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Die Rose von Ernstthal.

Eine ErzählungvonKarl Hohenthal.

Zwischen den Ausläufern des sächsischen Erzgebirges, da, wo das berühmte Zwickauer und Würschnitzer Kohlenbecken sich bis in die Nähe von Chemnitz zieht, liegen am nördlichen Rande desselben die beiden Schwesterstädte Hohenstein und Ernstthal, welche dem freundlichen Leser ihres Gewerbfleißes wegen gewiß bekannt sein werden. Besonders ist es Ernstthal, dessen Weberei schon vor langen Zeiten sich eines weitgehenden Rufes erfreute und für seine Waaren nicht blos in Deutschland und den angrenzenden Ländern, sondern auch über die See hinüber ein weites Absatzgebiet fand.

Aber der Webstuhl vermag der Hand auch des fleißigsten Arbeiters keine Reichthümer zu bieten, und so schmiegt sich das arme Städtchen klein und bescheiden an die Thalsenkung, welche das Auge des Touristen nicht durch landschaftliche Schönheiten zu fesseln vermag und keinen andern Ruhm beansprucht als den, der friedliche Tummelplatz eines rührigen und genügsamen Völkchens zu sein.

Bei diesem angestrengten Ringen mit den nackten Sorgen des Lebens mag wohl die Nüchternheit desselben mehr in Anschauung treten; doch weht uns nicht, wie man behauptet hat, der Hauch der

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Poesie nur aus Romanen und solchen Ereignissen entgegen, welche sich auf dem glatten Spiegel des Parkets oder von der Natur bevorzugtem Boden entwickeln, sondern gerade in den Pausen des großen Kampfes, welchen wir Arbeit nennen, wenn der Mensch sich den Schweiß von der erhitzten Stirn streicht und Hammer und Spaten bei Seite legt, läßt sich jener beseligende Odem kühler und würziger empfinden, und der dichtende Gott kehrt ein selbst in die ärmlichste Hütte.

Mag also der Leser getrost die Gassen Ernstthals betreten oder an der Hand unserer Erzählung den Fuß nach einer halbverschütteten Höhle oder einem einsamen und primitiven Waldhäuschen lenken; sind auch keine welterschütternden Begebenheiten zu berichten, so wird ihn doch die wohlthuende Erfahrung anmuthen, daß der Hauch des Himmels die Blüthenflocken der Poesie auch in die entlegenen Winkel trage, an welchen die gewaltige Fluth der Geschichte nur fern vorüberrauscht.

I.

Es war ein goldener, sonniger Julimorgen.1) Längst schon hatte die Feuchtigkeit des nächtlichen Thaues den Weg zum Aether gefunden; die Wärme des Tages wallte sichtbar um die braunen Stengel der noch blüthenlosen Erika und erquickender Duft fluthete durch die Zweige des stillen, geheimnißvollen Waldes.

Die Vögel, ermüdet durch die Morgenabtheilung ihres täglichen Konzertprogrammes, saßen sinnend unter dem grünen Plafond, durch dessen Oeffnungen sich das Licht in zauberischen Tönen brach; der Bach murmelte sein ewiges, einschläferndes Schlummerlied, und Meister Specht, der Zimmermann, saß ruhig im Astloche und verdaute die Larven, welche er sich zum Gabelfrühstücke mit listigem Pochen aus den Rindenritzen hervorgelockt hatte. Drüben zwischen den Wurzeln eines Pulverholzstrauches reckten vier junge, flaumige Rothkehlchen die gelben Schnäbel in die Höhe und hielten mit der geschäftigen Frau Mama lebhaftes Zwiegespräch über Speise- und Wirthschaftsangelegenheiten, der Papa aber saß auf dem obersten Zweige und gab sein Vaterglück durch die zartesten Aphorismen kund.

Mit diesen gefühlvollen „Sangesperlen“ harmonirten nun freilich die zweifelhaften Töne nicht, welche diesseits des Baches aus der Vertiefung hervordrangen, welche unter dem Namen der „Eisenhöhle“ in der Umgegend Ernstthals bekannt ist.

„Ah . . . . ah! Das nenne ich schlafen; es muß schon wieder Nacht sein. Ah . . . . ah. Doch nein; dort fällt ja das Tageslicht auf die Moostapeten meines Boudoirs; es ist also heller Tag. Aber wie komme ich denn eigentlich in diese gastfreundliche Eremitage? Ah . . . . ah! Ach so, jetzt besinne ich mich: Großes Gewitter gestern; verirrte mich; lief bei stockfinsterer Nacht und strömendem Regen im Walde herum und fand endlich dieses Asyl, in welchem ich mich sofort häuslich niedergelassen und geschlafen habe bis anno jetzt.“

Er erhob sich von dem harten steinigten Boden, ergriff das Felleisen, welches ihm als Kopfkissen gedient hatte und trat vor den Eingang der Höhle.

„Guten Morgen, Du lieber, schöner, grüner Wald! Schüttelst zwar Dein immer junges, hundertköpfiges Haupt mißbilligend über den faulen, schlaftrunkenen Kumpan, der ich heut bin, bietest mir aber Waschgeschirr und Morgentrunk in altgewohnter, fürsorglicher Weise. Hab Dank für diese Aufmerksamkeit, Du alter, treuer Spezial Du!“

Er nahm Handtuch und Seife aus einer Seitentasche des Felleisens und trat an das Wasser, um sich zu waschen. Bei dieser Gelegenheit können wir uns den noch jungen Mann etwas näher betrachten.

Die Kleidung eines gewöhnlichen Handwerksburschen, welche er trug, hatte durch den Gewitterregen, die Irrfahrt im Walde und das Nachtlager auf den Steinen bedeutend gelitten. Dem nach schien er ein Eisenarbeiter, vielleicht Schlosser oder Schmied zu sein; aber die kleine feine weiße Hand, mit welcher er jetzt das schadhaft gewordene Gewand in Ordnung zu bringen suchte, konnte unmöglich sich viel mit Hammer und Zange beschäftigt haben.

In seiner Haltung lag etwas soldatisch Strammes und in jeder seiner Bewegungen sprach sich eine Rundung, eine Gewandtheit aus, die man nur bei Leuten zu suchen gewohnt ist, welche den sogenannten bessern Ständen angehören. Der Kopf war nicht eigentlich schön zu nennen; aber die hohe, breite, gedankenreiche Stirn, die von kühngeschwungenen Brauen begrenzten geistvollen Augen von jener Unbestimmtheit der Färbung, welche meist auf eine ungewöhnliche intellektuelle Begabung schließen läßt, die fein und leicht gebogene Nase, der etwas sarkastische Zug um den vollzähnigen und

von einem sorgfältig gepflegten Bärtchen beschatteten Mund, die Energie und Schärfe des ganzen Mienenspieles mußten einen Eindruck bewirken, den der Menschenkenner mit dem Prädikate „bedeutend“ bezeichnet hätte.

Nach Beendigung der Toilette warf er den Tornister auf den Rücken, wies der Mütze ihre kecke Stellung auf dem gegen die damalige Mode kurzgeschnittenen Haare an, überflog sich mit einem letzten befriedigten Blicke und wandte sich zum Gehen. „So; das paßt ja Alles ganz prächtig. Etwas Lüderlichkeit gehört mit zum rußigen Handwerke. Die Stiefel sind offenherzig; die Hose hat einen Riß; das Hemde dämmert zwischen Weiß und Schwarz, und der Ellbogen guckt in die Welt. Aber in der Hauptsache ist der Kerl ganz, und ich habe als halbwüchsiger Junge oft genug zum Vergnügen auf das Ambos unseres Schloßschmiedes gepocht, um mir genug Fertigkeit zutrauen zu dürfen, auch jetzt, wo es mir mit der Hämmerei wenigstens auf eine Welle Ernst sein muß. Denn der Gesuchte hält sich jedenfalls in und um Ernstthal auf, und ein einfacher Schmiedegeselle wird bei ihm keinen Verdacht erregen, zumal er mich nicht persönlich kennt. Und haben muß ich ihn um jeden Preis. Vorwärts also!“

Noch nicht lang war er am Bache aufwärts gegangen, als er seitwärts eine halblaute Stimme sprechen hörte. In der Absicht, sich nach dem Wege zu erkundigen, nahm er die angegebene Richtung und trat um eine von Haselbüschen gebildete Ecke. Kaum aber hatte er die Biegung hinter sich, so blieb er überrascht stehen.

Vor ihm öffnete sich eine kleine, von duftigem Ruchgras und Waldblumen bedeckte Lichtung. In der Mitte derselben stand ein Körbchen, gefüllt mit Erdbeeren, und daneben kniete eine weibliche Gestalt, welche, wie der erste Blick zeigte, in lautem, inbrünstigem Gebete lag.

Fast hätte ihn die Diskretion zurückgezogen; aber die Betende stand unter einer solchen Fülle von Anmuth und Schönheit, daß er wie eingewurzelt stehen blieb und den Körper weit vorbeugte, um sich keins ihrer Worte entgehen zu lassen.

Es war ein Mädchen. Langes, schwarzes, lockiges Haar hing entfesselt über den enthüllten Nacken herab und umrahmte eine reine, weiße Stirn von so idealer Rundung, wie man sie fast nur bei denjenigen Figuren unserer Gemäldegalerien zu sehen gewohnt ist, welche den Sieg der Idee über die Gewöhnlichkeit körperlicher Formverhältnisse dokumentiren. Das kleine, feingezeichnete Näschen mit seinen rosig angehauchten Flügeln gab dem klassischen und doch so weichen Profile die edelste Vollendung. Die Lieblichkeit des Mundes, bei dessen leisen Bewegungen sich zwei leicht aufgeworfene Lippen küßten und den Anblick der perlenkleinen, elfenbeinernen Zähne gestatteten, mußte jedem seiner Worte Bedeutung geben, zumal die Stimme in jener klangvollen Tiefe modulirte, welche man am öftesten bei einem an Gemüth und Empfindung reich ausgestatteten Wesen beobachtet. Das tadellos geformte Kinn schloß das schöne Oval eines Gesichtchens, dessen Züge so hold, so ergreifend waren, daß man sich bei ihrem Anblicke unwiderstehlich gefesselt fühlen mußte, und auf der zarten Wange lag jene Röthe der Erregung, welche stets die Wahrheit der Empfindung bestätigt und hier die seltene Weiße des Teints so vortheilhaft hervorhob.

Das Herrlichste aber waren die Augen, Augen von einer so reinen, klaren und dabei doch gesättigten Bläue, daß ihr Spiegel im schärfsten Kontraste zu dem dunklen Haare stand und durch diesen Gegensatz die Eindrucksfähigkeit des Gesichtes bis zum erreichbarsten Grade gesteigert wurde. Aber obgleich sich bei dem emporgerichteten Blicke die langen seidenen Wimpern erhoben hatten, lag doch auf diesen wunderbaren Sternen ein Schleier, der seinen Schatten auch über die Züge warf und denselben einen leidenden, ja fast möchte ich sagen tragischen Anflug gab; es war dem erblindenden Auge der Zutritt des freundlichen, warmen Sonnenlichtes versagt. Und das war’s, was sie hier in der Einsamkeit des Waldes auf die Kniee niedergezogen und ihre Lippen zum Gebete eröffnet hatte. Ihre gefalteten Hände lagen schwer auf der Brust, und diese Brust hob und senkte sich unter dem Drange der Gefühle, welche aus einem sichtlich von Angst bewegten Herzen ihren Weg empor zum Himmel nahmen.

Dem unberufenen Lauscher entging keins ihrer Worte. Er wagte kaum zu athmen, und erst als sie mit lautem Schluchzen geendet hatte und unter strömenden Thränen das ermattete Köpfchen sinken ließ, befreite sich seine Brust in einem tiefen, vollen Zuge von ihrer Beklemmung, und seine Hand fuhr trocknend über das in der Feuchtigkeit des Mitgefühles schwimmende Auge.

„Mein Gott, wer ist dieser Engel? Sind jene Märchen von Feen und übernatürlichen Wesen wahr, welche zuweilen einem Sterblichen erscheinen, um ihn durch ein für das Menschenherz unfaßbares Glück dem Erdenleben zu entfremden? Oder hat die Natur dies

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Meisterstück vollendet, um uns von der Armseligkeit unserer pinselhaften oder töpferischen Künstlerwerke zu überzeugen? Und wer so wie diese Heilige beten kann, der hat die Sünde noch nicht kennen gelernt und ist werth, an ein starkes, stolzes und treues Mannesherz gelegt und dort gehalten und getragen zu werden bis zum letzten Schlage des Pulses.“

Da raschelte es in den Zweigen, und hart neben ihm drangen, ohne ihn zu bemerken, zwei Männer vorsichtig durch das Gebüsch. Der Eine ging in der Kleidung eines gewöhnlichen Forstläufers; der Andere aber gehörte jedenfalls einer besseren Stellung an und schien die Aufmerksamkeit des Handwerksburschen in ganz besonderem Maße zu fesseln, denn derselbe war bei seinem Erscheinen in höchster -

höchster Ueberraschung einen Schritt zurückgetreten und fixierte ihn aus seinem Verstecke hervor mit scharfem durchbohrendem Auge.

Er trug eng anliegende, weißlederne Hosen, welche in hohen blankgewichsten Stiefeln staken; der blausammetne Rock mit rothtuchenen Schoß- und Aermelaufschlägen war mit thalergroßen Silberknöpfen verziert; auf der hochaufgethürmten Lockenperrücke balanzirte ein kleines, mit goldenen Borden besetztes Hütchen; an der linken Seite hing nach der Mode jener Zeit der schmale Stoßdegen,

und die Rechte umfaßte ein langes, starkes, mit Elfenbeinknopf gekröntes Meerrohr.

Es war eine hohe, breite, muskulöse und starkgliedrige Goliathgestalt, der man gleich beim ersten Blicke eine außergewöhnliche Körperstärke zusprechen mußte; doch war der Ausdruck der groben, zugehackten Gesichtszüge kein Vertrauen erweckender, zumal die kleinen, tiefliegenden Augen nur mit verstecktem Blicke unter den fleischigen, dickfaltigen Lidern hervorzudringen vermochten.

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Beim heiligen Hubertus, welcher der Beschützer aller Vieh- und Mädchenjäger ist,“ sprach er mit leiser Stimme, welche wie ein unterdrücktes Grunzen zwischen den breiten, aufgetriebenen Lippen hervordrang, „da ist sie endlich wieder einmal, die Rose von Ernstthal, wie sie hier von aller Welt genannt wird. Und der Kukuk soll mich holen, wenn dieser Name nicht ein passender ist, obgleich die Dornen zu fehlen scheinen; denn gestochen hat mich, so oft ich ihr auch nachgepürscht bin, das kleine Geschöpf doch nie, sondern ist mir stets und immer über die Netze gegangen. Heut aber steht sie mir schußgerecht, und ich werde diesmal so gewiß aufs Blatt treffen, wie man mich den „Blauweißen“ nennt.“

Mit rohem Lachen stieß er diese Worte hervor und schickte sich an, die letzte Hecke des Gebüsches zu durchbrechen. Da faßte ihn sein Begleiter bittend am Arme.

„Laßt das sein, Herr Junker; das ist nichts für Euch, kein Edelwild, sondern nur einer armen Wittwe einziges Kind und dazu fast blind. Das Mädchen geht in den Wald, um durch das Grün desselben ihre Augen zu stärken und Linderung ihrer Noth zu finden. Häuft nicht noch mehr Unglück auf die armen, braven Leute!“

„Papperlapapp! Als wenn es ein Unglück wäre, wenn ein Kavalier ein Mädchen, die nichts als ihr Lärvchen besitzt, mit seiner Zuneigung beehrt! Und nur um des Mitleides willen eine Jagd aufgeben, welche bei so wenig Gefahr so viel Vergnügen verspricht, das würde doch wahrhaftig die horribelste Eselei sein.“

„Ganz gefahrlos will ich das Vergnügen nicht nennen. Das arme Kind kommt zwar nie in Gesellschaft oder gar auf den Tanz, aber doch ist sie der Liebling der ganzen Ernstthaler Burschenschaft, und ich meinerseits möchte nicht wagen, ihr ein Leid zu tun.“

„Pah, was scheere ich mich um Eure Burschenschaft! Habe ihnen schon manches Täubchen weggefangen, ohne es zu bezahlen, und manchem fürwitzigen Burschen, ohne daß er gemuxt hätte, den Stock da angemessen. Daß mich die Sippe im Magen hat, weiß ich, aber ich will doch einmal den sehen, der es wagt, mir die Zähne zu zeigen, wenn ich einmal einer alten Holzdiebin den Korb zertrete oder einer jungen Herzensspitzbübin in die Backen kneipe. Man hat eben als Edelmann so seine Passionen, und gibt es dabei eine kleine Faustaffaire, so nimmt man sie zur Unterhaltung mit in den Kauf. Und heut, da es sich um die Schönste unter Euren Schönen handelt, würde ich keine Störung dulden und wenn der ganze Krethi und Plethi Eures Spulwurmnestes sich gegen mich auf die Beine machte! Wie heißt sie denn eigentlich und wo wohnt sie?“

„Weiß nicht“, war die kurze, abweisende Antwort.

„Du! Glaubst Du wirklich in diesem Tone mit mir fertig werden zu können? Sei gegen den Gast Deines Herrn etwas manierlicher und bemaßstabe meine Handlungsweise nicht mit plebejischen Ansichten. Du bist zu meinen Diensten kommandirt und hast Dich nach meinen Intentionen zu richten!“

„Es ist mir bei meiner Instruktion kein bestimmter Ton für den Umgang mit Euch vorgeblasen worden, und als Wegweiser bei Euern Wanderungen durch unser Revier habe ich keineswegs die Verpflichtung übernommen, Euern Lüsten als Helfershelfer zu dienen. Ueberhaupt scheinen mir unsere plebejischen Ansichten nobler und ehrenwerther zu sein, als Eure vornehmen Passionen. Adieu!“

„Kerl!“

Er hob drohend den Stock, aber der alte Holzbegeher war schon hinter den Gebüschen verschwunden, und fluchend und wetternd wandte er sich nun dem Mädchen zu. In der Rechten gravitätisch das Rohr, die Linke an den Berloquen der schweren weit herabhängenden Uhrkette, trat er mit selbstgefälliger, siegesgewisser Miene auf die Lichtung.

Was wälzt sich denn das Jungferchen hier im Grase herum, als hätte sie dies allerdings hübsche und verschwiegene Plätzchen von der hohen Forstverwaltung zu ihrem Privatgebrauche gepachtet?“

Sie war gleich bei den ersten Worten erschrocken aufgesprungen und suchte ihm ihre Hand zu entziehen, die er sofort ergriffen hatte.

