MobileMenuKarl-May-Gesellschaft → Primärliteratur

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

Erstes Capitel.

Wer hat den hochwohlehrbaren Herrn Stadtkassirer Pappermann in Stolp gekannt? Wohl Niemand, denn der ist nun schon seit langer Zeit zum großen, ewigen Apell gegangen; aber wer ihn kannte, damals, als er noch lebte, der konnte gewiß nicht ohne Respect an ihn denken, und wer nun gar mit ihm persönlich zu thun hatte, oder sonst irgend wie in seine Nähe kam, der empfand ganz sicher jenes Gefühl, welches, wenn es seinen stärksten Grad erreicht, die Eigenthümlichkeit besitzt, eiskalt den Rücken hinab zu laufen.

Er hatte in früheren Jahren bei den Husaren gestanden und es bis zum Wachtmeister gebracht. Da hatte er sich ein strammes, kurzes Wesen angeeignet, war das Befehlen gewohnt geworden und hatte diese Tugenden auch mit in sein späteres Privatleben herübergenommen. Das Reiten war ihm während seiner langjährigen Dienstzeit so unvermeidlich geworden, daß er sich in der dabei nothwendigen Stellung am wohlsten befand. Nie nahm er auf einem Kanapee Platz, und setzte er sich auf einen Stuhl, so geschah es in der Weise, daß er die Lehne vorn in den Händen hatte und mit seinen beiden an den Seiten herabgehenden Beinen den gehörigen Schenkeldruck auf die vier Extremitäten des Möbels auszuüben vermochte. Befand er sich dabei in ruhiger Stimmung, so blieb er auch wie andere Leute am Platze halten, brachte ihn aber irgend Etwas in innere Bewegung, oder gar zur Begeisterung und Exstase, so war es ihm unmöglich, still zu sitzen und er ritt auf dem Stuhle in der Stube hin und her, als habe er seinen alten, lieben Kommisschimmel noch unter dem Sattel.

In einer ähnlichen, inneren Ruhelosigkeit mußte er sich auch jetzt befinden, doch schien dieselbe keine freundliche Ursache zu haben, denn sein hageres Gesicht lag in tiefen Falten und die Hände erhoben sich sehr fleißig von der Stuhllehne zum Schnurrbarte, um die Spitzen desselben zornig in die Luft hinaus zu wichsen. Noch vor fünf Minuten hatte er am ersten Fenster der Stube gesessen und sehnsüchtig hinausgeschaut in die Dämmerung, ob die zwei Kumpane wohl erscheinen möchten, mit denen er heut das gewohnte Spielchen machen wollte. Er hatte Niemanden gesehen und war von der Ungeduld mit seinem Stuhle bis an das zweite Fenster getrieben worden. Dann war er bis zum Dritten geritten, hatte auch da ärgerlich hinausgeschaut, und da sie immer noch nicht kamen, so drehte er den Sessel herum und ritt brummend bis an das zweite zurück. Endlich sogar wieder beim ersten angekommen, fühlte er, daß es mit seiner Geduld nun zu Ende sei. Er drehte sein hölzernes Reitpferd nach der Thür, rüttelte an der Lehne, daß es krachte und fuhr dann mit der Faust durch die Luft, als habe er einen Pallasch in derselben und wolle Jemanden mitten auseinander hauen.

„Himmel-Mohren-Element, ist das eine Zucht mit diesem Civil! Schon seit zwanzig Minuten hat es acht geschlagen und noch ist Keiner da. Es ist doch nicht zum Aushalten mit Leuten, die der Herrgott nicht unters Militär gesteckt hat. Da kann eigentlich nichts Anderes helfen, als nur eine tüchtige Fuchtel! Da bin ich es doch anders gewohnt. Als ich damals bei den Belling-Husaren stand, hatte ich mich so pünktlich gewöhnt, daß alle Tage die Sonnenuhr über der Rathhausthür nach mir gerichtet wurde, wenn ich mit meinem Schimmel die Gasse heraufgeritten kam. Das Civil aber —“

Er wurde unterbrochen. Es klopfte an der Thür.

„Herein!“ rief er mit commandirender Baßstimme.

Ein kleines, dürftiges, vornübergebeugtes Männchen trat ein und grüßte mit einer Freundlichkeit, der ein klügerer Beobachter, als Pappermann war, ganz sicher die Absichtlichkeit angesehen hätte.

„Schönen Diener, Herr Oberstwachtmeister! Ich muß sehr um Entschuldigung bit— —“

„Halte Er das Maul mit Seinem ewigen Oberstwachtmeister, und merke Er es sich doch endlich einmal, daß ich nicht Major, sondern Feldwebel, also Wachtmeister gewesen bin. Es ist doch eine Sünde und eine Schande mit diesem Civil, das nicht einmal einen Dragoner von einem Kochlöffel unterscheiden kann! Warum kommt Er denn volle dreiundzwanzig Minuten zu spät?“

„Ich muß mich sehr entschuldigen, Herr Rittmeister, daß ich — —“

„Wachtmeister bin ich und nicht Rittmeister!“ unterbrach ihn Pappermann donnernd, indem er vor Aerger mit seinem Stuhle einen Seitensprung machte.

„Verzeihung, Herr Wachtmeister — nicht wahr, jetzt war’s richtig? — daß ich nicht eher kommen konnte! Ich hatte eine Abhaltung, die nicht mit angerechnet war.“

„Eine Abhaltung, die giebts gar nicht; eine Abhaltung darf niemals stattfinden; eine Abhaltung ist rein unmöglich. Ja, bei diesem Civil ist Alles gleich: Komm ich heut’ nicht, so komm ich morgen! Beim Militär ist’s freilich ganz anders. Als ich damals bei den Belling-Husaren stand, da kannte man das Wort Abhaltung gar nicht. Einmal beim Distancereiten stand mir ein Thurm im Wege, das wäre für einen Civilisten doch sicher eine Abhaltung gewesen, wie es gar keine größere geben kann. Ich aber bin mit meinem Schimmel im Galopp zur Thür hinein, die Wendeltreppe hinauf und mit einem Riesensprung von oben wieder herab, und das Alles so schnell, daß ich nicht einen halben Zoll zurückgeblieben bin. Was hat es denn eigentlich gegeben, daß Er um dreiundzwanzig Minuten verhindert worden ist?“

„Ich ging über den Markt, um den Gevatter Pfefferkorn

mitzunehmen, und der sagte mir, daß er nicht kommen kann.“

„Was? Der Pfefferkorn kann nicht kommen? Da wird ja aus unserm Spiele Nichts! Weshalb kann er denn nicht?“

„Weil ihm das Podagra wieder in den Beinen liegt. Ich mußte eine ganze Zeit lang bei ihm bleiben, um ihn zu trösten. Daher kam ich so spät.“

„Das Podagra? Ja ja, so was kann nur dem Civil passiren, dem liegt das Reißen alle vierzehn Tage einmal in den Beinen, und dann giebt’s ein Jammern und Wehklagen, daß sich die Steine erbarmen möchten. Da ist’s doch beim Militär ganz anders! Als ich damals bei den Belling-Husaren stand, da lag mir das Podagra einmal so gewaltig im Leibe, daß mir’s die Kniee bis herauf an die Achselschnüre gezogen hat. Der Feldscheer gab mich schon auf, und der Schimmel hat vor Kummer vier Wochen lang nicht eine Spur von Futter zu sich genommen. Ich aber habe mich unter eine Wäschmangel gelegt und mir die Beine wieder grad’ rollen lassen. So eine Kur ist allerdings Nichts für Euch arme Schlucker; die hält blos ein Wachtmeister bei den Husaren aus! Aber was wird denn nun mit unserm Spiele? Wollen wir den Strohmann setzen?“

„Herr Oberstwacht — —“

„Wachtmeister bin ich, wenn es Ihm endlich einmal beliebt!“

„Allerdings! Also, Herr Wachtmeister, ich möchte Euch bitten, für heut einmal von der Karte abzusehen.“

„Von der Karte absehen?“ frug Pappermann so erstaunt, daß er mit seinem Stuhle um einige Schritte zurückfuhr. „Von der Karte absehen? Das ist seit dreißig Jahren noch nicht ein einziges Mal vorgekommen. Warum also sollte denn heut eine so reglementswidrige Ausnahme gemacht werden?“

„Weil ich Euch Etwas vorzutragen habe, was mir nöthiger und auch wichtiger erscheint, als das Spiel.“

„Ich wüßte nicht, was mir wichtiger und nöthiger wäre als das, was ich mir vorgenommen habe! Ich wollte heut spielen, und so wird also heut auch gespielt. Wenn Er nicht will, so kann Er ja gehen. Aber wieder zu kommen braucht. Er dann auch nicht mehr!“

„Ich will Euch ja gern zu Willen sein, Herr Oberstwacht — — Herr Wachtmeister: aber ich ersuche Euch wirklich ganz dringend, mich erst über meine Angelegenheit sprechen zu lassen, ehe wir anfangen!“

„Ueber Seine Angelegenheit! Er hat eine Angelegenheit mit mir? Da macht Er mich wirklich über alle Maßen neugierig. Also gut, ich will Ihm volle zehn Minuten Zeit geben, diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Setze Er sich also nieder und mache Er kurz und bündig Seinen Rapport!“

Der Kleine folgte diesem Gebote und begann dann mit etwas unsicherem Tone:

„Ihr wißt, Herr Stadtkassirer, wer — —“

„Halt! Ist’s etwa eine Stadtkassengeschichte, die Er mir vorzutragen hat?“

„Nein. Es ist nur eine Privatangelegenheit.“

„Nun, so nenne Er mich nur immer Wachtmeister, wie sich’s schickt und gehört. Stadtkassirer heiße ich nur dann, wenn es sich um eine Amtsangelegenheit handelt. Euch Civilisten sind diese nothwendigen Unterscheidungen freilich niemals beizubringen.“

„Ich werde es zu merken suchen! Also, Ihr wißt ja, wer und was ich bin —“

„Natürlich weiß ich das. Er ist der Spezereikrämer Hiller und macht im Landsknecht die größten Pudel weit und breit.“

„Das mag sein! Ein Fehler im Spiele hat nicht gar viel zu bedeuten, wenn man nur sonst den Kopf auf dem rechten Flecke hat und sein Geschäft versteht, so daß man Etwas vor sich bringt, so etwa, wie es bei mir der Fall ist. Ihr wißt ja, wie es mit mir steht, Herr Wachtmeister. Ich bin ein thätiger und sparsamer Mann, weiß aus dem Heller einen Groschen zu ma chen und habe mir ein Sümmchen gespart, wie es hier in Stolp wohl kaum ein Zweiter aufzuweisen hat.“

„Das weiß ich. Er ist der wohlhabendste Mann in der ganzen Stadt und der größte Pfennigfuchser dazu. Was Er hat, das hat Er von anderen Leuten zusammengeschunden und sitzt nun über seinem Geldkasten wie ein alter, feuerspeiender Drache, den kaum zehn Herkulesse todtschlagen können. Aber warum spricht er denn auf einmal von Seinem Vermögen zu mir? Er vermeidet doch sonst mit einer wahren Todesangst jedes Wort darüber!“

„Ihr werdet das gleich hören, Herr Oberstwacht­mei — —“

„Wachtmeister bin ich, Er Himmel-Mohren-Elementer, Er!“

„Jawohl, Herr Wachtmeister! Also was ich sagen wollte, ich habe mir das Meinige sauer erworben, aber nicht etwa, um es zu hüten wie ein Drache, wie Ihr vorhin sagtet, oder gar Wucher damit zu treiben, sondern ich habe in meinen jungen Jahren nur gearbeitet und gespart, um nachher das Leben ruhig und ohne Sorgen genießen zu können.“

„Das wäre ein ganz gescheidter Gedanke, wenn es wirklich wahr ist, daß Er ihn gehabt hat!“

„Es ist wahr, sonst würde ich es doch nicht sagen!“

„Gut! Aber ich weiß noch immer nicht, was Er eigentlich mit Alledem will. Acht Minuten sind bereits vorüber, und Er hat also nur noch zwei übrig. Spute Er sich, denn sobald die zehn vorbei sind, geht das Spiel los!“

„Was ich will? Ja, das kann ich eigentlich gar nicht so schnell sagen und erklären. Ich habe nun so viel, daß ich mich zur Ruhe setzen und mir das Leben angenehm machen könnte; aber dazu fehlt mir Eins, und das ist grad die Hauptsache.“

„Die Hauptsache? Ja, die besteht ja eben in dem Gelde, meiner Ansicht nach!“

(Fortsetzung folgt.)

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Wie man’s nimmt!“ entgegnete Hiller. „Das Geld ist das Fundament, auf das man bauen muß; aber zu einem gemüthlichen und ruhigen Leben gehört noch mehr. Das Nothwendigste ist da allemal eine — ei­ne —“

„Eine — eine — nun, so fahre Er doch heraus mit Seiner Einen!“ sagte der Wachtmeister.

„Eine Frau.“

„Eine Frau?!“ rief Pappermann und machte mit seinem Stuhle einen Heckensprung, der den ehrsamen Spezereikrämer Hiller beinahe über den Haufen gerissen hätte. „Himmel-Mohren-Element, was ist Ihm denn da für eine riesenhafte Dummheit in den Kopf gefahren? Eine Frau soll das Nothwendigste sein? Eine Frau will Er sich nehmen? Hat Er vielleicht den Koller, oder steckt Ihm sonst irgend ein Rappel im Leibe?“

„Nichts von Alledem, mein bester Herr Wacht — ja, es ist richtig, Wachtmeister! Wenn es wirklich so eine riesenhafte Dummheit wäre, sich eine zu nehmen, so wäret Ihr ganz sicher unverheirathet geblieben.“

„Höre Er, das ist etwas ganz Anderes! Damals als ich bei den Belling-Husaren stand, wollte meine Löhnung weder hinten noch vorn so recht zureichen. Nur aus diesem Grunde sah ich mich endlich nach einer Frau um, die mit allerhand Weiberkram ein Weniges mit verdienen konnte. Es ist der einzige dumme Streich, den ich bei den Belling-Husaren begangen habe, trotzdem ich sagen muß, daß meine Alte die reine Seele war, fast so gut und lammfromm wie mein Schimmel. Freilich ihre Mucken hatte sie auch, denn wo wäre wohl eine Frau ohne dergleichen Dornen und Spitzen, und es hat gar manches Aergerniß gegeben, das ich mir besser hätte ersparen können. Na, jetzt ist sie todt, Gott hab’ sie selig, und die Anna, das Mädel, die muß Ordre pariren daß die Gelenke knacken. Die habe ich mir dressirt und eingeübt, daß sie ohne einen Mux zu wagen zur Feueresse hinausfährt, wenn ich sie hinausschicke. Wer die ’mal bekommt, der ist unter vielen Tausenden der Einzige, dem ich das Heirathen vergeben will.“

„Ganz dasselbe meine ich auch, Herr Wachtmeister, und eben aus diesem Grunde wollte ich mit Euch reden!“

„Aus diesem Grunde? Mit mir reden? Wegen der Anna?“ rief und frug Pappermann und machte bei jeder dieser drei Fragen mit seinem Stuhle einen Satz nach rückwärts. „Höre Er, ich fange wirklich an zu glauben, daß Er nicht ganz bei Troste und bei Sinne ist! Ist es wirklich Sein Ernst, was Er da sagt?“

„Mein völliger.“

„So ist Er verrückt, geradezu verrückt!“

„Wieso denn, wenn ich fragen darf, Herr Stadtkaff — — Herr Wachtmeister.“

„Weil Er, der Spezereikrämer Hiller, der niemals beim

Militär gestanden hat und kaum einen Major von einem Laubfrosche unterscheiden kann, die Tochter eines langgedienten und ehrenvoll verabschiedeten Wachtmeisters von Sr. Majestät Bellings-Husare zur Frau begehrt. Das ist doch Wahnsinn, der reine Wahnsinn!“

„Doch vielleicht nicht so sehr wie Ihr denkt!“ entgegnete Hiller beleidigt. „Wir Civilisten sind ebenso gut Menschen wie Ihr vom Militär, und wenn Ihr selbst vorhin sagtet, daß das Geld die Hauptsache sei, so haben wir von dieser Hauptsache wohl mehr als Ihr. Habe ich Recht oder nicht?“

„Hm, das kommt sehr darauf an! Bei einem Vergleiche zwischen uns Beiden kann ich dies natürlich gar nicht ableugnen, aber Er muß doch wohl auch zugeben, daß es im Offiziercorps und ganz besonders bei der Cavallerie gar manche Herrn giebt, deren einer hundert und mehr Spezereikrämer aufwiegt! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, diente bei meiner Schwadron ein Rittmeister, der so reich war, daß er zum Desserte nur eingelegte Dukaten und marinirte Doppellouisd’ors verspeiste.“

„Das mag sein! Aber erstens ist Eure Tochter doch wohl nicht für einen General bestimmt, und zweitens sind ja für uns Beide nicht fremde Verhältnisse maßgebend. Und übrigens wißt Ihr ja nur zu gut, daß ich auch meine Meriten habe: ich bin bei der Bürgergarde Oberlieutenant.“

„Ja, das ist Er! Und wenn Ihr exercirt, so quikt Er Seine Kommando’s wie ein junger Gänserich, dem die Stimme noch außen am Schnabel hängt. Eure Bürgergarde ist auch blos für den Kukuk. Da sollte Er mich einmal befehlen hören! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, wurde im Regimente der Stabstrompeter abgedankt, weil meine Stimme sogar im Kanonendonner eine halbe Meile weit gehört wurde. Einmal — es war an einem ruhigen, windstillen Morgen — exercirten wir in der Gegend von Zessen. In Potsdam rückten um dieselbe Stunde die Dragoner aus. Der Oberst ruft mir das Kommando zu; ich rufe: „Reeee — gi — meeeent, rrrreeeechts schwenkt ab!“ und was meint Er, was geschieht? Vor Potsdam schwenkten die Dragoner von der Straße ab und rechts in das Feld hinein. Hält Er das für möglich?“

„Warum nicht Herr Wachtmeister? Wenn Ihr es erzählt, so giebt es ja gar keinen Zweifel. Ich habe allerdings keine solche Meilenstimme, aber meinen Mann stelle ich doch, und wenn ich die Dütendreherei bei Seite lege und mich mit einer hübschen, jungen Frau in das Privatleben zurückziehe, so sollt Ihr schon sehen, daß ich mir Respect zu verschaffen weiß. Was ich brauche, das habe ich, und so werde ich den Leuten einmal zeigen, daß ich zu leben verstehe. Darum möchte ich Euch,“ fügte er langsam und mit Betonung hinzu, „ersuchen Herr Wachtmeister, einmal nach einem guten, zuverlässigen -

lässigen Reitpferde auszuschauen. Ihr versteht Euch ja auf den Roßhandel besser als ich und sollt die Mühe nicht umsonst haben!“

Noch niemals hatte der Stuhl einen solchen Riesensprung gemacht, wie in diesem Augenblicke. Pappermann schnellte auf ihm von der Fensterseite des Zimmers fast bis an die gegenüberliegende Wand; seine Augen waren vor Verwunderung weit aufgerissen und unter dem gewaltigen Schnurrbarte gähnte eine Oeffnung, durch welche ihm der schlaue Spezereikrämer fast bis hinunter in den Magen zu sehen vermochte.

„Wa — wa — wa — was? Er Himmel-Mohren-Elementer will sich ein Reitpferd kaufen? Ist Er denn vor Hochmuth toll, oder steht Er im Begriffe, vor Stolz und Einbildung auseinander zu platzen?“

„Keins von Beiden, Herr Ritt — wollte sagen Herr Wachtmeister. Ein Wenig spazierenfahren werde ich zuweilen, reiten aber wenig oder gar nicht. Meine Absicht ist nur, Euch ein Vergnügen zu bereiten, wenn Ihr mein Schwiegervater werden wollt. Das Pferd halte ich lediglich nur für Euch, und wenn ich es einmal auf ein Stündchen brauche, so werdet Ihr es mir wohl überlassen.“

„Er redet ja wahrhaftig, als wäre Er bereits mit der Anna copulirt! Aber ich will Ihm auch gern gestehen, daß der Gedanke gar nicht übel ist von Ihm. Was würde das Bürgervolk die Augen aufreißen, wenn der alte Wachtmeister und Stadtkassirer Pappermann auf einmal wieder wie in seinen jungen Jahren durch die Stadt galoppirte! Und nun gar erst die Militärs, die würden sich blau ärgern, wenn sie sähen, daß Unsereiner noch weit besser und adretter zu Pferde sitzt als die jetzigen neubackenen Gelb- und Grünschnäbel! Aber ein Schimmel müßte es sein, ein Apfelschimmel wie mein Hans, den ich hergeben mußte, als ich den Abschied nahm!“

„Das versteht sich ja ganz von selbst! Wenn Ihr einmal ein Reitpferd haben sollt, so könnt Ihr Euch natürlich auch die Farbe wählen,“ antwortete Hiller. Er kannte den Alten genau, der seine Tochter sicher keinem Civilisten zur Frau gab, wenn ihm nicht eine ganz außerordentliche Concession dabei gemacht wurde. Der Gedanke, ein Reitpferd zu besitzen, hatte den früheren Husaren auch sofort in einer solchen Weise in Beschlag genommen, daß ihm von all den Bedenken, welche er im andern Falle sicher vorgebracht hätte, kein einziges in den Sinn kam. Der in Aussicht gestellte Apfelschimmel bestach ihn so vollständig, daß er mit seinem Stuhle bis hart an den Heirathskandidaten heranritt und ihm die Rechte auffordernd entgegenstreckte.

