MobileMenuKarl-May-Gesellschaft → Primärliteratur
201)(No. 13

Pandur und Grenadier.

Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May.

I.Der Erlenmüller.

Es blüht die Blume im Gefild

Und in des Haines tiefer Ruh.

Es treibt in ihr, es glüht und schwillt;

Es strebt ihr Haupt dem Himmel zu.

Sie sendet Grüße Dir empor,

Maria, Himmelskönigin,

Und leise klingt es mir in’s Ohr,

Daß ich auch Deine Blume bin.

Es tönt im dunklen Waldeshag

Und an des Baches grünem Rand

Der Vögel heller Frühlingsschlag

Allüberall durch’s weite Land.

Sie senden Grüße Dir empor,

Maria, Himmelskönigin,

Und leise klingt es mir in’s Ohr,

Daß ich auch so ein Vöglein bin.

Es ziehen Pilger zum Gebet

Den schattenreichen Weg entlang

Und dort, wo die Kapelle steht,

Ertönt des Glöckleins frommer Klang.

Sie senden Grüße Dir empor,

Maria, Himmelskönigin,

Und leise klingt es mir in’s Ohr,

Daß ich auch so ein Pilger bin!

so klangen die Worte des bekannten, einfach schönen Wallfahrtsgesanges zweistimmig aus dem Nachbargarten herüber, wo sich heute am Sonntage die jungen, hübschen Mädchen von Studenetz bei Schneeglöckchen und Märzviolen zusammengefunden hatten. Sie alle, im Frühlinge ihres Lebens stehend, glichen selbst jenen Blumen, welche zu verkündigen haben, daß die große Erdenfreundin Sonne ihre Herrschaft nun wieder antreten werde, um die Starrheit des Winters zu lösen und den schlafenden Fluren ein neues Blumengewand anzulegen.

Am Gartenzaune der Erlenmühle stand Einer, welcher diesem Gesange mit sichtbarer, inniger Rührung lauschte. Sein Anzug war sehr bescheiden zu nennen, und der Spieß, den er in seiner rechten Hand hielt, ließ in ihm den Biric, den Wächter oder Büttel des Dorfes erkennen. Er hatte einen hölzernen Stelzfuß, und über die Stirn lief ihm die Narbe eines Säbelhiebes, welche seinen guten, ehrlichen Zügen einen sehr streitbaren Ausdruck verlieh. Als die Mädchen ihr Lied beendet hatten, fuhr er sich mit der Hand nach dem Auge und murmelte:

„Hm, ich glaube gar, daß das mein altes Herz ergriffen hat! Ja, es war dasselbe Lied, welches meine Emilka sang,

als wir uns zum ersten Male sahen, wo sie mir dann gleich so resolut sagte, daß ich sie heirathen solle. Ich hätte das nicht gewagt. Sie muß mir doch sofort außerordentlich gut gewesen sein! Aber, der Müller klatscht mir; er hat mich bemerkt, und da muß ich hinein!“

In der Erlenmühle standen die Fenster der Wohnstube offen, und der Müller saß in einem Lehnstuhle, dessen Beine mit kleinen Rädern versehen waren. Er war eine ungeschlachte, roh zugehackte Gestalt, deren Gesichtszüge von ungeübter Hand aus Holz geschnitzt zu sein schienen. Eine Lähmung hatte in Folge einer Erkältung seine Beine ergriffen, so daß er nur mit Mühe zu gehen vermochte; so war er gezwungen, sich eines Rollstuhles zu bedienen. In der Rechten hielt er eine Peitsche. Dieses Instrument war der Schrecken aller derjenigen Leute, welche in untergeordneter Weise mit ihm zu verkehren hatten.

Er war reich, dieser Erlenmüller, nach den Verhältnissen seiner Umgebung sogar sehr reich, und er verachtete Alle, welche mit dem kargen Leben um ihres Leibes Nahrung und Nothdurft zu ringen hatten. Diese Geringschätzung traf aus erster Hand natürlich Diejenigen, welche persönlich mit ihm in Verkehr oder sogar in seinem Dienste standen. Der Zustand seiner Beine verhinderte ihn, sie in der gewöhnlichen Weise zu beaufsichtigen, aber seine scharfen Sinne, seine Augen und Ohren waren stets bei ihnen, und es gelang selten einem seiner Untergebenen, ihn zu täuschen. Er herrschte unbeschränkt, und sein Scepter war — die Peitsche. Wer sich diese nicht gefallen lassen wollte, konnte gehen; es kamen um des hohen Lohnes willen, welchen er zahlte, genug Andere, die sich mit süß-saurer Miene diesem Scepter unterwarfen.

Er hatte jetzt ganz einsam und allein in der Stube gesessen und den Gesang vernommen, dessen Töne durch die geöffneten Fenster zu ihm hereingedrungen waren; er hatte auch den Büttel am Zaune stehen sehen und gab diesem nun durch ein Peitschenknallen das Zeichen, daß er mit ihm sprechen wolle. Der Büttel kannte dieses Zeichen; er hatte mit dem Müller, welcher Ortsrichter war, in amtlichen Angelegenheiten öfters zu verkehren und war daher gezwungen, sich in die Eigenthümlichkeiten seines Vorgesetzten zu schicken.

Als er eintrat und grüßte, deutete der Müller mit der Spitze seines Peitschenstieles auf einen ihm nahen Punkt der Diele und gebot:

„Stelle Dich hierher, Matthias! Hast Du die Mädchen singen hören?“

„Ja,“ lautete die Antwort.

202No. 13

„Wer sang den schönen Baß dazu?“

Der Richter hatte weder Harmonielehre noch Contrapunkt studirt: er verwechselte ganz ohne Verletzung seines unmusikalischen Gewissens den Alt mit dem Basse.

„Agnes Engelmann ist es gewesen,“ berichtete der Büttel.

„Sie war mit dabei?“ brauste der Müller auf, indem er mit der Peitsche klatschte, als wolle er einem störrischen Zugthiere einen Hieb ertheilen. „Das soll sie doch nicht! Ich habe ihr verboten, dergleichen Kindereien mitzumachen. Sind etwa junge Burschen mit drüben?“

„Kein Einziger! Ihr wißt ja, Richter, daß sie sich bei einer solchen Zusammenkunft niemals betheiligt. Sie ist das schönste und bravste Mädchen im Dorfe, und wenn sie auch arm ist, so braucht sie doch keinem Burschen nachzulaufen.“

„Nein, das braucht sie nicht, und das darf sie auch nicht! Ich bin ihr Pathe und will doch sehen, ob ich ihr nicht gerade so zu befehlen habe wie ihr Vater, der ihr so Vieles zuläßt, was sich für ein ordentliches Mädchen weder schickt noch paßt.“

Der Wächter räusperte sich und meinte in bescheidener Entgegnung:

„Ich wüßte nicht, was sie für eine Unschicklichkeit begangen — — —“

„Schweig!“ unterbrach ihn der Müller, indem er ihm die Peitsche zornig um die Beine knallte, wobei der Büttel, welcher an diese Art von Liebkosung gewöhnt zu sein schien, den Hieb gewandt mit seinem hölzernen Stelzfuße auffing. „Ist es für sie etwa schicklich, zu Tanze zu gehen und mit dem Jungvolke wie unsinnig herumzuspringen?“

„Ist es denn eine gar so große Sünde, einmal einen — —“

„Schweig!“ gebot der Richter abermals, indem er ihm einen zweiten Hieb versetzte. „Sie weiß, daß sie nicht dorthin gehört, denn es giebt gesetzte Männer, an die sie sich zu halten hat, und die eine solche Kinderei nicht vertragen können.“

„Darf ich wohl fragen, wer diese gesetzten Männer sind?“ erkundigte sich Schulazek im unterwürfigsten Tone, jedoch mit einer Miene, in welcher eine kleine Ironie nicht ganz zu verkennen war.

„Schweig!“ befahl der Erlenmüller zum dritten Male, und jetzt traf seine Peitsche den Frager an einer empfindlicheren Stelle. „Packe Dich hinaus, und schicke sie mir einmal her! Ich habe mit ihr zu reden.“

Der Büttel gehorchte, drehte sich aber unter der Thür, wo ihn die Peitsche nicht mehr erreichen konnte, um und fragte:

„Wenn sie nun wissen will, was Ihr mit ihr zu reden habt; was soll ich ihr da sagen?“

„Kerl, willst Du gehen oder nicht!“ brauste der Gefragte auf, und da die Peitsche zu einem seinem Zorne angemessenen Hiebe zu kurz war, so warf er sie ihm nach. Sie traf nur die Thür, welche der Wächter schnell hinter sich zugezogen hatte.

Der Letztere humpelte zur Mühle hinaus und wandte sich nach dem Zaune des Nachbargartens. Dort saßen die plaudernden Mädchen in der Fliederlaube, welche sich bereits mit dem Grün des Frühlings geschmückt hatte. Auf seinen

Ruf kam Eins derselben herbei; er grüßte freundlich und reichte ihr die Hand hinüber.

„Grüß Gott, Agnes! So ist’s recht: wenn man des Werktags brav geschafft hat, so darf man des Sonntags lustig sein. Was macht der Vater?“

„Der hat noch keinen Sonntag. Er arbeitet.“

„Er arbeitet? Wem pressirt’s denn so?“

„Dem Erlenmüller. Er will noch heute die neue Jacke haben, die ihm der Vater zu machen hat.“

„Ich konnte mir denken, daß dieser es ist. Ein Anderer würde Deinen Vater nicht zwingen, am heiligen Sonntage zu arbeiten. Ich war jetzt drüben bei ihm. Er hat Euern Gesang gehört und schickt mich zu Dir, daß Du sogleich einmal zu ihm kommen sollst.“

„Was soll ich bei ihm?“

„Ich weiß es nicht. Er war zornig darüber, daß Du gesungen hast.“

Ueber das Angesicht des Mädchens zog ein tiefer Schatten und sie bemerkte in unmuthigem Tone:

„Ja, wenn es nach dem Herrn Pathen ginge, so würde ich bei ihm eingeschlossen und er hielt noch obendrein die Wache vor der Thür. Ich werde einmal sehen, was er mir zu sagen hat.“

„Viel Kluges ist es nicht, Agnes: das kann ich mir leicht denken,“ meinte der Veteran. „Schau, die alte selige Muhme von Deiner Mutter ist die Großmutter von meines Schwagers Base gewesen, und darum gehörst Du in meine Verwandtschaft, und ich meine es gut und aufrichtig mit Dir. Der Erlenmüller möchte gern eine junge Frau, die ihn pflegen soll, und wen er damit meint, das wirst Du wissen. Die Müllerin wird eine reiche Frau sein, glücklich aber nicht. Das sage ich, und das sagt auch meine Emilka, und was diese sagt, das hat guten Grund und Nachdruck. Und daher meine ich, daß es besser ist, arm zu bleiben, als elend und unglücklich zu werden. Merke Dir das!“

„Du hast Recht, Vetter Schulazek! Aber weißt Du nicht, daß mein Vater dem Richter über zweihundert Gulden schuldig ist?“

„Ich weiß es. Willst Du Dich verschachern lassen?“

„Wie kannst Du so fragen, da Du den Vater kennst! Der Müller ist mein Pathe und meines Vaters Gläubiger, aber das wird weder mich noch den Vater zwingen, Etwas zu thun, was wir später bereuen könnten.“

Sie reichte ihm die Hand und ging. Er sah ihr nach, als sie den Garten verließ und nach der Mühle schritt.

„Hm,“ meinte er für sich, „an Der wird sich der Richter verrechnen. Die ist gerade so resolut wie meine Emilka. Schade wär’s aber auch um sie, ja, jammerschade! Die sollte eigentlich einen Mann bekommen, einen — einen — hm, so einen Unteroffizier, einen Feldwebel; eigentlich brauchte sich sogar ein Hauptmann nicht mit ihr zu schämen. Ein Blitzmädel! Das liegt so im Blute und in der Verwandtschaft; unsere Freundschaft hat lauter tüchtige Männer und lauter couragirte Weiber aufzuweisen.“

203No. 13

Wer das hoch und kräftig gewachsene Mädchen so leicht und doch so sicher dahinschreiten sah, der konnte allerdings vermuthen, daß sie das nothwendige Maß von Selbstbewußtsein besitze. Sie war von jener jugendlich frischen Schönheit, welche keiner künstlichen Mittel bedarf, um zur Geltung zu kommen, und wenn ihr Inneres mit diesem Aeußeren harmonirte, so war der Mann, welcher sie sich zu erringen verstand, gar wohl glücklich zu nennen.

Sie trat beim Müller ein und grüßte.

„Gieb mir einmal die Peitsche her!“ befahl er ihr, anstatt den freundlichen Gruß zu erwidern. „Schade, daß ich den Wächter nicht getroffen habe; er hatte sie verdient!“

Sie hob die Peitsche gehorsam auf und lehnte sie in die Ecke.

