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So etwas wie ein Immermann-Jahr

Am 24. April 1996 jährte sich Carl Leberecht Immermanns Geburtstag zum Zweihundertsten Mal



»Ich habe den Tag ganz solo in meiner Markthöhle zugebracht, und mich nur gegen Abend durch einen Spazirgang in die hier jetzt recht freundlich grüne Natur gestärkt«, berichtet Carl Immermann von seinem vierundzwanzigsten Geburtstag; ein Jahr später heißt es in einem Brief an die Mutter: »Wir begingen meinen Geburtstag ganz still«. Der 200. Geburtstag des Dichters wurde da schon etwas aufwendiger und länger gefeiert.

   Feierlich begann es mit einem Festakt im Magdeburger Rathaus, durch den der Dichter am 24. April von seiner Heimatstadt geehrt wurde. Besondere Breitenwirkung konnte sodann eine Ausstellung erreichen, die es von April bis Oktober 1996 in Magdeburg und anderen »Immermann-Städten« - Düsseldorf, Münster und Detmold - zu sehen gab. Die Ausstellung, die von der Immermann-Gesellschaft konzipiert und realisiert wurde, ließ die Lebens- und Wirkungsgeschichte des Dichters anhand von zahlreichen und sorgfältig präsentierten Exponaten anschaulich werden: So waren Handschriften, Bildnisse und Drucke Immermanns zu sehen, aber auch persönliche Erinnerungsstücke wie eine Totenmaske, eine Locke oder der Schreibtisch des Dichters nebst Zeugnissen aus Schul- und Berufszeit. Besonderer Wert wurde hier auf die weitgespannten Kontakte Immermanns gelegt, die in Exponaten zu Freunden und Weggefährten in Erinnerung gerufen wurden. (Einige Exemplare der Begleithefte zur Ausstellung sind noch bei der Immermann-Gesellschaft Magdeburg, Thiemstraße 7, erhältlich.) Aber auch andere Veranstaltungen boten den Immermann-Freunden Gelegenheit, sich mit dem Dichter zu beschäftigen; dabei ist es besonders erfreulich, daß Immermann oftmals selbst zu Wort kam, etwa beim »musikalisch-literarischen Frühschoppen« im Magdeburger Theater oder bei der Aufführung eines Immermann-Lustspieles, der »Schelmischen Gräfin« von 1825, im Literaturhaus der Stadt am 26. April 1996. Eine Exkursion af den Spuren Immermanns war ebenfalls Bestandteil der Veranstaltungsreihe. Sicherlich trug auch die Einweihung des Immermann-Brunnens in Magdeburg am 8. Mai 1996 dazu bei, den Dichter wieder ein wenig stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken.

Carl Leberecht Immermann
Carl Leberecht Immermann

   »Gestern abend erfuhr ich ganz zufällig den Tod von Immermann. Ich habe die ganze Nacht durchgeweint. Welch ein Unglück. Sie wissen welche Bedeutung Immermann für mich hatte, dieser alte Waffenbruder, mit welchem ich zu gleicher Zeit in der Literatur aufgetreten, gleichsam Arm in Arm! Welch einen großen Dichter haben wir Deutschen verloren ohne ihn jemals recht gekannt zu haben!« Die Totenklage von Heinrich Heine um Karl Immermann benennt einen Zustand, an dem sich bis heute kaum etwas geändert hat: Der Autor ist nie wirklich bekannt oder gar populär gewesen, weder bei seinen Zeitgenossen noch bei den Nachfahren. Seine Werke sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Buchhandel nicht vorhanden. Dabei wurden immer wieder Versuche unternommen, dem Autor eine gesteigerte Rezeption zu verschaffen, sei es in der Literaturwissenschaft, sei es bei den übrigen Lesern. Diese Bemühungen gingen bis zu Umschreibungen und Verstümme-lungen; Immermanns letzter Roman »Münchhausen« mußte sich eine Halbierung gefallen lassen, um so, aller satirischen Teile entkleidet, als harmlose Dorfgeschichte unter dem Titel »Der Oberhof« zu einer gewissen Verbreitung zu gelangen.

   In den letzten Jahren hat niemand mehr für die Bekanntheit Immermanns getan als der Braunschweiger Literaturwissenschaftler und Präsident der Immermann-Gesellschaft, Peter Hasubek. Er gab die Romane »Die Epigonen« und »Münchhausen« neu heraus, außerdem die Tagebücher und als wichtigste Edition die Briefe des Autors mit einem umfangreichen Kommentar. So ist es möglich, sich ein sehr viel genaueres Bild über die Lebensumstände, aber auch über die Entstehungsgeschichte der Werke Immermanns zu verschaffen. Schon die Vielzahl von Briefzitaten in seither erschienenen Arbeiten zu Immermann belegt die Bedeutung dieser Edition.

   Das von der Immermann-Gesellschaft veranstaltete wissenschaftliche Kolloquium, das im Rahmen der Geburtstagsfeierlichkeiten vom 24. bis zum 26. April 1996 in Magdeburg stattfand, konnte das inzwischen etwas gestiegene Interesse der Forschung an Immermann deutlich machen. Das Motto der Veranstaltung: »Immermann und seine Zeit - Immermann und die Folgen« wurde in den insgesamt 12 Vorträgen eingelöst, die sich dem Werk Immermanns und der Rezeptionsgeschichte auf unterschiedliche Weise


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näherten. Das Interesse reichte weit über die Grenzen Magdeburgs hinaus: Wissenschaftler aus Europa, Amerika und Asien fanden sich zu dem öffentlichen Austausch über Immermann ein. Annäherungen an das Werk des Dichters waren nicht nur von germanistischer, sondern auch etwa von juristischer oder kunsthistorischer Seite zu verzeichnen. Der Tagungsband, der im Peter Lang Verlag erschienen ist und vor einigen Wochen ausgeliefert wurde, dokumentiert diese interdisziplinären Bemühungen auf eindrucksvolle Weise.

   Ob der Dichter mit all den Ehrungen einverstanden gewesen wäre, sei dahingestellt; in einem Brief aus dem Jahre 1822 schreibt der nunmehr Sechsundzwanzigjährige: »Ich habe den Tag sehr froh, meistens in der freien Natur, Nachmittags an der Werse in Pröbstingen verlebt. Es ist der froheste Geburtstag meines Lebens gewesen.«

Tilman Spreckelsen / zax


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