„Hiller. Er ist ein Kerl, gegen den ich wohl gar Manches vorbringen könnte. Er hat keine Figur, ist bereits über die Jünglingszeit hinaus, hat niemals beim Militär gestanden, spielt einen ganz schauderhaft armseligen Landsknecht und hat es noch nicht ein einziges Mal so weit gebracht, pünktlich und auf die Minute hier bei mir einzutreffen. Aber Er hat auch seine Meriten, wie Er vorhin ganz richtig sagte. Sein Geschäft versteht Er aus dem Fundamente,

hat ein hübsches Vermögen, besitzt keine ganz üblen Lebensansichten und — was mir ganz besonders von Ihm gefällt — Er ist ein Mann, der seinen Schwiegervater achten und in Ehren halten wird. Ich hätte vielleicht Nichts gegen die Heirath, wenn ich sicher sein könnte, daß Er mit dem Reitpferde auch wirklich Wort hält!“

„Ich halte Wort, Herr Wachtmeister. Ihr könnt Euch gleich morgen das Geld bei mir holen, welches Ihr zu dem Kaufe braucht!“

„Gut, dann schlage Er ein! Ich werde jetzt die Anna rufen und ihr sagen, was sich zugetragen hat.“

„Wird sie unserm Plane auch beistimmen?“ frug der Spezereikrämer etwas besorgt. Er wußte, daß er einen Nebenbuhler hatte, der nicht zu unterschätzen war.

„Warum denn nicht? Glaubt Er etwa, daß sich das Mädchen einen andern Willen erlaubt als den meinigen? Was ich will, das will ich. Sie weiß das und wird sofort ja sagen. Zwar habe ich schon öfters einen Unteroffizier bemerkt, der mit den Augen fast an ihrem Fenstern hängen bleibt, wenn er vorübersteigt, aber der darf Ihm nicht bange machen. Es ist der Wildebrandt, der Aufschneider, der einmal gesagt hat, es gäbe noch viel bessere Reiter als ich bin. Er sollte mir nur kommen. Ich wollte ihm — —“

Es klopfte.

„Herein!“ rief der unterbrochene Wachtmeister.

Die Thür wurde geöffnet. Der Eintretende war ein junger, stattlicher Mann in Husarentracht. Er trug die Abzeichen des Unteroffiziers.

„Guten Abend, Herr Wachtmeister!“ grüßte er, die Fersen klirrend zusammenschlagend und die Hand zur Stirnhöhe hebend.

„Ach, schön guten Abend, mein Bester! Was führt denn Ihn zu mir?“

„Ich bitte, mit Euch ein Wort unter vier Augen sprechen zu dürfen!“

„Unter vier Augen? Warum denn das? Hat Er mir vielleicht ein wichtiges Staatsgeheimniß mitzutheilen?“

„Das nicht; aber die Angelegenheit, welche mich zu Euch führt, ist nicht für Fremde.“

„Eine Angelegenheit hat Er? Das ist ja recht schön! Vielleicht ist es ganz dieselbe, welche ich heut schon einmal mit einem Andern besprochen habe. Doch das werde ich ja hören, sobald es Ihm nur beliebt, sie mir mitzutheilen.“

„Das ist eben meine Absicht; doch sagte ich schon, daß die Sache nicht für fremde Ohren bestimmt ist.“

„Fremde Ohren giebt es jetzt gar nicht in meiner Stube. Dieser Mann hier ist mein Spezial, der Alles hören kann, was Er mir zu sagen hat. Schlage Er also nur immer los mit Seiner Neuigkeit!“

„Wenn Ihr es so befehlt, Herr Wachtmeister, so muß ich gehorchen. Ich komme wegen Eurer Tochter Anna. Wir haben uns kennen gelernt und sind einander lieb geworden. Darum möchte ich Euch gern bitten, zuweilen ein Stündchen meiner Urlaubszeit bei Euch verbringen zu dürfen, damit Ihr Euch ein Urtheil über meine Person und meinen Character -

Character aneignen könnt. Ich bin überzeugt, daß Ihr dann ei­ne — — —“

„Seine Ueberzeugung ist mir gleichgültig!“ fiel ihm Pappermann in die Rede, „und Seine Person und Sein Character auch. Er hat also meine Tochter kennen gelernt? Davon weiß ich ja gar Nichts! Beim Civil läuft man zusammen ohne zu fragen woher und wohin; beim Militär pflegt man aber anders zu verfahren. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, habe ich einmal bei einem Vater um ein Mädchen angehalten, die ich noch gar nicht gesehen hatte. Es versteht sich ja ganz von selbst, daß man hinter dem Rücken der Eltern Nichts vornimmt. Er freilich hat nicht Ehrgefühl genug, dies einzusehen, und so hätte Er besser gethan, auch heut Seinen Besuch zu unterlassen. Das Mädchen bekommt Er nicht, und an Seiner Gegenwart ist mir nicht das Mindeste gelegen. Bleibe Er mir also in Zukunft vom Leibe!“

Der Unteroffizier behielt seine stramme, kerzengrade Haltung bei und veränderte nicht eine Miene seines tiefgebräunten, männlichen Gesichtes.

„Wie es zu der Zeit gewesen ist, als Ihr bei den Belling-Husaren gestanden habt, Herr Wachtmeister, davon weiß ich Nichts zu erzählen; ich kann nur von jetzt berichten, und da ist es allerdings Sitte, daß man sich das Mädchen erst ansieht, ehe man sie heirathet. Ich habe nach diesem Gebrauche -

Gebrauche gehandelt und Nichts gethan, was mein Ehrgefühl mißbilligen könnte!“

„Wie klug Er doch sprechen kann, grad so klug wie damals, als Er behauptet hat, daß Er viel besser reiten könne, als ich. Höre Er, Wildebrandt, Er ist ein Prahler, ein Großthuer, und was hinter solchen Leuten steckt, daß weiß man ja. Gehe Er, ich habe Nichts mit Ihm zu schaffen!“

„Ist dies Euer letztes Wort, Herr Wachtmeister?“

„Mein letztes. Er kann besser reiten als ich und wird also auch sonst besser als ich wissen, was die Glocke geschlagen hat, wenn ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den Belling-Husaren zu Ihm sagt, daß Er gehen soll!“

„Das weiß ich allerdings besser als Ihr: sie hat eben zur Hochzeit geschlagen. Ich bin Unteroffizier bei den Belling-Husaren und habe es mit dem nächsten Schritte ebenso wie Ihr zum Wachtmeister gebracht. Ein tüchtiger activer Unteroffizier aber wiegt wenigstens grad so schwer wie ein verabschiedeter Wachtmeister, und so könnt Ihr Euch denken, daß ich mich nicht so mir nichts Dir nichts ohne allen stichhaltigen Grund von der Thür weisen lasse. Ich habe die Anna lieb, sie mich auch, und wenn Ihr mir nicht beweisen könnt, daß Eins von uns Beiden des Andern unwerth ist, so trete ich nicht zurück, sondern erkläre Euch, daß sie meine Frau wird!“

(Fortsetzung folgt.)
            

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Will Er wohl machen, daß Er sofort hinauskommt, Er Himmel-Mohren-Elementer!“ rief Pappermann zornsprühend und galoppirte mit seinem Stuhle grad auf Wildebrandt los. „Ich sage Ihm, Er bekommt sie nicht. Ich bin der Wachtmeister und Stadtkassirer Pappermann und weiß, was ich will!“

„Und ich sage Euch, ich bekomme sie. Ich bin der Unteroffizier Wildebrandt und weiß auch, was ich will. Gute Nacht!“

Er öffnete die Thür und schritt sporenklirrend die Treppe hinab. Unten stand die Geliebte in banger Erwartung der Entscheidung. Aus dem lauten Tone, in welchem die Unterhandlung geführt wurde, hatte sie auf das Ergebniß derselben geschlossen und frug jetzt leise:

„Nicht wahr, er hat nein gesagt?“

„So ist’s!“ sagte Wildebrandt zornig. „Und als einzigen Grund hat er angegeben, daß ich behauptet habe, ich könne besser reiten als er. Ich habe allerdings so gesagt, aber nur, weil er sich über mich und meinen Apfelschimmel moquirt hat. Er nennt ihn einen alten Ziegenbock und sagt, ich sitze darauf wie der Affe auf dem Kameele. Kann ich dafür, daß er auch einen Apfelschimmel geritten hat und nun seine beleidigenden Vergleiche zieht zwischen sich und mir?“

Der Zornige hätte seinem Herzen noch länger Luft gemacht, wenn nicht soeben die Stimme Pappermanns oben erschollen wäre.

„Anna, herauf zur Parole!“

„Komm, tritt hier herein!“ flüsterte das Mädchen, eine Thür öffnend und ihn in den dunklen Raum schiebend. „Ich schließe Dich ein, damit Dich Niemand bemerkt, und werde Dir nachher berichten, was es oben giebt!“

Sie zog den Schlüssel ab und stieg die Treppe empor. Als sie in das Zimmer trat, hielt der Vater noch immer zornglühend auf seinem Stuhle vor der Thür.

„Kennst Du den Unteroffizier Wildebrandt?“

„Ja.“

Sie war gewohnt, ihr Antworten nur in der kürzesten und bündigsten Weise zu geben.

„Du hast eine Liebschaft mit ihm?“

„Ja.“

„Hinter meinem Rücken?“

„Nein!“

„Wie meinst Du das?“

„Du hast mich noch nicht darnach gefragt!“

„Ach so! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, machten mir meine Untergebenen ihre Meldungen auch ohne daß ich sie fragte. Er sagt, Du wärst ihm gut. Ist das wahr?“

„Ja.“

„Schön! Ich befehle Dir hiermit, ihm nicht mehr gut zu sein!“

Sie schwieg.

„Hast Du’s gehört?“

„Ja.“

„Ich habe Dir bereits einen Mann bestimmt.“

Sie sah ihn bestürzt und fragend an.

„Nämlich diesen da!“ erklärte er, auf den Spezereikrämer deutend.

„Das ist nicht möglich, Vater!“

„Warum nicht? Was ich thue, das ist stets und allemal möglich! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, habe ich Manches möglich gemacht, was Andre für eine Unmöglichkeit gehalten haben. Einmal hatten wir ein Treffen in der Pfalz; eine feindliche Kanone schoß immer grad mitten in unsre Glieder hinein; wir befanden uns in einer sehr exponirten Stellung und hätten aus der Haut fahren mögen vor Aerger, uns so ruhig wegputzen lassen zu müssen. Da zog ich meine Pistolen, gab dem Nebenmanne das Ladezeug, und während er nur immer lud, zielte ich grad auf die Mündung der Kanone und schoß auf diese Weise jede Kugel entzwei, die sie uns entgegen schickten. Ich erhielt für diese Geschicklichkeit eine Medaille, habe sie aber später einmal wieder verloren. Das war doch das reine Unmögliche möglich gemacht. Meinst Du da, daß ich mich vor Deiner Unteroffiziersliebe fürchte?“

„Nein!“

„Na also! Der Lieutenant von der Schützencompagnie, Herr Hiller, hat vorhin bei mir um Deine Hand angehalten. Ich habe sie ihm zugesagt, und Du wirst nun wissen, was Du zu thun und zu lassen hast. Verstehst Du mich?“

„Ja.“

„Du wirst es gut haben bei ihm, davon hat er mich vollständig überzeugt. Du wirst die reichste und vornehmste Frau im Orte sein und die Freude erleben, daß Dein Vater täglich spazieren reitet.“

„Du? Woher nimmst Du denn das Pferd?“

„Das wird Dein Mann mir schenken. Morgen schon zahlt er das Geld, und dann werde ich mich sofort nach einem tüchtigen Schimmel umsehen.“

„So hast Du mich für ein Pferd, für ein Thier verkauft?“

Er fuhr mit seinem Stuhle zurück, als sehe er sich plötzlich der Mündung einer geladenen Kanone gegenüber. Dann wirbelte er die beiden Spitzen seines Schnurrbartes in die Luft, schlug mit den Füßen an die Stuhlbeine, als habe er es mit einem widerspenstigen Reitthiere zu thun, und rief mit blitzendem Auge:

„Was meinst Du, Du Himmel-Mohren-Elements-Hexe Du? Verkauft hätte ich Dich, verkauft für ein Pferd? Meine

eigene Tochter erklärt mich, den Stadtkassirer und von den Belling-Husaren ehrenvoll verabschiedeten Wachtmeister Pappermann für einen Menschenhändler, für einen Menschenabschlächter, für einen Rabenvater, für einen — ich, ich finde gar keine Worte, ich könnte, ich möchte, ich —“

Er trabte auf seinem Stahle stampfend in der Stube hin und her und hielt endlich mit einem krachenden Rucke vor dem Spezereikrämer, den er grimmig bei der Brust packte.

„Höre Er, was soll ich mit der ungerathenen Tochter machen? Soll ich sie todtschießen, soll ich sie fortjagen, soll ich sie krummschießen, soll ich — he, so sage Er doch, was ich mit ihr machen soll!“

Der Gefragte hielt ängstlich den Zornigen mit beiden Armen von sich ab.

„Herr Ritt — Herr Stadtkass — Herr Wachtmeister, verheirathet sie, dann seid Ihr sie und die Aergerniß los und der Schimmel ist Euer.“

„Ja, das werde ich machen! Erst sollte sie Ihn nehmen, jetzt aber muß sie Ihn nehmen; sie muß und zwar zur Strafe, zur gerechten Strafe für den Rabenvater. Und den Schimmel, auf den soll sie mich alle Tage sehen zur Züchtigung für die Insubordination und Bosheit, die sie gegen mich begangen hat!“

Er warf sein prasselndes Pferd herum zu ihr und donnerte:

„Anna!“

„Was?“

„Du kennst mich!“

„Ja!“

„Wenn Du noch ein einziges Wort mit dem Wildebrandt sprichst, so passirt Etwas! Hast Du’s gehört?“

„Ja!“

„Du heirathest den Herrn Lieutenant Hiller!“

Sie schwieg.

„Hast Du’s gehört?“

„Ja!“

„Morgen bekomme ich den Schimmel und in acht Tagen ist die Verlobung. Verstanden?“

„Ja!“

„Tret’ ab!“

Sie gehorchte dem Commandoworte und verließ das Zimmer.

Während der ehrenvoll verabschiedete Wachtmeister oben noch lange seine möbelzerstörenden Evolutionen ausführte, öffnete sie unten die Thür und stattete dem Geliebten den versprochenen Bericht ab. Mancher Rettungsplan wurde von den beiden jungen Leuten, die sich in ihrer Liebe so ernstlich bedroht sahen, ausgesonnen und wieder verworfen, und Hiller hatte schon längst das Haus verlassen, als der Unteroffizier sich endlich von seinem Mädchen verabschiedete. Er ließ sie nicht ohne Trost zurück.

„Es bleibt dabei, Anna, ich spreche mit dem Herrn Lieutenant von Blücher. Er ist nicht nur ein respectabler Offizier, sondern auch ein Pfiffikus, wie es im ganzen Regimente -

Regimente keinen zweiten giebt, und hält große, sehr große Stücke auf mich. Wenn irgend ein Rath möglich ist, so weiß er ihn, und ist eine That nothwendig, so läßt er mich sicher auch nicht im Stiche. Gute Nacht!“

„Gute Nacht!“

Ein zärtlicher Kuß klang leise von den vier warmen Lippen; dann nahm Wildebrandt vorsichtig den Degen in den Arm und schlich unhörbar davon.

Pappermann ahnte nicht, daß die Tochter, welche er sich „so gut dressirt“ hatte, daß sie „nicht einen Mux wagen durfte“, zu einer Widersetzlichkeit entschlossen war, die ganz ohne Beispiel dastand seit damals, „als er noch bei den Belling-Husaren stand“.

Zweites Kapitel.

Jungfer Adelheid stand am Fenster und schaute sehnsüchtigen Blickes hinüber nach dem Laden, hinter dessen Glasscheiben zuweilen ein hageres, gelbbleiches Gesicht vorüberhuschte, momentan und eilfertig, als hätte es nicht Zeit, einen raschen oder auch nur halben Blick hinauszuwerfen auf die Straße.

Lange, lange Jahre hatte sie an derselben Stelle, an demselben Fenster gestanden und hinübergesehen nach denselben Glasscheiben, erst mit heißem Verlangen, dann mit ängstlicher Ungeduld und endlich mit stillem, tiefem, unheilbarem Weh im Herzen, denn niemals hatte sich das Gesicht ihr zugewendet, niemals war eine kleine Aufmerksamkeit, ein freundliches Lächeln, ein grüßendes Kopfnicken ihr zu Theil geworden.

Und wenn der Abend sich mit seinem geheimnißvollen, verschwiegenen Dunkel über die Erde neigte und Alles, Alles sich fand, was sich liebte und suchte, dann verließ auch der Herr Spezereikrämer Hiller seine Wohnung, aber nicht, um die Pfade der Liebe zu wandeln, sondern er ging entweder zum alten Pappermann spielen, oder unternahm einen einsamen Spaziergang vor das Thor, um sich die neuen Waarenpreise zu berechnen und ungestört den Gedanken an Gewinn und Profit nachhängen zu können.

Kein einziger Blick war jemals hinauf zu ihr gefallen. Trotzdem hatte sie stets gewartet, bis er zurückkehrte, und wenn dann seine Gestalt im Schatten der Thür verschwunden und das grausame Klirren des Hausschlüssels verklungen war, so zog auch sie sich zurück und begab sich zur Ruhe, um am nächsten Morgen ihre ewig erfolglosen Beobachtungen von Neuem zu beginnen.

„Ach, was haben doch die Männer für harte, verständnißlose und unbedürftige Herzen,“ seufzte sie. „Er ist so einsam und allein, und ich hätte ihn gewiß sehr glücklich gemacht. Er ist zwar nicht mehr so jung und schmuck, wie früher, nicht den zehnten Theil so drall und reizend, wie zum Beispiel mein Herr von Blücher, aber ich liebe ihn doch, ich habe ihn geliebt heiß und innig, ich werde ihn lieben jetzt und in alle Ewigkeit.“

Da ertönte die Klingel des Vorsaales. Sie ging hinaus und öffnete. Draußen stand der Diener des Lieutenants.

„Darf ich um den Kellerschlüssel bitten, gnädiges Fräulein?“

„Mit Vergnügen darf Er das!“ antwortete sie.

Im Stillen dachte sie:

„Was doch die Leute vom Militär für charmante, liebenswürdige und höfliche Menschen sind. Seit ich den Herrn von Blücher bei mir wohnen habe, bin ich ein gnädiges Fräulein geworden und werde von Jedermann mit Respect und Ehrerbietung behandelt. Ach, wenn doch der Herr Kaufmann Hiller auch Husar geworden wäre; er würde gewiß nicht so gleichgültig sein!“

Und laut fügte sie hinzu:

„Er will gewiß wieder Wein aus dem Keller holen?“

„Ja.“

„Zu so früher Tageszeit schon?“

„Es ist Besuch da, und die Herren Offiziere lassen sich nichts Anderes vorsetzen.“

„Besuch? Ich sah doch Niemanden kommen, trotzdem ich mich schon ziemlich lange am Fenster befinde.“

„Hm, das glaube ich wohl,“ lachte er. „Die Herren sind nicht durch die Straße, sondern hinter der Stadt hergekommen und über den Zaun gesprungen.“

„Gesprungen?“ frug sie erstaunt. „Warum gingen sie denn nicht durch die Pforte? Sie steht ja am Tage stets offen.“

„Weil sie zu Pferde waren.“

„Zu Pferde? Mein Gott, so sind sie wohl gar über den Zaun geritten, über meinen schönen Zaun hinweggesprengt?“

„Freilich.“

„Und ihre Pferde haben mir die Blumen vernichtet und das Gras niedergestampft?“

„Ich weiß das nicht, denn ich habe mich nicht darnach umgesehen. Die Thiere stehen jetzt unten im Vorrathsgewölbe.“

Sie schlug erschreckt die Hände über dem Kopfe zusammen.

„In meinem Vorrathsgewölbe?“ jammerte sie. „Wo ich die Eier, die Butter, das Gemüse und tausend andere nothwendige und zerbrechliche Dinge aufbewahre! Sind die Herren denn von Sinnen?“

„Auch das weiß ich nicht. Ich werde sie aber gleich einmal darnach fragen und Euch dann Bescheid sagen, gnädiges Fräulein.“

„Um Gotteswillen, thue Er das nicht! Sie würden mir bös darüber sein und ich wäre dann wahrhaftig ganz untröstlich. Aber ist es denn möglich, über einen so hohen Zaun hinwegzureiten? Wenn nun Einer gestürzt wäre und Etwas gebrochen hätte!“

„Ja, gnädiges Fräulein, wir Leute von den Belling-Husaren brechen niemals den Hals! Jetzt aber muß ich

fort. Soll ich einmal nachsehen, ob sich die Pferde über die Eier und das Gemüse hergemacht haben?“

„Ja, mein Lieber, ich bitte ihn um diese Gefälligkeit. Ich würde es gern selbst thun, aber ich wäre ja gleich des Todes, wenn ich öffnete und so ein Thier blickte mich mit den großen, fürchterlichen Augen an. Ist der Herr Lieutenant auch schon zu Hause?“

„Nein. Er befindet sich noch auf dem Exerzierplatze, wird aber wohl bald heimkehren.“

Es war so, wie er sagte: Blücher hielt mit seiner Fuchsstute — damals das anerkannt beste Pferd im ganzen Regimente, wie sein Herr auch als der geschickteste und kühnste Reiter bekannt war — auf dem freien Raume vor der Stadt, wo die täglichen Uebungen stattzufinden pflegten, und drängte sein muthiges, tänzelndes Roß in die glänzende Colonne, welche sich unter dem Kommande des Obersten zum Heimritte anschickte.

