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[Aus allen Zeiten und Zonen.]
      
XII.

Die Kriegskasse.

Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer.

1.

Der Obermüller konnte den Niedermüller nicht leiden und der Niedermüller war dem Obermüller nicht gut, das hatte seine guten Gründe. Die Obermühle war bis vor zehn Jahren die einzige Mühle im Thale gewesen, und ihr Besitzer hatte sich recht gut dabei gestanden; da war der jetzige Niedermüller gekommen, hatte seine neumodische Klapper an den Bach gesetzt und dem Obermüller die Mahlgäste weggenommen. War das etwa schön von ihm? Der Obermüller wenigstens hielt es ganz für das Gegentheil, zumal er den theuern Prozeß verlor, den er anstrengte, um sich seines Concurrenten zu erwehren. Dieser aber war ein durchtriebener Pfiffikus, lachte sich Eins in’s Fäustchen und hatte seine Freude über den Aerger seines nun mehr und mehr verarmenden Berufsgenossen.

Doch die zwischen den beiden Männern herrschende Antipathie hatte noch einen andern Grund. Der Obermüller war nämlich ein ächtes, braves Rheinlandskind und konnte es nicht verwinden, daß unser schönes Vaterland unter dem Drucke der französischen Herrschaft seufzte, seiner besten Kräfte beraubt wurde und seine reichen Hilfsquellen nach und nach versiechen sah. Der Niedermüller aber war von der obermoseler Gegend herabgekommen, wo man heimlich nach Frankreich hinüber zu schielen pflegte, und kannte keinen andern Herrgott, als den großen Bonaparte, der den Muth gehabt hatte, seine gewaltige Hand nach ganz Europa auszustrecken. Zwar hatte er eine Tochter, der wegen ihrer Schönheit, Sittsamkeit und Herzensgüte, vielleicht auch wegen des zu erwartenden Erbes die Jungburschen alle im Wege herumliefen, aber das machte doch die Sache nicht anders, vielmehr steigerte sich die Abneigung des Obermüllers um ein Bedeutendes, als er bemerkte, daß sie es seinem Franz auch angethan hatte, der des Abends um die Niedermühle strich und am Tage vor lauter Zerstreuung statt des zu mahlenden Getreides den Kartoffelsack in den „Rumpf“ ausleerte.

Auch heut hatte er allerlei Ungebürlichkeiten, die sonst gar nicht in seiner Art lagen, begangen, und als es nun Abend geworden war, fuhr er mit den Armen in das Sonntagsnachmittagswamms und schickte sich zum Fortgehen an.

„Wo willst Du hin, Franz?“ frug der Vater mit jenem unzufriedenen Tone, der jetzt öfters bei ihm zu hören war.

„Hinunter in’s Dorf; es giebt heute Tanz.“

„Wirst aber wohl nicht ganz hinunterkommen!“

„Warum?“

„Weil Dir die Niedermühle im Wege liegt.“

„So gehe ich an ihr vorbei.“

„Oder bleibst ein Wenig stehen, bis die Anna herauskommt.“

Franz erröthete.

„Soll ich etwa vor ihr ausreißen, Vater?“

„Nein, das ist nicht nothwendig; aber Du weißt, daß ich das fremde Volk da unten nicht leiden mag. Der Niedermüller ist ein Franzosenfreund; er hat uns um unser Brod gebracht und ist schuld, daß wir Tag für Tag unser Leben wagen müssen, wenn wir nicht verhungern wollen. Die Anna mag gut sein, aber Du kannst schon noch eine Andere bekommen!“

„Aber ich mag keine Andere, Vater! Wir haben uns lieb, und Du würdest ihr gewiß auch gut sein, wenn Du sie so kenntest, wie ich sie kenne. Sie spricht gar herzig von Dir und der Mutter und möchte gern an Euch gutmachen, was ihr Vater Ungutes an Euch gethan hat.“

„So!“ meinte der Müller nachdenklich und seine Stimme klang um ein Beträchtliches milder. „Sie hat mich allerdings immer freundlich gegrüßt, wenn ich ihr begegnet bin, weiter aber kenne ich sie nicht. Was sagt denn ihr Vater dazu?“

„Der weiß noch Nichts davon. Er will, sie soll den Douanenlieutenant Jambrieu nehmen, der in St. Goar stationirt ist.“

„Siehst Du! Wenn die Anna so denkt, wie Du sagst, so möchte es meinetwegen möglich sein, daß ich einmal Ja sage, aber der Alte wird es nimmermehr zugeben, daß sie den Sohn seines Todfeindes heirathet. Such’ Dir also eine Andre! Du bist durch ganz Deutschland gewandert und auch mehrere Jahre in Frankreich gewesen, und wer so viel gesehen und gelernt hat, der bekommt schon eine Frau!“

Der Sohn antwortete nicht, sondern nahm die Mütze zur Hand und schritt nach der Thür. Er hatte dieselbe schon geöffnet, als hinter ihm die Weisung ertönte:

„Punkt Elf bist Du wieder daheim! Es giebt heut ein gutes Geschäft, und um Zwölf müssen wir über das Wasser sein. Wir haben Neumond, so daß uns nicht leicht Jemand sehen wird, und wenn uns der Zufall nicht die ganze Zollwache auf den Hals führt, so stecken wir ein schönes Geld in die Tasche. Mit Einem oder Einigen nehmen wir es schon auf.“

„Ists viel, was wir zu laden haben?“

„Mehr als gewöhnlich, und darum wird auch die Gesellschaft voll beisammen sein. Vielleicht wird es gar an Fahrzeugen fehlen.“

„So nehmen wir den Kahn des Niedermüllers dazu. Anna wird mir den Schlüssel dazu geben.“

„Weiß Sie denn, daß — — —?“

„Ja, sie weiß es. Sie ist ganz zufällig dahinter gekommen, und ich konnte nicht leugnen. Aber Ihr Andern braucht keine Sorge zu haben; ich habe es ihr nur von mir gestanden!“

(Fortsetzung folgt.)
Aus allen Zeiten und Zonen.
      
