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Der Pflaumendieb.

Humoristische Episode aus dem Leben des alten DessauersvonKarl Hohenthal.

(Nachdruck verboten.)

I.Der Werber.

Die Dorfstraße herauf kam ein alter Kerl gegangen, dessen Aussehen nicht eben sehr empfehlend genannt werden konnte. Er trug ein Paar alte, beschmutzte Drellhosen und eine schwarze Kutte, über deren Kragen ein roth und gelb getüpfeltes Halstuch geschlungen war, dessen zwei Zipfel bis über die breite Brust herabhingen. Die grob gearbeiteten Knöchelschuhe an seinen Füßen hatten sicher schon seit Monaten weder Wichse noch Schmiere gesehen; der Zopf, welcher ihm am hintern Theile des Kopfes hing, war zersaust, vielleicht

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vom Streichen durch dichten Wald und Busch; der riesige Dreispitz auf seinem Haupte hatte sichtlich schon manchen Krawall miterlebt, und der stark mit Eisen beschlagene Knotenstock in seiner Hand trug nur dazu bei, den martialischen Eindruck der ganzen Persönlichkeit zu erhöhen.

Bei einem Hause angekommen, über dessen Thür die Inschrift „Erbschenke zum wilden Mann“ zu lesen war, bog er auf dasselbe ein und trat in die niedrige, verräucherte Gaststube, wo er außer der Wirthin einen Mann bemerkte, welcher die hinterste Ecke eingenommen hatte.

„Guten Morgen, Alte,“ grüßte er mit tiefer Baßstimme, „gebe Sie mir einem Genêvre!“

„Scheneber? Den haben wir nicht. Ich denke, ein Kornschnaps wird auch gut genug für Ihn sein,“ antwortete sie, einen geringschätzenden Blick auf seine staubbedeckte Gestalt werfend.

„So? Meint Sie das wirklich? Ja, Sie scheint eine fürchterliche Weisheit zu sein, das sieht man ja gleich an Ihrer allerliebsten Gurkennase, auf der die Warzen sitzen wie die Blattläuse am Sauerampfer! Aber Genêvre hat Sie doch, Sie alte Lügnerin. Her damit!“

Die Frau ließ ein zorniges Schnaufen durch die soeben beschriebene Nase vernehmen.

„Was bin ich, und wie nennt Er mich, Er Grobsack und Landstreicher? Eine Lügnerin? Will Er mir das wohl gleich beweisen, he?“

„Halte Sie Ihr Plapperment, sonst schlage ich Ihr den Grobsack um die Flattusenhaube, daß Ihr der Landstreicher in alle Ewigkeit vor den Augen flimmert! Steht etwa dort auf der Flasche nicht groß und deutlich genug „Wachholder“ geschrieben?“

„Ja, Wachholder, aber doch nicht Scheneber, oder wie Sein albernes Zeug heißen soll!“

„Da sperre Sie einmal den Mund auf und merke Sie sich das, was ich Ihr sagen werde!“

Er faßte sie bei beiden Schultern und brüllte ihr mit einer wahren Donnerstimme in die Ohren:

„Wachholder und Genêvre ist ganz ein und dasselbe! Hat Sie es kapirt, he? Und nun schenke Sie ein, sonst bewachholdere ich Sie, und das gehörig!“

„Herrjesses, hat der Mensch eine Stimme! Das ist ja grad, als hätte man es mit Löwen und Elephanten zu thun! Will Er denn einen Großen oder einen Kleinen?“

„Nehme sie den Stamper da oben herunter; aus Ihren Finkennäpfen trinke ich nicht!“

„Den Stamper dort? Ja, der kostet zwei gute Groschen. Hat Er Geld?“

Sein Auge blitzte halb zornig und halb belustigt auf.

„Will Sie mir wohl nun endlich einmal den Schnaps geben, oder soll ich nachhelfen!“

Diese Worte waren nicht sehr laut aber in einem eigenthümlichen Tone gesprochen, welcher kein weiteres Zögern zuließ. Die Wirthin schenkte das Glas voll und stellte es vor ihn hin.

