf der andern Seite ein hagerer großer Mann mit sehr dünnem, in einen Kamm zusammengestrichenen Haar und großer Habichtsnase. Er gewann bedeutend und seine runden graulichen Augen funkelten vor innerer Freude, wenn er das Geld und die Kassenscheine einstrich. Ein Zug unbeschreiblichen Aergers zuckte jedesmal um seine Lippen, wenn die Spanierin, die sein Glück kannte, sich bei einem bedeutenden Satz als Partnerin anbot und den Gewinn auf ein kleines Schreibtäfelchen notirte, was sie nie vergaß, während sie bei Verlusten den Bleistift nicht benutzte. Zwei untersetzte, gutmüthige ältliche Herren in solider, aber nicht fashionabler Toilette, ein Herr mit breitem, an jüdische Formen erinnernden Gesicht und großem blonden Toupé, ein reicher Banquier mit einem Orden und kleiner Figur, - ein Orientale mit der Gesichtscontour des zunehmenden Mondes, stark hervortretenden Augen und kurz geschnittenen Haaren und einige andere Personen bildeten die Gesellschaft, die aus etwa 16-17 Personen bestand. Der leidenschaftlichste Spieler, der sich kaum Zeit nahm, von Zeit zu Zeit ein Glas Champagner - nicht zu trinken, sondern hinabzustürzen, war ein Mann in grünem Frack, von hagerem, durch zahlreiche Furchen der Leidenschaft entstelltem Gesicht mit einem Wald krauser schwarzer Haare. Seine Finger zuckten

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gichtisch nach den Karten, die kleinen, wie Feuerbrände lodernden Augen verfolgten mit einer unheimlichen Gier die Finger des Banquiers beim Abzug und ballten sich, wenn dieser das Geld einzog, denn der Grüne spielte mit auffallendem Unglück und suchte mit Gewalt das Spiel zu forciren.

Die Unterhaltung war sehr ungenirt, wozu die ganze ziemlich leichtfertige Einrichtung des Salons und das Arrangement der Gesellschaft förmlich herausforderte, - aber größtentheils fragmentarisch. Ein geregeltes Gespräch kam gar nicht in Gang.

Der Grüne stieß eine Verwünschung aus, er hatte eben fünfzig Friedrichsd'or auf eine Karte, die er doublirt hatte, verloren.

Er nahm aus seinem Portefeuille eine Kassenanweisung von fünfhundert Thalern und schob sie dem Mann mit der Habichtsnase zum Wechseln zu. Der scharfe Blick desselben hatte genau gesehen, daß es die letzte in der Brieftasche war.

Die Spanierin präsentirte dem Herrn mit dem großen Diamanten in der Cravatte und dem apathischen Gesicht auf silbernem Teller ein großes Kelchglas funkelnden Portweins. »Voilà,mon Prince, ich weiß, daß Sie nicht lieben den Champagner! Sie spielen heute mit große Glück!«

»Wahrhaftig - es ist wahr, - aber langweilig.«

»Sie haben eben gewonnen auf den Könik - drei Mal - wollen Sie nicht halten ein? Der Könik könnte haben Unglück!«

»Das hat er schon oft gehabt! wie viel steht auf der Karte, Stieglitz?«

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»Viertehalb hundert Thaler, Durchlaucht,« sagte der Banquier. »Sie spielen gegen mich!«

»Desto besser, Du Spitzbube. Ich kann Dich auch einmal plündern. Paroli!«

»Gagné! verdammt.«

»Siehst Du, mein Sohn! Aber was machst Du da?«

»Ich ziehe es für Sie ein, Durchlaucht!«

»Nichts da - ich kenne Deine Rechnungen! - Weißt Du was, ich bin der kleinen Ida vom Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater ein Cadeau schuldig. Wir wollen ihr morgen dafür eine Spitzenmantille bei Gerson kaufen!«

»Für siebenhundert Thaler?«

»Qu'importe! für was ist das Geld da? Sei nicht so langweilig! - Was bieten Sie uns heute zum Dessert, schöne Andalusierin? Ein neues lebendiges Beefsteak à la tartare, oder den Hadschis des Doktor Lazare? Zum Teufel, es ist wahrhaftig kein Leben mehr in Ihrem Circle, seit er fort ist, ich werde ihm nachreisen müssen nach Paris! Wir haben uns so vortrefflich amüsirt diesen Winter die Dienstag Abende bei Ihnen, Senjora!«

»Sie sollen haben Beides heute, Durchlaucht!«

»Ah - dann bleibe ich! Was macht Ihr »for ewer« Herr von Röbel?«

»Ich lasse ihn trainiren für das Breslauer Rennen,« sagte der Offizier, der mit wechselndem Glück spielte.

»Das ist schön - ich habe für das Handikap meinen «King Charles« genannt. Ist das Ihr Bruder dort, der mit unserer kleinen Musikantin minaudirt?«

»Ja, Durchlaucht. Ich war seinetwegen vorhin bei

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meiner Tante in Charlottenburg, er reist morgen nach Paris und der Schweiz und ich brachte ihn mit, um ihm noch einen lustigen Abend zu machen. Sehen Sie, unsere Wirthin bemächtigt sich eben seiner.«

»Goddam! Sie versteht es - es ist gut, daß er morgen reist. Sehn Sie, was Master Lewis bereits für eifersüchtige Blicke schießt! Er glaubt sie noch im Hôtel Impérial allein zu haben. Wissen Sie zufällig, wer der Bourgeois da ist?« Er deutete auf einen der Spieler.

»Ein Rentier aus Berlin. Er hat vier Häuser!«

»Putajo! wenn er's so fort treibt, wird er bald keine Schlafstelle mehr haben. Während Sie fort waren, hat er an den Schurken mit der Glatze dort ein Haus vor dem Potsdamer Thor für achtundzwanzigtausend Thaler verkauft - ich sah an seiner Miene, daß der Halunke mindestens zehn Profit gemacht hat!« -

Neben der Dame, die im offnen Nebenzimmer am Clavier saß, der Gesellschaft beharrlich den Rücken zuwendend, hatte sich der junge Mann niedergelassen, den wir vorhin bei der Kammerherrin Abschied nehmend getroffen haben, Otto von Röbel, der jüngste der drei Söhne des alten würdigen Majors.

Nur mit Widerstreben war er dem Bruder hierher gefolgt, da dieser erklärte, sein Wort für die Rückkehr verpfändet zu haben, und zufällig einer der jungen Offiziere, der sich in der Oper verspätet hatte, mit seinem Cabriolet an ihnen vorüber gefahren und von dem Lieutenant von Röbel erkannt worden war.

Die Gesellschaft behagte ihm schon vom ersten

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Eintritt sehr wenig; seine unverdorbene, frische und gesunde Natur empörte sich gegen diese Raffinerie des Vergnügens, hinter dem er das Laster instinktmäßig ahnte, und er wäre sofort umgedreht und lieber den Weg nach Berlin zu Fuß gegangen, wenn er nicht gewünscht hätte, seinen Bruder, - der ihm in der That unter dem Drängen, daß seine Ehre auf dem Spiel stehe, einen Theil seines Reisegeldes abgeborgt hatte, - mit sich zu nehmen und eine ernste Mahnung an ihn zu richten.

Mit diesen Gedanken beschäftigt, hatte das fertige, gefühlvolle Spiel der Dame am Clavier seine Aufmerksamkeit erregt und er hatte sich zu dieser zurückgezogen.

Otto von Röbel hatte sich anfangs ziemlich gedankenlos neben die Clavierspielerin gesetzt, blos um eine Unterhaltung zu finden, die ihn vor dem ihn anekelnden Treiben der Gesellschaft schützte, bis er Gelegenheit fände, den Bruder ihr zu entziehen; aber sein Interesse wurde schon bei dem ersten nähern Anblick, bei dem ersten Wort, das er mit ihr wechselte, gefesselt.

Die Dame war eine zarte Gestalt - klein und zierlich gebaut; sie konnte höchstens zwei- bis dreiundzwanzig Jahre zählen, aber ihr sanftes, liebliches und bleiches Gesicht trug bereits den Ausdruck tiefen Kummers, und ihr ganzes Wesen hatte etwas Gedrücktes, Zagendes an sich. Sie hob nur selten den Blick empor und dann lag in dem braunen Ange eine unverkennbare Angst und Scheu - und wenn es auf eine fremde Gestalt fiel, wenn eine fremde Stimme sie anredete, zuckte sie sichtlich zusammen und zitterte, wie in banger Besorgniß. Ihre Kleidung war sehr

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einfach - ein schlichtes schwarzes Seidenkleid, das bis an den Hals hinauf reichte, um den ein einfacher weißer Kragen sich schloß. Ihr reiches dunkles Haar war in einen zierlichen Knoten geschlungen und durch eine dunkle Schildpattnadel mit der leichten schwarzen Spitzen-Frisur zusammengehalten. Ein kleines Medaillon hing an einem einfachen schwarzen Sammetband um den weißen Hals und bildete ihren einzigen Schmuck.

Sie spielte die herrliche Ouvertüre zum Oberon, als Otto von Röbel sich hinter sie setzte und seine Hand unbefangen auf die Lehne ihres Stuhls legte, während er mit der andern rasch das Blatt der Partitur umschlug, das so eben zu Ende war.

»Erlauben Sie, Fräulein, daß ich diesen kleinen Dienst verrichte!«

Sie senkte dankend das Haupt, indem sie fortfuhr zu spielen. Aber er bemerkte, wie ihre zarten schlanken Finger auf den Tasten zitterten.

»Ist es Ihnen störend in Ihrem vortrefflichen Spiel, Fräulein,« fuhr er französisch fort in der Meinung, sie habe seine deutsche Anrede nicht verstanden, »daß ich mich hierher gesetzt, so befehlen Sie, und ich ziehe mich sogleich zurück.«

Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie leise: »O, mein Herr, ich bitte, ich habe kein Recht, Ihnen hier eine Vorschrift zu machen. Ich bin dazu da, um die Herrschaften durch mein Spiel zu unterhalten, und Sie stören mich durchaus nicht!«

»Ich kann leider nicht für die anderen Herren sprechen,«

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entgegnete der junge Mann, »aber mir haben Sie einen großen Genuß bereitet durch Ihr tiefgefühltes Spiel. Ich bin fremd und unbekannt in diesem Hause, und dieser Genuß allein kann mich für das Verweilen hier entschädigen.«

Zum ersten Mal hob sie die Augen von den Tasten auf und richtete einen kurzen Blick auf ihn. Eine leise Röthe färbte ihre Wangen.

»Es ist wahr,« sagte sie - »es ist das erste Mal, daß ich Ihre Stimme gehört habe.«

»Dann müssen Sie ein vortreffliches Gehör besitzen, oder sich sehr wenig um die Gesellschaft kümmern, wenn Sie nur vermittelst Ihres Ohrs die Gäste unterscheiden.«

Wiederum, diesmal stärker, erröthete sie. »Meine Stellung ist sehr bescheiden,« erwiderte sie »ich erscheine blos auf den Befehl der gnädigen Frau hier, um mit meinen geringen musikalischen Fertigkeiten ihre Gäste während der Zwischenzeit besserer Vergnügungen zu unterhalten. - Gewiß, ich bliebe sehr gern zurück davon.«

Die letzten Worte thaten unbewußt dem jungen Mann wohl und er betrachtete die Sprecherin aufmerksamer.

»Nicht Ihre Stellung ist bescheiden,« sagte er ernst, »sondern Sie selbst sind es. Sie spielen das Piano mit Geschmack, Gefühl und großer Fertigkeit. Wo erhielten Sie Ihren Unterricht?«

Sie zögerte zu antworten - dann beugte sie den Kopf und flüsterte leise: »In der Schweiz!«

»So sind Sie eine Schweizerin?«

Sie nickte.

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»Aus welchem Canton?«

Wiederum zögerte sie. Endlich sagte sie: »Aus Neuchâtel, mein Herr.«

»Aus Neuchâtel? dann sind wir ja Landsleute, denn Neuchâtel gehört zu Preußen, wenn auch die Revolutionaire es uns einstweilen vorenthalten!«

Ein lebendigerer Ausdruck flog über ihre Züge. »Ja, mein Herr, ich weiß es - ich wurde schon in meiner Kindheit gelehrt, den dritten August zu feiern und für unsern König und Herrn zu beten. Mein Vater, der mich diese Musik lehrte« - und ihre Finger schlugen die Preußische Hymne auf den Tasten an - »war ein treuer und eifriger Royalist!«

»Ihr Herr Vater lebt noch?«

»Er ist todt.«

»Aber Ihre Mutter?«

»Ach - meine Mutter! meine arme Mutter!«

Der Ausdruck, mit dem sie die Worte sprach, war so schmerzlich und sehnsüchtig, daß er ihn in der tiefsten Seele rührte.

»Wenn Sie mir Grüße an sie mitgeben wollen, so werde ich diese mit Vergnügen bestellen. Ich werde diesen Sommer in Neuchâtel zubringen!«

»In Neuchâtel? - o mein Gott!«

»Sind Sie denn so lange nicht dort gewesen?«

»Seit ich es verlassen habe - ich werde es nie wiedersehen!«

Der junge Mann hatte oft von dem Heimweh der Schweizer nach ihrer Heimath gehört und rechnete dieser

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die Deutung der Worte zu »Warum kehren Sie nicht einmal dahin zurück - wenigstens zum Besuch, Fräulein?«

Sie schüttelte traurig den Kopf. »Ich bin nicht in der Lage dazu, mein Herr; eine so große Reise kostet viel Geld und ich bin ohnedies gebunden.«

»Verzeihen Sie meine Neugier, aber es ist aufrichtige Theilnahme. Doch ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen, Fräulein!«

»Elise!«

»Und darf ich Sie fragen, welche Stellung Sie in diesem Hause einnehmen? ich kann mir so Vieles nicht zusammen reimen.«

»Ich bin die Bonne des jungen Sohnes der gnädigen Frau!«

»Nehmen Sie meine Offenheit nicht übel, Fräulein, - ich kenne Sie erst seit einer Stunde, aber ich fühle ein aufrichtiges Interesse für Sie -«

Sie richtete ihr trauriges, demüthiges Auge auf ihn. »O, mein Herr,« sagte sie leise - »Sie wissen nicht, wie wohl es Unglücklichen thut, die Theilnahme guter Menschen zu sehen!«

Sie beugte ihr Gesicht noch tiefer auf die Tasten; er sah, wie zwei große Thränen auf ihre Hand niederfielen, die wie bewußtlos und dennoch in rührenden klagenden Accorden über das Clavier irrte.

»Ich bin sehr unglücklich, mein Herr,« sagte sie endlich leise, »und dennoch wäre ich undankbar, wenn ich die Senjora verlassen wollte, auch wenn ich es könnte. Aber ich besitze nicht einmal die Mittel dazu und hänge ganz

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von ihrer Güte ab. Als sie vor zwei Jahren mich zu sich nahm und mich aus einer drückenden Lage damit befreite, dankte ich Gott für das Unterkommen. Ich war zwei Jahre auf Reisen mit ihr - und das war wenigstens glücklicher, als dieser unselige Aufenthalt hier. Oh - was müssen Sie und alle Besseren von mir denken!«

Er wollte ihr antworten, als in diesem Augenblick die Hausfrau hinzutrat.

»Aber Sie trinken nicht, Monsieur de Reubel, und Sie spielen nix, was doch seind ein so schöne Vergnügen für junge Cavalier. Sie scheinen zu lieben sehr die Musik - aber Mademoiselle Elise haben ihre slimme Humor. Allons, meine Liebe, spielen Sie etwas Lustik, eine Galopp oder den Madrilena, so!«

Sie hob sich kokett auf die Fußspitzen und schnippte mit den Fingern, als hätte sie Castagnetten zur Hand.

»Warum entstehen Sie sich kanz die Gesellschaft? Ein junger Cavalier muß versuchen sein Glück, wie Monsieur Vôtre frère!«

Der junge Edelmann war sogleich aufgestanden. »Sie haben Recht, gnädige Frau,« sagte er kalt. »Ich habe meinen Tribut noch der Gesellschaft zu entrichten. Erlauben Sie mir, Madame, Sie zu ihrem Platz zu führen.« Er reichte ihr den Arm.

»Sie sein sehr galant - ich konnten nicht begreifen, wie Sie aben konnten Vergnügen an die kleine Mamsell, die nicht aben ihre ganz richtige Verstand. - Ich abe sie genommen vor zwei Jahr aus die Krankenanstalt, weil ich brauchte eine Person für meinen Knaben.«

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»Aus einer Krankenanstalt?«

»Ja - sie ist gewesen confus, was man sagt verrückt in ihre Kopf, aber ganz still mehre Jahr, ehe sie erhalten wieder ihre Verstand, wie andre Leut. Sie seind aber geblieben so still und so melankolisch, daß sie seind zu Nichts zu brauchen, als zu spielen das Clavier oder mit die kleine Garlos.«

»Und wodurch ist das arme Kind in diesen Zustand gekommen?«

»Vielleicht eine unglückliche Lieb'! Die Messieurs seind alle so flatterhaft! Man hat sie gefunden vor sechs oder sieben Jahr in ein Wasser in Berlin, und todt, und als sie gekommen wieder zu leben, ist sie gewesen ohne Verstand und hat Niemand können erfahren, wer sie ist. Sie spreken nie darüber ein Wort, wie sie gekommen in's Wasser.«

Der Zug, daß sie sich nicht gescheut, trotz des früheren Krankheitszustandes, die Unglückliche - als sie wahrscheinlich eine französische Bonne gesucht hatte und diese ihr durch irgend einen Zufall empfohlen war, - zu sich zu nehmen, versöhnte fast den jungen Mann mit der leichtfertigen Frau.

Sein Bruder empfing ihn mit lustigem Gelächter am Spieltisch. »Auf Ehre, Senjora, Sie sind mehr als eine Zauberin, wenn Sie diesen predigenden Asceten bewegen können, eine Karte anzurühren, die ihm sonst ein Gräuel ist!«

»Du siehst,« sagte der jüngere Röbel mit Bezug, »daß ich gern bereit bin, mich nach Dir zu richten; ich hoffe, daß Du dann das Gleiche bei mir thun wirst!«

Der Offizier lachte. »Oho - keine Moralpredigt -

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das Vergnügen beginnt jetzt erst und wenn Du erst davon geschmeckt, wird Dir die Zeit viel zu rasch verstreichen!«

»Du könntest Dich irren!« Der junge Mann hatte einen Fünfundzwanzig-Thalerschein aus seinem Portefeuille genommen, und warf ihn achtlos auf eine Karte, gleich als wolle er damit seine Anwesenheit in dieser Gesellschaft bezahlen.

Der Herr mit der Habichtsnase hatte jetzt die Bank und bereits einen ziemlich großen Haufen von Gold und Kassenanweisungen vor sich.

»Wahrhaftig - Du hast auch hier Dein teufelmäßiges Glück!«

Die abgezogene Karte zeigte, daß der junge Mann gewonnen - ohne darauf zu achten, ließ er den Gewinn stehen.

Vier Mal schlug die Karte zu seinen Gunsten.

»Ich sagte es im Voraus,« lärmte der Offizier. »Ich spiele mit Dir, Otto, wir wollen die Bank sprengen!«

»Dann wirst Du es allein thun müssen, - ich war der Partner von Madame!«

Er zog die vierhundert Thaler ein und überreichte die Hälfte der Summe an die Dame des Hauses, die ohne Gêne mit einem verführerisch dankbaren Blick die Kassenscheine nahm. Dann setzte er nochmals denselben Fünfundzwanzig-Thalerschein auf die Karte.

In diesem Augenblick ließ die Spielerin am Clavier die wunderbare Arie aus Meyerbeers Robert ertönen, mit der die Milchschwester ihn bei dem Gelage warnt.

Der junge Mann verstand die Mahnung sehr wohl,

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aber er lächelte, denn die Warnung war unnöthig. Die Karte hatte eben verloren - sein Zweck war erreicht und er trat mit einer leichten Verbeugung zurück.

»Du wirst doch nicht aufhören - wo Du so prächtige Chancen hast?«

»Ich habe meine Pflicht erfüllt!« Er entfernte sich.

»Madame - haben Sie keine Abwechselung für uns?« sagte der Herr, der mit Durchlaucht angeredet worden. »Die Sache beginnt in der That langweilig zu werden.«

Der Mann mit dem dichten schwarzen Haar warf einen höhnischen Blick auf den Aristokraten und die Offiziere. »Die Herren von der Haute-volée scheinen heute alle Courage uns Bürgerlichen überlassen zu haben und ihren Gewinn gern in Sicherheit zu bringen. Wohlan denn, wir wollen ihnen zeigen, daß sich die Berliner nicht lumpen lassen. Va banque, Herr Commerzienrath!«

Alles Gespräch stockte sofort und alle Aufmerksamkeit wandte sich der Stelle zu, wo die für jeden Spieler so inhaltschwere Herausforderung gefallen war. Selbst Otto von Röbel, der sich abseits damit beschäftigt hatte, die Kassenscheine seines Gewinnes in ein Briefcouvert zu stecken, das er aus seinem Portefeuille nahm, und einige Worte auf das Couvert zu schreiben, trat nochmals näher.

»Wie viel steht in der Bank, Kommerzienräthchen?« fragte der Spieler.

Der Banquier zählte das Geld. »Es sind drei tausend und vierzig Thaler. Ueberlegen Sie sich nochmals die Sache, Herr Polentz!«

»Was ist da zu überlegen - die Herren vom Adel

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haben keine Courage dazu und drum will ich ihnen einmal einen Kapitalschuß zum Besten geben! Ha ha - es ist nicht der erste!« Sein Auge streifte höhnisch nach den beiden Brüdern. »Ich bin gerade heute in der Laune für Universalmittel! - Warum zögern Sie noch? Coeurbube - immer in's Herz, immer in's Herz!«

»Ich erlaube mir nur, Sie zu erinnern, Herr Polentz,« sagte der Bankhalter, »daß es in solchem Fall Sitte ist, daß auch der Herausforderer vorher die Bank sicher stellt.«

»Zum Teufel - bin ich Ihnen nicht sicher genug? Sie haben mich bereits heute ausgebeutelt, aber Herr Meier hier wird gut sagen. - Auf mein Kapital«, sagte er halblaut, sich zu dem dicken Banquier hinüber neigend.

Dieser wandte sich zu ihm. »Sehr gern, Herr Polentz,« antwortete er leise, »aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihr Guthaben nur noch vier tausend fünf hundert Thaler im Ganzen beträgt!«

»Was thut das,« sagte der Andere laut und brutal - »das Geld ist mein und ich kann damit machen, was ich will. Schicken Sie mir morgen die Abrechnung und den Rest.« -

»Wenn die Herren fertig sind,« meinte der Kommerzienrath - »so bitte ich um Erklärung!«

»Ich bin gut für Herrn Polentz auf drei tausend Thaler,« sagte der Banquier. »Sie können das Geld morgen an meiner Kasse in Empfang nehmen, wenn er verliert, nur bitte ich zuvor um seine Anweisung - der Ordnung halber!«

Der Spieler kritzelte einige Worte mit Bleistift auf

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ein Papier und warf es auf den Tisch. »Da haben Sie - und nun zum Teufel vorwärts.«

Trotz der Widrigkeit des Gebahrens hatte die Scene doch etwas, was das Interesse auch der Unbetheiligten fesseln mußte. In dem erregten Gesicht des verwegenen Spielers spiegelte sich das Schreckliche seiner Leidenschaft - seine stechenden Augen hafteten auf den Fingern des Bankhalters, der mit ziemlich ähnlichem Interesse, aber Bewahrung der äußern Ruhe, ein neues Spiel Karten mischte; seine Hände lagen beide krampfhaft geballt vor ihm auf der Karte, die er gewählt - große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn und in seinem verworrenen krausen Haar.

Man sah, daß nicht bloß die Sache selbst ihn erregte, sondern daß in dem Ausgang noch ein mächtigeres Interesse auf dem Spiel stand.

Auf den jungen Röbel hatte der zwei oder drei Mal genannte Name des Spielers einen besondern Eindruck gemacht. Seine Stirn hatte sich geröthet, sein sonst so ruhiges Auge funkelte, indem es auf dem bisher nicht beachteten Manne haftete. Er hatte den Arm seines Bruders gefaßt und zog ihn zu sich.

»Wer ist dieser Mann, Fritz?«

Der Offizier riß sich los. »Nachher - laß mich! jetzt habe ich keine Zeit - siehst Du nicht, daß die Taille begonnen hat?«

In der That hatte der Commerzienrath angefangen, abzuziehen - Alle harrten mit athemloser Spannung.

Die Karte ließ lange auf sich warten - erst im letzten Drittel des Spiels fiel sie.

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»Perdu!«

Eine gemeine Verwünschung entfuhr dem Munde des Verlierenden, dann riß er die Karte, die er in der Hand hielt, mit den Zähnen in Stücke und sah sich mit wildem drohendem Blick um. Sein Gesicht war förmlich gelb vor der inneren gallsüchtigen Erregung, sein Auge funkelte händelsüchtig - offenbar nach einem Gegenstand suchend, an dem er seinen Groll auslassen könnte.

»Zum Teufel - warum starren Sie mich so an? was ist's weiter? es ist schon mehr hier flöten gegangen, als das; Es geht Niemand etwas an - es ist mein Geld!«

Die Meisten wandten sich ab und beschäftigten sich mit irgend einer gleichgültigen Unterhaltung.

Otto von Röbel hatte den Bruder bei Seite gezogen. »Willst Du mir jetzt die Frage beantworten, wer jener Mann ist?«

»Je nun - Du hast es ja gehört - er heißt Polentz, ein reicher Geschäftsmann aus Berlin, wenn er nicht bereits ruinirt ist.«

Die Antwort kam nicht ohne Verlegenheit heraus, der Offizier suchte sich von der haltenden Hand seines Bruders loszumachen.

Dieser hielt ihn fest. »Du weißt, Fritz - jener Name ist uns nicht unbekannt ...«

»Nun ja - meinetwegen! der Mann hat das Frauenzimmer geheirathet, die Geliebte Ferdinand's - Du hast ja von der Geschichte gehört, obschon Du damals noch ein Knabe warst.«

»Die Amalie?«

»Ich glaube, so hieß sie - was geht es uns an!«

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»Das ist es nicht, was ich wissen will - jener Name - Du weißt, daß man uns gesagt, der Mörder unseres Bruders trage ihn? Ist der Mensch dort ...?«

»Er soll sich dessen gerühmt haben - ich glaube es aber nicht - ich kenne den Menschen nicht weiter!«

»Wie, Fritz, und mit einem solchen Schurken - mit dem Mörder Deines Bruders stehst Du an demselben Spieltisch?«

»Du bist nicht gescheut, Otto - es war ein Kampf wie jeder andere - der König hat allgemeine Amnestie bewilligt ...«

Der junge Mann sah ihm mit einem festen, ernsten Blick in's Auge. »Das kann der König,« sagte er - »die Erinnerung ist unser Recht! Was mich anbetrifft, so bleibe ich keinen Augenblick länger in dieser Gesellschaft! Gehst Du mit - nein oder ja?«

»Zum Teufel denn, nein! wenn Du nicht warten willst. Ich leide keine Bevormundung!«

Der jüngere Bruder wandte sich um - er sah den Mann mit dem schwarzen Haarwust, den unglücklichen Spieler, vor sich stehen, in den kleinen halb geschlossenen Augen funkelte trunkene Tücke und die Lust, den Grimm über den Verlust durch einen Streit auszulassen.

»Sprechen Sie von mir, junger Herr?«

»Ja! und ich nannte Den, welcher sich rühmt, meinen Bruder erschossen zu haben, einen meuchlerischen Schurken!«

Die gewöhnlich so ruhigen, freundlichen blauen Augen des jungen Mannes hatten plötzlich einen so drohenden, finstern Ausdruck, daß der Andere unwillkürlich zurückwich.

Im nächsten Augenblick holte er mit geballter Faust

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zu einem Schlage aus: »Dann nimm dies, verdammter Aristokrat!«

Aber ehe der Schlag fiel, faßte ihn eine kräftige Hand am Kragen und riß ihn zurück. »Wenn Sie sich nicht den Augenblick ruhig verhalten, Herr Polentz,« sagte die blasirte Stimme des vornehmen Herrn mit der Brillantnadel, dem der jüngere Röbel eine solche Muskelkraft, wie er bewies, gar nicht zugetraut hätte, - »so werden Sie einfach hinaus geworfen. Nur unter dieser Bedingung sind Sie hier geduldet! - Specht - passen Sie auf ihn auf! - Eh bien - da bringt unsere hübsche Wirthin endlich die Hadschis!«

Die Dame vom Hause trat eben wieder ein, mehrere lange türkische Nargilehrohre in der Hand. Eine alte Frau mit braunem Gesicht, die schon vorhin die Bedienung in dem Salon verrichtet, folgte mit einer großen, mit allerlei maurischen Arabesken in Farben und Gold verzierten Glasflasche von Kugelform, zu drei Viertel mit Rosenwasser gefüllt. Auf dem Hals der kugelförmigen Karaffe befand sich ein silberner Aufsatz mit vier bis fünf Mundstücken, während die mittlere Schale mit einem hellen, gelben Tabak gefüllt war, auf dem eine glühende Kohle lag.

Ein eigenthümlicher, betäubender Duft ging von dem Tabak aus.

Hinter der alten Frau mit diesen Utensilien der Wasserpfeifen kamen zwei junge Frauenzimmer, bäurisch gekleidet, wie ländliche Dienstmädchen. Sie waren überaus kräftige, runde Gestalten mit jenem festen Fleisch, wie man es nur in dieser Klasse sieht. Sie konnten höchstens zwanzig Jahre

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alt sein - die eine hatte ein frisches, aber ziemlich einfältiges Gesicht, das allein den Ausdruck der Neugier zeigte; die andere sah ängstlich um sich her und hielt die Hände fest gefaltet. Sie blieben Beide befangen an der Thür stehen.

Die alte Dienerin trug die Karaffe mit dem Tabak in den zweiten Salon, setzte ihn mitten auf den Teppich und befestigte die Enden der schlangenartigen Rohre, deren Bernsteinspitzen sie nach verschiedenen Seiten warf, in die Mundstücke des silbernen Aufsatzes.

»Voilà die sieben Himmel Mahomeds,« sagte in die Hände klatschend die Durchlaucht. »Herr von Röbel, ich rathe Ihnen, schlagen Sie sich bei der dreifachen Spaltung dieser höchst ehrenwerthen Gesellschaft zu uns - die Genüsse des Hadschis gehen über alle Genüsse des Spiels und sonstiger Erregung. - Sie wollen nicht? - auch gut, die Jugend hat keinen Sinn für das wahre Raffinement!«

Er warf sich auf eines der Kissen um das Nargileh und ergriff ein Rohr - der Vorhang, der den zweiten Salon von dem der Spieler schied, schloß sich.

Otto von Röbel hatte auf die Einladung nicht geantwortet, - er war noch einmal in das Nebenzimmer zu dem Klavier getreten, vor dem die junge Neuchâtellerin noch immer - jetzt todtenbleich und zitternd - saß!

Ehe er noch ein Wort sprechen konnte, legte sie ihre kalte Hand auf die seine. »Oh, mein Herr,« flüsterte sie, - »Sie wissen nicht, was ich in dieser Minute um Sie gelitten. Sie haben meine Warnung nicht verstanden oder nicht beachtet, - hören Sie wenigstens die, von jenem abscheulichen Opium nicht zu genießen,

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das ein teuflischer Mensch hier eingeführt, um sich an dem furchtbaren Rausch seiner Opfer zu amüsiren?«

»Sein Name?«

»Doktor Lazare!«

»Ich dachte es mir - sein Sie ohne Sorge, Fräulein, in fünf Minuten habe ich dies Haus hinter mir, und bedauere nur Eins: ein Wesen wie Sie in dieser Höhle der Schande zurücklassen zu müssen.«

Sie beugte das Haupt und schluchzte.

»Hoffen Sie und haben Sie Muth! Nehmen Sie dies, er kommt von einem aufrichtigen Freunde, der es gut mit Ihnen meint« - er drückte ihr das Couvert in die Hand, das den bedeutenden Rest des Spielgewinnes barg und auf das er die Worte geschrieben: Zur Flucht nach Neuchâtel!< - »und sagen Sie mir, welcher Weg von hier am nächsten nach Spandau führt?«

»Gleich links vom Hofthor - Sie können nicht fehlen! - Aber ...«

Die scharfe Stimme der Dame vom Hause unterbrach sie. »Mademoiselle Elise gehen Sie slafen, man bedarf Ihrer nicht weiter. Nun, Monsieur, unsere Freunde lieben die versiedenen Amüsements, welcher von der Gesellschaft Sie werden sließen sich an?«

»Ich bitte um die Erlaubniß, gnädige Frau, mich Ihnen zu empfehlen. Ich muß mich entfernen!«

»Wie, ein so aimabler Cavalier, und Sie wollen gehen mitten in die Nacht? Aber mein Herr, das seind unmöglik!«

Er wies mit einer kalten, verächtlichen Geberde die

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Hand zurück, die ihn vertraulich fest halten wollte. »Adieu, Madame - ich habe hier Nichts mehr zu thun!«

Er folgte dem jungen Mädchen. Draußen im Vorzimmer wartete sie auf ihn und reichte ihm, die Hand. »Gott segne Sie, Herr, auf allen Ihren Wegen, der Dank und das Gebet eines armen Mädchens möge Ihnen Glück bringen!«

Zwei Minuten darauf hatte er das Haus verlassen und schritt rasch in die Nacht hinein! -


Die alte zigeunerartige Dienerin der Senjora stieß die beiden Landmädchen vor sich her in das jetzt frei gewordene Musikzimmer. Fünf bis sechs Mitglieder der Gesellschaft, darunter der dicke Banquier mit dem Orden und das Factotum der Durchlaucht hatten sich hierher begeben - ein großer Tisch stand in der Mitte, die Beleuchtung war durch mehrere Armleuchter vermehrt.

»Da sind sie! nun seid nicht albern, ihr Närrinnen, und macht keine Flausen!«

Der Banquier hatte das Glas im Auge. »Ah, eine neue - famoser Körper, das Fleisch ist so fest wie Stein!« er hatte die Dirne mit dem einfältigen Gesicht in den Arm gekniffen; sie lachte ihn dumm an.

»Wo sind die Instrumente, Manuela?«

Die alte Hexe kam mit einem kleinen länglich geformten Mahagonikästchen, das sie aus einem Schrank geholt, und empfing einen Friedrichsd'or.

»Nun vorwärts, Kinder - es ist schon spät!«

Das Mädchen, das beim Eintritt so angstvoll

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ausgesehen, fiel plötzlich auf die Knie und hob die gefalteten Hände empor.

»Erbarmen, meine gnädigen Herren! haben Sie Mitleid mit mir, ich halt's nicht aus - ich werde sterben wie die Marie, die im Krankenhause liegt!«

»Unsinn, Kind - was fällt Dir ein! Schließen Sie die Thür, Manuela, und helfen Sie den lieben Herzchen!«

Die Thür wurde geschlossen, obschon es unnöthig war, denn die Spieler, die auf's Neue begonnen, achteten nur auf die Karten! -

Fünf Minuten darauf hörte man ein kicherndes albernes Lachen und dann ein leises unterdrücktes Wimmern.



Seit neun Uhr war der Kommissionsrath, sonst ein arger Langschläfer, auf den Beinen, und spazierte in der Umgebung des Schlosses umher, als erwarte er irgend ein Ereigniß. Wiederholt - wo er sich unbeachtet sah, - nahm er einen Brief aus der Tasche, den er vor einer Stunde bekommen und durchlas ihn. »Um fünf Uhr - Gegenordre - die Bewachung aufgehoben,« murmelte er »Die Sache ist also im Gang - es kann jeden Augenblick Nachricht kommen.«

Er war in der Nähe der Spree - ein Reiter erregte seine Aufmerksamkeit, der unbeweglich auf der Brücke hielt, die hier über den Fluß zu nach dem andern Ufer und dem Wege zur Jungfernhaide führt.

Der Reiter war ein großer, stattlicher Mann, in einen

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Paletot gehüllt, mit dunkler Militairmütze - er schien seine Aufmerksamkeit nach zwei Richtungen zu theilen - bald sah er, wie mit sehnsüchtiger Erwartung, den Weg entlang, der zum Schlosse führte, bald blickte er besorgt nach dem entfernten Walde.

Der Kommissionsrath war bis in seine Nähe geschlendert, als mache er eine Morgenpromenade. »Ah, guten Morgen, Herr Oberst! Den Teufel, Sie schon im Dienst so früh? - Sie sollten bei mir eintreten und ein Glas alten Madera trinken, etwas Vortreffliches, in Wahrheit drei Mal die Linie passirt. Sie sehen etwas blaß und angegriffen aus, Freundchen!«

In der That, der starke, stattliche Mann, auf dessen männlichem Gesicht sonst die Farbe der Kraft und Gesundheit glühte, war auffallend bleich, das Auge unruhig. Ein unverhehlter Zug der Ungeduld flog über sein Gesicht, als er sich gestört und angeredet sah. »Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte er kurz - »Ich befinde mich ganz wohl und kann von Ihrer Einladung keinen Gebrauch machen. - Doch - wie spät haben Sie nach Ihrer Uhr?«

Der Rath zog behaglich seine schwere goldene Uhr mit den großen Berlocques aus der Tasche und hielt sie dem Fragenden hin. »Netto fünfzehn Minuten über Zehn - sie geht vortrefflich, das Werk ist von Breguet in Paris, ich habe Sie gestern noch mit der Akademie verglichen. - Aber warten Sie auf Jemand - ich kann Ihnen vielleicht dienen?«

»Ich befinde mich im Dienst,« entgegnete rauh und ungeduldig der Andere und wandte ihm mit dem Pferde

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den Rücken. »Guter Gott, schon ein Viertel über Zehn und noch immer Nichts,« murmelte er, während seine Blicke den Weg nach dem Schloß durchforschten; dann wandte er sie nach der andern Richtung. Plötzlich fuhr er zusammen, hob die Hand vor die Augen und sprengte im nächsten Moment im wüthenden Galop, ohne sich um den Rath zu kümmern, über die Brücke und durch den tiefen Sand des Weges der Haide zu. -

Der Zurückbleibende legte sein Lorgnon vor das Auge - auf der Straße aus dem Walde bewegte sich langsam ein dunkler Gegenstand - ein Wagen - er schlug die Richtung nach Charlottenburg ein.

Der Rath beobachtete eine Zeitlang die Annäherung des Wagens, dann ging er, die dicken Lippen zusammengepreßt und die Arme auf den Rücken gelegt, in tiefem Sinnen zurück. -

Der Wagen kam langsam näher, der tiefe Sand erlaubte keine schnellere Bewegung.

Der Reiter, der früher an der Brücke geharrt, hatte ihn längst erreicht und war mit ihm umgekehrt. Er war vom Pferde gestiegen, führte es am Zügel und ging mit einem Herrn von mittlerer gedrungener Gestalt und etwas geröthetem Gesicht in eifrigem Gespräch hinter dem Wagen her. Sein Aussehen war noch bleicher, ernster als vorhin.

Dem Kutscher auf dem Bock rannen fortwährend die Thränen über die Backen, daß er kaum auf die Pferde achtete. Im Wagen auf dem Vordersitz saß ein Herr in Civil - das chirurgische Besteck neben ihm bezeichnete ihn als einen Arzt. Im Fond lehnte in einer Ecke ein

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unerkennbarer, regungsloser Gegenstand, denn ein Mantel war breit über ihn hergezogen - wenn ein Stoß des Wagens ihn verrückte, brachte der Gegenübersitzende die Falten des Mantels sorgfältig wieder in Ordnung. -

Als sich der Zug der Brücke näherte, stieg der, welcher vorhin von dem Rath mit dem Titel »Oberst« angeredet worden war, wieder zu Pferde und sprengte voraus; der Andere, mit dem er bis jetzt gesprochen, setzte sich in den Wagen neben den Doktor.

Die Fahrt ging mit der früheren Langsamkeit vorwärts - der Kutscher schlug diesseits der Brücke einen Seitenweg ein und bog in die Straße, wo sich das Polizeibüreau und das Gericht befindet. Vor dem Hause hielt er still.

Auf den Stufen stand neben dem Reiter bereits die breite Gestalt des Polizeidirektors; auf dem sonst so gemüthlichen offenen Gesicht lag jetzt der Ausdruck tiefen Schreckens. Ein Schutzmann wartete unten, einen großen weißen Laken in der Hand; einige Beamtengesichter lugten neugierig aus den Fenstern - die wenigen, um diese Zeit in der abgelegenen Straße Vorüberkommenden blieben stehen.

Der Schutzmann öffnete den Schlag, der eine Herr stieg aus und drückte dem Polizeidirektor die Hand - der andere half über den Gegenstand im Wagen den weißen Laken decken, dann hob man ihn aus dem Wagen und trug ihn die Stufen zum Hause hinauf - die Last schien schwer, - ein Arm löste sich aus dem Laken und fiel herunter - die Finger waren voll Blut -


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Der Rath ging eine Viertelstunde später auf der Chaussee vor dem Königlichen Schlosse noch immer sehr gedankenvoll auf und nieder - an der Thür des Moskau'schen Etablissements hielt ein Knabe das Pferd des Reiters von vorhin - der Reiter selbst war im Schloß.

Vom Spandauer Berg her kam ein zweiter Reiter - Toilette und Aussehen etwas derangirt - er schwankte wie ein Trunkener oder Kranker im Sattel, sein Gesicht hatte eine graue häßliche Farbe, die Augen waren hohl und eingesunken, wie nach einer schweren Krankheit oder Betäubung, das Haar klebte in feuchtem Schweiß an der Stirn.

Mit Gewalt setzte sich der Reiter im Sattel gerade und fest, als er den Rath sah und wollte rasch an diesem vorüber.

Aber dieser stand schon vor dem Pferd. »Ah, guten Morgen, Herr Lieutenant - so früh schon auf einem Spazierritt? - Wollen Sie nicht die gnädige Tante besuchen? Die kleine Zwistigkeit von gestern Abend wird sich ja leicht ausgleichen!«

»Ich habe keine Lust und keine Zeit! - ich muß um 12 Uhr in der Kaserne sein. Also Adieu!«

Der Rath legte die Hand auf den Zügel. »Also direkt nach Berlin? Nun da können Sie ja gleich brühwarm die große Neuigkeit mitnehmen. Oder wissen Sie vielleicht schon?«

»Ich weiß Nichts - was ist es?«

»O - Sie werden Aufsehen machen damit - auf mein Wort!«

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»Zum Teufel, was ist denn geschehen - was giebt es denn?«

»Bah - eine Kleinigkeit. Herr von Hinkeldey ist vor einer halben Stunde im Duell erschossen worden!«

Er gab den Zügel frei. -

Vive le Roi!

Wo die Schweiz an Frankreich stößt und die mächtigen Alpen, durchbrochen von einer Kette von Seen, in den Jura übergehen, im Westen begränzt von dem Departement des Doups und des Jura, liegt ein kleines Ländchen, Jahrhunderte lang still und friedlich in seiner Geschichte, ohne Ansprüche, glücklich in seiner Vergessenheit und doch bekannt in der ganzen civilisirten Welt durch zwei Dinge, durch zwei nach allen Himmelsgegenden, in alle Länder Europa's nach Amerika und Indien gehenden Exporte: seine Uhren und seine Bonnen.

Es heißt Neuenburg oder Neuchâtel!

Lange Jahre, wie die wiener Köchinnen für die ungarischen Grenadiere, hatten die berliner Hausmädchen eine patriotische Schwärmerei für einen Neuchâteller, gleichviel ob in der ächten Neuchâteller Wolle gefärbt, oder ein diesseitiges Landeskind, das sich in das Garde-Schützenbataillon - die Neuchâteller - aufnehmen ließ. Der Namen thut's so häufig.

Erst das so Viel verändert habende Jahr 48 hat auch hierin eine Aenderung gebracht - die Neuchâteller sind aus Berlin verschwunden.

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Aber kehren wir zu dem Ländchen selbst zurück, das ihnen den Namen gegeben.

Zwölf Stunden lang und etwa 4 breit, mit einem Flächenraum von 14 \square Meilen und einer Bevölkerung von etwa 71000 Seelen, also etwa der einer Stadt dritten Ranges in Preußen, erstreckt sich das Fürstenthum Neuchâtel nebst der Grafschaft Valengin an der Westseite der Schweizer Cantone.

Milde, liberale, auf ein Selfgovernement basirende Regierungsform herrschte von jeher in dem glücklichen Ländchen und hat den Fleiß und die Industrie seiner Bewohner unterstützt. Nach vielfachem Wechsel der Besitzer gehörte Neuchâtel der alten französischen Familie Longueville. Als diese mit dem Tode der Herzogin von Nemours, Marie von Orléans, 1707 erlosch, wurde der König von Preußen, als Erbe des Hauses Oranien, dessen alte Rechte auf das Fürstenthum anerkannt waren, von den Ständen desselben zur Herrschaft berufen und die darauf erfolgte Besitzergreifung in dem Utrechter Frieden bestätigt.

Seitdem gehörte das Fürstenthum der Preußischen Krone.

Nach den traurigen Niederlagen von 1806 zwang Napoleon Friedrich Wilhelm III. das Fürstenthum an Frankreich abzutreten und belehnte den Marschall Berthier als souverainen Fürsten damit. Der Stern Napoleons erblich auf den Schlachtfeldern von Leipzig und Belle-Alliance, der improvisirte Fürst verschwand und das Ländchen wurde, vergrößert durch einige Districte, im Pariser Frieden von 1814 seinem rechtmäßigen Herrn zurückgegeben, der ihm von

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London aus unterm 18. Juni 1814 eine der Genfer ähnliche Charte constitutionelle gab und die Rechte eines für sich bestehenden, von dem Preußischen Staatsinteresse ganz getrennten Staates erneuerte. Hierauf wurde es mit Zustimmung seines Landesherrn und unbeschadet aller Rechte desselben am 12. September 1814 als der 22. Canton in das Bündniß der Eidgenossenschaft aufgenommen, in der es der einzige monarchische Canton war.

Bei den demokratischen Bewegungen in der Schweiz seit 1831 gab es auch in Neuchâtel Unruhen, die indeß bald gedämpft wurden. In Folge davon ward im Wege einer Verordnung von 1831 die Verfassung in mehreren Punkten modifizirt, auch ertheilte der Landesherr der neuenburger Regierung auf ihren Wunsch Vollmacht, mit der Eidgenossenschaft wegen Austritts des Cantons aus dem Bunde zu unterhandeln; es wurde dieser Vorschlag von der Tagsatzung, die damals schon ihre revolutionairen Gelüste bekundete, verworfen.

In seinen innern Verhältnissen waren Besteuerung und Gesetzgebung zwischen dem Fürsten und den Landständen getheilt. Von den letztern ernannte der König-Fürst zehn Mitglieder.

Das ganze Fürstenthum zahlte eine unbedeutende Civilliste von 70,000 Francs und stellte ein Bataillon von 400 Mann gegen Handgeld geworbener Landeskinder - doch wurden auch andere Schweizer zugelassen - zur Garde nach Berlin. Die Söhne seines alten Adels dienten als Offiziere in diesem Corps.

Noch heute erinnern sich die meisten Familien in Neuchâtel

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- und fast sämmtliche wohlhabendere und alte Familien sind im Gegensatz zu den zahlreichen Eingewanderten und der Arbeiterbevölkerung der Berge - den Montagnards - noch eifrige Royalisten! - jener guten, glücklichen und noch nicht von republikanischer Tyrannei bedrückten Zeiten!

Noch zeigt in der gleichnamigen Hauptstadt des Fürstenthums der große Rathssaal in dem alten königlichen Schloß, das zum Sitz der Regierung und der von dem Landesherrn betrauten Gouverneure diente, in auf einander folgenden Feldern seit 1714 die Namen der Gouverneure, beginnend 1714 mit Francois de Langrés, - Namen, die noch heut in der größten Achtung stehen, wie Paul de Froment (1720-37), Philippe de Bryens (1738-46), Jean de Natali (1749-53), Georg Keith (1754-60), Soiron Lentulus (1768-79), Philippe Béville (1770), L'Esprat, Jean Pierre de Chambrier (1814-23), Friedrich von Zastrow (1834-1846).

Die Reihe königsgetreuer Namen, die dem Landesherrn mit milder, aber fester Hand sein angestammtes Recht bewahrten, wird in jenem Saal durch einen letzten Namen beschlossen, der auch der Preußischen Geschichte angehört: Ed. Henri de Pfuel! -

Die gefährliche Nachbarschaft der Schweiz und Frankreichs und die starke Einwanderung hatten auch in dem stillen und friedlichen Ländchen eine zahlreiche republikanische Partei geschaffen, die mit der bestehenden Ordnung nicht zufrieden war und auf Kosten des allgemeinen Wohles ihre ehrgeizigen persönlichen oder fanatischen Zwecke verfolgte.

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Bald gehörten ihr, durch die revolutionairen Agenten bearbeitet, die Masse der Bergbewohner und zum Theil die untern Volksklassen. Die Reibungen vermehrten sich durch die Ereignisse im Jahre 1847 und im Frühjahr 1848, - eine feste und willige Hand, sie im Zaume zu halten, fehlte, und durch eine von der Schweiz offenkundig unterstützte bewaffnete Demonstration der fast durchgängig nur aus eingewanderten Schweizern bestehenden republikanischen und eidgenössischen Partei ward am ersten März 1848 der bisherige Staatsrath zur Abdankung genöthigt, worauf eine provisorische Regierung die Abschaffung der Monarchie und die Einführung der republikanischen Verfassung erklärte. Ein sogenannter Verfassungsrath entwarf hierauf eine von der Eidgenossenschaft ohne Fug und Recht gewährleistete Constitution.

Statt jeden Schweizer, der sich in Preußischen Staaten blicken ließ, dafür ohne Weiteres beim Kragen zu nehmen und bis zur vollen Genugthuung einzustecken, war der König von Preußen, durch die Stürme von 48 ermüdet, friedliebend und schwach genug, sich auf einen wiederholten Protest zu beschränken, namentlich 1850 bei der republikanischen Veräußerung der fürstlichen Domanial- und Kirchengüter - und deshalb blieben auch die mehrfachen Versuche der neuenburger Royalisten erfolglos. Bei der Besetzung Badens und der Niederschlagung der Revolution durch die Preußischen Truppen kam allerdings ein Einmarsch in die Schweiz und eine Besetzung Neuenburgs - oder die Haftnahme Basels dafür zur Sprache; - aber damals war es Oesterreich, welches, kaum selbst von der Revolution durch die

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russische Hilfe erstanden, mit Einrücken von Hilfstruppen drohte, wenn die Schweizer Grenze verletzt würde.

So geschah es, daß Preußen der einzige Staat war, welcher durch die freche Willkür einer kleinen, nur durch die gegenseitige Eifersucht aller anderen Staaten getragenen Republik aus den Revolutionsstürmen von 1848 einen Verlust an Königlichem Gebiet erlitt.

Gleichsam zum Hohn aller legitimer Principien - ein Akt, der sich später vielfach gerächt hat und noch rächt! - erkannte ein am 24. Mai 1852 bei der Londoner Conferenz von sämmtlichen Großmächten unterzeichnetes Protokoll auf Grund der Verträge von 1815 das Recht des Königs auf Neuenburg, so wie dessen Recht auf Wiederhestellung seiner Autorität an, so daß diese Angelegenheit ihren drohenden Charakter für die Schweiz behielt.

Darüber war der orientalische Krieg ausgebrochen, die englisch- und französisch-schweizerischen Legionen waren geworben und so eben wieder entlassen worden, Oesterreich fand sich beschämt durch die feste Neutralität Preußens, welche seinen egoistischen schon von Fürst Schwarzenberg im Voraus verkündeten Undank gegen Rußland desto schärfer hervorhob, und die Cabinete von Paris und London grollten gegen Neapel und Preußen wegen der für Rußland bewährten Freundschaft.

Man konnte Neapel züchtigen und vernichten durch das Perfideste, jedes Völkerrecht mit Füßen tretende Verfahren; denn Neapel war den beiden Großmächten gegenüber ein schutzloses, seit Jahrhunderten allen diplomatischen Intriguen preisgegebenes Land, aber man konnte nicht wagen, der

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wohlbewaffneten und gerüsteten deutschen Großmacht einen unsinnigen Krieg zu erklären.

Man verwundete daher ihren Stolz und ihr Recht an der ungepanzerten Stelle, an Neuchâtel.

Es giebt eine Nemesis in der Politik. Der preußische Verlust Neuenburgs kostet Oesterreich die Lombardei! -

Der Septembertag war klar und angenehm; - der Beginn des Herbstes - es war Montag den 26. - desselben Jahres, in dem das vorige Kapitel unserer Erzählung spielte, also 1856, - ist stets eine der angenehmsten Zeiten in den meisten schweizer Gegenden. Ueber den See vom Berner Ufer her kam der »Schwan« gedampft - das Vorderdeck war gefüllt mit Passagieren: Landleuten und gewöhnlichen Reisenden; auf dem ersten Platz befand sich eine Gruppe vornehmerer Herrschaften. Ein älterer Mann von feinem aristokratischen Wesen unterhielt sich am Steuerruder des Schiffes mit einem Herrn in geistlicher Kleidung, dessen strenges, ernstes Gesicht mit den blitzenden Augen an die kühnen Lehren und Thaten Calvin's mahnte.

An der Brüstung des Verdecks lehnten zwei jüngere Männer, beide in Civil, aber von jener festen, sicheren Haltung, die bewies, daß sie wenigstens Militairs gewesen waren. Sie betrachteten das Ufer mit der freundlich sich entlang dehnenden Stadt, über der sich das alte stattliche Schloß aus dem Grün der Ulmen und Nußbäume erhob, während der Höhenzug der Weinberge das Tableau nach dieser Seite schloß.

So weit das Auge reichte, garnirten freundliche kleine

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Ortschaften und einzelne Villen und Häuser das Ufer des Sees und zogen sich an den Bergen hinauf.

Der eine der jungen Männer schien hier heimisch, denn er machte den Mentor des andern und diesen auf die einzelnen Punkte des ländlichen Gemäldes aufmerksam.

»Sehen Sie, dort rechts, wo das Ufer sich wieder tiefer herein in den See streckt, ehe er durch La Thiele seine Verbindung mit dem Brenner See bewerkstelligt, liegt Saint Blaise und Marie, - weiter hierher zu an der Höhe der Straße sehen Sie Hauterive, in derselben Richtung über den Bergen liegt Chaumont und grade über dem Schloßthurme hinaus, im jenseitigen Thal Valengin mit seinem Schloß, an dessen schöne Aussicht Se. Majestät der König sich immer mit so vielem Vergnügen erinnert. In derselben Richtung über den Bergen ist La Chaux de Fonds, wo wir uns morgen schlagen werden.«

»Sprechen Sie leise, Meuron!«

»O, die meisten dieser Leute verstehen kein Deutsch und es ist Niemand in der Nähe, als jener italienische Priester, der sein Brevier liest und den unser würdiger Guillebert immer so ansieht, als sei er einer Natter zu nahe gekommen. Man ist hier sehr streng in Sachen des Glaubens, Freund Röbel; die Katholiken und Protestanten in dieser guten höchst freien und höchst vorurtheilsvollen Schweiz betrachten sich so ziemlich wie Hund und Katze, Sie müssen das selbst schon bemerkt haben.«

Der Andere nickte. »In Freiburg und Luzern fand ich allerdings ein sehr katholisches Leben!«

»Bah - es ist Nichts gegen den puritanischen Eifer

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unserer alten Calvinisten. Sehen Sie dort die Häuserreihe, durch welche die Chaussee nach Colombier geht - zuweilen können Sie die Straße zwischen den Weinbergen erblicken, dort liegt Serrière, nach dem Sie mich so eben fragten. Haben Sie Bekannte dort?«

»Das nicht - ich erinnerte mich nur, daß mir zufällig in Berlin der Namen genannt worden.«

»Es ist auch nur ein sehr einfacher Ort, einige Weinbauern und kleine Gewerbtreibende. Darüber hinaus ist Peseux, weiter hinunter nach Colombier zu, am Ufer noch Auvernier, die Uebungen dieser Bürgertruppen haben in jener Gegend stattgefunden. Sie sind heute Morgen entlassen worden und es wird daher um so weniger auffallen, wenn unsere Freunde darunter heute Abend mit den wackern Brüdern Bovet bewaffnet durch die Stadt ziehen.«

»Nochmals - sprechen Sie vorsichtig! Ich traue dem Gesicht dieses Priesters nicht.«

»Sehen Sie nicht, daß es wie Marmor unbeweglich ist? Kein Mensch denkt an das, was sich vorbereitet, und das ist das Einzige, was mich besorgt macht. Pourtalès hat meiner Ansicht nach viel zu wenig Personen in das Vertrauen ziehen lassen; die ganze Stadt ist so ziemlich königlich gesinnt, aber bevor unsere Royalisten sich in Bewegung setzen und einen Entschluß fassen, brauchen sie Zeit. Ha, wenn ich dieses schurkische, übermüthige weiße Kreuz, das dort auf der Landungsbrücke flaggt, erst herunterreißen kann, und durch unsere alten Landesfarben und die Preußische Fahne ersetzt sehe, wird mir wohl sein!«

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»Wenn ich nicht irre, sind die neuenburger Farben dieselben wie die italienischen, ungarischen und mexikanischen?«

»Bewahre! wir haben das Weiß in der Mitte: Grün, Weiß und Roth. - Aber um in meinem topographischen Unterricht fortzufahren, der Vorsprung des Ufers von Boudri her schließt uns zwar jetzt die weitere Aussicht, aber die ganze Strecke bis nach Averdon hin, wo sich die eidgenössischen Truppen sammeln sollen, ist von kleinen Ortschaften besetzt.«

»Und Locle?«

»Es liegt tief in den Bergen, nahe der französischen Grenze und dem Doubs - etwas südlich von Chauxdefonds, dem nichtswürdigen republikanischen Nest. Im vorigen Jahrhundert wohnten die besten Royalisten dort, aber der Wiener Congreß, der in seiner Weisheit uns als zweiundzwanzigsten Canton der Schweiz angeschlossen, hat uns all' das Gesindel von dort herüber geführt, so daß die Bevölkerung jetzt zu drei Vierteln aus Fremden besteht. Auf der Höhe der Berge, grade diesseits Locle liegt unser La Sagne und dort links hinüber Chaux du Milieu und Brévine, wo alle Herzen bis zum geringsten Arbeiter gut königlich schlagen und sich wie ein Mann erheben werden, wenn es heißt: Vive le Roi!«

Die patriotische Begeisterung hatte den Redner zu so lauter Aeußerung hingerissen, daß selbst der mit dem Geistlichen im Gespräch sich befindende ältere Herr mißbilligend herüber sah und mit einer leichten Kopfbewegung Vorsicht winkte.

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Otto von Röbel, der mit den drei Männern aus dem Berner Land kam, beobachtete scharf den Priester, auf den er vorhin schon den Freund aufmerksam gemacht hatte.

Der Geistliche, der die bekannte Ordenstracht trug, die lange schwarze, enganschließende Soutane, schwarze Strümpfe und Schuhe und den an beiden Seiten aufgeschlagenen großen Hut, war ein alter Mann mit grau melirtem Haar und scharfen italienischen Zügen, die aber etwas Ruhiges, Unbewegliches hatten. Eine große blaue Brille und der tief in die Stirn gedrückte Hut verdeckte aber fast gänzlich den obern Theil des Gesichts.

So viel der junge Mann bemerken konnte, hatte der Geistliche auch von dem Ausruf seines Freundes keinerlei Notiz genommen, und blieb unbeweglich über sein Brevier gebeugt; nicht einmal das wirklich schöne Landschaftsbild zog seine Augen von dem Buch ab.

Erst als der Dampfer bereits ziemlich nahe an der Landungsbrücke war, erhob er sich und trat an die Brüstung, so daß man ihn vom Deck des Schiffes aus nicht beobachten konnte.

Er zog ein rothes Taschentuch aus der Tasche der Soutane, hob den Hut und wischte sich drei Mal über die Stirn.

Unter der Menge am Landungsplatz entstand eine leichte Bewegung - ein Mann drängte sich nach vorn.

Er war einfach in eine tyroler Jobbe mit stehendem grünem Kragen gekleidet und hatte gleichfalls einen grünen Tyroler Hut mit Gamsbart und Spielhahnfedern auf den Kopf. Ueber seine Achsel hing eine Jagdflinte und

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er hatte ganz das Aussehen einer der Jäger oder Schützen aus den wohlhabenden Ständen, wie sie sehr häufig in den Berggegenden zu sehen sind.

Der Mann konnte höchstens ein oder zwei Jahre älter sein als Otto von Röbel; sein Haar war schwarz und kraus, seine Gesichtsfarbe sehr dunkel, wie von Wetter und Sonne gebräunt, das Gesicht selbst aber kühn, offen und männlich schön. Eine weiße Narbe zog sich über der linken Braue quer über die Stirn, ein dunkler Knebel- und Kinnbart umgab den Mund. Jede seiner Bewegungen hatte etwas Pantherartiges, Elastisches, ohne dadurch an Kraft und Sicherheit zu verlieren. Er hatte nicht die hohe kräftige Gestalt des jungen märkischen Edelmanns, sondern war kleiner gebaut als dieser; aber ein britischer Liebhaber von Ringkämpfen würde auf seine Gewandtheit und Energie dasselbe gewettet haben.

In dem Augenblick, als das Schiff anlegte, wechselten der fremde Jäger und der italienische Geistliche einen fragenden und zugleich sich verständigenden Blick.

Der Priester steckte sein Taschentuch ein.

Die kleine Scene war, wie wir bereits bemerkt haben, der Stellung des Geistlichen wegen von Niemand bemerkt worden. Die vorhin erregte Aufmerksamkeit des jungen Preußen war durch seinen Begleiter in Anspruch genommen.

»Wenn Sie darauf bestehen, lieber Röbel, und ich glaube selbst, daß es sicherer und weniger Aufmerksamkeit erregend ist, daß Sie nicht im Hause des Grafen, sondern im Gasthof logiren wollen, so nehmen Sie das Hôtel du Commerce; die Räume sind etwas beschränkt, aber es liegt

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in der Nähe des Schlosses, am Quai - dort können Sie es sehen, und der Wirth gehört zu uns. In zwei Stunden spätestens hole ich Sie zur letzten Berathung ab - setzen Sie unterdeß Ihre Waffen in Stand.«

Die Gepäckträger drängten sich in diesem Augenblick auf das Schiff und die Passagiere an's Land. Der ältere Herr mit dem aristokratisch stolzen Gesicht und der Geistliche wurden von mehreren Personen, darunter einer stattlichen Dame in mittleren Jahren erwartet - Diener in eleganter Livree bemächtigten sich des Gepäcks.

»Haben Sie Acht auf die Reisetasche dort, Bernard - sagte der Herr zu einem alten Diener - »bringen Sie sie selbst in mein Arbeitzimmer. Leben Sie wohl mein Herr - auf Wiedersehen!« sagte er, Otto von Röbel die Hand reichend - auch der Prediger nickte ihm bedeutsam zu.

Der italienische Priester hielt sich zurück und nahm die Gelegenheit wahr, einen der Lastträger anzureden.

»Wer ist der alte Herr dort, mein Freund, der eben am Arm der in Schwarz gekleideten Dame an's Ufer geht?« frug er in gutem Französisch.

»Ei - den kennen Sie nicht? das ist der Herr Graf!«

»Welcher Graf?«

»Nun der Oberst Graf Friedrich von Pourtalès. Teufel, ich wünschte, ich hätte den hundertsten Theil von seinem Gelde. Er ist reicher als selber die Bourgeoisie, und das will viel sagen. Er war gewiß auf seinem Schloß Metlen bei Bern. Haben Sie Sachen zu tragen, Herr?«

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»Ich danke, mein Freund, ich habe nur wenig Geschäfte hier und werde noch vor Abend wieder abreisen!«

Der Arbeiter ging weiter und der Priester näherte sich der Landungsbrücke.

In diesem Augenblick ging eben der junge Preuße über dieselbe, eine leichte Reisetasche in der Hand; sein Freund war bereits mit dem Obersten und der Dame voraus.

Plötzlich blieb er erstaunt stehen - sein Auge war auf den Jäger gefallen.

»Mein Gott - seh' ich recht? wenn mich nicht Alles täuscht - Herr Lieutenant Laforgne?« sagte er erstaunt.

Das Gesicht des Angeredeten färbte sich mit unwilliger Röthe, hier von Fremden erkannt zu werden. Er maß mit trotzigem und finstern Blick den Frager.

»Ich wüßte nicht, daß ich die Ehre habe, Sie zu kennen, mein Herr,« sagte er.

Der Preuße lachte freundlich. »Das glaube ich wohl, wir trafen nur ein Mal zusammen, und ich war damals fast noch ein Knabe, während Sie, obschon wenig älter, doch schon Offizier waren und auf den Schlachtfeldern Montevideos gekämpft hatten. Es war in Charlottenburg, dem Schloßpark des Königs; aber Sie werden sich meines Bruders besser erinnern als meiner Person - ich bin der jüngere Bruder Friedrichs von Röbel, Offiziers in der Preußischen Armee.«

»Ah, Monsieur, - ich erinnere mich meiner Mission und der Bekanntschaft in Berlin. Sie müssen entschuldigen,

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aber sieben Jahre verändern viel. Ich hoffe, Ihr Herr Bruder und Ihre Familie befinden sich wohl?«

Trotz aller Höflichkeit war der Ton so kalt und gezwungen, daß der junge Edelmann sich brüskirt fand und sofort sich zurückzog.

»Meine letzten Nachrichten aus der Heimath lauten erfreulich, mein Herr. Ich will Sie nicht länger aufhalten und empfehle mich Ihnen.«

»Adieu, Monsieur!«

Mit einer kalten Verbeugung trennten sich die beiden so unerwartet hier zusammen getroffenen jungen Fanatiker der Revolution und des Royalismus. -

Der italienische Priester hatte in der Entfernung von einigen Schritten der Scene mit beigewohnt. Als der Preußische Edelmann sich entfernte und einem Knaben seine Reisetasche zum Tragen nach dem Hôtel übergeben hatte, trat er zu dem Jäger.

»Kapitain Laforgne, der Vertraute des Generals, wenn ich mich recht erinnere?« frug er italienisch.

»So ist's, Signor - ich habe Sie erwartet und Ihr Zeichen erkannt.«

»Sie haben einen großen Fehler begangen, mein Herr, indem Sie jene Bekanntschaft zurückgewiesen haben. Die Person ist von Wichtigkeit. Folgen Sie ihr in der Entfernung und sehen Sie, wo sie bleibt. In einer halben Stunde erwarte ich Sie auf dem Le Grêt!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich der Priester rechts nach dem Faubourg und wandelte mit

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langsamen Schritten die Straße entlang, die am Seeufer hinführt.

Le Grêt ist eine erhöhte Terrasse dicht am Ufer des Sees ziemlich am Ende der größtentheils von geschmackvollen Landhäusern gebildeten Vorstadt. Von ihrer Höhe unter dem Schatten der Bäume hat man eine überaus freundliche Aussicht auf die rechts sich hinziehende Stadt, auf die weite spiegelnde Fläche des Sees und darüber hinaus auf die Schneegipfel und Gletscher der Berner Alpen.

Der Platz, obschon die schönste Promenade der Umgebung, ist zu dieser Zeit gewöhnlich einsam und leer. Der Schweizer zeigt keine besondere Inclination für die müßige Bewunderung der Naturschönheiten.

Auf der mittleren Bank, von der er das ganze Panorama und jede Annäherung fremder Personen von Rechts oder Links sehen konnte, saß eine halbe Stunde später der italienische Priester von dem Dampfer. Seine Stirn war gefurcht, er schien in tiefes Nachsinnen verloren.

Von der Stadt her kam mit hastigem ungeduldigem Schritt der Jäger. Der junge Kapitain war unzufrieden mit sich selbst über die Rolle, die er dem Fremden gegenüber gespielt, deshalb begrüßte er diesen auch ziemlich einsylbig.

»Hier bin ich Signor! Ihren etwas diktatorischen Auftrag, wenn Sie auch älter sind als ich, habe ich erfüllt. Der Preuße ist im Hôtel du Commerce eingekehrt.«

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»Und Sie logiren?«

»Hôtel Bellevue am Landungsplatz der Dampfschiffe.«

»Dann quartiren Sie auf der Stelle um, sobald wir uns getrennt haben, und beziehen Sie ein Zimmer im Commerce, um den Mann genau beobachten zu können!«

»Caramba, Signor - ich bin kein Spion und weiß in der That nicht, wie Sie dazu kommen, mir derlei Befehle zu ertheilen. Ich erlaube mir, mich Ihnen vorzustellen, ich bin der Kapitain Laforgne, Adjutant des General Garibaldi, wenn Sie es noch nicht wissen sollten. Ich liebe überhaupt nicht, mich kommandiren zu lassen, am wenigsten von unbekannten Personen!«

Der Priester brach in ein herzliches Lachen aus. »Cospetto, Signor Capitano, immer noch der alte Hitzkopf« sagte er mit veränderter Stimme. »Aber das freut mich, weil es mir beweist, daß meine Maske gut ist. Haben Sie mich wirklich nicht erkannt, François?«

Er hatte Hut und Brille abgenommen, - der junge Kapitain stand ganz erstaunt vor ihm. »Signor Mazzini - Sie selbst?«

»Still amice, selbst die Luft hat Ohren und befördert den Schall! Wer zum Teufel sollte es denn anders sein, als ich? Es sind so wichtige Dinge zu verhandeln, daß ich sie gewiß nicht Andern überlassen werde. Aber setzen Sie sich hierher - wir sind hier ziemlich sicher, und wenn Sie ruhig sprechen, sogar ganz. Die guten Bürger von Neuchâtel haben in diesem Augenblick mit sich zu thun und werden bald noch mehr damit zu thun haben.«

Der Kapitain stellte seine Flinte an einen Baum im

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Bereich seiner Hand und setzte sich neben den berühmten Agitator.

»Zunächst« fragte dieser, »was macht der General, und woher kommen Sie?«

Direkt von Caprera über Turin und Genf. Der General befindet sich auf der Insel und baut seinen Kohl, bis die Zeit gekommen ist, Italien aufzubauen. Er hat am 28sten Ihren Brief erhalten und brachte mich selbst in seiner Felucke nach Genua. Seit gestern bin ich hier - hier ist seine Antwort!«

Er übergab dem Leiter der italienischen Revolution einen Brief.

»Ich wurde aufgehalten und konnte Zürich nicht eher verlassen als gestern,« sagte dieser, das klein zusammen gefaltene Schreiben öffnend und lesend. »Er ist der Alte - ich wußte es wohl! Wie lange haben Sie sich in Turin aufgehalten?«

»Drei Stunden.«

»Sie haben ihn gesprochen?«

»Der Graf war in derselben Nacht von Biarritz zurückgekommen!«

»Sie sagten ihm, daß Sie hierher gingen?«

»Ja!«

»Und hat er Ihnen Nichts aufgetragen?«

»Er wußte natürlich nicht, daß ich Sie selbst sprechen würde, aber er hat mir für Ihren Boten oder Beauftragten die Worte mit gegeben: Es ist noch nicht Zeit - wir müssen warten!<[«]

Der Agitator stampfte unwillig mit dem Fuß. »Hole

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der Teufel alle dies Zögern - wir sind längst bereit und die Leidenschaften sind kaum mehr zu zügeln, das zeigt der Tumult in Livorno. Es ist Zeit, daß der Zünder an die Mine gelegt wird.«

»Hören Sie mich an, Signor Mazzini,« sagte der junge Mann: »Sie wissen sehr wohl, daß ich kein Mann des Rathes und des Abwartens bin, sondern am Liebsten jeden Augenblick den Degen in die Faust nähme. Aber ich halte es für Pflicht, Ihnen Alles zu wiederholen, was mir der Graf in der halbstündigen Unterredung, die ich mit ihm hatte, für General Garibaldi gesagt hat.«

Der Agitator, der sich schon mehre Male umgesehen, ob auch kein Unberufener sie störe, oder als erwarte er Jemand, winkte ihm zu. »Sprechen Sie, Kapitain, und wiederholen Sie Alles genau!«

»Der Graf erklärt Folgendes. Die Initiative dürfe unter keinen Umständen von Italien ausgehen. Der General wisse vollkommen, unter welchen Versprechungen und in welcher Absicht die sardinische Hilfe bei dem Krimmkrieg geleistet worden: der Eintritt Sardiniens in die Reihe der Großstaaten und die Isolirung Neapels. Die Vorsicht habe auf dem Pariser Congreß verlangt, nicht auf mehr zu bestehen - man würde sonst sofort Oesterreich, Preußen und Rußland und wahrscheinlich selbst England gegen sich gehabt haben, da der Aerger über die Erfolge Frankreichs dort noch zu frisch war. Unsere Vorbereitungen in Sicilien und den Herzogthümern wären überdies noch nicht so weit gediehen. Eine Erhebung jetzt und ein Eintreten Sardiniens für die Revolution in den Herzogthümern

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aber ist die Kriegserklärung an Oesterreich, das heißt in diesem Augenblick an Deutschland und Rußland. Ein Anderes wird es sein, wenn Frankreich diese Rolle übernimmt!«

»Cospetto - das ist es ja eben! um das zu wissen, braucht man nicht Herr von Cavour zu sein!«

»Der Kaiser Napoleon muß diese Rolle übernehmen, das ist das Streben Cavours; aber jener weigert sich augenblicklich, im Norden Italiens ebenso vorzugehen, wie es augenblicklich gegen Neapel geschieht.«

Der Agitator lächelte spöttisch. »Das Räthsel ist leicht zu lösen! - doch später davon.«

»Der Graf sagt, die sardinische Regierung habe nicht die Mittel in Händen, den Kaiser zur Erfüllung seiner Versprechungen zu zwingen, der römische Einfluß sei augenblicklich zu mächtig!«

»Diese Spanierin! sie ist in den Händen der Jesuiten!«

»Der Graf behauptet ferner, eine durchaus abschlägige Antwort vom Kaiser erhalten zu haben. Man müsse also abwarten, wie sich der Conflict der Westmächte mit Neapel gestalten werde, das Kabinet von Turin werde natürlich das Seine dazu thun, diesen im Gang zu erhalten.«

»Und sollte der Fuchs Cavour wirklich nicht wissen, was dahinter steckt?«

Der Kapitain sah ihn fragend an. »Die Tyrannei in Neapel wird jeden Tag unerträglicher, wie unsere Freunde berichten,« sagte er ehrlich. »England und Frankreich haben sich der Verpflichtung der Humanität und

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der Rechte der Völker nicht länger entziehen können, sie haben den König von Neapel zur Ertheilung einer liberalen Constitution aufgefordert; der Tyrann hat jene übermüthige Antwort gegeben, welche jede fremde Einmischung in die Angelegenheiten seines Staats zurückweist, und die englische und französische Flotte sind nach den neuesten Nachrichten im Begriff, auszulaufen und vor Neapel den Forderungen ihrer Kabinete den gehörigen Nachdruck zu geben. Der General ist der Meinung, daß ein Aufstand der Patrioten in Neapel jetzt den besten Erfolg für die Sache der Freiheit haben wird, denn England würde die Erhebung unterstützen und Frankreich müßte nachfolgen.«

»War Graf Cavour auch dieser Meinung?« fragte der Italiener mit seinem Lächeln.

Der Kapitain wurde verlegen. »Das schien allerdings nicht ganz der Fall, indeß ...«

»Der General ist zuweilen noch ein Kind in der Politik, grade wie Sie! Meinen Sie denn, daß es ohne Genehmigung des Kaisers Napoleon geschieht, daß Lucian Mürat in diesem Augenblick mit den Emigranten Saliceti, Lizabe, Ruffoni und Montonelli in den Bädern von Aiz unterhandelt? Eine Revolution, die jetzt ausbricht, würde die Mürats auf den Thron von Neapel zurückführen, und diese würden wir schwer genug wieder los werden, das sehen wir an den Franzosen in Rom. Es ist ein Versuch des schlauen Fuchses in Biarritz und das weiß der Graf sehr wohl, aber Palmerston ist nicht so einfältig und läßt sich diesmal nicht überlisten; - John Bull würde sofort die Hand auf Sizilien legen, das weiß

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man in Paris und in Turin sehr wohl. Die sechs neuen Schraubenfregatten, die Piemont jetzt ausrüsten läßt, haben Zeit!« -

»So zweifeln auch Sie an der Befreiung Italiens?«

»Junger Mann,« sagte der berühmte Verschwörer streng, »ehe Sie noch geboren waren, habe ich für die Freiheit Italiens in piemontesischen Kerkern geschmachtet und bin von der Erde meines Vaterlandes wie ein gehetztes Wild durch Italiener vertrieben worden. Seitdem habe ich keinen Augenblick aufgehört, an der Befreiung Italiens, nicht blos von den fremden, sondern auch von den eigenen Tyrannen zu arbeiten. Kein Mißlingen, keine Noth, keine Gefahr hat mich je zurückgeschreckt; die Revolutionen der andern Nationen, die Ströme von Blut, die ich seit dreißig Jahren habe vergießen sehen, die Männer, die ich sich erheben und fallen sah, die Bewohner der Throne Europas, wie die der geringsten Fischerhütte am Golf von Salerno sind mir Nichts, als die Steine zum Gebäude der Freiheit Italiens. Aber ich schwöre Ihnen, junger Mann, so stark ich mich fühle, allen diesen Fürsten und Diplomaten gegenüber, so weit auch die geheime Macht, an deren Spitze ich stehe, bis in die fernsten Winkel der civilisirten Welt reicht, - ich würde in diesem Augenblick mir selbst den Tod geben, wenn ich die Hoffnung auf die Erreichung meines Ziels aufgeben müßte!«

Der Kapitain schwieg - er hatte diesem Fanatismus des Herzens gegenüber keine Antwort. Er begriff, daß er

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- ja selbst sein General, nur der Soldat, nur der Arm des furchtbaren Kampfes war.

»Garibaldi täuscht sich über Neapel,« fuhr nach einigen Minuten des Nachdenkens der Agitator fort. »Das Volk ist dort so kindisch und veränderlich, daß es keine Empfängniß für die Ideen der wahren Freiheit hat - es hat Masaniello zugejubelt, wie Mürat und den Bourbonen. Nur das Neue hat Reiz dafür und es wird Ihren Helden auf seinen Armen tragen und mit seinen Evviva's die Luft zerreißen, wie es sich jetzt für Bomba niederschießen lassen wird. Ein solches Volk von Kindern verdient Nichts anders, als ein strenges Regiment, sei es von der Hand seines ererbten Königs, sei es von der Faust des Diktators der parthenischen Republik. - Vor der Hand herrscht Bomba, die Masse des Pöbels hängt ihm an, trotz aller Fehler die er begeht, - und würde sich bei einer Revolution der Unsern für ihn erklären. Der Anstoß der Bewegung muß nothwendig von Oberitalien ausgehen, wie 48. Hier ist das Material vorhanden; die Herrschaft der Oesterreicher und der Bourbons steht auf einer Pulvermine, die jeden Augenblick angezündet werden kann, wenn wir erst der nachhaltigen Hilfe versichert sind. Der Sieg in der Lombardei wird ganz Italien mit sich fortreißen und die Westmächte zum Einverständniß zwingen. Dem Deutschthum muß der erste Schlag beigefügt werden, das ist unser schlimmster Feind, nicht die schwächliche Bourbonenherrschaft in Neapel. Ein Aufstand dort würde nur den französischen und. englischen Gelüsten in die Hände arbeiten. Von Trient bis Rom, vom Mont Cenis bis zu

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den Lagunen, das ist unser Kampfplatz! - Sagen Sie das Garibaldi, und daß er seine Pläne für Neapel deshalb bis auf spätere Zeiten aufschieben muß - er würde sonst Alles verderben. Wir werden über kurz oder lang bessere Beschäftigung für ihn an der Adda haben. Er muß sich fügen - in diesem Punkt stimme ich mit Cavour überein, er muß warten!«

Er sprang plötzlich auf. - »Einen Augenblick, Signor Kapitano - wir wollen erst diesen Bettler wegschicken, damit er uns nicht belästigt!«

Den Weg vom Kirchhof herauf kam ein Mann gehumpelt, das Knie in einem hölzernen Bein. Er trug einen alten französischen Militairrock und eine Binde über dem linken Auge.

