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Der Gichtmüller.

Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May.

I.

„Horch, wie die Tannen rauschen und das Strauchwerk so lind und heimlich flüstert! Da unten im Grunde hör’ ich den Bach vom Felsen springen; er kennt noch immer das alte Lied, welches er mir so oft vorgesungen hat. Der Specht klopft an die hohen Stämme, um sich sein Frühstück zu suchen, und der Fink schlägt in den Wipfeln. Da drüben vom Schlag her ertönt die Axt der Abholzer, und in der Tiefe knarrt der Wagen, der Moos und Streu nach Haus’ bringt. Das sind Stimmen und Töne, die man nimmer vergißt im fremden Lande und die alles Heimweh heilen, sobald man sie wieder vernimmt. Wie freundlich fließt und klettert das Licht um die Zweige, und wie wohlig dringt der Athem in die Brust! Daheim ist’s doch am schönsten; ich komm’ nie wieder fort!“

Der, welcher mit glücklichem Ausdrucke im Gesichte diese Worte vor sich hin sprach, war ein junger Mann, dem der umfangreiche Ranzen auf dem Rücken und der derbe Knotenstock in der Hand nicht schwer zu fallen schien. Er strich langsam den schmalen Waldweg dahin, welcher hinunter zu den Mühlen und von da weiter nach dem Dorfe führte, und schien wenig Eile zu haben, denn er hemmte sehr oft den zögernden Schritt, um jeden neuen Ausblick, den eine Krümmung des Pfades ihm bot, bedachtsam zu genießen. Unten am Wasser angekommen, bog er sich nieder und schöpfte mit der Hand von dem klaren, kühlen Naß, von dem er durstig schlürfte.

„Ja, das ist ein Trunk, wie man ihn nur auf den Bergen haben kann; er giebt Gesundheit und Kraft und macht so froh und munter, wie der Quell ist, der ihn spendet. Ich bin fast träg’ geworden von dem schweren Wasser, das sich so trübselig und langsam durch das Unterland schleicht. Hier hüpft und springt und schießt es vorwärts, als ob es gar viel zu thun und zu schaffen hätt’, und ich will nun auch besser ausschreiten, damit ich bald meine Heimstätte seh’!“

Er folgte rüstig dem Laufe des Baches, bis dieser sich in einen Teich ergoß, welcher fast die ganze Breite des Thales einnahm und von einem hohen Damme gehalten wurde, der die wanderlustigen Wellen zu einem kurzen Aufenthalte zwang. Er

war mit dichtem Gesträuche bewachsen, und wer zu der Obermühle, welche hinter ihm lag, gelangen wollte, der mußte eine steile Böschung überwinden, welche so unzugänglich wie möglich gehalten war. Der eigentliche Weg begann erst von der Mühle thalabwärts, und Klaus, der Obermüller, duldete es nicht gern, daß Unberechtigte den zu seiner Besitzung gehörigen oberen Theil des Thales betraten.

Er saß eben jetzt vor dem Hause und beaufsichtigte den alten, schwerhörigen Knecht, welcher mit dem Mähen des hohen Grases beschäftigt war. Die Beine waren ihm mit Watte dick umwunden; der Unterleib, welcher vielleicht nur infolge des immerwährenden Sitzens einen bedeutenden Umfang gewonnen hatte, wurde von einer Decke sorgfältig eingehüllt, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck stillduldender Resignation, welcher das Ergebniß eines langwierigen und schmerzhaften Leidens zu sein pflegt. Die Gicht lähmte schon seit einer Reihe von Jahren seine Glieder, machte ihm fast jede Bewegung zur Unmöglichkeit und war auch der Grund, daß man ihn kaum anders als nur den „Gichtmüller“ nannte. Er schien die unangenehme Lage in den harten Strohpolstern eines alten Räderstuhles übel zu empfinden und rief stöhnend:

„Hans, leg’ doch die Sense weg und komm’ einmal her. Ich kann es in den Füßen so nicht länger aushalten.“

Hans mähte ruhig weiter.

„Hans!“ tönte es lauter und voll Ungeduld. „Hörst Du oder hörst Du nicht?“ Der krankhafte Ausdruck des leidenden Gesichtes war für einen Augenblick vollständig verschwunden; aus dem scharfen Auge, welches jetzt nichts Mattes mehr zeigte, zuckte ein rasches, zorniges Leuchten, kehrte aber schnell und vorsichtig wieder unter die schlaff sich senkenden Lider zurück. Der Knecht drehte sich langsam um.

„Habt Ihr gerufen, Müller?“ fragte er.

Der Gefragte nickte und warf den müden Blick seufzend auf seine eingehüllten Extremitäten.

„Ja, wenn Euch die armen Beine so aus der Lage fallen,“ meinte Hans mitleidig, „da müssen sie natürlich wehe thun. Kommt, ich will sie wieder zurecht heben!“

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Er kniete vor dem kranken Herrn nieder und verfuhr mit einer Sorgfalt und Behutsamkeit, als fühle er die Schmerzen desselben in den eigenen Gliedern.

„So, jetzt wird’s besser sein. Ich bin gleich fertig mit dem Grummet. Nachher laß ich das Rad geh’n und schütte den neuen Weizen auf.“

Der Müller schüttelte langsam mit dem Kopfe; er mußte selbst unter dieser unbedeutenden Bewegung leiden.

„Nicht? Giebt’s denn etwas Anderes zu thun?“

Der Müller nickte und schloß dann die Augen. Es war dies das bekannte Zeichen, daß er zu angegriffen sei, um sprechen zu können. Hans griff schweigend wieder zur Sense, während Klaus regungslos in seiner jetzigen Stellung verharrte.

Da vernahm er rasche, leichte Schritte, welche sich ihm näherten. Mit sichtbarer Mühe brachte er die zuckenden Wimpern empor, um einen matten, glanzlosen Blick auf den Kommenden zu richten. Kaum aber war sein Auge auf den Letzteren gefallen, so fuhr er vom Stuhle auf, daß dieser um mehrere Schritte davonrollte und die schützende Decke zur Erde fiel.

„Ferdinand!“ rief er fast ebenso bestürzt wie überrascht. „Ich glaub’ gar, Du bist’s wirklich! Was hast Du hier daheim jetzt schon zu schaffen?“ Dann aber sich seiner Krankheit erinnernd, stieß er einen lauten Weheruf aus und taumelte wimmernd und von dem Sohne unterstützt in den Stuhl zurück.

„Freilich bin ich’s wirklich. Grüß Gott, Vater! Ich mocht’ es in der Fremd’ gar nimmer aushalten und kehrt’ darum zurück, um stets nun wieder bei Dir zu sein.“

„Aber ich hab’ Dir doch befohlen, daß Du fortbleiben sollst, bis ich selbst Dich wieder heim begehr’! Ich brauch’ Dich jetzt noch nicht; Du kannst gleich wieder fort und wirst schon hören, wann ich Dein bedarf.“

Das Wiedersehen schien ihn ungewöhnlich zu erregen. Die gerade, kräftige Haltung, welche er auf dem Sitze einnahm, mußte ihm sehr wehe thun, denn er kniff die zitternden Lippen zusammen und legte die kahle Stirn in tiefe, schwere Falten.

„Gleich wieder fort?“ fragte Ferdinand. „Das kann Dein Ernst nicht sein! Ich wollte gar hinaus auf die Wanderschaft damals, denn ich hatte die Bertha lieb, und Du warst kurz vorher krank geworden; es lag Dir in den Füßen, so daß Du in der Mühle nicht gut vorwärts konntest. Du aber triebst mich fort, und wenn ich mich einmal nach Haus’ sehnte, so schriebst Du mir, daß ich bleiben sollte. Jetzt sehe ich, daß es schlimmer geworden ist mit Dir, viel, viel schlimmer; Du kannst gar nicht mehr auf, und da sollte ich doch meinen, daß ich Dir willkommen bin!“

„Das bist Du auch, aber nur nicht jetzt, nur nicht gleich heut’. Du wirst schon noch vernehmen, warum. Thu’ mir daher den Gefallen und bleib’ noch eine Woche, nur ein paar Tage weg von hier! Du wirst dann etwas erfahren, was Dir große Freude bereitet. Geh’,“ rief er fast ängstlich, indem sein Auge forschend nach dem Dorfwege blickte: „geh’ gleich, geh’ auf der Stelle; Du bist mir jetzt im Weg!“

Der Sohn war dem Blicke des Vaters gefolgt. Ein Mann kam langsam und in gebeugter Haltung bergauf gestiegen. Das konnte doch unmöglich der Niedermüller sein?!