„Her damit!“ gebot er. „Was soll sie dort!“

„Und was soll sie in Eurer Hand, Pathe?“ fragte sie ruhig. „Oder habt Ihr etwa vor, hier in der Stube Gänse zu hüten?“

„Schweig!“ rief er ihr zu. „Du weißt, daß ich sie brauche. Dieses Gesindevolk ist nur mit der Karbatsche zu bemeistern!“

„Jetzt ist Keiner von den Leuten da, und für mich braucht Ihr hoffentlich die Peitsche nicht! Ihr habt mich rufen lassen, Pathe. Was soll ich hier bei Euch?“

„Was Du sollst?“ frug er mit künstlichem Erstaunen. „Das fragst Du noch! Ja, der Pathe muß hier in Schmerz und Jammerthal sitzen, während da draußen der Bruder Lustig herrscht. Da wird gesungen und jubilirt, als ob es in der ganzen Welt keinen Kranken gäbe, und wer eine Pflicht hat, der muß erst durch den Wächter an sie erinnert werden!“

Agnes nahm auf einem Stuhle Platz und antwortete ruhig:

„Mit dieser Strafrede werde wohl ich gemeint sein; aber wenn der Herr Pathe einmal nachdenken will, so wird er finden, daß er Unrecht hat. Einen Bruder Lustig habe ich da draußen nicht gesehen; wir haben ein frommes Wallfahrtslied gesungen, und das ist keine Sünde. Und meine Pflicht kenne ich so genau, daß Niemand nothwendig hat, mir ihretwegen den Wächter zu senden. Ich muß für die Eltern sorgen und habe wohl auch den Herrn Pathen zu ehren, aber seine Dienstmagd bin ich nicht. Ich war heute bereits schon einmal da: was giebt es jetzt so Nothwendiges zu thun?“

„Nichts giebt’s zu thun; aber hier bei mir sitzen sollst Du und nicht da draußen bei den Schreihälsen, welche sich doch nur ihre Bursche herbeisingen wollen!“ erklärte der Müller.

„Davon ist keine Rede gewesen,“ antwortete Agnes. „Aber wenn Ihr Euch zu einsam fühlt, so bleibe ich gern ein Stündchen da; nachher muß ich wieder bei der Mutter sein.“

Sie erhob sich von ihrem Sitze und trat an ein kleines Wandschränkchen, welches sie öffnete.

„Was suchst Du dort?“ fragte der Müller hastig.

„Das Legendenbuch; ich will Euch etwas vorlesen.“

„Das laß nur bleiben! Du fürchtest Dich wohl gar vor mir, da Du Dich hinter die Legende verbarrikadiren willst?“

„Ich fürchte mich vor Keinem, auch vor Euch nicht, obgleich Ihr es versteht, die Leute scheu zu machen. Und die Legende, welche Ihr nicht haben wollt, die lese ich Euch dennoch vor. Ihr seid nicht in der Kirche gewesen, und da ist es gerade recht, daß Ihr etwas Frommes zu hören bekommt!“

Das resolute Mädchen setzte sich wieder nieder und schlug das Buch auf, der Müller aber wehrte mit beiden Händen ab. (Fortsetzung folgt.)

217)(No. 14

Pandur und Grenadier.

Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Ich mag aber diese Geschichten nicht hören“, sagte der Müller. „Wenn Du anfängst, so rufe ich den Knecht; der muß Dich hinaus werfen!“

„So kann ich ja lieber gleich vorher gehen!“ erwiderte Agnes.

Sie schlug das Buch zu und stand auf, um sich zu entfernen.

„Bleib!“ gebot er. „Ich habe Dich rufen lassen nicht der Legende wegen, sondern um mit Dir zu reden. Weißt Du, daß heute Abend Tanz gehalten wird?“

„Ja.“

„Wirst Du gehen?“

„Ja.“

„Also wirklich! Gehen willst Du!“ rief er. „Ich sage Dir aber, daß Du nicht gehen wirst. Ich verbiete es Dir!“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und antwortete:

„Da hat sich der Herr Pathe doch gar sehr verändert. Er ist früher der flotteste Tänzer gewesen und hat sogar drei Wochen nach dem Tode der Frau Pathin bereits wieder getanzt. Warum ist denn nun jetzt so plötzlich das Tanzen ein so schlimmes Ding geworden? Es ist bereits über ein Jahr vergangen, seit ich von meinem Dienste in Halberstadt wieder daheim bin, und in dieser Zeit habe ich nur zweimal den Tanzboden betreten. Auch heute wollte ich nicht gehen, aber die Eltern sagten, daß ich mir auch eine Freude machen und mich nicht immer vor den Leuten verstecken solle wie Eine, die kein gutes Gewissen hat. Da sieht der Herr Pathe wohl ein, daß ich es dem Vater nicht abschlagen kann, wenn er mich mitnehmen will.“

„Ah, Dein Vater will gehen?“

„Ja, mir zu Liebe, denn ohne ihn thue ich es nicht.“

„Also, um in das Wirthshaus zu gehen, hat er Geld? Er mag zuvor kommen und mich bezahlen, der Lump! Er darf — — —“

„Hört, Pathe“, unterbrach ihn das Mädchen schnell, „wenn Ihr den Vater schimpft, so habt Ihr es mit mir zu thun! Meine Eltern sind wenigstens ebenso brav, wie der reiche Erlenmüller, und ich leide es nimmermehr, daß Ihr ein solches Wort gegen sie gebraucht!“

„So!“ dehnte der Müller. „Was willst Du denn dagegen thun?“

„Wenn es ein Anderer wäre, so würde ich ihn heimzuschicken wissen, obgleich ich kein Raufbold, sondern nur ein

Mädchen bin; da es aber der Herr Pathe ist, so kann ich nichts thun, als gehen.“

„Bleib!“ gebot er ihr. „Wenn Du die Widerspänstige spielst, so sollst Du sehen, was ich thue! Oder denkst Du etwa, daß ich die Macht nicht habe, Dich gehorsam zu machen?“

Jetzt nahm ihr Gesicht einen sehr ernsten Ausdruck an; sie trat nahe an ihn heran, legte ihm die Hand schwer auf den Arm und sagte:

„Ich weiß es, welche Macht Ihr meint: es ist keine gute. Schämt Euch, Pathe, auf eine solche Weise den Tyrannen zu spielen. Mein Vater hat ein Weniges zurückgelegt, und ich habe meinen sauer verdienten Lohn dazu gethan; auf diese Weise sind hundertfünfzig Gulden zusammengekommen, welche der Vater Euch hat geben wollen; Ihr aber habt sie nicht angenommen, sondern die ganze Summe verlangt. Das ist nicht der richtige Weg, sich Liebe und Achtung zu erwerben. Ich müßte blind sein, wenn ich nicht bemerken wollte, welchen Zweck Ihr verfolgt; auf diese Weise aber kommt Ihr nicht zum Ziele: das sage ich Euch!“

„Nicht?“ höhnte er. „Und wenn ich nun Deinen Vater einsperren lasse? Ich habe den Wechselbrief in der Hand.“

„Ja, das ist auch so eine rechte Bosheit von Euch gewesen. Der Vater hat geglaubt, er unterschreibe einen gewöhnlichen Schuldschein, und anstatt dessen ist es ein Wechsel gewesen; er hat das nicht gekannt, und nun er die Summe nicht bezahlen kann, soll er in Arrest kommen. Ihr seid der Pathe, und darum will ich nicht sagen, was ich denke, aber der liebe Gott wird schon noch in Euer Gewissen greifen, und dann — — —“

„Schweig!“ donnerte er. „Mein Gewissen ist mein, und darein soll mir Niemand greifen. Dein Vater wird heute kommen, um mir die Jacke zu bringen, und da werde ich einmal im Ernste mit ihm reden. Wenn Du heute Abend den Tanz besuchst, so ist es aus mit Euch; das merke Dir!“

Noch ehe das Mädchen antworten konnte, entstand draußen ein Geräusch von Waffen; die Stubenthür wurde aufgerissen, und es traten drei Männer herein, welche in die überall gefürchtete rothe Panduren-Uniform gekleidet waren.

„Wohnt hier Stephan Noak, der Richter von Studenetz?“ fragte der Eine von ihnen, welcher die Abzeichen eines Unterofficiers trug. Er hatte es gar nicht nöthig gefunden, vor seiner Frage einen Gruß auszusprechen.

218No. 14

„Der bin ich“, antwortete der Müller.

„So! Könnt Ihr nicht aufstehen, wenn man mit Euch spricht!“

Der sonst so gewaltthätige Müller schien diesen Leuten gegenüber seinen ganzen Muth verloren zu haben. Er versuchte, sich auf die Füße zu stellen, sank aber unter einem schmerzhaften Stöhnen sofort wieder nieder.

„Ich kann ja nicht“, antwortete er. „Ich habe das Kalte in den Beinen!“

„So seht Euch vor, daß wir es Euch nicht warm machen! Verstanden?“ bemerkte der Unterofficier in barschem Tone. „Wer ist der vornehmste Mann in diesem Dorfe?“

„Ich!“ lautete die einigermaßen selbstbewußte Antwort.

„So werden wir zu Euch den Herrn Oberst legen müssen.“

„Welchen Oberst?“

„Kennt Ihr unsere Uniform denn nicht? Ich meine den Panduren-Oberst Freiherrn von der Trenck.“

„Die Augen des Müllers wurden größer, und auch sein Mund öffnete sich vor Schreck.“

„Den Trenck!“ rief er. „Gott sei uns gnädig!“

„Ja“, lachte der Unterofficier, „Gott mag Euch gnädig sein, wenn Ihr Euch nur das Geringste zu Schulden kommen laßt. Ihr habt doch wohl schon von dem Trenck gehört? Der fackelt nicht!“

„Ich denke, der ist in Bayern“, wagte der Richter zu bemerken.

„Da ist er gewesen. Nun aber hat er einen kleinen Spaziergang nach Böhmen gemacht, um auch Euch einmal eine Freude zu machen. Heute gilt’s nur einer Recognition, welche der Oberst in eigener Person zu unternehmen geruht. Er kommt mit nur zwei Lieutenants und der nöthigen Dienerschaft; morgen geht es wieder fort. Aber das ist Geheimniß. Wenn es verrathen wird, so kostet’s Euch den Kopf. Ich hoffe, daß Ihr gut kaiserlich seid und nicht etwa mit den Preußen conspirirt! Wer ist denn das Jüngferchen hier?“

„Sie ist mein Pathenkind.“

„Von hier?“

„Ja.“

„Was ist ihr Vater?“

„Er ist Schneider.“

„Pfui Teufel, wie könnte ich nur ein Schneider werden! Aber eine hübsche Tochter hat er, und ich werde mich zu ihm einquartieren.“

Dies paßte dem Richter nicht in das Spiel; er bemerkte daher:

„Die Eltern sind blutarme Leute, Herr Unterofficier; es giebt ja reiche Bauern genug, bei denen Ihr viel besser aufgehoben seid!“

„Das geht Euch Nichts an! Verstanden? Ich werde mir jetzt das Dorf betrachten, und dann soll es sich finden, wo die Herren Lieutenants und die Uebrigen wohnen. Aber das sage ich Euch, Richter, laßt es an Nichts fehlen; der Trenck macht keinen Spaß!“

Er warf sein Zeug ab und entfernte sich mit den Beiden. Jetzt schlug der Müller die Hände zusammen und jammerte:

„Ist’s möglich? Der Trenck! Der ist ja schlimmer als der wahre Teufel! Und ich kann nicht auf; ich kann nicht laufen! Mein Haus, mein Vieh, mein Geld! Agnes, spring rasch und hole den Wächter; rufe meine Leute zusammen und komme dann wieder. Du darfst heute nicht fort; ich kann Dich ganz unmöglich entbehren!“

Das Mädchen knüpfte ihr Vortuch fester und antwortete:

„Den Wächter sollt Ihr haben und das Gesinde auch; was aber mich betrifft, so kann ich nicht wiederkommen. Ihr habt ja gehört, daß sich der Unterofficier zu uns gemeldet hat, und da kann die kranke Mutter ohne mich nicht verkommen. Ich werde schnell laufen!“

„Schweig!“ gebot er ihr. „Wenn ich Dir befehle — —“

Sie hörte seine weiteren Worte nicht; sie eilte hinaus, um den ersten Theil seines Auftrages zu erfüllen. Als dies erledigt war, schritt sie ihrer Wohnung zu, welche am äußersten Ende des Dorfes lag. In einiger Entfernung vor sich erblickte sie einen Mann, welcher in langsamen Schritten durch das Dorf spazierte. Es mußte ein Fremder sein, obgleich er die Tracht der dortigen Gegend trug. Seine Gestalt war beinahe eine riesige zu nennen, fiel aber gar nicht unangenehm in die Augen, da der Gliederbau ein ganz harmonischer war. In der Rechten schwang er wie spielend einen Knotenstock, dessen Gewicht einem Andern ganz sicher mehr zu schaffen gemacht hätte, und wer ihn so langsam, sicher und gewichtig dahinschreiten sah, der konnte sich leicht sagen, daß dieser Enakssohn eine wahre Bärenkraft besitzen müsse.

