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Der Herrgottsengel.

Erzählung von Emma Pollmer.

I. Beim Schmuggelbalzer.

Der Abend begann zu dämmern. Das Mädchen, welches dem auf halber Bergeshöhe liegenden Kirchhofe zuschritt, sputete sich; der Ort, nach dem es seine Schritte lenkte, gehörte zu denen, welche man nicht gern in der Dunkelheit aufzusuchen pflegt. Noch glänzte der Himmel im Lichte des scheidenden Tages; aber das Thal hüllte sich bereits in tiefe Schatten, und die alten rissigen Mauern des Gottesackers blickten beinahe gespenstig aus dem sich schwärzenden Grün der hoch emporsteigenden Halde hernieder.

Das breite, rostige Gitterthor knarrte in den Angeln. Der Mann, welcher hervortrat, hatte Hacke und Spaten über die Schulter gelegt und schickte sich eben an, den Eingang wieder zu verschließen, als er die Nahende bemerkte.

„Wünsch’ guten Abend, Jungfer Selma!“ grüßte er. „Kommst heute ja recht spät! Soll ich vielleicht warten und nachher Dich bis ins Dorf geleiten? Die Nacht ist da, und der Fußsteig geht schlimm abschüssig.“

„Ich danke, Hans,“ beantwortete sie die vertraulich höfliche

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Rede. „Geh’ nur immer heim; der Weg ist mir gewohnt, und ich werd’ ihn schon gut finden. Hast wohl Arbeit hier da drin gehabt?“

„Ja, ein Grab.“

„Ein Grab? Ist denn Jemand gestorben? Da müßt’ ich doch auch etwas davon gehört haben!“

„Gestorben ist Niemand; aber der Klapperbein kam letzte Mitternacht an mein Fenster und hat mir die Arbeit anbefohlen. Du weißt ja, daß er die Leich’ immer schon im Vorher kennt. Ich bin neugierig, für wen ich die Grube bereitet habe. Schlaf’ wohl und komm gut nach Haus’!“

Er stieg langsam den Berg hinab. Sie trat durch das Thor und schritt zwischen den Gräbern hindurch einem kleinen, niedrigen Häuschen zu, welches sich gebrechlich an die hintere Kirchhofsmauer lehnte. An der Thür desselben vorübergehend, bog sie um die Ecke, räusperte sich und blieb dann horchend stehen.

„Wer kommt?“ fragte eine tiefe Stimme aus dem wirren Gesträuch heraus, welches den Winkel bogenförmig umschloß.

„Ich bin’s!“ erwiderte sie. „Ich bring’ die Speis’ für den Tag.“

„Die Selma? Wart’, ich komm’ sogleich!“

Die Zweige wurden raschelnd auseinander gebogen, und eine ungewöhnlich lange und dabei außerordentlich schmächtige Gestalt kam auf das Mädchen zu.

„Bist ja heut’ beinah’ zur todten Nacht erst hier! Hast keine Furcht vor mir und vor den Todten?“

„Warum vor Dir? Hast mir ja noch niemals ’was zu Leid gethan! Und vor den Todten fürcht’ ich mich schon auch nicht; mein Gang ist ja ein nöthiger. Nur wer aus Uebermuth zum Gottesacker geht, darf denken, daß ein Geist hervorsteigen und ihm begegnen könnt’.“

„Es steigt keiner heraus, Selma. Was der Tod einmal genommen hat, das giebt er nimmer wieder frei — ich hab’s erfahren!“

Die letzten drei Worte erklangen langsam und hohl; sie kamen so schwer zwischen den Lippen hervor, als hänge das Gewicht eines ganzen vertrauerten und verlorenen Lebens an ihnen, und es dauerte längere Zeit, ehe er fortfuhr:

„Ich hab’ auf Einen gewartet und geharrt viele, viele Jahr’; aber er hat nicht kommen können; der Hügel liegt zu hoch und fest auf ihm. Und Geister — — ja, was ist ein Geist? Wenn wir sterben, so begräbt man uns, und unser Leib verwest; über der Erd’ aber bleibt nur unsere That zurück und lebt in ihren Folgen fort, wenn längst kein Staub von uns mehr übrig ist. Kann diese Folg’ Gestalt annehmen und nachher als Geist erscheinen? — Gieb mir den Korb!“

Er nahm ihn aus ihrer Hand und trat in das Haus. Nach wenigen Augenblicken kehrte er wieder und gab ihn ihr geleert zurück. Sich dann zu ihr niederbeugend, legte er ihr die beiden kalten, dürren Hände auf das Haupt.

„Der einzige Geist, der hier wandeln geht, der bin ich, Selma. Ich bin todt schon lange, lange Zeit; ich bekomm’ nur Dich und den Leichenhans zu sehen; sonst aber bin ich bereits abgeschieden, obgleich Du mich noch greifen kannst. Die aber, die sie damals begraben haben dort in die Eck’, die lebt noch unten im Dorfe, und Mancher hat’s erfahren, ganz ohne daß er es weiß. Ich bin in ihr gestorben; sie ist in mir leben geblieben, und die Lieb’ ist schuld an Beidem, an meinem Tode und an ihrem Weiterleben. Hast sie auch schon empfunden, die Lieb’, Selma?“

Sie verstand die wunderbaren Worte nicht, welche wie unlösbare Räthsel hier an dem Orte erklangen, der das letzte und größte Räthsel des menschlichen Seins mit seinen Hügeln und Kreuzen deckte. Sie bebte unter der Berührung seiner Hände und konnte seine Frage nur mit einem tiefen, seufzenden Athemzuge beantworten.

„Hast sie also auch schon kennen gelernt, und sie will Dir ihre freundliche Seit’ nicht zeigen? Halt’ aus Selma, halt’ aus! Du siehst der Bertha, Deiner Tant’, so ähnlich wie aus dem Aug’ geschnitten; darum hab’ ich Dich lieb, und darum sollst Du glücklich sein. Sie nennen mich den Klapperbein, weil ich todt

bin für die Welt und weil der Gram mich bis aufs Geripp’ verzehrt und abgejammert hat; sie reden von mir wie von Einem, auf den Niemand mehr rechnen darf; aber der Klapperbein hat dennoch Trost und Hilf’ für Dich, wenn Du einmal eines mächtigen Beistandes von Nöthen bist. Geh’ jetzt, Selma! Ich will Dich bis an die Pfort’ begleiten.“

Er schritt ihr bis zum Gitterthore voran. Sie folgte ihm mit leisen Schritten, als dürfe sie die Ruhe und Stille des Todes nicht verletzen, dem er nach seiner eigenen Versicherung anheimgefallen war. Eine ganze Reihe von Jahren her hatte sie ihm täglich zur Zeit der Dämmerung das Essen gebracht und dabei noch niemals ein Wort aus seinem Munde vernommen. War etwas zu erwähnen gewesen, so hatte er einen Zettel in den Korb gelegt. Heute war es zum ersten Male, daß er zu ihr sprach; sie kannte seine trübe, öde Vergangenheit; aber seine Rede vermochte sie nicht zu verstehen. Nur Eins fühlte sie: er war ihr freundlich gesinnt, und das gab ihr den Muth zu einer mädchenhaft neugierigen Frage:

„Hast heut’ ein Grab machen lassen, und doch ist Niemand todt. Sag’, wer wird sterben?“

„Der Schmuggelbalzer,“ antwortete er einfach. Er konnte in der Dunkelheit die Wirkung nicht erkennen, welche diese Auskunft auf das Mädchen hervorbrachte; das Thor verriegelnd, fügte er hinzu:

„Sag’ dem Vater, die Zeit ist wieder um. Gut’ Nacht, Selma!“

„Gute Nacht!“ erwiderte sie leise und stieg dann langsamen und zögernden Schrittes die Höhe hinab. Die Unterhaltung gab ihr viel zu denken, und die Nachricht, daß der Schmuggelbalzer sterben werde, hatte erschütternd auf sie gewirkt; sein Sohn war ihr Geliebter.

Zu Hause angekommen, fand sie die Heimgenossen beim Abendbrode versammelt. Nur der Vater fehlte. Er saß in der Nebenstube am Schreibpulte, und darum wurde die Unterhaltung nur leise geführt; denn Jeder wußte, daß man den Herrn Ortsrichter bei der Arbeit nicht stören könne, ohne ihn in großen Zorn zu bringen. Und vor diesem Zorne hüteten sich Alle; der Richterbauer war ein gefürchteter Mann.

Sie setzte sich mit an den Tisch.

„Hast schon mit dem Ludewig gesprochen, Selma?“ fragte eine der Mägde.

„Nein. Er ist ja fast die ganze Woch’ nicht hier gewesen, weil er jetzt in der Gärtnerei gar viel zu schaffen hat.“

„Er ist vorgestern droben beim Herrgottle gewesen.“

„Beim Herrgottle? Woher weißt Du das, und was hat er dort gewollt?“

„Das kann ich nicht sagen. Ich hab’ es von dem Meinigen, der ist ihm begegnet, und dann hat am Herrgottskreuzle fast eine ganze Stund’ lang die Latern’ gebrannt.“

Das hochinteressante Thema wäre vielleicht weiter verfolgt worden, wenn sich nicht in diesem Augenblicke nach kurzem Klopfen die Thür geöffnet hätte. Eine alte Frau, welche sich auf zwei Krücken stützte, trat ein.

„Ist der Richter daheim?“ fragte sie nach dem üblichen Gruße.

Da die Thür zum Nebenzimmer nur angelehnt war, so hatte der Genannte die laute Frage vernommen. Er erhob sich rasch von seinem Stuhle und trat näher. Auf seinem Angesichte war die Röthe des Zornes deutlich zu erkennen.

„Das ist ja wieder die Botengustel! Habe ich Ihr denn nicht schon dreimal gesagt, daß Sie mir mit Ihrem Gelamentir’ vom Halse bleiben soll? Morgen ist der Termin, und wenn Sie die Steuer nicht schafft, so wird Sie ausgepfändet. Davon helfen Ihre schönen Wort’ Ihr nimmer los; hätt’ Sie Ihre Schnapsdreier gespart, so könnt’ Sie Ihrer Pflicht nachkommen. Marsch fort; ich hab’ mehr zu thun, als Ihr Geschrei anzuhören!“

„Und doch wird der Herr Richterbauer anhören, was ich ihm zu sagen hab’; dafür ist er da, und dafür bekommt er seinen Lohn. Ich will Ihn gar nicht wieder mit Klag’ und Bitt’ belästigen; ich hab’ nun doch zur Genüg’ erfahren, daß dies bei Ihm nichts hilft. Und was die Schnapsdreier betrifft, die Er mir zum Vorwurf macht, so mach’ doch Er einmal in Sturm

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und Schnee, in Frost und Wetter den Botenweg über das Gebirg’ und sehe Er, ob Er es ohne den Tropfen fertig bringt, der den alten Leib erwärmt. Freilich, Wein kann ich nicht haben, von dem Seine Nas’ so schön zinnobrig geworden ist, auch ohne daß Er sie erfroren hat, wie ich die meinige!“

„Was will Sie mir da sagen?“ schnaubte der Richter sie an. „Soll ich Sie etwa einstecken lassen?“

„Dazu hat Er die Gewalt, aber nicht das Recht. Wer mir den nothwendigen Trunk vorhält, der mich wöchentlich zwei Dreier gekostet hat, dem darf ich auch seinen Wein vorwerfen, der doch viel theurer ist. Aber ich bin nicht gekommen, um mich mit Ihm zu zanken, sondern wegen den rückständigen Communabgaben. Hier ist das Geld!“

„Ah,“ lachte der Bauer, „sieht Sie, wie prächtig Sie bezahlen kann? Ich kenn’ schon meine Leut’. Das Pack hat nimmer eher Geld, als bis ihm das Messer an die Kehl’ gesetzt wird. Ich will Sie mit Ihrer Bitt’ an die Gemeind’ schon heimleuchten!“

„Ja, das thut Er gern; das weiß das ganze Dorf! Aber wenn bei Ihm kein Erbarmen zu finden ist, so giebt’s noch Hilf’ beim lieben Gott. Er hat mir die Steuer geschickt und auch noch mehr dazu.“

„Der liebe Gott? Das mach’ Sie doch nur mir nicht weiß! Sie hat Ihren Sparpfennig herausgeholt, so ist die Sach’!“

„Den Sparpfennig hat die Krankheit schon seit lange aufgezehrt. Ich hab’ das Reißen bekommen und meine Verrichtung

aufgeben müssen; die Noth ist dann gar bald eingetroffen, und als ich gar zum Krückzeug greifen mußt’, hat Er meine Bitt’ um Nachsicht abgelehnt, anstatt mich zu unterstützen, wie es doch Seine Pflicht gewesen wär’. Da hab’ ich mir einen Brief schreiben lassen, wo Alles d’rin gestanden hat, und ihn gestern Abend hinauf zum Herrgottle getragen; das Licht für seine Latern’ hab’ ich mir beim Krämer geborgt; in meiner Tasch’ war kein armer Heller mehr zu finden. Vorhin nun, vor wenig Augenblicken, klopft es an den Laden; ich raff’ mich empor, geh’ aus der Stub’ und schieb’ die Hausthür auf. Da hängt ein Leinwandbeutel an der Klink’, aber kein Mensch ist rings zu sehen. Ich frag’ und ruf’, aber es antwortet Niemand, und so geh’ ich wieder in die Stub’ zurück und brenn’ die Lamp’ an, um zu seh’n, was in dem Beutel ist. Was meint Ihr wohl, Ihr Leut’, was ich gefunden hab’? Dreißig Thaler sind’s gewesen, dreißig harte, blanke Thaler, und dabei hat ein Zettel gelegen, darauf stand geschrieben: ‚Der Botengustel vom Herrgott geschickt.‘ Der Herrgottsengel hat mir das Geld gebracht, und so bin ich gleich herbeigelaufen, um die Steuern zu bezahlen, damit Er mir morgen mein armseliges bischen Hab und Gut nicht wegnimmt. Aber geb’ Er wohl Achtung, daß Er sich nicht auch noch einmal an das Herrgottle wenden muß! Es ist nicht aller Tage Abend, und Er ist ja auch erst nur ein armer Todtengräber gewesen und für ein paar Kreuzer auf den Schleichhandel gelaufen, ehe Ihn der Klapperbein zum reichen Richterbauer gemacht hat!“

(Fortsetzung folgt.)

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Der Herrgottsengel.

Erzählung von Emma Pollmer.

(Fortsetzung.)

Sie legte das bereits abgezählte Geld auf den Tisch. Der Richter fand vor Grimm über die muthige Rede der Frau keine Worte. Seine Augen sprühten Feuer; seine Hände ballten sich. Er machte Miene, sich auf die Botengustel zu stürzen, besann sich aber noch rechtzeitig, daß ihm aus einem Angriffe auf die gebrechliche Alte wohl wenig Ehre erwachsen werde. Sein Zorn mußte einen anderen Gegenstand haben, sich an ihm abzukühlen.

„Wer hat den Brief geschrieben?“ fragte er. „Denn Sie ist doch zu dumm, sich so ein Schreiben selber aufzusetzen!“

„Ja, so klug und gescheit wie der Herr Richterbauer bin ich freilich nicht; aber der ihn geschrieben hat, bringt’s schon auch noch fertig. Des Schmuggelbalzers Ludewig ist’s gewesen.“

„Der —? So also lohnt er meine Lieb’ und Güt’, die ich ihm erwiesen hab’, dem Lodrian? Da werd’ ich bald ein Wort mit ihm reden, das ihm gewaltig in die Ohren klingen soll! Er wird genau erfahren, was es heißt, Euer Herrgottle gegen die Obrigkeit zu hetzen!“

Die Botenfrau hatte eine weitere scharfe Entgegnung auf den Lippen; sie konnte dieselbe nicht aussprechen, denn es klopfte rasch und scharf, und auf das grollende „Herein!“ des Richters trat ein junger Mann in die Stube, dem eine ungewöhnliche Erregung anzusehen war. Der Hausherr ließ ihm keine Zeit zum Gruße.

„Da ist er ja gleich, der Botengustel ihr Geheimschreiber, der so schöne Bettelbrief’ an den Herrgottsengel fertig bringt! Kommst grad’ zur rechten Zeit, Bursch’, um zu hören, was solch’ eine Scriblifexerei einbringen kann!“

„Laßt mich jetzt geh’n, Herr Richter,“ fiel der Angekommene schnell ein. „Der Vater ist am Sterben; es hat ihn über alle Maßen schnell gepackt, und er läßt Euch bitten, doch rasch zu ihm zu kommen. Er hat mit Euch zu sprechen!“

Er trat an den Tisch und reichte Selma die Hand. Der Zorn des Richters schien mit einem Male von ihm gewichen; es blitzte hell und freudig über sein Gesicht; doch nur für einen kurzen Moment. Im nächsten Augenblicke hatte seine Miene den Ausdruck der Teilnahme angenommen.

