//23//

Eine von vielen?



In den sogenannten Ortsvereinigungen der Goethe-Gesellschaft in Weimar beschäftigen sich etwa 10.000 Goethe-Leser, -Liebhaber und -Kenner mit Literatur. Da die Aufgabe der »Mutter«-Gesellschaft vorrangig darin besteht, das Goethe-Jahrbuch herauszugeben und im zweijährigen Turnus die großen Goethe-Tagungen in Weimar zu organisieren, wollten wir wissen, wie sich das literarische Leben in den 50 Ortsvereinigungen abspielt, wer die Mitglieder sind, wie sich die Beziehung zu Weimar gestaltet und anderes mehr. Da sich unseres Wissens auch in anderen literarischen Gesellschaften Ortsverbände oder -vereinigungen bilden oder gebildet haben (Theodor Fontane Gesellschaft, Raabe-Gesellschaft, Ganghofer-Gesellschaft u. a.), stoßen diese Beiträge vielleicht auf größeres Interesse.

CK


Die Ortsvereinigung Bamberg der Goethe-Gesellschaft in Weimar


Bamberg ist gar nicht so weit von Weimar entfernt und dieser Stadt in vielem ähnlich. Schulstadt mit gut 60.000 Einwohnern, mit kleinen, winkeligen Gassen und Gärten, Parks, wunderschönen Anlagen an der Regnitz. Goethes Park an der Ilm könnte mit unserem Hain in Bamberg verwechselt werden. Wissen Sie, daß die Bamberger wegen ihres regen Zwiebelanbaus als »Zwiebeltreter« geneckt werden? Auch das eine Parallele zu Weimar, aber es gibt noch viele andere. Mit ihrer Ortsvereinigung der Goethe-Gesellschaft ist die Stadt ein »Vorgärtlein« der großen Muttergesellschaft in Weimar.

   Die »Ortsvereinigung Bamberg der Goethe-Gesellschaft in Weimar«, wie sie etwas umständlich mit vollem Namen heißt, wurde am 1. April 1962 als eingetragener gemeinnütziger Verein gegründet. Dies war von vornherein nicht nur ein kultureller, sondern auch ein politischer Akt, mit dem die ersten Mitglieder auf den Bau der Mauer im Jahr zuvor reagieren wollten. Es waren gleich zu Beginn 50 eingeschriebene Mitglieder der Muttergesellschaft dabei, Kontakte zu Weimar bestanden schon seit Mitte der 50er Jahre. Doch gerade der Gedanke einer gesamtdeutschen Gesellschaft in unserem nun so entschieden geteilten Land hatte etwas Abenteuerliches. Wir wollten in Weimar dabei sein. Gleichzeitig war es im Gedanken an Goethe immer unser Wunsch, daß die Vereinigung im literarisch nicht so interessierten Westen eine leichte Verführung zur Literatur und zum »guten Ton« sein sollte, besonders mit dem Gedanken an die Jugend.

   Es war eine der ersten Gründungen von Ortsvereinigungen nach 1945, und wir waren stolz darauf, einer nicht nur gesamtdeutschen, sondern auch internationalen Gesellschaft anzugehören. Münchens Ortsvereinigung war bis dahin die einzige in Bayern. Die Bamberger löste die erst vor kurzem neu gegründete Münchner ab und zählt damit zu den ältesten und aktivsten im Süden Deutschlands. Wir blicken nun auf eine über 34jährige wechselvolle Geschichte zurück. Die Arbeit unserer Vereinigung wie auch ihre Zielsetzung war von Anfang an vorgezeichnet: Es galt, das Erbe Goethes zu pflegen und durch Vorträge, Lesungen und andere gesellige und kulturelle Veranstaltungen weiterzugeben. Aber immer blieb es der Herzenswunsch, den Kontakt zu Weimar und den anderen Ortsvereinigungen in der damaligen DDR aufrechtzuerhalten. Kurz, wie es eines unserer Mitglieder 1982 formulierte, mit Grenzüberschreitungen durch Goethe mitzuhelfen, den Eisernen Vorhang zu lüften.

