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Das Krupp’sche Etablissement.

Die Eisen-Industrie, die noch vor wenig Jahrzehnten in Deutschland ziemlich primitiv vertreten war, hat einen so gewaltigen Aufschwung genommen, daß man den Göthe’schen Vers auf [aus] „Faust“ mit einiger Umschreibung anwenden kann.

„’s ist Deutschland’s Stolz; das Ausland fangt

Schon sachte an uns zu beneiden.“

An der Spitze steht aber jedenfalls das einzig in seiner Art dastehende Etablissement von F. Krupp in Essen. Dasselbe wurde von Friedrich Krupp gegründet, umfaßt jetzt einen Flächenraum von über 400 Hektaren und beschäftigt in Gruben, Fabriken etc. gegen 20,000 Menschen, die von 730 Beamten geleitet und beaufsichtigt werden. Die Hauptmasse der Fabrikate bilden die zum Eisenbahnbau und Betrieb erforderlichen Artikel, während die Geschützanfertigung nur den kleineren Theil der Gesammtthätigkeit in Anspruch nimmt.

Um den in so verschiedener Richtung gestellten Anforderungen entsprechen zu können, ist zur Gewinnung des Rohmaterials eine Bergwerksverwaltung in Funktion, die sich über 416 Eisengruben, mit einem Eisenfelde von mehr als 2,000,000 Quadrat-Meter Ausdehnung, erstreckt. Die 5 Hütten und 11 Hochöfen fördern jährlich gegen 140,000,000 Kilo Roheisen, aus welchen z. B. im 1872 allein 125,000,000 Kilo Gußstahl fabrizirt wurden. Den Arbeitsbetrieb vermitteln 920 Schmelzöfen, 307 Dampfkessel, 71 Dampfhämmer und 286 Dampfmaschinen. In denselben werden jährlich 625 Millionen Kilo Feuerung verbraucht, was jede Minute ca. 16 Centner beträgt. Eine über 7 Meilen lange Eisenbahnlinie durchzieht die einzelnen Theile des Etablissements und verkehren auf derselben täglich 15 Locomotiven mit 800 Wagen.

Eine Feuerwehr von 100 und ein Wachtpersonal von 200 Mann haben den Sicherheitsdienst zu versehen.

Auch Einrichtungen socialer Art, zum Besten des Arbeiterpersonals, zeichnen sich durch Fürsorge und reiche Ausstattung aus. Neben geräumigen, gesunden Wohnhäusern, sieht man Dampfmühlen, Bäckereien, Brauereien und gemeinnützige, corporative Anstalten, wie Pensions-, Unterstützungs-, Kranken-, Sterbekasse, Consumvereine mit 3,000,000 Mark jährlicher Einnahme.

Die Arbeit der Krupp’schen Werkstätten umfaßt die Erzeugung von Cement-, Bessemer und Puddelstahl. Aus dem Letzteren wird durch Mischung, welche Geheimniß der Fabrik ist, der Gußstahl für Kanonen hergestellt. Die dem Krupp’schen Gußstahl in hervorragendem Maße innewohnende Eigenschaft ist ungemein große Haltbarkeit. Er widersteht den Einwirkungen der Stichflamme und es kann bei Geschützröhren auch dem schwächeren Lauf durch das Aufziehen von Stahlringen jene Sicherheit gegeben werden, die der Bronze eigen ist.

Die zu den Kanonen bestimmten Gußstahlblöcke werden nach ihrer erfolgten Schmelzung, welche in großen Tiegeln

stattfindet, noch im Zustande des Rothglühens unter die Dampfhämmer gebracht und einer gewaltigen Hämmerung unterworfen, die ihnen das bekannte feinkörnige Gefüge verleiht. Auf der Pariser Ausstellung im Jahre 1867 producirte die Krupp’sche Fabrik eine bis dahin als Maximum angesehene Leistung in der Vorführung eines 40,000 Kilo wiegenden Blockes. Sechs Jahre später war es jedoch gelungen, auf der Wiener Ausstellung einen 52,000 Kilo schweren Stahlblock darzustellen. Derselbe, ursprünglich in cylindrischer Form gegossen, wurde mittelst eines gewaltigen Dampfhammers geschmiedet und so in seine Form gebracht.