Unter den schmetternden Klängen der Trompeten hielten die schmucken Cavalleristen ihren Einzug in die Stadt. Gar manches schöne Auge folgte ihnen und gar mancher bewundernde Blick ruhte besonders auf dem Lieutenant, dessen schlanke, kräftige Figur, von der knappen Husarenuniform noch mehr hervorgehoben, so leicht und sorglos im Sattel saß und dessen hell und kühn über die wohlgebogene Adlernase blitzendes Auge wohl hier und da empor nach einem Fenster flog, niemals aber mit einem Blicke, der zur leisen Hoffnung hätte ermuthigen können.

Blücher war einer der tüchtigsten, flottesten und — hübschesten Offiziere, das wußten nicht nur seine Vorgesetzten, sondern besonders von seiner letztgenannten Eigenschaft waren auch die Schönen der Stadt überzeugt, doch ebenso gut wußte man auch, daß sein Herz noch frei und gar nicht geneigt sei, sich in süße Fesseln schlingen zu lassen.

Nach Auflösung der Truppe stand er im Begriffe, sich nach seiner Wohnung zu begeben, als der Unteroffizier Wildebrandt, den Hut mit Kolpak auf dem Kopfe und den Säbel dicht herangezogen, in dienstlicher Haltung an ihn heranritt.

„Mit Erlaubniß, Herr Lieutenant; darf ich heut’ vielleicht eine Bitte aussprechen?“

„Ist es etwas den Dienst Betreffendes?“

„Nein, sondern eine Privatangelegenheit.“

„So kommen Sie zu mir, sobald Sie Ihr Pferd versorgt haben. Ich werde zu Hause sein.“

Als er an dem Hause des Stadtkassirers vorbeitrabte, klirrte ein sich öffnendes Fenster und eine Stimme rief in devotem Tone:

„Herr Lieutenant, ich bitte um ein Wort!“

Er zog das Pferd herum und antwortete:

„Ah, guten Morgen, Herr Wachtmeister! Was haben Sie auf dem Herzen?“

„Eine Frage ist’s, die ich Ihnen vorlegen möchte.“

Der alte Herr hatte trotz seiner Bärbeißigkeit einen ganz gehörigen Respect vor dem überall beliebten und angesehenen, wackeren, jungen Manne und pflegte ihn daher

niemals mit dem altgebräuchlichen „Ihr“, sondern mit dem damals eben in die Mode kommen den „Sie“ anzureden, eine Ausnahme, deren sich nur Wenige zu rühmen wußten.

„So fragen Sie nur zu.“

„Ich stehe im Begriffe, mir ein Reitpferd zu kaufen.“

„Ein Reitpferd?“ frug Blücher verwundert. „Wozu denn?“

„Nun, wozu anders, als zum Reiten!“ antwortete Pappermann etwas pickirt.

„Natürlich, natürlich,“ lachte der Offizier, „denn zum Schlachten wird es doch wohl nicht sein. Aber wer soll es reiten?“

„Wer sonst, als ich! Oder glauben der Herr Lieutenant vielleicht, daß ich nicht mehr im Stande sei, mich im Sattel zu halten?“

„Ich traue Ihnen alles Mögliche zu, Herr Wachtmeister! Aber was habe ich mit Ihrem Pferdehandel zu schaffen?“

„Sie sind der gewiegteste Pferdekenner und in den Ställen der ganzen Umgegend zu Hause; darum möchte ich gern eine Frage aussprechen. Wissen Sie nicht etwas Passendes für mich? Auf alle Fälle muß es ein Apfelschimmel sein und abgeleiert möchte ich ihn auch nicht haben. Ich kaufe mir ein Pferd zum Vergnügen, also einen Spazierschimmel, mit dem man sich nicht zu schämen braucht.“

„So, so! Hm, für den Augenblick fällt mir grad’ nichts Convenables ein, obgleich ich so ziemlich Alles weiß, was hier zu haben ist. Aber warten Sie, ich werde mich besinnen und Ihnen dann Nachricht geben.“

„Schön, Herr Lieutenant. Danke, und bin Ihnen gern zu jedem Gegendienst bereit!“

Mit einem militärischen Gruße zog er sich von dem Fenster zurück und Blücher ritt kopfschüttelnd davon. Er konnte den Luxus eines Spazierpferdes mit dem Einkommen des verabschiedeten Wachtmeisters nicht in Einklang bringen. Zu Hause angekommen, übergab er die Fuchsstute dem Diener und trat in das Zimmer, wo er die anwesenden Kameraden mit einer Miene bewillkommnete, welche verrieth, daß er gewohnt sei, sie auch während seiner Abwesenheit hier nach Belieben schalten und walten zu lassen.

Der einfach möblirte Raum war nicht sehr groß und seine ganze Einrichtung ließ erkennen, daß der Bewohner desselben nicht gerade sonderlich viel auf häusliche Bequemlichkeit und übermäßigen Comfort zu geben geneigt sei. Mehrere große, schon sehr mitgenommene Polsterstühle, ein derber Eichentisch, von dem die Decke entfernt war, um einem halbgeleerten Flaschenkorbe Platz zu machen, ein großer, massiver Schrank, durch dessen geöffnete Thür verschiedene Uniformstücke neugierig schauten, ein alter Schreibtisch mit unendlich vielen Fächern bildeten nebst den verräucherten und in sorglose Falten verzogenen Gardinen die Ausstattung der Stube, welche der später so berühmte Mann damals bewohnte.

Doch ein Hauptschmuck muß noch erwähnt werden. Die ganze den Fenstern gegenüberliegende Wand war mit allerlei

merkwürdigem Reitzeug, mit älteren und neuen kostbaren Sätteln und mit Waffen aller Art behangen und bedeckt. Neben dem Dienstpallasch hing der schön verzierte Damascener eines türkischen Paschas; zwischen zwei stark mit Silber beschlagenen Reiterpistolen aus der berühmten Werkstatt des Meister Erneste in Paris funkelte die graue, schneidige Klinge eines seltenen malayischen Yatagans, und wenn man die gegenwärtigen Insassen des Zimmers betrachtete, so mußte man wohl die Ueberzeugung gewinnen, daß sie in jenen Sätteln zu Hause waren und es auch gar wohl verstanden, die prächtigen Waffen mit Erfolg zu gebrauchen.

„Ihr benutzt Euern Urlaub auf eine sehr ausgiebige Weise,“ meinte er, auf die geleerten Flaschen deutend. „Doch laßt Euch nicht stören, ich thue mit.“

Er ergriff einen der ziemlich umfangreichen Humpen, in welchen der dunkelglühende Burgunder blinkte und trank ihn mit einem kräftigen Zuge aus.

„Was treibt Euch denn so früh schon in meine Kasematte? Der Durst nach meinem Rothen pflegt sich doch gewöhnlich erst des Nachmittags bei Euch ein zustellen.“

„Wir kommen, um Deine Meinung zu hören,“ antwortete Einer, welcher die Abzeichen eines Oberlieutenants trug.

„Worüber?“

„Wir saßen bei unserm Rudorf hier, tranken unschuldigen Kaffee und bissen neubackene Hörnchen dazu, kurz und gut, wir waren die unbefangensten Menschen von der Welt und freuten uns unsers Daseins in bester Weise. Da plötzlich fiel es unserm Teufel, dem langen Venske ein, das Kraut der Zwietracht in unsre paradiesi­sche —“

„Schweig, Treskow, mit Deinen malcontenten Gleichnissen,“ fiel ihm der Genannte in die Rede.

Er war eine lange, hagere Gestalt, mit schwarzem, weit herabhängendem Schnurrbart.

„Die Sache ist sehr kurz: Treskow behauptete, Keiner von uns vermöge mit seinem Pferde fünf Fuß feste Barrière zu überspringen; ich hielt ihm Widerpart; wir stritten uns noch hin und her und wären jetzt noch im selben Zanke, wenn nicht Rudorf auf den Gedanken gekommen wäre, Dich als Schiedsrichter vorzuschlagen. Wir saßen sofort auf, machten einen Probesprung über Deinen viereinhalbfüßigen Zaun und — tout voilà, da sind wir. Nun aber sag’ uns auch, wer Recht hat.“

„Natürlich Du, Venske. Dein Schwarzer hat gute Knochen und wenn Du ihn gut in die Zügel nimmst, so brauchst Du Dich vor den fünf Fuß gar nicht zu fürchten.“

„Das bestreite ich!“ rief Treskow. „Wenn es nicht feste Barrière wäre, so wollte ich es eher für möglich halten.“

„So glaubst Du wohl auch nicht,“ entgegnete Blücher, „daß ich mit meiner Stute fünfeinhalb Fuß überflogen habe?“

(Fortsetzung folgt.)

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

(Fortsetzung.)

Auf die Frage Blüchers antwortete Treskow: „Nein! Du reitest besser als wir Alle, und ich habe auch ganz gehörigen Respect vor Deinem Thiere, aber ich meine doch, daß Du Dich in dieser Höhe ein Wenig irrst!“

„Willst Du es vielleicht bewiesen haben?“

„Du vermagst den Beweis nicht zu führen!“

„Was gilt die Wette?“ frug Bücher. Spiel und Wette liebte er fast leidenschaftlich, und wo sich eine Gelegenheit zur Letzteren bot, versäumte er sie gewiß niemals.

„Was setzest Du?“

„Fünfzig Dukaten!“

„Angenommen. Schlag ein!“

Die Hände der beiden Offiziere fielen bekräftigend ineinander, als der Diener die Thür öffnete.

„Was giebts?“ forschte Blücher, sich zu ihm wendend.

„Der Unteroffizier Wildebrandt ist draußen. Er sagt, er sei bestellt.“

„Laß ihn eintreten!“

Als der Bezeichnete bemerkte, daß der Lieutenant nicht allein sei, konnte er trotz der straffen Stellung, in welcher er grüßte, eine kleine Verlegenheit nicht bemeistern.

„Da mich keine dienstliche Meldung herführt, erlauben mir vielleicht der Herr Lieutenant, wieder zu kommen!“ meinte er.

„Warum das? Tragen Sie immerhin Ihr Anliegen vor; wir sind hier ganz unter uns.“

„Ich darf die Herren doch unmöglich mit einer Sache belästigen, welche nur allein für mich von Interesse ist.“

„Sie wollten doch mir die Mittheilung davon machen! Setzen Sie bei den Herren Kameraden nicht die gleiche Theilnahme für einen braven Husaren, der Sie doch sind, voraus?“

„Ich befürchte, ein Wenig ausgelacht zu werden, wie ich offen gestehen muß!“

„So! Ich versichere Ihnen, daß dies nicht geschehen wird. Sie sind nicht der Mann, der eine Lächerlichkeit begeht!“

„Und doch werden grad’ der Herr Lieutenant das, was ich von mir zu sagen habe, für ungeheuerlich lächerlich halten!“

„Meinen Sie? Da bin ich doch neugierig, es zu hören. Also heraus damit, Wildebrandt!“

„Ich bin — ich bin nämlich — ich habe — ich habe mich näm­lich — —“

„Nun, was sind Sie denn nämlich, oder was haben Sie nämlich?“

„Verliebt,“ platzte er heraus. „Verliebt bin ich, verliebt habe ich mich!“

„Verliebt? Das ist allerdings kein grad’ sehr bewundernswerther Husarenstreich, den Sie da begangen haben. Wer ist denn die tapfre Amazone, die es wagt, einen Belling-Husaren so über’s Ohr zu hauen?“

„Es ist die Tochter des Stadtkassirer Pappermann.“

„Ah, mein lieber Wildebrandt, da haben Sie keinen ganz schlechten Geschmack! Ich sah das Mädchen einige Male am Fenster sitzen, und glaube, sie ist nicht ganz übel.“

„Der Herr Lieutenant haben Recht,“ antwortete der Unteroffizier, erfreut sowohl über dieses Urtheil als auch darüber, daß er nicht ausgelacht wurde, wie er vorher wirklich sehr befürchtet hatte. „Die Anna ist nicht nur ein hübsches Mädchen, sondern steckt auch voller Tugenden wie mein voriger Apfelschimmel voller Mucken. Nur einen einzigen Fehler hat sie, und wegen ihm wollte ich Sie um einen guten Rath bitten.“

„Mich wegen eines Fehlers Ihrer Geliebten um einen guten Rath bitten? Wollen Sie vielleicht ein Mittel hören, ihr diesen Fehler auszutreiben?“

„Ja; das war’s, was ich wollte!“

„Hören Sie, mein Lieber, Ihrem vorigen Apfelschimmel — ach,“ unterbrach er sich plötzlich lachend, „erinnern Sie mich nachher einmal an die liebe, alte, gute Liese, die Ihnen so viel Mühe und Aerger bereitet hat! — also Ihrem vorigen Apfelschimmel hätte ich vielleicht von seinen Mucken helfen können, ob mir das aber auch bei Ihrem Mädchen gelingen würde, das bezweifle ich sehr. Meine Erfahrungen reichen da gar nicht sehr weit!“

„Und doch vermögen Sie es, Herr Lieutenant, das weiß ich. Wenn Sie sich einmal Etwas vorgenommen haben, so gelingt es Ihnen auch, denn Sie gehen nie wieder zurück.“

„Ja, „Vorwärts,“ das habe ich mir zur Losung gemacht, aber vor Frauenmucken fühle ich doch einen ganz gewaltigen Respect. Welches ist denn der Fehler, den das Mädchen hat?“

„Ich soll sie nicht bekommen!“

„Ach so!“ rief Blücher. „Das scheint mir allerdings der größte Fehler, den ein Mädchen haben kann. Ist sie Ihnen denn gut?“

„Von Herzen.“

„Also ist der Vater gegen Sie?“

„Ja.“

„Warum?“

„Weil ich einmal behauptet habe, daß es Leute giebt, die besser reiten können als er.“

„Da haben Sie wohl auch die Wahrheit gesagt.“

„Und weil ihr der Alte schon einen Bräutigam ausgesucht hat.“

„Das sieht ihm ganz ähnlich! Wer ist denn der Erwählte?“

„Der Spezereikrämer Hiller da drüben.“

„Der — — —?“ frug der Lieutenant gedehnt. „Der will Ihnen das hübsche, frische Mädchen wegschnappen? Der

Kerl ist ja trockener als seine Düten und dürrer als seine Nudeln! Wollen Sie sich denn das so ruhig gefallen lassen?“

„Fällt mir gar nicht ein, und der Anna auch nicht! Wir haben uns gestern Abend besprochen, fanden aber das rechte Mittel nicht. Vielleicht wäre noch Etwas zu machen, aber der Pappermann ist ein eingefleischter Kavallerist, und der Krämer hat ihm einen Apfelschimmel versprochen, wenn er das Mädchen bekommt.“

„Ah, ah, ah, — — jetzt geht mir ein Licht auf!“ rief Blücher, von seinem Stuhle, auf welchem er Platz genommen hatte, emporspringend und mit hastigen Schritten in der Stube auf und niederschreitend. „Warten Sie einmal, warten Sie; ich merke, daß mir ein Gedanke kommen will!“ Dann blieb er vor dem Unteroffizier stehen, blickte ihn mit lustig blitzenden Augen an und frug:

„Wissen Sie, wer Ihren früheren Apfelschimmel damals beim Ausrangiren erstanden hat?“

„Ja. Er steht noch heut draußen bei dem Schulzen von Fahrenkow in guter Kost und Pflege. Ich habe ihn erst kürzlich gesehen und mich über ihn gefreut.“

„So ist er wohl gut erhalten.“

„Ja; man sieht ihm seine alten Tage gar nicht an, und seine Launen hat er auch alle noch. Der Schulze hat ihn verkaufen wollen und darum die Bohnen aus den Zähnen fortgebrannt.“

„Das paßt ganz prächtig! Hören Sie, Wildebrandt, Sie sollen das Mädchen bekommen!“

„Wirklich, Herr Lieutenant?“ frug der Unteroffizier hoch erfreut.

„Wirklich! Ich will Ihnen nicht nur einen guten Rath geben, sondern Ihnen auch mit der That beistehen. Ich halte Etwas auf Sie, das wissen Sie ja; Ihr Mädchen wird es ja auch werth sein, daß man Etwas für sie thut; der Krämer ist ein abscheulicher Kerl, obgleich er den besten Burgunder führt, und was den alten Pappermann betrifft, so ist es sicher kein Unrecht, ihn darüber zu belehren, daß ein hübscher Husarenunteroffizier einem alten, ausgetrockneten Pfefferhändler allemal vorzuziehen ist. Hören Sie, was ich Ihnen sage: Sie nehmen sofort in Angelegenheiten des Lieutenants von Blücher einen kurzen Urlaub — die Bescheinigung werde ich Ihnen gleich schreiben — reiten hinaus nach Fahrenkow und sagen dem Schulzen, er solle mir einmal unverweilt den Schimmel schicken, ich hätte einen Käufer für denselben.“

„Zu Befehl Herr Lieutenant!“

„Sie bringen die alte Liese so schleunig wie möglich zu mir, reiten aber nicht durch die Straße, sondern ziehen sie durch den Garten in den Hof.“

„Zu Befehl Herr Lieutenant!“

„Das Uebrige werden Sie seiner Zeit erfahren. Jetzt sind Sie entlassen, und hier ist das Papier mit der Bescheinigung! Reiten Sie schnell. In einer Stunde können Sie wieder eingetroffen sein!“

Der Entlassene verließ mit freudigem Herzen das Haus.

Er kannte seinen Lieutenant und wußte, daß er sich auf ihn verlassen könne.

Die anwesenden Offiziere hatten dem Gespräche zugehört, ohne an demselben Theil zu nehmen; jetzt aber brachen sie ihr bisher behauptetes Schweigen.

„Sag’ einmal, Blücher, was für ein Plan Dir durch den Kopf gefahren ist!“ meinte der lange Venske. „Du machst ja ein ganz erstaunlich unternehmendes Gesicht!“

„Ein Plan ist es allerdings, der mir durch den Kopf geht, nur muß er erst die gehörige Reife erlangen. Der brave Wildebrandt muß unterstützt werden, das versteht sich ganz von selbst, und wenn es dabei dem alten Bramarbas, dem Pappermann, ein Wenig an den Kragen geht, so kann es ihm gar Nichts schaden. Vielleicht wird er dann für einige Zeit von seinem Aufschneiden kurirt.“

„Was für eine Absicht hast Du denn eigentlich mit dem Schimmel?“

„Das ist mir selbst noch nicht recht klar. Der Wachtmeister hat mich vorhin gefragt, ob ich kein Spazierpferd für ihn weiß; es muß aber partout ein Apfelschimmel sein, weil er früher einen solchen geritten hat. Da kommt mir nun unsre ausrangirte Liese zu Statten. Sie geht für’s Leben gern in’s Wasser, und ich weiß sehr genau, daß Pappermann halb todt ist, wenn er nur die geringste Pfütze zu sehen bekommt. Er ist vor einigen Jahren einmal in einen Teich gerathen und hat seit dieser Zeit eine unüberwindliche Idiosynkrasie gegen Alles, was naß ist. Außerdem besitzt die Liese eine solche Zuneigung für mich und meine Fuchsstute, daß sie trotz Sporen und Zügel und des besten Reiters mit uns Beiden durch Dick und Dünn geht, sobald ich ihr nur die Hand entgegenhalte. Es ist das eine Folge der verschiedenen Parforcetouren, welche ich mit Wildebrandt früher zu meinem Privatvergnügen unternommen habe. Damals hat sie der Unteroffizier dressirt, daß sie einen fremden Reiter nicht eher absitzen läßt, als bis sie den betreffenden Wink dazu erhält, und rechne ich zu Alledem noch, daß sie als ehemaliges Militärpferd unsern Signalen unmöglich widerstehen wird, so scheint mir genug Stoff zu einen lustigen Streiche vorhanden, der den alten Stadtkassirer zu Verstande bringen und ihn darüber belehren wird, ob er wirklich besser reitet als sämmtliche Angehörigen der hiesigen Garnison. Ich mei­ne — —“

Er wurde durch eine neue Meldung des Burschen unterbrochen. Auf sein zustimmendes Kopfnicken trat ein kleines, verwachsenes Bürschchen in das Zimmer und überreichte ihm ein zusammengefaltetes Papier. Als er es geöffnet hatte und mit dem Auge überflog, zuckte es wie Zorn über sein kräftig gebräuntes, männlich schönes Angesicht, bald jedoch machte sich auf demselben ein Zug geltend, welcher für Jemanden, der den Lieutenant nicht kannte, schwer zu enträthseln gewesen wäre.

„Wer bist Du eigentlich, Kleiner?“ frug er.

„Ich bin der neue Ladendiener des Herrn Spezereihändlers Hiller.“

„Der mir hier die Rechnung über den von ihm bezogenen -

bezogenen Burgunder nun zum zweiten Male schickt und mich zur — Zahlung mahnt! Sage doch einmal Deinem Herrn, er solle sofort zu mir herüberkommen, wenn er bezahlt sein will, aber sofort, hörst Du?“

„Ja, Herr Lieutenant. Sie sagen es ja laut und deutlich genug!“

„Gut; so troll Dich von dannen!“

Der Ladenjüngling ließ sich das nicht zweimal heißen. Es wurde ihm fast unheimlich unter dem Blicke, welchen die großen, hellblauen Augen auf ihn blitzten, und so machte er sich mit der größten Beschleunigung aus dem Staube und brachte seinem Herrn und Meister die Kunde, welche ihm übergeben worden war. Dieser äußerte nicht die geringste Verwunderung über dieselbe; er nahm an, daß Blücher dem ihm unbekannten Diener die Summe nicht haben anvertrauen wollen, warf sich in den großschößigen, blauen Staatsrock und schritt in gravitätischer Haltung über die Straße hinüber.