„So, da! Er ist ein Grobian erster Sorte. Ich glaube kaum, daß sich der alte Dessauer mit Ihm messen kann, und der hat’s doch gewißlich weg!“

„Ah, hat der’s wirklich weg! Hab viel von ihm gehört; möchte ihn nur auch ’mal sehen!“

„Na, da behüte mich der liebe Gott, dabei zu sein! Da würden die Grobheiten niederprasseln wie ein Hagelwetter. Ihr Zwei paßt gut zusammen.“

„Meint Sie? Hat Sie ihn denn schon gehört?“

„Nein. Ich habe ihn blos einmal von Weitem gesehen und bin auch ganz froh, daß er mir noch nicht zu nahe gekommen ist. Wer ist Er denn eigentlich, he?“

„Das geht Sie den Teufel an. Aber rathe Sie doch einmal! Für wen oder was hält Sie mich?“

„Hm, Unsereins kennt seine Leute und wenn sie auch einmal in einem andern Rocke stecken. Euer Schnurrbart und der Soldatenzopf, die verrathen Euch. Ihr seid ein Unteroffizier und geht auf den Rekrutenfang.“

„Alle Wetter, Alte, ist Sie scharfsinnig! Na, wenn ich mich so schlecht verstellen kann, so werde ich verteufelte Geschäfte machen.“

Der Mann in der Ecke horchte auf. Seine schmale, niedere und zurückgebogene Stirn, welche in eine speckartig glänzende Glatze verlief, die weit auseinander stehenden kleinen, stechenden Augen, die scharf geschnittene Habichtsnase, die dünnen, bartlosen Lippen und das kurze, spitze Kinn, in welches sein Gesicht verlief, gaben demselben etwas entschieden Raubvogelähnliches, was durch den Ausdruck der Salbung, der auf seinen Zügen lag, eher vermehrt als vermindert wurde.

Als jetzt die Wirthin die Stube verließ, erhob er sich von einem Platze und trat herbei.

„Ist es erlaubt, bei Euch Platz zu nehmen?“

„Ich werde Ihn nicht fressen!“

„Es ist nicht gut, so allein zu sitzen; ich liebe die Langeweile nicht.“

„So mache Er sie sich kurz!“

„Ihr seid Werber?“

„Hm, ja, wenn ich es richtig nehme. Warum?“

„Weil ich Euch dann noch etwas zu fragen hätte.“

„So frage Er!“

„Sieht Er diesen Gulden hier?“

„Hält Er mich etwa für blind? Er reckt ihn mir ja weit genug unter die Nase her.“

„Diesen Gulden kann Er sich verdienen.“

„Ah! Womit?“

„Mit einer Auskunft, die Er mir giebt.“

„Worüber?“

„Ueber einen Mann, den ich suche.“

„Wer ist’s?“

„Ein Schwindler und Betrüger, der sich für den Grafen Arthur von Hellbach ausgiebt.“

„Ist mir noch nicht begegnet; kenne überhaupt die Hellbachs gar nicht!“

„So! Dann hat er sich wohl einen andern Namen beigelegt. Ich bin sehr genau unterrichtet, daß er sich hier unter die Soldaten stecken will.“

„Ist nicht geschehen; würde ihn sonst kennen, denn ein neuer Offizier spricht sich schnell herum.“

„Offizier ist er jedenfalls nicht, denn da hätte er sich beim Fürsten melden und seinen wahren Namen sagen müssen. Er ist sicher als Gemeiner unter die blauen Lumpen gegangen.“

„Wohin? Unter die blauen Lumpen? Wird Er mir wohl sagen, wen Er unter diesen blauen Lumpen versteht?“

„Das könnt Ihr Euch wohl denken!“

„Nein. Heut ist Sonntag, und Sonntags habe ich mir all mein Lebtage nichts Gescheidtes denken können. Also heraus damit!“

„Es bleibt drin, denn Ihr seid Werber, und ich will Euch nicht beleidigen.“

„Das will ich Ihm auch gerathen haben, Er Himmelhund! Was hat es denn eigentlich mit Seinem Arthur von Hellbach für eine Bewandtniß, he?“

„Das ist ein Geheimniß.“

„So behalte Er es für sich! Warum aber zerbricht Er sich denn erst das Maul darüber?“