XII.

Die Kriegskasse.

Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer.

(Fortsetzung.)

„So! Und sie hat Nichts verrathen? Das ist brav von dem Mädchen!“ sagte der Vater. „Ich sehe nicht ein, warum die Einen den Zucker und Kaffee theurer bezahlen sollen als die Andern, und zwar blos deshalb, weil Herr Napoleon einen Grenzstrich zwischen sie gezogen hat.“

„Soll ich also den Kahn nehmen?“ fragte der Sohn.

„Ja; nur nimm Dich in Acht, daß der Alte Nichts merkt! Du brauchst da gar nicht wieder zur Obermühle zu kommen, sondern kannst gleich hinüber rudern. Du weißt ja, wo wir zu treffen sind!“

Franz ging. Er war ein rüstiger, straffer und auch hübscher Bursche, dem ein Mädchen schon gut sein konnte; das wußte die Anna am Allerbesten, und darum lehnte sie bereits seit einer Viertelstunde am Gartenzaune und horchte in die stille Nacht hinaus, ob sich der bekannte Schritt des heimlich Geliebten nicht bald vernehmen lassen wolle. —

2.

Es war zwölf Uhr des Nachts. Im Douanenhaus zu St. Goar saß der Lieutenant Jambrieu bei der Lampe und schrieb an einem Berichte, welchen er morgen in der Frühe an seine Vorgesetzten nach Bacharach abgehen lassen wollte. Das Schreiben ging ihm heute gar nicht recht aus der Hand; seine Gedanken waren alle auf der Niedermühle, wo es ja Eine gab, die dem leckeren Franzosen in die Augen gestochen hatte.

Morbleu!“ murmelte er, die Feder zur Seite legend, „ich bringe partourt keinen gescheidten Satz fertig, weil mir das verteufelte Mädchen im Kopfe liegt. Ich bin so nervös und unruhig. Sollte das vielleicht eine Ahnung sein? Ich habe gehört, sie schamerirt mit dem Franz aus der Obermühle. Vielleicht steckt sie grad jetzt mit ihm in einer Ecke und läßt sich das rothe Mäulchen von ihm küssen. Wenn ich so Etwas bemerkte, ich stäche dem armseligen Coion den Degen durch den Leib! Coion, ja, so hat der Kaiser gesagt und so ist es auch wahr; Coions sind sie alle, diese Deutschen, und Brigands und Spitzbuben dazu, welche zu ganzen Schaaren und Banden den Schmuggel betreiben, ohne daß man ihnen beikommen kann!“

In diesem Augenblicke hörte er eilige Fußtritte dem Hause nahen, und einige Secunden später trat ein langer, hagerer Mann in das Zimmer, dem der Schweiß in großen Tropfen auf Stirn und Mund stand.

„Verzeihung, Herr Lieutenant, daß ich so spät störe,“

entschuldigte er sich; der Angeredete ließ ihn aber den beabsichtigten Satz nicht beginnen, sondern erwiderte, sich erhebend, mit dem Tone eines Gönners:

„Ihr seid es, Niedermüller? Ihr stört mich nicht und wenn Ihr mitten in der Nacht mich aus dem Schlafe weckt! Was führt Euch zu mir? Ihr seid ja ganz außerordentlich echauffirt!“

„Es ist auch die Sache darnach, Herr Lieutenant, und ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht so gelaufen wie jetzt, um noch zur rechten Zeit zu kommen!“

„Zur rechten Zeit? Diable! Das klingt ja fast, als hättet Ihr mir eine wichtige Botschaft zu bringen. Setzt Euch und sprecht!“

Der Müller nahm auf dem dargebotenen Stuhle Platz und begann:

„Sie kennen den Obermüller, Herr Lieutenant?“

„Ja.“

„Und seinen Sohn, den Franz?“

„Auch ihn. Warum fragt Ihr?“

„Sie wünschen die Schmuggler zu fangen, die Ihnen bisher so geschickt entgangen sind?“

„Ob ich will? Sacre nom du dieu, ich habe keinen heißeren Wunsch, als sie einmal auf frischer That zu ertappen. Sie schaffen nun seit Jahren die kostbarsten Waaren im Werthe von vielen tausend Franks über die Grenze, ohne daß es gelungen ist, ihrer habhaft zu werden. Aber was hat dies mit dem Obermüller zu thun?“

„Er ist ein Mitglied der Bande oder gar ihr Anführer.“

Helas! Ist das möglich! Woher wißt Ihr es?“

„Das sollen Sie gleich hören! Schon seit einiger Zeit habe ich bemerkt, daß die Anna zu einer gewissen Abendstunde in den Garten geht; es ist mir aufgefallen, und ich beschloß, ihr einmal nachzugehen, um zu sehen, was sie zu so ungewöhnlicher Zeit da draußen zu thun habe. Heut’ bin ich ihr nachgeschlichen, und was denken Sie, was ich gesehen habe?“

„Nun?“

„Sie stand mit dem Franz am Zaune, und verhandelte allerlei ungereimte Dinge mit ihm. Ich stand schon im Begriffe, mich zu erkennen zu geben, als er von ihr den Schlüssel zu meinem Kahn verlangte, auf welchem ich den jenseitigen Kunden das Mehl zu bringen pflege.“

„Weiter, weiter!“ drängte der Douanenoffizier.