„Das ist doch geradezu fortgejagt, Vater! Wenn Du mich wirklich nicht daheim leiden magst, so will ich wieder geh’n; aber die Ruhe und ein Weniges zu essen wirst Du mir doch nicht versagen!“

„So geh’ schnell hinauf in Deine Kammer, und komm’ nicht eher wieder herab, als bis ich Dich ruf’. Der Hans wird Dir schon bringen, was Du brauchst. Mach’ fort, sonst ist’s zu spät!“

Ferdinand folgte dem Gebote und trat in das Haus. Er fühlte sich tief verletzt von dem so unerwarteten Empfange, der ihm ebenso wie das veränderte und unbegreifliche Wesen des Vaters ein vollständiges Räthsel war. Der Letztere war wieder in sich zusammengesunken und lag so hinfällig auf dem Stuhle, als sei er nahe daran, seinen Qualen zu erliegen. Der Knecht war jetzt mit der Arbeit fertig; er hatte weder das Kommen des jungen Mannes, noch dessen Unterredung mit dem Müller bemerkt. Er trat herbei und fragte besorgt:

„Ist’s wieder schlimmer geworden? Da unten kommt der Niedermüller. Wollt Ihr hier vor dem Haus mit ihm reden, oder soll ich Euch hinein in die Stube fahren?“

„In die Stube!“ antwortete der Gefragte mit Anstrengung. „Der Ferdinand ist da. Geh’ nachher hinauf zu ihm und laß ihn nicht herunter!“

Kaum befand sich Klaus in der Stube, welche Hans gleich wieder verlassen hatte, so trat Horn, der Niedermüller, ein. Er grüßte freundschaftlich und reichte dem Kranken die Hand.

„Da bin ich schon wieder. Wie geht es mit der Gesundheit?“

„Wie immer; es will nicht besser werden.“

„So brauch’ doch endlich einmal die Einhüllung in nasse Birkenblätter, die ich Dir schon tausendmal gerathen hab’. Sie treiben den Schweiß gewaltig, und mit ihm geht die Gicht aus dem Leib.“

„Hilft auch nichts! Ich weiß schon, was ich thun werd’.“

„Ich rath’ Dir nicht dazu. Du willst katholisch werden und nach Mariahilf wallfahrten, weil Du meinst, das Paternoster und Ave macht Dich gesund. Bedenke, was Du thust. Das Heil der Seele steht höher, als die Gesundheit des Körpers, und wem der liebe Gott helfen will, dem hilft er durch den Arzt!“

„Geh’ weg mit den Pillen und Pulvern; sie haben mich erst krank gemacht! Ich hab’ geträumt, daß ich beim wunderthätigen Marienbild ganz Besserung find’, und übermorgen geht es fort.“

„Thu’ was Du willst; ich hab’ Dir als Dein bester Freund gerathen. Du weißt, was sie im Dorf von Deiner Wallfahrt denken!“

„Das ist mir gleich! Sie sind mir all’ zu dumm und auch zu klein.“

Der Niedermüller warf einen raschen, fragenden Blick auf den Sprecher.

„So bist Du wohl gescheider und größer als sie?“ fragte er, indem sein Auge unwillkürlich über die ärmliche Einrichtung der niedrigen und verräucherten Stube glitt.

„Möglich! Wer es nicht glaubt, wird’s vielleicht bald erfahren!“ Unter den halbgeöffneten Lidern funkelte es so lebendig und schlau, und die leidenden Züge nahmen einen so selbstbewußten Ausdruck an, wie Beides Horn noch nie an ihm beobachtet hatte.

„Dann ist es wohl nicht Zufall, sondern Klugheit gewesen, daß Du in der fremden Lotterie gewonnen hast? Wenn Du so reich bist, warum hast Du mir nicht eher geholfen, als heut’, wo es die allerhöchste Zeit für mich ist?“

„Weil Du auch Einer von den Dummen bist, vielleicht der Dümmste von Allen, und weil ich auf diese Zeit und auf Dich gewartet hab’ wie das Kind auf den heil’gen Christ, oder wie — wie der Teufel auf die Seel’, die ihm verschrieben ist!“

„Wie meinst Du das?“

„Wie ich es mein’?“ fragte er. Sein Auge öffnete sich weit dem scharfen, haßsprühenden Blicke, welcher auf den Anderen fiel, und als breche eine lange Zeit gewaltsam niedergedrückte Leidenschaft nun plötzlich mit vervielfachter Wuth hervor, so riß es ihn vom Stuhle auf. Er stand auf den geschwollenen Füßen, ohne mit der Wimper zu zucken, und seine geballte Faust stemmte sich mit dröhnendem Schlage auf die Platte des vor ihm stehenden Tisches. „Weißt Du noch, als Du in das Thal gekommen bist, um die Niedermühl’ zu bauen, was ich Dir damals für gute Wort’ gegeben hab’, mir nicht die Nahrung hinwegzunehmen? Und als das Bitten nichts gefruchtet hat, da hab’ ich Dich verklagt und nachher gar noch die Kosten bezahlen müssen. Du hast die dreifältige Mühl’ gebaut für Getreide, Oel und Sägewerk und mich um das armselige bischen Brod gebracht, das ich mir bisher verdiente. Und nun Du die gerechte Strafe bekommst für diese Schlechtigkeit, glaubst Du, daß ich Dir das Geld vorstreck’, Dich zu retten? Geh’, Niedermüller, Du bist wirklich der Albernste von den Albernen!“

Der Genannte fuhr zurück, wie von einer Natter gestochen.

„Klaus, was hast Du mit mir vor? Wenn Du im Ernste sprichst, so bist Du noch schlechter und gottloser, als der ‚Geldmarder‘, der mich zu Grund’ gerichtet hat!“

„Wer weiß, was Du auch ihm gethan hast, daß er in

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Deinen Säckel so verliebt gewesen ist!“ Und mit schadenfrohem Lachen fügte er hinzu: „Du wirst nun vor ihm Ruhe haben, denn in Deiner großen Tasche ist kein Heller mehr zu finden!“

„Aber Du hast mir ja die Summe versprochen, die ich brauch’, um die Subhaste los zu werden! Ich hätt’ vielleicht auch anderweit noch Rettung gefunden, aber Du hast mich von Tag zu Tag vertröstet und noch gestern gemeint, daß das Geld bis heut’ früh ganz sicher kommen werd’!“

„Es ist nicht gekommen, sondern es liegt bereit schon lange, lange Zeit, aber nicht für Dich, sondern für mich, und wozu es bestimmt ist, das wirst Du wohl noch heut’ erfahren!“

„So willst Du wohl gar die Niedermühl’ erstehen und hast mich nur die lange Zeit hinausgehalten, damit ich Keinen find’, der sich mein’ erbarmt?!“

„Denk’ wie Du willst! Von dem Augenblick an, da ich den Proceß verlor, hab’ ich mich gesehnt nach der jetzigen Stund’ und nach dem Tag, an welchem Du wieder aus dem Thale mußt, ärmer noch, als Du gekommen bist. Dieser Tag ist vor der Thür, und Deine Niedermühl’ bekomme ich ebenso gewiß, wie ich Heilung find’ in Mariahilf!“

„O Du schlechter, zehn- und hundertfältig schlechter Mensch! So ist Deine ganze Freundschaft eitel Heuchelei gewesen! Du hast nach dem Proceß gethan, als ob Du der liebe Frieden selber wärst, hast die Mahlgäst’ angenommen, die ich von mir wies, weil ich mich Dein erbarmte, als Du krank und vor Noth und Plage hinfällig wurdest; ich bin nicht dagegen gewesen, daß Dein Bube zu meinem Mädchen kam, und obgleich Du Dich deshalb schon meinen Schwager nanntest, habe ich nicht einen Pfennig von Deinem Lotteriegelde zu leihen begehrt, als der ‚Marder‘ mich so nach und nach ins Elend brachte. Erst als es mir endlich an die Kehle ging, bin ich zu Dir gekommen, und nun es Matthäi am Letzten mit mir steht und mir kein andrer Ausweg mehr bleibt, als nur allein Dein Versprechen, da nimmst Du die Larv’ vom Gesicht und zeigst mir, wer Du eigentlich bist. Du elender Judas Ischarioth, denk’ nicht etwa, daß der

Niedermüller jetzt vor Dir niederkniet und Dich um Gnad’ und Erbarmung bittet! Bei einem Menschen, der so teuflisch handelt, hilft kein Bitten und kein Fleh’n. Ich muß aus der Mühl’ und werd’ auch geh’n, da hast Du recht gerechnet, aber der liebe Gott wird Dir heimzahlen, was Du an mir sündigst. Er hat Dich schon gestraft, aber es wird noch schwerer kommen. Du fühlst die Höll’ schon jetzt in Deinem Leibe; ersteh’ die Niedermühl’, ersteh’ sie nur, aber glaub’ nur nicht, daß Du beim wunderthätigen Marienbild Erhörung findest. Du bist ein Satan, bist ein wahrer Teufel; die heilige Jungfrau hat nichts mit Dir zu schaffen!“

„Schimpf’ so viel Du willst, immer schimpf’ und raisonnir’, Du machst mich doch nicht bange. Je größer Dein Zetern ist, desto besser hab’ ich Dich getroffen. Du hast nicht auf meine Bitt’ gehört, so ist’s nur richtig und gerecht, daß nun auch die Deinige nicht vernommen wird. Der Handel zwischen dem Ferdinand und Deiner Zierpupp’ ist nun zu End’; Du wirst als Bettler aus dem Haus getrieben und kannst nun an dem Armuthsbach die neue Elendsmühl’ bau’n. Geh’ fort und mach’ daheim, wo Du am längsten Herr gewesen bist, das Thor so weit wie möglich auf, denn Klaus, der Obermüller, wird bald kommen! Er ist zwar krank und hat Jahre lang die Obermühl’ nicht verlassen können, aber wenn auf der Niedermühl’ Subhaste ist, so muß er dabei sein und sollte ihn der Gichtschmerz gleich zu Tode reißen.“

„Ja, ich geh’ fort; bei so einem Verräther mag mich’s nicht eine Minute länger leiden. Eins aber will ich Dir vorher noch sagen: dies graue Haar hier hat der ‚Marder‘ auf seinem Gewissen; er wird gewißlich noch auf seinem Schliche ergriffen werden, und sollt’ ich das nicht erleben, so trägst Du die Schuld, daß ich zur Grube fahr’. Schwör’ Deinen Glauben ab; die Straf’ wird auch Dich zertreten, so wie Du ihn zertrittst!“

Er ging. Klaus sah ihm mit höhnischem, giftigem Blicke nach und nahm dann in seinem Räderstuhle mit einer Bewegung Platz, die für einen Gichtkranken mindestens sehr unvorsichtig zu nennen war. (Fortsetzung folgt.)