„Sterben will er?“ rief er wie bestürzt. „Es wird wieder nur ein kurzer Ueberfall sein, den das Fieber macht. Die Zehrkrankheit hat so diese Mode.“

„Nein, es ist jetzt gewiß der richtige Ernst; der Tod steht ihm ganz deutlich im Gesicht. Bitt’, Herr Richter, macht rasch, sonst kommt Ihr zu spät!“

So hastig, wie er eingetreten war, ging er wieder fort. Die Sterbekunde war wie ein beruhigender Hauch über den Hader gegangen. Der Bauer schrieb in Eile eine Quittung für die Botenfrau, die sich schnell entfernte, und suchte dann angelegentlich in den Fächern seines Schreibepultes herum. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Thür zur Wohnstube verschlossen sei, zog er ein unausgefülltes Wechselsformular hervor. Es war kein gutes Auge, mit welchem er das Papier betrachtete, und die Laute, welche er murmelte, klangen scharf und entschlossen zwischen den Lippen hervor.

„Endlich, endlich ist es aus mit ihm! Der Gedank’, daß er mich verrathen werd’, hat mich gequält bei Tag und Nacht und mir wie ein Berg stets auf der Seel’ gelegen. Das Tributzahlen hört nun auf; ich hab’ es längst schon satt und werd’ mir jetzt Alles wiederholen, was er mir abgezwungen hat. Nun werd’ ich auch den Ludewig los, den Habenichts, den ich nur aus Sorg’ vor seinem Vater gelitten hab’. Aber klug muß ich es anfangen mit dem Wechsel. Er hat schon lange Jahr’ im Kasten gelegen und auf den Tag gewartet, der heut’ gekommen ist. Der Alte muß ihn vom Ludewig unterzeichnen lassen; sie haben alle Beid’ noch keinen Wechsel geseh’n und wissen nicht, wie man ihn schreiben muß. So komm’ ich wieder zu dem Meinigen und schaff’ zugleich die Liebelei aus dem Haus. Der reiche Richterbauer ist kein Schwiegervater für so einen mausigen Schmuggelbalzersbub’, der kaum einen ganzen Rock am Leibe hat und mich noch obendrein mit seiner Herrgottspost blamirt!“

Er machte sich zum Ausgehen fertig. Als er durch die Stube ging, war das Abendessen beendet, und das Gesinde hatte sich in Haus und Hof zerstreut.

„Bertha!“ rief einer der Knechte draußen im Flur, und als die Magd, welche er suchte, nicht antwortete, wiederholte er seinen Ruf.

Im Nu stand der Bauer hinter ihm und schlug ihm mit der Faust auf den Kopf, daß er fast zusammenbrach.

„Was hat denn der Sackerment hier zu schrei’n, daß Einem das Ohr zerplatzen möcht’?“ fuhr er ihn wüthend an. Seine Züge waren verzerrt, als habe ein fürchterlicher Schreck sie verzogen; sein Auge glühte zwischen Angst und Zorn, und aus dem Gesichte war die Farbe vollständig gewichen. „Sagst Du den Namen nur noch ein einziges Mal, so schlag’ ich Dich zu Boden und werf’ Dich dann zur Thür hinaus!“

Der Knecht schlich sich lautlos von dannen. Er hatte nicht daran gedacht, daß der Richter den Namen Bertha nicht hören konnte, ohne in die äußerste Wuth zu gerathen. Noch eine ganze Weile stand der Bauer mit gezückten Armen auf derselben Stelle; es war, als habe er ein Gespenst gesehen oder den Schlag selbst erhalten, welchen er dem unachtsamen Dienstboten gegeben hatte. Dann verließ er langsamen Schrittes den Hof.

Nicht weit vom Richtergute stand inmitten eines gut gepflegten Gärtchens ein kleines Haus. Er stieß die unverschlossene Pforte des Gartens auf. Ludwig, welcher ihn erwartet hatte, empfing ihn hier.

„Geht grad’ hinein in die Stub’, Herr Richter! Der Vater ist allein. Er hat befohlen, daß die Mutter und ich hinausgehen sollen, um Euch nicht zu stören.“

Als er den Wohnraum betrat, blieb er fast erschrocken unter dem Eingange stehen. Das Gesicht, welches ihm vom Lager her entgegenblickte, war ihm Zeit seines Lebens bekannt gewesen; jetzt aber schaute es ihn an wie ein vollständig fremdes, und die einst so vertrauten Züge waren wie unter einer starren, unheimlichen Larve verborgen. Die Augen lagen tief in ihren ausgetrockneten Höhlen, die Wangen waren eingefallen, die Schläfe eingesunken; der Tod hatte seine kalte, unerbittliche Hand auf das Haupt des Schmuggelbalzers gelegt und ihm nur noch kurze Frist gegeben; das war dem Leidenden deutlich anzusehen.

„Kommst endlich, Schubertfrieder?“ tönte eine matte, klanglose und hüstelnde Stimme. Balzer hatte den stolzen Mann niemals anders als bei seinem früheren Namen gerufen. „Setz’ Dich ganz her zu mir! Ich hab’ mit Dir zu reden, was Niemand weiter zu hören und zu wissen braucht.“

Schubert folgte der Weisung. Der Anblick des einst so rüstigen Jugendgefährten ließ ihn verstummen.

„Paß’ auf, Frieder, was ich Dir sag’; viel Wort’ kann ich nicht machen, denn es kostet mich jedes eine Stund’ vom Leben. Ich will Abrechnung halten mit Dir.“

„So sprich!“

Mehr vermochte der Richter nicht zu sagen. Er fühlte, daß er sich sammeln müsse.

„Ich steh’ am Ziel’; die Ewigkeit braust mir schon um die Ohren, und ich weiß nicht, wohin mit meiner Schuld und Sündenhaftigkeit. Anklagen hab’ ich mich nicht wollen; ich hab’ den Muth dazu nicht mehr und darf auch keine Schand’ über mein Weib und mein braves, einzig’s Kind bringen. Die Reu’ hat mich zerfressen wie der Rost das Eisen, und als ich zuletzt nimmer aushalten konnt’, hab’ ich einen Brief an das Herrgottle geschickt und gefragt, ob ich auch ohne Beicht’ selig werden kann, wenn ich eine Sünd’ bereu’, die nicht mehr aufzubessern ist. Gestern Abend ist die Antwort ’kommen: ‚Wenn die Beicht‘ wirklich Niemandem nichts helfen kann, so soll ich ruhig sterben; der liebe Gott werd’ mir auch ohne sie vergeben. Was thu’ ich nun, Schubertfrieder?“

Der Bauer schwieg. Der Kranke fuhr nach einer Pause der Erholung fort:

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„Du bist mein böser Geist gewesen und hast mich vom guten Weg auf den schlimmen gebracht. Die Folg’ war für Dich der Richterhof und für mich die Zehrsucht. Darauf hast gemeint, Du brauchst mich nicht mehr, und bist mir fleißig aus dem Weg gegangen; aber ich hab’ Dich festgehalten und kann Dich noch heut’ vom Hof und Amt fortbringen. Soll ich’s thun, Schubertfrieder?“

„Das thust Du nicht; dazu sind wir zu gute Freund’ gewesen!“

„Laß die Freundschaft nur ja bei Seit’! Zuerst hast Du mich ausgenutzt, und dann bin ich Dir auf dem Beutel gesessen; denn ich hab’ Dich nachher gehaßt, gehaßt wie — wie, ich kann’s nicht aussagen, wie; ich weiß, Du bringst mich in die Höll’, denn für den Ludewig werd’ ich schweigen. Für ihn will ich noch einmal, noch auf dem Sterbelager meine Seel’ verkaufen. Was giebst’ für sie, Schubertfrieder?“

„Nichts geb’ ich, gar nichts! Du bist der Nimmersatt, der mich schon fast bis in die Armuth hinein ausgezogen hat!“

„Red’ nicht so traurig’s Zeug! Der Richterhof ist vierzigtausend Thaler werth; Du hast ihn vom Klapperbein umsonst bekommen. Was Du mir nach und nach hast zahlen müssen, macht noch nicht ganz zwölfhundert Thaler. Ich hab’ das Häuschen, den Garten und die Wies’ damit bezahlt. Das Heimwesen kostet mich aber mehr, weit mehr, hör’s wohl, Schubertfrieder, es kostet mich meine Seligkeit!“

„Weißt’ wirklich so genau, daß ich den Richterhof umsonst bekommen hab’?“

„Du selbst hast mir’s und auch dem ganzen Dorf gesagt. Wenn Du gelogen hast, ist’s Deine eigne Schuld. Der Klapperbein hat Dir das Gut geschenkt, weil er meint, die Bertha sei damals —“

„Willst’ gleich schweigen, Schmuggelbalzer,“ rief Schubert, vom Stuhle aufspringend, als habe ihn eine Natter gebissen, „oder soll ich mit meiner Hand dem Zehrfieber nachhelfen, damit Du rascher das End’ erreichst? Sag’ mir den Namen nicht wieder, das rath’ ich Dir!“

„Ja, Du kannst ihn nicht hören; das hab’ ich vergessen. Das ist das Gewissen; aber es wird noch gar anders kommen, wenn für Dich einmal die Stund’ geschlagen hat, die jetzt für mich da ist! Ich mein’, der Klapperbein hat Dir das Gut geschenkt, um das zu sühnen, daß er Deine Schwester in den Schacht gestoßen hat. Du mußt ihm dafür das Essen schicken, so lang’ er lebt; das und meine zwölfhundert Thaler, die machen Dich nicht arm.“

Er ruhte einige Minuten aus. Das Sprechen griff ihn weit mehr noch an, als er vorher geglaubt hatte. Der Richter unterbrach die Stille nicht; die Klugheit gebot ihm, zu schweigen. Endlich nahm der Leidende das Wort wieder auf:

„Der Ludewig hat Deine Selma lieb, und sie ihn auch. Du hast aus Angst vor mir das Aug’ darüber zugedrückt; nach meinem Tode wird’s ganz anders werden, das weiß ich sehr genau; denn ich kenn’ Dich doch noch besser, als alle anderen Leut’. D’rum will ich sichrer geh’n in meiner Sorg’ für ihn. Er hat die Gärtnerei gelernt und braucht noch eine Zugab’ zu unserm Stückle Grund und Boden. Willst ihm dazu verhelfen, Schubertfrieder?“

„Ja. Ich werd’ ihm einen Fleck von dem Meinigen geben. Ich borg’ es ihm, und er kann es nach und nach abzahlen.“

„Schau, was Du heut’ doch großmüthig bist! Und hältst mich wirklich für so dumm, daß ich Dir trau’?“

„Ich geb’ Dir Schwarz auf Weiß!“

„Das wäre schon gut; aber kaufen, kaufen kann er sich das Stück von Jedem, und Dein Land liegt nicht an dem unsrigen. Der Nachbar will verkaufen. Gieb dem Ludewig das Geld dazu, Schubertfrieder!“

„Bist Du toll, Balzer, oder willst mich noch in Deiner letzten Stund’ vollends ausdrücken?“

„Laß das Lamentiren, und hör’ den Handel! Doch wenn

Du willst, so kann ich auch den Pfarrer zur Beicht’ rufen lassen und ihm die Schrift geben, die ich Dir damals abgezwungen hab’.“

„Sag’, was Du willst!“

„Zweitausend Thaler. Es ist das letzte Mal, daß ich etwas verlang’. Gieb das Geld, und Du bekommst die Schrift zurück. Dann bist Du frei und brauchst vor Niemand keine Sorg’ zu haben!“

Der Fordernde spielte sich selbst dem Richter in die Hände; er ahnte nicht, daß er sich auf dem Punkte befand, an welchem ihn der Letztere haben wollte.

„Zweitausend Thaler? Du bist nicht gescheit! Woher soll ich sie nehmen in dieser schlimmen Zeit?“

„Ich weiß, daß so viel nicht gleich da liegt; aber Du hast die Cass’ von der Commun’!“

„Die ist auch leer.“

„So gieb mir eine Verschreibung; aber gut muß sie sein, und auf bald muß sie lauten. Wenn ich meine Seel’ verkauf’, so soll es nur dem Ludewig zu Gut’ kommen.“

„Es ist zu viel. Tausend will ich schreiben!“

„Hör’, was ich sag’; es gilt! Ich kann nicht länger dauern; die Red’ nimmt mir die Kraft; der Gedank’ wird mir ganz schwach, und ich weiß schon kaum mehr, was ich sprech’. Ich hab’ keine Zeit mehr übrig. Schreib’ zweitausend, oder ich schick’ nach dem Pfarrer!“

„Nun gut! Hast Papier?“

„Nein. Ich weiß, daß Du in Deiner Tasch’ stets welches trägst. Aber Tint’ und Feder find’st auf dem Ofensimmes.“

Schubert nahm das Bezeichnete herab und zog die Brieftasche hervor. Mit Absicht ließ er dem Kranken die leere Seite des Formulars sehen.

„Ich hab’ auch immer Papier bei mir; das Amt erfordert es so. Heut’ aber ist mir’s grad’ ausgegangen.“

„Sei still, Frieder; denn mich vermagst nicht zu betrügen. Dort hast ja welches in der Hand!“

„Das kann ich nicht nehmen.“

„Warum?“

„Es ist ein Wechselbrief auf Sicht; das wär’ mir zu gefährlich!“

„Ein Wechselbrief? Von dem hab’ ich gehört; der ist mir lieber, als jeder andre Urkundenschein; denn da bekommst Du die Pfändung gleich, wenn Du die Zahlung verweigerst. Was ist auf Sicht?“

„Da wird kein Tag geschrieben, sondern ich muß zahlen zu jeder Zeit, sobald der Brief mir vorgezeigt wird.“

„Das ist mir noch lieber; so will ich’s haben. Mach’ das Papier fertig!“

„Ich werd’ ein andres holen!“

„Nein. Schreib’, oder ich schick’ fort!“

„Ich kann nicht, denn Du willst mich nur ins Unglück stürzen. Wenn ich heut’ den Schein ausstell’, so kommst’ schon morgen oder übermorgen, und bis dahin hab’ ich das Geld noch nicht beisammen.“

„Willst mich schon wieder betrügen? Ich werd’ nicht kommen, auf mich darfst Du ihn nicht schreiben; denn ein Todter kann Dir den Brief nicht vorzeigen. Du schreibst ihn auf den Ludewig!“

„Dann wird er unsern ganzen Handel erfahren; denn er muß dann auf das Papier setzen, daß er den Wechselbrief als Geld von mir annimmt.“

„Er wird nichts erfahren. Schreib’ schnell; ich wart’ keine Minut’ mehr länger!“

„Du bist ein wahrer Drach’, Balzer. Verrathen darfst mich nicht; lieber will ich mich pfänden lassen, wenn der Ludewig das Geld zu früh von mir fordert! Aber hast auch mein Papier? Ich geb’ den Wechsel nicht eher aus der Hand, bis ich’s zurück hab’.“

„Schau her. Hier ist’s!“ (Fortsetzung folgt.)

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Der Herrgottsengel.

Erzählung von Emma Pollmer.

(Fortsetzung.)

Der einstige Schmuggler griff unter die Decke und nahm einen zusammengebrochenen Bogen hervor, den er dem Richter zeigte. Dieser nickte befriedigt und langte nach der Feder. Das schon halb gebrochene Auge des Sterbenden verfolgte fast angstvoll die langsamen Bewegungen des Schreibenden.

„Mach’ schnell, Frieder; das Herz wird mir schon kalt!“

„Ich bin fertig. Soll ich den Ludewig rufen?“

„Lies mir erst vor!“

Schubert that es.

„Zeig’ her; ich will’s auch seh’n!“

„So schau! Hier steh’n zweitausend Thaler, erst in Zahlen und dann auch sogar in Worten, damit Du ganz sicher bist. Und hier ist auch mein Nam’ hereingeschrieben; den kann ich nicht wegleugnen, und Niemand vermag ihn herauszukratzen.“

„Ja, ich seh’ es; der Wechselbrief ist richtig. Ruf’ mir den Bursch’ herein!“

Ludwig hatte sich in der Nähe gehalten; er war schnell bei der Hand.