„Weiter? Ich bin fertig. Das Uebrige können Sie sich denken!“

„Denken? Hm, ja. Also der Franz schamerirk mit Eurer Tochter. Das habe ich mir schon längst gedacht! Ich hoffe aber, daß — — —“

„Keine Sorge, Herr Lieutenant! Nun ich weiß, was hinter meinem Rücken vorgeht, werde ich dafür Sorge tragen, daß es nicht wieder geschieht.“

„Natürlich! Aber Ihr könnt doch unmöglich mit Eurer Geschichte fertig sein?“

„Ich bin fertig, denn das Andre hat für Sie kein Interesse,“ meinte der vorsichtige Müller, welcher seine Tochter nicht in Gefahr bringen wollte. „Nur das habe ich zu sagen, daß der Bursche mit meinem Kahn hinüber ist; sein Vater fuhr später auch ab, und etwas weiter unten bemerkte ich ebenfalls einige Boote, welche vorsichtig hinüber steuerten. Man hatte die Ruder mit Lappen umwunden. Es gilt jedenfalls ein Unternehmen, und ich bin daher Hals über Kopf nach St. Goar gelaufen, um Ihnen Nachricht davon zu bringen.“

„Ich danke Euch, Niedermüller; es wird Euer Schade nicht sein!“ antwortete Jambrieu und begab sich nach der Thür, um den im Vorraume befindlichen Zollwächter herbei zu rufen. Nachdem er diesem die nöthigen Befehle ertheilt hatte, schnallte er sich den Degen fester, steckte die geladenen Pistolen bei und warf den Mantel über.

„So, jetzt bin ich armirt, und nun allons, Niedermüller, Ihr geht ruhig nach Hause; es braucht Niemand zu wissen, wem ich die Kunde verdanke; ich aber begebe mich nach dem rendez-vous, an welchem ich meine Leute erwarten werde.“

Die beiden Männer verließen das Haus und schritten am Ufer abwärts, bis sie die Stelle erreicht hatten, wo nach der Aussage des Niedermüllers Franz mit dem Boote abgestoßen war. Der Erstere verabschiedete sich hier, um nach seiner Wohnung zu gehen, der Lieutenant aber begab sich nach einer in der Nähe liegenden Stelle, wo er bereits einige seiner Untergebenen vorfand, welche er durch den schnell abgesandten Boten an diesen Ort befohlen hatte. In kurzer Zeit stießen noch Mehrere hinzu, und bald waren die Wächter in einer Anzahl versammelt, welche genügend war, auch einen größeren Trupp, als die Schwärzer gewöhnlich zu bilden pflegten, siegreich in Empfang zu nehmen.

Der Offizier vertheilte seine Leute nach ab- und aufwärts in einer Weise, daß eine bedeutende Strecke des Stromes von ihnen beobachtet werden und ihre Vereinigung auf das gegebene Zeichen doch leicht und schnell erfolgen konnte, und bald lag tiefe Stille auf der Gegend, welche in jedem Augenblicke der Schauplatz eines blutigen und erbitterten Kampfes werden konnte.

Die Zeit verging. Mitternacht war längst vorüber. Es schlug Eins und Zwei. Da endlich ließ sich unterhalb des Ortes, an welchen Jambrieu sich befand, ein klagender Unkenruf vernehmen. So rasch und geräuschlos wie möglich eilte er vorwärts und traf fast zu gleicher Zeit mit den Anderen -

Anderen bei dem Douanier ein, welcher das Signal gegeben hatte.

„Was giebt es, Sombrier?“ frug er ihn. „Hast Du Etwas bemerkt?“

„Bücken Sie sich nieder, Herr Lieutenant,“ lautete die Antwort, „daß Ihr Auge in gleicher Linie mit dem Wasser kommt, und blicken Sie hier hinüber!“

Der Offizier folgte der Weisung und suchte das nächtliche Dunkel in der Richtung zu durchdringen, welche ihm der erhobene Arm des Sprechers angab. Der leise, phosphorische Schimmer, welcher die Oberfläche des Wasser kennzeichnete, ließ einige schwarze Punkte erkennen, welche auf dem Strome sich bewegten und bei ihren Nahen sich mehr und mehr vergrößerten.

Voilà, da sind sie! Tretet zurück; laßt sie ruhig aussteigen und die Boote befestigen. Dann aber rasch auf sie los!“

Er hatte sich in seiner Voraussetzung verrechnet; die Schmuggler waren klüger und vorsichtiger als er dachte. In sicherer Entfernung vom Ufer ließen sie die Boote halten, und bald zeigte ein leises Plätschern, daß Einer von ihnen in das Wasser gesprungen war, um an das Land zu schwimmen und daselbst zu recognosciren.

