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Ein Fossil aus besseren Radiotagen

»Studio LCB(r) - Eine Kooperation von Literarischem Colloquium Berlin und Deutschlandfunk



Guten Abend meine Damen und Herren, hier im Saal des Literarischen Colloquiums am Wannsee und an den Rundfunkgeräten. Ich begrüße Sie zu Studio LCB, heute mit..."

    So, oder so ähnlich, begrüßt Hajo Steinert einmal im Monat, seit nunmehr sieben Jahren, die Hörer des Deutschlandfunks und die Gäste im großen Veranstaltungssaal des Literarischen Colloquiums Berlin.

    Nur wer schon einmal eine Literaturveranstaltung ersonnen hat, weiß, wie schwierig das sein kann. Als sich der Literaturredakteur des Deutschlandsfunks, Hajo Steinert, und der Geschäftsleiter des Literarischen Colloquiums Berlin, Ulrich Janetzki, im Sommer 1990 das »Studio LCB« ausdachten, konnten sie weder ahnen, daß sich die Sendung so viele Jahre würde halten können, noch daß sie sich zu einer der beliebtesten deutschen Literatursendungen im Rundfunk entwickeln würde.


Studio LCB November 1990 - v.l.n.r.: Jurek Becker, Hajo Steinert, Volker Hage, Martin Walser

(Foto: Renate von Mangoldt)

    Die Ausgangsbedingungen waren und sind günstig: Das Literarische Colloquium Berlin, seit nunmehr über dreißig Jahren eine der profiliertesten Einrichtungen der Literaturvermittlung in der Bundesrepublik, und der Kölner Deutschlandfunk, der Radiosender in Deutschland mit der größten Reichweite, stellen zusammen einmal im Monat einen Autor mit seinen neuen zumeist unveröffentlichten Texten und im Gespräch vor. Gesprächspartner sind Kritiker oder Verleger, Dichterfreunde oder Dichterfeinde, Literaturwissenschaftler oder Journalisten.

    Am 23. Oktober 1990 war Premiere: Hans Joachim Schädlich las aus dem Manuskript seines Schott-Romans. Moderiert von Hajo Steinert waren die Lyriker Jürgen Becker und Günter Kunert Gesprächspartner. Zum Auftakt sollte deutlich werden, daß man sich viel vorgenommen hatte. Ein früher Höhepunkt der Sendereihe war der Abend mit Martin Walser, der sich am 5. November 1990 mit Jurek Becker über das deutsche Nationalbewußtsein stritt. Natürlich drängte in den Anfangszeiten immer wieder die Politik in das Zentrum der Diskussio-


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Péter Nádas             Foto: Renate von Mangoldt

nen, schließlich begann die Reihe 20 Tage nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Politische Inhalte sind bis heute kein Tabu, aber hauptsächlich werden literarische Fragen angesprochen.

    Heute liest sich die Liste der Gäste im »Studio LCB« wie ein Gotha der deutschen und internationalen Gegenwartsliteratur. So bekannte Name wie Günter Grass und Jurek Becker, Sarah Kirsch und Ilse Aichinger, Reinhard Lettau und Peter Rühmkorf, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker waren zu Gast am Wannsee. Bis zu dreihundert Zuhörer pilgern zu den öffentlichen Aufzeichnungen und sorgen für die notwendige Atmosphäre. Aber auch wenn Junge und Jüngere lesen, sind die Sesselreihen im Colloquium immer gut gefüllt.

    Denn nicht nur arrivierte Autoren werden in das »Studio LCB« eingeladen, sondern gerade auch interessanten, noch zu entdeckenden Autoren soll durch diese Reihe ein Podium geschaffen werden. So lasen Burkhard Spinnen, Thomas Kling, Peter Wawerzinek; oder Peter Weber erzählte wie er das Manuskript seines sehr erfolgreichen Debüts »Der Wettermacher« auf dem Weg zum Verlag im Taxi vergaß und wie er es dann doch wiederbekam. Als Durs Grünbein am 4. Juni 1993 aus seinen Gedichten las, konnte noch keiner wissen, daß er der jüngsteBüchnerpreisträger seit Hans Magnus Enzensberger und Peter Handke werden sollte.

    Am 26. April 1992 gab es eine kleine Premiere: mit Péter Nádas wurde der erste nicht deutschschreibende Autor am Wannsee vorgestellt. Ihm folgten Pavel Kohout, Lars Gustafsson, Harry Mulisch, Aleksandar Tisma, A.F.Th. van der Heijden und zuletzt, gerade eben im Januar 1997, Cees Nooteboom, der zusammen mit Rüdiger Safranski auftrat.

    Die Konzeption der Reihe hat sich im Laufe der Jahre nicht geändert. Aber seit 1995 moderiert Hajo Steinert nicht mehr jede Sendung, er wechselt sich mit Hubert Winkels ab, und von 1997 an wird auch Denis Scheck vom Deutschlandfunk vier Sendungen pro Jahr übernehmen.

    Aber die eigentliche Überraschung bleibt, daß in einer Zeit, in der die privaten Radioanstalten so sehr die Hörgewohnheiten bestimmen, und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten glauben, sich mit ihren Programmen bis zur Ununterscheidbarkeit jenen der privaten Konkurrenz anpassen zu müssen, daß in so einer Zeit, in der eine Sendung wie »Studio LCB« eigentlich wie ein Fossil aus längst vergangenen besseren Radiotagen wirken müßte, die Sendereihe so erfolgreich ist. Mit fast zwei Stunden Sendezeit, die nicht von Musik unterbrochen wird, ist     Studio LCB« die längste Literatursendung im deutschsprachigen Raum. Monat für Monat erreicht sie Hunderttausende von Hörern im ganzen Bundesgebiet und im angrenzenden Ausland. Der Deutschlandfunk überträgt jeweils am letzten Sonnabend im Monat die weitgehend ungeschnittene Aufzeichnug der Veranstaltung von 20.05 bis 22 Uhr (Frequenzen siehe nebenstehende Graphik).

    Wer jetzt neugierig geworden ist, ist herzlich willkommen: Die nächsten Sendungen werden am 24. März mit Imre Kértesz und am 22. April mit Robert Gernhardt aufgezeichnet (LCB, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin, Eintritt frei) und am Sonnabend, den 29. März bzw. den 26. April übertragen.

Thomas Geiger


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