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„Tritt näher!“ gebot sein todesmatter Vater. „Ich werd’ Dir nachher Alles erklären, jetzt bin ich zu schwach dazu; aber ich hab’ mir nach und nach ein Geld zurückgelegt und es dem Schubertfrieder zum Aufheben gegeben. Ich dacht’ nicht, daß es so bald mit mir zu End’ gehen werd’, und wollt’ Dir eine Zugab’ zusammenhalten, wenn Du einmal eine Frau nimmst. Ich hab’ bisher keine Quittung verlangt; nun es jedoch so mit mir steht, hat Dir der Frieder einen Wechselbrief geschrieben, damit Du Dir die Ersparung holen kannst, sobald Du ihrer bedarfst. Schreib’ Deinen Namen hin; der meinige ist nichts mehr nütze, und Du bist der Erbe!“

„Vater,“ rief der junge Mann, kämpfend zwischen Schmerz und Freude, „ich wollt’ lieber, Du wärst —“

„Laß jetzt, laß! Die Sach’ muß schnell geh’n; ich muß schlafen und kann das Aug’ kaum länger offen halten. Schreib’, sonst gilt es nichts!“

„Darf ich den Brief erst lesen? Ich hab’ noch keinen gesehen.“

„Schau her!“ meinte der Richter. „Da steht die Summ’ zweimal und auch mein Nam’ dabei. Aber mach’ rasch! Du mußt hinzufügen: ‚angenommen‘ und Dich dahinter. Oder,“ setzte er schalkhaft lächelnd hinzu, „willst etwa die Schuld nicht von mir annehmen und sie mir lieber schenken?“

„Gebt her die Feder! Wo kommt es hin?“

„Hier quer unter das große Wort. Nun schreib’!“

Er that es und entfernte sich dann auf das Geheiß des Vaters wieder.

„So, das ist abgemacht. Hier hast den Wechsel, Balzer, und nun gieb auch das Papier!“

„Frieder, ich bin müd’, und ich glaub’, es ist nicht bloß der Schlaf. Ich hab’ viel gegeben für den Brief und noch in der letzten Stund’ den Sohn mit einer Lüg’ bedient. Du hast viel an mir verbrochen; aber gieb dem Ludewig das Geld, und ich will Dir Alles verzhei’n. Hier ist die Schrift!“

Er wollte unter die Decke langen, hatte aber die Kraft nicht mehr dazu.

„Ich kann nicht — nimm sie Dir selbst!“

Die schweren Lider fielen ihm über die Augen; der Athem ging röchelnd, und die Stirn bedeckte sich mit großen Schweißtropfen.

„Hast sie —? Ja —? So steck’ den Wechsel — hier an ihre — — Stell’!“

Ein kurzes, krampfhaftes Zittern ging durch seine Glieder, und seine Gestalt streckte sich mit einem gewaltigen Rucke in die Länge.

„Ist — er — — dort?“ stieß er nur lallend noch hervor.

Schubert stand hochaufgerichtet vor ihm. Mit triumphirender Miene schob er die beiden Papiere in seine eigene Tasche.

„Nein, Schmuggelbalzer, er ist nicht dort,“ antwortete er, den Mund nahe an das Ohr des Sterbenden haltend, „sondern ich hab’ ihn eingesteckt. Jetzt kommt die Rach’ dafür, daß Du mir damals das Papier abgezwungen hast. Ich hab’ Dir das Schweigen bezahlen müssen, und nun ist der Wechselbrief falsch. Hörst’s, Balzer, Schmuggelbalzer? Der Wechselbrief ist falsch, und der Ludewig wird ihn lösen müssen. Ich nehm’ ihm das Haus, den Garten und die Wies’; hast’s verstanden, Balzer?“

Es war ein wahrhaft teuflisches Vergnügen, welches seine Züge entstellte. Der Schmuggler hatte die Worte doch vernommen; seine bereits schwindende Seele kehrte noch einmal in den Körper zurück. Die Erkenntniß, daß er noch im Tode betrogen sei, schnellte seinen Körper zum letzten Male in die Höhe.

„Schubertfrieder,“ — — die Zunge suchte angstvoll nach Worten; die Augen traten stier aus den tiefen Höhlen hervor, und die langen, abgezehrten Arme zuckten drohend empor — „fahr’ zur Höll’ — stirb ohne Beicht’, wie ich — — schaff’ den Brief heraus — sonst ruf’ ich. Hilf’ — Hilf’ — — Lud — Lu — — Llll — —“

Er sank zurück; der Name des Sohnes starb in einem verhauchenden Aechzen dahin. Der Schmuggelbalzer lag bereit für das Grab, welches der Leichenhans heut’ für ihn bereitet hatte.

Der Richterbauer war Todtengräber gewesen; er hatte gar mancher Leiche in das erstarrte, hippokratische Angesicht geschaut;

er blickte auch jetzt ohne äußere Zeichen von Furcht oder Schreck auf den vor ihm liegenden Todten, fühlte noch einmal nach den Papieren und schritt dann langsam zur Thür hinaus.

Draußen im Gärtchen stand Ludwig mit seiner Mutter.

„Ihr seid fertig, Herr Richter?“ fragte er. „Dürfen wir jetzt hinein?“

Schubert legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ja, Ihr dürft hinein, alle Beid’. Geht nur immer zu! Er hat vor seinem End’ noch gar schön für Euch gesorgt, schöner und besser, als Ihr’s denkt, und wenn es Euch gar zu prächtig wird, so kannst ja wieder einen Brief hinauf zum Herrgottle tragen und eine Kerz’ in die Latern’ thun; Du bist ja dem Herrgottsengel sein Briefmacher; er wird Dir auch so beisteh’n wie der Botengustel. Wer Andre vor der Pfändung bewahrt, mag sich hüten, daß er sie nicht gar selbst bekommt. Schau nur, daß Du jetzt bald an Eurer Klink’ den Leinwandbeutel findest mit den zweitausend Thalern, die Du mir nun schuldest!“

II. Beim „Herrgottle“.

Hoch über dem Dorfe tritt eine umfangreiche Taubsteinhalde aus dem Berge hervor. Sie stammt aus einer Zeit, in welcher man hier nach Metallen grub. Als die Lager ausgebeutet waren, verließ man das Werk, verschüttete den Schacht kaum zur Hälfte und ließ das Breterhäuschen, welches sein Mundloch überdeckte, zum Andenken an die vollendete Arbeit stehen.

Seit jener Zeit war die Halde gemieden worden fast einige Menschenalter lang. Verlassene Schächte sind nach dem Volksglauben der Tummelplatz von allerhand übernatürlichen Erscheinungen; es war zuweilen ein reges nächtliches Treiben um das Zechenhäuschen zu bemerken, welches man den Gnomen und den Berggeistern zuschrieb, während die Schmuggler und Wildschützen über diese phantastische Annahme sich heimlich lustig machten. Jetzt freilich standen die Dinge anders. Die Zollwächter und Forstbeamten waren dem Spuke gründlich auf die Spur gekommen, und seit Bertha, die einstige Todtengräberstochter, in dem Schachte einen grauenhaften Tod gefunden und ihr Vater darum das Herrgottle auf der Halde errichtet hatte, war diese ein heiliger Ort, an welchem schon mancher Trost- und Hilfsbedürftige auf den Knieen gelegen hatte und vom Herrgottsengel mit Erhörung seines Gebetes beglückt worden war.

Die Botengustel hatte dies gestern Abend an sich selbst erfahren. Sie war voll Dankes über die Rettung aus dringender Noth und arbeitete sich mit den Krücken an der Höhe des Berges empor, um heute dem geheimnißvollen Helfer ein kleines Zeichen ihrer Erkenntlichkeit darzubringen. Die Lehne, an welcher sich der Bergpfad emporzog, gehörte zum Richterhofe, und Selma war eben hier beschäftigt, dürre Streu zusammenzuharken.

„Grüß’ Gott, Jungfer Selma!“ grüßte die Alte. „Bist auch hier außen?“

„Freilich bin ich da, Gustel. Die Küh’ wollen immer trockenen Unterstand; das Stroh ist gar hoch im Werth, und so muß man seh’n, wie es billiger zu erlangen ist. Bist gut nach Haus’ gekommen gestern?“

„Ganz schön. Ich wohn’ ja bei Schmuggelbalzers, und da ist der Weg nicht weit, fast nur bis über die Straß’ herüber. Weißt’ schon, daß der Balzer gestorben ist?“

„Ich hab’s schon gleich heut’ in der Früh’ vernommen.“

„So hat es Dir wohl der Ludewig gesagt?“

„Nein. Er ist seit gestern noch nicht wieder bei uns gewesen. Der Tod des Vaters ist ihm sicher aufs Gemüth gefallen!“

„Das ist auch gar nicht zu verwundern! Ich hab’ die Leich’ geseh’n. Sie hat ein gar schreckhaftes Gesicht gemacht, grad’ so, als ob zuletzt Der beim Balzer gewesen wär’, vor dem man drei Kreuz’ zu schlagen hat. Der Ludewig und die Mutter haben ihn gar nicht sterben seh’n; Dein Vater ist allein bei ihm gestanden.“

„Hast nichts davon gehört, was sie verhandelt haben?“

„Nein. Aber was Gut’s kann’s nicht gewesen sein; denn neben den Jammer um den Todten hat es noch eine Angst gegeben, die sie gern verbergen wollten; ich aber hab’ sie doch bemerkt. -

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bemerkt. Sie sind viel heimlich beisammen gesessen, und dann hat der Ludewig sich angezogen und ist zur Stadt gegangen.“

„Ist er wieder zurück?“

„Nein. Dein Vater ist — na, Du bist sein Kind, und d’rum will ich schweigen. Aber vielleicht hat er dem Ludewig einen bösen Faden angesponnen; er war gar bös auf ihn, daß er mir den Brief an den Herrgottsengel geschrieben hatte. Du weißt’s ja auch; Du warst mit dabei. Jetzt aber will ich den Dank hinaufbringen zum Kreuze; dem Engel wird er nicht viel nützen, doch sicher Anderen, die den Herrgott brauchen.“

„Was ist’s?“

„Da schau her: eine Kerz’ und noch eine und auch ein wenig Papier und Tint’ für den Engel, wenn er so immer Brief’ zu schreiben hat, wie bei mir.“

„Wer mag’s wohl sein? — ein Mensch, der sicher recht fromm und heilig ist und reich dazu, oder ein wirklicher Engel?“

„Wer weiß! Ich zerbrech’ mir nicht den Kopf darüber; es hat auch Anderen, die klüger sind als ich, nicht gelingen wollen, ihn zu entdecken. Sie haben sich auf die Lauer gelegt viele Nächt’ hindurch, aber umsonst. Und dem Vetterbauersfranz ist’s gar noch schlimm ergangen.“

„Wieso?“

„Da warst Du noch ein Kind und hast vielleicht gar nichts davon gehört. Er war ein loser Bub’ und hat einmal in der Schenk’ geschworen, er werd’ den Herrgottsengel fangen. Dann hat er gewartet, bis Licht in der Lanterne gewesen ist, und hat den Brief herausgenommen. Da aber ist ein Schlag über ihn gekommen, daß er mehrere Tage lang für todt gelegen hat; das Herrgottle läßt sich nicht verspotten, so steht’s auch in der Bibel. Nachher hat einmal Dein Vater den Knecht hinausgeschickt, er soll die Laterne wegnehmen und nach Haus’ bringen. Der hat’s auch gethan; aber auf dem Heimweg ist ein fürchterlicher Ries’ über ihn hergefallen und hat ihn so zerschlagen, daß er beinah’ gar nimmer wieder aufgekommen wär’. Von Deinem Vater war es schon ganz und gar nicht recht, das Herrgottle anzugreifen; es ist ja für die Bertha errichtet, die seine eigene Schwester war.“

„Hast sie gekannt, Gustel?“

„Ob ich sie gekannt hab’? Sie war ja meine Path’ und ist mit dem Klapperbein manch’ schönen Abend in meiner Stub’ gewesen. Sie sollten einander nicht haben, weil er der einzige Sohn des Richters und sie des Todtengräbers Tochter war. Ach, Selma, was war doch die Bertha für ein herzlieber Engel, so schön und so gut! Sie hat von Kirchhofsblumen so herrliche Sträuß’ und Kränz’ gemacht und in der Stadt verkauft; auch genäht und gearbeitet hat sie für die feinen Leut’ und sich ein hübsches Geld verdient. Das hat sie aber nicht für sich behalten können, denn dazu ist sie zu mild und barmherzig gewesen; sie hat es lieber hingegeben bei den Armen und Kranken und ist deshalb von Allen hochgehalten worden, als nur von Zweien nicht: dem damaligen Richterbauer, dem Klapperbein seinem Vater, und von ihrem eigenen Vater.“

„Von meinem Großvater?“

„Ja, und auch Dein Vater hat sie nicht recht leiden mögen, weil sie so fromm und sanft gewesen ist und er so wild und toll. Er hat die Grenzler stets auf dem Nacken gehabt, aber Keiner konnt’ ihm etwas nachweisen. Die Niederlag’ der Schmuggler war damals da oben im Zechenhaus, und da hat er auch die Bertha gefunden, als sie sich vor Leid und Unglück hinunter in den Schacht geschmettert hatte. Hat er Dir nichts davon erzählt?“

„Nein. Man darf bei ihm gar nicht davon beginnen; er kann den Gedanken daran nicht ertragen.“

„Das glaub’ ich schon; sie war ja seine Schwester. Aber er trägt doch auch die Schuld an ihrem Tod mit. Der Richterbauer ist mit dem Todtengräber zusammengerathen und hat ihn über alle Maßen darangenommen; darüber ist dieser aufgebracht worden und hat mit dem Sohne der Tochter so lange zugesetzt, bis sie mit der Drohung davon gelaufen ist, wenn sie daheim keine Ruh’ mehr hab’, so werd’ sie tief unten im Schacht welche finden. Am anderen Morgen hat Dein Vater sie dort gefunden und heraufgezogen. Als Selbstmörderin ist sie in die ungeweihte Eck’ hinter dem Gottesackerhaus eingescharrt worden. Der Richterbauer ist gestorben, und sein Anton hat das Gut und auch das

Amt geerbt, Beides aber bald Deinem Großvater übergeben und sich nach dem Kirchhof gemacht. Die Bertha ist ihm so lieb gewesen, daß er selbst von ihrer Leich’ hat nimmer lassen können. Nun erhält er von euch das Brod und sitzt fast Tag und Nacht auf ihrem Grab, wo er ächzt und stöhnt oder singt und betet und ganz zum Geripp’ vermagert und verarmseligt ist. Er ist der Aermst’, der Allerärmst’ im Dorf; er hat keine Wäsch’, kein Geld, keine Kleidung, keine Freud’ und Lust und auch kein Leben — er ist todt, obgleich er lebt. Das Kleid, welches er trug als sie die Bertha fanden, das trägt er noch, und die Lieb’, die damals in seinem Herzen war, die ist heut’ noch drin und wird erst dann aufhören, wenn er ins Grab gelegt wird, das er sich selbst neben der Bertha bereitet hat. So, das ist die Geschicht’! Nun leb’ wohl, Jungfer Selma! Ich muß hoch empor, und meine kranken Füß’ geh’n nur sehr langsam den Berg hinauf.“

Es war wirklich ein sehr anstrengendes Unternehmen von der alten, gebrechlichen Frau, mit Hilfe der Krücken die Haldenspitze zu erreichen. Dort stand an der Stelle, wo man Bertha’s Leiche niedergelegt hatte, ein hohes, hölzernes Kreuz mit der aus Holz geschnittenen Gestalt des Heilands daran. Zu Füßen des Erlösers war eine Laterne und unter ihr ein kleines Kästchen befestigt, welches bestimmt war, die an das „Herrgottle“ gerichteten Bittschriften aufzunehmen. Es war nur Nachts um Zwölf geöffnet. Wer einen Brief zu bringen hatte, mußte ihn um diese Zeit einlegen und dann das in der Laterne befindliche Licht anbrennen. Es leuchtete dann bis tief ins Thal hinab, den unten noch vorhandenen Leuten zum Zeichen, daß ein Hilfsbedürftiger die „Herrgottspost“ benutze, um beim Herrgottsengel Rettung zu suchen, da ihn die Menschen verlassen hatten.

Sie kniete vor dem Kreuze nieder, um lange und in brünstig zu beten. Die Botengustel war wegen ihrer Redfertigkeit bekannt und zuweilen sogar gefürchtet; aber ein treues, unverfälschtes Gemüth, das hatte sie, und den lieben Gott, den hielt sie hoch in Ehren. Dann erhob sie sich, öffnete die Laterne und legte die beiden Lichter und das Papier hinein; das Tintenfläschchen stellte sie auf den verschlossenen Briefkasten. Es war eine geringe, unscheinbare Opfergabe, welche sie brachte, aber ihr Herz war weit und groß dabei; sie hätte gern viel, viel mehr gegeben, wäre ihr von der Armuth nicht die bereitwillige Hand gebunden worden.

Als sie den Berg wieder hernieder stieg, fand sie Selma zum Heimgehen bereit.

„Willst auch hinunter? Ja, geh’, der Tag neigt sich zur Rüste, und da giebt’s noch gar viel zu thun in so einem großen Hauswesen, wie das Deinige ist. Schau da hinüber auf die Straß’! Ist das nicht der Ludewig, welcher aus der Stadt zurückkehrt? Meine alten Augen wollen ihn nicht mehr genau erkennen.“

„Ja, er ist’s. Er hat uns auch gesehen und winkt mir, hinab zu kommen. Leb’ wohl, Gustel; komm’ gut nach Haus’!“

„Leb’ wohl, Jungfer Selma, und lauf’ geschwind! Den Liebsten darf man nimmer warten lassen. Bin auch einmal ein flinkes Mädchen gewesen; der meinige, Gott hab’ ihn selig, wußt’ gar viel davon zu berichten.“

Das Mädchen traf mit dem Geliebten zusammen, noch ehe er das Dorf erreicht hatte.