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Der Gichtmüller.

Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May.

(Fortsetzung.)

II.

Es war am Spätnachmittage und fast dunkel, als Ferdinand erwachte. Er fühlte sich in Schweiß gebadet; ein fürchterlicher Traum hatte ihn auf dem Lager hin und her geworfen und die Angsttropfen aus allen seinen Poren gepreßt. Er konnte sich der Einzelheiten desselben nicht mehr erinnern; er wußte nur, daß er von einem Ungeheuer bedroht worden war, welches in dem Augenblicke, als er sich auf dasselbe stürzen wollte, die Gestalt und Gesichtszüge seines Vaters angenommen hatte.

Er war aus Sehnsucht nach der Heimath die ganze Nacht gegangen und hatte gleich nach dem Frühstücke, welches ihm von Hans aufgetragen worden war, für kurze Zeit lang ruhen wollen, war aber dabei einem Schlafe in die Arme gesunken, der ihn erst jetzt wieder frei gab. Der böse Traum war jedenfalls eine ganz natürliche Folge von dem ebenso sonderbaren wie auffälligen Empfange, den der heimgekehrte Sohn bei dem Vater gefunden hatte, aber der Volksmund sagt, daß die Seele zuweilen im Traume Zeit und Raum zu überwinden vermöge, und Ferdinand stand diesem Glauben nicht so fern, daß er den Eindruck der wirren und wüsten Vorstellungen im Momente des Erwachens sofort hätte von sich werfen können.

Er trat an das Fenster und sah in die tiefe Dämmerung hinaus. Das Grummet lag noch in denselben Schwaden vor dem Hause, in denen er es am Vormittage hatte liegen sehen. Warum war es nicht gewendet worden? Unter der Einfahrt stand der mit Getreide beladene Wagen, den er gleich bei der Ankunft bemerkt hatte. Warum war keiner der Säcke angerührt worden; warum ging die Mühle nicht? Er öffnete das Fenster und horchte einige Minuten lang hinab; dann schritt er zur Thür, um nach der Ursache der tiefen Stille, welche im Hause herrschte, zu forschen. Sie war von außen verschlossen, und ein Druck gegen sie bewies, daß man sogar die Vorsicht gebraucht hatte, das Oeffnen durch angestemmte Stützen zu erschweren.

Er fuhr bestürzt zurück. Welchen Grund hatte diese unerwartete und seltsame Gefangenhaltung? Stand sie vielleicht in Verbindung mit der heutigen Anwesenheit des Niedermüllers, bei dessen Kommen es so ängstlich geklungen hatte: „Geh’ fort, sonst ist’s zu spät!“? Er kannte besser als Andere den Vater und hatte sich wohl gedacht, daß dieser irgend etwas im Werke habe, bei dessen Ausführung er von dem Sohne verhindert zu werden befürchte. Konnte dies etwas Gutes sein? Es ist ein großes, vielleicht das größte Unglück für ein Kind, andere Rechtsbegriffe als sein Erzeuger zu besitzen. Ferdinand fühlte dies mehr, als er es aus eigener Erfahrung erkannt hatte; der Obermüller war stets ein schweigsamer und zurückhaltender Vater gewesen, hatte es aber auch nie verstanden oder gewollt, sich das kindliche Vertrauen, welches sich so gern und willig in die Anschauungen der Eltern einlebt, zu erwerben. Er hatte sich trotz seines hilfsbedürftigen Zustandes die Rückkehr des Sohnes bisher streng verbeten -

verbeten und war heut’ über dieselbe sichtlich erschrocken. Dieses unerklärliche Verhalten mußte eine geheimgehaltene Ursache haben. Der junge Mann gab sich nicht die Mühe, über sie nachzudenken; der Befehl, sofort und wenigstens für einige Tage die Heimath wieder zu verlassen, ließ ihn ahnen, daß es für ihn leicht sei, sie zu errathen oder zu erfahren, sobald er diesem Verlangen nicht Folge leiste und zugleich sich jetzt der verwunderlichen Freiheitsberaubung entziehe. Er überlegte daher, auf welche Art und Weise er aus der Stube gelangen könne. Er wollte es eben so heimlich thun, wie man ihn eingeschlossen hatte.

Aus diesem Grunde sah er von dem Hinausstoßen der Thür ab, welches ihm trotz der Stützen wohl gelungen wäre, da sie alt und morsch genug war, um von einem kräftigen Fußtritte zertrümmert zu werden. Das Fenster war so klein, daß ein Mann von der Statur Ferdinand’s unmöglich durch dasselbe steigen konnte. Die Decke — ja, sie bot am besten und sichersten den Weg, welchen er suchte. Sie war nur geschalt und bildete zugleich den Fußboden des über dem Stübchen befindlichen Theiles des Dachraumes. Er stieg auf den Tisch, stemmte sich gegen die einfach auf die Balken genagelten Breter; sie gaben nach, — ein kurzes Knirschen und Prasseln, und die Oeffnung, welche er brauchte, war vorhanden. Er schwang sich durch dieselbe hinauf und brachte die losgesprengten Theile leicht wieder in ihre vorige Lage. Wer jetzt in die Stube trat, mußte sich wohl verwundert fragen, wie der Gefangene verschwunden sei. Dieser stieg durch den geöffneten Schieber auf das niedrige Schindeldach, dessen untere Kante, da das Haus mit seiner hinteren Seite in den Teichdamm hinein gebaut war, sich nur wenige Fuß hoch über den Letzteren hinzog. Ein leichter Sprung, und er stand zwischen den Sträuchern, welche den Damm bedeckten. Ueberrascht blieb er auf der Stelle halten; es hatte geklungen, als springe er auf die Decke eines hohlen Raumes, und ein kräftiges Stampfen mit dem Fuße überzeugte ihn, daß er sich nicht geirrt habe.

Es war grad’ noch hell genug, um den Boden untersuchen zu können. Er bestand aus kurzgeschorenem Rasen und zeigte dem tief gesenkten, aufmerksamen Auge ein sonst kaum bemerkbares, wie mit dem Messer eingeschnittenes Viereck, aus dessen Mitte einige verdorrte Wurzeln hervorstanden. Ferdinand erfaßte diese Letzteren und zog an ihnen erstaunt ein hölzernes Quadrat empor, welches mit grastragender Erde bedeckt war. An der Stelle, auf welcher es so sorgfältig in den Boden eingefügt gewesen war, zeigte sich eine Oeffnung, groß genug, einen Mann hindurch zu lassen, und bei näherer Untersuchung fühlte er die oberen Sprossen einer Leiter, welche senkrecht in die Tiefe führte.

Was hatte diese geheimnißvolle Einrichtung, deren Dasein ihm gänzlich unbekannt war, zu bedeuten? Er beschloß, unverzüglich nachzuforschen.

Er stieg zunächst so weit hinab, daß er über sich den Deckel bequem wieder in seine vorige Lage zu bringen vermochte, und

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folgte dann der Leiter, bis er festen Boden unter sich fühlte. Er befand sich in einer engen, niedrigen Zelle und tastete an einen Tisch, auf welchem Lampe und Zunderflasche standen. Als die Erstere brannte, bemerkte er, daß der Raum vier Seiten hatte, von denen drei nur leicht verschalt waren, während die vierte aus einer Breterwand gebildet wurde, in welcher ganz unten am Boden eine niedrige, aber breite Thür angebracht war, deren Angeln einfach aus aufgenagelten Lederstücken bestanden. Sie konnte nur in kriechender Stellung passirt werden.