„Ah, Beeren gesucht, mein Herzchen? Na, das ist zwar eigentlich nicht erlaubt; denn alles, was im Walde wächst, gehört den Landesfürsten, und gerade unter dem Vorwande des Beerensuchens wird der meiste Unfug und Frevel getrieben; aber einem so hübschen Kinde gegenüber weiß Unsereiner recht wohl galant und nachsichtig zu sein. Nur hoffe ich, daß Du das auch anerkennst.“

Er versuchte seiner Stimme einen zarten Klang zu geben; aber der Erfolg dieser Anstrengung war ein durchaus verunglückter. Zitternd und mit niedergeschlagenen Augen stand sie vor ihm; die Gluth der Scham bedeckte ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken und die bebenden Lippen vermochten vor Angst keinen Laut auszusprechen. Sie fühlte die Gier, mit welcher sein leidenschaftlicher Blick sie verschlang, und wußte sich doch zu schwach zum Widerstande gegen den starken, riesenkräftigen Mann.

„Also komm, mein Täubchen, und fürchte Dich nicht. Heute darfst Du mir nicht entfliehen, wie Du bisher immer getan hast!“

Er zog die Widerstrebende an sich und suchte ihren Mund zu finden. Sie sträubte sich mit allen Kräften gegen die Umarmung des Verhaßten und warf, vor Schreck noch immer wortlos, das verschleierte Auge hülfesuchend im Kreise umher.

Da ertönte ein scharfer, gellender Pfiff. Ueberrascht ließ der Zudringliche seine schöne Beute fahren und drehte sich um.

Dort am Haselstrauche stand, die Hände leicht auf den Griff des damals bei fahrenden Schülern und wandernden Handwerkern üblichen Ziegenheiners, der Handwerksbursche, und verfolgte mit sichtlicher Befriedigung die Bewegungen des Mädchens, welches das Körbchen ergriffen hatte und beflügelten Fußes davoneilte.

„Alle Wetter, welch ein freches, unverschämtes Subject. Diesen Menschen muß man Mores lehren!“

Mit zurückgeworfenem Kopfe, steifgespreizten Beinen und imponirender Amtsmiene schritt er auf den Genannten zu, stellte sich breitspurig vor ihm hin und maß die leichte, zierliche Gestalt desselben mit einem Blicke der unverholensten Verachtung.

„Wer ist man denn, he, daß man es wagt, einen Forstbeamten auf dessen eigenem Reviere anzupfeifen wie einen Windhund?“

Der stille, männliche Ernst auf dem Angesicht des Angeredeten machte einem Lächeln der Belustigung Platz; aber einer Antwort wurde der Frager nicht gewürdigt.

„Wie es scheint, kann der Patron besser pfeifen als sprechen; vielleicht löst ihm dieses Instrument da seine Zunge. Also, wer bist Du, wo kommst Du her und was hast Du hier zu suchen?“

Ein leichtes, verächtliches Zucken des Schnurrbärtchens war die einzige Antwort. Da hob der „Blauweiße“ das Rohr höher.

„Na, wie wird’s? Man wird wohl einen armseligen Klopffechter nach dem Woher und Wohin fragen dürfen, wenn er sich da herumtreibt, wo es weder Weg noch Steg giebt! Also Antwort, ich spaße nicht!“

Wieder erfolgte keine Antwort, aber ein kleines, ungeduldiges Fältchen am Augenwinkel ließ vermuthen, daß nicht Theilnahmslosigkeit die Ursache dieses Schweigens sei.

„Also nicht? Da paß auf; ich zähle bis drei, und das Uebrige wird sich finden. Wer bist du? Eins! — zwei! —“

Jetzt endlich richtete der Bedrohte den Blick voll und fest auf den Jägersmann, und während dieser Blick den Gegner langsam vom Hütchen bis herunter zur Stiefelspitze übermaß, war er immer schärfer und stechender. Das Auge öffnete sich weiter und weiter, durchlief, immer dunkler werdend, alle Farbentöne vom hellsten Grau bis zum tiefsten Braun, und haftete zuletzt so flammend und durchbohrend auf dem zornesrothen Angesichte des Blauröckigen, daß dieser der Gewalt des siegesgewissen Blickes nicht zu widerstehen vermochte und Arm und Stock sinken ließ, ohne die „drei“ ausgesprochen zu haben.

„Ah . . . . !“ — —(Fortsetzung folgt.)

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Die Rose von Ernstthal.

Eine ErzählungvonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Es war der erste Laut, den der fremde Wandersmann hören ließ, und während dieses Wort von der tiefsten Baßlage aus alle Töne bis hinauf zur höchsten Stimmung durchlief und dann in raschem, energischen Tonfalle zurückvibrirte, lag in ihm eine ganze Welt von Verachtung, Spott und Geringschätzung. Seine Gestalt schien zu wachsen; die Schultern traten in die Breite; die Brust ging frei und hoch; der Kopf, dessen Ausdruck in diesem Augenblicke des Affektes das verkörperte Ideal männlichen Stolzes und Selbstbewußtseins repräsentierte, warf sich leicht in den Nacken, die Linke streckte sich gebieterisch fortweisend aus; die Rechte zog in geschicktem Wirbel den Knotenstock um das Haupt, und den Gegenüber mit dessen eigener Taktik schlagend, erklang es kurz und bestimmt:

„Kehrt! — — Marsch! — — Eins! — — Zwei! —“

Auge in Auge standen sich die Männer einige Augenblicke lang gegenüber, und es schien fast unentschieden bleiben zu wollen, welcher von beiden den ersten Schritt nach rückwärts thun werde. Wie aber stets und immer der Geist den Körper dominirt und kein physisch noch so verschwenderisch ausgestatteter Bramarbas dem echten Muthe auf die Dauer zu widerstehen vermag, so siegte auch hier die geistige Ueberlegenheit des Einen über die körperliche Kräftigung des Andern.

Von der niegeahnten Macht eines leuchtenden Menschenauges und der jeden Widerspruch ausschließenden Haltung des Handwerksburschen vollständig verwirrt und verblüfft, trat der Junker erst langsam und zögernd zurück, machte dann bei der ominösen „Zwei“ rechtsumkehrt und verschwand unter grimmigen Drohungen erst zaudernden und dann rascheren Schrittes zwischen den Sträuchern.

Bis dahin war ihm der drohende Blick des Siegers gefolgt, und als sich die Zweige hinter den blanken Stiefeln, dem blauen Sammetrock und der wallenden Perrücke schlossen, ertönte ein kurzes, helles Lachen zwischen den Lippen, die vorhin so beharrlich geschwiegen und dann mit vier Silben den Enakssohn in die Flucht geschlagen hatten.

„Das war er, einst Offizier und jetzt Lump im Kavalierskleide; ich werde ihn fassen und sein König wird ihn richten!“

Dann schritt er der Stelle zu, auf welcher die Betende gekniet hatte, bückte sich nieder und löste ein kleines, weißblühendes Blümchen vom Rasen ab. Lange und sinnend betrachtete er die zarte unscheinbare Pflanze; weich und weicher wurden die Züge, welche vorher so ernst und streng gewesen waren, mild und milder blickte das Auge, und warm und innig klang die eben erst so gebieterische Stimme.

„Augentrost!2) Sollte das ein Zeichen des Himmels sein für mich und für sie, die des Trostes für ihr schönes krankes Auge so sehr bedarf? Ist es möglich, daß ich hier im wilden Tann das

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finde, was ich als Erfüllung meines besten und höchsten Erdenwunsches im Lichte der Kandelaber vergebens suchte, ein Herz, an welches ich mein ermüdetes Haupt vertrauensvoll betten darf am Abende eines jeden Tages und am Abende auch des Lebens? Ich fühle, daß diese Stunde über mich entschieden hat und werde ihrem

Rufe folgen so bald und so viel es mir die Schwierigkeit meiner Aufgabe gestattet. Aber wer ist sie?“

„Wenn Ihr das Mädchen meint, welches hier gesessen hat, so kann ich es Euch schon sagen, weil ich sehe, daß Ihr ein tüchtiger

Kerl seid, dem man Auskunft geben kann,“ ertönte da eine zwar rauhe, aber nicht unangenehme Stimme neben ihm.

Es war der Waldhüter, welcher nicht fortgegangen war, sondern von Weitem den Verlauf des erzählten Vorganges beobachtet hatte.

„Wer seid Ihr?“ fragte der junge Mann kurz.

„Ich heiße der Jägerfranz und bin Forstwart hier.“

„Wer ist der Mann, welcher vorhin mit Euch war?“

„Das kann ich nicht sagen. Wir nennen ihn den Junker oder auch den „Blauweißen“, seiner Kleidage wegen nämlich. Er ist vom Hofe den umliegenden Förstern empfohlen und geberdet sich, als sei er in unsern Waldungen auf seinem eigenen Gebiete. Er

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ist bald hier, bald dort, am meisten aber in Ernstthal, wo er nach hübschen Dirnen äugt. Am liebsten spielt er den Forstherrn, maltraitirt die untern Beamten und tritt den armen Frauen, welche Leseholz suchen, die Körbe entzwei. Deshalb mag ihn auch Niemand leiden, zumal er in dem Verdachte steht, für die Seelenverkäufer zu arbeiten, welche die jungen Leute wegfangen und gegen die Preußen schicken.“

„Und ihr laßt Euch geduldig von ihm turbiren?“3)

„Was will man machen gegen einen Menschen, der unter hohem Schutze steht und dessen Körperstärke es ihm gestattet, ein Dutzend Leute gewöhnlichen Schlages in den Salat zu treten? Er drückt sich, trotzdem er ein Edelmann zu sein scheint, in allen Ecken und Winkeln herum, und wo ein Pärchen steht oder eine Fiedel gestrichen wird, da ist er zu sehen und fährt mit dem Stocke dazwischen, wenn’s nicht nach seinem Willen geht.“

„Gut, und wer ist das Mädchen von vorhin?“

„Sie ist die Tochter einer Nätherin und wohnt in Ernstthal beim Schmiedemeister Weißpflog auf der Obergasse.“

„Das genügt; hier habt Ihr eine kleine Gratifikation für Eure Mittheilung. Nicht wahr, Ernstthal liegt hinter jener Anhöhe?“

„Ja, Ihr geht noch ein paar Schritte gradaus durch den Busch und dann führt die Straße rechts fort in die Stadt.“

„Adieu!“

„Adieu; dank schön für das Geschenk!“

Der Forstgehülfe blieb stehen und betrachtete erstaunt das Geldstück, welches er erhalten hatte.

„Blitz noch einmal, das ist ja Gold, schönes, blankes, gelbes Gold, wie ich es mein Lebtage noch nicht im Beutel gehabt habe! Wer ist denn eigentlich dieser Mann, der trotz seiner zerrissenen Stiefeln vor mir gestanden hat wie ein Graf, dem man nur antworten muß, wenn er fragt? Das muß ich in Obacht nehmen, denn heut zu Tage, wo sie sich da draußen an allen Ecken und Enden auf Tod und Leben herumschlagen, passiren Dinge, die in ruhigen Zeiten nicht gang und gäbe sind. Aber er mag sein wer er will, ein Hauptkerl ist er, und gefallen hat er mir, wahrhaftig sehr gefallen, wie der den Blauweißen, an den sich unserer Zehn nicht getrauen, so köstlich abgeblitzt hat!“

II.

Es war für Sachsen eine böse Zeit. Minister von Brühl,4) der Lenker der damaligen sächsischen Politik, hatte Kurfürst August III.5) vermocht, trotz des Breslauer Friedens6) mit seiner früheren Feindin Maria Theresia7) ein Bündnis gegen den Preußenkönig Friedrich II.8) einzugehen, in welchem er versprach, die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis der König Schlesien herausgegeben habe und auf seine „märkische Streusandbüchse“ beschränkt sei. Aber wie schon früher, so hatte man auch jetzt sich in dem jungen, thatenlustigen Herrscher geirrt, welcher bei der Nachricht von dieser Allianz mit seinem schlagfertigen Heere sofort in Oesterreich eingefallen war und die Verbündeten zu Paaren trieb.9) Die Siege bei Hohenfriedberg und Sorr10) lichteten besonders die Reihen der Sachsen auf die jämmerlichste Weise, denn die Preußen waren erbittert über die Untreue ihrer früheren Verbündeten und warfen schonungslos nieder, was ihnen in den Weg trat.

Die so entstandenen Lücken mußten natürlich ausgefüllt werden und so bildeten sich nach der Weise jener Zeit im Lande zerstreute Werbestationen, welche nicht blos den freiwilligen Eintritt in die Armee vermittelten, sondern häufig auch Zwang übten, so daß die jungen, tauglichen Leute von den Tanzsälen, ja sogar bei Nacht und Nebel aus den Betten weggeholt wurden. Gewalt ließ sich gegen Soldaten, welche den kurfürstlichen Rock trugen, nicht anwenden, und so gab es vor ihnen keine andere Rettung als die Flucht. Aber auch diese war schwer, denn diese Menschenjagden wurden stets unvermuthet und meist in der Stille der Nacht ausgeführt, und ein weit ausgebreitetes Spionirsystem zog seine Netze über das ganze Land, so daß der Bedrohte sicher durch die andere Masche in das Garn zurückschlüpfte, wenn er vorher durch die eine aus demselben entkommen war.

Heute hatten die „Seelenverkäufer“, wie die Werber im Volksmunde hießen, einigen Schwadronen sächsischer Reiterei, welche in Hohenstein und Ernstthal lagen, neue Mannschaften zugeführt, und die Offiziere saßen nach geschehener Besichtigung derselben im Gasthofe. Auch der „Blauweiße“ war bei ihnen, doch schien in diesem Kreise die Aufmerksamkeit für seine Person eine zweifelhafte zu sein, und wenn er in den Lauf des Gespräches mitredend eingriff, so überflogen ihn die Augen der Andern mit zweideutigem Blicke. Eben hatte er wieder eine seiner Tiraden beendet und warf seine schwere

Gestalt mit einem Gesichte in den krachenden Stuhl zurück, in welchem sich deutlich die Erwartung einer bewundernden Anerkennung aussprach.

„Ja, das ist wahr,“ nahm nach einer längeren Pause der Major das Wort. „Ich kann nicht begreifen, in welcher Weise es Euch gelingen mag, die ruhmbegierigen Muttersöhnchen uns immer in so bedeutender Anzahl zuzuführen. Es setzt das jedenfalls eine höchst intime Bekanntschaft mit den Verhältnissen des Pöbels voraus, bei dem allerdings eine kräftige Faust und ein kerniger Soldatenfluch Wunder zu bewirken vermag. Von diesem Gesichtspunkte aus thut allerdings das sächsische Kabinet klug, Eure so oft vom Könige verlangte Auslieferung zu verweigern, und selbst wenn Eure jetzige Thätigkeit eine weniger erfolgreiche wäre, so schickte man doch nicht gern einen Mann über die Grenze, der sich durch den Verkauf unfreiwillig mitgegangener Pläne und Dokumente so unendlich verdient gemacht hat. Man ist in Sachsen eben einsichtsvoll und dankbar genug, zu bedenken, daß ein jeder Mensch, sogar ein ehemaliger preußischer Infanteriehauptmann nicht ausgenommen, am Halse seine kitzlichste Stelle hat.“

„Herr Major!“

„Schon gut, wir kennen uns und sind Beide gewiß recht brauchbare Leute, nur jeder in seiner Art, und es thut mir wirklich leid, daß unsere Ansicht über den endlichen Verlauf der jetzigen Ereignisse eine so sehr verschiedene ist. Ihr scheint anzunehmen, daß der königliche Flötenspieler mit seinen kriegerischen und diplomatischen Evolutionen bald beim Finale stehen werde und mögt das in Euren Verhältnissen auch recht wünschenswerth finden. Doch wird diese Ansicht nicht von mir allein als unbegründet zurückgewiesen. Wie ist’s, Krieben?“

„Sehr wahr“, antwortete der angesprochene Rittmeister. „Die Politik Sachsens hat wieder einmal einen unverzeihlichen faux pas begangen. Sachsen ist, seine physikalischen Verhältnisse zu den Nachbarstaaten auch einmal nicht in Mitrechnung gebracht, durch unzählige Beziehungen der verschiedensten Art in Abhängigkeit zu Preußen gestellt, während die Inklination zwischen dem Kaiserstaate und uns mir keine tiefer gehende zu sein scheint. So lange der sächsische Januskopf sein Friedensgesicht nach Süden wendet und dem nördlichen Nachbar feindselige Grimassen schneidet, wird es sowohl an militärischen als auch civilen Ohrfeigen nicht mangeln, und die kriegerischen Bravours der märkischen Expansivkraft müssen schließlich allemal mit kurfürstlichem Avers und Revers bezahlt werden.“

Halte l’a,“ entgegnete eifrig der Junker, „mir scheint das Verhalten Friedrichs nichts Anderes und nichts Besseres als eine ebenso offenbare wie strafwürdige Empörung gegen die Majestät des deutschen Reichsoberhauptes zu sein, und ich hoffe nicht, daß Du als mein Verwandter mit Deinen Worten einen Tadel aussprechen willst gegen das, was ich tat, weil es mir sowohl die Rücksicht auf mein persönliches Wohl, als auch meine Anschauung der Dinge überhaupt gebot.“

„Gewiß nicht. Ich sprach über allgemeine Verhältnisse, ohne individuelle Ansichten behofmeistern zu wollen, und Deiner Berufung auf unsere familiäre Zusammengehörigkeit werde ich Rechnung zu tragen wissen. Aber Du giebst doch zu, daß wir arg in die Klemme gerathen sind; mit welcher Emphase sprach man nicht von der Unübertrefflichkeit der ungarischen Reiterei, und wie ist diese Truppe nicht von den strammen Kavalleristen Friedrichs zusammengeritten und in die Pfanne gehauen worden überall, wo sie sich nur zeigte! Mir wird der Kopf noch jahrelang brummen von den Hieben jenes verdammten Husarenrittmeisters, welchen wir fast zwei Stunden jagten, um am Ende doch nur das Pferd zu bekommen, während der Kerl selbst mit seinen Depeschen entwischte.“

„Das Pferd im Stiche zu lassen ist doch wahrhaftig keine Ehre für einen Offizier, der noch dazu Husarenrittmeister ist“, tönte die Stimme eines jungen Kornets.