„Ist Dein Vater zu Haus’?“ fragte er.

„Ja. Willst vielleicht zu ihm?“

„Ja. Hat er heut’ von mir gesprochen?“

„Nein. Warum?“

„Hast ihn lieb, Selma, wirklich und wahrhaftig lieb, Deinen Vater?“

Sie blickte, befremdet über diese Frage, zu ihm empor. Sein Gesicht sah erhitzt aus, und in seinem Auge lag es wie ein mächtiger, nur mühsam zurückgehaltener Grimm. Einen solchen Blick hatte sie bei dem sanften, ruhigen Freunde noch nie gesehen. Sie hatte sich im Gegentheile immer für willenskräftiger und entschlossener gehalten, als ihn.

„Was ist mit Dir, was soll diese Frage bedeuten?“

„Gieb Antwort, Selma, damit ich weiß, was ich zu Dir zu sagen hab’! Hast ihn lieb, so gern, wie man den Vater haben muß, so lieb, wie Dir die Mutter war?“

Sie senkte das Auge und schwieg.

„Sag’ es, Selma! Wer ist Dir lieber, er oder ich?“

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„Du!“ antwortete sie leise und zögernd, als begehe sie mit diesem Geständnisse eine schwere Sünde.

„Ja, so ist’s, ich weiß es! Er ist ein Tyrann im Dorf und ein Tyrann in seinem Haus, auch gegen Dich. Er hat Deine Kindeslieb’ ermordet und erschlagen, Du magst es nur nicht gestehen, Dir selbst nicht und Anderen erst recht nicht. Und weißt, was er noch ist, Selma?“

„Was?“ fragte sie bangend.

„Ein Betrüger ist er und ein Fälschling, ein Schuft und Schurk’, so lang und groß er gewachsen ist, und ein Mörder und Dieb dazu, der dem Vater das Leben verkürzt und mir den Wechselbrief gestohlen hat, der mich verderben soll. Und so ein Spitzbub’ ist Obrigkeit im Ort, weil er das Erb- und Lehngericht besitzt!“

„Um Gotteswillen, Ludewig, was ist geschehen, daß Du über ihn so ganz aus Rand und Band gerathen bist?“

„Paß auf, was ich Dir sag’! Er wird es leugnen und verdreh’n, aber es ist dennoch und wahrhaftig so, wie ich’s erzähl’. Du weißt, ich sag’ gar niemals eine Lüg’.“

Er berichtete ihr von dem gestrigen Abende in raschen, fliegenden Worten, erwähnte kurz, daß er jetzt bei dem Advocat gewesen sei und nun zum Richterbauer wolle, und eilte dann in weiten, schnellen Schritten von ihr fort. Sie vermochte nicht, ihn zu halten. Der Gedanke an den verhängnißvollen Wechsel nahm ihn so in Anspruch, daß er kaum Zeit zum gewohnten Gruße fand.

Auf dem Hofe angekommen, erfuhr er, daß der Richter sich in seiner Schlafstube befinde. Er stieg die Treppe empor, obgleich er wußte, daß der Zutritt zu diesem Zimmer ohne alle Ausnahme Jedermann verboten sei. Ohne anzuklopfen, öffnete er die Thür. Der Bauer saß vor einem kleinen Schränkchen, welches auf dem Tische stand. Es war aus der Wand gezogen; ein kurzer, unwillkürlicher Blick belehrte Ludwig, daß er ganz zufällig ein Geheimniß entdeckt habe. Das mit Holz bekleidete, viereckige Loch in der Mauer war bedeutend tiefer als der Schrank. Es lagen allerhand Papiere darin, die jedenfalls gut aufgehoben waren, wenn das Kästchen eingeschoben wurde.

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Der Herrgottsengel.

Erzählung von Emma Pollmer.

(Fortsetzung.)

„Was soll’s? Was willst? Wie kannst in diese Stub’ herbeikommen?“ fragte, sich erhebend, der Bauer.

„Hab’ keine Zeit, zu warten, bis Ihr hinunter kommt, Richterbauer. Ich wollt’ mich nur erkundigen von wegen dem Wechselbrief, den Ihr gestern aus Verseh’n mitgenommen habt, anstatt ihn bei uns hinzulegen!“

„Versehen? Meinen Wechselbrief hinlegen? Du bist wohl gar nicht recht bei Trost, daß Du meinst, ich soll Euch das Papier zurücklassen! Da wär’ doch ganz mein schönes Geld verloren, welches ich aus lauter Güt’ und Freundschaftlichkeit Deinem Vater vorgeschossen hab’!“

„So!“ Der junge Mann rang nach dem fehlenden Athem, ehe er weiter sprechen konnte. „Wer ist also der Schuldner, wer hat die zweitausend Thaler zu zahlen, Richterbauer, Ihr oder ich?“

„Du, natürlich Du! Oder glaubst Du etwa gar, daß ich auf meinen Sechzigtausendthalerhof hab’ Geld leihen müssen vom Schmuggelbalzer? Verrückt genug wärst vielleicht doch dazu!“

„Ja, zum Verrücktwerden ist’s, Schubertfrieder, geradezu zum Verrücktwerden, diese infame Schlechtigkeit von Euch! Boshafter kann kein Räuber und kein Mörder sein, als Ihr, und diese Wechselgeschicht’ ist ein richtiger Todtengräberstreich, der Einen unter die Erd’ zu bringen vermag! Erst habt Ihr den Vater in Sünd’ und Schuld geführt, das weiß das ganze Dorf, und nun wollt Ihr auch den Sohn verderben. Habt Ihr kein Gewissen?“

Der Richter trat auf ihn zu und senkte den scharfen, drohenden Blick fest in sein loderndes Auge.

„Hör’, Bursch’, nimm Dich ein wenig mehr zusammen, sonst könnt’ es Dir leicht an den Kragen geh’n! Dein Vater war mein Schulkamerad und auch sonst und später ein guter Freund von mir, d’rum mag Dir auch Dein Wort einmal zu Gut’ gehalten sein, aber nur dies eine Mal, merk’s genau! Er hat gern in ein Häusle kommen wollen und mir so lang’ gute Wort’ gegeben, bis ich bereit war, ihm das Geld dazu zu geben. Ich hab’s aus Lieb’ und auch ganz ohne Zins gethan. Gestern nun hat er den Tod gefühlt und ist so ehrlich gewesen, nach mir zu schicken, weil ich über die Schuld bisher nichts in der Hand gehalten hab’. Auf seinen Befehl ist die Urkund’ von Dir unterzeichnet worden; Du erbst das Haus und auch die Pflicht, mich zu bezahlen. So ist’s. Er hat noch vor der Unterschrift den Wechselbrief gelesen und Du auch, das kannst nicht leugnen, und wenn Du nicht gesehen hast, was Du unterschreibst, so kann mich nur die Botengustel und der Herrgottsengel dauern, daß sie so einen unkundigen und leichten Passagier in ihren Dienst genommen haben. Jetzt geh’, und komm’ mir nimmer wieder in das Haus! Den Wechsel wirst schon bald zu seh’n bekommen!“

„Also ist’s wirklich so gemeint, Schubertfrieder? Und Ihr denkt, mich richtig damit abzuspeisen?“ Er sprach langsam und ruhig, aber diese Ruhe war eine solche, wie sie dem Sturme voranzugehen pflegt. „Ich bin heut’ in der Stadt beim Advocat gewesen und hab’ ihm die Sach’ ganz genau erzählt. Er hat mir einen Wechselbrief gebracht, auf den ich schreiben mußt’, was ich gestern Euch geschrieben hab’, und darauf gemeint, wenn es so sei, wie ich erzähl’, so sei der reiche Richterbauer ein ganz gefährlicher und raffinirter Spitzbub’, vor dem sogar der Schinderhans sich verkriechen müßt’, aber machen könn’ ich nichts gegen ihn; den Wechsel müßt’ ich zahlen, selbst wenn ich eine Anzeig’ machen wollt’; ich hab’ ja keine Zeugen. Aber verklagen werd’ ich Euch dennoch — oder — ich bring’ lieber gleich jetzt die Sach’ zu End’. Der Wechsel wird wohl hier zu finden sein; gebt ihn heraus!“

Mit einem raschen, entschlossenen Schritte stand er vor dem Bauer. Dieser wich keinen Zoll breit zurück. Der Grimm, welcher bei den Worten Ludwig’s in sein Gesicht gestiegen war, wich einem ruhigen, verächtlichen Lächeln.

„Willst mich etwa erschlagen und nachher das Papier fortnehmen? Der Raubmord ist zu Vielem gut, sogar zum Zuchthaus -

Zuchthaus und zum Galgen! Schlag’ zu, Schmuggelbalzersbub’; es ist kein Zeug’ vorhanden! Nachher heirathest die Selma und wirst Richterbauer. Schlag’ zu!“

„Die Selma?“ fragte der junge Mann, zurücktretend. „Frieder, daß Ihr diesen Namen nennt, das ist ein Glück für Euch und auch für mich!“ Er holte tief Athem, als sei eine große Gefahr an ihm vorüber gegangen. „Nein, vergreifen werd’ ich mich nicht an Euch, dazu ist mir meine ehrliche Hand zu gut, sondern es bleibt bei Dem, was ich vorher gewollt hab’: Ich werd’ Euch verklagen.“

„Warum bist Du nicht gleich in der Stadt geblieben und aufs Gericht gegangen? Hast Dich wohl vor dem Haus gefürchtet?“

„Aufs Gericht? Nein, dahin geh’ ich nicht, sondern an einen besseren Ort, wo ein Gesetz gilt, das keine Hinterthür besitzt. Ich verklag’ Euch beim Herrgottsengel. Gleich jetzt werd’ ich den Brief aufschreiben und ihn heut’ Abend in den Kasten thun. Paßt auf, Schubertfrieder! Um zwölf wird die Latern’ herniederleuchten, und morgen schon ist Euer Urtheil fertig!“

„Beim Herrgottle?“ Er lachte höhnisch auf. „Denkst wirklich, daß der richtige Herrgott im Himmel den Kasten an das Kreuz genagelt hat? Wer weiß, was für ein armseliger Strolch Euch Alle an der Nas’ herumführt! Vor dem ist mir nicht angst!“

„Ihm wohl auch nicht vor Euch! Er mag sein, wer er will, aber er hat schon über zwanzig Jahr’ einem Jeden geholfen, der seinen Beistand werth gewesen ist; er wird Euch kennen und mich nicht verlassen!“

„So!“ Er griff hinter sich und nahm ein Papier zur Hand. „Dann will ich Dir gleich einmal zeigen, was ich von dem großen Helfer denk’. Hier ist der Wechselbrief; wenn ich ihn vorzeig’, mußt Du ihn bezahlen. Gilt’s jetzt, oder soll ich nachher in Deine Wohnung kommen?“

„So lang’ ich das Haus noch hab’, ist’s Euch verboten, Schubertfrieder. Ich hab’ die Selma lieb und möcht’ gern Rücksicht auf sie nehmen; aber ich weiß, daß Ihr sie mir nimmer gutwillig gebt, und so wollen wir gleich unsern Strauß beginnen. Sie wird mein, wenn ich ihn gewinn’!“

„Das macht mir keine Sorg’! Also hier ist der Brief; schau ihn an; ich will mein Geld. Hast welches?“

„Nein, ich kann nicht zahlen!“

Die beiden erst so erregten Männer waren jetzt scheinbar ruhig geworden; ihre Worte erklangen fast im geschäftlichen Tone.

„Nicht? So geb’ ich Dir Zeit bis übermorgen früh.“

„Ich hab’ auch dann kein Geld!“

„So laß ich Dich pfänden. Ich hab’ noch heut’ ein Geschäft in der Stadt und werd’ dabei den Wechselbrief gleich dem Notar übergeben. Soll ich vielleicht befehlen, daß Dir immer eine Stub’ im Armenhaus geöffnet werd’?“

„Wartet noch ein wenig!“ Seine Stimme konnte doch ein zorniges Beben nicht verbergen. „Wir wollen erst sehen, wer mächtiger ist, Euer Notar oder mein Herrgottsengel.“

„Das kannst versuchen! Aber mach’ den Brief recht schön und setz’ ein Hochgeboren voran, denn Dein Advocat kommt aus den Wolken herab. Bist nun fertig?“

„Ja, ich kann geh’n, denn was ich Euch noch über den Tod des Vaters fragen könnt’, das werdet Ihr mir doch nicht beantworten.“

„So geh’, und komm’ mir ja nicht wieder. Und läßt Du Dich ein einzig’s Mal bei meinem Mädchen blicken, so wirst sehen, was geschieht! Marsch fort, Herr gottesschreiber!“

„Leb’ wohl, Todtengräberfrieder; komm’ gut zum Notar und erstick’ nicht unterwegs an Deiner Schlechtigkeit!“

Er ging. Sein Inneres war übermäßig aufgeregt, und der Zorn verdunkelte ihm die Augen, so daß er Selma, welche an der Hausthür ängstlich seiner harrte, fast gar nicht bemerkte.

„Halt, wirf mich nicht über den Haufen!“ meinte sie. „Bist wohl gar droben in der Oberstub’ gewesen?“

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„Ja. Ich geh’ heut’ um Mitternacht zum Herrgottle. Komm’ hinauf in die Zech’, Selma; ich soll nicht mehr mit Dir sprechen!“ erwiderte er und eilte, ohne ihr weiter Rede zu stehen, davon.

Da erscholl auch schon aus dem Hoffenster die Stimme des Richters, welcher dem Knechte zurief:

„Spann’ die Braunen schnell an das Rollwägle; ich muß noch nach der Stadt!“

Nach einiger Zeit kam er herunter und trat zu Selma in die Küche, wo sie das Abendbrod bereitete.

„Sag’ nachher dem Klapperbein,“ gebot er, „er braucht’ mich nicht an die Zeit zu erinnern; ich hätt’ den Tag auch ohne ihn gewußt! Und für Dich hab’ ich auch etwas: Mit dem Schmuggelludewig ist’s von jetzt an aus, daß Du’s nur weißt. Treff’ ich Euch irgendwo beisammen, so ist Dein Brod gebacken. Richt’ Dich danach; Du weißt, ich sag’ nichts zweimal, sondern es fällt dann Blitz und Donner ganz auf einen Schlag!“

Sie wendete sich ihm zu, um einen Einspruch zu erheben; er aber achtete nicht auf diese Bewegung, sondern schritt nach dem Hofe, wo er in dem schon bereit stehenden Wagen Platz nahm. Die Pferde zogen an, das Geschirr fuhr zum Thore hinaus und rollte auf dem Wege zur Stadt dahin.

Noch niemals war Selma mit so schwerem Herzen nach dem Kirchhofe und von da zurück gegangen. Ludwig hatte die Wahrheit gesagt; sie konnte den Vater nicht lieb haben; sie fürchtete ihn nur. Er war so stolz auf den Richterhof und ließ es ihr entgelten, daß sie ein Mädchen war, auf das er Besitz und Amt zugleich nicht vererben könne. War der schreckliche Betrug, den er an Ludwig verübt haben sollte, wirklich eine Thatsache, oder lag vielleicht doch auf Seite des Letzteren eine Täuschung vor? Sie fühlte sich unglücklich darüber, daß sie die erste Hälfte dieser Frage nicht mit der ganzen Entrüstung eines kindlichen Vertrauens zurückzuweisen vermochte, und war fest entschlossen, trotz des väterlichen Verbotes um Mitternacht im Zechenhause zu sein, um die kurze Erzählung des Geliebten ausführlicher zu vernehmen.

Die Stadt lag nicht weit vom Dorfe, und der Richter kehrte bald wieder zurück. Als die Stunde gekommen war, in welcher er nach dem Wirthshause zu gehen pflegte, nahm er gute Nacht und verließ den Hof. Nachdem er sich vorsichtig umgeschaut hatte, ob er bemerkt werde oder nicht, ging er um den Letzteren herum und schlug den Fußpfad nach dem Gottesacker ein. Das Gitterthor war verschlossen. Er sprang über eine schadhafte Stelle der Mauer und schritt auf das Häuschen zu, welches seine Geburtsstätte und für seinen Hochmuth ein Gegenstand der ärgerlichsten Erinnerung war.

Aus dem Winkel hinter dem Hause klang das Summen eines Sterbeliedes; es verstummte beim Nahen seiner Schritte.

„Ist wer da?“ fragte es zwischen den Büschen hervor.