Der falsche Priester sah nach der Uhr - es war gerade 12 Uhr Mittag.

Er trat an die Brüstung, die den Platz nach der Seeseite zu umgiebt und schaute nach dieser hinaus.

Der Stelzfuß humpelte zunächst auf den Jäger zu und zog seine Mütze.

»Eine Gabe, Euer Gnaden, für einen alten Soldaten, der an der Alma sein Bein eingebüßt und den der Congreß in Paris vergessen hat.«

Der junge Kapitain warf ihm ein Frankenstück in die Mütze.

Der Invalide humpelte weiter zu dem Priester, der sich so weit entfernt hatte, daß sein Gefährte nicht verstehen konnte, was gesprochen wurde.

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Hier wiederholte er seinen Spruch genau mit denselben Worten.

Der Italiener sah ihn scharf an. »Wie kommt es, daß Frankreich für seine Tapfern nicht besser sorgt? Der Kaiser Napoleon hält doch sonst auf seine Soldaten!«

»Frankreich,« sagte der Bettler und erwiederte den scharfen Blick, »liebt es heutzutage, seine Versprechungen zu vergessen. Es giebt viel unächtes Blut auch unter den Bonaparte's.«

Der Priester nickte, indem er die Börse zog. »Ich sehe, wir verstehen uns. Sie haben Ihren Mann gefunden.«

»Dann mein Herr,« sagte der Invalide mit plötzlich veränderter Stimme, ohne jedoch aus seiner Haltung zu fallen, »haben Sie die Güte mir das Loosungswort zu sagen. Ich muß ganz sicher gehen.«

»Das ist in der Ordnung. Es heißt: Palais Royal! und nun das Ihre?«

»San Pietro in Montorio!«

»Dies genügt. Ich bin Der, den Sie treffen sollen. Haben Sie einen mündlichen oder schriftlichen Auftrag an mich?«

»Einen mündlichen!«

»Können Sie mir ihn hier sagen oder müssen wir uns an einem andern Ort sprechen?«

»Es sind nur wenige Worte, die ich Ihnen zu sagen habe. Ich kenne selbst deren Bedeutung nicht und es wird von Ihnen abhängen, ob ich eine Antwort zu bringen habe oder nicht.«

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»Sprechen Sie!«

»Ich habe Ihnen zu sagen: Der Kanal sei in diesem Augenblick zu breit und man müsse auf günstigeres Wetter warten!«

Der Priester biß sich in die Lippen. »Also auch dort! Sagen Sie Dem, der Sie gesandt hat: wir würden warten - aber nicht lange mehr. Die Sturmvögel lieben es nicht, auf den Kreidefelsen zu sitzen!«

»Ist das Alles?«

»Ja, mein Herr - Ihre Botschaft war so kurz wie die Antwort. - Wie befindet sich der Prinz?«

»Ei, nicht bei besonderer Laune,« sagte lachend der Bettler. »Zwei solch' glückliche Familienereignisse hinter einander, das ist hart. Das Kind von Frankreich hat ihn um die Anwartschaft auf den Thron von Frankreich gebracht und im Nu wieder einen Privatmann aus ihm gemacht, und der Prozeß der Herren Patterson und Sohn wegen der alten Jugendthorheiten des Exkönigs von Westphalen hilft ihm zu einem Bruder und Neffen, an den er niemals gedacht hat! - Der Prinz bereitet sich aus lauter Vergnügen vor, eine Reise nach Island zu machen.«

»Das ist Thorheit, wo in jedem Augenblick die wichtigsten Ereignisse eintreten können!«

»O sein Sie sicher, Monsieur - er wird es selbst in Island wittern. Unter uns - die vielen plötzlichen Verhaftungen vor der Reise nach Biarritz haben ihn etwas frappirt. Man ist augenblicklich sehr vorsichtig bei Hofe. - Aber eine Gabe, ehrwürdiger Herr - Sie vergessen, daß ich ein armer Invalide bin.«

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Der Italiener warf lächelnd eine kleine Münze in die Mütze. »Wann kehren Sie zurück?«

»Auf der Stelle. Ich werde morgen früh in Pontarlier sein ... Mein Wagen erwartet mich in den Weinbergen!«

»Dann glückliche Reise und wiederholen Sie dem Prinzen: da er Naturgeschichte studirt, müsse er auch die Art der Geyerfalken kennen! - gingen Sie nach Biarritz, so könnte ich Ihnen eine Neuigkeit mit auf den Weg geben!«

»Darf man fragen, welche, Signor?«

»Gewiß! es ist die, daß Seine Majestät der Kaiser Napoleon nächstens der Schweiz gegen Preußen zu Hilfe marschiren kann. Die Heirath der preußischen Prinzessin mit Baden ist eine offene Straße von Berlin nach Basel. - Adieu, mein Alter - mein Seegen möge die kleine Gabe begleiten! Die Schilderung, die Ihr mir von Euren Leiden gemacht, hat mich tief gerührt und ich schließe Euch in mein Gebet ein.«

Die letzten Worte waren laut gesprochen, er lehnte sich, wie um das Gespräch abzubrechen, auf die Brüstung und der Stelzfuß humpelte demüthig grüßend davon.

Erst nachdem er zwischen den Bäumen verschwunden war, kehrte der Agitator zu dem Kapitain zurück. »Ein alter Invalide spricht so gern von seinen Schlachten, wie eine Frau von ihrer Köchin,« sagte er mit vollkommener Selbstbeherrschung. »Wir sind den lästigen Burschen jetzt los und können fortfahren.«

Der Jäger schwieg - sein von Jugend auf an scharfe Beobachtung gewöhntes Auge hatte den intimern

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Verkehr des Agitators mit dem Invaliden sehr wohl bemerkt.

»Haben Sie die Güte, Kapitain, in Ihrem Bericht über die Unterredung mit dem Minister fortzufahren. Suchen Sie sich möglichst an seine eigenen Worte zu erinnern.«

»Der Graf beauftragte mich ferner, dem General zu sagen, daß Sardinien mit seinen Rüstungen noch nicht so weit vorgeschritten sei, um selbst mit dem Beistand Frankreichs oder Englands den Kampf gegen Oesterreich wagen zu können, wie viel weniger ohne denselben.«

Mazzini lächelte. »Ich sollte meinen, die Hundert-Kanonen-Sammlung Manin's würde Alessandria uneinnehmbar machen!«

»Die französische Polizei hat sie bereits verboten, und Sie wissen sicher, daß sie nur schwachen Anklang findet. Ihre Sammlung für 10000 Gewehre mit der offen und kühn ausgesprochenen Bestimmung für die erste Provinz, die sich erhebt, erregt zehnfach mehr Begeisterung.«

»Manin will Kanonen dem König für eine Festung geben, um sie zu vertheidigen, ich Gewehre dem Volk, um die Festungen der Fürsten zu zerstören, darin liegt der Unterschied des Erfolges. Hat Graf Cavour speziell von mir mit Ihnen gesprochen, Kapitain?«

»Der Graf sagte: Sollten Sie unsern allzuunruhigen Freund, den Ueberall und Nirgends, den ewigen Juden der Revolution sehen, so sagen Sie ihm, Neapel und Florenz wären gegenwärtig sehr geeignete Schauplätze seiner Vorbereitungen!«

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Der Agitator lachte spöttisch. »Der Herr Graf ist in der That ein kluger Staatsmann. Wie die Pioniere des Westens in Amerika den Fortschritt der Civilisation vorbereiten, glaubt er uns als Avantgarde für die Dynastie Savoyen benutzen zu können. Meint der Graf, es würden die Ströme des besten italienischen Bluts vergossen werden, um zuletzt ein einiges großes Italien blos für den König Victor Emanuel zu schaffen? Cospetto, ich denke, wir drehen den Spieß um und lassen Sardinien für unsere Zwecke arbeiten. Wenn dann die Zeit gekommen, wird man sich des rothen Kreuzes von Savoyen wohl eben so leicht erledigen, wie der Lilien von Bourbon! Die Zukunft gehört der Republik. - Doch nun zu etwas Anderem. Haben Sie einige Tage Zeit?«

»Ich stehe zu Ihrer Disposition!«

»Sie kennen den jungen Mann, dem ich Sie bei Ihrer Ankunft zu folgen bat.«

»Wie Sie gesehn haben, Signor!«

»Wer ist er?«

»Ein preußischer Edelmann, wahrscheinlich preußischer Offizier. Ich lernte seine Familie und seinen Bruder, der damals bereits in der Armee stand, im Frühjahr 49 kennen, als ich in einem privaten Auftrag des Generals gerade wegen dieser Familie in Berlin war!«

»Also ein preußischer Offizier? das stimmt.«

»Was meinen Sie?«

»Bah - eine kleine Contrerevolution. Einige Worte, die ich zufällig gehört, lassen mich schließen, daß man eine royalistische Erhebung und das Wiederlosreißen dieses

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Cantons von der Schweiz beabsichtigt. Das Nähere und die Zeit ist mir freilich unbekannt, deshalb sollen Sie einige Tage hier verweilen. Die Montagnards sind sämmtlich gute Republikaner, ich weiß es, und werden höchstens eines tapfern Führers bedürfen, um ihren Gegnern die Spitze zu bieten. Hören Sie mich wohl an, Kapitain: - tritt das Ereigniß ein, das ich vermuthe, so muß es unter allen Umständen zum Kampf kommen. Wir brauchen einen Zwiespalt der Republik mit den Souverainen, einen Angriff auf die Interessen der Schweiz, um den Antrag unserer Freunde beim Bundestag auf ein Gesetz zu unterstützen, das alle Schweizer aus fremden Kriegsdiensten bei Verlust des Heimathsrechts zurückberuft und den Eintritt in solche Dienste ohne Erlaubniß des Rathes verbietet.«

»Parbleu, Signor Mazzini - das heißt Rom und Neapel entwaffnen!«

»Das ist unsere Absicht - der Schlag wird seiner Zeit uns die besten Dienste leisten; denn die Schweizer und Tedeschi sind die einzigen Soldaten, auf die sich die Tyrannei in Italien stützt und verlassen kann. - Ich gehe in einigen Stunden wieder nach Bern und werde den Präsidenten sofort benachrichtigen. Unterdeß haben Sie hier ein wachsames Auge auf Alles, aber hindern Sie Nichts zu früh. Wie gesagt, ein blutiger Conflict ist das, was wir wünschen. Ich werde zwei Tage in Bern bleiben - hier haben Sie für alle Fälle meine Adresse.«

Er schrieb einige Worte auf ein Blatt seiner Brieftafel und händigte es ihm aus.

»Und nun Kapitain leben Sie wohl und grüßen Sie

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den General. Ich sehe ein, wir müssen uns fügen und warten, aber sagen Sie ihm, sich jeden Augenblick bereit zu halten; - der Plan in Paris sei diesmal mißglückt, aber unsere Freunde werden deshalb den Muth nicht verlieren und sich besser vorsehen. Leben Sie wohl, denn ich habe noch ein dringendes Geschäft.«

Er reichte dem jungen Mann die Hand und verließ dann die Terrasse.

Der Kapitain sah ihn seinen Weg durch die Faubourg nehmen und mit dem ruhigen Wesen eines wirklichen Geistlichen in der Richtung von Menruz und Hauterive weiter schreiten. -

Eine Stunde darauf öffnete der angebliche Priester die Thür einer kleinen Weinschenke in Saint Blaize.

Zwei Männer saßen am Tisch bei einer Flasche des berühmten weißen Weins von St. Blaize. Sie waren beide in die blauen Blousen, die gewöhnliche Tracht der arbeitenden Klassen gekleidet, Hüte mit breiten Krämpen auf dem Kopf.

Der eine war klein, braun und mager mit häßlichem tückischem Gesicht; der andere älter, blond, kräftig und mit einer ruhigen intelligenten Physiognomie begabt. Sie waren allein in der Schänke, nur die Tochter des Hauses da, die zur Bedienung ab- und zuging.

Als der Priester eintrat, warf er einen raschen Blick in der Stube umher, sie war zufällig leer. Er ging auf die Beiden zu und nahm die Brille von den Augen.

»Seid gegrüßt, Brüder des Bundes!« sagte er italienisch. Beide sprangen auf und reichten ihm die Hand.

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»Willkommen, Signor! Die Brüder des Dolches grüßen ihren Meister!«

Der Kleinere füllte ein Glas und hob es empor: »Auf den Sieg der Freiheit und den Tod aller Tyrannen! Ob sie unsere Brüder in Paris auch in diesem Augenblick nach Cayenne schleppen, wir bringen Dir die Rache und die Vernichtung unserer Feinde!«

Der Agitator sah sich nochmals um.

»Sind wir sicher hier?«

»Wir sind es. Die Hausleute sind in ihren Weingärten - das Mädchen kommt nur herein, wenn man sie braucht.«

»Dann reden Sie, Pierri. Weswegen verlangten Sie die Zusammenkunft?«

Der kleine Italiener, derselbe, der in San Pietro di Montorio den Antrag Orsini's gegen den Präsidenten der französischen Republik unterstützt hatte, nahm einen Korb von der Bank, wie ihn die Bauern zu tragen pflegen.

»Wir kommen von London, um Ihnen unser Werk zu zeigen. Die Aufgabe, die man uns gestellt hat, ist gelöst. Sehen Sie.«

Er hob den Deckel von dem Korb. Zwischen Früchten und Zweigen lagen zwei schwarze in Boy genähte runde Bälle von der Größe etwa zweier geballten Hände.

»Was ist das, Signor Andrea?«

»Es sind die Proben der Handgranaten, die Tolti erfunden und die wir verbessert haben. Wenn Sie eine derselben in dieser Stube mit Kraft auf den Boden werfen,

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so bürge ich Ihnen dafür, daß kein Stein dieser vier Wände auf dem andern bleibt!«

»Das ist groß! - Sie haben die Probe gemacht?«

»Im Hyde-Park - Tolti ist das Opfer davon geworden!«

»Und Sie meinen, eine solche Handbombe müsse Alles vernichten, was in ihrem Bereich ist?«

»So wahr ich Franz Bernard heiße,« sagte der Blonde, - »ich bürge Ihnen für meine Verbesserung. Diese Kugel würde hundert Menschen tödten, wenn sie in ihrer Mitte erplodirt.«

Der Präsident des Bundes sah in tiefem Sinnen auf die furchtbare Erfindung.

Pierri legte ihm die Hand auf die Schulter. »Felicio Orsini mahnt Dich an Dein Wort. Der Verräther ist seit drei Jahren Kaiser der Franzosen - hier liegen die Mittel, unsern Schwur zu lösen - die Brüder fordern Dich, ihren Meister auf, den Befehl endlich zu geben. Das Blut unserer Brüder von Rom schreit noch immer ungesühnt um Rache!«

Der große Führer und Helfer aller Verschwörungen, die Europa seit länger als dreißig Jahren erbeben machen, richtete sich streng empor.

»Soll das Werk, an dem wir arbeiten, gefährdet werden durch die Ungeduld des Einzelnen?« sagte er fest. »Gehorsam ist die erste Pflicht, die der Eid den Brüdern auferlegt. Noch hat die günstige Stunde nicht geschlagen - ist sie gekommen, wird Giuseppe Mazzini nicht zögern,

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zu sagen: Geht - Italiens Befreiung fordert Euer Leben! - Bis dahin: Wartet!«



Im Faubourg von Neuchâtel, kurz vor dem Palais Rougemont, liegt - von einem freundlichen und trefflich gehaltenen Vorgarten von der Straße geschieden, eine prächtige Villa mit reich verziertem Balkon.

Es ist das Haus des Obersten Graf Friedrich von Pourtalès-Steiger.

Es war am Spätnachmittag, als in dem mittleren Salon des Hauses eine zahlreiche Männergesellschaft versammelt war. Eine einzige Dame war anwesend, die edle Gemahlin des alten Grafen, die fest und treu zu ihm in der langen kinderlosen Ehe bei jeder Fährlichkeit, in Freud und Leid, gehalten hatte.

Sie selbst nahm an der Thür des Salons von einem alten Diener die Erfrischungen für die Gäste ihres Gemahls in Empfang und bediente dieselben. Kein Diener - so zuverlässig und anhänglich die Leute in dem reichen Haushalt des Grafen auch waren, durfte heute die Schwelle des Salons überschreiten. Die Gräfin versah still und geräuschlos den übernommenen Dienst, ohne sich in die Berathung der Männer zu mischen, und wenn sie auf diese Weise nicht beschäftigt war, saß sie still in einem Fauteuil am Fenster, wo ihr Arbeitstisch stand und las in einem Buch.

Dies Buch war die Bibel!

Der Hausherr, ein Mann von 60 Jahren, derselbe, der am Vormittag mit dem Dampfschiff aus dem Berner

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Land herüber gekommen war, saß in einem Lehnstuhl vor der Mitte des langen, gewöhnlich zur Tafel dienenden Tisches. Obschon die Dämmerung erst einzutreten begann, standen doch bereits zwei prächtige Astral-Lampen auf dem Tisch, denn die Gardinen der Fenster waren nieder gelassen.

Auf dem Tisch lagen mehrere Papiere und Briefschaften, schwarz-weiße Armbinden und Kokarden, von der Hand der Gräfin genäht, die schöne, 1806 erschienene und dem verstorbenen König gewidmete Karte des Fürstenthums Neuchâtel von v. Osterwald und mehrere Paare Pistolen nebst Ladungsbedarf. Mit Schuß- und Hiebwaffen der verschiedensten Art waren auch die Sophas und Stühle bedeckt, die nicht von den Anwesenden benutzt wurden.

In einer Ecke des Saales stand eine Anzahl neuer Fahnen in den preußischen Farben: Schwarz und Weiß. Der Reisesack, den der Graf am Dampfschiff so sorgsam der Aufmerksamkeit des Dieners empfohlen hatte, lag jetzt geöffnet neben ihm und zeigte sich mit Rollen von Druckschriften gefüllt.

Trotz des kriegerischen Aussehens, was der Salon auf diese Weise hatte, befanden sich doch unter der versammelten Gesellschaft Männer des Friedens, denn man sah zwei oder drei Herren in geistlicher Kleidung unter ihnen. Die Anwesenden waren zu fast zwei Dritt[t]heilen Männer von gesetzten Jahren; unter ihnen befand sich einer, dessen Aeußeres auf englische Abkunft schließen ließ - es war in der That ein Engländer, der Ingenieur Ibbetson.

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Neben dem alten Grafen saß ein jüngerer Mann, eifrig schreibend und Befehle und Listen anfertigend. Am Ende des Tisches befand sich auch Otto von Röbel mit seinem Freund, dem jüngeren Meuron.

Der Oberst hatte sich erhoben. »Meine Freunde,« sagte er ernst, - »fassen wir unsere Lage nochmals fest in's Auge. - Drei Mal seit dem unglücklichen 1. März 48 haben die Royalisten von Neuchâtel vertraute Männer nach Berlin geschickt, um bei Seiner Majestät unserm Fürsten und Herrn eine Wiederherstellung seiner und unserer Rechte zu erbitten. Man hat uns im Jahre 48, als wir zum ersten Mal diese Deputation sandten, gesagt, daß die Zeitumstände es damals unmöglich machten, gegen den Rechtsbruch der eidgenössischen Regierung mit Gewalt einzuschreiten, und daß Preußen selbst erst wieder befestigt und gekräftigt sein müsse. Wir erkannten den Zwang der Umstände und haben uns gefügt und geduldet. - Damals, als Seine Königliche Hoheit der Prinz von Preußen, der Erbe des Thrones, mit seiner tapfern Armee die badenschen und pfälzer Rebellen niedergeworfen hatte und preußische Truppen an der Grenze der Schweiz standen, sandten wir zum zweiten Mal Männer, die unsers Vertrauens genossen, nach Karlsruhe und Berlin, und baten, die günstige Gelegenheit zum Einmarsch in die Schweiz, diesem Heerd, dieser Pflege, dem Schlupfwinkel aller Revolution zu benutzen. Der ritterliche Prinz war bereit, sein siegendes Schwert nicht eher in die Scheide zu stecken, als bis seinem Königlichen Hause das schändlich geraubte Eigenthum und uns unser Recht wieder geworden; wir selbst - ich

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sehe die Männer jener Tage um mich! - waren gefaßt, auf den ersten Wink hier die Fahne mit den alten Landesfarben zu erheben - da kam Gegenbefehl von Berlin. Nach hartem Kampf, - der seelige Graf Brandenburg stand tapfer auf unserer Seite, - hatte man beschlossen, von der Pfandnahme Basels mit gewaffneter Hand abzustehen, da Oesterreich - eifersüchtig über die preußischen Erfolge in Schleswig, Dresden und Baden, - Truppen bei Bregenz zusammenzog, um der Schweiz gegen das deutsche Bruderland zu Hilfe zu kommen, nachdem es kaum selbst in der Lombardei und Ungarn die Revolution besiegt hatte. - Zum dritten Mal legten wir unsere Bitten und unser Recht am Fuße unsers angestammten Thrones nieder, als die Conferenz der europäischen Großmächte nach dem Krim[m]krieg im Frühjahr dieses Jahres in Paris tagte. Ich selbst war in Paris. Wir forderten Nichts, als was das Protokoll der Großmächte vom 24. Mai 52 in London selbst anerkannt hatte: das Recht auf Wiederherstellung der Königlichen Autorität. Aber Herr von Manteuffel war ein schwacher Vertheidiger unserer Rechte in Paris -, die siegenden Mächte hatten an Preußen keinen Dank zu zahlen für seine Neutralität - und unsere Hoffnungen wurden mit der Vertröstung eines erbärmlichen Paragraphen abgefertigt, dem die Diplomaten, die gegenwärtig in Paris das Werk beenden sollen, um Europa eine neue Sicherung des Friedens und des Bestandes zu geben, keine Beachtung widmen. Wir können, wir dürfen die letzte Gelegenheit nicht vorübergehen lassen. Das Herz unsers Königlichen Fürsten, ich weiß es mit Bestimmtheit, schlägt für uns, -

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aber die Politik des Herrn von Manteuffel, jene Politik von Warschau und Olmütz, die den preußischen Thaler nicht für den neuenburger Groschen daran setzen will, der der Erbe des Thrones in gerechtem Zorn über Preußens Demüthigung nach dem Vertrag von Olmütz mit dem Stuhl antwortete, diese zähe, die Ereignisse abwartende, nicht machende Politik, sie hat kein Herz für uns, sie giebt uns keine Hoffnung! Wohlan denn, meine Herren, wir müssen uns selbst helfen, wir müssen Preußen zwingen, uns wieder Unterthanen des Königs sein zu lassen!«

Eine stürmische Bewegung ging durch die Versammlung.

»Es muß ein Ende nehmen! Wir wollen die Entscheidung!« sagte fest der alte Bannerherr von Meuron, indem er die Hand schwer auf den Tisch legte.

»Sie wissen Alle,« fuhr der Graf fort - »daß die Zustände in unserm Lande unerträglich geworden, daß es die höchste Zeit ist, eine Aenderung zu treffen, wenn nicht Alles verloren sein soll. Die täglich einwandernden Republikaner aus der Schweiz bilden ein besitzloses Proletariat, das die Rechte der alten Bewohner unterdrückt und raubgierig sich auf ihr Eigenthum wirft. Die Aemter des Staats sind bereits in ihren Händen, sie haben in dem kleinen und großen Rath die Majorität, sie unterdrücken das Ansehen unserer würdigen Geistlichkeit und verschleudern das Vermögen der Kirchen und Schulen. Sie wollen jetzt selbst das alte Erbe unserer Väter, die Stiftung der Bourgeoisie und ihr großes Vermögen antasten und es unter sich theilen. Der Streit wegen der westlichen

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Eisenbahn hat das Lager des Feindes in zwei Theile gespalten, die Independants stehen den Republikanern gegenüber, sie werden bei unserer Erhebung sich ruhig verhalten, die Rothen allein aber haben nicht die Macht, sich uns zu widersetzen.«

»Sind Sie des Verhaltens der Independants gewiß, Oberst?« sagte der wackere Wolfrath, der muthige Herausgeber und Drucker des royalistischen Journals »Neuchâtelois.«

»Gewiß, mein Freund. Wir werden sorgen dafür, sofort nach unserm Siege mit den Independants Verhandlungen anzuknüpfen. Es wäre bereits geschehen, wenn wir nicht, wie Sie wissen, die größte Vorsicht anwenden müßten. Oberst Denzler, der Führer der Independants ist ein Mann von Verstand und Herz. - Diese Briefe hier, die unser Freund Jeanrenaud, der Direktor der Post, unter seiner Adresse empfangen, sind von unsern Vertrauten aus Berlin. Befinden sie sich auch nicht in der gegenwärtigen Regierung, ja sind sie sogar in der Opposition zu dem System Manteuffel, so wissen Sie doch Alle, in welchen nahen Beziehungen sie zum Hofe und zur Regierung stehen, wie mächtig ihr Einfluß thätig ist. Sie stimmen mit uns überein, daß die Zeit eine günstige ist, daß das berliner Kabinet gezwungen werden muß, für uns einzutreten und die neuenburger Frage zur Entscheidung zu bringen. Die Heirath der Prinzessin Luise mit dem Großherzog von Baden knüpft so enge Verwandtschaftsbande, sie öffnet so leicht den Weg zu uns, daß Herr v. Manteuffel keine Entschuldigung mehr haben kann.«

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Graf Wesdehlen schüttelte den Kopf. »Ich wiederhole Ihnen, Oberst - ich traue der Dankbarkeit und der Freundschaft Badens für Preußen herzlich wenig. Die Liberalen dort wachsen täglich.«

»Und wenn auch! Wollen wir denn, daß Preußen uns in Eil seine Bataillone aus der Rheinprovinz zu Hilfe schickt? Sie würden in jedem Fall zu spät kommen. Wir sind gewiß nicht so thöricht, zu glauben, daß wir der bewaffneten Macht der Schweiz widerstehen können. Unser Plan ist einfach nur, uns durch Ueberrumpelung der wichtigsten Punkte zu bemächtigen und auf diesen zu halten, bis zur Ankunft der Truppen des Bundesraths. Diesen Truppen müssen und werden wir uns ergeben. Preußen und die Großmächte werden dadurch genöthigt werden, zu interveniren; denn sie haben dann den Beweis in Händen, daß der schweizer Bund jene unselige, durch den Wiener Congreß 1815 stipulirte Aufnahme Neuenburgs in die Eidgenossenschaft, die Ursache alles Geschehenen, dazu mißbraucht, zum zweiten Mal und dem Londoner Protokoll trotzend, die legitime Regierung des Fürsten von Neuenburg, jetzt durch die Neuenburger selbst wieder hergestellt, mit Waffengewalt zu stürzen. Daß aber die schweizer Truppen gegen uns marschiren, das leidet keinen Zweifel. Ich habe diesen Tag gewählt, weil während die Kantonaltruppen heute bereits bei Colombier entlassen sind, die Zusammenziehung der regulairen Bundestruppen bei Yverdün es deren Bataillonen möglich machen wird, sogleich gegen Neuchâtel zu marschiren, bevor etwa schweizerische Freischaaren sich sammeln und Blutvergießen und

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Plünderung herbeiführen können. Merken Sie wohl auf, meine Freunde! Die Erhebung der Royalisten von Neuenburg, die Wiederherstellung des Königlichen Regiments muß nicht durch die neuenburger Republikaner, sondern durch eidgenössische Truppen besiegt und unterdrückt werden. Darin liegt unser Erfolg und unsere Rechtfertigung vor der Welt.«

»Auch vor dem König?« sagte eine klangvolle Stimme vom Ende der Tafel.

Aller Augen wandten sich dahin - Otto von Röbel war aufgestanden.

»Verzeihen Sie, meine Herren,« sprach er, anfangs befangen, aber die Stimme wurde fest und sicher bei jedem weiteren Wort, »daß ich, einer der Jüngsten in dieser Versammlung und fast Allen fremd, nur durch das Band desselben Königlichen Herrn mit Ihnen verbunden, mir anmaße, einige Worte an Sie zu richten. Ich bin hierher gekommen, mein Blut und Leben Ihrer gerechten Sache, dem Siege des Königthums über die Revolution zu widmen, und ich werde der Letzte sein, der, wenn das Schwert gezogen ist, zurückweicht. Aber offen gestanden, der Plan, den wir eben gehört, scheint mehr darauf hinauszulaufen, dem Ministerium des Königs eine Verlegenheit und eine Schlinge zu bereiten, als dem innern Drang des Herzens zu folgen. Ich kenne Ihre Rathgeber in Berlin nicht und will sie nicht kennen; aber Freunde des Herrn von Manteuffel sind sie sicher nicht. Warum wollen Sie nicht auf den Sieg Ihrer eigenen Kraft vertrauen, statt auf diplomatische Verhandlungen? Rufen Sie

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alle Gutgesinnten zu den Waffen, lassen Sie auf der Burg Ihrer Fürsten die schwarz-weiße Fahne aufpflanzen, nicht mit der vorher bestimmten Absicht, sie vor einem zahlreicheren Gegner sinken zu lassen, sondern mit dem festen Willen, sie zu vertheidigen bis zu unserm letzten Blutstropfen gegen jeden Gegner und so lange unsere Hand Büchse und Degen führen kann: dann, meine Herren, werden wir siegen, und der König wird die Kämpfer seines Rechts nicht im Stich lassen, denn die Nachricht unserer Gefahr und unsers Kampfes wird ein Echo finden in jedem preußischen Herzen, und ich bin gewiß, - auf welchem Wege Sie sich auch durch die Feinde schlagen müssen, Hunderte braver preußischer Arme werden uns zu Hilfe eilen, bis der König uns seine mächtige senden kann. Und fallen wir, ehe sie kommt, nun so fallen wir für unsere Ueberzeugung und für den König, nicht gegen ihn!«

Ein Beifallssturm der jüngeren Mitglieder folgte der kühnen Rede, Houriet von Locle sprang auf und umarmte feurig den jungen Preußen.

»Sie haben mir aus der Seele gesprochen,« sagte er laut. »Fort mit aller Diplomatie, es lebe der preußische Wahlspruch: Vorwärts mit Gott für König und Vaterland!«

Auch die Gräfin - so strengen Tadel der Politik ihres Gatten auch die Worte enthalten hatten - sah freundlich auf den jungen Mann. In ihrem Auge glänzte eine Thräne. »Gott hat es nicht gewollt,« sagte sie, »daß ich einen Sohn hätte. Er wäre gewesen, wie dieser!«

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Der Graf hatte sich auf's Neue erhoben, sein edles Gesicht drückte keineswegs Zorn oder Aerger über den Widerspruch aus.

»Thörichte Jugend,« sagte er trübe, »schnell fertig mit Rath und Ueberlegung, und dennoch schön und edel in ihrem Aufbrausen! - Haben Sie bedacht, junger Mann, was das Leben auch nur eines Bürgers werth ist? und erinnern Sie sich aus Ihrer Jugend der Schrecken des Bürgerkrieges? Unsere Absicht ist, das Blutvergießen möglichst zu vermeiden, wenn wir nicht dazu gezwungen werden! Darum ziehen wir es vor, die Intervention der Großmächte herbeizuführen. Unsere Kräfte sind nur gering für den ersten Sturm, wie Sie sich sogleich überzeugen werden. Wir wollen uns nicht als Helden des Königthums, sondern als Märtyrer desselben zeigen!«

»Amen! So geschehe es!« sagte die tiefe Stimme des Pastor Guillebert.

»Wer meinem Vorschlag demnach beistimmt und entschlossen ist, der hebe seine Rechte empor!«

Der Oberst sah umher - keine einzige Hand in dem Kreise war zurückgeblieben.

»Und nun, nachdem wir also entschlossen sind,« fuhr der Graf fort, »lassen Sie uns die Rollen vertheilen und die letzten Maßregeln besprechen, Herr v. Terisse haben Sie die Güte, die Zahlen zu notiren. Würdiger Perret, auf wie viel Mann haben wir in La Sagne zu rechnen?

»Mit der Mannschaft, die Ihr Bruder Louis angeworben, Oberst, zweihundert zehn bewaffnete Männer.«

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»Ich selbst bringe fünfunddreißig mit, also 245. Monsieur Lardy, was stellt Chaux du Milieu?«

»Fünfundachtzig, Oberst - ich selbst werde sie führen.«

»Immer voran, wo es das Recht gilt, sei es vor dem Gerichtshof, sei es auf dem Kampfplatz, das ist Ihre Art! Sie und Ihr Bruder der Prediger sind wahre Patrioten. - De Perregaux von Brévine?«

»Siebenundvierzig!«

»Locle?«

»Hier die Brüder Houriet mit 60 Bewaffneten!«

»Dank, wackerer Eduard! Was stellen unsere Brüder Bovet aus Colombier?«

»Die achtzig Getreuen von den Cantontruppen und fünfundvierzig von unsern Arbeitern.«

»Möge der Sieg mit ihnen sein. Würdiger Bannerherr Meuron, Freund Wesdehlen, Montmollin, edler Rougemont, Hauptmann Reiff, Vetter Eduard und Sie, Chatelain de Pury und Wilhelm du Pasquier, wie hoch belaufen sich Ihre Leute?«

Die Aufgerufenen gaben die Anzahl an, die sie zusammengebracht. Wie gesagt, war die Zahl verhältnißmäßig nur gering, da man nur mit großer Vorsicht gewagt hatte, den Einzelnen zu vertrauen.

Als man die Summe der Streitkräfte, über die man verfügen konnte, zusammen zählte, belief sie sich auf etwa siebenhundert Mann.

Man rechnete auf den sofortigen Zutritt und den Beistand der Bürger von Neuchâtel.

Der Oberst mit dem Bannerherrn Meuron und dem

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Hauptmann Reiff legten jetzt den Plan des Angriffs vor. Die Hauptkolonne, von Graf Friedrich Pourtalès und seinem Bruder geführt, sollte nach Mitternacht von La Sagne aufbrechen und gegen Locle und Chaux de Fonds marschiren, das der Hauptort der Republikaner war. Dort wohnte die Masse der schweizer Arbeiter. Oberstlieutenant v. Meuron mit andern Führern sollte mit dreihundert Mann das Schloß und das Stadthaus besetzen, die Mitglieder der Regierung und den Präfekten Mathey, einen eifrigen Republikaner, gefangen nehmen und die Königliche Regierung so wie den Belagerungszustand proclamiren. Jedes Blutvergießen sollte möglichst vermieden werden.

Man rechnete darauf, so viele Leute an sich zu ziehen, um das Schloß und die andern occupirten Punkte mindestens drei Tage halten zu können.

Die jüngern Leute schrieben die Befehle an die einzelnen Abtheilungen. Allen wurden die von Oberst Pourtalès bereits aus Metlen vom 29. August datirten gedruckten Ordres beigelegt, die sich eben in jener Reisetasche befunden hatten. Sie lauteten:


    »Die Erhebung ist auf die Nacht vom Dienstag auf Mittwoch, d. i. auf den 3. September festgesetzt. Sie wird gleichzeitig in Neuenburg und in den Bergen stattfinden. Die Royalisten der Berge empfangen durch Gegenwärtiges einen Befehl, sich in der genannten Nacht vom 2. auf den 3. September in Masse zu erheben. Die Königliche Autorität wird zugleich zu La Sagne, Locle, Brévine und in den umliegenden Gemeinden proclamirt werden. Die Sammelpunkte werden später bezeichnet werden.

    Der Ober-Kommandant im Namen des Königs in seinem Fürstenthum Neuchâtel und Valengin: Pourtalès, Oberst.«      

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Der wackere Wolfrath hatte bereits die zur Vertheilung nach der Erhebung bestimmte Proclamation gedruckt und jeder der Anwesenden nahm eine genügende Zahl an sich. Sie hieß:


    »Mit Gott für König und Vaterland. Neuenburger! Die Stunde der Befreiung hat endlich geschlagen. Der Ruf: »Es lebe der König!« sei Euer Losungswort. Zu den Waffen, Getreue! Ich erkläre daß Gebiet des Fürstenthums in Belagerungszustand. Eine jede Gemeinde bestelle sogleich ein Comité, das im Namen des Königs die Gewalt handhaben und dem Schloß von Neuchâtel seinen Amtsantritt anzeigen soll.

    Der Ober-Commandant, Graf Friedrich v. Pourtalès, Oberst.

           La Sagne, 2. September 1851.[«]

Sobald die neue Regierung in der Stadt sich constituirt hätte, sollte ein Kurier mit der Anzeige des Geschehenen an den preußischen Gesandten für die Schweiz, den Präsidenten der Hohenzollern'schen Fürstenthümer, Geheimen Rath v. Sydow nach Sigmaringen, ein zweiter nach Berlin abgehen.

Das Schloß von Neuchâtel sollte verproviantirt werden, um sich einige Tage halten zu können. Man wußte, daß sich zwei kleine Kanonen und Munition in demselben befanden.

Es war 7 Uhr, als die Ordres sämmtlich vertheilt und die Berathungen zu Ende waren. Im Hofe der Villa standen zwei angespannte Wagen und mehrere Reitpferde, um die Verbundenen auf ihre Posten zu führen.

Sie hatten sich sämmtlich erhoben und standen um

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den Tisch - die Gräfin ging umher und schenkte selbst die Gläser ein.

»Es ist Zeit, meine Herren, daß wir uns trennen,« sagte der Graf. »Die Herren von Locle haben einen weiten Weg, und müssen ihre Leute von Brévine und Chaux-du-Milieu bei deren Ankunft empfangen. Um Mitternacht muß Jeder auf seinem Posten sein - um zwei Uhr brechen wir von. La Sagne auf. Die Parole ist: Gott und der König! - Hat Einer von Ihnen noch Etwas zu erinnern?«

»Ich, meine theuern Brüder,« sagte der ehrwürdige Pastor Guillebert. »Lassen Sie uns das Werk mit Gott beginnen - der Erfolg gehöre dann dem König!« Und vortretend sprach er ein einfaches kurzes Gebet, der Gelegenheit entsprechend, in dem er den Beistand des Allmächtigen für die Sache des Rechts und der Treue erflehte und die Männer, die sich ihr geweiht, segnete.

Mit Ehrfurcht und Andacht hatten sie Alle den Worten zugehört, kein Laut unterbrach die ernste Stimmung, bis der alte Graf sein Glas ergriff.

»Und nun, meine Freunde, ist das Herz leicht und der Muth frisch. Wir haben dem Herrn des Himmels mit demüthigem Herzen gedient, jetzt lassen Sie uns unsere Pflicht thun gegen unsern irdischen König. Die Gläser in die Hand, meine Herren und angestoßen auf ein fröhliches und siegreiches Wiedersehen. Es lebe die Treue - es lebe der König!«

Die Gläser klangen zusammen und das donnernde:

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»Vive le Roi!« der Royalisten übertönte den schrillen Laut, mit dem das eine zersprang.

Die Wange des muthigen Henry Houriet von Locle erbleichte leicht, aber in dem Lärm des letzten Grußes und des Aufbruchs achtete Niemand auf das unbedeutende Ereigniß.

»Vive le Roi! Auf Wiedersehen Brüder unter der schwarz-weißen Fahne!«



Otto von Röbel war mit seinem Freund, dem jungen Meuron, der Abtheilung zugewiesen worden, welche das Schloß in der Stadt besetzen sollte.

Nachdem die Verbündeten in der Villa des Grafen Pourtalès sich getrennt hatten, machten die beiden Freunde einen Weg durch die Stadt. Herr von Meuron benutzte die Gelegenheit, den Freund, so viel sich im Dunkel thun ließ, mit der Oertlichkeit bekannt zu machen.

Das alte Schloß von Neuchâtel, zum Theil noch aus dem 13. Jahrhundert stammend, liegt auf einer gegen den See und die Stadt zu schroff abfallenden Höhe. Nur die Südwestseite nach den Weinbergen hin und von dem Schloßgarten umgeben, bildet eine niedere Terrasse und ist leicht zugänglich. Eine Mauer scheidet den Schloßgarten von einer Art Hohlweg, der sich an ihr entlang um das Schloß zieht und dann plötzlich zur Tiefe des Felsens hinabsteigt, wo auf der andern Seite sich ein neuer Stadttheil zu erheben beginnt. Hier ist durch die hohe Felsenmauer, auf der perpendikulair die Mauern sich erheben,

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das Schloß gegen einen gewöhnlichen Angriff völlig gesichert.

Gebäude und Thürme aus verschiedenen Zeitepochen, selbst bis in's eilfte Jahrhundert zurück, bilden um drei ziemlich enge Höfe die Burg. In dem Flügel, nach dem kaum hundert Schritt entfernten Ufer des Sees liegen die Staatsgemächer und Rathszimmer. Die Fenster derselben öffnen eine prächtige Aussicht auf die glänzende Wasserfläche, die in ewiger Bewegung bald leise murmelnd an die Steinwälle des Ufers schlägt, bald von den auf den schweizer Seen so häufigen Böen und Stoßwinden in starker Brandung ihren weißen Schaum hoch emporrauscht.

Der Hauptzugang des Felsens und Schlosses ist ein anfangs breiter, dann aber ziemlich enger, steil aufsteigender Weg, von alten Bäumen beschattet, rechts und links von massiven hohen Steinmauern eingefaßt. Nach einer kurzen Biegung führt er an einigen kleinen Häusern hin, welche zugleich die Seitenwände bilden, und unter alten Bäumen an der Schloßkirche vorbei zum Portal des Schlosses. Der Weg ist, seiner ganzen Construction nach, vom Schloß aus leicht zu bestreichen und namentlich oberhalb der Biegung leicht zu vertheidigen.

Meuron stieg mit dem Freunde den Weg hinauf, zeigte ihm den Eingang des Schlosses und wandte sich dann links an der Gartenmauer entlang nach dem Hohlweg.

Es war Alles einsam und still, kaum daß ihnen einer der Schloßleute auf dem Wege begegnete. Als sie aber

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eben um einen Vorsprung bogen, vernahmen sie in dem Schatten der Mauer ein leises Flüstern und sahen eine dunkle Männergestalt, die sich mit einer unsichtbaren, von dem Laubwerk auf der Höhe der Mauer verborgenen Person unterhielt.

Bei dem Herannahen der beiden Freunde schwieg die Unterhaltung und man hörte oben ein Knistern der Zweige.

Meuron pfiff leise.

Die Gestalt am Fuß der Mauer kam auf sie zu.

»Bist Du es, Alexander?«

»Ja gnädiger Herr!« Es war der Jäger Meuron's.

»Nun, wie stehen die Sachen!«

»Vortrefflich, Herr Lieutenant. Louison wird ihrem Vater, dem Concierge, heute Abend, sobald er sich zur Ruhe begeben hat, die Schlüssel fortnehmen und mich einlassen, sobald ich das Zeichen dazu gebe. Sie machte nur einige Umstände wegen dieses weiblichen Teufels der Bessert, der Frau des Aufsehers, vor dem sie sich Alle fürchten, und dann ...«

»Nun?«

»Dann hat sie eine Muhme im Schloß, ein Mädchen aus Serrières, die vor Kurzem aus Deutschland zurückgekommen und bei ihr zum Besuch ist. Sie muß sie von Allem unterrichten, sonst ist es unmöglich.«

»Das ist fatal - Weiber können ihre Zunge nicht halten.«

»O diese gewiß, gnädiger Herr. Sie spricht nur,

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wenn sie gefragt wird und auch dann so herzlich wenig, daß man die Worte zählen kann.«

»Dann laß es wenigstens erst im letzten Augenblick geschehen, wenn kein Verrath mehr zu fürchten ist. Hast Du die Strickleiter bereit?«

»Ja, Herr Lieutenant!«

»Gut. Um 11 Uhr werden die Posten ausgestellt, Du kennst die Orte; Monsieur Jeanrenaud wird auf dem Sammelplatz sein und die Befehle geben.«

»Und Sie, gnädiger Herr?«

»Ich werde die Unsern in dem Peseux empfangen! - Still!«

Eine schrille keifende Stimme ließ sich in dem Garten über der Mauer hören. »Sieh da - Mademoiselle Louison! was treiben wir uns bei Nacht und Nebel hier herum, statt hinter der Lampe zu sitzen und dem Herrn Concierge, dem alten Mann, warme Strümpfe zu stricken! Ei seht mir doch - wahrscheinlich ein Liebhaber, mit dem man ein Rendezvous hat! So irgend ein nichtsnutziger landläuferischer Gesell, der den Petitmaitre spielt und für den man achtbare Leute, wie meinen Neffen Fouron, den Seiler, ausschlägt!«

»Madame Bessert,« sagte eine schüchterne Mädchenstimme, »Sie werden mir's doch nicht verbieten wollen, des Abends im Garten spazieren zu gehen!«

»Spazieren gehn? oh wir kennen das! Thun außen so fromm, wo möglich alle Tage in die Bet- und Plärrstunden bei dem alten Augenverdreher Guillebert dem Royalisten! - Gehören wohl selber zur nichtsnutzigen

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Klicque[Clicque], die das Volk um seine Rechte betrügt! ich habe wohl gesehn, wie der liederliche Jäger des hochnäsigen Meuron immer um das Schloß schleicht und werde ein ernstes Wort einmal morgen mit dem Vater reden. Das übermüthige Volk hat die Lection von Achtundvierzig vergessen und geberdet sich wieder, als könne es den Herrn spielen in Neuchâtel! - Wo ist denn das seine Dämchen, das zu maulfaul ist, um einer ehrlichen Frau, einer Patriotin, Red und Antwort zu stehen?«

»Meine Cousine liest meinem Vater vor, Madame Bessert!«

»Ist auch so eine, die die lieben Engel im Himmel pfeifen hört und wie die Unschuld selbst thut. Wer weiß, was sie getrieben hat draußen in der Fremde. Umsonst ist sie nicht so blaß und schlägt die Augen nicht vom Boden auf! Verdorben kommen sie Alle zurück - kein frisches Volksblut mehr in den Adern, wenn sie bei den Junkern und Pfaffen in die Schule gegangen sind!«

Die drei Männer hatten unter stillem Lachen sich längst heimlich davon gemacht.

Unten am Fuß der Anhöhe trennten sie sich; Meuron brachte seinen Freund nach dem Hôtel de Commerce und rieth ihm, noch einige Stunden sich niederzulegen, nach 12 Uhr wolle er ihn abholen.

Als Otto von Röbel an dem allgemeinen Gastzimmer vorüberging, sah er Kapitain Laforgne an der Tafel sitzen. Die Gesellschaft war ihm durch das trotzige herausfordernde Wesen des jungen Offiziers unangenehm und er ließ sich das Abendbrod auf sein Zimmer bringen.

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Schlafen konnte und mochte er nicht, er war viel zu erregt dazu und brachte die Zeit damit hin, für alle Fälle einen kurzen Brief an seine Eltern zu schreiben und seine wenigen Sachen und seine Waffen in Ordnung zu bringen. Dann öffnete er die Balkonthür seines Zimmers und ließ die frische Seeluft sein Gesicht kühlen.

So saß er wohl zwei Stunden, träumerisch auf die Fläche des Sees, auf die Stadt und die Promenade des Ufers blickend.

Neuchâtel hat nicht die Gewohnheit der großen Städte, die Nacht zum Tage zu machen. Mit dem Schlage 10 Uhr liegen die meisten Bürger in ihren Betten, nur in den wenigen Kaffeehäusern ist noch einiges Leben.

Auch dieses erstarb nach und nach - lange vor Mitternacht war alles Treiben auf den Straßen erloschen, nur das eintönige Geräusch der Wellen, die an den Damm der Promenade schlugen, unterbrach die Stille.

Der junge Soldat des Königthums hatte sein Licht längst ausgelöscht, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und ungestört seinen Gedanken nachzuhängen. Unbemerkt führten sie ihn in die Tage seines Knabenalters zurück, zu jener Fahrt mit dem ernsten Vater auf der Havel nach Berlin, an das Todtenlager des für seinen König durch die Hand der Rebellen gefallenen Bruders - an die Seite des verzweifelnden Mädchens, das in Jammer ihr Alles verloren, und nach deren Schicksal er sich vielfach im Stillen erkundigt hatte, denn offen durfte diese Erinnerung nie in Gegenwart des strengen Familienhauptes

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erwähnt werden. Er dachte an den älteren Freund, den der Streit der Parteien, die auch sein Vaterland zerrissen, hinausgetrieben in die Welt und von dem er seit lange keine Nachricht erhalten, obschon er wußte, daß derselbe nicht weit von ihm entfernt, an dem schönen Ufer des Gardasee's eine Zufluchtstätte und eine sichernde Stellung gefunden hatte. Er dachte der Schwester, die ihre Jugend vertrauerte in der treuen Liebe zu Jenem, und mit der Energie demüthiger und duldender Herzen jede gebotene Parthie ausgeschlagen hatte. Er ließ in seinem Träumen die bunten Bilder und Gestalten seines abenteuerlichen Zuges nach Wien an sich vorübergehen, dessen Ehrenzeichen, vom Kaiser längst bestätigt, jetzt seine Brust schmückte - das bunte Lager, das Gefecht in der Vorstadt, die von ihm beförderte Flucht des edlen Ungarn, von dessen Tod am Galgen von Temesvár er in den Zeitungen gelesen hatte; endlich den Sturm auf die Stadt, das grimmige Schlachten in den Straßen und die glückliche Rettung des Freundes. Auch des alten, so strengen und so wohlwollenden Fürsten, des Mannes von Stein, wo es den Thron seines Kaisers galt, der damals seinen jugendlichen Streich so freundlich beurtheilt und das Ehrenzeichen ihm gegeben hatte, gedachte er mit Dank und Rührung. Dann schweiften seine Erinnerungen rasch über die stillen Jahre hinweg, die ihn wieder an die friedlichere Vorbereitung des Lebens gebannt hatten, an seine Dienstzeit als Freiwilliger in Berlin und die ruhige Zeit, die er im Kreise der Familie zugebracht, bis er im Frühjahr seine Reise antrat, die ihn zuerst nach dem Süden Deutschlands und dann, wie

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er sich dem Freunde verpflichtet, nach der Schweiz geführt hatte. Das Bild jenes widerwärtigen Abends des Scheidens von Berlin und der mehr als zweideutigen und gefährlichen Gesellschaft, in welcher er seinen Bruder zurückgelassen, stand lebhaft vor seiner Erinnerung, aber es wurde gemildert und verscheucht durch die Erinnerung an das duldende stille Mädchen, das ihn vom ersten Wort an so lebhaft interessirt und dem er die Mittel geschenkt hatte, frei zu werden und nach der Heimath zurückzukehren. Jetzt befand er selbst sich an dem Ort, den sie ihm als ihre Heimath bezeichnet hatte. Ob sie wohl von jenem Geschenk Gebrauch gemacht, ob sie sich frei gemacht hatte von jenem Hause des übergoldeten Lasters oder ob sie doch noch untergegangen in den Verführungen, die sie umringten? Er wußte nicht einmal ihren Namen - er konnte sich also nicht nach ihr erkundigen. Auch hätte er es kaum gethan, selbst wenn er den Namen gewußt, denn er wollte sich den Eindruck jener flüchtigen Erscheinung und seiner freundlichen Handlung nicht verderben.

Das Herz des jungen Mannes war bis jetzt frisch und unberührt geblieben - auch die Erinnerung an die junge Schweizerin war keineswegs Liebe, sondern in der That nur ein warmes menschenfreundliches Interesse, das er ihrem Unglück gewidmet. -

In dem Hôtel selbst war bereits gleichfalls Alles zur Ruhe; nur aus dem Fenster des Portier fiel ein schwacher Lichtschein auf die Quadern des Trottoirs. Der Preuße hatte in seinen Träumereien nicht bemerkt, daß die Thür neben der seinen, die gleichfalls auf einen der kleinen

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abgesonderten Balkone hinausging, schon vor einer Stunde leise und vorsichtig geöffnet worden war. Der Kopf eines Mannes sah heraus, und als er den Nachbar in tiefem Sinnen an der eisernen Balustrade sitzen sah, zog er sich zurück, ohne jedoch die Thür wieder zu schließen.

Die Uhr der nahen Kirche, die Mitternacht schlug, weckte den jungen Kämpen für das Königthum aus seinen Träumereien.

Er wußte, daß die Stunde gekommen war und sah aufmerksam hinunter auf die Straßen.

Der Platz war noch immer still, aber er bemerkte, daß einzelne Gestalten an den Häusern verstohlen hinschlichen und ihren Weg die Promenade entlang am See nahmen. Ein scharfes soldatisches Ohr konnte zuweilen das Klirren von Waffen hören.

Die Straße vom Marktplatz herauf kam im leichten eiligen Schritt ein Mann in einen Mantel gehüllt; er blieb vor dem Hôtel stehen, sah sich aufmerksam um und ging dann nach dem matt erleuchteten Fenster des Portiers.

Otto von Röbel glaubte, den Freund zu erkennen.

»Meuron - bist Du es?«

»Ja! - Bist Du wach? - ich sehe, aus einer ganzen Soldaten-Familie, immer auf dem Posten. Soll ich hinaufkommen?«

»Es ist unnöthig - ich bin bereit und sogleich bei Dir, ich wecke selbst den Portier.«

»So eile Dich, es ist Zeit, daß wir aufbrechen!«

Er schritt vor dem Hause auf und nieder. Der junge

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Edelmann hatte sich rasch fertig gemacht, er band ein Tuch unter dem Rock um die Taille, steckte seine Pistolen und einige Munition hinein und setzte eine Militairmütze, die er unter seinen Sachen hatte, auf. Für alle Fälle hatte er seine ganze Baarschaft und was er von Werth mit sich führte, zu sich gesteckt. Einen Säbel oder Degen, da er als gewesener Soldat eines der Unterkommando's führen sollte, fand er am Ort des Rendezvous.

So ausgerüstet, die Hand vor das Licht haltend, ging er leise die beiden Treppen des Hauses hinunter, blies das Licht aus und pochte an die Loge des Portiers.

Der Mann war augenblicklich zur Hand - er war angekleidet und schien gewartet zu haben.

Der Preuße drückte ihm ein Fünffrankenstück in die Hand. »Oeffnen Sie leise die Hausthür und lassen Sie mich hinaus - die Nacht ist so schön, daß ich noch etwas frische Luft schöpfen möchte!«

Der Mann lächelte, beeilte sich aber, die Thür leise zu öffnen. »Gehn Sie mit Gott, Monsieur, und möge der Sieg mit Ihnen sein! Ich bin nur ein geringer Mann, aber rufe aus vollem Herzen: Vive le Roi!«

Röbel ging hinaus, der Andere lehnte die Thür an und lugte zuweilen neugierig in's Freie. Sein Herz war, wie er gesagt, bei dem nächtlichen Werk, das sich bereitete.

Es waren etwa fünf Minuten vergangen und er hörte noch den raschen Schritt der beiden jungen Männer, die sich am See-Ufer hin entfernten, als eine Hand sich fest auf seine Schultern legte.

»Laissez moi sortir, s'il Vous plait!«

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Er fuhr erschrocken zurück, der Lichtschimmer aus der Thür seiner Loge zeigte ihm im Hausflur eine Männergestalt, in einen weiten Plaid gehüllt. Es mußte offenbar ein zweiter Fremder aus dem Hause sein, obschon er ihn nicht erkannte, da er den Hut tief in's Gesicht gezogen hatte. -

»Monsieur wollen auch dahin? ich wußte nur von dem Einen. Sie können sie leicht noch einholen,« sagte der Portier.

»0uvrez!« der Fremde stampfte ungeduldig mit dem Fuß. Unter dem Plaid klirrten Waffen.

Der Hauswart öffnete eilig.

»Nun, nun,« sagte er. »Sie werden noch zeitig genug als Fremder dazu kommen. Nicht einmal die eingebornen Patrioten haben's so eilig.«

Er schloß unwillig und brummend hinter ihm die Thür und legte sich auf's Ohr, in der Hoffnung, daß sein Patriotismus auch morgen noch zur rechten Zeit kommen werde.

Der Zweite, welcher das Hôtel verlassen, orientirte sich durch das Gehör von der Richtung, welche seine Vorgänger, eingeschlagen, dann folgte er ihnen in der Entfernung von etwa tausend Schritten mit jenem leichten elastischen Tritt, der in den Prairien und Pampas Amerikas den Jäger zur unhörbaren Verfolgung des Wildes oder des Feindes befähigt.

Die beiden Freunde schritten in leisem, aber eifrigen Gespräch unterdeß an dem Schloß vorüber und schlugen die Richtung nach Serrières und dem Peseux ein.

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Als sie die letzten Häuser der Stadt hinter sich hatten, trafen sie auf einen Mann, der mitten im Weg stand. -

»Wer da?«

»Freunde des Königs!«

»Gebt die Parole!«

»Friedrich Wilhelm!«

»Passirt!«

Meuron blieb bei der Schildwach stehen. »Wie viel der Freunde sind vorüber gekommen?«

»Dreiundvierzig, Herr!«

»Gut. Merkt genau auf alles Verdächtige. Jedermann kann die Stadt verlassen, so lange bis wir passiren. Hinein aber darf vorher Niemand von jetzt ab. Sobald wir in die Stadt eingerückt, darf vor morgen früh 5 Uhr gleichfalls Niemand mehr die Stadt verlassen. Wer auf den Anruf nicht umkehrt oder den Weg erzwingen will, wird niedergeschossen. Es kommt viel darauf an, daß die Nachricht von unserm Unternehmen nicht zu zeitig in die Berge gelangt. - Habt Ihr Eure Instruction genau verstanden, Freund?«

»Ja, Monsieur de Meuron!«

»Gut - so lebt wohl - in spätestens zwei Stunden sind wir hier.«

Sie gingen weiter. Während des Gesprächs war der Mann, der sie verfolgte, ihnen so nahe gekommen, daß er gezwungen war, sich in dem Winkel einer der Mauern zu verbergen, welche rechts und links die Weinberge einschließen. In dieser Nähe hörte er den letzten Theil des

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Gesprächs, nur war es ihm nicht möglich gewesen, zu Anfang desselben die Parole zu verstehen.

Doch wußte er jetzt genug, um danach seinen Entschluß zu fassen.

Nachdem Jene die frühere Entfernung wieder erreicht hatten, trat er aus seinen Versteck und ging dreist auf die Wache zu, sie noch eher anrufend, als sie dies thun konnte.

»He, mein Freund - ist Herr von Meuron mit dem jungen Preußen bereits passirt?« frug er, »die Herren wollten auf mich warten, da ich den Weg nicht weiß, und nun hab ich mich leider verspätet.«

»Wenn Sie sich ein Wenig eilen, Monsieur,« sagte arglos der Posten, »so können Sie die Herren noch vor Serrières einholen!«

»Und wenn ich sie verfehlen sollte, welchen Weg schlage ich ein zum Versammlungsort? Ich würde mir es nie vergeben, wenn ich zu spät käme.«

»Oh, Sie finden ganz leicht, Monsieur. Das Peseux ist gleich rechts hinter Serrières - Sie brauchen blos immer die gerade Straße zu verfolgen, wo sie abbiegt, steht sicher ein anderer Posten.«

»Welche Parole hat dieser?«

»Ohne Zweifel ganz dieselbe wie hier, - Friedrich Wilhelm!«

»Gut! Auf Wiedersehn Kamerad!«

Der Fremde hatte ein so militairisches Aussehen gehabt, daß der ehrliche Bürger sich über die Benennung ungeheuer geschmeichelt fühlte, und ihm in seinem Eifer

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jede Loosung mitgetheilt hätte, die er irgend gewußt. Mit der genügenden versehen, schritt der Andere rasch weiter - er wußte jetzt, wo und wie er seine Leute finden konnte.

Meuron und Röbel hatten unterdeß Serrières passirt und sich nach dem Peseux gewandt. Mehrere Wachen waren hier bereits ausgestellt, der Oberstlieutenant war schon vor anderthalb Stunden eingetroffen, um die Zuzüge zu erwarten. Drei- bis vierhundert Männer waren anwesend, alle gut bewaffnet, meist Leute von den Besitzungen der alten Familien, Land- und Weinbauer, ehemalige Soldaten, kleine Besitzer und Handwerker. Jeder trug eine schwarzweiße Binde um den Arm oder eine große, in die Augen fallende Kokarde am Hut. Den Ankommenden, die noch nicht damit versehen waren, wurden solche sofort von den Frauen und Mädchen gereicht, deren viele mit Körben voll Erfrischungen für ihre Männer, Söhne und Brüder anwesend waren. An verschiedenen Stellen waren preußische Fahnen aufgesteckt. Der Eifer, die Begeisterung waren allgemein - kein Gedanke des Zauderns, des Zurückweichens, oder eines Mißlingens des Erfolges.

Kapitain Laforgne, denn der Bote Garibaldi's an das Oberhaupt der republikanischen Agitation war es, der auf den Befehl Mazzini's die Vorgänge beobachtet und vom Hôtel aus die beiden Freunde verfolgt hatte, hütete sich natürlich bei den letzten Posten das frühere Vorgeben zu wiederholen und begnügte sich, einfach das Losungswort zu geben, mit dem er überall von den Royalisten für einen der Ihren gehalten wurde. Er blieb unter dem dichten

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Haufen und vermied es, den Leitern der Bewegung nahe zu kommen.

Während man bis \frac122 Uhr auf freiem Felde wartete, um den Nachzüglern noch Gelegenheit zu geben, sich anzuschließen, besprachen die zusammengetretenen Führer: Oberstlieutenant Meuron, die Grafen Ludwig und Petitpierre Wesdehlen, Rougemont, Wolfrath, der Hauptmann Reiff und die Brüder Bovet aus Colombier die Art des Angriffs auf das Schloß und vertheilten die Rollen. Die beiden Abtheilungen, zu der der jüngere Meuron und Röbel gehörten, erhielten die Aufgabe, für die Oeffnung des Hauptthors durch das Einverständniß, das der Jäger im Innern des Platzes hatte, zu sorgen, das Schloß auf der Nord- und Ostseite zu umstellen und abzusperren, und den Präfecten gefangen zu nehmen. Die Hauptmacht der Royalisten sollte an dem Aufgang zum Schloß die Oeffnung der Thore erwarten, bevor man mit Gewalt einzudringen suchte. Kleinere Abtheilungen hatten die Ordre, die Mitglieder der republikanischen Regierung, von der nur die beiden Häupter, der Präsident Piaget und sein Secretair Aimé Humbert im Schloß selbst wohnten, in der Stille aufzuheben, sich des Rathhauses zu bemächtigen und die Stadt zu besetzen.

Die Mannschaften wurden in die verschiedenen Sectionen vertheilt, die achtzig Mann starke Compagnie des Kanton-Militairs, welche bei den Uebungen in Colombier sich für die Königliche Sache erklärt hatte und mit den Gebrüdern Bovet und Hauptmann Reiff aus

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dem Sammelplatz erschienen war, bildete die Hauptmacht und die Vorhut des Zuges.

Noch ein Mal ließ Oberstlieutenant Meuron die Männer einen Kreis um sich schließen, erinnerte sie mit kurzen kräftigen Worten an das Unrecht, was die Republikaner dem Königlichen Fürsten, ihrem angestammten Landesherrn und ihnen selbst zugefügt hätten und versprach den Schutz des Königs allen Getreuen, wie auch ihr Unternehmen ausfallen möge. Keiner von Allen solle unter dem Ausgange leiden, darauf verpfände er sein Wort.

»Und nun Brüder,« schloß die Rede des wackern Veteranen, »ist die Stunde da, in der die neuenburger Royalisten ihrem Fürsten die alte Treue bewähren, in der sie ihre alten Rechte wieder aufrichten sollen gegen die Bedrückung der Fremden. Wer mit mir ist, - der rufe aus voller Brust: »Gott und der König! Es leben Seine Majestät unser Fürst und König Friedrich Wilhelm!«

Ein donnerndes dreimaliges Hoch erklang in die Nacht, dann stimmte eine kräftige Stimme die preußische Volkshymne »Heil Dir im Siegerkranz« an, deren Melodie jedem braven neuenburger Herzen so bekannt und vertraut geblieben war, wie irgend einem in Mitten des nordischen Preußenlandes, und alle die Männer und Frauen fielen ein, die Fahnen und Waffen wurden aufgenommen, und unter den Klängen des patriotischen Gesanges setzte sich der Zug in Bewegung.

Als sie in der Nähe der großen Straße und von Serrières gekommen waren, geboten die Führer Schweigen.

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Hier mußten auch die Frauen und Kinder zurückbleiben und trennten sich unter Segenswünschen und Ermunterungen, sich, wenn es nöthig, tapfer zu schlagen, vor den Ihren.

In Schweigen, das, je näher sie der Stadt kamen, desto strenger aufrecht erhalten wurde, marschirte der Zug vorwärts.

Kapitain Laforgne befand sich in den hintersten Reihen; neben ihm marschirte ein stattlicher Mann von großer robuster Figur und mittlern Jahren, ein Weinbauer aus der Umgegend. Er erzählte gesprächig seinem Nachbar, den er für einen Preußen hielt, daß er vier Jahre und zwar unter dem verewigten Friedrich Wilhelm III., dem alle alten Neuenburger eine treue Verehrung bewahren, in Berlin gedient habe, und zwar nicht, wie die meisten seiner Landsleute, bei dem Schützenbataillon, sondern aus besonderer Liebhaberei bei der Garde-Artillerie, wo er es zum Unteroffizier gebracht hatte. In Berlin hatte er die Bekanntschaft eines armen aber braven Mädchens gemacht, das er, als der Tod seines Vaters ihn in den Besitz eines kleinen Erbes gebracht, geheirathet und nach der neuen Heimath geführt hatte. Treu dem König und im preußischen Geist wären seine drei Söhne von ihrer braven Mutter erzogen und der älteste habe mit seinem Willen Neuenburg verlassen und diene in der preußischen Armee seine Zeit ab, und so wolle er es auch mit den beiden jüngeren halten.

Der Mann hatte etwas überaus Gemüthliches, Offenes in seinem ganzen Wesen und sprach so fest und männlich, daß der Abenteurer unwillkürlich Achtung für ihn gewann und mit Gewalt sich erinnern mußte, daß er zu

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ganz andern Zwecken hier war. Von ihm erfuhr er, daß man eine Gegenrevolte der Montagnards besorgte und die Hoffnung des Sieges allein auf deren gegenwärtigen Zwiespalt mit den Indépendants setzte.

Man hatte jetzt die letzten Posten vor der Stadt passirt und es war ihnen nochmals die Instruction des jungen Meuron eingeschärft worden, von diesem Augenblick an Niemand mehr aus der Stadt passiren zu lassen.

Die Straßen waren einsam, nur in den Häusern einiger Getreuen, die um die Unternehmung wußten, brannte halbverborgen Licht.

Etwa 1000 Schritt von dem Schloß entfernt, machte die Schaar Halt. Oberstlieutenant Meuron ermähnte die Führer der einzelnen Abtheilungen nochmals zur Schnelle und Umsicht, dann marschirten Diejenigen, welchen der Auftrag geworden, die Stadt zu besetzen und die Regierungsmitglieder zu verhaften, in aller Stille vorwärts.

Die felsige Anhöhe, auf welcher das Schloß liegt, wurde auf drei Seiten mit Posten umstellt, der Oberstlieutenant mit seiner etwa noch 200 Mann starken Schaar blieb zurück, um durch seine Annäherung auf dem Hauptwege nicht eher Lärm zu machen, bevor der Ausgang der Verhandlung des Jägers entschieden war.

Der jüngere Meuron hatte gleichfalls die Ordre erhalten, sein Unternehmen zu beginnen, und er zog mit seiner aus einigen zwanzig Mann bestehenden Abtheilung links um den Schloßgarten nach dem Hohlweg zu, welcher nach Nordosten die Burg von der Stadt trennt.

Der Felsen, auf dem das Schloß steht, ist hier etwa

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70 Fuß hoch und die Mauern erheben sich unmittelbar aus dem Gestein.

An der Biegung des Weges stellte man einen Posten aus. Hier machte die kleine Kolonne Halt.

»Ich kann Dir nur fünf Mann geben,« sagte Meuron zu dem Freunde. »Gelingt Alexander der Streich, so ist es genügend - mißlingt er, so können wir auf den andern Punkten Niemand entbehren. Während ich des Präfecten mich bemächtige, öffnest Du den Freunden das Thor des Schlosses und nimmst die beiden Schurken fest, die so lange eine Geissel für Neuchâtel waren. Verlaß Dich in jeder Beziehung auf den Jäger, er weiß in jedem Winkel des alten Nestes Bescheid und wird Dich führen. Sobald Ihr Herr des Schlosses seid, laßt Ihr als Signal die Rakete steigen. Und nun - vorwärts! Gott und der König!«

Fünf Mann außer dem Jäger blieben zurück, mit den anderen wandte sich Meuron nach dem Innern der Stadt, um den Präfecten Matthey, einen der enragirtesten und entschlossensten Gegner der Royalisten zu verhaften.

Unter den Fünfen befand sich Kapitain Laforgne; es war ihm unmöglich gewesen, sich zurückzuziehen, als Herr von Meuron ihn arglos dem kleinen Haufen zugetheilt hatte. Jetzt blieb ihm Nichts übrig, als sich auf sein gutes Glück, seine Besonnenheit und das Dunkel der Nacht zu verlassen.

Der Jäger Alexander ging voran, Otto von Röbel, den blanken Hirschfänger in der Hand, mit dem man ihn im Peseux versehen, folgte zuletzt, um seinen kleinen Trupp im Auge zu behalten.

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Man schlich an der Felsenwand hin, bis man an die Stelle gekommen, über welcher das von der Tochter des Concierge bezeichnete Fenster lag.

Auf den Rath des Jägers mußten sich die fünf Männer dicht an der Felswand verbergen. Mit dem jungen Preußen trat der Leiter der Expedition dann auf die entgegen gesetzte Seite und pfiff leise.

Bei der dritten Wiederholung hörten sie in der Höhe leise ein Fenster öffnen.

»Louison!«

»Ich bin hier!«

»Hast Du die Schlüssel?«

»Hier sind sie - aber ich habe so große Angst - ich zittre an allen Gliedern.«

»Thorheit, Kind! - Du weißt, es kann Dir Nichts geschehen und unser Glück steht auf dem Spiel. - Laß die Schnur fallen!«

»Wohlan denn Alexander - auf Dich kommt die Schuld!«

Ein Arm streckte sich aus dem Fenster; der Jäger tappte an der Mauer umher, bis er das Ende der Schnur fand, die sie herunterfallen gelassen. Er hatte die seidne Strickleiter, die er um den Leib gewickelt getragen, bereits gelöst, und band sie an die Schnur.

»Auf, Louison und befestige sie gut - Du weißt, mein Leben hängt davon ab! - Zum Teufel - was ist das? wer ist bei Dir?«

Er hatte trotz der Dunkelheit zwei Gestalten an dem Fenster und vier Arme bemerkt, die sich bemühten, die schwanke Leiter emporzuziehen.

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»Meine Cousine ist bei mir - fürchte Nichts, Alexander, sie ist auf unserer Seite!«

Die vereinten Kräfte der beiden Mädchen hatten rasch die geringe Last in die Höhe gezogen und waren jetzt bemüht, die Enden der Seidenstricke zu befestigen.

Der Jäger probirte unten die Haltbarkeit, indem er sich mit der ganzen Kraft seines Körpers an die Leiter hing; - sie hielt!

»Wollen Sie voran gehen, Monsieur de Röbel?«

»Ich könnte die Mädchen erschrecken und werde der Letzte sein. Sobald Sie oben sind, bemächtigen Sie sich vor Allem der Schlüssel und halten Sie das Fenster gegen jeden Angriff.«

»Mit meinem Leben, Herr! Sobald ich, die Schlüssel habe, soll sie Niemand mir entreißen!«

Er setzte den Fuß in die erste Schlinge und klomm mit der Behendigkeit eines Eichhörnchens in die Höhe.

Droben mochte er wohl einige Unterhandlungen pflegen müssen mit der Tochter des Kastellans über die Zahl Derer, denen der Eintritt auf diese Weise gestattet werden sollte; denn es dauerte einige Minuten, bevor er sich aus dem Fenster bog und Otto von Röbel leise zurief, daß er im Besitz der Schlüssel sei und sie ohne Besorgniß nachfolgen möchten.

Der junge Preuße winkte dem nächsten Mann und hieß ihn hinaufsteigen. Dies geschah - noch drei verschwanden in dem Fenster der Mauer.

Nur er selbst und der fünfte Mann waren noch am Fuß der Leiter.

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Dieser zögerte; er hielt sich möglichst im Dunkel der Mauer und hatte seinen tyroler Hut tief in das Gesicht gezogen.

»Nun voran, Freund, auf was wartet Ihr noch?«

»Gehen Sie selbst voran, Herr, ich werde der Letzte sein,« sagte der Mann mit dumpfer Stimme. »Ich leide an Schwindel, und könnte auf Sie fallen!«

»Ich werde mich vorsehen, mein Freund,« erklärte der Preuße. »Ich bin gewohnt, mich nur auf mich selbst zu verlassen und werde deshalb unter allen Umständen der Letzte sein. Hier darf Niemand zurück bleiben, also steigt ohne Weiteres hinauf, wenn ich nicht zweifeln soll, daß Ihr es redlich meint und ich Euch zwingen muß.«

Einen Augenblick noch zögerte der Mann, - es war Laforgne, und bedachte sich, ob er - da er mit seinem Gegner allein war, - sich nicht auf ihn werfen und Lärm machen solle. Aber der Gedanke, daß ihm dies bei der Unbekanntschaft mit den Oertlichkeiten und ohne Beistand Nichts nützen und nur die Maaßregeln der Gegner beschleunigen würde, hielt ihn davon zurück. Er setzte den Fuß in die Leiter und stieg empor.

Den blanken Hirschfänger noch immer in der Hand folgte ihm der junge Anführer.

Als sie oben waren, befanden sie sich in einem ziemlich geräumigen Zimmer, das zur Aufbewahrung reponirter Gegenstände benutzt wurde. Der Raum war bloß durch den matten Schein erhellt, der durch das Fenster herein kam.

»Können wir Licht machen, Louison?«

»Noch nicht, erst wenn wir über den Corridor sind.

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Auf der andern Seite schläft Frau Bessert, sie ist das argwöhnischste Weib, das es in ganz Neuchâtel giebt und würde beim geringsten Verdacht das ganze Schloß in Allarm bringen!«

»Der Teufel soll ihr das Licht halten, wenn sie es wagt. Ich schnüre der alten Hexe die Kehle zusammen, schon für die Schandreden, die sie Dir gestern Abend zu hören gab. - Nun Monsieur de Röbel müssen wir uns theilen. Ich nehme zwei Mann, um mir zu helfen, die Riegel von dem Thor zu heben und den Eingang zu bewahren, bis der Oberstlieutenant herein ist. Das wird nicht ohne Lärmen abgehen, ich kenne unsere Burschen. Also nehmen Sie die andern drei, um den Halunken Piaget und sein Factotum festzunehmen. Bedrohen Sie sie mit dem Tode, wenn sie sich zu rühren wagen. Wo ist Deine Verwandte, Louison?«

»Sie ist in unser Zimmer neben dem des Vaters zurückgekehrt, um Achtung zu geben, daß er nicht erwacht.«

»Dann mußt Du diesen Herrn führen und ihm die Wohnung des Präsidenten zeigen. Ich kenne meinen Weg durch die Gänge und Höfe schon allein. Hast Du Feuerzeug?«

»Hier ist es!«

»Gut - dann nimm diese beiden Enden Wachslicht und zünde sie an, sobald Ihr an Ort und Stelle seid. Auf Wiedersehen Herr von Röbel; sobald wir Herren der Eingänge sind, wird ein Pistolenschuß Ihnen das Signal geben.«

Louison öffnete ihnen vorsichtig die Thür; leise schlichen

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der Jäger und seine beiden Begleiter den Corridor entlang, der zu den innern Höfen und dem großen Schloßthor führte.

Als sie sich entfernt hatten, ergriff das Mädchen die Hand des Preußen und flüsterte ihm zu, ihr zu folgen. Röbel gab eben so seinen Leuten den Befehl, sich einer hinter dem andern dicht bei ihm zu halten und kein Geräusch zu machen.

So gingen sie vorwärts, wie der Jäger unhörbar das Wild beschleicht, zuerst durch einen langen Gang, der an dem Zimmer des Concierge vorüberführte, dann stiegen sie eine Treppe hinauf zum ersten Stock, wo die Wohnung des Präsidenten und seines Secretairs sich befand.

Hier blieb das Mädchen stehen, sie zitterte vor Furcht und Angst.

»Das ist Alles, Monsieur, was ich für Sie thun kann, der Himmel möge Ihnen und Alexander weiter helfen. Entlassen Sie mich jetzt, denn mein Vater darf mich um keinen Preis, wenn der Lärmen ihn erweckt, außerhalb meines Zimmers finden. O mein Gott, vielleicht ist es schon zu spät!«

Er hielt sie zurück.

»Einen Augenblick noch mein Kind. Wie viel Ausgänge hat die Wohnung dieser Herren und steht sie außerdem in Verbindung mit dem Innern des Schlosses?«

»Nein, Monsieur, - es sind allein zwei Thüren, die in das Vorzimmer und auf diesen Gang münden. Hier ist die eine, die andere befindet sich dort, wo die drei Stufen hinaufgehen, an der Wendung der Treppe.«

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»Gut. Und wohin führen ihre Fenster?«

»Sie sind sämmtlich mit Eisengittern versehen. Eine Flucht ist nur durch diese Thüren möglich.«

»Dann haben wir sie in der Falle. Jetzt zünden Sie das Licht an, Mademoiselle, und dann überlassen Sie das Weitere uns. Der König soll den muthigen Dienst, den Sie unserer Sache geleistet, erfahren. Hier, Mann, stellen Sie sich vor diese Thür und lassen Sie Niemand heraus - brauchen Sie nöthigen Falls Gewalt und Ihre Waffen, bis man Ihnen zu Hilfe kommt. Sie da bleiben hier mit demselben Befehl, indeß ich und ... Höll' und Teufel,« unterbrach er sich, denn der Schein des von der Kastellantochter angezündeten Lichtes erhellte den Vorplatz, auf dem sie sich befanden, - »wo ist der dritte Mann?«

Der Platz - die Treppe waren leer - der Mann verschwunden, auch die beiden Andern wußten keine Auskunft über ihn zu geben, jeder hatte ihn vor oder hinter sich im Dunkel geglaubt.

Plötzlich, noch während sie die Sache besprachen, fiel unter ihnen, in dem Korridor, aus dem sie gekommen, eine Thür in's Schloß und man hörte ein lautes Kreischen: »Zu Hilfe! zu Hilfe!«

Das Mädchen in Todesschrecken ließ das Licht fallen. »Barmherziger Gott, wir sind verrathen! ich bin verloren!«

Sie rannte in wahnsinniger Furcht davon.

Der junge Anführer hatte das noch am Steinboden fortglimmende Licht aufgerafft. »Wenn Verrath im Spiel ist, so ist es der Schurke, der nicht die Leiter hinauf wollte.

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An Eure Posten, Freunde, und thut wie ich befohlen! die Unsern müssen sogleich im Schloß sein!«

Die Kerze mit der Hand vor dem Luftzug beschützend, sprang er die Treppe hinab, vier, fünf Stufen auf ein Mal, es galt ihm, den Allarm so lange zu verhindern, bis die am Thor ihr Werk gethan. Im Nu war er auf dem Korridor, in demselben Augenblick fiel es ihm ein, daß die Thür des Zimmers, zu dem sie empor gestiegen, von ihnen offen gelassen worden, daß die Strickleiter noch am Fenster befestigt war.

Aus demselben Zimmer klang jetzt das Zetergeschrei einer weiblichen Stimme: »Mord! Feuer! Aufruhr! Zu Hilfe Patrioten, zu Hilfe!«

Mit zwei Sätzen war der Preuße an der Thür - bereits vernahm man Geräusch in den anstoßenden Wohnungen.

An der Thür prallte er zurück - der Mann, den sie vermißt, stand auf der Schwelle.

»Wahnsinnige Närrin, hinunter mit Euch - bringt die Stadt in Allarm! - hier nützt Euer thörichtes Geschrei Nichts - ich decke Eure Flucht! - Zurück, Herr, oder ich schieße Sie nieder!«

Die letzte Drohung war gegen den Preußen gerichtet, der in das Zimmer dringen wollte. »Aus dem Wege Du selber, Verräther!« Er hob die Hand mit dem Licht, faßte mit der andern fest die blanke Waffe - sein Blick fiel auf den Gegner und er fuhr unwillkürlich betroffen zurück.