Da Agnes eilte, so kam sie ihm immer näher. Im Vorübergehen wollte sie ihn grüßen, und auch er wandte sich zu ihr, da er ihre nahenden Schritte vernommen hatte. Beider Blicke fielen auf einander, und Beide blieben sogleich in höchster Ueberraschung stehen.

„Agnes!“ rief er.

„Wilhelm!“ rief sie, und zwar unter einem freudigen Leuchten ihrer großen, schönen Augen. „Herr Gott, wie kommst Du nach Studenetz?“

„Weil ich Sehnsucht nach Dir hatte, meine Agnes“, antwortete er mit einem Lächeln des Glückes in seinem treuen, aufrichtigen Angesichte. „Ich habe mir Urlaub genommen und — — —“

„Urlaub?“ unterbrach sie ihn. „In Jesu Namen! Ich habe gehört, die Preußen sind in Böhmen eingedrungen. Bist Du etwa mit dabei?“

„Freilich!“ antwortete er.

„Wo steht Ihr denn bereits?“

„Hm! Das darf ich Dir leider nicht sagen. Es ist Krieg!“

„O, welche Angst ich da bekomme! Wenn man Dich hier sieht, so bist Du verloren!“

„Wohl nicht sogleich“, meinte er mit einem lächelnden Blick an seiner Herkulesgestalt hernieder. „Man kennt mich

219No. 14

hier ja nicht, und ich hoffe auch, daß keine Feinde in Studenetz stehen.“

„Sie sind noch nicht da, aber sie kommen“, bemerkte sie voller Angst.

„Wer denn? Reiter? Infanterie?“

„Die Panduren — —“

„Ah!“ machte er erstaunt, „Stehen diese Kerls bereits hier oben? Aber komm schnell! Man hat uns noch nicht bemerkt, und unter solchen Umständen ist es besser, wenn unser Gespräch unbeobachtet bleibt.“

Sie hatten sich allerdings zufälliger Weise an einem menschenleeren Theile der Dorfstraße getroffen. Er nahm sie bei der Hand und schlüpfte mit ihr in einen schmalen Heckenweg hinein, welcher zwischen zwei Gärten hinaus auf die Felder führte. Da draußen fanden sie hinter einem dichten Hollundergebüsch einen Platz, wo sie wahrscheinlich unbemerkt blieben. Erst dort war ein herzlicheres Willkommen möglich, und dann meinte der Fremde:

„Agnes, ich habe mir unser Wiedersehen ganz anders gedacht, aber da Du von Panduren redest, so habe ich zunächst auf meine Sicherheit zu sehen. Wann werden sie kommen?“

„Heute, sehr bald.“

„Wie viele?“

„Der Trenck, zwei Lieutenants und die Bedienung.“

„Der Trenck!“ rief der Fremde fast zu laut für ihre gegenwärtige Situation. „Der Trenck, der wilde Trenck selbst? Ah! Und mit so wenig Gefolge? Entweder ist das eine einfache Recognition, oder es steckt irgend eine Teufelei dahinter! Wo wird er wohnen?“

„Bei meinem Pathen, dem Richter. Er ist bis morgen da.“

„Beim Richter, von dem Du mir so wunderschöne Sachen geschrieben hast? Den muß ich mir einmal ansehen!“

„Um Gotteswillen, thue das nicht!“ bat das Mädchen. „Du weißt gar nicht, wie gefährlich das für Dich ist.“

Sie gab ihm nun ein deutliches Bild von dem Charakter und dem Verhalten des Richters, und merkte dabei nicht, daß sie durch die Beantwortung seiner dabei eingestreuten Fragen gewissen Zwecken diente, von denen sie gar keine Ahnung hatte. Sie schloß endlich:

„Du weißt, wie sehr ich mich nach Dir gesehnt habe, aber da Du hier so große Gefahr läufst, so bitte ich Dich, ja nicht länger hier zu bleiben. Ich würde vor Angst sterben, wenn die Panduren Dich in ihre Hand bekämen. Du würdest ganz sicher als Spion aufgeknüpft!“

Er zog lächelnd seine Uhr und schien in Gedanken nachzurechnen.

„Ich will Dir den Willen thun“, sagte er dann, „aber nur in dem Falle, daß Du mir auch einen Gefallen thust.“

„Welchen?“

„Du gehst heute Abend unbedingt zu Tanze!“

„Aber der Pandur, welcher bei uns wohnt, wird dann auch mit gehen!“

„Was schadet das? Willst Du?“

„Ja.“

„In welchem Hause wohnst Du?“

„Im letzten dort.“

„Und wo ist die Mühle?“

„Da rechts hinter den vier hohen Erlen; daher heißt sie ja auch die Erlenmühle.“

„Also Du gehst zu Tanze, tanzest aber mit keinem Menschen! Verstehst Du wohl? Ich habe meinen Grund dabei. Und wenn ich ja nicht bald wiederkommen sollte und der Müller macht Euch Sorge, so nimm hier das und bezahle den Menschen. Ich habe es von meinem Gehalte gespart; Du kannst es mit gutem Gewissen annehmen.“

Sie wollte ein Wort der Weigerung sagen; er jedoch schloß ihr den Mund mit einem Kusse und sprang davon. Sich später umdrehend, winkte er ihr noch einmal mit dem Taschentuche zu; dann verschwand er hinter den Weiden, welche den Bach umsäumten. Dort blieb er halten und zog die Uhr abermals.

„Hm! Ich habe sechs Stunden zu laufen“, überlegte er. „Es ist nur dann zu ermöglichen, wenn ich ein Pferd bekommen kann.“

Er eilte im Rücken des Dorfes weiter und kam so auch an dem Garten der Mühle vorüber, in welchem zwei braune, stämmige Ackerpferde weideten. Er warf einen forschenden Blick umher, um sich zu überzeugen, daß er unbeobachtet sei; dann öffnete er das Pförtchen, welches aus dem Garten in das Freie führte, bestieg eines der Pferde und war mit demselben bereits nach einigen Minuten jenseits des eng gezogenen Horizontes verschwunden. Das Gesinde des Müllers hatte keine Zeit, an die Pferde zu denken; sie waren damit beschäftigt, das werthvollere Eigenthum ihres Herrn der Habsucht der Panduren zu entziehen. — — —

(Fortsetzung folgt.)
233)(No. 15

Pandur und Grenadier.

Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May.

(Fortsetzung.)

II. Der Pandur.

Es war für das liebe, schöne Oesterreich eine gar schlimme Zeit. Mit Kaiser Karl dem Sechsten war der habsburgische Mannesstamm erloschen, und als seine Tochter Maria Theresia den Thron bestieg, sah sie trotz der pragmatischen Sanction die Schwerter von Preußen, Spaniern, Neapolitanern, Franzosen, Baiern und Sachsen gegen sich gerichtet. Die heldenmüthige Herrscherin verzagte nicht; sie wendete sich an ihre Ungarn, welche ihr mit dem begeisterten „Moriamur pro rege nostro Maria Theresia!“ antworteten. Ihr Heer war in Baiern unter dem wackern Khevenhüller glücklich; aber in Böhmen stand der thatendurstige Preußenkönig, um das der Kaiserin abgenommene Schlesien zu behaupten. Gegen ihn zog unter Karl von Lothringen der Feldmarschall Königsegg heran; ein Zusammenstoß war unvermeidlich.

In der böhmischen Bezirksstadt Humpoletz ging es um die Mitte des Monates Mai im Jahre 1742 sehr lebhaft, ja fast mehr als lebhaft zu. Wem es vergönnt gewesen wäre, aus einem Luftballon auf die Stadt herabzublicken, der hätte dieselbe sehr leicht für ein Nest voll rother Ameisen halten können, deren Regsamkeit sich ganz besonders gegen den Ringplatz zu concentriren schien. Diese Ameisen waren roth bekleidete Panduren, die Angehörigen jener berüchtigten Truppe, von welcher damals Tausende beteten „Herr Gott, behüte uns vor Theurung und Hagelschlag, vor Pestilenz und Ungewitter, vor Kroaten und Panduren!“

Der Führer jener blutroth gekleideten und leider auch in der Geschichte blutig verzeichneten Schaar war gewohnt, die Seinen in steter Bewegung zu erhalten. Bei ihm gab es keine Ruhe und Stille, kein gemüthliches Rasten und kein geduldiges Harren. Er, der selbst von inneren und äußeren Mächten ruhelos hin und her getrieben wurde, ließ die Wogen seines heißen, rücksichtslosen Naturells auch hinaus auf seine Umgebung branden, und so kam es, daß der Ringplatz einem wirren Ameisenneste und nicht dem Ruheplatze einer vom Marsche ermüdeten Truppe glich.

In einem Zimmer seines Quartieres lag der Panduren-Oberst Freiherr Franz von der Trenck auf dem Sopha, dessen Ueberzug er mit den Sporenrädern ganz unbedenklich bereits in Fetzen zerrissen hatte. Auf dem Boden lagen beschmutzte Karten, zerstampfte Schreibfedern, zerbrochene Weingläser, verbogene Löffel und Gabeln, Bruchstücke von

Tellern und Tassen, übersäet von Streusand und Tabaksasche, und auf dem Tische, welcher vor dem Sopha stand, sah es beinahe noch chaotischer aus. Die umgeworfenen Schüsseln hatten ihren Inhalt mit dem verschütteten Weine vermischt, so daß die Ueberreste der theuren Mahlzeit in breiten, bunten Streifen am Tafeltuche herabliefen und dann auf die Diele tropften.

Dem Obersten gegenüber saßen zwei Männer, die Einzigen, welche mit ihm dinirt hatten. Der Eine trug die Uniform eines Majors und der Andere diejenige eines Hauptmannes. Das Gesicht eines Jeden von ihnen hätte zu einer interessanten psychologischen Studie veranlassen können, wenn nicht die Person Trenck’s die ganze Aufmerksamkeit für sich in Anspruch genommen hätte. Trenck war ein schöner, sogar ein sehr schöner Mann, der jetzt das Alter von dreißig Jahren erst um ein einziges überschritten hatte. Ebenso berühmt wie seine Körperstärke war auch seine Befähigung, die härtesten Strapazen mit größter Leichtigkeit zu ertragen. Bekannt war es, daß er sieben Sprachen vollständig beherrschte und ausgezeichnete militärische Kenntnisse besaß; aber in moralischer Beziehung ließ sich über ihn kaum ein nur einigermaßen schonendes Urtheil fällen. Jähzornig, rücksichtslos, herzlos, im höchsten Grade habsüchtig, zeichnete er sich ebenso durch verwegenen Muth und wilde Tapferkeit wie durch eine nur zu oft barbarische Grausamkeit aus, welche ihn später doch endlich in das Verderben führte.

Er war als Sohn eines kaiserlichen Oberstlieutenants, der aus Preußen stammte, in Reggio in Calabrien geboren, wurde von den Jesuiten in Ödenburg erzogen und trat im Alter von siebzehn Jahren in kaiserliche Dienste, die er aber seiner Händelsucht wegen bald wieder verlassen mußte. Er wandte sich später nach Rußland, wo er als Rittmeister in ein Husarenregiment eintrat. Wegen grober Verletzung der Subordination zweimal zum Tode verurtheilt, wurde er auf Verwendung des Feldmarschall Münnich zwar begnadigt, aber cassirt und zu Schanzarbeit verurtheilt. Er kehrte auf seine in Slavonien gelegenen Güter zurück, wo er sich besonders mit der Unterdrückung der zahlreichen Räuberschaaren, welche jene Gegenden beunruhigten, beschäftigte, dabei aber bei Weitem mehr grausam als menschlich verfuhr. Bei dem Ausbruche des österreichischen Erbfolgekrieges erhielt er die Erlaubniß, ein Corps von tausend Panduren auf eigene Kosten auszurüsten. Dasselbe wurde zuletzt gegen fünftausend Mann stark und bildete stets die

234No. 15

Vorhut, zeigte aber dabei zwar ganz dieselbe Tapferkeit, doch auch ganz dieselbe Gewaltsamkeit, durch welche sein Führer berüchtigt war. Die Kaiserin mußte seine kriegerischen Verdienste anerkennen, konnte ihn aber ganz unmöglich in seiner Stellung belassen. Er weigerte sich, abzutreten und wurde endlich wegen unaufhörlicher Greuelthaten und Subordinationsvergehen zu lebenslänglicher Gefangenschaft auf dem Spielberg verurtheilt, wo er auch starb.

Jetzt also lag er mit seinen Panduren in Humpoletz, und der Zustand seiner Wohnung bewies, daß er mit den beiden Offizieren ein wüstes Gelage abgehalten habe. Sie lagen betrunken in ihren Sesseln, während der Oberst sie mit höhnischer Schadenfreude betrachtete; er hatte schon manchen starken Trinker unter den Tisch gebracht, war selbst aber noch niemals besiegt worden.

Die schnarchenden Seufzer der beiden Betrunkenen wurden von dem Wirthe des Hauses unterbrochen, welcher nach einem lauten Klopfen in das Zimmer trat.