„Na, Euch könnte ich es schon anvertrauen, denn wenn Ihr noch nichts von ihm gehört und gesehen habt, so ist es doch möglich, daß Ihr ihm noch begegnet. Die Hellbachs sind nämlich österreichisch und eine sehr reiche Familie, welche in zwei Linien getheilt war, von denen die eine vor Jahreszeit ausstarb. Das Erbe ist also auf die andere übergegangen. Der verstorbene Hellbach war unverheirathet, und dennoch meldete sich nach seinem Tode ein Mensch, welcher sich für seinen Sohn ausgab und Anspruch auf die Hinterlassenschaft erhob. Natürlich wurde er als Betrüger hinter Schloß und Riegel gebracht, zerbrach aber die Eisenstäbe vor dem Fenster seines Gefängnisses und entkam. Er wurde zwar von einer aus sechs Mann bestehenden Patrouille erwischt, doch war es derselben unmöglich, ihn zu halten. Vier Mann schlug er nieder, und die andern zwei salvirten sich.“

„Sechs Mann? Und die Eisenstäbe zerbrechen? Das muß ja ein ganz sakerment’scher Schlingel sein!“

„Ja, er ist ungeheuer stark. Seine Spur blieb lange Zeit verloren, bis man sie in Sachsen wiederfand. Er ist jetzt hier im Lande und geht ganz sicher unter die Soldaten, um sich unter dem bunten Rock zu verbergen. Ihr habt mir zwar keine Auskunft geben können, aber hier ist der Gulden; er soll Euer sein, denn ich denke, daß wir einander wiedersehen werden, wo Ihr mich dann vielleicht besser berichten könnt.“

„So also ists gemeint! Habe ich denn wirklich eine so armselige Physiognomie, daß Er mir zutraut, Seinen Spion zu machen? Er ist wohl ein Wiener Polizist? Da nehme Er sich nur ja in Acht, daß Er nicht selbst bei der Parabel genommen wird, denn der Dessauer leidet kein solches schleichendes Gewürm in seinem Lande.“

„Falsch gerathen! Wäre ich ein Polizist, so würde ich mich an die Behörde wenden.“

„Na, was hat Er denn sonst für ein Metier? Heraus damit!“

„Ich bin Seifensieder.“

„So, i der Tausend! Was hat da Seine Seife mit den Hellbachs zu thun?“

„Mein Bruder ist Kammerdiener in der Familie; daher kenne ich die Angelegenheit.“

„Hm, ja, ja! Stecke Er Seinen Gulden nur immer wieder

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ein; ein Seifensieder hat nichts zu verschenken, und trolle Er sich ja schleunigst von dannen, sonst richtet Er sich eine Lauge an, die Ihn in die Finger beißt!“

Er zog einen wohlgefüllten Leinwandbeutel aus der Tasche und wandte sich zu der wieder eintretenden Wirthin.

„Hier hat Sie Ihre zwei guten Groschen; aber das Zeug ist der reine Fusel und keinen Heller werth; hol’s der Teufel, und Sie

dazu!“ — Er verließ die Schenke. Unweit derselben stand die Kirche. Eben läuteten die Glocken zum Beginn des Gottesdienstes. Er trat ein und nahm in einem Stuhle gegenüber der Kanzel Platz. Die nach und nach anlangenden Kirchenbesucher hielten ihre Augen mit ganz absonderlicher Neugierde auf ihn gerichtet; sein Habitus paßte zu wenig in die sonntägliche Umgebung, in welcher er sich befand.

Das erste Lied war bereits gesungen, ohne daß er sich an dem Gesange betheiligt hatte. Da kam eine dicke, vierschrötige Bauerngestalt langsam herbeigeschritten und blieb vor ihm halten.

„Das ist mein Platz!“

„So? Schön, gut!“

„Weg also mit Ihm!“

„Ja, weg mit Ihm!“

„Hat Er mich verstanden?“

„Vollständig.“

„Nun, so packe Er sich.“

„Nein, ich packe Ihn!“

Er erhob sich, faßte den Mann bei den Schultern und drückte ihn mit solcher Nachhaltigkeit auf den Nebensitz nieder, daß dieser in allen Fugen krachte.