Mit kraftvollen Armen theilte er die Fluth, stieg leise und langsam die Dammböschung empor und blieb hier horchend stehen. Da klang ein leiser Ton durch die Nacht, so leise, daß er einem Anderen vielleicht entgangen wäre; er aber hatte ihn vernommen und griff zum Messer.

Sacré,“ murmelte Jambrieu zwischen die Zähne, „muß ich auch jetzt grad an den verteufelten Säbel stoßen! Ich werde dem Kerl den Rückzug abschneiden, damit er nicht zurück in das Wasser kann!“

Er hatte einen höchst unklugen Entschluß gefaßt. So leise er auch aufzutreten versuchte, der Schmuggler vernahm doch das Geräusch seiner Schritte und wandte sich nach dem Strome um. Jedenfalls war es seine Absicht, die Boote schwimmend wieder zu erreichen; er konnte sie aber nicht ausführen, denn noch hatte er keinen Fuß im Wasser, so fühlte er sich von dem Offizier gepackt und zurückgehalten.

„Zurück!“ rief er mit laut schallender Stimme; „die Zollratten sind da!“ und machte zu gleicher Zeit eine Anstrengung, von dem Lieutenant loszukommen.

Es gelang ihm nicht, denn es hatten sich zahlreiche Hände ausgestreckt, die ihn packten, und während er mit den überlegenen Gegnern rang, zog Einer derselben die geöffnete Blendlaterne unter dem Mantel her vor und ließ ihm den hellen Schein derselben in das Gesicht fallen.

„Der Franz,“ rief es; „der Franz aus der Obermühle!“ Und „Bindet ihn!“ fügte der Offizier hinzu.

Aus allen Zeiten und Zonen.
      
XII.

Die Kriegskasse.

Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer.

(Fortsetzung.)

Franz war erkannt; gelang es ihm nicht, zu entkommen, so war sein Loos die Galeere. Der starke Bursche fühlte bei diesem Gedanken seine Kräfte sich verdoppeln: wie der Löwe die Hunde, so schüttelte er die kleinen, schmächtigen Franzosen von sich ab; sie stürzten um ihn zur Erde, und nur Jambrieu hielt so fest, daß nicht von ihm loszukommen war.

„Laß los, Bonapartenpudel, sonst magst Du sehen, wie es Dir geht!“

„Meinst Du, Coion? Zeig’ doch, was Du kannst!“

„Sollst’s gleich sehen!“ antwortete es.

Der blasse Schimmer einer blanken Messerklinge leuchtete auf den Offizier nieder; er stieß einen kurzen, schrillen Wehelaut aus, fuhr zuckend mit dem Armen in die Luft und brach dann zusammen.

Mit einigen Sprüngen brachte Franz sich aus dem Bereiche seine Feinde und war im nächsten Augenblicke in der Finsterniß verschwunden. Ein fernes Plätschern bewies, daß die Boote den Warnungsruf beachtet hatten und schleunigst davonruderten. Der erwartete Fang war den unachtsamen Häschern entgan­gen. — — —

3.

Es war um Weihnachten. Der Winter war über das Land gegangen und hatte seine Schneeflocken auf Feld und Flur gestreut. Deutschland lag unter der drückenden, erwartungsvollen Stille, wie sie dem Sturme vorherzugehen pflegt; am Rheine war die politische Schwüle am drückendsten, und

der heilige Christ, welcher sonst so fröhliche Gesichter findet, begegnete gar manchem ernstblickenden Auge, welches von Dingen redete, die der Mund nicht auszusprechen wagte.

Auch auf den beiden Mühlen ging es außerordentlich ruhig zu. Von Franz hatte man seit jener Nacht Nichts wieder gehört. Jambrieu war von der erhaltenen Messerwunde vollständig genesen und wohnte jetzt in der Niedermühle. Er schien sich in St. Goar nicht mehr ganz sicher zu fühlen und hatte dieses Logis gewählt, weil er bei dem zu erwartenden Rückzuge gern einen reichen Vogel mitgenommen hätte.

Anna sträubte sich zwar nach Kräften gegen die von dem Vater ihr aufgezwungene Verbindung, aber das Drängen des Lieutenants wurde von Tag zu Tag nachhaltiger, und es war vorauszusehen, daß er den Müller endlich zu einem rücksichtslosen Machtspruch bewegen werde.

So war der zweite Feiertag gekommen; die Familie saß noch spät in der von dem brennenden Tannenbaume hell erleuchteten Stube und horchte auf die ruhmredigen Berichte, welche Jambrieu zum hundertsten Male von seinem Kaiser vortrug. Da klopfte es an die Thür, und auf das laute „Herein“ des Müller trat ein Mann herein, dessen zerfetzte Kleidung auf überstandene schwere Strapazen deuteten. Er trug den linken Arm in der Binde und ein Heftpflaster über das Gesicht, welches sich von der Nase bis fast an das Ohr erstreckte. Hätten ihn nicht schon diese Blessuren als Krieger gekennzeichnet, so wäre es sicher durch das Kreuz der Ehrenlegion geschehen, welches seine breite Brust schmückte.