„Was will Er?“ rief ihm der Oberst zornig entgegen. „Wie kann Er es wagen, einzutreten, ohne vorher angemeldet zu sein!“

„Verzeihung, Herr Oberst!“ bat der Mann mit demüthiger Geberde. „Man wollte mich nicht anmelden, und da habe ich mir erlauben müssen — — —“

„Erlauben müssen?“ unterbrach ihn Trenck, indem er das letztere Wort besonders betonte. „Ist es etwas so sehr Nothwendiges, daß man sich hier stören lassen muß?“

„Für mich ist es nothwendig, gnädigster Herr. Es betrifft meine Uhr.“

„Seine Uhr!“ brauste Trenck auf. „Hält Er mich etwa für einen Uhrmacher, he?“

Er erhob sich drohend aus seiner liegenden Stellung, wobei der Inhalt seiner türkischen Tabakspfeife auf das Sopha fiel, dessen Ueberzug sofort zu glimmen begann. Der Wirth sah das, hatte aber nicht den Muth, ein Wort darüber zu erwähnen; er fuhr fort:

„Es war eine Schwarzwälder Spieluhr, ein theures Andenken meiner Voreltern. Man hat sie von der Wand gerissen und zerschlagen, um im Ofen Feuer damit zu machen. Und als ich mich dagegen sträubte, hat man mich mit der flachen Klinge blutig geschlagen.“

Trenck stieß ein rohes Lachen aus und frug:

„Hat die Uhr gut gebrannt?“

„Leider!“

„Das ist Sein Glück! Er hat uns brauchbares Brennholz zu schaffen, und wenn die Uhr nicht gut gebrannt hätte, so wäre Er schlecht davon gekommen: das versichere ich Ihm. Sei Er also froh, daß die Sache für Ihn so gut abgelaufen ist, und mache Er, daß Er sogleich verschwindet!“

„Aber, gnädigster Herr, ich denke doch, daß — — —“

„Nichts hat Er zu denken!“ rief der Oberst. „Hinaus, sonst — — —!“

Der Wirth wartete die Fortsetzung der Drohung gar nicht ab, denn Trenck hatte an die Wand nach seiner Pistole gegriffen; er zog sich in höchster Eile aus dem Zimmer

zurück. Der Oberst goß sich ein volles Glas hinunter und schenkte auch den beiden Andern, welche von dem Gespräche erweckt worden waren, ein.

„Trinkt, Ihr Herren!“ forderte er sie auf. „So lange man uns zu Ehren Spieluhren verfeuert, brauchen wir keinen Durst zu leiden.“

Sie stießen an und leerten die Gläser, welche nochmals gefüllt werden sollten, als eine abermalige Störung erfolgte, welche jedoch dem Obersten nicht unlieb zu sein schien, denn er erhob sich mit gespannter Miene und frug den Eintretenden:

„Slugaksch, schon wieder eingetroffen! Konntest wohl nicht weit kommen?“

Der Gefragte war ein noch ziemlich junger Mann in gewöhnlicher Bauernkleidung, doch ließ seine ganze Figur und Haltung errathen, daß er eigentlich zum Militär gehöre.

„Wenn mich mein Oberst schickt, komme ich so weit, wie er will,“ antwortete er mit selbstgefälliger Miene. „Ich war bis Skutsch und Richenburg.“

„Unmöglich, in dieser kurzen Zeit!“

„Sehr leicht möglich, wenn man es richtig anfängt! Ich habe einem Bauer seinen zweispännigen Wagen abgenommen.“

„Teufelskerl! Bringst Du Nachrichten mit?“

„Genug.“

„So setze Dich her, rauch, trink und erzähle!“

Die Vertraulichkeit, mit welcher Trenck diesen Mann behandelte, ließ vermuthen, daß derselbe ein ganz besonderer Günstling von ihm sei. Er setzte sich, nachdem er die beiden Offiziere mit gebotener Ehrerbietung gegrüßt hatte, an den Tisch, schenkte sich ein Glas ein und brannte sich eine der gestopften Pfeifen an. Nachdem er dann von dem Weine getrunken hatte, begann er:

„Also bis Skutsch und Richenburg bin ich gekommen; weiter aber ging es nicht, da die Preußen in der Nähe waren.“

„Wo stehen sie?“

„Der König kam von Olmütz über Leitomischl und steht jetzt in Chrudim, hat aber über zehn Bataillons und gegen zwanzig Schwadronen in Leitomischl und Umgegend zurückgelassen, die er jedenfalls noch an sich ziehen wird. In und um Kuttenberg steht ein noch größeres Corps. Der Herr Oberst wissen bereits, daß sich Glatz ergeben hat; von dort aus wird der General Derschau dem Könige wohl acht Bataillons und dreißig Schwadronen zuführen.“

„Alle Wetter! Woher weißt Du dies so genau?“

„O, ich weiß noch mehr! Ich fand in Richenburg einen schlesischen Juden, den der König als Spion benutzt. Unsereiner hat einen Blick für solche Leute; ich ahnte sofort, welch’ ein Metier er treibe, ließ ihm gehörig einschänken und nahm ihn in’s Gebet; er beichtete aber erst dann, als er betrunken war. Er war mit dem Lohn, den ihm die Preußen geben, nicht zufrieden und wurde gleich mein Mann, als ich ihm einen besseren Lohn versprach.“

„Den Kerl können wir brauchen! Hast Du ihn mitgebracht?“

235No. 15

„Das versteht sich! Aber ihn nicht allein.“

„Wen noch?“

„Als ich ihn aufforderte, mit mir zu gehen, gestand er mir, daß er nicht allein sei. Er war nämlich einem adeligen Herrn nebst dessen Tochter als Führer beigegeben, welche er nach Moldauthein zu bringen hat.“

„Wer sind diese Leute?“

„Es ist ein alter Herr von Bodtmann, dessen Anwesenheit auf Schloß Moldauthein so nothwendig ist, daß er nicht daran denken darf, wie sehr der Krieg das Reisen erschwert.“

„Und dieser Mann reist in Begleitung eines Spions?“ fragte der Oberst finster.

„Ohne es zu wissen, wie mir der Jude selbst versicherte. Man hat gehofft, daß wir diesem Herrn von Bodtmann nichts in den Weg legen und dem Spione also seine Aufgabe erleichtert werde.“

„So kommt der alte Kerl also aus dem feindlichen Hauptquartiere?“

„Direct aus Chrudim. In Richenburg konnten sie weder Pferde noch Wagen bekommen, und als ich ihnen mein Fuhrwerk anbot, wurde es mit größtem Danke angenommen. Es waren vier Plätze vorhanden, und so sind wir denn wohlbehalten soeben hier angekommen.“

„Er reist ohne Diener?“

„Ja. Er scheint ein alter Haudegen zu sein, der gewohnt ist, sich selbst zu bedienen.“

„Ging er freiwillig mit nach Humpoletz? Sein Weg hätte doch näher über Chotiborz geführt.“

„Er verließ sich auf den Juden, und den hatte ich gewonnen. Ich sagte natürlich kein Wort davon, daß er in Humpoletz Panduren finden werde. Da er so glücklich durch die Preußen gekommen ist, so glaubte er, auch auf dieser Seite keine Schwierigkeiten zu finden.“

„Hat er Papiere?“

„Ja. Sie sind gut; ich habe sie gesehen. Bei den Preußen hat er sie gar nicht gebraucht, da er unter einem sehr mächtigen Schutz gereist ist.“

„Mit einem Offiziere etwa?“

„Mit einem Feldmarschall sogar.“

„Ah! Doch nicht mit dem Buddenbrock?“

„Nein,“ sondern mit dem alten „Schwerenöther.“

„Mit — mit wem?“ rief Trenck, vor Ueberraschung aufspringend. „Mit dem alten Dessauer?“

„Ja.“

„Der ist hier? Wirklich?“

„Ja, in Chrudim beim Könige.“

„Ich denke, er ist in Zittau!“

„Friedrich hat ihn nach Böhmen gerufen. Die Beiden sind stets bei der Vorhut. Sie suchen von Morgens bis Abends die Terrainverhältnisse ab, was mich vermuthen läßt, daß sie die Schlacht bei Chrudim, Czaslau und Kuttenberg zu schlagen beabsichtigen. Man sollte die beiden Kerls wegfangen; da wäre der ganze Krieg zu Ende!“

Die Augen Trenck’s leuchteten auf.

(Fortsetzung folgt.)
249)(No. 16

Pandur und Grenadier.

Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Oh“, knirschte Trenck, „ich habe mit dem Dessauer noch ein Schaf zu scheeren; er hat es an meinem Vater verdient, daß ich ihn einmal fest beim Schopfe nehme. Tausend Gulden gäbe ich sofort Demjenigen, welcher mir sagen könnte, wie und wo ich den Kerl erwische!“

Slugaksch blickte erwartungsvoll zur mächtigen Gestalt seines Obersten empor und fragte:

„Bekomme ich sie?“

„Augenblicklich, sobald er sich in meiner Hand befindet!“

„Hm! Mit ein Wenig List kann es doch nicht so schwer sein, dem Alten eine Falle zu stellen. Er liebt die Abenteuer wie die Mäuse den Speck. Wollen wir ihm eins bieten?“

„Welches?“ fragte Trenck hastig. „Du bist der richtige Kopf dazu. Sinne Dir Etwas aus, aber schnell!“

„Der gnädige Herr Oberst scheinen den alten Knasterbart nicht eben sehr zugethan zu sein. Ist diese Liebe vielleicht gegenseitig?“

„Ganz und gar. Wenn der Dessauer mich umbringen kann, so thut er es. Wehe ihm, wenn ich ihn zwischen meine Fäuste bekomme!“

„Hm! Uebermorgen ist Jahrmarkt in Chotiborz. Wollen wir ihn hinlocken?“

„Ich bin sofort bereit; aber wie?“

„Wir machen ihm weis, daß der Herr Oberst den Markt incognito besuchen und dabei im „Goldenen Rade“ einkehren werden. Wie ich ihn vom Hörensagen kenne, so kommt er sofort auch incognito mit nur wenig Begleitung, um Euch zu fangen.“

„Ganz gewiß!“ rief Trenck erfreut. „Er wird keinem Andern die Ehre gönnen, den Franz Trenck gefangen zu haben. Aber wie machen wir es ihm weis, he? Das ist das Schwierige!“

„Es ist nicht so schwierig, wie es scheint. Der Tlasco versteht es ausgezeichnet, Handschriften nachzumachen.“

„Was soll uns dies nützen?“

„Wie ich aus der Unterhaltung dieses Herrn von Bodtmann gehört habe, ist er ein alter Kriegskamerad des Fürsten Leopold; sie schreiben sich zuweilen, und es ist große Freude gewesen, als sie sich unterwegs getroffen haben. Wie nun, wenn dieser Bodtmann dem Fürsten schreibt, daß er hier durchgekommen ist und dabei erfahren hat, daß der Herr Oberst den Jahrmarkt besuchen werden?“

„Ah, ich verstehe! Aber wir haben seine Handschrift nicht, die der Tlasco nachmachen könnte!“

„Es sollte mich sehr wundern, wenn er nicht eine Brieftasche oder ein Notizbuch bei sich führte. Man nimmt es ihm ganz einfach ab. Einen Siegelring trägt er auch.“

„Vortrefflich! Man wird mit ihm nicht viel Federlesens machen! Aber wer soll das Schreiben nach Chrudim tragen? Etwa der Jude, wenn er sich als zuverlässig erweist?“

„Nein! Es muß ein anderer Bote gefunden werden. Wenn es dem Herrn Obersten lieb und recht ist, werde ich das übernehmen. Den Juden brauchen wir als zweiten Boten. Wenn der alte Fürst dem Briefe ja nicht ganz trauen sollte, so muß der Jude die Thatsache mit dem Jahrmarkte bekräftigen.“

„Mensch, Du bist ein wahrer Advocat! Aber bedenke, daß es Dir an den Kragen geht, wenn man Dich in Chrudim als Pandur erkennt!“

„Pah, aus dem Kragen mache ich mir nichts, und für den Hals ist mir noch niemals bange gewesen. Drunten halten die Leute noch. Wen soll ich zuerst bringen, den Edelmann oder den Juden?“

„Den Edelmann, dann den Juden und dann den Tlasco.“

Slugaksch erhob sich, trank sein Glas aus, legte die Pfeife fort und entfernte sich.

„Ein Teufelskerl! Nicht?“ meinte Trenck zu den beiden Andern.

Diese waren durch die Erwartung eines Abenteuers ein Wenig ernüchtert worden und stimmten seinem Urtheile bei. Der Hauptmann war sogar so gütig, die vier Zipfel des Tafeltuches empor- und über den Tisch hinwegzuschlagen, damit das Auge der Eintretenden nicht gar zu sehr beleidigt werde; er schien gar nicht zu ahnen, daß er damit das Uebel nur vergrößert habe. Die Drei nahmen neue Pfeifen zur Hand, und eben als dieselben in Brand gesteckt waren, wurde Herr von Bodtmann gemeldet. Er trat mit seiner Tochter ein, hinter ihnen Slugaksch, welcher an der Thür stehen blieb.