Jungfer Adelheid saß wie gewöhnlich am Fenster und sah den Einziggeliebten ihres Herzens direct auf ihre Thür lossteuern. Ein heiliger Schreck bemächtigte sich ihres zarten, schamglühenden Herzens. Sollte sie doch nicht so ganz unbeobachtet gewesen sein, als sie immer gemeint hatte? War ihre unendliche und unveränderliche Liebe bemerkt worden? Kam er vielleicht, um — — — Ach, wie schlug doch ihr Puls auf einmal so fieberhaft selig, wie zitterten ihr die Hände und Füße so wonnig wie — ach, ach, ach! Sie huschte trotz ihrer freudebebenden Glieder zur Thür, öffnete dieselbe leise und horchte hinab. Die Thür zu dem Vorzimmer des Lieutenants wurde geöffnet; also nicht ihr, sondern ihm galt der Besuch! Aber was wollte Hiller bei dem Offizier? Sie war vorhin einige Augenblicke vom Fenster fortgewesen und hatte in Folge dessen das Kommen und Gehen des Ladendieners nicht bemerkt. War es nicht vielleicht möglich, daß der Spezereihändler, der ja mit ihr noch niemals zusammengetroffen war und noch kein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte, den Herrn von Blücher um seine gütige Vermittelung in dieser discreten Angelegenheit bitten wollte? Sie mußte Gewißheit haben und beschloß daher, auf jeden Fall den Burschen auszufragen.

Während sie, oben an der Treppe stehend, auf jeden Laut, der sich unten vernehmen ließ, mit gespannter Anstrengung lauschte, trat Hiller in die Stube, in welcher ihn die Offiziere mit Blicken empfingen, unter denen es ihm ganz eigenthümlich zu Muthe werden wollte. Ganz besonders aber fiel ihm Blücher auf, welcher in kerzengrader Haltung und mit über die Brust verschränkten Armen am Tische lehnte und dabei ein Gesicht machte, als wolle er ihn sammt dem blauen Staatsrocke mit einem einzigen Bisse verschlingen.

Er grüßte, vollständig eingeschüchtert unter der Vorahnung eines Unheiles, welches im Begriffe stand, über ihn herein zu brechen.

„Lasse Er Seine Höflichkeiten!“ bedeutete ihm Blücher in barschem Tone. „Nach dem, was Er sich gegen mich erlaubt hat, sind sie am unrechten Platze!“

„Erlaubt, Herr Lieutenant?“ frug er ängstlich. „Das klingt ja fast, als hätte ich etwas Böses gethan, und ich bin mir etwas Derartiges gar nicht bewußt!“

„Er soll darüber sofort die rechte Aufklärung erhalten und hat hier weiter Nichts zu thun, als kurz und bündig die Fragen zu beantworten, welche ich an Ihn stellen werde.“

Die Gestalt des Krämers wurde unter dem Eindrucke dieser streng gesprochenen Worte wo möglich noch kleiner und dünner als sie so schon war.

„Ich werde mich bemühen, so kurz und bündig wie möglich zu sein!“ versicherte er, fast athemlos vor banger Befürchtung.

„Das ist Ihm auch sehr anzurathen! — Also: Wer bin ich?!“

„Der Herr Lieutenant von Blücher.“

„Gut. Kennt Er meine Verhältnisse?“

„Ja.“

„Sind dieselben etwa derangirt?“

„Ich verstehe dieses Wort nicht.“

„Das heißt auf gut Deutsch: ob ich mit meinen Geldbeutel auf den Hund gekommen bin!“

„Das wird Niemand zu behaupten wagen! Ich meine vielmehr grad das Gegentheil.“

„Mache Er keine Flaußen. Er hat es ja doch behauptet!“

„Ich?!!!“ frug Hiller auf das Heftigste erschrocken.

„Ja, Er!“

„Herr Lieutenant ich versich­re — —“

„Ruhig! Er hat diese Behauptung nicht durch das Wort, sondern durch die That ausgesprochen. Wer einen Offizier um die Bezahlung von einigen lumpigen Weinflaschen mahnt, der erklärt natürlich durch dieses beleidigende Verhalten nichts Andres, als daß er ihn für insolvent, für bankerott halte!“

„Aber ich versiche­re — —“

„Still soll Er sein, habe ich Ihm gesagt! Er hat hier gar Nichts zu versichern, sondern nur einfach mit Ruhe und Ehrerbietung das zu vernehmen, was ich Ihm sagen will. Seine erste Rechnung habe ich vorige Woche erhalten; sie wurde nicht berichtigt, weil ich an die Bagatelle wirklich nicht wieder gedacht habe. Heut nun schickt Er mir ein Duplucat in’s Haus. Ist das nicht eine Unverschämtheit, die gradezu ihres Gleichen sucht?“

„Aber, Herr Lieutenant, ich versich­re — —“

„Nichts hat Er zu versichern, gar Nichts, denn hier giebt es nicht den mindesten Grund zu irgend einer Entschuldigung!“

„Und doch giebt es einen solchen, wenn nur der Herr Lieutenant die Gnade haben wollen, mich anzuhören!“

„Da wäre ich doch wirklich neugierig!“

„Ich will Ihnen offen gestehen: Ich habe meinem Schwiegerva­ter — —“

„Seinem Schwiegervater? Er ist ja unverheirathet!“

„Das wohl, aber ich werde baldigst heirathen. Also

ich habe meinem Schwiegervater, dem Herrn Stadtkassirer und Rittmei — und Wachtmeister Papper­mann — —“

„Dem Stadtkassirer und Wachtmeister Pappermann? Der soll Sein Schwiegervater werden, dem seine Tochter will Er heirathen? Na, darüber sprechen wir uns noch weiter! Was hat Er denn Seinem Schwiegervater, he?“

„Ein Reitpferd, einen Apfelschimmel versprochen.“

„So! Alle Wetter, da hat Er sich doch ganz gewaltig auf die splendite Seite gelegt! Aber was hat denn der Apfelschimmel mit meinem Burgunder zu schaffen?“

„Der Herr Wachtmeister will sich noch heut Vormittag das Geld zu dem Pferde holen, und da — —“

„Das Geld zu dem Pferde holen? Hat Er ihm denn eine bestimmte Summe dafür ausgeworfen, oder ist der Handel bereits abgeschlossen?“

„Keins von Beiden; er will wohl nur sehen, ob ich Wort halte. Da nun meine Kasse grad heut auf eine solche Ausgabe nicht eingerichtet ist, so — —“

„So schlug Er dem Lieutenant von Blücher die größte Beleidigung in’s Gesicht, die es für jeden Ehrenmann und insbesondere für jeden Offizier nur geben kann. Wenn Er meint, daß mein Beitrag dem alten Wachtmeister zu dem versprochenen Apfelschimmel verhelfen solle, so mag Er meinetwegen Seinen Willen haben, aber die Folgen muß Er natürlich auf sich nehmen!“

„Die Folgen? Welche meinen der Herr Lieutenant?“

„Das wird Er gleich hören!“

Er trat an den Schreibtisch, öffnete eines der zahlreichen Fächer und entnahm demselben die verlangte Summe.

„Hier hat Er Sein Geld! Wäre Er nur der Pfefferkrämer Hiller, so würde ich Ihn jetzt, da Er die Bezahlung hat, durch meinen Burschen auf die Straße werfen lassen; da Er aber zufälliger Weise Offizier der hiesigen Schützencompagnie ist, so will ich das unterlassen und in anderer Weise mit Ihm sprechen. Er hat mich gemahnt, Herr Oberlieutenant, Er ist ein Flegel, hört Ers, Herr Oberlieutenant, ein Erzflegel, den man eigentlich beohrfeigen sollte! Als Offizier von der Schützengilde wird Er wissen, was Er jetzt zu thun hat. Und sollte Er in Beziehung auf den Flegel wirklich ohne alle Kenntniß davon sein, was die Ehre fordert, so darf Er nur Seinen zukünftigen Schwiegervater fragen und ihm sagen, daß der Herr von Blücher Jedem zu Diensten stehe, der ein solches Wort nicht leiden will. Jetzt aber mache Er nun, daß Er hinaus kommt!“

Ganz steif vor Schreck und Entsetzen wandte sich Hiller nach der Thür. Es war ihm ganz so, als habe ihn Jemand mit einer Keule auf den Kopf geschlagen. Halb bewußtlos schritt er über die Straße hinüber, und wie im Traume betrat er seinen Laden, in welchem er sich gar nicht aufhielt. Er begab sich vielmehr sofort in die Wohnstube und warf sich dort, ohne den Staatsrock abzulegen, schachmatt in allen Gliedern, auf das prasselnde Kanapee und stierte gedanken- und bewegungslos empor zur Decke.

So fand ihn Pappermann, welcher bei dem Anblicke

des halb Erstarrten, der weder sein Erscheinen noch seinen Gruß beachtete, besorgt auf ihn zutrat.

„Was fehlt Ihm denn, Er Himmel-Mohren-Elementer, daß Er sich hier auf die Pritsche legt und Augen macht wie Einer, den der Blitz erschlagen hat?“

Es erfolgte keine Antwort.

„Kann Er nicht reden, oder will Er nicht reden und spielt Komödie mit mir?“

Er faßte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn so kräftig, daß sein Auge sich nothwendiger Weise von der Decke wenden mußte.

„Nun, wie wirds? Mache Er den Mund auf, damit man hört, was es mit Ihm gegeben hat!“

„Gegeben? Mit mir?“ frug Hiller, wie aus einem tiefen Schlafe erwachend. „Ach ja, Herr Stadtkass — Herr Wachtmeister, es hat Etwas gegeben, und zwar etwas Schreckliches, etwas Fürchterliches, etwas Ungeheuerliches!“

„Das klingt ja wahrhaftig als hätte Ihn der leibhaftige Gottseibeiuns überfallen und Ihm den Kopf auf den Rücken drehen wollen!“

„Das ist’s ja auch, grad das ist’s und nichts Anderes!“

„Mache Er keine Flausen! Vor dem braucht man sich nicht zu fürchten, wenigstens ein alter Kavallerist nicht. Bei Euch vom Civil freilich ist es anders; Euch holt er ohne vorher viel zu fragen und zu parlamentiren. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, lag ich einmal in einer Mühle in Quartier. Nachts punkt zwölf Uhr ging meine Kammerthür auf, obgleich ich sie von innen und von außen verschlossen hatte, und wer trat herein? Nun, Er kann sich’s ja denken, wer es war. Ich sollte mit ihm gehen, weil im Garten ein ungeheuer großer Schatz vergraben lag; aber ich packte den Kerl bei den Parabel, trug ihn hinaus und hinunter in die Mühle, schüttete ihn auf wie einen Sack voll Getreide und ließ ihn zu Pulver mahlen. Es war ein ganzer Scheffel voll, und ich hab es mir mitgenommen und die größten Wunderkuren damit gemacht. Er wird wohl einsehen, daß es seit jener Zeit unmöglich mehr einen Teufel geben kann; meine Patienten haben das Pulver verschluckt, und er ist so vollständig verdaut worden, daß er ganz und gar alle geworden ist. Wenn Er sagt, daß der Böse bei Ihm gewesen ist, so ist das gar nicht wahr, sondern Er hat es nur geträumt.“

„Geträumt habe ich es nicht, sondern es ist gewiß und wahrhaftig geschehen.“

„So! Wie sah er denn aus?“

„Jung und hübsch, und eine Belling-Husaren Uniform hatte er an.“

„Höre Er, Er will mich wohl zum Narren halten? Wer soll denn dem Teufel eine Husarenuniform borgen!“

„Ja der Teufel war es eigentlich nicht, aber es ist trotzdem nicht weniger schlimm, denn aus ist’s doch nun mit mir!“

(Fortsetzung folgt.)

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Es ist aus mit Ihm?“ fragte Pappermann. „Der Teufel war’s nicht? Er redet irre! Wer war es denn?“

„Der Lieutenant von Blücher,“ antwortete Hiller.

„Nun hört mir aber Verschiedenes und Alles auf! Den Herrn von Blücher mit dem Satan zu vergleichen! Was hat Er denn mit dem gehabt, daß es nun aus mit Ihm ist?“

„Ich habe ihn gemahnt wegen dem Burgunder, den er noch nicht bezahlt hatte. Das hat er mir übel genommen und mich hinüber kommen lassen.“

„Nun?!“

„Da hat er mich vor den Offizieren, welche bei ihm saßen, angeschnauzt, daß mir die Haare zu Berge standen, von Ohrfeigen und vom Hinauswerfen gesprochen und —“

„Donnerwetter! Und das hat Er gelitten? Das hat Er ruhig und geduldig hingenommen?“

„Was konnte ich denn machen? Nicht einmal reden durfte ich! Und zuletzt brachte er endlich gar einen Brocken, an dem ich mich sicher todtkauen werde.“

„Welchen denn?“

„Ich habe die Worte und den Sinn eigentlich nicht so recht verstanden, aber es ahnt mir, was es zu bedeuten hat.“

„Wie sagte er denn?“

„Er meinte: „Wäre Er nur der Pfefferkrämer Hiller, so würde ich Ihn auf die Straße werfen lassen, da Er aber zufälliger Weise Offizier der hiesigen Schützengilde ist, so will ich in einer andern Weise mit Ihm sprechen. Er ist ein Flegel, Herr Oberlieutenant, ein Erzflegel, den man eigentlich beohrfeigen sollte! Als Offizier von der Schützengilde wird Er wissen, was Er nun zu thun hat, und sollte Er es wirklich nicht wissen, so darf Er nur Seinen zukünftigen Schwiegervater fragen!“ Das ist ja das reine Duell, das ist der fürchterlichste, hinterlistigste Mord und Todtschlag, den er an mir begehen will!“

„Das ist nun freilich eine schlimme Geschichte! Was hat Er denn geantwortet?“

„Was soll ich denn auf so eine tigerhafte Blutdürstigkeit antworten? Nichts habe ich gesagt, gar Nichts, sondern gegangen bin ich!“

„So, gegangen ist Er und vor Furcht und Angst hier auf das Kanapee gefallen. Was wird Er denn nun thun?“

„Thun? Ich? Nicht das Geringste! Ich bin ein guter, seelensguter Kerl und thue Niemandem Etwas!“

„So hab ich’s nicht gemeint. Er muß doch Etwas unternehmen auf die Beleidigung hin, die Ihm da drüben geworden ist!“

„Fällt mir gar nicht ein! Ich bin nicht rachsüchtig; ich werde dem Lieutenant Alles verzeihen!“

„Da wäre Er ja ein ganz ehrloser, miserabler Hallunke! Glaubt Er denn, daß der Herr von Blücher Seine Verzeihung annehmen wird?“

„Es ist mir ganz gleichgültig, ob er sie annimmt oder nicht! Ich bin ein Christ; ich räche mich nicht; ich vergelte lieber Böses mit Gutem; ich sammle glühende Kohlen auf seinem Haupte!“

„Das ist ja Alles recht schön, denn es steht so in der heiligen Schrift zu lesen; aber bei dieser Sache ist es doch wohl anders. Die Drohung mit der Ohrfeige und dem Hinauswerfen und nun gar noch den Flegel, den Erzflegel, den darf Er bei Leibe nicht auf sich sitzen lassen. Er ist Offizier bei der Schützengilde, wie der Lieutenant ganz richtig bemerkt hat, und will mein Schwiegersohn werden. Das sind zwei sehr triftige Gründe, Seine Ehre zu wahren und lieber mit Händen und Füßen drein zu schlagen, als dieselbe ungestraft beleidigen lassen!“

„Ich schlage aber nicht darein, weder mit den Händen noch mit den Füßen. Ich weiß, was mir gut ist und was ich vertragen kann; ein Duell aber ist für meine Gesundheit schädlich, und wer gegen die Gesundheit wüthet, der ist sein eigener Selbstmörder!“

„Da ist Er sehr auf dem Holzwege! Das Duell ist der Gesundheit nur zuträglich. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, hatte ich wöchentlich fünf bis sechs Duelle zu bestehen, entweder mit den Lieutenants oder mit dem Rittmeister und Major, die zuweilen etwas anderer Meinung waren als ich und sich dann stets mit dem Pallasch vertheidigen mußten; zweimal habe ich mich sogar mit dem Obersten geschlagen, wobei mir der Generalmajor seèundirte. Ich bin gesund und munter dabei geblieben und ein alter Kerl geworden. Er sieht also wohl, daß so ein Duell für den guten Schützen oder einen wohlgeschulten Fechter weiter Nichts ist als eine angenehme und kräftigende Leibesbewegung!“

„Ich danke schön für diese Art von Leibesbewegung! Wenn ich mich angenehm bewegen will, so krabbele ich mir mit den Fingern hinter den Ohren, und will ich mich durch Bewegung kräftigen, so schiebe ich mir ein gutes Frühstück in den Mund. Dabei werde ich wenigstens ebenso alt wie Ihr bei Eurem Säbelgeklirr und Pistolengeknalle und brauche auch keinen Generalmajor, der mir bei meiner Krabbelei oder bei dem Frühstücke secundirt!“

„So! Da hat Er allerdings Ansichten, welche das Schützencommando bei einem seiner Offiziere und ich bei meinem Schwiegersohn unmöglich billigen kann. Wenn die Sache ruchbar wird — und das wird sie sicher, denn dafür wird der Herr von Blücher Sorge tragen — so wird man Ihm die Epauletten nehmen, und aus der Verbindung mit meiner Tochter kann trotz des Apfelschimmels natürlich auch Nichts werden. Ich brauche keinen Schwiegersohn, der sich selbst für ehrlos erklärt!“

„Was Ihr da sagt!“ rief Hiller erschrocken, indem er von den Kanapee emporschnellte. Die letzten Worte des

Wachtmeisters gaben ihm seine ganze Spannkraft wieder. Er war enragirter Gildenschütze und unendlich stolz auf seine Charge. Der Gedanke, dieselbe einzubüßen, war ihm vollständig unerträglich. Ebenso verhielt es sich mit dem zweiten Punkte. Er war bisher einsam und allein durch das Leben gegangen und hatte den Gewinn, den Reichthum als einzigen Zweck, als einziges Ziel all seiner Arbeit und Anstrengung gekannt. Die Liebe war ihm fremd geblieben, bis er eines Abends ganz plötzlich bemerkt hatte, daß Anna, die Tochter seines Spielkollegen, die er doch seit ihren frühsten Jahren kannte, nie aber groß beachtet hatte, ein allerliebstes, wunderhübsches Mädchen geworden sei. Von diesem Abende an war sein enges, hartes Herz groß und weich geworden, und die süße Neigung, die ihren Einzug in dasselbe hielt, wuchs höher und höher, ließ ihm keine Ruhe bei Tag und Nacht und veranlaßte ihn endlich, um die Hand des Mädchens anzuhalten. Er mußte dabei seiner Sparsamkeit durch das Versprechen eines Apfelschimmels einen harten Stoß geben, aber einestheils wußte er, daß nur auf einem solchen Wege zum Ziele zu gelangen sei, und anderntheils blieb das Pferd ja sein Eigenthum und konnte zu jeder beliebigen Zeit, sobald Anna seine Frau geworden war, wieder verkauft werden.

„Die Wahrheit sage ich, die reine Wahrheit! Das Offiziercorps von der Schützengilde kann und darf einen Menschen, der sich ungestraft einen Flegel nennen läßt, nicht unter sich leiden, und ich mag erst recht Nichts mehr von Ihm wissen. Thue Er, was Ihm beliebt; ich habe meine Pflicht gethan und Ihn gewarnt!“

„Nein, aus der Schützengilde werden sie mich nicht streichen; ich leide es nicht. Und Ihr dürft das Wort nicht brechen, welches Ihr mir gegeben habt!“

„Sie werden es thun, darauf verlasse Er sich, das ist so Ehre und Gesetz. Und mein Wort kann ich zurücknehmen so oft es mir beliebt und sobald ich sehe, daß Er keine Ambition im Leibe hat. Mein Mädchen bekommt allemal einen Mann, und wenn ich sie dem Unteroffizier Wildebrandt geben sollte!“

Das war dem Spezereikrämer denn doch zu viel. Der Wildebrandt? Nein, der durfte sie nicht bekommen; lieber wollte er sich von einem ganzen Dutzend spitziger Degen aufspießen lassen!