„Um das zu verstehen, fehlt es Ihm noch an Erfahrung. Der Betreffende ist nicht in offener Feldschlacht vom Gaule weggelaufen, sondern vom Könige mit geheimen Schriften an den Markgrafen von Schwedt geschickt worden. Es war das kurze Zeit vor dem famosen Ritte des Ziethenschen Regimentes durch unsre ganze Aufstellung, auch ein preußisches Reiterstück, welches uns schamroth machen sollte.11) Wir hatten Kunde von der Sache bekommen und lauerten das Männlein ab, aber prosit die Mahlzeit! Den Säbel zwischen den Zähnen und die Pistolen in den Fäusten stürmte er in den dichtesten Haufen hinein, ritt, schoß und hieb nieder, was im Wege stand, und war uns um einige hundert Pferdelängen voraus, ehe wir nur daran dachten ihm nachzupaddeln. Nun aber gabs ein Rennen, wie ich es mir nicht als möglich gedacht habe. In völliger Karrière lud er wieder, aber nicht etwa für uns, denn um uns bekümmerte sich der Hallunke unhöflicher Weise gar nicht

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mehr, sondern für die dummen Burschen, denen es einfiel, ihm Barrière zu stellen. So ging’s durch ein halbes Dutzend Ortschaften, welche albernerweise dort alle so frei und offen daliegen, daß man hinten nur hineinzugucken braucht, um im nächsten Augenblicke vorn wieder draußen zu sein; über Felder und Wiesen, durch Dick und Dünn; kein Bagagewagen, kein Pulverkarren hielt ihn auf, drüber weg gings. Der Kerl war wahrhaftig seine tausend Dukaten werth, und der Rappe, den er ritt, das Dreifache. Da endlich schlängelt sich eine Marschkolonne quer über die Richtung und er muß deshalb in scharfem Winkel abbiegen, wir aber schneiden eine Diagonale und kommen ihm auf diese Weise an die Fersen. Zum Malheur geräth er auf sumpfiges Terrain und das Pferd bleibt, den Schlamm bis an den Sattel, stecken. Schon jubelten wir und glaubten ihn fest zu haben, der Filou aber muß von seiner moorreichen Heimath her mit dergleichen elastischem Parket vertraut sein. Er schnellte sich vom Pferde und gewann mit einigen Sprüngen, wie ich sie einem Menschenkinde gar nicht zugetraut habe, festen Boden. Ich ritt an der Spitze der Verfolgenden und drang, den Säbel in der Faust, in das Gebüsch ein, welches ihn aufgenommen hatte. Da plötzlich packt mich Jemand bei der Gurgel und zu gleicher Zeit höre ich eine Stimme dicht an meinem Ohre.

Ma foi,12) Herr Kamerad, Ihr müßt mir Euern Fuchs auf einige Zeit überlassen; vier Beine leisten das Doppelte von zweien, und mein Rappe steckt in der Buttermilch!“

„Der Mensch ist nämlich kluger Weise gar nicht in das Gebüsch eingedrungen, sondern hat sich gleich hinter die vorderste Hecke gesteckt und dann mit dem bekannten Artilleristensprunge hinter mir Platz genommen. Eben will ich mich wenden, um dem kühnen Gaste eine bleierne Antwort zu bieten, da stürzt mein Pferd über eine hervorstehende Wurzel und wir beiden Reiter schlagen Arm in Arm einen Purzelbaum zur Erde nieder. Im Nu bin ich auf; aber eben so schnell steht auch er vor mir. Degen und Pistolen sind uns entflogen, und wir gerathen deshalb mit den Fäusten an einander. Von weiteren Details kann ich nicht sprechen, ich weiß nur noch, daß ich an der Erde lag und mit der einen Hand mich aufzurichten suchte, während ich ihn mit der andern bei dem langen prächtigen Vollbarte gepackt hielt. Freilich gelang es mir nicht emporzukommen, denn der Mann drückte mich mit wahrer Elephantenstärke nieder und raubte mir durch einige Faustschläge, die wie Axthiebe auf meine arme Hirnschale niederschmetterten, die Besinnung.“

„Und das erzählst Du?“

„Warum nicht? Von einem solchen Gegner besiegt zu sein, ist keine Schande, und wenn ich ihm heut auf neutralem Boden begegnete, so würde ich ihm mit dankbarer Anerkennung die Hand drücken. Bei seiner riesigen Stärke würde es ihm jedenfalls ein Leichtes gewesen sein, mich ins Jenseits zu spediren, und ich habe seine letzten Worte wohl behalten:

„„Adieu, Herr Kamerad! Ich wünsche nicht Euern Tod, Ihr sollt nur ein wenig schlafen, mehr nicht. Meinen Hengst lasse ich für Euch zurück; haltet ihn gut, ich werde ihn seiner Zeit gegen Euern Goldfuchs wieder umtauschen!“

„Und dann?“

„Was dann! Als ich wieder zu mir kam, standen die Andern bei mir und der Flüchtling war fort. Sogar seine und meine Waffen hatte er erst noch Zeit gehabt zusammenzulesen, und der Fuchs ist mir bis heute untreu geblieben. Hols der Teufel!“

„Was für eine Figur hatte der Mann?“

„Er schien gar nicht etwa ein Riesenkind zu sein. Einzelheiten habe ich mir freilich bei der rapiden Geschwindigkeit, mit welcher das Alles von Statten ging, nicht merken können, und ich weiß deshalb nur, daß er kürzer war als ich und einen Vollbart trug. Wiedererkennen werde ich ihn wohl schwerlich; aber dem Wappen nach, welches ich an der Schabrake des zurückgelassenen Pferdes bemerkte, muß es einer aus der Familie von Göbern sein.“

„Ach, richtig; dem traue ichs zu!“ rief da der Blauweiße. „Der Rittmeister von Göbern ist der Pathe und Liebling des alten Dessauers,13) hat bei ihm die Epauletten erhalten, ging dann zum Markgrafen von Schwedt und steht jetzt bei Ziethen. Er ist der beste Reiter und Fechter der Armee, ein feiner Strategiker und besitzt, nebenbei bemerkt, ein wahrhaft fürstliches Vermögen. Persönlich kenne ich ihn nicht, aber erzählen hörte ich viel von ihm. Es gab eine Zeit, in welcher er der Gefeierte der Damenwelt Berlins und Potsdams war, bis man entdeckte, daß er zum Verlieben zu ernst und zum Verheirathen zu vorsichtig sei. Seiner geistigen Gewandtheit und körperlichen Stärke und Unverwüstlichkeit wegen ist er öfters zu den schwierigsten und anstrengendsten Missionen verwendet worden, und es sollte mich wundern, wenn man in Beziehung auf meine Person, da alle Versuche gescheitert sind, — doch das gehört nicht hierher. Uebrigens ist sein Marstall stets reich

besetzt und läßt nichts zu wünschen übrig. Hast Du das Pferd bekommen?“

„Freilich, und ich könnte mit dem Tausche sehr wohl zufrieden sein, wenn der Hengst nicht einen unverzeihlichen Fehler hätte.“

„Welchen?“

„Er läßt Niemanden im Sattel.“

„Das wäre!“

„Gewiß! Du weißt, daß ich kein ganz ungeschickter Reiter bin, und nach mir haben ihn zehn Andere bestiegen, die vielleicht noch fester sitzen als ich: aber abgesetzt sind wir worden. Eine Schande ist’s, das gestehen zu müssen, aber was will man machen? Kein Mittel habe ich unversucht gelassen, aber immer ohne Erfolg; er gehorcht weder im Guten noch im Bösen, und wirft mir die zähesten Bereiter vor die Füße. Ich schlüge ihn deshalb gern los, wenn ich ihn in gute Hände bringen könnte.“

„Hast Du ihn mit?“

„Ja, er steht mit dem Braunen beim Schmied. Ich bin überhaupt jetzt verteufelt schlecht beritten. Den Hengst darf ich nicht besteigen und lasse ihn mir also nur als theures Andenken an jene vehementen Kopfnüsse nachführen, und der Braune geht lahm, weil er sich nicht beschlagen läßt. Man hat ihm einmal einen Nagel ins Leben getrieben, und seit jener Zeit steht er keinem Schmied mehr. Mein Fahnenschmied war der Einzige, dem er sich anvertraute, und der ist leider im Spital gestorben. Da habe ich denn sämmtliche Schmiede, bei denen mich unsere Marschroute vorbeiführte, aufgetrommelt, aber ein Eisen hat mir Keiner auflegen können. Nun hinkt das Thier auf allen Vieren und ich muß die ganze Zeit über auf geborgten Pferden hängen.“

„Zu wem hast Du geschickt?“

„Weißpflog heißt der Mann und soll der beste Beschläger weit und breit sein.“

„Das ist er auch; zwar war ich noch nicht bei ihm, aber wenn irgend Einer, so vermag er es.“

„Ich glaube kaum, daß ein alter spießbürgerlicher Hufschnitzer mit dem Braunen fertig wird, und bin deshalb gar nicht mitgegangen. Auf Deine Ueberzeugung hin aber wollen wir uns den Mann einmal näher ansehen. Gehen die Herren mit?“

Sämmtliche Offiziere erhoben sich und folgten der Aufforderung des Rittmeisters. Doch war bei dem Gang durch die Gassen des Städtchens ihre reservirte Haltung gegenüber dem Junker noch hervortretender als innerhalb der vier Wände des Schenkzimmers. Erst an der Spitze der kleinen Gesellschaft kam er bei jedem Schritte weiter zurück und schritt endlich allein und unbeachtet hinter den Andern her.

Da plötzlich tönte ihnen lautes Schreien und Hülferufen entgegen; im Laufschritt bogen sie um die Ecke, konnten aber vor der Menge der zusammengelaufenen Soldaten und Bürgersleute die Ursache des Tumultes nicht eher erkennen, als bis sie sich durchgedrängt hatten. Da lag denn der Reitknecht jämmerlich zerschlagen und zertreten am Boden; der Schmied, welchen das Pferd an die Mauer geschleudert hatte, lehnte leise wimmernd am Thürpfosten, und eine ganze Schaar Kavalleristen hing am Braunen, der schäumend mit ihnen auf und nieder ging.

Die andern Alle hatten sich vorsichtig zurückgezogen und bildeten einen dichten Kreis um die Scene, außerhalb dessen Einer stand, der den Vorgang mit noch lebhafterer Spannung verfolgte, als die Näherstehenden. Es war der Handwerksbursche, welchen wir im vorigen Kapitel kennen gelernt haben. Das wüthende Thier und die Bemühungen seiner Bändiger schien er vollständig zu ignorieren; sein Auge haftete nur auf dem Rapphengste, welcher, von einem Soldaten gehalten, ruhig und theilnahmslos bei Seite stand, und flog zuweilen empor zu den oberen Fenstern der Schmiede, wo zwei Frauenköpfe ängstlich durch die Scheiben lugten.

Den Bemühungen der Offiziere gelang es endlich, das Thier zu beruhigen; der Reitknecht wurde aufgehoben und fortgetragen, und der Rittmeister wandte sich zum Schmied.

„Nun, Meister, wie steht’s? Habt auch Ihr Schaden genommen?“

„Ich glaube nicht, eine Quetschung; es sah schlimmer aus, als es ist. Aber einen solchen Teufel von Pferd hab’ ich auch noch nicht unter den Händen gehabt, und der Bursche hat mich nicht vorher aufmerksam gemacht.“

„Na, laßt’s gut sein und ärgert Euch nicht, es ist Andern auch schon so gegangen. Hier habt Ihr ein Trink- und Schmerzensgeld.“

Weißpflog griff nach der unerwarteten Gabe, zog aber auf halbem Wege die Hand wieder zurück, weil er sich von der andern Seite her angeredet hörte. Er drehte sich um und vor ihm stand, die Mütze ehrerbietig in der Hand, der Handwerksbursche.

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„Gott zum Gruß und Glück und Segen ins Geschäft, Herr Meister!“

„Danke! Was ist Dein Begehr?“

„Ich bin ein wandernder Gesell der löblichen Zeug-, Huf- und Waffenschmiede und komme, das Handwerk zu begrüßen. Ich bin weit und viel gereist, um etwas zu lernen und einst ein tüchtiger Meister zu werden, und da ich gestern erfahren habe, daß Ihr der erste und geschickteste Beschläger in der weiten Umgegend seid, so bin ich gekommen, mich in dieser Fertigkeit zu üben und von Euch Unterweisung zu erbitten.“

Trotz des wohlgefälligen Lächelns, welches diese wohlgesetzte Anrede auf die geschwärzten Züge des Schmiedes gelockt hatte, warf dieser doch einen mißtrauischen Blick auf die defekte Kleidung des Gesellen.

„Würdest nicht viel lernen können bei mir; hast ja wohl selbst gesehen, wie mich der Braune da maltraitirt hat. Und Deinem Habitus und Deiner Schneiderfigur nach scheinst Du mir eher ein Luftspringer als ein rechtschaffener Hufschmied zu sein.“

„Möglich!“

Das Wort wurde zwar in ehrerbietigem Tone gesprochen, aber von einer Handbewegung begleitet, in welcher sich das abweisendste Selbstgefühl aussprach. Der Sprecher wandte dem Meister den Rücken und drehte sich zu den Offizieren.

„Will der Herr Rittmeister mir den Braunen anvertrauen?“

„Bursche, wo denkst Du hin! Der macht dich todt!“

„Möglich.“

Jetzt klang das Wort halb spottend, halb wegwerfend, und in demselben Augenblicke lagen auch Felleisen, Rock, Weste und Mütze am Boden; die Hemdärmel wurden nach innen aufgestreift und ein Schurzfell hervorgezogen.

„Der Herr Meister hat wohl Feuer auf dem Heerde?“

„Es wird wohl noch brennen.“

„Gut. Ich will erst ein Wort mit dem Pferde sprechen, dann gehen wir ans Werk.“

„Halt!“ rief der Rittmeister. „Lege das Schurzleder ab. Wenn es Dich als Schmied erkennt, darfst Du gar nicht hinan!“

„Pah, am Ende gar den Bratenrock anziehen und Perrücke und seidene Handschuhe dazu! Der Braune ist auf die Dauer nur dadurch zu bemeistern, daß man ihm Respekt vor dem Schurzfell einflößt und ihn an den Anblick desselben gewöhnt, sonst wird er heut beschlagen und morgen ist der Rappel wieder da. Platz gemacht, ihr Leute; bindet ihm die Zügel lang an den Sattelknopf und laßt ihn dann frei!“

Es geschah, und erwartungsvoll zogen sich Alle zurück. Im ersten Augenblick schien das Pferd nicht zu wissen, was es mit der überlassenen Freiheit beginnen solle; als der Geselle sich ihm aber näherte, stieg es wiehernd kerzengrad in die Höhe und warf sich herum, das Weite zu suchen. Doch da stand der junge Mann vor ihm, schlug ihm die Linke in die Mähne, den Zeige- und Mittelfinger der Rechten in die dampfenden Nüstern und warf es mit einem Rucke, der einem Simson Ehre gemacht hätte, auf die Hinterbeine nieder. Allerdings war es im nächsten Augenblicke wieder auf, aber ebenso schnell lag es auch wieder am Boden; kein Schäumen und Knirrschen, kein Schlagen und Beißen, kein Wiehern und Stöhnen half gegen den unerbittlichen und gedankenschnellen Fremden, auf dessen Angesichte sich nicht die geringste Spur von Anstrengung und Aufregung zeigte, während das keuchende Pferd im Schweiße badete und die Schaumflocken weit umher warf. Es ermattete mehr und mehr und konnte nicht verhindern, daß der Geselle Platz im Sattel nahm. Da stand es eine Weile bewegungslos, wie um sich zu besinnen, dann aber gings mit allen Vieren in die Luft und versuchte, durch eine Reihe von Seitensprüngen den kühnen Reiter abzuwerfen. Dieser aber saß mit lächelndem Munde und leuchtendem Auge oben und schien desto größeres Gaudium zu empfinden, je toller es die Bestie unter ihm trieb. Da endlich rief er laut.

„Aufgepaßt, Ihr Herren, jetzt könnt Ihr was lernen!“

Mit kräftigem Stoße grub er den Daumen der geballten Hand zwischen Hals- und Rückenwirbel des Pferdes ein; dieses stieß einen Schmerzensschrei aus, der mit dem Klange des Wieherns nicht die entfernteste Aehnlichkeit hatte und versuchte wieder in die Höhe zu steigen. Aber wie eingemauert stak sein Leib zwischen den Schenkeln des Reiters, deren gewaltiger Druck ihm trotz der Anstrengung aller Muskeln und Fibern den Athem und die Bewegung raubte. Es war ein Anblick zum Angstwerden. Hier kämpfte Körperkraft gegen Körperkraft, und die geistige Ueberlegenheit des Menschen war für den Augenblick suspensirt. Die Adern an der Stirn und den Armen des Gesellen traten blau und angeschwollen unter der weißen Haut hervor, auf seinem Gesichte lag die Anstrengung blutroth, und groß und schwer fielen die Schweißtropfen

ihm über die Wangen herab. Bewegungslos waren die Züge, starr hing das Auge an dem Kopf des Pferdes, und dem Zerreißen nahe spannten sich die Riemen des Zügels. Der Odem des Thieres stieg pfeifend aus den Nüstern, die Beißkette knirschte unter den vor Angst zusammengepreßten Zähnen; die Hufe hoben sich unter den krampfhaft zuckenden Beinen und suchten doch sofort wieder den festen Boden. So hielten Roß und Reiter eine ganze kleine Ewigkeit an derselben Stelle, bis endlich, endlich das Thier lautlos zusammenbrach.

„Kerl!“ rief der herbeieilende Rittmeister, „wo hast Du das gelernt und woher nimmst Du diese heidenmäßige Muskelkraft? Du bist ja ein wahrer Satan!“

„Möglich!“(Fortsetzung folgt.)

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Die Rose von Ernstthal.

Eine ErzählungvonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Sich den Schweiß abtrocknend und dem Meister winkend verschwand er in der Werkstatt, aus welcher bald kräftige Hammerschläge ertönten. Als er wieder aus der Thüre trat, hatte sich das Pferd wieder emporgerichtet, ließ ihn, bei seinem Anblicke zitternd, ruhig und willenlos gewähren und war in kurzer Zeit beschlagen.

„Hier ist Dein Lohn, Gesell, und das Vierfache bekommst Du als Handgeld, wenn Du die Stelle eines Fahnenschmiedes bei mir annimmst.“

„Danke, meine Frau Mutter hat mir verboten, Soldat zu werden. Das Geld aber gehört mir nicht, sondern dem Meister.“

„Deine Mutter hat mit unserem Handel gar Nichts zu thun. Mir liegt viel daran, einen Kerl von Deinem Schrot und Korn in meine Schwadron zu bekommen, und wenn Unsereiner etwas wünscht, so gibt’s keinen Gegenwillen. Des Kurfürsten Rock wird Dir prächtig stehen und ist übrigens eine Ehre für einen Handwerksburschen, der auf deutschem Boden statt auf Sohlen läuft!“

„Ah!“ — —

Es war derselbe Laut, den er am Pfarrgrunde ausgesprochen hatte, voll Verachtung, Spott und Geringschätzung. Sein Auge flog blitzschnell hinüber zum Rappenhengste, welcher noch immer ruhig an derselben Stelle stand, und haftete dann mit einem herausfordernden Blick auf dem drohenden Offizier.

„Und was willst Du machen, wenn ich Dich jetzt greifen lasse und mit mir nehme?“

„Ihre Schwadron, meinetwegen auch Ihr ganzes Regiment vernageln, wenn Ihr mich zwingt. Doch dazu wird es nicht kommen, dafür stehe ich!“

„Wie so?“

„Wer mich anrührt, dem gehts wie dem Braunen da; Pasta, abgemacht!“

Da trat der Junker, welcher den Gesellen fortgesetzt mit neidischem Auge beobachtet hatte, an den Rittmeister heran und flüsterte ihm einige Worte zu. Der Letztere winkte lächelnd und schritt auf den Rappen zu.