   Das geschah zunächst mit Exkursionen »auf den Spuren Goethes«, vor allem nach Weimar und Umgebung, gelegentlich auch an andere Orte in Sachsen und Thüringen - oder später auf den Spuren Kleists oder Fontanes in die Mark Brandenburg. Durch geschicktes Lavieren zwischen Ost und West hatte es der damalige Präsident der Weimarer Goethe-Gesellschaft, Prof. Wachsmuth, verstanden, die politischen Hemmnisse für Reisen in den Osten Deutschlands zu beseitigen und den Austausch von Programmen, Vorlesungen und kulturellen Veranstaltungen im Rahmen der Goethe-Gesellschaft zu fördern. Dadurch wurde der Grundstein gelegt für den leider recht seltenen deutsch-deutschen menschlichen und kulturellen Kontakt und Gedankenaustausch. Zu unseren jährlichen Reisen in die damalige DDR kam der Austausch von vortragenden Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern aus Ost und West, was sich durch die Gründung der Bamberger Universität und deren Mitarbeit in unserer Vereinigung ab Mitte der 70er Jahre erheblich verstärkte. Die viel zu früh verstorbenen früheren Präsidenten, Prof. Helmut Holtzhauer und Prof. Karl-Heinz Hahn, waren mehrfach Gäste in unserer Stadt. Und was bemerkenswert für die kleine Universitätsstadt Bamberg ist: Zweimal trafen sich hier in der Vergangenheit die Vorsitzenden der deutschen Ortsvereinigungen zur jährlichen Arbeitstagung.

   Außerdem gelang es uns, Gründungen gleichgesinnter Ortsvereinigungen im Westen voranzutreiben - und zwar durch die vielen Nicht-Bamberger, die uns bis heute die Treue bewahren. So kann man


//24//

uns, »Tochtergesellschaft Weimars«, bereits als »Muttergesellschaft« einiger Ortsvereinigungen, besonders in Franken, nennen.

   Seit dem 9. November 1989, dem Fall der Mauer, hat sich freilich auch unser Engagement geändert. Hauptsache kann es nun nicht mehr sein, eine »leibhaftige« Mauer zu durchbrechen, sondern eher die sattsam bekannte ominöse Mauer, die sich in den Köpfen der Bürger des geteilten Deutschland gebildet hat, zu überwinden. Die Kontakte, die Bamberg schon vor dem Mauerfall knüpfte, kamen diesem Vorhaben zugute. Wir haben - quasi eine Tat der ersten Stunde - eine verpflichtende Partnerschaft mit Rudolstadt geschaffen. Wir Bamberger erhoffen uns ebenso guten Kontakt zu anderen gleichgesinnten Vereinen.

   Es gibt keine »elitären« Grundsätze bei uns, unsere Vereinigung, die inzwischen über 200 Mitglieder verfügt, setzt sich aus allen Arbeits- und Berufsgruppen zusammen. Dieses Jahr erschien bereits zum 16. Male unser 100 Seiten starker Jahresbericht, die wichtigste Informationsquelle unserer Mitglieder, um die uns viele Ortsvereingungen beneiden.

   Wir laden alle Gleichgesinnten ein, sich mit uns in Kontakt zu setzen. Wie es der Vorsitzende der Rudolstädter Ortsvereinigung, Hans Günther Otto, zum 30. Jubiläum der Bamberger ausgedrückt hat: »Unsere Partnerschaftsbeziehungen bestehen zwar erst knapp 3 Jahre ..., aber seitdem haben wir diese Partnerschaft durch Besuche und Gegenbesuche durch private Kontakte, die bis zu Freundschaften wurden, gepflegt und so soll es bleiben ..«

Ernst Schneider (Vorsitzender der Ortsvereinigung)


Die »Goethe-Gesellschaft Eisenach e.V.«
Ortsvereinigung der internationalen Goethe-Gesellschaft in Weimar


Nach Weimar, Jena und Ilmenau ist Eisenach die vierte Stadt in Thüringen, in der Goethe bei seinen häufigen Besuchen zu kreativem Schaffen angeregt wurde und als Mitglied des »Geheimen Conseils« für bessere Lebensverhältnisse der städtischen und ländlichen Bevölkerung sorgte.