„Ja, so sagt mir doch, was ich in dieser Angelegenheit eigentlich zu thun habe, um Euch zufrieden zu stellen! Ihr redet von meiner Ehre, die beleidigt worden ist; ich fühle aber doch gar nicht, daß sie mir wehe thut!“

„Desto schlimmer für Ihn, wenn Er eine Ehre besitzt, die so steinhart ist, daß sie sogar einen Erzflegel, der ihr an den Kopf geworfen wird, nicht fühlt! Er hat weiter Nichts zu thun, als den Lieutenant von Blücher einfach zu fordern.“

„Wenn’s weiter Nichts ist! Das kann ich schon thun, zehnmal für einmal!“

„Gut! Endlich kommt Er zu Verstande! Dazu ist es

nothwendig, daß Er sich einen unbescholtenen Mann als Cartellträger engagirt.“

„Was ist das?“

„Der dem Lieutenant die Forderung bringt.“

„Der ist bald gefunden! Wollt Ihr es thun, Herr Ritt— Herr Wachtmeister?“

„Mit Vergnügen! Es giebt für mich keine größere Lust, als Säbel blitzen zu sehen und Kanonen donnern zu hören.“

„Säbel blitzen?! Kanonen donnern?! Habe ich denn so Fürchterliches auszustehen?“

„Na, Kanonen werden grad nicht dabei donnern, denn der König wird Ihm zum ordnen Seiner Ehrensachen nicht die ganze tapfere preußische Artillerie zur Verfügung stellen. Aber mir ist es doch einmal ganz eigenthümlich passirt. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, forderte ich einmal einen Hauptmann von der Artillerie; ich kam mit einem Säbel und er mit einem Vierundzwanzigpfünder. Er hatte den ersten Schuß; ich wartete, bis die Kugel kam und hieb sie mitten auseinander, dann drang ich auf den Kerl ein und machte es mit Ihm g’rad’ wie mit der Kugel: ich theilte ihn mit einem einzigen Hiebe in zwei Hälften, die rechts und links zur Erde fielen. Solche Abenteuer wird Er freilich nicht zu bestehen haben.“

„Das ist mir lieb zu hören. Welcher Art werden denn die meinigen sein?“

„Das wird ganz auf den Herrn von Blücher ankommen.“

„Inwiefern auf diesen?“

„Weil er die Waffen bestimmen wird, das heißt, ob Ihr Euch mit Degen oder mit Schießwaffen schlagt.“

„Da thue ich nicht mit! Ihr habt doch vorhin gesagt, ich hätte weiter nichts zu thun, als den Lieutenant einfach zu fordern.“

„Allerdings!“

„Gut! Ich habe Euch beauftragt, ihn zu fordern; weiter habe ich nichts zu thun; stechen oder schießen werde ich auf keinen Fall!“

„Da hat Er mich falsch verstanden. Wenn Er den Offizier fordern läßt, so versteht es sich ja ganz von selbst, daß Er Seine verletzte Ehre durch die Waffen wieder herstellen will.“

„Nein, das versteht sich nicht ganz von selbst! Giebt es denn nichts Anderes, wodurch ich sie wieder herstellen kann, wenn sie wirklich verletzt ist, wovon ich aber gar nichts merke?“

„Nichts, gar nichts giebt es, als das Duell.“

„Aber ich kann ja gar nicht fechten und wenn ich einen Schuß höre, so falle ich um! Meine Nerven sind so gefühlsam, daß ich in meinem Laden kein Pulver führe, viel weniger aber gar noch schießen darf.“

„Das denkt er nur! Ich habe nun genug mit ihm verhandelt und bin des Redens müde. Er hat ja die Wahl. Soll ich Sein Secundant sein oder will Er die Forderung bleiben lassen? Seine Epauletten stehen auf dem Spiele und

Seine Braut dazu. Entscheide Er sich rasch, sonst gehe ich meiner Wege!“

„Giebt es wirklich nichts Anderes?“

„Nein!“

„So mögen mir die sechsunddreißig heiligen Nothhelfer, oder wie viel es ihrer sind, ich weiß es nicht genau, gnädig und barmherzig sein! Geht hinüber und fordert ihn. Ich mache heute Nachmittag mein Testament.“

„Zu dieser Vorsicht will ich Ihm allerdings gerathen haben. Der Blücher ist ein Schütze, wie kein zweiter, und den Säbel versteht er erst recht zu führen. Denke Er aber bei dem Testiren auch an mich und Seine Braut! Wie steht es denn von wegen dem Pferde? Hat er das Geld parat gelegt?“

„Ich hätte es wohl; aber wenn ich todtgeschossen werde, so wird ja auch aus der Heirath nichts und ich hätte Euch den Apfelschimmel umsonst gekauft.“

„Dann werden Ihm die paar Thaler, welche er kostet, auch gleichgültig sein und Er hätte wenigstens die Genugthuung, daß ich alle Tage hinaus auf den Gottesacker geritten käme und den Schimmel über Seiner letzten Ruhestätte dreimal wiehern ließe. Aber mit dem Todtschießen geht es nicht so schnell. Vielleicht kostet es Ihm blos die Hand, oder den Fuß, oder das Ohr, und das läßt sich schon ertragen.“

„Die Hand — den Fuß — das Ohr! Und blos! Giebt es wirklich kein anderes Mittel, den Flegel von meiner Ehre wieder herunter zu bringen?“

„Keins!“

„Gut, Ihr sollt das Geld haben! Es mag immerhin zum Fenster hinausgeworfen sein; mit mir ist’s doch nun auf alle Fälle aus. Kauft Euch dafür, was Ihr wollt, einen Apfelschimmel, einen Rappen, einen Fuchs, meinetwegen auch einen Orang-Utang oder eine Seeschlange. Aber das Wiehern auf meinem Grabe könnt Ihr bleiben lassen. Wenn mir hier oben auch auf eine so schauderhafte Weise mitgespielt wird, so will ich wenigstens dann da unten meine Ruhe haben!“

Drittes Kapitel.

Es hatte während der Nacht heftig und anhaltend geregnet und das Stolpeflüßchen trieb seine trüben, angeschwollenen Wasser durch die leise Dämmerung des anbrechenden Morgens. Die Straßen und Gassen der Stadt schwammen im Wasser und die Wege vor derselben waren fast bis zur Bodenlosigkeit aufgeweicht.

Wer die Thore des Ortes verließ, um das freie Feld zu erreichen, der wurde sicher entweder von der Noth oder von irgend einer dringenden Geschäftsangelegenheit hinausgetrieben. Und doch war es weder der eine noch der andere Grund, wegen dessen sich heute bei grauendem Tage verschiedene Personen zum Aufbruche rüsteten.

Drei Häuser waren es, in denen Regsamkeit und Leben

herrschte, während die Bewohner der übrigen noch in tiefem Schlummer lagen.

An derselben Stelle, an welcher Jungfer Adelheid gestern dem Kommen des heimlich Geliebten gelauscht hatte, stand sie auch jetzt und horchte mit angehaltenem Athem nach unten, von woher sich schallende Hammerschläge vernehmen ließen. Der Klang, welchen sie verursachten, war dumpf und hohl; sie konnte ihn nicht deuten, aber sie wußte, daß es sich jedenfalls um etwas Furchtbares handle. Noch am vergangenen Abende hatte sie von dem Burschen des Lieutenants vernommen, daß der Letztere den Spezereikrämer auf Tod und Leben gefordert habe. Der Schlaf war von ihren Augen gewichen, ihr Herz klopfte laut und stürmisch vor Angst um den theuren Mann, fast so laut und kräftig, wie die Schläge unter ihr im Flur der Hauses.

Sie konnte es nicht länger aushalten, sie mußte hinab, um zu erfahren, was das Unheil verkündende Pochen zu bedeuten habe.

Als sie hinunterkam, fand sie den Diener mit dem Unteroffizier Wildebrandt beschäftigt, einen großen, hölzernen Kasten zusammenzunageln. Er war lang und schmal, gerade als ob ein Mensch in ihm Platz finden sollte.

„Was baut Ihr denn da zusammen?“ frug Adelheid ahnungsvoll.

„Einen Sarg, gnädiges Fräulein.“

„Einen Sarg? Für wen denn?“

„Für den Schützengildenlieutenant Hiller.“

„Für wen?! Ist er denn gestorben?“

„Noch nicht. Aber nachher wird er erschossen!“

„Er meint wohl im Duell von dem Herrn von Blücher?“

„Ja.“

„Das ist ja fürchterlich, das ist ja entsetzlich! Giebt es denn kein Mittel, diesen unmenschlichen Handel rückgängig zu machen?“

„Keins!“

„Weiß Er das genau?“

„Sehr genau. Und wenn Ihr mir nicht glauben wollt, dürft Ihr nur den Herrn Lieutenant selbst fragen.“

„Ist er in seinem Zimmer?“

„Ja.“

„So melde Er mich doch einmal an,“ bat sie nach einem kurzen Besinnen.

Als sie bei dem Offizier eintrat, fand sie ihn mit den beiden Reiterpistolen beschäftigt, welche an der Wand zu hängen pflegten.

„Verzeihung, Herr Lieutenant! Die Sorge im Ihr Wohl treibt mich so ungewöhnlich früh schon zu Ihnen.“

Er kannte seine Wirthin; er hatte sie täglich am Fenster stehen und den gegenüberliegenden Laden beobachten sehen; er war von ihrer stillen, jungfräulichen Neigung überzeugt und wußte, welche Sorge sie zu ihm trieb.

„Ich danke Ihnen! Was macht Sie denn so besorgt um mein Wohl?“

„Ich erfuhr, daß Sie im Begriffe stehen, eine böse

Ehrensache auszufechten und habe so große Angst, daß Ihnen dabei etwas Schlimmes passiren könnte.“

„Beruhigen Sie sich, mein bestes, gnädiges Fräulein! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß mir nichts Uebles widerfahren wird.“

„Aber ich habe doch gehört, daß bei solchen Begegnungen Blut fließen muß!“

„Da haben Sie allerdings recht gehört!“

„Aber, mein Gott, mein guter, mein bester Herr Lieutenant, es muß doch für einen Christenmenschen geradezu unmöglich sein, den Nächsten so mir nichts dir nichts um’s Leben zu bringen!“

„Das ist wahr! Aber ich setze den Fall, dieser Nächste will es nicht anders? Und übrigens habe ich gar nicht die Absicht, den Herrn Spezereihändler umzubringen. Ich werde auf ihn schießen und dann ist es seine Sache, wohin er sich von meiner Kugel treffen läßt.“

„O, ich bin sicher, daß Sie ihn grade in die Brust oder in die Stirn treffen werden! Herr Lieutenant, mein liebster, mein bester Herr Lieutenant, thuen Sie doch das nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil ich Sie nicht als Mörder sehen kann.“

„Oder weil Sie wünschen, daß dem Herrn Nachbar da drüben nichts geschehe. Habe ich Recht, gnädiges Fräulein?“

Sie schlug unter dem scharfen, forschenden Blicke des großen, blauen Auges die Wimpern schamvoll nieder und fand keine Antwort auf diese militärisch gerade und unverhohlene Frage.

Er trat ihr näher und legte ihr die Hand schwer auf die Schulter.

„Lassen Sie mich offen zu Ihnen reden! In Augenblicken, in denen man dem Tode nahe steht, kennt man keine alltäglichen Höflichkeiten, sondern geht ohne Seitenwege auf sein Ziel los. Der Herr Spezereihändler ist Bräutigam?“

„Bräutigam?“ rief sie erblassend. „Nicht möglich! Wissen Sie es genau?“

„So genau, wie ich auch weiß, daß Sie ihn lieb haben. Er ist seit vorgestern mit der Tochter des alten Stadtkassirers Pappermann versprochen, der ihm sein Kind für ein Reitpferd verhandelt hat. Der Schwiegervater hat es mir selbst erzählt; er war gestern hier und kaufte mir einen Apfelschimmel ab. Das arme Mädchen ist einem Andern herzlich gut. Sie kennen ihn auch; es ist der Unteroffizier Wildebrandt, welchen Sie draußen im Flur getroffen haben. Nur die Empörung über diesen Menschenschacher ist es, welche das heute stattfindende Duell herbeigeführt hat.“

„Was ich da höre!“ jammerte sie, die Hände zusammenschlagend.

„Ich habe dem Wildebrandt versprochen, daß er sein Mädchen bekommen solle und darum werde ich seinem Nebenbuhler eine Kugel zu kosten geben, die er wohl nicht gleich wieder verdauen wird.“

„Nein, Herr Lieutenant, schießen Sie ihn nicht todt!

Es ist wahr, ich denke oft und viel an ihn und würde kein Opfer scheu­en —“

Sie unterbrach sich. Die Angst um den gleichgültigen Geliebten hatte sie rückhaltsloser sprechen lassen, als es sonst ihre Gewohnheit zu sein pflegte.

„Bitte, vollenden Sie Ihre Rede,“ mahnte er. „Vielleicht ist es möglich, eine Aenderung zum Guten herbei zu führen.“

„Wirklich?“

Sie athmete erfreut auf.

„Ich wollte sagen, daß ich viel, sehr viel darum geben würde, wenn —“

„Nun, wenn?“

„Wenn — wenn — hundert Thaler, zweihundert, dreihundert — ach, ich weiß vor Angst ja gar nicht, was ich sagen soll!“

„Ich weiß genug, mein gnädiges Fräulein! Sie geben dem armen Unteroffizier dreihundert Thaler zur Einrichtung, wenn er die Tochter des Wachtmeisters Pappermann heirathet. Sie sind wohlhabend, Sie können das, zumal wenn ich Ihnen ein ähnliches Versprechen gebe, wie es Wildebrandt von mir bekommen hat.“

„Ein ähnliches Versprechen —? Ach so!“ meinte sie erröthend. „Ja, ich gebe diese Summe, ich gebe sie gern, wenn Sie Wort halten.“

„Ein Mann, ein Wort; schlagen Sie ein. Topp!“

Sie legte ihre Hand in die dargebotene Rechte und verabschiedete sich dann um ein Bedeutendes ruhiger, als sie gekommen war.

Er blickte ihr lächelnd nach. Daß er ihr ein Versprechen gegeben hatte, von dem er noch nicht wußte, wie es zu lösen sei, machte ihm keine Sorge; er hätte auch nicht Zeit gehabt, sich mit einer solchen zu quälen, denn ein nahendes Sporengeklirr machte ihn auf das Erscheinen der Kameraden aufmerksam, welche kamen, um dem ungewöhnlichen Morgenritte beizuwohnen.

Auch im Hause Pappermanns herrschte frühzeitiges Leben. Er war eben aus dem Holzschuppen, in welchem bei Ermangelung eines Stalles der gestern erhandelte Apfelschimmel einstweilen untergebracht worden war, herbeigekommen und in das Zimmer getreten, wo er sich anschickte, die Stücke einer Husarenuniform anzulegen, welche er als ein heilig gehaltenes Andenken an seine ehrenvoll zurückgelegte Militärzeit aufbewahrt hatte.

Anna schlief. Sie durfte nicht ahnen, zu welchem ernsten Gange der Vater sich rüstete. Die Frauen sind ja ohne Verständniß für solche wichtige Dinge und erschweren durch ihr Jammern und Wehklagen nur das nothwendige Handeln. Als er den alten, nur mit großer Mühe blankgeputzten Schleppsäbel umgegürtet hatte, betrachtete er seine martialische Gestalt wohlgefällig im Spiegel.

(Fortsetzung folgt.)

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Ich bin doch ein Himmel-Mohren-Elements-Wachtmeister!“ sagte Pappermann, sich selbstgefällig im Spiegel betrachtend. „Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, war ich der schönste Mann im ganzen Regimente und noch heute, wenn ich des Königs Rock anhabe, sehe ich aus wie Einer, vor dem die Andern Respect haben müssen. Und nun noch der Apfelschimmel! Die Offiziere laufen bei diesem Wetter sicher nicht in den Wald hinaus und so wird es mir, da ich einmal das Pferd habe, auch nicht einfallen, mir müde und schmutzige Beine zu machen. Ich komme ebenso stolz zu Rosse wie sie. Der Hiller, denn ich abholen muß, mag sehen, wie er durch den Sand und Schlamm zur Stelle kommt.“

Er schritt leise, um die Tochter nicht aufzuwecken, die Treppe hinab, zog den Schimmel auf die Straße, setzte sich auf und trabte mit stolzer Miene in den grauenden Morgen hinein.

Bei dem Spezereihändler angekommen, fand er denselben in fürchterlicher Angst und Unruhe seiner wartend.

„Nun, wie steht es, ist Er parat?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte kleinlaut.

„So! In diesem Anzuge will Er, der Oberlieutenant von der Schützencompagnie, sich mit einem Offizier von den Belling-Husaren schlagen? Ist Er von Sinnen?“

„Soll ich vielleicht zu der Menschenschlächterei gar noch meinen theuern, blauen Staatsrock anziehen?“

„Auf seinen Staatsrock ist es nicht abgesehen, sondern auf seine Uniform.“

„Auf meine Uniform? Die mich ein so schweres Geld gekostet hat? Die soll ich anlegen? Bei diesem Wetter? Fällt mir gar nicht ein!“

„Es wird ihm schon einfallen. Wer bei so einem Rencontre seine Charge verleugnet, darf sich auch nicht wundern, wenn er als ordinärer Mensch angesehen und behandelt wird!“

„Aber wenn ich erschossen werde, so wird ja der schöne Waffenrock ganz mit Blut und Schmutz bespritzt!“

„Das ist ihm dann ganz egal. Jetzt holt Er gleich die Uniform, sonst mag Er sich nur immer nach einem andern Secundanten umsehen!“

Hier war nicht länger zu widerstehen. Hiller legte seine Schützengildenuniform an und trat dann mit dem strengen Schwiegervater hinaus auf die Straße.

„Ich glaube gar, Ihr wollt zu Pferde hinaus!“ meinte er, als er den Apfelschimmel erblickte.

Die Sorge um sein kostbares Leben hatte ihn so gleichgültig gegen alles Andere gemacht, daß er das Thier vorher weder gehört noch gesehen hatte. Auch jetzt bemerkte er nicht, daß da drüben in dem gegenüberliegenden Hause Jemand -

Jemand am Fenster stand und mit bleichem Angesichte herunter auf die Gasse schaute.

„Das versteht sich ganz von selbst. Ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den Belling-Husaren setzt sich zu Pferde, wenn er eine solche Ehrensache mit zu verhandeln hat. Bei Ihm ist das etwas ganz Anderes. Er ist Mitglied der Schützencompagnie und muß zu Fuß gehen. Vorwärts marsch!“

Er war aufgestiegen, setzte seinen Schimmel in Bewegung und ritt in gemüthlichem Schritte dem Thore zu. Hiller stieg in einer unbeschreiblichen Stimmung neben ihm her und ärgerte sich nicht wenig über den sonderbaren Umstand, daß er, als der eigentliche und rechtmäßige Besitzer des Pferdes, gezwungen war, die Beine zu gebrauchen, während der Stadtkassirer vornehm und ganz in der Haltung eines Generals der Kavallerie hoch oben im Sattel thronte.

„Aber, Herr Stadt — Herr Ritt — Herr Wachtmeister,“ brummte er, als sie in das Freie gelangt waren; „das geht doch eigentlich nicht, daß Ihr auf meinem Schimmel reitet, und ich laufe wie ein Schulbube hinter Euch her, werde bis an den Federstutz voll Schmutz bespritzt und mache mir meine kostbare Uniform zu Schanden!“

„So? Warum geht es denn nicht? Er sieht es ja ganz deutlich, daß es geht. Und was Er da von Seinem Pferde sagt, das kann ich nun gar nicht verstehen. Es ist doch mein, Er hat es mir gekauft!“

„Da seid Ihr ganz außerordentlich im Irrthum, Herr Wachtmeister. Ich habe es für mich gekauft und Euch nur zum Gebrauche überlassen.“

„Dagegen will ich allerdings Nichts sagen, denn wenn Er es mir zum Gebrauche überläßt, so ist es ja mein Eigenthum so lange als ich es benutzen will.“

„Ihr werdet Euch aber doch besinnen, daß ich vorgestern die Bedingung machte, daß ich es auch auf ein Stündchen bekommen kann, wenn ich es besteigen will.“

„Besteigen? Nein, Er hat nur vom Fahren gesprochen, jetzt aber wird geritten.“

„Ihr seht doch wohl jedenfalls ein, daß ich hier unten im Schlamme ersticken muß, wenn es so fortgeht. Laßt mich wenigstens ein Bischen mit aufsitzen!“

„Was will Er?“ frug Pappermann ganz erstaunt. „Zu mir heraufsetzen will Er sich?“

„Ja. Es ist kein Mensch in der Nähe, und Niemand wird es sehen, daß wir zu zweien reiten. Nehmt doch Rücksicht auf den miserablen Weg, den ich bis an die Kniee durchzuwaten habe. Ich habe mich Euch doch auch gefällig erwiesen!“

„Hm, da hat Er nicht so ganz Unrecht! Der Schimmel ist stark und kann uns Beide eine Strecke weit tragen. Na, da komme Er, und setze Er sich hinter mich. Aber halte

Er sich fest an, damit Er mir nicht wieder hinunter in den Mehlbrei rutscht!“

„Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es dem Spezereihändler und Schützengildenlieutenant hinter seinem Schwiegervater Platz zu nehmen. Es war das erste Mal, daß er ein Pferd bestieg; er zog die Beine so weit wie möglich in die Höhe, klammerte sich mit den beiden Armen ängstlich an den Stadtkassirer und gab sich im Verlaufe des ungewöhnlichen Rittes alle erdenkliche Mühe, die kostbare Balance nicht zu verlieren.“

„Drücke Er mir nur nicht die Rippen ein,“ mahnte Pappermann, als sie eine kurze Strecke vorwärts gekommen waren. „Er sitzt mir ja auf dem Nacken, wie ein alter Infanterietornister!“

„Kann ich dafür?“ frug Hiller. „Der Schimmel wirft ja die Beine als wolle er in die Wolken steigen, und ich rutsche dabei immer weiter über den Schwanz hinunter. Mir wird’s ganz jämmerlich zu Muthe, grad’ wie Einem, der auf dem Kirchthurme sitzt und den Krampf in die Beine bekommt!“

„Das hätte Er sich gleich erst denken können! Ein Apfelschimmel ist kein Kanapee und ein Schützengildist noch lange kein Kosakenhäuptling. Mache Er sich wieder herunter, sonst bekommt Er die Seekrankheit und fällt mir in die Buttermilch, aus welcher ich Ihn zeitlebens nicht wieder herauskriege! — Mache Er rasch,“ fügte er hinzu; „dort aus dem Seitenwege scheint Jemand zu kommen, und das wäre mir eine schöne Geschichte, wenn man uns beisammen auf dem Pferde träfe!“

„Ihr könnt doch auch absteigen. Die Reihe, zu laufen, ist nun an Euch! Dann sitze ich besser und werde den Schwindel los. Ein Oberlieutenant mit Epauletten gehört doch wohl eher auf den Schimmel als ein Wachtmeister, der kei­ne — — —“

„Ah, guten Morgen, meine Herren!“ ließ sich in diesem Augenblicke eine helle Stimme vernehmen. Blücher kam mit seinen Begleitern zwischen den am Wege stehenden Büschen dahergesprengt, und sein schnelles, unerwartetes Erscheinen hatte den Beiden nicht Zeit gelassen, ihre Fußgängerangelegenheit in Ordnung zu bringen. „Ah,“ rief er lachend, „wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtiglich bei einander wohnen!“

„Ja,“ meinte der lange Venske mit einem Blicke, der fast noch spitzer war als seine Nase; „eine Umarmung zu Pferde und zwar von hinten. Es passiren merkwürdige Neuigkeiten in der Welt!“

Der alte Wachtmeister kam in eine ganz schauderhafte Verlegenheit. So eine Blamage war ihm noch niemals widerfahren. Er drehte sich zurück und gab dem Krämer einen Stoß, der denselben bald vom Apfelschimmel geworfen hätte.

