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Landes-Arbeitsgemeinschaften - warum nicht?



Abweichende oder weiterführende Stellungnahmen zu dieser Frage sind sehr willkommen, da die folgende Antwort nicht als Abschluß einer Diskussion gedacht ist, sondern als ihr Beginn.


Überblickt man die Aktivitäten der literarischen Gesellschaften, so entdeckt man eine neue Tendenz, die im einleitenden Kapitel des 1995 erschienenen Handbuchs noch nicht registriert wurde. Immer mehr Gesellschaften bemühen sich um eine Zusammenarbeit auf Landesebene, und zwar mit Erfolg.

- In Schleswig-Holstein haben vier Namensgesellschaften 1995 ihre Veranstaltungen in Anlehnung an den dortigen »Musiksommer« zu einem »Literatursommer« gebündelt und auf einem gemeinsamen Plakat angekündigt.

- In Westfalen haben sich sieben literarische Gesellschaften schon im Sommer 1991 zusammengesetzt und ein Jahr später einen Verein gegründet, der nun bei der ALG wegen Mitgliedschaft angefragt hat

- Wie in Niedersachsen 1987der Literaturrat hat sich auch in Sachsen 1995 ein Verband gegründet, der als Dachverband Vereinigungen, Verbände und Institutionen umfaßt, die sich der Pflege und Förderung, der Produktion, Darbietung, Vermittlung und Rezeption von Literatur verschrieben haben.

- In Rheinland-Pfalz haben sich im Herbst 1995 etwa ein Dutzend Gesellschaften bei der Kultusministerin getroffen und einen Gesprächskreis gebildet. Die Vertreter zweier Gesellschaften hatten sofort einen


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e. V. gründen wollen und auch schon einen Satzungsentwurf im Gepäck.

   Warum sollen sich literarische Gesellschaften nicht auch auf Landesebene zusammenschließen? Aber müssen sie dazu gleich einen Verband bilden?

   Sucht man nach den Gründen, so findet man die gleichen Argumente wie in der Mitgliederbroschüre der ALG: »...den Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den Gesellschaften fördern« und »...gemeinsame Interessen gegenüber Ländern und Kommunen vertreten«. Deshalb sollte man sich vor einer Antwort überlegen, wo sich von der Sache her eine Zusammenarbeit auf Bun-desebene und/oder auf Landesebene empfiehlt.

   Zunächst ist allein schon das Zustandekommen eines Gesprächskreises mit Vertretern eines Bundeslandes oder eines Landesverbandes ein Fortschritt. Die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften hatte zwar stets guten Kontakt zum Bundesministerium des Innern, auf dessen Initiative sie gegründet wurde, und konnte sich nach der vorübergehenden Adoption durch die Kulturstiftung der Länder als deren Lieblingskind betrachten, sie erhielt aber eben deshalb von den Bundesländern, wenn man vom Beitrag des Landes Berlin für die Berliner Geschäftsstelle und den Zuschüssen zu den Jahrestagungen absieht, keinerlei Unterstützung. Deshalb sollten auch die Gesellschaften in anderen Bundesländern solche Gespräche suchen, dann aber nicht die Zeit mit einer Vorstellungsrunde vertun wie in Mainz, sondern die Gelegenheit nutzen und ihre dringendsten Anliegen vortragen.

   Sodann lassen sich auf Landesebene viele sinnvolle Formen einer Zusammenarbeit finden, die auch andere Landeseinrichtungen wie Dichtermuseen, Bibliotheken, Verlage oder Schulämter einschließt. Dazu gehören gemeinsame Plakate wie in Schleswig-Holstein oder, wie für Rheinland-Pfalz geplant, die Aufnahme von Veranstaltungen in das Programm des Kultursommers oder, wie Walter Gödden von der ALG Westfalens vorschlug, Bücher und Broschüren über literarische Gesellschaften, literarische Gedenkstätten und Literaturarchive des Bundeslandes oder der Region, Verschickung von Einladungen benachbarter Gesellschaften, Schriftenaustausch, gemeinsame Werbeaktionen, Partnerschaften usw..