„Willst Du nicht wenigstens versuchen, den da einmal zu besteigen. Er wirft Jeden, und wenn Du ihn zum Pariren bringst, so soll es Dein Schade nicht sein.“

„Danke, meine Frau Mutter hat mir verboten, Hengste zu besteigen!“

Der Offizier lachte ärgerlich, ließ ihn aber doch in Ruhe.

„Weißt Du was, Bredenow, ich mag den Preußen nicht länger zwecklos mit mir herumführen; besteigen kann ich ihn nicht, und der Braune wird ja nun wohl seine Schuldigkeit thun. Behalte ihn da und sieh, ob Du etwas aus ihm bringst, über den Preis können wir uns später verständigen.“

„Meinetwegen; ich bin etwas aus dem Bügel gekommen und habe bei der Sache die beste Gelegenheit, mich wieder zurecht zu setzen. Topp?“

„Topp, nimm ihn.“

Die Pferde wurden abgeführt, die Menge verlief sich und die Offiziere folgten langsam nach. Als sie an den beiden Schmieden vorüber gingen, wandte sich der Rittmeister mit einem bezeichnenden Seitenblick an den Junker.

Der Geselle schien das nicht zu bemerken und drehte sich nur mit einem Achselzucken auf die Seite, wo Weißpflog stand.

„Wie ist’s, wollt Ihr mich haben oder nicht, Meister?“

„Na, wenn Du denkst“, schmunzelte der Angeredete.

„Gut, ich mache nicht viel Worte und habe meine eigene Weise, aber ich denke, wir werden zufrieden sein mit einander.“ — — —

Noch spät am Abende, als Alles zur Ruhe gegangen war, setzte sich Weißpflog an den Tisch, zog den Lampendocht putzend aus der Dille, richtete die große, rundglasige Klemmbrille auf die Nase, schob erwartungsvoll das Pechkäppchen auf den Hinterkopf und öffnete das Wanderbuch des neuen Gesellen, in welches er noch gar nicht gesehen hatte, weil seine ganze Zeit von der Arbeit und der Sorge für die Einquartierung in Anspruch genommen worden war.

„De e de, e em em, dem; I en In, ha a ha, Inha; be e be e er er, ber; Inhaber; dem Inhaber; de i di, i e ie, die; es e se, e es es, ses; dieses; dem Inhaber dieses; B u Bu, es ze ha che Buch; e es es, ches, Buches: dem Inhaber dieses Buches — —“

Als die mühsame Lektüre beendet war, schob er den qualmenden Docht wieder zurück, langte die Brille von der Nase herunter ins Futteral und brachte auch das Hausmützchen wieder auf den Pfiff, den es kraft des Gewohnheitsrechtes stets beanspruchen durfte, wenn ihr Herr und Gebieter nach seiner eignen Ausdrucksweise „über etwas nachzusimpeliren“ hatte.

„Also Goldschmidt heißt er, Richard Goldschmidt, und aus Hannover kommt er, und dreißig Jahre alt ist er. Hm, warum er nur bei diesen Jahren noch nicht geheirathet und eine eigene Wirthschaft gegründet hat? Statt dessen läuft er in der Welt herum und lumpt die Kleider ab! Hm, ist vielleicht ein Trinker oder hat sonst eine lüderliche Angewohnheit, sonst müßte er ja bei seiner Geschicklichkeit und Körperstärke ganz anders dastehen. Na, will mal sehen; er kann sich von meiner Alten die Löcher flicken lassen, dann gehts in der Woche und über der Arbeit. Und für den Sonntag, da kann er meine alten gelben Langenghosen anziehen, die rothsammtne Schöffelweste und den langen blauen Schoßrock mit Puffen und Batten, den der selige Schwiegervater sich bei seiner Hochzeit hat machen lassen. Die Sachen werden ihm so ziemlich passen, und ein gutes Wort will ich ihm auch geben und guten Lohn dazu, daß er dableibt und zu etwas kommt. Er hat so etwas an sich, daß man ihm sofort gut sein muß, und wenn man ihm so recht genau in die Augen guckt, so hält man es gar nicht für möglich, daß er leicht und lüderlich sein kann. Ich glaube, ich werde mir nicht gleich über ihn gescheidt werden, zumal er gar nicht redet und einen mit seinen großen Augen so vornehm anblitzt, daß man immer vergißt, was man hat sagen wollen. Ich habe mir ja fast gar nicht getraut, ihn zu fragen, wie er heißt und woher er ist. Aber ein tüchtiger Kerl ist er, hm, und ich habe mein Lebtage noch keinen solchen Gesellen gehabt. Aber das Hemde, das schmutzige, und die Löcher in den Stiefeln, in den Hosen und in dem Rocke, die machen mir Bedenken!“

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III.

Es war dunkel in der Stube, dunkel und still, und nur der einförmige Pendelschlag der Wanduhr ließ sich hören. Heute ruhte die Arbeit, denn es war Sonntag, und die sparsame Mutter hatte noch nicht nach der Lampe gegriffen. Draußen ging die Abendluft leise rauschend durch die Baumkronen, und die Sterne warfen ihre ersten milden Strahlen durch die geöffneten Fenster. Da klangen aus dem kleinen Gärtchen einzelne abgerissene Saitentöne herauf und mischten sich in das kosende Flüstern der Zweige. Es war Dämmerstunde, jene liebe Zeit, in welcher wir den Schlag unseres Herzens vernehmlicher hören und darum so gern die Einsamkeit, die Stille und das Dunkel suchen. In dieser Stunde saß der neue Geselle täglich nach dem Feierabende unten auf der Bank, und in den Nachbargärten standen die Leute hinter den Zäunen und lauschten seiner schönen, volltönenden Stimme. Aber nicht mehr als ein Lied sang er, dann ging er zurück ins Haus und war für den Abend nicht mehr zu sehen. Und wenn dann Auguste hinab kam, so lag auf der Bank immer eine Rose, von zartblühendem Augentrost eingefaßt.

Die einzelnen Töne vereinten sich nach und nach zu Akkorden, und nicht zagend und erst versuchend, sondern gleich laut und voll erklang das Lied:

„In Deiner Liebe ruht mein Leiden,

Ruht all das Weh vergang’ner Zeit — —“

Es war, als müsse der Hauch des Windes dieser kräftigen, männlichen Stimme Ehrerbietung zollen; die flüsternden Blätter schwiegen und hingen bewegungslos hernieder, und selbst der Falter unterbrach seinen Flug und setzte sich mit ausgebreiteten wiegenden Flügeln an den Fensterrahmen.

„In Deiner Liebe ruht mein Hoffen,

In Deiner Liebe ruht mein Herz — —“

klang der zweite Vers. Die Mutter bog sich hinaus, um sich dem süßen Genusse ganz hingeben zu können; das Mädchen aber legte das Köpfchen zurück und drückte die Hand gegen die Brust, als wolle sie eine aufsteigende Regung bekämpfen. Da begann der dritte Vers:

„In Deiner Liebe ruht mein Leben,

Ruht meine ganze Seligkeit;

O laß nach Deinem Glück mich streben

Und sei mein eigen allezeit — —“

Es war weder ein bekanntes Lied, noch eine bekannte Melodie; der Sänger improvisirte frei, und gerade deshalb war Wort und Ton so eindringlich und ergreifend.

„Gustel, ich höre, Du weinst wieder, und das darf doch Deiner kranken Augen wegen nicht sein.“

Da schlangen sich zwei Arme um ihren Nacken, und die Stimme des Kindes flüsterte:

„Mutter, mir ist so weh, so sehr wehe!“

„Sag’ mir, warum?“

„Ach nein, dann würdest auch Du weinen, und dann werde ich noch trauriger.“

„Ich werde nicht weinen, Gustel, ich bin im Unglück stark geworden und werde Deinen Kummer durch meine Klagen nicht verdoppeln.“

„Aber Du wirst das Leid doch fühlen, und je mehr Du es verbirgst, desto größer wächst es an.“

„Willst Du ein Geheimniß vor mir haben, Kind?“

„O nein, nein, aber das Geständniß wird mir so schwer.“

„Komm, lege Deinen Kopf recht innig und fest hierher und denke daran, daß ich als Mutter ein heiliges Anrecht auf die Gedanken Deines Herzens habe.“

Sie umschlang die Mutter fester und fester, und langsam, langsam und zögernd klang es:

„Ich kann — kann — kann nichts mehr sehen, — nichts, gar nichts mehr.“

„Mein Kind, mein armes, armes theures Kind!“

Es war ein Schrei, wie ihn nur eine Mutter ausstoßen kann, ein Schrei aus der tiefsten Tiefe einer angsterfüllten, entsetzten Seele, und dann wars ruhig. Die beiden Frauen hielten sich umschlungen; keine sprach ein Wort, jede suchte ihre Gefühle zu bemeistern, und doch schlugen die Busen gegen einander und verriethen den Sturm, welcher die Wogen ihrer Empfindung aufregte. Lange, lange saßen sie so, bis endlich die Mutter zuerst das Wort ergriff.

„Seit heute wohl erst?“

„Ja, als ich früh aufstand war es dunkel, und doch warst Du schon bei der Arbeit.“

„Und ist’s wirklich so, kannst Du gar, gar nichts mehr sehen? Hast Du nicht wenigstens noch einen Schein?“

„Nein; von dem Tage an, wo mich der Junker so sehr erschreckte, ists so sehr schlimm geworden; die Hitze hat immer zugenommen, und jetzt, wo mir das Auge wieder kühl ist, wird mir der letzte Rest von Hoffnung genommen, den ich noch gehegt habe.“

„Und das ist der Grund, wegen dessen Dir so weh ist?“

„Ja, aber noch etwas.“

„Sage auch das, meine Gustel.“

„Ich kann nicht.“

„Warum?“

„Weil ich es selbst nicht weiß.“

Wieder erfolgte eine Pause; die erfahrene Mutter konnte unmöglich über die letzte Antwort der Tochter lächeln, wie es vielleicht eine Andere gethan hätte. Sie wußte ja, daß es in einem reinen, unberührten Mädchenherzen Regungen gibt, welche erst von außen her in Tangention versetzt werden müssen, ehe sie in die Erkenntniß treten können.

„Aber Du fühlst diesen Grund?“ fragte sie endlich.

„Ja.“

Schon wollte die Mutter weiter forschen, da kam ihr die Tochter entgegen.

„Hast Du ihn vorhin singen hören?“

Fast erschreckt fuhr die Gefragte zurück; an das hatte sie wohl nicht gedacht, nun aber wußte sie auch, daß die Erblindung ihres Kindes ein doppeltes Unglück für dasselbe sei. Liebkosend drückte sie es an sich, und die tiefste Bewegung klang aus jedem ihrer Worte, als sie das einzige Mittel ergriff, das Mädchen vor einem Leide zu bewahren, über welches sie doch nicht sprechen konnte, ohne das flecken- und ahnungslose Gemüth desselben zu verletzen.

„Du weißt vielleicht noch nicht, daß man das eigne Leid über fremdem Weh vergessen kann. Deshalb wollen wir jetzt einmal zurückblicken in meine Vergangenheit, damit Dein geistiger Blick geschärft werde für das, was das leibliche Auge nicht zu erreichen vermag. Bis jetzt sind Dir nur einige Züge aus dem Bilde meines Jugendlebens bekannt; ich will diese Umrisse vervollständigen und Dir Deine Aufrichtigkeit mit der meinigen vergelten. —

„Meine Eltern hast Du nicht gekannt; sie sind mir schon früh entrissen worden, und ich habe außer Dir und Deinem Vater nie ein Wesen gekannt, dem ich mich mit mehr als gewöhnlicher Zuneigung angeschlossen hätte. Der Vater war Beamter in Leipzig gewesen, und ich kam nach seinem Tode zu entfernten Verwandten von ihm, die mich aber nur aufnahmen, um an Lohn für Dienstpersonal sparen zu können. Sie hatten immer einige Studenten in Pension, deren Aufwartung mir übertragen wurde. Aus diesem Grunde kam ich oft mit ihnen in Berührung, die aber trotz der bekannten Zudringlichkeit der meisten dieser Leute eine rein dienstliche blieb, bis ich Deinen Vater kennen lernte.“

„Er hieß Emil Wallner, war der Sohn armer, auch schon verstorbener Eltern und besaß in ihrer kleinen, unbedeutenden Hinterlassenschaft die allerdings unzureichenden Mittel, Medizin zu studiren und sich so eine zufriedenstellende Existenz zu gründen. Er war ein stiller, bescheidener, fleißiger und deshalb kenntnißreicher junger Mann, zu dem ich mich bald mit innigstem Vertrauen hingezogen fühlte, welches sich unter dem Einflusse seiner männlichen Schönheit bald in die herzlichste Liebe verwandelte, die er mir ebenso warm und innig erwiderte. Wir wußten Beide, daß wir das Glück unserer Zukunft nur von dem Erfolge unserer eigenen Arbeit und Tüchtigkeit zu erwarten hatten, und so strebten wir unter vereinter Anstrengung vorwärts und versagten uns jeden Genuß, der unsere geringen Mittel bedrohen oder gar schmälern konnte. Aber trotz, ja vielleicht gerade wegen dieses rastlosen Schaffens, war jene Zeit eine schöne, ach, eine so sehr schöne, daß die Erinnerung an sie sich wie ein goldenes, verklärendes Abendroth noch heut über all mein Denken, Fühlen und Wollen verbreitet.

„Leider kam der Augenblick nur zu bald, der uns eine bittere Trennung brachte, die mir allerdings durch die Hoffnung des Wiedersehens erleichtert wurde. Daß diese Hoffnung eine vergebliche gewesen ist, weißt Du; aber ich halte sie fest, wie ich meine Liebe treu und warm erhalten habe, und beide, Hoffnung und Liebe, sie werden nicht eher sterben, als bis ich selbst mit ihnen begraben werde.

„Emil ging, durch die besten Zeugnisse empfohlen, mit einem reichen und hochstehenden Engländer, von dessen Einflusse er sich die günstigsten Wirkungen in Beziehung auf eine spätere Lebensstellung versprach, auf Reisen. Wir versprachen einander, uns so oft wie möglich zu schreiben; aber außer dem Briefe, welchen er mir, von der dort unter dem Spiegel hängenden Bleistiftskizze begleitet, von Wien aus schickte, habe ich bis heute keine Nachricht von ihm erhalten.

„Ach, es waren traurige Tage, jene Tage, an welchen er von mir ging, obgleich mir seine Gegenwart und Hülfe bald so nothwendig -

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nothwendig werden sollte. Ich habe sie überwunden, aber nur, weil ich aufrecht erhalten wurde durch den Gedanken an die Verpflichtung, mein Leben nun Dir, Deiner Erziehung und Deinem Glücke widmen zu müssen. Leipzig, wo jede Straße, jedes Haus, fast jeder Gegenstand mich nun an meine Einsamkeit und Verlassenheit erinnerte, war mir verleidet, und ich ging in Begleitung eines hiesigen Geschäftsmannes, welcher während der Messe stets seinen Aufenthalt bei uns nahm, nach Hohenthal, wo es mir bei vereinfachten Bedürfnissen leichter werden mußte, durch die Arbeit meiner Hände das Brod für Dich und mich zu erwerben.

„Ich habe hier viel, sehr viel Liebe und Freundlichkeit gefunden, und der erste aufregende und aufreibende Schmerz ist einer stillen, leidenschaftslosen Trauer gewichen, welche mir durch Deine Liebe so sehr erleichtert worden ist. Auch im menschlichen Herzen folgt den Tagen des Sturmes eine Zeit des Friedens, und wenn ein schöner verheißungsvoller Lebensfrühling auch nicht in gänzliche Vergessenheit sinken kann, so ruht doch in einem verzeihenden Gemüthe die beste Gewähr einer trostreichen und dauernden Ruhe.“ — —

Sie holte tief Athem und legte die Hand wie beruhigend über das Auge, in welches die Thräne der Erinnerung warm und feucht getreten war.

„Meine Mutter, meine liebe, liebe Mutter!“

„Ja, mein Kind, Du bist mein größter Reichthum; Du bist das einzige Gut, welches mir geblieben ist, und ohne Dich könnte ich nicht sein und leben.“

Wieder erfolgte eine jener Pausen, welche so beruhigenden und wohlthätigen Einfluß auf eine geistige Aufregung üben, und dies Mal übernahm Auguste die Unterbrechung.

„Ob er wohl gestorben ist?“

„Es ist mir unmöglich, an ihn als einen Todten zu denken, und noch heute wie früher und immer sehe ich ihn in voller, frischer Jugendkraft vor mir stehen, wie ich ihn beim ersten Begegnen erblickte. O, ich wollte all die vielen Jahre des Kummers vergessen, wenn ich ihn nur noch ein einziges Mal sehen könnte, um ihm zu sagen, wie lieb, wie so unendlich lieb er mir gewesen ist. Und wenn er noch so arm und elend vor mich hinträte, ich wollte ihn willkommen heißen, für ihn sorgen und arbeiten Tag und Nacht und nie, nie ein Wort des Vorwurfes über meine Lippen kommen lassen!“

„Und ich, ich könnte ihn nun nicht sehen!“

Wirklich hatte die Mutter über ihr eigenes Unglück dasjenige ihres Kindes vergessen. Der letzte Ausspruch Augustens erinnerte sie jetzt an dasselbe.

„Sei ruhig, mein Herz! Die Krankheit Deiner Augen hat mir schwere und bittere Sorgen verursacht, und diese Sorge ist heute größer als je zuvor; aber ich habe tausend Mal unter heißen Thränen im Gebete vor Gott gelegen, und er wird Dich, Unschuldige, nicht heimsuchen eines Fehltrittes wegen, an dem Du keinen Antheil hast. Wir haben bisher wohl noch nicht den rechten Arzt gefunden und müssen einmal nach Chemnitz gehen, wo jetzt ein sehr geschickter Augenheilkundiger practiziren soll. Jetzt aber wird der Meister mit dem Abendsegen auf uns warten; komm, laß es für heute genug sein!“

Sie gingen nach unten, und fanden allerdings den Meister schon hinter der alten, umfangreichen Nürnberger Bilderbibel.

„Macht, daß Ihr kommt! Meine Alte lauert schon längst auf das heutige Evangelium, wir waren nicht in der Kirche. Auf den Richard brauchen wir leider nicht zu warten, der betet nie, sondern streift lieber mit seinem Jägerfranz im Walde herum oder treibt droben in seiner Kammer Allotria. Aus dem wird nichts, und deshalb behalte ich auch meine Langenghosen und so weiter für mich selbst; er braucht sie auch gar nicht, denn heut ist er gleich früh in einem funkelnagelneuen Anzuge herunter gekommen.“(Forts. folgt.)

47530.

Die Rose von Ernstthal.

Eine ErzählungvonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Er rückte die Brille zurecht und verlas das Evangelium. Dann schlug er ein vielgebrauchtes, in Schweinsleder gebundenes Gebetbuch auf, aus welchem er ein „Abendgebet für den Sonntag“ buchstabirte, und eben wollte er nach dem „Amen“ das Buch wieder schließen, als die Thür geräuschlos geöffnet wurde und der Geselle eintrat. Nach einem kurzen „guten Abend“ setzte sich derselbe an den Tisch, nahm dem Meister das Buch aus der Hand, blätterte einige Zeit suchend darin herum und begann dann mit fesselndem Ausdrucke:

„Horch! klopfte es nicht an die Pforte?