„Kut’ Apend!“ grüßte er in gebrochenem Deutsch. „Kann ein arm’ Soldat ’ab’ un peu ßu ess’, ßu trink’ hund ßu schlaf’?“

Der Douanenoffizier erhob sich sofort und zog den beklagenswerthen Mann an den Tisch. Es verstand sich von selbst, daß ihm das Begehrte reichlich vorgesetzt wurde, und ebenso zahlreich waren auch die Fragen, welche er während des Essens zu beantworten hatte. Er gehörte zu der großen französischen Armee, welche aus Rußland retirirt war, in Deutschland geschlagen wurde und ihre versprengten Theile als Bettlerkolonnen heim in das gelobte Frankreich sandte. Im Laufe des Gespräches fand es sich, daß er ein Müller sei, und dieser Umstand bewog den Hausherrn zu der Frage, ob er auf der Niedermühle bleiben wolle, bis er sich von den ausgestandenen Beschwerden erholt habe. Er willigte mit Freuden ein und ward nach vollendetem Abendbrode bedeutet, sich von der Tochter des Hauses zur Ruhe weisen zu lassen.

Anna ergriff eines der Lichter, um ihn zu begleiten, es zitterte in ihrer Hand, aber sie brachte ihre Angst nicht eher zum Ausdrucke, bis sie in der Kammer stand, wo kein Lauscher zu befürchten war.

„Franz!“

Nur das eine Wort sprach sie aus, aber der Ton sagte mehr, als alle Worte es vermocht hätten.

„Anna! So hast Du mich erkannt?“

„Nicht gleich, aber endlich doch. Um Gottes Willen, geh’ fort von hier; wenn es herauskommt, wer Du bist, so bist Du verloren!“

Er nahm das falsche Haar vom Kopfe, entfernte den struppigen Bart aus dem Gesichte und warf die Binde fort, die seinen Arm gehalten hatte.

„Ich bleibe hier, Anna; ich muß hier bleiben, und Niemand wird mich erkennen!“

„Nein, Du mußt fort; ich würde sonst vor Angst sterben!“

„Es geht nicht; ich muß, Anna, und damit laß es gut sein! Wie steht es mit dem Jambrieu?“

„Ich muß ihn nehmen, wenn keine Hilfe kommt.“

„Sie wird kommen, und zwar bald. Deswegen bin ich hier. Wie geht es meinen Eltern?“

„Sie sind gesund und wohl. Was ist’s hier mit dem Pflaster? Geht das auch herunter?“

„Nein, der Hieb ist nicht falsch; ich habe ihn wirklich erhalten.“

„Einen Hieb? Sag’, wo!“

„Das werde ich Dir später erzählen. Jetzt geh’ hinab, damit Niemand Verdacht schöpft!“

Er schlang die Arme um sie, gab ihr einen herzlichen Kuß und schob sie dann zur Thür hinaus. Nachdem er die Letztere verriegelt hatte, öffnete er das Fenster. Es führte auf den Damm des Teiches, welchen der Bach hier bildete und an welchen sich die hintere Seite des Hauses lehnte. Mit einem gewandten Sprunge stand er draußen und gelangte auf einem Umwege zu dem Pfade, welcher längs des Wassers hinauf zur Obermühle führte. Dort angelangt, fand er die Thür verschlossen und alles Licht erloschen. Die Eltern, welche er sehen wollte, waren schlafen gegangen. Sollte er sie in ihrer Ruhe stören? Nach kurzem Besinnen beschloß er, umzukehren. Er mußte mehrere Tage bleiben und konnte sie also ja morgen aufsuchen.

Langsam schritt er den Weg, welchen er gekommen war, wieder hinab und stand, als er die Niedermühle erreicht hatte, eben im Begriff, seine Kammer aufzusuchen, als er Schritte vernahm, welche sich von vorn dem Hause näherten.

Er blieb lauschend stehen. Es wurde geklopft, und als nach einiger Zeit der Müller aus dem geöffneten Fenster blickte, frug eine Stimme in fremdländischem Accent nach dem Lieutenant Jambrieu.

Franz schlich sich näher und versteckte sich hinter einem Haufen Reißholz, welcher in der Nähe der Thür aufgeschichtet lag. Der Lieutenant erschien nach einiger Zeit; aber kaum hatte der späte Gast einige Worte zu ihm gesprochen, so faßte er ihn am Arme und zog ihn von der Thür hinweg bis in die nächste Nähe des unberufenen Lauschers.

Dieser vernahm jedes Wort der hastig geführten Unterhaltung und erhob sich, als die beiden Männer sich mit raschen Schritten entfernt hatten, mit einem tiefen Athemzuge aus seiner gebückten Stellung.

Es währte eine lange Zeit, ehe sie wiederkehrten, aber nicht zu Zweien, sondern zu Dreien. Sie trugen einen schweren -

schweren Gegenstand, machten einen möglichst weiten Bogen um die Mühle und verschwanden in dem Gesträuch, welches den Teich von drei Seiten umgab. Nach wenigen Minuten knirrschte es wie zerbrochenes Eis und es wurde ein kurzes Plätschern hörbar, als werde ein fester Gegenstand in das Wasser gesenkt und fahre, von den haltenden Händen losgelassen, mit kräftigem Schlage zu Boden.