   Auch Gemeinschaftsveranstaltungen sind unbedingt zu befürworten, da die beteiligten Gesellschaften ein größeres Publikum erreichen und ihre Mitglieder über den Tellerrand gucken und andere Autoren entdecken. Daß sich hierfür die unmittelbar benachbarte Gesellschaft anbietet, ist aber wohl eher die Ausnahme. Bei den Schwäbischen Dichtern wie Schiller, Hölderlin, Kerner, Uhland und Mörike läge es nahe, daß die ihnen gewidmeten Gesellschaften - warum gibt es immer noch keine Mörike-Gesellschaft? - mit Unterstützung von Marbach eine gemeinsame Tagung oder Wanderausstellung konzipieren, die mit Sicherheit von der ALG und von Baden-Württemberg gefördert würde. Der Bayer Oskar Maria Graf ist aber wohl eher mit den Nordlichtern Döblin und Tucholsky verwandt als mit seinem Landsmann Ludwig Ganghofer. Wenn das Programm keinen inhaltlichen Zusammenhang erkennen läßt, sondern als eine Addition von Einzelveranstaltungen erscheint, wie die Programme der diversen Kultursommer, so verschiebt sich der Akzent nur allzu leicht von Literatur auf Heimat, was wohl kaum im Sinne des Namenspatrons ist.

   Aber wer oder was zwingt literarische Gesellschaften eines Bundeslandes oder einer Region, einen eingetragenen Verein zu gründen? Die ALG unterstützt laut Satzung »literarische Gesellschaften« und nicht deren Verbände. Auch die Länder, Kommunen und Sponsoren dürften lieber überzeugende literarische Projekte fördern als einen Verband.

   Ein Landesverband erscheint mir nicht nur als überflüssig - oder als ein Fall von Vereinsmeierei -, sondern obendrein als hinderlich und kostspielig. Wenn die literarischen Gesellschaften eines Landes sowohl miteinander als auch mit der ALG und den Behörden des Landes kommunizieren, wozu brauchen sie dann eine Vermittlungsinstanz? Wozu soll eine Gesellschaft für ihr Anliegen den Umweg über einen Landesverband nehmen und sich von dessen Zustimmung abhängig machen? Ein funktionierender Landesverband braucht eine Geschäftsstelle, und die kostet Geld. Würde die Geschäftsstelle vom Land bezahlt, so würden diese Mittel bei der Förderung der Gesellschaften und ihrer Projekte fehlen.

   Die literarischen Gesellschaften würden damit den entscheidenden Trumpf aus der Hand geben, den sie heute, da die staatliche Kulturpolitik vielerorts den Bankrott erklärt, gegenüber öffentlichen Einrichtungen wie Literaturhäusern und -büros besitzen, nämlich daß sie aufgrund der ehrenamtlichen Tätigkeit ihrer Mitglieder auch mit kleinen Zuschüssen große Projekte zustandebringen.

   Darum sollten die literarischen Gesellschaften eines Bundeslandes Gesprächskreise bilden, aber nicht Vereine. Sollte jemand argwöhnen, die ALG würde solche Landes-Arbeitsgemeinschaften als Konkurrenz ansehen, so würde ich antworten: Wir sorgen uns vielleicht über die Inaktivität, Provinzialität oder akademische Exklusivität einzelner Mitglieder, aber nicht über Konkurrenz. Wir sehen in den geschilderten Aktivitäten vielmehr eine Chance, die regionale Bedeutung und Resonanz der beteiligten Gesellschaften zu erhöhen. Und wir möchten deshalb im Vorstand für die künftigen Jahrestagungen Programme entwickeln, die auf das literarische Leben und die literarische Tradition des gastgebenden Bundeslandes zugeschnitten sind. So lautet das Thema für das Treffen 1997 in Bad Bertrich: »Literaturskandale in Rheinland-Pfalz«.

Wilhelm Solms


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