„Ja. Komm’ heraus, Anton.“

„Was willst? Sag’ Deinen Namen!“

„Ich bin’s, der Frieder!“

„Schon recht. Wart’, ich komm’ gleich!“

Das Gesträuch theilte sich, und die lange, schmale Gestalt des Klapperbein wurde trotz des abendlichen Dunkels sichtbar.

„Bringst das Geld?“

„Ja. Hast mich gestern doch durch die Selma gemahnt, so daß ich vorhin in die Stadt gefahren bin, um das Fehlende zu borgen. Soll ich Dir es vorzählen?“

„Nein; gieb her und wart’! Ich bring’ die Quittung heraus.“

Ein leises, metallisches Klingen ließ sich vernehmen; dann trat der Klapperbein in das Haus. Durch die kleinen Fenster leuchtete einen Augenblick lang der trübe Schein einer Oellampe; sodann wurden die Läden verschlossen. Als der einsame Bewohner des Kirchhofes wieder zum Vorscheine kam, hielt er dem Richter ein Papier entgegen.

„Hier hast die Quittung. Leb’ wohl bis übers Jahr!“

„Kannst wohl gar nimmer ‚schön Dank‘ sagen für die schwere

Leistung, die Du so ruhig entgegen nimmst, als wär’s ein Katzenpfennig?“

„Hab’s nicht nöthig! Gut’ Nacht!“

„Es wird mir bei der jetzigen schlechten Zeit fast zu schwer, dem Land die tausend Thaler jährlich abzuringen. Kannst nicht ein Weniges davon heruntergehen?“

„Tausend Thaler. So steht’s geschrieben, und so bleibt’s! Schlaf’ wohl!“

„Dann bring’ ich es das nächste Mal wohl gar nicht zusammen.“

„So nehm’ ich den Hof wieder zurück; er trägt mir dann das Doppelte ein. Gut’ Nacht!“

Er trat in das Haus, wendete sich aber unter der Thür noch einmal zurück:

„Schubertfrieder, sei mild und gerecht im Amt, sonst kann ich’s nicht länger verantworten, daß ich Dir den Richterhof gegeben hab’. Ich hoff’, daß ich übers Jahr nicht wieder so zu sagen brauch’!“

Er schlug die Thür hinter sich zu und schnitt damit dem Bauer die Entgegnung ab.

Dieser trat einen Schritt vorwärts, als wolle er ihm folgen, um die scharfen Worte zurückzugeben, drehte sich aber mit einer raschen Bewegung herum und verließ mit absichtlich lauten Schritten den Kirchhof auf dieselbe Weise, wie er ihn betreten hatte. Draußen blieb er halten.

„So, jetzt denkt er, ich bin fort; aber ich kehr’ heimlich zurück und belausche ihn! Ich muß wissen, wo er das Geld aufbewahrt! Tausend Thaler Zins so lange Jahr’ hindurch, das ist eine Summe, die hier im Dorf kein Einziger beisammen hat! Das Essen bekommt er von mir noch extra, — weiter braucht er fast nichts — und ist also ein steinreicher Mann, trotz seiner lächerlichen Armethei. Ich hätt’ ihn nach dem Gesetz gleich damals verklagen sollen; jetzt kann ich’s nimmer thun. Er weiß das auch so gut wie ich und fängt darum an, widerwärtig zu thun. Vielleicht nimmt er mir gar einmal den Hof, der erst nach seinem Tod ganz richtig mein sein soll, und dann — ja dann ist’s keine Sünd’, wenn ich mir meinen Pachtzins wiederhol’!“

Er ging leise eine kurze Strecke an der Mauer hin, stieg an einer anderen Stelle über sie hinweg und schlich sich wieder zum Todtengräberhause zurück. Den Hauptgang her erklangen Schritte. Der Klapperbein war es, welcher sie verursachte.

„Schau den Fuchs, wie klug und vorsichtig er ist!“ murmelte Schubert. „Er traut mir wahrhaftig nicht und ist mir nachgegangen, ob ich den Gottesacker auch wirklich verlassen hab’. Wart’, Du sollst schon bald inne werden, daß der Richterbauer auch kein Dummkopf ist, und Deinen Thalerplatz, den werd’ ich sicher noch heut’ entdecken!“

Er trat an den Fensterladen, um zu sehen, ob er nicht durch eine Spalte in die Stube zu blicken vermöge. Der Klapperbein hatte sich an den Tisch gesetzt, das Geld bei Seite geschoben und blätterte in alten Kalendern herum.

„Da kann ich warten und harren, bis es ihm gefällt, den Zins wegzulegen! Aber ich geh’ nicht eher fort, als bis ich weiß, wohin er ihn thut. Ich hab’ ja Zeit; zu Haus’ denken sie, ich bin in der Schänk’, und dort meinen sie, daß ich heut’ gar nicht fortgegangen bin.“

Er wurde auf eine harte Geduldsprobe gestellt; eine Viertelstunde verging nach der andern, und die Mitternacht war schon nahe, als er endlich von dem Laden zurücktrat.

„Jetzt ist er aufgestanden und hat das Geld gefaßt. Die Blendlaterne ist angezunden; er kommt damit an die Hausthür!“

Er hatte sich nicht getäuscht. Der Klapperbein trat, die Laterne verhüllend, aus dem Hause, horchte einige Secunden lang in die stille, lautlose Nacht hinaus und verschwand dann in der Ecke, welche seinen gewöhnlichen Aufenthalt bildete.

(Fortsetzung folgt.)

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Der Herrgottsengel.

Erzählung von Emma Pollmer.

(Fortsetzung.)

Der Richter zögerte noch kurze Zeit, dann huschte er an das Gebüsch, bog die Zweige so geräuschlos wie möglich auseinander und lugte vorsichtig hindurch. Der dreieckige Raum lag so vollständig im Dunkeln, daß nicht das Geringste zu erkennen war; aber tief unten aus der Erde drang ein spärlicher Lichtschein herauf, — er kam aus dem Grabe, welches der Klapperbein neben dem Hügel der Geliebten für sich bereitet hatte. Der Lauscher schob sich näher und blickte über den Rand in die Tiefe hinab. Eine Leiter führte hinunter. Die Grube correspondirte an ihrem Grunde mit dem Grabe Bertha’s, deren Sarg bei dem Schimmer der Laterne deutlich zu erkennen war. Unter seinem Boden mußte sich eine Vertiefung befinden, denn der Klapperbein zog eben den Arm daraus hervor; er hatte das Geld hineingelegt.

„Nun hast Du wieder tausend Thaler zu bewachen! Zu Dir wagt sich kein Dieb, und das Geld ist ja nicht mein, sondern Dein. Ich bin todt, und Du lebst! Ich hab’ mich zu Tod’ gesündigt, und Du mußt Gutes thun, damit meine arme Seel’ zu Gnaden angenommen wird!“ klang es dumpf empor.

Der Richter hatte genug gesehen und zog sich eilig zurück. Sein Lauf zwischen den Gräbern hindurch war fast eine Flucht zu nennen, und als er außerhalb des Kirchhofes stand, athmete er in einem so tiefen, keuchenden Zuge auf, als sei er der ihm aus dem Grabe entgegengähnenden Verdammniß entgangen.

„Das war er, der Sarg, in dem sie — sie — sie liegt, in den der Vater damals ihr — ihr — ihre zerschmetterte Leich’ hineingebettet hat. Ich konnt’ nicht dabei sein; ich konnt’s nicht erseh’n! Nun steckt er das Geld zu ihr, damit sie es bewachen soll, der verrückte Richterbauers-Anton, und wenn ich’s haben will, muß ich hinabsteigen und es ihr rauben. Die Höll’ ist nicht schwerer und schlimmer, als das!“

Er schritt vorwärts. Je weiter er sich vom Kirchhofe entfernte, desto mehr legte sich seine Aufregung.

„Und ich thu’s doch! Ich hol’ es mir, und wenn sie gleich selbst leibhaftig und lebendig dabeisitzt und es mir verwehren will. Wer todt ist, der ist todt! Sie kann ja nimmer aus dem Sarg hervor und sich vor mich hinstellen, um mir vorzuhalten, daß — daß — halt, da brennt auf einmal die Laterne droben beim Herrgottle! Die hat der Ludewig angesteckt und seine Anklag’ in den Kasten gethan. Soll ich hinauf?“

Er blieb sinnend stehen und blickte zur Halde empor, von wo das Licht am Herrgottskreuzle klar und mild herniederleuchtete.

„Wer mag der Herrgottsengel sein? Vielleicht hätt’ er doch Lust, dem Ludewig zu helfen; denn der Bub’ hat’s Allen angethan, und Jeder ist ihm gut. Wenn ich den Brief herausnehm’ aus dem Kasten, so ist der Sach’ am besten vorgebeugt. Ich steig’ hinauf; ich brauch’ mich doch bewahre vor dem Zechenhäusle nicht zu fürchten, wo damals — —“ er stockte und fügte dann hinzu: „Es ist gar nicht nöthig, hineinzutreten; ich nehm’ den Brief und geh’ wieder fort. Der Ludewig ist längst schon wieder in das Dorf hinab.“

Er klimmte an der Seite des Berges bis zu dem Strauchwerke empor, aus welchem die Haldenplatte hervortrat. Die kleine Fläche wurde von dem Lichte am Herrgottle vollständig erleuchtet, und es war nicht die geringste Spur von der Anwesenheit eines Menschen zu erkennen. Sich niederduckend, damit er von dem Thale aus nicht etwa gesehen werde, glitt er bis an das Kreuz, öffnete das Kästchen und zog den Brief hervor, welcher in demselben lag. In gebeugter Stellung wieder zurückeilend, hatte er die Sträucher fast erreicht, als behende eine Gestalt aus dem Zechenhause herbeisprang und sich ihm in den Weg stellte.

„Willst wohl den Herrgottsengel spielen, Schubertfrieder? Warum vergissest da, die Laterne auszublasen? Das ist ja das Zeichen, daß der Engel den Brief empfangen hat!“

Erschrocken, fast wie vom Schlage gerührt, streckte der Angeredete die abwehrenden Hände von sich. Bald aber hatte er den Sprechenden erkannt.

„Der Ludewig!“ rief er. „Fast hätte ich geglaubt, es sei der Engel Gabriel oder gar der Erzengel Michael selber! Statt dessen aber ist’s nur der Erzsmuggelbalzersbub’. Was willst von mir?“

„Gieb die Anklag’ heraus; sie gehört in den Kasten!“

„Warum nicht? Ich hab’ keine Furcht vor ihr; aber da ich sie einmal ergriffen hab’, so werd’ ich sie zuvor erst lesen. Vielleicht kann ich von dem Herrgottle seinem Briefschreiber etwas lernen.“

„Der Herr Richterbauer hat nichts mehr zu lernen; er kann Alles, sogar den Wechselbetrug und den Briefraub. Also nun willst auch noch den Herrgott bestehlen, Schubertfrieder? Ich will Dich nicht darüber zur Red’ stellen, denn bei mir liegt eine Leich’ zu Haus’, die Dich im Himmel schon verklagen wird; aber den Brief giebst heraus, sofort und auf der Stell’, wenn Du nicht willst, daß ich mir ihn von Dir nehm’!“

„Du — von mir? Versuch’s einmal, den Richterbauer anzugreifen! Das Schreiben lautet von mir, und so muß ich wissen, was Du darin geschrieben hast. Geh’ fort, sonst zeig’ ich Dir den Weg!“

„Den Brief heraus, Schubertfrieder, sonst zeig’ ich Dir, wem er gehört!“

Er langte nach dem Papiere. Der Richter schlug ihn auf den Arm, daß dieser niedersank. Im nächsten Augenblicke hatten sie sich gefaßt. Da rief es zitternd und bittend aus der Nähe:

„Laß ihn los, Ludewig; laß ihn los; es ist der Vater!“

„Wer ist das?“ brauste der Richter auf. „Das ist ja die Selma!“ Er nahm die Hände vom Gegner zurück und ließ vor Ueberraschung den Brief fallen. „Weißt, was ich Dir heut’ gesagt hab’? Blitz und Donner kommen auf einen Schlag! Paß auf, Herrgottsengel, wie der Richterbauer sich Gehorsam zu schaffen weiß!“

Er ergriff das Mädchen und riß sie zu Boden. In diesem Augenblicke huschte ein Schatten gedankenschnell über die Fläche. Der Brief wurde aufgegriffen; die Lampe verlöschte im Nu, und eine tiefe, dröhnende Stimme antwortete:

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„Paß auf, Richterbauer, wie der Herrgottsengel seine Bittsteller schützt!“

Eine hohe, im Dunkel der Nacht riesengroß erscheinende Gestalt fuhr vor ihm wie aus der Erde empor; ein schwerer, schmetternder Schlag streckte ihn zu Boden nieder, und dieselbe Stimme erklang:

„Der Herrgottsengel hat Euern Brief empfangen! Schlaft ruhig, Ihr Kinder. Gute Nacht!“

III. Beim Klapperbein.

Heute sollte der Schmuggelbalzer begraben werden. Der Leichenhans hatte Bahre und Sargtuch vor das Haus getragen und kehrte von da nach dem Kirchhofe zurück, um bei der Beerdigung behilflich zu sein und nach derselben die offene Grube zu verschütten. Er traf seinen Herrn und Meister, welcher nachsah, ob Alles sich im gehörigen Stande befinde. Still, wie immer, legte er die Seile und Unterlagen zurecht; der Klapperbein duldete keine überflüssige Unterhaltung, und es war daher für den schweigsamen Gehilfen ein Ereignis, als er die Frage hörte:

„Ist der Richterbauer noch nicht aufgewacht?“

„Erst seit einer Stund’ ist er wieder lebendig. Ich traf die Magd, welche es mir gesagt hat.“

„Was muß doch nur mit ihm geschehen sein?“

„Das wißt Ihr noch nicht? Er hat es selbst im Schlaf ausgeredet, als der Gregorius, oder wie der Wundarzt heißt, bei ihm gewesen ist. Denkt Euch nur, er hat einen Brief vom Herrgottle wegstehlen wollen, und da hat ihn der Herrgottsengel so arg beim Schopf genommen, daß er fast zwei volle Tag’ lang ohne Besinnung gewesen ist.“

„Wem hat der Brief gehört?“

„Das weiß Niemand; vielleicht gar dem Balzerludewig, denn er hat noch in der selbigen Nacht vom Herrgottsengel zweitausend Thaler geborgt bekommen, — denkt Euch nur! Es passiren jetzt ganz außerordentliche Sachen, die man gar nicht glauben könnt’, wenn die Nachricht nicht grad’ von der Botengustel käm’, die doch bei Balzer’s wohnt. Der Richter hat nämlich dem Ludewig einen gottlosen Wechsel gemacht mit dem er ihn aus dem Häusle jagen will. Der Ludewig ist aber gleich zum Herrgottle hinaufgestiegen, und der hat ihm das Geld mit einem Zettel gebracht, darauf stand geschrieben, er solle keine Angst haben und zur dringenden Noth das Geld einstweilen bezahlen, er werd’s ganz sicher zurück erhalten und solle es dann wieder zum Herrgottle tragen. Was meint Ihr dazu?“

„Weiß der Richter schon davon?“

„Das kann ich nicht sagen. Er ist vor einer Stund’ aufgewacht und hat sogleich die Selma zu sich gerufen, mit der es einen ganz schrecklichen Auftritt gegeben hat. Mehr konnt’ ich nicht erfahren.“

Der Klapperbein nickte kurz und entfernte sich. Nachdem er kurze Zeit in seiner Wohnung zugebracht hatte, verließ er den Kirchhof und stieg zum Dorfe hernieder. Eben begannen die Glocken zu läuten, zum Zeichen, daß die Träger den Sarg aufgenommen hatten, um ihn auf der Straße, welche in mancherlei Windungen zur Höhe stieg, nach dem Gottesacker zu bringen. Außer dem Richter und seinen Hausgenossen wohnten sämmtliche Nachbarn der Beerdigung bei, daher erreichte der geheimnißvolle Mann sein einstiges Heimgut, ohne von Vielen bemerkt zu werden. Die ihn aber sahen, die verwunderten sich seines Kommens, denn seit er zwischen den Gräbern lebte, hatte ihn Niemand wieder im Dorfe gesehen. Der Knecht, welcher unter dem Hofthore stand, machte Miene, scheu vor ihm zurück zu weichen, doch hielt ihn die Frage:

„Wo ist der Bauer?“ auf der Stelle fest.

„Droben in der Oberstub’!“

„Und die Tochter?“

„Sie ist bei ihm. Er hält sie gefangen.“

„Warum?“

„Sie hat den Balzer zur Ruh’stätt’ begleiten wollen.“

„So soll sie gleich wieder frei sein!“

Er stieg die Treppe empor und trat ohne vorheriges Klopfen in das Zimmer. Der Richter lag im Bette; Selma saß, zum Begräbnisse angekleidet, in der Ecke; ihr Gesicht zeigte, daß sie geweint habe.