Nachdem er sich durch längeres Horchen überzeugt hatte, daß jenseits derselben sich Niemand befinde, zog er sie auf. Vor ihm stand das Himmelbett, in welchem sein Vater zu schlafen pflegte, ehe er von der Krankheit auch für die Nacht in den Stuhl gebannt wurde. Er schob sie wieder zurück und athmete tief und seufzend auf. Dieser verborgene Raum war früher nicht dagewesen, das wußte er ganz bestimmt. Niemand anders konnte ihn angebracht haben, als der Vater; aber zu welchem Zwecke? Und wie war es dem gelähmten Manne möglich geworden, diese beschwerliche Arbeit, bei welcher er sicherlich jeden Zeugen vermieden und jede Spur zu verwischen gehabt hatte, auszuführen? Es wurde ihm plötzlich bang’ zu Muthe, so bang’, als ob ihn das Ungeheuer wieder bedrohe, welches er im Traume gesehen hatte.

Er trat zum Tische; der Kasten desselben war verschlossen. Sich niederbeugend, versuchte er, die Finger zwischen dem Rande desselben und der Tischplatte hindurch zu bringen. Es gelang; er fühlte eine Anzahl aufeinander liegender Hefte und mehrere kleine Päckchen, welche sorgfältig in Papier eingeschlagen und dann versiegelt waren. Mit einiger Mühe gelang es ihm, Alles aus der engen Spalte hervorzuziehen. Der Siegellack war nicht mit dem Petschafte, sondern nur mit dem Finger angedrückt worden; es war also bei der nöthigen Vorsicht möglich, eins der Packete zu öffnen und wieder zu verschließen, ohne eine auffällige Spur davon zurück zu lassen. Ferdinand that es; eine beträchtliche Anzahl von Cassenscheinen blickte ihm entgegen. Hatten die anderen Packete den gleichen Inhalt, so müßte der Gewinn, den der Vater gemacht hatte, ein nicht unbedeutender sein.

Die Hefte waren Kalender, welche nach der Folge der Jahreszahl aufeinander gelegen hatten. Er durchblätterte den ältesten derselben. Auf den unbedruckten Rändern waren verschiedene ökonomische Bemerkungen angebracht, zwischen denen sich zuweilen eine auf einen anderen Gegenstand bezog, der von Zeit zu Zeit wiederkehrte und die Aufmerksamkeit des jungen Mannes außerordentlich zu fesseln begann. Die kurzen Worte, welche von der ungeübten Hand des Obermüllers neben die roth angestrichenen Tage gesetzt waren, betrafen meist die Niedermühle und bildeten, der Zeit nach aneinander gereiht, den Abriß einer Geschichte von ihr, für welchen Ferdinand allerdings das klare Verständniß entgehen mußte. Er durchschlug einen der Kalender nach dem andern. Was hatten die vielen Zahlen und der sonderbare Name „Marder“ zu bedeuten, welcher stets bei ihnen stand?

Er mußte unwillkürlich an die Zeit denken, in welcher Horn in die Gegend gekommen war, um die Niedermühle zu bauen. Damals hatte Klaus, als er den Proceß verloren sah, öfters ingrimmig geäußert: „Den Menschen, den mach’ ich todt um jeden Preis, und sollt’ ich selber mit zu Grunde geh’n!“ Er brachte die Sachen sorgfältig wieder an ihren vorigen Platz und stand schon im Begriffe, wieder empor zu steigen, als er einige Kleidungsstücke bemerkte, welche hinter der Leiter an der Wand hingen. Er besah sie. Sie gehörten dem Vater; sie waren schon sehr alt, aber der Schmutz, welcher an ihnen hing und mit welchem besonders die Stiefel bedeckt waren, schien noch nicht vollständig vertrocknet zu sein. Sie waren erst vor Kurzem, vielleicht am vorigen Abende, in Gebrauch gewesen.

Er blies die Lampe aus und verließ unter unbeschreiblichen Gefühlen den räthselhaften Ort. Auf dem Damme angekommen, stieg er von demselben hernieder und schritt zur Hausthür. Sie war von außen verschlossen, und Niemand schien daheim zu sein. Konnte der Vater das Haus verlassen? In tiefen Gedanken wendete er sich dem Dorfwege zu. Bei der Niedermühle angekommen, sah er die Gebäude derselben dunkel und lichtleer vor sich liegen. Der Graben war zugestellt; das reiche Wasser rauschte

arbeitslos über das Wehr hinab; kein Rad ging, kein Stampfkolben ließ sich hören, und auch die Säge im Schneidehause ruhte. Warum wurde heut’, an einem Werktage, gefeiert?

Ein einziges, im Parterre gelegenes Fenster war erleuchtet. Er begab sich in den Flur und klopfte; auf den von innen erschallenden Ruf öffnete er und trat in das Zimmer.

Das junge Mädchen, welches arbeitend am Tische saß, sprang bei seinem Anblicke vom Stuhle empor und eilte mit freudeglänzendem Gesichte auf ihn zu.

„Vater, Mutter, der Ferdinand ist’s! Kennt Ihr ihn denn nicht?“

„Halt!“ ertönte es da; der Vater eilte aus dem Dunkel der Ecke herbei und stellte sich zwischen die beiden jungen Leute. „Du brauchst mir nicht zu sagen, wer es ist; ich seh’ es schon von ganz allein. Es ist der neue Niedermüller, der von der Wanderschaft zurückkehrt, um uns hinweg zu jagen. Scheer’ Dich hinaus, Gichtmüllerssohn! Die Mühl’ ist Euer, aber diese Stub’ gehört noch mir, und so lang’ ich noch darin zu wohnen hab’, darf mir das Klausvolk mit keinem Schritt herein!“

„Ich bitt’ Euch, Niedermüller,“ meinte Ferdinand erschrocken, „was hab’ ich Euch denn zu Leid gethan, daß Ihr solche Red’ gegen mich führt? Was ist’s mit der Mühl’ und mit dem neuen Müller? Ich versteh’ Euch nicht!“

„So hat Dein Vater, der alte Judas Ischarioth, es Dir noch nicht gesagt und Dir auch nichts davon geschrieben? Da muß ich Dir’s schon mittheilen, damit Du die Schadenfreud’ ein wenig eher hast! Er hat heut’ die Niedermühl’ erstanden und von seinem Lotteriegeld baar bezahlt. Du bist nun ein großer Mann und brauchst jetzt den Horn und seine Leut’ gar nimmer anzuschau’n!“

„Die Niedermühl’ erstanden — und baar bezahlt — — der Vater?“ fragte der Jüngling fast erschreckt. „Das ist ja gar nicht möglich! Wie ist es denn gekommen, daß Ihr sie versteigert habt?“

„Weil ich von dem ‚Geldmarder‘ ruinirt worden bin. Doch geh’ hinaus! Dein Alter hat mich heut’ aus seiner Stub’ gejagt, so brauch’ ich nun auch Dich nicht hier zu dulden!“

„Nein, ich geh’ nicht eher von dannen, als bis ich Alles weiß. Ihr habt ja früher immer viel auf mich gehalten; ich begreif’ von Allem nichts und bitt’ Euch sehr, mir wenigstens nicht eher bös’ zu sein, als bis Ihr seht, daß ich Euch übel will!“

„Das klingt gar schön und vernünftig, und es ist auch wahr, daß ich Dir und Deinem gichtbrüchigen Verräther immer wohl gewogen war, aber desto schlechter ist ja das von ihm, was er an mir gethan hat, viel schlechter und schlimmer, als wenn er mich gleich lieber ganz erschlagen hätt’!“

„Dann seid so gut und sagt mir’s doch. Vielleicht vermag ich’s wieder gut zu machen!“

„Nein, diese Schart’ ist nimmer auszuwetzen! Du hast mich gekannt und weißt, was ich früher für ein starker und rüstiger Mann gewesen bin; ich war so gesund und kraftvoll, daß ich hätt’ mit Kirchthürmen hausiren können. Nun schau’ mich jetzt einmal an! Das Haar ist mir schneeweiß geworden; das Gesicht hat Falt’ an Falt’ und auch die Knochensicht bekommen; ich kann nicht grad’ mehr steh’n, und was ich angreif’, das möcht’ ich vor Schwäch’ und Unvermögen gleich wieder aus der Hand fortthun. Das hab’ ich dem ‚Marder‘ zu verdanken, der mich langsam abgekerkert hat, bis die Subhaste über mich hereingebrochen ist.“

„Dem ‚Marder‘? Wer ist das?“ fragte Ferdinand, das Wort jetzt zum zweiten Male hörend. Er dachte an die Kalender und an die Zahlen, bei denen es gestanden hatte.