   Es gab und gibt deshalb genug Grund, des genialen Dichters und universalen Menschen in Eisenach besonders zu gedenken, sein auf die nachfolgenden Generationen überkommenes Erbe einfühlsam zu pflegen. Im Goethe-Jahrbuch 1947 wird berichtet, daß im Herbst 1944 in Eisenach erstmals eine »Ortsgruppe« der Goethe-Gesellschaft gegründet worden sei. Diese Gemeinschaft von Goethefreunden bestand jedoch nur drei Jahre. Als 1948 der Schauspieler Friedewald Berg nach Eisenach kam, begann durch ihn die systematische Pflege des Goethe-Erbes. Er begründete mit einer »Faust«-Matinee am Ostermontag 1949 eine Tradition, die seitdem bewahrt werden konnte. Von Jahr zu Jahr steigerte sich die Beliebtheit dieser Matinee, in der alternierend aus »Faust I« und »Faust II« rezitiert wird. Aus nah und fern zieht sie Besucher an. Doch bei dieser Matinee ließ es Friedewald Berg nicht bewenden. Nach dem Vorbild in Weimar wird jährlich am Sonntag nach dem 28. August eine musikalisch-literarische »Geburtstagsfeier« gestaltet. Im September 1978 gründete Friedewald Berg die Ortsvereinigung in Eisenach. Sein Anliegen war es seitdem, das Goethe-Erbe umfassend einem großen Kreis interessierter Menschen in Vorträgen, Gesprächen, Gedenkveranstaltungen und auf Exkursionen nahezubringen. Es würde zu weit führen, hier auf alle Themen einzugehen, die in den Jahren seit 1978 von Referenten mit profunden Kenntnissen, oft von namhaften Wissenschaftlern, vor einem für Goethe und die klassische deutsche Literatur interessierten Kreis ausgebreitet worden sind. Viele Veranstaltungen prägte die Persönlichkeit Friedewald Bergs, der in hoher Sprachkultur, stimmgewaltig und mit ausgewogener Gestik, nicht nur die unerschöpflichen Werke Goethes, sondern auch das humanistische Gedankengut der Welt1iteratur weitergab.

   Nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit wurde für die Ortsvereinigung die Eintragung als selbständiger Verein notwendig. Mit diesem Ziel gründete sich die Ortsvereinigung im Mai 1992 neu, gab sich eine Satzung und führte die durch Friedewald Berg zum festen Bestandteil des Eisenacher Kulturlebens gewordenen literarischen Veranstaltungen fort.

   Eines der Ziele der Goethe-Gesellschaft in Weimar und ihrer 50 Ortsvereingungen ist es, Wesen und Werk Goethes den Menschen zu vermitteln, seine Bedeutung für die Gegenwart aufzuzeigen und damit jedem eine hilfreiche Lebensorientierung zu geben. Ganz allgemein sollen Kunst, Literatur und Forschung im Geist Goethes gepflegt und gefördert werden. Zu diesem Zweck werden in Eisenach vorwiegend monatliche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Jährlich wird eine Studienfahrt unternommen, die zu Aufenthaltorten und Wirkungsstätten Goethes führt, die neue Kenntnisse über sein Werk, über ihn als Dichter und Mensch in den verschiedenen Lebensphasen vermittelt, die als ein geselliger Höhepunkt von den Mitgliedern der Ortsvereinigung geschätzt wird. Auf diese Weise lernten die Goethe-freunde, nach Jena, den Dornburger Schlössern, Ilmenau und Großkochberg, in den vergangenen fünf Jahren auch Ham-


//25//

burg, Frankfurt, Wetzlar, Straßburg, den Rheingau und Düsseldorf kennen.

   Den Auftakt für Studienreisen in die zuvor nicht zugänglichen Bundesländer bildete im Oktober 1990 eine Einladung nach Hamburg, zu dessen Ortsvereinigung bereits seit 1987 freundschaftliche Kontakte bestanden. Die dortigen Goethefreunde übernahmen die Patenschaft für Eisenach und leisteten auf diese Weise eine wertvolle Hi1fe bei der Neugründung der Ortsvereinigung als selbständiger Verein.

   Auftrieb und Bereicherung erfuhr die Ortsvereinigung insbesondere dadurch, daß nach Überwindung der deutschen Teilung Wissenschaftler und Vorsitzende von Ortsvereinigungen aus den bisherigen Bundesländern als Referenten nach Eisenach kamen und tatkräftige Unterstützung in vieler Hinsicht leisteten. lhnen ist dafür herzlich zu danken.

   Wie in allen Ortsvereinigungen der Goethe-Gesellschaft, so bemüht man sich auch in Eisenach, junge Menschen mit dem geistigen Reichtum der klassischen Zeit vertraut zu machen. Neue Wege werden beschritten, indem die Ortsvereinigung Schülern der oberen Gymnasialklassen Gelegenheit bietet, mit eigenen Darbietungen aus Werken der deutschen Klassik vor die Öffentlichkeit zu treten, indem sie Projektgruppen in den Schulen mit Rat und Tat unterstützt. Die lebendige Auseinandersetzung mit dem Werk Goethes und der Klassiker allgemein möge auch die Heranwachsenden zur Erkenntnis führen, daß zu einem sinnvollen Leben mehr gehört, als das Streben nach materiellen Werten und anspruchslosem Zeitvertreib.

Volkmar Schumann (Vorsitzender)


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Mitteilungen der ALG

Titelseite ALG

Impressum Datenschutz