//27//

Literatur von Nebenan

Autorenportraits aus dem heutigen Nordrhein-Westfalen 1900-1945



Es könnte ungefähr so gewesen sein: Bernd Kortländer (Friedrich-Spee-Gesellschaft Düsseldorf) trifft Michael Vogt (Forum Vormärz Forschung), dazu gesellt sich Joseph A. Kruse (Heinrich-Heine-Gesellschaft), vielleicht auch noch Lothar Jordan (Literaturverein Münster) und Walter Gödden (ALG Westfalen), und wie das bei diesen Menschen ist, die sich in Literaturgesellschaften engagieren, sind sie in der Regel nicht nur an der Literatur des jeweiligen Namenspatrons interessiert, sondern an der Literatur überhaupt. Da könnte sich im Gespräch herausgestellt haben, daß es auf dem Gebiet Nordrhein-Westfalens eine große Zahl an Schriftstellern gegeben hat, die in Vergessenheit geraten sind. Und vielleicht sind bei einem Glas Bier die ersten Ideen und Gedanken zu einem gemeinsamen Projekt entstanden. Zudem existiert da noch ein Literaturbüro NRW, und die Initiatoren wissen aus ihrer langjährigen Arbeit in den literarischen Gesellschaften, bei welchen Stellen man um eine Förderung für dieses Projekt bitten muß. Und so kann man sich mit finanzieller Unterstützung des Kultusministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen und der Nordrhein-Westfalen-Stiftung an die Verwirklichung dieses Projektes machen.

   Entstanden ist dabei der seit Ende 1995 im Aisthesis-Verlag vorliegende Band »Literatur von nebenan 1900-1945. 60 Portraits von Autoren aus dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen«. So hätte sich auf eine Weise schon verwirklicht, was Wilhelm Solms, der Vorstandssprecher der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften, in seinem Artikel in diesem Heft der »Mitteilungen« (S. 3 bis 4) an Zusammenarbeit auf regionaler Ebene einfordert. Es könnte so gewesen sein... Und selbst, wenn dies nicht so war, handelt es sich hierbei um ein nachahmenswertes Beispiel.

   Nach einem einführenden Essay von Bernd Kortländer, dem Herausgeber des Bandes, werden 60 Autoren vorgestellt, die bis auf wenige Ausnahmen einer breiteren Bevölkerungsschicht weitgehend unbekannt sein dürften. Die Auswahlkriterien werden in der Einführung ausführlich dargestellt. Ziel war es, »die bunte Vielfalt an Stoffen und Inhalten, Formen und Techniken vorzustellen, die von Autoren, die auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen geboren wurden oder gelebt haben und vorwiegend zwischen 1900 und 1945 publizierten, erfunden, bearbeitet, eingesetzt, ausprobiert wurden, und die sich eben ganz und gar nicht darin erschöpft, die tausendjährigen Klischees vom Rheinischen und Westfälischen abzubilden...« Das Buch will mit seiner Auswahl an Autoren an »Traditionslinien anknüpfen«, dabei wird gleichzeitig reflektiert, daß Literaturgeschichte keinesfalls eine objektive, sondern eine von unseren »Interessen und Vorlieben, Wünschen und Absichten, Träumen und Vorstellungen« geprägte Betrachtungsweise ist.

   Die Beiträge zu den 60 Autoren gliedern sich jeweils in einen kurzen Lebenslauf, Literaturhinweisen (wobei dankenswerterweise auch die Sekundärliteratur mitaufgenommen wurde), einem kurzen Essay sowie einem Textbeispiel. Für den Leser erhält der Band durch die Beschränkung der Hauptwerke zwischen 1900 und 1945 eine (gewollt?) politische Brisanz.

   Da man weder »generell feststellen [kann], wie die Region Autoren geprägt hat, geschweige denn empirisch belegen, auf welche Weise sich solche möglichen Prägungen im Werk niederschlagen«, handelt es sich bei diesem Lesebuch auch nicht um den Versuch einer Aufwertung des Regionalen in einem patriotischen Sinne, sondern vielmehr um die Widerlegung vorhandener Klischees. Die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der dargestellten Autoren spricht dabei für sich.

Christiane Kussin


Literatur von nebenan: 1900-1945. 60 Portraits von Autoren aus dem heutigen Nordrhein-Westfalen. Hrsg. von Bernd Kortländer. Bielefeld: Aisthesis Verlag 1995


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Mitteilungen der ALG

Titelseite ALG

Impressum Datenschutz