»Lieutenant Laforgne!«

»Kapitain, Herr von Reubel, wenn es Ihnen Nichts

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verschlägt,« sagte mit spöttischem Lächeln kaltblütig der Abenteurer, indem er noch immer die Pistole ihm entgegenstreckte. »Ich versichere Sie, wenn meine würdigen Landsleute Rom nicht so zeitig genommen, könnte ich Oberst sein!«

»Lieutenant oder Kapitain - was thun Sie hier, Herr?«

»Bah - es scheint, Sie examiniren mich! doch müßten Sie mir zuvor sagen, mit welchem Recht?«

»Das Recht kennen Sie, da Sie sich in unsere Mitte gedrängt. Aus dem Wege, Herr!«

Kapitain François sah sich um nach dem Zimmer. »Zum Teufel alte Vettel, so machen Sie doch, daß Sie aus dem Fenster kommen, statt hier zu schreien - die Strickleiter hängt ja dort! - Sachte, mein Herr - ich wiederhole Ihnen, daß Sie diese Schwelle nicht überschreiten werden, bis die würdige Dame dort glücklich auf die Straße gelangt ist. Zurück, oder ich schieße Sie nieder, wie einen Hund!«

»Hund Du selbst!«

Von dem blitzschnellen Schlage des Hirschfängers flog der Revolver in die Höhe, noch ehe Kapitain Laforgne, der mit dem jüngern Mann glaubte spielen zu können, abgedrückt; im selben Augenblick hatte der Preuße Waffe und Licht fallen lassen und sich auf seinen Gegner gestürzt, den er über die Schwelle in das Gemach zurück warf.

Durch das Unerwartete des kühnen Angriffs war der Republikaner zu Boden geworfen, aber mit der durch sein abenteuerliches Leben ausgebildeten Muskelkraft und Gewandtheit gelang es ihm rasch, das Spiel wieder

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herzustellen und seinen Feind mit sich niederzureißen. Durch diese Eigenschaften und die größere Erfahrung im Kampf ersetzte er das, was sein jüngerer Gegner ihm an körperlicher Kraft überlegen war und beide rangen etwa zwei Minuten lang, ohne zu sprechen, am Boden.

Während dieses Kampfes verdunkelte ein menschlicher Schatten das Fenster des Gemachs, schwang sich hinaus und glitt auf der Leiter die Mauer hinab.

Man hörte Thüren schlagen, durch das Gewölbe krachte das Echo eines Schusses, gleich darauf lautes Jubelgeschrei: »Vive le Roi!«

»Zur Hölle mit ihm! - Vive la Republique!«

Die ungeschwächte Jugendkraft des jungen Preußen hatte in diesem Augenblick über die größere Gewandtheit des Garibaldiens einen Sieg errungen - der Kapitain Laforgne lag mit keuchender Brust unter seinem Knie.

»Ergeben Sie sich, Herr!«

»Einem Knaben? Niemals!« Er versuchte das Pistol aus dem Gürtel des Gegners zu reißen, aber Otto von Röbel kam ihm zuvor und entwand es ihm.

Diesen Augenblick benutzte sein Feind, in die eigne Brusttasche zu fassen und zugleich des Preußen Knie von sich abzuschütteln, indem er sich auf das seine erhob.

Die linke Faust des Deutschen auf seine Schulter gedrückt, hielt ihn jedoch noch immer halb am Boden. In diesem Augenblick fiel ein heller Lichtstrahl in das Gemach und zeigte beide Kämpfer einander.

Otto von Röbel hatte den Hahn des Pistols gespannt: »Zum letzten Mal - geben Sie sich gefangen?«

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»Niemals! nimm dies!«

In dem Schein des Lichts sah der Preuße einen hellen Blitz funkeln - gedankenschnell griff er mit der Linken zu und faßte die mit einem scharfen italienischen Stilet bewaffnete Hand des Kapitains. Der Stoß, der sonst von unten herauf seine Brust durchbohrt hätte, ging seitwärts und fuhr an seinen Rippen hin, ihn leicht verwundend, aber der Zorn darüber reizte ihn so, daß er die Mündung der Pistole auf die Stirn des Gegners senkte und den Finger an den Drücker legte, ohne sich darum zu kümmern, daß dieser Mann einst seiner Familie das Anerbieten einer Million überbracht hatte.

»Stirb!«

Der Schuß krachte, das Feuer versengte das schwarze Kraushaar des Abenteurers - aber die Kugel pfiff neben seinem Schädel vorüber und schlug in das Estrich.

Eine Frauenhand hatte sich in dem verhängnißvollen Augenblick auf den Arm des jungen Preußen gelegt und ihn zurückgezogen.

Das Licht, das ihre andere Hand trug, dasselbe, dessen Schein auch dem Sieger die Gefahr gezeigt, in der er selbst geschwebt, beleuchtete ihre Gestalt und ihr von der Angst und Aufregung leicht geröthetes Gesicht, wie die beiden Gegner, die sich jetzt gegenüber standen, denn der Garibaldien war nach dem Schuß emporgesprungen.

Beide starrten gleich einem Gespenst die Erscheinung an, die sie so plötzlich getrennt.

Es war eine schlanke Mädchengestalt, in ein einfaches Nachtgewand gekleidet. Ihr hübsches sanftes Gesicht mit

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einem demüthigen schmerzlichen Zuge um den Mund drückte jetzt Angst und Schrecken aus und das sanfte blaue Auge war mit einer unwiderstehlichen Bitte auf sie gerichtet.

»Elise!«

Der Ausruf erklang so gleichzeitig von den Lippen der beiden Gegner, daß es fast wie ein und derselbe Schrei war und sie erstaunt sich einander anstarrten.

Aber auch auf die Friedensstifterin schien der Ruf einen merkwürdigen überraschenden Eindruck zu machen, denn ihre Augen erweiterten sich und nahmen den Ausdruck eines freudigen Staunens statt des bisherigen Schreckens an. Dann fiel sie plötzlich zwischen den beiden Feinden auf die Knie und streckte die Arme aus, als wolle sie beide von einander trennen.

»Halten Sie ein! halten Sie ein,« rief sie tief erregt - »Gott selbst hat mich in diesem schrecklichen Augenblick zwischen Sie geführt, um eine blutige That zu verhindern, die mein Herz gebrochen hätte. O Sie, die beiden einzigen Menschen, die mir Großmuth und Güte bewiesen, die mich von Tod und von Schande gerettet, Sie dürfen sich nicht so begegnen, und müßte ich es mit meinem Leben verhindern. Tödten Sie mich eher - nur durch mein Herz geht der Weg zu dem Ihren!«

Der Preuße hatte die Waffe gesenkt. »Wie, Mademoiselle, so seltsam müssen wir uns wiederfinden? - Ich wußte nicht, daß dieser Herr Ihnen bekannt und sein Leben Ihnen theuer sei - sonst ...«

»Keine Beleidigung, mein Herr!«

Sie hatte die Hand des jungen Preußen gefaßt. »Sie

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wissen nicht, was er für mich gethan hat, als ich noch ärmer und verlassener war, als zur Zeit, wo Sie mir begegneten und mir die Mittel gaben, mich einer traurigen Stellung zu entziehen und in mein Vaterland zurückzukehren. In meinen Träumen, in meinen Gebeten habe ich täglich an Sie Beide gedacht und Gottes Segen für Sie erfleht, o - lassen Sie nicht jetzt, wo ich Ihnen vereint danken kann durch eine seltsame Fügung der Vorsehung, mich bedauern, Sie wiedergefunden zu haben!«

Der Kapitain stand, trotzig vor sich niedersehend, nur zuweilen warf er einen raschen finstern Blick auf das Mädchen und seinen Gegner.

Dieser, von milderem, freundlicherem Charakter, war von dem unerwarteten Wiedersehen der jungen Neuchâtelerin und ihren Worten tief bewegt worden; - der Zorn über den Angriff der Garibaldiens und seine leichte Wunde in seinem ritterlichen Geist auch bereits erloschen.

»Geben Sie sich gefangen, Herr Kapitain,« sagte er freundlich - »das Schloß muß bereits in unsern Händen sein und weiterer Widerstand wäre thöricht!«

»Der Uebermacht dort, nicht Ihnen!«

Laforgne wies nach der Thür, durch welche eben Oberst-Lieutenant Meuron mit einer Anzahl Royalisten eintrat.

»Was ist geschehn Herr von Röbel? Wir vernahmen hier einen Schuß und ich war schon besorgt um Sie, nachdem mir der Jäger meines Neffen gesagt, wie wacker und einsichtig Sie sich benommen. Wer ist der Mann dort?«

Der Preuße rapportirte kurz das Geschehene.

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»Wie, ein Spion unter uns? Wer sind Sie, mein Herr - wie haben Sie es wagen können, sich unter uns einzuschleichen und uns zu täuschen?«

»Wer ich bin,« sagte der Kapitain trotzig, »das wird Ihnen leicht dieser Herr hier mittheilen können. Was ich bin, will ich Ihnen selbst sagen: ein Feind der Tyrannei, ein Soldat der Republik und der Freiheit der Völker, und als solcher habe ich meine Pflicht gethan, Sie zu verhindern, dies freie Land wieder unter die Knechtschaft eines Fürsten zu bringen!«

»Wir werden später, wenn mehr Zeit ist, über Ihre angebliche Pflicht weiter verhandeln,« bemerkte ruhig der alte Oberstlieutenant. »Sie sind ein Fremder, wie ich von Herrn von Röbel höre, und mit Revolutionairen von Profession machen wir wenig Umstände. Durch Ihre Hilfe ist jenes höllische Weib entwischt, dessen Kehle genügt, um uns vor der Zeit die Feinde des Königthums auf den Hals zu hetzen. Das Blut, was deshalb wahrscheinlich vergossen wird, komme auf Sie. Vor der Hand will ich wenigstens sorgen, Sie unschädlich zu machen. Entwaffnet und bindet den Burschen, Leute!«

«Mich binden? Wage es Niemand!«

Aber schon hatten sich drei stämmige Männer auf ihn geworfen und nachdem er vergeblich gegen sie gerungen und einen der Gegner nicht unerheblich mit dem Stilet verwundet hatte, wurde er entwaffnet, zu Boden geworfen und an Händen und Füßen gebunden, so daß er sich nicht rühren konnte.

Die junge Gouvernante hatte ihm zu Hilfe eilen oder

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wenigstens den Oberbefehlshaber der Royalisten um Schonung für den Gefangenen anflehen wollen, aber Otto von Röbel hielt sie zurück, indem er sie versicherte, daß ihre Einmischung nutzlos sein und Jenem Nichts weiter geschehen würde. Später, wenn die Gemüther beruhigt und die Ordnung wieder hergestellt sein würde, werde er selbst sich des Kapitains annehmen. Er übergab sie ihrer Cousine, die - sehr erschrocken und unschuldig thuend, mit ihrem Vater und mehreren andern Schloßbewohnern jetzt herbeigekommen war, und ließ sie von dieser fortführen. Zugleich erschien Alexander der Jäger und berichtete dem Oberstlieutenant, daß die Herren Piaget und Humbert in ihren Wohnungen überrascht und verhaftet worden wären und jetzt sicher dort bewacht würden. Sämmtliche Ausgänge des Schlosses waren mit Posten besetzt und an der Barrikade in dem hohlen Weg, der zu dem Hauptthor führte, wurde rüstig gearbeitet.

Der Oberstlieutenant nahm seinen Hut ab und trat in die Mitte des Kreises: »So erkläre ich denn hiermit dieses Schloß und Land wieder für fürstliches Gebiet und Eigenthum unseres Allergnädigsten Herrn, Sr. Majestät des Königs von Preußen, die gegen alles Recht und Gesetz octroyirte Regierung der schweizer Republik abgesetzt und die alten Behörden unsers Königfürsten wieder hergestellt. Ich nehme Besitz in seinem Namen von Stadt und Land und pflanze die ehrwürdige Fahne unserer Väter wieder auf den Thurm dieses Schlosses. Möge sie lange und siegreich dort wehen und wer es wagt, an sie zu tasten, als Feind und Verräther von jedem braven Neuenburger

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behandelt werden! Wer es redlich meint mit seinem Vaterland, der rufe mit mir: Vive le Roi!«

Otto von Röbel hatte ihm eine der Fahnen gereicht, welche die eingedrungenen Royalisten mit sich geführt. Der Oberstlieutenant erhob sie und ließ die ritterlichen schwarz-weißen Farben in langen Falten um sein ehrwürdiges stolz emporgehobenes Haupt wallen. Bei dem Anblick dieses so lange entbehrten, so tief in ihrem Herzen bewahrten Banners, unter dem ihre Väter glücklich gewesen und sie selbst wenigstens ihre heitere Jugend verlebt hatten, brach der alte Enthusiasmus in unverkümmertem Strom aus jeder Brust, sie schwangen die Waffen, die Hände, die Hüte empor, die Frauen wehten mit ihren Tüchern und drei Mal weckte ein donnerndes

Vive le Roi!

das Echo der Jahrhunderte alten Mauern.

Die Fahne voran, gefolgt von den Royalisten stieg der Oberstlieutenant von Meuron, nachdem er Befehl gegeben, den gefangenen Spion, wie er den Kapitain nannte, in das Gemach einzuschließen und einen Posten vor die Thür zu stellen, die Treppe zum Hauptthurm des Schlosses hinauf und pflanzte mit eigener Hand die Preußische Fahne wieder an die Stätte, von der sie so lange verdrängt gewesen war. Dann wurden sofort alle nöthigen Anstalten getroffen, das Schloß in Vertheidigungsstand zu setzen und die in dem kleinen Arsenal, der alten Rüstkammer der Burgherrin, aufbewahrten Waffen für den am andern Morgen erwarteten Zuzug aus Stadt und Land bereit zu machen. In dem Hohlweg zur Burg wurde, wie

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bereits erwähnt, eine starke Barrikade errichtet und mit den beiden mit Kartätschen geladenen Kanonen besetzt, die man im Schlosse gefunden. Der alte preußische Artillerist, mit welchem Kapitain Laforgne von dem Peseux her marschirt war, erwies sich hierbei besonders nützlich und thätig.

In dem Rathssaal des alten Schlosses hatte der Oberstlieutenant sein kleines Hauptquartier aufgeschlagen und die Offiziere und Führer der Royalisten versammelt, um mit ihnen die weiteren Schritte zu berathen und Rapporte und Nachrichten aus der Stadt und den Bergen in Empfang zu nehmen. Aus den letztern durfte man sie erst gegen Mittag erwarten und mußte sich bis dahin mit allen weitern Schritten gedulden. Herr von Meuron entwarf eine Proclamation an die Bewohner von Neuenburg, die der treue und muthige Wolfarth[Wolfrath] noch in der Nacht drucken und an den Straßenecken anschlagen ließ. Sie lautete:


    »Es lebe der König! Die Königliche Fahne weht auf's Neue auf dem Schloß unserer Fürsten, Neuenburger! danket Gott! Zu mir, Ihr Getreuen!

    Der Kommandant des ersten Bezirks,

    v. Meuron, Oberstlieutenant.

    Schloß Neuenburg den 3. September 1856.«

Nach und nach gingen auch Nachrichten aus der Stadt ein, die allmählig aus dem Schlaf erwachte und sich zu ihrem großen Erstaunen auf ein Mal wieder unter der alten Landesherrschaft fand.

Hier ergab sich der erste große Fehler, den die Führer der royalistischen Partei aus Besorgniß vor einem Verrath begangen: man hatte, wie bereits erwähnt, in der Stadt

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und überhaupt im Lande nur sehr wenige Personen in's Vertrauen gezogen. Graf Pourtalès mit seinen Freunden rechnete auf die ihnen bekannten Gesinnungen und den Einfluß seines durch viele Wohlthaten bei dem Volke seit langen Jahren beliebten Namens, so bald bekannt geworden, daß er sich an die Spitze gestellt, um eines großen Zulaufs sicher zu sein.

Aber die Bürger, so gut royalistisch sie im Herzen größtentheils gesinnt waren, wurden durch das Plötzliche der Schilderhebung zu sehr überrascht, um so schnell einen Entschluß fassen zu können, wie es hier nöthig gewesen wäre, wenn die Sache von Erfolg sein sollte. Man zögerte, man berieth, Einzelne kamen und schlossen sich an, die Mehrzahl aber wollte erst die Nachricht aus den Bergen abwarten, und so vergingen kostbare Stunden. Unterdeß zeigte man doch vielfach offen die Sympathieen für die Royalisten, indem man Körbe mit Lebensmitteln und Fässer Wein aus vielen Häusern auf das Schloß schaffte und sie so verproviantirte.

Dies Alles geschah im Laufe des Vormittags des 3ten. Doch haben wir vorher noch einige Szenen zu berichten, die für die Personen unseres Buches von Bedeutung sind.

Erhitzt und verstimmt trat der jüngere Meuron eine Stunde nach der Occupation des Schlosses in den Saal, wo die Führer der Royalisten Rath hielten.

Er warf Hut und Degen auf einen Tisch. »Der Teufel hole den Schurken, er ist auf und davon!«

»Wer?«

»Wer anders, als dieser Spitzbube von Schweizer, der

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Präfect Mathey! Er wird die ganzen Berge in Allarm bringen, wo der Kerl unter den Rothen großen Anhang hat. Wenn Ihr die beiden Haupthähne hier im Schloß, Piaget und seine rechte Hand, Humbert, erwischt habt, so ist es gut, - die Andern sind alle fort!«

Der Oberstlieutenant runzelte die Stirn. »Das ist sehr unangenehm. Wie war dies möglich - wie ist es geschehen?«

»Im erstern Fall ist meine eigne Thorheit schuld, wie konnte ich auch ein Narr sein und einem republikanischen Diebe trauen? Die andern Mitglieder der Regierung sind durch den höllischen Lärmen gewarnt worden, den ein Weib erhob, das aus dem Schlosse entsprungen sein soll. Sie hat an ihre Thüren geklopft und sie wach gerufen, während wir uns des Stadthauses bemächtigten. Zwischen den Händen ist der Drache uns entwischt, ich habe durch zwei Leute sie verfolgen lassen, aber sie werden sie schwerlich zwischen den Weinbergen wieder einholen!«

»Du hattest Befehl, zuerst Matthey zu verhaften. Er ist der Entschlossenste von Allen und kann uns gefährlich werden.«

»Ich habe die Ordre auch vollzogen wie ein Soldat, aber wie ein Schulbube mich dann betölpeln lassen.«

»Sprich!«

»Wir schlugen die Thür ein und ich fand den Spitzbuben noch in Schlafrock und Unterbeinkleidern, wie er eben erst aus dem Bett gesprungen war. Seine Frau war in das Nebenzimmer geflüchtet. Ich erklärte ihn im Namen des Königs, seines rechtmäßigen Herrn, zu meinem

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Gefangenen und sagte ihm, daß ich Ordre habe, ihn an die neue fürstliche Regierung, die wieder von dem Lande Besitz ergriffen, auf das Schloß abzuliefern.«

»Wie nahm er sich?«

»Er war anfangs tüchtig erschrocken und wollte protestiren, als ich ihm aber bedeutete, daß man nicht viel Umstände mit ihm machen werde und strenge Ordre seinetwegen vom Oberkommandanten Grafen Pourtalès gegeben worden sei, verlangte er, zu diesem geführt zu werden und bat um die Erlaubniß, sich erst ankleiden zu dürfen. Ich war so einfältig, ihm zu gestatten, zu diesem Zweck sich in's Nebenzimmer zu seiner Frau zu begeben!«

»Nun?«

»Wir hörten sie die Thür zuriegeln und als ich die Oeffnung verlangte und mit Gewalt drohte, suchte sie mich mit Redensarten und Ausflüchten hinzuhalten, bis sie ihn an Bettlaken und Handtüchern aus dem Fenster in den Garten hinabgelassen hatte. Als ich endlich die Thür sprengte, war er auf und davon und wir hatten das Nachsehen!«

Der Oberstlieutenant tadelte mit strengen Worten die Unvorsichtigkeit, aber der Fehler war nicht mehr zu ändern und man mußte die Folgen erwarten.

Der jüngere Meuron hatte unterdeß von dem Freunde das ähnliche Mißgeschick erfahren und drang erbittert darauf, daß der angebliche Spion sofort verhört und Kriegsgericht über ihn gehalten werde.

Die Besprechungen waren bei offenen Thüren geschehen, während die Royalisten ab- und zugingen. In den

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Höfen hatte man große Feuer angezündet und sich um sie her gelagert, während von den herbeigeschafften Lebensmitteln gezehrt und ein Faß Wein nach dem andern angezapft und lustig auf das Gelingen der Erhebung getrunken und der König in unaufhörlichen Toasten gefeiert wurde.

Dadurch waren die Männer aufgeregt worden und der Vorschlag des jüngern Meuron, den fremden Gefangenen herbeizubringen und zu verhören, fand daher den lauten Beifall der Menge.

Der Oberstlieutenant wünschte jede Gewaltthat möglichst zu vermeiden und wollte daher die Sache lieber verschoben oder unter den Führern abgemacht wissen, aber das stürmische Verlangen der jüngern Royalisten nöthigte ihn nachzugeben, und er gab daher, nachdem noch einige andere Geschäfte abgethan waren, dem Jäger die Ordre, den Gefangenen von seinen Banden zu befreien und ihn vorzuführen.

Während der Jäger mit einigen Männern sich entfernt hatte, den Befehl zu erfüllen, erzählte Otto von Röbel, ohne seiner Familienverhältnisse dabei weiter zu erwähnen, seine Bekanntschaft mit dem Kapitain in Berlin und was er von diesem gehört hatte. Das diente natürlich nur dazu, die Erwartung auf ihn noch höher zu spannen und alle Blicke wandten sich mit Interesse nach dem Eingang, als das Geschrei und das Lärmen draußen die Rückkehr des abgeschickten Kommandos anzeigte.

Der junge Preuße beschloß, wenn es nöthig wäre, zu Gunsten des Abentheurers einzuschreiten, nicht allein, weil er dies den frühern Beziehungen desselben zu seiner

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Familie schuldig zu sein glaubte, sondern auch aus Interesse für das junge Mädchen, das er vergeblich im Schloß aufgesucht hatte, um etwas Näheres über ihre seltsamen Beziehungen zu dem Garibaldien von ihr zu erfahren.

Die Menge, die durch die Thür mit lauten Verwünschungen eindrängte, öffnete sich, der Jäger Alexander mit seinen zwei Begleitern und dem sehr verblüfft und verwundert aussehenden Mann, den der Oberstlieutenant selbst vor die Thür des Gefangenen gestellt hatte, zeigte sich den erstaunten Blicken - aber von dem Gefangenen selbst keine Spur.

»Wo ist der Mann, den Ihr herführen sollt?«

Der Jäger hob zur Antwort die Hand, in der er mehre Stricke hielt.

»Was soll das heißen?«

»Ich kann's nicht ändern gnädiger Herr, er ist fort - spurlos verschwunden!«

»Dann hat ihm die Wache herausgeholfen!«

»Der Mann ist von Ihren Gütern, Herr Oberstlieutenant, und treu und zuverlässig. Er schwört Tod und Leben, daß er nicht von seinem Posten gewichen ist und Niemand das Zimmer betreten hat. Ein anderer Zugang, als der vom Corridor ist nicht vorhanden und dennoch ist keine Spur von dem Gefangenen aufzufinden, als die durchschnittenen Stricke, mit denen er gebunden war!«

»Er wird durch das Fenster entflohen sein, wie das Weib,« sagte der jüngere Meuron. »Ihr Dummköpfe habt die Strickleiter hängen lassen!«

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»Nein, gnädiger Herr - ich hab' sie selbst aufgezogen und fortgenommen.«

»Dann ist er hinabgesprungen!«

»Die Höhe ist mindestens drei Stockwerk - er würde Hals und Beine dabei gebrochen haben!«

Der Oberstlieutenant, ruhiger und besonnener als die Uebrigen, stellte ein kurzes Verhör an, aber es war auch ihm nicht möglich, etwas Näheres zu ermitteln. Im Grunde wäre er ganz zufrieden gewesen über die Flucht, da sie ihm aus der Verlegenheit half, was bei der erregten Stimmung der jüngeren Royalisten mit dem Gefangenen zu beginnen gewesen wäre, wenn ihn eben nicht die Besorgniß bedrückt hätte, daß. auch dieser Flüchtling ihnen vor der Zeit die Rothen auf den Hals ziehen würde. -


Es war etwa eine halbe Stunde nach der Gefangennahme und Einsperrung des Kapitains, daß dieser voll Zorn und Erbitterung in dem Winkel seines zeitweiligen Gefängnisses am Boden lag, sich endlich in sein Schicksal ergebend, nachdem er vergebens alle Kraft und Gewandtheit versucht hatte, um sich von den Banden zu befreien. Obschon er sich sagen mußte, daß er nicht unverdient dieser strengen Behandlung verfallen war, weil er sich nicht viel besser als ein Spion in die Reihen der Royalisten gedrängt und versucht hatte, ihr Unternehmen zu vereiteln, so knirschte er doch bei dem Gedanken an die Niederlage, die er durch einen Gegner erlitten, den er sich gar nicht gewachsen geglaubt und mit Hochmuth behandelt hatte, und die

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eigenthümliche Doppelerkennung des Mädchens, über die er sich den Kopf zerbrach, diente eben nicht dazu, seine Laune zu verbessern.

Dennoch, trotz aller Mühe, es zu verscheuchen, trat das Bild dieses Mädchens immer wieder vor seine Phantasie. Obschon sie damals, als er ihr zum ersten Mal in jener peinlichen und seltsamen Situation in Berlin begegnet war, fast noch ein Kind war, hatte ihre Erscheinung und ihr Wesen doch einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, so daß selbst das glänzendere, ihm früher in Montevideo und später in Paris begegnende Bild der Millionairin Carmen die Erinnerung an das arme demüthige Kind nicht zu verwischen vermocht hatte, das er, von seinem väterlichen Freund und Führer gerufen, damals in so gefährdeter Lage zurücklassen mußte. Oft hatte er an sie gedacht und was wohl ihr Schicksal geworden sein möchte, und als sie jetzt so plötzlich in einem der unglücklichsten Augenblicke seines Lebens - denn als solchen rechnete sein Stolz jene Niederlage - ihm plötzlich wieder erschien, dasselbe demüthige, sanfte und liebliche Gesicht, nur vollendeter, statt des kindlichen Mädchens die Jungfrau, in den Leiden des Lebens erwachsen, - da kehrten all die ersten tiefen Eindrücke mit verdoppelter Stärke wieder, und er empfand ein Gefühl, das fast der Eifersucht glich, als er das Vertrauen und den Dank sah, mit dem sie den jungen Royalisten begrüßte.

Seltsam ist oft der Augenblick im Leben, den das Schicksal wählt, um die Gefühle des Herzens zu

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entwickeln, um die Knospen der Liebe zur bewußten Blüthe zu entfalten.

Ein solcher Augenblick, als er schmählich gefangen und gefesselt, war es in dem Leben des kecken Abentheurers, der von seiner Kindheit auf sich in den wildesten und wechselndsten Scenen des Lebens bewegt hatte. Die romantische Galanterie für die reiche und schöne Haciendera, die Bewerbung um ihre Gunst, die nur durch ihr unaufgeklärtes Verschwinden in der Ballnacht der Tuilerieen unterbrochen worden war, alle jene glänzenden, an die Höhen des Lebens geknüpften Erinnerungen, sie waren verschwunden vor dem einfachen demüthigen Bilde der armen Bonne.

In diesem Sinnen und diesem Kampf seiner Gefühle hatte er auf ein leichtes Geräusch, wie das Fortschieben von Riegeln und das Knarren einer Thür, in dem entgegengesetzten Winkel des Gemachs nicht geachtet; erst ein schwacher Lichtschimmer, der sich an der gewölbten Decke brach, machte ihn aufmerksam.

In demselben Augenblick auch ließ sich eine sanfte Stimme dicht neben ihm hören, die in französischer Sprache und in flüsterndem Ton sagte:»Monsieur - ich bin hier - Elise, das arme verlorne Mädchen, der Sie einst in der großen deutschen Stadt ihr Leben, ihre Ehre, ja den Glauben an Gottes Barmherzigkeit und das Mitleid der Menschen retteten!«

Der Gebundene machte eine abwehrende Bewegung, als sie mit zitternden Händen versuchte, die Knoten der Stricke zu lösen.

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»Bemühen Sie sich nicht, Mademoiselle. Es wäre Thorheit von mir, zu leugnen, daß ich Sie wiedererkannt habe, aber der kleine Dienst, den ich Ihnen vor Jahren zu leisten im Stande war, ist heute reichlich vergolten; denn offenbar hat Ihre Fürsprache bei dem spätern Beschützer, den Sie gefunden, meine Hirnschaale vor der Pistolen-Kugel dieses Herrn gerettet.«

Sie weinte leise. »Ich bin zum Unglück geboren,« sagte sie schluchzend, »daß Sie, mein Retter, die geringe Hilfe zurückstoßen, die ich Ihnen leisten kann. Die edelherzige Großmuth jenes Herrn befreite mich nach langen Jahren des Leidens aus einer unangenehmen Lage; Ihre Hand, Ihr Muth aber waren es, die das dem Elend und der Schande verfallene Kind retteten, und selbst als jene Bösewichter mich um des Geldes wegen, das Sie mir gegeben, zu ermorden versuchten, und das Wasser über mir zusammen schlug, waren Sie mein letzter Gedanke!«

Er richtete sich mühsam, heftig empor. »Was sagen Sie, man hat Sie zu ermorden versucht? Also darum konnte ich das Schiff am andern Morgen nicht wieder finden?«

»So haben Sie mich doch gesucht?« Wäre es heller gewesen in dem Gemach, er hätte den lieblichen Ausdruck der Freude in ihrem unter Thränen verklärten Gesicht gesehen.

»Ich wartete vergeblich und bis zum letzten Augenblick auf den Mann, der Sie den beiden Schiffern übergeben hatte und der am Morgen kommen wollte, um mich zu Ihnen zu führen. Als er sich nicht blicken ließ, eilte ich

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an den Platz, wo ich Sie verlassen. Das Schiff war fort, alle Nachfrage, alle Mühe, da ich nicht die Sprache des Landes verstand, vergeblich. Der Einzige, auf dessen Hilfe ich rechnen konnte, verlachte mich und mußte überdies Berlin verlassen, eben so wie ich, den eine dringende Botschaft noch an demselben Morgen unabweislich nach Frankreich und Italien rief. Was war geschehen mit Ihnen - um des Himmels willen, sprechen Sie!«

»Erst erlauben Sie mir, Ihre Bande zu lösen!«

»Schnell - schnell - haben Sie kein Messer zur Hand? Diese Schurken haben die Knoten so dicht gezogen, daß Ihre kleinen schwachen Finger unmöglich damit fertig werden können.«

Sie hatte dies in der That befürchtet und ein Messer mitgebracht. Mit dessen Hilfe waren rasch die Stricke durchschnitten, die seine Hände gebunden hielten; als diese erst los, befreite er sich selbst leicht von den Banden der Füße und wollte empor springen.

»Um Gotteswillen Monsieur, verhalten Sie sich ruhig - vor der Thür steht eine Schildwache, die jedes lautere Geräusch hören kann. Kommen Sie - folgen Sie mir so leise als möglich.«

»Ich weiche nicht von diesem Fleck, bis ich weiß, was Ihnen damals geschehen ist.«

Er hatte in seiner halb aufgerichteten Stellung ihre zitternden Hände erfaßt und hielt sie fest, obschon sie sanft versuchte, sich loszumachen.

»Sprechen Sie - ich muß Alles wissen!«

»Ich zitterte vor Angst, als ich mich von Ihnen

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trennen mußte, denn die Gesichter jener beiden Männer kamen mir so unheimlich vor. Aber Ihr Zureden, Ihr Versprechen, mich aufzusuchen, beruhigten mich. Als wir so allein auf dem kleinen Kahn durch die Nacht fuhren, hörte ich die Männer flüstern - plötzlich erhielt ich einen Stoß und stürzte in's Wasser. Als ich es über mir zusammen schlagen fühlte, verlor ich das Bewußtsein.«3

»Und dann? und dann?« Er hatte in athemloser Spannung sich erhoben und den Arm um ihre Taille geschlungen - so hielt er sie fest. Ihre Stirn war auf seine Schulter gesunken in der Erinnerung an jene Schrecken und Leiden.

»Ich weiß nicht, wie ich gerettet worden bin. Ein glücklicher Zufall muß mich an das Ufer des Kanals gebracht haben, vielleicht, daß ich in der Todesangst unbewußt mir selbst herausgeholfen habe durch Gottes gnädigen Beistand. Ich habe keine Erinnerung daran. Man fand mich am Morgen an der Straße am Kanal, bewußtlos, in heftigem Fieber, ganz durchnäßt und brachte mich in eine Krankenanstalt. Die Verzweiflung und die Leiden, die ich erduldet, die entsetzliche Scene in jener schändlichen Gesellschaft, der Todesschreck und die schwere Erkältung hatten wohl zusammen gewirkt - auch als ich wieder in's Leben zurückgerufen wurde, fand ich das Bewußtsein nicht wieder, ich - hatte den Verstand verloren!«

Er wagte nicht, ihr leises Schluchzen zu unterbrechen, er preßte sie nur warm an sein Herz.

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»Es war vielleicht gut, daß Gott mich so lange des Lichts der Vernunft beraubt hat, denn wie hätte ich sonst die Erinnerung an jene Schande ertragen können. Erst langsam nach mehreren Jahren kehrte das Licht der Vernunft mir wieder und der traumartige apathische Zustand, in dem ich gelebt, wurde wieder mit der Erinnerung und dem Bewußtsein belebt. Aber die Scheu vor den Menschen und das Gefühl meines Unglücks blieb mir und machte mich ängstlich und befangen. Oft, ach täglich und stündlich, stand das Bild meines Retters, stand Ihr Bild, obschon ich Sie nur so kurz gesehen, vor meiner Seele, und die Erinnerung an Ihren Edelmuth war das Einzige, was ich bewahren mochte aus jener schrecklichen Zeit.«

»Sie armes, armes Kind!«

»Zwei Jahre blieb ich auch nach meiner Genesung noch in jener Anstalt. Ich wußte ohnedem nicht wohin, ich war ganz mittellos und hatte mich stets geweigert, über meine früheren Verhältnisse Auskunft zu geben. Man hegte Theilnahme für mich und ließ mir die Stelle einer Pflegerin und Aufseherin der Unglücklichen, deren Leidensgefährtin ich so lange gewesen war. Endlich zeigte sich mir die Aussicht einer glücklicheren Existenz, aber ach ...[«]

Sie schwieg erschüttert, - Thränen strömten auf's Neue aus ihren Augen.

»Vollenden Sie!«

»Eine Fremde - eine spanische Tänzerin suchte eine französische Bonne und Erzieherin für ihren kleinen Knaben. Durch den Arzt der Anstalt, der zufällig mit jener Fremden bekannt geworden, wurde ich ihr empfohlen, und

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da sie gerade ein Geschöpf in hilfloser Lage wünschte, das keinen eigenen Willen hatte und sie nicht zu geniren wagte, so wählte sie mich. - Wir waren ein Jahr lang auf Reisen - es war meine glücklichste Zeit! Dann kehrten wir zurück nach Berlin. - Oh mein Herr, lassen Sie mich schweigen von den traurigen Erfahrungen, die ich in jenem Hause machen mußte. Es war eine Spielhölle, der Sammelplatz der Vornehmen und Reichen und unerfahrener Opfer, und entsetzliche Dinge gingen dort vor!«

»Aber warum verließen Sie nicht sofort dieses Engagement?«

»Ich war gänzlich mittellos und man hielt mich in einer Abhängigkeit, die einer Sclaverei glich. Auch war ich der Dame Dank schuldig, daß sie mich aus jenem Hause genommen, wo ich über kurz oder lang durch den Anblick der Leidenden wahrscheinlich wieder in den frühern Zustand verfallen wäre. Es war eine Hölle - aber ich konnte mich ihr nicht ohne Hilfe entreißen!«

»Und wie entkamen Sie ihr?«

»Durch die Großmuth jenes jungen Mannes, mit dem ich Sie heute in dem unglücklichen Kampf auf Tod und Leben fand. Sie können ermessen, welcher Schmerz mich überfiel, als ich die beiden Wesen, die in der Fremde sich so großmüthig und edel der armen Verlassenen angenommen hatten, jetzt einander als Todfeinde gegenüber stehen sah!« -

»Sie kennen ihn also sonst nicht weiter?«

»Ich habe ihn weder vorher noch nachher je gesehen.

Er war wider Willen mit seinem Bruder in jenes Haus

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gekommen, und einige Worte, die mir entfielen, als er mir Freundlichkeit und Wohlwollen zeigte, mochten ihm meine Lage verrathen haben. Mit der Zartheit eines edlen Herzens zwang er mich, seinen Gewinn am Spieltisch anzunehmen, ehe er entrüstet das Haus verließ, und dies gab mir die Mittel, mich wieder frei zu machen und den sehnlichen Wunsch zu erfüllen, ein gebrochenes Leben nach der geliebten Heimath zurückzuflüchten.«

»Dies rettet sein Leben, das sonst meiner Rache verfallen war! Doch genug von jenen traurigen Tagen. Glauben Sie mir, Mademoiselle, wenn ich eine Ahnung davon gehabt, oder gewußt hätte, Sie aufzufinden, Nichts würde mich zurückgehalten haben, Sie aufzusuchen und zu beschützen, nachdem ich die Pflicht der Ehre gegen meinen väterlichen Freund auf den Wällen des Trastevere und in jenem unglücklichen Zuge durch die Apeninen erfüllt hatte. Ich danke Gott, daß ich Sie jetzt glücklich und zufrieden im Kreis der Ihren wieder gefunden.«

Ein leiser Seufzer antwortete ihm.

»Wie - Sie wären es nicht?«

»Ich habe nur das Grab meiner guten Mutter wiedergefunden und stehe allein in der Welt. Ich habe eine vorläufige Aufnahme in dem Hause eines alten Mannes in Serrières gefunden und verweile seit acht Tagen hier in diesem Schloß, dessen Concierge ein Verwandter meiner seeligen Mutter war. Gott wird mir in der Zukunft weiter helfen.«

»Und ich, bei meiner Ehre, will seine Hand sein, wenn Sie es mir gestatten. Jetzt, Mademoiselle, nachdem ich

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Alles weiß, sage ich Ihnen verdoppelten Dank für den Beistand, den Sie mir geleistet und frage Sie, giebt es ein Mittel, aus diesem Schloß zu entkommen?«

»Seit einer Viertelstunde bin ich bereit, Sie herauszuführen. Ich habe meiner Cousine geholfen, den Royalisten den Zugang zu erleichtern und meine Bitten und Thränen haben sie bewogen, mir dafür die Mittel zu geben, Sie zu retten. Diese Fallthür im Boden hat früher dazu gedient, Sachen aus den untern Räumen zu heben, ist aber längst nicht mehr benutzt und nur von unten zugänglich. Aber eilen Sie, Monsieur, denn ich fürchte, wir haben schon zu viel Zeit mit Ihrem freundlichen Interesse für meine unbedeutende Person verloren.«

Sie führte ihn zu der genau in die Dielen eingefügten Thür und stieg die angelehnte Leiter zuerst hinab. Er selbst schloß die Thür und schob die Riegel wieder vor.

In dem untern Geschoß, einem gleichfalls unbenutzten Raum, dessen Fenster aber bereits stark vergittert waren und deshalb keine Flucht zuließen, erwartete sie die Tochter des Kastellans. Elise hatte ihrer Verwandtin wenigstens genug gesagt über die Dankespflicht, die sie gegen den Kapitain hatte, um ihr erklärlich zu machen, weshalb sie so lange ausgeblieben sei, und Louison begnügte sich daher nur, das Paar zur Eile anzutreiben, da jede weitere Verzögerung die größte Gefahr bringen konnte.

Die beiden Mädchen hatten Vorsorge für die Flucht getroffen und einige Kleidungsstücke des Concierge mitgebracht, durch die sich der Kapitain verstellen konnte. Indem Louison voranging und ihre Cousine dem Flüchtling

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folgte, gelangten sie mit aller Vorsicht in den Garten und schlichen an der Mauer weg bis zu einer Stelle, an welcher dieselbe hinter dichtem Gebüsch vom Alter schadhaft und halb eingestürzt war.

»Hier, Monsieur,« sagte die muntere Louison, »müssen Sie hinüber und dies möglichst rasch, denn wenn Alexander oder einer der andern Royalisten, denen ich trotz meiner Beihilfe zu Ihrer Flucht von Herzen den Sieg wünsche, mich hier betrafen oder von unserm Thun die leiseste Ahnung erhielten, würde ich übel genug fahren und verlöre alle Aussichten auf meine Heirath. Also allons Monsieur und machen Sie sich so eilig und so weit davon, als möglich.«

»Aber wohin soll ich mich wenden - ich bin ganz unbekannt in dieser Gegend?«

»Ei, haben Sie denn keine Augen und sehen Sie nicht, daß Elise bereit ist, Sie zu führen?«

In der That bemerkte der Kapitain jetzt erst, daß die ehemalige Bonne ein kleines Bündel mit ihren Sachen unter'm Arm trug.

»Wir haben es so abgemacht,« fuhr die schelmische Louison fort, »denn wir können unser Werk doch nicht halb gethan und Sie im nächsten Augenblick wieder in die Hände Ihrer Gegner fallen lassen. Sie müssen wissen, Monsieur, daß hinter diesen sanften Taubenaugen, die mich mit wahren Thränenströmen zu diesem Verrath an unserer Sache gebracht, der Sinn und das Herz einer Löwin wohnt. Ich glaube, sie würde mich umgebracht haben, wenn ich nicht eingewilligt hätte, ihr beizustehen. Aber eine Liebe

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ist der andern werth, und so will ich denn sagen, daß sie sich vor all' dem Kriegslärmen gefürchtet hat und einstweilen nach Serrières auf und davon gelaufen ist, wenn irgend Jemand nach ihr fragen sollte, was aber nicht wahrscheinlich ist; und nun fort Kinder, oder ich rufe im Ernst die nächste Schildwach und gebe Euch selbst an.«

Die Bonne, deren Erröthen bei den Worten ihrer Cousine der freundliche Schleier der Dunkelheit bedeckt hatte, drückte ihr die Hand, dann half der Kapitain ihr über die Mauer und schwang sich mit leichter Mühe selbst hinauf. Sein an die Zufälle des Krieges gewöhnter scharfer Blick und aufmerksamer Geist hatte bereits erkannt, wie wichtig die Kenntniß dieses verborgenen Zugangs für seine Pläne werden konnte; denn sobald er frei war, hatte er auch schon darauf gesonnen, an denen, die ihn zum Gefangenen gemacht, seine Revange zu nehmen.

»Adieu, Mademoiselle und seien Sie bedankt für Ihren Beistand. Auf baldiges Wiedersehen!«

Er sprang auf der andern Seite von der Mauer, wo ihn seine besorgte Begleiterin erwartete, während ihre Cousine leichtfüßig zu dem Schloß zurückeilte und sich bald darauf mit gut geheucheltem Erstaunen der allgemeinen Verwunderung über die Flucht des Gefangenen anschloß.


Der Morgen dämmerte bereits, als das Paar seinen Weg durch die Weingärten nach den Bergen zu fortsetzte. Elise, noch aus ihrer Kindheit mit dem Terrain genau bekannt, machte die Führerin und leitete ihn auf den

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verborgensten Fußsteigen, um nicht etwaigen Posten der Royalisten in die Hände zu fallen.

Sie traten eben aus einem Weinbergsgehäge hinaus und mußten, um in ein neues zu kommen, den Fahrweg überschreiten, als das Mädchen, das vorausging, mit einem Schrei zurückfuhr.

Der Kapitain war sogleich an ihrer Seite, da er glaubte, daß ihr eine Gefahr drohe, aber er sah Nichts, bis sie bleich und zitternd auf einen dunklen Gegenstand deutete, der einige Schritte weiter mitten im Wege lag.

Es war ein menschlicher Körper, der nur halb bekleidete Körper einer Frau, die auf dem Gesicht in einer Blutlache lag.

Der Offizier, durch sein Leben abgestumpft für solche Schrecken, ging Vorsichtig näher und wandte den Körper um.

»Parbleu,« sagte er kaltblütig - »es ist das Weib, dem ich vor zwei Stunden aus dem Fenster half, um die Stadt in Allarm zu bringen!«

»Frau Bessert!«

»Ich glaube, so heißt sie. Sie muß auf der Flucht von einem Posten erschossen worden sein, denn die Kugel ist durch den Rücken eingedrungen.«

»Die Unglückliche - sie hat Kinder!«

»Desto schlimmer für den Mann - sie war ein resolutes Weib und auf der Stelle bereit, als ich, durch das Geschwätz Ihrer hübschen Cousine auf ihren Royalistenhaß aufmerksam gemacht, in dem Corridor zurückblieb und sie zu Hilfe rief. - Kommen Sie, Elise, damit der Anblick

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Sie nicht weiter erschreckt. Bei Krieg und Ueberfall geht es nicht anders, aber der Vorfall wird ein treffliches Hilfsmittel abgeben, um die Republikaner gegen die Königlichen in Allarm zu bringen.«

»Das wird er, Monsieur,« sagte eine fremde männliche Stimme. »Ueberlassen Sie die Sache nur mir!«

Der Kapitain war schützend vor seine Führerin gesprungen. Er hatte auf dem Wege durch die Weinberge einen der kräftigen Stöcke ausgerissen, die zum Aufbinden der Reben dienen, und schwang ihn jetzt als Waffe.

»Wer da?«

»Vive la Suisse!« sagte der Fremde, der aus dem Gehäge hervortrat, wohin er sich bei dem Nahen der Schritte zurückgezogen. Er war nur mit Hemd und Beinkleidern und leichten Schuhen angethan und zeigte in seinem Aeußern die Spuren einer hastigen Flucht. »Ich habe aus Ihren Worten gehört, daß wir Parteigenossen sind und ich Ihnen vertrauen kann,« fuhr er fort, »und so - denk' ich - werden wir besser thun, unsern Weg gemeinschaftlich fortzusetzen, wenn er dasselbe Ziel hat, wie ich vermuthe.«

»Wer sind Sie?«

»Mademoiselle kann Ihnen sagen, daß ich der Präfect Matthey von Neuchâtel bin, und ich denke, mein Namen ist genügend bekannt als Gegner der Anhänger der königlichen Tyrannei, um jedem Freunde der republikanischen Freiheit Vertrauen einzustoßen.«

»Wenn Sie Monsieur Matthey sind, so kann ich mir keine bessere Begegnung wünschen. Ich bin der Kapitain

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Laforgne, Adjutant des General Garibaldi und wegen einer Privatangelegenheit zufällig in Neuchâtel anwesend, wo ich Gefangener der Royalisten und durch diese Dame befreit wurde. Ich wünsche Nichts sehnlicher, als mich einem Kampf gegen dieselben anzuschließen und hoffe, Ihnen durch meine militärischen Erfahrungen nützlich sein zu können.«

»Dann lassen Sie uns eilig vorwärts gehen, wir sind hier noch zu sehr gefährdet und können uns unterwegs leicht verständigen.«

Der junge Offizier fühlte das Verständige des Rathes und alle Drei schritten eilig weiter, denn François bestand mit eifrigen Bitten darauf, daß ihm das Mädchen folgen müsse, als sie jetzt - ihn in den Händen eines bessern Führers wissend, - allein zurückkehren wollte.

»Das Schicksal hat uns zu wunderbar zusammengeführt,« sagte der junge Mann, »als daß ich Sie eher verlassen sollte, als ich Sie in vollkommener Sicherheit weiß. Noch habe ich nicht das Recht dazu, Ihr Geschick an das meine zu knüpfen, aber ich hoffe, es mir zu erwerben, und die bevorstehenden Ereignisse hier sind zu ernster Natur, als daß ich Sie auf das Ungewisse dem Zufall oder gar der Gefahr eines Unglücks aussetzen dürfte, wie das, was jene Frau betroffen. Nur wenn ich Sie vor den Wechselfällen des Kampfes, der nothwendiger Weise erfolgen muß, gesichert weiß, werde ich zugeben, daß Sie mich vorläufig verlassen.«

Die Wangen des Mädchens brannten in dunklem Roth, und ihre Brust hob sich tief bewegt, als der Abentheurer diese leidenschaftlichen Worte mit einem warmen,

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seine Gefühle verrathenden Händedruck begleitete, aber sie erwiderte Nichts, um ihre eigenen nicht preiszugeben.

Die Verständigung der beiden Männer über das, was geschehen müsse, war rasch erfolgt. Beide waren von dem brennenden Verlangen beseelt, den Sieg der royalistischen Ueberrumpelung durch einen Gegenschlag zu vernichten.

»Es wird Alles darauf ankommen,« sagte der Präfect, »welchen Erfolg der Aufstand in den Bergen gehabt hat, und welche Stellung die Indépendants zu der verrätherischen Erhebung nehmen werden. Sie sind zwar in diesem Augenblick unsere Gegner wegen des Streits um die Eisenbahn, aber die gemeinschaftliche Gefahr der Republik muß alle andern Rücksichten schwinden lassen, und Oberst Denzler, so sehr ich ihn sonst hasse, ist der Mann zu raschen und kräftigen Schritten. Meiner Montagnards in Chaux de Fonds und Locle bin ich sicher, sie werden nicht ruhig zugesehen haben. Es gilt jetzt vor Allem, unsere Freunde in den Bergen zu sammeln und die Pässe von Valengin zu besetzen, um jede Verbindung der Royalisten zu unterbrechen. Dies übernehme ich. Sie, Herr Kapitain, müssen den Obersten aufsuchen, und ihn bewegen, sich uns anzuschließen. Die Cantontruppen, die zur Uebung in Colombier versammelt waren, sind noch nicht alle zerstreut und leicht wieder zusammen zu bringen, und wenn auch, wie Sie erlauscht haben, ein Theil zu Verräthern geworden und zu den Empörern übergegangen ist, so werden noch genug zur Fahne der Freiheit halten, um mit den Montagnards gemeinschaftlich dem Aufstand die Spitze zu bieten, bis Hilfe von der Tagsatzung kommt.«

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»Ich bin zu Allem bereit,« erklärte der Offizier, »aber ich halte für das Dringendste, daß die Anzeige des Geschehenen sofort nach Bern gemacht wird. Ich muß Ihnen sagen, daß ich einer Person von Wichtigkeit dies sofort zu thun versprochen habe.«

Der Präfect sann einige Augenblicke nach. »Die gewöhnlichen Mittel des Verkehrs werden offenbar von den Royalisten abgesperrt sein,« sagte er nach einem kurzen Bedenken. »Aber ich habe an meinem Weinberg jenseits Serrières ein Boot liegen und den Schlüssel dazu zufällig in der Tasche meiner Beinkleider. Es wird allerdings gut sein, wenn wir Jemand, der unverdächtig ist, finden können, der eine Nachricht dahin bringt, denn in der Nachbarschaft traue ich den Leuten nicht.«

Er blickte mit offenbarer Bedeutung das Mädchen an.

»Wenn die Nachricht zeitig genug in Bern eintrifft,« frug die Bonne, »ist es dadurch möglich, daß das Blutvergießen gehindert wird?«

»Gewiß - die Regierung würde sofort Commissaire und so zahlreiche Truppen hierher senden, daß die Empörer sich ergeben müssen.«

Das Mädchen wandte ihre Augen auf den Offizier. »Dann vertrauen Sie mir Ihre Botschaft an - ich will es versuchen!«

»Um des Himmels willen, Sie, Elise? Es ist unmöglich - ich werde es nie gestatten!«

»Lassen Sie die Mademoiselle immerhin gehen,« sagte der Präfect. »Es ist das Beste, was geschehn kann und sie läuft weniger Gefahr auf der Fahrt, als vielleicht hier.

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In Bern ist sie ganz sicher und leistet uns mit ihrem Muth einen zweiten großen Dienst. Der See ist ruhig und die Fahrt unbedenklich. Der Wächter in meinem Berg ist ein zuverlässiger Bursche und wenn er den Schlüssel in Ihren Händen sieht, wird er keinen Anstand nehmen, meinen Auftrag, Sie über den See zu rudern, ohne weitere Beglaubigung als richtig zu erkennen und Sie in anderthalb Stunden über den See schaffen. Von Cudresin lassen Sie sich eiligst mit Gefahr nach Murten bringen und senden von dort mit dem Telegraphen die Nachricht nach Bern voraus. Sind Sie mit Geld versehen?«

Die Bonne verneinte erröthend.

»Wenn es denn sein muß, und Sie haben recht, Mademoiselle wird am andern Ufer sicherer sein, wie hier, - so kann ich aushelfen. Hier ist meine Börse, die man mir mit meinem Taschenbuch gelassen hat.«

»Das ist Alles, was wir brauchen. Setzen Sie sich auf jenen Stein Monsieur, und schreiben Sie Ihre Depesche, indeß ich aufpasse, daß uns Niemand überrascht. Sie kennen meinen Weinberg, Mademoiselle?«

»Ich werde fragen!«

»Das ist unnöthig und könnte Verdacht erregen. Er liegt an dem zweiten Querweg nach dem See, rechts die letzte Pforte. Das Passen des Schlüssels wird Ihnen die beste Probe sein. Der Wächter heißt Blenard. Sind Sie fertig, Kapitain?«

François hatte rasch einige Zeilen in spanischer Sprache, die hier schwerlich Jemand verstand, auf ein Blatt seiner Schreibtafel geschrieben, riß es heraus und

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überschrieb es an die Adresse, die ihm Mazzini am Tage vorher gegeben. Er vergaß nicht, beizufügen, daß der Agitator das Mädchen bis auf Weiteres unter seinen Schutz nehmen solle. Der Präfect schrieb hierauf eine ähnliche Anzeige und es wurde bestimmt, daß Elise die letztere mit dem Telegraphen absenden sollte.

Nachdem Alles besprochen worden, und der Kapitain das Mädchen gebeten hatte, in Bern zu verweilen, bis er selbst erscheine oder ihr Nachricht sende, und nachdem er sie auf das Angelegentlichste beschworen, ja jede Gefahr zu meiden, trennten sich die Drei. Der Präfect zeigte dem Kapitain einen Fußweg, der ihn in einer halben Stunde zu einem Hause führen sollte, dessen Besitzer zu den Republikanern gehörte und ihm gewiß die Mittel verschaffen werde, den Oberst Denzler aufzufinden. Er selbst machte sich auf den Weg nach dem Val de Ruz.

Die ersten Strahlen der Sonne glühten über die mächtigen Spitzen der Alpen und vergoldeten die Schneegipfel des Montblanc, als der Kapitain von der Höhe des Weges der zwischen den Mauern und Gehegen verschwindenden Gestalt des Mädchens nachschaute, wie sie rasch zum Ufer des Sees hinunter stieg. Fast bedauerte er schon, daß er in die Uebernahme des Auftrags eingewilligt hatte, aber der Gedanke an die blutigen Scenen, die vielleicht bald das friedliche Ländchen in Schrecken und Angst setzen würden und denen er sie damit entzogen, beruhigte ihn wiederum.

Noch einmal, an der Ecke des Weges, wandte sie sich um - ihr Tuch flatterte zum Lebewohl in der

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Morgenluft, - dann war sie hinter der Ecke einer Mauer verschwunden.

Er wußte, wo er sie wieder finden würde und gelobte sich, daß Nichts ihn daran hindern solle, denn er fühlte, wie theuer sie ihm in den wenigen Stunden geworden. Mit diesem Entschluß, der seine Thatkraft und seinen Eifer spornte, eilte er jetzt rasch auf dem bezeichneten Pfade weiter.



Der Haupttrupp der Royalisten, der sich in La Sagne gesammelt, hatte sich unter dem Oberbefehl des Leiters des ganzen Aufstandes, des Obersten Pourtalès nach 2 Uhr gegen Locle in Marsch gesetzt und traf hier mit den dortigen Geschwornen zusammen. Der Präfect von Locle und der Gerichtspräsident wurden gefangen genommen und die Königliche Regierung proclamirt. Der Graf Petitpierre Wesdehlen wurde zum Präsidenten, Mathey Doret zum Commissair der provisorischen Regierung ernannt.

Aber man konnte nicht verhindern, daß schon bei dem ersten Allarm Flüchtige die Nachricht sofort weiter in die Berge trugen, und anstatt sofort mit aller Macht gegen Chaux de Fonds, den gefährlichsten Ort des Ländchens, vorzurücken und die Vereinigung der Montagnards mit Gewalt zu verhindern, hielt man sich auf dem Wege dahin unnütz mehre Stunden auf.

In Chaux de Fonds traf die Nachricht von der Erhebung der Royalisten und ihrem Anrücken nach Locle schon des Morgens bald nach 3 Uhr ein. Sofort wurde

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Sturm geläutet, Boten wurden in die Umgegend gesandt und alle waffenfähigen Männer mit ihren Stutzen und Büchsen aufgeboten. Der Hauptmann Ami Girard, ein Mann voll Energie und republikanischem Fanatismus stellte sich an die Spitze der Gegenbewegung, sammelte und ordnete die republikanischen Milizen und rückte mit zwei kleinen Geschützen schon gegen 7 Uhr den Royalisten entgegen.

Statt zu überraschen, wurden so diese selbst überrascht. Von allen Seiten strömten die Montagnards herbei und vermehrten die Streitkräfte der Republikaner von Chaux de Fonds, während die nicht zum Aufstand gehörigen Königlich-Gesinnten scheu und zaghaft erst den Verlauf der Dinge abwarten wollten, ehe sie offen für ihre Sache auftreten mochten.

Gegen 10 Uhr stießen die beiden Schaaren auf einander und es entspann sich ein Gefecht, in dem die Royalisten zwar tapfern Widerstand leisteten, aber bald der Uebermacht weichen mußten. Vergeblich boten der tapfere Oberst und Hauptmann Reiff ihre militärischen Kenntnisse und alle persönliche Hingebung auf und waren stets, wo die Gefahr am dringendsten - ihre Mannschaft war zu ungeübt in der militärischen Taktik, um die Ueberzahl ausgleichen zu können. Die Republikaner von Locle vereinigten sich bald mit der Girard'schen Schaar, die preußische Fahne wurde auf's Neue abgerissen und durch die eidgenössischen Farben ersetzt und die Königlichen mußten Locle räumen.

Von einem Kolbenschlag getödtet fiel einer der edlen

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Brüder Houriet von Locle, Henri; die Royalisten hatten nach zweistündigem Kampf fünfzehn Todte und an dreißig Verwundete und als der Oberst die Nachricht erhielt, daß der Paß von Valengin durch Matthey und seine Anhänger stark besetzt war und Oberst Denzler sich gegen die Royalisten erklärt habe und die Milizen der Kantons sammle, mußte er jede Hoffnung aufgeben, sich selbst an den Orten, welche sich bereits offen für die Königliche Herrschaft ausgesprochen hatten, halten zu können, und zog sich fechtend und von den Montagnards hart verfolgt gegen den See und die Stadt zurück.

In Neuchâtel fehlten unterdeß der Besatzung des Schlosses noch alle sichern Nachrichten über den Ausfall der Erhebung in den Bergen und die Stadt verhielt sich ruhig und zeigte ihre Theilnahme an der Königlichen Sache nur durch die reiche Verproviantirung der Burg.

Oberstlieutenant von Meuron hatte indeß Nichts unterlassen, die letztere in den möglichsten Vertheidigungsstand zu setzen. Die Barrikade quer über den Aufgang zu dem Schloß wurde verstärkt, die Kanonen mit Kartätschen wurden geladen, und die Rundmauer des Gartens mit zahlreichen Posten besetzt, um jeden Ueberfall zu verhüten.

Unterdeß war die Nachricht von dem Aufstand in Murten und durch den Telegraphen alsbald in Bern, dem Vorort der eidgenössischen Regierung, eingetroffen und hatte dort natürlich den größten Allarm erregt.

Es wurden sofort zwei Mitglieder der Regierung, die Bundesräthe Frey, der die Funktionen als Kriegsminister versah, und Fornerod als Kommissaire nach Neuchâtel

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abgesandt und trafen mit dem Dampfschiff Nachmittags um 5 Uhr daselbst ein. Da die Royalisten nur das Schloß besetzt hielten, widersetzte sich Niemand ihrer Landung und sie traten sofort mit dem Kommandeur der Burg in Unterhandlung und forderten deren Uebergabe und die Niederlegung der Waffen.

Nach einem kurzen Kriegsrath der Royalisten wurde Beides verweigert. Zugleich hatte die eidgenössische Regierung Ordre gegeben, daß die beiden berner Bataillone von Buren und Nicklas, ein Bataillon Solothurner, eine Compagnie Artillerie und eine Compagnie Scharfschützen nach Neuchâtel aufbrechen sollten. Diese Truppen konnten die Stadt aber nicht vor dem nächsten Tage erreichen.

So weit wäre Alles dem Plan des Anführers der Erhebung gemäß gegangen; aber Graf Pourtalès hatte sich, wie bereits erwähnt, in einer Hinsicht schwer verrechnet, in Betreff der Neutralität der Indépendants. Der rasche Entschluß und die Thätigkeit des Obersten Denzler, sobald Kapitain Laforgne bei ihm angelangt war und ihn von dem Geschehenen in Kenntniß gesetzt hatte, nahm jede Aussicht, das Schloß zu halten, bis die eidgenössischen Truppen selbst die Belagerung übernommen hätten.

Gedrängt von den Montagnards schlug sich Graf Pourtalès durch die Vortruppen des an 1500 Mann starken Denzler'schen Corps nach Neuenburg durch und zog mit etwa 3-400 Mann in das Schloß ein. Die Montagnards unter Hauptmann Girard folgten ihm auf dem Fuß und drangen in die Stadt ein, während die

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Indépendants langsamer sich näherten und zunächst die Umgegend besetzten.

Unter den Republikanern Girards befand sich fast kein einziger geborner Neuenburger, es waren durchgängig schweizer Eingewanderte und fremde Demokraten.

Bereits im Peseux hatten sie einen Mann, der im Verdacht royalistischer Gesinnung stand, Roulet mit Namen, auf das Schändlichste ermordet. Sofort nachdem sie in die Stadt eingerückt, wurden die empörendsten Grausamkeiten und Excesse begangen. Der Pöbel, der in keiner Stadt, selbst in der kleinsten nicht fehlt, schloß sich ihnen, an und ein Haufe zog zunächst vor das Haus des Pastor Guillebert mit der Drohung, ihn aufzuhängen.

Aber der ehrwürdige Greis war nicht der Mann, in der Stunde der Gefahr die Ueberzeugungen seines Lebens und den stets bewiesenen Muth zu verleugnen. Als der Haufen vor seiner Thür lärmte und die blutdürstigsten Drohungen ausstieß, öffnete sich jene plötzlich und die hohe Gestalt des Geistlichen mit den weißen Locken erschien auf der Schwelle derselben.

Eine augenblickliche Stille des Erstaunens trat ein und weithin vernahm man die ruhige feste Sprache des Greises.

»Meine Brüder,« sagte er - »wenn Ihr mein Leben haben müßt, hier ist es. Ich vergebe Euch im Voraus, was Ihr thut, aber keine Furcht des Todes soll mich bewegen, meinem himmlischen Gott und meinem irdischen König, dem ich Treue geschworen, ungetreu zu werden!« und er erhob die Arme und richtete seinen Blick empor zu

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dem Sternenhimmel, wie ein Märtyrer, der den Todesstreich mit seiner Brust erwartet.

Ein dumpfes Gemurmel lief durch die einige Schritte zurückgewichene Menge, aber ein brutaler Kerl von kurzer vierschrötiger Gestalt und pockennarbigem Gesicht mit rothem Bart, ein deutscher Flüchtling aus dem Jahr Achtundvierzig, der in einer Buchdruckerei Unterkommen gefunden, hob die Muskete, die er trug und schlug sie auf den Greis an.

»Es geschieht der Welt nur ein Dienst, wenn man sie von Einem der verdammten Pfaffenbrut befreit!«

Aber ehe er Unheil anstiften konnte, wurde ihm von einer kräftigen Faust die Muskete aus der Hand gerissen und er erhielt einen solchen Kolbenstoß in's Genick, daß er in die Knie sank.

»Schämst Du Dich nicht, Schurke, daß Du es wagst, unsere gute Sache mit dem Mord eines alten unbewaffneten Mannes zu entehren? Wage es Einer, ihm ein Haar zu krümmen, und ich schlage ihm den Schädel ein!«

Es war Kapitain Laforgne, der so rechtzeitig dazwischen gekommen. Der junge Offizier war von Oberst Denzler mit der Führung einer vorgeschobenen Abtheilung der Indépendants beauftragt worden und kurz vorher mit dieser in der Stadt angekommen. Er stellte sich vor den Prediger, den Säbel in der Faust, und die Besseren unter seinen Leuten und viele der anwesenden Bürger sammelten sich um ihn.

Der Greis verneigte sich gegen ihn. »Ich danke Ihnen, mein Herr, nicht für die Erhaltung des kurzen

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Restes meines Lebens, das ich jeden Augenblick bereit bin, meinen Mitmenschen zu opfern, wenn es den geringsten Nutzen für sie haben kann, aber dafür, daß Sie Jenen eine That ersparten, über die sie sich vielleicht einst schweren Vorwurf gemacht haben würden, wenn sie zur ewigen Rechenschaft gehen. Um deswillen stelle ich mich unter Ihren Schutz!«

Der Rothe, den die Hand des Kapitains zu Boden geschlagen, hatte sich wieder emporgerafft und erging sich in Schmähungen und Drohungen, aber obschon er Gesinnungsgenossen genug in der Bande hatte, schreckte sie doch das entschlossene Ansehen François zurück und das Gesindel zog ab, um an einer andern Stelle sein Müthchen zu kühlen.

Pastor Guillebert erhielt eine Wache in seinem Haus, die jedoch mehr zu seiner Sicherheit, als zu seiner Gefangenhaltung diente.

Das Nächste war, daß die Montagnards das Haus des Buchdruckers Wolffarth[Wolfrath] plünderten und es gänzlich demolirten.

Der muthige Drucker und Verleger des royalistischen Blattes verlor sein ganzes Eigenthum.

Eine große Anzahl Royalisten in der Stadt wurden gefangen gesetzt, die Häuser Derer, welche die Besatzung des Schlosses mit Lebensmitteln versehen, wurden der Plünderung preisgegeben und zahlreiche Personen wurden auf das Brutalste mißhandelt.

Wir haben bereits mitgetheilt, daß die erste Aufforderung der beiden eidgenössischen Commissäre, die gefangenen

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Staatsräthe frei zu geben und das Schloß zu überliefern, von dem Oberstlieutenant von Meuron und seiner Schaar sofort zurückgewiesen worden war.

Die Nacht war unterdeß eingetreten und mit dem Einrücken der Sagnards unter Graf Pourtalès war die Lage eine ganz andere geworden. Außer der Nachricht von dem gänzlichen Mißlingen des Aufstands in den Bergen brachte er die Gewißheit mit, daß die Indépendants sich gegen sie erklärt hätten und mit Uebermacht im Anzuge begriffen wären.

Man wußte, daß unter diesen Umständen man sich kaum bis zum andern Morgen werde halten können, denn einem Angriff von verschiedenen Seiten und mit Geschütz konnte das Schloß unmöglich lange widerstehen.

In diesem Augenblick erschienen die beiden Waibel der Stadt Neuchâtel in ihren rothen Amtsgewändern nochmals im Auftrag der Bundeskommissare vor der Barrikade des Schloßwegs mit Friedensvorschlägen.

Sie wurden über die Barrikade eingelassen, die sie - wie auch alle andern Zugänge stark besetzt fanden. Eine Anzahl Montagnards war ihnen gefolgt und hielt sich vor der Barrikade, der man jedoch sich nicht weiter zu nähern wagte der drohenden Mündungen der wohlbewachten Geschütze wegen.

Aber man benutzte die Gelegenheit, sich von der Stellung der Royalisten und ihren Vertheidigungsanstalten möglichst genau zu unterrichten, bis die Offiziere derselben erklärten, daß auf Jeden, der sich ohne Berechtigung den Posten nähere, sofort gefeuert werden würde.

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In dem Saal des großen Raths waren, wie am Morgen, jetzt die Führer der Royalisten versammelt, um über die nochmalige Botschaft der Bundescommissarien zu berathen. Die Debatte war ziemlich stürmischer Natur, obschon die von den Waibeln überbrachte Nachricht, daß das Denzlersche Corps bereits zum Theil angelangt sei und das Schloß nach Süden, Westen und Norden cernirt habe, während die Stadt im Besitz der Montagnards sich befand, auch die letzten Hoffnungen niederschlug.

Zuletzt, wie vorauszusehen war, siegte die ruhigere Ueberlegung. Die Uebergabe wurde beschlossen, und es handelte sich nur noch um die Bedingungen. Die zuerst gestellte Forderung eines freien Abzugs mit den Waffen und einer unbedingten Amnestie für alle an dem Aufstand Betheiligten konnte von den Commissarien, so bereit sie auch dazu waren, aus Furcht vor dem Terrorismus der Rothen nicht zugestanden werden; die mit der Unterhandlung beauftragten Waibel überschritten wiederholt die Barriere, um die Botschaften hin und wieder zu tragen.

In den Straßen um die Burg und am Ufer des Sees campirten die Montagnards. Aus den nächsten Häusern war mit Gewalt genommen worden, was man zu dem Bivouac brauchte, Getränk und Lebensmittel waren überall zur Disposition und der wilde Jubel der Republikaner drang bis hinauf zu den Höfen des Schlosses.

Hier fand er sein verderbliches Echo.

Otto von Röbel hatte eben nochmals die Runde durch den Garten gemacht und die ausgestellten Posten

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revidirt, als er in den mittleren Hofraum trat, aus dem rechts die Thür zu den Staatsgemächern führt.

Auf den Quadern in der Mitte des Hofes brannte ein großes Feuer, zwei der am Tage gelieferten Weintonnen waren so eben angezapft und die zahlreich hier versammelten Mannschaften der Royalisten hatten ein wildes Zechgelag begonnen, das den aus der Stadt heraufschallenden Lärmen der Montagnards mit übermüthigen Trinksprüchen auf die Zukunft, mit Schmähungen der Republik und Hochs auf den König beantwortete. Die Sagnards, die mit dem Grafen eingezogen waren, erzählten Wunderdinge von den vollbrachten Heldenthaten und das Ganze hatte weit mehr das Aussehen der ausschweifenden Feier eines Sieges, als das einer eingeschlossenen, auf's Aeußerste bedrängten Truppe.

Der junge Preuße sah mit Erstaunen auf diese Veränderung. Vor kaum einer halben Stunde, als er diesen Hof verlassen, war Alles in einer düstern verzweifelten Stimmung. Man machte die Waffen zum Gefecht bereit, nicht mit dem ruhigen besonnenen Muth, der den Ausgang des Kampfes von sich selbst erwartet, sondern mit der Niedergeschlagenheit, die an jedem Erfolg verzweifelt, oder dem Trotz und Haß, der wenigstens das Leben so theuer als möglich verkaufen will.

Eben trat der jüngere Meuron von der andern Seite her in den Hof, ging zu einem der Fässer und nahm einen gefüllten Becher.

»Der Cortillon ist zu gut, als daß wir einen Tropfen übrig lassen dürfen, die Kehlen dieser Schufte von Chaux

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de Fonds morgen Vormittag auszuspülen! Auf das Wohl des Königs, so lange wir es noch rufen dürfen, ohne vor den Maire citirt zu werden!«

Die Menge umher that ihm jubelnd Bescheid - Otto von Röbel faßte seinen Arm.

»Was thust Du? Du ermunterst diese Leute noch zum Trinken, während sie aller Wachsamkeit auf ihren Posten bedürfen werden!«

»Bah - sie sind überflüssig, Du kannst sie einziehen und sie mögen helfen, den Cortillon zu leeren, damit für die Montagnards Nichts übrig bleibt.«

»Wie soll ich das verstehn?«

»Du weißt, daß die Kommissare Fornerod und Frey neue Unterhandlungen angeknüpft haben!«

»Ich habe den äußern Posten übernommen, um Nichts damit zu thun zu haben; was ist der Erfolg!«

»Der Handel ist so eben abgeschlossen worden - die Waibel werden sogleich mit der Unterzeichnung des Vertrages das Schloß verlassen! Morgen früh um 10 Uhr wird es den eidgenössischen Commissaren und Oberst Denzler übergeben.«

»Und die Bedingungen?«

»Man hat uns zugestanden, daß wir ungehindert das Schloß verlassen und uns zurückziehen dürfen, wohin es uns gefällt, doch müssen alle Waffen zurückgelassen werden. Das Weitere soll vor dem Großen Rath verhandelt werden Ich denke, man wird mit einigen Geldbußen der Wohlhabenderen zufrieden sein.«

Das Gesicht des Preußen hatte sich mit einer dunklen

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Röthe überzogen. »Wie, eine vollständige Entwaffnung, ein Abzug ohne Waffen, bevor noch ein Schlag geschehen? Nimmermehr!«

»Es ist ein nichtswürdiger Ausgang, aber es ist Nichts zu machen! Hätten wir nur ein Bataillon unserer Berliner Garden hier, wir wollten das Gesindel in die Berge zurückfegen, daß ihnen das Wiederkommen vergehen sollte; aber wir haben kaum dreißig Mann unter uns, die militärisch geschult sind. So traurig es ist, aber die schwarz-weiße Fahne muß morgen wieder von der Zinne des Schlosses!«

»Nicht, so lange ich sie vertheidigen kann. Hat man sie leichtsinnig hier aufgepflanzt, ohne der Mittel sicher zu sein, sie aufrecht zu erhalten, so soll doch ihre Ehre nicht verletzt werden und keine freche Hand sich an sie legen, ohne daß preußisches Blut sie getränkt hat!«

»Was willst Du thun?«

»Das wirst Du sehn! Thut, was Ihr für Eure Pflicht und die Nothwendigkeit haltet, ich thue die meine und werde die Folgen tragen. Uebernimm die Ablösung der Posten; von dem Augenblick der Unterzeichnung des Vertrages an halte ich mich der Verpflichtung gegen den Kommandanten ledig.«

Meuron reichte ihm die Hand. »Du wirst mich an Deiner Seite finden, denn ich war es, der Dich zu unserm Unternehmen geworben!«

»Nicht Du - sondern der Schwur, den ich als Knabe an der Leiche meines Bruders gethan. Deine Pflicht ist hier - die Sorge für diese Männer, die eine

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politische Intrigue ihr Leben und das Wohl und Wehe ihrer Familien nutzlos an eine falsche Berechnung setzen ließ. - Mein Posten aber ist an der Fahne von Preußen! So lange ich lebe, soll keine andere Hand sie berühren, als die meine! In den Zeiten der Väter thaten die Söhne unserer Geschlechter ihre Fahnenwacht, ehe sie den Ritterschlag erhielten, - so laß dies die Fahnenwacht eines Röbel sein, und wenn ich falle, ohne sie zu retten, so gebt dem Preußen ein Grab in der Erde seines Königs!«

Der Freund umfaßte ihn, sein Herz war so voll, er vermochte kein Wort der Abmahnung zu sagen, und er drückte ihn schweigend an seine Brust.

Dann untersuchte am Scheine des Feuers, um das sich die zechende Gesellschaft gruppirt, der junge Preuße seine Pistolen, setzte frische Zündhütchen auf, rückte den Griff seines Hirschfängers handgerechter und schritt die Stufen der Treppe hinauf, die zu dem Thurm des Schlosses führte, von dessen Söller die schwarz-weiße Fahne den Republikanern zum Trotz ihre Falten hinaus in die Nacht warf. -

Schweigend sah ihm der Neuenburger nach - fühlte er doch im Grunde seines Herzens tief - wie leichtfertig man mit dem edlen Banner gespielt!



Der größte Theil der Nacht war unter den Unterhandlungen vergangen; nachdem dieselben beendet und die Uebergabe des Schlosses von den Royalisten unterzeichnet

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und somit der Waffenstillstand eingegangen war, hielt Jedermann die Sache für beendet und Niemand dachte an eine Gefahr.

Die äußern Posten wurden eingezogen, die Feindseligkeiten waren ja eingestellt und selbst an der wichtigsten Stelle, an der Barrikade auf dem Hohlweg zum Schloß blieb nur eine einzelne Schildwache mehr zur Beobachtung der Form, als zu einem militärischen Zweck zurück, und auch diese Vorsicht wäre noch kaum geübt worden, wenn der Mann nicht selbst freiwillig den Posten übernommen hätte.

Es war der alte gediente Artillerist, der bei dem Anmarsch zur Stadt der Nebenmann des Kapitain Laforgne gewesen war.

Die andern Mitglieder der Royalistenschaar brachten, wie wir bereits erwähnt haben, die Nacht größtentheils in Gelagen zu, mit denen sie sich über das Mißlingen ihres Unternehmens zu betäuben suchten. Die Führer konnten und mochten nicht dagegen einschreiten - der schlimme Erfolg hatte ohnehin ihre Autorität erschüttert. -


Es war etwa ein Uhr nach Mitternacht, als zwei Männer, der eine in seinen Uniformmantel, der andere in einen Plaid gehüllt, den südwestlichen Weg erstiegen, von dessen Höhe man den Schloßgarten und die Burg übersehen konnte.

Auf dem höchsten Punkt angelangt, blieben sie stehen, auf dem Quai waren die Wachfeuer der Montagnards im Verlöschen; dagegen sah man noch mehrere gleiche Feuer auf den Höhen und in den Wegen um die

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Süd-Westseite des Schlosses in weitem Halbkreis frisch auflodern.

»Das sind die Indépendants des Obersten,« sagte der Mann im Militairmantel. »Der Vortrab hat den Cordon um die Burg geschlossen, bei guter Zeit werden sie Alle zur Stelle sein und uns an der Nase vorbei mit Sang und Klang in das Royalisten-Nest einziehen, als wären sie es gewesen, die den schändlichen Aufruhr verhindert und die Republik gerettet hätten. Ja, verdammt, ich möchte darauf schwören, daß wir sie noch Arm in Arm mit dem hochnäsigen Adelspack und der Bourgeoisie sich breit machen und den wahren Demokraten jeden Vortheil unter irgend einem Vorwand zu Wasser machen sehen.«

»Das darf nicht geschehen. Ihnen, Hauptmann, und Ihren wackern Montagnards gebührt die Ehre und das Recht des Sieges!«

»Bah - das ist leicht gesagt! Aber was können wir thun? Die Commissaire haben sich die Entscheidung angemaßt, die eidgenössischen Truppen werden spätestens morgen hier eintreffen und bis dahin sind die Indépendants stärker als wir und halten zu den Commissairen.«

»Sie müssen demnach wider Willen fortgerissen werden!«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Hören Sie mich an, Herr Kamerad. Die Montagnards müssen sich noch in dieser Nacht des Schlosses mittels eines Handstreichs bemächtigen!«

»Aber der Vertrag?«

»Zum Henker mit dem Vertrage, was kümmert er

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Sie? Er ist von den Federfuchsern geschlossen worden, ohne Sie zu fragen. Zerreißen Sie ihn mit dem Degen. Sie waren im Quartier der Kommissaire, ist die diesseitige Unterschrift des Vertrages bereits nach dem Schloß gebracht?«

»Nein. Die Waibel haben Befehl, da es schon zu spät war und Alles einiger Stunden Ruhe bedürfte, um 5 Uhr ihn zurückzubringen!«

»Gut! Das ist die beste Zeit für einen Ueberfall. Wo befindet sich der Oberst Denzler?«

»Bei seinen Leuten - in irgend einem der Häuser ihrer Stellung.«

»Er darf von Ihrem Plan Nichts wissen - erst im Augenblick der Ausführung müssen die Indépendants allarmirt werden mit der Nachricht, daß die Royalisten selbst den Waffenstillstand gebrochen haben und auf die Unsern feuern. Das wird sie fortreißen und sie mögen das Schloß von ihrer Seite angreifen, indeß wir das Thor stürmen. Ist die Sache erst im Gange, dann kann ihr kein Einhalt mehr geboten werden und Sie werden im Handumdrehen im Besitz der Burg sein!«

»Die Sache ist gut ausgedacht und kann gelingen. Aber ich darf mich nicht zu sehr compromittiren. Meine Leute sind zwar Alle auf's Höchste erbittert über den Vertrag, aber ich habe keinen darunter, dem ich die Führung des Handstreichs anvertrauen könnte!«

»Ich selbst werde sie übernehmen. Ich habe eine Scharte da drinnen auszuwetzen und werde es thun, indem ich jene Fahne von dem Thurm reiße und in den Staub

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trete. Erst dann bin ich wieder ruhig und ich selbst. Bereiten Sie jetzt Ihre Leute vor, Hauptmann, aber ziehen Sie nur die zuverlässigsten in's Vertrauen. Für die Uebrigen ist es Zeit genug, wenn sie kurz vor der Ausführung geweckt werden und die Sache erfahren. Stellen Sie einen Posten aus, der uns zeitig genug benachrichtigt, wenn die Waibel sich auf den Weg machen?«

Die beiden nächtlichen Wanderer gingen, das Nähere des Plans besprechend, weiter. -


Der alte Thurm, von dessen Zinne die Fahne der Royalisten in schweren Falten hinaus in die Nachtluft wehte, hat unter der Spitze einen offnen viereckigen, den ganzen Platz zwischen den Mauern und dem Gebälk einnehmenden Raum, aus dem große Fenster nach den vier Himmelsgegenden sich öffnen.