„Will Er wohl nun endlich einmal zusehen, daß Er hinunter und auf die Beine kommt, Er Himmel-Mohren-Elementer Er! Drei Dutzend Mal habe ich’s Ihm schon

gesagt, Er aber scheint heut’ gar keine Ohren mehr zu haben!“

„Das Pferd ist mein; ich bleib sitzen!“ erklärte Hiller, indem er sich bemühte, seine halbverlorene Stellung wieder zu gewinnen. Er durfte sich unmöglich vor den Herren Offizieren von dem Stadtkassirer demüthigen lassen.

„So lange ich es brauche, ist es mein!“ behauptete dieser. „So ist es ausgemacht, und so muß es auch gelten. Wenn Er nicht sofort und auf der Stelle absteigt, nehme ich das Thier vorn in die Höhe, und dann wird Er ja wohl erfahren, wie weich es sich im Schlamme sitzt!“

„Lassen Sie den Herrn Oberlieutenant immerhin bleiben, wo er sitzt,“ suchte Rudorf zu begütigen. „Sie haben das Pferd gekauft und er hat es bezahlt; also haben Sie gleiche Rechte und müssen zu zweien reiten. Vorwärts, Kinder!“

„Ja, vorwärts!“ stimmte Blücher bei, indem er seiner Fuchsstute den Schenkel zu fühlen gab. „Die Zeit vergeht und Ihr wißt, daß ich heut’ Blut sehen muß!“

Er strich dem Apfelschimmel über die Nase, schnalzte mit dem Finger und schoß dann im Galopp davon. Dies war das alt gewohnte Zeichen für das ausrangirte Husarenpferd. Es spitzte die Ohren, schnaubte einige Male wie beistimmend in die Nüstern und flog dann mit seinen beiden Reitern in weiten Sätzen der Stute nach.

„Mein Jesses, Herr Wacht — Herr Stadt — Herr Ritt — Herr Schwiegervater, haltet mich fest, sonst fliege ich in die Luft!“ brüllte Hiller, indem er die Arme um seinen Vordermann schlug, als wolle er ihn erwürgen.

„Hab — keine — Zeit!“ rief dieser athemlos zurück. „Der Schimmel — hat — den Teufel — im Leibe. Fliege Er — wohin er will! Als ich — noch bei — den Belling-Husaren stand — da hatte — ich ein­mal — — —“

Die Rede blieb ihm im Munde stecken. Blücher hatte jetzt vom Wege abgebogen. Der Ritt ging grad mitten in die Büsche hinein, und die Zweige schlugen dem Wachtmeister klatschend um die Ohren. Er konnte weder sehen noch hören; das Sprechen verging da ganz von selbst. Er mußte alle frühere Geschicklichkeit herbeisuchen, um nur sitzen zu bleiben und konnte sich also unmöglich um das Schicksal des Spezereihändlers bekümmern. Dieser schloß die Augen, zog die Beine in die Höhe, und schlang sie um die Hüften des Wachtmeisters. So lange dieser sich hielt, war auch er gesichert, das stand fest, und so braußte die verwegene Jagd prasselnd und knackend durch Strauch und Busch, bis endlich Blücher auf einem freien Platze hielt, auf welchem zwei Männer standen, welche die Kommenden erwartet hatten.

Es waren der Bursche und Wildebrandt. Sie hielten neben dem vorhin gezimmerten Kasten vor einem tiefen Loche. Hacke und Schaufel in ihren Händen zeugten, daß sie es eben erst aufgeworfen hatten.

Sobald der Schimmel stand, machte Hiller Miene, schleunigst herabzuklettern, doch das in seine alten Gewohnheiten fallende Thier schlug hinten in die Höhe und ließ ihn

nicht eher herunter, als bis Blücher mit der erhobenen Hand ein Zeichen gab.

„Was ist denn das für ein Loch?“ frug Pappermann, sich den rinnenden Schweiß von dem Gesichte wischend. „Das Himmel-Mohren-Elements-Vieh hätte mich ja beinahe hinein geworfen!“

„Es ist für Ihren Herrn Schwiegersohn bestimmt,“ antwortete Blücher gleichmüthig, indem er abstieg und an die Grube trat, um ihre Weite mit der Größe des Kastens zu vergleichen. „Einer von uns Beiden wird fallen, das versichere ich Ihnen, und wer es sein wird, darüber kann ja gar kein Zweifel sein!“

„Für meinen Schwiegersohn?“ Er sah mit einem Gesichte drein, welches schwer zu beschreiben war. „Wollen Sie ihn denn geradezu todtschießen?“

„Das versteht sich ganz von selbst! Wenn es Einer von der Schützencompagnie wagt, einen Husarenoffizier zu fordern, so wird von dem Letzteren die Sache natürlich so scharf wie möglich genommen. Das müssen Sie als alter Cavallerist sehr gut wissen!“

„Also nicht blos ein Wenig angeritzt, sondern wirklich erschossen soll er werden! Nachher in den Kasten und dann in das Loch? So gefährlich für ihn habe ich es mir allerdings nicht vorgestellt. Als ich noch bei den Bellings-Husaren stand, habe ich wöchentlich wenigstens sechs bis acht Rencontre’s gehabt, aber getödtet, eingekastet und begraben ist dabei Niemand worden.“

„Das mag sein. Doch beginnen wir; die Zeit ist verflossen!“

Auch die andern Offiziere, welche den drei Reitern auf dem Fuße gefolgt waren, stiegen ab. Wenn sie auf den Spezereihändler blickten, fiel es ihnen schwer, den nothwendigen Ernst zu bewahren. Er hatte das Gespräch Pappermanns mit dem Lieutenant angehört und stand auf dem Platze wie Einer, über den das jüngste Gericht hereinbricht. Der Federhut war ihm während des Parfocerittes verloren gegangen; die Haare hingen ihm wirr um das hagere, angstbleiche Gesicht, und seine Hände lagen gefaltet in einander, als erwarte er schon jetzt die tödtliche Kugel.

Treskow trat vor. Er war der Zeuge Blüchers und begann den üblichen Versuch zu einer friedlichen Ausgleichung der Sache.

„Schon gut!“ schnitt ihm Blücher, indem er die Pistole hervorzog, kurz die Rede ab. „Ersparen wir uns alle unnützen Worte und schreiten wir lieber zur That. Herr Wachtmeister, messen Sie die Distanze ab, fünfzehn Schritt, nicht zu weit; ich werde einstweilen versuchen, ob meine Hand heut sicher ist. Da oben die einzelne Zapfe an der Tannenspitze soll herunter. Aufgepaßt!“

Der Schuß krachte und die Zapfe flog zerschmettert in die Luft.

„So, es geht! Will der Herr Oberlieutenant nicht vielleicht auch einen Probeschuß thun?“

Dieser schüttelte nur verneinend mit dem Kopfe. Es war ihm nicht wie Schießen, es war ihm überhaupt wie

gar Nichts, er wußte kaum, daß er noch lebte. Er hatte noch niemals ein Mordgewehr in der Hand gehabt und Blücher hatte aus so bedeutender Höhe das kleine Ziel herabgeholt. Es gab ja gar nichts Anderes zu erwarten, als den Tod! Der omiöse Kasten stand ja schon bereit und daneben gähnte das furchtbare Loch, welches bestimmt war, einen armen Oberlieutenant von der Schützencompagnie zu verschlingen, welcher keinen Schuß zu hören vermochte, ohne in Ohnmacht zu fallen.

„Also sind Sie Ihres Armes sicher? Das ist mir lieb. Treten wir also an!“

Die Pistolen wurden geladen. Jeder der beiden Contrahenten erhielt eine derselben in die Hand, und nun war der fürchterliche Augenblick endlich gekommen.

Hiller mußte an seinen Platz geschoben werden. Es war ihm vollständig schwarz vor den Augen und in den Ohren tobte und toste es ihm, als brande die ganze Ostsee in ihnen.

„Herr Lieutenant,“ rief Pappermann in bittendem Tone; „ich ersuche Sie ganz gehorsamst um eine möglichst mil­de — — —“

„Sparen Sie alle vergebliche Mühe, Herr Wachtmeister! Ich weiß ganz genau, was ich zu thun habe, und einen Schwiegersohn bekommen Sie allemal wieder. Also, Herr Oberlieutenant, auf Commando Beide zugleich schießen. Zielen Sie genau, ich werde es auch thun!“

Er hob die Waffe; Hiller that es ihm mechanisch nach. Sie zitterte in seiner Hand. Er raffte sich mit aller Gewalt zusammen, und legte den Finger an den Drücker der Pistole.

Das Zeichen wurde gegeben. Zwei Schüsse krachten zu gleicher Zeit.

„Mein Jesses, Herr Wacht — ich — — ich bin — — — ich bin todt!“ schrie der Spezereikrämer, mit den bei den Händen sich krampfhaft nach der Brust fahrend. Dann brach er auf der Stelle, wo er gestanden hatte, leblos zusammen.

Pappermann eilte herbei und knieete an seiner Seite nieder. Die Offiziere warfen sich Blicke zu, aus denen eine nur mühsam unterdrückte Lachlust blitzte.

Hiller hatte gradauf gen Himmel geschossen, Blücher aber auf einen Baumstamm losgedrückt, der auch getroffen worden war.

„Er ist todt, ganz und gar todt, fürchterlich todt!“ wehklagte der Stadtkassirer. „Aber — aber — ich bemerke doch keine Wunde!“

„Er ist todt!“ wiederholte Blücher. „Das sagte er selbst, und das sagen auch Sie, Herr Wachtmeister; folglich wird er sofort begraben, damit keine Spur von unserm immerhin gefährlichen Handel zu finden sei!“

„Ja, todt ist er, der arme Teufel, und den Apfelschimmel, Gott sei Dank, den habe ich! Aber wo ist denn eigentlich Ihre Kugel eingedrungen?“

„Da er todt ist, so ist diese Untersuchung vollständig überflüssig. Wildebrandt, die Leiche gehört jetzt Ihnen!“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant! Machen Sie Platz, Herr Wachtmeister!“

„Das geht nicht so schnell, wie Er es meint! Es ist Menschenpflicht und Christenpflicht und ganz besonders auch meine Pflicht, hier so sorgfältig wie nur möglich zu verfahren. Ich sehe keine Wunde. Vielleicht ist er nur vor — vor — vor Anstrengung umgefallen!“

„Ob er in Folge der Anstrengung umgefallen oder von dem Schusse getroffen worden ist,“ meinte der lange Venske, „das ist hier ganz und gar gleichgültig. Er selbst hat in seinem letzten Augenblicke erklärt, daß er todt sei; und ein Sterbender sagt niemals eine Lüge. Legt ihn in den Kasten und werft ihn in das Loch. Es giebt noch genug Spezereikrämer in der Welt!“

„So!“ rief Pappermann zornig werdend. „Vielleicht giebt es auch der Lieutenants genug!“

„Das ist möglich,“ antwortete Blücher; „aber jedenfalls sind sie mehr werth, als alle möglichen Krämer und Wachtmeister zusammengenommen!“

Der Stadtkassirer erhob sich überrascht.

„Soll das vielleicht eine Beleidigung sein, Herr von Blücher?“

„Wie Er’s nimmt!“

„Er?“ Das war dem alten Bramarbas noch nicht widerfahren; in dieser Weise war er seit langen Jahren nicht angeredet worden. Er wußte nur zu gut, daß Blücher den Streit mit dem Spezereihändler vom Zaune gebrochen hatte. Wollte er vielleicht mit ihm ein Gleiches thun?

„Wenn ich es nun nicht als eine solche nehme?“

„Das ist Seine Sache! Wir sind hier sechs Personen, welche Seinen Schwiegersohn für todt erklären. Er als der Siebente ist nicht berechtigt, eine andere Meinung durchzusetzen. Der Todte wird begraben!“

„Meinetwegen! Jedenfalls aber nicht eher, als bis auch ich von seinem Tode vollständig überzeugt bin. Daß Sechs gegen mich sind, macht mich nicht furchtsam. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, bin ich einmal ganz allein mitten in eine feindliche Batterie hineingeritten, habe die Bedienungsmannschaft sammt der ganzen Bedeckung niedergesäbelt und die vier Kanonen nachher zu meiner Schwadron gebracht. Ich erhielt für diesen Streich damals eine Medaille; sie ist mir aber später einmal wieder verloren gegangen. Solcher Abenteuer könnte ich viele erzählen; glauben Sie da etwa, daß ich mich vor sechs Leuten fürchte, die in Summe kaum so alt sind, wie ich allein es bin?“

„Nein, das glauben wir nicht; aber ein Aufschneider ist Er, wie es keinen zweiten wieder giebt.“

„Herrrrrr —!“ brauste der Alte auf. „Soll das etwa wieder eine Beleidigung sein?“

„Wie Er’s nimmt! Er wird es aber jedenfalls wieder als keine solche gelten lassen!“

„Meinen Sie. Wenn ich es nun als eine Beleidigung nehme?“

„So weiß Er als ehrenvoll verabschiedeter Veteran, was Er zu thun hat. Wer ganz allein eine Batterie erstürmt, -

erstürmt, der muß trotz der verlorenen Medaille seine Ehre vertheidigen, sobald sie angegriffen wird.“

„Gut; ich fordere Sie!“

„Schön! Ich bin jetzt einmal im Zuge, und im Kasten ist vielleicht grad noch Platz genug für ihn.“

„Wir wollen erst abwarten, wer von uns Beiden hineinkommt. Denken Sie denn, daß es mir einfällt, mich mit Ihnen zu schießen? Nein, die Säbel müssen blitzen!“

„Darüber zu entscheiden ist wohl nicht Seine, sondern meine Sache! Aber ich will Ihm den Gefallen thun und den Degen wählen.“

„Schön! Und Ort, — Zeit?“

„Jetzt, aber nicht hier! Er hat sich gestern den Schimmel gekauft, und ich will Ihm Gelegenheit geben, uns zu zeigen, daß Er keinen schlechten Handel gemacht hat. Wir fechten zu Pferde und reiten deshalb hinaus in’s freie Feld.“

„Angenommen!“ zwang sich der Wachtmeister zu sagen. Es war ihm doch nicht ganz wohl zu Muthe. Er sah ein, daß der Lieutenant zu seinem ungewöhnlichen Verhalten durch eine ganz besondere Absicht getrieben werden müsse und daß er als der Aeltere und Erfahrenere mehr Vorsicht und Bedachtsamkeit hätte zeigen müssen.

„So setze Er sich auf!“

„Nicht eher, als bis ich hier den Todten gehörig untersucht habe!“

„Das kann unterbleiben! Ich gebe Ihm mein Ehrenwort, daß Sein Spezial nur dann begraben wird, wenn er wirklich todt sein sollte. Lebt er noch, so soll er mit der größten Sorgfalt behandelt werden. Genügt ihm das?“

„Gegen Ihr Ehrenwort kann ich natürlich keine Einwendung machen. Aber wie steht es denn mit dem Secundiren. Wird einer der Herren mir die Ehre erweisen?“

„Das versteht sich ganz von selbst. Das kann Er aber auch ausmachen, wenn wir am Platze sind. Jetzt also auf die Pferde und vorwärts, fort von hier!“

Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Als sie das Gebüsch hinter sich hatten, wandte sich Blücher an Treskow.

„Jetzt gilt’s Deine fünfzig Dukaten. Hältst Du das Geländer am Mühlwasser für feste Barrière?“

„Jedenfalls.“

„Gut! Es ist wohl einige Zoll noch über fünfeinhalb Fuß hoch. Mach Dich gefaßt zum Zahlen!“

„Du wirst doch nicht etwa gar bei der Ausführung Deines Planes einen so gefährlichen Sprung wagen! Bedenke doch, daß Du den Wachtmeister ganz ohne alle Tollkühnheit dahin bringen kannst, wo — — —“

„Ah bah! Ich brauche die fünfzig Füchse grad nothwendig und verdiene sie heut besser und lieber als morgen. Also Ihr reitet sofort zum Müller und laßt ihm das Wasser abstellen!“

(Fortsetzung folgt.)

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Wie es ausgemacht ist!“ meinte Treskow mit einem vergnügten Seitenblick auf Pappermann, welcher von der Unterhaltung kein Wort gehört hatte.

Blücher drängte jetzt sein Pferd an den Schimmel, strich diesem über die Nase und schnalzte wie vorhin mit dem Finger.

„Was soll diese Zärtlichkeit mit meinem Thiere?“ meinte der Wachtmeister. In der Erinnerung an den halsbrecherischen Ritt durch den Busch begann ihm die Ahnung aufzusteigen, daß hinter dem Verhalten des Lieutenants irgend Etwas stecken möge.

„Das wird Er gleich sehen!“ antwortete dieser, gab seinem Pferde die Sporen und setzte dasselbe in Galopp.

Der Apfelschimmel warf den Schwanz in die Lüfte, wieherte freudig auf und griff dann mit den Beinen aus, als wolle er seinen Reiter in vierundzwanzig Stunden um die Erde tragen. Die Jagd begann von Neuem und zwar mit einer Schnelligkeit und Ausdauer, daß in kurzer Zeit eine ganz bedeutende Strecke zurückgelegt wurde.

Sie ging einer Gegend zu, in welcher der Stolpefluß eine nicht unansehnliche Erweiterung erleidet, in deren Nähe damals eine große Mühle lag. Dieser Ort war es, den Blücher bei seinen früher mit Wildebrandt unternommenen Ausflügen als Ziel gewählt hatte, um sich mit den Pferden im tiefen Wasser zu erlustigen. Er kannte das Letztere sehr genau und wußte, daß es oberhalb des Mühlenwehres eine Bodenerhöhung unter demselben gab, welche die sonstige Tiefe auf nicht ganz Manneshöhe reduzirte.

Er sprengte grad auf diese Stelle zu. Als der Wachtmeister die glatte, schimmernde Fläche des trügerischen Elementes erblickte, begann es ihm unheimlich zu werden. Je näher er ihr kam, desto mehr bemerkte er aus der Richtung, welche Blücher einhielt, daß dieser einen Sprung in’s Wasser vorhabe, und gab sich Mühe, sein Pferd zu pariren. Aber der Schimmel ließ sich nicht mehr lenken; er hatte das Wasser gerochen, blies die Nüstern sehnsüchtig auf und setzte in weiten Griffen nur immer hinter der Fuchsstute her, die ihm hier so oft eine wackere Führerin gewesen war.

„Herr Lieutenant!“ rief der wasserscheue Mann. „Herr Lieutenant, ich bitte Sie um aller Welt willen, Sie wollen doch nicht etwa gar — —!“

Die Stimme versagte ihm. Sein Pferd griff mit den Hinterhufen fast über die vorderen hinaus, und bei jedem Zusammenwerfen der Beine war es dem Reiter, als sitze er auf einer Kugel, die sich mit ihm in die Fluthen rollen wolle.

Schon war das Geländer zu erkennen. Es war stark gebaut, fest und hoch. Darüber konnte Niemand hinwegkommen! -

hinwegkommen! Und doch ließ Blücher seinen Fuchs laufen, was er nur laufen konnte.

„Herr Lieutenant, Herr Lieutenant! Halten Sie doch Ihre infame Stute an! Himmel-Moren-Element, da — da — da — —!“

Mit einem mächtigen Satze war der kühne Husarenlieutenant über die Barrière weg. Das Wasser schlug schäumend über ihn und sein Roß zusammen. Der Schimmel strengte alle seine Sehnen an und folgte.

„Herr Lieutenant —! Alle gute Geister — —! Gott sei meiner armen See­le — — —!“

Das über ihm zusammenschlagende Wasser verschloß ihm den Mund. Nach einigen Sekunden erschien er mehrere Schritte von seinem Pferde entfernt, pustend, sprudelnd und mit Händen und Füßen um sich schlagend wieder auf der Oberfläche. Die Tragkraft des Wassers hatte ihn aus dem Sattel gehoben. Blücher bemerkte es, glitt vom Pferde, schwamm auf ihn zu und faßte ihn beim Schopfe. Die Fuchsstute strebte dem wohlbekannten Landungsplatze zu, wo sie stets aus der Fluth gestiegen war, und der Schimmel folgte ihr mit treuer Anhänglichkeit, wie er es aus früherer Zeit noch im Gedächtniß hatte. Rudorf, Treskow und der lange Venske waren, nachdem sie das Gelingen des Riesensprunges mit bewundernder Anerkennung beobachtet hatten, unbekümmert um die vier schwimmenden Wesen seitwärts abgeritten und in der Richtung nach der Mühle zu bald verschwunden.