„Grüß’ Gott, Richterbauer! Bist ja krank, wie ich hör’?“

„Es ist schon fast vorüber,“ klang die stockende Antwort. Der Sprecher hätte alles Andere eher erwartet, als den Klapperbein bei sich zu sehen. „Heut’ ist wohl der jüngste Tag, daß Du ins Dorf herabkommst?“

Statt einer Antwort wendete sich der seltene Besuch zu dem Mädchen.

„Grüß’ auch Dich, Selma! Was thust im Leichenkleid hier in der Stub’?“

„Ich darf nicht mit!“

„Wer sagt’s?“

„Der Vater hat’s verboten!“

„So bekommst die Erlaubniß dafür von mir. Geh’ gleich und schnell! Wenn Du nicht die Straß’, sondern den Steig nimmst, so bist noch zur rechten Zeit beim Grab.“

Der Richter erhob sich in eine sitzende Stellung.

„Was fällt Dir ein? Willst mir wohl gar das Commando über die Dirn’ wegnehmen? Sie bleibt hier!“

„Sie geht!“ entschied der Klapperbein. „Der Ludewig ist ihr Schatz, und der Balzer hat es nicht an Dir verdient, daß Du ihm die letzte Lieb’ verweigerst. Geh’, Selma, geh’. Ich befehl’ es Dir und werd’ dafür sorgen, daß Du um die Folg’ nicht bang’ zu sein brauchst!“

„Sie bleibt!“ rief Schubert noch einmal, aber zu spät. Das Mädchen war schon zur Thür hinaus.

„Laß sie fort, Frieder; es ist Deine Pflicht!“

„Meine Pflicht? Du sprichst wohl irr? Ich spring’ auf und ruf’ sie zurück!“

„Bleib’ liegen. Ich hab’ es ihr befohlen, und damit ist’s genug! Was spielst für einen Trumpf gegen den Ludewig? Weißt’s gewiß, daß Du die Kart’ gewinnen wirst?“

„Die Sach’ geht Dich nichts an! Kommst etwa ihretwegen zu mir?“

„Auch mit! Der Leichenhans hat mir vorhin davon erzählt. Was ist’s mit dem Wechselbrief?“

„Nichts ist’s. Ich hab’ dem Balzer ohne Unterschrift geliehen und darauf noch vor seinem Tod den Brief von ihm erhalten. Soll ich das Geld etwa einbüßen?“

„So! Erst beklagst Dich, daß der Pachtzins nicht zu erschwingen sei, und jetzt gestehst, daß Du Tausende verborgst. Welchen Reim werd’ ich mir wohl drauf machen?“

„Keinen! Die Angelegenheit ist mein; Dich geht sie gar nichts an.“

„Denkst wirklich? Ich bin der andern Meinung! Das Gut ist Erb- und Lehngericht, und meine Voreltern haben seit Menschengedenken darauf gesessen und Recht und Gerechtigkeit geübt zur Ehre des ganzen Geschlechts und zur Zufriedenheit aller Nachbarn im Ort. Als ich Dir den verschwiegenen Pacht übergab, bin ich der Meinung gewesen, daß Du das Amt so treu und gut verwalten werdest, wie sie es thaten. Dann, und wenn Du Dein Gelöbniß von wegen der Bertha halten werdest, soll —“

„Schweig’!“ rief Schubert, indem er, wie von einer unsichtbaren Hand gepackt, vom Lager emporfuhr. „Ich mag den Namen nicht hören. Er ist mir zuwider, er fährt mir durch die Seel’ wie Gift und Opperment!“

„Hast sie also auch noch nicht überwunden, die fürchterliche Geschicht’? Also, wenn du gut verwaltest und das gelobte Schweigen hältst, sollte der Hof nach meinem Tod Dein Eigenthum werden. Geschwiegen hast bisher, aber das Andere ist nicht eingetroffen. Du bist ein harter, stolzer Mann geworden, dem die Noth seiner Mitbrüder und das Wohl der Gemeind’ gar wenig am Herzen liegt. Meine guten Wort’ hast in den Wind geschlagen, und meine Drohung achtest nicht. Von Tag zu Tag fast hört man Neues, was Du gethan, aber lobenswerth ist’s nimmer. Die Felder verstehst zu bewirthschaften, das ist wahr, aber für das Amt bist nimmermehr zufrieden gestaltet. Soll ich Dir’s nehmen?“

„Schau doch, Anton, wie vortrefflich der Kirchhof zum Studiren ist! Ich glaub’ nicht, daß der Hofprediger eine so kluge und schöne Red’ zusammenbringt, wie die Deinige ist; doch wenn ich den Text hören will, so geh’ ich in die Kirch’ und hab’ Dich dazu nicht von Nöthen. Glaub’ nur nicht, daß ich mich

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gegen Dich vertheidigen werd’, da müßte schon ein Anderer kommen, sondern ich sag’ Dir nur so viel, daß Du mir weder das Gut, noch das Amt zu nehmen vermagst. Das Schreiben, welches Du mir damals gegeben hast, ist mir die beste Sicherheit.“

„Darüber soll auch noch gesprochen werden. Jetzt hab’ ich erst ein Geschäft mit Dir zu machen.“

„Ein Geschäft? Welches?“

„Ich will nicht fragen, ob Du dem Balzer die zweitausend Thaler wirklich geborgt hast, aber das möcht’ ich gern wissen, wer jetzt den Wechselbrief hat. Liegt er beim Advocat?“

„Nein. Der Notar war nicht zu treffen; ich hab’ den Brief also wieder mit nach Haus’ genommen. Dann — dann kam die Schwäch’, an der ich niederlieg’, so daß ich nicht wieder in die Stadt gekommen bin.“

„Den Grund zu Deiner Schwäch’ kennt Jedermann im Dorf. Der Herrgottsengel hat mit seinem Schlag die Gefährlichkeit des Briefes zernichtet; nun gilt derselbige nur noch als einfache Schuldverschreibung, und Du selbst hast Dich um die Freud’ gebracht, den Ludewig auspfänden zu können. Ich will Dir die Schuld abkaufen!“

„Ich verkauf’ sie nicht. Wer weiß, wenn Du sie zahlst; vielleicht soll ich’s vom Pacht abzieh’n.“

„Ich zahl’ sie gleich.“

„Auch dann verkauf’ ich sie nicht. Es ist wahr, ich hab’ die Wechselzeit verschlafen, aber die Schuld bleibt doch, und ich brauch’ sie gegen den Schmuggelbalzersbub’, mit dem ich ein Hühnchen zu rupfen hab’ von wegen seiner Herrgottspost und daß er verrathen hat, warum ich krank und lägrig bin.“

„Er hat nichts verrathen, sondern Du selbst hast’s im Fieber dem Chirurgus erzählt, und so ist’s im Dorf herumgekommen. Der Ludewig ist ein Bursch, gegen den Keiner das Geringste zu sagen vermag; Du hast ihn bei der Selma gelitten; nun aber soll’s auf einmal alle sein, und Du willst ihm sogar noch gefährlich werden? Das ist ein grundloser und böser Streich, den ich nimmer leiden werd’. Verkaufst Du mir die Schuld oder nicht?“

„Nein. Ich behalt’ sie selber!“

„Gut, so nehm’ ich meinen Richterhof zurück!“

„Das wirst schon bleiben lassen“ lachte Schubert.

„Warum?“

„Von wegen der Unterschrift, die Du mir damals gegeben hast.“

„Die ist mir nicht mehr fürchterlich. Ich hab’ die Bertha hinunter in —“

„Hältst den Mund oder nicht?“ rief der Richter und stand mit einem Sprunge vor ihm. Die Arme bogen sich zusammen, und zwischen den emporgehobenen und geballten Fäusten stierte ein vor Wuth und Angst verzerrtes Gesicht dem Sprecher entgegen. „Ich hab’ Dir verboten, den Namen zu sprechen. Sagst Du ihn wieder, so fliegst zur Thür hinaus, so lang und groß Du bist!“

„Bist ja heut’ ein rechter Hercules, Frieder! Aber leg’ Dich nur wieder zur Ruh’; ich werd’ den Namen verschweigen; er muß mir noch weher thun, als Dir, denn ich bin es gewesen, der sie hinunter gestürzt hat in den Schacht, und Du hast’s bloß verschwiegen. Aber darum bist ja eben der Mitschuldige und mußt ruhig sein, sonst wirst auch mit bestraft. Dazu kommt noch, daß ich es nicht mit Absicht verbrochen hab’ und daß so viele Jahr’ darüber hingegangen sind. Deine Anzeig’ hätt’ also vielleicht gar nicht die Kraft, die Du ihr immer zugeschrieben hast. Ich hab’ sie sehr gefürchtet, jetzt aber ist mir nicht mehr bange vor

ihr, denn die Straf’ kann unmöglich so groß sein, wie die Qual, die mir der innere Vorwurf stets bereitet hat. Da, schau mich an! Was war ich für ein starker, kraftgewaltiger Bursch, und jetzt — jetzt bin ich ein Geripp’, jetzt seh’ ich wie der leibhaftige Tod, jetzt nennt man mich den — Klapperbein. So hat die Kummerkrankheit an mir genagt, so hat sie ein Stück nach dem anderen von meinem Leib und von meiner Seel’ herabgerissen, bis bloß noch die Kirchhofsscheuch’ verblieben ist!“

„Da bist nur selber schuld! Der Vorwurf ist eine dumme Angewohnheit, durch die nur Alles schlimmer, aber nichts besser werden kann, und ein kluger Mann weiß sich vor ihr ganz schön zu hüten. Nur ein Narr wird sich selbst für das bestrafen, was er gethan hat. Geh’, Anton, Du bist ein solcher Narr! Du hast Dich von den Menschen verbannt und das Gut von Dir gegeben. Glaubst wirklich, daß Du wieder zu ihnen darfst, oder daß Du den Hof wiederbekommst?“

„Ich glaub’s und werd’ es Dir beweisen. Du hast Deine Versprechung nicht gehalten, d’rum nehm’ ich Dir den Pacht. Mach’ Dich bereit; zum Montag zieht ein neuer Bauer ein!“

„Ein neuer Bauer? Wer soll’s denn sein? Doch nicht Du selber?“

„Nein! Ich hab’ meinen Platz auf dem Gottesacker; den werd’ ich nicht vertauschen. Der Ludewig ist’s.“

„Der Ludewig? Hat Dich der innere Vorwurf gar endlich noch verrückt gemacht? Der Schmuggelludewig soll Richterbauer werden? Geh’ doch ins Narrenhaus, aber zu mir gehörst nun nicht mehr länger!“

„Der Nam’, den Du ihm giebst, zielt nicht auf ihn, sondern nur auf seinen Vater, und der hat ihn nur Dir zu verdanken gehabt. Du hast mit vollem Rechte der Schmuggelfrieder geheißen und bist dennoch Richterbauer geworden; warum soll’s dem wackeren Burschen nicht auch und noch leichter gelingen?“

„Er mag’s versuchen! Und gar zum Montag schon! Woher willst denn eigentlich das Recht nehmen, mich ohne Kündigung hinaus zu jagen?“

„So steht’s geschrieben in der Verzeichnung, die Du mir für meine Schrift gegeben hast.“

„Das ist nicht wahr; das ist die größte Lüg’, die Du Dir ersinnen kannst!“

Sein Auge glitt bei diesem Ausrufe mit lauerndem Ausdrucke über das entschlossene Gesicht des Anderen.

„Das ist keine Lüg’, sondern die Wahrheit! Wenn Du vergessen hast, was damals geschrieben worden ist, so will ich Dir das Papier zeigen. Ich hab’s mitgebracht, weil ich mir schon denken konnt’, daß Du den Einwand machen werdest.“

„Zeig’ her! Ich glaub’s nicht eher, als bis ich’s mit eigenen Augen seh’.“

„Hier hast’s. Lies nur genau, so wirst’s bald finden!“

Er zog einen sorgfältig eingeschlagenen Bogen aus der Tasche, befreite ihn langsam von seiner Umhüllung und gab ihn mit siegesgewissem Lächeln hin. Mit einer hastigen Bewegung ergriff ihn Schubert, warf einen Blick darauf und stieß dann ein höhnisches, schadenfrohes Lachen aus.

„Lesen? Nein, lesen werd’ ich den Contract nicht; ich seh’ schon, daß er’s ist, und weiß auch ganz genau, was ich geschrieben und unterzeichnet hab’. Aber etwa Anderes werd’ ich mit ihm thun. Da schau her!“

Er riß den Bogen in kleine Stücke und verbarg die selben unter die Decke seines Lagers.

(Fortsetzung folgt.)

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Der Herrgottsengel.

Erzählung von Emma Pollmer.

(Fortsetzung.)

„O Du Wunder von Klugheit und Listigkeit, konntest Dir denn nicht denken, warum ich das Papier hab’ sehen wollen?“ sagte Schubert mit boshaften Lächeln. „So lang’ Du’s in den Händen hattest, war der Hof Dein, und ich mußte ihn hergeben an jedem Augenblicke, wenn Du ihn zurück begehrtest. Drum hab’ ich gesonnen Tag und Nacht, wie ich’s wiederbekommen -

bekommen könnt’; aber all mein Denken ist vergebens gewesen. Nun hast mir’s so zuvorkommend selbst gebracht, hast mich zum richtigen Richterbauer gemacht, dem Niemand mehr den Hof zu nehmen vermag, und darum sollst zum Montag auch die Einzugsred’ halten dürfen, wenn der Schmuggelbalzersludewig den Willkommen hält!“

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Der Klapperbein hatte nicht die geringste Miene gemacht, die Vernichtung des Papieres zu verhindern. Er lächelte jetzt noch ebenso siegesgewiß wie zuvor, als er antwortete:

„O Du Wunder von Bosheit und Niederträchtigkeit, konntest Dir denn nicht denken, warum ich Dir das Papier so gern gegeben hab’? Es war die letzte Prüfung, die ich mit Dir vorgenommen hab’; Du hast sie nicht bestanden und sollst darum wieder der Schmuggelfrieder sein. Womit willst Du denn beweisen, -

beweisen, daß das Gut Dein Eigen ist und daß ich Dir’s geschenkt hab’?“

„Ich hab’s ja Allen auf Dein Geheiß so sagen müssen und das ganze Dorf weiß es von Anbeginn nicht anders. Womit willst’s beweisen, daß es nicht so ist?“

„Ich hab’s vom Vater ererbt, das weiß Jedermann, und aus meinem Mund hat noch nie ein Mensch vernommen, daß ich Dir’s zum Geschenk gegeben hab’.“

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„Ich werd’s beschwören! Und außerdem hab’ ich die Unterschrift, daß Du der Mörder bist. Versuch’s doch, mich zu vertreiben!“

„Das werd’ ich nicht nur versuchen, sondern gewiß und wirklich thun! Hörst, wie die große Glock’ neunmal anschlägt? Das ist das Zeichen vom heiligen Vaterunser. Jetzt wird der Balzer in die Erd’ gesenkt; und der Pfarrer betet über seiner Leich’. Ich weiß nicht, was Du in seiner letzten Stund’ mit ihm vorgenommen hast, aber sein Verführer und Mörder bist gewesen, und er wird Dich in der Ewigkeit verklagen. Ich hingegen hab’s nicht nöthig, bis auch dahin zu warten, sondern werd’ schon gleich jetzt das Gericht mit Dir beginnen. Deine Verschreibung hast mir zerrissen; gieb nun auch die meinige heraus!“

„Geh’ fort, und laß Dich nicht länger auslachen!“

„Gieb sie heraus!“

„Du bekommst sie nicht!“

„So nehm’ ich sie mir selber!“

„Weißt so genau, wo sie liegt?“ lachte er.

„Sehr genau!“

„So hat Dir’s wohl davon geträumt? Oder bist vielleicht gar hinauf zum Herrgottle gegangen und hast gefragt?“

„Schubertfrieder, Dein Hohn trifft grad’ die richtige Stell’! Ja, vom Herrgottle hab’ ich’s erfahren, und dem hat’s der Ludewig in seinem Brief erzählt. Er hat gesehen, wo der Wechsel lag, und dort wird wohl auch das Andere zu finden sein. Die Schlechtigkeit ist sich nur immer selbst zum Schaden. Paß auf, wohin ich greifen werd’!“

Er trat an die Wand und streckte die Hand nach dem Schränkchen aus. Im Augenblicke stand der Richter an seiner Seite.

„Wag’s, Spitzbub’, Dich an meinem Eigenthum zu vergreifen!“

„Ich darf’s thun, denn Du hast mir das meinige vernichtet!“

„Nimm die Hand vom Kasten fort, sonst schlag’ ich Dich nieder und laß Dich nachher einschließen. Was Du versuchst, ist nicht nur Diebstahl, sondern gar der gewaltsame Raub!“

„Die Schrift ist nicht mehr Dein Eigenthum, sondern das meinige; drum nehm’ ich sie. Geh’ fort, sonst bekommst den Herrgottsengelhieb zum zweiten Mal!“

„Meinst, daß Du ihn zusammenbringst?“ fragte er, nach ihm fassend.