Der alte Herr hatte ganz das Ansehen eines wackern, ehrwürdigen Veteranen. Seine Haltung war stramm, und sein Auge blickte in furchtloser Erwartung auf den Obersten. Seine Tochter war eine sympathische Erscheinung in der Tracht der damaligen Zeit; sie zog den durch die hier herrschende Unordnung beleidigten Blick erröthend auf sich selbst zurück.

250No. 16

Trenck gab sich nicht die Mühe, einen Gruß auszusprechen. Er begann in kurzem, barschen Tone:

„Ihr nennt Euch von Bodtmann?“

„Ja. Baron Karl von Bodtmann. Diese Dame ist meine Tochter.“

Trenck hielt es nicht der Mühe werth, sich nur einen Zoll tief vor der Dame zu verneigen oder gar den Beiden einen Sitz anzuweisen. Er fuhr fort:

„Seid Ihr mit Legitimationen versehen, Baron?“

„Hier sind sie!“

Der alte Herr zog seine Brieftasche hervor und entnahm ihr zwei Papiere, die er dem Obersten überreichte. Dieser warf einen Blick auf sie und meinte dann sehr gleichmüthig:

„Ah, hier steht, daß Ihr in kaiserlichen Diensten gestanden habt. Ist das wahr?“

Die Stirn des Barons legte sich in Falten und er trat schnell einen Schritt vor, indem er antwortete:

„Herr von der Trenck, halten Sie diese Papiere für unächt und mich für einen Schwindler? Ich bin als Oberst verabschiedet, also sind sich unsere Degen wohl ebenbürtig!“

„Pah! Ich fragte, weil ich Veranlassung dazu habe. Es wird mir schwer, zu denken, daß ein ehrenvoll verabschiedeter kaiserlicher Oberst mit einem preußischen General zu conspiriren vermag!“

„Zu conspiriren? Welcher General ist gemeint?“

„Der Fürst von Dessau.“

„Ich glaube nicht, daß der Oberst von der Trenck das Recht besitzt, mein Verhältniß zu einem alten Waffengefährten zu kritisiren. Ich habe mit dem Fürsten unter Prinz Eugen gefochten; es gereicht mir zur hohen Ehre, daß er dieses nicht vergißt, und wenn ich einem Waffenbruder meine Freundschaft und Hochachtung bewahre, so ist das wohl nicht ein Conspiriren zu nennen. Es ist bekannt, daß die Sympathie des Feldmarschalls Leopold von Dessau noch heute dem Kaiserstaate gehört, und daß er sich beinahe die Gunst des Königs verscherzte, als er gegen einen Krieg mit Oesterreich rieth; ich ersuche also den Herrn Obersten von der Trenck, sich gütigst dem Umstande anzubequemen, daß ein Officier und Edelmann vor ihm steht!“

„Pah!“ antwortete der Angeredete. „Diese Papiere können ja verloren gegangen und aufgefunden oder gar gestohlen worden sein!“

„Herr!“ donnerte Bodtmann, indem seine Hand unwillkürlich nach der Stelle fuhr, wo man den Griff des Degens zu finden pflegt. „Glaubt Ihr, mich ungestraft infamiren zu können, weil ich graues Haar besitze? Ich hoffe, daß man nicht so feig sein wird, mir die Genugthuung zu verweigern!“

„Von Genugthuung kann hier keine Rede sein“, meinte Trenck im kältesten Tone. „Man bringt mir einen Arrestanten, und ich habe für die Sicherheit meiner Truppe zu sorgen. Beantwortet mir ruhig meine Fragen, und dann wird es sich finden, was zu thun ist! Wo wollt Ihr hin?“

Der alte Edelmann wandte sich seitwärts; er schien entschlossen, nicht zu antworten. Seine Tochter that es an seiner Stelle:

„Wir gehen nach Moldauthein, wo ein Oheim von mir sehr krank darniederliegt.“

„Wo kommt Ihr her?“

„Von Liegnitz.“

„Wie lange habt Ihr Euch im Hauptquartiere des Königs von Preußen aufgehalten?“

„Kaum eine Stunde. Die Rücksicht auf unsern Verwandten treibt uns zur höchsten Eile.“

„Ich will es glauben. Mademoiselle, wenn Euer Vater mein letztes Verlangen erfüllt, so sollt Ihr in zwei Stunden mit einem sichern Führer von hier abfahren dürfen!“

„Welcher Wunsch ist dies?“

„Ich begehre, seine Brieftasche und seinen Siegelring zu sehen.“

Er sprach in einem beinahe höflichen Tone; die Anwesenheit der Dame war also doch nicht ganz ohne alle Wirkung auf den sonst so rücksichtslosen Mann, und auch die beiden Officiere suchten ihren gläsernen Augen und vertrunkenen Mienen einen gefälligeren Ausdruck zu geben. Die Tochter warf einen bittenden Blick auf den Vater. Dieser zog wortlos den Ring ab und gab ihn ihr sammt dem Portefeuille; sie reichte Beides dem Obersten dar. Dieser öffnete das Letztere, und als er bemerkte, daß es einen Notizkalender mit der Handschrift des Barons enthielt, so lächelte er befriedigt und meinte:

„Ihr werdet diese Gegenstände bei Eurer Abreise unversehrt zurückerhalten; bis dahin wird man Euch ein Zimmer anweisen.“

Die beiden Fremden entfernten sich, und an ihrer Stelle trat der Jude ein. Er war ein kleiner, hagerer Mann mit scharfen Gesichtszügen und tief liegenden, lauernden Augen, der sich fast bis zur Erde herab vor Trenck verneigte.

„Wie heißest Du?“ fragte ihn der Oberst.

„Ich heiße Lesser Wolf, mein Herr großmächtiger Panduren-General.“

„Du willst in meine Dienste treten?“

„Mit großer Freude; denn ich habe vernommen, daß der Herr General von der Trenck nicht gehört zu den geizigen Leuten, denen man muß arbeiten um die Hälfte umsonst und die andere Hälfte schlecht bezahlt.“

„Du wirst bei mir bekommen, was Du verdienst. Du warst in Chrudim?“

„Ja. Ich habe daselbst gesehen große Generale und Marschälle und habe auch gesprochen mit dem Könige, welcher ist der Friedrich von Preußen.“

„Hast Du auch den Dessauer gesehen?“

„Werde ich ihn doch haben gesehen, da ich habe sogar mit ihm geredet.“

„Wie lange Zeit warst Du in Chrudim, und woher stammst Du?“

„Ich habe gewohnt in Reichenstein, welches liegt nicht weit von Glatz, und haben mich gezwungen die Preußen,

251No. 16

zu gehen mit ihnen, um zu machen den Kundschafter für einen Bettlerlohn.“

„Wie lange hast Du ihnen bereits gedient?“

„Noch gar nicht. Ich habe sollen begleiten den Baron von Bodtmann bis Moldauthein und mich dabei umsehen, um zu erforschen den Feind. Wenn ich zurückkomme, soll ich sagen, was ich habe erfahren, und dafür erhalten drei Gulden für den Tag.“

„Das ist ganz preußisch!“ lachte Trenck. „Drei Gulden für den Tag, um sich doch früher oder später hängen zu lassen! Kerl, ich gebe Dir zehn Gulden für den Tag und noch obendrein hundert Gulden, wenn Du das ausführst, was ich von Dir verlange.“

„Herr meiner Väter, ist das ein vieles Geld! Da werde ich gehen für den Herrn Panduren-General in das Feuer und werde thun Alles, was nicht ist zu schwer für einen armen Juden, der sich muß nehmen sehr in Acht vor den Preußen.“

„Du hast Dich gar nicht zu fürchten, weder vor uns, noch vor den Preußen. Sie werden Dir nichts thun, denn sie halten Dich für den Ihrigen, und von uns hast Du auch nichts Schlimmes zu erwarten, so lange Du uns treu dienst. Ist dies aber nicht der Fall, so möchte ich allerdings nicht in Deiner Haut stecken; ich bezahle gut, aber ich bestrafe auch darnach. Ich werde Dich einmal prüfen. Du kehrst jetzt zurück und gehst zum Dessauer. Ihm kannst Du erzählen, daß Du mich hier gefunden hast. Dabei aber sagst Du ihm, daß Du erfahren hast, ich werde übermorgen ganz allein und incognito den Jahrmarkt zu Chotiborz besuchen und da im „goldenen Rade“ einkehren. Du giebst Dir Mühe, den Alten dahin zu bringen, daß er kommt, um mich zu fangen. Verstanden?“

Der Jude nickte unter einem listigen Lächeln mit dem Kopfe und sagte:

„Ich werde doch verstehen, daß der Herr Panduren-General will selber fangen den Dessauer, und werde mich freuen, wenn er bekommt den alten Filz, welcher mir bietet nur drei Gulden für den Tag. Ich werde sein sehr schlau, um zu verdienen die hundert Gulden und auch noch zehn Gulden für den Tag.“

„Gut, wir wollen sehen! Ich werde Dir für fünf Tage fünfzig Gulden vorher auszahlen. Du sollst bei mir viel Geld verdienen, aber wenn Du mich betrügst, so lasse ich Dich nicht etwa hängen, sondern ich schinde Dich bei lebendigem Leibe und lasse Dir die Haut über den Kopf herunter ziehen. Jetzt gehe, und warte: Du wirst noch weitere Instructionen erhalten!“

Nach dem Juden wurde Tlasco vorgelassen. Es war derselbe Unterofficier, welcher einen Tag später in Studenetz das Quartiermacher-Amt verwaltete. Als er die Handschrift des Barons geprüft hatte, erklärte er, in ganz denselben Zügen jeden ihm vom Obersten dictirten Brief schreiben zu können. Dies geschah sofort; das erste Mal gelang es nicht vollständig, aber mit dem zweiten Versuche erklärte sich Trenck zufrieden. Das Schreiben wurde zusammengefaltet,

mit Bodtmann’s Siegelring verschlossen und dann von dem Unterofficier sorgfältig adressirt. Dann erhielt der Letztere die Weisung, am nächsten Morgen mit zwei Mann nach Studenetz zu gehen, um für den Obersten, zwei Lieutenants und drei Mann Bedienung Quartier zu machen.

Nach seiner Entfernung gab Trenck seine weiteren Befehle. Der Major sollte übermorgen, am Montage, mit drei Compagnien so heimlich wie möglich nach Steindorf bei Chotiborz aufbrechen, in den ersten Nachmittagsstunden dort eintreffen und heimlich in dem Walde, welcher damals zwischen den beiden Orten lag, Stellung nehmen, um auf Trenck’s Boten zu warten und dann den Dessauer in Chotiborz aufzuheben. Der Oberst selbst wollte bereits morgen nach Studenetz gehen, um bei Zeiten und incognito auf dem Jahrmarkte sein zu können.

„So muß Alles klappen“, meinte er, „und wenn wir den Alten bekommen, so sollen meine Kerls einen Feiertag haben, wie sie noch keinen erlebt haben!“ — — —

Die Nrn. 17 und 18 der Beilage zur „Deutschen Gewerbeschau“ sind leider verschollen, sodass die Erzählung bis heute nicht vollständig gesichert werden konnte. 1918 muss der Text noch zur Verfügung gestanden haben – als Grundlage für die Bearbeitung im „Karl-May-Jahrbuch 1919“. Will man der Geschichte weiter folgen, muss man ersatzweise in der neueren Fassung weiterlesen, die auch die Textlücken im Reprint der Karl-May-Gesellschaft füllt: (Seiten 107, 108, 109, 110, 112 und 112 in „Unter den Werbern“).

297)(No. 19

Pandur und Grenadier.

Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May.

(Fortsetzung.)

IV. Im Mehlkasten

Die Dämmerung hatte bereits begonnen, als sechs Panduren zu Pferde in Studenetz einrückten, voran drei Offiziere und hinter ihnen drei Diener. Zwei der Ersteren waren Lieutenants; der Dritte ritt in ihrer Mitte; es war Trenck selbst, dessen Gestalt die Aufmerksamkeit aller hinter den Thüren, Mauern und Hecken versteckten Dorfbewohner auf sich zog. Die Reiter wurden von den drei Quartiermachern erwartet, von denen je Einer sich einem der Offiziere beigesellte, um ihm seine Wohnung zu zeigen.

Als der Oberst mit seinem Diener und Tlasco, dem Unteroffizier, in den Hof der Mühle einritt, waren die Knechte und die zwei Mühlknappen dort aufgestellt, um den unwillkommenen Gästen zu Diensten zu sein. Trenck sprang vom Pferde und trat sogleich in den Stall, um zu sehen, wie man für seine Pferde vorgesorgt habe. Im Stalle standen vier Pferde; neben ihnen war aber noch Platz für drei.

„Wem gehören diese Ziegenböcke?“ frug er die Bursche.

„Diese Pferde?“ fragte Einer. „Uns.“

„Und da sollen auch die meinigen stehen? Hinaus damit!“

„Wir haben nur diesen einen Pferdestall,“ klang die demüthige Entgegnung.