„Auch das weißt Du nicht? Es ist ein Spitzbub’, der nun seit Jahren hier und in der Gegend einbricht, ohne daß man weiß, wie er herein gekommen ist. Er war auch einige Mal in der Obermühl’, am meisten und öftersten aber hier bei mir. Er nimmt nur Geld, nichts Anderes als Geld; er weiß ganz genau, wann man es bekommt und wo es liegt, selbst wenn man es im tiefsten Grund verbirgt. Wenn ich welches bekommen hab’, so bin ich damit voll Angst im Haus herumgelaufen und hab’ es jeden Tag wo anders hingesteckt; aber gefunden und geholt hat er’s. So ist mir’s viele, viele Mal gegangen; ich bin ärmer, immer ärmer geworden, und die Sorg’ und Unruh’ hat mich

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abgezehrt, wie der Schwamm dem Baum ins Leben frißt. Und als hernach endlich die Niedermühl’ aufgeschrieben wurde mit Allem, was darin stand und hing, hat mir Dein Vater Hilf’ versprochen und mich abgehalten, sie bei einem Anderen zu suchen. Ich hab’ ihm auch vertraut und gewartet bis zum letzten Augenblick. Aber als ich dann heut’ gekommen bin, um mir das Geld zu holen, ist er voll Freud’ und Lachen gewesen, daß ich zu Schanden bin, hat mich den Dümmsten von den Dummen geheißen und drauf am Nachmittag das höchste Gebot gethan, so daß ihm meine liebe, schöne Mühl’ mußt’ zugeschlagen werden. Geh’ nach dem Dorf’ ins Wirthshaus, wenn Du ihn finden willst. Er ist mit dem Hans dorthin gefahren und giebt den Freilanz und das Einstandsbier. Da werden sie nun jubeln und springen, und ich mag sehen, wo mir ein Aufenthalt bleibt!“

Es war Ferdinand unmöglich, ein Wort zu dem Gehörten zu sagen. Er lehnte mit erbleichtem Angesichte an der Thür und starrte den Müller an, als habe er von ihm ein Ungeheuerliches, eine Schreckensbotschaft vernommen, unter der er die Antwort im Munde ersterben fühle. Horn war auf einen Sitz gesunken und hatte das Gesicht in die Hände verborgen. Nach kurzem Schweigen aber sprang er wieder empor und trat auf den jungen Mann zu.

„Jetzt weißt Du, was Du wissen wolltest. Ich hätt’ gar nicht so viel zu Dir gesprochen, aber Du warst früher gut und brav und wirst auch jetzt noch ein Gefühl im Herzen haben, obgleich der Apfel nicht gar weit vom Stamme zu fallen pflegt. Dein Vater sagte heut’, ich würd’ als Bettler aus dem Haus getrieben und könnt’ am Armuthsbach die neue Elendsmühl’ errichten. Er mag sich nur nicht verrechnen. Ich hab’ von dem Zahlgelde doch noch so viel herausbekommen, daß ich nicht von Thür zu Thür zu wandern brauch’, und er ist doch auch nicht vor dem End’ glücklich zu preisen. Wer seinen besten Freund verräth und betrügt und gar noch den Glauben abschwören will, der soll mit dem Hohn nicht billig sein. Der liebe Gott hat auch seine Mühlen, und die mahlen zwar oft langsam, aber trefflich klein!“

„Den Glauben abschwören, sagt Ihr! Wie meint Ihr das?“ klang die Frage zwischen den zuckenden Lippen hervor.

„Er will katholisch werden und nach Mariahilf wallfahrten, um dort Heilung zu finden und sich als Mirakel anstaunen zu lassen. Das ist die Krone, die dem heiligen Klaus noch fehlt. Geh’ fort, geh’ fort! Er ist ein Judas, und Du bist sein Sohn; wir sind geschied’ne Leut’. Spiel’ den reichen Niedermüller, so

lang’ Du willst und so lang’ es geht; ich kann auf meine Elendsmühl’ stolzer sein, als Ihr auf Euer Lotterieheimwesen!“ Er öffnete die Thür und deutete hinaus. „Verlaß die Stub’ und kehr’ mir nimmer wieder!“

„Vater,“ klang die bittende Stimme des Mädchens, „thu’ ihm das nicht zu Leid; er ist ja unschuldig an dem, was uns betroffen hat!“

Ferdinand erfaßte ihre beiden Hände mit den zitternden seinen.

„Bertha, ich dank’ Dir schön für die Lieb’ und Güt’, mit welcher Du gesprochen hast; aber der Vater hat Recht, wenn Alles wahr ist, was er sagt. Ob wir uns wiederseh’n, das weiß ich nicht; aber wenn ich die Fremd’ wieder aufsuchen muß, so vergiß den Ferdinand nicht, der an Dich gedacht hat, so lang’ er fort gewesen ist, und der ein Leid mitnimmt, für das es keine Heilung giebt!“

Seine Augen glänzten feucht, und seine Stimme bebte. Er sah aus wie Einer, der die tödtende Kugel erwartet, und als er sich jetzt an den Niedermüller wendete, wollten ihm die Worte nur langsam und wie heiser von den Lippen gehen.

„Lebt wohl; ich will Euch gehorchen und Eure Stub’ verlassen! Kehr’ ich wieder, so bleibt Ihr Niedermüller und sollt erkennen, daß ich besser bin, als Ihr wohl meint. Kehr’ ich aber nicht zurück, dann vergebt mir das Weh, das Euch ohne mein Wissen und ohne meine Schuld bereitet worden ist. Ich bin ärmer noch, als Ihr, und der Armuthsbach, an dem ich steh’, ist tiefer noch und schlimmer, als derjenige, an dem Ihr Eure Elendsmühl’ errichten sollt. Gott geb’, daß ich nicht darin versink’!“

Er ging. Es war mittlerweile dunkler Abend geworden. Am Wege, der zum Dorfe führte, rauschten hüben und drüben die Tannen; das Strauchwerk flüsterte so lind und heimlich, und der Bach murmelte auch jetzt sein altes Lied. Ferdinand vernahm von diesen „Stimmen und Tönen“, denen er heute Morgen so glücklich gelauscht hatte, nichts; er schritt unsicher und wankend auf dem so wohlbekannten Wege dahin; es war in ihm ebenso finster, wie in der Natur um ihn her, und dieses innere Dunkel wurde durch die Lichter, welche das bald erscheinende Dorf ihm entgegenwarf, nicht aufgehellt. Wie ganz anders sah es doch jetzt in ihm aus, als vor den wenigen Stunden, da er gemeint hatte: „Daheim ist’s doch am schönsten; ich komme nie wieder fort!“

(Fortsetzung folgt.)

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Der Gichtmüller.

Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May.

(Fortsetzung.)

III.

„Der Gichtmüller hat die Niedermühl’ ersubhastirt, und die Nachbarn sollen nach dem Gasthof kommen. Er giebt dort den Freitanz und das Einstandsbier!“

So lautete die Kunde, welche der Dorfwächter von Haus zu Haus getragen hatte, und Jeder, der nicht durch eine Nothwendigkeit zurückgehalten wurde, war ihr gern und willig gefolgt. Es gab so vielerlei Gründe, sich über das Ereigniß des Tages auszusprechen, und als man gar sah, daß der Obermüller auf seinem Räderstuhle durch das Dorf gerollt und nach dem Gasthause geschoben wurde, wollte es Niemand versäumen, den Mann zu sehen, dessen Wohlhabenheit erst jetzt zu imponiren begann und dessen Person durch die Unnahbarkeit, in welche er in den letzten Jahren gehüllt gewesen war, ein gewisses romantisches Interesse erhalten hatte. Die Achtung, welche man seinem Sohne zollte, der es bis zum Geschäftsführer einer weit entfernten amerikanischen Dampf- und Wassermühle gebracht hatte, floß unwillkürlich auch auf ihn mit über, und Viele, die es mit ihren Rechtsansichten nicht so genau nahmen, erkannten gern die Schlauheit an, mit welcher von ihm der Lotteriegewinn zu demselben Zwecke aufgehoben worden war, zu welchem er Ferdinand in die Fremde ge schickt hatte, um etwas Tüchtiges zu lernen.

Man hatte seinen Stuhl hinauf in den Saal getragen, damit er sich überzeugen könne, welch einen fleißigen Gebrauch man von seiner reichlichen Spendung mache. Hier hielt er schon mehrere Stunden lang inmitten der Tanzenden und von einem Kreise lustiger Trinker stets umschlossen. Die Beine staken auch jetzt in einem dicken Wattüberzuge, und der Kopf mit dem leidenden und eingefallenen Gesichte lag weit hintenüber in dem verbrauchten Polster der Lehne. Obgleich so matt und angegriffen, daß er es nur bei einem ganz besonderen Ausbruche der Laune zu einem kurzen, schmerzhaft verzogenen Lächeln brachte, mußte er doch hier und da Rede und Antwort stehen; es ging nicht

anders, und als er sich nach vielem Zureden sogar herbeiließ, aus einem dargebotenen Glase zu nippen, schien er Alles gethan zu haben, was in seinen arg geschädigten Kräften stand. Es gab Keinen, der ihm eine besonders große Freundschaft gezollt hatte, aber sein außerordentliches Leiden hatte einen versöhnenden Charakter für Vieles, was sonst ganz sicher zur Geltung gekommen wäre.

Keiner der Anwesenden bemerkte, daß in dem unerleuchteten Nebenzimmer, welches durch ein Buffetfenster mit dem Saale in Verbindung stand, Einer weilte, der mit bleichem Angesichte das bunte Treiben beobachtete und den forschenden Blick ganz besonders auf den Müller geheftet hielt. Dieser Letztere konnte endlich den ihn umwogenden Lärm unmöglich mehr ertragen; er hatte seiner Pflicht als Geschenkwirth genug gethan und gab dem bereitstehenden Hans einen Wink, ihn fortzubringen. Er wurde unter Dankesbezeigungen in seinem Sessel hinunter auf die Straße getragen und von dem treuen Knechte dann trotz des beschwerlichen Weges glücklich nach Hause gebracht.