Wer naht, von Himmelsduft umrauscht?

Woher des Trostes süße Worte,

Auf die mein Herz voll Andacht lauscht?

Wer neigt, wenn alle Sterne sanken,

Mit mildem Licht und stiller Huld

Sich zu dem Staub- und Erdenkranken?

Es ist der Engel der Geduld!“

„O, laß den Gram nicht mächtig werden,

Du tiefbetrübtes Menschenkind!

Wiß, daß die Leiden dieser Erden

Des Himmels beste Gaben sind,

Und daß, wenn Sorgen Dich umwogen

Und Dich umhüllt des Zweifels Nacht,

Dort an dem glanzumfloss’nen Bogen

Ein treues Vaterauge wacht!“

„O, laß Dir nicht zu Herzen steigen

Die lang verhalt’ne Thränenfluth!

Wiß, daß grad in den schmerzensreichen

Geschicken tiefe Weisheit ruht,

Und daß, wenn sonst Dir nichts verbliebe,

Die Hoffnung doch Dir immer lacht,

Da über Dich in ew’ger Liebe

Ein treues Vaterauge wacht!“

„O, wolle nie Dich einsam fühlen!

Obgleich kein Aug’ sie wandeln sah,

Die sorgenvolle Stirn zu kühlen

Sind Himmelsboten immer da!

Wer stets dem eignen Herzen glaubte,

Der kennt des Pulses heil’ge Macht!

Drum wiß, daß über Deinem Haupte

Ein treues Vaterauge wacht!“

„Und öffnet sich Dein Auge wieder

Dem hellen, goldnen Sonnenstrahl,

Steigt Dir des Tages Seraph nieder,

Den Du ersehnt viel tausend Mal,

O, wolle stets den Glauben hegen,

Der Deiner Seele Trost gebracht,

Daß über allen Deinen Wegen

Ein treues Vaterauge wacht!“

Als er geendet hatte, schlug er das Buch wieder zu und verließ mit einem wie vorhin kurzen „Gute Nacht“ die Stube.

Es war, als sei das Gedicht gerade für die Seelenstimmung der Anwesenden ausgelesen, und Niemand konnte den tiefen Eindruck, welchen die unerwartete Vorlesung gemacht hatte, verbergen. Der Meister war der erste, welcher sprach.

„Nein, aber kann der Goldschmidt lesen; wer hätte ihm auch das noch zugetraut! Es ist wirklich Schade um den Menschen, daß er sich Nächte lang draußen herumtreibt. Aber ich kenne doch dieses Buch auswendig und habe das Gedicht noch nie gefunden. Ich muß nur einmal das Blatt aufschlagen, auf welchem es steht, es war gerade bei dem rothen Einzeichen, welches ich vor acht Tagen hineingelegt habe.“

Er blätterte und suchte, aber vergebens.

„Ich glaube gar, er hat das Gedicht auch gleich so aus dem Kopfe gemacht, wie er die Lieder gleich alle macht, die er draußen im Garten singt; denn ich finde das Dings im ganzen Buche nicht. Es ist wirklich Schade, jammerschade um den Kerl!“

Er stand auf, und das war bei ihm das Zeichen, daß er zur

Ruhe zu gehen wünsche. Deshalb erhoben sich auch die Andern. Draußen vor der Treppe blieb Auguste stehen.

„Darf ich noch einen Augenblick in den Garten, Mutter?“

„Es ist kühl, Kind, und Du wirst vielleicht auch den Weg nicht sicher finden.“

„O doch, und erkälten werde ich mich auch nicht. Es ist ja nur für einen Augenblick, und ich komme gleich nach.“

Die Mutter ging nach oben; sie gönnte ihr gern die Gelegenheit, draußen in der Stille des Abends innerlich ruhig und klar zu werden.

Auguste kannte jeden Zollbreit des Weges und fand trotz der Nacht ihres Auges die Bank. Tastend fuhr sie mit der Hand über dieselbe hin, aber der erwartete Strauß lag heut nicht da. Sie war nur seinetwegen herausgegangen und wollte nun enttäuscht zurückgehen, da hörte sie die Hofthür knarren und den Schritt eines Nahenden. Es war Goldschmidt, sie kannte ja diesen leichten, elastischen und doch so sichern Schritt. Es war ihr, als müsse sie sich verbergen, und unwillkürlich wandte sie sich zur Seite, da aber fühlte sie sich auch schon bei der Hand erfaßt.

„Bitte, bitte, Auguste, nicht Angst haben!“

Er führte sie zur Bank zurück und nahm, ihre Hand frei gebend, neben ihr Platz. Es war ihr so bang, aber diese Bangigkeit war nicht von der Art, wie man sie empfindet einem gefürchteten Ereignisse gegenüber.

„Ich möchte gern zwei Fragen aussprechen. Darf ich?“

„Ja“, antwortete sie zaghaft.

„Wen stellt das skizzirte Portrait vor, welches droben unter dem Spiegel hängt?“

„Meinen Vater.“

„Es ist wohl nicht gestattet, etwas Näheres über ihn zu wissen?“

„Wir wissen selbst seit langer Zeit nichts mehr von ihm. Er hieß Emil Wallner, war Student der Medizin und ging vor achtzehn Jahren mit einem Engländer nach Wien, von wo aus er zum letzten Male geschrieben hat.“

„Das ist das Eine, und nun das Andere. Mama hat von einem Herrn von Bredenow die Anfertigung seiner Wäsche in Auftrag bekommen, und dieser Herr kommt nun fast täglich um zu sehen, wie weit die Arbeit vorgeschritten ist.“

„Seine Gegenwart ist uns außerordentlich unwillkommen. Mutter hat den Auftrag nur angenommen, weil es jetzt an Beschäftigung mangelt und sie nicht wissen konnte, daß derselbe den Grund zu wiederholten Besuchen bilden könne.“

„Ich danke.“

Er stand auf und ergriff ihre beiden Hände.

„Zürnt mir Auguste wegen meiner Zudringlichkeit?“

„Nein.“

„Gewiß und wahrhaftig nicht?“

„Gewiß und wahrhaftig nicht!“

„Gute Nacht, meine liebe Auguste!“

„Gute Nacht.“

Sie fühlte seine Lippen auf ihrer Hand und hörte dann seinen sich entfernenden Schritt. Ihr Herz klopfte stürmisch, und ungeahnte Empfindungen durchwogten ihr Inneres. Einen Fremden, ja wohl jeden Andern hätte sie mit diesen Fragen zurückgewiesen; zu diesem Manne aber fühlte sie sich mit offenem unwiderstehlichem Vertrauen hingerissen, und es war ihr, als könne er durch seine Fragen den Brunnen ihrer Seele bis auf den Grund ausschöpfen. So eindringlich wie bei den Worten „gewiß und wahrhaftig nicht?“ und so tief und innig wie bei dem Abschiedsgruße „Gute Nacht, meine liebe Auguste!“ hatte ihr noch keine Stimme geklungen. Er wars gewesen, welcher sie aus der Umarmung des verhaßten Junkers gerettet hatte; das war ihr aus den Reden des Letzteren klar geworden, und noch dachte sie mit Angst und Entsetzen jenes Augenblickes, an welchem ihr erblindendes Auge ihn mit dem wüthenden Pferde gesehen hatte. Dieser Mann konnte unmöglich so sein, wie ihn der Meister bezeichnete, und wenn sie auch nicht den Scharfblick psychologischer Reife und Erfahrung besaß, so konnte sie doch auch nicht der überzeugenden Sprache ihres Gefühles widerstehen.

Sinnend saß sie noch lange auf ihrem Platze und hielt wie schützend mit der andern Hand die Stelle umschlossen, auf welcher sein Mund geruht hatte. Da erhob sie sich und streifte einen Gegenstand, welcher neben ihr lag. Sie nahm ihn auf; es war der gesuchte Strauß. Hatte er schon vorhin hier gelegen und war von ihr unbemerkt geblieben oder war er erst später hergelegt worden? Sie wußte es nicht, aber als sie sich zur Ruhe gelegt, konnte sie den Schlaf nicht finden, und noch als er ihr endlich die Augen schloß, klangen ihr die Worte, welche sie bisher nur aus dem Munde der Mutter gehört hatte und die sie um Alles in der Welt nicht ungeschehen -

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ungeschehen gewünscht hätte, noch immer ins Ohr: „Gute Nacht, meine liebe Auguste!“

IV.

Der Herbst war ins Land gekommen und hatte Feld und Flur in jene wehmüthigen Farben gekleidet, welche uns verkünden, daß die schaffende Natur zur Rüste gehe und die Zeit des Blumenduftes und Vogelsanges sich zum Abschied neige. In diesen Tagen zittern die Saiten des Menschenherzens in einer Stimmung, welche uns so gern zum Nachdenken und zur Einkehr in unser Inneres führt, und deshalb ist der Herbst ebenso die Zeit der Ernte für die Früchte, welche uns im Busen reifen, wie er die Garben sammelt, welche uns die Sichel des Schnitters von der Erde löste. Und ruht irgend ein Weh in unserer Brust begraben, so steht es zur Zeit des Blätterfalles auf von den Todten und richtet unser Sinnen niederwärts zur Scholle, aus welcher wir emporstiegen, um durch die Mühe und Arbeit des Erdenlebens den Geist für eine höhere Welt zu zeitigen und dann wieder in den Staub zurückzusinken.

Solche Gedanken waren es, welche heut schon beim Morgengrauen die Mutter begrüßt und in den Garten begleitet hatten. Es war heut ihr Geburtstag, der Tag, an welchem sie vor nun zwanzig Jahren den Geliebten zum ersten Male gesehen hatte. Dieser Tag hatte ihr das Dasein gegeben, hatte dann über ihre Lebensrichtung entschieden und sollte ihr nun auch Klarheit bringen über die Zukunft ihres Kindes. Sie erwartete deshalb in einer späteren Morgenstunde den Botenfuhrmann, mit dessen Geschirr sie in Begleitung Augustens nach Chemnitz zum Augenarzt zu fahren gedachte. Ihre Mittel reichten zwar für eine länger anhaltende Kur bei weitem nicht aus; denn der allgemeine Nothstand hatte sich auch schon seit längerer Zeit für sie fühlbar gemacht und ihre Kasse erschöpft; aber der Junker hatte für heute früh die Ablieferung der Wäsche bedingt, da er verreisen müsse, und von der Bezahlung dieser Arbeit konnte sie wenigstens die Kosten der Reise und einer ärztlichen Konsultation bestreiten. — Da wurde sie in ihrem Nachdenken unterbrochen.

„Mutter, bist Du unten?“

„Ja, hier bin ich.“

„Komm doch einmal recht schnell herauf!“

Sie folgte dem Rufe, hatte aber oben die Stubenthür kaum geöffnet, so stieß sie einen lauten Schrei der Ueberraschung aus. Gerade der Thür gegenüber hing das in Oel gemalte Brustbild des Mannes, an den sie heute schon so viel gedacht hatte. Die Röte der Jugend und Gesundheit auf den Wangen, das gold- und silberbetreßte Cerevis auf den Locken schien ihr lebendig hinter den reichverzierten und von Guirlanden umwundenen Rahmen getreten zu sein, um den Wunsch zu erfüllen, den sie vor nicht langer Zeit mit heißem Verlangen gegen die Tochter ausgesprochen hatte. Mit ausgebreiteten Armen und laut schluchzend stürzte sie auf das Bild zu und drückte die krampfhaft zuckenden Lippen wieder und immer wieder auf das Glas desselben.

„Emil, Emil, mein Emil! Ists wahr, daß diese Leinwand Deine lieben, unvergeßlichen Züge so treu und wahr festzuhalten vermag, wie sie meinem Herzen eingegraben sind? Auguste, komm, eile her und sieh Deinen Vater!“

„Mutter, ich kann nicht.“

„Mein Gott, es ist ja wahr. Aber Du sollst ihn sehen, Du mußt ihn sehen, ich fühle in diesem Augenblicke, daß Gott nicht Gott sein müßte, wenn unsere Gebete unerhört blieben! Aber wer hat uns diese Ueberraschung bereitet, wo kommt das Bild her und wer hat es gemalt? Du weißt es!“

„Nein; ich fühlte, als ich aufgestanden war und die Stube betrat, den Kranz dort auf dem Tische und dachte mir gleich, daß es ein Geburtstagsgeschenk für Dich sein solle. Deshalb rief ich Dich.“

„Auch dort noch, was ist es?“

Der Tisch war mit einer weißen Decke überbreitet, auf welcher, von Blumen, Früchten und Konfekt umgeben, eine kunstreich gearbeitete Silberplatte mit einem Briefe lag. Hastig ergriff sie den Letzteren, warf einen Blick auf die Adresse und fiel dann wie besinnungslos in den Sessel.

„Mutter, meine gute Mutter, was ist Dir?“

„Nichts, o nichts! Laß mich und gönne mir nur einen Augenblick der Erholung.“

Mit gefalteten Händen den Brief an die hochathmende Brust drückend, saß sie geschlossenen Auges da und ließ durch das Lächeln des Glückes, welches auf dem sonst so blassen Angesichte lag, die Seligkeit errathen, von welcher sie überwältigt worden war. Aber die Ungewißheit über den Inhalt des Briefes ließ ihr nicht lange Ruhe, und mit vor Erregung zitternden Händen öffnete sie ihn.

„Es ist ein Brief von Deinem Vater; ich erkannte sofort die

Handschrift, trotzdem sie sich im Laufe der Jahre verändert hat, hier steht seine Unterschrift, und da ist auch die alte trauliche Anrede, welche er stets gebrauchte.

„Gott grüße Dich, mein Herz!

Ich habe viel und schwer an Dir gesündigt und darf deshalb wohl kaum erwarten, daß Du mir ein freundliches Andenken bewahrst. Aber das Verlangen nach Sühne und Vergebung treibt mich zu Dir und diktirt mir den Gruß, welchen ich heut an Deinem Geburtstage Dir als den Vorboten meiner baldigen Ankunft übersende. Emil Wallner.“

„Hörst Du“, rief sie jauchzend, „er kommt, er hat mich nicht vergessen, und wenn er auch Nichts von Liebe schreibt, so verbietet ihm doch nur die Ungewißheit über meine Gesinnung dieses Wort. O, nun ist Alles, Alles gut, und ich darf die Vergangenheit hinter mich werfen wie einen schweren Traum, von welchem man erwacht, um sich der schönen Wirklichkeit doppelt zu freuen. Doch laß uns jetzt unten fragen, wem wir diese Freude zu danken haben!“

Aber trotz aller Dringlichkeit war Nichts zu erfahren. Die beiden Schmiede waren im Hausflure beschäftigt gewesen und konnten also mit Gewißheit behaupten, daß Niemand ein- und ausgegangen sei, und von ihnen selbst konnte die Gabe unmöglich abstammen.

Während man sich unten deshalb in verschiedenen Vermuthungen erging, befand Auguste sich oben allein im Zimmer und wartete auf das Ergebniß der Erkundigung. Zwar gab es eine Ahnung in ihr, aber sie konnte derselben nicht Raum geben, da sie ihr zu unberechtigt erschien. Da ging unten die Hausthür, und die Treppe knarrte unter schweren, gewichtigen Tritten. Sie hatte diesen Schritt in den letzten Wochen öfters hören müssen als ihr lieb war, und zog sich in die Ecke des Zimmers zurück, als die Thür geöffnet wurde.

„Guten Morgen!“

„Guten Morgen, Herr Junker!“

„Ich komme, nach meiner Wäsche zu sehen, und finde Dich allein in der Stube. Ist Deine Mutter ausgegangen?“

„Nein, sie befindet sich in der Niederstube, und ich werde sie gleich rufen. Eure Wäsche ist fertig.“

„Laß das Rufen einstweilen, die Zeit wird mir bei Dir nicht allzu lange werden.“

„Aber uns ist sie heut karg zugemessen, wir verreisen.“

„Ach so! Wohin?“

„Nach Chemnitz zum Augenarzte.“

„Das ist klug und nothwendig; aber gehen könnt ihr den weiten Weg doch nicht,“

„Nein, wir fahren mit dem Boten.“

Sie hatte nicht sehen können, wie sein kleines, stechendes Auge schadenfroh unter den buschigen Brauen hervorgeblitzt hatte, als sie ihm arglos Mittheilung von der beabsichtigten Reise machte. Jetzt war er ihr näher getreten und ergriff ihre Hand.

„Ich wünsche Dir natürlich den besten Erfolg; aber so lange Euch das Geld zu einer eingehenden ärztlichen Behandlung fehlt, glaube ich nicht an ihn. Wenn Du nur ein klein Bischen zutraulicher sein wolltest, würde ich alle diese Ausgaben auf mich nehmen.“

„Laßt mich, Herr, ich muß die Mutter rufen!“

„Nachher Schatz, wenn wir uns verständigt haben.“

Er zog sie gewaltsam an sich und merkte im Eifer nicht, daß die Mutter eingetreten war.

„Herr von Bredenow, gelten Eure Besuche Eurer Wäsche oder einem andern Gegenstande?“

„Beides, meine liebe Dame“, antwortete er und hielt dabei die Hand des Mädchens noch immer fest.

„Die Wäsche ist fertig.“

„Gut, ich werde sie abholen lassen.“

„Dann können wir Euch also Adieu sagen?“

„Ihr werdet mir in dieser Angelegenheit wohl den Vortritt lassen müssen; ich habe vom Fräulein hier gehört, daß Ihr nach Chemnitz wollt, und stehe eben im Begriff, die Augen einer näheren Okularinspektion zu unterwerfen, um auch mein wohlgemeintes Urtheil abgeben zu können.“

„Dann bitte ich, diese Inspektion auf eine gelegenere Zeit zu verschieben. Der Fuhrmann hält schon unten, und wir dürfen uns nicht mit unnützen Dingen beschäftigen.“

„Ach so, man weist mir also die Thür?“

„Sie ist zu groß, um nicht auch ungewiesen bemerkt zu werden.“

„Gut, ich gehe, vorher aber erlaube ich mir einen kleinen Abschied.“

Er legte den Arm um Auguste, wurde aber von der erzürnten Mutter sofort gefaßt.

„Laßt das Kind gehen oder ich rufe Hilfe herbei!“

„Ah, jetzt wirds interessant; die Katze schützt das Kätzchen.“

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Er stieß die Störende von sich und verfolgte das Mädchen, welches sich wieder in die Ecke geflüchtet und den Tisch als Schutzwehr vorgezogen hatte.

„Meister, Richard, zu Hilfe!“ rief die Mutter.

Der Geselle stand allein am Herde und voltigirte sofort mit zwei Sätzen die Treppe hinauf.