Trenck erhob die Hand und gab dem Sprecher eine schallende Ohrfeige.

„Wenn ich befehle, so hat man ohne Widerrede zu gehorchen! Heraus mit Euren Thieren!“

Die Knechte schickten sich an, diesem Befehle Folge zu leisten, doch geschah dies dem Obersten nicht schnell genug; er zog daher den Säbel und versetzte dem einen Mühlknappen mit der flachen Klinge ein Schlag über den Rücken.

„Könnt Ihr nicht auch mit zugreifen!“ gebot er. „Ich werde Euch dienstwillig machen! Tlasco, wo ist der Müller?“

Der Unteroffizier führte ihn nach der Stube; dort saß der Richter ganz allein, die Peitsche in der Hand.

„Er ist der Müller?“ fragte ihn Trenck.

„Ja, der Müller und Richter von Studenetz.“

„Wozu hat Er die Peitsche da?“

„Zum Kommandiren. Ohne sie folgt mir Keiner.“

„So! Warum steht Er nicht auf, he?“

„Ich habe das Kalte in den Beinen; ich kann nicht stehen.“

„So will ich Ihm gleich einmal zeigen, wie gut Seine Peitsche zum Kommandiren ist. Passe Er einmal auf!“

Er nahm ihm die Peitsche aus der Hand, trat einige Schritte zurück, um Raum zum Hiebe zu erhalten, und fuhr dann fort:

„Stehe Er auf! Eins — zwei — drei!“

Er applicirte dem Müller drei so kräftige Hiebe, daß dieser laut schreiend emporfuhr und die Hände vorstreckte, um die Peitsche zu ergreifen.

„Sieht Er, wie das hilft! Jetzt marschire Er einmal durch die Stube, ich werde den Takt dazu schlagen!“

Was man nicht für möglich gehalten hätte, das geschah: der Richter hinkte durch das Zimmer, bei jedem Schritte einen Hieb in die Beine erhaltend. Er verbiß seine Schmerzen und auch seine Wuth, welcher er einem so gewaltthätigen Manne gegenüber keinen Ausdruck geben durfte.

„So, jetzt ist Er kurirt. Wenn sich ein Rückfall einstellt, so lasse Er mich rufen; ich kurire ihn unentgeltlich, hoffe aber auch, daß ich keine Noth bei Ihm leide! Wo sind meine Zimmer?“

Der Unteroffizier führte ihn nach oben, wo sich bald ein vielseitiges Poltern erhob, zum Zeichen, daß der Herr Oberst beginne, sich in seinem Quartiere nach gewohnter Gemüthlichkeit einzurichten. Als es still geworden war, erschien die Magd, welche als Wirthschafterin fungirte, und lamentirte, daß man ihr die Rauchkammer geplündert und auch die wenigen Flaschen Wein genommen habe, welche allein für den Herrn Richter bestimmt seien. Der Letztere, welcher jetzt wieder in seinem Rollstuhle saß, erklärte ihr sehr kleinlaut, daß sie sich schweigsam in Alles fügen und ja nicht raisonniren solle.

Während dieses kurzen Gespräches trat ein Mann ein, dessen Aeußeres einen jeden guten Menschen sympathisch berühren mußte. Er war ein Greis, aber ein schöner kraftvoller Greis, wie man sie im Arbeiterstande selten findet. Er trug ein Kleidungsstück unter dem Arme und begrüßte den Müller mit Höflichkeit, was dieser aber nicht erwiederte.

„Endlich bringst Du die Jacke,“ meinte der Letztere. „Niemand ist so faul, wie die Schneider; sie haben niemals viel Arbeit und werden dennoch niemals fertig. Wird sie passen?“

„Sie paßt,“ erwiederte Engelmann einfach.

„Willst Du den Lohn gleich haben?“

„Es hat Zeit.“

„Ich denke, Du brauchst ihn, um heute zum Tanz gehen zu können!“

298No. 19

„Was ich dazu brauche, das ist vorhanden.“

„So! Aber um mich zu bezahlen, ist nichts vorhanden!“

„Es sind hundertfünfzig Gulden vorhanden, die Du aber nicht genommen hast. Das Fehlende werde ich auch noch ersparen.“

„Du wirst zum Sparen keine Zeit mehr haben, denn wenn Du heute mit der Agnes zum Tanz gehst, so komme ich morgen mit dem Wechsel.“

„Diese Schlechtigkeit ist Dir zuzutrauen; aber die Agnes eroberst Du Dir nicht damit, denn wenn es wirklich zum Schuldgefängniß kommen sollte, so wird sich wohl ein barmherziger Jemand finden, der mich von Dir erlöst. Leb wohl!“

„Bleib!“ rief der Müller und knallte mit der Peitsche hinter ihm her, jedoch vergeblich. Er war von Zorn und Eifersucht erfüllt; er wollte das Mädchen um jeden Preis gewinnen, und jetzt kam ihm ein Gedanke, dem auch sogleich die Ausführung folgte, denn der Panduren-Unteroffizier trat ein, um zu melden, daß er sich jetzt nach seinem Quartiere begeben werde, da der Oberst gegenwärtig seiner nicht mehr bedürfe.

„Ihr quartiert also wirklich bei Engelmanns?“ fragte ihn der Müller.

„Jawohl.“

„Ich bin der Pathe des Mädchens. Wenn Ihr Euch fern von ihr halten wolltet, so würde ich Euch unter vier Augen ein werthvolles Geheimniß anvertrauen.“

„So!“ lachte der Pandur. „Ihr alter Sünder habt wohl selbst ein Auge auf das Mädchen? Wie viel ist denn das Geheimniß werth?“

„Hundertfünfzig Gulden.“

„Ah! Ist das wahr?“

„Hundertfünfzig blanke Gulden! Laßt mir das Mädchen in Ruhe, so sollt Ihr sie haben.“

„Für eine solche Summe thut man schon Etwas. Gebt sie her!“

„Nein, ich zahle sie nicht, sondern das Geheimniß ist so viel werth. Habt Ihr bei Engelmanns das Tellerbret hinter dem Ofen bemerkt?“

„Ja.“

„Es sind zwei kleine Zugkästen daran?“

„Ich weiß es.“

„In dem Kästchen rechts liegen blanke hundertfünfzig Gulden, Herr Unteroffizier. Jetzt kennt Ihr das Geheimniß. Werdet Ihr Wort halten?“

Der Pandur stieß ein cynisches Lachen aus.

„Ich werde erst sehen, ob das Geld wirklich zu haben ist. Gehabt Euch wohl, Richter, Ihr werdet morgen Bescheid hören!“

Er ging. An seiner Stelle kam der Wächter hereingehumpelt.

„Kommst Du endlich einmal!“ rief er ihm entgegen. „Da kann man sterben und verderben, wenn man sich auf Dich verlassen soll!“

„Ich bin nicht blos für den Richter, sondern für die ganze Gemeinde da,“ entschuldigte sich Matthias Schulazek. „Der Bachhofbauer schickt mich zu Euch um Hülfe; der Offizier, den er erhalten hat, schlägt Alles entzwei, weil ihm nichts gut genug ist, was er empfängt.“

„Sage ihm, er soll es sich grad so gefallen lassen, wie ich selber. Der Trenck hat mich gleich beim Willkommen mit meiner eigenen Peitsche traktirt.“

„Ist’s die Möglichkeit!“

„Ja; er hat so lange zugeschlagen, bis ich in der Stube herumgesprungen bin.“

„So hat doch meine Emilka wieder Recht. Sie sagt immer, daß ein Jeder seinen Mann findet. Der Eurige, Erlenmüller, das ist der Trenck. Das muß ich gleich der Emilka wieder erzählen!“

„Bleib!“ gebot der Richter, indem er zum Schlage ausholte.

Der Büttel fing den Hieb sehr kunstgerecht mit seinem hölzernen Beine auf und stampfte hinaus. Für heute war es um das Ansehen des Richters geschehen.

Droben in dem Zimmer, in welchem sich der Oberst befand, wurde jetzt wieder ein längeres Schelten und Tumultiren laut, und kurze Zeit später traten die beiden Mühlknappen herein.

„Was wollt Ihr?“ fuhr ihr Meister sie an.

„Herr,“ meinte der Eine, „wir haben bisher geglaubt, daß wir nur für die Mühle zu arbeiten haben. Für das Haus und die Wirthschaft sind doch wohl die Knechte da!“

„Es wird kein Unterschied gemacht. Ihr arbeitet, wo Ihr gebraucht werdet,“ lautete der Bescheid.

„Aber den Trenck haben wir nicht zu bedienen!“

„Und doch! Ich habe es Euch befohlen, und damit ist’s genug!“

Um seinen Worten den gewohnten Nachdruck zu geben, knallte er ihnen die Peitsche um die Beine.

„So wissen wir, woran wir sind,“ sagte der Sprecher wieder. „Wir gehören zu Euch und wollen Euch dienen, aber mit dem Trenck mögen wir nichts zu thun haben. Mir hat er vorhin den Säbel über den Rücken gezogen, daß die Haut aufgesprungen ist, und der Kamerad hier hat eben jetzt da oben eine ganze Schüssel mit Eiern an den Kopf bekommen; ein Glück noch, daß sie gesotten waren, sonst würde er ein schönes Aussehen haben. Wir gehen fort und kommen erst wieder, wenn der Pandur nicht mehr zu sehen ist!“

„Halt! Bleibt!“ gebot der Müller mit einem kräftigen Peitschenknall; aber sie waren Beide bereits zur Thür hinaus.

Er fühlte große Lust, seinen Gefühlen durch einige Kernworte Luft zu machen, als er draußen im Flur fragen hörte, ob hier die Erlenmühle sei; und auf die bejahende Antwort der entweichenden Mühlknappen wurde sehr bescheiden an die Thür geklopft, und es traten zwei Menschen herein, denen man das staubige Müllerhandwerk auf den ersten Blick ansehen konnte.

299No. 19

„Gelobt sei Jesus Christus!“ grüßte der Aeltere von ihnen.

„In Ewigkeit, Amen!“ antwortete der Müller. „Wer seid Ihr?“

„Gott zum Gruße, und dem Herrn Meister zu Ehren,“ lautete der Handwerksspruch. „Wir sind zwei wandernde Gesellen des ehrsamen Müllerhandwerks und der löblichen Zeugarbeiterkunst und kommen, den Meister zu fragen, ob er nicht ein Nachtlager oder gar eine gute Arbeit für uns hat.“

„Habt Ihr Eure Bücher bei Euch?“

„Jawohl!“ ertönte die Antwort in tiefstem Basse, wobei sich der Sprecher seinen martialischen Zwickelbart strich. Es war der „Dessauer“.

„Zeigt sie her!“

Sie legten Beide ihre wohlgefüllten Ranzen ab, öffneten und nahmen die Bücher heraus. Es waren zwei französische Arbeitsbücher, welche der Feldwebel Steinbach in der Eile bei zwei Soldaten aufgetrieben hatte, die geborene Franzosen waren, vom Dessauer aber sich hatten anwerben lassen. Die Bücher hatten sie sich als Andenken aufgehoben gehabt. Der Müller öffnete sie und warf einen Blick hinein.

„Was ist das für eine Sprache?“ frug er. „Die kenne ich nicht.“

„Es ist französische Schrift,“ antwortete Steinbach. „Ich stamme aus Linz und mein Kamerad aus dem Preßburgischen, aber wir haben Jahre lang in Frank reich gearbeitet, wo man als Müller Etwas lernen kann, und da mußten wir uns auch französische Bücher anschaffen.“

Das leuchtete dem Richter ein. Sie waren zwei ungewöhnlich kraftvolle Gestalten, hatten gute Sachen, gefüllte Felleisen und waren gar in Frankreich gewesen; das waren gewiß zwei active, solide Arbeiter, mit denen er Ehre einlegen konnte; dazu kam, daß seine beiden Knappen ihn verlassen hatten, und so antwortete er:

„Ihr könnt hier gute Arbeit haben. Ruht Euch heute aus; die Mühle steht; und morgen könnt Ihr Euch die Gelegenheit ansehen. Drüben in der Mühle stehen die zwei Betten, und in der Küche giebt’s Essen genug. Wie heißt Ihr?“

„Ich heiße Naumann,“ antwortete der Fürst.

„Und ich Baumann,“ erklärte der Feldwebel; „das merkt sich gut.“

„Schön! Ich hoffe, daß ich mit Euch zufrieden sein kann. Jetzt geht!“ —

Unterdessen war der Unteroffizier Tlasco das Dorf hinabgeschritten, an der Schänke vorüber, wo soeben die Tanzmusik begann, bis zu seinem Quartiere am andern Ende des Ortes. Er fand die drei Leute, Vater, Tochter und die kränkliche Mutter, wegen des Abendbrotes seiner wartend und setzte sich an den Tisch. Als er seinen Blick auf das frugale Essen warf, fragte er drohend:

„Soll Das für mich sein?“

„Ja,“ antwortete Engelmann sehr gleichmüthig.