Das auch Amerika durch die im vorigen Jahre in Philadelphia ausgestellten Krupp’schen Fabrikate in Verwunderung gesetzt wurde, ist bereits bekannt. Gewaltiges Aufsehen erregte dort die Krupp’sche Riesenkanone, deren Rohr, bei einer Länge von 262/3 Fuß, 126,500 Pfund, mit Lafette aber 210,300 Pfund wog. Das Gewicht der Geschosse und Pulverladungen beträgt bei diesem Koloß:

Stahlgranate
 . . . . 1123
Pfd.
mit
275
Pfd.
Pulver.
Hartgußgranate
 . . . 1153
275
Gußeiserne Zünder-Granate
902
242

Das für Küstenvertheidigung bestimmte Geschütz hat eine ungeheure Tragweite und seine Geschosse, welche eine Anfangsgeschwindigkeit von 1500 Fuß pro Secunde haben, sind im Stande, auf weite Entfernung eine eiserne Panzerplatte von 48 Centimeter Stärke zu durchbohren.

Die Vervollkommnungen, zu welchen die von Krupp ausgebildete und weiter entwickelte Technik führte, haben einen großen Einfluß auf das Geschützwesen gehabt. Hatte auch bereits der Feldzug von 1859 in Italien der gezogenen Kanone Geltung verschafft, so blieben diese doch in Bezug auf größere Tragweite, Präcision, Beweglichkeit, Rasanz der Flugbahn weit hinter den Krupp’schen Kanonen zurück und ihm bleibt der Ruhm, das zweckmäßigste und leistungsfähigste Artillerie-Material geschaffen zu haben.

Als Resultat desselben kann man die Thatsache bezeichnen, daß die Krupp’schen Kanonen nicht nur die englischen Schmiedeeisernen verdrängt haben, sondern auch in den meisten Europäischen wie überseeischen Staaten eingeführt sind.

Das Charakteristische an den Krupp’schen Kanonen ist, daß sie durchweg Hinterlader mit sogenanntem Rundkeilverschluß sind. Die großen Kaliber bestehen aus einer stählernen von zwei bis drei Ringen umsäumten Kernröhre, die kleineren dagegen wurden aus einem Kernstück hergestellt; jedoch auch diese sind in der letzten Zeit mit Ringen umzogen worden, um ihre Widerstandsfähigkeit mit Rücksicht auf die durch weite Entfernungen sich nöthig machende Erhöhung der Pulverladung zu erhöhen.

Neben der Erzeugung der Geschütze, ist es auch die Anfertigung der dazu gehörigen, eigenthümlichen Geschosse, welche einen wichtigen Zweig der Essener Industrie bilden. Unter denselben nehmen die Stahlgranaten zum Kampf gegen Panzer-Deckungen -

Panzer-Deckungen eine hervorragende Stelle ein. Ihre Herstellung und Zusammensetzung ist ein Geheimniß der Erfinder.

Krupp hat das Verdienst, den Gebrauch des Gußstahles auf Gebiete ausgedehnt zu haben, auf welchen er bisher als Arbeits-Material unbekannt war. Durch die Richtung, welche er der von ihm geleiteten Industrie gegeben, sowie durch die

vorzügliche Qualität der Erzeugnisse, hat er sein Etablissement zu einer Hauptstätte deutschen Gewerbefleißes gemacht und wie Tausende von Arbeitern seinen Namen segnen, so erndet er auch die wohlverdiente Anerkennung und Auszeichnung der höchsten Fürsten und Würdenträger in und außer Europa.