Im Fußboden befand sich die offene, durch keine Fallthür verschlossene Mündung der Treppe, welche durch den Thurm hier herauf führt.

In diesem Raum, zwischen der befestigten Fahnenstange und der Mündung der Treppe, saß auf einem Balken der junge Preuße. Es war dunkel um ihn her, der matte Schimmer, der durch die großen freien Fensteröffnungen hier hineinfiel, genügte kaum, ihn die Räumlichkeiten erkennen zu lassen. Er war entschlossen, nur über seine Leiche sollte ein Feind die Hand an die Fahne seines Vaterlands legen.

Er hatte den Hirschfänger, mit dem er sich bewaffnet,

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neben sich gelegt, eben so seine Pistolen, die er vorher sorgfältig untersucht und gespannt hatte. -

Von Zeit zu Zeit beobachtete er durch die Fensteröffnungen die Umgegend und die Zeichen in der Stadt. Er konnte die Wachfeuer der Indépendants und zum Theil der Montagnards in den Straßen am See so wie die in dem großen Hof des Schlosses selbst sehen und dachte an die jugendliche Begeisterung, mit der er die erste ihm von dem Freunde gemachte Andeutung des Unternehmens erfaßt und sich ihm angeschlossen hatte, welchen ganz andern Ausgang er damals gehofft, und was jetzt der nächste Morgen bringen mußte.

Wohl zwei Stunden hatte er so auf seiner einsamen Fahnenwacht zugebracht. Die Feuer in den Höfen des Schlosses waren erloschen, das wüste Gelage hatte sich erschöpft; um die zusammengebrannten Kohlen, um die geleerten Fässer mochten die Leichtsinnigen im gefährlichen Schlaf liegen. Auch auf den Straßen und in der Umgebung des Schlosses war es ruhiger geworden, und die Feuer in den Straßen und am Ufer des Sees waren verglimmt.

Es war ungefähr 4 Uhr, als der Preuße einen leichten Schritt die Treppe des Thurms heraufkommen hörte. Er faßte sofort seine Waffen und stellte sich an die Seite der Treppe.

»Wer da!«

»Gutfreund! Gott und der König!«

Der Preuße trat zurück - und der Ankommende stieg durch die Luke empor. So viel die beginnende Dämmerung zu erkennen erlaubte, war es ein kräftig gebauter

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Mann, mit Mütze und Blouse bekleidet und nur mit einem Säbel bewaffnet.

»Wer sind Sie?«

»Ein Montagnard, Herr, aber einer von denen, die dem König treu und ergeben sind. Andrée[André] Droz ist mein Name, ich bin der Milchbruder des edlen Fräuleins von Creuxdevent4 und Herr von Meuron schickt mich zu Ihnen.«

»Warum - was giebt es?«

»Er ist besorgt um Sie, und weil er weiß, daß ich treu bin und das Innere des Schlosses zufällig genau kenne, da ich früher hier viel gearbeitet, so läßt er Sie bitten, mich bei sich zu behalten, bis Alles vorüber ist.«

Der Preuße bedachte sich einen Augenblick; die offene ehrliche Stimme des Mannes gefiel ihm.

»Sie stellen sich an einen gefährlichen Posten, mein Freund,« sagte er. »Wissen Sie, was ich hier will und mir selbst gelobt habe?«

»Sie wollen die Fahne unsers Königs wahren bis zum letzten Augenblick, damit keine andere Hand als eine ehrliche und getreue preußische dieselbe berühre,« antwortete der Mann. »Das ist brav von Ihnen und deshalb komme ich her, um Ihnen beizustehen. Lieutenant von Meuron, der Verlobte meiner Milchschwester, läßt Ihnen sagen, daß die Unterhändler mit dem abgeschlossenen Vertrage sogleich zurückkommen werden und eine Clausel in demselben bestimmt, daß alle Fremden noch im Laufe des Tages den

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Canton verlassen müssen, daß Oberst Pourtalès mit dem Oberstlieutenant sich auf sein Gut Metten bei Bern vorläufig zurückziehen wird und Ihnen anheimstellt, ihn zu begleiten.«

»Ich muß für die Einladung danken,« sagte der junge Mann kalt; »unsere Wege gehen auseinander. Sobald das Schloß übergeben ist, gedenke ich abzureisen - aber nicht allein!« Er wies nach der Fahne.

»Ich wiederhole Ihnen das ehrliche Anerbieten meines Beistandes,« sprach der Handwerker. »Ich fürchte, die Herren, die uns führen, haben sich selbst getäuscht und somit auch uns - für unsern ehrlichen Patriotismus und unser Blut hätte man uns nicht eine politische Intrigue geben sollen! Die großen Herren werden sich leicht herausziehen und für uns Kleine wird es zu heiß im Lande werden!«

Der junge Preuße hatte ihn schweigend angehört. Endlich schien ihm Etwas einzufallen, er nahm seine Brieftafel und suchte in dem matten Nachtschein darin, bis er eine Karte fand.

»Wenn wir Licht hätten, würde ich Sie fragen, ob Sie einen Mann des Namens kennen, der hierauf verzeichnet ist.«

»O wenn's nur dessen bedarf - das ist leicht geschehn!« Der Handwerker rieb ein Streichholz an seinen Manchesterhosen und las bei dem Schein den Namen: «Cölestin Aimard?[«] - den Henker, wie kommen Sie zu dem Mann?«

»Man hat die Karte mir in Berlin gegeben mit dem

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Bedeuten, daß wenn ich hier in irgend eine Verlegenheit kommen sollte, ich bei ihm sicher Beistand finden würde. Wer ist der Mann?«

»Das ist schwer zu sagen, Herr! Er hält es mit allen Parteien und hat offenbar Einfluß bei allen, obschon er seiner Stellung nach zu den niedern Leuten gehört. Er hat eine Schänke in Serrières und ist der Oheim einer Verwandten des Schloßkastellans. Im Volk will man wissen, daß er geheime Verbindungen hat mit den Jesuiten in Freiburg und Luzern. Aber so viel ist sicher, wenn die Empfehlung gut ist, und Sie ihn nöthig haben, ist die Sache so gut wie gethan, denn er hat die Macht dazu!«

Die Karte war noch in seiner Hand, als man unten auf dem Zugang zum Schloß Geräusch und gleich darauf die schweren Thorflügel öffnen hörte.

Der Handwerker bog sich über die Brüstung des hohen Thurmfensters.

»Da kommen sicher die Kommissarien oder ihre Boten. Der Handel ist geschlossen und Neuchâtel wieder für den König verloren. Ich wollte ...«

Ein gellender Ruf von unten her zerriß die Luft. »Verrath! Zu den Waffen!«

»Hölle und Teufel, was ist geschehen?«

Dem Ruf folgte ein schrecklicher entsetzlicher Schrei - der Schrei eines zum Tode getroffenen kräftigen Lebens. Im nächsten Moment knallten Flintenschüsse und ein wilder Tumult erhob sich. Der donnernde Ruf: Vive la Suisse!« erscholl vor dem von dem Thurm aus nicht sichtbaren Eingangsthor aus hundert Kehlen - wenige

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Augenblicke darauf scholl es aus dem ersten innern Hofraum empor - Waffen klirrten, Flinten und Gewehre klirrten - in den Lärmen des plötzlichen Gefechts mischten sich Rufe der Angst und des Schreckens.

»Vive la Suisse! Vive la Suisse!«

Von der Westseite her an der Mauer des Schloßgartens entwickelte sich ein regelmäßiges Tirailleurfeuer.

»Das ist Verrath - das Schloß wird erstürmt! wir sind überlistet! Zu Hilfe den Brüdern!« schrie der Handwerker und stürzte nach der Fallthür, um die Treppe hinunter zu eilen.

Der Preuße vertrat ihm den Weg. »Halt! zurück da! - Hier ist unser Posten!«

»Aber unsere Freunde ...«

»Wir können ihnen nicht helfen, wenn die Feinde bereits im Innern des Schlosses sind. So lassen Sie uns die Fahne des Königs mit unserm Leben vertheidigen!«

Die Treppe zum Thurm polterte es herauf. »Vive la Suisse! Nieder mit dem Zeichen der Despotie!« -


Wir kehren in unserer Darstellung zu dem zurück, was sich vor dem Schlosse zu derselben Zeit ereignet hatte.

Es war kurz vor 5 Uhr, als einer der von Hauptmann Girard ausgestellten Leute die Nachricht brachte, daß die beiden Waibel aus dem Quartier der Kommissaire aufgebrochen wären, um die gegengezeichnete Convention über die Uebergabe nach dem Schlosse zu bringen.

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Sofort war der von dem Hauptmann ausgesuchte Haufe auf den Beinen und postirte sich an den Aufgang des Hohlwegs, wo er weder vom Schlosse noch von der Hauptbarrikade aus gesehen werden konnte. Die Männer hielten ihre Waffen meist unter den Röcken und Blousen verborgen; Kapitain Laforgne instruirte noch einmal die Leute und drohte Jeden, der durch Unvorsichtigkeit, bevor er das Signal zum Angriff gegeben, das Unternehmen verrathen würde, mit eigner Hand nieder zu stoßen.

Wir haben bereits erwähnt, daß an der rechten Seite des Weges, von der scharfen Biegung bis zu der Stelle, wo die Barrikade den Zugang versperrte und mit zwei Kanonen besetzt war, zwei kleine Häuser auf der Steinwand den Hohlweg bildeten.

Noch während der Nacht hatte Kapitain Laforgne sie von einigen vertrauten Leuten besetzen und die Zwischenmauer im Stillen durchbrechen lassen, so daß man von der Biegung ungesehen durch das Innere bis zu dem äußersten Fenster gelangen konnte, das etwa zwei Schritte hinter der Barrikade lag.

Der Führer der Montagnards von Chaux de Fonds hatte es übernommen, bei dem ersten Zeichen des Angriffs durch falsche Nachrichten auch die Indépendants zu allarmiren, und zugleich mit der Hauptmacht der Seinen den gelungenen Ueberfall zu unterstützen.

»Sie wissen Bürger, was Sie zu thun haben,« sagte der junge Condottieri zu den Leuten, die er um sich versammelt hatte. »Die einzige Gefahr ist, daß die Schildwach zu früh bemerkt, daß wir einen Ueberfall beabsichtigen.

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Sie muß daher gehindert werden, Allarm zu machen. Die Sache ist nicht leicht, da wir Schußwaffen nicht anwenden dürfen und der Mann, wie ich mich überzeugt, ein wachsamer und tüchtiger Bursche ist, der seinen Posten im Auge hat. Es bleibt nur übrig, ihn von dem letzten Fenster aus zu überfallen. Jeder Augenblick zu früh oder zu spät kann von den schlimmsten Folgen sein. Wenn es ihm gelingt, eines der Geschütze abzufeuern, würde die Wirkung in dieser Nähe furchtbar sein. Wer hat den Muth und die Ruhe, die Aufgabe auszuführen?«

»Wenn es so gefährlich ist, warum thun Sie es nicht selbst, statt bequem davon zu schwatzen und einen Andern zu schicken?« sagte hämisch der Kerl mit dem Fuchshaar, den der Franzose am Abend vorher zu Boden geschlagen hatte, als er die Flinte auf den ehrwürdigen Pastor Guillebert anlegte.

François sah ihn streng an - aber ohne ein Wort zu erwidern, nahm er einem der Männer ein breites Zimmerbeil aus der Hand: »Auf Euren Posten Freunde - dort kommen die Waibel!«

Der Haufe verlor sich an den Seiten, während die Boten der Kommissaire heraufstiegen.

Sie hatten kaum die Biegung passirt, als der Abenteurer sich auf die Schulter eines der Männer und von dieser auf die Höhe der Mauer schwang, auf der die Häuser stehen. Im nächsten Augenblick verschwand er in einem Fenster des ersten.

Die Waibel setzten ahnungslos ihren Weg fort; sie

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sprachen vertraulich mit den Männern, die sich am Eingang der Straße wie zufällig um sie sammelten und ihnen folgten, und theilten ihnen mit, daß Alles in Ordnung sei und um 10 Uhr bestimmt die Uebergabe und Besetzung des Schlosses so wie der Abzug der Royalisten mit Zurücklassung aller Waffen erfolgen solle. Die Führer derselben würden sich freiwillig in Bern zur Haft auf Ehrenwort stellen, bis der Bundesrath entschieden habe.

So gelangte man in die Nähe der Barrikade.

»Halt! Wer da?«

»Die Waibel von Neuchâtel! die Boten der Kommissaire der hohen Eidgenossenschaft!«

»Sie können passiren, meine Herren, aber ich verlange, daß Ihre Begleiter in zwanzig Schritt Entfernung bleiben!«

Ein schallendes Hohngelächter der Montagnards antwortete der Forderung des royalistischen Postens.

»Kurz und gut - entschließen Sie sich, oder ich verweigere Ihnen die Passage!«

Die beiden Waibel waren ruhige, verständige Männer, sie sahen - obschon sie den ganzen Streit für beendet hielten - die Berechtigung der Forderung ein, und redeten ihren unberufenen Begleitern zu, zurückzubleiben. Als Einzelne mit Hohn antworteten, forderten sie es.

Die Montagnards blieben jetzt zurück sie standen einzeln oder in Gruppen an der Mauer, sprachen laut, und verspotteten die Vorsicht des einzelnen Wächters der Barrikade.

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Dabei näherten sie sich derselben wie zufällig Schritt um Schritt.

Der Artillerist bat die Waibel, über die Barrikade hinwegzusteigen; da er allein sei, vermöge er nicht, ihnen einen bequemeren Zugang zu öffnen.

Es geschah.

»Gott sei Dank, daß die Sache in Ordnung ist, meine Herren,« sagte der treue und ehrliche Mann, als ihn die Waibel versicherten, daß seine Vorsicht unnöthig sei, indem der Vertrag geschlossen wäre. »Ich freue mich darüber wegen Weib und Kind. Aber bis ich die Ordre von meinen Offizieren erhalten habe, darf ich als alter Soldat von meinem Posten nicht weichen und muß meine Pflicht erfüllen. Gehen Sie nach dem Thor meine Herren, man wird Ihnen sofort öffnen.«

Die Waibel gingen weiter an der Kirche vorüber nach oem Thor und klopften an; es dauerte eine Weile, bis man ihnen öffnete.

Der Artillerist schritt unterdeß hinter der Barrikade auf und nieder. Er hielt die brennende Lunte in seiner Hand und rauchte seine kurze Pfeife.

Die Montagnards draußen versuchten wiederholt, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Bei der Gelegenheit kamen sie Schritt um Schritt näher.

»Halt da -« sagte der Artillerist. »Ihr kommt zu nah, meine Bursche! bleibt zurück, oder ich mache Allarm!«

»Alter Narr - Du wirst doch nicht?«

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In diesem Augenblick hörte man das Knarren der schweren Thorflügel, die sich vor den Waibeln öffneten.

Der Artillerist fuhr zusammen. Sein altes Soldatenohr hatte zugleich über seinem Haupt einen verdächtigen Ton gehört - das Klirren eines Fensters.

Er sah empor. -

Ueber ihm in, dem Häuschen, das hinter die Barrikade reichte, hatte sich ein Fenster geöffnet, eine dunkle Männergestalt schwang sich eben in den Rahmen - ein gellender Pfiff erklang.

Die Montagnards in dem Hohlweg sprangen vorwärts. »Vive la Suisse!« In ihren Händen blitzten plötzlich die verborgen gehaltenen Waffen.

Einen Augenblick nur, kaum die Hälfte einer Sekunde lang war die wackere Schildwach unentschlossen. Dann sprang sie, die brennende Lunte schwingend, nach der Lafette der ihr nächsten Kanone.

»Verrath! Zu den Waffen!«

Es war der laute Ruf, den die beiden Wächter der Fahne auf dem Thurm gehört hatten.

Es war zugleich der Todesruf eines wackern Mannes, eines treuen Royalisten.

Neben ihm, als er eben die Kanone erreicht, als er die Lunte hob, um das Zündloch zu suchen, plumpte es nieder wie eine dunkle schwere Masse auf das Pflaster des Weges. In demselben Moment auch schnellte sie empor,« ein Arm erhob sich, ein breites Eisen leuchtete und zischte durch die Nachtluft und fiel nieder mit einem knirschenden Klang.

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»Jesus Christus!« der Mann sank in die Knie - die Lunte fiel ihm aus der Hand, noch ehe sie das Pulver erreicht - dann stürzte er schwer zu Boden, der Kopf war ihm von dem Beilhieb des Garibaldiens bis zur Nasenwurzel gespalten.

Im Augenblick auch waren die Montagnards oben auf der Barrikade. »Vive la Suisse!«

Der Royalist, welcher den Waibeln das Thor geöffnet hatte, schaute erschrocken heraus, was es gäbe, aber schon stürzte im vollen Lauf der Kapitain, gefolgt von seiner Meute heran, und mit dem Kunststück der Pampas feuerte er eine seiner Pistolen im Rennen gegen den Mann.

Die Kugel schlug dicht an dessen Kopf in das Holz; der Mann sprang erschrocken zurück und rannte davon, ohne die schweren Thorflügel wieder zu schließen.

»Sieg! Sieg! das Schloß ist unser! Vive la Suisse!«

Einzelne Schüsse krachten - in der Stadt unter den bereits harrenden Montagnards Girards fand der Ruf sein hundertfältiges Echo, und mit jedem Moment stürmten neue Schaaren zum Succurs herauf.

Kapitain François mit dem größern Ueberblick des Militairs hatte sofort das Thor stark besetzt, ehe er weiter in das Innere des Schlosses vordrang. Aus allen Theilen desselben knallten jetzt Schüsse und drang der Lärmen des Gefechts. Von allen Seiten eilten die Royalisten, aus dem ersten Schlaf geweckt, halb bekleidet, oft ohne Waffen, noch wüst und halbtrunken von dem nächtlichen Gelage herbei und versuchten einen schwachen ungeordneten Widerstand, während der größte Theil von Schrecken überwältigt nur

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einen Ausweg zur Flucht suchte, oder seine Waffen fortwarf und sich widerstandlos gefangen nehmen ließ.

Vergebens stürzten nach dem ersten Allarmruf die Führer der Königlichen herbei, warfen sich zwischen die Kämpfenden und beriefen sich auf den geschlossenen Tractat. Der rohe Uebermuth der Sieger hörte sie nicht. Ebenso vergebens versuchten sie an andern Orten einen kräftigen Widerstand zu organisiren, ihre Anhänger um sich zu sammeln und den Ueberfall zurückzuschlagen, denn die Verwirrung steigerte sich und die letzte Hoffnung schwand, als jetzt auch ein scharfes Tiralleurfeuer von dem Schloßgarten her gegen die dorthin Flüchtenden losbrach und die Indépendants in Massen hier angriffen.

Die Führer der Montagnards hatten alsbald beim Beginn des Ueberfalls die Posten und das Lager der Indépendants mit falschen Nachrichten allarmirt, als sei der Angriff von den Royalisten verrätherisch begonnen worden, und sofort betheiligten sich diese an dem Sturm und drangen auf der schon vom Kapitain Laforgne am Morgen vorher bei seiner Flucht bemerkten leicht zugänglichen Stelle ein, auf die er den Hauptmann Girard bei ihrem nächtlichen Rundgang aufmerksam gemacht hatte.

Das Getümmel im Innern der Höfe, in den Gemächern und Gängen war entsetzlich; die Montagnards und bald auch von ihrem Beispiel entflammt die Indépendants erlaubten sich die infamsten Grausamkeiten. Fünfzehn Royalisten wurden mehr ermordet, als im Kampf getödtet, an dreißig durch mehr oder weniger gefährliche Wunden mißhandelt, nachdem sie bereits die Waffen

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niedergelegt hatten. Die Grafen Pourtalès Steiger und Pury wurden bei dem Bemühen, die Ruhe herzustellen, verwundet, Kapitain Reiff erhielt einen Säbelhieb über den Kopf und einen Bayonnetstich in den Unterleib, - sie Alle wurden vom Tode nur durch die ehrenhafte Aufopferung des Obersten Denzler gerettet, der sie mit seinem Leibe deckte, - Kapitain Fabry von La Sagne, Pernod, Eduard Houriet, der bereits den Tod seines Bruders beklagte, - sanken blutend zu Boden unter den Waffen der fanatisirten Menge; - nur der Energie einzelner Führer war es zu danken, daß dem Morden Einhalt gethan und die Besatzung des Schlosses zu Gefangenen gemacht wurde.

Hundert und einigen fünfzig Mann, darunter Eugène de Meuron, Wilhelm du Pasquier und Chatelain de Pury war es gelungen, sich durchzuschlagen und zu entkommen, verfolgt von den Kugeln der Gegner; an dreihundertsechszig wurden gefangen genommen und mit den in der Stadt Verhafteten in die Schloßkirche eingesperrt, wo man sie 24 Stunden ohne alle Nahrung ließ und auf das Schimpflichste behandelte. Unter den Gefangenen befanden sich noch die Grafen Pourtalès Steiger und Sandoz, Perrot von La Sagne, Meuron-Terisse, der Alt-Staatsrath Perregaux, Chambrier, der frühere Maire von Valengin, Chambrier, der Maire von La Chaux de Fonds, Pourtalés[Pourtalès] Gorgier, Rougemont von St. Anbin, die Brüder Bovet von Areuse, Terisse von Cottendar, der englische Ingenieur Ibbetson, Lardy, der Banquier Jeanjaquet, Wolfrath, de Montmollin und vier Geistliche. Graf Ludwig Wesdehlen und Roued,

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die man in einen Kerker unter dem Thurm geworfen, blieben dort drei Tage und drei Nächte vergessen ohne jede Nahrung und wurden nur durch einen Zufall vom Hungertode gerettet.

Während diese allgemeinen traurigen Szenen in und um das Schloß der alten Fürsten von Neuchâtel spielten, entwickelte sich ein blutiges Drama über seinen Zinnen, an der Stelle, wo die Preußische Fahne über den Häuptern der Kämpfenden oder vielmehr der hinterlistigen Mörder und ihrer Opfer wehte.

Gleich unter dem ersten Haufen, der nach Uebersteigung der durch den Tod des treuen Wächters zum gefahrlosen leichten Hinderniß gewordenen Barrikade in das Schloß drang, befand sich der Rothkopf, der am Abend vorher den Pastor Guillebert hatte erschießen wollen und später den jungen Abenteurer herausgefordert hatte, selbst den Weg zum Thor über die Leiche der Schildwach ihnen zu öffnen.

Der Kerl war ein geborener Preuße, geboren in der Hauptstadt des Landes und nach den Excessen des Sommers von Achtundvierzig verfolgt, wegen Diebstahls entwichen und auf seinen Kreuz- und Querzügen mit anderm Gesindel nach der Schweiz gekommen, wo er sich das große Wort unter den Arbeitern anmaßte.

Mit dem Geschrei: »Mir nach, Kameraden, daß wir die preußischen Lappen herunterreißen!« stürzte der Mensch, gefolgt von drei oder vier seiner Begleiter, in die Pforte, welche zu den obern Stockwerken und der Treppe des Thurms führte, in demselben Augenblick, als Kapitain Laforgne, nachdem er die Besetzung des Thors geordnet, in

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den innern Hof drang, wo bereits der Kampf und das Morden tobte.

Der Kapitain hatte den Ausruf des Rothen gehört und sprang ihm nach, den Säbel in der Hand, als zwei Royalisten sich ihm entgegenwarfen.

Ein Hieb quer über Kopf und Gesicht warf den einen zu Boden, dann griff er den zweiten an, der sich mit seinem Gewehr tapfer vertheidigte, und trieb ihn vor sich her, die Treppe hinauf. -


An der Fallthür stand der Preuße, die gespannte Pistole in der Hand, neben ihm der Montagnard.

»Sind Sie entschlossen, Kamerad?«

»Bis in den Tod!« sagte der Handwerker.

»Ich bin Ihr Offizier - wollen Sie mir gehorchen?«

»Befehlen Sie, Herr, und Sie werden sehen!«

»Dann hören Sie mich! Es ist kein Zweifel mehr, das Schloß ist in den Händen der Republikaner. Sie sagten mir vorhin, daß Sie mit allen seinen Gängen und Winkeln vertraut seien. Wären Sie im Stande, sich genügend zu verbergen oder unentdeckt zu entkommen?«

»Gewiß - es sollte mir nicht schwer werden. Aber ich habe mein Wort als ehrlicher Mann verpfändet, bei Ihnen auszuhalten und weiche nicht von der Stelle.«

»Es giebt Wichtigeres zu retten, als Ihr Leben! Jene dort!« Er wies nach der Fahne.

Der Handwerker nickte. »Das ist wahr - wenn wir gefallen, wird man sie doch herunterreißen!«

»Das darf nicht geschehen! keine Feindeshand soll

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sich daran legen. Sie werden sie retten und in Sicherheit bringen!«

»Sie! reißen Sie die Fahne von der Stange, schnell, mir ist als hörte ich Nahende.«

Mit kräftiger Hand hatte der Handwerker die seidenen Falten von der Stange gerissen. Ebenso rasch schlug er sie zusammen.

»Ihre Blouse aus! - So - nun winden Sie das Tuch um den Leib! - Die Blouse bedeckt es - wenn Sie Ihre Geistesgegenwart nicht verlieren, wird man Sie leicht für einen der Republikaner halten. Nun fort und lassen Sie uns versuchen, das anvertraute Gut in Sicherheit zu bringen!«

»Aber Sie, Herr?«

»Ich werde Ihnen folgen und Jeden niederschießen, der es wagt, Hand an Sie zu legen!«

»Wahrhaftig - der Plan kann gelingen. Wenn wir nur erst den Schloßboden erreicht haben, will ich bald einen Ausgang finden. Wer nun fort, Herr - - Hölle und Teufel da sind sie!«

Er sprang die drei Stufen der Treppe wieder herauf, die er bereits hinab gestiegen, hob mit Geistesgegenwart die Fallthür und warf sie in die Oeffnung.

Im nächsten Augenblick krachte unter ihnen ein Schuß und eine Kugel schlug durch das morsche Holz der dünnen Bretter.

»Vive la Suisse! Herunter mit dem Wahrzeichen der Tyrannei!«

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Kolbenstöße donnerten gegen die schwache Schranke. »Aufgemacht, verfluchte Reaktionairs oder Ihr werdet Alle massakrirt!«

Die Brauen des jungen Mannes hatten sich finster zusammengezogen und bildeten über der Nasenwurzel eine tiefe Falte. Sein sonst so ruhiges festes Auge funkelte mit unheimlichem Glanz.

»Zurück, ihr Schurken! Es lebe der König!«

Ein wildes Geheul der Wuth von unten her antwortete ihm, eine zweite Kugel zersplitterte das Holz.

Der Preuße warf einen Blick umher - dann zuckte es auf seinem Gesicht wie ein glücklicher Gedanke.

»Sagten Sie nicht, daß wenn wir den Boden erreichen könnten, wir gerettet wären?«

»Gewiß - aber die wüthende Meute versperrt uns den einzigen Weg.«

»Sie haben die Fahne - wenn Sie den Muth haben, Ihr Leben einzusetzen, dort ist ein Weg auf das Dach - die nächste Luke ist keine zehn Schritt entfernt.«

Er wies nach einem der Fenster.

»Der Sprung ist zu hoch, ihn zu machen - es ist unmöglich!«

»Die Eisenstange - den Blitzableiter! Er läuft zum Dach nieder! Fort - ich halte die Schurken hier im Schach!«

Der Handwerker hatte ihn begriffen - ein Blick hinab von der Steinbrüstung überzeugte ihn, daß bei einiger Kühnheit und Gewandtheit der Weg allerdings möglich war.

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»Wohin soll ich die Fahne flüchten?«

»Zu dem Mann, der auf der Karte steht! Sagen Sie ihm, ein Todter sende Sie und übertrage Ihnen sein Recht auf Beistand! Fort - die Victoria Preußens sei mit Ihnen und Ihrer Treue!«

Der Handwerker schwang sich über die Brüstung des Fensters. Ein Wink mit der freien Hand, dann glitt er hinunter.

Im selben Augenblick flog eine Planke der Thür unter den Kolbenstößen empor.

»Vive la Suisse! Herunter mit der Schandfahne!«

»Zurück, sage ich - Wer es wagt, das Plateau zu betreten, ist ein Kind des Todes!«

»Unsinn! Ergebt Euch! Vorwärts Kameraden - laßt Euch nicht schrecken, - der Sieg ist unser!«

Der Kopf mit dem Rothhaar hob sich durch die Luke. »Im Namen der Republik - ergebt Euch oder es geht Euch schlimm!«

Statt der Antwort knallte ein Pistolenschuß. Die Kugel schlug dem Rothen zwischen den Zähnen durch in den Schlund und hinten am Nacken wieder heraus.

Ein schrecklicher Schrei - ein dunkler Blutstrom stürzte aus dem Munde, der Arm schlug krampfhaft durch die Luft, dann verschwand der Kopf mit dem stieren Todesausdruck aus der Oeffnung und der Körper stürzte zurück unter seine Gefährten.

Der Preuße ließ die Pistole fallen, die ihm nutzlos war und nahm die zweite in die Hand. Der Rest der

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Thür dröhnte unter den wüthenden Stößen der Republikaner.

»Rache! In Stücke mit den Mördern! Herunter mit dem Preußischen Lappen!«

Aber bei all' dem Geschrei und Lärmen begnügte man sich, aus sicherer Entfernung gegen die Fallthür zu stoßen und zu schießen - der plötzliche Tod ihres Führers, dessen Leiche mit zerschmettertem Kopf die Stufen sperrte, hatte den Thatendurst der Meute gewaltig abgekühlt und kein zweiter wagte, in der Oeffnung zu erscheinen.

Der Preuße stand bleich, entschlossen auf seinem Posten, in der Rechten jetzt die blanke Waffe, in dem improvisirten Leibgurt das zweite noch geladene Pistol. Er wußte, daß er fallen müsse unter der Uebermacht, aber jede Minute, die er sie aufzuhalten vermochte, war die Lösung seines Wortes, die Sicherung der Fahne, die er bewacht.

Dann drang durch das Schreien und leere Wüthen der Republikaner eine kräftige klare Stimme mit dem Tone des gewohnten Befehls.

»Aus dem Wege, Memmen - die Fahne ist mein! daß Niemand sie anzurühren wage!«

»Sie haben Dillmann erschossen - Sie müssen sterben!«

»Dann versucht's! Gehe voran wer Muth hat!«

Eine kurze Pause erfolgte, dann unterbrach sie ein spöttisches Gelächter.

»Zurück Bursche - schafft den Todten bei Seite und überlaßt mir die Sache!« Im nächsten Augenblick krachte ein gewaltiger Axthieb gegen die noch haltenden Planken -

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ein zweiter gegen das Schloß der Thür, daß oben die Haspen des Riegels aus ihren Nägeln sprangen. Bevor Otto von Röbel sich entschlossen, ob er den Zugang weiter oder jetzt nur noch sein Leben vertheidigen solle, flog die zerschlagene Thür empor und ein Mann im Jagdrock sprang in den Raum, ein blutiges Beil in der Faust.

Hinter ihm her drangen mehre wüste Gestalten und hielten sich, ihre Waffen schwingend, Drohungen und Verwünschungen sprudelnd, am Rande der Treppe.

Das Licht, das durch die vier Fensteröffnungen drang, war jetzt bereits hell genug, um die Gesichter gegenseitig zu erkennen.

»Monsieur de Reubel!«

»Kapitain Laforgne!«

»Legen Sie die Waffen nieder - ergeben Sie sich, Herr,« sagte dieser. »Das Schloß ist in unsern Händen!«

»Durch bübischen Verrath, bei dem Kapitain Laforgne sicher mitgeholfen!«

Das sonnverbrannte Gesicht des Abenteurers wurde von dunkler Gluth übergössen, denn er fühlte, daß der Vorwurf nicht unverdient war, und seine Faust krampfte sich fester um die schreckliche Waffe, welche den Eingang in das Schloß in so blutiger Weise erzwungen hatte. Dennoch beherrschte er sich.

»Das sind unnütze Worte - geben Sie die Fahne heraus, Herr, die man hier auszustecken gewagt - ich habe geschworen, sie herabzureißen. Aller Widerstand ist unnütz und könnte gefährlich für Sie werden. Geben Sie die

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Fahne heraus und Sie sollen eine ehrenvollere Haft haben, als Sie mir gegeben!«

»Tod! Tod! Schlagt ihn nieder den Reactionair! er muß sterben!«

Der Kapitain schwang drohend das Beil. »Zurück Gesindel - seht Ihr nicht, daß Ihr mit einem Soldaten zu thun habt? Der Erste, der anrührt, was mir gehört, fällt von meiner Hand. - Die Fahne heraus, Herr - reizen Sie die Schurken nicht länger, oder Ihr Leben ist in Gefahr!«

Der Preuße hatte sich bis in die Nähe der Oeffnung zurückgezogen, aus der sein Wachtgenosse entkommen, - hier blieb er mit dem Rücken gegen das Fenster stehen.

»Die Fahne? wo ist die Fahne?«

»An Preußens Fahne soll sich keine Rebellenhand legen - die Fahne ist in Sicherheit!«

»Das ist Ausflucht - heraus damit, oder - so gern ich Sie schonen will - ich hole sie mit Gewalt!«

»Versuchen Sie es!«

Mit einem Satz sprang der verwegene Partisan der Revolution gegen den Royalisten und der Schwung seines Beils traf die vorgestreckte Waffe, daß die Klinge des Hirschfängers aus dem Griff flog. Aber der Stoß, den er mit dem Heft empfing, war so kräftig, daß er zurücktaumelte und im Nu hatte sich der junge Preuße von ihm losgemacht und schwang sich auf die Fensterbrüstung, den linken Arm um die Mauer geschlungen, den rechten mit der Pistole ihm entgegenstreckend.

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»Auf Eure Gefahr - wer einen Schritt näher thut, theilt das Schicksal Eures Gefährten!«

Die Männer, die bei dem kurzen Angriff des Kapitains herbeigesprungen, prallten zurück, als sie die Pistolenmündung des sichern Schützen auf sich gerichtet sahen.

Das Auge François unterlief mit Blut - der mißlungene Erfolg beraubte ihn der bis jetzt bewahrten Ruhe und ließ ihn allein den triumphirenden Feind sehen.

»Zum letzten Mal - wollen Sie sich ergeben und die Fahne überliefern?«

»Ich ergebe mich auf Ihr Ehrenwort!«

Er senkte den Lauf der Pistole.

»Die Fahne - die Fahne!«

»Niemals in französische Hand - sie ist aus Ihrer Gewalt und gerettet!«

Die hochherzigen Worte waren kaum über die Lippen, als von der Treppe her ein Schuß knallte.

Die Pistole entfiel der Hand des Preußen - er hob die Arme in die Luft und schwankte auf seinem gefährlichen Platz.

»Schurken, was habt Ihr gethan? Meine Ehre ist hin, wenn er ermordet ist! Zu Hilfe, rettet ihn!«

Der Kapitain warf das Beil fort und sprang zu dem Taumelnden, den er umfaßte und von der Brüstung zu heben versuchte; aber schon hatte dieser das Gleichgewicht verloren und hing, nur mit einer Hand noch krampfhaft an einer Klammer der Fensterwand sich haltend, aus der Oeffnung hinaus und über dem Abgrund, während aus seiner Seite

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warm das Blut über die umfangenden Arme François's strömte!

»Herbei - Er fällt! - helft! helft!«

Die Hand des Verwundeten ließ plötzlich die Klammer los und schlang sich um den Hals des Retters - die andere Hand folgte nach - die Augen mit dem Blick der Verzweiflung, des Hasses, starrten weit geöffnet, in dichtester Nähe, grimmig ihn an ...

»Mit mir!«

Ein gellender Schrei - dann ein wildes entsetztes Durcheinanderrufen der herbeistürzenden Republikaner -


Die Fensteröffnung war leer! -

Der Löwentödter.

Die Septembersonne schoß ihre glühenden Strahlen, obschon im Sinken begriffen, gleich verzehrendem Feuer brennend über die letzten Abhänge des Arba-Gebirges.

Rauhe Felsmassen, in wunderlichen phantastischen Gestaltungen dehnten sich zu wilden Schluchten hinab in die unendliche Ebene nach Süden.

Von dieser weißen Einöde, so einförmig und still, daß sie wie ein unendlich sich ausbreitendes Leichentuch aussah, flüchtete sich unwillkürlich das geängstete Auge zurück zu der spärlichen Cactusdecke und den niedern Fächerpalmen der Felsen; denn selbst die Luft schien auf dieser Fläche zu vibriren und zitterte von dem weißen Sande in für das Auge verderblichen Wellen zurück, wenn ein leiser Lufthauch von den Bergen sich herüber verlor.

Sonst aber war Alles still, Alles unbeweglich unter diesem Gluthhauch. Alles Leben schien erstorben, kein fröhlich zwitschernder Vogel in der Luft, kein Thier auf der Erde, wenn nicht etwa die goldgrüne in Smaragden funkelnde kleine Eidechse mit den schwarzen feurigen Augen von Stein zu Stein schoß.

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So weit das Auge nach Süden trug, eine ewige weiße Ebenene, mit dem Horizont verschwimmend, daß kein menschliches Wesen vermocht hätte, zu sagen: hier beginnt der Himmel und hier scheidet sich die Erde.

Die Wüste!

In der That, es war die Wüste, jener furchtbare Ocean aus Staub und Feuer, der sich hier in seiner Unendlichkeit dehnte und des Sirocco harrte, der die bewegliche Fläche zu Hügeln und Bergen thürmt und mit seinem verzehrenden Gluthhauch die Vernichtung Schritt um Schritt gegen den Norden schleudert.

Die Wüste - die Sahara!

Wenn den Reisenden der Anblick des weiten unermeßlichen Oceans erschreckt, die ewig rastlose Wasserfläche um ihn her, so giebt ihm das Bewußtsein seiner geistigen Kraft, die das gewaltige Element zu seiner Dienerin gemacht, die selbst die Hilfe des Windes verschmähen gelernt, um seine kecke Bahn durch die Wogen zu ziehen, eine gewisse übermüthige Sicherheit. Der Kompaß, die Sterne, die Strömung, die Passatwinde, der mächtige, Alles regierende Dampf sind ihm Unterthan, zwischen ihm und der Ewigkeit steht die kupferbeschlagene Planke, die Assekuranz sichert sein Eigenthum, die unabsehbare Fläche des Oceans ist zur Heerstraße der Nationen geworden, und Tausende von Kielen kreuzen die Wogen und leisten im Fall eines Unglücks ihm Hilfe.

Aber die Wüste, jenes Meer, durch das kein Dampfer braust, und das keine fremde Kraft als die des Reiters und seines Thiers durcheilt, die unerforschte Wüste mit

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ihrem Sturm, vor dem keine Schifferkunst schützt; die Wüste, mit dem versengenden Sonnenstrahl und der feurigen Luft, in der selbst in ihrer tiefsten Stille jeder Schritt eine Wagniß und eine Gefahr ist! die Wüste, wo der heulende Schakal und der raubgierige Araber der furchtsamen Karavane folgt und über dem Schlaf des ermatteten Wanderers die Lanze und der Yatagan des unbarmherzigen Feindes schwebt!

Diese Wüste - sie ist hundertfach schlimmer, drohender als das Meer, und wenn der große römische Dichter von dem Manne, der sich zuerst hinaus in die Unermeßlichkeit des Oceans gewagt, singt, daß er die Brust mit dreifachem Erz umpanzert haben mußte - Der, welcher sich in die Gefahren der Sahara stürzt, muß das Herz selbst von Erz haben.

Aber wer vermag den Eigennutz, die Eitelkeit und die Thorheit des Geschöpfes zurückzuschrecken, das den Herrn dieses Erdballs spielt, des Menschen! -


Auf dem Abhang der Felsen hielt eine Reitergruppe - zwei Männer und eine Dame voran, Europäer nach ihrer der Reise und dem Klima möglichst angepaßten Kleidung. Einige europäische und arabische Diener und zwei Führer hielten etwa hundert Schritt weit zurück.

Die Dame trug ein weites gelbgraues Mousselinkleid und gleiche Beinkleider von türkischem Schnitt, denn sie saß nach Art der Männer auf dem Sattel ihres kleinen feurigen Berberpferdes. Ein großer Sonnenhut mit breitem Schirm bedeckte den mit weißen Tüchern umhüllten Kopf; überdies war an ihm ein blauer Schleier befestigt,

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um die Augen vor der Wirkung der Sonnenstrahlen zu schützen.

In diesem Augenblick jedoch hatte die Dame den Schleier zurückgeschlagen, ebenso wie den großen blau und weiß gestreiften Bournous, der ihren Oberkörper schützte. Ihre in einen seinen pariser Glacéehandschuh gekleidete Hand ruhte auf dem Kolben einer leichten Jagdflinte, die an dem Sattel des Pferdes befestigt war. Der zurückfallende Bournous zeigte außerdem in dem als Gürtel um die schlanke Taille gewundenen Shawl von rother tunesischer Seide zwei zierliche mit Silber und Perlmutt ausgelegte Pistolen und den kostbar ciselirten und mit echten Steinen besetzten Griff eines Handjars, einer eleganten Spielerei gegen die ähnlichen gefährlichen Waffen, welche aus dem Gürtel ihrer afrikanischen Begleiter drohten.

Der Schleier ließ, wie erwähnt, das Gesicht unverhüllt. Auf den ersten Blick sah man, daß trotz aller Künste der Toilette, die ohnehin vor diesem Klima und den Strapatzen dieser Wege nicht Stand hielten, die Dame nicht mehr ganz jung war. Sie mochte sieben- bis achtundzwanzig Jahre zählen und der scharf an das orientalische Gepräge erinnernde Schnitt ihrer Züge war durch die Jahre noch pikanter geworden. Aber das Auge war feurig und rastlos und milderte den gelangweilten süffisanten Ausdruck des Mundes. Zuweilen, wenn sie nicht sprach oder nicht von irgend einem Gegenstand gefesselt war, lagen auf ihrer schönen Stirn die Falten bitterer Erinnerungen oder es flog der Schatten eines verfehlten, aus eigner Schuld verfehlten Lebensglückes darüber hin.

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Ihre beiden Begleiter waren von sehr verschiedener Art. Der Eine war eine hohe stattliche Männergestalt von fashionabler pariser Tournüre selbst unter dem arabischen Mantel, der leicht über seinem modernen Sommerrock hing und unter dem Militairkasket mit dem langen, über den Nacken fallenden Haouli. Er trug die weiten rothen Beinkleider der französischen Militairs, und im Knopfloch des Rocks das croix d'honneur. Ein leichter Säbel hing an seiner Seite und ein schöner Karabiner von Delavigne war am Sattelknopf befestigt. Er war über den Anfang der Vierziger hinaus und sein vornehmes Gesicht zeigte die ganze Blasirtheit eines Roué's der vornehmsten Gesellschaft.

Im ganzen Aeußern stach der zweite Begleiter der Dame von seinem Rival ab. Er gehörte, rotz seines kleinen und zierlichen Wuchses offenbar der englischen Nation an, deren Aussehen sie überall kennzeichnet. Das bereits etwas spärlich werdende röthlichblonde Haar war unter einem arabischen Turban versteckt, eine Art Kaftan umhüllte bequem seine Glieder und er saß mit hoch heraufgezogenen Knieen in dem orientalischen Sattel seines Pferdes, während er mit der einen Hand, die zugleich den Zügel faßte, einen großen Sonnenschirm über seinem Kopf ausgespannt hielt und mit der andern einen Wedel von Straußfedern gegen sein Gesicht bewegte.

»Das also ist die Wüste,« sagte die Dame, indem sie einen Operngucker zum Auge erhob und den Blick neugierig und lange über die öde traurige Fläche schweifen ließ. »In der That, lieber Graf - um offen zu reden, der

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Anblick lohnt kaum die Strapatzen unserer Reise. Wenn es nicht wäre, um in den Salons der nächsten Saison sagen zu können, ich habe die Sahara gesehen, von der uns Herr Vernet so pikante Bilder gemalt und Aimard so interessante Geschichten erzählt, ich könnte es fast bedauern, daß ich meine Zeit nicht besser verwendet habe. Man sieht hier ja keine Spur von jenen Karawanen mit ihren beladenen Kameelen, oder den interessanten Beduinenräubern, die über sie herfallen, wenn sie an einer Oase halbverdurstet lagern. Wo sind diese Oasen, die uns die Gedichte jener Herren so wunderbar reizend und erfrischend schildern? Nicht einmal einen Strauß oder eine Giraffe kann ich mit meinem Glase entdecken.«

»By Jove,« stimmte der Engländer bei - »es ist eine Hitze zum Ersticken und ich habe bereits meine ganze Eau de Cologne aufgebraucht. Nicht die geringste Aufregung, die solche Strapatzen vergüten könnte. Keine kleine Razzia gegen diese Stämme der Wüste, auf die ich doch so sehr gehofft hatte! Wie viel hätte ich darum gegeben, die kleine Wiederholung einer solchen Ausräucherung oder eines Bratens en masse mit anzusehen, wie sie Ihr tapferer Marschall Pelissier, der Duc de Malakoff in der Kantara vor zwanzig Jahren vornahm! Das jetzige Gouvernement möchte diese braunen Herren und Damen wo möglich mit Trüffeln füttern. Ich glaube wahrhaftig, diese alberne Humanität hat schon ihren Weg bis zu meinem hochgeschätzten Freunde, dem König von Dahomey, gefunden!«

Der so vornehm und militärisch aussehende Reisegenosse sah ihn mit einem halb finstern, halb verächtlichen Blick an.

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»Es ist wahr, Kapitain - Sie haben ja bereits die Wüste besucht!«

»Nicht die Wüste, nicht die Wüste lieber Graf,« lispelte der Angeredete. »Ich war nur in Dahomey, was, soweit es die militairischen und moralischen Einrichtungen betrifft, schon ein recht civilisirter Staat zu nennen ist, aber leider noch einige hundert Meilen entfernt von hier liegt. Auf meine Ehre, lieber Graf, die Hitze ist dort noch abscheulicher, obschon man ganz vortreffliche Studien machen kann über die erhabene Gleichgültigkeit, mit der diese schwarzen Burschen den Tod nehmen. Sie wissen, Se. Majestät der König von Dahomei[Dahomey], mein geehrter Freund, hat etwa 4000 Frauen, die seine Leibgarde bilden, und ich versichere Sie, daß die Damen der Elite-Compagnie bei den festlichen Opfern zu Ehren des Jahrestages der Thronbesteigung von Abu-el-Mosi in Bomey meist mit einem einzigen Hiebe ihres Säbels den Kopf vom Rumpfe trennten. Nur in drei oder vier Fällen sah ich, daß man mit dem Messer noch nachhelfen mußte.«

»Und Sie konnten dem Schauspiel einer solchen abscheulichen Schlächterei beiwohnen, ohne das Ansehen Ihrer Nation zu deren Verhinderung geltend zu machen?«

»Ich weiß in der That nicht, wie Sie so sprechen können, liebster Graf,« meinte der Kapitain. »Ich habe es oft genug Master Wilson, unserm Konsul, gesagt, daß England gar kein Recht hat, eine Nation in ihren ererbten Sitten zu stören. Leider hatte diese falsche, von dem Parlament vertretene Ansicht schon zu viele Beschränkungen herbeigeführt; denn man erzählte mir, daß bei der

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Thronbesteigung im Jahre Sechsunddreißig volle sechshundert Personen an einem Tage in mehr als zwanzig verschiedenen Weisen zu Tode gebracht worden sind, während man sich zur Zeit meiner Anwesenheit mit lumpigen hundertfünfzig begnügte.«

»Sie hätten dort bleiben sollen, wenn Sie so viele Liebhaberei daran fanden, Master Peard!«

»Oh lieber Montboisier,« sagte der Menschenjäger, denn dieser war es, dem der Gang unserer Geschichte hier wieder begegnet, - »bedenken Sie doch, was ich damals in Paris verloren hätte! Ich bin noch heute unserm Freund, dem edlen Lord, dafür dankbar, daß er mich damals halb zwang, mit ihm nach Paris zu gehen, abgesehen davon, daß ich dort die Ehre hatte, Ihre liebenswürdige Bekanntschaft zu machen. Erinnern Sie sich nicht jener pikanten Szene am Café Tortoni und auf dem Marsfeld? Apropos, liebster Graf, - ich wollte Sie schon immer danach fragen, es war ja wohl einer Ihrer afrikanischen Ansiedler, für den sich der Lord so lebhaft interessirte, daß er uns damals als Gefangene nach dem Quai d'Orsay führte, der auf dem Marsfeld erschossen werden sollte. Ich ging damals mit dem Peloton nach dem Platz, um die Execution anzusehen - der Mann hieß ja wohl Fromentin?«

»Samson, Sir!«

»Richtig - richtig! ich habe ein unglückliches Namensgedächtniß! Aber mir ist doch, als wäre der Namen Fromentin auch in die Geschichte verwickelt gewesen - ich erinnere mich deutlich, ihn gehört zu haben!«

»Ihr Namensgedächtniß lieber Kapitain,« sagte ruhig,

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den Blick auf die ihm den Rücken zukehrenden Dame gerichtet, der Graf, »scheint besser, als Sie selbst von ihm denken. An jenem unglücklichen 4. Dezember wurde in der That ein Fromentin auf dem Marsfeld unter den durch das Kriegsgericht Verurtheilten erschossen, nur ...«

Die Dame bog sich bis auf den Hals des Pferdes vor, als wolle sie einen Gegenstand am Fuß der Felsen betrachten.

»Richtig - Samson, das war jener fameuse Wächter der Katakomben, - ich verwechsle die Geschichten. Also es ist unserm guten Lord damals nicht gelungen? By Jove das wird ihn geärgert haben!«

»Nur,« fuhr der Graf fort - »war es nicht der verurtheilte Kapitain Fromentin, den man erschoß, sondern sein alter Vater zugleich mit dem Schwiegervater von Madame, dem Herrn Marquis Fourichon de Massaignac, der unter dem blinden Eifer des Executionscommandos durch einen unglücklichen Zufall fiel.«

»Richtig, richtig, - ich erinnere mich! der Präsident, oder vielmehr jetzt der Kaiser war trostlos über das Unglück. Aber was ist aus dem Sohne, dem Kapitain Fromentin, geworden?«

»Er ist -« die Dame wandte sich rasch im Sattel um und schaute ihn mit seltsamem Ausdruck an - »er ist spurlos verschwunden. Wahrscheinlich im orientalischen Kriege gefallen!«

»Dann hätte sein Namen sicher in den Listen der Armee gestanden,« sagte tiefaufathmend die junge Frau.

»Sie vergessen, Frau Marquise, daß Kapitain Fromentin

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in Rom seinen Abschied genommen oder vielmehr seinen Posten verlassen hatte und daß er in der That durch das Kriegsgericht auf dem Quai d'Orsay verurtheilt worden war, abgesehen von der traurigen Geschichte ... Aber es standen Hunderte, ja Tausende alter Soldaten unter den Freicorps oder in der türkischen Armee.«

Die Marquise sah ihn fest an. Das noch immer schöne und ausdrucksvolle Gesicht war sehr bleich. Durch die Tünche all' der Herzlosigkeit, an die sie sich gewöhnt, und die Modemaske jener vornehmen Emancipation und Originalität, die den Mangel des Glücks der häuslichen Pflichten mit dem Ruf einer kühnen Reisenden, einer wilden Reiterin, einer Schriftstellerin, oder irgend einer Excentrität in den Salons zu ersetzen und sich so den Triumph der Bewunderung zu erhalten bemüht, der einem koketten Herzen zur Nothwendigkeit geworden ist, - durch diese Maske brach ein Strahl des unterdrückten Gefühls, das Bewußtsein des verödeten Herzens und eines verfehlten Lebensglücks, das kein äußerer Glanz des Reichthums und des Ansehens zu ersetzen vermochte.

In der That hatte das Leben Cora Miron's jenen glänzenden und traurigen Gang genommen, der sich bei ihrem Wesen voraussehen ließ. Der niedere finstere Charakter ihres Gatten, der die - durch den Wahnsinn des Bruders einzige Erbin des Börsenfürsten - aus jener gemeinen Habgier genommen, welche nur daran denkt, Gold zum Golde zu häufen, hatte ihr nicht durch häusliches Glück oder das Gefühl der Mutterfreuden Ersatz für die geopferte Liebe gegeben. Selbst der hohe Rang, und die

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exclusiven Kreise, in die sie durch jene Heirath eingetreten, vermochten nicht, ihr kokettes an Huldigungen und Triumphe gewöhntes Herz zu entschädigen. Sie fühlte bald, daß gerade mit dem Eintritt in diese Kreise sie aufgehört hatte, die gefeierte Tonangeberin ihrer früheren zu sein. Dennoch war ihr die Huldigung, die Bewunderung und Herrschaft ein Bedürfniß, und je tiefer sie das Fehlen des so übermüthig und leichtsinnig selbst vernichteten Glückes empfand, um so mehr suchte sie jenen hohlen Ersatz festzuhalten.

So war sie von der bewunderten Schönheit, nachdem einige schriftstellerische Versuche mißglückt waren, durch die verschiedenen Uebergänge zur Tonangeberin frivoler und barocker Moden, zur Excentrice der Salons und Longchamps, zur Mäcene der Künste und Künstler, endlich zur enragirten Reisenden und Jägerin geworden, die sich nicht begnügte, die Hasen um Paris oder die rothen Rebhühner der Dauphins zu schießen, sondern die mit Löwen und Ti[e]gern anbinden und ihre Abenteuer in den Salons und Journalen von Paris anstaunen lassen wollte. War auch das zu Ende und abgenutzt, dann blieben ihr jene andern beiden Hilfsmittel der überlebten Herzen: die Betschwester und die Börsenspeculantin!

Was den Marquis betraf, so kümmerte er sich herzlich wenig um das Treiben seiner Gattin, wenn sie ihm nur die Verwaltung ihres Vermögens überließ, und nur, wenn die Kostspieligkeit ihrer Liebhabereien seiner schmutzigen Geldgier zu nahe trat, kam es zu häuslichen Szenen und Erörterungen. Aber die ehemalige Schönheit der Salons der haute finance hatte genug von der Klugheit ihrer

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Abstammung gehabt, um sich im Heirathscontrakt gehörig gesichert zu haben und so konnte sie denn ungenirt und unbeschränkt ihren Neigungen leben.

Der junge Marquis hatte es für vortheilhaft gefunden, im Dienst des Kaisers zu bleiben, der ihn in der Erinnerung an den Vater mit verschiedenen Gunstbeweisen überhäuft hatte. Er hatte die großen Besitzungen in Montevideo größtentheils bis auf ein, seiner verschollenen Schwester besonders von ihrem Großvater vermachtes Gebiet verkauft, und sich gleich den meisten der administrativen Marschälle des neuen Kaiserthums in große industrielle und Börsenspeculationen eingelassen.

Man wollte wissen, daß er mit dem Grafen Morny bei jener berüchtigten Gesetzgebung affilirt war, welche plötzlich das Zinkweiß der vieille montagne an die Stelle des Bleiweiß in den Fabriken setzte, ebenso bei dem Credit Mobilier der Pereires und den Banken seines Schwiegervaters. Zur Zeit war der Marquis Senator und überließ es seiner Gemahlin, die Reisesaison, wo und in welcher Gesellschaft ihr beliebte, zuzubringen. Die Speculation der Gründung einer neuen Colonie hatte ihn nach Algier geführt und Madame la Marquise ihm die Ehre ihrer Gesellschaft gegönnt, da ihr die Laune angewandelt war, in den Salons der nächsten Saison von den Gefahren der Wüste aus eigner Erfahrung sprechen oder ein Jagdabenteuer à la Gerard von sich erzählen zu können.

Als man nach Oran kam, hörte die Marquise zu ihrem großen Schmerz, daß Monsieur Gerard gerade auf Urlaub nach England zu einem Jagdfreund gereist war.

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Sie beschloß demnach, vorläufig die Wüste zu besuchen und da das Gouvernement von Algerien sich gerade mit den arabischen Stämmen im besten Frieden befand, konnte die Reise nach dem Süden ohne Gefahr unternommen werden.

Der Graf Montboisier zog zwar längst nicht mehr an dem Triumphwagen Cora's, aber er war nichtsdestoweniger ihr Verehrer und nach Allem, was geschehn war, auch ihr aufrichtigster Freund geblieben, wohl größtentheils aus jener bequemen Gewohnheit, welche die Anstrengung des Wechsels und der Gefühle scheut. Er war nunmehr zweiundvierzig Jahr und hatte nach der Beendigung des Krim[m]feldzugs zum dritten Mal seinen Abschied, diesmal mit dem Rang eines Obersten genommen. Jetzt fand er es seiner Laune und vielleicht auch seinem Vortheil gemäß, den Cavalier oder Reisebegleiter der kleinen launischen Dame zu spielen. In Oran war man zufällig auf Capitain Peard gestoßen, der aus Italien herüber gekommen war und sofort die frühere Bekanntschaft benutzte, um sich der Gesellschaft anzuschließen. -

»So wissen Sie in der That nichts Gewisses über das Schicksal des Kapitain Fromentin, Graf?« frug die Dame.

»Auf meine Ehre, Marquise,« sagte er - »seit dem Augenblick unserer Trennung an jenem Abend an dem Place Saint Clotilde, als ich Ihren unglücklichen Bruder in den Katakomben suchte, habe ich nur ein Mal wieder von ihm Nachricht empfangen, jenen so traurigen und verzweifelnden Brief, nachdem ihm sein Bruder die Nachricht von

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dem Tode seines Vaters überbracht hatte. Seitdem ist er verschollen und Niemand hat wieder von ihm gehört.«

Die Marquise wandte sich ab und kehrte ihr Gesicht wieder der Wüste zu. Kapitain Peard machte eine seiner gewöhnlichen kleinlichen und herzlosen Bemerkungen und wandte sein Pferd zurück zur Gruppe des Gefolges, um sich von seinem Diener ein Flacon mit wohlriechendem Oel geben zu lassen.

Die Dame und ihr alter Anbeter waren allein.

Ihr Blick war starr auf die Wüste geheftet, der Schleier, den sie niedergeschlagen, verhinderte selbst das scharfe Auge Montboisiers zu erkennen, was in ihr vorging. Einen Augenblick, als sie ihr Pferd bis zum äußersten Rande des Abhangs vortrieb, glaubte er ein krampfhaftes Schluchzen ihren Busen erschüttern zu hören. Doch schon nach einigen Minuten schien sie das überwältigende Gefühl der Erinnerung unterdrückt, oder in der Beweglichkeit und Unruhe ihres Charakters vergessen zu haben und sie wandte sich zu ihm.

»Ich gestehe, lieber Graf, mein Urtheil von vorhin war doch wohl übereilt. Der Anblick dieser Einöde ohne Grenzen hat doch etwas Ueberwältigendes, je länger man sich ihm hingiebt. Die Luft scheint förmlich zu zittern und es ist unmöglich zu entscheiden, wo der Himmel aufhört und dieser feuerglühende Sand beginnt.«

Der Anblick war in der That erschreckend, ertödtend.

Nichts, bis auf einzelne wenige Felsenblöcke im Vordergrund unterbrach die weite Ebene. Die Vegetation schien wie mit einer gewaltigen Sichel hier abgeschnitten. Nur

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der weiße erst von der Felsenbröckelung röthliche und dann in weiße Flächen übergehende staubartige Sand dehnte sich in unendlicher Weite aus. Der glühende Himmel schien zur Erde hinabzusteigen und seine weißen, rothen und violetten Dinten verschmolzen sich in der weiten Ferne so in einander fließend mit dieser, daß kein sterbliches Auge vermocht hätte, zu bestimmen, wo die Grenze zwischen beiden war.

»Ich sehe, diese furchtbare Einöde ist doch nicht so unbewohnt,« unterbrach plötzlich die junge Frau die Stille. »Bemerken Sie jenen schwarzen Punkt, der sich über der Fläche zu bewegen und zu vergrößern scheint?«

Der Graf richtete sein kurzes Handperspectiv dahin. Es muß ein Vogel oder ein Thier sein, noch kann ich es nicht recht erkennen!«

»Vielleicht einer jener Beduinen und Wüstenräuber, von denen man uns so viel erzählt, wir wollen unsere Begleiter herbeirufen.«

Der Graf lächelte. »Es ist unnöthig, Madame, - ich kann den Gegenstand jetzt deutlich erkennen, und er verdient nur Ihre Aufmerksamkeit, nicht Ihre Besorgniß. - Es ist ein Strauß, oder ich müßte mich sehr täuschen.«

»Ei prächtig - das ist mehr als ich gehofft hatte,« rief lebhaft erregt die Dame, »da können wir gleich eine Straußenjagd beginnen. Denken Sie sich, lieber Graf, wenn ich diesen Winter Federn im Haar oder auf dem Hut trage von dem Vogel, den ich selbst erlegt! - Gebe nur der Himmel, daß er nahe genug kommt.«

Sie versuchte hastig, ihre Jagdflinte vom Sattel zu

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lösen, aber der Oberst hemmte mit einer Bewegung seiner Hand ihren Eifer. »Es ist in der That ein Strauß und seltsamer Weise, wie ich sehe, verfolgt von einem Rudel Schakals. Rühren Sie sich nicht - lassen Sie ihn näher kommen, Ihr Gewehr trägt ohnehin nicht so weit und ehe wir den Weg hinunter finden, würde er bereits aus unserm Gesichtskreis sein. Parbleu - was ist das?«

Das Erstaunen des Grafen war von einem entfernten Schrei veranlaßt, der aus der Tiefe herauf scholl.

Im nächsten Moment sah man aus der äußersten Steingruppe, welche die vielleicht vor Jahrtausenden durch ein Naturereigniß von den Abhängen hinaus in die Ebene geworfenen kleineren und größeren Felsblöcke bildeten, einen Reiter auf einem Dromedar hervorschießen und mit einem hellen Ruf in die Wüste hinaus jagen.

Die Entfernung der Reisenden von jener Steingruppe, aus drei mächtigen Blöcken bestehend, betrug etwa tausend Schritt - man konnte also von der Höhe die Gestalt deutlich erkennen.

Sie war ganz in Weiß gekleidet und ihr weißer Mantel und ein langes weißes Kopftuch, wie es die arabischen Frauen tragen, flatterten lang hinter ihr her. Ihr Thier war von der besten und edelsten Art, denn seine langen Beine schienen, nach dem arabischen Ausdruck, die Erde zu verschlingen, so gewaltig griffen sie aus. Es eilte mit außerordentlicher Geschwindigkeit über die Fläche und die Hand des Reiters oder der Reiterin, - denn welchem Geschlecht die unerwartete Erscheinung angehörte,

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ließ sich nicht sagen - schwang in der Hand einen dünnen Stab.

Es war in der That der mächtige Vogel, der Renner der Wüste, welcher von zehn oder zwölf klaffenden Schakals verfolgt, auf die Berghänge zugekommen war. Dies war an und für sich schon auffallend, da der gewaltige Vogel nur die unbeschränkte Ebene liebt und hier am leichtesten allen seinen Verfolgern entgeht. Aber noch mehr mußte es den mit der ungeheuren Schnelligkeit und Ausdauer dieses Wüstenbewohners Vertrauten befremden, daß der Vogel so unwürdige Verfolger, wie die Wüstenwölfe, so nahe [an] sich hatte herankommen lassen, daß er jetzt von ihnen eingeschlossen war.

In der That war sein Lauf auch nicht besonders rasch, sondern schwankend und unsicher. Entweder mußte es ungeheure Ermüdung oder eine andere Ursache sein, die ihn an dem vollen Gebrauch seiner Kraft hinderte, und er war auf die Felsen zugelaufen, um mit dem dummen Wahn dieser Thiere in der höchsten Gefahr dort einen Platz zu suchen, wo er seinen Kopf verstecken und seine Verfolger nicht mehr sehen konnte, im Glauben, daß ihn diese dann auch nicht sähen. Jetzt, als der Dromedar-Reiter so plötzlich unter dem Felsen hervorkam, blieb der Vogel stutzend eine Weile stehen, und änderte dann nach verschiedenen Richtungen ängstlich seinen Lauf.

Aber überall traf er auf Feinde. Die Schakals hatten bei dem Erscheinen des edleren Jägers zwar ihre Verfolgung aufgegeben und zogen sich zurück, aber sie blieben in einiger Entfernung auf dem Sande hocken, begannen

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ihr eintöniges klägliches Geheul und sperrten dem ermatteten Vogel in dieser Richtung den Ausweg. Es waren außerdem noch nicht zwei Minuten vergangen, als der Dromedar-Reiter gleichfalls dem gehetzten Wild den Rückweg in die Wüste abgewonnen hatte und es jetzt gegen die Felsen herantrieb.

Die Jagd gewann etwas ungemein Aufregendes und auch das Gefolge der Reisenden kam näher an den Abhang, um ihr zuzusehen.

Der Vogel rannte jetzt in gerader Richtung gegen die Felsgruppe heran, hinter welcher der Reiter hervorgekommen war.

»Er wird uns in den Schuß kommen - machen sie sich fertig Graf,« rief die Dame, mit ihrer Flinte beschäftigt.

»Ich wiederhole Ihnen, schöne Freundin, - Sie können Ihr Pulver sparen. Ueberdies, warum wollen Sie sich den Anblick einer nationellen Jagd verderben? Der Dromedar-Reiter - nein wahrhaftig, es ist eine Reiterin nach Kleidung und Figur - wird sicher den Vogel erreichen. Sehen Sie, da wird er in ihre Hände getrieben. Es ließ sich denken, daß sie nicht allein war.«

In der That erschien eine neue Person auf dem Schauplatz. Es war ein Mann, halb arabisch, halb europäisch gekleidet, der jetzt, die Flinte in der Hand, aus seinem bisherigen Versteck in den Steinen hervor und mit drohenden Geberden dem Vogel entgegensprang. Augenblicklich wandte dieser sich um und versuchte noch ein Mal, in die Wüste hinein zu eilen. Aber das Dromedar war

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schneller und kräftiger als er, nach kurzem Rennen war es an seiner Seite, die Reiterin beugte sich von ihrem hohen Sitz herab und der lange, oben mit einem Haken versehenen Stab traf in seinem Schwung mit einer Sicherheit den Kopf, jenen zartesten und empfindlichsten Theil des Vogels, daß dieser wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte. Im nächsten Augenblick durch eine geschickte Wendung des Dromedars hatte die Reiterin den Haken ihres langen Stabes in die nackte Lende ihres Opfers eingeschlagen und schleifte dasselbe unter dem grimmigen Geheul der Schakals, die sich so ihre Beute entzogen sahen, im vollen Laufe ihres Thiers zu ihrem Begleiter zurück, der aus der Gruppe der Felsblöcke hervorgetreten war.

Hier blieb sie halten und löste, ohne ihren hohen Sattel zu verlassen, den Haken des Stocks, indem sie mit ihrem Begleiter sprach und nach der Wüste hinausdeutete. Es konnte jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen, daß es eine arabische Frau war, welche die geschickte Jagd vollbracht, und die scharfen Gläser der Marquise und des Grafen zeigten ihnen sogar, so weit der verhüllende Kopfputz es erkennen ließ, daß sie jung und schön sein mußte.

Der fremde Mann hatte die Flinte neben sich auf den Boden gelegt und kniete neben dem erlegten Vogel nieder, um denselben des so viel begehrten Schmucks zu berauben. Nachdem er dies mit der Geschicklichkeit gethan, welche seine Vertrautheit mit dem edlen Wilde bekundet reichte er das Bündel der schönsten Federn der Jägerin.

»Lassen Sie uns hinunter, Graf, wir wollen die Bekanntschaft dieser Wilden machen und ihnen die Federn

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abkaufen. Es wird interessant sein, sie näher zu beobachten.«

»Ich bin zu Ihrem Befehl. Hierher Sidi Hamed, und zeige uns den Weg hinab!«

Der Befehl war an einen der arabischen Führer gerichtet, und dieser ging sogleich voran, indem er zwischen den Fächerpalmen um einen Felsen bog, als unter diesem etwa zwanzig Schritt von der Dame entfernt ein Flintenschuß krachte.

Die verrätherische Kugel schien jedoch glücklicher Weise ihr Ziel nicht erreicht zu haben, denn die Marquise und der Graf sahen den fremden Mann auf dem Sand der Wüste emporspringen und sein Gewehr ergreifen. Zugleich schien nach den lebhaften Geberden zu schließen, seine Gefährtin einige Worte zu ihm zu sprechen und nach der Felswand zu deuten, wo erst jetzt die Anwesenheit der Reisenden von dem Paare entdeckt worden war. Im nächsten Augenblick wandte die Jägerin ihr Dromedar und jagte mit ihrem Stab es antreibend in gerader Linie hinein in die Wüste.

Der Mann mit der Flinte sah ihr unbekümmert um den Angriff einige Zeit nach, indem er neben dem Vogel stehen blieb; dann wandte er sich trotzig dem Zuge entgegen, der von den Felsenhängen zur Wüste herab stieg.


Wir müssen eine kurze Zeit in unserer Darstellung zurückgreifen, um das plötzliche Auftreten der Jägerin und ihres Gefährten zu erklären. -

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Zur selben Zeit, als die französische Gesellschaft die Höhe der Felswand erreichte, welche den Bergzug des Dschebel Amur gegen die Wüste abschließt, lagerten in jenem von den erwähnten drei mächtigen Felsblöcken gebildeten und gegen die Wüste offenen Dreieck zwei Personen mit einem Thier.

Diese Personen waren die Araberin, welche den Strauß getödtet hatte, und der Mann, welcher ihn seiner Federn beraubte.

Beide waren jung, schön und kräftig - ihre Gesichtsfarbe war von der heißen Sonne so dunkel gefärbt, daß nur der weißere Teint an den Stellen, wo die Haut von der Kleidung gewöhnlich bedeckt war, wenn eine Bewegung diese öffnete, und die Form seines Bartes erkennen ließen, daß der Mann von europäischer Abstammung war.

Die Frau war jung sie konnte kaum fünfzehn Jahre zählen, indeß man weiß, daß dies in diesem Klima dasselbe ist wie eine Jungfrau von zwanzig in unserm nordischen. Selbst unter der Hülle der weiten orientalischen Gewänder war leicht zu erkennen, daß ihre Gestalt und ihr Gliederbau schlank und zart wie der einer Gazelle war. Den sanften großen und melancholischen Augen dieser furchtsamen Bewohnerin der Wüste glichen auch die ihren, beschattet von langen Wimpern und gehoben durch jenen feinen schwarzen Strich entlang dem untern Augenlid, mit dem die Orientalinnen sich zu schminken pflegen, um das Feuer ihres Blickes zu erhöhen.

Die Form ihres Gesichts war ein regelmäßiges Oval, die Nase grad und fein, und aus dem gegen die gewöhnliche

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Bildung ihrer Landsleute überaus kleinen Mund glänzten, wenn sie lächelte, - und das geschah oft, - zwei Perlenreihen von mit Hennah gefärbter kleiner spitzer Zähne. Die Farbe ihrer Haut glich einem sammetartigen matten Pfirsichbraun und ließ auf den Wangen den Purpur des pulsirenden Blutes durchleuchten. Obschon in ihrem ganzen Wesen etwas Schüchternes lag, schien es ihr durchaus nicht an Muth und leidenschaftlicher Aufopferung zu fehlen; denn, wie sie mit weit zurückgeschlagenem Kopftuch so da saß auf einem niedern Stein zu den Füßen des Mannes, auf seine Knie gelehnt, blitzte aus diesem braunen Gazellenauge das ganze Feuer einer hingebenden Liebe und eine leidenschaftliche Erregung, die sich in großen Thränen kundgab, welche langsam über die sammetartige Haut ihrer Wangen niederflossen.

Der Mann, dem diese Hingebung und Erregung galt, war gleichfalls jung, etwa ein- oder zweiundzwanzig Jahr. Er war, wie gesagt, ein Europäer, mußte aber nach der verbrannten Farbe seiner Haut, schon lange Jahre unter dieser brennenden Sonne gelebt haben. Die volle Kraft und der Uebermuth der Jugend strahlten aus dem nicht schönen, aber kecken und männlich frischem[frischen] Gesicht, das in diesem Augenblick mit dem Ausdruck eines gutmüthigen Spottes sich über das Mädchen neigte.

Der junge Mann trug die weiten türkischen Beinkleider, welche ein Theil der Eröberer Algeriens dem Klima entsprechend angenommen hat, und die hohen Ledergamaschen bis zum Knie mit den stark besohlten festen Schuhen zeigten, daß seine Beschäftigung ihn viel

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durch Fels und Gestrüpp führte, dessen lange Dornen jeden andern Stoff zerreißen. Der Oberkörper war mit einer kurzen blauen Blouse bekleidet, in deren Gürtel ein langes starkes Jagdmesser steckte, während an der Seite die Patrontasche mit Schießbedarf hing. Ueber der Blouse trug er einen weiten arabischen Bournous von Filztuch, dessen Kapuze er zum Schutz gegen Regen und Sonnenbrand über das leichte französische Käppi ziehen konnte. Ein Karabiner von lütticher Arbeit lehnte hinter ihm am Felsblock, während ein unfern liegender Wasserschlauch von Bocksleder und die Reste von Brod und Datteln auf einem Tuch bewiesen, daß das junge Paar hier ein frugales Mal gehalten. Der Dritte in der Gesellschaft und dem Anschein nach gleich vertraut mit Beiden, war ein langhalsiges Dromedar von jener seltenen weißgrauen Race, welche ihrer wunderbaren Schnelligkeit und Ausdauer wegen so sehr geschätzt und zu den Kurierritten durch die Wüste gebraucht wird. Der Araber treibt mit diesen Thieren den gleichen Cultus wie mit den edlen Pferden der ächten Race, und nie oder nur höchst selten gelingt es Europäern in den begehrten Besitz eines solchen Renn-Dromedars zu kommen.

Der große Wiederkäuer, mit dieser Verrichtung beschäftigt, sah mit seinen großen blöden Augen auf das Paar und streckte von Zeit zu Zeit seinen langen Hals herüber, die streichelnde Hand des Mädchens zu lecken oder aus ihr eine süße Dattel zu empfangen.

»Dein liebes Auge sieht Gefahr, wo sie nicht ist, meine süße Zela,« sagte der junge Mann auf Arabisch,

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indem er das Haar des Mädchens zurückstrich. »Die Rose der Wüste sieht überall Verderben für ihren Freund. Die Stämme haben die Hand des General-Gouverneurs zu schwer, zu schwer gefühlt, um sobald den Frieden zu brechen. Die Beni Mezab haben Geißeln gestellt für die Verträge, wie ich im Fort hörte, und die Stimme Deines Bruders kann Nichts gegen die Aeltesten seines Volks.«

»Das Ohr meines Freundes ist verschlossen gegen die Gefahr,« sagte traurig das Mädchen, »weil er selbst ein Tapferer ist, der Bruder des berühmten Jägers, vor dessen Anblick die Könige der Wüste erzittern, weil seine Kugel noch nie ihr Herz verfehlt hat. Aber er weiß nicht, was Zela weiß, denn in das schwarze Zelt ihres eignen Bruders kommen die Häupter ihres Volks. Es sind Boten gegangen auf flüchtigem Roß zu den Stämmen der Wüste, den Beni Isgen, den Areps und denen, die an der Karawanen-Straße nach Turgurt wohnen. Taura selbst, mein gutes Dromedar, hat einen Weg von drei Tagereisen bis zur Oase des Wadi Mezâb machen müssen. Die Krieger der Stämme sind geladen zu einer Zusammenkunft unter dem Vorwand einer großen Jagd. Mit den Federn des Straußes und der Haut der Antilope will man das blutige Vorhaben verbergen. Ich konnte nicht mehr hören, da der junge Scheich, mein Bruder, stets seine Frauen fortschickt, die Ziegen und die Kameele zu melken, wenn die Pläne der Männer verhandelt werden.«

»Pesth! ich weiß, Hassan El Mezab ist der geschworne Feind der Franzosen, und er haßt unsere Nation, sonst

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wär' ich längst vor ihn getreten und hätte von ihm Deine Hand verlangt dafür, daß die Büchse meines Bruders ihn vor den Zähnen der Löwen gerettet, dessen Klaue bereits auf seiner Brust stand. Du weißt, daß ich zu arm bin, um eine solche Schönheit wie Zela nach der Sitte Deines Landes von ihm zu kaufen. Ich besitze weder edle Pferde, noch Kameele und Ochsen oder Gold und Silber, und auch die Meinen sind arm, denn drei Mal haben die feindlichen Stämme unsere Ansiedlung überfallen und verbrannt, ehe wir in die Dschebel Muzedsch gezogen sind.«

Das Mädchen sah stolz zu ihm auf. »Der junge Scheik der Beni Mezâb würde niemals das Blut seines Vaters an die Fremden verkaufen, und böten sie ihm die Schätze des Frankenkönigs. Aber warum nimmt Sidi Jacuf, der Jäger, nicht das was ihm gehört, auf den Sattelknopf seines Pferdes und flieht mit ihm zu seinen Freunden, wohin die Macht der Beni-Mezab nicht reicht? Das ist die Sitte meines Volkes und Zela wird ihm gern folgen und sein treues Weib sein auch unter dem Volke der Christen, wo, wie Du mir gesagt hast, die Männer nur eine Frau lieben und heirathen!«

Der junge Mann schüttelte traurig den Kopf. »Pardieu, es fehlt mir wahrhaftig nicht an Muth,« sagte er, »Dich mitten aus der Smalah Deines Bruders mit dem Säbel in der Hand herauszuholen, aber ich weiß, was unausbleiblich die Folge sein würde. Die Sonne hätte die Gebirge des Atlas noch nicht zum zweiten Mal vergoldet, so würde Dein Bruder wissen, wer ihm die Rose

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der Wüste entführt hat und mit allen Kriegern seines Stammes den Raub blutig an den Meinen rächen. Der Ansiedler sind noch zu wenig und der Posten meiner Landsleute ist zu entfernt, um ihnen Trotz bieten zu können. Meine einzige Hoffnung ist El Matadreo. Ein Araber vergißt nie die heilige Pflicht der Dankbarkeit, wie Du mir selbst betheuert, und deshalb kann ich auch Deine Erzählung nicht glauben von dem Angriff, den sie gegen uns bereiten. Dein Bruder schuldet dem meinen sein Leben und unsere Freunde haben ihn wie einen der Ihren gepflegt, als der Löwentödter seinen zerrissenen Körper in unsere Ansiedlung brachte. Dort war es, Zela, wo ich Dich zuerst sah, als die Nachricht von dem Unglück Deines Bruders Dich zu seinem Schmerzenslager führte. Der Matadreo soll Dich von ihm für mich fordern, um damit ein dauerndes Bündniß zwischen den beiden Nationen an der Grenze zu schließen.«

Das Mädchen senkte traurig den Kopf. »Deine Worte sind wie der Honig der Bienen, aber Deine Hoffnungen fliegen auf den Nebeln des Morgens und vergehen wie sie. Der große Scheich der Beni Mezâb wird Leben um Leben geben, aber er kann die Feinde seines Glaubens und seines Volkes nicht dulden auf seinem Gebiet. Er hegt große Achtung und Freundschaft für El Matadreo, aber Nichts kann ihn abwendig machen von seiner Ehre. Der Franke ist ein Eindringling in diesem Land, und sein scharfer Säbel ist bereit, ihn zu zwingen, es wieder zu verlassen. Die Gefahr ist nahe - und ach, Zela hat ihr Volk vergessen, um den Geliebten ihres Herzens zu warnen.«

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»Der schwarze Sclave brachte mir die Kunde, daß Du mich hier treffen würdest und ich eilte mit aller Sehnsucht der Liebe herbei. Nun verbitterst Du uns die Stunden durch unnütze Furcht, Mädchen. Die Liebe macht Dich Gespenster sehen, dennoch will ich morgen nach dem Posten gehen und ihnen sagen, was ich gehört. Die Besatzung ist in diesen Tagen durch eine frische Compagnie von Tlemsen abgelöst worden, und sie haben wahrscheinlich noch nicht die nöthige Erfahrung.«

»Laß das Gras nicht unter Deinen Fersen wachsen, thue es heute noch,« bat die Araberin. »Sage es dem Matadreo, ich weiß, sein Auge ist offen bei Tag und Nacht.«

»Das ist wahr - er kennt am Besten von uns dies Land und ich glaube wahrhaftig manchmal, er wittert jede Gefahr in Voraus. Doch Du weißt, daß er wochenlang einsam in den Bergen oder in der Wüste umherschweift, ohne daß wir erfahren, wo er zu finden ist. Aber sieh - was ist das? ich glaube wahrhaftig, es ist ein Strauß, der sich hierher verirrt hat. Die Schakals verfolgen ihn - halte Dich ruhig, wenn er näher kommt, will ich ihn mit einer Kugel erlegen.«

Die kleine Hand des Mädchens drückte die andere, welche bereits den Karabiner erfaßt hatte, nieder. »Der Knall einer Flinte wird weiter gehört, als der Blick des Auges trägt. Will der Freund Zela's die Jäger herbeirufen, welche jenen Strauß verfolgt oder verwundet haben? Unser Geheimniß würde entdeckt sein und Zela niemals ihren Liebling wieder besuchen können!«

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»Du hast Recht,« sagte der junge Mann, - schon der Gedanke war eine Unvorsichtigkeit. Und dennoch möchte ich jenen Vogel gern gewinnen, denn seine Federn sind kostbar und ich bin ein armer Jäger, dem selten genug eine solche Beute zu Theil wird, weil er keinen Renner besitzt, der den schnellen Strauß erreichen könnte, und der so ihn nur auf dem Anstand tödten kann.«

»Du möchtest die Federn haben?«

»Parbleu! - sie sind wenigstens ihre fünf Douros werth!«

Die junge Araberin schnalzte leicht mit der Zunge. Augenblicklich erhob sich das Dromedar auf die Hinterfüße, indeß es vorn auf den Knieen liegen blieb, um der Reiterin das Aufsteigen zu erleichtern.