„Wo denkt Ihr hin! Das ist nichts für Unsereinen!“

„So geht dahin, wo Ihr etwas Besseres findet. Ihr seid aus eigenem Antriebe zu uns gekommen, und wir sind arme Leute.“

Er erhob sich mit den Seinen, um das Tischgebet zu sprechen. Der Pandur lachte roh und verließ die Stube. Er trat erst wieder herein als sie satt waren und setzte sich nieder, um das Uebrige zu verzehren, erklärte aber, daß er gewohnt sei, ohne Zuschauer zu essen. Engelmanns verließen in Folge dessen die Stube. Kaum aber waren dieselben hinaus, so sprang er auf, trat zu dem Tellerbrete, öffnete das Kästchen und fühlte auch sofort den gefüllten Beutel. Er steckte ihn zu sich und setzte dann die Mahlzeit fort. Als er fertig war und der Wirth wieder hereintrat, erklärte er ihm, daß er jetzt zu Biere gehen und wohl erst spät heimkommen werde. Er ging.

(Schluß folgt.)
313)(No. 20

Pandur und Grenadier.

Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May.

(Schluß.)

Nun machte sich auch Engelmann bereit, mit Agnes nach dem Saale zu gehen; da aber hörten sie draußen Schritte und sahen einen Augenblick später beim Scheine der Lampe zwei hohe, grau gekleidete Gestalten unter der Thür stehen.

„Gott grüß Euch, Korporal Engelmann!“ sagte eine tiefe, kräftige Baßstimme, der man die Gewohnheit des Befehlens anhörte.

„Herr Jesus!“ rief er, als er in das kräftige, dunkel gebräunte Gesicht des Sprechers blickte. „Das ist unmöglich!“

„Was ist unmöglich, Korporal Engelmann?“

„Das Ihr es seid, Durchlaucht! Ich muß mich irren!“

„Wahrhaftig, kennt mich der Engelmann nach siebenunddreißig Jahren wieder!“ schmunzelte der Fürst. „Und noch dazu in diesem Rocke! Ich muß doch ein rechtes Spießruthengesicht haben, weil es gar nicht zu vergessen ist!“

„Also wirklich!“ rief der Schneider. „O welch’ eine Freude, welch’ eine Ueberraschung! Tretet näher, durchlauchtigste Excellenz!“

„Schreie Er nicht so, und lasse Er diese durchlauchtigste Excellenz bei Seite! Wir sind in Feindes Land, und da braucht es nicht mit Kanonen in die Welt hinaus geschossen zu werden, wer ich bin. Komme Er herein, Feldwebel Steinbach! Wir sind hier bei braven Leuten, die uns nicht verrathen werden.“

„Soll mich Gott bewahren, gnädigster Herr! Frau, Tochter, das ist Seine Durchlaucht, mein einstiger Generalissimus. Holt herbei, was das Haus vermag! Wir sind arm, aber Excellenz werden fürlieb nehmen.“

„Schnickschnack!“ meinte der Fürst. „Hier muß nicht gleich gegessen und getrunken sein. Setzt Euch fein hübsch nieder! Das Uebrige wird sich finden. Feldwebel, Er gehört dorthin zur Jungfer, und ich setze mich zu den beiden Alten. So! Und nun sage Er mir einmal, Korporal Engelman, ob Er ein guter Oesterreicher ist!“

„Das versteht sich, Durchlaucht. Ich sage es aufrichtig, obgleich — — —“

„Papperlapapp, rede Er nicht! Es ist Seine Pflicht und Schuldigkeit, auf Seine Königin Etwas zu halten. Versteht Er mich. Ich bin ihr auch nicht gram. Also wollen wir die Politik und den Krieg einmal bei Seite lassen und von unsern eignen Angelegenheiten reden.“

„Aber die Panduren, Excellenz!“ warnte Engelmann. „Ich habe auch Einen!“

„Pah! Ich werde sie bald Alle haben! Was gehen mich die Panduren an. Ich habe eine ganz andere Sorge, und die kann Er von mir nehmen, Engelmann.“

„Wenn ich es doch könnte!“

„Ich habe mir nämlich da im Anhaltischen ein neues, schönes Gut gekauft, zu welchem ich einen tüchtigen Pächter brauche. Den Pächter hätte ich; da sitzt er vor mir, der Feldwebel Steinbach, mein Leibgrenadier, der bei allen meinen Streichen dabei sein muß.“

„Durchlaucht!“ rief Steinbach überrascht.

„Halte Er den Mund, Feldwebel, und rede Er erst dann, wenn man Ihn fragt! Also der Pächter wäre gefunden, aber mit der Pächterin, da hapert es noch gewaltig. Nämlich die soll und muß extra Agnes heißen oder so ähnlich, und ihr Vater soll Korporal gewesen sein und den jungen Dessauer damals aus dem Kanale gezogen haben; anders thut es der Feldwebel, der Schwerenöther nicht. Was meint Er dazu, Engelman?“

Der Gefragte wußte vor Ueberraschung gar nicht, was er antworten sollte; darum fuhr der Fürst fort:

„Da, gucke Er sich einmal Seine Agnes an, ob sie nicht roth wie ein Blut geworden ist! Nämlich dieses hinterlistige Volk kennt sich bereits von Halberstadt aus und hat sich partout eingebildet, als Mann und Frau mir eines meiner besten Güter hinwegzupachten. Es ist geradezu unerhört. Aber was will man machen? Das Gut ist einmal da, sie Beide selbst auch, und nun fehlt blos noch, daß die Eltern nichts dagegen haben. Ich denke, es wird am Besten sein, Er streckt das Gewehr und macht, daß Er bald Schwiegervater wird!“

„Excellenz, das kommt so unerwartet, so überraschend, daß ich mich noch gar nicht zu fassen vermag!“

„Schockschwerenoth, Er soll sich ja auch gar nicht fassen! Was Er zu fassen hat, das sind hier diese beiden Hände; die legt Er in einander und sagt sein Ja und Amen. Vorwärts und abgemacht! Wenn sich Zwei so richtig gut sind, so muß man sie zusammenthun; das habe ich an meiner alten Annaliese erfahren. Also macht, und thut Eure Schuldigkeit, Ihr beiden Alten, sonst nehme ich Euch bei den Ohren!“

„Das heißt ja, die Festung ohne Belagerung gleich mit einem Handstreiche genommen!“

313No. 20

„Bin es so gewohnt. Also, wie wird’s!“

„Ist’s denn wahr, Agnes, daß Ihr Euch kennt?“ fragte Engelmann.

Sie nickte erglühend.

„So! Und ich habe kein Wort davon gewußt!“

„Aber die Mutter!“ bemerkte das Mädchen verschämt.

„Ach so, die Mutter! Na, Herr Feldwebel, ich kenne Ihn nicht, aber Sein Kriegsherr achtet Ihn, und da muß Er ein braver Kerl sein. Ich bin arm und kann Ihm Nichts geben; aber meinen einzigen Reichthum, mein Kind, das soll Er haben. Der Herrgott mag herniederblicken und sein Ja und Amen dazu sagen! Komm, Mutter, gieb auch Du den Kindern Deine Hand!“

Das war so recht ein Streich, wie Leopold ihn liebte. Noch kaum fünf Minuten anwesend, hatte er eine Verlobung zu Stande gebracht und fünf Menschen glücklich gemacht, denn er selbst fühlte sich ja auch glücklich über sein Werk.

„Also es bleibt dabei,“ meinte er fröhlich, „wenn der liebe Herrgott uns diesen Krieg überleben läßt, so ist der Pächter fertig, und die Schwiegereltern kommen mit zu uns! Für Seinen Bruder, Engelmann, dem Schulmeister mit dem Seifenhandel, wird sich auch Etwas finden. Ich habe seiner Alten heute einen ganzen Korb voll Butter und Käse abgekauft. Das ist ein blitzmäßiges Weibsbild; die hat Haare auf den Zähnen! Fragt mich die alte Susanne, wer ich denn eigentlich sei, daß ich so wenig Sums mit ihrer Butter mache! Und, Korporal, wie steht Er denn eigentlich mit dem Richter? Der Feldwebel hat mir erzählt, daß Er dem Kerl schuldig ist?“

„Das wird gleich morgen bezahlt,“ antwortete Agnes schnell.

„Hast Du denn Geld?“ fragte ihr Vater verwundert.

„Ja, genug! Der Wilhelm hier hat mir heute am Nachmittage vierhundert Gulden gegeben.“

„Vierhundert Gulden!“ rief Engelmann erstaunt. „Ist das ein Geld! Also habt Ihr schon heute am Nachmittage mit einander gesprochen?“

„Ja,“ antwortete der Fürst an des Mädchens Stelle. „Doch davon braucht Er nichts zu wissen. Er ist ein guter Oesterreicher, und so ist es besser, Er fragt heute gar nicht, was wir hier wollen. Wir Beide sind Mühlknappen beim Richter, basta, abgemacht! Und nun, Korporal, gehe Er mit der Agnes auf den Saal; wir Zwei werden gleich nachkommen!“

„Aber die Panduren, Durchlaucht!“

„Panduren hin, Panduren her! Ich heiße Naumann, und Dieser hier heißt Baumann, und diese Nau- und Baumänner wollen mit der Agnes einen Hopser tanzen. Versteht Er mich! Rechts um; vorwärts marsch!“ —

Unterdessen ging es in der Schänke lustig zu. Das Jungvolk tanzte im Saale, und die Alten saßen in den beiden Nebenstuben, von wo aus sie auch zuweilen einen Blick auf den Saal werfen konnten. Auch die Niederstube war gefüllt von Gästen, doch gab es hier einige verdrossene

Gesichter. Diese Letzteren gehörten den Honoratioren des Dorfes an. Sie hatten ihr Hinterstübchen räumen müssen, denn der Trenck war mit seinen zwei Lieutenants gekommen, hatte sich dort zwischen einer Batterie von Weinflaschen festgesetzt und litt keinen Dörfler in der Herrenstube.

Es trug sich heute überhaupt manch’ Ungewöhnliches zu; das Erstaunlichste aber war, daß man den Richter auf dem Rollstuhle gebracht hatte. Zwei seiner Knechte hatten ihn hinauf in den Saal schaffen müssen; da saß er nun in einer Ecke und sah dem Tanze zu. Den Grund konnte kein Mensch begreifen.

Später setzten sich zwei fremde Müllerburschen zu ihm, von denen er den Nachbarn erzählte, daß sie aus Frankreich gekommen seien und bei ihm in Arbeit treten würden. Sie sahen recht reputirlich aus und mußten sich ein Geld erspart haben, denn sie litten nicht, daß der Meister für sie bezahlte. Der Eine war freilich bereits wohl in die Sechzig, aber Solche gab es ja genug, die das Wandern einem seßhaften Leben vorziehen und es doch zu Etwas bringen.

Später kam auch der alte Engelmann mit seiner Tochter, was gar selten passirte und deshalb auch einiges Aufsehen erregte. Der Panduren-Unterofficier, welcher auch zugegen war, ging gleich auf Agnes zu, um sie zu engagiren, wurde aber von ihr zurückgewiesen.

Und nun passirte noch etwas Auffälliges: Der Jüngere der beiden Müller, der um einen Kopf länger und um eine Achsel breiter war als alle Männer im Saale, forderte sie auch zum Tanze auf, und mit diesem tanzte sie. Während dieses Tanzes erzählte Agnes dem Feldwebel, welcher mit dem Fürsten doch noch eher von Engelmanns aufgebrochen war, als sie mit ihrem Vater, daß die hundertfünfzig Gulden aus dem Kästchen verschwunden seien. Sie hatte die vierhundert Gulden hineinlegen wollen und dabei bemerkt, daß der Beutel fort sei. Kurz vor dem Abendessen war er noch dagewesen. Kein Anderer als der Pandur konnte ihn haben, der ganz allein in der Stube gegessen hatte.

„Du bekommst das Geld wieder,“ tröstete Steinbach; „dafür werden wir sorgen, der Fürst und ich!“

Den nächsten Tanz schlug sie dem Panduren abermals ab, der darüber vor Zorn blutroth wurde, tanzte ihn aber doch mit dem alten Müller, der einen so großen Zwickelbart trug. Als dieser sich nachher wieder zu dem Richter setzte, meinte dieser:

„Hört, Leute, die Agnes ist nichts für Euch! Ich bin der Pathe und leide nicht, daß sie tanzt. Laßt es also sein, wenn wir gute Freunde bleiben wollen!“

„Wenn wir den Vater fragen, und er erlaubt es uns, so ist’s genug!“ hatte da der jüngere Müller gesagt und war gleich bei der nächsten Tour wieder mit ihr angetreten. Dann tanzte der Alte abermals mit ihr, nachdem sie den Panduren zum dritten Male abgewiesen hatte.

Dieser stellte sich ergrimmt hart an die Reihe der Tanzenden, und als das Paar an ihm vorüber wollte, hielt er das Bein vor, damit es darüber stürzen solle. Der Alte aber mochte so Etwas erwartet haben; er hielt an,

315No. 20

stieß dem Panduren die Faust unter das Kinn, daß dieser nach hintenüber flog, und tanzte dann weiter, als ob gar nichts geschehen sei.