„Was gibt es? Ach so, ich hörte den Patron vorhin nach oben steigen. Ist seine Wäsche fertig?“

„Dort liegt sie.“

„Hat er bezahlt?“

„Noch nicht.“

„Ich werde es verlegen und später mit ihm abrechnen.“

Die Fragen waren rasch ausgesprochen und ebenso schnell beantwortet, und noch hatte sich der „Blauweiße“ nicht in Positur gestellt, so flog er gegen die Thür und von da die Treppe hinunter.

„Aufgefangen, Meister, und weiter spediert!“

„Bin schon drüber!“

Weißpflog war schon beim ersten Rufe aus der Stube getreten und stand bei der Behendigkeit Goldschmidts erst auf der untersten Treppenstufe, als der seltene Vogel geflogen kam. Klugerweise ließ

er ihn gar nicht wieder auf die Beine kommen, sondern eskamotirte ihn sofort auf die Straße. Wäschepack, Hut, Perrücke und Stock, welche unterdeß auch auf der Zwischenstation angekommen waren, folgten, und hinter ihnen wurde die Thür ins Schloß geworfen und der Riegel vorgeschoben.

Draußen erhob sich ein gewaltiger Spektakel; die Thür erbebte unter den gewaltigen Schlägen des aufgebrachten Edelmannes, und schon ließen einzelne Neugierige einen Zusammenlauf vermuthen, als der Junker sich eines Besseren besann und sich mit dem unbezahlten Paket entfernte,nachdem er seine derangirte Toilette möglichst in Ordnung gebracht hatte.

Kurze Zeit später bestiegen die beiden Frauen den Leiterwagen und fuhren der bang erwarteten Entscheidung entgegen. — — —

Der Tag verging, bereits dunkelte der Abend herein und noch waren sie nicht wieder eingetroffen. Weißpflog wurde unruhig und löschte früher als gewöhnlich das Feuer aus. Die beiden Hausgenossen waren ihm so lieb geworden, als gehörten sie zu seiner eigenen Familie, und ihr Wegbleiben verursachte ihm ernste Bedenken. Goldschmidt dagegen ließ nicht die geringste Spur von Sorge an sich bemerken; wortkarg wie immer erwähnte er auch

heute die Abwesende mit keiner Silbe, setzte sich nach beendigter Arbeit ruhig zum Essen nieder und verließ dann phlegmatischen Schrittes die Stube. Aber kaum eine Minute später hörten ihn die Meistersleute das Haus verlassen, und als die wißbegierige Hausfrau ihm durch die halbgeöffnete Thür nachblickte, sah sie ihn querfeldein über die Stoppeln den Weg nach der Straße einschlagen, welche nach Chemnitz führt.

Je weiter er sich von Ernstthal entfernte, desto eiliger wurde sein Lauf. Kurz vor Wüstenbrand begegnete ihm eine verschlossene Kutsche, auf deren Bock er trotz der Dunkelheit zwei Männer gewahrte, von denen der eine den andern fast um Kopfeslänge überragte.

„Das war der Junker! Hier ist irgend eine Teufelei los, die jedenfalls in Verbindung mit dem langen Außenbleiben unserer Frauen steht — ich fahre mit!“

Gedacht, gethan. Er nahm Platz auf dem leeren Kofferbrette und beschloß, nicht eher als bis beim Halten des Wagens abzusteigen. — —

Die Frauen waren erst am Nachmittag bei dem Arzte angekommen. Dieser hatte die kranken Augen einer sorgfältigen Untersuchung -

Untersuchung unterworfen und dann den Kopf geschüttelt. Die medizinische Kenntniß hatte damals noch nicht die Höhe der Entwicklung erreicht, auf welcher sie sich jetzt befindet; man stritt sich über die verschiedenen Systeme und war noch nicht zu der Erfahrung gelangt, daß es die beste Kunst des Arztes sei, Hindernisse zu entfernen und die Natur zu unterstützen. In Hinsicht der Augenklinik war man allerdings in Frankreich 14) zu befriedigenden Resultaten gelangt; aber während zum Beispiel England sich diese Erfahrungen schnell zu Nutzen machte, erging sich die deutsche Aeskulapenschaft in Philosophemen, und nur selten wagte ein ungewöhnlich begabter Kopf, den Damm der herkömmlichen Heilmethoden zu durchbrechen. Nach beendigtem Kopfschütteln erhielten die Frauen eine kühlende Einreibung nebst einer Auflösung von Galizienstein und wurde dann mit einigen Trostworten entlassen.

Im Gasthof fanden sie den Fuhrmann ihretwegen in großer Verlegenheit. Die heutige Rückfracht war so bedeutend, daß der Wagen hochauf voll geladen war und an ein bequemes Sitzen nicht gedacht werden konnte. Nur mit Mühe wurden zwei Sitze oben auf den Kisten ermöglicht, wo das Verweilen für die Blinde nicht ganz ungefährlich sein konnte. Glücklicherweise überholte sie bald

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ein leerer Kutschwagen, dessen Führer sie mit einem mitleidigen Blicke betrachtete und dann nach dem Ziele der Reise fragte.

„Wir fahren nach Ernstthal.“

„Wenn Ihr wollt, könnt Ihr bequemer und schneller nach Hause kommen. Steigt zu mir herüber, ich fahre nach Hohenstein.“

Das freundliche Anerbieten wurde angenommen, und schon saß Auguste in den weichen Kissen, als plötzlich die Pferde scheuten und mit dem Fuhrwerke im schnellsten Laufe davongingen. Es dauerte eine geraume Zeit, ehe das Gespann zu einem langsameren Schritte gebracht werden konnte, und als das Mädchen den Kutscher bat, auf die Mutter zu warten, klang seine Antwort abweisend.

„Wir sind ihr nun zu weit voraus, und ich darf nicht halten, weil die Pferde zu feurig sind und ich auch zur bestimmten Zeit eintreffen muß. Willst Du warten, so kannst Du aussteigen.“

Freilich schien der Sprecher das Gegentheil anzunehmen, denn er machte keine Miene, die Zügel zu pariren, und das Mädchen hatte auch keine Ursache, dem Manne zu mißtrauen. Es saß sich hier so warm und weich und für die Mutter war das Fahren auf den Kisten jedenfalls nun auch weniger beschwerlich geworden. Sie lehnte sich in die Ecke zurück und war bald in einen Schlummer gefallen, aus dem sie erst erwachte, als der Wagen hielt.

„Na, da sind wir; Du kannst aussteigen.“

Noch halb schlaftrunken dachte sie nicht daran, daß der ihr vollständig fremde Kutscher sie ja doch gar nicht nach ihrer Wohnung gefragt habe. Sie folgte der leitenden Hand und wurde erst aufmerksam, als sie unbekannte Gegenstände unter den tastenden Fingern fühlte und ein eigenthümlicher Modergeruch sie umwehte.

„Mein Gott, ich bin ja gar nicht zu Hause!“

„Aber doch unter Dach und Fach, und es wird Dir schon in diesem kleinen Waldhause gefallen, wenn ich nur erst das Reisig dort auf dem Herde in Brand gesteckt habe. Dann wirds warm und traulich, und wir können unsere unterbrochene Unterhaltung von heute Morgen in aller Gemüthlichkeit fortsetzen.“

Sie schrak bei dem Klange dieser Stimme heftig zusammen und wandte sich zurück, den Ausgang zu suchen. Da aber wurde sie bei der Hand gepackt und hörte zugleich den Riegel in das Schloß fallen.

„Halt, so rasch geht das nicht, Liebchen! Wir sind heut nicht bei der Eisenhöhle, wenn auch nicht gar zu weit entfernt von ihr, und diesmal hilft Dir kein Gott und kein Teufel los.“

„Der Teufel wohl nicht, aber glaubt Ihr wirklich, daß es nicht einen höheren Schutz gebe für ein armes, wehrloses Mädchen und daß ich nun verloren sei, weil ich nicht mehr sehen und mich also noch weniger vertheidigen kann als früher?“

Das sonst so furchtsame Mädchen, welches damals auf der Waldwiese vor Schreck keines Wortes fähig gewesen, war in diesem Augenblick kaum mehr zu erkennen. Der Gedanke, daß sie in ihrer gegenwärtigen Lage Hilfe nicht von außen, sondern nur in sich selbst zu suchen habe, konzentrirte all ihre Energie auf den Entschluß, sich bis zum letzten Reste ihrer schwachen Kraft zu vertheidigen. Stolz und aufrecht, die Röthe der Entrüstung auf den Wangen, das starre Auge gespenstisch auf den Gegner gerichtet, stand sie da, vom Scheine der knisternden Flammen beleuchtet und streckte die Arme aus, um nach einem Halt zu suchen. Bei dieser Bewegung kam ihr der Griff des Stoßdegens in die Hand, welchen der Junker der Bequemlichkeit wegen abgelegt und in die Ecke gelehnt hatte. Im Augenblick war die Waffe entblößt und zum Stoße gezückt, und diese Entschlossenheit ihres Wesens verfehlte ihren Eindruck selbst auf den harten, rücksichtslosen Mädchenräuber nicht.

Er war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten, doch schnell wich diese Bestürzung einem schadenfrohen höhnischen Lachen, mit welchem er wieder auf sie zutrat.

„Alle Wetter, jetzt fange ich an, mich zu fürchten. Monatelang bin ich um Dich herumgelaufen und habe die Gelegenheit erspäht, einmal so recht schön allein und ungestört mit Dir zu sein, und nun es mir endlich so prächtig geglückt ist, soll ich Dich wieder laufen lassen, weil ich mich entweder vor Gespenstern oder gar vor der eigenen Klinge fürchte. Mein wirst Du heut und wenn sich zehn Götter und hundert Schmiedejungens dagegen stellten!“

Rasch hatte er ihren Arm unterlaufen und drückte mit seiner gewaltigen Faust ihre Hand, daß sie mit einem lauten Weheruf die Waffe fallen ließ. Noch aber war es ihm nicht gelungen, sie aus der Ecke, in welcher sie Deckung gesucht hatte, zu entfernen, als die Thüre unter einem mächtigen Stoße erkrachte und sich draußen eine tiefe, volltönende Stimme hören ließ. —

„Aufgemacht, oder ich trete die Bude zusammen!“

„Das ist Richard“, rief vor Freude zitternd das bedrängte Mädchen. „Herein, herein, zu Hilfe!“

Wirklich schien das Häuschen aus allen Fugen gehen zu wollen,

als auf diesen Ruf die von einem Fußtritte aufgesprengte und zersplitterte Thür in den engen Raum hereinstürzte.

„Ah, die Herren Junkers laichen im Oktober.“

Es lag eine wahrhaft niederschmetternde Verachtung in dem Tone, mit welchem diese Worte ausgesprochen wurden. Die schlanke, elastische Gestalt des „Schmiedejungens“ lehnte leicht und graziös an dem halb aus der Mauer gerissenen Thürpfosten; die kleine von der Arbeit jetzt etwas gehärtete Hand drehte in zierlichen Windungen die Spitzen des schwarzen Bärtchens, und mit spöttischem Aufleuchten schweifte der Blick seines festen, furchtlosen Auges über die hochaufgerichtete muskulöse Gestalt des Ertappten hin zu dem Mädchen, welches sich wie dankend mit gefalteten Händen der Richtung zugewendet hatte, in der er stand.

Da entfuhr den Lippen des vor Wuth schäumenden Feindes ein Fluch, so gräßlich und lästerlich, daß das Mädchen erbleichte; im nächsten Augenblick hörte sie die Männer zusammenprallen, dann vernahm sie ein beängstigendes Aechzen, Stöhnen und Schnaufen, und dann erfolgte ein Krach, unter welchem der Fußboden erzitterte.

„Hund, das soll Dir nicht wieder gelingen!“ hörte sie die keuchende Stimme des sich wieder vom Boden aufraffenden Junkers. Das Ringen und Schnauben begann von Neuem und war von unartikulirten Lauten begleitet, die aus einer wie eingeschraubten Brust hervordrangen; dann flog es wieder an ihr vorbei, erst an die gegenüberliegende Wand und dann zur Erde nieder, von der Thür her aber klang es ruhig und bedächtig:

„Bitte, Auguste, nur immer in der Ecke bleiben!“

Der Kampf erneuerte sich, Säbelhiebe klirrten, dann flog die Waffe gegen das Fenster, ein schwerer, dumpfer Fall ließ sich hören, ihm folgte ein tiefes ängstliches Röcheln und endlich ein Schlag wie mit einer Keule gegen einen hohlen aber festen Gegenstand; ein letzter, fürchterlicher Schrei und dann war Alles still.

„Richard!“, rief sie, die Hände in unendlicher Angst vorstreckend, „Richard!“

„Hier bin ich!“ klang es neben ihr, und nicht das leiseste Zittern seiner Stimme, nicht das geringste Beben seiner Hand, welche die ihrige gefaßt hielt, verrieth die furchtbare Aufregung und Anstrengung, welche die letzten Augenblicke mit sich gebracht hatten.

„Wo ist er?“

„Er liegt von meinem Faustschlage betäubt hier am Boden.“

„Mir ist so angst; wir wollen gehen!“

Er nahm er ihren Arm und schritt, ohne den besiegten Gegner eines Blickes zu würdigen, an ihm vorüber mit ihr hinaus. Rechts und links streckten die Bäume ihre dunklen Aeste über den schmalen Weg und ließen nur selten einen silbernen Sternenstrahl zwischen sich hindurchschlüpfen. Der Wald rauschte seine geheimnißvolle Weise und mißtönender Unkenruf klang vom Teiche herüber. Das Mädchen schmiegte sich inniger an ihren Begleiter und stützte sich fest auf den Arm desselben. Er fühlte das Zittern ihrer Hände, er hörte den beklommenen Hauch ihres Athems, aber er sprach kein Wort.

Da plötzlich blieb sie stehen, schlang die Arme um seinen Hals und zog seinen Kopf nieder zu dem ihrigen.

„Richard!“

Sie wollte weiter sprechen, aber die Thränen erstickten ihre Stimme, und weinend barg sie das Gesicht an seine Brust.

„Auguste, Du liebes, süßes Wesen, magst Du bei mir sein und mit mir jetzt und immerdar?“

„Wie gern, ach wie gern! Aber es darf nicht sein.“

„Warum nicht?“

„Ich bin blind.“

„Hast Du nicht den Trost verstanden, den ich Dir am Abende eines jeden Tages mit der Rose geben wollte?“

„O ja.“

„Dann hege Hoffnung und vertraue Gott und mir. Willst Du?“

„Ja.“

„So komm, wir müssen eilen, um die Angst der Mutter zu stillen. Ich kann mir denken, wie Alles gekommen ist, und Du sollst erst dann erzählen, wenn wir zu Hause sind.“(Forts. folgt.)

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Die Rose von Ernstthal.

Eine ErzählungvonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

V.

Und ich wiederhole es, der Richard ist ein Erzstrick, und je länger er da ist, desto ärger treibt ers. In der ersten Zeit lief er doch wenigstens nur des Nachts draußen herum, jetzt aber geht er mir oft schon am frühen Morgen von der nothwendigsten Arbeit fort. Zwar holt er das Versäumte rasch und gut wieder ein, aber ich mag doch eine solche Unordnung nicht leiden und werde ihn, obgleich es mich herzlich sauer ankommen wird, schließlich fortschicken müssen.“

„Nein, das wirst Du nicht, Alter. Er ist in allem Andern so brav und so — so — so — ich weiß nicht, wie ich sagen soll, aber es ist mir immer, als sollten wir uns dafür bedanken, daß er mit uns fürlieb nimmt. Er ist Dir ja selbst ans Herz gewachsen, und nur Deine strenge Ordnungsliebe stößt sich an Dinge, welche er gewiß unterlassen würde, wenn er dürfte.“

„Na, ich will nicht mit Dir zanken und gebe auch gern zu, daß ich im Uebrigen einen ganz gewaltigen Respekt vor ihm habe, aber er könnte doch wenigstens sagen, was ihn so oft von der Arbeit abhält. Gestern ist er wieder den ganzen Tag fort gewesen, und heut steht er nun sogar während der Mittagsstunde draußen und hämmert drauf los, als wolle er den Ambos in den Boden hineintreiben. Aber wer kommt da? Ein Schlitten mit einem Fremden. Da wirds wohl etwas auszubessern geben.“

Der Passagier stieg aus, sprach einige kurze Worte zu dem Gesellen und trat dann in die Stube.

„Grüß Gott! Kann ich einige Augenblicke hier verweilen?

Meine Deichsel ist abgebrochen und ich muß mir ein Band darumlegen lassen.“

„Willkommen, machts Euch bequem, Herr! Ich werde gleich mit zugreifen, damit Ihr nicht lange aufgehalten werdet.“

Weißpflog ging hinaus, und die gesprächige Meisterin befand sich bald in lebhafter Unterhaltung mit dem Fremden, der den Reisepelz abgeworfen hatte und beobachtend am Fenster stand. Den männlich schönen Kopf leicht zurückgeworfen, strich er sich den blonden welligen Vollbart und ließ die freundlichen, blauen Augen forschend durch die Stube schweifen. In kurzer Zeit hatte die inquirirende Wirthin erfahren, daß er ein Augenarzt sei, der nach Dresden reise, um einen dortigen vornehmen Blinden zu besuchen. Erfreut von dieser Entdeckung erzählte sie ihm von Augusten und bat, das Mädchen einmal holen zu dürfen. Lächelnd nickte er mit dem Kopfe, und einige Minuten später trat die Genannte ein.

Er hatte sich bei ihrem Eintritte erhoben und schien ihr entgegentreten zu wollen. Bei ihrem Anblicke aber blieb er wie gebannt stehen und achtete nicht auf die vorstellenden Worte der Wirthin.

„Anna!“ klang es hell und jubelnd.

„Ich heiße Auguste.“

Er ließ die erhobenen Arme langsam sinken und wandte sich an die Hausfrau.

„Nanntet Ihr sie nicht Anna, als Ihr mir vorhin von ihr erzähltet?“

„Nein; sie heißt Auguste.“

„Ach so, dann habe ich mich verhört.“ Aber trotz dem Bestrebens, die Aufregung zu verbergen, zuckte es über sein Gesicht wie freundliches Wetterleuchten, und voll und innig strahlte sein Blick auf das Angesicht des schönen Kindes herab.

„Tritt einmal näher und laß mich Dein Auge sehen.“

Er zog aus der Tasche seines Pelzes ein durch ein kostbares Etui verwahrtes Glas, ließ die durch dasselbe gesammelten Lichtstrahlen auf die erkrankten Gesichtsorgane fallen und besichtigte dieselben dabei sorgfältig durch ein vorgehaltenes Instrument. Als er dasselbe absetzte, ließ er die eine Hand auf ihrem Köpfchen ruhen und zog dasselbe zu sich heran.