»Was willst Du thun?«

»Sidi Jacuf soll haben, was er wünscht. Taura, mein treues Thier, hat schon oft den Strauß jagen helfen. Reiche mir den Stab dort und tritt nicht eher aus den Felsen, als bis die Reumda (der Strauß) in Deine Nähe getrieben ist.«

Der Jäger wollte widersprechen, aber schon hatte sich das Mädchen auf ihren hohen Sitz geschwungen und auf ein neues Schnalzen von ihr erhob sich das edle Thier. Sie winkte dem Freunde mit der Hand und indem sie allein mit einem Wort und dem Stab die Bewegungen lhres Thiers regelte, trabte sie aus dem Versteck in die Wüste hinaus.

Dies war der Augenblick, wo sie den Augen der

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Gesellschaft auf der Höhe des Felshanges zuerst erschienen war.

Die Anfangs blos zum Zweck der Erfüllung eines Wunsches ihres Geliebten unternommene Jagd erregte bald das angeborne Feuer des jungen Mädchens für diese Belustigung, die allerdings sonst nur das Geschäft der Männer ist, aber von Reich und Arm mit großer Leidenschaft betrieben wird.

Der Strauß wird in der Sahara auf zwei Arten gejagt: zu Pferde durch förmliche Hetze und auf dem Anstand. Die prächtigste, anregendste Jagd ist natürlich die zu Pferde und die Araber lieben sie über Alles. Der Koran erlaubt ihnen, das Wild zu jagen, dessen Fleisch nicht verboten ist, oder diejenigen Thiere, die schädlich sind. -

Die gewöhnliche Dressur des Pferdes genügt bei dieser Jagd nicht. Es bedarf dazu einer besonderen Vorbereitung, wie bei unseren Rennpferden, eines Trainirens während einiger Tage unmittelbar vor der Jagd. Das hierbei in der Sahara übliche Verfahren ist folgendes: Sieben oder acht Tage vorher fällt beim Futter das Stroh oder Gras gänzlich weg, die Pferde erhalten nur Gerste und werden nur einmal des Tages bei Sonnenuntergang getränkt, weil das Wasser dann anfängt, frischer zu werden. Auch wäscht man sie und läßt sie täglich einen langen Weg im Schritt und Galopp machen und richtet ihr Geschirr zu der Straußjagd ein. Nach Verlauf dieser acht Tage verschwindet, wie der Araber sagt, der Bauch, ohne daß Hals, Brust und Kruppe an Fleisch verlieren, und

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das Pferd ist dann im Stande, die Anstrengung auszuhalten. Diese Vorbereitung nennt man »Techaha.« Das Sattel- und Riemzeug wird vermindert, um das Gewicht zu erleichtern. Die Steigbügel müssen leichter sein, als die gewöhnlichen, ebenso der Sattelbaum. Die Schabracke fällt weg, man nimmt das Vorderzeug ab und behält nur 2 Filzdecken. Von dem Zaumzeug bleibt nur ganz einfach das Gebiß, das an einer starken Schnur von Kameelhaaren ohne Kehlriemen am Kopf befestigt wird, mit leichten, aber starken Zügeln. Die Pferde sind an allen vier Füßen beschlagen.

Die beste Zeit zu dieser Jagd ist während der großen Sonnenhitze. Je größer dieselbe, desto weniger Kraft hat der Strauß, sich zu vertheidigen. Die Araber bezeichnen diese Zeit mit dem Ausdruck, daß der Schatten eines aufrechtstehenden Mannes nicht länger als sein Fuß ist. Zu dem gewöhnlich 7-8 Tage dauernden Jagdzug vereinigen sich Gesellschaften von etwa zehn Reitern, die gemeinsam ihre Vorbereitungen treffen. Jeder Reiter ist von einem seiner Diener begleitet, der dann Zemmal heißt und auf einem Kameel reitet, das vier mit Wasser gefüllte Schläuche, Gerste für das Pferd, geröstetes Mehl (Rouina), Datteln, einen Kochtopf, Riemen und einige Reserve-Eisen trägt. Der Reiter ist nur mit einem Hemde von Wolle oder Baumwolle und mit einer wollenen Hose bekleidet. Um den Hals und die Ohren wickelt er ein Stück leichtes Zeug, Haouli genannt, das mit einer Schnur von Kameelhaaren befestigt ist und seinen Kopf gegen den Sonnenbrand schützt. An den Füßen trägt er von Schnüren

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gehaltene Sohlen und leichte Gamaschen; er ist weder mit einem Gewehr noch sonstigen Waffen beladen - sondern führt nur einen 4 bis 5 Fuß langen Stock aus wildem Oliven- oder Tamarindenholz, dessen eines Ende schwer ist.

Die Gesellschaft zieht erst dann zur Jagd aus, wenn man von Reisenden, Karawanen oder den zu diesem Zweck ausgesandten Spähern die Anwesenheit einer Anzahl von Straußen in einer gewissen Gegend in Erfahrung gebracht hat. Gewöhnlich findet man die Strauße an Stellen, wo viel Gras wächst, oder wo es kürzlich geregnet hat. Die Araber behaupten, der Strauß eile, sob[o]ald er das Zucken der Blitze und ein Gewitter gewahre, sogleich nach der Gegend hin und wäre sie noch so entfernt. Ein Marsch von zehn Tagen sei ihm eine Kleinigkeit.

Früh am Morgen bricht der Zug auf. Sobald man nach einem Marsche von zwei Tagen den Ort erreicht, wo die Strauße gesehen worden sind und man anfängt, ihre Spuren zu bemerken, wird ein Lager aufgeschlagen. Am nächsten Morgen werden zwei gewandte Diener zum Recognosciren ausgeschickt. Sie sind ohne alle Bekleidung nur mit einem Tuch um die Hüften und führen nur einen Wasserschlauch (Chibouta) an einer Seite hängend und etwas Brod mit sich. Sie gehen so lange, bis sie die Strauße finden, welche sich immer auf Anhöhen aufzuhalten pflegen. Sobald sie dieselben bemerkt haben, legen sie sich nieder und beobachten sie, dann kehrt der Eine zurück, um der Gesellschaft Nachricht zu geben, und die Reiter rücken nun unter seiner Führung so geräuschlos wie

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möglich nach der Richtung vor, wo sich die Strauße befinden. Die Zahl der Strauße, die sich an einer Stelle versammelt finden, wechselt von 3 und 4 Paaren bis zu 40 bis 60 Stück.

Je näher man dem Hügel kommt, desto größere Vorsicht müssen die Reiter anwenden, um nicht bemerkt zu werden. Bei dem letzten Punkt angekommen, wo sie sich verbergen können, steigen sie ab, zwei Vorposten überzeugen sich kriechend nochmals, ob die Strauße noch an demselben Ort sind, dann tränkt jeder sein Pferd mit dem Wasser, das die Kameele tragen; das Gepäck wird an dem Halt niedergelegt und die Reiter trennen sich und bilden einen Kreis, worin sie in sehr großer Entfernung die Jagd einschließen, aber so, daß der Strauß, der ein überaus scharfes Gesicht hat, sie nicht bemerkt. Jeder Reiter trägt an seiner Seite die Ghibouta, den Wasserschlauch. Die Diener und Kameele, von denen jedes nur das Abendfutter des Pferdes in Gerste, sein eigenes und das für Menschen und Thiere erforderliche Wasser trägt, sind den Reitern gefolgt und warten da, wo diese sich getrennt haben. Sobald sie sehen, daß die Reiter auf ihrem Posten sind, gehen sie gerade auf die Strauße los, die erschrocken fliehen, aber den Reitern begegnen, die sich nur bemühen, sie in den Kreis zurück zu treiben. Der Strauß fängt nun an, seine Kräfte im schnellen Lauf zu erschöpfen, wiederholt den Versuch mehre Male, indem er umher laufend aus dem Kreise zu entkommen strebt, wird aber immer wieder von den Reitern zurück getrieben, bis diese merken, daß die Vögel ermüdet werden. Bei dem ersten Zeichen davon

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jagen die Jäger nun auf den Trupp los, dieser zerstreut sich, und man sieht die erschöpften Strauße die Flügel ausbreiten. Dies ist ein Zeichen großer Mattigkeit, und die Jäger, nunmehr ihrer Beute gewiß, verkürzen den Lauf ihrer Pferde. Jeder der Reiter wählt sich jetzt eines der Opfer aus, verfolgt und erreicht es und bringt ihm, entweder von hinten oder von der Seite mit dem langen Stock einen Schlag auf dem Kopf bei. Der Kopf des Straußes ist kahl und sehr empfindlich, während jeder andere Körpertheil zäheren Widerstand leisten würde. Der getroffene Vogel fällt sogleich und der Reiter steigt eiligst ab, um ihm den Hals abzuschneiden, und das Blut abzulassen, wobei er Sorge trägt, den Hals vom Körper entfernt zu halten, damit das Blut die Federn nicht beflecke. Das Männchen der Strauße, Delim von den Arabern genannt, stößt, wenn man es sticht, besonders in der Nähe seiner Jungen, ein klägliches Geschrei aus, die Reumda, das Weibchen, aber erleidet stumm den Tod. Wenn der Strauß eingeholt wird, ist er oft so matt, daß der Jäger, wenn er denselben nicht tödten will, ihn leicht vor sich hertreiben kann, indem er ihn mit seinem Stock lenkt. Unmittelbar, nachdem der Strauß sich verblutet hat, zieht man ihn sorgfältig und ohne die Federn zu beschädigen ab; dann wird die Haut auf dem Sand oder einem Pferde ausgebreitet, die Kameele kommen herbei, und nun wird das Innere und Aeußere des Thieres stark mit Salz eingerieben. Die Diener machen ein Feuer, setzen die Töpfe an und lassen das ganze Fett des Thieres lange bei starker

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Flamme kochen. Sobald es ganz flüssig ist, gießt man es in den Schlauch, den man aus der Haut des Schenkels macht, indem man deren unteren Theil fest zubindet. Das Fett eines guten Straußes füllt seine beiden Beine. In jedem anderen Gefäß würde es verderben. Nur wenn der Strauß brütet, nach Mitte November, ist er sehr mager. Der Rest des Fleisches dient zur Abendmahlzeit der Jäger, die es mit Pfeffer und Mehl zubereitet essen. Gewöhnlich werden alle auf dem Platze versammelten Strauße erlegt, da - wenn der eine durch den Schlag betäubt ist, - die Jäger einen andern verfolgen können. Nur selten gelingt es daher einzelnen Thieren, zu entwischen.

Dies schien jedoch mit dem so eben von der jungen Araberin erlegten Vogel der Fall gewesen zu sein. Als Zela ihn bis zu ihrem Freunde geschleppt hatte, blieb sie vor diesem halten.

»Es ist, wie ich gesagt. Allah hat in seiner Weisheit dies Thier gesandt, um uns wissen zu lassen, daß die Jäger der Beni Mezab und ihre Verbündeten in der Wüste sind. Sie werden an der weißen Quelle der Oase lagern und ehe die Sonne wieder die Wüste bescheint, vor dem Douar des Löwentödters und seiner Freunde stehen. Dieser Vogel trägt das Zeichen, daß ein junger Krieger fehlgeschlagen und statt des Kopfes den Flügel getroffen hat. Es muß ein großer Kreis gewesen sein, aus dem die Reumda entwischen konnte.«

Der junge Mann war nachdenkend geworden, denn er kannte die scharfe Beobachtungsgabe seiner Freundin.

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»Zela,« fuhr diese fort, »muß ihren Liebling verlassen, denn es wäre gefährlich für sie, den Kriegern in den Weg zu kommen. Rufe Deinen Bruder, den Matadreo - er hat die Kraft und den Muth von zehn Löwen und die Weisheit eines gerechten Kadi. Er möge mit den Seinen nach der Festung der Ungläubigen fliehen, bis der Zorn der Beni Mezab verraucht ist.«

»Es ist wahr - ich will das Signal geben, daß wir seiner bedürfen. Aber Du, Zela?«

»Zela wird in der Nähe Sidi Jacoufs sein, wenn ihm Gefahr droht. Sie weiß, daß sein Leben in Allah's Hand ist und daß der Scheich, ihr Bruder ... aber was ist das -«

Eine Kugel war, obschon matt durch die weite Distanz, wenige Schritte von ihnen in den Kies geschlagen, den sie umher stäubte. Gleich darauf auch dröhnte der Knall des Schusses herüber.

»Sacre Dieu! wer hat es gewagt, auf uns zu schießen? - In den Schutz der Felsen Zela, geschwind!«

Der junge Mann hatte rasch seine Flinte ergriffen und schußfertig vorgeworfen; aber das Arabermädchen blieb furchtlos auf ihrem Dromedar halten.

»Es sind die Deinen, Sidi Jacouf - dort auf dem Felsen! Es scheinen Reisende zu sein, aber sie kommen herab und es sind arabische Führer dabei, die Zela nicht sehen dürfen. Lebe wohl, Freund meiner Seele, Licht meiner Augen, und denke daran, daß Dein Leben Zela's Leben ist. Ihr Auge wird über Dir wachen und möge

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Allah Dich beschützen und uns gnädig wieder zusammenführen!«

Bevor der junge Mann noch Einsprache thun oder ihre flatternden Gewänder erfassen konnte, hatte sie das Dromedar gewandt und galoppirte hinein in die Wüste.

Sidi Jacouf, wie ihn das Mädchen genannt, oder Jacques, wie er bei den Seinen hieß, starrte ihr mit dem Ausdruck von Liebe und Besorgniß nach. Erst als sie in dem Staubwirbel, den der Lauf ihres Thieres hinter ihr erhob, weithin in der ungeheuren Sandfläche verschwunden war, wandte er sich um und den Fremden entgegen, denen er bisher nur bei der ersten Andeutung Zela's einen flüchtigen Blick geschenkt hatte. Er ging einige Schritte vor, hob die Kugel auf, die hier niedergerollt war, und blieb dann auf seine Flinte gestützt stehen.

Der unerwartete Schuß hatte unterdeß auch in der kleinen Reisegesellschaft einige Verwirrung und Zwiespalt hervorgerufen. Die Marquise ließ einen Ausruf des Schreckens und der Besorgniß hören und Montboisier trieb sein Pferd hinunter nach der Stelle, wo noch der sich verziehende Rauch bekundete, daß von hier aus geschossen worden war.

Auf derselben - einer vorspringenden Felsstufe, stand ruhig der Schütze, Kapitain Peard und sah ärgerlich durch sein Glas nach dem verfehlten Ziel.

»Zum Teufel, mein Herr - was fällt Ihnen ein - was haben Sie da gemacht?«

»Ich hätte darauf schwören mögen, lieber Graf,« lispelte der Menschenjäger, - »daß dieser Büchsenmacher

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ein ehrlicher Mann wäre. Aber sie sind Alle Lügner. Der Mensch versicherte mich hoch und theuer, daß dies Zündnadelgewehr bis zu 1500 Schritten Entfernung tragen würde, und ich habe mich jetzt überzeugt, daß es noch keine tausend schießt.«

»Hol' Sie der Henker - machen Sie Ihre Experimente bei einer andern Gelegenheit. Was soll das heißen, daß Sie auf jene Leute schießen?«

»O - es sind ja nur Wilde! ich habe in der That noch keine Araberin erschossen,« meinte der Kapitain. »Ihre Regierung wird hier, außerhalb ihrer anerkannten Grenzen, sicher Nichts dawider haben. - Charles, ich bitte Sie, kommen Sie hierher und nehmen Sie dieses Gewehr. Ich werde künftig wieder mit meiner alten Büchse schießen!«

»Nur nicht auf solche Ziele und in unserer Gegenwart,« erklärte der Graf bestimmt. »Wenn Sie dergleichen versuchen wollen, so machen Sie Ihre Excursion in die Wüste gefälligst ohne unsere Gesellschaft. Was Sie gethan haben, ist nicht besser, als ein feiger Mordversuch, und ich bin sehr in Zweifel, ob er nicht sogar einem französischen Unterthan gegolten hat, und ich verpflichtet wäre, Sie dafür vor Gericht zu stellen.«

»Bedenken Sie lieber Freund, wir haben unsern Consul in Oran,« sagte freundlich der Kapitain. »Er würde mich auf der Stelle reclamiren und es könnte die entente cordiale der beiden großen Nationen stören. Ich will dem Menschen da einige Franken zahlen, wenn er sich erschrocken haben sollte. Das Frauenzimmer hat sich bereits

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aus dem Staube gemacht. By Jove, - ich wette, liebe Marquise, selbst eine Kanonenkugel könnte sie nicht mehr einholen!«

»Sie sind ein Narr, aber ein gefährlicher,« antwortete ihm diese. »Der Graf hat Recht - Sie hätten uns in große Verlegenheit setzen können. Denken Sie hübsch auf eine Entschuldigung, denn jener interessante Halbwilde dort scheint mir nicht der Mann, so geduldig auf sich oder seine Gesellschafterin schießen zu lassen, und Ihre Thorheit hat uns um eine interessante Bekanntschaft gebracht.«

Sie hatten während dieser Vorwürfe, die der Menschenjäger mit großer Ruhe über sich ergehen ließ, das Herabsteigen fortgesetzt und waren am Fuß der Felsen angekommen. Die Dame trieb ihr Pferd an und ritt von den beiden Männern gefolgt auf den Fremden zu.

Etwa drei Schritt vor ihm blieb sie halten und betrachtete ihn mit der ganzen Insolenz einer vornehmen Pariserin durch ihre Lorgnette.

»Sind Sie ein wirklicher Araber, mein Freund?«

Der junge Mann lachte ihr in's Gesicht. »Nein, Madame, ich schmeichle mich, vom Scheitel bis zur Sohle ein Franzose zu sein, wenn ich auch einige arabische Aeußerlichkeiten angenommen habe.«

»Ah, das ist mir lieb, Monsieur - da werden Sie gewiß so galant sein, meine Wünsche zu erfüllen.«

»Und worin bestehen diese, Madame?«

»Sie haben da einen wirklichen Strauß - ich habe deren bis jetzt nur in dem Jardin des Plantes gesehen.

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Würden Sie wohl so gut sein, mir die Federn zu verkaufen?«

»Warum nicht, Madame, mir ist es gleich, ob ich sie Ihnen oder einem Händler in Saida verkaufe.«

»Das ist sehr liebenswürdig, mein Herr. Wie viel kosten sie?«

»Sie sind fünf Douro's werth!«

»Das sind fünfundzwanzig Franken - aber das ist viel zu billig, mein Herr. Geben Sie ihm das Doppelte, lieber Graf, und lassen Sie einen der Diener die Federn ja recht sorgfältig einpacken.«

»War das Alles, was Madame mir zu sagen haben?«

»Oh, mein Freund - ich bin sehr neugierig. Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir erzählen wollten, wer die junge Schöne war, die sich leider so rasch entfernt hat. Gewiß, eine arabische Bekanntschaft - ein Stoff zu einer interessanten Novelle, wie man sie von General Jussuf aus seiner Jugend erzählt. Bitte, vertrauen Sie uns die Geschichte - ich werde dafür sorgen, daß der Constitutionel sie in seinem Feuilleton bringt.«

Der Jäger sah sie mit offenem Erstaunen an. »Aber Madame,« sagte er endlich - »ich glaube, - man wird mir doch zuerst wohl sagen müssen, warum man auf uns wie auf wilde Thiere geschossen hat? Hier ist die Kugel!«

»Richtig, mein Herr - Sie haben ganz Recht. Aber das geht diesen Herrn da an!«

Der junge Mann trat einen Schritt auf den Kapitain zu.

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»Sie haben geschossen?«

»Yes! - aber ich zielte nicht auf Sie!«

»Auf was denn?«

»Very well - blos auf das arabische Weib!«

»Auf Zela?!«

»Ah Zela heißt sie,« unterbrach ihn die Dame. »In der That ein reizender Name. Er muß in Paris eingeführt werden.«

»Ich kümmere mich den Teufel darum, was in Paris eingeführt wird oder nicht,« sagte heftig der Fremde. »Aber es ist eine Abscheulichkeit, auf ein Mädchen zu schießen, das Sie nicht beleidigt hat und Sie verdienen, daß ich Ihnen die Kugel in meinem Gewehr durch den Kopf dafür jage!«

»Stap - stap,« sagte gelassen der Kapitain. »Sie werden zu hitzig, mein Freund! Sagen Sie mir, was in dieser Gegend kostet eine Sclavin und ich werde Ihnen bezahlen den Preis, als hätte ich sie wirklich getroffen.«

Dieser Vorschlag entwaffnete den Zorn des jungen Mannes, denn er brach statt der Antwort in ein lautes Gelächter aus und ließ das drohend erhobene Gewehr sinken. »Parbleu,« sagte er - »ich glaube, Sie sind ein Mylord, ein Engländer?«

»Yes! yes! ich seind Gentleman!«

»Ja, dann kann ich mich nicht wundern - die Engländer sind alle etwas hirnverrückt im Kopf, aber sonst brave Burschen und ich bin wenigstens einem von ihnen großen Dank schuldig. Bei alledem ist es gut, Herr, daß Sie Zela nicht verletzt haben, denn ich hätte Sie

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dafür niedergeschossen wie einen heulenden Schakal! Bitte, Madame - hier sind Ihre Federn!«

»Tausend Dank, Monsieur! Aber Sie wollten uns ja Ihre Geschichte erzählen. Wir wollen absteigen und uns im Schatten jener Felsen lagern!«

Der junge Franzose sah sie mit einem halb spöttischen, halb leichtfertigen Ausdruck in seinen Mienen an. »Bitte, Madame,« sagte er - »incommodiren Sie sich nicht. Die Geschichte eines so armen Teufels wird Sie wenig interessiren. Ich will nicht leugnen, daß ich der kleinen Braunen herzlich gut bin und daß sie unverdienter Weise in einen so tollen Burschen wie ich bin, verliebt ist, denn Sie haben uns doch bei unserm Rendezvous überrascht; aber damit ist die Geschichte aus, denn ich habe kein Geld, sie zu heirathen und die Brautgabe zu bezahlen, selbst wenn der Scheich, ihr Bruder, einwilligen würde, sie einem Christen zur Frau zu geben. Ueberdies, Madame, glaube ich, werden Sie besser thun, sich nach einem sichern Nachtlager umzusehen, als die Liebesgeschichte eines armen Teufels anzuhören, denn die Sonne ist im Sinken und Sie haben einen tüchtigen Weg zurück bis zu den Ansiedlungen.«

Die Andeutung veranlaßte den Obersten, der bei dem ziemlich seltsamen Gespräch sich bisher zurückgehalten hatte, näher zu treten und sich einzumischen.

»Wie weit ist Fort Randon von hier noch entfernt, mein Freund?«

Der Angeredete sah ihn aufmerksam an - ein gewisses Nachdenken zeigte sich auf seiner belebten Miene, als suche er, wo er dies Gesicht bereits gesehen, doch schien

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die Erinnerung zu unklar und er begnügte sich mit der Erkenntniß, daß er einen angesehenen Offizier vor sich habe, dessen Frage eine achtungsvollere Aufmerksamkeit erfordere, als das bisherige Gespräch.

»Wie, mein Herr - Sie wollen nach Fort Randon?«

»Das ist unser Ziel - es kann nach meiner Rechnung nicht weiter als ein Paar Lieu's entfernt sein und ich wundere wich, daß wir es noch nicht erblicken. Wir sind gestern von Aghwât aufgebrochen und müßten schon vor Mittag angekommen sein, wenn diese Dame nicht heute noch die Wüste hätte sehen wollen.«

Der Wüstenjäger zuckte die Achseln. »Ich bedaure, mein Offizier, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie sich irren oder von Ihren Führern irre geleitet worden sind. Fort Randon liegt in Ihrem Rücken und ist volle vier Stunden von hier entfernt - Sie können es unmöglich vor Anbruch der Nacht mehr erreichen, auch wenn Ihre Begleiter besser den Weg wüßten, als dies der Fall zu sein scheint oder als sie ihn wissen wollen.«

»Aber, mein Gott - befinden wir uns denn hier nicht auf dem Abhang des Arba-Gebirges?«

»Sie sind im Dschebel Muzedsch - die Arba liegt mehr als zehn Lieus hinter Ihnen.«

»Dann sind wir absichtlich irre geführt worden und diese Schurken haben ihren besonderen Zweck damit.«

»Das ist's, was ich sagen wollte. Aber bitte mein Offizier« - der Graf machte Miene, nach seinen Begleitern zurück zu sprengen - »zeigen Sie ihnen keinen

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Verdacht und lassen Sie mich mit ihnen reden. Wie sind Sie an jene Schurkengesichter gekommen?«

»Sie wurden uns auf dem Markt in Aghwât als Eingeborne der Wüstengränze und zuverlässige Führer empfohlen, und machten sich anheischig, uns bis zur Wüste und zum Fort zu bringen, wohin wir Empfehlungen des Gouverneurs haben. Aber sie redeten uns unterwegs vor, daß das Fort sich eine Strecke hinein in die Wüste befinde und ich selbst bin nie bis hierher gekommen, um sofort ihre Täuschung ersehen zu können.«

»Und der Dritte?«

»Es ist mein arabischer Diener, den ich in Algier angenommen; er dient uns, wo es nöthig ist, als Dolmetscher, aber ich glaube, für ihn bürgen zu können, er ist jung und hat sich bisher sehr zuverlässig gezeigt. Doch eine Frage, mein Freund. Sie haben ganz richtig geurtheilt, daß ich Offizier bin oder vielmehr war. Ich diente früher selbst in Algier und bin der Oberst Graf Montboisier. Gehören Sie zur Garnison des Forts Randon, und wie kommen Sie hierher?«

Der Namen des Reiters schien einen besondern Eindruck auf den jungen Mann zu machen, obschon er bemüht war, ihn zu verbergen, was ihm auch, bei dem Interesse der Andern für ihre eigene, so unerwartet bedrohte Lage gelang. Er beugte den Kopf, wie beschämt über die Frage und sagte: »Ich wäre längst gern Soldat geworden, mein Colonel, aber die Umstände erlauben es nicht. Ich kann meine Familie nicht verlassen, die arme Ansiedler sind und zwei Arme und ein muthiges Herz in diesem Lande

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nicht entbehren können. Auch hänge ich nicht von mir ab. Aber ich kenne seit drei Jahren diese Gegend und bin oft im Fort gewesen, wenn ich auf meinen Jagdstreifereien in jene Richtung kam.«

»Sie sind Franzose - das genügt. Wir vertrauen uns Ihrer Ehre an. Was rathen Sie uns zu thun, denn Sie sehen, daß wir eine Dame bei uns führen, obschon ich mehr Unbequemlichkeiten als Gefahr fürchte, denn die Regierung lebt in diesem Augenblick mit allen Stämmen in tiefem Frieden.«

»Ich muß mich erst überzeugen, in wie weit diese Männer Sie absichtlich irre geführt, obschon kein Araber des Südens die Dschebel Muzedsch mit der Arba verwechseln wird. Ich spreche fertig Arabisch und bedarf des Dolmetschers nicht, wenn Sie mir vertrauen wollen.«

»Gehen Sie und beeilen Sie die Sache, indeß ich hier Madame und jenen unvorsichtigen Schützen verständige.«

Die Marquise und der Kapitain waren in der That schon bei Beginn des Gesprächs, das sie für Einziehung bloßer topographischer Nachrichten hielten, vorwärts geritten und bei dem Strauß abgestiegen, um den todten Vogel zu untersuchen.

Noch immer war der Graf sehr geneigt, die Thatsache, daß sie so weit über ihr beabsichtigtes Ziel vorgedrungen, einem Mißverständnis der Führer zuzuschreiben, hervorgerufen durch den Wunsch der Marquise, sobald als möglich die Wüste zu sehen. Auch wollte er nicht unnütz der Dame Furcht und Angst einjagen und er begnügte sich

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daher, der Marquise mitzutheilen, daß sie, wie er sich durch die Nachrichten des jungen Ansiedlers überzeugt habe, zu weit in eine unbewohnte Wildniß gerathen seien und deshalb an rasche Rückkehr denken müßten. Bei alledem kannte er aus seinem früheren Aufenthalt in Algerien zu genügend den Verrätherischen Charakter der meisten Stämme, um sich nicht dem romantischen Vorschlag der durch den langen Ritt ermüdeten Marquise zu widersetzen, hier am Rande der Wüste ihr Lager aufzuschlagen und die Nacht zuzubringen, und erst am andern Morgen auf dem Rückweg nach Oran das Fort aufzusuchen.

Während sie noch darüber sprachen, hörte man aus der Gruppe des Gefolges den Kehlschrei eines der Araber und sah seine Hand nach einer bestimmten Richtung ausgestreckt.

Die Gesellschaft blickte sofort nach dieser und schaute sich mit dem größten Erstaunen an.

»Was sprechen Sie doch von unbewohnter Gegend, lieber Graf?« sagte endlich die Marquise. »Die blendende Sonnengluth und der Staub müssen uns bisher den Anblick entzogen haben. Dort auf jenen Sandhügeln seh' ich deutlich die schlanke Palme sich wiegen, Zelte aufgeschlagen und selbst eine Menge von Menschen und Pferden um eine Stelle sich drängen, wo gewiß ein Quell oder Brunnen sich befindet. Es ist sicher eine der vielbeschriebenen Oasen und sie kann höchstens zwei Lieus entfernt sein. Lassen Sie uns dahin reiten - ein Nachtlager inmitten einer Karawane oder eines arabischen Douar's muß von großem Interesse sein!«

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In der That war der von der Marquise beschriebene Anblick höchst wunderbar. Obschon man vorher von den Felsen aus den weiten Horizont der Wüste erforscht und nur die öde Leere erblickt hatte, schien jetzt in einer Richtung nach Osten plötzlich ein Vorhang aufgezogen, der bisher ihren Augen, sei es eben durch die zitternden Gluthnebel oder den Staub einen Anblick entzogen hatte, der ihnen die Gewißheit gab, daß die Wüste an dieser Stelle noch bewohnt sei.

In der anscheinenden Entfernung von einer oder zwei Lieus erhob sich ein sanft ansteigender Hügel, auf dessen Gipfel schlanke Palmen ihre Stämme und Kronen gegen den Horizont abzeichneten. Ganz deutlich, trotz der Entfernung, ja selbst in den einzelnen Gestalten ließ sich um braune Zelte und den Fuß der Bäume ein Gewühl von Menschen und Thieren erkennen. Reiter sprengten hin und her, zuweilen selbst schien man Waffen blitzen zu sehen und ganze Gruppen sonderten sich von der Menge ab und jagten hinaus in die Wüste oder kehrten von daher zurück. Es mochten ungefähr zwei- oder dreihundert Personen mit ihren Pferden und Kameelen dort versammelt sein.

In der Mitte dieses Lagers, an dem sprudelnden Quell der mit frischen Rasen bedeckten Oase erhob sich auf langer Stange eine im Luftzug wehende Standarte.

Ehe die drei Reisenden noch ihre Ansichten weiter über die unerwartete Entdeckung austauschen oder den jungen Ansiedler befragen konnten, der mit hastigen Schritten herbei kam, gellte auf's Neue ein wilder Schrei durch die Luft und die beiden arabischen Führer sprengten im

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vollsten Lauf ihrer Pferde hinein in die Wüste, in der entgegengesetzten Richtung der Oase.

Jacques oder Sidi Jacouf, wie ihn das Mädchen genannt, durch den Schrei aufmerksam gemacht, blieb stehen und schaute sich um. In dem Augenblick, wo er die galopirenden Araber erblickte, war seine Flinte an der Wange und er feuerte. Der Schuß schien getroffen zu haben, denn man sah einen der Reiter im Sattel vorn über fallen. Im nächsten Augenblick aber richtete er sich wieder empor, schüttelte drohend die Hand zurück und jagte seinem davonsprengenden Kameraden nach.

Der Ansiedler eilte auf die Gesellschaft zu. »Schießen Sie, schießen Sie sie nieder - sehen Sie nicht, daß sie fliehen und Sie verrathen werden? - Verdammt - ich hätte auf das Pferd des schielenden Burschen halten sollen - aber man ist froh, wenn diese hundsföttische Muskete nur losgeht!«

Er warf das alte Kommisgewehr[Kommißgewehr] ärgerlich auf den Boden und sah den beiden Reitern nach, die bereits außer dem Schußbereich der kleinen Gesellschaft waren, auch wenn diese geneigt gewesen wäre, sofort das Verlangen des Ansiedlers zu erfüllen.

»Wohin reiten die Burschen und warum haben Sie auf dieselben geschossen?« frug der Graf. »Ich würde glauben, sie wollten ihren Landsleuten einen Besuch abstatten, wenn sie nicht gerade in der entgegengesetzten Richtung jenes Oasenlagers davon ritten!«

»In der entgegengesetzten Richtung? Aber wo glauben Sie denn das Lager der Stämme, Herr?

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»Nun dort - wo wir es sehen!« Der Oberst deutete zurück. - »Aber zum Teufel - was ist das? Wo ist der Hügel mit den Arabern und der Quelle - ich kann Nichts davon sehen - bin ich denn plötzlich blind geworden?«

Der junge Mann lachte. »Par Dieu, Colonel, Sie sind nicht blind, - aber Sie haben sich vorhin getäuscht. Wenn Sie jenen Anblick noch ein Mal haben wollen, so folgen Sie jenen schuftigen Dieben und wenn Sie vielleicht acht oder zehn Lieus durch die Wüste gemacht haben, werden Sie ihn wieder finden. Es war die Fata Morgana, die wir gesehen und die Oase der weißen Quelle, die mir wohl bekannt ist und etwa vier Stunden entfernt in der Wüste liegt.«

»Die Fata Morgana,« sagte erfreut die Dame. »Ei, das ist herrlich - wir haben in der That Glück heute meine Herren! Eine Straußjagd - ein arabisches Liebespaar - und eine Fata Morgana! Was wollen wir mehr, um uns für die Strapatzen zu entschädigen?«

»Yes, yes, Mylady! - wenn ich nur meine Endfield-Büchse gehabt hätte - aber Charles ist ein höchst säumiger Bursche. Sind Sie endlich fertig mit dem Laden, mein Bester?«

»Ich fürchte, Madame,« sagte der Graf, ohne von Kapitain Peard Notiz zu nehmen, »wir haben unser Vergnügen mit etwas mehr als einer leichten Unbequemlichkeit zu büßen. - Warum,« er wandte sich wieder zu dem jungen Ansiedler - »haben unsere Führer uns so plötzlich verlassen? und glauben Sie, daß sie bald zurückkehren werden?«

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»Das verhüte der Himmel, Colonel, denn es würde nur in Gesellschaft jener Wüstendiebe geschehen, die uns zum Glück die Fata Morgana verrathen hat!«

»So ist wirklich Gefahr vorhanden?«

»Ich kann nicht mehr daran zweifeln und wünschte, ich hätte Zela's Worten eher geglaubt. Haben Sie die Fahne oder vielmehr den Fetzen gesehen, den sie an der Quelle aufgepflanzt?«

»Den Wimpel an einem langen Speer?«

»Ganz recht, mein Offizier, und haben Sie die Farbe erkannt?«

»Mein Glas zeigte sie deutlich - sie war grün!«

»So ist es, Herr - und wissen Sie, was das bedeutet?«

»Nein.«

»Der undankbare Verräther Hussan[Hassan] Fl[El] Mazâb ist vom Blut Abdel Kaders - er maßt sich das Recht an, die Farbe ihres falschen Propheten zu führen, und wenn er die grüne Fahne wehen läßt, so befindet er sich auf einer Unternehmung gegen seine Feinde.«

»Wie - Sie wollen doch nicht sagen, daß die benachbarten Stämme den Frieden mit uns brechen werden?«

»Es ist sehr leicht möglich, daß es schon geschehen. Jedenfalls beabsichtigen sie einen verrätherischen Ueberfall und haben zu dem Zweck ihre Krieger an der Quelle versammelt. Das Ziel ist nicht schwer zu errathen.«

»Sie meinen Fort Randon?«

»Das Fort oder die vorgeschobenen Ansiedelungen.«

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»Was hat Ihr Gespräch mit den beiden Führern für ein Resultat gehabt?«

»Es sind arabische Diebe, Herr, die Sie mit Absicht irre geführt haben. Vielleicht wußten sie schon von der beabsichtigten Razzia der Beni Mezâbs, oder sie rechneten darauf, irgend einer Bande umherstreifender Vagabonden zu begegnen, denen man Sie gegen Theilung der Beute in die Hände spielen könne. Die Kerle hatten die Frechheit, mir in's Gesicht zu behaupten, Fort Randon läge vor uns und wir befänden uns noch in der Dschebel Arba. Erst als ich ihnen den Namen meines Bruders nannte und sie glauben ließ, er befinde sich in der Nähe, wurden sie sichtbar für sich selber besorgt und erklärten, sie hätten sich vielleicht geirrt. Aber das waren Lügen und es thut mir leid, daß ich die Halunken mit Hilfe Ihrer Diener nicht sofort festgenommen oder aus ihren Sätteln geschossen habe.«

»Sie sprachen von Ihrem Bruder. Darf ich fragen, wie Sie heißen und wer Ihr Bruder ist? Ich habe die Pflicht, jetzt möglichst vorsichtig zu verfahren, ehe ich mich mit der Bitte um Beistand an Sie wenden kann.«

»Mein Name, Colonel, ist sehr unbedeutend. Ich heiße einfach Jacques, oder wie mich die Araber nennen, Jacouf und gehöre zu der vorgeschobensten Ansiedlung in diesem Theil des Landes.«

»So ist Ihr Bruder der Besitzer derselben?«

»Nein, Herr - er ist ein einfacher Jäger und führt den Namen El Matadreo!«

»Wie - El Matadreo - der Löwentödter, der

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berühmte Rival unser's Gerard? Der Jäger, von dessen Muth und Gefahren ganz Oran und Algier erzählt und der selbst in Paris bekannt und bewundert ist?«

»Ich weiß nicht, ob von dem Matadreo in den Städten gesprochen wird, Monsieur le Colonel, aber ich bin gewiß, daß er einigen Ruf unter den armen Bewohnern der Dschebel hat.«

»Wir hörten in Oran, daß er sich im Arba-Gebirge aufhalte, und es war kein geringer Beweggrund für uns, ihn zu sehen, daß wir diese Richtung unsers Ausflugs zur Wüste wählten, obschon er ein wunderlicher und ungeselliger Mann sein soll.«

»Es ist wahr, Monsieur, der Matadreo liebt die Wildniß mehr, als die Gesellschaft der Menschen, und auch wir sehen ihn nicht häufig. Aber die Sonne ist stark im Niedersinken, mein Offizier, und es wird gut sein, wenn Sie mit Ihren Begleitern einen Entschluß fassen. Ich selbst muß nach dem, was geschehen, dies gleichfalls thun.«

»Und dürfen wir fragen, was Ihr Entschluß sein wird?«

»Die Pflicht gegen die Meinen gebietet mir, sofort nach unserer Niederlassung zu eilen und sie von der drohenden Gefahr in Kenntniß zu setzen.«

»Liegt die Niederlassung auf dem Weg nach dem Fort?«

»Nein, Monsieur, Fort Randon liegt dort hinauf nach Nordwest, während unsere kleine Niederlassung in diesen Bergen nach Osten zu liegt, mehr als vier Lieus von dem Fort entfernt.

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»Das ist schlimm und bringt uns in große Verlegenheit. Ich rechnete bestimmt darauf in unserer Noth, Monsieur Jacques, daß Sie uns gegen reichliche Belohnung nach dem Fort führen würden.«

»Und gewiß, Sie werden es thun,« bat die Marquise, die ihre Besorgniß nicht länger verhehlen konnte. »Ein Franzose wird eine Dame nicht in Gefahr lassen, wenn er ihr beistehen kann.«

Der Jäger dachte einige Augenblicke nach. »Ich darf unmöglich meine Freunde ohne Warnung lassen« sagte er endlich. »Aber ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Sprechen Sie!«

»Es ist gefährlich für Sie, den Weg nach dem Fort jetzt, wo die Dunkelheit nahe ist, einzuschlagen. Die feindlichen Stämme, wenn sie einen Ueberfall beabsichtigen, haben sicher bereits ihre Späher oder ihre Vorposten zwischen der Wüste und dem Fort, vielleicht streifen einzelne Trupps der Beduinen bereits durch die Quellniederung zwischen dem Dschebel Muzedsch und dem Arab. Wir können leicht in ihre Hände fallen. Es ist unmöglich, das Fort vor Mitternacht zu erreichen.«

»Aber was sollen wir denn thun?«

»Pardieu,- ich wollte eben darauf kommen. Die Ansiedlung meiner Freunde liegt etwa eine Stunde von hier in den Bergschluchten. Wir können sie bald erreichen und Sie sind dann wenigstens verhältnißmäßig sicher, wenn neun oder zehn entschlossene Männer das Haus vertheidigen, bis die Garnison im Fort benachrichtigt ist und Hilfe von dort herbeikommt.«

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»Aber wer wird dieser Bote sein?«

»Der Sohn des Ansiedlers kann die Botschaft überbringen, denn wir werden vielleicht aller Männerhände dringend bedürfen. Der Knabe ist zwar jung noch, aber keck und gewandt und hat den Weg mehr als ein Mal gemacht.«

»Doch werden Ihre Freunde oder Verwandten auch bereit sein, uns auszunehmen?«

»Ich bürge für sie, ein Franzose verläßt den andern nicht. Der Bequemlichkeiten werden Sie freilich nicht viele finden, denn wir sind arm und haben zwei Mal schon durch die Ueberfälle der Araber Alles verloren, was der Fleiß unserer Hände in anderen Ansiedelungen uns erworben. Aber Renaud und sein braves Weib werden eher ihren letzten Blutstropfen vergießen, ehe sie ihren Gastfreunden ein Haar krümmen lassen.«

»Und Ihr Bruder?«

»Er hat noch nie gefehlt, wenn die Gefahr nahe war. Er wird uns auch diesmal nicht verlassen. Aber nun, Colonel, geben Sie den Befehl zum Aufbruch; denn wenn jene entflohenen Schurken auf eine Abtheilung der Araber stoßen, könnten wir scharf verfolgt werden, und es wird deshalb gut sein, so wenig Spuren als möglich zu zeigen!«

Die Gesellschaft begriff vollkommen die Nothwendigkeit der Eile, und die Marquise erklärte sich bereit, ihrer Ermüdung zu trotzen. Obschon sie es nicht gestehen wollte, schien ihre romantische Sehnsucht nach gefährlichen Abenteuern sich bereits gewaltig abgekühlt zu haben und sie sprach nicht mehr von den pariser Salons, in denen sie

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Dies und Jenes erzählen wollte, sondern erkundigte sich sehr genau nach der Zahl der Ansiedler und der Sicherheit des Platzes.

Die Muskete auf der Schulter marschirte der Jäger voran und führte den Zug, aus der Dame, ihren beiden Gesellschaftern und den drei Dienern bestehend, am Saume der Wüste entlang nach Osten zu, indem er sorgfältig für ihren Weg die steinigen Abhänge des Bergzugs benutzte, auf deren hartem Boden die Hufe der Pferde keine Spuren zurücklassen konnten.

Die Bergkette zeigte sich den Reisenden oder, wie man sie jetzt richtiger nennen konnte, den Flüchtenden, nach dieser Seite hin immer wilder und rauher. Finstere Schluchten öffneten sich in die Felswände und schienen die jahrtausende alten Rinnen, durch welche die Quellen und bei den tropischen Regengüssen zu reißenden Strömen anschwellenden Bäche des Gebirges gegen den Sand der Wüste ankämpfen, in dem sie ihr Dasein machtlos enden. Unter anderen Umständen wäre es gewiß für die Dame und ihre Begleiter interessant gewesen, den Kampf des Sandmeers mit der Vegetation zu beobachten. Die Hand Gottes hatte offenbar diese Felsenmauern hierher gestellt, um den Tod und Verderben allem Lebendigen bringenden Athem der Wüste ein »Bis hierher und nicht weiter!« entgegen zu setzen. Aber noch weit hinauf in die Felsen und Berge hatte der furchtbare Sirocco seine Sandwellen geworfen und alle Vegetation ertödtet oder verkrüppelt. Nur die Gestrüppe der Fächerpalme und einige Cactusarten drängen sich in den Schluchten aus den Spalten der Felsen,

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kümmerlich ihr Dasein von den Gewässern fristend, die während der Regenzeit hier herunter rauschen.

Nachdem sie eine halbe Stunde ziemlich eilig in dieser Weise fortgegangen waren, machte Sidi Jacouf oder Jacques am Eingang einer großen Schlucht Halt und bat seine Begleiter, einige Minuten zu verziehen. Er kletterte den steilen Fels, welcher über die Schlucht hinweghing und dessen Gipfel nach allen Seiten weithin sichtbar war, hinan und der Graf sah ihn auf der Höhe an einer dort offenbar von Menschenhand errichteten Steinpyramide, wie man sie - als Zeichen des Weges, eines Unglücks oder zu Ehren irgend eines mohamedanischen Heiligen oder Einsiedlers - in Algerien bis zur Wüste hin häufig findet, - eine Stange aus dem langen Schaft der Aloëstaude errichten, an deren Spitze ein kleiner Wimpel mit den Farben von Frankreich wehte.

Als der junge Mann wieder herunter gekommen, frug ihn der Oberst um die Bedeutung und hörte von ihm, daß jener Steinhaufen zur einstweiligen Grenzmark des vorgeschobenen oder besser angemaßten französischen Schutzgebietes gegen die Wüste hin diene und daß er jenes, sonst sorgfältig in den Felsen verborgene Fähnchen errichtet habe, um seinem Bruder ein Zeichen zu geben, daß man in der Ansiedlung seiner Anwesenheit bedürfe.

Jacques nahm hierauf seinen Weg die Schlucht hinauf und führte die Gesellschaft über das mächtige - von den Regenströmungen aufgehäufte Gerölle des jetzt trockenen Grundes empor.

Noch stand die Sonne über dem Horizont, und je

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weiter sie auf dem mühsamen und gefährlichen Wege stiegen, ein desto anderes Ansehen nahm die Umgebung umher an. Wenn auch jene üppige Vegetation, welche die Bergabhänge Algeriens am Meeresufer bedeckt, hier nicht gedeihen konnte, so nahm doch nach und nach - je höher und nördlicher sie kamen, - der Pflanzenwuchs zu. Die Fächerpalme - jener schreckliche Feind des afrikanischen Landbebauers - streckte häufiger ihre bayonnetförmigen Blätter empor, die Cactusarten wurden zahlreicher, Moos und Flechtengewächse bedeckten die Felsstücke und selbst die Agave und Aloë erhoben aus den Spalten ihre hohen Stauden.

So waren sie wieder eine halbe Stunde marschirt, als die Schlucht sich plötzlich zu einem weiten Theil ausbreitete und den Reisenden in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne sich ein Anblick bot, der sie mit neuem Muth und Vertrauen beseelte - der Anblick einer menschlichen Wohnung.

Das Thal mochte wohl eine Viertelstunde breit sein und war auf allen Seiten von den Bergen geschützt. In der Mitte desselben erhob sich ein Hügel, der von einer Gruppe schlanker hoher Dattelpalmen gekrönt war, die wie schützend die Wohnung des französischen Farmers überragten, der sich hier angesiedelt. Ein klarer Quell sprudelte aus der Seite des Hügels und der kleine Bach, den er bildete, nahm seinen Lauf nach Norden zu dem großen Wassergerinne, das zwischen den beiden Bergzügen liegt.

Die Vegetation war hier reicher als auf den Berghängen, denn wilde Feigen, Myrthen und selbst einige wilde Oelbäume zeigten sich an den Seiten des Thales und die

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großblättrige Aristolochia mit wilden Reben schwang ihre langen Festons um die knorrigen Aeste, während um den Hügel her mehrere Stücke Land offenbar die fleißige und siegreiche Hand des Menschen in der Rodung und Bebauung bekundeten. Ein Feld mit den, wenn auch spärlichen Stengeln des Mais bedeckt und ein anderes mit Gerste besät, bewiesen den Fleiß und die Ausdauer der Ansiedler, und an der Seite des Hügels, dort wo der sprudelnde Quell ihn mit einem frischeren Rasen bedeckte, war sogar der Versuch zur Anlegung eines kleinen Küchengartens gemacht.

Die Wohnung der Ansiedler selbst erregte bei dem kundigeren Blick des Obersten große Aufmerksamkeit. Sie war offenbar von einem in dem Wüstenkrieg erfahrenen Mann gebaut und trotz der geringen Hilfsmittel, die ihm dabei zu Gebote gestanden, ziemlich vortheilhaft für ihre Zwecke errichtet.

Das Plateau des Hügels war zunächst mit einer Art spanischer Reiter eingezäunt, die das Heranahen von Pferden verhinderten. In der Mitte, unter der Gruppe der Palmbäume, erhob sich ein niederes, von den hier reichlich vorhandenen Steinen statt des Holzes erbautes Blockhaus mit flachem Dach auf einem Unterbau auch von Steinen. Das Ganze sah freilich sehr roh aus, erfüllte aber seinen Zweck des Schutzes gegen die Witterung, das Toben des Samums oder Mescals und gegen einen plötzlichen feindlichen Ueberfall. Zu diesem Behuf waren die Fenster schmal und in den Steinwänden mehrere Schießscharten angebracht. Der Raum im Innern schien genügend zur

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Aufnahme einer Familie und selbst der Hausthiere, für die anstoßend ein Schuppen auf der Rückseite errichtet war, doch schien der ganze Reichthum des Ansiedlers nach Allem, was sichtbar war, sich auf ein paar Ochsen, eine Anzahl noch an den Gebirgswänden herumkletternder Ziegen und allerlei Geflügel zu beschränken.

Ein zahmer, junger Strauß, wie er häufig in den Donars der Araber als Hausthier aufgezogen wird und sehr zutraulich mit den Kindern spielt, jagte sich mit einem kleineren Knaben und zwei Mädchen, während ein größerer Knabe von etwa 8-9 Jahren vor dem Hause mit einer ländlichen Arbeit beschäftigt war, wobei ihm zwei große Hunde aufmerksam zur Seite saßen. Unter den Palmen aber, an einer im Freien unter einem Schuppen angelegten kleinen Schmiede hämmerte und feilte ein eigenthümlich ausschauender rüstiger Graukopf mit einem Stelzfuß, in eine alte abgetragene Zuaven-Montirung gekleidet, an allerlei Eisengeräth.

Die Kinder waren es, die zuerst den kleinen Zug der Reisenden erblickten und - den Führer derselben schon in der Entfernung erkennend, - ein lautes Geschrei erhoben. Auf dieses ließen der ältere Knabe und der Invalide von ihrer Arbeit und in die Thür des Hauses trat eine Frau.

Sie war etwa sieben bis achtundzwanzig Jahr, das hübsche kecke Gesicht von der Sonne gebräunt, die ganze Gestalt von der Arbeit in freier Luft gekräftigt. Man sah lhr auf den ersten Blick an, daß sie eine tüchtige Wirthin und gute Mutter war, aber nicht bloß dies, sondern auch ihrem Mann ein muthiger Beistand in den Gefahren der Wildniß.

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Die Reisenden sahen, als sie rasch herankamen, die Gruppe zusammentreten und sich offenbar neugierig über die Unkommenden unterhalten.

»Ich sehe Renaud nicht,« sagte der Jäger zu dem Kapitain, neben dem er herging, - »er ist gewiß in seiner Ansiedlung beschäftigt, aber Mariette, sein braves Weib, ist so gut wie er selbst und der alte Papa Carcadou wird uns allen Rath geben, den wir brauchen.«

»Wer ist Papa Carcadou?«

»Parbleu, Colonel, da Sie in Algier gedient haben, sollten Sie ihn billiger Weise kennen. Er ist ein Inventarieustück der Armee von Algier und noch einer der Alten von den zwei Bataillonen des Marschall Clauzel, Papa Carcadou hat nur ein Auge, das andere haben ihm die Kabylen ausgeschlagen, aber mit dem einen Brennspiegel sieht er so gut wie ein Adler mit seinen beiden. Auch ein halbes Ohr hat ihm der Yataganhieb eines Beduinen abgehauen und ein Stück vom Schädel dabei mit weggenommen. Seine Nase verdient kaum den Namen noch, so ist seine von Natur aus nicht hübsche Fratze mit Narben geflickt; in einem Duell hat er zwei Finger der linken Hand verloren und als ihm endlich ein Sturz von den Felsen der Aures-Gebirge das Bein zerschmetterte, daß es unterm Knie abgenommen werden mußte, hat er es für eine große Ungerechtigkeit des Gouvernements gehalten, daß man ihm nicht erlauben wollte, weiter im Regiment zu dienen, sondern eine Anweisung auf das Invaliden-Hôtel gegeben hat.«

Die Beschreibung war zu charakteristisch, um nicht

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wahr zu sein, und so erwies sie sich auch sofort, denn Papa Carcadou kam, eine alte Flinte in der Hand, die er eben nebst einem Pflugeisen ausgebessert, in Begleitung des älteren Knaben der Gesellschaft bis an den Eingang der Umzäunung entgegen gehumpelt.

»Hoho! Mashallah! - Ruhm sei dem falschen Hunde von Propheten, wen haben wir da? Fichtre - ich glaube gar, der tolle Junge bringt uns in die Wildniß des Muzedsch pariser Damen, wenn es nicht etwa eine gestohlene braune Schönheit aus irgend einem schmutzigen Beduinen-Zelt ist! Diantre - Nichts für ungut, meine schöne Dame, aber ein solcher Besuch hier, wo man sein täglich Brod mit Flintenschüssen verdienen muß, ist eine zu große Rarität, als daß man nicht der Welt Untergang eher glauben sollte! Hier herein Madame und Messieurs - Marsaba - bick - wie die Burschen zu sagen pflegen, Ihr seid willkommen, auch wenn der Herr des Hausch5 nicht zu Hause ist.«

Die seltsame Figur, die so ganz charakteristisch den Typus der Schaar an sich trug, mit welcher das neuere Frankreich in den Schluchten des Atlas, auf den Wällen Sebastopols, an den Thoren von Pecking wie auf den Höhen von Solferino und vor den Wällen Pueblas, also in vier Welttheilen innerhalb der letzten zehn Jahre seine blutigsten und glänzendsten Schlachtthaten ausgeführt, - hatte sofort die besondere Gunst der schönen Marquise gefunden, die seine Hand annahm, um sich aus dem Sattel zu schwingen.

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»Wir kommen, mein Herr,« sagte sie mit all' ihrer Liebenswürdigkeit, »um bei Ihnen eine gastfreundliche Aufnahme und Schutz zu suchen, wenn uns wirklich Gefahr drohen sollte, wie uns dieser junge Mann fürchten ließ. Ein alter Soldat Frankreichs wird einer Dame seinen Schutz nicht verweigern!«

»Diantre, Madame, ich will mich lebendig spießen und schinden lassen, wenn ich das thue! Bisnullah[Bismillah] - ich bin ein alter Kerl und zu Nichts mehr gut, wie die Spitzbuben von der General-Sanität behaupten, aber das Herz ist noch ungeflickt! He, Mariette, hierher - was steht Ihr da und glotzt? Heißt die Dame willkommen und tischt auf, was Küche und Keller vermag - Foudre! ich wünschte heute, sie wären besser bestellt, als sie's in der That sind! - indeß ich hier diese Herren begrüße! Lauf' Pierre und hol' Deinen Vater, er soll Alles stehen und liegen lassen und hierher kommen, denn es ist ein Wunder passirt!«

Er hatte die Dame der Hausfrau übergeben und bot geschäftig den Herren seine Dienste an, mit deren Pferden sich bereits Jacques beschäftigte.

»Pardonnez Monsieur,« sagte er plötzlich, das Band im Knopfloch des Grafen erblickend, indem er mit der gesunden Hand an seinen alten Fez salutirte, - »ich sehe, Sie haben gedient. Wohl gar Offizier?«

»Colonel, mein Braver. Ich wurde es vor Sebastopol!«

»Foudre! Der Ruhm des Malachof ist bis in unsere Einöde gedrungen! Ich kenne diesen Duckmäuser von Mac

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Mahon und den kleinen Bosquet - aber die Halunken von Doktoren haben mich um den Tanz gebracht, als ob dieses Bein und diese rechte Hand nicht noch vortrefflich im Stande gewesen wären, mitzumachen. Möge irgend ein unvernünftiges Vieh von Schakal dafür ihren Gräbern das Passende anthun! Am Ende haben Sie auch gar in Afrika gedient?«

»So ist's, mein Alter,« sagte der Graf, der selbst sein Pferd absattelte. »Ich war in meiner Jugend an der Tafna und am Isly!«

Der alte Zuave präsentirte die rostige Flinte. »Ehre, dem Ehre gebührt, Monsieur. - Aber, Fichtre- wie ist mir denn, ich muß Ihr Gesicht auch bereits gesehen haben, Colonel! Zum Teufel, das Gedächtniß fängt an, etwas morsch zu werden - aber halte là! da hab ich's! Parole: Isly! Feldgeschrei: Papa Bugeaud! Sie waren der junge Adjutant, der sich an die Spitze unserer dritten Compagnie setzte, als die Offiziere gefallen waren, und uns gegen die rothen Maroccanischen Jäger führte!«

»Es mag sein - ich erinnere mich! Aber wir werden noch Zeit genug haben, denk' ich, unsere Schlachten-Erinnerungen auszutauschen - einstweilen will ich Euch bitten, uns einen Ort anzuweisen, wo wir unsere Pferde und unser Gepäck unterbringen können.«

»Sogleich, Colonel! - Und dieser Herr« - er wies mit dem Daumen auf den Kapitain, der sich alsbald auf die rohgezimmerte Bank unter einem der Palmbäume gesetzt hatte, seine Stiefeln mit dem Taschentuch abstäubte und Kamm und Taschenspiegel hervorzog, um seinen Backenbart

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in Ordnung zu bringen. »Ist er auch Einer von uns Afrikanern?«

»Er ist ein Engländer, den wir von Paris aus kennen und der sich in Oran uns angeschlossen hat.«

»Ein Engländer! - Bah!« Der alte Zuave machte jene unnachahmliche Geberde der pariser Gamins, mit der sie ihre souveräne Verachtung ausdrücken. »Der Teufel hole die Puddingfresser!«

Der Graf lachte. - Indeß hatte sich eine nicht weniger interessante Unterhaltung zwischen der Marquise und der Ansiedlerfrau entsponnen.

»Madame sind uns herzlich willkommen,« sagte die Frau mit dem unverkennbaren Dialekt des Faubourg Saint Antoine - »ich bedauere nur, daß wir ihr nicht mehr Bequemlichkeiten verschaffen können, als diese arme Wohnung bietet.«

Die schöne Cora lächelte vornehm. »O, meine Liebe,« sagte sie gönnerhaft - »machen Sie ja keine Umstände. Ein laues Bad wird genügen und eine Stunde Ruhe auf einer Causeuse oder einem Ihrer orientalischen Divans. Mein Kammerdiener führt meine Toilette mit sich und ich bin gewöhnt als Reisende an die Strapazen und Entbehrungen. Wenn sie mir ein wenig frisches Orangenwasser in Eis bereiten wollen - das ist Alles, was ich vor der Hand bedürfen werde. Aber wie ist mir denn - Ihrer Sprache nach zu urtheilen müssen Sie eine Pariserin sein?«

»Sie haben es getroffen, Madame - aber ...«

»Arme kleine Frau,« meinte hochmüthig die vornehme

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Dame, die sich von ihrer Wirthin in den Flur des Hauses hatte führen lassen. »Gewiß eine Liebschaft, die Sie veranlaßt hat, unser schönes Paris zu verlassen! Das Bedauern kommt dann erst nach der Heirath - die Männer sind Tyrannen in allen Ständen und wissen unsere Opfer nicht zu würdigen. Aber nun, meine Liebe, werden Sie mich verbinden, mir mein Zimmer zu zeigen und für das Bad zu sorgen.«

»Das ist es eben, Madame - wir sind hier nicht in Paris sondern in der Sahara, obschon ich mich hier glücklicher fühle, als ich je war, da ich noch die Luft der Boulevards athmete, und meinen Mann auf's Beste liebe. Es thut mir leid, Ihnen kein Zimmer anbieten zu können, denn die ganze Familie lebt hier in diesem Raum und wir haben nur ein Paar schlechte Kammern für mich und meinen Mann und den alten Carcadou; - die anderen Räume sind für die Ochsen und Ziegen, die wir nicht im Freien lassen dürfen, wenn die Löwen und die Hyänen sie nicht in der Nacht zerreißen sollen.«

»Guter Gott - welches traurige Leben!« seufzte die vornehme Dame. »Gut, ich werde Ihre Kammer nehmen es ist ja hoffentlich nicht für lange. Schicken Sie mir meinen Kammerdiener und sorgen Sie für das Orangenblüthenwasser - diese eingeschlossene Luft und diese Gerüche sind erstickend!«

»Ich bedauere, Ihnen nur Quellwasser und Ziegenmilch bieten zu können. Lauf Charlotte und hole den Blechtopf voll frischen Wassers.« Damit gab sie dem

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Kinde, das sich an sie schmiegte, das Geschirr in die Hand und trieb es zur Thür hinaus.

Die feine Dame hatte sich, zum Tode enschöpft[erschöpft], auf eine roh gezimmerte Bank niedergelassen, die vor einem aus Pfählen und Brettern yon[von] Palmenholz roh gebildeten Tisch in der Mitte des Raumes befestigt war, und ließ ihre Augen etwas trostlos über diesen hinlaufen.

Die Küche oder der Flur des Blockhauses nahm etwa zwei Dritttheile desselben ein, das heißt den ganzen Vordertheil. Ein Kamin oder Heerd, der aber nur während der Regenzeit gebraucht wurde, befand sich an der Rückwand zwischen den beiden Eingängen der Kammern, die theils zu Schlafgemächern für das Ehepaar und den Invaliden, theils zur Aufbewahrung einiger Wintervorräthe benutzt wurden und allein durch große Häute statt der Thüren von dem vordern Raum abgesondert waren.

Wenn man in der durch die kleinen schmalen Fenster herbeigeführten Dämmerung - denn das Hauptlicht erhielt der Raum durch die stets offene Thür - jene Vorhänge näher betrachtete, sah man, daß sie ebenso merkwürdig, wie kostbar waren; denn die langen schwarzen Mähnen an ihnen, die weißen Zähne des Gebisses und die mächtigen Pranken mit den langen Klauen erwiesen sie als Häute der schrecklichen Beherrscher der Wildniß, der Löwen!

Zwei ähnliche Felle waren in den Winkeln über einigen Schütten Maisstroh ausgebreitet, und bildeten die einfachen Lagerstätten des Jägers und der Knaben.

Was die Familie an Geräthen und sonstiger Habe

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besaß, schien in diesem Raume vereinigt; denn an den Wänden umher hingen in buntem Gemisch Eisenwerkzeuge zum Acker- und Gartenbau, zwei Sättel mit Zaumzeug, obschon keine Pferde mehr vorhanden waren, Waffen verschiedener Art, arabische und europäische Kleidungsstücke, das Leder- und Kettenzeug zu mehreren Ochsengespannen und eisernes und blechernes Küchengeräth. Das Haus selbst war zwar nicht, wie die amerikanischen und russischen Blockhäuser von Holzbalken gebaut, denn die Wände bestanden, den Materialien der Gegend angemessen, aus einer ziemlich unregelmäßigen Steinmauer, deren Lücken mit Lehm und Moos verstopft waren; aber die ziemlich hohe Decke war von starken Balken und Brettern aus Palmenholz gezimmert und bildete so eines der in jenem Himmelsstrich üblichen flachen Dächer, mit einer etwa vier Fuß hohen Brustwehr umgeben, zu welchem eine Leiter durch eine über dem Lager im Winkel sich öffnende Fallthür hinauf führte.

Von allen Gegenständen umher schien auf die Waffen ganz besondere Sorgfalt verwendet zu sein. Sie bestanden aus einer Muskete mit Haubayonnet, wie sie die Zuaven führen, zwei Doppelflinten und einem Paar Pistolen von so werthvoller Arbeit, daß man verwundert sein konnte, sie in dieser ärmlichen Umgebung zu sehen. Ein Offiziersäbel mit Gurt, der überaus blank geputzt war, und einige Yatagans hingen zwischen den Gewehren und Aexten, wie sie die Ansiedler zu ihren Bau- und Hausarbeiten brauchen.

»Aber mein Gott,« sagte endlich die Dame, »Sie

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werden doch hier in einem Lande, wo die Orangen und Citronen wild wachsen, einige Früchte zur Erfrischung haben! Von was leben Sie denn eigentlich, meine Liebe?«

»Wir machen es wie die Eingeborenen, Madame,« lautete die einfache Antwort der Frau, die bereits beschäftigt war, eine Handvoll Kaffeebohnen in einer Steinmühle zu zerreiben. »Die Dattel ist eine vortreffliche Frucht und sehr gesund, und Kaffee haben wir auch, wie Sie sehen. Ich will ihn sogleich draußen auf dem Feuer kochen. Wir haben Mais und Gerste und Milch. Freilich war es anders, als wir noch drinnen im Lande bessere Weiden und unser gutes Vieh hatten - aber in einer Nacht raubten diese schwarzen Diebe uns Alles, sie zerstörten unsere Ernten und hätten uns Allen den Garaus gemacht, wenn wir sie nicht tüchtig mit Flintenschüssen empfangen hätten!«

»Wie - so haben Sie bereits ein Gefecht mit den Arabern oder Kabylen bestanden?«

»Mehr als eines, Madame und Sie werden sehen, wie ich die Flinte zu handhaben verstehe, wenn sich die Gelegenheit bieten sollte. Zwei Mal haben sie uns das Haus über'm Kopf angezündet, als es uns wohl und gut ging und wir mit dem besten Farmer an der Gränze kaum getauscht hätten. Wir haben zwar wenig gerettet, aber Gott hat mir Mann und Kinder erhalten, und so lange wir gesund bleiben, soll uns Unglück und Armuth nicht den Muth und die Zufriedenheit rauben!«

Die Tochter des pariser Geldfürsten sah mit einem gewissen Neid auf die arme Frau, die so glücklich und zufrieden war in all' ihrer Noth und Gefahr, während sie,

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die von der Wiege an nur Ueberfluß und die Erfüllung jeden Wunsches, jeder Laune gekannt, von dem Gefühl der Leere und Oede hinausgetrieben wurde in jene Entbehrungen und Gefahren, um damit das Bedürfniß nach Liebe zu ertödten.

Während sie noch über das so verschiedene Loos, das ihnen geworden, sann, traten die Männer, begleitet von dem Herrn des Hauses, in dasselbe ein.

Dieser war eine kräftige breitschultrige Gestalt, das etwas finstere und strenge Gesicht, obschon er kaum die Mitte der Dreißig erreicht hatte, - von einem rothen Bart umrahmt. Er trug noch die Hacke von der Ausrodungsarbeit in der Hand, von der sein Knabe ihn abgerufen.

Jacques hatte ihn bereits von dem was er gehört und bemerkt hatte, in Kenntniß gesetzt und der Ansiedler, von den früheren traurigen Erfahrungen vorsichtig gemacht, schaute noch ernster und sorgenvoller drein, als gewöhnlich. Die Männer hatten die Pferde und Saumthiere in der an das Wohnhaus angebauten stallartigen Hürde untergebracht, denn der Ansiedler war gezwungen, sein weniges Vieh allnächtlich in einer solchen einzuschließen, weil das Gebirge zahlreichen Raubthieren zum Zufluchtsort diente. In gar mancher Stunde der Nacht wurden die Ansiedler von dem das Echo der Felsen weckenden Gebrüll des Löwen oder dem heiseren Bellen der Hyäne aufgeschreckt, wenn die Bestien hungrig um die Umzäunung schlichen.

Die beiden Diener brachten alles Gepäck in die Küche, während der junge Araber die Pferde aus den geringen Vorräthen des Ansiedlers besorgte.

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»Immer heraus, Mariette,« sagte der Ansiedler, seine Frau auf die Schulter klopfend, »immer heraus mit Allem, was Deine Vorrathskammer vermag, denn so vornehme und seltene Gäste muß man ehren! Es wird freilich nicht viel sein, aber es ist gern gegeben und wenn man Hunger hat, mundet auch das härteste Brot. Wenn wir unsern Appetit gestillt, dann wird es Zeit sein, an die Geschäfte zu denken und zu berathen, was zu thun ist!«

»Ich bitte Sie, liebe Frau,« sagte der Graf, »unsertwegen nicht zu sorgen. Wir werden gern und dankbar nehmen, was Ihr Haus uns bietet, aber wir haben selbst einige Vorräthe bei uns und wollen sie mit Ihrer Erlaubniß mit Ihnen theilen.«

Die beiden europäischen Diener hatten zwei Körbe hereingebracht und dieselben geöffnet. Mit der Gewohnheit geschulter Lakaien deckten sie den rohen Tisch mit einem feinen Linnen, setzten einige silberne Teller und Becher auf und stellten eine Pastete von den rothen Rebhühnern der Metidja und einige andere transportirbare Speisen nebst drei oder vier Flaschen Wein auf, den der Graf sofort in die Gläser goß. Selbst ein paar Stearin-Kerzen, in kurze Leuchter gesteckt, fehlten nicht und erhellten den Raum besser, als die zwei Spähne von harzigem Holz, welche die Hausfrau angebrannt hatte; denn mit dem Verschwinden der Sonne war, wie dies im Süden immer der Fall ist, ohne den Uebergang der nordischen Dämmerung die Dunkelheit rasch eingetreten.

»Maschalla, Inschalla, Bismillah und alle sonstigen Allahs dazu,« sagte Vater Carcadou vergnügt, indem er

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sich auf den gesunden Schenkel schlug, - »das ist ja gerade wie in den wunderbaren Geschichten, die diese maurischen Kerle sich des Abends vor ihren Zelten erzählen, oder in Algier und Bona von einem verrückten Derwisch und Märchenerzähler vorlügen lassen. Fichtre - so schön haben wir's kaum bei Hassan, dem Bey von Constantin, gefunden, als wir unter Lamoricière seine Kauba stürmten. Foudre Dieu - ich glaube gar, das ist ächter Bordeaux, was ganz Anderes, als das schwarze Gesöff, das diese Schurken von Juden in Bona als Wein verkaufen! Seit ich dem Lazareth entlaufen bin und ihnen gesagt habe, ich wollte lieber als freier Soldat in Algerien Hunger leiden, denn als Krüppel mich von den maulaffenden Parisern am Invaliden-Hôtel angaffen lassen, hab' ich keinen Schluck mehr durch die Gurgel gegossen. Selbst im Fort giebt's für unsereins, wenn man dorthin kommt, höchstens einen schlechten Absynth!«

»Dann wird es mich um so mehr freuen, mit Ihnen in diesem Léoville auf das Wohl der französischen Armee anzustoßen, alter Kamerad,« sagte der Graf, dem Zuaven einen Becher bietend.

»Yes, yes - die französische Armee. Sie wird uns helfen zu kommen aus dieser schlimmen Gefahr.«

Der Alte schielte den Engländer, der sich von seinem Diener seinen Toilettekasten hatte bringen lassen und damit bereits beschäftigt war, - mit einem ziemlich wegwerfenden Blick an und steckte in löblicher Gewohnheit seines Soldatenlebens die Zunge in die von langer Narbe durchfurchte Backe. »Der Teufel soll mich schinden,« sagte er

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schnalzend, »wenn ein solches Getränk nicht ein halbes Dutzend Flintenschüsse werth ist! Es sollte mir nicht darauf ankommen, wenn ich die Feldflasche mit dem da gefüllt habe!«

»Wir haben Vorrath, mein Herr,« sagte die Marquise, die hinter dem Vorhang der Löwenhaut ihren Hut und Schleier abgelegt, einige kleine Veränderungen ihrer Toilette vorgenommen und mit dem kühlen Quellwasser ihren Teint erfrischt hatte, und jetzt, da sich bei den dringenderen Sorgen Niemand viel um sie kümmern wollte, von selbst mit Platz an dem Tische nahm. »Geniren Sie sich nicht, mein Braver - ich erkläre Sie zu meinem Ritter und begebe mich unter Ihren besondern Schutz, Dafür soll es Ihnen nicht an Wein fehlen von der besten Sorte. Wenn ich erst wieder glücklich in Paris bin, schick' ich Ihnen eine ganze Kiste!«

»Aber bis wir dahin kommen,« sagte der Graf ernst, nachbem er einen Becher Wein getrunken und einige Bissen genossen hatte, - »dürften wir noch Manches zu bestehen haben und ich denke, es ist die höchste Zeit, daß wir ernstlich berathen, was wir thun müssen.«

»Diantre - die braunen Halunken mit guten Flintenschüssen empfangen,« schrie Papa Careadou, seinen Becher auf den Tisch schlagend. »Eine tüchtige Kartätschensalve aus unserer Kanone und dann auf sie drein mit gefälltem Bayonnet!«

»Wie,« frug der Graf, - »Sie haben eine Kanone hier?«

»Maschallah - wo kommen Sie her, Colonel, daß Sie noch nicht im Gebirge davon gehört haben? Das ist

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es ja eben, was die Spitzbuben uns bisher vom Halse gehalten hat. Sie haben einen höllischen Respect vor der Kanone des Matadreo, wenn sie auch schon kein Vierundzwanzigpfünder ist, wie wir sie vor Konstantine brauchten, um die Bresche in die verteufelten Felsenmauern zu schießen!«

»Wir haben eine kleine Kanone auf dem Dach des Hauses,« berichtete auf den fragenden Blick des Obersten der Ansiedler. »Es ist ein altes Rohr, das man uns im Fort als unbrauchbar überlassen und das El Matadreo, unser Freund und Gefährte in der Wildniß, mit einer besonderen Einrichtung zum Gebrauch versehen hat. Ich werde sie Ihnen nachher zeigen. Jetzt denk' ich, drängt es uns, einen Entschluß zu fassen, was wir thun wollen. Denn allerdings muß ich gestehen, daß Alles, was Jacques bemerkt haben will, mich unruhig macht.«

Der Farmer mit seiner Frau wären es noch weit mehr gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß die Nachrichten von dem beabsichtigten Angriff von der Schwester des Scheik der Beni Mezab selbst herrührten. Dies aber hatte der junge Mann, wie sein ganzes Liebesverhältniß, verschwiegen und auch die Reisenden gebeten, Nichts von der Anwesenheit des Araber Mädchens zu sagen. Dem Ansiedler gegenüber hatte er angegeben, seine Nachrichten von einem Sclaven des benachbarten Stammes erhalten zu haben.

»Können wir nicht einen Boten nach dem Fort schicken, um den kommandirenden Offizier von unserer Lage in Kenntniß setzen und eine Escorte erbitten zu lassen?« frug die Dame.

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»Ich habe selbst schon daran gedacht.« meinte der Ansiedler - »aber wenn die T[h]uaregs einen Ueberfall beabsichtigen, ist das Fort mindestens ebenso bedroht, wie wir. Man muß unsere Landsleute auf alle Fälle warnen. Aber wie? Wir werden hier keiner Hand entbehren können!«

»Bah - ich will gehen! Sacre Dieu - ich verstehe mich auf solche Expeditionen!«

»Ihr seid toll, Papa Carcadou,« sagte lachend der Farmer. »Euer Muth reißt Euch fort, aber Euer Stelzbein würde ein schlechter Botengänger sein. Nein - ich weiß nur Einen, der sich paßt.« -

»Das bin ich, Renaud, ich will gehen!« sagte unruhig die junge Frau.

»Nichts da, Mariette - Pierre soll den Weg machen. Er ist alt genug, um auch das Seine zu thun, wenn es gilt. Er ist bereits mehrmals im Fort gewesen!«

»Um der heiligen Jungfrau willen, was willst Du thun, Renaud,« bat die Hände ringend die Frau. »Bedenke, er ist ein Kind und bei Nacht den weiten Weg! Die Feinde könnten ihm auflauern.«

»Er ist schlau genug, ihnen aus dem Wege zu gehen und sich nicht fangen zu lassen!«

»Aber er kann den wilden Thieren begegnen, die des Nachts umherschleichen. Du weißt, daß vor drei Tagen in den Bergen ein grauer Löwe gesehen worden!«

»Ei Mutter, was fürchtest Du,« sagte munter der Knabe. »Ich werde den Herrn Johann, den Sohn Johanns grüßen und ihn bitten, mir aus dem Wege zu gehen.

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Er wird einem Knaben so wenig wie einer Frau ein Leides thun.«

Der Glaube der Eingeborenen, daß der Löwe, der König der Wüste, Weiber und Kinder verschont, wenn sie ihm furchtlos entgegen gehen, ist allgemein. Man hat arabische Frauen dem Löwen ein geraubtes Kalb oder Schaf entreißen und ihn mit den bittersten Schimpfreden haranguiren gesehen, ohne daß er etwas Anderes that, als beschämt vor der keifenden Zunge das Weite zu suchen.

»Er steht in Gottes Hand und es muß sein!« entschied der Hausherr. »Pierre, mache Dich fertig zu dem Wege und Sie, Herr, schreiben vielleicht einige Zeilen, die wir dem Knaben mitgeben können.«

Der Oberst war sogleich bereit dazu und bediente sich des Reise-Etuis der Marquise, indeß diese die arme Mutter in ihrer Angst um den Knaben zu beruhigen suchte.