„Merk’s selbst!“ lautete die Antwort, und mit ihr zugleich fiel die Faust des Sprechers auf den Kopf Schubert’s nieder.

Der Getroffene sank lautlos zur Erde. Vermochte der Klapperbein noch jetzt eine solche Hand zu führen, so mußte er in seinen besseren Jahren ein wahrer Riese gewesen sein. Unbekümmert um den am Boden Liegenden zog er den Schrank aus der Wand und untersuchte die Vertiefung. Sie enthielt jetzt nur drei ineinander gesteckte Papiere. Das erste war der Wechsel; er legte ihn an den Ort zurück. Das zweite war das Gesuchte; es enthielt das Bekenntniß, daß er Bertha Schubert, die Todtengräberstochter, in den Schacht gestürzt habe; er steckte es zu sich. Nun warf er einen Blick auf das dritte; es war dasjenige, welches der Schmuggelbalzer dem Richter zurückgegeben hatte. Kaum hatte sein Auge die ersten Zeilen entziffert, so trat er mit einem Ausrufe des höchsten Erstaunens zu dem am Fenster stehenden Tische, wo er die vergilbten Schriftzüge besser zu erkennen vermochte.

„Herr mein Heiland, was ist das? Steht das wirklich hier geschrieben, oder ist’s nur ein Traum, den ich hab’?“

Mit sichtlicher Gier verschlang er förmlich ein Wort nach dem andern; seine Augen öffneten sich weit und weiter; seine hohlen, bleichgrauen Wangen färbten sich roth und immer röther; sein Athem ging fliegend; seine buchstabirenden Lippen bebten; sein Angesicht strahlte hell und heller, als enthalte jede einzelne Silbe ein Himmelreich für ihn, und als er das Ende erreicht hatte, preßte er das alte, vielbeschmutzte Papier mit sprachloser Inbrunst an die Brust; seine lallende Zunge suchte vergebens nach einem verständlichen Laute, und es ging eine Aufregung durch seinen über den Tisch sinkenden Körper, die sich endlich in einem erschütternden, convulsivischen Weinen Luft machte.

So lag er lange, lange Zeit. Da regte es sich leise hinter ihm; er bemerkte es nicht. Der Schlag war doch nicht so kräftig

gewesen wie derjenige des Herrgottsengels droben auf der Halde: der Richter kam wieder zu sich. Er öffnete die Augen, blickte verwundert und nachsinnend um sich und sah den weinenden Mann über die Platte des Tisches gebeugt. Dieser Anblick brachte ihm das Bewußtsein der gegenwärtigen Lage zurück. Er erhob sich vorsichtig und trat leise hinter den Schluchzenden. Einen Blick auf das Papier werfend, hatte er es im nächsten Augenblicke ergriffen und machte Miene, es zu zerreißen wie das vorhergehende. Er kam nicht dazu. Der Beraubte drehte sich blitzschnell ihm zu und ergriff seine Hände mit solchem Drucke, daß er die Schrift mit einem Schmerzensrufe fallen ließ; sofort hatte der Klapperbein sie aufgehoben und in die Tasche verborgen.

„Halt, Schubertfrieder, solch’ einen Schatz laß ich mir nimmer rauben! Also darum kannst den Namen Bertha nicht erhören, weil Du ihr — —“

„Bist still jetzt auf der Stell’, oder ich — —“

„Thu’ nicht so grausam mächtig, Schwestermörder; der Stachel ist Dir genommen! Du bist der Geier, dem seine Krall’ verschnitten ist, und wirst jetzt Rechenschaft ablegen, hörst, jetzt sogleich!“

„Rechenschaft? Dir etwa?“ grollte es halb wüthend, halb furchtsam aus dem Munde Schubert’s hervor.

„Ja, mir! Oder meinst etwa, daß ich Dich nicht bezwingen kann? Denselben Spieß, den Du bisher gegen mich gerichtet hast, kehr’ ich um gegen Dich, und wehe Dir, wenn Du Dich nicht freiwillig unterwirfst! Ich nehm’ die fürchterliche That, die bisher auf meiner Seel’ gelastet hat, von ihr herunter und werf’ sie auf die Deinige. Schmuggelfrieder, Du hast die Bertha —“

„Halt’ ein, und laß den Namen fort, sonst sollst mich kennen lernen!“

„Da kommst zu spät; ich kenn’ Dich schon genug und bin nicht mehr bang’ vor Dir. Du hast die Bertha, hörst wohl, die Bertha, die Bertha“ — er faßte ihn mit mächtigem Griffe bei den Schultern, hielt ihn fest, daß er sich fast nicht zu rühren vermochte, und rief ihm das Wort langsam und mit schwerer Betonung in das Gesicht — „Du mußt’s hören, und wenn die Angst Dir die Augen aus dem Kopf hinaus treibt, die Bertha hast ermordet, die Deine eigne Schwester war! Hier in meiner Brusttasch’ steht’s geschrieben, ausführlich und genau, und Du hast es dem Schmuggelbalzer unterzeichnen müssen, grad’ so, wie Du’s von mir erzwungen hast. Bist etwa feig genug, es zu leugnen?“

„Laß los, Anton, und bring’ das Wort nicht wieder, so bin ich vielleicht zum Reden bereit!“

„Zu reden brauchst nicht viel; ich hab’ genug gelesen. Du bist ein Schaudermensch, daß man Dich flieh’n und meiden möcht’ wie Teufelsspuk. Du hast mich belogen und betrogen, hast mich in Ketten und Banden geschlagen, hast mir mein Herz vergiftet und die Sonn’ meines Lebens ausgelöscht. Deine Schuld hast auf mich gelegt und damit Schacher und Wucher getrieben bis auf den heutigen Tag; aber Dein schändlich’ Thun hat um Rach’ empor geschrieen zum Himmel, und der Herrgott hat darein geschaut und Dich nun endlich unter sein Scheermesser genommen. Grad’ da, als Du am sichersten warst und dem einzigen Zeugen noch im Tod betrügen wolltest, da hast Dich selbst betrogen und der Straf’ grad’ in die Hand gearbeitet. Nun ist die Lüg’ entdeckt, die Ketten sind zerrissen, mein Herz wird wieder heil, und die Tag’, die ich noch zu leben hab’, sie dürfen hell und freundlich sein. Es giebt einen Richter, der im Verborgenen waltet und aller menschlichen Berechnung lacht; ihm bist verfallen, und bis er sein Urtheil spricht, hat er Dich einstweilen in meine Hand gegeben. Was meinst, daß ich mit Dir thu’?“

Der Gefragte schwieg; er blickte starr und unentschlossen vor sich nieder. Es entstand eine Pause, und dann klang es merklich milder:

„Schubertfrieder, Du hast den Richterbauers-Anton zum Klapperbein gemacht; benutz’ die Freud’, die er in diesem Augenblick empfindet, sonst find’st Du kein Erbarmen! Warum hast Du die That begangen?“

„Ich hab’ sie nicht begangen, denn ich hab’ sie nicht gewollt, sondern der Stoß, welcher die — der Stoß galt einem Anderen,“ lautete die zögernde Entschuldigung. Der harte, gewissenlose

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Mann hatte mit seinem verstörten Angesichte jetzt Aehnlichkeit mit einem wilden Thiere, welches sich mit ohnmächtigen Grimme gegen einen überlegenen Gegner sträubt. Er suchte in seinem Innern nach einer Waffe; sein Sinnen schien vergebens zu sein.

„Einem Anderen? Ah, jetzt wird’s vollends licht in mir; dieser Andere war ich! Ist’s so richtig?“

Es dauerte eine Weile, ehe die Antwort kam. Ein eigenthümlich lauernder Zug glitt über das Gesicht Schubert’s. Er hatte die Waffe doch noch gefunden.

„Wär’s ein Wunder, Anton? Denk’ nach, was Du mir stets zu Schad’ gewesen bist!“

„Ein Wunder — nein, bei Dir ist’s keins! Die Zech’ gehört zum Richterhof, und da wir uns nicht nehmen sollten, so hatten wir da oben unser Stelldichein. Drum mußt’ ich Euch und Eure Niederlag’ aus dem Schacht vertreiben, damit wir nicht verrathen würden. Das hat mir die Pascher zum Feind gemacht, und sie sind gar einmal über mich hergefallen, so daß ich nur mit großer Noth davongekommen bin. Den Einen hab’ ich dabei mit dem Messer niedergestochen; ich konnt’ nicht anders. Du lagst damals krank darnieder, und ich wußt’ noch nicht, daß Du zu ihnen gehörtest, sonst hätt’ ich Euch vielleicht doch noch gelitten.“

„Ich war der Anführer und lag nur zum Schein. Es galt ein großes Geschäft, und ich wollt’ den Verdacht von mir fortlenken. Nachher aber wurde aus dem Schein die Wirklichkeit, denn der, den Du gestochen hast, bin ich gewesen.“

„Du? So ist der Stoß, der mir gegolten hat, aus Rach’ und Vergeltung geschehen?“

„Vielleicht mit. Es kam noch ein Anderes dazu. Wir wollten aus der Zech’ fortziehen und unsere Vorräth’ wegschaffen. Das Bret war von dem Loch fort auf die Seit’ gelegt; die Männer befanden sich unten, und ich und der Balzer hielten die Strickleitern. Da kamst Du mit — mit — — mit dem Mädchen.“

„Ist’s so gewesen? Ich hatt’ sie hinauf bestellt, um sie zu bitten, heimlich mit mir nach Amerika zu gehen, weil wir uns hier nicht haben konnten. Sie aber war zu brav und hat nicht eingewilliget. All’ mein Zureden war vergeblich. Da ist mir um ihren Besitz gar bang’ geworden, und ich hab’ ihr gedroht, sie in den Schacht zu stoßen, wenn sie nicht mitgeht. Gott ist mein Zeug’, ich hätt’s nimmermehr gethan! Ich hab’ sie bloß zur Zusag’ bewegen wollen und nicht geahnt, daß das Mundloch offen sei; es war ganz finster in dem Zechenhäusle. Ich rang zum Schein mit ihr und trieb sie näher an das Loch, in das sie doch nicht fallen konnt’.“

„Ich hab’ gemeint, Du thust’s im Ernst, bin still herangeschlichen und hab’ nach Dir gestoßen.“

„Schubertfrieder, es ist genug. Denken muß ich an diese schreckliche Stund’ zu aller Zeit, an jedem Augenblick, aber von ihr reden, das kann ich nicht weiter! Ich trieb ein frevles Spiel, und Du — Du hast ihren Tod nicht gewollt, bist aber doch der Mörder, der meinige und der ihrige. Ich möcht’ es Dir nicht anrechnen; aber was Du dann weiter an mir verbrochen hast, das ist unerhört, das kann ich Dir nicht vergeben, das ist der langsame und tausendfache Mord an Leib und Seel’! Ich hab’ mich Dir und Du hast Dich dem Balzer verschreiben müssen, und dann bist zwischen uns Beiden gestanden und hast uns betrogen um Güter, die höher sind als Leib und Leben oder Hab’ und Gut. Mir vermagst nichts wieder zu erstatten, aber die Sünd’ an ihm, die versuch’ an seinem Sohn zu sühnen. Gieb ihm den Wechselbrief zurück! Ich weiß nun sicher, daß er falsch ist.“

„Wenn Du mir den Hof lässest!“

„Das kann ich nicht! Ich hab’ Dir schon gesagt, warum. Aber Du bist der Bruder von — sei still, ich sag’ den Namen nicht! — von ihr, und darum will ich lind mit Dir verfahren. Du giebst ihm die Selma, und von mir erhält er grad’ so wie Du den Hof in Pacht. Nach meinem Tod ist er dann sein Eigenthum. Ich hab’ keinen Erben und kann ohne Vorwurf so handeln. Willst?“

„Was sagen die Leut’ dazu?“

„Es erfährt Keiner die eigentliche Sach’!“

„Anton, es kommt mir zu schnell; ich muß erst überlegen. Gieb mir die Zeit dazu!“

„Die sollst haben, obgleich es nicht nothwendig ist. Heut’ über eine Woch’ bin ich des Abends wieder hier bei Dir. Besinn’ Dich gut; es hängt gar viel an einem Faden!“

„So gieb die Unterschrift heraus; sie soll vernichtet sein!“

„Die brauch’ ich zur Sicherheit, und den Wechsel auch. Zeig’ ihn her!“

„Er liegt bis dahin gut!“

„Bei mir noch besser! Gehst auf den Vorschlag ein, so wird die Schrift zerrissen, aber keine Minut’ eher, als zur Hochzeit und wenn der Hof dem Ludewig übergeben ist. Thust nicht mit, so geht sie ans Gericht; dann wirst wohl seh’n, was weiter kommt. Also heraus mit dem Wechselbrief!“

Der Richter trat grollend an die Mauervertiefung und nahm das Document heraus.

„Hier hast ihn! Du bist der Stein, an dem die Bitt’ zerschellt.“

„Blick’ in Dein eignes Herz! Es ist von noch viel härterem Gefüg’ als das meinige. Schau, da geh’n die Trauerleut’ vom Kirchhof zurück. Denk’ d’ran, wie bald sie auch Dich hinausgeleiten können, und trag’s der Selma nicht nach, daß sie mitgewesen ist!“

„Ich will jetzt nichts mehr sagen. Der Kopf brennt mir wie glühend Eisen, und den Hieb, Anton, den kann ich Dir nur schwer vergessen. Wenn ich mich leg’ und nimmermehr ersteh’, so bist Du schuld daran!“

„Hast ihn verdient, Frieder, und wirst nicht daran sterben. Hast ja schon mehr als das mit Leichtigkeit auf Dich genommen!“

Er ging. Schubert trat zum Fenster und blickte ihm finster nach, bis er ihn droben hinter dem Gitter verschwinden sah.

„Welch’ eine Stund’!“ seufzte er tief auf. „Ich hab’ das Gesetzbuch und weiß, daß ich mit dem Hof nichts gegen ihn vermag, und er läßt sich durch keine Red’ verschüchtern. Wenn ich nur wüßt’, warum er den Pacht verschwiegen hat und warum er für arm gelten will! Vielleicht ist er gar der Herrgottsengel. Er weiß Alles, was der Ludewig geschrieben hat, und der Hieb, es ist ganz derselbige, welcher vor Zeiten den Vetterbauersfranz, nachher den Knecht und endlich auch mich beim Kreuzle niedergestreckt hat. So einen Schlag kann nur der Anton thun, das weiß ich ganz genau von jungen Jahren her.“

Er öffnete die Thür und rief die Tochter herbei. Sie gehorchte mit Bangigkeit, weil sie die Folgen ihres Ungehorsams fürchtete.

„Schickst heut’ dem Klapperbein das Essen, oder gehst selbst hinauf?“

„Warum sollt’ ich es ihm schicken? Er mag einen anderen Boten nicht leiden!“

„Ich dacht’, weil Du vielleicht im Sterbehaus von Nöthen bist.“

Sie blickte überrascht zu ihm empor.

„Darf ich denn hinüber?“

„Ich hab’ nichts dagegen. Sag’ dem Klapperbein, er soll um Zwölf heut’ bei mir sein, ich hätt’ ihm Wichtiges mitzutheilen!“

Sie entfernte sich, froh, das grade Gegentheil ihrer Befürchtungen erfahren zu haben, und mußte unwillkürlich an die Worte des alten, geheimnißvollen Freundes denken: „Der Klapperbein hat Trost und Hilf’ für Dich, wenn Du einmal eines mächtigen Beistandes von Nöthen bist.“ Hätte sie jetzt das Gesicht ihres Vaters gesehen, so wäre ihre Freude wohl eine minder große gewesen.

„Da hab’ ich Glück und Seligkeit bereitet,“ lachte er in sich hinein, „und damit den schlauen Zug begonnen! Die Kirchhofsscheuch’ legt meine Schrift und den Wechsel sicher nirgends wo anders hin, als in die Leichensparbüchs’, die ich erlauscht hab’. Ich schieb’ den Riegel vor und steig’ zum Fenster hinab; meine Botschaft bringt ihn vom Gottesacker fort, und während er an der verschlossenen Thür denkt, ich lieg’ im tiefen Schlaf, räum’ ich den ganzen Schatz hinweg. So bekomm’ ich die Schrift, den Wechselbrief und meinen ganzen Pacht zurück, und dann, Klapperbein, dann werd’ ich anders mit Dir sprechen, als heut’, wo mir die Klugheit rieth, klein nachzugeben. Der Richterbauer

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ist nicht so leicht zu überwinden; er braucht kein Kreuzle und keinen Herrgottsengel und weiß sich selbst den allerbesten Rath! Und wer weiß, was gar noch geschieht, wenn der Todtenhäusler das leere Nest bemerkt! Der Schreck ist ein mächtiger Gesell und

hat schon Manchen niedergeworfen, der stark und rüstig war. Das wär’ der beste Schluß für unser Stück und der schönste Lohn für seine Mahnung, ich soll’ d’ran denken, daß sie auch mich bald einscharren werden!“ (Schluß folgt.)