Am nächsten Morgen fand der Müller statt des einen Franzosen, den er gestern aufgenommen, noch zwei, welche durch den Lieutenant hier ein Obdach gefunden hatten und für einige Tage hier zu bleiben erklärten. Und zu derselben Zeit traf man bei St. Goar auf einen alten Wagen, vor welchen ein alter, abgetriebener Gaul gespannt war, der traurig und hungrig den Kopf zur Erde senkte. Das Geschirr war aus irgend einem Grunde von seinem Führer verlassen worden.

4.

Das Neujahr 1814 war gekommen. Draußen in der Welt bereiteten sich große Dinge vor, und auch in der Niedermühle schien ein Sturm im Anzuge zu sein. Es konnte nicht verschwiegen bleiben, daß die Sache Napoleons auf schlimmen Füßen stehe, sämmtliche Douaniers hatten Ordre bekommen, sich marschfertig zu halten, aber der Befehl zum Rückzuge zögerte von Stunde zu Stunde. Der Glaube an die Allmacht des großen Corsen war so stark, daß man an den erlittenen Niederlagen zweifelte und aller Augenblicke den Bericht erwartete, er sei an der Spitze seiner Legionen erschienen und habe den Feind mit einem seiner gewaltigen Schläge für immer zu Boden geworfen.

Die vier Franzosen, welche jetzt die Mühle mitbewohnten, waren sehr darüber einig, daß diese Hoffnung in Erfüllung gehen werde, und der Eine von ihnen, welcher Müller war und das Kreuz der Ehrenlegion trug, übertraf sogar den Lieutenant an Eifer, für seinen glorreichen Kaiser auch mit der Zunge zu fechten. Er schien ihm auch in anderer Beziehung den Vorrang ablaufen zu wollen, wenigstens bemerkte der eifersüchtige Jambrieu, daß zwischen ihm und Anna trotz seines nichts weniger als ansprechenden Aeußeren eine immer wachsende Sympathie stattfinden müsse, und schon zu wiederholten Malen hatte er daher im Begriff gestanden, sein vermeindlich besseres Recht nunmehr zur Geltung zu bringen.

Der Müller fühlte sich nirgends wohler, als in der Gesellschaft dieser vier Männer, welche den gleichen Abgott mit ihm hatten und — es sich an seinem Tische trefflich schmecken ließen. Jemehr er grad jetzt um seines politischen Bekenntnisses willen von den Nachbarn gemieden wurde, desto fester hielt er dasselbe, und die Gerüchte, welche über den Vormarsch der Verbündeten im Umlauf waren, machten so wenig Eindruck auf ihn, daß er die Verlobung Anna’s mit Jambrieu auf den heutigen Abend festgesetzt hatte.

Er hatte erwartet, bei der Tochter den kräftigsten Widerstand -

Widerstand zu finden und wunderte sich nicht wenig, als sie sein Machtwort mit der gleichgültigsten Miene hinnahm und die nothwendigen wirthschaftlichen Vorbereitungen zu dem Familienfeste ohne besondere Anweisung traf. Er glaubte, sie sei endlich einmal klug geworden; ein Douanenoffizier ist ein schwerwiegendes Menschenkind, und wenn eine Müllerstochter ihn zum Manne bekommt, so hat sie von einem Glücke zu sagen.

Es waren für den Abend wenig Gäste geladen; aber der Kreis der Verwandten und Hausgenossen war ein so zahlreicher, daß sich bald eine lebhafte Unterhaltung entwickelte, welche gegen Mitternacht hin, wo das bindende Verlöbniß stattfinden sollte, in Folge des reichlich genossenen Weines außerordentlich animirt wurde.

Nur Jambrieu theilte nicht die frohe Laune der Anderen; er bemerkte gar zu wohl die Blicke, welche möglichst verstohlen zwischen Anna und dem Legionär gewechselt wurden; so gern er den Letzteren in den ersten Tagen gehabt hatte, so wenig konnte er ihn jetzt leiden, und es schwebte von Minute zu Minute ein scharfes Wort auf seinen Lippen, welches er nur zurückhielt, weil das schöne Mädchen ihm doch jedenfalls nun sicher war. Er gab sich Mühe, seine Eifersucht zu überwinden und ergriff das gefüllte Glas, um einen Toast auf seinen Kaiser auszubringen. Alles stimmte in das „vive l’empereur!“ ein, und nur der Legionär bückte sich unter den Tisch, als sei ihm irgend Etwas zur Erde gefallen.

Jetzt erhob sich auch der Müller zu einem Toaste. Er spöttelte über die kleinen Feinde Napoleons und forderte auf, die Gläser auf den baldigen Untergang derselben zu leeren. Alle folgten dieser Weisung außer wieder dem Legionär, welcher, sein Glas zwischen den Fingern drehend, ruhig sitzen blieb.

Helas,“ meinte Jambrieu, „bist Du an den Stuhl gewachsen? Was soll das heißen, daß Du Dich gar nicht rührst?“

„Das soll ’eiß, Napoleong sein perdu, Napoleong sein futsch, Napoleong sein kaput, sakt die Kossak,“ antwortete er in seiner gebrochenen Sprache.

Diese Worte brachten ein ungeheueres Aufsehen hervor; eine solche Versündigung an dem gewaltigen Herrscher war unerhört, und Jambrieu machte Miene, sich auf den Verbrecher zu stürzen, als plötzlich die Thür hastig aufgerissen wurde und ein Douane mit Sack und Pack hereintrat, um dem Lieutenant einen verschlossenen Brief zu überreichen.