»Versteh' mich wohl, Bursche,« sagte der Ansiedler. »Unser Aller Leben hängt vielleicht davon ab, daß Du heiler Haut und rasch in das Fort kommst. In zwei Stunden, wenn Du keinen Aufenthalt hast, kannst Du dort sein. Ich gebe Dir diese Pistole mit, denn eine Flinte würde Dich zu sehr belasten auf dem Weg, obschon ich weiß, daß Du sie zu brauchen verstehst. Aber benutze sie nur im äußersten Nothfall und verlaß Dich besser auf Deine Beine und Deine Schlauheit. Du hast Dein Feuerzeug bei Dir?«

»Ja, Vater!«

»Gut - es ist für die wilden Thiere, wenn sie Dir in den Weg kommen. Nun gilt es vor Allem, daß Du

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ungesehen aus dem Gehege kommst und die Berge erreichst; denn wenn sie einen Ueberfall beabsichtigen, haben sie vielleicht schon einen Aufpasser in der Nähe und er würde sofort wissen, was Dein Ziel ist und mit seiner Flinte Dir den Weg ersparen!«

»Laß mich nur machen, Vater - ich weiß schon wie ich den Hügel hinunter komme, ohne daß man mich aus dem Thor gehen sieht!«

»Du bist ein braver Bursche,« sagte der Oberst, »und hier ist Dein Brief. Ueberbringst Du ihn glücklich, so sollst Du nicht vergessen werden, wenn wir aus dieser Klemme kommen!«

»Yes, yes! lispelte der Kapitain - »ich wette zehn Pfund, sie werden ihm den Hals abschneiden, oder eine Hyäne wird ihn unterwegs auffressen. Es muß ein interessantes Schauspiel sein, einen fetten Jungen bei lebendigem Leibe fressen zu sehen. Wirst Du sehr schreien dabei, mein Kleiner?«

»Fi donc - Sie sind abscheulich, Kapitain. Wer wird gleich immer das Schlimmste denken!«

Die arme Mutter hatte laut aufgeschrieen und den Knaben weinend an ihr beklommenes Herz gedrückt, der Ansiedler aber begnügte sich, dem würdigen Philantropen einen finstern Blick zuzuwerfen und nahm den Knaben bei der Hand.

»Komm, Pierre, denn wir dürfen keinen Augenblick zögern, Dein Weg ist weit. Gott wird über Dir wachen und der Segen Deines Vaters ist mit Dir. Mach dem

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Jungen das Herz nicht schwer, Frau - es läßt sich nicht ändern!«

Der Invalide war zwischen sie getreten. Der Knabe war sein besonderer Günstling, aber er unterdrückte mit Gewalt sein Gefühl. »Was ein guter Soldat werden will, muß sich bei Zeiten an einen Nachtmarsch gewöhnen! Aber es ist besser, wenn ich den Jungen hinaus begleite - Du kannst unterdeß den Herren hier unsere Vertheidigungsanstalten auf dem Dach zeigen. Wenn ein Späher in der Nähe ist, werden seine Augen dadurch abgelenkt werden.«

Der Knabe hatte die Pistole in den Strick gesteckt, der seine Blouse zusammenhielt und den Brief in die Tasche. Seelenvergnügt, daß er zu dem Dienste auserlesen, nahm er sich kaum Zeit, Mutter und Vater die Hand zu reichen und eilte durch die Thür dann in's Freie. Der alte Zuawe humpelte ihm nach.

Die arme Frau hatte sich auf eine Kiste gesetzt, die ihren kleinen Wäschevorrath enthielt und weinte bittere Thränen, der Ansiedler aber lud den Obersten und den Engländer ein, mit ihm die Leiter im Winkel hinauf auf's Dach zu steigen.

Draußen traf der Knabe auf den Jäger Jacques, der es übernommen hatte, in der Ansiedlung einstweilen die Wache zu halten, um zu sehen, ob sich auch nichts Verdächtiges zeige. Mit triumphirender Miene unterrichtete er ihn von dem Auftrag, der ihm geworden und ließ sich noch einige Fingerzeige über den Weg nach dem Fort geben,

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denn der Jäger war derjenige in der Ansiedlung, der die Umgegend durch seine Streifereien am besten kannte.

»Und nun, Papa Carcadou, Adieu,« sagte der kleine Bursche, »dreht Euch um und Ihr sollt sehen, daß ich Euch zwischen den Beinen verschwunden bin wie ein Wiesel und Ihr selber nicht wißt, wo ich hingekommen bin.«

Der alte Mann aber faßte ihn bei der Schulter. »Pesth - Du hast ja gewaltige Eile mein Junge! ich sehe, Du wirst einen tüchtigen Zuaven abgeben und so die Ehre der Familie retten, da Jacques nun ein Mal ein lumpiger Jäger bleiben will. Aber warte noch einen Augenblick. Hier nimm das und binde es um Deinen Hals - es ist ein Talismann[Talisman], den ich von einer alten Hexe von Jüdin in Bona gekauft habe und der vor den Kugeln und anderm Unglück schützt. Ich hab ihn zwanzig Jahre lang getragen, und würde ihn nicht weggeben, wenn Du's nicht wärst!«

»Aber ich denke, Papa Carcadou,« sagte der Junge nickend, indem er das an einer Hanfschnur befestigte Säckchen sich umbinden ließ, auf dessen Zauberkraft der in allen andern Stücken sehr ungläubige Zuave wie alle seine Kameraden fest vertraute, - »Ihr seid trotz Eures Talismans von Hieben und Kugeln zerfetzt genug!«

»Schweig, Naseweis - eine tüchtige Wunde ist ein nothwendiges Ehrenzeichen für einen alten Soldaten. Ich meine nur eine Kugel oder einen ihrer verfluchten Lanzenstiche, die in's Leben gehen. Aber beruhige Dich, mein Junge, Etienne Carcadou, Corporal in der vierten Compagnie der ersten Regiments verpfändet Dir sein Ehrenwort,

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daß, wenn Dir ein Unheil passiren sollte, er zehn solcher brauner Halunken dafür zur Hölle schicken wird, wo es beiläufig gesagt, nicht viel heißer sein kann, als in ihrem vermaledeiten Lande. Und wenn - aber zum Teufel Jacques, wo ist denn die Satansbrut hingekommen? - ich hatte sie doch eben noch unter den Händen.«

Der Jäger lachte er hatte gesehen, wie der Knabe sich auf den Boden geworfen und auf dem Bauch fortgekrochen war, bis er sich durch eine Spalte in der Umzäunung zwängte und so die äußere Seite des Hügels erreichte.

Brummend und scheltend humpelte der Invalide zurück in's Haus, unter dieser Außenseite die Sorge verbergend, die ihm das gutmüthige Herz bedrückte.

Unterdeß hatte Renaud die beiden Begleiter der Marquise auf das Dach geführt. Wir haben bereits erwähnt, daß es nach afrikanischer Sitte flach und von einer ziemlich hohen Balustrade umgeben war, in der einzelne Einschnitte den Vertheidigern ein geschütztes Feuern auf die Umgebung gestatteten. Die Front des Hauses und den Eingang der Umzäunung beherrschend, aber durch eine sehr bequem zur Handhabung eingerichtete Lafette auch leicht nach jedem andern Punkt zu bringen, fand der Graf ein kleines altes Geschütz aufgestellt. Bei näherer Untersuchung bemerkte er, daß die Schwanzschraube abgeschnitten und durch eine eigenthümliche Vorrichtung ersetzt war, welche - wie der Ansiedler berichtete - gestattete, das Geschütz von hinten zu laden. Wie Renaud ihm ferner mittheilte, war dasselbe bis zur Mündung mit Flintenkugeln, Steinen und

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Eisenstücken gefüllt, so daß die Furcht der Araber vor dieser Vertheidigungsmaschine allerdings sehr gerechtfertigt erschien. Zwei ähnliche Ladungen lagen neben dem Geschütz bereit.

Der Graf war nicht wenig erstaunt, hier so eigenthümlich das Problem gelöst zu finden, um das die französischen Artilleriewerkstätten schon so lange sich den Kopf zerbrochen hatten und nahm sich vor, bei gelegenerer Zeit dieselbe genauer zu betrachten.

Sie waren jetzt, bis auf den Jäger, alle wieder in dem Flur versammelt und gingen an das Geschäft, ihre Waffen zu untersuchen, die Munition zu ordnen und für den Fall eines Angriffs die Wachen zu vertheilen. Die Zeit von zehn bis ein Uhr wollte der Ansiedler, dann der Invalide die Wache außen oder auf dem Dach des Hauses halten. Der Colonel erbot sich, mit den Dienern daran Theil zu nehmen, aber Renaud bestand darauf, daß sie nach der anstrengenden Reise des Tages die Ruhe suchen sollten, da sie ohnehin zu wenig mit den Erscheinungen der Wildniß vertraut waren, um hierbei von wirklichem Nutzen sein zu können.

Sie waren jetzt acht kampffähige Männer in der kleinen Farm und Mariette hatte bereits bewiesen, daß sie in der Gefahr gleichfalls für einen Mann gezählt werden durfte. Selbst die Marquise bemühte sich, ihre geheime Furcht zu verbergen und sich den Anstrich zu geben, als sei ihr die Gefahr ein willkommenes Abenteuer. Sie prahlte mit ihrer Fertigkeit im Schießen und verlangte

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ihren Antheil am Kampf, wenn es wirklich so weit kommen sollte.

Kapitain Peard machte seine Betrachtungen, wie viel Araber wohl mit einer Ladung des kleinen Geschützes erlegt werden könnten und bedauerte, daß er bis jetzt nicht Gelegenheit gehabt habe, darüber Erfahrungen zu sammeln.

So war eine Stunde vergangen, als plötzlich die Hunde draußen anschlugen und man das Wiehern eines Pferdes hörte.

Die Thür des Hauses öffnete sich, noch ehe die Bewohner Zeit gehabt hatten, eine Bemerkung zu machen, und in dem Dunkel - von der Flamme des Kamins beleuchtet, denn man hatte aus Vorsicht die Kerzen der Reisenden, bis auf eine ausgelöscht, - zeigte sich die hohe Gestalt eines Arabers auf der Schwelle, in seinen weißen wallenden Bournous gehüllt.

Die Marquise that einen lauten Schrei, die Männer sprangen auf und griffen nach den Waffen, als eine ruhige und klangvolle Stimme mit den tiefen Gutturaltönen der Eingeborenen den Gruß sprach: »Dif Erbi!« das heißt: »Ein Eingeladener Gottes.«

Der Araber, ohne seinen Blick auf die anderen Mitglieder der Gesellschaft zu richten, nickte stolz und einfach dem Wirth des Hauses und trat in den Flur. Er war anscheinend ohne jede Waffe; hinter ihm sah man das blasse und erschrockene Gesicht des jungen Jägers in dem Rahmen der Thür auftauchen.

Der Araber schritt langsam auf den Tisch zu, auf dem noch zum Theil die Reste des Mahles standen, brach ein

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Stück von dem Maiskuchen ab, den Mariette aufgetragen, tauchte es in Salz und aß es.

Mit diesem Zeichen des Friedens hatte er sich unter den heiligen Schutz der Gastfreundschaft gestellt. Dann sah er ernst und fragend auf den Ansiedler.

Dieser stand noch immer in der höchsten Verwunderung unbeweglich da. Endlich faßte er sich und begriff, daß der Gast noch auf seine Antwort wartete.

»Marsaba - bick! Du bist willkommen. Setze Dich und nimm, was mein Haus Dir zu bieten vermag« sagte er.

Die Hausfrau, anfangs zum Tode erschrocken, war jetzt hastig und hoch erfreut näher getreten, indem sie dem seltsamen Besuch beide Hände entgegen streckte. »Willkommen, willkommen Hassan,« sagte sie herzlich. »O, ich wußte es ja, daß Du nicht unser Feind sein konntest und Die bedrohen, unter deren Dache Du genesen bist. Nimm Platz edler Scheich, ich will sogleich frischen Kaffee für Dich bereiten.«

Der Araber winkte abwehrend, ohne die dargebotene Hand zu berühren. Dann nahm er Platz auf der Bank. »Die Herrin des steinernen Zeltes,« sagte er, »ist stets besorgt für ihre Freunde. Der junge Scheich der Mezâb bedarf der Speise und des Trankes nicht. Wenn er zu seinen Freunden kommt, ist er gewohnt, daß man ihn nicht mit den Waffen in der Hand empfängt.«

»Diantre!« rief der Invalide »eine gute Flinte mit einem tüchtigen Haubayonnet ist der beste Freund, den man haben kann!«

Der Scheich zuckte leicht die Achseln. »Mein Vater

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mit dem großen Mund und der tapfern Hand hat es an sich erfahren, daß die Bayonnette der Franken vor den Kugeln und dem Yatagan nicht immer schützen. - Der Matadreo ist nicht in dem Hause der Seinen?«

»Wie Du siehst, Scheich, nein.«

»Aber man erwartet ihn. Ich habe das Zeichen an der Schlucht des Udschah gefunden, daß man seiner bedarf.«

Die Ansiedler sahen sich etwas betroffen an, denn die Deutung jenes Zeichens, das Jacques gegeben, war nur den Familien-Mitgliedern bekannt.

Der junge Mann war übrigens hinter dem Scheich in die Küche getreten und hatte still am Eingang Platz genommen, die Flinte zwischen den Füßen. Er kannte genugsam die Sitten der Araber, um zu wissen, daß während der Anwesenheit des Scheichs nicht das Geringste für die Ansiedelung zu fürchten war. Er war auffallend unruhig, denn sein Gewissen flüsterte ihm allerlei Deutungen über die Ursache des Besuchs des Bruders seiner Geliebten zu.

Es war in der That der Bruder Zela's, der junge, aber nicht bloß unter den Stämmen der Wüstengränze, sondern der ganzen Aghazlia, des Ziban und des Aulad Nail hochberühmte Scheich der Beni Mezâb, von den Franzosen nicht ohne Argwohn und Besorgniß betrachtet, weil er sich der nahen Verwandtschaft mit ihrem jetzt beseitigten großen Feinde Abdel-Kader rühmte und aus seinem Haß gegen die fremden Eroberer gar kein Hehl machte.

Der Scheich konnte etwa sechsundzwanzig Jahre zählen und war von mittelgroßer schlanker Gestalt, jedes überflüssigen Fleisches baar, nur Haut und Muskeln, wie die

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gerühmten Renner seiner Heimath. Er hatte die Kapuze seines weiten Bournous von weißem Filztuch zurückgeworfen und zeigte unter dieser den kleinen Kopf mit dem geschorenen Haar durch ein seidenes grünes Tuch turbanartig umwickelt. Seine Züge waren intelligent, die Nase groß und schmal und das schwarze Auge selbst in seiner gewöhnlichen Ruhe stolz und funkelnd. In der erregten Leidenschaft mußte sein Ausdruck furchtbar sein. Er trug einen großen schwarzen Bart um Kinn und Wangen, aus dem die weißen spitzen Zähne wie die eines Raubthiers leuchteten. Bei der Oeffnung des Bournous zeigte sich seine Brust in eine reich mit Gold gestickte türkische Weste von grünem Stoff gekleidet, während ein Shwal[Shawl] von rother tunesischer Seide das weiße Araberhemd und seine schlanke Taille über den breiten Hüften umschloß. Keine Waffe irgend einer Art steckte in diesem Gürtel, der sonst ein ganzes Arsenal von Pistolen, Dolchen und Yatagans zu enthalten pflegt. Seine Hand, die er zuweilen langsam während seiner Rede vorstreckte, war überaus schmal und klein, dennoch war ihre Kraft berühmt; denn es war bekannt, daß er in dem letzten Kriege der freien Stämme mit den französischen Truppen einem Spahi mit seinem Säbel auf einen Hieb die schützend vorgehaltene Lanze durchschlagen und den Kopf bis auf die Zähne gespalten hatte.

Seine Geschicklichkeit in den Waffen, sein Muth und seine Tapferkeit als Krieger und Jäger waren berühmt und selbst von seinen Feinden anerkannt. Er selbst erkannte nur einen Menschen in diesen Dingen als seinen Meister - das war der Matadreo, der Löwentödter, der ihm

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das Leben gerettet, und deshalb liebte und haßte er ihn zugleich.

Der junge Scheich hatte bisher die Fremden noch keines Blickes gewürdigt, jetzt aber ließ er sein dunkles Auge langsam über die verschiedenen, ihn mit Neugier betrachtenden Gruppen laufen und es einige Zeit auf dem Gesicht der Dame haften, deren scharfe orientalische Züge seine besondere Aufmerksamkeit zu fesseln schienen, und setzte dann das Gespräch fort.

»Meine Freunde von jenseits des Meeres haben Fremde in ihrem Hause, aber ich vermisse eines ihrer eigenen Glieder, die Freude der Mutter, ihren Erstgeborenen. Will er nicht kommen und seinem Freunde Hassan die Hand reichen, der gern sein lockiges Haar streichelt?«

»Der Knabe schläft schon, er war müde von der schweren Arbeit,« sagte die Frau mit rascher Geistesgegenwart.

Ein flüchtiges Lächeln glitt über das dunkele Gesicht des Arabers, aber er besah zu sehr die orientalische Höflichkeit, um sich den geringsten Unglauben merken zu lassen. Er sann einige Augenblicke nach, dann richtete er sein Auge wieder ernst auf den Hausherrn, der ihm unterdeß eine gestopfte lange Pfeife gebracht und den Tabak angezündet hatte.

Der Scheich that einige Züge, dann sprach er weiter. »Maschallah! Hassan und der Rothbart sind Freunde. Deshalb ist der Scheich der Mezâb gekommen, ihm einen Vorschlag zu machen.«

»Sprich - ich bin bereit, Dich zu hören!«

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»Ich sehe jetzt acht Krieger in dem Hause meines Freundes,« fuhr der Araber fort, »aber auch zwei Frauen und drei Kinder. Die acht Krieger der Franken, wenn sie noch so tapfer sind, können nicht den tausend Kriegern widerstehen, welche die Wüste und das Gebirge senden kann.«

»Aber die Regierung lebt in Frieden mit den Stämmen, wir sind Freunde!«

»Der Thuareg,« sagte der Araber stolz, »wird nie der Freund der fränkischen Nation sein. Die Duars der Fremden sind ihm zu nahe an seinem Gebiet!«

Obschon die Unterhaltung bisher in der Sabir-Sprache, eine Art Lingua Franca erfolgt war, die aus den verschiedenen Küstensprachen: Arabisch, Französisch, Italienisch und Spanisch zusammengesetzt und mit den beliebigsten Variationen im ganzen Orient zum gegenseitigen Verständniß gebraucht wird, so hatten doch auch die Fremden beinahe Alles begreifen können. Die unverholene Erklärung des Scheich machte daher einen allgemeinen Eindruck und es erfolgte ein längeres Stillschweigen, das erst von dem Araber wieder gebrochen wurde.

»Hassan El Mezâb,« sagte er, »ist gekommen, den Rothbart und seine Freunde zu bitten, ihre Wohnung wieder zu ihren Brüdern jenseits des Meeres zu verlegen. Er ist kein reicher Mann, denn was er besitzt, gehört seinen Brüdern, den Ahl-el-Wabar's6, aber er ist bereit, dem Rothbart seine Hausch abzukaufen. Er hat an diesem

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Morgen eine gute Jagd gehabt und er ist bereit, ihm neunundzwanzig Häute des Delim7 zu geben. Es waren ihrer dreißig, aber meine jungen Männer haben den letzten entkommen lassen, weil ihre Pferde müde waren und er ist in die Hände der Fremden gefallen.

Er wies mit der Hand nach dem Bündel Straußfedern, das die Marquise dem Jäger abgekauft und vor sich auf dem Tisch liegen hatte.

Das Anerbieten betrug demnach etwa 145 Douras, oder 725 Franken.

»Es thut mir leid, Hassan,« sagte der Ansiedler, »aber ich darf und mag mein wohlerworbenes Eigenthum nicht aufgeben. Ich will auf dem Boden, den ich mit der Arbeit meiner Hände, in dem Schweiß meiner Mühen dieser alles Leben versengenden Sonne abgewonnen, mit meinem Weib, meinen Kindern und meinen Freunden endlich Ruhe gewinnen und ihn lieber mit meinem Blute vertheidigen, als ihn verlassen. Jeder Mensch liebt und vertheidigt sein Eigenthum.«

»Und glaubt der Rothbart,« sagte der Scheich rasch, »daß der Araber weniger daran hängt, als der Franke, der über das Meer gekommen, um ihm das Erbe seiner Väter zu rauben?«

»Diantre, das Land ist unser durch das Recht der Waffen, das weißt Du so gut wie ich, Araber,« schrie der alte Zuave dazwischen. »Zum Teufel, für was hätten wir denn unser französisches Blut vergossen, wenn wir nicht

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einmal auf unserm wohlerworbenen Eigenthum festsitzen könnten, statt es jedem braunen Landstreicher für ein Hundegeld wieder hergeben zu müssen, wenn's ihm beliebt!«

Das eherne Gesicht des jungen Scheich hatte keine Muskel verzogen bei der Beleidigung des alten Soldaten, nur seine dunklen Augen funkelten wie ein Dolchstoß, als er sich langsam erhob und vor den Invaliden trat.

»Le Balafré,« sagte er mit offenem Hohn, indem er sich des Beinamens bediente, den seine Kameraden in Erinnerung des Scott'schen Romans dem alten Soldaten gegeben, »hat vierzig Mai den Maisernten gesehen in diesem Lande8 und er sollte nicht wissen, daß Hassan der Mezâb von Vätern abstammt, die Fürsten und Propheten waren, ehe man an den Stamm der Könige von Frangistan gedacht hat? Diese Fürsten waren die Herren des Landes vom Atlas bis zu dem Meere von Tunis. Le Balafré mag mir sagen, wer seine Väter waren, obschon er selbst auch ein Tapferer ist.«

Der alte Soldat brummte etwas von Bettlerehre und Zigeunern, aber er ließ sich auf keine direkte Erwiderung ein.

Der Araber wandte sich, nachdem er so mit allem, den arabischen Familien eigenen Hochmuth den Gegner aus dem Felde geschlagen hatte, zu dem Hausherrn zurück.

»Welches ist die letzte Antwort, die der Rothbart dem Scheich der Mezâb giebt?«

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»Ich kann und will mein rechtmäßiges Eigenthum nicht verlassen.«

Der Araber trat zurück. »Es ist gut,« sagte er kalt. Ich meinte es wohl mit Dir. In drei Stunden wird der Mond hinter den Gebirgen des Muzedsch versinken. Der Rothbart und sein Weib haben Zeit, wenn sie bis dahin das Haus verlassen wollen. Jene dort,« er wies auf die Fremden, »haben den Frieden gebrochen, sie haben aus dem Gebiet der Mezâb, jenseits der Gränze, die die Willkür der Franken selbst gezogen, den Strauß gejagt gegen die Bestimmungen des Vertrages mit den Stämmen.«

Jacques trat vor. »Du irrst, Hassan,« sagte er eifrig, »ich bin es gewesen, der den Vogel erlegt hat, aber ich habe Deine Erlaubniß, auch auf dem Gebiet der Mezâb zu jagen.«

Der Scheich sah ihn an. »Deine Zunge ist zu jung, Freund Jacouf,« sagte er spöttisch, »um für Deine Landsleute zu lügen. Du weißt, daß Du willkommen bist in unsern Zelten, um mit den Schützen der Mezâb den Strauß zu beschleichen aber Hassan weiß sehr gut, daß Du kein Pferd hast, um den Vogel im Sande zu jagen und jene Federn sind rein von Blut.«

»Wenn wir Dein Gebiet verletzt haben, edler Scheich,« mengte sich hier der Graf in das Gespräch - »so ist es ohne unser Wissen geschehen. Wir haben alle Ursache, die Führer, die uns so weit geleitet, für Verräther zu halten, die uns absichtlich über die Gränze des französischen Gebietes gelockt haben, vielleicht, um uns räuberischen Beduinen in die Hände zu spielen. Dieser junge Mann hat

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uns zurückgeführt. Aber wir sind gern erbötig, ein Sühngeld für die Verletzung Eures Jagdgebietes zu zahlen.«

»So weit der Speer Hassans des Mezâb reicht,« sagte stolz der Scheich, »wagt es kein Thuareg der Wüste, die Hand gegen seinen Willen zu erheben. Möge die Dame aus Frangistan die Federn des Vogels als ein Geschenk behalten. Wenn sie jenseits des Aures sein will, ehe die Sonne aufgeht, wird Hassan drei Häute des Delim mit den schönsten Federn ihr zum Geschenk nachsenden.«

»Sie sind galant, Herr,« mischte sich die Marquise ein, die bereits ungeduldig eine Gelegenheit, mit dem Scheich sich zu unterhalten, gesucht und die versteckte Drohung, die in seinen letzten Worten lag, nicht begriffen hatte. »Ich nehme mit Vergnügen das Geschenk an und werde mich zu revangiren suchen. Ueberdies haben nicht wir den Strauß gejagt und erlegt, sondern eine Araberin, eine junge Dame, wahrscheinlich aus Ihrem eigenen Stamm, deren Bekanntschaft ich sehr gern gemacht hätte, wenn sie nicht durch eine Unbesonnenheit dieses Herrn da, die Sie uns aber keineswegs Schuld geben wollen, verscheucht worden wäre. Ich werde mir das Vergnügen machen, von Algier aus einen schönen goldgestickten Fez oder ein modernes Zuavenjäckchen für sie hierher zu senden.«

»Yes! yes! ich werde legen auch Etwas bei!«

»Eine Araberin? Ein Mädchen?«

»Gewiß - und sie erlegte den Strauß sehr geschickt. Ihr vortreffliches Dromedar war so schnell und lenksam wie das beste Reitpferd.«

Erst jetzt sah die schöne Schwätzerin auf und bemerkte,

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daß sie wahrscheinlich ein Unheil angerichtet hatte, denn das braune Antlitz des jungen Scheich hatte sich mit einer dunklen Röthe überzogen und seine Augen funkelten wie zwei Kohlen, während seine Hand sich unwillkürlich an den Seidengürtel legte, in dem sonst der Yatagan und die Pistolen zu stecken pflegten.

Ueber seine Schulter hin traf das erschrockene Auge der Dame auf das Gesicht des jungen Jägers; - es war todtenbleich.

Der Araber stieß ein einziges Wort aus.

»Zela!«

Dann drehte er sich zu dem jungen Mann und schien ihn mit seinen Blicken durchbohren zu wollen. Dieser stand wie ein armer Sünder, der zum Hochgericht geführt werden soll und wagte die Augen nicht aufzuschlagen.

Ein gewisser Schreck, Erstaunen und Spannung hatte sich aller Anwesenden bemächtigt - der Graf warf einen vorwurfsvollen und mißbilligenden Blick auf die Dame, die bereits ihre Unvorsichtigkeit erkannt hatte und eben im Begriff war, mit allerlei Entschuldigungen das Uebel noch ärger zu machen.

Nur Mariette schien um das Geheimniß des jungen Mannes gewußt zu haben und war an seine Seite getreten, wie um ihn zu vertheidigen.

Der Scheich that einen Schritt auf den Jäger zu, dann streckte er die Hand aus und legte einen Finger auf seine Brust.

»Gieb Antwort!«

»Sie lieben sich,« sagte die Frau muthig - »er hätte

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schon längst bei Dir um sie angehalten, Hassan, um sie zu seinem Weibe zu machen, obschon sie eine Heidin ist, wenn er sich nicht seiner Armuth gescheut hätte, die ihn hinderte, Dir das bei Euch Arabern übliche Kaufgeld anzubieten.«

»Oh,« rief die Marquise erleichtert, »ich werde es zahlen und wenn es zehntausend Franken sind.«

Der Scheich schien weder die Reden der Einen noch der Andern zu hören - sein Finger lag noch immer auf der Brust des jungen Mannes, sein sprühendes Auge auf seinem Gesicht.

»Du hast das Vertrauen Hassans des Scheich der Mezâb verrathen,« sagte er langsam mit tiefer, gewaltsam gedämpfter Stimme, »Du hast das Blut des Propheten, das in meinen und ihren Adern rollt, geschändet! - ich ...«

Er konnte nicht weiter reden, - ein Winseln der Hunde draußen, dann ein donnerähnliches Gebrüll, das die Mauern zu erschüttern schien, unterbrach seine Worte.

Der Ansiedler war aufgesprungen. »Gott sei Dank - da ist er!«

»Der Matadreo!«

Die Thür öffnete sich, eine hohe, in einen dunklen Kabulen-Bournous gehüllte Gestalt, die Kapuze weit über den Kopf geschlagen, in einer Hand die Büchse, in der andern zwei junge zappelnde und mit den Füßen zusammen gebundene Löwenkatzen, vielleicht ein bis zwei Monate alt, haltend, trat in das Haus.

Noch einmal erschütterte das vorhin gehörte Brüllen das Haus - es war, als wenn es aus dem Boden

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zwischen ihnen emporstiege, die Luft vibrirend, und die Marquise schrie laut auf.

Dieser Schrei lenkte die Blicke des Matadreo auf sie. Er hob die Hand, er that haftig einen Schritt vorwärts, es war als wolle er sie ansprechen; dann aber sank die Hand nieder und er wandte sich um.

»Still, Cora! Nieder mit Dir!«

Die Worte, der Name galten nicht der fremden Dame, sondern einer großen Löwin, die in der Thür des Hauses stand und mit funkelnden Blicken und unheimlichen Bewegungen des Schweifes die vielen ihr unbekannten Personen betrachtete.

Er legte die Hand ihr auf den Kopf, die sie zärtlich leckte. »Ruhe - auf Deinen Platz und rühre Dich nicht!«

Die Löwin schritt still mit gesenktem Kopf mitten zwischen den Personen durch und streckte sich in dem Winkel neben dem Feuerheerd nieder, wo ihr Auge nicht durch das Funkeln der Kohlen verletzt werden konnte.

Der Ansiedler, seine Frau, der Invalide und der junge Mann schienen mit der furchtbaren Begleiterin des Matadreo wohl bekannt; denn als sie an ihnen vorüberging, rieb die Löwin schnurrend das Fell an ihren Beinen, oder ließ sich von ihrer Hand freundlich berühren. Nur die Marquise und ihre Begleiter wichen erschrocken zur Seite und selbst der Graf, obschon er sah, daß sie es mit einem gezähmten Thier zu thun hatten, konnte sich nicht enthalten, die Hand an seinen Revolver zu legen.

Erst nachdem die Löwin ruhig ihren Platz im Schatten

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eingenommen, kam die Gesellschaft dazu, die merkwürdige Erscheinung des Matadreo näher zu betrachten.

Derselbe stand jetzt unbeweglich, das von dem Bournous noch immer verhüllte Haupt gesenkt, in der Mitte der Küche auf seine Büchse gestützt. Zu seinen Füßen wanden sich die beiden Löwen-Jungen, die er achtlos hingeworfen.

Obschon der dunkle Bournous seine ganze Gestalt umhüllte, sah man doch, daß sie groß und kräftig war. Er trug die rothen Beinkleider der französischen Militairs und Stiefel von rohem starken Leder. Sein Oberkörper war in ein baumwollenes Jagdhemd gekleidet, das um die Taille von einem ledernen Gurt zusammen gehalten wurde. In diesem steckte, die einzige sichtbare Waffe außer seiner Büchse, ein langer tunesischer Dolch mit breiter krummer Klinge und Griff von Elfenbein. Eine Tasche mit Schießbedarf und ein leinener Beutel für Brod hingen um seine Schulter.

Die ganze Erscheinung hatte etwas Wildes und Geheimnißvolles, wozu wohl hauptsächlich der Umstand beitrug, daß die Kappe des Mantels über den Kopf gezogen blieb und diesen so vollständig verhüllte, als hätte er eine Maske getragen.

Die Hauswirthin war wiederum die Erste, die zu ihm trat und ihm die Hand reichte. »Sei willkommen Du unser Freund und Beschützer, die Heiligen senden Dich gerade im rechten Augenblick. Du findest Fremde im Hause und uns in großer Besorgniß. Aber willst Du nicht vor Allem Etwas zu Dir nehmen, Du wirst hungrig und

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durstig sein! Jacques hat uns diese Fremden zugeführt, die sich im Gebirge verirrt und Renaud hat ihnen Hilfe und Beistand zugesagt!«

Die Anrede der Frau schien die Starrheit gelöst zu haben, die sich seiner bemächtigt hatte; ein tiefer Athemzug hob seine Brust.

Der Graf war vorgetreten. »Mein Herr,« sprach er höflich, »Sie sind, wie ich sehe, Franzose, also unser Landsmann. Ich würde sagen, daß ich mich aufrichtig freue, einem Mann zu begegnen, dessen Ruf selbst bis nach Paris gedrungen und mit dem Gerards rivalisirt, wenn die Umstände unserer Begegnung nicht so drohender Natur wären, wie der Fall ist. Ich bin der Graf Montboisier, Oberst außer Diensten, der mit seiner Reisegesellschaft für diese Nacht hier Unterkommen und Schutz gesucht hat, bis wir morgen Fort Randon oder ein Geleit nach der nächsten Station unserer Truppen erreichen können.«

Der Matadreo verbeugte sich mit der sichern Haltung eines Mannes von Bildung und berührte leicht mit den Fingerspitzen die dargebotene Hand.

»Sie sind willkommen, Herr Graf,« sagte er langsam. »Sie und Ihre Frau Gemahlin. Ich bin nur ein armer Jäger, aber mein eigenes Leben bürgt von diesem Augenblick an für Ihre Sicherheit!«

»Ich danke Ihnen mein Herr, auch im Namen meiner Begleiter, obschon Sie in dieser Beziehung sich in einem Irrthum befinden.«

»Wie so?«

»Die Dame hier, die ich die Ehre habe, Ihnen als

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eine große Bewundererin Ihrer Heldenthaten und selbst als Jägerin, wenn auch nicht auf Löwen und Tiger, vorzustellen, ist nicht meine Gemahlin, sondern die Frau Marquise von Massaignac, die Gemahlin des Senateurs und Kammerherrn Seiner Majestät des Kaisers Louis Napoléon.«

Die Marquise, die sich von ihren Schreck erholt, warf ihm ein reizendes Lächeln zu. »In der That, mein Herr,« sagte sie kokett, »Sie haben es verstanden, unserer Bewunderung für den berühmtesten Jäger Algeriens gleich die nöthige Staffage zu geben. Ich gestehe, daß Ihre Begleitung mir nicht geringen Schrecken eingejagt hat, obschon dieses gefährliche Schooshündchen, wenn ich recht gehört habe, sogar denselben Namen mit mir trägt.«

»Madame,« sprach der Matadreo langsam und es war als ob seine Stimme leise bei den Worten bebte, »brauchen keine Besorgniß zu hegen. Cora ist die Treue selbst und gehorcht meinem Willen. Wir lieben uns Beide und die Löwin der Wüste hat noch niemals ihren Freund, den Menschen getäuscht, was - wie man sagt - die schönen Damen von Paris zuweilen thun sollen.«

Die Löwin schien das Lob ihres Herrn zu verstehen, denn sie hob auf ihrem Platz den Kopf in die Höhe und stieß ein wohlgefälliges Knurren aus.

Auch auf die Dame schienen die Worte einen gewissen Eindruck gemacht zu haben. Sie führte unwillkürlich die seine weiße Hand an die Stirn, als tauche eine unklare Erinnerung in ihr auf, aber dies Gefühl verschwand alsbald wieder. »Monsieur Matadreo« - sagte sie kokett, - »erlauben Sie nämlich, daß ich Sie mit diesem so

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berühmten Namen anrede, da uns Ihr anderer unbekannt ist, - ich muß Ihnen sagen, daß ich bereits Ihren Bruder, jenen jungen und sehr romantischen Jäger zu meinem Ritter geworben habe, aber daß es mir eine noch größere Beruhigung sein wird, auch Ihren Schutz zu genießen, um so mehr, als unser Abenteuer sich anscheinend etwas verwickelt. Ich vertraue mich gänzlich Ihrer erprobten und berühmten Tapferkeit an!«

Der Löwentödter beantwortete die leichtfertige Koketterie, die sie selbst in dieser Stunde drohender Gefahr nicht zu unterdrücken vermochte, nur mit einer stummen Verbeugung, dann wandte er sich zu dem Ansiedler und wies auf die jungen Löwen.

»Nimm diese Brut fort, Renaud und gieb ihr ein Lager und die Nahrung, die ihnen die grimmige Mutter nicht mehr geben wird, aus deren Nest ich sie holte. - Ich werde sogleich mit Dir sprechen. Zuerst nur habe ich mit Hassan dem Mezâb ein Geschäft.«

Er wandte sich zu dem Scheich, der bisher schweigend mit zusammen gezogenen Brauen gestanden und die Scene beobachtet hatte.

Der Matadreo reichte ihm die Hand. »Sei willkommen edler Scheich unter dem Dach der Fremden, Deiner Freunde. Möge nie die Wolke des Zwistes zwischen ihnen und Dir sein. Dein Auge blickt finster und ich hätte doch eine Bitte an Dich.«

Der Scheich hatte seine Hand berührt. »Der tapfere Franke möge sprechen. Er, der dem Löwen, ohne mit der Wimper zu zucken, in's Auge sieht, weiß, daß Hassan el

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Mezâb sein Freund ist und Alles, was er besitzt, ihm zu Gebote steht.«

Der Löwentödter nickte. »Ich kenne Deine offene Hand, aber ich bedarf nicht Deiner Güter. Was ich von Dir erbitte, ist etwas Schweres für Dich und es wird Deinem Herzen Ueberwindung kosten, mir die Gabe zu bewilligen!«

»Der Koran spricht: Je schwerer die Ueberwindung, desto größer das Verdienst. Hassan el Mezâb verdankt dem Matadreo sein Leben und als der Löwe, der auf seiner Brust stand, von der Kugel des tapfern Franken getödtet wurde, hat er geschworen, sein Schuldner zu sein und diese Schuld zu lösen. Der Scheich der Mezâb hat Nichts, was er nicht gern seinem Freunde darbieten würde und wäre es selbst Rati, seine Lieblingsstute, mit den geflügelten Füßen.«

»Auch Deine Schwester Zela?«

Der Scheich fuhr zurück, die Falten auf seiner Stirn wurden noch finsterer.

»Was willst Du damit sagen? El Matadreo verachtet die Weiber - wir haben oft genug zusammen gejagt, daß ich es wissen kann!«

»Es darf kein Trug zwischen uns sein edler Scheich,« sagte mit Biederkeit der Löwentödter. »Ich habe heute Mittag an den drei Steinen der Wüste Etwas gesehen, was mich bewegt, offen mit Dir zu sprechen. Dieser junge Mann, mein Bruder, hat hinter Deinem und meinem Rücken ein Liebesbündniß angeknüpft mit Deiner Schwester Zela, der Taube der Wüste. Es ist geschehen und nicht

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mehr zu ändern. Es bleibt mir nur ein Weg, ihn vor Deinem gerechten Zorne zu retten. Wir sind zu arm, Dir das Brautgeld zu bieten, das die Tochter Deines Geschlechts verdient. Deshalb werfe ich das kleine Verdienst, das ich mir durch einen glücklichen Zufall um Dich erwerben konnte, in die Waagschale und bitte Dich, dafür Zela meinem Bruder zu geben!«

Der Scheich sah finster auf den Boden - es kämpften offenbar gewaltige Leidenschaften in seiner Brust.

»Das Blut Zela's stammt aus den Adern Omar's. Du weißt nicht Franke, was Du verlangst.«

»Ich weiß es - deshalb allein erinnerte ich Dich an [an] jenen Schuß.«

»Sie ist eine Gläubige und Dein Bruder, der Dieb, ist ein Giaur!«

»Mein Bruder ist kein Dieb, sondern nur ein Verliebter, der vergessen hat, was er der Ehre schuldig war. Die Ehen zwischen Christen und den Eingeborenen sind nichts Ungewöhnliches in diesem Lande. Wir glauben Alle an Einen Gott.«

Der Scheich stand schweigend - Alle sahen mit der höchsten Spannung auf ihn.

Plötzlich erhob er den Kopf - seine dunklen Augen schossen einen Blitz auf den Löwentödter und rollten dann mit einem düstern Triumph über den Raum des Hauses hin.

»Hassan El Mezâb, der Sohn Nadur's, des großen Scheichs der Wüste, hat noch niemals sein Wort gebrochen. Er gab es dem Matadreo. Wird die Schuld Hassans gegen ihn als gelöst betrachtet, wenn er sich verpflichtet,

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ihm seine Schwester Zela morgen, wenn die Sonne im Mittag steht, als Eigenthum zu geben? Er möge es wohl bedenken, daß die Mezâbs dann frei von jeder Verpflichtung gegen ihn sind.«

»Der junge Mann dort ist mein Bruder - er ist das Einzige, was meinem Herzen geblieben ist. Ich habe gelobt, für sein Glück zu sorgen. Ich gebe Dir Dein Wort zurück, wenn Du ihm Zela, Deine Schwester, giebst.«

»Er soll sie haben - bei dem Grabe Nadur's, unsers Vaters, der im Kampf gegen die Franken fiel. Morgen, wenn die Sonne im Mittag steht, mag er sie holen, wenn er es kann. Die Braut wird den Bräutigam erwarten, allein, ohne ihre Verwandten, an den sieben Palmen zwischen hier und der Festung der Franken. Nichts soll an ihrer Mitgift fehlen.«

»Ich kenne den Ort und die Seinen werden ihn begleiten, damit das Mädchen nicht verlassen einziehe in ihr neues Haus. Ich danke Dir Hassan, Du hast edelmüthig gehandelt,«

»Danke nicht zu früh, Matadreo - Du hast einen schlimmen Handel gemacht. Von nun an sind Hassan und Matadreo nur noch der Araber und der Franke. Möge Dein Gott Dich schützen - die Mezâbs haben keine Pflicht mehr gegen Dich!«

Er wies mit einer stolzen Bewegung Jacques zurück, der ihm tausend Dank und Betheuerungen aller Art ausdrücken wollte, dann hüllte er sich in seinen Bournous und wandte sich nach dem Ausgang. Auf der Schwelle blieb er stehen, faßte den Zipfel seines Gewandes und

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bewegte ihn, als wolle er den Staub dieses Hauses von sich schütteln; - im nächsten Augenblick war er verschwunden.

Es folgte dem plötzlichen Scheiden des Scheichs eine Pause, die endlich von der Stimme der Marquise unterbrochen wurde.

»Lassen Sie mich Ihnen gratuliren Monsieur Jacouf,« sagte sie munter. »Es giebt also morgen eine Hochzeit; wir wollen sie im Fort feiern und ich verspreche Ihnen, selbst dabei zu tanzen und für die Aussteuer zu sorgen!«

»Renaud,« unterbrach sie die ernste Stimme des Matadreo, »ist Alles zum Kampf bereit?«

»Ja mein Bruder!«

»Um Himmelswillen,« rief die Dame, als sie sah, wie die Hausfrau die beiden Gewehre von der Wand nahm und die Hähne hob, um die Pistons mit Zündhütchen zu versehen - »Sie denken doch jetzt nicht an Ueberfall und Gefahr, wo der Araber eingewilligt hat, seine Schwester Ihrem Bruder zu verheirathen!?«

»Wie viel Zeit Renaud, hat der Scheich Euch gegeben?«

»Drei Stunden!«

»Wohl denn, Madame - in drei Stunden werden wir den Schlachtruf der Thuaregs um diese Mauern hören. Ich wußte bereits, eh' ich hierher kam, daß sie den Ueberfall der Gränz-Ansiedelungen beschlossen hatten und eh' die Stunde da ist, die Braut von den sieben Palmen zu holen, wird mancher Mann sein Herzblut vergossen haben!«

Ein Duell in der Wüste.

Es war eine Stunde nach Mitternacht. Vergebens hatten der Löwenjäger und der Ansiedler ihren Gästen anempfohlen, die Zwischenzeit zu der ihnen so nothwendigen Ruhe zu verwenden, indem sie ihnen auf das Bestimmteste versicherten, daß die Araber nicht vor der bestimmten Zeit angreifen würden und sie selbst ihre Flucht ungehindert fortsetzen könnten; die Aufregung, die sich der kleinen Reisegesellschaft bemächtigt, war zu groß, als daß sie hätte schlafen können und der Oberst entschied für das Bleiben, da er der kleinen Besatzung der Ansiedlung unmöglich einen Mann zu ihrer Führung durch das Gebirge entziehen konnte, und die Flucht ohnehin mindestens ebenso gefährlich ihm dünkte, als das Bleiben und Erwarten des Beistands vom Fort.

Von Renaud hatte man erfahren, daß weiterhin im Gebirge, in gleicher Entfernung wie zum Fort, noch zwei Gehöfte von Ansiedlern lagen, die gewiß gleichfalls ein Ziel des Ueberfalls sein würden.

Man hatte sich geeinigt, nur die Hunde draußen in der Umzäunung umherstreifen zu lassen, auf dem Dach des

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Hauses aber zwei Beobachtungsposten aufzustellen, die von Zeit zu Zeit abgelöst werden sollten. Auf den Rath des Matadreo war das kleine Geschütz nach der Rückseite des Hauses gebracht worden, um hier die dort eingestellten Pferde der Reisenden besser zu decken, während die Männer die Vorderseite leichter im Einzelnkampf vertheidigen konnten.

Jetzt, wo die Gefahr so nahe, wo sie nicht mehr daran zweifeln konnte und selbst die kampferprobten Männer unruhig und besorgt sah, war aller Uebermuth und alle Sucht nach Abenteuern von der schönen Cora gewichen, und ihre bleiche Farbe, der nervöse Eifer, mit dem sie sich nützlich zu machen suchte, ihre fortwährenden Fragen bewiesen, welche Angst ihr Herz zusammenschnürte. Wie immer die Frauen sich an das Außergewöhnliche, Auffallende anschließen und sich daran hängen, so drängte sich auch hier die Marquise an den Löwentödter und schien ihre ganze Hoffnung auf diesen zu setzen.

Seltsamer Weise hatte El Matadreo noch immer den seinen Kopf verhüllenden Bournous nicht abgelegt. Er sprach überhaupt nur das Nothwendige, um die Vertheidigung des Hauses zu ordnen, und vermied es besonders, so weit es ohne Absichtlichkeit oder Beleidigung geschehen konnte, mit dem Obersten in nähere Berührung zu kommen, der ihn häufig mit nachdenkender Miene betrachtete.

Besonders thätig und entschlossen zeigte sich Mariette. Nachdem die Gefahr so nahe, zerstreute sie die Aufmerksamkeit der Männer durch keine Klagen um den Knaben

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mehr, sondern war gewandt und eifrig nur bemüht, Alles, was bei dem erwarteten Kampf nöthig werden und die Männer unterstützen konnte, herbeizuschaffen und bereit zu legen - die drei jüngeren Kinder wurden in ihren Kleidern in der Kammer der Eltern nieder gelegt und ihnen auf das Strengste anbefohlen, sich ruhig zu verhalten.

Alle wußten, daß wahrscheinlich ihre Rettung allein von der Klugheit und dem Glück eines neunjährigen Knaben abhing.

So war Mitternacht vorüber gegangen, und die Uhr des Obersten zeigte auf halb Eins.

Alle Männer befanden sich jetzt auf ihren besprochenen Posten. Renaud und seine Frau, die beiden europäischen Diener, Jacques und der Araber, Namens Muhrad und von einem den Franzosen fest ergebenen Stamm, sollten die Vertheidigung des Erdgeschosses führen, während der Matadreo, der Oberst, Kapitain Peard und der Invalide von dem flachen Dach aus die Feinde durch ihr Feuer zurückhalten wollten. Der Kapitain, der sich bitter über den Verlust seiner Nachtruhe beschwerte und es sich nicht nehmen ließ, wenigstens eine bequeme Nachttoilette zu machen, in der er komisch genug aussah, hatte zwar dagegen protestirt, daß sein Diener John von ihm getrennt und er selbst genöthigt sein sollte, seine beiden Gewehre zu laden, aber die bestimmte Erklärung des Grafen, daß er sich dann den Vertheidigern des Erdgeschosses anschließen müsse und die Gewißheit, von dem Dach her besser den Erfolg seiner Schüsse beobachten zu können, ließen ihn endlich in die Anordnung sich fügen. In einen langen seidenen Schlafrock

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gehüllt, einen Foulard um den Kopf gebunden, lag er auf einer englischen Luftmatratze von Gummistoff, die er aus seinem Gepäck durch den Diener hatte auf das Dach schaffen und aufblasen lassen.

Der Thätigste von Allen war der alte Zuave. Der Veteran der wilden und grausamen Kämpfe auf diesem Boden schien wieder ganz jung und frisch geworden bei der Aussicht auf einen neuen Strauß mit seinen alten Feinden. Er kroch mit Mühe die leiterartige Stiege zu dem Dachgeschoß auf und nieder, schleppte seine alte Muskete mit dem blank geputzten und geschärften Haubayonnet überall mit sich umher und schwor »alle schwarzen verrätherischen Schurken«, die ihm nahe kämen, zu massakriren. Dazwischen erzählte er Abenteuer aus seinem Leben, fluchte dabei auf das Abscheulichste und zerbrach sich den Kopf über die Truppenabtheilung, die jetzt im Fort Randon stehen würde; denn es war ihm bekannt, daß die bisherige Besatzung, wie alle Jahre regelmäßig geschieht, in diesen Tagen hatte abgelöst werden sollen und es war bereits sein Entschluß gewesen, an einem der nächsten Tage selbst nach dem Fort zu marschiren, um Neuigkeiten aus der Hauptgarnison zu holen.

Der Graf, als er nach einem letzten Besuch bei der Marquise, die bald betete und weinte, bald wieder eine nervöse Thätigkeit zeigte und muthig und gelassen zu erscheinen sich mühte, - wieder zum Dach emporstieg, fand den Matadreo mit einer besondern Arbeit beschäftigt. Derselbe band einige lange Stöcke an einen Pfahl, der mitten

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im Dach aufgerichtet war, und seine militärische Erfahrung zeigte ihm sogleich, was es bedeutete.

»Wie«, sagte er eifrig »Sie sind im Besitz von Raketen?«

»Wir haben sie zur Vorsicht gefertigt!«

»So sind Sie Artillerist?«

»Ich diente in dieser Waffe, mein Herr!«

Der Oberst sah nachdenkend vor sich nieder. »Ich hatte einen Freund - oder vielmehr einen Mann, dem ich mein Leben schulde, in demselben Corps. Seit sieben Jahren ist er seinen Freunden verschwunden, die letzte Nachricht, die sie von ihm erhielten, kam aus Algerien. Sollten Sie vielleicht zufällig von ihm gehört haben, da Sie sich gewiß für alte Kameraden Ihrer Waffe interessiren?«

»Ich interessire mich nur für Eines!«

»Und das ist, wenn ich fragen darf?«

»Die Spuren der Löwen!«

»Er hieß Fromentin - Kapitain Fromentin,« sagte der Graf. »Er war ein Mann von Ehre und Muth und hätte ein besseres Schicksal verdient, als ihm geworden. - Doch könnten wir nicht durch diese Raketen dem Fort Randon Signale von unserer Gefahr geben?«

»Das Gebirge liegt zwischen uns - überdies glaube ich, daß sie wahrscheinlich dort selbst zu thun haben werden.«

»So sind Sie der Meinung, daß die Araber auch das Fort angreifen könnten?«

»Es ist ihr Plan, alle Ansiedlungen an der Gränze der Wüste zu vernichten. - Doch halt - hören Sie Nichts?«

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Der Oberst lauschte - jedoch vergeblich.

»Da, wieder - es ist richtig! Legen Sie sich mit dem Ohr auf den Boden oder gegen die Balustrade, und Sie werden es hören.«

Das an die Geheimnisse der Wüste mehr gewöhnte scharfe Ohr des Artilleristen hatte vernommen, was dem weniger geübten Sinn des Obersten noch entging.

Auch Papa Carcadou humpelte eilig herbei; es war, als ob der alte Bursche das Pulver auf mehre Meilen weit riechen könnte.

»Diable - was hast Du da, Löwenfresser?«

»Jetzt ganz deutlich - das ist Geschützfeuer!«

Diesmal hatte selbst das Ohr des Grafen das ferne dumpfe Dröhnen vernommen. Den Rath des Matadreo befolgend, hörte er jetzt ganz deutlich ferne Kanonenschüsse.

»Hurrah! En avant mes braves! Immer tüchtig meine Jungens und gebt es den Schurken!« schrie Papa Carcadou, wie toll seinen Feß schwenkend, als ob die mehre Meilen entfernten Kämpfer ihn zu hören vermöchten.

»Was bedeutet das Feuer - wo ist das Gefecht?«

»Sie haben das Fort angegriffen, das Geschützfeuer beweist wenigstens, daß die Unsern auf ihren Posten sind!«

»Ich hoffe, daß der kommandirende Offizier ein tüchtiger Soldat ist und diese Banditen mit blutigen Köpfen nach Hause schickt! - die Kanonade verkündet uns, daß wir einstweilen sicher sind!«

»Meinen Sie?«

»Gewiß! Wenn auch noch Trupps des Gesindels in

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den Bergen umherschwärmen mit schlimmen Absichten gegen uns oder die andern Niederlassungen, sie müssen die Kanonade so gut hören, wie wir, und der warme Empfang ihrer Kameraden dürfte ihren Eifer etwas abkühlen.«

Der Matadreo war zu dem Pfahl getreten und hatte die daneben gelegte Lunte in die Hand genommen.

»Sie haben es gehört - sehen Sie da den Beweis Oberst Montboisier!«

Bevor der Graf sich über den Eindruck, den der Ton dieser Worte auf ihn machte, Rechenschaft geben konnte, nahm das, was sich neben und vor ihm ereignete, seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Die Lunte in der Hand des Matadreo hatte gezündet und in zischendem Strahl fuhr eine der Raketen in die Höhe, einen feurigen steilen Bogen beschreibend, bis sie in großer Höhe zerplatzte und eine ganze Garbe von Weißfeuer ausstreute.

Die weißen Sterne, von einer künstlichen pyrotechnischen Vorrichtung getragen, erhellten minutenlang wie mit Tageslicht das ganze Thal.

In diesem Licht wurde kaum noch 3 bis 400 Schritt von dem Hügel entfernt, ein zahlreicher Haufen von Reitern sichtbar. Ihre weißen Bournousse, die flatternden Kopftücher und die langen Flinten ließen sie sofort als Araber erkennen und das wilde Kriegsgeschrei, das sich aus hundert Kehlen erhob, als sie ihren Ueberfall vereitelt und das Geheimniß ihres Nahens entdeckt sahen, verkündete ihre Wuth.

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Im nächsten Augenblick donnerte der wilde Galopp der Pferde den Hügel herauf und das Allahgeschrei vermischt mit auf's Gerathewohl gegen die Niederlassung abgefeuerten Flintenschüssen zerriß die Luft.

Diesem Geschrei und Toben antwortete ein einziger herausfordernder Ruf, die Stimme des alten Zuaven, der, ohne sich um ihre Kugeln zu kümmern, so gut es sein Stelzfuß erlaubte, sich auf die Steinbrüstung des Daches geschwungen hatte. »Vive la France! Heran Ihr schwarzen Halunken - der Teufel soll Euch die Schurkerei segnen! Wo ist der Schuft von Hassan, der einer ehrlichen Familie den Hals abschneiden will dafür, daß sie ihn gepflegt und vom Tode gerettet hat!? ich will ihm seine Straußhäute mit Blei in den Magen stopfen, daß er seinen schäbigen Propheten für eine algiersche Judenvettel ansehen soll!«

Die Hand des Obersten riß ihn mit Gewalt herunter. »Seid Ihr toll, Kamerad, daß Ihr Euch zur Scheibe für ihre Kugeln macht? An Euren Posten und thut Eure Schuldigkeit!«

»Richtig, Colonel! Sie haben Recht! Der Schakal soll beißen nicht heulen!«

Und sich an die nächste Schießscharte werfend, suchte er mit der Schnelligkeit des alten Soldaten sein Ziel.

Die Araber - die Schaar mochte aus achtzig bis hundert Reitern bestehen - tobte wie ein Sturmwind heran bis dicht an die Fenz der spanischen Reiter, und Einzelne versuchten hinüber zu setzen oder die nur leichte Verzaunung mit der Brust ihrer Pferde zu durchbrechen. Die Muskete des Invaliden knallte bei dem letzten Schein

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der Rakete und sein »Vive la France!« verkündete, daß seine Kugel in den dichten Haufen getroffen habe.

»By Jove, Master - Sie schießen viele zu ser en hâte, zu hastick!« schnarrte eine Stimme neben ihm. »Sie müssen nehmen den Feind hübsch ordentlick in Visir, daß Ihre Kugel gehen in's Leben, was seind bei diese Schwarzen ser zäh. Sehen Sie - so!«

Ein gellender Schmerzschrei antwortete auf den Schuß des Kapitains. In dem geringen Licht der Nacht sah man einen der hintersten Reiter vom Pferd stürzen.

»Es seynd sehr unangenehm, selber zu laden das Gewehr! Ich will Ihnen machen ein Vorschlag!«

»Zum Henker heraus damit, Mylord, Sie sehen, daß wir keine Zeit übrig haben!«

Die alte Muskete des Soldaten lag schon wieder an seiner Wange, doch jetzt, wo die Araber sich getrennt, da die Besatzung des Hauses im Erdgeschoß gleichfalls ihr Feuer eröffnet hatte, verfehlte offenbar der Schütze sein Ziel. Mit einem wilden Fluch ließ er das Gewehr zur Erde fallen.

Der Kapitain hatte eben einen zweiten Araber erschossen.

»Goddam - ich werde schießen zu wenig todt, wenn ich soll laden immer mein Gewehr. Sie sollen haben für jeden Mann, den ich schieße nieder, fünf Franken, wenn Sie wollen laden meine Buchs!«

»Pesth! es gilt - ich sehe, Sie schießen gut, obschon Sie nur ein Engländer sind. Es kommt mir nur darauf an,

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daß so viele von den Halunken kalt gemacht werden, als möglich, ehe sie uns an die Kehle kommen!«

Der Pakt war geschlossen, der Kapitain wies ihm den einfachen Mechanismus der Lefaucheux-Büchse, während das andere Gewehr die frühere Einrichtung zeigte, und der alte Soldat hatte rasch die Sache begriffen.

Weder der Graf noch der Löwenjäger hatten bis jetzt gefeuert. Der Letztere stand ruhig, die Flinte in der einen, die Lunte in der andern Hand, an der Crenelirung, anscheinend ganz gleichgültig gegen die Gefahr.

Von den Thuaregs hatte sich wohl die Hälfte von den Pferden geworfen, und war mit dem Niederreißen der Umzäunung beschäftigt; die andern Reiter hatten sich an den Fuß des Hügels zurückgezogen und unterhielten von dort ein unschädliches Feuer mit jener Wuth, ihr Pulver zu verknallen, die den Orientalen eigen ist.

Der Graf stand neben dem Matadreo. »Ob der Mann, der am Abend sich in unsre Mitte wagte, unter ihnen ist?«

»Würden sie sonst den Muth gehabt haben, uns anzugreifen? dort ist der Scheich!«

Er wies auf einen Reiter, der wiederholt um den Hügel jagte und die Kämpfer anfeuerte.

»Dann soll ihm meine erste Kugel gelten,« sagte der Graf. »Der Freche soll mir nicht entgehen!«

Er hob die Büchse, doch der Matadreo schob sie mit einer ruhigen Bewegung seiner Hand zur Seite.

»Er ist ein Tapferer, und es wäre schade um ihn. Ueberdies ist er der Bruder Zela's und Gott wird binnen

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wenig Augenblicken zwischen ihm und uns entscheiden. So eben sammelt er die Reiter zum Sturm.«

Die Umzäunung war niedergerissen - fünf Thuaregs hatten das Werk mit dem Leben bezahlt, die andern waren im Nu wieder zu Pferde, nur eine Anzahl von etwa fünfzehn hielt sich am Boden, hinter den Palmen und dem Schuppen gedeckt, und feuerte unaufhörlich.

In diesem Augenblick zuckte eine kleine Flamme aus dem Rohrdach des zwischen den Palmen erbauten Schuppens, in dem sich die Schmiede und Küche befand - und gleich darauf schlug eine helle Lohe aus dem kleinen Gebäude.

Ein verdoppeltes Geheul der wilden Feinde begleitete dies erste Zeichen des Erfolgs. Der Graf sah bei dem Feuerschein deutlich den Scheich vor dem Reiterhaufen, seine lange Flinte in der Hand schwingend. Dann jagte der ganze Trupp im rasenden Karriere rund um den Hügel her.

»Können Sie ihre Absicht verstehen, was soll das Manöver bedeuten?«

Der Matadreo schlug die Kapuze des Bournous, als hindere sie ihn, zurück. Ein, trotz der tiefen Bräunung, blasses hageres Gesicht, dessen untere Hälfte von einem schwarzen großen Bart bedeckt war, kam zum Vorschein. Doch der Oberst hatte keine Zeit, es näher zu betrachten; mit einem Sprung war der Löwenjäger an dem kleinen Geschütz, das man auf seinen Rath an der Rückseite des Hauses aufgestellt hatte zum Schutz des Stalles.

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»Das ist's, was sie wollen? Hassan kennt die Gelegenheit!«

In der That stürzte sich, mit einer plötzlichen Schwenkung, der ganze Reiterhaufen jetzt, der Rückseite des Hauses gegenüber, den Hügel unter furchtbarem Geschrei herauf.

In dem nächsten Augenblick aber war Alles Feuer, Dampf und Verwirrung. Pferde wälzten sich am Boden über die blutenden zerrissenen Reiter weg, Todesgeschrei und Jammerruf mischte sich in den Knall, rechts und links floh Alles über einander herstürzend zurück: - die sichere Hand des Löwentödters hatte das kleine bis zur Mündung mit Kugeln und Eisenstücken geladene Geschütz auf den dichten Haufen abgefeuert. Die Araber, die dasselbe auf der Vorderseite aufgestellt gewähnt hatten, waren von der unerwarteten Salve um so mehr überrascht und von ihrem Schrecken in Verwirrung gebracht.

Dieser wurde durch einen zweiten erschütternden Ton gesteigert, der dem Krachen des kleinen Geschützes auf dem Fuß folgte.

Es war das donnerähnliche Gebrüll der Löwin, die in dem untern Raum bei den Vertheidigern des Eingangs eingeschlossen war und durch das Schießen aufgeregt wurde.

Der Matadreo sprang zu der offenen Fallthür, aus der der Pulverdampf in dem untern Geschoß in dichter Wolke emporstieg.

»Still Cora - Deine Zeit ist noch nicht da!« Im nächsten Augenblick lag er bereits wieder an der kleinen Kanone, sie auf's Neue zu laden.

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Als sich der Dampf verzog, sah der Graf fast allein noch von der ganzen Reiterschaar den Scheich auf dem Plateau des Hügels halten. Er schwang drohend die Flinte gegen das Haus. »El Matadreo! El Matadreo! die Söhne der Wüste speien auf das Grab Deiner Väter - Ihr sollt sterben, ehe die Sonne aufgeht!«

Die Kugel des Grafen traf den Schaft seiner Flinte und riß sie ihm aus der Hand. Sie hätte seine Brust durchbohrt, wenn das schwere Holz nicht grade sein Herz geschützt.

Der Scheich drehte das bäumende Roß auf seinen Hinterhufen um sich selbst und flog mit einem mächtigen Satz den Hügel hinab.

Vier Pferde und wenigstens acht oder zehn Männer wanden sich im Todesschmerz am Boden, oder lagen bereits steif und todt, das wilde Antlitz noch von Haß und Kampfgier verzogen.

»Jetzt lassen Sie uns sehen, wie es unten steht,« sagte ruhig der Löwenjäger, indem er den Bournous wieder um den Kopf zog. »Die Lection genügt, um uns für eine halbe Stunde Ruhe zu schaffen und Kapitain Peard genügt, sie in Beschäftigung zu halten.«

Wiederum zeigte sich die frühere Ueberraschung im Gesicht des Grafen, und er öffnete die Lippen zu einer Frage, aber der Matadreo war bereits die Treppe zum Erdgeschoß hinab gestiegen und es blieb ihm Nichts übrig, als diese Fragen auf gelegenere Zeit zu verschieben und ihm zu folgen.

Als der Graf in den Hansflur niederstieg, fand er

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diesen noch stark mit Pulverrauch gefüllt und die Vertheidiger wacker auf ihren Posten. Die Löwin stand mit gespreizten Haaren und schnaubend und knurrend auf dem Platz, den ihr Herr ihr angewiesen und peitschte wie ungeduldig, daß sie an dem Kampf nicht Theil nehmen könne, mit dem Schweif ihre Flanken, während die kleinen Kinder der Ansiedlerfrau weinend und erschrocken über den Kampflärmen sich vertraulich an die furchtbare Spielgefährtin geschmiegt hatten. Dies Bild gewahrte einen um so eigenthümlicheren Anblick, als kaum fünf Schritt davon entfernt halb sinnberaubt vor Furcht im geschütztesten Winkel die Marquise kniete, die zarten Hände in Gebeten ringend, an die sie im Uebermuth ihres fashionablen Lebens wohl seit Jahren kaum mehr gedacht hatte.

Neben ihr kniete die arme Ansiedlerfrau an dem harten Strohlager, auf dem die blutige Gestalt eines Mannes ausgestreckt lag, und in den besonnenen Hilfleistungen, die sie dem Verwundeten widmete, in der milden herzlichen Zusprache und dem ganzen aufopfernden Thun der jungen Frau, die eben erst die Flinte aus der Hand gelegt, mit der sie muthig und todverachtend den Männern beigestanden hatte, zeigte sich der Unterschied der beiden Frauencharaktere. Die vornehme Dame, aus Uebermuth und Langeweile in die Gefahr sich leichtsinnig stürzend, und als sie ihr wirklich nahe trat, kleinmüthig verzagend und jedes innern Haltes entbehrend, - und dort die arme Arbeiterfrau, aus Liebe zu Mann und Kind dem Tode trotzend und zur Heldin geworden, und im nächsten Augenblick die Samariterin am Sterbelager eines Mitmenschen - der Anblick mußte

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selbst in so aufregenden, jedes Interesse absorbirenden Scenen einen Vergleich in den Gedanken ihres blasirten Gesellschafters hervorrufen, der wahrlich nicht zum Vortheil der vornehmen Dame ausfiel.

Leider hatte der Kampf in der That bereits ein Opfer gekostet. Monsieur Jean, der Kammerdiener der Marquise, dem es trotz aller pariser Windbeutelei nicht an Kourage fehlte, hatte wacker an der Vertheidigung Theil genommen, aber sich vorwitzig an den Fensteröffnungen exponirt, und eine Kugel der Araber, die hauptsächlich auf diese zielten, hatte ihm den Hals durchbohrt mitten in einem übermüthigen Witzwort über den Rückzug des Feindes, Der Blutstrom, der bei jedem Athemzug aus dem Munde des Unglücklichen quoll, bewies, daß jede menschliche Hilfe vergebens sei, und in der That hauchte er auch nach wenigen Minuten schon unter den Händen Mariettens sein Leben aus, ohne daß seine Herrin etwas Anderes als vermehrte Furcht und Entsetzen bei seinem Todeskampf gezeigt hätte.

Während die Hausfrau das Kreuz ihres frommen Glaubens über den Todten schlug und den Körper mit einem dürftigen Tuch bedeckte, waren die Männer, gewöhnter an die Schrecken des Todes, bereits zu hastiger Berathung zusammen getreten. Der Feuerschein des brennenden Schuppens ließ deutlich erkennen, daß die Araber sich in größere Entfernung zurückgezogen hatten, und zwischen ihnen und dem weit tragenden Zündnadel-Gewehr des Kapitain Peard wurde nur noch ein vereinzeltes Feuer unterhalten.

Offenbar hatten die wilden Söhne der Wüste den

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Fehler erkannt, den sie mit dem Anzünden des vereinzelt stehenden Schuppens begangen, der ihren Gegnern deutlich das Ziel gezeigt, wie sechs auf dem flammenerhellten Boden des Hügelplateaus liegende in die weißen Bournousse gehüllte Leichen bewiesen, und sie wollten jetzt abwarten, bis das leichte Holzgebäude zusammengestürzt war, ehe sie einen neuen Angriff begannen.

Obschon die Orientalen gewöhnlich, wenn ihr erster tollkühner Angriff unglücklich ausfällt, den Kampf aufzugeben und sich gänzlich zurück zu ziehen pflegen, schlossen die mit den Anzeichen und namentlich mit dem Charakter des jungen Führers der Thuaregs näher vertrauten Männer doch sehr richtig, daß diesmal ihre Feinde den Kampf fortsetzen und eine neue Art des Angriffs versuchen würden. Man mußte auf diese gefaßt sein und durfte sich nicht durch den einmaligen glücklichen Erfolg einer Täuschung hingeben. Wenn auch bei diesem ersten Angriff unter den Kugeln der tapfern Vertheidiger und dem Kartätschenhagel des Geschützes an zwanzig Feinde gefallen oder verwundet sein mochten - die Ueberzahl war zu groß, als daß sie auf ein dauerndes Widerstehen hätten hoffen können, und es mußte deshalb rasch ein Entschluß gefaßt werden.

Unter den obwaltenden Umständen und nachdem die Araber den Tod so vieler der Ihren zu rächen hatten, war auf Schonung nicht zu rechnen und die Kanonade, deren dumpfe Schläge sie vor Beginn ihres eigenen Kampfes gehört, gab ihnen die traurige Gewißheit, daß sie auf eine Unterstützung der Garnison, selbst wenn der Knabe glücklich dahin gelangt sein sollte, nicht zählen durften.

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Es gab jetzt nur zwei Wege!

Entweder sie mußten sich in dem Schutz des Hauses bis zum letzten Augenblick schlagen und ihr Leben so theuer als möglich verkaufen - ein Plan, der ihnen vielleicht die Aussicht gewährte, sich bis zum Tageslicht oder zum Eintreten eines glücklichen Zufalls zu halten, oder ...

Die Gesellschaft der Reisenden hatte mit den beiden Saumthieren acht Pferde mitgebracht, und nach dem Tode des armen pariser Dieners zählten die Belagerten jetzt außer den beiden Kindern noch zehn Personen. Es war der Graf, der die Frage aufwarf, ob sie sich mit Hilfe der Pferde nicht in einem unbewachten Moment durch die Feinde schlagen und in der Flucht ihre Rettung suchen könnten.

Der Angriff auf das Fort mußte, zu dieser Zeit auch entschieden sein und wenn es glücklich widerstanden hatte, war es vielleicht möglich, auf Umwegen dasselbe zu erreichen oder auf alle Gefahr hin den Weg nach einer eine halbe Tagereise rückwärts liegenden größeren Ansiedelung zu nehmen.

Beide Meinungen hatten Manches für sich die Gefahr war ziemlich auf beiden Seiten gleich.

Nur der eine Umstand fiel schwer in's Gewicht - es waren zehn Personen da, aber nur acht Pferde.

Welche Zwei sollten zurückbleiben? denn unmöglich konnte man auf einer solchen Flucht die Pferde doppelt belasten, und Mann und Frau mußten ohnehin schon die Kinder mit sich nehmen.

Dennoch war ein rascher Entschluß nothwendig -

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der Angriff der Araber konnte jeden Augenblick auf's Neue beginnen.

Seltsamer Weise war die Marquise, sobald der erste Vorschlag zur Flucht gemacht worden, ruhig geworden; ihr Schrecken, ihre Furcht hörten auf und sie erklärte sich auf das Eifrigste für das gefährliche Mittel. Von dem Augenblick an zeigte sie eine fieberische Thätigkeit und Entschlossenheit.

Man fühlte indeß, daß bei einer Wahl, von der Tod und Leben abhing, ein Jeder seine Stimme haben müsse. Indem die Diener mit Jacques unten zurückgelassen wurden, stiegen der Graf und der Ansiedler wieder auf das Dach, um den Kapitain und den Invaliden zu befragen. Der Löwentödter blieb einen Augenblick zurück und winkte seinem Bruder und dem arabischen Diener. Er sprach kurz und leise mit ihnen und ertheilte ihnen offenbar einen Befehl; denn beide stellten sofort ihre Gewehre zur Seite und verschwanden in der Kammer des Invaliden.

Als der Matadreo zum Dach emporstieg, fand er die Männer um den Kapitain versammelt, der, behaglich eine Cigarre rauchend, sich auf sein Luftbett gesetzt hatte. Die Beiden, die bisher das Feuer vom Dach des Hauses unterhalten, waren über den zu fassenden Entschluß der entgegengesetzten Ansicht. Papa Carcadou stimmte von ganzer Seele dem Vorschlag zu, einen Ausfall zu machen und sich mit der blanken Waffe durchzuschlagen. Der Gedanke war ganz nach seinem Geschmack und er dachte keinen Augenblick dabei an seinen Stelzfuß. Der Kapitain aber erklärte, daß ein Nachtritt durch ein unbekanntes wildes

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Gebirge eine Unannehmlichkeit sei, der er sich um keinen Preis aussetzen möchte und daß er sich hier in der Vertheidigung des Hauses ganz behaglich befinde.

»Ich wette zwanzig Pfund gegen eben so viel Schilling,« sagte er, »daß ich auf achthundert Schritt einem dieser Weißmäntel eine Kugel durch den Leib jage, wenn der Herr hier, den sie El Matadreo nennen, nur die Freundlichkeit hat, noch eine seiner hübschen blauen Leuchtkugeln zu werfen, damit man wenigstens sehen kann, ob ihre weißen Posten da drüben auch wirklich Wesen von Fleisch und Blut sind; denn auf alle Kugeln, die ich ihnen schon zugeschickt, rührt sich kein einziger vom Fleck. Monsieur Carcadou, Sie haben jetzt fünfzehn Schüsse gut. Bitte - haben Sie das Zündhütchen aufgesetzt?«

»Da ist das alberne Ding! Diantre - ich hab' in meinem Leben nicht gehört, daß man mit einer Flinte viel machen kann, die von hinten geladen wird!«

»Ich denke,« sagte der Löwentödter, »es wird gut sein, eine Rakete steigen zu lassen. Wir hören zu wenig von den Burschen, als daß wir ruhig sein dürfen.«

»Einen Augenblick Sir - so, nun bin ich fertig!«

Der Kapitain war an eine der Oeffnungen getreten und lag im Anschlage, der alte Zuave stand neben ihm, bereit, ihm das zweite Gewehr zu reichen. Begierig, den Feind zu erspähen, lugten an anderen Oeffnungen der Graf und der Ansiedler.

Die Rakete zischte in die Höhe und ihre Funkengarbe beleuchtete wie vorhin rings umher die Umgebungen des Hügels.

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Rund um den Fuß desselben, etwa 20 Schritt auseinander, erblickte man jetzt deutlich die Bournousse und Kopftücher arabischer Schildwachen, deren weißen Schein man schon früher durch das Helldunkel der Nacht gesehen und nach welchem der Engländer so sorgfältig geschossen hatte.

Weithin im Thalgrunde waren keine Feinde weiter zu bemerken, nur in einiger Entfernung, im Schatten der Felsen, an der Seite, wo die Gesellschaft am Abend aus der Wüste herabgestiegen war, sah man einen dichtgedrängten Knäuel.

Die Unbeweglichkeit jener Wachen war aber zu constant, um den Augen geübter Soldaten nicht aufzufallen, und Renaud rief lachend: »Verschwenden Sie Ihr Pulver nicht, Monsieur Engländer, es sind leere Mäntel, die die Spitzbuben aufgestellt haben, um uns zu täuschen!«

»Pesth - Du hast Recht und die Schurken haben mich mindestens um hundert Franken geprellt,« schalt erboßt der alte Soldat. »Aber wo zum Henker sind die Halunken hingekommen?«

»Dort!« Der Finger des Matadreo wies auf verschiedene dunkele Punkte, die noch der Schein der ersterbenden Leuchtkugeln auf dem Abhang des Hügels diesseits der falschen Schildwachen zeigte. Der ganze Boden jener Seite, dem Eingang des Hauses gegenüber, schien mit solchen, jetzt unbeweglichen Punkten bedeckt. Das Manöver war klar genug, der ganze Trupp hatte die Pferde verlassen, um auf dem Boden gleich Schlangen einzeln herankriechend die Höhe des Hügels zu erreichen und dann das Haus zu erstürmen.

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»Die Kanone hierher, Renaud - rasch, sie werden diesmal in der Front angreifen!«

Der Ansiedler sprang zur anderen Seite, um dem Befehl des Löwenjägers zu gehorchen, dieser und der Oberst halfen ihm.

»Zum Teufel, warum schießen Sie nicht, Sie lawendelstinkender Puddingfresser?«

Die Büchse des Kapitains entlud sich, ein gellender Todesschrei mischte sich unmittelbar in den Knall.

»Hurrah, einer der schwarzen Halunken ist hin!« Der Invalide, den alten schmutzigen Feß schwingend, bog sich weit vor - im nächsten Moment taumelte er zurück.

Ein Schuß, hinter den verkohlenden Trümmern des Schuppens her, hatte der Kugel des Engländers geantwortet.

»Foudre! - ich fürchte, dieser Engländer wird seine Douros sparen!«

Er hatte die Flinte fallen lassen, Renaud herbeieilend, fing ihn in seinen Armen auf.

»Um Gotteswillen, Papa Carcadou - Ihr habt doch keine schlimme Wunde?«

»Es ist die eilfte, mein Junge - aber ich fürchte die letzte. Ich sterbe wenigstens wie ein echter Schakal vor dem Feind. Schafft die Kanone hierher oder sie werden Euch über den Hals kommen!«

Der Ansiedler hatte den Verwundeten auf die Matratze des Kapitains nieder gelassen und kniete neben ihm, die Wunde untersuchend.

Die Kugel war unter der linken Schulter durch die

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Brust geschlagen, es waren offenbar wichtige Lebensarterien verletzt.

Sie standen Alle um ihn her, der Fall des alten, noch so rüstigen Soldaten, obschon sie Alle auf den Tod gefaßt sein mußten, hatte den tiefsten Eindruck gemacht. Nur die Theilnahme des Kapitains war anderer Natur. Er hatte das Glas in's Auge geklemmt und murmelte etwas wie Bedauern, daß es nicht heller sei, um den Todeskampf einer so abgehärteten Natur besser beobachten zu können.

»Wo ist der Matadreo?« frug der Verwundete.

»Hier, mein alter Freund!«

»Ist die Kanone an ihrem Ort?«

»Sie ist es - aber ...«

»Halte là! kein Wort - wir müssen Alle sterben, es kommt nur auf die Weise an und ich werde es wenigsten nicht ungerächt. - Sie allein haben das Recht, hier das Kommando zu führen. Wollen Sie den Rath eines alten Soldaten hören?«

»Sei gewiß, ich werde ihn ausführen!«

»Ihr Ehrenwort?«

»Mein Wort darauf!«

»So schieben Sie mich zu dem Geschütz und rasch in den Sattel. Es ist Eure einzige Rettung. In fünf Minuten werden die Teufel angreifen und wenn sie es ernst meinen, ist das Haus nicht zuhalten! Wenn Ihr die Kartätschen unter sie prasseln hört, dann hinaus mit Euch und Gott sei mit Euch!«

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»Ich habe alle Anstalten bereits getroffen, aber ich hoffte, Dich mit uns zu nehmen, alter Freund!«

»Jeder hat sein Ziel - aber nun fort! ich habe Ihr Wort und jede Sekunde ist kostbar. Geben Sie mir die Lunte her, es ist die letzte Freundschaft, die Sie mir in dieser Welt leisten können!«

Der Matadreo warf seinen Mantel zurück, dann hob er den Sterbenden auf und trug ihn zu dem Geschütz, neben dem er ihn niederlegte.

»Die Lunte, Renaud, und dann hinab und auf die Pferde!«

Der Ansiedler reichte ihm die Lunte - der Graf schien noch Einspruch erheben zu wollen.

»Hinunter Colonel, hier befehle ich!«

Der Ton seiner Stimme, seine Geberde, waren so gebieterisch, daß der Graf sich ohne Weiteres fügte und, den Kapitain mit sich ziehend, der sich bitter über den Verlust seines Luftbettes beklagte, zum Erdgeschoß hinabstieg.

Auf einen zweiten Wink des Löwenjägers folgte ihnen der Ansiedler, nachdem er die Stirn des Sterbenden geküßt hatte. Er war so tief bewegt, daß er kein Wort zu sprechen vermochte.