„Du wohnst in der Oberstube?“

„Ja.“

„Hast Du einige dichte Tücher, um die Fenster zu verhüllen?“

„Ja.“

„Komm, laß uns hinaufgehen.“

Es war eine so liebe, trauliche Stimme, mit welcher er zu ihr sprach, und ihre Seele athmete diesen Klang ein wie der Genesende mit Entzücken den lindernden und belebenden Duft der Maien trinkt. Noch lag ihr Haupt an seiner Brust; sie fühlte den stürmischen Schlag seines Herzens und hätte an demselben mit innigem Vertrauen liegen mögen immer und allezeit. Es war ihr, als müsse sie diesem fremden Manne angehört haben seit dem ersten Augenblick ihres Lebens, und als müsse sie sein eigen bleiben auch bis zur letzten Stunde desselben. Ohne Widerstreben duldete sie das liebkosende Streicheln seiner Hand, und ohne Widerstreben folgte sie ihm dann auch nach oben.

Als sie aus der Stube traten, richtete Goldschmidt einen fragenden Blick auf den Arzt, den derselbe mit leisem, unbemerkbaren Nicken erwiderte und schritt dann dem Meister nach, welcher, das rauchende Eisen in der Zange, nach dem Schlitten ging.

Die Reparatur war in kurzer Zeit vollendet und eben als die Pferde wieder vorgespannt wurden, kam auch der Herr des Geschirres wieder die Treppe herabgestiegen und trat zum Meister.

„Ich wünsche, daß Euch Euer Werk so gelungen sei wie mir das meinige gelungen scheint, wenn nicht störende Umstände meine Erwartungen zu nichte machen. Ich habe das Mädchen operirt und die nothwendigen Weisungen hinterlassen. Die Binde bleibt liegen, bis ich wiederkomme um sie selbst abzunehmen. Hier Eure Bezahlung, Meister, und hier auch ein Trinkgeld für Dich.“

Ohne nach dem Lohn der Arbeit zu fragen reichte er dem Schmied ein Geldstück und drückte auch dem Gesellen mit einem bedeutungsvollen Blick etwas in die Hand. Dieser blieb dankend stehen, verfolgte das sich wieder entfernende Geschirr einige Zeit lang mir nachdenklichem Blick und öffnete dann unbemerkt von dem Meister, welcher schon in die Werkstatt zurückgetreten war, das Billet, welches ihm als Trinkgeld übergeben worden war. Es enthielt nur wenige von einer fast unleserlichen Hand geschriebene Zeilen, die eine allerdings ungewöhnliche Orthographie zeigten:

„An dem Schmiedegesehlen Goldschmid.

Wir komen, und wen der Deibel nicht vorher holt, den hohlen Wir. Schafe Er Uns den Kerhl und Alte wird das Seiniche

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tuhn. Die Läute werden in der bewußten Zeit da sein und der Doktor miet.

Sein ahlter

Leopold.“

Einige Tage waren vergangen. Draußen pfiff der Wind und häufte den Schnee zu mannshohen Wehen empor. Desto wohler und gemüthlicher saß es sich in der warmen Stube, wo die Bewohner der Schmiede um den Tisch saßen und sich mit der Neuigkeit beschäftigten, welche trotz des Unwetters schon am frühen Morgen -

Morgen von Dresden her ihren Weg nach Hohenthal gefunden hatte. Bei Kesselsdorf war es zu einer Schlacht gekommen,15) bei welcher auf Seite der Preußen der Fürst von Anhalt-Dessau kommandirte. Trotz der kurzen Zeit war das sonderbare Gebet des alten Haudegens schon in den schwatzhaften Mund der Fama gekommen, aber man befand sich noch in vollständiger Ungewißheit über die Erfüllung desselben. Da ließen sich stampfende Fußtritte vernehmen, welche den angeballten Schnee vor der Thür abzutreten suchten, und gleich darauf trat der Forstgehilfe Franz ein.

„Guten Tag! Ist der Goldschmidt zu Hause?“

„Schön Dank! Der ist droben in seiner Kammer; er wird seine Sachen packen.“

„Seine Sachen packen? Weshalb?“

„Weil er fort will.“

„Fort? Wieso?“

„Weiß ichs? Mit Euch hat er bessere Kameradschaft gehalten als mit mir, Ihr müßts also wissen.“

„Ich weiß von nichts, und von großer Kameradschaft ist gar keine Rede gewesen. Er hat das Treiben des Junker beobachtet, und ich bin ihm dabei behülflich gewesen; das ist Alles.“

„Den Junker? Weshalb denn?“

„Hat mir nichts darüber gesagt, aber ich glaube, wegen der Auguste, auf die der Blauweiße ja immer ein Auge gehabt hat.“

„Wißt Ihr nicht, wie sich der Mensch damals benommen hat, als er da draußen im Waldhause so jämmerlich zugerichtet worden ist?“

„Nein! es hieß am Tage darauf, er sei verreist, und das ist auch wahr gewesen, denn ich habe ihn seit der Zeit nicht wieder gesehen als eben heut Morgen. Es war so still und ruhig jetzt, da er nicht da war, und nun kommt er heut früh von Dresden hergeritten, daß das Pferd dampft und bringt gleich einen Sack von Bosheit und Schlechtigkeit mit.“

49431.

„Was gibt’s denn?“

„Ruft mir nur den Goldschmidt; das ist der Einzige, der vielleicht helfen kann.“

„Na, da bin ich neugierig. Richard, he, komm doch ’mal herunter!“

„Daß der auch grad jetzt fort will! Im Winter läuft man doch nicht auf der Wanderschaft draußen herum, und hier bei Euch hat er es doch auch nicht schlecht gehabt.“

„Das denke ich eben auch. Aber er hat immer seinen Kopf für sich gehabt und läßt sich in keinem Stücke zureden.“

Der Gerufene trat ein und erwiderte den Gruß des Forstwarts.

„Ihr wollt fort?“

„Ja.“

„Aber der Blauweiße ist wieder da.“

„Ich weiß es.“

„Und führt Böses im Schilde.“

„Ich weiß es.“

„Auch gegen Euch.“

„Ich weiß es.“

Verdutzt sah ihn der Alte an.

„Das ist nicht möglich! Er ist ja heut erst gekommen, und ich habe ihn drüben in Pleiße16) auf der Försterei getroffen. Hier ist er noch gar nicht gewesen, und Ihr könnt also unmöglich etwas wissen.“

Doch vielleicht; ich will Dirs beweisen. Der alte Dessauer hat gestern die mit Schnee und Eis bedeckten Höhen von Kesselsdorf mit seinen Grenadieren erstürmt und den Feind vollständig besiegt. Heut wird der König auf dem Schlachtfelde eintreffen und dann Dresden in Besitz nehmen. Noch weiß man nicht, welche Folgen dies haben wird; aber es steht der Fall sehr zu erwarten, daß Sachsen viel Soldaten braucht, und deshalb wird man sich so schleunig wie möglich nach brauchbaren Leuten umsehen. Der Rittmeister von Krieben, welcher im Juli hier gestanden hat, wird die hiesige Gegend absuchen und heut bei Hohenthal anfangen, und der Junker, welcher einen besonderen Pik auf mich hat und die Verhältnisse der Umgegend genau kennt, ist ihm dabei behülflich. Ich werde also wohl Fahnenschmied werden müssen und packe deshalb meine Sachen, damit ich den Herren keinen Aufenthalt verursache. Nach beendigtem Geschäfte wird der Herr Junker, dem es in der Nähe der Preußen ein wenig zu schwül ist, nach Oesterreich gehen und als ehrlicher Mann vorher die Arbeit bezahlen, welche er unsern beiden Hausgenossen noch schuldig ist.“

„Wahrhaftig, so ist es. Ich habe die Unterredung belauscht, welche er mit dem Rittmeister hatte, und bin gleich hergekommen um Euch zu warnen. Man kann nicht wissen, wenn sie kommen, und es ist besser, wenn sich die militärfähigen Burschen verstecken. Aber woher wißt Ihr das Alles?“

„Laß das gut sein. Kannst Du reiten?“

„Ja, ich war Kavallerist.“

„Wie viel hast Du Gehalt?“

„Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.“

„Ich kenne einen vornehmen Herrn, welcher einen Jäger braucht, auf den er sich verlassen kann. Willst Du die Stelle einnehmen? Du wirst es gut, sehr gut haben.“

„Mit tausend Freuden.“

„Pack Deine Sachen. Heut abend mußt Du zur Abreise fertig sein.“

„Das Packen hat bei mir keine Schwierigkeit. Ich bin ein alter Junggeselle, habe Niemanden, der sich um mich bekümmert, und bringe meine sieben Sachen recht gut in ein Felleisen.“

„Gut, da kannst Du Dir jetzt das Meinige mitnehmen.“

„Aber das braucht Ihr doch selbst.“

„Schwerlich. Komm mit herauf, Du bekommst noch besondere Instruktion.“

Und sich an der Thür noch einmal zurückwendend, mahnte er in gebieterischem Tone:

„Von unserer Unterredung darf kein Wort aus dem Hause gehen.“

Der Nachmittag kam und mit ihm die Kunde von der verlorenen Schlacht. Das Schneegestöber hatte aufgehört. Die Dezembersonne milderte die winterliche Kälte, und die aufgeregten Bewohner Ernstthals standen vor ihren Thüren und auf den Straßen, um sich die Neuigkeit mitzuteilen. Weißpflog saß mit den beiden älteren Frauen in der Unterstube, der Geselle war in seiner Kammer und Auguste befand sich allein in ihrer Wohnung.

Sie war voll Angst und Sorgen. Die letzten Tage hatten ihr viel Nachdenken über ihren eigenen Zustand gebracht und auch die Mutter in Aufregung versetzt. Wer war der fremde Arzt, und wo

war er hingefahren? Die Mutter war bei einer befreundeten Familie mit Nätherei beschäftigt gewesen und hatte bei ihrer Heimkehr am Abende mit Ueberraschung die Nachricht von dem Geschehenen gehört. Am meisten war ihr das Verhalten des Arztes beim Eintritt Augustens und zwar ganz besonders die Namenverwechslung aufgefallen; aber sie wagte ihre Vermuthungen nicht auszusprechen. Die zurückgelassenen Anordnungen wurden auf das Gewissenhafteste befolgt und mit Ungeduld der Tag erwartet, der ihnen Gewißheit und Aufklärung bringen sollte.

Aber nicht das, sondern etwas Anderes beschäftigte die Gedanken Augustens heut. Seit jenem Heimweg aus dem Waldhause hatte sie noch nicht wieder mit Goldschmidt gesprochen. Sie hatte gefühlt, daß sie ihm zu eigen sei für die ganze Lebenszeit; aber sie war ein zu verständiges Mädchen, um nicht einzusehen, daß eine blinde Frau den Ansprüchen nicht genügen könne, welche Handwerk und Geschäft stets und immer an die „Meisterin“ machen. Deshalb war sie fest entschlossen gewesen, ihre Liebe im treuen, warmen Herzen zu hegen, aber keinerlei Konsequenzen aus derselben zu ziehen. Dieser Entschluß war freilich dann durch die Hoffnung erschüttert worden, welche der Arzt in ihr erweckt hatte, und je mehr sie sich derselben hingab, desto weher tat ihr die scheinbare Theilnahmlosigkeit Goldschmidts, welcher nie das Zimmer betrat, welches sie hüten mußte. Seit gestern wußte sie sogar, daß er fortgehe, und heut hatte ihr die Nachricht erschreckt, daß ihm von Seiten der Werbung Gefahr drohe.(Schluß folgt.)

50032.

Die Rose von Ernstthal.

Eine ErzählungvonKarl Hohenthal.

(Schluß.)

So wandte sie sich in Befürchtungen und Zweifeln und konnte zu keiner Ruhe kommen.

Da klopfte es leise an die Thür, und eine Stimme, bei deren Klange ihr das Blut in die Wangen stieg, fragte:

„Darf man eintreten?“

„Richard!“

„Ja, ich bin es. Ich wußte, daß Du jetzt an mich denkst, und kannte die trüben Gedanken Deiner Seele. Da bin ich denn gekommen um Dir noch einmal zu sagen: Vertraue Gott und mir!“

„Mir ist nicht angst um mich.“

„Sondern nur um mich. Ich weiß es; aber ebenso weiß ich auch, daß diese Angst noch heut von Dir genommen wird. Und da möchte ich gern eine Bitte aussprechen.“

„Sprich!“

„Wenn Deine Gefühle heut von einem recht glücklichen Ereignisse in Anspruch genommen werden, so sei stark, recht stark, damit die Aufregung nicht Dir und uns Allen den Erfolg der ärztlichen Behandlung vereitele. Komm, schließe Deine Augen!“

Er nahm ihren Kopf, schob die Binde zurück und berührte leise küssend die geschlossenen Lider. Dann zog er die Binde wieder herab.

„So, und nun sei der Allgütige mit seinem Segen bei Dir in dem Augenblicke, der Dir das Licht des Tages bringen soll. Und eins noch wisse: An meinem Herzen ist Deine Heimath jetzt und immerdar, mag Dir der heutige Tag Erfüllung oder Versagung des heißesten unserer Wünsche bringen.“

„Es kommen Reiter die Straße her!“ rief in diesem Augenblicke der Meister herauf.

„Richard flieh!“

„Nein, mein Kind; diese Leute sind mir ungefährlich. Leb wohl für jetzt.“

Er nahm ihre Arme von seiner Schulter herab und entfernte sich. Sie hörte ihn in seine Kammer gehen und dann raschen klirrenden Schrittes die Treppe hinabsteigen und das Haus verlassen.

Es war eine Schwadron sächsischer Reiter, welche von Chemnitz her im Galopp in Ernstthal einritt. Im Nu wurden die Häuser besetzt und die Bewohner keinen Augenblick lang über den Zweck dieses eiligen Besuches in Ungewißheit gelassen. In Zeit von einer halben Stunde waren die kräftigsten und tauglichsten unter den vorgefundenen jungen Leuten auf dem Marktplatze zusammengetrieben, und wehklagend folgten die Angehörigen derselben ihnen nach.

„Wort gehalten, Krieben! Hier bin ich und bringe Dir, wie ich heut Morgen versprach, auch den Rappenhengst mit, der allerdings unverbesserlich ist. Nimm ihn wieder hin; er ist nicht zu gebrauchen.“

Es war der Junker, welcher auf einem jungen feurigen Trakehner saß und statt des blauweißen Kavalieranzugs Offiziersuniform trug.

„Willkommen, Bredenow! Wie stehts mit Deinem Schätzchen und mit unserem Fahnenschmied? Wir haben alles Disponible beisammen und doch sehe ich ihn nicht dabei.“

„Werde ihn schon bringen! Mußte mich doch vor allen Dingen erst Dir zeigen. Sind die Wagen besorgt?“

„Ja wohl, eine Equipage für die beiden Frauen und ein Bagagewagen für das Uebrige. Der Kutscher hat Weisung,aug der Obergasse in der Nähe des Hauses zu halten.“

„Schön, ich werde den Burschen jedenfalls bei den Weibern finden, da er auf die Rolle eines Schutzgeistes so außerordentlich passionirt ist. Gib mir ein kleines Detachement Deiner Leute mit.“

„Dort halten sie, lauter auserlesene Riesen. Mit ihnen wird er es wohl nicht aufnehmen.“

Weißpflog war mit dem Rufe, daß Reiter kämen, in die Stube zurückgeeilt und hatte den sich entfernenden Gesellen gar nicht gesehen. Nur einige Minuten nach dem Einreiten der Schwadron drangen einige Reiter auch in sein Haus und fragten nach jungen Leuten. Er führte ihnen die anwesenden Bewohner vor, und da das Gesuchte hier nicht zu finden war, rückten die Menschenjäger wieder ab. Als er ihnen nachblickte, bemerkte er rechts von seiner Wohnung hinter den zur damaligen Hintergasse gehörigen Gärten zwei Geschirre, welche mit militärischer Eskorte da hielten. Die

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Sache konnte ihm nicht auffällig sein, und so trat er wieder in das Wohnzimmer zurück.

Da ertönte nahender Hufschlag, und eine zweite Abtheilung Reiter hielt vor der Thür. Die Leute saßen ab und traten ein.

Mit Schrecken erkannte er in dem Offizier an der Spitze den Junker.

„Guten Tag, Meister Weißpflog. Ich bin Hauptmann von Bredenow und komme, mich nach dem Befinden Eures Gesellen zu

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len zu erkundigen. Ist er wohlauf oder liegt er unter dem Bette?“

„Wenn der zu Hause wäre, versteckte er sich aus Angst vor Euch gewiß nicht unter das Bett, darauf verlaßt Euch!“

„Ach so, also nicht zu Hause, ausgerissen ist der Kerl? Ich werde nach ihm suchen lassen, macht Ihr mir Flausen, so ists Euer eigener Schaden, ist er aber wirklich entwischt, so steht Ihr mir für ihn ein. Vorwärts, Ihr Leute!“

„Ich wüßte nicht, daß mir mein Gesell als Euer Gefangener zur Bewachung übergeben worden wäre.“

„Maul halten; bei uns regiert der Stock!“

Der Schmied fügte sich in das Unvermeidliche und nahm auf dem Kanapee Platz, während der Hauptmann in der Stube auf und ab spazierte. Nach einer Weile traten die Soldaten mit der Meldung ein, daß jeder Winkel des Hauses durchsucht und der Geselle nicht zu finden sei.

„Verflucht! Da entgeht mir ein Gaudium, auf welches ich mich seit langer Zeit gefreut habe. Heda, alter Sünder, merk Dir mal den Auftrag, den ich Dir an ihn gebe, denn wiederkommen wird der Hase ganz gewiß. Du sagst ihm einen Empfehl von mir und die Damen aus der Oberstube hätten mich begleitet, doch würde ich beiden die Erlaubniß zur Rückkehr nicht versagen, wenn er den Muth hätte, sich beim Rittmeister von Krieben als Fahnenschmied zu melden!“

„Herr Hauptmann!“

„Maul halten, sage ich; hier wird nicht gemuckst und nur mein Wort gilt! Holt die Frauenzimmer herunter!“

„Aber Auguste wird vor Schreck —“

„Wenn Du nur noch einen Mucks thust, lasse ich Dich durchfuchteln!“

Der Meister schwieg; die Soldaten gingen wieder nach oben und brachten die angsterfüllten Frauen herab, denen Bredenow die Mittheilung machte, daß sie die Ehre hätten, ihn auf einer kleinen Urlaubsreise zu begleiten. Auguste schwieg, die Mutter aber brach in ein lautes Wehklagen aus, welches ihr allerdings nichts half. Wie sie standen und gingen mußten sie den herbeigeholten Wagen besteigen, und nachdem einer der Leute sich als Sauvegarde17) ihnen gegenüber gesetzt hatte, fuhren sie dem Markte, als dem allgemeinen Sammelplatze zu. Der Hauptmann gab noch die Weisung, das Nothwendige an Wäsche und Kleidern auszusuchen und auf den Bagagewagen zu packen, und ritt dann den Vorangeschickten nach.