Jambrieu besah das Couvert. Das Schreiben kam von seinem Vorgesetzten. Er las es und tiefe Blässe breitete sich über seine erschrockenen Züge.

„Der Feind ist da,“ rief er; „wir müssen fort. Rasch vorwärts in die Berge, bis der Kaiser sie wieder packt und vernichtet!“

(Schluß folgt.)
Aus allen Zeiten und Zonen.
      
XII.

Die Kriegskasse.

Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer.

(Schluß.)

Jambrieu eilte zur Thür, prallte aber dort um einige Schritte zurück, denn vor derselben stand die hochaufgerichtete Gestalt des Legionärs, welcher ihm die Pistole entgegen hielt.

„Wart’ Sie nok ein klein Wenik, ’err Lieutenant,“ meinte er lächelnd; „Sie ’ab’ verkeß’, mitßunehm’ Ihr Braut!“

„Was soll das heißen?“ frug der vollständig verblüffte Offizier.

„Es soll ’eiß’, daß Franzis sein kaput und die ’err Lieutenant sein auk kaput!“

„Kaput? Ich?!“

Oui, kaput, ßerr kaput!“

„Zurück, Schurke; laß Deinen dummen Witz! Ich habe keine Zeit, ihn anzuhören.“

„Ah, die ’err Lieutenant muß lauf’, lauf’ über die Berg vor der Cuchons, die freß’ all’ Franzos’ und all’ Douaniers. Hêlas, die ’err Lieutenant muß bleib’ in diese chamber bis komm’ der Cuchons!“

Jambrieu wollte ihn fassen; der Legionär aber stieß ihn zurück, riß die Perrücke vom Kopfe, den Bart vom Gesichte -

Gesichte und warf das alte Camisol, welches er getragen hatte, vom Leibe. Ein Schrei des Schreckens entfuhr der aufgeregten Versammlung, denn statt des verwundeten Franzosen stand Franz vor ihnen, der dem Douanenoffizier mit einem raschen Griffe den Degen entriß. Er trug eine schwarze, roth vorgestoßene Litewke, von welcher die goldgelben, halbmondförmigen Achselstücke sich glänzend hervorhoben; das dunkle Lederzeug stak voller Waffen, und seine ganze Haltung war eine solche, daß keiner der Franzosen sich auf ihn zu werfen wagte, zumal Alle die fürchterliche Uniform kannten, welche er trug: er war ein Lützower.

Den Degen Jambrieu’s hinter sich an die schnell verriegelte Thür lehnend, zog er eine zweite Pistole hervor. Die Hähne knackten, ein leiser Druck der Finger und die tödtlichen Schüsse mußten krachen.

„Kennen Sie mich jetzt, Herr Lieutenant?“ frug er ernst. „Sie wollten einst den Schmuggler fangen, jetzt hat er Sie im Sacke. Und nun paßt auf, Ihr Leute: Wer nicht sofort thut, was ich befehle, den schieße ich auf der Stelle nieder!“

Man sah es ihm an, daß er Ernst machen werde, und als ein kurzes, barsches

„Setzt Euch!“

erscholl, suchten Alle außer Jambrieu die verlassenen Sitze wieder auf.

„Herr Lieutenant, ich schieße. Setzen Sie sich! Eins — zwei — —“

Der eingeschüchterte Offizier wartete die verhängnißvolle „Drei“ nicht ab.

„Aber was wollen Sie denn eigentlich von uns?“ frug er kleinlaut, indem er sich ruhig auf dem Stuhle niederließ. „Wir werden Ihnen nicht das Geringste zu Leide thun, sondern ganz ruhig unseres Weges gehen!“

„Ich habe noch Mehreres mit Ihnen zu verhandeln!“ lachte der muthige Lützower. „Zunächst sage ich Ihnen meinen Dank für den Unterricht, welchen Sie mir über die Stellung der Ihrigen so — so naiv gegeben haben. Ich bin stets des Nachts fortgewesen, um das Vernommene an gehöriger Stelle zur Meldung zu bringen.“

Mille tonnerre!“ fluchte der blamirte Douanier zwischen die Zähne.

„Ferner muß ich Ihnen dafür danken, daß Sie im Eise des Mühlteiches ein so deutliches Zeichen angebracht haben. Ich hätte sonst nicht so leicht die Stelle gefunden, wo der eiserne Kasten von Ihnen versenkt wurde.“

Sacré bleu!“ rief er aufspringend. „Ich muß fort; der Kerl weiß Alles! En avant, Ihr Leute; schlagt ihn nieder; wir müssen die Kriegskasse retten!“

Er kam nicht weit, der drohende Lauf der Pistole hielt ihn zurück.

„Niedergesetzt!“ erklang es drohend. „Für die Kassewerden bessere Leute sorgen, als Sie!“

Des Leutenants Augen blitzten wüthend auf, aber er mußte gehorchen, wenn er sein Leben nicht verlieren wollte.

Franz wandte sich jetzt zum Niedermüller.

„Jetzt kommt an Euch die Reihe! In wenigen Minuten ist Euer Haus von den siegreichen Cuchons besetzt. Wißt Ihr, wie Ihr stets von ihnen gesprochen und was Ihr ihnen erst vorhin noch gewünscht habt?“

Der Müller erbleichte; er vermochte nicht zu antworten.