„Geh’ hinauf, Hans,“ gebot er dort, „und schau nach dem Ferdinand! Er darf nun herunterkommen!“

Der Abgesandte kehrte nach kurzer Zeit zurück und meldete, daß der junge Herr noch wie zuvor im tiefen Schlafe liege. Der gute Alte konnte die Einsperrung gar nicht begreifen, hatte sie aber doch pflichtschuldigst ausgeführt, weil er gewohnt war, jeden Befehl des Müllers ohne Widerrede zu vollziehen.

„Das ist gut; so hat er also gar nicht gemerkt, daß wir fortgewesen sind und ihn festgehalten haben. Erzähl’ ihm nichts davon und geh’ jetzt schlafen!“

Hans rollte den Stuhl hinaus in die Kammer, schob seinem Meister behutsam ein Kissen unter den Kopf, sah nach, ob Alles sich in der gehörigen Ordnung befinde, und begab sich dann zur Ruhe.

Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so erhob sich der Müller vom Stuhle, streifte die Watte von den Beinen

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und reckte und dehnte die Glieder, als fühle er sich um einen beträchtlichen Theil seiner Größe zusammengeschrumpft.

„Endlich ist’s für heut’ und nun bald auch für immer überstanden! Ich hab’ nun die längste Zeit Komödie gespielt, und den Schluß, den wird das wunderthätige Muttergottesbild zu Mariahilf zu Weg’ bringen. O, über die Dummen, die gar nimmer alle werden! Solche Staatsstreich’ wie den fremden Lotteriegewinn und die Schwagerschaft mit dem Horn, durch die ich ihn sicher gemacht hab’, bringt doch nur der Obermüller fertig. Und die Gicht mit sammt meinem dicken Bauch ist erst recht ein Meisterstück. Wer nicht laufen kann, der kann auch nicht den Leuten ihr Geld wegholen, und wer nun gar am Leib so geschwollen ist, wie ich, der vermag unmöglich durch ein Fenster zu kriechen!“

Er knöpfte die Kleidung auf und zog das Futter hervor, welches ihm ein so geschwollenes Aussehen ertheilt hatte.

„Jetzt will ich hinaus in meine Räuberhöhl’; der Lebrecht wird bald kommen und mir die verheißene Botschaft bringen! Ich hab’ mich heut’ im Dorf gezeigt; sie Alle haben gesehen, wie schlimm es mit mir steht, und sind voll Mitleid und Erbarmung gewesen. Wenn morgen früh dem Horn seine Herauszahlung fehlt, so weiß ich ganz gewiß, auf wen der Verdacht unmöglich fallen kann. Er muß als Bettler fort; ich hab’s damals geschworen, als ich den Proceß verlor, und darum werd’ ich heut’ noch einen Gang zu ihm machen. Es ist der letzte, den ich thu’, und was so viele Mal gelungen ist, das wird auch dieses letzte Mal von statten gehen!“

Er verriegelte die Thür, welche zur Wohnstube führte, trat dann an das Bett und schob es mit Leichtigkeit bei Seite. Als er den Zugang zu dem Nebenraume aufstieß, drang durch denselben ein heller Lichtschein in die Kammer.

„Bist Du schon da, Lebrecht?“ fragte er leise, sich niederbeugend.

„Schon eine ziemliche Weil’,“ lautete die Antwort. „Ich hab’ mir die Lamp’ angebrannt, weil mir die Zeit zu lang geworden ist.“

„Schon recht! Ist das Loch oben zu?“

„Ja. Ich werd’ es doch nicht offen lassen, damit die Frösch’ und Kröten herunterschauen und dann unsere Sach’ in die Welt hinein quaken können!“

Der Sprecher war ein kleiner, verwachsener und rothhaariger Bursche, der dem jetzt herbeikriechenden Müller die Hand zum Willkommen bot.

„Ihr habt heut’ gute Zeit gehabt, Obermüller; ich aber bin mit Seufzern gespeist und mit Klagen getränkt worden, so daß es mir ganz elend und jämmerlich im Magen ist. Habt Ihr nicht einen guten Trunk bei der Hand, der Einen curiren kann? Bei uns in der Niedermühl’ ist’s zu End’ damit!“

„Erst kommt das Geschäft und dann der Lohn. Wie steht’s mit dem Geld?“

„Ich hab’ aufgepaßt wie ein Himmelslauscher, der wissen will, wohin die Sternschnupp’ fallen wird, und bin endlich auch richtig dahinter gekommen.“

„Nun?“

„Ja, wie steht es denn eigentlich mit dem Papier von wegen der Obermühl’? Wir haben doch so gehandelt, daß ich Euch den Aufpasser mach’ und dafür die Obermühl’ erhalt’, sobald die Niedermühl’ Euer geworden ist. Noch gestern bin ich hier gewesen, und Ihr habt gesagt, daß Ihr es mir geben wollt, sobald wir das Geld haben, welches der Niedermüller vielleicht herausbekommt.“

„Das ist Alles richtig, und ich werd’ auch Wort halten, denn Du hast Deine Sach’ sehr gut gemacht und mir so viel treffliche Nachricht gebracht, daß ich oft geglaubt hab’, Du seiest allwissend. Aber jetzt ist das Geld doch noch nicht unser! Ich hab’ das Papier ganz fertig geschrieben und werd’ es nachher mitbringen. Sobald der Kasten beim Niedermüller leer ist, geb’ ich Dir’s in die Hand, aber keinen Augenblick eher, das kannst Du nicht von mir verlangen. Und aus Vorsicht sagen wir einstweilen, daß Du die Obermühl’ bloß gepachtet hast. Also wo ist das Geld zu finden?“

„In der kleinen Stub’, wo der Müller jetzt schläft, da liegt

es in dem kleinen Wandschrank, der nicht weit vom Fenster ist. Aber den Schlüssel dazu hat er in der Tasch’, und der Laden ist von innen fest verschlossen.“

„Da ist die Sach’ nicht leicht für mich! Schläft das Weibsvolk mit in der Stub’?“

„Nein, die sind vorn heraus. Die Müllerin liegt krank auf dem Kanapee, und die Bertha will nicht weg von ihr.“

„So wird sich’s doch vielleicht noch machen lassen. Hör’, was ich Dir sag’! Du gehst jetzt nach Haus; ich komm’ in kurzer Zeit nach und bring’ den Dietrich und die Strickleiter mit, auf welcher ich alle Mal in Deine Giebelkammer gelangt bin. Wir müssen den Müller aus seiner Stub’ herauslocken. Sobald ich oben bei Dir bin, gehst Du hinunter und sagst, Du hättest Jemanden um das Haus schleichen sehen. Er wird herausgehen, und dann eil’ ich schnell hinab, um das Geld zu nehmen. Ich bin bestimmt fertig, ehe er wiederkehrt, und dann treffen wir uns wieder in Deiner Kammer, wo Du das Papier erhältst. Er schaut sicher nicht gleich in den Schrank hinein, und wenn er es auch thut, so wird er zuerst im Haus nach mir suchen, und dann kann ich ja ganz ungestört auf der Leiter davon. Hast Du Alles vernommen?“

„Ja. Es ist der einzige Weg, den es giebt. Aber nehmt Euch nur hübsch in Acht, daß wir zu guter Letzt nicht gar noch ein Unglück erleben! Ihr dürft nicht eher an die Mühl’ kommen, als bis ich das Licht ganz nah’ an das Fenster setz’. Dann ist die Luft rein, und ich laß die Schnur herab, um die Leiter hinauf zu ziehen. Jetzt will ich geh’n; laßt mich nicht lange warten!“

Als er fort war, kehrte Klaus in die Schlafstube zurück und nahm das Leinen- und Federzeug aus der Bettstelle. Unter dem Strohsacke befand sich ein Doppelboden, welcher alle nothwendigen Diebeswerkzeuge enthielt.

„Heut’ brauch’ ich bloß die Strickleiter, die Latern’ und den Dietrich. Aber halt, den Todtschläger nehm’ ich noch mit dazu; ich werd’ ihn wohl auch gebrauchen können, denn der Lebrecht, der Dummkopf, darf nicht denken, daß er die Obermühl’ bekommt. Er muß den Mund halten und zufrieden sein, wenn Niemand erfährt, daß er mir beigestanden hat. Wenn ich das Geld hab’ und er verlangt das Papier, geb’ ich ihm Eins auf den Kopf und mach’ mich davon!“

Er brachte die angegebenen Gegenstände in die „Räuberhöhle“, wie er den verborgenen Raum genannt hatte, wechselte die Kleidung und stieg nach dem Damme empor. Noch war er damit beschäftigt, den Deckel auf die Oeffnung zu bringen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Im Nu hatte er sich umgedreht und erhob den Schläger; aber ebenso schnell war auch seine Hand gepackt und festgehalten.