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Der Herrgottsengel.

Erzählung von Emma Pollmer.

(Schluß.)

Mit erleichtertem Herzen bereitete Selma das Abendbrod und stieg dann ihren täglichen Weg zum Kirchhofe empor. Der Leichenhans war noch beschäftigt, das Grab Balzer’s auszufüllen.

„Grüß Gott, Jungfer Selma! Bringst das Deputat für den Herrn?“

„Ja. Ist er daheim?“

„Wo sollt’ er sein? Er kommt ja gar nie fort, und es ist das größte Mirakel, daß er heut’ einmal ausgewesen ist. Was mag ihn doch nur weggeführt haben?“

„Er war beim Vater.“

„Bei dem Deinigen? Da muß es etwas ganz Absonderliches gegeben haben, denn als er zurückkam, hab’ ich ihn kaum wieder erkannt. Er hat ein Gesicht gemacht, wie ein jung’ Bursch’ von zwanzig Jahren, der von der Liebsten kommt, ist bei mir eine ganze lange Zeit im Gespräch gestanden, und dann hab’ ich ihn gar ein lustig Stücklein trällern hören, was grad’ unerhört zu nennen ist. Geh’ zum Winkel; er ist darin!“

Als sie die Büsche erreichte, vernahm sie ein lautes, jubilirendes Reden. Sie konnte die einzelnen Worte nicht unterscheiden, da die Töne aus der Tiefe kamen. Der Klapperbein erzählte seiner Todten von dem Glücke, sich nicht länger als ihren Mörder anklagen zu müssen. Er vernahm den Ruf des Mädchens erst nach einer Wiederholung desselben und kam dann hervor.

„Bist’s, Selma?“ fragte er. „Hast Zank erhalten für den Begräbnißgang?“

„Nein. Der Vater hat sogar gesagt, ich soll am Abend zu Balzer’s geh’ n.“

„Das hör’ ich gern. Gieb her den Korb!“

„Weißt auch etwas von der Wechselgeschicht’?“ erkundigte er sich, als er wieder aus dem Hause trat.

„Ich weiß Alles.“

„Wie wird es enden?“

„Ich kann es nicht sagen; aber der Ludewig hat vom Herrgottsengel das Geld erhalten, das er zur Noth bezahlen soll.“

„Er wird’s nicht brauchen, sag’ ihm das; ich weiß es ganz genau. Und Eins will ich Dich fragen: Was giebst mir, wenn er der Richterbauer wird und Du die Bäuerin?“

„Das — das ist — — unmöglich!“ wollte sie ausrufen, aber der Klapperbein war lachend schon hinter der Hausthür verschwunden.

Seine Frage nahm ihre Gedanken so in Anspruch, daß sie den Auftrag des Vaters auszurichten vergaß und sich beeilte, recht bald zu dem Geliebten zu kommen.

Sie fand ihn und seine Mutter in Gesellschaft der Botengustel, welche herbeigestiegen war, um den Leidtragenden ihre Theilnahme zu beweisen. Im Laufe des Gespräches berichtete sie von der unerwarteten Nachgiebigkeit ihres Vaters und den seltsamen Worten des Todtenhäuslers.

„Ich glaub’ selber auch, daß ich das Geld nicht brauch’,“ meinte Ludwig. „Der Wechselbrief hat seine Kraft verloren, und für den Nothfall ist’s doch nur gewesen. Es brennt mir in den Händen, und d’rum werd’ ich mich heut’ beim Kreuzle bedanken und zugleich anfragen, was mit der Summe nun werden soll. Ein solches Geld darf ich doch nicht so leichtsinnig in den

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Briefkasten thun; es könnte ja gar der Unrichtige darüber kommen. Gehst mit hinauf, Selma?“

„Ja, doch muß ich zuvor sehen, was der Vater macht.“

„So geh’; unterdessen werd’ ich den Brief beginnen!“

Sie fand die Thür zu dem Zimmer des Richters von innen verriegelt, auch brannte kein Licht. Jedenfalls schlief er also, und so konnte sie den Gang unternehmen. Als sie, das warme Tuch zum Ausgehen um den Kopf geschlungen, wieder bei Balzer’s eintrat, betheuerte die Botengustel:

„Bist doch die Bertha, wie sie leibt und lebt! Grad’ so, mit übergeschlagenem Tuch, kam sie des Abends zu mir, um den Richterbauers-Anton zu treffen. Du hast ihre Gestalt und auch dasselbe Gesicht, und wenn ich Dich so steh’n seh’, denk’ ich nicht anders, als: es muß die Bertha sein!“

Mit verschämtem Lächeln nahm sie das Compliment hin; sie wußte, die Tante war ein schönes Mädchen gewesen, das schönste für lange Zeit im ganzen Dorfe.

Unter traulich ernstem Gespräche stiegen die beiden jungen Leute den Berg empor und erreichten die Halde eben, als es Zwölf schlug. Diese Stundenzahl erinnerte Selma an den vergessenen Auftrag. Sie erschrak.

„Zwölf ist’s? Ich soll den Klapperbein für diese Zeit zum Vater bitten und hab’ nicht daran gedacht! Was thu’ ich, Ludewig?“

„Für jetzt um Mitternacht? Das däucht mir fremd! Aber die Botschaft muß ausgerichtet werden. Wir geh’n jetzt gleich hinab!“

Der Briefkasten am Kreuz war schon aufgeschlossen. Ludwig legte seinen Brief hinein und steckte die Laterne in Brand. Dann eilten sie zum Kirchhofe hinab. Sie fanden das Gitterthor nur angelehnt, doch hielten sie sich nicht mit Betrachtungen darüber auf. Die Scheu, mit welcher man einen solchen Ort zu solcher Stunde betritt, ließ sie unwillkürlich leiser auftreten.

„Schau durch den Laden, Ludewig, ob noch Licht ist in der Stub’!“

„Es ist keins darin.“

„So schläft er schon. Die Kammer ist hinten an der Mauer. Wir müssen um die Eck’ herum und an das Fenster klopfen!“

Das schon sonst nicht furchtsame und durch die Gegenwart des Geliebten noch mehr ermuthigte Mädchen trat ihm voran zu den Büschen. Sie schlüpften hindurch. Nur einige Schritte vor ihnen drang ein heller Lichtschein aus der Erde empor, und es war doch wohl ein kleines Erschrecken, mit welchem sich Selma an Ludewig schmiegte.

„Er ist in seinem Grab, das er sich neben der Bertha gemacht hat,“ flüsterte dieser. „Ich werd’ einmal hinabschauen!“

Er trat leise an den Rand der Grube, um hinunter zu blicken, wich aber sofort und fast erschrocken wieder zurück.

„Weißt, wer’s ist, Selma?“

„Doch der Klapperbein!“

„Nein. Dein Vater ist’s!“

„Mein Vater? Das ist nicht möglich! Was sollt’ der hier im Grab zu suchen haben? Du hast Dich versehen!“

„Nein. Paß auf, er kommt herauf.“

Der helle Schein verschwand; das Licht war ausgelöscht worden. Aber das Firmament stand voller Sterne, und der Mond blickte voll und groß vom Himmel nieder; man konnte jede einzelne der Blumen erkennen, welche das Grab der im Schacht Zerschmetterten schmückten. Es war ein tiefes, angestrengtes Stöhnen zu vernehmen; ein schwerer Kasten wurde aus der Grube gehoben, der dann eine breite, kräftige Gestalt entstieg. Es war der Richter. Er hatte trotz der Schrecken, welche grad’ dieses Grab für ihn haben mußte, die Ausführung seines finsteren Planes unternommen; aber es war ihm doch beinahe über seine Kräfte gegangen. Wie von bösen Geistern gehetzt, blickte er mit stieren Augen und verzerrten Zügen um sich; sein Athem keuchte schnell und ängstlich aus der fliegenden Brust heraus, und die Beine schienen ihm unter dem zitternden Körper brechen zu wollen. Er bückte sich nieder, um den Kasten aufzunehmen; da rauschte es durch die Zweige, und die lange Gestalt des Klapperbein richtete sich vor ihm in die Höhe.

„Willkommen, Spitzbubenfrieder! Soll ich Dir helfen?“

Fast wäre der Angeredete vor Schreck rücklings in die offene Grube gestürzt; er raffte sich jedoch zusammen und trat zwischen seinen Raub und den Erschienenen.

„Ich bedarf hier keiner Hilf’. Geh’ aus dem Weg, Kirchhofsscheuch’!“

„Das werd’ ich gern und willig thun, denn Dein Weg führt stracks ins Verderben. Ich bin nicht schuld an der Begegnung. Hätt’st das Gitter wieder zugeschlagen, wie Du es gefunden hast, so wär’ ich nimmer auf den Gedanken gerathen, daß Einer mich um Mitternacht besucht. Komm’ mit herein ins Haus, da soll sich Alles finden!“

„Es wird sich hier schon finden.“ Er griff zum Boden nieder, raffte ein Beil, welches er sich jedenfalls als Werkzeug mitgebracht hatte, auf und schwang es nach dem Kopfe des Gegners. „Fahr’ hinunter in die Grub’!“

Der Klapperbein ergriff seinen erhobenen Arm und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen.

„Willst so? Gut, sollst Deinen Willen haben. Da unten liegt die Schwester, die Du ermordet hast; der Mörder gehört zu seinem Opfer. Die Bertha ruft, geh’ hin zu ihr!“

Die bewaffnete Rechte des Richters festhaltend, holte er zum niederstreckenden Schlage aus, strauchelte dabei über den Kasten, dem er sich beim Ringen genähert hatte, und stürzte unter der Gewalt seines eigenen Diebes zur Erde nieder. Im Nu kniete Schubert über ihm.

„Meinst wirklich, daß ich mich vor der Todten fürcht’? Ich lach’ über sie, und wenn sie jetzt sogleich leibhaftig erscheint, um Dir zu helfen. Leb’ wohl, Anton, mit Dir ist’s aus!“

Er erhob das Beil zum tödtlichen Streiche. Da stürzte Selma vor. Das verhüllende Tuch war ihr auf die Schultern herab geglitten; der Mond warf sein Licht auf ihre klaren Züge.

„Halt’ ein, halt’ ein, steh’ auf von ihm!“ rief sie in höchster Angst.

Er blickte empor.

„Bertha — Ber — —!“ Es zog ihn halb empor; es riß ihm die Arme weit auseinander; sein Haar sträubte sich, seine Augen quollen mit erschrecklichem Ausdrucke unter den Lidern hervor. — „Bertha — Ber — Ber — —“

Erst hatte er den verhängnißvollen Namen laut hinausgeschrieen; er konnte ihn nicht wiederholen; die Laute erstarben ihm zwischen den Lippen; die ersteifende Zunge vermochte kaum noch zu lallen; er taumelte hin und her, schlug hinten über und stürzte mit lautem Gepolter in die gähnende Grube hinab.

Der Klapperbein hatte sich erhoben und starrte das Mädchen an.

„Die Bertha —? Nein, Selma, Du bist’s? Du hast mich vom Tod errettet! Wie kommst zu dieser Zeit herbei? Und der Ludewig auch?“

„Der Vater hat befohlen, ich soll Dich um Zwölf zu ihm bestellen; ich hab’s vergessen und mich erst kurz vorhin darauf besonnen. Schau nach, Anton,“ flehte sie angstvoll, „er ist hinunter ins Grab; schau nach, was mit ihm ist!“

„Um Zwölf sollt’ ich zu ihm kommen? Schau doch, wie klug der Frieder ist! Komm, Selma, komm; geh’ hinein in die Stub’. Hier kannst nicht länger sein. Ich werd’ Dir das Licht anbrennen, damit Du wartest, bis wir hier fertig sind. Halt’ Wach’ hier bei der Grub’, bis ich wiederkomm’, Ludewig!“

Sie widerstrebte lange, ehe es ihm halb durch Bitten, halb mit Gewalt gelang, sie fortzubringen. Der Jüngling blieb in einer unbeschreiblichen Stimmung zurück. Durch Auge und Ohr überzeugte er sich, daß der Körper des Richters vollständig regungslos auf dem Grunde der Grube lag. Dann prüfte er das Gewicht des Kastens; dieser war sehr schwer, und ein verrätherisches Klingen ließ auf die Kostbarkeit seines Inhaltes schließen. War er wirklich mit Geld gefüllt, wem gehörte es, und wie kam er hinab in das Grab? Sein Auge glitt suchend über den Boden und traf auf einen hellen Gegenstand, welcher, wie er vorhin bemerkt hatte, dem Klapperbein im Ringen entfallen war. Er hob ihn auf und vermochte nicht, einen Ausruf der Verwunderung zu unterdrücken. Es war sein Brief an den Herrgottsengel, den er vor kaum einer Viertelstunde in den Briefkasten am Kreuzle gesteckt hatte. Rasch blickte er zur Halde auf. Die Laterne war verlöscht, zum Zeichen, daß der Brief an seine Adresse gelangt sei.

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Da hörte er nahende Schritte und verbarg das Schreiben in seine Tasche.

„Da bin ich wieder! Ist ’was vorgekommen?“

„Nein.“

„So laß uns hinableuchten!“

Er enthüllte die Blendlaterne und ließ ihren Schein in die Tiefe fallen.

„Er ist mit dem Kopfe aufgeschlagen und in die Ohnmacht gesunken. Die Leiter hat er selbst dort aus der Eck’ herbeigeholt. Komm, steig’ mit hinab; er muß herauf!“

Es war keine leichte Aufgabe, den schweren Mann empor zu schaffen. Sein Körper wog wie Blei, und seine Glieder waren steif und unbiegsam wie Eisen. Erst als er auf der Erde lag, war es möglich, ihn zu untersuchen.

„Das ist nicht Ohnmacht, Ludewig, das ist der Tod, der sichere, starre Tod! Er hat die Selma für die gehalten, die da unten liegt, und ist darüber vor Schreck zu Stein geworden. Der Schreck ist ein gar mächtiger Gesell und hat schon Manchen niedergeworfen, der stark und rüstig war!“

„Herr, mein Gott, ist’s möglich? Ich kann’s gar nimmer fassen!“

„Es ist so; glaub’ es mir! Der Schlag hat ihn getroffen und sein Blut zu Eis erstarrt. Da sieh’ den Kopf, das Aug’ und den ausgestreckten Arm. So hat er da gestanden und die Selma angeblickt. O, Ludewig, der Herrgott ist gar fürchterlich in seinem Zorn, und seine Gerechtigkeit macht, daß wir uns die Straf’ stets selbst bereiten. Du kannst mich nicht genau versteh’n, aber Du sollst Alles erfahren. Die Leich’ muß nach Haus’ getragen werden. Laß uns nur gleich berathen, was wir am Besten thun! Komm’ herein!“

„Zur Selma? Darf sie es denn wissen?“

„Es geht nicht anders; doch müssen wir vorsichtig sein. Die Leich’ bleibt einstweilen hier, aber den Kasten, den faß mit an; er muß mit in die Stub’ hinein.“

„Das glaub’ ich auch. Es ist dem Herrgottsengel seine Geldschatull’; die dürfen wir nicht wohlfeil stehen lassen!“

„Dem Herrgottsengel seine? Was meinst damit?“

Der Gefragte zog den Brief hervor.

„Warum hast mein Schreiben verloren, das ich auf Deine Post gegeben hab’? Richterbauers-Anton, hier liegt Einer, den das Gericht Gottes niedergestreckt hat auch mit für Das, was er uns Böses gethan. Doch der Herrgott straft nicht allein, sondern er weiß auch zu belohnen, und was dort droben am Kreuzle für gute That geschehen ist, das wird keinem Andern als nur Dir vergolten werden. Hab’ ich Recht?“

„Die Post am Herrgottle ist nicht um des Lohnes willen angebracht worden. Doch komm’ herein. Du und die Selma, Ihr sollt erfahren, was Niemand wissen darf!“

Sie gingen in das Haus zu dem in schwerer Besorgniß ihrer harrenden Mädchen.

Draußen schien der Mond und blinkten die Sterne so hell wie zuvor herab in die kleine Ecke, in welcher der Richter den wohlverdienten und von ihm selbst vorbereiteten Lohn gefunden hatte.

Auch das größte Glück oder Leid der Erde vermag nicht, die Bahnen des Himmels zu stören. So wandelt auch die Vorsehung in unerreichbarer Höhe und läßt sich durch keinen Spott und durch kein Sträuben ein Jota abdingen von den Gesetzen, nach denen der Sterbliche unter die unnachsichtliche Gerichtsbarkeit seiner eigenen That gestellt ist.