„Euer Schicksal hängt von Eurem gegenwärtigen Verhalten ab. Ich habe keine Zeit zu langen Reden. Antwortet mir also kurz und bündig: Ist Eure Tochter noch frei?“

„Ja,“ erwiderte er zitternd und zögernd.

„Ihr habt Euch auf eine Verlobung eingerichtet. Der Herr Lieutenant wird entsagen müssen. Anna, komm her!“

Das Mädchen, welche eine angstvolle Zeugin des ganzen Vorganges gewesen war, trat zu ihm. Er faßte ihre kleine, bebende Hand.

„Herr Niedermüller, Ihr wißt, daß wir Beide uns lieb haben. Gebt mir die Anna zur Frau!“

Der Müller schwieg.

„Antwortet! Ja oder nein?“

Der Gefragte blickte rathlos im Kreise umher. Da erklang lautes Pferdegetrappel und ein lauter Kommandoruf vom Hofe herauf in die Stube; die Hausthür wurde aufgerissen, und fragende Stimmen ließen sich hören.

„Nun! Macht schnell, die Cuchons sind da!“

„Ich — habe — — Nichts dawider!“ lautete die seufzende Antwort, während Jambrieu sich mit einer protestirenden Armbewegung erhob. Franz zog das Mädchen an sich und drückte einen schallenden Kuß auf ihre Lippen.

„So ist’s recht,“ erklang es da hinter ihm; „nur drauf, immer drauf, wer Glück und Sieg begehrt!“

Es war ein Greis, der diese Worte sprach. Er mochte seine siebzig Jahre zählen, aber seine Haltung war eine noch ungemein rüstige. Ein langer Mantel fiel von seinen Schultern, eine leichte Interimsmütze bedeckte den graubehaarten Kopf; der dichte, weiße Schnurrbart stand ihm gar martialisch zu Gesichte, und wie er so dastand, die Linke am Degengriffe, in der Rechten die kurze, qualmende Pfeife, und mit dem großen, scharfen Auge die Versammlung überfliegend hätte es wohl Keiner gewagt, ein Wort zu sprechen, ohne von ihm gefragt zu sein. Er hatte sofort die Situation vollständig begriffen.

„Aha, eine Verlobung auf dem Degenknopf! Oder nicht?“

„Zu Befehl, Excellenz, ja!“ antwortete Franz mit salutirender Handbewegung.

„Gratulire! Der Alte dort wird Wort halten müssen!“ Und auf Jambrieu deutend, fuhr er fort: „Ist das der Zöllner, dem wir Deine Nachrichten verdanken, mein Sohn?“

„Zu Befehl, ja!“

„Er wird uns die Monneten lassen müssen! Wo stecken sie?“

„Im Teiche, Excellenz.“

Fi donc,“ lachte der alte Feldmarschall, welcher vor kaum einer Viertelstunde bei Caub über den Rhein gegangen war, „die Napoleons im kalten Wasser! Wir müssen sie erretten; zeige uns den Ort, mein Sohn!“

Er kniff Anna freundlich in die Wange und schritt hinaus; ein Wink an die Draußenstehenden genügte, die in der Stube befindlichen Personen unter sichere Wache zu bringen. Franz folgte ihm und nahm unten im Hofe eine Hacke zur Hand.

Eine Schaar Lützower hielt vor dem Hause. Die berühmten Freischärler hatten den Rheinübergang eröffnet und waren von Blücher zur Begleitung nach der Mühle befohlen worden. Die Offiziere schlossen sich dem Feldherrn an. Beim Teiche angekommen, deutete Franz auf eine tiefe und hartüberfrorene Stelle, welche unweit des Ufers lag.

„Hier ist’s, Excellenz! Sie haben den Kasten an Stricken befestigt, deren Enden so im Eise angebracht sind, daß sie mit eingefroren sind.“

„Schön; so haben wir leichte Arbeit. Hack’ zu; ich habe nicht viel Zeit!“

Mit wenigen Schlägen war die Scholle herausgehauen; die Stricke wurden gefaßt, und bald lag der Kasten am trockenen Ufer des Teiches.

„Uebernehmen Sie die Chatulle, Horwitz,“ wandte sich Blücher an einen der Offiziere, „und rapportiren Sie mir am Morgen über ihren Inhalt. Die Douaniers werden sofort mitgenommenen! — Du aber, mein Sohn, hast zwei volle Tage Urlaub. Ich werde dafür sorgen, daß Deine Verdienste nicht vergessen werden!“

Nach wenigen Minuten ertönte wieder lautes Pferdegetrappel, und bald lag die Niedermühle einsam wie zuvor im nächtlich dunklen Thale. In der Stube aber, wo der Feldmarschall die Küssenden überrascht hatte, ging es noch lange Zeit munter und lebendig her. Obermüllers waren geholt worden; Franz saß jetzt an der Seite Anna’s auf demselben Stuhle, welcher vorhin den Douanierleutenant getragen hatte; Toast auf Toast erklang, und als der Niedermüller, welcher vor dem jungen Manne einen ganz gehörigen Respekt bekommen hatte, den Seinigen ausbrachte, klang derselbe ganz anders als der vorige und hatte nicht den großen Napoleon zum Gegenstand, sondern diente zur Verherrlichung des wackeren, alten Marschall „Vor­wärts.“ — — —