„Vater, willst Du Deinen Sohn erschlagen?!“

„Wer — wer ist’s? Du bist’s? Wie kommst Du hier her und was willst Du da?“

„Den ‚Marder‘ will ich zurückhalten, damit er nicht noch größeres Unheil anrichtet, als er bisher gestiftet hat!“

„Den — den ‚Marder‘? Du weißt, daß — daß —“

Er konnte vor Bestürzung nicht weiter reden. Daß der eigene Sohn sein Geheimniß entdeckt hatte, war schlimmer, als wenn ein Anderer ihn ergriffen hätte.

„Ich weiß Alles! Ich bin aus meiner Stub’ fortgewesen und hier hinabgestiegen, wo ich das Geld gesehen und die Kalender gefunden hab’. Ich kenne nun die Lotterie, in welcher Du gewonnen hast; es ist eine schreckliche, eine fürchterliche, und ich — ich hab’ Alles, Alles in ihr verloren. Komm mit hinab in Deinen Fuchsbau, ich hab’ mit Dir zu reden!“

„Ich hab’ nicht Zeit dazu. Sag’s gleich hier!“

„So willst Du wohl eben wieder einen Gichtweg thun? Ich hab’ mir’s gleich gedacht! Es schlich Jemand so heimlich um die Eck’; ich hab’ gemeint, Du wärst’s selber, und bin dann gleich herbeigekommen, um nachzuschau’n, ob das Nest leer ist. Also deshalb sollt’ ich heut’ gleich wieder fort und weil Du wußtest, daß ich nie zugegeben hätt’, daß Du den braven Niedermüller aus dem Seinigen treibst. Steig’ wieder hinab; ich laß Dich nimmer fort!“

„Meinst Du?“ fragte Klaus. „Du bist der Sohn und hast mir nichts zu befehlen!“

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„Grad’ weil ich der Sohn bin, muß ich darauf achten, daß ich’s auch bleiben kann. Vater, ich bitt’ Dich gar sehr, bleib’ hier und vernimm, was ich Dir sagen muß!“

„Dazu ist morgen Zeit! Da sollst Du Alles hören. Jetzt aber geh’ und schlaf’. Ich bin auf gutem Weg und auch bereit, mit Dir zu sprechen, vielleicht schon, wenn ich wiederkehr’!“

„Nein! Ich kann’s nicht auf mein Gewissen nehmen, Dir zu gehorchen. Der Weg, den Du gehst, ist kein guter; er führt in ein Elend, das nicht so leicht zu heilen ist, wie die Gicht, welche Du nach Mariahilf tragen willst!“

„Auch das weißt Du? Dich hat der Geier aus der Fremd’ herbeigetrieben! Wenn Du gewartet hättest, bis ich Dir schrieb, wär’ Alles gut gewesen. Geh’ weg, ich kann Dich nicht gebrauchen!“

„Bleib’, Vater, bleib’! Noch ist es Zeit, das Vergangene wieder gut zu machen; noch weiß Niemand, wer der ‚Marder‘ ist, und wenn Du im Stillen zurück erstattest, was nicht Dir gehört, so giebt’s noch Heil und Segen auf der Obermühl’!“

„Zurückerstatten? Schau doch, was Du sagst! Ist’s denn wirklich so gewiß, daß ich der ‚Marder‘ bin? Wart’s ruhig ab, und red’ nicht eher, als bis Du es verstehst!“

Er machte sich von der Hand Ferdinand’s los und versuchte, an diesem vorüber zu kommen.

„Vater, ich darf Dich nicht fortlassen, ich muß Dich halten. Hör’ auf mich, sonst muß ich Gewalt brauchen, und das will ich doch nicht gegen Dich thun. Laß mich doch zu Dir reden, und Du sollst sehen, daß ich nicht zu viel von Dir verlang’!“

„Was willst Du? Vergreifen willst Du Dich an mir? Tritt aus dem Weg, sonst mach’ ich mir die Bahn!“

„Ich kann nicht! Ich darf nicht! Ich bitt’ Dich von ganzem Herzen, bleib’!“

„Geh’ weg!“

„Bleib’, Vater!“

„So fahre hinweg, wenn Du’s nicht anders willst!“

Mit einem raschen, kräftigen Stoße warf er sich auf den Sohn.

Dieser hatte den Angriff nicht vermuthet, verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber in das tiefe Wasser des Teiches.

Klaus bog sich weit vor und blickte hinab in die dunkle Flut, auf welcher Ring an Ring hineintrieb in die stille, schweigsame Nacht. Hatte er es so gewollt? Er fuhr sich mit den Händen nach dem Kopfe, stieß einen heiseren, unarticulirten Laut hervor und sprang dann zwischen die Sträucher hinein, welche sich auf der Böschung des Dammes hinunterzogen.

(Schluß folgt.)

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Wäre Klaus nur noch einige Augenblicke geblieben, so hätte er gesehen, daß Ferdinand wieder emportauchte und einen Zweig erfaßte, welcher in das Wasser niederhing. Er horchte nach dem Damme empor. Als er nichts vernahm, schwang er sich auf das Trockene und schüttelte die triefende Nässe aus der Kleidung.

„Er ist fort; er hat nicht daran gedacht, daß ich schwimmen kann! O Du heiliger, lieber Gott, was hab’ ich denn verbrochen, daß mir’s so grausam hart ergeht! Wo ist er hin, und wer war der, den ich vorher gesehen hab’? Ob’s nicht der Lebrecht, der alte Knapp’ von der Niedermühl’ war, der erst bei uns gewesen ist? Ich muß fort, ich muß nach, und sollt’ ich mir die Füß’ ablaufen; der Vater darf nicht wieder thun, was er bisher vorgenommen hat!“

Er eilte davon. Als er die Niedermühle erreichte, umging er dieselbe und war bemüht, mit Auge und Ohr die Finsterniß und nächtliche Stille zu durchforschen. Als er an der einen Giebelseite des Wohngebäudes gegenüber anlangte, glaubte er, in der Höhe ein Geräusch zu vernehmen. Vorsichtig schlich er bis an die Mauer heran und blickte an derselben hinauf. Im Dachstocke klirrte ein Fenster leise, und ein langer, strickähnlicher Gegenstand wurde emporgezogen.

„Was war das? Es ist Jemand an dem Seil hinauf geklettert! Ist’s der Vater gewesen? Soll ich den Müller wecken, oder soll ich warten, bis der, welcher es gewesen ist, wieder herunter kommt, und ihn dann wegfangen?“

Er war noch nicht mit sich im Reinen, als er schleichende Schritte vernahm, die sich ihm näherten. Es war der Müller. Ferdinand wußte das nicht, hielt sich verborgen, bis er vorüber war, und folgte ihm dann geräuschlos nach, um zu sehen, wen er vor sich habe und was der Mann im Schilde führe.

Dieser umsuchte erst das Wohnhaus und dann auch die Nebengebäude. Bei der etwas abgelegenen Schneidemühle angekommen, blieb er stehen und horchte; es war, als sei ein durch die Entfernung gedämpfter Schrei erklungen, dem nach einigen Secunden ein harter Fall folgte. So eilig, als es die Vorsicht gestattete, huschte er zurück und an Ferdinand, welcher erst jetzt den mit einer Büchse bewaffneten Horn erkannte, vorbei. Den jungen Mann ergriff eine schlimme Ahnung. Kaum war der Niedermüller an der einen Seite des Hauses verschwunden, so stürzte er nach der anderen. An der Stelle, wo er vorhin empor

geblickt hatte, sprang ein Mann von der Erde auf und floh davon; ein anderer lag am Boden und gab kein Lebenszeichen von sich. Ferdinand bückte sich nieder und erkannte ihn. Es war sein Vater. Der Niedermüller konnte jeden Augenblick hier sein; er durfte ihn nicht finden. Der vor Schreck zitternde Sohn hob den Leblosen auf und suchte mit ihm den Weg nach der Obermühle zu gewinnen.

Als er so weit fortgekommen war, daß er es wagen konnte, einen Halt zu machen, legte er seine Last auf die Erde. Ein leises Stöhnen und Röcheln war die Folge der dabei verursachten Schmerzen.

„Vater,“ fragte er mit angstvollem Herzen, „lebst Du noch? Hörst Du mich?“

Er bekam jetzt und auf alle seine ferneren Bemühungen keine andere Antwort, als dasselbe Röcheln und Stöhnen. Er nahm ihn wieder auf die Arme und trug ihn, selbst halb bewußtlos, der Gichtmühle zu.

Dort angelangt, fand er die Thür verschlossen. Auch wenn der schwerhörige Hans zu wecken gewesen wäre, er durfte nichts von dem Geschehenen erfahren. Ferdinand entledigte sich deshalb seiner Bürde und stieg den Damm hinan, um durch den verborgenen Eingang in das Haus zu gelangen und dann zu öffnen. Er war nur wenige Schritte noch von demselben entfernt, als eine Gestalt aus der Erde emportauchte und nach dem Deckel griff, um ihn auf den Einstieg zu legen. Sofort hatte er sie ergriffen.