»Die Lunte - die Lunte, oder sie werden eher da sein, als ich bereit bin. Helfen Sie mir auf, Kapitain, daß ich sie sehen kann!«

Der Matadreo richtete den Blutenden empor, dieser klammerte sich an den Steinen der Brüstung mit der linken Hand fest. »Ist die Kanone gerichtet?«

»Sie ist es - zehn Schritt über die Thür hinaus!«

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»Dann reichen Sie mir noch ein Mal die Hand und dann fort - ich glaube, ich höre sie!«

Ein gellender Ruf »Allah Akhbar! Auf zum Kampf!« der im nächsten Augenblick von einem wüthenden Allahgeheul aus achtzig Kehlen wiederholt wurde, erschütterte die Luft.

»Lebewohl Kamerad, auf Wiedersehen dort Oben!« Mit einem Sprung war der Löwentödter an der Fallthür mit einem zweiten die Treppe hinab im Erdgeschoß.

»Cora, zu mir!«

Ein Ruf: »Hier, hier!« und ein dumpfes Brüllen antworteten ihm zugleich.

Der Matadreo hatte den Säbel von der Wand gebissen, die Pistole steckte im Nu in seinem Gürtel. Unter dem Knallen von Flintenschüssen und dem betäubenden Allahgeschrei der den Hügel herausstürmenden Araber stürzte er in die Kammer des Invaliden. Die bretterne Rückwand derselben war zur Seite geschoben, hier befand sich der Eingang zu dem Raum, in den man die Pferde der Reisenden eingestellt. Es war ganz dunkel hier und es herrschte die größte Verwirrung, die durch das Schnauben und, Lärmen der Pferde in der Nähe der Löwin, das Geschrei der Kinder und das Brüllen der Ochsen noch vermehrt wurde.

»Bruder hierher!«

Jacques drückte dem Matadreo einen Zügel in die Hand. »Es ist das Deine!«

»Hilfe! Erbarmen! Laßt mich nicht zurück wo ist der Graf? wo ist der Matadreo - er muß mich retten!«

Es war die Marquise, die in der gräßlichen Verwirrung, wo Jeder nur an sich selbst denken konnte, ihr Pferd verloren hatte und sich zwischen die Reiter drängte.

In diesem Augenblick krachte es über ihren Köpfen in den wüthenden Kampfruf der Araber, deren Yatagans und Kolben bereits an die Thür des Hauses schlugen. Ein gellendes Schmerzgeschrei folgte unmittelbar der donnernden Entladung des Geschützes.

»Vive la France!«

»Auf mit dem Thor! - Platz da - vorwärts Cora!«

»Hier! hier! Retten Sie mich!«

Eine starke Hand faßte im Dunkel die ihre und schwang die leichte Gestalt der halb Ohnmächtigen mit kräftigem Ruck empor. Jacques warf das Thor auf - mit einem wüthenden Gebrüll schoß die Löwin hinaus, der scheu die Pferde Platz gemacht; hinter ihr ein Reiter im dunklen Bournous, eine zweite Gestalt vor sich quer über dem Sattelknopf, von seiner Linken umschlungen und an die Brust gedrückt.

»Vorwärts Mariette, halte das Kind!«

Renaud, sein Weib, der Oberst, Peard und die Diener zu Pferde stürzten im wilden Gedränge hinterdrein.

Im Halblicht der Nacht sah der junge Mann, der sich so wacker geopfert, ein lediges Pferd an sich vorbei fliegen und im Nu hatte er die Mähne gefaßt.

»Wer ist noch zurück?«

Keine Antwort als das Krachen der Schüsse, das Wuthgeheul der Araber, das Stöhnen der Verwundeten!

Mit einem Schwung saß er im Sattel - es war

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das Pferd der Marquise - und jagte hinterdrein. Die Thuaregs, das gefürchtete Geschütz auf der Rückseite des Blockhauses wissend, hatten ihren Angriff auf die Vorderseite des Hauses concentrirt, nur wenige Posten zur Beunruhigung des Ganzen befanden sich in respektvoller Entfernung auf der Rückseite.

Der Ausbruch der Bewohner, fast im selben Augenblick mit der Entladung des Geschützes, war daher von vollem Erfolg begleitet. Vier oder fünf der Wachen liefen herbei, aber die Löwin riß die beiden Ersten im Sprunge nieder und der Schreckensruf: »El adrea! der Löwe!« verscheuchte die Anderen. Gleich einer Windsbraut, der Löwenjäger, den Säbel in der Rechten, mit seiner Last voran, schoß die kleine Cavalkade, von einigen Schüssen auf Gerathewohl verfolgt, durch den Cordon der Wachen und gewann so einen Vorsprung.

Doch konnte die Verwirrung der Feinde eben nur wenige Minuten dauern und der Scheich selbst war der Erste, der die Flucht bemerkte, indem er den Ruf der Wachen hörte. Mit einem Blick sah er, daß seine Opfer im Begriff waren, ihm zu entgehen und auf seinen Befehl stürzte mehr als die Hälfte der Thuaregs nach ihren Pferden, um die Flüchtigen zu verfolgen, der Scheich Hassan an ihrer Spitze.

So gut sie auch den gewonnenen Vorsprung benutzten, waren die Ansiedler und ihre Fluchtgefährten doch noch nicht an dem nördlichen Ausgang des Thals, als sie die Thuaregs bereits auf ihren Fersen hörten.

Mariette hatte eines der kleinen Mädchen vor sich auf

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dem Sattel, der arabische Diener das zweite, Renaud seinen Sohn. An der Spitze des Zuges, die Löwin an seiner Seite, ritt noch immer der Matadreo - Jacques schloß den Zug.

Hinter ihnen drein fielen wiederholt die Flintenschüsse der Verfolger, aber die Schützen waren zu hastig, das Ziel zu unsicher und entfernt, als daß die Kugeln hätten Schaden thun können.

Es war jetzt die zweite. Morgenstunde vorüber und das bisherige Dunkel der Nacht wurde heller und heller; - jener glänzende Sternenhimmel, der dem sterbenden Wanderer in der trostlosen Wüste mit tausend blitzenden Strahlen das Jenseits verbürgt, begann vor dem nahenden Tage zu erbleichen.

Wo das Thal, in dem Renaud mit den Seinen sich angesiedelt, mit dem aus dem Quell des Hügels entspringenden Bach seinen Ausgang nach Norden in die Berge und weiter hin nach der Ebene findet, treten die Felsen auf eine kurze Strecke so nahe zusammen, daß höchstens zwei Reiter neben einander passiren können.

Als sie dieser Stelle sich näherten, warf der Matadreo einen Blick hinter sich; - das Feuern der Thuaregs zeigte ihm, daß sie etwa noch dreihundert Schritt entfernt waren. Er hob die ohnmächtige Frauengestalt in seinem Arm empor, drückte sie an die Brust und dann einen Kuß auf ihre Lippen.

»Lebe wohl!«

Die Berührung schien die junge Frau zu durchschauern und zu erwecken. Sie schlug die Augen auf und machte

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eine Bewegung, als wolle sie dem Arm ihres Retters sich entziehen. »Himmel, wo bin ich - was ist geschehn?« Im nächsten Augenblick, als sie das wüthende Geschrei ihrer Verfolger und die Schüsse hörte, kam sie wieder zum vollen Bewußtsein ihrer Lage und drückte sich mit einem leisen Aufschrei fest an die Brust des Reiters, der eben sein Pferd anhielt. »Fort, fort um Gotteswillen!«

Aber der Matadreo hörte nicht auf sie. Bereits hatte er die Zügel des Grafen gefaßt und parirte sein Roß. »Halt, Renaud! Nehmen Sie die Dame, Colonel - sie ist wieder im Stande sich im Sattel zu halten. Schützen Sie diese und nun vorwärts!«

»Was willst Du thun, Bruder?«

»Euch Luft machen! Kein Wort, Renaud - es ist mein Recht! Nehmt den Weg nach dem Fort, es ist die einzige Rettung! - Hierher, Jacques!«

Er war bereits aus dem Sattel - der Graf hielt die zitternde Dame in dem ihren aufrecht.

Es war keine Zeit, um das hochherzige Opfer der beiden Brüder zu bekämpfen. Der Kapitain und sein Diener waren bereits voran. Der Graf spornte sein Pferd, die Zügel der Dame erfassend und sie jagten in die Schlucht - Mariette und der Araber hinterdrein - der Ansiedler war der Letzte.

»Gott segne Dich Bruder für Deine That!« Dann folgte er dem Weibe und den Kindern.

Der Matadreo, Jacques und die Löwin blieben zurück. Der Matadreo legte die Linke auf den Kopf der knurrenden, mit ihren Pranken den Boden zerreißenden Löwin -

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die Rechte ließ den erprobten Stahl am Faustriemen niederhängen und streckte die gespannte Pistole vor.

»Schieß nicht, Jacques, bis ich feure. Lebe wohl, Bruder und stirb wie ein Mann!«

»Wie unser Vater starb! Laß sie kommen, Hektor!«

Und sie kamen.

Die wilde Reiterschaar brauste gegen die enge Schlucht. »Allah Akbar! Nieder mit den fränkischen Giaurs!«

Der Scheich flog voran - er ritt auf seinem berühmten Lieblingspferde El Rati - die Vorwärtseilende - den Säbel in der Faust, im Sattel weit vorgebeugt, mit seinem Feuerauge die sichere Beute erspähend.

»Halt!«

Die Löwin stieß ein wüthendes Gebrüll aus und wollte sich den Reitern entgegenstürzen, deren Pferde bei diesem gefürchteten Ton zurückprallten.

»El Matadreo! El Matadreo!«

Der Ruf des Löwenjägers war bekannt bei allen Stämmen der Wüste.

Nur die muthige Stute des Scheich that einen Satz vorwärts.

»Zurück, Hassan, oder Du bist des Todes!«

Ein Schrei des Zorns antwortete ihm. »Stirb Franke - ich hasse Dich!«

Das edle Roß hob sich zum Sprung, der Säbel des Thuareg blitzte durch die Luft.

In diesem Augenblick wurde die furchtbare Scene durch entfernten Lichtschein erhellt, eine neue Flamme stieg

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in der Mitte des Thals empor - das Haus stand in Flammen.

»Mordbrenner!«

Der Pistolenschuß knallte - die Stute überschlug sich mit ihrem Reiter.

»Auf sie, Cora!«

Mit einem gewaltigen Sprung flog die Löwin über Roß und Reiter am Boden hinweg in den dichten Reiterhaufen. - Zehn - zwanzig Schüsse krachten gegen die Brüder - der jüngere sank in die Knie.

»Jesus Maria!«

»Ta - ta! - Ta - ta!«

»Rettung! Rettung. Bruder!« Renaud, der Ansiedler, seine Büchse schwingend, kam wie ein Rasender zurückgejagt - hinter ihm drein klang der bekannte Hornruf der Zuaven.

»En avant mes braves! - Vorwärts meine Schakals! Gebt ihnen eine Salve!«

Wie aus der Erde gewachsen flogen rechts und links, im Bach, an den Felsenhängen, auf dem engen Pfade die kühnen Gestalten mit den blauen Jacken und weiten orientalischen Beinkleidern an den Brüdern vorüber - Blitz auf Blitz, Schuß auf Schuß - im fernen Feuerschein glänzten die breiten Hau-Bayonnete - in das Brüllen der Löwin, in das Schmerzensgeschrei der Sterbenden und Verwundeten donnerte das: »Vive l'Empereur! Vive la France!«

Was nicht getödtet, zerrissen am Boden lag, war bereits in wilder Flucht - die weißen Bournousse flogen

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wie Geister über den Thalgrund, - die Löwin, die Zuaven hinterdrein!

»Vive l'Empereur!«[] Vive la France!«

Sie waren zur rechten Zeit gekommen.

Als der Knabe muthig und unbekümmert um die ihn bedrohenden Gefahren seinen einsamen Weg durch das Gebirge nahm, war er unterwegs zwei Mal auf Streifposten der Araber gestoßen, aber er hatte sie so zeitig bemerkt, daß er ihnen unbemerkt entwischen konnte. Dadurch hatte er jedoch viel Zeit verloren und war gezwungen worden, von der graden Linie abzuweichen. Auf diese Weise war er viel weiter nördlich gekommen, als sonst nöthig gewesen und hätte unmöglich das Fort zur rechten Zeit noch erreicht, um Beistand für die Ansiedlung noch zu erhalten, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihm zu Hilfe gekommen wäre. Etwa noch zwei Lieu's vom Fort entfernt, hörte er aus der Ebene den Marsch einer Kolonne, und überzeugte sich bald, in den Schatten der Felsen verborgen, daß es Franzosen waren. Es war in der That die Kompagnie, die zur Ablösung der Besatzung des Forts von Aghwât ausmarschirt war.

Um der Hitze des Tages zu entgehen, hatten sie einen Nachtmarsch vorgezogen und waren so dem schon verzweifelnden Knaben begegnet.

Der kleine Pierre, unter Gefahren und Mühseligkeiten aufgezogen, hatte Verstand genug, den Glücksfall dieser Begegnung alsbald zu begreifen und dem kommandirenden Kapitain die Botschaft des Obersten zu übergeben. Sofort wurde Halt gemacht und nach kurzer Berathung beschlossen,

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die kleine Streitmacht zu theilen und mit der Hälfte derselben den bedrohten Ansiedlungen zu Hilfe zu marschiren, während die andere nach Fort Randon weiter rückte. Die Anordnung war von dem besten Erfolg begleitet, denn die erste Abtheilung traf noch zu rechter Zeit bei dem Fort ein, wo man genügende Wachsamkeit gehabt und sich nicht von dem Angriff der Hauptmacht der Thuaregs hatte überrumpeln lassen, um den Feind zwischen zwei Feuer zu bringen. So in ihrer eigenen Schlinge gefangen, war die Niederlage der Araber eine vollständige gewesen und nahm ihnen für lange Zeit die Lust und die Macht, den Frieden zu brechen.

Die Zuaven - denn aus solchen bestand die neue Garnison - welche unter der Führung eines jüngeren Offiziers zum Beistand der Ansiedler und der Reisenden abgeschickt worden, setzten unter des Knaben Führung so rasch als möglich ihren Marsch durch das Gebirge fort. Sie waren etwa noch eine Lieu vom Thale entfernt, als sie das Feuern hörten und ihre Eile verdoppelten. Die einzelnen Schüsse des Engländers hielten nach dem Aufhören des allgemeinen Feuers ihre Hoffnungen wach, daß der Widerstand noch fortdauere und die tapfern Krieger strengten alle Kräfte zu dem trabartigen Geschwindmarsch dieser Kolonne an, um den bedrängten Landsleuten zu Hilfe zu kommen. Aber der Mangel jedes gebahnten Pfades in dem rauhen Gebirge bot vielfache Hindernisse und so war man noch eine Strecke von dem Thal entfernt, als die zweite Rakete der Belagerten aufstieg und ihre Noth verkündete. In verdoppelter Eile vorwärts dringend

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war man so dem Reitertrupp der Flüchtenden und ihren Verfolgern begegnet.

Renaud hielt neben dem Löwentödter. »Um Himmelswillen, wo ist Jacques?«

»Todt oder verwundet - Du kannst hier Nichts helfen. Aber fort zum Haus! Siehst Du nicht, daß es brennt? Laß den Invaliden wenigstens nicht in den Flammen sterben!«

»Fluch über die Mordbrenner!« Im wilden Carriere sauste er den fliehenden Arabern nach durch das Thal dem Hügel zu.

Dahin auch ging der Sturmlauf der Zuaven, ohne sich bei der Gruppe der tapfern Vertheidiger dcs Engpasses oder den geretteten Reisenden aufzuhalten. Durch das ganze Thal knallten die Schüsse, hallte der Schlachtruf der Franzosen und das Geschrei der fliehenden Feinde.

Das Grauen des Tages zeigte die Niederlage derselben. Als Renaud zugleich mit der Löwin, die blutbedeckt mit funkelnden Augen und keuchenden Flanken jetzt einen furchtbaren Anblick gewährte, bei dem brennenden Hause ankam, waren nur wenige Araber noch mit dem Plündern des Innern beschäftigt und die meisten bereits vor der plötzlichen Wendung des Kampfes entflohen. Den Thuareg, der ihm am Eingang mit seiner Beute aus dem Gepäck der Reisenden entgegen trat, warf sein Kolbenschlag zur Seite, dann stürzte sich der wackere Ansiedler, unbekümmert um die eigene Gefahr, auf die Stiege zum Dach.

»Carcadou Sieg! Sieg! wo bist Du?«

Die Fallthür war verschlossen, der alte Invalide hatte

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sich nach dem Abbrennen des Geschützes hierher geschleppt und den Holzriegel der Thür, die der Matadreo hinter sich niedergeworfen, vorgeschoben. Der geringe Widerstand hatte die in das Hans gedrungenen Beduinen verhindert, auf das Dach zu steigen.

Jetzt reichte seine Kraft vielleicht nicht mehr aus, den Riegel zurückzuziehen oder er war bereits todt. Das Auge des Ansiedlers flog in dem von den Flammen erleuchteten Raum des Erdgeschosses umher und traf auf sein Beil. Im nächsten Augenblick flog die Fallthür vor seinem kräftigen Streich in Stücke und Renand sprang auf das Dach.

Der tapfere Greis lag in seinem Blut, halb erstickt von dem Rauch, aber noch leise athmend neben der Thür, rings umher züngelten bereits die Flammen. Im Nu hatte der Ansiedler den verstümmelten Körper auf seine Schultern gehoben und trug ihn durch die Flammen, die seine Habe verzehrten, in's Freie. -


Zwei Stunden nachher beschienen die Strahlen der über die Berge emporsteigenden Sonne ein bewegtes aber ernstes Bild.

Den Anstrengungen der Zuaven war es gelungen, einen Theil des Gebäudes und das meiste Gepäck der Reisenden vor den Flammen zu retten, doch zeigte das Haus die traurigen Spuren des Kampfes und Brandes und mit thränendem Auge betrachtete die junge Ansiedlerfrau die Ruinen ihrer Habe.

Von den Feinden war Nichts mehr zu sehen, als eine

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Anzahl Leichen, welche die Fingerfertigkeit der Zuaven ausgeplündert hatte, und um die bereits die Geier lauerten.

Aus dem geretteten Gepäck der Reisenden hatte man zum Schutz der Dame das Zelt, das die Gesellschaft mit sich führte, auf einer Stelle des Plateaus aufgeschlagen und die Marquise von Massaignag[Massaignac] schlief nach all' den Aufregungen innerhalb der Leinenwände den Schlaf der Gerechten, wie nur jene oberflächlichen, egoistischen Naturen ihn kennen.

Was kümmerte es sie, daß wenige Schritte von ihr ein Braver im Sterben lag, der muthig dem Tode für ihre Rettung getrotzt? Es war ja nur ein alter Invalide, ohne Rang und Namen.

Unter den Palmen, nahe der niedergebrannten Schmiede, in der er noch am Nachmittag so munter gehämmert und gefeilt, lag auf einer Decke, das Haupt von der Ansiedlerfrau unterstützt, der alte Zuave. Außer der tödtlichen Kugel in der Brust hatte der alte Soldat keine Wunden.

Der Feldscheer hatte die eine verbunden, aber sein Achselzucken, später seine Worte, sagten den Freunden Papa Carcadou's, daß er wahr gesprochen, als er sich tödtlich getroffen erklärte. Der Schuß hatte die Lebensorgane verletzt und nur die zähe Natur des alten Soldaten noch seinen Tod verzögert.

Jetzt jedoch war jener schwere Augenblick gekommen, den des Schöpfers Rathschluß keinem seiner erschaffenen Wesen erspart hat und der, je höher sie organisirt sind, desto furchtbarer an sie herantritt.

Seine Freunde hatten sich um den Sterbenden

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versammelt; an seiner Seite, die Hand des Alten auf seinem Blondkopf, kniete sein Liebling, der Knabe Pierre, indeß an der andern Seite Renaud der Ansiedler, und der Matadreo ihm nahe waren.

Die Arme ineinander geschlungen, standen der Lieutenant der Zuaven und der Jäger Jacques, die aneinander alte Freunde wieder gefunden und schon hundert Erzählungen und Erinnerungen ausgetauscht hatten. Der Jäger trug den linken Arm in der Binde und sah etwas blaß aus, war aber sonst unverwundet. Die Kugel, die ihn niedergeworfen, hatte den Arm verletzt, und war auf der Brust an der kupfernen Pulverflasche abgeglitten, die er umgehangen trug. Nur die Kraft des Schlages hatte ihn betäubt und zu Boden geworfen. Der Graf mit dem Engländer befand sich gleichfalls in dem Kreise, selbst die Löwin fehlte nicht, dmn sie lag, die verschiedenen leichten Wunden leckend, die sie bei dem Angriff der Beduinen an der Schlucht erhalten, zu den Füßen des Kranken, von Zeit zu Zeit den Kopf nach ihren neuen Freunden erhebend und ihren kecken Liebkosungen mit einem Knurren antwortend; denn die Zuaven mit ihrem Uebermuth hatten in den paar Stunden schon die vertraulichste Bekanntschaft mit der gefährlichen Kampfgenossin gemacht und spielten mit ihr wie alte Freunde. Jetzt aber standen Alle, die nicht als Schildwachen ausgestellt oder mit dem Aufwerfen einer weiten Grube zur Aufnahme der Todten der Araber beschäftigt waren, um den sterbenden Veteranen.

Mit der ihnen eigenen Geschicklichkeit und Umsicht hatten die Zuaven hinter dem Haupt des Kranken eine

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jener fliegenden Zeltwände aufgerichtet, bestehend aus einer Decke und ein paar Gewehren, mit denen sie sich im Bivouac gegen Wind oder Sonne schützen. Freundliche Hände hatten den improvisirten Schirm mit den Zweigen der Tamarinde und der wilden Myrthe besteckt.

»Heb' mir den Kopf noch etwas, Mariette,« sagte der alte Soldat, aus einer jener Ohnmachten der Schwäche erwachend, die ihn seither befallen, zu seiner treuen Wärterin. »Es kommt mir so kalt herauf von dem Stelzfuß, als ob wir am Nordpol wären, statt in der Sahara, und ich möchte noch ein Mal mit den Freunden sprechen, bevor mir die Zunge auf immer gelähmt ist. Hat einer von den Schakals vielleicht einen Tropfen ächten Branntweins, der mir das morsche Leben ein wenig auffrischen hilft?«

Zehn Hände streckten sich ihm mit den Feldflaschen entgegen. »Es ist noch Wein da, mein Freund,« sagte der Oberst, »von demselben, den Ihr gestern Abend trankt.«

»Nichts da, Colonel, in der Schlacht ist ein Tropfen Branntwein ein ander Ding, und ich denke, ich habe meinen Feind noch zu bestehen. Gott segne Euch Burschen für den Trank, die Kehle war mir so trocken wie damals, als wir drei Tage lang nicht die Lehmwälle von Mazagran verlassen hatten. Ich hoffe, Herr, die Frau, die Sie bei sich hatten, ist mit dem Bischen Schrecken davon gekommen?«

»Die Marquise schläft von den Anstrengungen der Nacht erschöpft, aber ich will sie wecken, wenn Ihr sie zu sprechen wünscht, sie wird gewiß nicht zaudern, einem

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Wackern die Hand zu drücken, der so heldenmüthig sich für uns geopfert.«

»Nein, Colonel -, laßt sie schlafen, ich werde ihr ohnehin bald Gesellschaft leisten. Ist der Bote vom Fort noch nicht da?«

»Wir erwarten ihn bald - er ist schon vor drei Stunden weggeritten, alter Freund!« sagte der Ansiedler.

Der Invalide sah nach dem Stand der Sonne. »Er muß sich tummeln, wenn er mir den Rapport noch mit in die Ewigkeit geben will. Wenn Du nach dem Fort kommst, Pierre« - er tätschelte dem Knaben auf den Kopf, »so vergiß nicht, dem Sergeanten Dumartin zu sagen, daß das Ding da, das ich Dir umhing, seine Kraft bewährt hat. Der Schnurrbart ist ein alter Gottesläugner und wollte nicht daran glauben. Laß es niemals von Dir, Junge, wenn Du erst den Feß und die Flinte trägst, denn ich hoffe doch, daß Du unter die Zuaven gehst und meiner Erziehung keine Schande machen wirst!«

»Gewiß, Papa Carcadou, ich werde ein Zuave wie Du!«

»Weinet nicht, Frau, über den Burschen. Es muß ein Jeder dem Vaterland dienen und Frankreich braucht brave Soldaten. Komm her, Jacques, daß ich mit Dir rede!«

Der junge Mann trat näher.

»Ein tüchtiger Bursche sollte nie sein Herz so ganz an eine braune Dirne hängen,« sagte der Verwundete, »obschon ich zugeben will, daß sie verdammt hübsche Augen hat; denn weiter hab' ich Nichts von ihr gesehen. Es giebt

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der Weibsleute überall und wenn man nicht eine findet, wie die Mariette hier, soll man sie sich lieber vom Halse halten. Da Du aber einmal mit Gewalt heirathen willst, sollst Du wenigstens von dem Wüstendiebe Nichts geschenkt nehmen. Ich denke, es ist Zeit, Mylord Engländer, daß wir unsere Rechnung machen!«

»Yes, yes!« sagte der Kapitain. »Wie viel Schuß sein ich schuldig Sie?«

»Sie haben vier Araber erschossen und drei Mal gefehlt. Die Nieten können wir nicht rechnen.«

»O doch, doch - Sie haben geladen mein Gewehr. Das machen das Stück fünf Franken, sind fünfunddreißig Franken und ich bekomme zurück fünf.«

Er hielt ihm die zwei Napoleonsd'or hin.

»Machen Sie's mit Jacques ab, er ist mein Erbe. Und höre, Bursche, in dem alten Strumpf in meinem Kleidersack, wenn das Dings nicht verbrannt ist, müssen sich noch fünf Goldstücke finden, die ich Dir schenke, damit Du vor dem Scheich bestehst. Es ist der Rest von den zehn, die mir General Lamoricière gegeben hat, als ich den Kabylen niederschoß, der im Aures ihn vom Pferde riß. Sie sollten der Frau gehören für das, was ihr die Spitzbuben verbrannt haben, aber ich denke, der Kolonel[Colonel] hier wird für sie und Renaud sorgen.«

»Gewiß, mein Braver!«

Der Sterbende hatte sich nicht ohne Mühe umgewandt, er streckte die Hand nach dem Löwentödter. »Wenn Sie meine Flinte nehmen wollen zum Geschenk,« sagte er in Absätzen - »es würde mir eine Beruhigung sein im Grabe

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für das alte Ding. Sie werden freilich keinen Löwen damit schießen, aber ich denke, Sie könnten ohnehin Frankreich bessere Dienste leisten, als daß Sie Ihr Leben an die Bestien der Wildniß setzen.«

Der Matadreo beugte sich zu ihm, doch konnte Niemand verstehen, was er ihm sagte. Nur aus der Antwort des Sterbenden ließ sich darauf schließen.

»Wohl weiß ich es,« sprach dieser ernst, »und dennoch sage ich Ihnen: Es lebe der Kaiser! Zum Teufel mit dem republikanischen Schwindel, wenn die Adler fliegen! Unglück und Undank sollen ein braves Herz nicht beugen und die Zeit naht, wo Frankreich seine besten Söhne auf anderen Schlachtfeldern brauchen wird, als in Scharmützeln mit den braunen Dieben der Wüste! Halt - was ist das?«

Durch das Thal kam in vollem Galopp ein Reiter, einer der Führer der Kolonne bei dem Nachtmarsch durch das Gebirge. Es war ein eingeborener Spahi, der schon von ferne den Turban schwang.

»Sieg! Sieg!«

Der Sterbende richtete sich mit einer plötzlichen Wiedergewinnung seiner Kraft empor, er stand aufrecht, als ständ' er im Glied.

Der Reiter sprengte den Hügel herauf und parirte sein Pferd vor dem Offizier. »Ordre des Kommandanten, Lieutenant! Kapitain Delille hat die Araber zwischen zwei Feuer gebracht, ihre Niederlage ist vollständig, der Angriff ist glänzend abgeschlagen, das Fort gerettet, zweihundert Feinde sind gefallen! Unsere Zuaven haben sich wie die leibhaftigen Teufel geschlagen!«

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»Vorwärts, meine Schakals! Es lebe Frankreich!«

Der Verwundete schwang unter dem Donnerruf der Zuaven den alten zerrissenen Feß, dann stürzte er lang hintenüber.

Ein Blutstrom kam aus seinem Mund - die verwitterte zerfetzte Gestalt rührte sich nicht mehr.

Der Chirurg sprang herbei und legte die Hand auf sein Herz. »Er ist todt,« sagte er, »gestorben mit dem Siege Frankreichs auf den Lippen!«

Die tiefe Stille unterbrach nur das Schluchzen der armen Ansiedlerfrau und ihres Knaben, und dann die Stimme des Offiziers.

»An die Gewehre, Kameraden!«

Die Musketen rasselten in den Händen der wilden Gesellen.

»Angetreten!«

»Fertig zum Feuern! - Feuer!«

Und die Ehrensalve donnerte über den Todten hin durch die bereits von den Strahlen der Sonne erzitternde Luft und scheuchte die vornehme Dame erschrocken aus ihrem Zelt.

An der Leiche des alten Zuaven aber kniete in stillem Gebet der Matadreo.



Es war etwa anderthalb Stunden vor Mittag, als sich ein Zug von der halb zerstörten Kolonie aufmachte, um nach dem Fort Randon sich zu begeben.

Die Leichen der gefallenen Araber waren in einer

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gemeinsamen Grube beerdigt worden, nur der alte Zuave hatte sein Grab unter den Palmen des Hügels gefunden, wo ihm die Liebe und das Gedächtniß der Ansiedlerfamilie ein Kreuz zu setzen versprach. Lieutenant de Chapelles, der Kommandirende der Abtheilung, welche die Ansiedelung entsetzt, glaubte sich nicht berechtigt, den Reisenden eine Anzahl seiner Leute als Sauvegarde direkt nach der nächsten Militairstation mitzugeben und jene beschlossen daher, unter dem Schutz der abgelösten Besatzung ihre Rückreise zu machen.

So bestand denn der Zug aus der Hälfte der Soldaten unter der Führung des Offiziers, den Reisenden und ihrer übrigen Dienerschaft, dem Löwentödter und seinem Bruder und der Ansiedlerfrau mit ihren Kindern. Letztere sollte im Fort verweilen, bis Renaud mit Hilfe der zurückgebliebenen Soldaten das Haus auf's Neue in Stand gesetzt hatte. Leider war bereits durch einen glücklich Entkommenen die Nachricht eingegangen, daß die beiden entfernteren Ansiedelungen ein Opfer des Verrätherischen Ueberfalls geworden und ihre sämmtlichen Bewohner bis auf Jenen getödtet worden waren. Die Gefangenen, die an der Schlucht und in dem brennenden Hause gemacht worden waren, begleiteten die abziehende Kolonne.

Trotz mehrfacher Versuche der Annäherung seitens des Grafen schien der Matadreo die Isolirung vorzuziehen und ritt in tiefem Nachdenken am Ende des Zuges, begleitet von der Löwin, mit der die Zuaven, die auch die beiden jungen Katzen mit sich genommen hatten, sich bereits die größten Vertraulichkeiten erlaubten, ohne daß das edle Thier eine andere Abwehr zeigte, als zuweilen ein ungeduldiges

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Knurren. Gegen ihren Herrn zeigte die Löwin den treuesten Gehorsam und schien jedes seiner Worte zu verstehen.

Jacques befand sich, von seiner Ungeduld getrieben, mit dem Grafen, der vergeblich ihn durch verschiedene Fragen auszuforschen suchte, an der Spitze des Zuges, während der junge Lieutenant bereits am Triumphwagen der schönen Marquise zog und all' seine Galanterie an ihre Bequemlichkeit verschwendete.

Die Coquette schien bereits alle die schrecklichen Erfahrungen der Nacht vergessen zu haben und nur zuweilen zog ein beunruhigender Gedanke ihre Stirn in Falten und sie wandte dann mit einem gewissen Ausdruck von Befangenheit und unklarer Besorgniß ihre Blicke nach der einsamen Gestalt des Matadreo zurück.

In einer solchen Pause des banalen, aus pariser Neuigkeiten und Lästerungen bestehenden Gesprächs schien es ihr plötzlich einzufallen, daß sie den jungen Offizier mit Jacques, dem Jäger, bekannt und vertraut gesehen hatte.

»Apropos, Monsieur de Chapelles,« sagte sie - »ich glaube, Sie können uns die beste Auskunft geben, wer eigentlich unsere sehr schweigsamen oder verschwiegenen Wirthe gewesen sind. Dieser Herr Matadreo, wie er sich nennen läßt, zeigt in manchen Augenblicken die Manieren der guten Gesellschaft, und dennoch entspricht seine ganze Umgebung dem nicht. Es war eine alberne Idee, die mir durch den Kopf fuhr, daß er sonst in anderen Kreisen gelebt haben und durch irgend ein romantisches Unglück in diese traurige Einöde verschlagen sein könnte. Geschwind, Monsieur de Chapelles, woher kennen Sie seinen Bruder?«

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»Wir waren Spielgefährten als Knaben, Madame!«

»Also in Paris?«

»In Paris!«

»Und der Name des Monsieur Löwentödter? denn in Paris führt man doch einen anständigen Namen.«

»Der Matadreo, Madame,« berichtete der junge Offizier, »hat sich wirklich in den vornehmsten Cirkeln von Paris bewegt, Ihr Scharfsinn hat Sie nicht getäuscht.«

»Aber sein Name damals?« beharrte ungeduldig die junge Frau.

»Ich habe leider nicht das Recht ihn zu nennen!«

»Fi donc, Monsieur de Chapelles, Sie wollen nur den Verschwiegenen spielen, um sich interessant und mich neugierig zu machen. Allons, heraus damit!«

»Ich bin durch mein Ehrenwort gebunden, Madame!«

Die Marquise machte eine ungeduldige Bewegung mit dem Schirm, den sie zum Schutz gegen die Sonne über sich hielt. »Sie sind nicht besser als alle anderen Männer. So jung noch und schon so ungalant! Gehen Sie, ich will Nichts mehr von Ihnen wissen und werde Herrn Jacouf selbst fragen!«

»Da hält er eben an, Madame - es muß etwas Besonderes sein, was ihn so in Aufregung versetzt.«

»Vielleicht die Kameele dort - wahrhaftig, der Anblick ist höchst romantisch! Schade, daß die Barbaren mein Album mit verbrannt oder geraubt haben. Ich muß die Gefangenen darnach fragen lassen!«

Der erste Ausruf galt in der That einem eigenthümlichen Anblick.

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Der Zug hielt auf der Höhe eines Abhanges, der sich in ein enges schluchtartiges Thal senkte. Die Berge umher waren rauher Fels oder mit wucherndem Gestrüpp bedeckt, an der einen Seite des kleinen Thals aber sprang aus der Felswand ein klarer frischer Quell und goß sich in ein rohes Steinbecken, das arabische Pietät wahrscheinlich schon vor Jahrhunderten hier ausgehauen. Um dieses Becken wiegten sieben schlanke hohe Palmen ihre grünen Kronen in der heißen Luft.

An diesen Palmen sah man eine Anzahl Kameele und drei oder vier Pferde angebunden, aber kein menschliches Wesen war in der Entfernung zu erkennen - nur an dem Rande des Brunnens lehnte es, wie eine weiße Gestalt.

Die sämmtlichen Mitglieder der kleinen Reisegesellschaft hatten sich unterdeß auf dem Fleck gesammelt, wo Jacques und der Graf verweilten. Ein Jeder erkannte leicht die Aufregung des jungen Mannes und jetzt erst fiel der Marquise die seltsame Heirathswerbung und der Vertrag dieser Nacht ein. Auch wenn sie nicht nach der Uhr gesehen, hätten ihr die drückende Hitze und die Erschlaffung von Menschen und Thieren trotz des kurzen Weges verkündet daß die Mittagszeit gekommen war.

»Wie ist mir denn, Monsieur Jacouf,« sagte sie zu dem Jäger - »ist das nicht der Ort, wohin Sie dieser schöne Scheich eingeladen hat, Ihre Braut zu empfangen? Ich glaube wirklich, er hält sein Wort, nachdem er uns in dieser Nacht hat den Hals abschneiden wollen!«

»Ein Araber, Madame,« sagte aufgeregt der junge Mann, »hält immer sein Wort; dort ist Zela, denn ich erkenne

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ihr Lieblingsdromedar und dennoch - mir ist so seltsam zu Muthe, als wolle es mir das Herz abdrücken.«

»Ei,« lachte munter die Dame, »das ist die Stimmung eines Bräutigams und gehört zum Hochzeitsmorgen, obschon ich gerade nicht sagen könnte, daß Monsieur le Marquis de Massaignac an dem unseren etwas Anderes gezeigt hätte, als seine gewöhnlich üble Laune und seinen Geiz. Aber geschwind, Monsieur Jacouf, lassen Sie die junge Braut nicht so lange schmachten und vergessen Sie nicht, daß ich die Hochzeitsmutter vorstellen werde.«

»Oh Madame!« Sein Herz war übervoll und er wollte eben das Pferd, das er wegen seiner Wunde bestiegen, nach der Stelle der Palmen zum Galop antreiben, als die Hand des Löwentödters sich auf seinen Zügel legte.

»Bleib! - ich werde vorangehen!«

Die Gewalt des älteren Bruders war so groß, daß darunter selbst die Liebessehnsucht des jüngeren sich beugte.

Ohne sein Pferd zu einem hastigeren Schritt anzutreiben, ritt der Matadreo voran.

Aber man sah, daß er das Schloß seiner Büchse spannte, und den Kolben derselben auf seinen Schenkel setzte.

Diese Kampfbereitschaft flößte plötzlich allen Andern eine unheimliche Ahnung von Gefahr ein, denn ein Mann wie der Matadreo konnte dergleichen nicht ohne Ursach thun, und man sah sich unwillkürlich um, ob nicht über die Felsen und Büsche sich die braunen Gesichter der Thuaregs und ihre langen Flinten erheben würden, um in nochmaligem Ueberfall die Niederlage der Nacht bei hellem Sonnenschein zu rächen. Der Graf nahm seine Flinte von der Schulter

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und der junge Offizier ließ seinen Trupp in Kolonne treten.

Aber Alles umher blieb ruhig. Nur das Wiehern der an den Palmen angebundenen Pferde, als sie die nahenden Genossen witterten, unterbrach die Stille.

Der Löwentödter war dem Zuge etwa hundert Schritte voraus und ritt langsam auf die Quelle zu.

Man konnte jetzi deutlich erkennen, daß an dem Steinbassin eine Frauengestalt in dichte weiße Schleier gehüllt saß, aber - war es die jungfräuliche Sitte und Scheu - sie erhob sich nicht, dem Liebling ihres Herzens entgegen zu gehen und blieb ohne Bewegung sitzen.

Nur die Thiere um sie her begannen unruhig zu werden und versuchten sich loszureißen, als der Matadreo sich näherte, dem die Löwin einige Schritte voranging.

Plötzlich blieb diese stehen und das Pferd des Reiters, das sich nur schwer durch die Vertraulichkeit der Menschen an die furchtbare Begleiterin gewöhnt hatte, scheute zurück und begann sich zu bäumen bei dem heisern Gebrüll des Thieres.

»Ruhe Cora - nieder mit Dir!«

Aber die Löwin gehorchte nicht dem Befehls der zur Beruhigung der angstvoll an ihren Banden reißenden Pferde und Kameele gegeben war. Sie blieb vielmehr stehen, ihre Haare begannen sich zu sträuben und ihr Schweif peitschte unruhig die Flanken.

Der Anblick war in der That seltsam. Um den Brunnen lagen neunundzwanzig sorgsam zusammen gebundene Straußhäute mit dem kostbaren Federschmuck, und auf dem

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Brunnenrand stand ein hölzerner Koffer, wie die Orientalen sich seiner zur Aufbewahrung der Kleider und des Schmuckes bedienen.

Aber das Mädchen am Brunnen, dessen Ausstattung und Habe dies Alles bildete, blieb noch immer stumm bei der Annäherung Derer, die künftig ihre Freunde und Verwandten bilden sollten.

Wiederum brüllte die Löwin - ihr Brüllen hatte etwas Heulendes, Klägliches.

Hinter dem Mädchen kniete ihr Lieblingsthier, das Renndromedar. Der lange Hals streckte sich weit zu der Gebieterin hinüber und die großen schwarzen Augen schienen ganz verwundert, daß die gewohnte kleine Hand sich nicht erhob, seinen ungeschlachten Kopf zu streicheln.

»Zela!«

Der Matadreo sprang vom Roß - aber diesmal nur dem Gebot des Herzens gehorchend, war der Bräutigam schneller als er und eilte an dem älteren Bruder vorüber, sich dem Mädchen zu Füßen werfend.

»Zela - geliebtes Leben, komm an mein Herz! Laß alle Trauer, denn von nun an bist Du mein, Dein Bruder hat Wort gehalten und wir trennen uns nie mehr!«

Die weiße Gestalt rührte sich nicht - der junge Mann hob die Hände um die ihren zu suchen. Plötzlich zuckte er zusammen, sprang empor und warf den Schleier des Mädchens zurück.

Bei der ungestümen Bewegung verlor die Gestalt ihre Haltung und sank schwerfällig zur Seite. Es war in der That die junge Araberin, die Taube der Wüste, die Schwester

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des Scheichs, Zela - aber ihr Gesicht war bleich, ihr Auge geschlossen, der Karmin ihrer Lippen verschwunden - der junge Mann hielt eine Todte in seinem Arm.

Ein entsetzlicher, gellender Schrei kam aus dem Innersten seiner Brust, als ihm die schreckliche Erkenntniß wurde; dann - die Leiche noch immer festhaltend - stürzte er in wilden krampfhaften Zuckungen zu Boden.

Ein tiefes Entsetzen hatte sich aller Anwesenden bemächtigt, die sich neugierig um die Gruppe versammelt, und das Unerwartete, Unerhörte, machte sie stumm; denn Jeder begriff im Augenblick, daß dies nicht die Folge eines zufälligen Unglücks sein konnte, sondern daß hier eine jener furchtbaren Thaten der Rache und des Hasses verübt worden, wie der Fanatismus des Nationalkampfes sie allein erzeugt; dann aber brachen ein Schrei der Entrüstung, Klagen und bittere Verwünschungen gegen den Mörder über Aller Lippen und Alles drängte sich um die traurige Gruppe, Hilfe zu leisten. Jacques wurde besinnungslos in fiebernden Zuckungen von der Todten getrennt und zur Seite getragen, während man sich bemühte, zu erproben, ob die Unglückliche nicht noch in's Leben zurückgerufen werden könne.

Aber - obschon nirgends eine Verletzung an ihr zu finden - das Leben mußte schon seit mindestens einer Stunde entflohen sein, wahrscheinlich in Folge eines jener furchtbaren und schnell aber schmerzlos wirkenden Gifte, deren sich die Orientalen bedienen und deren Geheimniß sie allein kennen.

Jetzt erst, bei diesen Versuchen, sie in's Leben zurückzurufen,

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entdeckte man einen Streifen Pergament auf die Brust der Todten geheftet, der mit arabischen Schriftzeichen bedeckt war.

»Wer liest Arabisch? frug der junge Offizier. »Ich gestehe meine Unwissenheit.«

»Hier, Muhrad, unser Dolmetscher versteht es, lassen Sie ihn den Brief lesen,« sagte eifrig die Marquise.

Der arabische Diener nahm das Blatt und studirte es einige Augenblicke.

»Es ist überschrieben: »Hassan El Mezâb, der Sohn Nadur's an Jenen, den sie El Matadreo nennen.«

»O das thut Nichts, lies laut - wir sind Alle bei dieser schrecklichen Sache betheiligt.«

Dem Geheiß zur Folge, denn der Löwentödter war abseits mit seinem Bruder beschäftigt, las der arabische Diener weiter:


    »Hassan, der Scheich der Mezâb, löst sein Wort und giebt Euch Zela, die Geschändete und Verr[är]ätherin an ihrem Volk, mit ihrem Brautschatz. Fortan sei Krieg zwischen mir und Dir! Wenn Du den Muth eines Mannes hast und nicht die Spindel der Weiber drehst, so wirst Du mich allein treffen an dieser Stelle, zur selben Zeit, in der ich gestern die Schwelle der Ungläubigen betrat, denen der Fluch Allahs und des Propheten sei!«

»By Jove,« sagte der Britte, »uns seind eine veritable Forderung zum Duell.«

»Es ist eine Herausforderung zum Zweikampf, wie sie bei den Arabern nicht ungewöhnlich ist,« bemerkte der

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Graf. »Aber lassen Sie uns einander das Wort geben, davon zu schweigen. Es ist bereits Unheil genug geschehen und ich werde sorgen, daß der Mörder seinen gebührenden Lohn erhält.«

»Still, Graf dort kommt der Matadreo,« sagte die Marquise hastig.

Es war in der That der Löwentödter, der langsam herbeikam. Mariette, der Wundarzt und einige Zuaven waren um den immer noch Bewußtlosen beschäftigt, einige andere bereiteten bereits mit der ihnen eigenen Anstelligkeit ein improvisirtes Tragbett für den Kranken.

Der Matadreo schritt stumm durch die sich theilende Umgebung, bis zu der Stelle, wo die Leiche des armen Mädchens lag, die man wieder mit ihren Schleiern bedeckt hatte.

Er kniete wohl fünf Minuten lang schweigend an ihrer Seite und Niemand umher wagte die stille Andacht zu stören. Unter den wilden Kriegern, deren Brust mit Medaillen bedeckt war, in deren braunen Gesichtern sich der kecke Trotz ausprägte, der mit dem Satan selbst anbinden würde, denen Nichts heilig, Nichts zu verwegen war, befand sich nicht Einer, der anders als mit ehrfurchtsvoller Scheu nach der Leiche des unglücklichen Mädchen geblickt hätte.

Der Matadreo setzte sich, noch immer schweigend, an den Rand des Brunnens, zog ein Portefeuille aus seinem Mantel und schrieb einige Zeilen auf ein leeres Blatt desselben.

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Dann trat er zu dem jungen Offizier, dem Kommandeur der Truppe.

»Monsieur de Chapelles,« sagte er langsam, - »der Mann jener Frau,« er wies nach Mariette, »hat mit eigener Hand in seinem zerstörten Hause zwei der Thuaregs gefangen genommen. In seinem Namen verlange ich dieselben von Ihnen.«

»Ich kann Ihnen das Gesuch nicht verweigern, obschon es vielleicht gegen meine Pflicht streitet. Aber wollen Sie mir wenigstens sagen, zu welchem Zweck?«

»Ich brauche einen Mann, der diese Thiere dahin zurückführt, woher sie gekommen sind, und einen Boten an den Scheich der Mezâb. Für Hassan und El Matadreo ist fürder nicht Platz zusammen auf der Erde, und wenn jener unglückliche junge Mann erwacht, soll er wenigstens neben dem Grabe seiner Geliebten auch das Grab ihres Mörders finden.«

Der Lieutenant sah befangen und fragend auf den Grafen; dieser nickte.

»Ich begreife Ihren gerechten Wunsch, mein Herr,« sagte Jener zögernd, »von dem Hohn dieser Geschenke befreit zu werden; aber das traurige Unglück wird dadurch nicht besser, daß Sie sich dem Mörderdolch des Wüstenräubers aussetzen. Ich kann meine Einwilligung zu der zweiten Sendung nicht geben, aber ich werde Anstalten treffen, daß der Bösewicht seiner Strafe nicht entgeht.«

»Ihr Leben gehört Frankreich,« fügte der Graf hinzu, »und wir wären undankbar, wollten wir Sie in Ihrem Schmerz sich dem Verrath der Beduinen preisgeben lassen.«

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Der Matadreo ließ ein kurzes bitteres Lachen hören.

»Kennen Sie die Gebräuche der Wüste?« frug er.

»Nur wenig - ich diente zu kurze Zeit in Afrika.«

»Nun wohl, ich kenne sie, und sage Ihnen, Herr Graf, daß ein Duell in der Wüste weder die glückliche Einmischung der geschickt avertirten pariser Polizei, noch den Verrath und die Feigheit eines Gegners zu fürchten hat. Ein Duell in der Wüste, Herr Graf, ist ein Kampf von zwei Männern, die wissen, daß der Tod allein ihrem Haß und ihrer Rache genügen kann, und daß ewige Schmach und Verachtung Den treffen würde, der daran denken könnte, sich dem Kampf zu entziehen, die Bedingungen desselben seien, welche sie wollen.«

»Dann,« sagte der Graf, »darf die Ehre Frankreichs nicht durch unsere dankbare Besorgniß für Ihre Sicherheit leiden. Verzeihen Sie, daß wir versucht haben, Ihnen dies vorzuenthalten und wenn Sie einen Sekundanten brauchen, so bittet der Oberst Graf Montboisier um die Ehre, es zu sein.«

Der Matadreo nahm schweigend den Pergamentstreifen, den der Graf ihm reichte, und las ihn; dann reichte er ihn dem Grafen zurück.

»Der Scheich ist meiner Botschaft zuvorgekommen,« sagte er ruhig. »Sie kennen jetzt die Bedingungen unsers Kampfes und werden, wie er auch ausfallen mag, bezeugen können, daß durch den armen Jäger des Dschebel Muzedsch kein Flecken auf die französische Ehre gebracht worden ist. Lassen Sie die beiden Gefangenen aufbrechen, um den lebendigen und todten Brautschatz des armen Mädchens

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vor den Zelten ihres Stammes wieder nieder zu legen, und geben Sie das Zeichen zum Aufbruch. Nehmen Sie die Leiche des armen Kindes mit sich, und wenn Gott in seiner Unerforschlichkeit beschlossen haben sollte, daß jener Unglückliche sie nicht überlebt, so gönnen Sie Beiden dasselbe Grab in geweihter Erde, auch wenn die Eine von ihnen nicht zum Gott der Christen, sondern zu Allah gebetet hat.«

»Und Sie, mein Herr? Ich wiederhole Ihnen mein Anerbieten.«

»Ich erkenne vollkommen die Ehre an, aber ich muß es ablehnen. Was zwischen mir und dem Scheich der Mezâb zu thun bleibt, bedarf keiner Zeugen. Er kommt allein und wird mich eben so finden. Ich fordere vielmehr Ihr Ehrenwort, daß, bevor morgen die Sonne die Kronen dieser Palmen beleuchtet, Niemand vom Fort diesem Orte zu nahe kömmt.«

»Sie haben unser Wort - ich werde es bei dem Kommandanten des Forts vertreten.«

Der Matadreo hing die Büchse, die er getragen, an den Sattel des Pferdes, ebenso die Tasche mit dem Schießbedarf. Er behielt als Waffe nur den krummen tunesischen Dolch in seinem Gürtel. Dann ging er zur Stelle, wo die Zuaven die beiden an den Füßen gebundenen Löwenkatzen niedergelegt hatten, und trug sie zu dem Brunnen.

»Was haben Sie vor?« frug der Graf. »Sie wollen doch nicht ohne Waffen Ihrem Feinde gegenüber hier zurückbleiben? Was bedeuten alle diese Vorbereitungen?«

Die Bedingungen unsers Duells habe ich zu stellen,«

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sagte der Matadreo. »Und jetzt, Herr, wenn Sie mir eine Gunst erweisen wollen, treffen Sie die Anstalten zum Aufbruch und versprechen Sie mir, für meinen Bruder zu thun, was in Ihren Kräften steht, - wenn ich ihn nicht wiedersehen sollte.«

»Sie haben mein Ehrenwort!«

Während rasch die Vorbereitungen zum Aufbruch und dem Transport des Kranken und der Todten betrieben wurden, hatte der Löwentödter sich neben den ersteren gesetzt und sprach leise mit der Frau des Ansiedlers, die um Jacques beschäftigt war. Die Krämpfe desselben hatten unter dem Beistand des jungen Chirurgen nachgelassen, er lag jetzt in einem apathischen bewußtlosen Zustand, der, wie der Feldscheer meinte, mehrere Stunden lang anhalten würde und sich am Besten zu seinem Transport eignete.

Die Zuaven hatten aus den Aesten und Zweigen der Tamarinden und den Stauden der Fächerpalmen eine Art Tragbare konstruirt, mit ihren wollenen Decken belegt und einen Schirm darüber gegen die Sonnenstrahlen angebracht. Teufel an Wildheit im Kampf, sind sie gutherzig wie die Kinder, wenn irgend ein fremdes Unglück ihren Beistand verlangt, und sie hatten sich, ohne den Befehl ihres jungen Offiziers abzuwarten, erboten, den Kranken abwechselnd bis zum Fort zu tragen, wo ihm bessere ärztliche Hilfe zu Theil werden konnte.

Unterdeß hatte man die beiden Araber, welche Renaud gefangen genommen, von ihren Banden befreit und ihnen den Zweck dieser Freilassung mitgetheilt. Sie nahmen die Nachricht mit demselben Glauben an das Fatum aus, mit

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dem sie die Ankündigung ihres Todesurtheils aufgenommen hätten. Ohne für die ihnen geschenkte Freiheit den verhaßten Ungläubigen zu danken, bestiegen sie zwei der Pferde und machten sich daran, die anderen und die mit den Sachen der Gemordeten beladenen Kameele fortzutreiben.

Jetzt aber ereignete sich ein Umstand, der den Aufbruch nochmals verzögerte.

Das Dromedar Zela's war mit aller Mühe weder durch Lockungen noch durch Schläge fortzubringen. Es hatte sich neben der Leiche des Mädchens niedergelegt, und indem das Thier unverwandt seinen Kopf nach dieser gerichtet hielt, sah man große Thränen aus seinen Augen dringen.

Endlich mußte man sich entschließen, die Araber ohne das Dromedar ziehen zu lassen.

Man hüllte nun den leichten Körper des unglücklichen Mädchens in eine Decke und befestigte diese auf dem Rücken des Dromedars. Willig erhob sich das Thier jetzt, um die theure Herrin, die es so oft in den Arm der Liebe getragen hatte, jetzt auch zu ihrer letzten Ruhestätte zu bringen.

Mit diesen Scenen und Vorbereitungen waren mehrere Stunden vergangen. Wir haben während der Beschreibung der Ereignisse wenig Gelegenheit gehabt, von der Theilnahme der Marquise daran zu sprechen. Der Tod des jungen Mädchens hatte mehr den Eindruck eines pikanten Ereignisses auf sie gemacht, als eines tiefgreifenden Schreckens, aber merkwürdiger Weise schien dies der Fall, als sie von dem bevorstehenden Zweikampfe des Matadreo

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mit dem Scheich hörte, der nur der mit dem Kranken beschäftigten Ansiedlerfrau verborgen blieb.

Sie verlor alle ihre gewöhnliche Lebendigkeit und saß jetzt fast so unbeweglich, wie die Todte vorher auf deren Platz am Brunnen. Erst als der Oberst zu ihr kam, und sie aufforderte, zu Pferde zu steigen, schrak sie aus dem tiefen Sinnen empor. Ihr Gesicht war sehr bleich, ihre sonst so glänzenden, in dem ausdrucksvollen Spiel der Koketterie bewanderten Augen waren eingesunken und starr. Es war, als laste eine schwere Erinnerung und Ahnung auf ihrer Seele.

Der junge Offizier gab das Zeichen zum Aufbruch und vier der Zuaven hoben die Bahre mit dem Kranken, als der Matadreo zu diesem trat und einen langen Kuß auf die fieberheiße Stirn drückte. Dann machte er das Zeichen des Kreuzes über ihn und schloß den Vorhang.

»Cora, hierher!«

Unwillkürlich gab die Marquise ihrem Pferde den Zügel und trieb es an die Seite der improvisirten Sänfte, obschon sie wußte, daß nicht sie, sondern die Löwin gemeint sei.

Das Thier kam mit hängendem Kopf herbei und stellte sich an die Seite seines Herrn, der die Hand darauf legte.

»Sorgen Sie dafür, wenn Sie nach Fort Randon kommen,« sagte er zu dem jungen Offizier, »daß die Löwin eingeschlossen wird oder bei dem Kranken bleibt. Und nun Cora, Du Getreue, geh' und schütze meinen Bruder.«

Es war, als ob das mächtige Thier den Abschied

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verstände, denn es drückte den Kopf an die Füße seines Herrn, leckte seine Hand und blickte bald auf ihn, bald auf die Trage der Kranken.

Der Matadreo winkte dem jungen Offizier. »Vorwärts, Lieutenant - thun Sie Ihre Pflicht!«

»Angetreten! - Marsch!«

Das Horn der Zuaven gab das Signal, der Lieutenant legte die Hand an den Zügel der Dame.

»Kommen Sie, Madame - damit wir das Fort noch vor Abend erreichen!«

»Nein, nein - ich weiche nicht von der Stelle! Er muß mit - ich beschwöre Sie, lassen Sie ihn hier nicht zurück! ich weiß nicht, was mich ergreift, aber ich dulde es nicht!« sagte sie heftig.

»Es muß geschieden sein! lebe wohl Cora!«

Die Stimme des Matadreo klang so seltsam, so anders - die Dame fuhr mit der Hand nach der Stirn, sie wollte sich aus dem Sattel stürzen, aber die starke Hand des Grafen, der an ihrer Seite hielt, bannte sie fest. »Gehen Sie, Madame - dort führt der Weg nach Paris.«

Der Lieutenant zog das Pferd mit sich fort - sie drückte das Tuch vor die Augen.

Nicht wie sonst, munter und lustig tönten die Klänge des Horns, in melancholischen Wellen, schlaff und träg zitterten sie durch die heiße schwüle Luft - der rauhe Bläser selbst fühlte das Leid des Zuges, dem er voranging.

Das Dromedar mit seiner Last, die Bahre des Kranken und hinter ihr der Löwe, zogen stumm voran. Aber

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als die kecken, wettergebräunten, mit Narben bedeckten Gestalten an dem einsamen Jäger der Wüste vorüber kamen, zogen wie auf Kommando Alle die Gewehre an und aus Reihe auf Reihe murmelte es:

»Au revoir Camaradie! Pour la gloire de France!«

Die Hand des Matadreo erwiederte den Soldatengruß - dann wirbelte der glühende Staub des Weges um den Zug und nur ein lautes Geheul der Löwin klang wie ein Lebewohl noch herüber. -

»Haben Sie keinen Auftrag weiter für mich, mein theurer Freund?«

Es war der Graf, der allein zurückgeblieben war von dem Zug und an seiner Seite hielt.

Der Matadreo warf den Bournous zurück.

»Sie kennen mich?«

Der Graf winkte und reichte ihm die Hand.

Die beiden Männer sahen sich fest einander in's Auge.

»Ist sie glücklich? was führte sie hierher in die Wüste?«

»Der Unfrieden mit sich selbst und der Dämon der Erinnerung, der ihr nirgends Rast läßt. Sie ist unglücklich in ihrer Ehe - Sie sind gerächt!«

Der Matadreo senkte stumm das Haupt. »Gehen Sie jetzt, mein Freund« sagte er endlich. »Es ist der letzte Dienst, den Sie mir erweisen können.«

»Ich lasse Sie nicht gern zurück - denn ich wage kaum zu sagen: auf Wiedersehn! Kann ich Nichts mehr thun für Sie?«

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Der Matadreo nahm das Portefeuille heraus und aus einer Tasche desselben ein mitten durch zerrissenes Papier. Er faltete es zusammen und gab es dem Grafen. »Die Araber,« sagte er feierlich, »berauben niemals die Todten, die sie im Zweikampf erschlagen. - Wenn Sie morgen hierher kommen und mich nicht mehr am Leben finden sollten, so nehmen Sie diesen Dolch zum Andenken, und geben Sie ihr dies Papier, es ist die Quittung ihrer Schuld - ich habe ihr vergeben!«

»Und mir?«

»Auch Ihnen, mein Freund!«

Er wandte sich um und schritt nach dem Steinbassin der Quelle. - Der Graf gab dem Pferde die Sporen und jagte dem bereits am Ausgang der Schlucht verschwundenen Zuge nach.

Der Matadreo war allein! -


Schleswig-Holstein.

Das Diner war beendet, die beiden Herrn hatten den norwegischen Haselhühnern und dem berühmten Beauchamel des Wirths die beste Ehre gemacht und setzten jetzt, nachdem ein Wink die Kellner des Hôtels entfernt hatte und nur noch zuweilen ein langer Diener in russischer Tracht mit großem Bart und demüthiger Haltung den Salon betrat, um mit stummem Blick nach Befehlen zu fragen und gleich wieder zu verschwinden, - bei einem Glase ausgekühlten Jacqueson et fils und dem Duft einer Cigarette von ächtem Latakia bequem in ihre Lehnstühle zurückgelegt, ihre Unterhaltung fort.

Der Salon des Hôtels zum Bahnhof ging auf den freien Platz vor demselben, nach dem Hafenbassin sich streckend und an diesem entlang die Straßen der alten Holsten-Stadt Kiel sich lehnend.

Die Unterhaltung der beiden Gäste des Hôtels wurde französisch geführt, dennoch waren offenbar beide keine Franzosen, vielmehr - wie die häufig dem älteren von ihnen entfallenden nationalen Verwünschungen schließen ließen - Russen.

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Dieser war ein Mann von mittlern Jahren, aber das breite, aufgedunsene Gesicht von tartarischem Schnitt mit dunklen Ringen um die kleinen Augen und der kahle Scheitel ließen ihn weit älter erscheinen, als er wirklich war. Es war etwas Widriges, Brutales in der ganzen Erscheinung, Härte und Hochmuth starrten in diesem Gesicht, das im nächsten Augenblick durch einen Zug hämischer Bosheit, sinnlicher Lüste oder von Schlauheit und scharfer Beobachtung belebt werden konnte.

Es war der Fürst Trubetzkoi, dem wir zuletzt in jener Unterredung mit seiner Gemahlin im Hôtel Croce zu Mantua am Abend vor der Flucht Orsini's aus dem Kerker von San Giorgio begegnet sind.

Sein Vis-à-vis war ein weit jüngerer Mann, von kleinem schmächtigem Wuchs, elegant und fein in seiner Erscheinung, ohne deshalb die vornehme Nachlässigkeit in seinem Wesen vermissen zu lassen, welche meist die russische Aristokratie und Diplomatie zeigt.

»Ihre Kaiserlichen Hoheiten, die Prinzen von Leuchtenberg,« sagte der Jüngere, »werden noch diesen Abend von Hamburg eintreffen, und der »Wladimir« wird sofort dann in See stechen. Dann bin ich frei und stehe zu Ihrer Verfügung.«

»Shorte wos mi! Wären es nicht Mitglieder der kaiserlichen Familie, so würde ich sagen, sie könnten beim Henker bleiben, statt uns diesen Abend zu verkümmern. Die kleine Kunstreiterin, die Sie mit von Petersburg gebracht haben, ist wirklich allerliebst, aber hoffärtig, wie eine der neugebackenen Marschallinnen. Wenn sie

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Verstand annehmen wollte, würde sie die acht Tage warten, bis wir von Kopenhagen zurück sind, und dann könnten wir zusammen die Reise nach Paris machen. Gehen Sie noch ein Mal zu ihr Baron, und bringen Sie ihr Vernunft bei. Ich will mich den Spaß Etwas kosten lassen!«

Der Baron blies lächelnd einen Dampfring in die Luft. »Lassen Sie sich die Laune vergehen, Durchlaucht,« sagte er - »ich bin von Ihren Verführungskünsten überzeugt, aber die Sennora Rositta ist Nichts für Sie. So ein kleiner Teufel sie auf dem Pferde ist, so energisch weiß sie sich die Huldigungen vom Halse zu halten. Unsere Cavaliere von der Garde wissen interessante Dinge davon zu erzählen. Sie schießt und ficht so gut wie sie reitet, und hat Soltikoff von den Preobraschenskern mit der Reitpeitsche tractirt, als er es wagte, nach einem Diner bei Lagrange im Gange des Circus den Arm um ihre Taille zu legen. Sie haben gesehen, daß trotz unserer gemeinschaftlichen Ueberfahrt auf dem Wladimir, die ihr der Großfürst aus besonderer Gunst offerirte, sie nicht einmal eingewilligt hat, mit uns zu diniren. Hätten ihre Pferde nach der so stürmischen Ueberfahrt nicht der Erholung bedurft, sie wäre schon heute abgereist.«

»K tschortu! Die Seekrankheit pflegt doch sonst die Weiber zahm genug zu machen!«

»Sie hat weniger davon gelitten als ich, und es schien überhaupt nicht das erste Mal, daß sie eine Seefahrt gemacht hat.«

»Lassen Sie die Spanierin nur nach Paris kommen, - wir werden dort die Mittel finden, sie gefügig

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zu machen. Dejéan schlägt mir so leicht Nichts ab und ich habe unbeschränkten Zutritt in die Garderoben. Aber sagen Sie mir offen Baron, ist der Sieg der französischen Partei wirklich gesichert in Petersburg?«

»Hätte ich sonst das Vergnügen, mit Euer Durchlaucht hier zu diniren?«

»Ah bah - Sie wissen, daß das andere Interessen sind. Wenn wir im Kabinet jetzt vollständig obenauf sind und dieses verdammte Deutschthum endlich überwältigt haben, warum begleitet dann Adlerberg Seine Majestät den Czaaren und nicht Dolgorucki oder ein Anderer? Sie wissen, daß er uns stets entgegen war und zu Nesselrode hält -«

»Der Kaiser liebt ihn persönlich. Man darf Preußen und Deutschland nicht mißtrauisch machen.«

»Bah - immer dieses Preußen! Es ist unsern besten Plänen im Wege. Die Verrätherei in Berlin hat uns allein in der Krimm geschlagen!«

Der Baron lächelte - er hatte einen Theil des Feldzugs mitgemacht und kannte sehr wohl die Mängel und Fehler, die damals mitgespielt hatten. »Es ist die ausdrückliche Bestimmung des verstorbenen Kaisers,« sagte er, »daß Rußland Nichts thut, die preußischen Interessen zu verletzen. Nennen Sie es Pietät oder alte Waffenfreundschaft, aber ich weiß, daß sein Auftreten in Warschau damals gegen den Grafen Brandenburg dem Kaiser noch auf seinem Sterbebett viele Reue gemacht hat. Wäre das nicht, so würden sich die Verhandlungen morgen in Stuttgart

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weit leichter machen. Die Rheingrenze ist dem Kaiser Napoleon wichtiger noch als die Lombardei.«

Der Fürst blies große Dampfwolken von sich und leerte zwei Mal sein Glas mit schwerem Portwein. »Sagen Sie mir aufrichtig, Baron,« meinte er endlich mit einem falschen lauernden Blick - »was ist die Ursach, daß - während alle Welt sich in Baden und Stuttgart zusammenfindet, ich die Anweisung erhielt, mit Ihnen hier zusammen zu treffen?«

Der junge Diplomat wiegte lächelnd den Kopf. »Sie sind zuweilen etwas extravagant, lieber Fürst und handeln zu sehr nach Ihrem Kopf. So viel ich weiß, denn ich war zur Zeit noch sehr jung, heiratheten Sie damals im ungar'schen Feldzug gegen den Willen des Kaisers Ihre Gemahlin?«

»Der Teufel hat meine Leidenschaftlichkeit mißbraucht! ich fange in der That an, zu glauben, ich hätte besser gethan, eine andere Revange zu nehmen. Aber man hat sie in Petersburg sehr gnädig empfangen!«

»Das ist es eben. Man hat die Heirath verziehen, weil man hoffte, durch die Frau Fürstin, Ihre Gemahlin, einen gewissen Einfluß auf die Emigration zu erhalten. Indeß - Sie selbst, lieber Fürst, sind vielleicht die Ursach, daß diese Hoffnungen nicht in Erfüllung gingen. Wie man sagt, leben Sie von der Frau Fürstin getrennt?«

»K tschortu - was geht das den Kaiser an oder die Minister? Bin ich nicht Herr in meinem eigenen Hause?«

»Sie wissen, wie streng Seine Majestät in diesem

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Punkte denken. Herr von Kisseleff hat es daher für am Besten gehalten, Sie während dieser Zeit an einem andern Ort zu beschäftigen, damit Ihr Fortbleiben von Baden-Baden nicht wie eine Ungnade aussieht.«

Der stolze Aristokrat verschluckte mit unwilligem Knurren die vergoldete Pille. »Ich denke, ich darf mich seit neun Jahren auf meine Dienste in Ungarn, in Berlin und Neapel zur Genüge berufen,« murrte er. »Sie wissen, daß ich es bin, welcher die Mittheilungen über die wiederholte geheime Anwesenheit Cavours und das Drängen der italienischen Partei gemacht hat. Die Abschrift des geheimen Vertrages von Plombières kostet mich hunderttausend Franken,«

»Die Ihnen ersetzt worden sind und den Annenorden in Brillanten als Zinsen eingebracht haben. Es ist heut der 24ste September - Seine Majestät der Kaiser muß in Stuttgart eingetroffen sein, denn morgen erwartet man Louis Napoléon.«

»Gestehen Sie zu, Baron, daß meine Nachricht eine Million werth war, nicht hunderttausend Franken, und wohl einige Zänkereien mit meiner Frau ausgleicht.«

»Es ist wahr - sie hat die Zusammenkunft erst möglich gemacht, denn sie giebt eine sichere Position der Unterhandlung. Rußland und Frankreich im Einverständniß sind im Stande, alle europäischen Fragen nach ihrem Willen zu ordnen, ohne die englische Einmischung fürchten zu müssen. Ist es erlaubt, zu fragen, auf welchem Wege Sie zu der Kenntniß gekommen sind, Durchlaucht?«

»Ich habe kein Geheimniß vor Ihnen, Dimetri Iwanowitsch,«

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sagte der Fürst, sein Glas beäugelnd. »Sie sind in gewissem Grade mein Verwandter und ein gescheidter Junge, der seine Karriere machen wird, während meine Gesundheit leider ruinirt ist und ich nur noch mich mit der Politik befasse, um meinem Sohn die Zukunft zu sichern. Die Maske der Ungnade des Kaisers ist allerdings ein bedeutender Beistand, aber der beste, den ich habe, ist ein Bursche von teufelsmäßiger Schlauheit, der mir schon mehr als einen wichtigen Dienst geleistet hat. Er ist in seinem Leben Alles gewesen, wiener Rebell und Spion des österreichischen Kabinets - aber er scheint in letzter Zeit etwas damit zerfallen. Ich traf ihn in Paris wieder und setzte ihn auf die Spur, die er verfolgt hat wie ein guter Fuchshund. Er ist ein Mensch von bewundernswürdigem Scharfsinn und wird sicher noch eine Rolle spielen.«

»Sein Name?«

»Doktor Lazare - es ist ein österreichischer Jude, aber er hat Verbindungen in hohen Kreisen und schon bei verschiedenen Gelegenheiten eine Figur gespielt. Wenn Sie den Ambassaden von Wien, Berlin oder Paris zugetheilt werden, können Sie ihn vielleicht noch ein Mal brauchen. Dann berufen Sie sich nur auf mich. Er paßt zu jeder Rolle.«

»Ich erinnere mich des Namens und werde ihn nicht vergessen. Wir werden später in Deutschland Subjecte brauchen, welche auf die mit einem Ableben des Königs unausbleibliche Bewegung der Parteien influiren können. Aber besorgen Sie nicht, daß er eben so gut das Geheimniß

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des Vertrages von Plombières an den Grafen Rechberg verhandelt hat?«

»Nein - ich wiederhole Ihnen, Baron Hübner hat ihn beleidigt und er ist ein Satan an Bosheit. Ich weiß ganz bestimmt, daß das Wiener Kabinet Nichts von der Sache erfahren hat.«

»Dann muß man auf anderem Wege wenigstens Verdacht bekommen haben, denn sonst würde Oesterreich nicht so dringend für die Zusammenkunft der Kaiser in Weimar agitirt haben. Die schlaue österreichische Politik könnte sich diesmal verrechnen. Der Donaufeldzug ist Oesterreich nicht vergessen. Haben Sie neuere Nachrichten aus Paris?«

»Manin ist vorgestern gestorben, der frühere Diktator und Vertheidiger von Venedig. Die Agitationspartei bereitet eine Manifestation bei seinem Begräbniß vor.«

»Bah! die kaiserliche Polizei wird sie unterdrücken. Ich meinte die polnische Propaganda?«

»Sie Verhält sich gänzlich still. Czartoryski ist mit den Ultra's vollständig überworfen.«

»Halten Sie dieselbe streng im Auge, Durchlaucht. Ich bin gewiß, sie wird uns noch bedeutend zu schaffen machen. Die Ruhe in Europa wird stets gefährdet sein, so lange die revolutionaire Propaganda einen Palmerston findet und England sich zum Nest aller Unzufriedenen und Verschwörer hergiebt. Der Tag, wo dies hochmüthige Inselvolk dafür die gebührende Züchtigung, nicht blos wie gegenwärtig in Indien, empfängt, ist hoffentlich nicht mehr fern und die morgende Zusammenkunft in Stuttgart ist ein bedeutender Schritt weiter auf diesem Wege. Die

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französische Flotte hat sich in dem letzten Kriege bereits der englischen mindestens ebenbürtig erwiesen, die mit Schimpf aus der Ostsee zurückgekehrt ist. Stuttgart ist unsere erste Bresche in den Traktat von Paris. Wir werden bald wieder ungehindert unsere Schiffe auf den Werften von Nikolajeff bauen. Fünf oder sechs Jahre, und die russische Flotte wird alle Verluste ersetzt haben und ist in der Verbindung mit der französischen England mehr als gewachsen. Doch nun, Durchlaucht, lassen Sie uns zu dem Thema kommen, das unsere spezielle Aufgabe ist.«

»Ich erwarte Ihre Auseinandersetzung, Duscha!«9

»Sie wissen, daß die dänische Erbfolge von jeher eine Streitfrage abgegeben hat. Rußland hat unbedingt durch die Oldenburgische Linie die erste Anwartschaft darauf, wenn der gegenwärtige König stirbt, da Madame Raßmus ihm keine legitime Nachkommenschaft geben kann.«

Der Fürst lachte. »Ich möchte in der That wissen, woher diese Inclination sich schreibt. Das Weib soll nicht einmal hübsch sein! K tschortu! sie muß verborgene Reize besitzen!«

»So sagt man - die bösen Zungen wollen wissen, daß König Frederik sie gerade wegen der entgegengesetzten Eigenschaften von denen liebt, wegen deren Herr von Montier sich die berliner Tänzerin nach Wien hat nachkommen lassen. Herr von Bresson hätte nicht nöthig gehabt, sich den Hals abzuschneiden, wenn er statt in Neapel in Kopenhagen Gesandter gewesen wäre! Aber Sie werden ja in

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einigen Tagen die Bekanntschaft der Dame machen, denn man wird Sie nicht ohne Vorstellung echappiren lassen? - Um wieder zurück zu kommen auf unser Thema, so hat Seine Majestät der Kaiser allerdings allen Ansprüchen entsagt, zuerst, weil er glaubte durch die Verbindung der Großfürstin Alexandra Nicolajewna mit dem Prinzen von Hessen seiner Tochter den dänischen Thron zu sichern, später weil die Geltendmachung einen europäischen Krieg herbeigeführt hätte; aber dennoch sind die Interessen Rußlands an der dänischen Krone zu wichtig und groß, um nicht all' unsere Wachsamkeit in Anspruch zu nehmen. Der Sund ist für Rußland im Norden dasselbe, was die Dardanellen ihm im Süden sind. So lange wir den Sund durch unsern Einfluß oder unsere Macht beherrschen, ist die Ostsee ein russisches Binnenmeer so gut wie das Schwarze Meer. Dänemark aber verliert seine beste Kraft und ist ohnmächtig, wenn es die Herzogthümer nicht besitzt. Aus diesem Grunde haben wir im Jahre 1851 und 52 so eifrig für die Integrität der dänischen Monarchie agitirt, und im Verein mit England, das diesmal dasselbe Interesse mit uns hat, um die Herzogthümer nicht zur Wiege einer deutschen Seemacht werden zu lassen, - den Londoner Vertrag vom 6. Mai zu Stande gebracht. Die Linie Holstein-Gottorp steht uns näher, als die Augustenburger. Erinnern Sie sich, Durchlaucht, der Artikel 5 und 9 des Testaments unsers großen Czaaren, und beachten Sie den Grundsatz: Deutschland kann nie eine Seemacht von Bedeutung werden, so lange ihm Holstein und Schleswig fehlen.«

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Der Fürst nickte zustimmend.

»Deutschland,« fuhr der junge Diplomat fort, »ist unbedingt die erste Landmacht Europa's, wenn es einig ist. Sollte sich damit noch eine achtunggebietende Flotte verbinden, so würde es Europa beherrschen und das darf nicht geschehen. Darum müssen die deutschen Interessen getheilt und in steter Reibung erhalten werden. Durch den londoner Vertrag sind die beiden deutschen Großmächte gebunden, ohnehin wird die Eifersucht Oesterreichs immer Preußen hindern, die Herzogthümer für sich, oder wenigstens für seine Interessen zu gewinnen. Die Incorporirung derselben in den dänischen Gesammtstaat muß nach und nach geschehen und sich vorläufig auf Schleswig beschränken. Die geringen Steuern unter der dänischen Herrschaft wirken am meisten. Man ist jetzt in Kopenhagen auf einem vortrefflichen Wege und wenn man so fortfährt mit der konsequenten Einführung der dänischen Sprache und Suprematie, wird ganz Schleswig binnen zehn Jahren und Holstein in höchstens zwanzig Jahren gut dänisch sein. Man muß allerdings zugestehen, daß die dänische Geschichte einer der größten Schand- und Blutflecken Europa's ist, indeß - auch unserer eigenen fehlt es nicht an dunklen Partien und Rußland muß unbeirrt seine Aufgabe verfolgen.«

»Ich gestehe, lieber Baron,« sagte der Fürst, »daß ich die Ereignisse hier nicht so genau verfolgt habe. Weswegen also unsere extraordinaire Mission?«

»Der Geist der Opposition, der einige Jahre lang in den Herzogthümern unterdrückt war, fängt sich seit Kurzem

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an wieder bedeutend zu regen. Die holstein'schen Mitglieder sind unter Protest aus dem Reichsrath geschieden, die Versammlung in Itzehoe hat sich gegen die Gesammtverfassung aufgelehnt, man hat sich an den deutschen Bundestag gewandt und verlangt dessen Hilfe und Einschreiten. Nun wissen wir allerdings, daß die deutsche Bundesversammlung in der Eschenheimer Gasse der würdige Erbe des Reichskammergerichts und seines Schlendrians ist, indeß bei irgend einem Wechsel des Regierungssystems in Preußen liegt die Gefahr nahe, daß es für die sogenannten Rechte der Herzogthümer energischer eintritt. Auf der anderen Seite sind wir dem Kabinet von Berlin Verbindlichkeiten schuldig; denn es ist uns sehr wohl bekannt, daß es die Offerte Englands vor dem orientalischen Feldzug zurückgewiesen hat, bei einem aktiven Anschluß an das Bündniß gegen Rußland ihm dafür die nationale Ordnung der Herzogthümer zu überlassen. Wir haben es zugeben müssen, daß Oesterreich und Frankreich ihre Revange gegen Preußen bei der Neuenburger Affaire genommen haben, aber wir können nicht gegen Preußen offen auftreten, wo es sich um die Herzogthümer handelt. Aus diesen Gründen muß dem Conflikt bei Zeiten vorgebeugt werden. Wir wissen bestimmt, daß der Erbprinz von Augustenburg sich in den Händen der deutschen Bewegungspartei befindet und mit der Veröffentlichung eines Protestes gegen die Verzichtleistung seines Vaters auf das Erbfolgerecht umgeht. Deshalb muß die Gesammtverfassung sobald als möglich ein fait accompli werden.«

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»Aber der Verzicht ist klar und deutlich erfolgt und mit fünf Millionen bezahlt worden.«

»Bah - der Sprottenhandel in Kiel ist fast allein so viel werth. Auf der anderen Seite ist die scandinavische Bewegung in Dänemark und Schweden nicht ohne Gefahr. Schweden ist stets ein Feind Rußlands gewesen und das scandinavische Bündniß muß ein krüppelgeborenes Kind bleiben. Das ist eine der Bedingungen unserer Verständigung mit Frankreich; denn das Kabinet der Tuilerien hatte allerdings früher die Absicht, ein solches Bündniß gegen uns zu unterstützen. Damit Sie, Durchlaucht, desto besser in Paris für unsere Interessen am Sunde wirken können, war es nöthig, daß Sie mit den Verhältnissen und den Persönlichkeiten in Kopenhagen, namentlich mit Hall und Baron von Blixen-Finecke direkt bekannt werden, indeß ich den gleichen Zweck in Stockholm verfolge. Durch die Gräfin Danner wird man den König vor Allem dazu bringen, fest zu bleiben gegen die deutschen Bestrebungen und das Ministerium vielleicht noch durch einige energischere Elemente zu verstärken. Sie wissen, daß dergleichen Missionen nie durch unsere offiziellen Gesandten ausgeführt werden.«

»Ich hörte auf der Durchreise, daß der frühere Minister von Scheele in Frankfurt eingetroffen sei, um die Beschwerden der Stände an den Bund zu überbringen.«

Der Baron lächelte. »Haben Sie Lust, heute Abend, sobald der »Wladimir« abgefahren ist, einer kleinen Expedition beizuwohnen, um ein Pröbchen von diesem revolutionairen Geist kennen zu lernen?«

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»Wo wollen Sie mich hinführen?«

»O nicht weit, nur in eine dieser Kneipen, wo die Fremden verkehren. Es ankert in diesem Augenblick ein Schiff hier, das von Reval kommt und uns als höchst verdächtig bezeichnet ist. Es fährt seit zwei Jahren zwischen England und den preußischen und russischen Ostseehäfen und wir haben bestimmte Nachricht, daß es schon wiederholt Agenten der revolutionairen Propaganda an's Land geschmuggelt hat und Verdächtigen forthilft. Herzen selbst soll unter der Mannschaft zwei Mal in Petersburg gewesen sein und man hat alle Ursache, zu glauben, daß die »Claire«, die für einen londoner Rheder fährt, jene Masse nichtswürdiger Schriften der »Golossah is Rossii« einschmuggelt, die jetzt von der revolutionairen Partei in Rußland verbreitet werden.«

»Aber warum hat man der Sache nicht längst ein Ende gemacht?«

»Wir haben diese Nachrichten erst vor ganz Kurzem erhalten durch einen unserer Spione in London. Der Befehl zur Festnahme und strengen Untersuchung traf zwei Stunden zu spät in Neval ein, als die »Claire« bereits in See war. Wir vermuthen, daß ein Staatsgefangener, dem es gelungen ist, auf dem Transport nach Schlüsselburg zu entfliehen und nach Livland zu entkommen, mit dieser Gelegenheit uns entwischt ist.«

»Ein Gefangener von Bedeutung?«

»O nein - einer der drei Tscherkessenhäuptlinge, die vor zwei Monaten im Kaukasus gefangen wurden und die Murawieff nach Petersburg geschickt hat. Wir passirten

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die »Claire« auf der Höhe von Arkona und sie hat diesen Nachmittag im Hafen Anker geworfen. Der Kapitain ist ein Helgolander, ein entschlossener und schlauer Bursche - aber es sind die nöthigen Maßregeln getroffen, daß es seine letzte Fahrt gewesen ist.«

»Wenn Sie mir eine passende Ausstaffirung verschaffen, bin ich von der Partie. K tschortu - ich hoffe, diese Kieler Wirthshäuser ähneln dem Hamburger Berg, wo ich mich ganz vortrefflich amüsirt habe. Wann gehen wir?«

»Der Geist des Volks ist hier ein anderer, aber es wird uns an Unterhaltung nicht fehlen. Um 9 Uhr 30 Minuten trifft der Zug von Hamburg ein. Die Einschiffung wird etwa eine Stunde dauern und der Wladimir geht dann sofort in See, da er bereits geheizt hat. Um halb eilf Uhr also sind wir frei.«

Das Gespräch wurde durch den Kosaken Petrowitsch unterbrochen, der eine Karte zwischen den Fingern mit gekreuzten Armen demüthig an der Thür stehen blieb.

