Karl May:
Brief an Euchar Albrecht Schmid
vom 17.04.1907

Quelle: 25 Jahre Schaffen am Werke Karl May's. Radebeul 1938, S.11.
Standort: Vermutlich Archiv des Karl-May-Verlages, Bamberg



Brieftext:

"VILLA SHATTERHAND
RADEBEUL-DRESDEN d. 17./4. 7.

Mein lieber, junger Freund!

   Ihr Brief hat mir aufrichtige Freude bereitet. Ich danke Ihnen herzlich, auch für die übersandte Nummer der Literarischen Beilage.

   Meine "Geographischen Predigten" sind vollständig vergriffen. Sie hatten für damals einen Zweck, aber jetzt nicht mehr. Mein letztes Exemplar habe ich verborgt und bemühe mich vergeblich, es wieder zu bekommen.

   Surcouf habe ich geschrieben, doch ist mir diese kleine Arbeit sehr miß braucht worden.

   Der zweite Band von "Am Jenseits"


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wird unter dem Titel "Im Jenseits sofort erscheinen, wenn ich sehe, daß der erste Band verstanden worden ist.

   Mit W. Welikoff und der "Erbin des [.. ?]" habe ich nichts zu thun.

   Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß ich mit dem "Herzle" einmal nach der fränkischen Schweiz komme und Sie einlade, sich uns anzuschließen. Wir möchten Ihnen gerne zeigen, daß Sie keinem Undankbaren in schlimmen Zeiten treu geblieben sind.

   Ihre Kritik meines "Babel und Bibel" ist eine sehr lobenswerthe kleine Arbeit. Natürlich können Sie in Ihren jungen Jahren noch nicht so viel gesehen, so viel gelitten und so viel nachgedacht haben, um sich in meiner Weltanschauung sofort zurecht zu finden, aber es wird die


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Zeit kommen, in der Sie deutlich sehen, was ich will. Sie nennen den Unterschied, den ich zwischen Geist und Seele aufstelle, seltsam. Haben denn auch Sie angenommen, daß beide Eines sind? Sonderbar! Zwei so verschiedene Worte bezeichnen doch nie Dasselbe, am aller wenigsten mit den beiden Artikeln der und die! Können der Glaube und die Liebe identisch sein? Haben Sie noch nicht gewußt, daß die Wissenschaft verkehrte Wege gegangen ist, seit sie "Geist" und "Seele" [.. ?]? Nur aus diesem einen Grunde steht sie mit der Religion in Conflict. Die Zeit, die uns die verloren gegangene Erkenntniß des Menschengeistes und der Menschenseele wiedergiebt, wird auch die Aussöhnung zwischen "Glauben" und "Wissen" vollenden. Und diese Zeit scheint nahe zu sein. Wir alle arbeiten auf sie zu, auch Sie


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und auch Arno von Walden. Ueberhaupt ist in Süddeutschland jetzt eine junge, heilig strebende Literatur erstanden, welche sicher steigen und höher fliegen und Größeres erreichen wird, als sie selbst wohl ahnt.

Ich alter Mann ziehe gern meinen Hut vor ihr!

   Die Seele ist das Weichste und der Geist das Härteste, was es geben kann. Die beste Quelle, beide zu studieren, ist die heilige Schrift, die sie stets trennt und nie mals mit einander verwechselt (Lucas 1, 46-47). Nach Geist und Seele zu suchen und das, was ich finde, wiederzu geben, ist mein Lebenswerk.

   Das "Herzle" grüßt. Sie gefallen ihr, und ich bin so plauderhaft, es Ihnen zu sagen.

   Ihr
   alter, dankbarer
   Karl May.



Karl Mays Korrespondenz


Volker Griese: Karl Mays Korrespondenz (SoKMG 102)


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