Pappermann bemerkte von dem allen Nichts, er wußte nur das Eine, daß er sich in der Stolpe befinde und daß nun seine letzte Stunde gekommen sei. Das Wasser drang ihm durch Ohren, Mund und Nase; er stieß es gurgelnd von sich und wehrte sich halb bewußtlos und in krampfhaften Bewegungen gegen den fürchterlichen, unnatürlichen Tod, dessen nasse und eiskalte Schwingen ihn erbarmungslos umrauschten.

„So halte Er doch still!“ tönte die befehlende Stimme Blüchers wie aus meilenweiter Entfernung an sein Ohr; „sonst lasse ich Ihn los und Er mag meinetwegen ertrinken!“

Jetzt erst fühlte er, daß ihn Jemand bei den Haaren gefaßt hielt. Der Gedanke an eine Möglichkeit der Rettung ließ seine bereits schwindenden Lebensgeister zurückkehren und, gehorsam dem Gebote, verhielt er sich so ruhig, wie es ihm die unendliche Angst seines Herzens gestattete.

„So, jetzt kann Er festen Fuß fassen. Trete Er auf und öffne Er die Augen, damit Er sieht, wo Er sich befindet!“

Er wurde bei der Schulter gefaßt und mit den Füßen kräftig niedergedrückt. Sie berührten den sichern Grund, aber das Wasser ging ihm so hoch, daß es ihm den Athem

versetzte und seine zitternde Gestalt immer wieder in die Höhe hob.

„Herr Lieutenant,“ rief er, die Augen noch geschlossen, und die Arme grad emporstreckend, „Sie bringen mich um, Sie haben mich gemordet, Sie haben mich schmählich ersäuft. Ich werde Sie beim Oberkommando anzeigen!“

„Thue Er das, Herr Wachtmeister, wenn es Ihm gelingt, sich aus dem Wasser heraus zu arbeiten! Inzwischen will ich Ihn nicht weiter belästigen. Lebe er wohl!“

Die Arme, welche ihn bisher unterstützt hatten, wichen von ihm.

„Halt, halt, mein bester Herr von Blücher, bleiben Sie, gehen Sie nicht fort, ich muß ja sonst bei lebendigem Leibe jämmerlich ertrinken! Ich — kann nicht — schwimmen!“

„So hat Er die beste Gelegenheit, es zu lernen!“

„Nein, nein, ich danke für diese Gelegenheit, ich mag es nicht lernen, ich — ich will — — ich will hinaus!“

„Dann mache Er endlich die Augen auf, damit wir mit Seiner Forderung in’s Reine kommen, denn eher kommt Er nicht von dannen!“

„Mit meiner Forderung? Ich fordere Nichts, gar Nichts als nur mein armes Bischen Leben. Ich habe Niemand gefordert, ich bin der friedfertigste Mensch, den es nur geben kann!“

„Rede Er keine Dummheit! Er hat mich in Gegenwart von fünf Zeugen auf Säbel verlangt, das kann Er als ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister gar nicht leugnen und jetzt befinden wir uns auf der Stelle, welche ich mir zum Kampfplatz ausgesehen habe.“

Der Schreck über diese Worte riß ihm endlich die Augen auf. Er sah ringsum Wasser, Nichts als Wasser, welches in stillen, hinterlistigen, heimtückischen Wellen auf ihn einfluthete, es wurde ihm grün und gelb vor dem erstarrenden Blicke, und die erschrockenen Lider schlossen sich ebenso schnell, wie sie sich geöffnet hatten.

„Kampfplatz?“ zeterte er. „Hier? Mitten im Wasser? Das ist unmöglich, das ist gradezu ganz und gar unmöglich. Ich thue nicht mit!“

„So lasse ich Ihn hier allein, und Er mag stehen und warten, bis ihn die Frösche und Kröten anbeißen!“

Bei dieser Vorstellung zog der Geängstigte unwillkührlich die Beine in die Höhe. Sofort fuhr er mit dem Kopfe unter das Wasser. Blücher hob ihn empor und brachte ihn in seine vorige Stellung zurück.

„Da sieht Er, wie es Ihm geht, wenn Er auf Seiner Weigerung beharrt. Aber so mache Er nur einmal ordentlich die Augen auf, sonst kann Er versichert sein, daß ich die Geduld verliere und Ihn Seinem Schicksale überlasse. Er ist doch kein Kind, und ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den Belling-Husaren wird sich doch vor ein paar Tropfen Wasser nicht fürchten!“

„Ein paar Tropfen —“ jammerte er, „ein paar Tropfen sollen das sein! Es wibbelt und kribbelt von Eidechsen, Fröschen und Kröten um meine Beine, das Wasser geht mir bis an den Hals, und das sollen nur ein paar Tropfen -

Tropfen sein! Da bleibt mir doch gradezu der Verstand stille stehen!“

„Da halte Er ihn nur so fest wie möglich, denn Er wird ihn noch sehr nothwendig gebrauchen können! Wenn das Wasser jetzt bis an Seinen Hals reicht, so wird es Ihm in kurzer Zeit bis an den Mund gehen, und dann ist es aus mit Ihm. Bemerkt Er nicht, daß es immer höher und höher steigt? Der Müller hat den Schützen geschlossen, und so wird es in zehn Minuten vielleicht gar schon über Ihn zusammen gehen.“

„Herr Lieutenant, Sie sind ein ganz entsetzlicher Mensch! Sagen Sie doch nur schnell, was ich eigentlich thun soll!“

„Die Augen richtig offen halten und dann den Säbel ziehen!“

„Aber wozu denn nur um des Himmels willen? Ich bin doch kein Haifisch, daß Sie mir zumuthen, mich hier im Wasser mit Ihnen herum zu wälzen!“

„Aber ein Mann ist Er, dem es ganz miserabel steht, zu jammern und zu klagen, wenn es gilt, seine Ehre zu vertheidigen!“

„Ich will sie ja auch vertheidigen, aber nur nicht hier in dieser gräßlichen Sündfluth, in der ich mich nicht bewegen kann, ohne zu ertrinken.“

„Es kommt ja ganz auf Eins heraus, ob Er ertrinkt oder ob ich Ihn da draußen niederstoße, denn mir ist Er doch nicht gewachsen, das weiß Er nur zu gut. Ziehe Er blank, sonst schlage ich Ihn ohne Gegenwehr nieder!“

Der Sprecher zog den Degen und ließ ihn drohend vor der Nase Pappermanns funkeln.

„Also hier soll ich elend umkommen! Von den Fischen und Wasserratten soll ich aufgefressen und verzehrt werden! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, hätte ich an so Etwas gar niemals gedacht! Giebt es denn kein Mittel, diesem abscheulichen Tode zu entgehen? Ich will ja gern Alles thun, was Sie wollen, nur schaffen Sie mich aus diesem nassen Jammerthal hinüber an das Ufer!“

„Hm, Er ist mir ein schöner Hasenfuß, daß Er vor dem Bischen Brühe hier so zittert! Aber wenn es Sein Ernst ist mit dem Versprechen, so will ich Rücksicht auf unsre bisherige Freundschaft nehmen und mich billig finden lassen.“

„Gut! Also was verlangen Sie?“

„Ich muß Ihn zuvor um Etwas fragen. Weiß Er denn schon, daß Hiller den Apfelschimmel wieder verkauft hat?“

„Nein. Aber das ist ja gar nicht möglich; ich habe ihn ja noch!“

„Aber nur für kurze Zeit. Nach der Hochzeit wird er wieder abgeholt.“

„Das kann ich nicht glauben.“

„Wenn es Ihm der Lieutenant von Blücher sagt, so wird Er wohl die Gewogenheit haben, es zu glauben! Der Pferdehändler Ganzow hat es meinem Burschen noch gestern Abend erzählt; er kennt den Schimmel und hat ihn also im Sacke kaufen können. Der Krämer hat Ihn mit dem

Thiere nur aufs Eis geführt, er ist zu geizig, Ihm zu Liebe eine solche Ausgabe zu machen, und sobald das Mädchen sein ist, geht der Apfelschimmel flöten.“

„Da soll dem Himmel-Mohren-Elementer doch gleich — aber der Zorn hilft mir auch Nichts mehr. Da ist der Kerl ja ein ganz armseliger Lügner und Betrüger!“

„Ich begreife auch nicht, wie Er sich so gewaltig in ihn verschameriren konnte. Da ist mir der Wildebrandt doch ein ganz anderer Mann für Seine Tochter, und Er kann sich gratuliren, ihn zum Schwiegersohn zu bekommen!“

„Ich —? Den —? Zum Schwiegersohn —? Daran denkt kein Mensch!“

„Dann wäre also auch ich kein Mensch, denn ich denke sehr daran und grad jetzt am Meisten. Der Wildebrandt wird Sein Schwiegersohn; ich gebe Ihm mein Ehrenwort darauf. Das ist ja eben die Bedingung, unter welcher ich Ihm einzig und allein nur aus der Tinte helfe.“

„Einzig und allein? Das wäre ja schauderhaft, denn ich kann unmöglich darauf eingehen. Der Wildebrandt ist mir zuwider; er hat mich ganz außerordentlich beleidigt!“

„Spreche Er nur ja nicht von Beleidigung! Was der gesagt hat, das ist wahr; Er pflegt bei Seinen Erzählungen den Mund ganz ungeheuer voll zu nehmen und ist immer selber Schuld, wenn Seine Angaben Mißtrauen erregen. Jetzt geht Ihm das Wasser schon bis beinahe an den Mund; da kann Er ihn noch einmal voll nehmen, und das wird wohl das letzte Mal sein.“

„Aber der Wildebrandt ist ein Habenichts und blos Unteroffizier. Ein Soldat, welcher noch im activen Dienste steht, ist kein Mann für meine Tochter, und es kann noch lange Jahre dauern, bis er eine Anstellung erhält und eine Frau ernähren kann. Himmel-Mohren-Element, ich kann nicht mehr stehen; das Wasser reißt mich um. Schaffen Sie mich doch um aller Heiligen willen aus dieser unglückseligen Ueberschwemmung heraus. Der Müller muß auch grad jetzt des Teufels sein und das Wehr zustellen. Ich muß wahrhaftig schon Wasser schlucken, und Sie sehen doch ein, daß ich nicht, um auf den Beinen zu bleiben, die ganze Stolpe austrinken kann!“

„Ist auch nicht nöthig. Gebe Er nur Seine Zustimmung zu meinem Vorschlage, der annehmbarer ist als Er meint! Der Wildebrandt ist kein Habenichts; er hat dreihundert Thaler bei meiner Wirthin und fünfzig Dukaten bei mir stehen. Beim nächsten Geburtstage des Königs, an welchem die gewöhnlichen Jahresavancements stattfinden, wird er Wachtmeister, ich weiß dies ganz genau; er steht schon auf der Liste. Und was die Anstellung betrifft, so wird er sicher eine finden; ich selbst werde dafür Sorge tragen. Entscheide Er sich schnell. Entweder sagt Er ja oder wir schlagen uns. Ich warte keine Minute länger!“

„Aber ich habe doch dem Hiller mein Wort gegeben, und das darf ich nicht brechen, so lange er selbst den Vertrag hält, wenn der arme Teufel überhaupt noch lebt!“

„Er hat ihn durch den heimlichen Verkauf des Schimmels schon gebrochen. Uebrigens kann ich Ihm sagen, daß er noch lebt; er ist aus reiner Angst umgefallen, Schande genug für Ihn als Schwiegervater! Er wird Ihm heut noch sein Wort zurückgeben.“

„Ist das wahr?“

„Wenn ich es Ihm versichere, so ist es wahr! Also, den Säbel oder Seine Zustimmung?!“

„Sind Sie denn wirklich so hart und unerbittlich, Herr Lieutenant? Giebt es keine andre Hülfe? Ich kann es wahrhaftig keinen Augenblick länger hier aushalten, ich bin ja schon über die Hälfte ertrunken!“

„Es giebt keine andre Rettung und das ist nun mein letztes Wort. Bekommt der Wildebrandt die Anna? Ja oder Nein!“

Wieder blitzte der Säbel drohend vor den Augen Pappermanns, der jetzt bis an den Schnurrbart in Wasser stand. Er mußte den Kopf heben, um es sich nicht in den Mund dringen zu lassen.

„Schauderhaft!“ sprudelte er. „Ich muß wohl ja sagen, denn ich kann nicht anders, wenn ich nicht elend und jämmerlich vom Wasser zerplatzt werden soll. Schaffen Sie mich hinaus; er soll das Mädchen haben!“

„Schlage Er ein!“

„Auch noch! Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht unter dem Wasser eingeschlagen, weder als ich bei den Belling-Husaren stand, noch vor- oder nachher. Hier ist meine Hand!“

Blücher griff zu.

„Abgemacht also! Und heut Abend ist die Verlobung, was?“

„Meinetwegen schon heut Vormittage noch, aber nur beileibe nicht hier im Wasser!“

„Das will ich Ihm gern zugestehen. Jetzt aber wollen wir Seinen Apfelschimmel rufen, damit Er dann aufsteigen kann!“

„Ja, was wird denn nun mit dem? Der Hiller bekommt nun die Anna nicht, und so wird es mit dem Spazierenreiten seine guten Wege haben.“

„Reichen denn Seine Mittel aus, um das nöthige Futter beschaffen zu können?“

„Ich denke ja, wenn ich mich sonst ein Wenig einschränke. Wenigstens möchte ich es versuchen.“

„Dann soll Er ihn behalten dürfen!“

Er ließ einen scharfen, lauten Pfiff erschallen. Die Fuchsstute, welche mit ihrem vierbeinigen Kameraden ruhig am Ufer weidete, hob den Kopf und ging auf eine Wiederholung des Signales gehorsam in das Wasser. Der Schimmel spitzte die Ohren, schlug mit dem Schwanze einen kurzen Wirbel und sprang ihr dann nach. In kurzer Zeit und nach einiger Mühe, welche Pappermann dem Lieutenant bereitete, befanden sich Beide außerhalb des Wassers auf dem Trockenen.

„So!“ meinte Blücher, sich seiner früheren, höflichen Redeweise wieder bedienend. „Jetzt reiten Sie schnell nach

Hause und suchen sich zu erwärmen, damit Ihnen das kalte Bad keinen Schaden bringt. Ich muß die Kameraden aufsuchen, welche in der Mühle eingekehrt sind!“

„Darf ich zuvor eine Bitte aussprechen, Herr Lieutenant?“ frug der Wachtmeister, dessen pudelnasse Gestalt es an allen Gliedern schüttelte. Die Zähne klapperten ihm hörbar im Munde, und von den Spitzen des trübselig herabhängenden Schnurrbartes floß das Wasser in großen, schweren Tropfen hernieder.

„Thun Sie es!“

„Lassen Sie doch Niemandem Etwas von der heutigen Affaire erfahren! Es wäre sofort um meine ganze Ehre und Reputation geschehen, wenn die Sache ruchbar würde, und ich dürfte mich in der Stadt nie wieder sehen lassen.“

„Schön! Auf unsre Discretion können Sie sich verlassen; nur geben Sie wohl acht, daß Sie nicht selbst zum Verräther werden. Wir sehen uns heut noch wieder. Bis dahin leben Sie wohl!“

Er wandte sein Roß von dem triefenden Stadtkassirer und ritt der Mühle zu. Dort fand er die Drei, mit Spannung seiner wartend. Sie hatten schon im Begriffe gestanden, nach ihm zu sehen, weil sein „Wasserständchen,“ wie der lange Venske sich ausdrückte, ihnen „einige Ellen zu lang gedauert hatte.“

„Wie ist es abgelaufen?“ frugen sie im Vereine.

„Gut, sehr gut!“ lautete seine Antwort. „Der Wildebrandt kann zufrieden sein.“

Dann wandte er sich zum Müller.

„Ich habe Ihm einen Anzug für mich zustellen lassen. Führe Er mich an einen Ort, wo ich mich umziehen kann und besorge Er dann etwas Warmes. Seinen Schützen kann Er nun wieder aufziehen!“

Bald darauf trabten die Offiziere wohlgemuth der Stadt wieder zu. Treskow hatte seine Wette verloren und sich zur Zahlung der fünfzig Dukaten bereit erklärt. War es ihm schon wunderbar, daß Blücher mit seiner Fuchsstute die fünfeinhalb Fuß überwunden hatte, so schien es ihm ganz und gar unbegreiflich, daß auch der alte Apfelschimmel hinübergekommen war. Blücher lachte.

„Es war ein Jugendstreich von dem guten Thiere, der ihm zum zweiten Male wohl nicht wieder gelingen dürfte. Deine Dukaten bekommt Wildebrandt zur Beisteuer!“

Schon hatten sie eine bedeutende Strecke zurückgelegt und standen im Begriffe, aus dem Busche auf offenes Terrain zu biegen, als der lange Venske, welcher voranritt, sein Pferd parirte.

„Halt!“ kommandirte er. „Die da draußen brauchen uns nicht zu sehen!“

„Wer?“ frug Treskow.

Statt der Antwort deutete Venske mit der Rechten nach der Mündung des Holzweges, welchen sie ge kommen waren. Eine Schwaderon Husaren war zu sehen, welche trotz des lockern, aufgeweichten Bodens in scharfem Trabe über das freie Feld fegte.

„Ah,“ meinte Rudorf, „der Rittmeister von Platow mit

seinen armen, geplagten Teufeln. Der muß hinaus und wenn es Heringstonnen schneit!“

„Gebt einmal genau Achtung,“ erinnerte Blücher, welcher der Hinterste gewesen war und sich von den Andern die Aussicht verdeckt sah, „ob Ihr unsern tapfern Schimmel mit dem alten Pappermann dabei bemerkt!“

„Wieso soll der dabei sein?“

„Ich denke mir’s nur so. Der Apfelschimmel kann keinem Signale widerstehen, und wenn er Kavallerie sieht, so muß er dabei sein, da bringt ihn weder Sporen noch Zügel ab. Es sollte mich wundern, wenn der Wachtmeister der Schwadron nicht begegnet wäre!“

„Ja, ja, richtig,“ lachte der lange Venske, „dort reitet er mitten drin in Reih und Glied. Na, Pappermann, jetzt kannst Du Etwas erleben!“

„Den hat der Platow mit dem größten Vergnügen aufgefischt, und ich kann mir ganz lebhaft vorstellen, was es für eine Teufelshetze geben wird. Der arme Kerl ist naß bis auf die Haut und vielleicht auch noch ein Wenig weiter hinein, aber ich wette Hundert gegen Eins, daß er in einer Viertelstunde vor Hitze siedet!“

Sie ließen die Schwadron vorüber und setzten dann ihren Weg weiter fort. In der Stadt angekommen, suchte ein Jeder seine Wohnung auf.

Als Blücher die seinige erreichte, kam ihm Jungfer Adelheid mit angstvollem Gesichte entgegen.

„Mein liebster, mein bester Herr Lieutenant, wie ist es denn abgelaufen? Ich war sehr in Sorge um Sie!“

„Danke, meine Gnädige! Diese Sorge war wirklich unbegründet. Der Streit ist auf die zufriedenstellendste Weise beigelegt.“

„So habe ich mich getäuscht!“ rief sie, sichtlich erleichtert. „Als Ihr Bursche und Wildebrandt den Kasten durch die hintere Pforte brachten, glaubte ich zu bemerken, daß sie schwer trugen, und da ich bisher den Herrn Spezereikrämer nicht zurückkehren sah, so mußte ich fast annehmen, daß ihm ein Unglück widerfahren sei.“

„Beruhigen Sie sich! Er befindet sich so wohl, als läge er in Abrahams Schooß. Ich glaube sogar, Sie bekommen ihn heut noch zu sprechen.“

„Ist’s möglich, Herr Lieutenant? O, ich danke Ihnen für diesen Trost, der mir die verlorene Ruhe wiedergiebt. Seien Sie ja auch versichert, daß — daß ich mein Wort halten werde, wenn — wenn — —“

„Wenn ich das meinige halte? Ich gab noch niemals ein Versprechen, welches ich nicht auch erfüllte. Adieu jetzt, gnädiges Fräulein, ich bin nun sehr beschäftigt!“

Er trat in sein Zimmer. Sie stieg die Treppe empor nach dem ihrigen. Es war ihr wie heller, lichter und warmer Sonnenschein in dem Herzen, dessen Himmel bisher stets ein bewölkter und trüber gewesen war.

(Schluß folgt.)

Husarenstreiche.

Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten „Feldmarschall Vorwärts“ von Karl May.

(Schluß.)

Jungfer Adelheid setzte sich wie immer an das Fenster und beobachtete das gegenüberliegende Haus, ob der heimlich Geliebte nicht erscheinen wollte. Der Vormittag verging, ebenso der Nachmittag; der Abend kam, und noch hatte sich das hagere, gelbbleiche Gesicht nicht am Fenster des Ladens sehen lassen. Es wurde ihr doch wieder bange und schon überlegte sie, ob es nicht gerathen sei, den Lieutenant noch einmal ernstlich zu fragen, als es an die Thür klopfte und beim Oeffnen Blüchers Bursche vor ihr stand.