»Was willst Du, Dummkopf?« schnauzte ihn der Fürst an.

»Ist der Kellner draußen, Batuschka, hat mir gegeben das Dings hier und gesagt, daß ein Herr da ist, zu machen Durchlaucht seinen Besuch.«

»Gieb her - was den Teufel, - von Scheele, Minister a. D. Was soll das heißen?«

»Das heißt, liebster Fürst,« lächelte der Baron, »daß Herr von Scheele ein zu gescheuter Mann ist, um nach Frankfurt zu gehen. Er kommt expreß von seinem Gute,

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um uns ein Rendezvous zu geben. Der Fürst läßt den Herrn bitten, näher zu treten, Petrowitsch.«

Der Kosak verschwand und öffnete gleich darauf die Thür.

Ein Herr von mittleren Jahren, den Danebrogk-Orden im Knopfloch des blauen Fracks, trat ein. -


Der Hafen von Kiel ist neben dem goldenen Horn von Konstantinopel der sicherste von ganz Europa. Die ärgsten Stürme, welche die Fluthen der Ostsee aufwühlen, verlieren ihre Macht an diesem schmalen und geschützten Meeresarm, der sich tief in das Land hineinstreckt.

Die heftigen Winde, die am 22. und 23. auf dem Baltischen Meer getobt und die - im finnischen Meerbusen zum furchtbaren Sturm anschwellend, - bei Hogland einem russischen Linienschiff mit 1600 Menschenleben den Untergang gebracht hatten, waren unschädlich an der kleinen Handelsflotte vorübergegangen, die bis mitten hinein in die Stadt hier vor Anker lag. Nur an einigen Schiffen, die der Sturm noch auf offener See oder zwischen den Inseln getroffen und die sich glücklich auf die Rhede geflüchtet, zeigten sich die Spuren der Havarie. Am meisten trug[e] diese, selbst für das Auge eines Landbewohners sichtbar, wenn es Tag gewesen wäre, ein sonst stattlicher großer Schooner, von dessen Top unter dem englischen Kreuz die holstein'sche Flagge mit den deutschen Farben munter im Nachtwind wehte, und der etwa dem Königsgarten gegenüber, mitten in der hier schon ziemlich breiten Bucht, vor Anker lag.

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Der russische Dampfer der »Wladimir«, war so eben mit glänzend erleuchteten Fenstern und flaggenbedeckt der Kapitain in voller Uniform auf dem Gang der Räderkasten, vorüber gebraust und dampfte der offenen See zu.

»Proschaite!«10 sagte spöttisch ein großer breitschultriger Mann, der im blauen Schifferrock, den lackirten Hut über die kräftige Stirn gedrückt, am Bollwerk des Hinterdecks lehnte. Dann wandte er sich an einen Mann in Matrosen-Kleidung, der in kurzer Entfernung von ihm am Rade des jetzt unthätigen Steuers stand und sagte in englischer Sprache:

»Jetzt, Sir, will ich Sie aus Ihrer Gefangenschaft erlösen und Sie an's Land dringen. Ich hatte mein Wort in Reval für Sie verpfändet und ehe nicht der Russe da uns aus dem Gesicht war, konnte ich nickt mit Sicherheit dafür einstehen, es zu lösen. Machen Sie sich fertig, denn das Boot wird sogleich bereit sein. He da - Nils Petersen, laß das Gigh und das Langboot seitlängs legen und übernimm die Wache. Gieb den Burschen Urlaub, so viel ihrer entbehrlich sind, bis morgen früh, denn sie haben harte Arbeit genug gehabt in dem Sturm. Ich weiß, Du selbst machst Dir Nichts daraus an das Land zu gehen, alte Seeratte.«

Die Worte an den ersten Steuermann, einen alten wettergebräunten Seemann von kräftigem Wuchs, waren in dem Plattdeutsch gesprochen worden, das man in Hamburg und Helgoland hört, und im gleichen Dialekt lautete die Antwort.

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»Dat Land dogt den Düwel Nischt, Kapitain, 's ist för det Wübervolk gaud, awer nich för en tüchtge Seemann, wie You un ik.«

»Zu Zeiten ja, Nils Petersen,« sagte munter der Kapitain. »Aber es giebt Geschäfte, die man eben nur am Lande abmachen kann und ich denke, ein festes Häuschen auf der rothen Insel mit einer tüchtigen Frau und einigen Blondköpfen darin ist am Ende auch kein schlechter Aufenthalt in alten Tagen!«

»Jau, wat ünsre Insel bedrefft, dau is dat wat anners - das his ene Insel, awer kene Lann!«

Der Kapitain lachte über die seltsame Logik und reichte dem Mann, mit dem er vorhin gesprochen und der eben wieder aus der Kajüte emporstieg, in die er gegangen war, die Hand.

Es war eine große, schlanke Figur, das Gesicht von einem dunklen Bart umgeben. Der Schnitt desselben zeigte eine andere Heimath, als die der Mannschaft des Schiffes. Die große feine Nase war kühn gebogen, das Oval des Gesichts schmal, die Augen mit den kühn geschweiften dunklen Brauen blitzten schwarz und feurig. Obschon der Fremde erst in der Mitte der Dreißiger stehen konnte, lag auf seinem, trotz der Bräunung der Luft und jeder Witterung blassen Gesichte doch die Erschöpfung und Erfahrung eines weit längeren Lebens voll Trauer und bitterer Kämpfe.

Seine Bewegungen waren kühn, vornehm und frei, trotz der plumpen Schifferkleidung, die er trug.

Mit dieser Bewegung trat er zu dem Kapitain und drückte herzlich die dargebotene Hand. Obschon er Englisch

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und Deutsch geläufig sprach, geschah dies doch mit fremder kennzeichnender Aussprache.

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Kapitain,« sagte er. »Ich bin ein armer Flüchtling ohne Heimath, von einem Ihnen fremden Volk, und dennoch haben Sie Freiheit und Eigenthum gewagt, mir fortzuhelfen. Erlauben Sie wenigstens, daß ich Ihrer wackeren Mannschaft meine Erkenntlichkeit bezeige, so weit es meine geringen Mittel erlauben. Ihnen kann ich eben nur mit dem Händedruck eines dankbaren Herzens und eines freien Mannes lohnen!«

»Nichts da,« antwortete der wackere Seemann. »Ihre Ueberfahrt ist von Ihren Freunden in Reval bezahlt worden und es war meine Pflicht, Sie sicher auf deutschen Boden zu bringen; denn deutsch ist der Boden hier und wird es bleiben, die Dänen mögen thun was sie wollen. Zum Glück haben sie das wenigstens von den Engländern angenommen, daß sie die Fremden nicht mit Pässen und Visitationen belästigen, Sie können also unbehindert morgen nach Hamburg kommen, von wo Ihnen der Himmel, und die Briefe, die Sie von Reval haben, nach London weiter helfen werden, wenn Sie noch dahin gehen wollen. Ich weiß zwar nicht viel von Ihnen, als was Sie hier und da zufällig geäußert während unserer Ueberfahrt, aber das war mehr als genug, um zu wissen, daß Sie ein vornehmer Herr sind, der auf dem Festland rasch seine Freunde finden wird, und kein Russe, was mich um Ihrer selbst willen freut. Gern hätte ich Sie mit der »Claire« nach London gebracht, aber meine Ladung lautet zumTheil auf hier und sobald ich sie gelöscht, muß ich nach Altona segeln

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und werde kaum Zeit haben, einen Tag auf der rothen Insel vorzusprechen, um Frau und Kind und den alten Vater zu begrüßen.«

»Rechnen Sie es nicht für einen Mangel an Vertrauen Kapitain,« sagte der Fremde, »daß ich Sie nicht näher mit meinem Schicksal bekannt gemacht habe. Es geschah allein, um Ihnen, im Fall ich verhaftet würde, noch größere Gefahr zu ersparen; denn nicht blos auf russischem, selbst auf deutschem Boden droht sie mir. Der Namen, der mir einst gehörte, ist längst vervehmt und begraben und der neue, den ich mir mit meinem Säbel erworben, ist der eines Mannes, der Vaterland, Liebe und Glauben verloren! Sie sollen beide hören, ehe wir scheiden!«

»Zum Henker Herr,« meinte der ehrliche Schiffer, indem er seinem Passagier voranging, um seitlängs in's harrende Boot zu steigen. »Ich frage den Düwel nach dem Namen, wenn der Mann brav ist. Und daß Sie's sind, haben Sie in dem Sturm bewiesen, der uns drei Tage lang in der Ostsee herumgeschüttelt, als wollte er der »Claire« die Rippen an den Kreidefelsen zerbrechen. Ich habe nur einen vornehmen Herrn gekannt, der in einem Wetter gleich dem, das wir überstanden, an meiner Seite aushielt, ohne auch nur mit den Wimpern für sein Leben zu zucken, so wahr ich Tom Jansen heiße!«

Der Sprecher hatte auf der Spiegelbank des Bootes Platz genommen und einen Schiffsmantel für seinen Gefährten ausgebreitet. Dieser - nachdem er heimlich an Bord auf einem sichern Platz zehn Imperials, fast den ganzen Betrag

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seiner Habe gelegt und dem Steuermann und den beiden zurückbleibenden Matrosen die Hände geschüttelt hatte, war gleichfalls in's Boot gestiegen und hatte neben dem Kapitain Platz genommen.

»Wer war das, Kapitain, wenn man es wissen darf?« frug der Passagier, der wußte, daß der ehrliche Seemann gern ein Garn spann.

Kapitain Tom Jansen, wie er sich selbst genannt, kraute sich in dem dicken Kraushaar. »Ja, Herr,« meinte er endlich, »wenn ich Ihnen sagen soll, wie er eigentlich hieß, so möchte das seine Schwierigkeit haben. - Satzt die Remen in, myne Jongens un stricht mi gaud ut,« befahl er den beiden Matrosen, welche die Ruder aufgestemmt hielten und der Geschichte ihres Baas harrten. »You künt hür'n, as he de Rauder brukt. No den güldnen Anker, Jongens, do wulle wi bliwen hüt Nacht, on ik betahl hüt, wat You vertehren dhaut för den Herrn doa!«

Die Ruder setzten ein und das Ghig schoß über die Meeresbucht dem Lande zu, bald darauf gefolgt von dem größeren Boot, in dem die jubelnde Mannschaft den Vergnügungen des Hafens zusteuerte.

»Sehen Sie Herr,« fuhr der Kapitain zu dem Fremden fort - »es waren im letzten April grade fünfzehn Jahr, ich war damals ein Jungmatrose, ein toller, waghalsiger Bursche, und eben von einer Fahrt nach Westindien nach unserer rothen Insel zurückgekehrt, wohin das Herz immer wieder jeden ächten Helgoländer zieht, er müßte denn auf fernem Strand oder Meeresgrund sein letztes Lager gefunden haben. Wir lugten Alle an dem Tag auf der Höhe

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am Leuchtthurm aus und die Claire, ich meine nicht den Schooner, sondern mein Weib, die damals noch eine blutjunge schmucke Dirne war, weinte bittre Thränen bei der Gelegenheit und zeigte mir damals zum ersten Mal, wie's unter ihrem Mieder stand. Der Nordwest blies in langen Stößen, als wollt' er einem die Zähne in den Hals wehen, und draußen auf dem kochenden und zischenden Meer trieb eine spanische Galliote den Klippen zu und signalisirte um Hilfe. S' ging mich Nichts an, aber weil mein Bruder Hannes der Lootse und mein Alter die Fahrt machten, war ich fluggs auch dabei, um den Mann, von dem ich rede, zum Prahlhans zu machen. Aber als es dazu kam, war er der Erste mit im Kutter, obwohl er niemals Seewasser geschmeckt, als auf der Badedüne oder an Bord eines Dampfschiffs, und ich will nicht ein ehrlicher Mann heißen, wenn er nicht so muthig wie Einer mit mir in den Gischt sprang, um das gescheiterte Schiff zu erreichen, als die See rings wie ein Höllenpfuhl um die Klippen kochte und der Tod so billig war wie schlechte Flundern!«

»Sie kamen glücklich an Bord und retteten die Mannschaft?« frug mit Interesse der Passagier.

»Drei waren ihrer nur noch übrig,« sprach mit ernster Stimme der Seemann. »Zwei waren arme Matrosen - wer der Dritte war, hab' ich nicht gehört, obschon ich ihn in Hamburg noch ein Mal sah und nahe dran war, ihn in's Feuer zu werfen, nachdem er dem Wasser entkommen war. Aber ich habe immer gedacht, obschon's wohl nicht christlich ist, es wäre besser gewesen, die See hätte den

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schwarzen Spaniolen verschlungen, statt meinen Bruder Hannes, der an den Klippen bei seiner Rettung das Leben ließ!«

Es folgte eine Pause, die nur durch die taktmäßigen Ruderschläge der beiden Matrosen unterbrochen war.

»Und was wurde aus dem Cavalier, von dem Sie sprachen,« frug endlich der Fremde.

»Sie sagen, er soll bei dem Brand von Hamburg umgekommen sein, obschon ich ihn noch am Johanneum kräftig und gesund verlassen habe, während in den andern Stadttheilen die Lohe zum Himmel schlug. Er gab mir damals seine Börse, die voll Gold war und den Grund zu meinem Wohlstand gelegt hat. Als ich nach drei Jahren zum ersten Mal wieder auf die Insel kam, hörte ich erst, daß der Baron von Rheinsberg, wie der Herr sich nannte, der auf der Insel unser schönstes Mädchen geheirathet hatte, seit dem Hamburger Brande spurlos verschwunden war. Vielerlei wurde geredet, wie die Menschen immer böse Zungen haben, und ein Mann wollte ihn gar Jahre nachher in Berlin gesehen haben, aber die Leute reden gern was Schlimmes vom Nächsten, sei ihr Kreis auch noch so klein. Es muß doch wohl wahr gewesen sein mit seinem Tod, früher oder später, und mag er geheißen haben wie er will, - denn vor fünf Jahren hat Frau Anne, seine Frau, einen mecklenburger Hauptmann wieder geheirathet und als ich damals die Claire zur Frau nahm und von dem Gold, das mir im Handel gute Zinsen getragen, den Bau des Schooners auf den Altonaer Werften unternahm, hat mir die Mutter aus freien Stücken

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sechstausend Mark vorgestreckt, zum Andenken an ihren verstorbenen Schwiegersohn, wie sie sagte; und ehrlich hab' ich's ihr mit harter Arbeit und gutem Glück wiedergezahlt, obschon sie mir's gern auf längere Zeit gelassen hätte. Stap mine Jongen - spring Eener up die Trep und trek dat Boot 'ran, un wenn Yüs festg'legt, künt yüs nakummen.«

Er sprang auf die Treppe des Werfts und reichte dem Passagier die Hand, ihm heraufzuhelfen. Obschon es erst halb Eilf war, herrschte auf dem Quai selbst bereits Oede und Stille. Nur in verschiedenen Wirthshäusern am Wasser entlang war Licht und Leben - nicht jenes wüste wilde Gelärm wie in den Hamburger oder porthsmouther Matrosenkneipen, sondern wie es der solidere deutsche und nordische Seemann liebt, ein behagliches Gespräch beim Glase Grogk oder dem mächtigen Bierkrug und allenfalls an gewissen Abenden der Woche ein Tanz, zu dem dann die Frauen und Mädchen der Nachbarschaft mit ihren Vätern und Männern sich einfanden, statt des leichtfertigen Auswurfs des weiblichen Geschlechts, der sich in jenen Häfen allein an die Seeleute hängt, um ihren sauer erworbenen Lohn mit ihnen zu vergeuden.

Nur zu einem Streit darf es in diesen Wirthshäusern nicht kommen: denn wenn der Wirth es versäumt, bei Zeiten denselben zu schlichten und eine allgemeine Schlägerei daraus entsteht, dann ist sie um so furchtbarer und blutiger, wenn der nationale Haß der Deutschen und Dänen oder Schweden sich darein mischt und zum Messerwerfen oder der entsetzlichen Grausamkeit des dänischen Kusses greift. Je ruhiger und kaltblütiger gewöhnlich

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der nordische Charakter sich zeigt, desto schrecklicher und gewaltthätiger ist der Ausbruch seiner Wuth, jener Berserkerwuth, von der schon die Mythen des nordischen Alterthums berichten. Aus diesem Grunde, und weil gewöhnlich nationale Reibungen an diesen Schlägereien Schuld sind, geschieht es daher auch durch stillschweigende Uebereinkunft, daß die Nationalitäten der hier ankernden Schiffe meist ihre besondern Trinkhäuser haben und nur diese besuchen.

Es war eine der beliebtesten und besuchtesten Tabagieen, zu der der Helgoländer Kapitain seinen Passagier führte. Ein langer und breiter Küchenflur, fast die ganze Länge des Hauses einnehmend, war mit Tischen und Bänken an beiden Seiten versehen, die jetzt mit Zechenden und Plaudernden besetzt waren, Männer und Weiber durcheinander, meist Seeleute aus den Häfen der Herzogthümer, aus Kiel selbst, aus Schleswig, Flensburg, Husum und Tönningen oder von den Waarten der deutschen Inseln, von Glückstadt, der friesischen Küste oder aus Lübeck und den mecklenburger und preußischen Häfen.

Zwischen den Seeleuten saßen viele Bürger, Handwerker und Händler mit Schiffsbedürfnissen aus der Stadt, wie sie mit jenen in täglichem Verkehr stehen.

Es ist ein stattlicher kräftiger Menschenschlag, diese Holsten, brav, einfach und offen in ihrem ganzen festen Wesen, ein ächter deutscher Stamm durch und durch, der selbst durch die politischen Rabulistereien der Professoren und Advokaten nicht verdorben werden kann. Die deutschen Bürgersleute Kiels lieben es, mit den deutschen Seeleuten

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umzugehen und besuchen daher häufig die Tabagieen, wo diese verkehren. Nur den Dänen mit seiner Brutalität und seiner Falschheit vermeiden sie.

An einigen Tischen wurde mit deutschen Karten gespielt, an andern blos bei Bier und Grogk munter von Heimath und Fremde geplaudert. Viele ließen sich von der Heimath berichten, und wie die dänische Herrschaft von Neuem wieder Stück um Stück der deutschen Rechte zu unterdrücken suche, bald schlau die Stände mit gefährlichen Vorlagen in Conflict mit dem Unterthaneneid und dem angestammten Recht bringend, bald einen Geistlichen, Lehrer oder Beamten chikanirend, der den dänischen Intriguen nicht willig die Hand bieten wollte.

An einem der Tische sah eine Anzahl muntrer junger Gestalten, das verpönte deutsche Band über der Brust, in kurzen Röcken und kecken Mützen, junges Blut, die Hoffnung des Landes, Studenten der Universität, die aus ihrer Professur so manchen tüchtigen Gelehrten, aber auch so manchen politischen Stänkerer und Phantasten hinaus in's deutsche Land, namentlich nach dem aufnahmewilligen Preußen gesandt hat.

Links stand die Thür der Stube offen, wo die Honoratioren, einige wohlhabende Meister, Schiffseigenthümer und Kapitaine ihre Pfeife oder Cigarre schmauchten. In einer entfernten Ecke des Flurs saß bei einem Kruge Bier und einem Imbiß eine fremdartige Figur unter diesen markigen behäbigen Gestalten, einer jener wandernden slavonischen Hechelkrämer und Kesselflicker, die mit ihren Drahtwaaren durch halb Europa wandern. Der arme Bursche

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zeigte entgegen den Gewohnheiten seiner Landsleute, trotz der Aermlichkeit seiner charakteristischen Tracht, doch eine gewisse Sauberkeit in seiner Kleidung und schien über das Alter hinaus, in dem gewöhnlich diese Leute ihre Wanderschaft beenden, um mit dem kleinen, pfennigweise zusammengesparten Schatz nach der geliebten Heimath zurückzukehren. Sein hageres, von Noth und Leiden durchfurchtes Gesicht hatte trotz dieser deutlichen Spuren etwas Edles, jene melancholische Schöne, die bei diesem Stamm nicht selten ist, und sein großes mandelförmiges dunkles Auge blickte ernst und sinnend auf das Treiben umher.

Ein paar muntere Matrosen, nach der Kneipe schlendernd, hatten den armen Burschen am Hafen gefunden und ihn halb mit Gewalt mitgeschleppt, um ihm ihre gutmüthigen Wohlthaten aufzudringen.

Es war Donnerstag heute - der 24. September 1857, - also Tanzvergnügen, und in der That schallten von dem tenneartigen Anbau im Hintergrund des Hausflurs das Kratzen einer Violine, das Brummen des Basses und die sich zu verschiedenen extravaganten Variationen erhebenden Töne einer Klarinette mit dem hellen Klang des Triangels herüber in das Gewirr der Unterhaltung, und über die Köpfe der Zuschauer her, die den Tanzplatz umdrängten, kam eine Wolke von erstickendem Tabacksqualm und Staub.

Der Wirth, eine Art Riesenfigur von kolossalen Verhältnissen in allen Körpertheilen, hatte mit ein Paar Aufwärtern alle Hände voll zu thun, um die durstigen Kehlen zu befriedigen, während seine eben auch nicht an hagern Formen leidende bessere Hälfte mit ein Paar Mägden in

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dem wirklichen Küchenraum eifrig mit Bereitung der consistenteren Nahrungsmittel beschäftigt war.

Der Tanz und die Unterhaltung waren in vollem Gange, als der Kapitain der »Claire« mit seinem Passagier in das Wirthshaus trat. Nachdem sie sich einige Augenblicke in dem dichten Tabacksqualm orientirt, führte der Helgoländer, verschiedenen alten Bekannten an den Tischen zunickend, auch wohl einen Händedruck mit ihnen wechselnd oder aus ihrem Glase einen Schluck nehmend, seinen Schutzbefohlenen in das kleinere Zimmer und nahm dort mit ihm Platze indem er nach Grogk und Abendbrod rief.

Die beiden Ruderer des Gigh waren zurückgeblieben, um auf ihre Kameraden vom Schiff zu warten. Der Kapitain und sein Passagier waren aber kaum fünf Minuten in dem Wirthshaus und hatten an einem der Tische in der Stube sich niedergesetzt, als drei Männer ihnen folgten.

Zwei davon waren wie die meisten Anwesenden in Seemannskleidern, der Eine eine breite schwerfällige Gestalt, die nur mühsam, einer Wunde oder eines Schadens halber, mit Hilfe eines Stockes vorwärts schritt, der Andere jung und mit einem Gesicht, Händen und Füßen, die wenig zu seinem rauhen Beruf zu passen schienen. Der Dritte war ein kleiner ältlicher Mann in bürgerlicher Kleidung mit einem unangenehmen Gesicht und ruhelosem Auge. Nachdem sein Blick rasch die Gesellschaft in beiden Räumen gemustert und gesehen, wo die beiden Ersteingetretenen Platz genommen hatten, setzten sie sich auf seinen Wink an den Tisch des Slowaken, von wo sie sowohl den Flur als durch die offene Thür jene Stelle der Stube

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überschauen konnten. Der Kleine rief den Aufwärter, um Grogk geben zu lassen, und dann waren sie bemüht, so wenig als möglich Aufmerksamkeit zu erregen und unterhielten sich leise oder horchten auf die Gespräche umher.

Weder Kapitain Jansen, noch sein Gefährte hatten sich um die drei Männer bekümmert oder sie auch nur bemerkt. Der wackere Kapitain rief den Wirth an, mit dem er sehr vertraut war, bestellte Essen und Getränk und sagte dann:

»Bleibt einen Augenblick hier, Claas Lorinsen, ich habe Euch um einen Dienst zu bitten.«

»Sogleich, Kapitain,« meinte der Wirth. »Ich will bei meiner Alten nur erst Euer Essen bestellen und ein neues Viertel auflegen, dann steh' ich Euch zu Diensten!«

Er eilte durch den Flur, wo er im Vorbeigehen dem Kleeblatt im Winkel einen scharfen Blick zuwarf. Die Gäste, wenigstens der eine von ihnen, schienen ihm wenig zu behagen; denn obschon gerade dieser ihn sehr vertraulich begrüßte, schüttelte er bedeutsam den Kopf, als er ihm aus dem Gesichte war.

Bald darauf kam er wieder und setzte sich zu dem Kapitain. »Nun, Freund Jansen, was ist's, womit ich Euch dienen kann?« fragte er freundlich.

»Eigentlich nicht mir, sondern diesem Herrn hier,« antwortete im beliebten Plattdeutsch der Helgolander. »Aber nichtsdestoweniger, Freund Lorinsen, werd' ich es aufnehmen, als hätte es mir selber gegolten. Der Herr hier ist kein Seemann, das hat Euch wohl schon Euer kundiger Blick

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gezeigt, wenn er auch jetzt unsere Jacke trägt. Er will morgen mit dem Frühzug nach Hamburg und Ihr sollt ihm zunächst ein Nachtlager geben.«

Der Wirth griff höflich an die Mütze. »So gut als wir's haben, Herr, mit Vergnügen.«

»Weiter,« sagte der Kapitain, »müßt Ihr diesen Abend oder morgen in der Frühe von einem Kleiderjuden passende Kleider für ihn holen lassen, damit er den Seemann auszieht. Die Hamburger haben so gut scharfe Augen wie Ihr, und es paßt sich nicht, daß er als was Falsches dort gilt. Ist der alte Isaac Rosenthal noch auf den Beinen?«

»Ich denke - der alte Wucherer ist eine wahre Nachteule!«

»So schickt einen sichern Boten an ihn und laßt ihn in das Zimmer dieses Herrn bescheiden. Da er durchaus von mir keinen Geldvorschuß annehmen will, beabsichtigt er einen oder zwei Edelsteine zu verkaufen, die sein Eigenthum sind. Er hätt' es freilich besser in Hamburg gethan, aber er besteht nun einmal auf seinem Willen.«

Der Wirth nickte. »Der Jude soll geholt werden; wenn er nicht Geld bei sich hat, helf ich gerne aus, so weit meine Kasse reicht. Ich weiß, Kapitain Jansen, daß Ihr mir nur einen Ehrenmann empfehlen könnt, aber eben darum möcht' ich Euch fragen, hat der Herr etwas zu fürchten?«

»Nicht seit der Wladimir in See gegangen ist. Die Sache ist nicht mein Geheimniß, Claas Lorinsen, und ich weiß eigentlich selber nicht viel mehr davon, als daß er mir

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von guter Seite dort, von wo ich ihn hergebracht und wo er in Gefahr war, in die Hände der russischen Schergen zu fallen, empfohlen worden, und ich selbst habe gesehen, daß er ein so wackeres Herz in der Brust hat, als nur Einer, der jemals ein Deck unter seinen Füßen gehabt hat.«

»Ich frug auch nur,« sagte der Wirth, »weil ein Paar Gäste da sind, die ich lieber draußen sähe, als innerhalb meiner Koje.«

»Wen meint Ihr?«

»Dort den schieligen Burschen am Tisch, wo der arme Kerl, der ungarische Topfstricker sitzt; 's ist ein verdorbener Krämer, der bei den Dänen den Spion spielt. Ich muß den alten Thoren den Kloster-Vogt vor ihm warnen; denn er schwätzt wieder von dänischer Tyrannei und deutschem Recht, als wäre er mitten unter seinen Leuten und auf drei Seemeilen weit kein dänisches Ohr in seinem Umkreise!«

Auf die Warnung des Wirthes hatte der Kapitain nach der bezeichneten Gruppe gesehen; auch sein Passagier, der bisher mit dem Rücken nach der Thür gesessen, drehte sich, durch Eines oder das Andere in der Rede veranlaßt, um und schaute aufmerksam dahin.

Das fremde Kleeblatt saß jedoch, namentlich die beiden Seeleute, im Schatten, so daß man ihre Physiognomien nicht erkennen konnte, während das Gesicht des Passagiers voll von der Gasflamme beleuchtet war. Nur das traurige ernste Gesicht des armen Slowaken konnte er deutlich erkennen, dessen dunkles Auge zufällig dem seinen begegnete und an ihm haften blieb.

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Er wandte sich gleichgültig wieder um und setzte sein Gespräch mit dem Kapitain wieder fort, da der Wirth unterdeß seiner Wege gegangen war.

Nicht so gleichgültig dagegen hatte man seinen Anblick von jenem Tisch aufgenommen.

Als der geheimnißvolle Passagier sich umdrehte und im vollen Licht zeigte, sah der Matrose, welcher an dem Stock hinkte, gerade ihm in's Gesicht.

Die braune ungesunde Farbe des Mannes verwandelte sich in eine fahle Blässe und seine kleinen Augen schienen den Fremden zu verschlingen. Im nächsten Moment flog wieder eine dunkle Röthe über das häßliche Gesicht und er faßte krampfhaft den Arm seines jüngeren Begleiters.

»Wissen Sie gewiß,« frug er mit widerlicher dünner Stimme den Mann, der sie hierher geführt, »daß jener ungeschlachte Kerl der Kapitain des Schiffes ist, das diesen Nachmittag aus Reval angekommen ist?«

»So sicher, als ich diesen Schluck Grogk in meiner Kehle fühle. Ich kenne den Kapitain, seit er in der Ostsee fährt, und machte Sie darauf aufmerksam, als wir ihnen auf dem Wege begegneten.«

Der Mann mit dem Stock kehrte sich hierauf zu dem Gefährten im Seemannskittel. »Erinnern Sie sich des Names nicht Baron,« sagte er leise auf Russisch, »den der Tscherkessen-Häuptling führte, von dessen Flucht bei Petersburg Sie mir diesen Nachmittag erzählten? - Hieß er vielleicht Sefer Bey?«

»Wahrhaftig - ich glaube, so war es, Durchlaucht. Warum fragen Sie danach?«

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»Der Mann dort, der mit dem Kapitain des Schiffes aus Reval gekommen ist, ist Sefer Bey, wenn mich nicht Alles täuscht!«

»Aber Sie dienten nie im Kaukasus, Durchlaucht, so viel ich weiß. Woher sollten Sie den Rebellen kennen?«

»Lassen Sie sich damit genug sein - ich kenne ihn! Wir müssen ihn festnehmen lassen, damit er unserer Regierung wieder ausgeliefert wird!«

»Keine Uebereilung, Fürst,« sagte der verkleidete Diplomat. »Wenn es sich wirklich so verhält, wie Sie sagen, dann ist der Bursche uns entgangen. Wir befinden uns hier in fremdem Lande und der Kapitain würde Schutz fordern für die englische Flagge, unter der er mit seinen Leuten fährt. Wir können uns nicht wegen eines elenden Tscherkessen mit dem Kabinet von Saint James überwerfen.«

»Tausend Rubel wollte ich geben,« murmelte Jener, krampfhaft die Hand ballend, »wenn der Flüchtling einzufangen wäre!«

Der junge Diplomat schüttelte den Kopf. »Ich weiß zwar nicht, warum Sie solchen Werth darauf legen,« meinte er, »aber wenn dem einmal so ist, läßt sich die Sache vielleicht auf andere Weise zu Stande bringen. Darf ich unserem würdigen Führer hier ein anständiges Douceur versprechen?«

»So viel Sie wollen!«

Der jüngere Pseudo-Seemann sprach hierauf flüsternd mit dem Exkrämer, der ihn mit verschmitztem Lächeln anhörte.

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»Hei!« sagte derselbe, indem er sich die Hände rieb, »das trifft sich ja ganz vortrefflich. Ich hatte eigentlich etwas Anderes auf dem Strich, den Galgenvogel da drüben, der den Narren von Studenten seine Freischarler-Lügen auftischt! Und auch der alte Schwätzer dort hat lange sein Theil verdient.«

»Wer sind die Leute?«

»Der bei den Studenten dort ist ein Preuße, ein verlaufener Photograph. Er war bei den Tann'schen, als sie vor acht Jahren mit Gewalt uns die deutsche Konstitution aufdrängen wollten, während wir's unter der dänischen Herrschaft hier immer weit besser gehabt haben, wenig Steuern und mehr Freiheit, als wir brauchen konnten. Ich glaube, er hat damals eins Liebschaft angezettelt in der Nachbarschaft, und deshalb ist er wieder gekommen nach so langer Zeit. Der Andere, der frühere Bauernvogt von Sankt Johann, ist der Schwiegervater, den er gern haben möchte; aber wenn sie auch sonst gleiche Kappen tragen und Rebellen sind gegen die Obrigkeit, unsere Bauern sind nicht die Leute, die ihre Töchter einem Lump von Habenichts geben!«

»Aber wie wollt Ihr es anfangen, unsern Zweck zu erreichen?«

»Nichts leichter als das! die Gelegenheit ist in der Nähe. Mit ein zwanzig Spezies will ich den größten Lärmen hier anzetteln und die Polizei soll dann Alles verhaften. Wer sich nicht ausweisen kann, spaziert in's Gefängniß. Wir können's leicht machen, daß dem Burschen,

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den Euer Gnaden auf dem Korn haben, das auch passirt. Das Weitere wäre dann freilich Ihre Sache!«

»Es genügt vollkommen. Hier haben Sie Gold, zehn Imperials. Genügt das?«

»Gewiß.«

»Versprechen Sie eben so viel den Polizeibeamten, wenn es gelingt. Sie selbst sollen nicht vergessen werden.«

Der Spion grinste höchst vergnügt. »Ich muß Sie jetzt verlassen,« sagte er, »aber es wird nicht lange dauern. Was auch geschehen möge, mengen Sie sich in Nichts und verlassen Sie diesen Platz nicht.« Damit schlüpfte er hinaus.

Die Unterhaltung am Tisch der Studenten war eine ziemlich laute; die beiden Russen, da sie genügend Deutsch verstanden, horchten ihr zu.

Der Freischärler, wie ihn der Spion genannt, war ein Mann von schlanker Figur und hübschem entschlossenem Gesicht unter dem hellbraunen Haar. Er mochte etwa 30 Jahre zählen und trug einen Napoleonsbart, der zum Theil eine tiefe Narbe bedeckte.

Die Rede schien eben auf das Kapitel der Ahnungen des Todes, wie sie oft Krieger vor der Schlacht beschleichen, gekommen zu sein; denn auf die Frage eines der jungen Männer, ob ihm in seinem wechselvollen Leben nie dergleichen vorgekommen, nickte der Photograph ernst und reichte sein leeres Seidel dem vorübergehenden Wirth zum Füllen.

»Ein frischer Trunk,« sagte er, »kann bei der heißen Erinnerung nicht schaden. Ich halte nicht viel auf dergleichen Stimmungen, obschon ich manchmal Gelegenheit genug dazu gehabt hätte. Eine derselben will ich Ihnen

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erzählen, da sie hier in der Nähe sich ereignete, wenn es Ihnen genehm ist, sie zu hören.«

Die Umsitzenden baten eifrig darum und der Preuße erzählte, nachdem er das Seidel halb geleert, Felgendes[Folgendes]:

»Wie ich Ihnen bereits gesagt, stand ich damals bei dem Tann'schen Corps. Es war in der Nacht vom grünen Donnerstag zum Freitag, also zwei Tage vor der Schlacht von Schleswig, die unser alter Vater Drauf schlug; unser Corps lagerte zwischen hier und Eckernförde im Wald an dem Meerbusen. Sie kennen ja wohl Alle das Terrain, auf dem damals das vielbesprochene Gefecht bei Altenhof vorfiel, das erste, in welchem die irregulairen Truppen sich auszeichneten. Die Chaussee von Eckernförde zieht sich dicht am Ufer der See entlang, wo die kleinen Batterieschanzen zu sehen sind, von wo die Gefion genommen und der »Christian VIII.« in die Luft gesprengt wurde. Dicht an der Biegung, nicht weit von dem sogenannten weißen Hause, wo die Chaussee einen Ellbogen zu dem Eichen- und Kieferngehölz macht, liegt auf der anderen Seite ein Rohrdickicht. Dahinter, nach Altenhof zu, erhebt sich das Terrain und geht in das Gehölz über.

Ich lag in der Nacht mit auf der Feldwacht und hatte kurz vorher meine Patrouille bis in die Nähe des weißen Hauses gemacht, wo die Dänen standen, die Eckernförde inne hatten. Ich war der Meinung, daß sie selbst eher einen Ueberfall von uns erwarteten, als wir von ihnen, und kehrte daher mit meinem Soutien unbesorgt zu dem kleinen verlassenen Tischlerhause zurück, das unweit des Waldrandes steht und in dem unsere Feldwache Quartier

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genommen, Wir waren etwa 15 bis 20 Mann, unser Lieutenant ein ehemaliger Eisenbahnbeamter aus Elberfeld.

Die kleine Abtheilung war aus sehr verschiedenen Landsmannschaften zusammen gesetzt; außer mir, der ich ein Schlesier bin, befanden sich ein früherer Wachmeister der bairischen Dragoner, Max Obermaier, dabei; ferner ein Herr von Alten, dessen Bruder, wenn ich nicht irre, noch Landrath am Rhein ist; ein Rheinländer, Namens Schön, ein verwegener alter Bursche, der schon früher in Algerien gedient; ein Dr. Weißleder, aus Göttingen, ein Sänger Homann, vom Altonaer Stadttheater, ein Architekt Meier aus Düsseldorf, ein früherer Potsdamer Oberjäger Lindemann und zwei Sachsen, von denen der eine ein Weißgerbergesell war.

Wir hatten uns in einem alten Topf aus dem Rum unserer Feldflaschen eine Grogkbowle gemacht und plauderten, in dem engen Stübchen um den Tisch sitzend, von Allerlei, als plötzlich das dünne Talglicht auf dem Tisch einen sogenannten Leichenräuber schoß und dieser auf den Baiern Obermaier zufiel, der allein bisher still und in sich gekehrt gesessen hatte und von uns Allen deshalb schon mehrfach zum Gegenstand unserer kameradschaftlichen Spöttereien genommen war.

Hollah, Mann,< sagte lachend der ehemalige Fremdenlegionair, - siehst Du nicht, was Dir beschieden ist? Das bedeutet Unglück im ersten Gefecht, das wir haben werden!<

Der Baier richtete ruhig und traurig sein Auge auf ihn. Sie mögen Recht haben, ich weiß es schon seit

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mehreren Tagen. Wenn ich falle, werden Sie das Nöthige in meiner Brieftasche finden.<

Unsinn,< rief der Lieutenant. Was sind das für Reden! Fallen können wir Alle, aber Niemand weiß, wann und wie. Sie sehen mir doch sonst nicht aus, lieber Obermaier, wie ein Mann, der an Narretheien und alten Weiberspuk glaubt.<

Gewiß nicht, Lieutenant, und dennoch - aber lassen wir die Sache, seinem Schicksal entgeht Keiner, weder Sie noch ich!<

Es mochte etwa halb drei Uhr sein, wir scherzten noch über den Gegenstand, als plötzlich die Schildwach vor dem Hause mit dem Kolben das Fenster einschlug und rief: Die Dänen kommen!<

Wir waren im Nu auf den Beinen und aus der Stube heraus, aber sie hatten uns so vollständig überrascht, daß sie schon im Gehöft waren und ihre Kugeln uns um die Ohren knallten, eh' wir noch recht wußten, was thun. Hinter das Holz, Kinder!< rief unser Lieutenant und Alles rettete sich, so gut und eilig Jeder konnte in der Dunkelheit hinter die Hausecke und rannte hinter die Holzstöße, die unweit des Hauses aufgestapelt waren. Einer von uns war grade an einem geheimen Ort, den man sonst gewöhnlich nicht in anständiger Gesellschaft zu erwähnen pflegt. Zum Glück hatte er sein Gewehr mitgenommen - damit schoß er den nächsten Dänen nieder und kam, die Hosen in der Hand, uns nachgerannt.

Sobald wir hinter dem Holz waren, begannen wir unser Feuer, wurden aber bald bis hinter die Waldlisière

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zurückgetrieben. Hier setzten wir uns, holten unser im Walde postirtes Soutien heran und eröffneten nun ein scharfes Tirailleurfeuer, als es plötzlich über uns in den Wipfeln krachte, Aeste und Zweige herunter kamen und von der See her der Schuß eines schweren Geschützes donnerte.

Jetzt erst bemerkten wir, daß auch auf dieser Seite der Feind uns überrumpelt hatte. Die Corvette Gathee war über Nacht in den Meerbusen eingese[e]gelt und hatte sich dem Gehölz gegenüber vor Anker gelegt. Sie beschoß dieses mit Vollkugeln, um uns aus der gesicherten Position zu vertreiben, während ein gleichfalls herangekommenes Kanonenboot mit Kartätschen über die Chaussee hinweg durch die Niederung nach Altenhof fegte.

Unser erstes Treffen hatte ausgeschwärmt, noch war keiner der Unsern gefallen, obschon ein stürzender Ast bereits den Trompeter zu Boden geschlagen hatte. Aber rasch war derselbe wieder auf den Beinen und ermunterte die Leute.

In dem Augenblick wurde zum Eindoubliren geblasen und die Kette rangirte sich. Ich war einer der Vordersten und einige Schritte hinter mir stand Obermaier als mein Soutien. Bei dem Signal trat er an mich heran, um sich mir anzuschließen und war etwa einen Schritt entfernt, als ein Kartätschenschuß zwischen uns durchfuhr. Ich hörte, bereits im Anschlag, einen kurzen Aufschrei und fühlte mich im Nacken mit Blut und warmem Fleisch bedeckt - als ich mich umwandte, lag Obermaier in Todeskrampf am Boden, eine Kartätschenkugel hatte ihm die Brust aufgerissen.

Man trug den Verscheidenden zurück - alle Hilfe

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war natürlich vergeblich. Die Kugel selbst war bis in den Rücken gedrungen und in der Haut desselben stecken geblieben. Als wir später seine Sachen durchsuchten, fanden wir darunter einen noch nicht vollendeten Brief an seine Mutter, noch in Hannover angefangen, in welchem er von ihr Abschied nahm, da er gewiß sei, im ersten Gefecht zu fallen.

Der Leichenräuber hatte wahr gesprochen!«

Der Erzähler schwieg, auch der muntere Kreis um ihn her bewahrte mehrere Minuten ein tiefes Schweigen, so hatte die einfache Erzählung Alle ergriffen.

»Wollen Sie uns nicht weiter von dem Verlauf des Gefechts erzählen?« frug endlich einer der Musensöhne.

»Sehr gern, wenn Sie es wünschen,« antwortete der Freischärler. »Es steht zwar Vieles darüber in den militärischen Beschreibungen des Feldzugs, aber das lebendige Detail entgeht denselben gewöhnlich.

»Nun - wir schlugen uns wacker fort, bald geworfen, bald vordringend, bis wir Unterstützung von unserm Gros bekamen und bald die ganze Linie über Altenhof hinaus im Gefecht stand. Hier war es auch, wo das prophetische Wort Obermaiers an unserm wackern Lieutenant in Erfüllung ging. Während des Plänkelns war der Hornist der Dänen, der sich unvorsichtig vorgewagt, erschossen worden. Der Algierer sprang sofort aus der Schützenreihe, ging auf den Erschossenen zu und schnitt ihm unter dem Kugelregen der Feinde die dänische Kokarde ab, mit der er langsamen Schrittes zu uns zurückkehrte, wie er sagte, um uns Rekruten zu zeigen, was ein

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alter Soldat im Feuer sei. Unterdeß war mit Soutien auch der Kommandant unsers Corps, Major von der Tann, herbeigekommen und leitete das Gefecht bei Altenhof. Wir waren eben wieder bis an das Gehölz zurück gedrängt worden und standen hinter den mächtigen Kiefern gedeckt, vor uns, etwa dreißig Schritt entfernt, das Schilfmoor, in das sich die sogenannten schwedischen Bärenjäger geworfen hatten, meist wahre Hünengestalten in ihren braunen Mänteln und Hüten, die so verteufelt gut schossen, daß die Rinde der Bäume, hinter denen wir uns deckten, in förmlicher Linie die Kugeln zeigten, während wir bisher wenig ihnen geschadet hatten, da sie ganz im Schilf verborgen lagen.

Unser Lieutenant, seinen Säbel am Riemen, stand auch hinter einem tüchtigen Stamm, von Zeit zu Zeit mit einer Pistole gegen den Feind feuernd; am nächsten Baum ein Paar Schritte entfernt, stand ein guter Freund von ihm, der Oberjager Griesenbeck, der früher in Potsdam gedient hatte und jetzt munter hinein pfefferte in das Schilf. Er hatte eben wieder geladen, als er bemerkte, daß ihm die Zündhütchen fehlten. Ich hörte, da ich den zweiten Baum inne hatte, wie er sich zu dem Offizier mit den Worten wandte: »Du, mein Junge, hast Du Kupferhütchen?< - Ja wohl, hier nimm sie!< Der Lieutenant beugte sich vor und reichte sie ihm hin - der Oberjäger hatte sie eben gefaßt, als der Lieutenant den Ruf ausstieß: Ach meine Mutter!< und sogleich todt nach der Seite fiel.

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Eine Kugel aus dem Schilf hatte ihn hinter dem Ohr getroffen.

Unser Offizier war so beliebt, daß sofort ein allgemeiner Schrei der Wuth erscholl. In diesem Augenblick sah ich, wie aus dem Schilf sich eine riesige Gestalt in ihrem braunen Mantel mit einem teuflischen Ausdruck der Freude auf dem markirten Gesicht emporhob, noch die rauchende Büchse in der Hand, um nach dem Erfolg des Schusses zu sehen. Aber rascher fast als mein Blick lag das Gewehr an der Wange unsers Oberjägers, der Schuß krachte, und die lange drohende Gestalt warf die Arme in die Luft und stürzte zurück in das Schilf.

Der Feind mußte todt oder schwer verwundet, und wahrscheinlich eine wichtige Person in der Schaar sein, denn alsbald sahen wir das Schilf von allen Seiten sich bewegen, als kröchen die schwedischen Jäger zu dem Gefallenen heran. Das war nun ein Scheibenschießen für uns, und unsere Kugeln klatschten wacker grade auf die Stelle hin, bis Alles dort ruhig und still war; - das Feuer der Bärenjäger hatte aufgehört, und als wir später beim Vorgehen in das Schilf kamen, war Alles leer, sie hatten ihre Todten und Verwundeten mit sich geschleppt und nur die großen Blutlachen bewiesen, wie scharf es hier hergegangen war.

Unterdeß hatten die Corvette und das Kanonenboot ihr Feuer fortgesetzt. Das letztere lag grade der Mündung eines tiefen Hohlwegs gegenüber, durch den wir hindurch mußten, und bestrich ihn der ganzen Länge nach. Es war das schwierigste Stück Arbeit, das wir hatten, da hinüber

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zu kommen. Unsere Postenkette lag jetzt in einem Graben von halber Mannshöhe, als Major von der Tann herankam, um die Linie abzupatrouilliren. Wir hatten uns unter dem Grabenrand gedeckt, denn der Feind stand in großer Nähe uns gegenüber und schoß fortwährend. Bei der Gelegenheit sah ich, was es heißt um die kalte Ruhe eines Führers, die etwas Anderes ist, als die Prahlerei, die uns vorhin der alte Algierer zum Besten gegeben.

Der Major war ein tüchtiger Soldat, das kann ihm Niemand absprechen. Er ging im Graben entlang, mit dem Oberkörper über den Rand hinwegragend und dem Feuer des Feindes ausgesetzt, ohne auch nur mit den Augen zu zucken. Er rauchte seine Cigarre und präsentirte von seinem Vorrath auf der ganzen Linie unsern Schützen, freundlich mit ihnen plaudernd und sie zum ruhigen Zielen ermahnend. Als wir ihn dringend baten, sich zu decken, meinte er lächelnd, das ginge nicht, man müsse der jungen Mannschaft Muth machen und ihr zeigen, daß nicht alle Kugeln träfen.

Es war in der That gut, denn die meisten von uns waren noch nie im Feuer gewesen und die ersten Fälle hatten doch einen verteufelten Eindruck gemacht.

Bei der Gelegenheit war es auch, wo ich zuerst unsere emancipirte Heldin, Madame Lucie Aston, zu Gesicht bekam. Sie kam in Begleitung ihres damaligen Kurmachers, des armen Szivanski und des ehemaligen Studenten Feenburg, der in Berlin eine Rolle zu spielen suchte und so kläglich abfiel. Er trug einen grünseidnen Kittel und eine rothe Polenmütze, Madame Aston aber

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eine Art Kunstreiterkostüm mit Federhut und einem Dolch an der Seite. Sie machte allerlei Redensarten, um uns zu encouragiren, aber die Leute lachten sie aus und sagten ihr in's Gesicht, sie solle sich zum Lazareth scheeren, wo die Frauenzimmer hingehörten. Major von der Tann schickte sie zuletzt auch fort - damals waren sie noch keine guten Freunde, wie später im Hôtel de L'Europe in Hamburg.

Einige Zeit nachher bei einer andern Gelegenheit im Bivouak, während wir hartes Kommißbrod beißen mußten und Wasser tranken, ließ sie einen Tisch aufstellen und hielt ein Gelage mit ihrem Narrenstab von dem Wein, den man uns für die Maroden und Kranken geschickt hatte. Da brach denn der Unwille so ernsthaft aus, daß man sie vom Bataillon entfernen mußte zum Lazareth und ich habe sie dann nicht wieder zu Gesicht bekommen.

Gegen 11 Uhr kamen die Hamburger Freiwilligen an in ihrer hübschen grünen Tracht, und nun griffen wir den Feind mit dem Bayonnet an und warfen ihn bis zum weißen Hause zurück. Aber die Dänen bekamen aus der Stadt Verstärkung und zahlten's uns heim. Unterdeß hatten unsre Leute auf der Chaussee vor dem Holz eine Schanze von Seetang aufgeworfen, und hinter dieser hielten wir Stand. Die Dänen rückten an - ich sehe sie noch - ihr Major ein alter Mann, mit weißem Haar an der Spitze, um ihnen Muth zu machen. Er marschirte der Kolonne voran, bis auf etwa zwanzig Schritt von der Schanze, da sah er sich um - und sich allein; denn die ganze Kolonne war wohlweislich zurückgeblieben und hatte ihren Major

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allein marschiren lassen, obschon es den Rothröcken sonst nicht an Kourage fehlt. Ich sehe ihn noch, wie er mit dem Säbel ihnen winkte und grade da erhielt er einen Schuß dicht unter dem Ringkragen und fiel zu Boden. Unser Sachse, der Weißgerbergesell, ein wüstes Vieh von Kerl, rasch über die Schanze hinwegvoltigirt, packte den Sterbenden bei den Beinen und schleifte ihn zur Schanze hin. Wie ein Donnerwetter hatte er ihm die Epauletts und Lützen ab und die Uniform aufgerissen und nestelte die Geldkatze los, die der Däne um den Leib trug. Der alte Offizier hatte eine starke goldne Erbskette um den Hals gewunden, an der seine Uhr hing, und der verdammte Marodeur, da er sie nicht so geschwind lösen konnte, riß und zerrte daran, daß wir erbittert ihm zuschrieen, er solle doch den alten Mann ruhig sterben lassen. Aber er hätte ihn sicher noch eher erwürgt, als er an seiner Wunde verschieden war, denn die Kette hielt fest, wenn die Dänen sich nicht jetzt ermannt hätten und die Kugeln ihm so um die Ohren geflogen wären, daß er wahrscheinlich dachte: besser Etwas, wie gar Nichts! So ließ er Uhr und Kette im Stich, sprang wieder in die Schanze und hatte, wie sich später ergab, immer noch an 70 Thaler Werth erbeutet. Den alten Major aber holten die Dänen uns vor der Nase weg, nachdem sie einmal wieder Kourage gekriegt hatten - Herr Wirth, ein frisches Seidel, denn mir ist wahrhaftig vom Erzählen die Kehle ganz trocken geworden!«

Ein Student bot ihm das seine, der alte Klostervoigt aber schaute mit einem giftigen Blick vom nächsten Tisch

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herüber und murmelte etwas von Saufaus, den seine Jane nun und nimmer mehr haben solle und müßte sie ihres Eigensinns halber als alte Jungfer sterben. Im Grunde war der alte würdige Voigt nur unwirsch, daß die Erzählung des Photographen seine eigene Zuhörer angelockt und seinen politischen Discours unterbrochen hatte; denn er selbst hatte bereits eine hübsche Anzahl der silbernen Westenknöpfe springen lassen, nach denen er die genossenen Krüge abzuzählen pflegte.

»Haben Sie auch die spätern Feldzüge mitgemacht?« frug einer der Studenten, die nicht Lust hatten, den interessanten Erzähler so leichten Kaufs davon zu lassen, da er das Gespräch abbrechen zu wollen schien.

»Auch im Jahr Neunundvierzig und Fünfzig, obschon mit einigen Unterbrechungen. Ich verließ erst das Corps mit mehreren Kameraden, als wir zu einer widerwärtigen Execution gezwungen werden sollten.«

»Ist es erlaubt zu fragen, welche?«

»Die Sache ist bekannt genug geworden. Es handelte sich um die standrechtliche Erschießung eines Kameraden. Wir lagen damals bei Rendsburg und hatten einen Lieutenant, der uns bis auf's Blut chikanirte.

Eines Tages hatte er wieder ganz ohne Ursach die Leute gegen den scharfen Seewind exerciren lassen und in jeder möglichen Weise maltraitirt, als auf dem Heimweg ihn sein Schicksal ereilte. In dem Augenblick, als der Zug in das Thor des Gehöfts einmarschirte, schoß ein Soldat, ein Bayer, Namens Salisch Heimbacher, den Lieutenant

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von hinten durch den Rücken, daß die vorn herausfahrende Kugel noch in den Thorpfosten schlug.

Der Offizier stürzte lautlos zu Boden und verschied gleich darauf.

Sie können sich den Lärmen denken, den diese That machte. Der Thäter war ein Mensch, dem die besten Zeugnisse bisher zur Seite standen und der seinen Dienst ohne Tadel geführt hatte. Er war im Benediktiner Kloster zu Tölz erzogen worden und ein ruhiger stiller Mann, bei seinen Kameraden allgemein beliebt. Er suchte seine That keinen Augenblick zu entschuldigen und erklärte, alle Folgen derselben willig tragen zu wollen.

Diese konnten denn auch nicht zweifelhaft sein, obwohl die schändlichen Maltraitirungen der Leute auf's Evidenteste erwiesen waren. Der Bruder des Erschossenen, der dem Kriegsgericht beiwohnte, mußte schweigen vor den zu Tage kommenden Details. Die Armee der Herzogthümer wurde damals - nach dem Abgang des General von Willisen - vom Generalmajor von der Horst kommandirt und das gefällte Todesurtheil rasch bestätigt; denn unter den aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzten Schaaren mußte die militairische Autorität auf's Strengste aufrecht erhalten werden. Haimbacher, der vor dem Kriegsgericht sich selbst vertheidigt hatte, ging dem Tode vollkommen ruhig entgegen. Am dritten Morgen, als wir eben vom Dienst in die Stadt zurückkamen, wurde er hinausgeführt - das ganze Bataillon war Zeuge. Seine Compagnie hatte sich geweigert, die Exekution zu vollstrecken, und es war daher Mannschaft von einem Reserveregiment kommandirt worden.

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Er knie[e]te gefaßt, nachdem man ihm die Augen verbunden, auf den Rasenhügel nieder und fiel bei dem ersten Feuer auf die Seite. Auch die fremden Mannschaften hatten nur mit Widerwillen geschossen und nur Brust und Arm getroffen. Ein herbeispringender Unteroffizier des zweiten Pelotons mußte ihm das Gewehr an die Stirn setzen und ihm den Kopf zerschmettern, um seinen Todeskampf zu enden!

Ich gestehe, meine Herren,« fuhr der Erzähler fort, »ich habe oft dem Tode in's Auge geschaut und bei dem Sturm von Fridericia die Kameraden um mich fallen sehen, wie die Spreu auf der Tenne. Aber niemals hat der Tod solchen Eindruck auf mich gemacht. - Ja, meine Herren, - es ist viel deutsches Blut damals um dieses Land vergossen worden, - ob mit, ob ohne Dank, wissen Sie am Besten. Was Ihr Nachbarland Schleswig anbetrifft, so weiß ich aus eigner Erfahrung, daß man es uns damals dort nicht sonderlich gedankt hat. Vielleicht ist das jetzt anders; denn ich fürchte, nach Allem, was ich hier gehört, es wird eine Zeit kommen, wo des deutschen Blutes noch mehr fließen wird. Möge es dann wenigstens nicht wieder vergeblich geschehen, möge die kalte Berechnung der Diplomatie nicht den frischen Pulsschlag des Volkes wieder in ihre Fesseln schlagen und das meerumschlungene Schleswig-Holstein ein deutsches und freies Land sein und bleiben; darauf, meine Herren, stoße ich mit Ihnen aus voller Seele an!«

Und - ob manches Auge auch scheu zur Seite blickte, als fürchte es den Denuncianten, - so schlugen doch frisch die

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Krüge und Gläser an einander, und als eine gewaltige Bierbaßstimme aus dem Kreise der jungen Männer das Lied intonirte, fielen Alle umher mit voller Stimme ein und über das Gefiedel der Tanzmusik hinweg schwoll es in mächtigem Gesang:


    Von der Woge, die sich bäumet
    Längs dem Belt, am Ostseestrand,
    Bis zur Fluth, die ruhlos schäumet
    In der Düne flücht'gem Sand:
       »Schleswig-Holstein, stammverwandt,
       Stehe fest, Du deutsches Land!«

Auch der helgoländer Kapitain, der mit seinem Passagier in die Thür der Nebenstube getreten, stimmte in das frische kräftige Lied mit ein, Claas Lorinsen, der Wirth, aber eilte erschrocken und händewinkend von der Tanzstätte herbei und that alles Mögliche, den Gesang zu unterbrechen. Aber erst, nachdem die Strophe zu Ende war, gelang es ihm, zu Worte zu kommen. »Um Himmelswillen, liebe Herrn,« sagte der große Mann fast weinerlich, »wollen Sie mich denn um mein Brod, um Haus und Hof bringen? Sie wissen ja selbst, daß das Lied verboten ist und von der Polizei nicht geduldet wird. Ich komme in schwere Strafe und verliere die Concession. So lieb und werth mir auch Ihr Besuch ist - aber ich darf's wahrhaftig nicht leiden und Sie thäten mir eine Liebe, wenn Sie ruhig nach Hause gingen!«

Sein erschrockener Blick suchte angstvoll nach dem Gast, den er vorhin als einen Spion bezeichnet hatte, und als er ihn fortgegangen sah, athmete er orden[t]lich leicht auf,

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obschon ihm auch das Zurückbleiben seiner beiden Gefährten nicht sonderlich gefiel.

»Pfui über Dein Hasenherz, Claas Lorinsen!« brach da die gewichtige Stimme des alten Klostervogts los, der von seinem Enthusiasmus hingerissen, bei dem Toast des Photographen zum ersten Mal mit seinem Kruge mit dem unliebsamen Freier seiner Tochter angestoßen und dann kräftig in das Lied mit eingestimmt hatte. »Hörst Du schon die dänischen Säbel klappern, wenn Einem ein Mal das deutsche Herz über die Lippen tritt? Wir sind hier nicht auf den Inseln oder in Schleswig, wo sie jetzt wieder hausen, wie die Türken im Christenland und die Beamten und Geistlichen absetzen, die nicht in ihrem verdammten Kauderwälsch Recht sprechen und predigen wollen. Wir haben unser altes von unsern Grafen und dem Reich verbürgtes holstein'sches Recht und wollen den Teufel was zu thun haben mit ihrer lausigen Gesammtverfassung. Was geht's uns an, ob England und Rußland und Preußen und Oesterreich, die sich dessen in den Hals hinein schämen sollten, uns an die sogenannte Gesammtmonarchie verschachert haben, bloß weil Einer dem Andern, wie bissige Hunde den Knochen, so unsern schönen Hafen nicht gönnte! Aber ich sag's Euch, Claas Lorinsen, und Jedem, der's hören will, es ist Nichts mit unserm Dänischsein und geht gegen die alte Holsten-Natur, und wenn der König von Preußen ein Mal die Courage kriegt und über Nacht Kiel als fetten Bissen fortschnappt, wird kein Mensch sich darüber grämen, von Kiel bis zur Trave, noch drüben in den

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Marschen und dann, dann will ich Den sehen, der mir wehrt zu singen, was ich Lust habe!«

»Seid Ihr toll, Gevatter, oder hat das Lagerbier Euch jeder Ueberlegung beraubt?« schrie der erschrockene Wirth, indem er dem unvorsichtigen Politiker mit der breiten Hand den Mund zu schließen suchte. »Ihr seid wahrhaftig noch schlimmer als das junge Volk da, während doch endlich unter Eurem weißen Haar Vernunft und Ruhe eingekehrt sein sollte. Ich sollte meinen, die harten Strafen, die Ihr schon habt zahlen müssen und der Verlust der Vogtschaft hätten Euch endlich lehren sollen, das Maul zu halten. - Ruhe, Gevatter, trinkt Euren Krug in Frieden, oder geht Eurer Wege mit dem Burschen da, der das Unheil angezettelt - ich will Nichts mehr von der leidigen Politik wissen!«

Der Vogt hatte sich niedergesetzt, während die Studenten übermüthig sich über den besorgten Wirth lustig machten. Zugleich winkte er den erstaunten Photographen an seine Seite. »Kommen Sie her, Landsmann, und trinken Sie hier mit mir. Sie scheinen mir wirklich ein anderer Kerl, als ich gedacht, und der Jürgen Rolfshagen ist nicht der Mann, es zu läugnen, wenn er Jemand Unrecht gethan hat. Lassen Sie uns Eins plaudern, unbekümmert, ob dieser Hasenfuß von Wirth sich drüber vor Angst die Haare ausreißt oder nicht. Wir sind in Holstein und so lange ich Athem in der Brust habe, will ich pfeifen, wie mir's Recht dünkt!«

Der ehemalige Freischärler nahm hocherfreut zum großen Mißbehagen des Wirths die Einladung an und die Studenten, seiner Gesellschaft beraubt, trafen Anstalt zum

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Aufbruch und hatten sich eben erhoben, als die Scene plötzlich ein neues Ansehen gewann.

Die Hausthür wurde weit aufgerissen und herein, übermüthig johlend, mit allen Zeichen, daß sie bereits stark getrunken, stürmte ein Haufe von Seeleuten in den Flur.

Es waren große kräftige Gestalten in unordentlicher Kleidung, die Brust offen, die wilden brutalen Gesichter unter dem wirren Blondhaar erhitzt. An der Seite trugen Alle das breite Schiffsmesser mit dem langen hölzernen oder elfenbeinernen Griff in Scheiden von Wallroßfell. An ihrer Spitze ging ein Mann von kolossaler Größe, der noch eine halbe Kopflänge über den Wirth des Hauses hinweg reichte. Sein Gesicht mit den kalten wasserblauen Augen und den grimmigen wilden Zügen gewährte einen um so abstoßenderen Anblick, als der breite rothblonde Bart nicht verdecken konnte, daß ihm fast der halbe Unterkiefer fehlte, was eine schreckliche Verzerrung des Mundes zu Wege brachte.

Der Wirth, der eben an die Stubenthür zu Kapitain Jansen und seinem Passagier getreten war, um ihnen eine Mittheilung zu machen, fuhr erschrocken zurück beim Anblick der neuen Gäste,

»Um Himmelswillen, welcher Kobold führt das Volk in mein Haus! Es ist die Mannschaft der dänischen Brigg »Olaf« und der Satan, der Schwede Hakon Sturluson, der Steuermann vom »Nordstern«, ist auch dabei. Ich bitte Sie, Herr, gehen Sie so rasch als möglich nach der Küche zu meiner Frau, sie wird Sie zu dem Juden führen, der eben angekommen. Bleiben Sie dann auf Ihrer Stube;

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denn wo das Volk hinkommt, droht Unheil und ich werde genug zu thun haben, mich dessen zu wehren!«

Der Steuermann des Nordstern war unterdeß zum nächsten Tisch getreten und schlug mit der Faust auf die Eichenplatte, daß die Krüge in die Höhe sprangen.

»Holho, Wirthshaus! - Wo ist der Spitzbube von Wirth, daß er denkt, eine ächte Seemannsgurgel sei so eng wie die einer deutschen Gans? Rum her! Und laßt die Fiedler das Dannebrogklied spielen, daß ein tüchtiger Orlogmann danach tanzen kann!«

Nicht dem Wirth allein waren die angekommenen Gäste, die sich überall jetzt breit machten, sich zwischen die einzelnen Gesellschaften und hinten in den Kreis der Tanzenden drängten, unliebsame Erscheinungen. Der alte Vogt klappte mit einem gemurmelten Fluch seinen Krug zu und die Studenten und mehrere Bürger verließen einzeln das Schankhaus, als der Photograph einen der Ersteren im Vorbeigehen am Arm faßte.

»Sehen Sie den Menschen dort an - den mit der furchtbaren Wunde am Kinn! Wissen Sie, wer es ist?« frug er hastig.

»Wie sollt' ich - irgend einer von diesen dänischen Krakehlern, er sieht ganz darnach aus!«

»Es ist der Anführer der Bärenjäger bei Eckernförde, von denen ich Ihnen vorhin erzählte; ich werde diese Stirn und diese Augen nie vergessen, obschon ich sie kaum eine Minute lang im Gefecht sah!«

»Dann ist es desto schlimmer, wenn er damals Ihren Kugeln entgangen. Wenn Sie meinen Rath befolgen

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wollen, so kommen Sie mit; denn dieses dänische Volk sucht offenbar Händel mit den deutschen Seeleuten!«

Aber es war bereits zu spät.

Der Wirth hatte die möglichst beste Miene zu dem unwillkommenen Besuch gemacht und war zu dem Steuermann getreten.

»Guten Abend, Herr Hakon Sturluson. Sie sollen sogleich bedient werden, wenn die Herren nur einen Augenblick verziehen wollen!«

»Das räth' Dir Odin, Du deutsches Meerschwein! Schaff' Rum her und die Mädels herbei - wir wollen ein Mal in dem deutschen Nest auf gut skandinavische Weise lustig sein, und wem's nicht gefällt, der packe sich, wenn er nicht Schläge haben will!«

Die letzten Drohungen galten offenbar den deutschen Gästen, die bereits mit finstern Blicken die wüsten Eindringlinge maßen.

Der Wirth, um sie möglichst bei guter Laune zu erhalten, war nach der Schankstätte geeilt, die Rumflasche zu holen. In diesem Augenblick ging der Passagier der Claire, nachdem er dem wackern Kapitain derselben bedeutsam die Hand gedrückt, durch die Gruppen und an dem langen Schweden vorbei, um nach der Anweisung des Wirths sich in die Küche zu begeben.

Aber er sollte nicht dahin gelangen.

Der Steuermann des »Nordstern« legte die breite Hand auf seine Schulter und drehte ihn wie ein Kind zu sich herum.

»Hei, mein Junge, laß doch ein Mal schauen von

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welchem Schnitt Dein Segel ist? Siehst aus wie ein Seemann und ist doch kein Ernst dahinter, denn Du gehst wie eine Landratte. Herunter mit der falschen Flagge, die Dir nicht gehört!«

Er zerrte an dem Rock des Fremden, der entrüstet zurücktrat. Die dunkle Gluth des Zorns flog über seine Stirn und er stieß die Hand zurück, obschon er die in deutsch-dänischem Dialekt und in Folge der Wunde stammelnd gesprochenen Worte nur halb verstanden hatte.

Ehe er jedoch noch seiner Entrüstung Worte leihen konnte, klang von der Schwelle des Zimmers eine kräftige Stimme.

»Hand weg, Hakon Sturluson, laß den Mann seiner Wege gehen, oder Du hast's mit mir zu thun!«

Es war der Kapitain der Claire, der gesprochen. Der Riese warf ihm einen bösen höhnischen Blick zu.

»Meinst Du, helgoländer Bastard, der nicht Britte nicht Deutscher ist! Nun Du sollst sehen, wie ein echter Norweger Deine Schafe scheert! Hierher mein Jüngferchen!«

Er griff wiederum nach dem Passagier, als der Steinkrug, den der Kapitain Jansen noch in der Hand hatte, im kräftigen Wurf gegen seine Brust flog.

Einen Augenblick taumelte der Schwede zurück - dann schoß eine dunkle Gluth über sein Gesicht und er griff nach dem Messer an seiner Seite.

»Deutscher Hund!« Er bog den Oberkörper zurück und wog das Messer einen Augenblick auf der flachen Hand mit der Spitze des Mittelfingers am Knopf. Aber in dem Augenblick, wo er es warf, fuhr die Hand des

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Passagiers der »Claire« gegen ihn und schlug seinen Arm in die Höhe, daß der Wurf sein Ziel verfehlte und das Messer zolltief in das Eichengetäfel über der Thür fuhr.

Mit einem heisern Brüllen wie das Raubthier seiner Heimath, das er früher gejagt, stürzte der Normann auf den kühnen Fremden und ein Faustschlag wie der eines Hammers gegen den Kopf warf ihn blutend zu Boden. »Messer heraus, Jungens! auf sie!«

Als hätten sie nur auf den Ruf gewartet, hatten die dänischen und schwedischen Matrosen im Nu ihre Messer zur Hand und warfen sich auf die Deutschen.

Aber diese antworteten wacker dem Signal des Kampfes. »Zu mir, Männer von der »Claire«!« klang über das Getümmel die kräftige Stimme Jansen's, und mit allen ihnen zur Hand kommenden Waffen, mit Krügen und Schemelbeinen fielen die verbündeten Seeleute über die Krakehler her.

Das Knie des Steuermanns lag auf der Brust des Fremden und seine Zeigefinger wickelten sich eben in die Haare seines Schlachtopfers, um das furchtbare Experiment des Augen-Ausdrückens durch die Daumen an ihm zu üben, als ein Schlag über den Schädel mit einem derben Stock ihn betäubt auf den Boden warf.

Es war der ehemalige Freischärler, welcher so zur dringenden Zeit den Hieb gethan. Der alte Vogt hatte es gesehen und schwang wie besessen seinen Hut. »Hurrah, brav gemacht, mein Junge!« schrie der Alte. »Das wird dem scandinavischen Dickschädel ein Denkzettel sein. Ich will nicht frei auf meinem Grund und Boden sitzen, wenn Du

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jetzt nicht die Jane kriegen sollst, wenn sie Dich noch haben will.«

Der Photograph, besonnener als der Alte, drängte ihn mit Hilfe des Studenten aus dem Getümmel zur Thür. »Fort - fort Vater! das können wir draußen abmachen - hier haben wir Nichts mehr zu thun!«

Er wollte eben aus der Thür, als er von Außen zurückgestoßen wurde. Säbel klirrten, das Licht der Gasflammen, das den von der jetzt allgemein gewordenen Schlägerei aufgewirbelten Dampf kaum noch durchdringen konnte, glänzte auf den Bandelieren der Landreiter und Polizeibeamten.

»Im Namen des Königs - Ruhe! - Niemand passirt, der sich nicht legitimirt hat!« Die Wachen drangen mit Gewalt herein und zwischen die Kämpfenden.

Der Kapitain der »Claire« hatte sich noch nicht bis zu seinem Schutzbefohlenen durchzuschlagen vermocht, als er sah, daß dieser so glücklich von seinem Gegner befreit worden und von Claas Lorinsen, dem Wirth, vom Boden aufgezerrt und nach dem Küchenraum gezogen wurde. Er konnte ihn daher für gerettet halten und beschränkte sich nunmehr darauf, mit seinen Leuten den Eingang zur Stube gegen die Tobenden zu vertheidigen, deren mehrere bereits aus tüchtigen Wunden bluteten.

Der Wirth hatte den Fremden glücklich aus dem Getümmel gerettet, aber zugleich den Eintritt der Polizei bemerkt. Er zog den Taumelnden durch die Küche, wo die Frauenzimmer sich schreiend in die Winkel geflüchtet, öffnete eine Hinterthür und stieß ihn hinaus in's Freie, ohne

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darauf zu achten, daß der Mann schwer blutete und sich kaum auf den Füßen zu halten vermochte.

»Hier hinaus, Herr, und warten Sie auf der Straße, bis Alles vorüber und die Polizei wieder fort ist. Ich vermuthe, das wird Ihnen auch lieber sein!«

Damit eilte er wieder fort; aber durch die offen gelassene Thür suchten jetzt auch andere Personen den Ausweg, um der Schlägerei zu entrinnen.

Die beiden Russen hatten mit Interesse dem Beginn der Händel zugesehen ohne große Besorgniß, da sie für den Nothfall bewaffnet waren und wußten, daß die Polizei bald erscheinen mußte. Sie begnügten sich daher, sich hinter ihren Tisch zu verschanzen und erst, als der Wirth den Fremden fortschleppte, wurde der Fürst unruhig. »Kommen Sie Baron, wir müssen ihm nach, auf jede Gefahr!«

»Daß ich ein Narr wäre, wir würden Schläge kriegen von beiden Parteien. Sehen Sie selbst, wo er bleibt, wenn Sie so großes Interesse daran haben.«

Der Fürst, dem es keineswegs an persönlichem Muth fehlte, war trotz des lahmen Fußes bereits hinter dem Tisch hervor und den Beiden nach - auch der Slowake benutzte die Gelegenheit, aus dem Getümmel zu entkommen.

Als der Russe auf der Hinterseite des Hauses in's Freie trat, sah er in der Dunkelheit eine Gestalt vor sich her schwanken, dem nahen Wasser zu.

Alles war leer hier und finster. Die von dem Lärmen herbeieilenden Neugierigen sammelten sich Alle vor dem Haupteingang des Hauses.

Der unglückliche Fremde taumelte noch einige Schritte

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weiter und auf eine offene Treppe zu, die hier zu einem Kanal des Hafens niederführte. Dann stürzte er zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Der Fürst hinkte heran und stieß die bewußtlose Gestalt mit dem Fuß an, aber nur ein leises Stöhnen antwortete ihm. Er trat einen Schritt zurück und pfiff scharf auf dem Finger. Nach einer kurzen Weile, als er Schritte hörte, wiederholte er das Signal. »Hier Väterchen!« Es war Petrowitsch, der Kosak, der draußen vor dem Wirthshaus auf seinen Gebieter geharrt hatte. Der Fürst deutete auf den Körper zu seinen Füßen und sagte einige Worte auf Russisch. Der große Kosak fuhr erschrocken zurück. »Um der Heiligen willen - Herr - es ist Dein Ernst nicht!«

»Schurke, thu' was ich befohlen, oder ich lasse Dich zu Tode knuten. Hast Du das Schicksal Deines Bruders vergessen? Bei meinem Zorne - gehorche!« Der Kosak kreuzte zitternd die Hände über die Brust, dann beugte er sich nieder, hob den leblosen Körper empor und trat auf die Stufen der Treppe. Der Fürst hinkte, ohne umzuschauen, auf seinen Stock gestützt dem Quai zu. Er war kaum zwanzig Schritt entfernt, als hinter ihm ein plumpendes Geräusch aus dem Wasser herauf klang -

Eine dunkle Gestalt huschte über den finstern Platz -


Am andern Morgen saß Fürst Trubetzkoi am Schreibtisch seines Zimmers im Bahnhofshôtel, einen eben geschriebenen Brief siegelnd.

Der Brief war adressirt an Ihre Durchlaucht, die Fürstin Cäcilie Trubetzkoi. Villa Juliana am Gardasee.

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Der Inhalt lautete:


           »Madame!

    »Ich habe die Ehre Ihnen anzuzeigen, daß in diesem Augenblick so wenig ein Sefer-Bey wie ein Graf Stephan Batthyányi mehr existirt.

    Ich werde mir erlauben, Sie im nächsten Frühjahr in Ihrer reizenden Clausur am Gardasee zu besuchen, um Frau und Kind wieder zu sehen, wenn Sie es nicht vorziehen sollten, zu mir nach Paris zu kommen.
    In einer Stunde reise ich ab nach Kopenhagen und werde nicht ermangeln, sobald ich in Paris wieder eingetroffen bin, Sie davon in Kenntniß zu setzen.

    Madame, ich habe die Ehre, Ihre Hand zu küssen als
           Ihr ergebener Gemahl
                   Iwan Fürst Trubetzkoi.«

Inhalt.

Charlottenburg (Fortsetzung aus dem dritten Band) 5

Vive le Roi! 114

Der Löwentödter 261

Ein Duell in der Wüste 359

Schleswig-Holstein 420


Footnotes:

1 Wir lassen den Brief hier folgen, da er in der That bisher ganz geheim geblieben und nirgends zur Oeffentlichkeit gekommen ist. Er lautet:

2Benedetti hatte mit seinem Protokolltischchen seinen Sitz zwischen dem Grafen Orlow und Lord Cowley.

3Villafranca, II. Band S. 455.

4Sebastopol, IV. Band, Seite 417.

5Arabisches Landgut.

6Zeltbewohner.

7Männliche Strauß.

8Zwei Erndten im Jahr, also zwanzig Jahre.

9Seelchen. Ein russisches Schmeichelwort.

10Leben Sie wohl.




Werke von Sir John Retcliffe

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