„Halt, Mann! Wer bist Du?“

„Wer — wer — wer ich bin?“ stotterte der Erschrockene. „Wer — wer — wer bist denn Du?“

„Ich bin der Müllerssohn hier aus dem Haus und will wissen, was Du hier zu schaffen hast!“

„Der Müllerssohn? Der Ferdinand?“ klang es mit etwas beruhigter Stimme. „Ja wirklich, Du bist’s! Ich hab’ geglaubt, Du bist gar nicht daheim.“

„Und daher hast Du gemeint, Du darfst jetzt ebenso in das Loch steigen, wie vorher, als der Vater unten war! Sag’ gleich, Lebrecht, was hast Du d’rin gethan?“

„Was ich gethan hab’, willst Du wissen? Deinen Vater, den ‚Geldmarder‘, hab’ ich ausgezahlt. Geh’ nur zur Niedermühl’, da liegt er todt unter meinem Fenster! Er hat mir meinen Lohn verweigert und mich gar noch auf den Kopf geschlagen. -

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geschlagen. Aber der ist dick und hart und verträgt schon einen Puff. Als der alte Heimtücker aus dem Fenster war, hab’ ich ihn ergriffen und von der Leiter gestürzt. Dann bin ich ihm nachgestiegen, hab’ ihm das Herausgeld abgenommen, und nachher — nachher habe ich mir auch noch das geholt, was da unten im Tischkasten war. Verwundre Dich nur, immer verwundre Dich! Vor Dir brauch’ ich mich nicht zu fürchten, denn wenn Du mir ’was thust, so erfährt das ganze Dorf, wer der ‚Marder‘ gewesen ist!“

Er machte sich mit einer raschen Bewegung von den Händen Ferdinand’s los und eilte den Weg zu rück, den er gekommen war. Es kam ihm Alles darauf an, daß seine Abwesenheit nicht bemerkt wurde; deshalb strengte er seinen verwachsenen Körper zum schnellsten Laufe an und fühlte sich nun sicher, als er bei seiner Ankunft bemerkte, daß die Leiter noch hing. Aber noch hatte er die halbe Länge derselben nicht erklommen, so rief es unter ihm:

„Halt an, Spitzbub’, und komm herab, damit ich Dir guten Abend sagen kann!“

Der Schreck fuhr ihm durch alle Glieder. Was sollte er beginnen? Hinauf durfte er nun auf keinen Fall, da wäre er gefangen gewesen, denn der Müller hätte ganz sicher die Leiter herabgerissen, wäre nach oben gekommen und hätte das Geld bei ihm gefunden. Zurück konnte er aber auch nicht. Es gab nur einen einzigen Weg für ihn. Das Fenster, bei dem er eben hielt, führte auf den Treppenboden; wenn er es einschlug und hindurch sprang, so war er gerettet. Er zögerte nicht, diesen Gedanken sofort auszuführen. Die Scheiben klirrten; da ertönte es wieder:

„Halt, Bursch’; nicht weiter oder ich schieß’!“

Das Klingen des aufgestoßenen Fensterflügels bewies, daß er nicht gewillt sei, auf die Warnung zu hören. Der Schuß krachte; der herabstürzende Körper des Getroffenen schlug auf die Erde; er lag an derselben Stelle, an welcher Ferdinand seinen Vater gefunden hatte. —

Der Morgen war noch nicht weit vorgerückt, aber die Kunde, daß Horn heute Nacht den „Geldmarder“ erschossen habe, hatte trotz der frühen Stunde schon viele Neugierige, die den Todten, welcher in seinem Leben so gefährlich war, sehen wollten, aus dem Dorfe herbeigezogen. Er war noch nicht vom Gerichte aufgehoben worden und lag noch an der Giebelseite, wo er getroffen worden war. Der Dorfwächter stand bei ihm und sah streng darauf, daß nichts an dem status quo, wie er sich gelehrt und wichtig ausdrückte, verändert werde.

Da kam Ferdinand langsam und gesenkten Hauptes den Mühlenweg herab. Man hatte ihn noch nicht gesehen und eilte ihm entgegen.

„Weißt Du auch, was hier passirt ist?“ wurde er gefragt, als die Begrüßungen vorüber waren. „Der Niedermüller hat den ‚Marder‘ erschossen, und denk’ Dir nur, sein eigner Knapp’, der Lebrecht ist’s gewesen!“

Er horchte hoch auf und ließ sich zu der Leiche führen. Es war kein schöner Anblick, der sich ihm bot; trotzdem nahm sein Gesicht einen helleren Ausdruck an, begann sich aber bald wieder zu verfinstern, als man ihm bemerkte:

„Wie gut, daß er unschädlich gemacht ist! Er hätt’ Dir eben solchen Schaden gemacht, wie dem Horn und noch Anderen, denn Dein Vater ist jetzt Niedermüller und würd’ ihn sicherlich behalten haben!“

„Mein Vater ist heut’ Nacht an seiner Gicht gestorben, und wer Niedermüller ist, das wird sich erst noch finden!“

Er wartete die Antwort der Verwunderten nicht ab, sondern trat in das Haus und klopfte wie gestern an die Thür. Der Müller öffnete selbst.

„Du bist’s schon wieder? Was willst Du heut’?“

„Ich möcht’ Euch an das Wort erinnern, welches ich Euch gestern beim Abschied gesagt habe.“

„An welches?“

„Ich sagte: ‚Wenn ich wiederkehr’, so bleibt Ihr Niedermüller!‘ Ich bin gekommen, um dieses Versprechen zu halten!“

„Das ist nicht möglich. Sag’s deutlicher, was Du meinst!“

„Der Vater ist todt. Wenn die Gicht erst einmal in den Leib tritt, so ist’s oft schnell zu End’. Ich mag die Niedermühl’ nicht haben und will sie Euch verkaufen!“

„Die Niedermühl’? Verkaufen? Willst Du mich etwa verhöhnen?“

„Das kommt mir gar nicht in den Sinn! Wenn Ihr sie gern behalten wollt, so sollt Ihr mich bereit und billig finden. Ich hab’ Euch schon gesagt, daß ich gern gut machen will, was Euch Böses geschehen ist; nur sollt Ihr nicht auch mich für schlimm und ungut halten!“

„Wenn es Dein Ernst ist, so will ich gern vergessen, was ich Dir vorgeworfen hab’. Schau, der ‚Marder‘ hat seinen Lohn bekommen. Es war mein eigner Knecht. Ich traf ihn grad’, als er herab wollt’, um mein Herausgeld fortzutragen. Nun weiß ich auch, warum er stets gewußt hat, wenn ich welches bekam und wo ich es liegen hatte. Auch das von den letzten Malen trug er bei sich; er muß irgendwo ein Nest haben, wo es versteckt liegt, und es ist ganz möglich, daß wir es einmal finden. Was ich bei ihm gefunden hab’, reicht vielleicht zur Anzahlung hin, wenn Du mit Deiner Forderung nicht gar hoch hinaus willst. Für welchen Preis giebst Du die Mühl’ zurück?“

„Für denselben, den der Vater gestern gezahlt hat. Ein Angeld braucht Ihr nicht zu geben. Ich laß Alles darauf stehen, und vor der Hand sollt Ihr auch keine Zinsen zahlen.“

Horn sah ihn erstaunt an.

„Du bist nicht klug! Mir kann’s schon recht sein, wenn ich so wohlfeil bleiben darf; aber Du mußt auch auf Dich sehen und in Deiner guten Meinung nicht zu weit gehen. Warum willst Du nicht selber Niedermüller werden?“

„Weil ich dann eine Müllerin brauche, und das könnt’ nur die Bertha sein. Ihr aber habt gesagt, wir sind geschied’ne Leut’ und das Klausvolk darf Euch gar nimmer in die Stub’!“

Horn reichte ihm mit einem versöhnenden Lächeln die Hand entgegen.

„Ich bin hart gegen Dich gewesen, Ferdinand, weil auch ich hart getroffen war. Der Hans ist gut und treu; setz’ ihn auf die Obermühl’ und komm’ zu uns herab! Die Müllerin ist vor Herzleid krank geworden; Du machst sie mit Deiner Güte wieder gesund. Und die Bertha hat Dich lieb, sonst hätt’ sie gestern nicht für Dich gebeten. Laß uns freundlich zueinander sein, dann will ich nicht mehr daran denken, daß mein Haar weiß ist und daß ich gestern die Subhaste hab’ erdulden müssen!“

In den Zügen des Jünglings sprach sich eine tiefe Bewegung aus. Er ergriff mit der einen Hand die dargebotene Rechte und hielt die andere dem erröthenden Mädchen hin.

„Habt Dank, Niedermüller! Ich sagt’ Euch gestern wohl, Ihr würdet einsehen, daß ich nicht so schlimm bin, als Ihr meintet. Aber wenn der Vater auf dem Sarg liegt, so ziemt es sich schlecht für den Sohn, an Freud’ und Fröhlichkeit zu denken. Ich hab’ seit meiner Heimkehr viel Trauriges erlebt, mehr als Ihr glaubt und wißt. Laßt mich jetzt meine Leich’ begraben; vielleicht wird mir das Herz dann wieder leicht, und nachher soll die Bertha die Erste sein, die mich lachen hört. Ihr seid jetzt gut zu mir; vergebt auch dem Vater. Die Elendsmühl’ bleibt Euch erspart, und er ist ja dahin gegangen, wo man Vergebung braucht!“