Auch die drei Diener und die beiden andern Quartiermacher waren da. Sie rotteten sich zusammen, und als der Tanz vorüber war, traten sie an den Tisch, an welchem die beiden Müller saßen.

„Wie kann Er mich schlagen!“ meinte der Unterofficier. „Sofort verläßt Er den Saal, oder wir leuchten Ihm hinab!“

„Packe Dich fort, Kerl!“ lachte der Fürst, „sonst klopfe ich Euch sechs Pfefferkuchenmänner zu Mehl! Aber ehe Du gehst, giebst Du das Geld heraus, welches Du Deinem Wirthe gestohlen hast!“

„Ich? Gestohlen? Mensch, das sage nicht noch einmal!“

„Nein, sagen werde ich es nicht; aber nehmen werde ich es!“

Im Nu hatte er den Panduren gepackt; der riesige Feldwebel hielt denselben so fest, daß er kein Glied zu rühren vermochte, und der Fürst zog ihm den Beutel aus der Tasche, ehe seine fünf Kameraden nur Zeit gefunden hatten, ihm zu helfen.

„Ist das Sein Beutel, Engelmann?“ frug der Fürst.

„Ja, er ist’s!“ rief dieser erfreut.

„Hier, nehme Er ihn!“

„Halt, das Geld ist mein!“ brüllte der Pandur und faßte den alten Engelmann bei der Gurgel.

In diesem Augenblicke aber standen auch bereits die beiden Müller dabei; eine Minute lang bildeten sie mit den sechs Panduren einen Knäuel, und dann flogen diese Letzteren Einer nach dem Andern zur Thür hinaus und zur Treppe hinunter. Der riesige Feldwebel hatte gleich Zwei auf einmal genommen.

Die anwesenden Dörfler verhielten sich vollständig ruhig bei dieser Scene, nach welcher die Musikanten sofort einen neuen Tanz aufspielten. Während desselben trat ein Fremder in den Saal, der bisher in der Niederstube gesessen hatte. Er trat auf den älteren Müller hinzu und flüsterte ihm in das Ohr:

„Excellenz, die Kerls sind unten beim Trenck; er wird mit den Lieutenants gleich nach oben kommen.“

„Gut, Korporal Tannert,“ lautete die leise Antwort. „Es ist Zeit; hole Er die Husaren. Sie mögen sogleich nach ihrer Ankunft die Mühle und die Schänke besetzen!“

Der Korporal hatte kaum den Saal verlassen, und der Tanz war ausgespielt, so wurde die Thüre weit aufgerissen, und die gewaltige Figur des Trenck trat in den Saal, hinter ihm die beiden Lieutenants und drei Panduren. Die übrigen Drei hatten sich beim Sturze zur Treppe hinunter Schaden gethan. Er warf sein Auge wild im Kreise umher und frug mit dröhnender Stimme:

„Wo sind die Hallunken, die sich an meinen Leuten vergriffen haben?“

Als keine Antwort erfolgte, trat er an den Tisch, wo die beiden Müller saßen.

„Ihr wart es! Müller sind es gewesen. Ihr habt — — —“

Er hielt mitten in der Rede inne. Sein Blick war schärfer auf Leopold gefallen, und obgleich er ihm persönlich noch nicht begegnet war, so hatte er doch sein Bild gesehen. Er frug daher:

„Wer ist Er, he?“

Leopold erhob sich und der Feldwebel mit ihm. Sie konnten es nicht wagen, inmitten dieser feindlichen Bevölkerung sich zu erkennen zu geben; darum antwortete der Fürst:

„Kein Räuber und Pandur!“

„Mensch!“ rief Trenck, „das zahlst Du mit dem Leben!“

Er riß ein Pistol hervor, stürzte aber sofort steif wie ein Klotz zur Erde nieder; die gewaltige Faust des Grenadier-Feldwebels hatte ihn an die Schläfe getroffen. Im nächsten Augenblicke lagen auch die beiden Lieutenants am Boden, noch ehe sie ihre Waffen hatten gebrauchen können; dem Unterofficier ging es ebenso, und nur die beiden Panduren entkamen.

Das war schneller gegangen, als es erzählt werden kann. Die Anwesenden waren vor Schreck und Erstaunen ganz sprach- und bewegungslos, und nur der Richter hatte seine Fassung behalten.

„Um Gotteswillen, was thut Ihr da!“ rief er. „Ich muß Euch arretiren!“

„Er? Uns? Was fällt Ihm ein! Er will Richter sein und kennt Seine Generalität nicht besser?“ donnerte der Fürst ihn an. „Da, sehe Er her! Und wenn Er es wagt, nur mit einem einzigen Worte zu mucksen, so lasse ich Ihn krumm schließen!“

Er hatte seinen grauen Rock um ein Weniges geöffnet, so daß man einen großen, goldenen Ordensstern, nicht aber die Farbe seines Unterrockes zu sehen vermochte.

„Ich bin gekommen, den Trenck zu arretiren und werde ihn jetzt nach der Mühle transportiren lassen. Beordere Er zwei Mann dazu! — Und Ihr, Herr Oberstwachtmeister“, wandte er sich an den Feldwebel, „bleibt hier zurück, um die Anderen zu überwachen, bis unsere Szekler Husaren kommen. Wer den Saal oder die Schänke ohne Eure Erlaubniß verläßt, dem wird der Proceß gemacht. Der Richter ist für Alles verantwortlich!“

Der Richter war über alle Maßen betreten, als er in seinen beiden neuen Mahlburschen so unerwartet zwei hohe österreichische Officiere erkennen mußte. Er beorderte zwei Männer, welche Trenck, nachdem ihm die Waffen abgenommen worden waren, vom Boden emporhoben und forttrugen. Der Fürst folgte ihnen.

Der Pandur war noch besinnungslos und so schwer, daß die beiden Träger alle ihre Kräfte anstrengen mußten. So hatte man die Mühle beinahe erreicht, als ihnen der Wächter begegnete.

„Was geht hier vor? Wer ist das?“ frug er.

„Es ist der Trenck“, antwortete der Fürst. „Packe Er sich Seine Wege!“

316No. 20

„Na, na, nur nicht so grob! Der Trenck! So betrunken! Hm, wenn das die Emilka hört; die wird sich wundern!“

Damit ging er weiter.

Sie schritten jetzt am Mühlteiche vorüber, da stieß der eine Träger einen Schrei aus und lief davon; der Andere folgte ihm, und — der Trenck stand grad und hoch vor Leopold.

„Ah, hat Er sich betrügen lassen!“ spottete er. „Er hat wohl nicht geglaubt, daß mir die Besinnung unterwegs kommen könnte. Jetzt ist es aus mit Ihm!“

Er warf sich auf den Fürsten. Dieser trat zur Seite und wollte ihn von hinten packen; so drehten sie sich einige Male um einander herum, bis sie, das Wasser nicht beachtend, in den Teich stürzten. Hier wendete Trenck seine ganze Kraft an, den Gegner unterzutauchen, aber es gelang ihm nicht, denn die Verzweiflung gab dem Fürsten doppelte Kräfte. Leopold war dem Panduren nicht gewachsen; er mußte sein Heil in der Flucht suchen, aber er mußte auch so fliehen, daß Trenck ihm nicht entgehen konnte; das wäre nach derjenigen Richtung gewesen, aus welcher er seine Husaren erwartete; er aber that es anders. Es gelang ihm, los zu kommen und sich am Ufer empor zu schnellen. Er sprang, von dem Panduren verfolgt, nach der Mühle hin, erreichte deren Eingang und auch den Mühlenraum; aber der Pandur war immer so nahe hinter ihm, daß es ihm nicht gelang, eine Thür zwischen sich und ihn zu bringen.

In dem unheimlichen und gefährlichen Raume war es vollständig finster. Der Fürst hatte, als er mit dem Feldwebel sich die Lagerstelle betrachtet hatte, eine Thür bemerkt, welche von hier aus hinaus nach dem Mühlendamme führte; dieser wandte er sich zu. Leider aber hatte er nicht gemerkt, daß in derselben Richtung ein großer, breiter Kasten stand, welcher beinahe bis oben heran mit Aftermehl angefüllt war. Er rannte mit Macht gegen denselben an und stürzte hinein. Trenck hatte den Fall gehört, griff im Dunkel zu und erkannte durch das Gefühl augenblicklich die Situation.

„Jetzt habe ich Dich!“ rief er. „Nun magst Du ersticken, Kerl!“

Er strengte sich an, den Kopf des Fürsten unter die Oberfläche des Mehles zu bringen. Dieser aber hielt sich mit Händen und Füßen am Rande des Kastens fest. Hätte Trenck die Hände des Gegners gelöst, so wäre es um diesen geschehen gewesen. Es war ein fürchterlicher Kampf, lautlos, heimtückisch, und sicher wäre Leopold noch unterlegen, als auf einmal draußen lautes Pferdegetrappel erscholl und preußische Commandorufe ertönten. Trenck stieß einen Schrei der Wuth aus und machte eine letzte, aber auch vergebliche Anstrengung. Es gelang Leopold, den Mund vom anklebenden Mehle zu befreien und einen weit hinausschallenden Hilferuf auszustoßen.

„Man ruft um Hilfe“, ertönte draußen eine Stimme. „Abgesessen und hinein!“

Von den Bewohnern der Mühle war Niemand daheim;

sie waren Alle auf den Tanz gegangen, doch fanden sich die wackeren Husaren schnell zurecht. Beim zweiten Schrei Leopold’s standen sie bereits an der offenen Thür, und nun erst ließ Trenck von seinem Gegner ab. Auch er mochte die betreffende Thür gesehen haben; er eilte ihr zu, öffnete und sprang hinaus auf den Damm. Leopold merkte es, warf sich aus dem Kasten heraus und folgte ihm. Draußen sah er ihn bereits hinter den Weiden, welche den Teich umsäumten, verschwinden.

„Hierher! Mir nach!“ rief er, indem er der Richtung folgte, in welcher er Trenck hatte fliehen sehen.

Er flog über eine Wiese und dann über frisch besäete Felder. Nun hörte er auch Hufschlag hinter sich, und bald war er von Reitern umgeben.

„Da vorn flieht er!“ rief er ihnen zu.

„Wer?“

„Der Trenck!“

„Und wer ist denn Er?“

„Alle Wetter, Rittmeister, nehme Er mich gefangen, aber lasse Er Seine Schwadron deployiren. Da vorn flieht der Trenck; er darf uns nicht entgehen!“

Der Rittmeister hatte diese Stimme erkannt; er gab den Befehl zum Streuen und nahm den Fürsten dann unter seinen Schutz, um ihn möglichst unbemerkt zur Mühle zurück zubringen.

Leopold konnte sich vor keinem Menschen sehen lassen. Das Bad im Teiche hatte seine Kleidung vollständig durch weicht, und durch den Kampf im Mehlkasten war ein förmlicher Teig entstanden, in welchem der Fürst stak wie der Kern in der Zuckermandel. Er mußte sich bis auf Weiteres mit dem Kleidervorrath des Müllers begnügen und, wenn auch mit den Zähnen knirschend, Stubenarrest halten.

Trenck war entkommen, aber die Anderen alle hatte man festgehalten; die Husaren ritten mit ihnen ab, während Leopold in gelichenen Kleidern mit dem Feldwebel später folgte. Der alte Korporal Engelmann begleitete sie eine Strecke weit und nahm dann nicht für immer Abschied von ihnen. Auf dem Rückwege traf er den Wächter.

„Weißt Du nicht, wer gestern diese preußischen Officiers waren?“ frug ihn dieser.

„Nein.“

„Hm! Auch meine Emilka weiß es nicht, und die bekommt doch sonst Alles heraus. Ich muß weiter fragen!“

Sein Fragen hat kein Resultat gehabt. Noch Jahrzehnte später erzählten die Bewohner von Studenetz, daß Trenck bei ihnen von den Preußen überfallen worden sei, aber Niemand wußte zu sagen, wer die beiden Müller gewesen waren.

Kurze Zeit nach jenem Ereignisse, am 17. Mai 1742, wurde die Schlacht von Chotusitz geschlagen, welcher der Breslauer Friedensschluß ) folgte, und wenige Wochen später zog die schöne Agnes mit ihren Eltern nach dem Anhaltischen -

) Am 11. Juni 1742, durch den Schlesien mit Ausnahme von Te­schen, Troppau und Jägerndorf an Preußen abgetreten wurde.
317No. 20

Alhaltischen, wo auch ihr Oheim eine Stelle bekam, welche so besoldet war, daß seine „Alte“ nicht mehr mit Butter, Käse und Seife zu handeln brauchte.

Slugaksch soll erschossen worden sein, doch ist dies nicht genau zu behaupten.

In den Steinbach’schen Familienpapieren existirt noch heute ein in wunderlicher Orthographie geschriebener Brief des alten Wächters Matthias Schulazek, in welchem er sagt, daß seine Emilka noch immer nicht erfahren habe, durch wen damals das ganze Aftermehl aus dem Kasten geworfen worden sei. — — —