Krieben zeigte sich erzürnt, als ihm das Verschwinden des Gesellen mitgetheilt wurde; da er sich aber vor den etwa nachfolgenden Preußen nicht ganz sicher wußte, so wollte er mit weiteren Nachforschungen keine Zeit verlieren und ließ zum Sammeln blasen. In kürzester Zeit hielt die Schwadron in Reih und Glied vor ihm; die rekrutirten Burschen hatten Platz auf den Reservepferden gefunden und die Wagen bildeten den Schluß der Aufstellung. Noch standen die Offiziere, während ihre Pferde von den Burschen gehalten wurden beisammen, um vom Rittmeister die Dispositionen zu erhalten, da sauste es die Hintergasse herein und mit fliegender Mähne und wehendem Dolman18) setzte es über den letzten Wagen hinweg, bog scharf um die Fronte herum und hielt vor den überraschten Herren.

„Ein Ziethen, ein Ziethen!“ riefs von Mann zu Mann die ganze Fronte herunter.

„Verzeihung, Herr Rittmeister, ich habe mich hier eines Auftrages meines Königs und Feldherrn zu entledigen.“

Und sich zu dem Junker wendend, setzte er mit lautschallender Stimme hinzu:

„Hauptmann von Bredenow, ich verhafte Euch im Namen Eures Monarchen als Hochverräther und Spion!“

Augenblicklich hatten die Offiziere, um sich des verwegenen Mannes zu bemächtigen, einen Kreis um ihn gebildet. Lächelnd blickte er auf sie herab und fuhr mit ebenso lauter Stimme fort:

„Ich erkläre diese Stadt in Kriegszustand und alle hier befindlichen Militärs zu meinen Gefangenen.“

Er zog das Pistol aus der Halftertasche und feuerte es ab, in demselben Augenblicke erschallte Pferdegetrappel von allen auf den Markt mündenden Gassen her, und ehe die halb verblüfften, halb erstaunten Sachsen einen Entschluß fassen konnten, waren sie von einer dreifach überlegenen Anzahl Preußen umstellt.

Da ertönte aus der Mitte der umstellten Offiziere ein Fluch.

Der Trakehner stieg unter einem kräftigen Sporendruck in die Luft, flog durch die Glieder der noch nicht ganz schußfesten Preußen hindurch und trug seinen Reiter die Hintergasse hinaus.

Keiner der strenggeschulten Husaren machte Miene, den Fliehenden ohne besonderen Befehl zu verfolgen; nur der zuerst angekommene Offizier gab den herbeieilenden Kameraden einen kurzen Wink, drängte seinen Fuchs an die Reservepferde der Sachsen und

saß mit einem kühnen Sprunge auf dem ungesattelten Rapphengst, welchen der entflohene Junker seinem zweiten Besitzer wieder übergeben hatte. Mit lautem freudigem Wiehern erhob sich das Thier auf die Hinterbeine, drehte sich im Kreise und schoß dann mit seinem Reiter davon.

„Herr Kamerad, Euern Degen! Ich übernehme an Stelle des soeben abgerittenen Herrn Oberstlieutenant das Kommando dieser Stadt. Ihr seht, daß jeder Widerstandes unnütz sein würde.“

„Sehr wohl, Herr Major. Die Chancen des Tages sind gegen uns, und ich ergebe mich in der Erwartung, daß Ihr in dieser Handlungsweise nichts findet, was meiner Offiziersehre Abbruch thun könnte.“

„Bewahre! Laßt Eure Leute absitzen und die Waffen ablegen. Lieutenant Rhaden, Ihr reitet mit einem Dutzend Eurer Leute dem Herrn Oberstlieutenant schleunigst nach. Wen haben wir da in der Equipage? Ah, sind das vielleicht die beiden Damen, Franz, von denen uns so viel Gutes erzählt ist?“

„Zu Befehl, Herr Major; ich fand sie soeben erst hier und hörte von ihnen, daß der Junker sie angeblich als Geiseln für den Herrn Oberst — wollte sagen für den Goldschmidt mitgenommen habe.“

„Ach so, eine neue Infamie; der Mensch hat nicht nur einen Stein, sondern einen ganzen Steinbruch bei uns im Brette. Meine Damen, Ihr befindet Euch natürlich wie die andern Gefangenen alle auch jetzt wieder im Besitze der vollsten Freiheit! Du, Franz, setzest Dich auf und fährst sie in ihre Wohnung zurück.“

Mit einem höflichen Salut nahm er Abschied von den geängstigten Frauen, und nachdem Kutscher und Sauvegarde zu den übrigen Kriegsgefangenen gesellt worden waren, fuhren die Wagen den Leichenweg wieder hinaus. Mit lautem Jubel wurden sie von den Meistersleuten begrüßt.

„Na, steigt nur hinauf in Eure Stube, es erwartet Euch Besuch oben!“

„Wer denn?“

„Ein Offizier oder so etwas.“

Sie gingen hinauf, die Mutter öffnete die Thür und richtete den Blick auf den Mann, welcher am geöffneten Fenster stand. Die hohe, stolze Gestalt wurde vortheilhaft durch die Uniform und glänzende Auszeichnung eines Stabsarztes hervorgehoben; die Wellen des langen, blonden Vollbartes schmiegten sich weich an die goldenen Tressen des Waffenrockes, und die Augen, tiefblau und freundlich, begrüßten mit erwartungsvollem Leuchten die Eintretenden.

„Emil!“

„Anna!“

Beide stießen den Ruf zugleich aus. Beide hatten sich trotz der langen Zeit der Trennung sofort erkannt und flogen einander in die Arme. Mit aller Kraft hielten sie sich umschlungen, hingen Lippe an Lippe und vergaßen im Entzücken des Wiedersehens die Tochter, welche, von ihren Gefühlen übermannt an der Thür lehnte. Lange, lange wartete sie, daß man sich auch ihrer erinnern werde, aber vergebens. Da klang es leise:

„Vater!“

„Kind, mein liebes, liebes Mädchen! Laß mich, meine Anna!“

Er stürzte auf Auguste zu und nahm sie in die Arme, die Mutter folgte und legte die Hände auf das Haupt des Kindes.

„Nimm sie hin, Emil! Sie ist das Einzige, was ich besitze und Dir bieten kann, aber es ist das Kostbarste, was Dir mein Mutterherz aufbewahrt hat.“

Er entgegnete kein Wort, aber Kuß auf Kuß nahm er von dem schönen, unentweihten Munde, welchen noch nie die Lippe eines Mannes berührte. Der Vater vermochte vor Seligkeit nicht zu sprechen, aber der Arzt machte sich endlich doch geltend.

„Bitte, Anna, schließe das Fenster!“

Als das geschehen war, forschte er fragend:

„Du hast heut viel Erschrecken gehabt, Auguste?“

„Nein, Goldschmidt bat mich, stark zu sein, und was er bittet, das muß ich gewähren.“

„Du hast ihn lieb?“

„Ja, unendlich lieb, mein Vater.“

„Ich danke Dir, diese Liebe ist einer meiner höchsten Wünsche. Fühlst Du etwas Fremdes, Störendes, Krankhaftes in Deinem Auge?“

„Nein; ich habe das Gefühl des Wohlbefindens darin.“

„Dann wollen wir mit Gott die Binde entfernen.“

Er nahm sie ab. Noch hielt das Mädchen die Lider geschlossen, dann hob sie langsam und zagend dieselben und richtete den ersten Blick auf die Mutter.

„Mutter, ich sehe Dich!“ und freudig setzte sie unter heißer Umarmung hinzu: „Noch viel besser und deutlicher als früher.“

Dann wandte sie sich an den Vater.

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„Vater, mein lieber, lieber, schöner, herrlicher Vater!“

Und wieder hielten sich die Drei umschlungen, und hätte nicht die Stimme des Arztes vor Thränen warnen müssen, so hätte die überwältigende Freude Vater, Mutter und Tochter wortlos gemacht.

Da ertönte unten in dem Hausflur eine volle, kräftige Stimme. Auguste fuhr in die Höhe.

„Das ist Richard.“

„Den sollst Du allein empfangen; komm, Anna.“

Die Eltern traten in die Schlafstube, und das Mädchen befand sich allein mit ihrem Glücke. Ja, glücklich war sie jetzt; denn nun, da sie sehen konnte, gab es keine Kluft mehr zwischen ihr und dem Geliebten, und mit erhobenen Armen eilte sie nach der Thür, als sie seinen elastischen Schritt näher klirren hörte. Aber erschrocken ließ sie, als er unter der geöffneten Thür stand, die Arme wieder sinken. Vor ihr stand ein hoher Offizier in der kleidsamen Tracht der Ziethenhusaren, dessen großes, blitzendes Auge wie ein Himmel voll Sonnen ihr entgegenleuchtete. Verwirrt senkte sie den Blick, aber auch nur einen einzigen Augenblick lang.

„Gustel, meine süße, herzige Gustel, Du kannst wieder sehen!“

Mit einem Sprunge stand er bei ihr, faßte sie um den schlanken Leib, hob sie hoch in die Höhe, zog sie wieder an die mit Sternen und Ordensbändern bedeckte Brust, hob sie wieder in die Höhe, drückte sie wieder an sich und ließ ihr gar keine Zeit, die nach ihm suchenden Arme um seinen Hals zu legen. Nur Worte waren ihr möglich, und diese Worte klangen jubilirend aus einem Wonne athmenden Herzen, das fast zu eng und zu klein war für das Entzücken dieses Augenblickes. Endlich legte sich der Sturm der ersten Freude und ruhig standen sie bei einander, Brust an Brust und Mund an Mund.

„Richard, Du lieber, böser Mann, wie bist Du so geheimnißvoll und verschwiegen gegen mich gewesen!“

„Und willst Du auch jetzt noch Deiner Liebe entsagen und mich fortgehen lassen ohne Glück und ohne Stern?“

„O nein, nein, nein! Aber wie kannst Du diese Gedanken wissen?“

„Deine reine Seele wurde noch nie von dem Hauch der Sünde getrübt, und da war es mir leicht, jede Regung Deines Herzens zu erkennen, noch ehe Du selbst ihrer bewußt warst. Also Du wirst den Oberstlieutenant oder Oberstwachtmeister19) ebenso lieb haben, wie es Dir der arme Geselle gewesen ist, dem die Strümpfe durch die Stiefeln blickten?“

„Willst Du mich wirklich noch fragen?“

„Nein; aber wo ist der Vater und wo ist die Mutter?“

„Hier sind wir!“ riefen die beiden jetzt Eintretenden.

„Herr Doctor und Kamerad, ich habe die herzliche Freude, Euch hier die Rose von Ernstthal vorzustellen, welche ich unter duftenden Erdbeeren fand und jetzt zur Winterszeit in einen Garten versetzen möchte, damit sie da geschützt vor rauhen Stürmen sei und blühen könne, mir zum Glücke und den Eltern zur Freude. Darf ich einen kleinen Strahl des von Euch geöffneten Auges auch für mich in Anspruch nehmen?“

„Nimm sie hin, mein Sohn, und verzeihe dem Vater, der seiner Liebe untreu wurde, nur weil er beim Scheiden von der Geliebten nicht ahnte, daß es bald ein Wesen mehr geben werde, welches zu Ansprüchen an ihn berechtigt sei!“

„Und Ihr, meine Mutter?“

„Ich gebe Euch mein Kind; mehr kann Euch Niemand geben.“

„Hollah!“ riefs unter der Thür, „wir Drei, nämlich ich, meine Frau und der Franz wollen wissen, ob die Sache da unten — — — alle Wetter, das ist ja der Goldschmidt!“

„Freilich, Meister, ist ers, der Erzstrick, der Tag und Nacht draußen herumlaufen mußte, weil er noch andere Dinge zu thun hatte, als zu hämmern und zu feilen.“

Mit offenem Munde standen Weißpflogs da und staunten den ehemaligen Zeug-, Huf- und Waffenschmied an.

„Aber was ist denn das Richtige? Ein General kann doch nicht Fensterbänder machen, und ein Schmied kann doch kein Regiment kommandiren!“

„Zuweilen doch, und bis zum General hats noch gute Weile.“

„Na, ich muß es lassen wie es ist; aber wegen dem Erzstrick, da bitte ich um Verzeihung.“

„Wird gern vergeben. Dieser Herr da ist der Vater Augustens.“

„Ists möglich? Da hat ja mein Haus bis unter die Hahnebänder voll Geheimnisse gesteckt.“

„Und dieses Bild da hat Richard gemalt!“ wandte sich Wallner an die Mutter. „Die Bleistiftskizze hat ihn auf die richtige Spur

geführt, da wir uns früher beim Militär gesehen hatten. Daß wir uns gefunden haben, danken wir ihm alleine.“

Die Erklärungen flogen hin und her, und des Fragens und Antwortens war kein Ende zu finden, bis sich endlich der frühere Geselle erhob.

„Jetzt muß ich mich beurlauben; mich ruft der Dienst. Vater wird Euch bis zu meiner Rückkehr unsere Bestimmungen mitteilen. Wir verlassen heut noch Hohenthal. Ihr geht zu Wagen unter Begleitung Franzens und einer militärischen Eskorte nach Dresden, wo auch ich morgen einzutreffen habe. Von da führt Euch Franz, der von heut an als Jäger in meinem Dienst steht, auf mein Stammgut, und wenn die Besetzung Dresdens den erwarteten Frieden herbeiführt, werden wir dort bald vereinigt sein. Für jetzt aber adieu!“

Als er auf dem Markt ankam, standen die Truppen bereits zum Abmarsch bereit. Sein suchender Blick fand unter den Gefangenen den schwer gefesselten Junker und ebenso den Rittmeister von Krieben. Auf Letzteren schritt er nun zu.

„Ehe wir uns in Bewegung setzen, wollen wir erst unser Privatgeschäft in Ordnung bringen, Herr Rittmeister.“

„Privatgeschäft, wie so?“

„Ich meine unsern Tauschhandel.“

„Ihr setzt mich in Verlegenheit, Herr Oberstwachtmeister!“

„Gut, ich muß Eurem Gedächtniß zu Hilfe kommen. Mein Name ist Göbern.“

„Ah, dann seid Ihr ein Verwandter des Rittmeisters von Göbern, welcher — —“

„Nicht ein Verwandter, sondern er selbst. Der militärische Grad darf Euch nicht irre machen; ich rückte in Folge unseres Pferdetausches zum Major und einiger andern Kleinigkeiten wegen in meine jetzige Stellung empor. Aber Ihr besinnt Euch wohl eines Verbrechens [Versprechens], mit welchem ich mich damals verabschiedete?“

„Gewiß,“ antwortete erröthend der Rittmeister.

„Nun, den Rappen, welcher alle abwirft, habe ich schon wieder an mich genommen, und der Fuchs steht dort zu Euren Diensten. Er ist stets beim Regimente geblieben und also nicht aus der Schule gekommen.“

„Ich danke. Darf ich mir noch eine Frage erlauben?“

„Wie seid Ihr vorhin so schnell und allein Meister des — des — des Junkers von Bredenow geworden?“

„Pah, ich habe ihn einfach über den Haufen geritten und dann den nachfolgenden Leuten übergeben. Herr Major!“

„Herr Oberstlieutenant!“

„Befehlt den Aufbruch. Ich werde jetzt in meine Wohnung zurückkehren und erst in einiger Zeit nachfolgen. Ihrer Umsicht habe ich natürlich keine weitere Anweisung zu geben. Adieu!“

„Weißt Du, Richard,“ begrüßte ihn die Braut, „daß ich mein Auge bereits im Lesen versucht habe?“

„Geht es?“

„Ja; ich bin Dir in Deine geheime Korrespondenz gerathen. Von wem hast Du diese so außerordentlich schön und richtig geschriebenen Zeilen? Wir haben sie beim Einpacken in Deiner Kammer gefunden.“

„Erräthst Du es nicht? Dieser „ahlte Leopold“ ist mein Pathe und Gönner, der alte Dessauer, der sich gestern so brav geschlagen hat. Du wirst ihn auch sehen.“

„Wenn und wo?“

„Morgen oder übermorgen. Ich werde Dich natürlich vorstellen müssen.“

„Da wird mir schrecklich bange sein.“

„I bewahre! Der alte Degenknopf ist außer dem Dienste und besonders Bekannten gegenüber ein allerdings origineller, aber bei all seiner Grimmfertigkeit doch gutmüthiger Kopf.“

Aber ich werde bei dieser Vorstellung unmöglich die feinen Manieren einer Edeldame zeigen können.“

„Wird auch von ihm gar nicht verlangt; ich werde überhaupt dabei gar nicht viel Komplimente machen, sondern meine Anrede so kurz wie möglich fassen, und das gerade liebt er.“

„Wie denn zum Beispiel?“

„Ich werde ungefähr sagen: „Durchlaucht, guckt doch einmal her; ich bringe hier

„Die Rose von Ernstthal!“

1) Handlungszeit ist Juli – Dezember 1745.
2) Pflanzengattung der Familie der Sommerwurzgewächse, hier vermutlich der Gemeine Augentrost (Euphrasia officinalis).
3) turbieren: beunruhigen, stören.
4) Heinrich Graf von Brühl (1700—1763), durch seinen großen Einfluß auf den willensschwachen Kurfürsten Friedrich August II. seit 1738 mächtigster Mann in Sachsen. 1746 offiziell zum Premierminister ernannt.
5) Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen (1696—1763), ab 1734 als August III. auch König von Polen.
6) Ende des ersten Schlesischen Krieges 1742, Österreich tritt Schlesien an Preußen ab.
7) Maria Theresia von Österreich (1717—1780), österreichische Regentin.
8) Friedrich II. (1712—1786), König in Preußen, auch Friedrich der Große oder der Alte Fritz genannt.
9) Zweiter Schlesischer Krieg, August 1744 — Dezember 1745.
10) Schlacht bei Hohenfriedberg, 4. Juni 1745/Schlacht bei Soor, 30. September 1745.
11) 19./20.Mai 1745, um dem abgeschnittenen Markgrafen Karl von Schwedt den Befehl zur Vereinigung mit der preußischen Hauptarmee zu überbringen.
12) Französische Redewendung: „na ja“.
13) Leopold I., Fürst von Anhalt-Dessau (1676—1747), preußischer Heerführer.
14) Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde Augenheilkunde als Teil der Chirurgie behandelt, die Praxis lag im Wesentlichen bei ambulanten Starstechern. 1583 erschien das erste Lehrbuch der Augenheilkunde in deutscher Sprache von Georg Bartisch. Der Hinweis auf Frankreich betrifft möglicherweise die Übersetzung des Buches zur Augenheilkunde von Michel Brisseau durch Johann Caspar Sommer (1743). Erste Lehrstühle an deutschen Universitäten für Augenheilkunde entstanden erst Anfang des 19. Jahrhunderts.
15) 15. Dezember 1745.
16) Nebenfluss der Weißen Elster nordwestlich von Zwickau, fließt durch Werdau und Crimmitschau, als Ort nur Neukirchen/Pleiße.
17) Schutzwache für einzelne Personen, Häuser u. a. in Feindesland.
18) Mit silberfarbenen Schnüren besetzte Uniformjacke der Husaren.
19) Oberstlieutenant und Oberstwachtmeister waren in der preußischen Armee nicht gleichzusetzen. Oberstwachtmeister entsprach dem Rang eines Majors, also ein Dienstgrad unter dem Oberstlieutnant.