„Verzeihung, gnädiges Fräulein! Darf ich fragen, ob Sie ein wenig Zeit haben?“

„Mit dem größten Vergnügen darf Er das! Ja, ich habe Zeit. Weshalb fragt Er?“

„Weil mich mein Herr zu Ihnen schickt. Er läßt Sie bitten, einmal hinab in den Keller zu kommen, dessen Schlüssel ich Ihnen, wie mir eben einfällt, noch gar nicht wieder eingehändigt habe.“

„Bitte sehr, bitte sehr! Aber warum nicht in seine Wohnung, sondern hinab in den Keller?“

„Weil er Ihnen dort Etwas zu zeigen hat.“

„Schön; ich eile, ich komme gleich!“

Der Bursche entfernte sich und stieg in denselben Raum hinab, nach welchen er die Wirthin beschieden hatte. Dieser war von einer Laterne nothdürftig erleuchtet. In seiner Mitte stand der Kasten, welcher heute früh mit im Busch gewesen war. Blücher, Rudorf, Treskow und der lange Venske waren anwesend und beobachteten, wie Wildebrandt sich mit dem Oeffnen des improvisirten Sarges beschäftigte.

Der Deckel, welcher mit mehreren Luftlöchern versehen war, gab dem Drucke leicht nach, und nun erkannten die Umstehenden eine menschliche Gestalt, welche darin gelegen hatte. Die Augen waren geschlossen, Die Wangen tief eingefallen, die Hände gefaltet; der Mann sah wirklich aus wie eine Leiche. Es war der Spezereihändler und Schützengilden-Oberlieutenant Hiller.

Blücher faßte ihn bei den Armen und rüttelte ihn. Er gab kein Lebenszeichen von sich.

„Er wird doch nicht etwa gar erstickt sein,“ meinte Rudorf.

„Fällt ihm gar nicht ein! Der Puls geht fühlbar und der Athem auch,“ lautete die Antwort. Dann fügte der Sprecher in lautem, befehlendem Tone hinzu: „Aufgestanden, wenn es beliebt, Herr Oberlieutenant!“

Der Angerufene rührte sich nicht. Man nahm ihn aus dem Kasten und versuchte, ihn auf die Beine zu stellen. Er blieb steif und bewegungslos. Den Andern wollte es fast ängstlich werden, Blücher aber bemerkte unbesorgt:

„Laßt nur mich machen, ich erwecke ihn schon von den Todten!“

Er zog ein Pistol hervor und feuerte es ab. Ein Schrei erschallte von der Kellertreppe herab, und zu gleicher Zeit sprang Hiller, wie von Spannfedern getrieben, vom Boden auf. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er um sich.

„Wo bin ich? Ist das schon die Hölle?“

„Nein, sondern erst das jüngste Gericht. Setze Er sich nieder; Er soll Sein Urtheil hören!“

Ganz mechanisch, ohne zu wissen, was er thue und wer die Umstehenden seien, folgte er sofort dem Befehle und ließ sich auf den Rand des Kastens nieder.

„Kennt Er mich?“

„Nein!“

„So sehe Er mich einmal genauer an!“

Hiller erhob die Augen.

„Nun! Wer bin ich?“

„Sie sind — der — der Herr — der Her Lieutenant von Blücher.“

„Gut, daß Ihm endlich die Besinnung kommt! Weiß Er, was heut mit Ihm passirt ist?“

„Ja.“

„Was denn?“

„Sie haben mich erschossen!“

„Und nachher?“

„Nachher bin ich begraben worden.“

„Und jetzt?“

„Jetzt — jetzt — — ja, das — — — das weiß ich selber nicht!“

„Er ist ein Esel, ein altes Weib, über das man zu gleicher Zeit weinen und lachen könnte! Lebt Er denn noch oder ist Er wirklich gestorben?“

„Ja, Herr — Herr Lieutenant, das — das — — das kann ich nicht sagen. Ich glaube, ich bin todt!“

„Schön! So muß Er auch wieder begraben werden. Wildebrandt, legen Sie ihn in den Kasten zurück!“

„Nein, nein, ich bin lebendig, ich bin nicht gestorben!“ rief angsterfüllt der Krämer, als er sich von zwei derben Fäusten gepackt fühlte.

„Gut, so mag Er einstweilen noch sitzen bleiben! Aber in den Kasten kommt Er doch wieder, denn Seine Augenblicke sind gezählt.“ Er wandte sich an den Diener, dem er die abgeschossene Pistole übergeben hatte. „Hast Du wieder geladen?“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

„So gieb ihm die Waffe!“

Der Diener drückte sie dem Spezereihändler in die Hand. Dieser sah fragend und bestürzt empor.

„Was soll ich denn mit dem Gewehre thun?“

„Das fragt Er noch? Heut Morgen war ausgemacht, daß geschossen werden solle, bis einer von uns Beiden gefallen sei. Wir leben Beide noch, folglich beginnen wir jetzt von Neuem!“

„Von Neuem? Nein, ich thue nicht mit! Sie erschießen mich sonst zum zweiten Male und wenn ich wieder aufwache, gar noch zum dritten und vierten Male!“

„Das werde ich nun freilich thun, und darum ist es eine ganz unbegreifliche Dummheit von Ihm, daß Er immer wieder lebendig wird. Stehe Er jetzt auf und nehme Er Distanze, damit wir fertig werden!“

„Ich stehe nicht auf, ich mag von keiner Distanze Etwas wissen, ich will von Ihnen gar nicht fertig gemacht werden. Ich bin froh, daß ich wieder lebendig bin, ich mag nicht wieder in den fürchterlichen Kasten, wo ich gar nicht mehr gewußt habe, wer ich bin!“

„Er muß, denn Er hat mich gefordert!“

„Ich nehme meine Forderung zurück. Ich bitte Ihnen Alles ab, Alles, Alles, den Burgunder, die Rechnung, das Mahnen, Alles, Alles, was Sie nur wollen!“

„Das ist nun zu spät. Stehe Er auf, sonst schieße ich Ihn ohne Gegenwehr zu Boden!“

„Das wäre der reine Todtschlag, der reine Mord. Wenn ich Abbitte thue, so müssen Sie mich leben lassen!“

„Herr Lieutenant!“ ließ sich da eine leise bittende Stimme vernehmen, und eine Hand legte sich begütigend auf seinen Arm. „Schießen Sie ihn nicht todt; lassen Sie Gnade für Recht ergehen! Ich wäre ja selbst gleich des Todes, wenn hier in meinem Hause so eine furchtbare That geschehe!“

Jungfer Adelheid war es. Sie war vorhin vor Schreck über den Schuß auf der Kellertreppe niedergesunken, hatte sich aber wieder erholt und kam nun herbei, um womöglich den Geliebten zu retten.

„Hm, das ist wahr! Ihr Haus, mein gnädiges Fräulein -

Fräulein, käme in einen bösen Ruf, wenn es ruchbar würde, daß um mitternächtige Zeit ein todtgeschossener Spezereihändler darin sein Wesen treibe. Daran habe ich allerdings gar nicht gedacht, und ich möchte wohl gern auf Sie Rücksicht nehmen. Aber was haben Sie und ich davon, wenn wir ihn leben lassen?“

„Ich —?“ frug sie verlegen. „Sie wissen ja, mein bester Herr von Blücher, daß — daß ich — — daß ich gern — —“

„Ja, ich weiß, daß es besser wäre, wenn ich ihm eine Kugel durch den Kopf jagte, denn dann würde das arme Mädchen von ihm erlöst, das er mit Gewalt an sich bringen will.“

„Mit Gewalt!“ warf Hiller ein. „Ich thue Niemandem Gewalt an, ich habe sie nicht gezwungen, ihr Vater hat mir das Jawort freiwillig gegeben. Wegen ihm lasse ich mich nicht über den Haufen schießen!“

„Und grad wegen ihm muß Er sterben! Ich habe es hier dem Wildebrandt versprochen, daß er die Anna bekommt, und wenn Er nicht freiwillig von ihr läßt und die Verlobung aufgiebt, so putze ich Ihn hier mit der Pistole weg.“

„Ich mache nicht mit, ich laß mich nicht ermorden, mein Leben ist mir lieber als sie, ich mag von ihr gar Nichts mehr wissen!“

„Ist das Sein Ernst?“

„Ja.“

„Würde Er das auch dem Wachtmeister sagen?“

„Wenns nicht anders ist, ja.“

„Gut, ich halte Ihn beim Worte, und Er wird nachher mit zu Pappermanns gehen, wenn ich ja noch auf das Duell verzichte. Sein Leben hängt noch von einer Bedingung ab, die ich Ihm zu machen habe.“

„Noch eine Bedingung? Das nimmt ja gar kein Ende. Was ist’s denn für eine?“

„Wenn Er aus Rücksicht auf meinen Willen die Anna aufgiebt, so halte ich es für meine Pflicht, Ihm eine andre Frau zu verschaffen.“

„Eine andre Frau? Ich mag keine, ich will nicht das Geringste mehr von den Weibern hören; sie bringen lauter Unheil, lauter Mord und Todschlag in die Welt!“

„Da irrt Er sich. Man muß nur Eine nehmen, die Einem gut ist und die zu Einem paßt. Und da weiß ich nun allerdings eine Dame, die für Ihn grad wie geschaffen ist.“

„Da wäre ich doch begierig, sie zu sehen.“

„Das kann Er!“ antwortete Blücher, sich nach der Jungfer umdrehend. Er erblickte sie nicht mehr. Sobald sie gemerkt hatte, daß sich das Gespräch auf ihre Person lenken wolle, war sie in züchtiger Schamhaftigkeit verschwunden. Darum fuhr der Sprecher fort: „Gehe Er nur hinauf zu Fräulein Adelheid, die ist Ihm schon längst gewogen, besitzt ein anständiges Vermögen und steht im gleichen Alter mit Ihm. Das ist eine ganz andre Parthie für einen Mann,

der Oberlieutenant bei der Schützengilde ist, als die arme Wachtmeisterstochter.“

„Die Fräulein Adelheid? Die? Die wäre mir gewogen?“ frug Hiller. Er war ganz erstaunt; daß er eine so wohlhabende Frau bekommen könne, hatte er, dessen Anfang ein kleiner und armer gewesen war, niemals geglaubt. Da hatte Blücher allerdings Recht: Das war eine ganz andre Parthie für ihn. „Ist es wahr, was Sie mir da sagen?“

„Hält Er mich etwa für einen Lügner?“

„O nein, nein, Herr Lieutenant; ich zweifle gar nicht!“ Er hatte schon Angst vor einer neuen Drohung.

„So ist Er also mit mir einverstanden?“

„Das versteht sich! Ich bin einverstanden, vollkommen einverstanden, ganz und gar einverstanden!“

„So erkläre Er es laut und feierlich hier vor diesen Zeugen!“

„Ich erkläre es!“ rief der Krämer, im Eifer beide Hände in die Höhe streckend.

„Schön! Nun habe ich blos noch eine Bedingung, unter der ich meine Pistole wieder zurücklege.“

„Wahrhaftig, wieder eine! Nimmt denn das gar kein Ende?“

„Es ist die letzte und auch die leichteste. Sie betrifft den Apfelschimmel.“

„Den? Soll ich etwa mit ihm herumgaloppiren, bis er schwarz wird? Ich mag von der infamen Bestie gar Nichts mehr hören!“

„Darum hat Er sie wohl auch schon wieder verhandelt?“

„Verhandelt? Woher wissen Sie denn das?“

„Ich habs aus einem sichern Munde; aber Er wird den Kauf wohl rückgängig machen, denn der Pappermann will den Schimmel behalten.“

„Der ist gar nicht so dumm! Den Apfelschimmel behalten, wenn ich seine Tochter nicht heirathe! Nein, das geht nicht!“

„Es geht ganz prächtig; denn wenn Er ihm das Thier nicht läßt, so schieße ich mich doch noch mit Ihm und Er kommt hier in den Kasten.“

„Sie sind ein ganz fürchterlich grausamer Mensch, Herr von Blücher!“

„Das denkt Er blos! Die reiche Heirath, welche Er macht, bringt Ihm den Apfelschimmel hundertmal wieder ein.“

„Aber ich weiß doch noch gar nicht, ob sie auch wirklich zu Stande kommt!“

„Das Fräulein sagt sofort ja, das versichere ich Ihm. Also der Wachtmeister behält das Pferd?“

„Na, da mag er es haben; ich wünsche ihm Glück zu dem wahnsinnigen Viehzeuge, das mir alle Knochen im Leibe zusammengeschüttelt hat!“

„Auch das erklärt Er feierlich vor diesen Zeugen?“

„Ich erkläre es! Aber nur unter der Bedingung, daß Ihre Bedingungen nun einmal ein Ende haben!“

„Es war ja meine letzte. Jetzt gehe Er hinauf zu

meiner Wirthin und werde Er einig mit ihr. Dann kommt. Er in meine Wohnung; ich werde auf Ihn warten!“

„Darf ich zuvor um Etwas bitten?“

„Nun?“

„Erzählen Sie Niemandem Etwas von dem, was heut geschehen ist!“

„Ich werde es nicht an die große Glocke hängen. Es kommt ganz auf Sein Verhalten an, ob wir schweigen oder reden. Es ist ein gar schönes und kostbares Ding um die Ehre eines Oberlieutenants von der Schützengilde; wenn Er selbst zu schweigen versteht, so wird sie nicht sehr in Gefahr kom­men!“ —

Der ehrenvoll verabschiedete Wachtmeister und lobesame Stadtkassirer Pappermann saß wieder auf seinem Stuhle am Fenster und lugte in den dunklen Abend hinaus. Er wußte, daß Blücher sein Wort halten und kommen werde. Anna saß bei der Lampe am Tische und war mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt. Sie konnte gar nicht begreifen, was heut vorgegangen sein mußte, denn der Vater befand sich in einer Stimmung, die sie noch nie an ihm beobachtet hatte.

„Ich möchte nur eigentlich wissen, wenn er kommen wird! Ein Lieutenant sollte doch etwas schneller sein können! Ja, wenn es ihm so in den Beinen juckte, wie meinem alten Apfelschimmel! Denke Dir, Anna, heut bin ich über eine Barrière hinweggesetzt, die über zwölf Ellen hoch war, und zwar gradewegs hinein in’s Wasser. Der Lieutenant von Blücher war dabei und wäre bei einem Haare ertrunken, wenn ich ihn nicht herausgezogen hätte. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, habe ich manch einen schönen Sprung gemacht, aber so einen gewaltigen doch nicht!“

Das Mädchen nickte ihm beistimmend zu. Es war das Beste, was sie thun konnte.

„Und nachher begegnete ich der Schwadron des tollen Rittmeisters von Platow. Mit dem habe ich gewettet, daß er mit sammt seiner ganzen Schwadron mich und den Schimmel nicht fangen könne. Wir sind drei Stunden lang herumgejagt, und ich habe die Wette gewonnen. Ich glaube aber nicht, daß er mir das Geld bezahlen wird. Solche Herren sind in dieser Beziehung sehr vergeßlich!“

Er ritt mit seinem Stuhle an das nächste Fenster.

„Hm, fast scheint es, als ob er gar nicht — doch, da kommt Einer! Anna, nimm die Lampe und leuchte dem Herrn die Treppe herauf!“

„Wer ist es denn?“

„Der Herr Lieutenant von Blücher; ich hör’s am Gange und am Degenklirren; er hat eine ganz eigene Art, auf der Straße daher zu rasseln.“

Er hatte richtig gehört. Blücher kam die Treppe heraufgestiegen, grüßte das Mädchen freundlich und trat dann in die Stube.

„Guten Abend, Herr Wachtmeister! Haben Sie sich erholt?“

„Erholt?“ frug der Alte mit einem Seitenblicke auf die Tochter. „Wovon soll ich mich denn erholt haben? Ein Wachtmeister von den Belling-Husaren braucht sich niemals

zu erholen, denn es giebt Nichts, was ihn ermüden und angreifen könnte!“

„Ganz meine Meinung! Der Herr Rittmeister von Platow läßt Sie grüßen. Er möchte gern wissen, ob — —“

„O, mein bester Herr Lieutenant,“ fiel ihm Pappermann mit demselben Seitenblicke auf die Tochter in die Rede, „hat Nichts zu sagen, hat Nichts zu sagen; ich kenne den Herrn und werde nicht dringlich sein.“

„Schön!“ antwortete Blücher lächelnd, da er diese Seitenblicke zu würdigen wußte. „Wie steht es denn mit dem Apfelschimmel?“

„Ganz prächtig! Er steht im Schuppen und kaut Hafer. Werde ich ihn behalten können?“

„Ja. Der Spezereihändler wird es Ihnen selbst versichern.“

„Kommt er vielleicht heut noch?“

„Ganz sicher. Ich glaube, da ist er schon. Ach nein, es ist einstweilen ein Anderer.“

Die Thür hatte sich geöffnet. Wildebrandt trat ein und wandte sich in meldender Haltung an den Offizier.

„Eingetroffen, Herr Lieutenant, zur Rücksprache mit dem Herrn Wachtmeister.“

„Recht so! Sagen Sie ihm, was Sie auf dem Herzen haben!“

Der Unteroffizier trat dankend zurück und wandte sich an Pappermann:

„Herr Wachtmeister, ich hatte schon einmal die Ehre, Ihnen zu sagen, daß ich und Anna uns lieb haben. Sie waren gegen unsre Neigung. Seit dem heutigen Rencontre aber ist Ihre Ansicht wohl eine andre geworden, denn nach dem prachtvollen Sprunge in’s Wasser haben Sie dem Herrn Lieutenant aus — —“

„Halte Er einmal ein!“ rief der Stadtkassirer, indem er mit seinem Stuhle um einige Ellen vorwärts ritt und einen besorgten Blick auf die Tochter warf. „Ich habe gar Nichts gegen Ihn, und wenn das Mädchen ja sagt, so ists mir auch recht, vorausgesetzt, daß alles Versprochene gehalten wird. Das Rencontre braucht Er gar nicht zu erwähnen, und der Sprung in die Stolpe war erst recht eine Lappalie, die ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den — —“

„Guten Abend!“ ertönte es schüchtern unter der Thür. Hiller stand auf der Schwelle. Er hatte die maltraitirte Uniform mit dem Staatsrocke vertauscht.

„Nur immer herein!“ ermunterte ihn Blücher. „Es ist grad die rechte Zeit zur Gratulation!“

„Das will ich auch thun!“ antwortete der Spezereihändler. „Herr Wachtmeister, ich habe Euch Einiges zu sagen!“

„Und ich Ihn Einiges zu fragen! Hat Er den Schimmel verkauft?“

„Ich hatte ihn wieder verkauft, weil — weil — — weil — —“

„So! Er ist ja ein ganz außerordentlicher Himmel-Mohren-Elementer!“

„Verzeihung, Herr Wachtmeister, es ist anders geworden; Ihr könnt den Apfelschimmel behalten. Und was Eure Tochter betrifft, so — so — so — —“

„Nun? So — so — so — —?“

„So könnt Ihr sie auch behalten!“

„Ah, sehe Er doch einmal an! Sie gefällt Ihm wohl nicht mehr, seit Er todtgeschossen worden ist? Wie ist es Ihm denn eigentlich ergangen, seit — —“

„Ich bin verlobt,“ unterbrach ihn Hiller vorsichtig, „und habe von meiner Braut den Auftrag bekommen, dem Unteroffizier Wildebrandt hier diese dreihundert Thaler zum Angebinde auszuhändigen!“

„Und ich,“ setzte Blücher hinzu, „füge dieser Summe fünfzig Dukaten bei, die ein Freund des Unteroffiziers ihm schenken will. Hier sind sie!“

„Himmel-Mohren-Element!“ rief Pappermann und machte mit seinem Stuhle einen Satz, als wolle er durch die Stubendecke reiten, „wenn es in dieser Weise von allen Seiten Geld regnet, so ist mir der Schwiegersohn natürlich willkommen!“

„Die dreihundert Thaler nehme ich an,“ meinte Wildebrandt, am ganzen Gesichte lachend. „Was aber die fünfzig Dukaten betrifft, so ist der Schimmel mit bei dem Preissprunge gewesen. Erlauben der Herr Lieutenant, daß sie ihm zu Gute kommen?“

Blücher nickte zustimmend.

„Hier, Herr Schwiegervater, sind die Füchse. Bauen Sie den Schuppen aus und kaufen Sie Futter und Streu für das gute Thier!“

Der Satz, welchen Pappermann jetzt mit seinem Stuhle machte, war vollständig unbegreiflich; er hätte ihn auf dem Apfelschimmel nicht kühner und höher machen können.

„Ist’s wahr, Wildebrandt, Goldkerl?“ frug er aufspringend und die Arme ausbreitend. „Komm an mein Herz, Junge, ich muß Dich küssen!“

Er schob den Schnurrbart auf die Seiten und gab dem Unteroffizier, ihn herzlich an sich drückend, einen schallenden Schmatz. Dann faßte er die Tochter am Arme und schob sie dem Geliebten zu.

„Da habt Ihr Euch, Ihr Himmel-Mohren-Elementer! Herr Lieutenant, Sie haben Ihr Wort ganz prachtvoll gehalten. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, gab es wohl auch Offiziere, die sich gewaschen hatten, aber wie den Herrn von Blücher habe ich keinen gekannt. Der Hiller hat Seine, der Wildebrandt hat Seine und ich — ich habe auch Meinen, nämlich den Apfelschimmel, und der ist mir lieber als alle Medaillen, die ich bekommen habe; sie sind mir doch wieder verloren gegangen. Wenn ich Etwas zu befehlen hätte, Herr Lieutenant, so wären Sie in zwei Jahren Oberst, in vier Jahren General und in sechs Jahren Feldmarschall. Der richtige Kerl sind Sie dazu. Amen!“