„So, da hat Er einen Sitz. Der Seinige ist jetzt mein, wie Er sieht!“

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Der Zurechtgewiesene hielt es um des Kirchenfriedens willen für gerathen, sich zu fügen. Er nahm sein Gesangbuch vor und schlug das eben begonnene Lied auf. Es war das bekannte „Ein’ feste Burg ist unser Gott.“ Kaum aber hatte er das Buch vor sich hingelegt, so griff der Fremde darnach.

„Gebe Er her! Seine Stimme wird ja so nicht viel taugen.“

Er warf sich in Positur, strich sich den gewaltigen Zwickelbart zurecht und fiel mit einer Stimme ein, welche donnerähnlich den Gesang und die Orgelbegleitung überschallte. Die Folge davon war eine ebenso augenblickliche wie ungewöhnliche: die Gemeinde schwieg, und der Organist fuhr empor, als ob ihn eine Natter gestochen hätte. Die Donnerstimme sang nämlich das Lied nicht nach der bekannten Kirchenweise, sondern nach der Melodie des Dessauer Marsches „So leben wir, so leben wir, so leb’n wir alle Tage, bei der allerschönsten Saufkompagnie.“

Der Organist winkte, die Umsitzenden lachten — doch das war vergeblich, denn je größeres Aufsehen sein Gesang erregte, desto lauter ertönte seine Stimme, und selbst als der Orgelspieler alle Register zog und die Melodie mit vier Manualoktaven und doppeltem Pedale unisono intonirte, war der fürchterliche Baß noch deutlich zu hören nach der Melodie „des Mittags bei dem Branntewein, des Abends bei dem Bier.“

Da kam der Küster, vom Pfarrer gesandt, herbeigeeilt und gebot ihm Schweigen. Auch das war vergeblich; er sang weiter, mit einer wahren Wollust im Gesichte und einer Miene, welche verrieth, daß er sich durch nichts stören lassen werde. Es gab nur ein Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen: der Prediger mußte die Kanzel besteigen und seinen Vortrag beginnen.

Er that es. Nach der gebräuchlichen Einleitung kam er zum Thema, welches nicht in einem Bibelworte, sondern in dem Verse bestand:

„Die Sünd’ ist mächtig, und ihr Fürst

Droht aller Welt Verderben,

Weil er nach unsern Seelen dürst’t,

Der Höll’ sie zu vererben.“

Der Fremde hatte sich beim Beginne der Rede niedergesetzt, jetzt aber fuhr er in die Höhe und blickte mit funkelnden Augen zur Kanzel empor. Was bisher eine reine Unmöglichkeit gewesen war, die Einmischung eines Kirchgängers in die Predigt, es geschah:

„Halt, Ruhe, nicht weiter gemuxt!“ erklang der lautschallende Befehl. „Wie kann Er es wagen, von der Kanzel herab gegen Seinen Fürsten zu rebelliren! Was sagt Er, was ich thue? Ich drohe aller Welt Verderben? Ich dürste nach Euern Seelen? Ich will sie in die Hölle spediren? Er ist abgesetzt, abgesetzt auf der Stelle und wird krummgeschlossen, daß es knackt! Die Kirche ist aus; packt Euch nach Hause!“

Hätte der Blitz mitten in die Versammlung hineingeschlagen, der Schreck wäre nicht größer gewesen als das Entsetzen, welches jetzt auf allen Gesichtern zu lesen war. Der Pfarrer faßte sich zuerst.

„Wer ist Er?“

„Wer ich bin? Donner und Doria, ich glaube gar, er kennt nicht einmal Seinen — ja so, Er stammt aus Sachsen, wurde vom Konsistorialrathe eingesetzt und ist erst eine Woche im Amte; Er kann mich also nicht kennen! Ich heiße Leopold, versteht Er mich? Fürst Leopold von Anhalt-Dessau und so weiter. Ich werde Ihn lehren, mich in der Kirche vor meinen Unterthanen zu schimpfiren! Steige Er herab; mit Ihm ists Matthäi am Letzten!“ 

Der Geistliche hatte von den Eigenthümlichkeiten des Fürsten gehört; er wußte auch, daß dieser nur eine einzige Melodie zuwege brachte und alle möglichen Lieder nur nach dieser sang — den Dessauer Marsch. Er begriff die Situation und entgegnete daher:

„Mit dem „Fürsten“ waren doch nicht Ew. Durchlaucht gemeint.“

„So? Wer denn, wenn ich fragen darf?“

„Der Teufel.“

„Der Teu — —“ Das Wort blieb dem alten Knasterbart im Munde stecken; er stand mit weitgeöffneten Lippen da und staunte über sich selbst. „Alle Wetter, habe ich da einen Schnitzer gemacht! Es ist ja wahr, daß Ihr Pastoren den Satanas mit solchen Titeln beehrt, die der Kerl gar nicht verdient! Na, da bleibe Er also oben und fahre Er in Seiner Rede fort. Ich habe Ihn nicht selbst installirt und bin also gekommen, um zu sehen, ob Er Seine Sache versteht. Also vorwärts, weiter!“

Er setzte sich wieder nieder und beachtete nicht die erstaunten und verwunderten Blicke, welche die anwesende Versammlung auf ihn warf.

Der Pfarrer setzte seine unterbrochene Predigt fort. Er war ein junger Mann, der sich in die gegenwärtige Lage gut zu schicken wußte. Er bemühte sich, den kräftigen Anschauungen seines hohen Patrones gerecht zu werden, und dies gelang ihm so vollständig,

Der ganze Vorgang ist geschichtlich wahr.

daß die strengen Züge des Fürsten einen immer befriedigteren Ausdruck annahmen, der am Schlusse der Rede in ein höchst beifälliges Kopfnicken überging. Der darauf folgende Theil des Gottesdienstes verlief ohne weitere Störung. Nach Beendigung desselben winkte Leopold den Organisten zu sich.

„Trete Er einmal hierher; so! Wie hoch beläuft sich Sein Gehalt?“(Fortsetzung folgt.)

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Der Pflaumendieb.

Humoristische Episode aus dem Leben des alten DessauersvonKarl Hohenthal.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Vierzig Gulden für die Schule und fünfzehn für das Orgelspielen.“

„Das ist zu wenig für so einen Spielmann, wie Er ist. Er hat Seine Sache besser gemacht als Alle, die ich bisher gehört habe.

Die Orgel hat ja förmlich Zetermordio gebrüllt, und Seine Begleitung meiner Stimme ist ganz unvergleichlich gewesen. Ich glaube, ich habe noch nie so schön gesungen wie heut. Aber Seine Gemeinde ist nicht weit her; das Volk hat dagesessen und zwar das Maul aufgerissen, aber gesungen hat Keiner. Er muß eine bessere Stelle haben. Melde Er sich bei mir, so bald Er von einer Vakanz hört. Hier hat Er etwas!“

Er zog den Beutel und drückte ihm ein Goldstück in die Hand.

Der Mann war fast noch mehr erstaunt als erfreut, eine Belobigung zu erhalten, wo er gerade das Gegentheil erwartet hatte. Die Musik war eine der schwächsten Seiten des Fürsten, der so wenig Tongehör besaß, daß ihn die fürchterliche Dissonanz zwischen seiner Stimme und der Orgel ganz außerordentlich angesprochen hatte.

Nun trat er in die Sakristei, welche der Pfarrer noch nicht verlassen hatte.

„Höre Er, ich bin ganz zufrieden mit Ihm. Er hat den richtigen Schick, es den Leuten an das Herz zu legen. Und damit Er sieht, daß ich das zu würdigen weiß, werde ich mich bei Ihm zu Mittag laden. Er hat doch eine Frau?“

„Allerdings, fürstliche Durchlaucht. Ich fühle mich glücklich bei so hoher Ehre, doch weiß ich nicht, ob unsere einfache Kü­che — — —“

„Papperlapapp!“ fiel ihm Leopold in die Rede; „ich verlange keine indischen Schwalbennester und keine amerikanischen Bärentatzen; ein Stück Fleisch mit Gemüse oder meinetwegen auch eine Schüssel Hirsebrei ist gut genug. Rechts um; vorwärts marsch in die Pfarre!“

Als sie ankamen, stand die Pfarrerin eben vor dem Herde und schlug Eier in die Pfanne.

„So ists recht,“ meinte der Fürst; „zähle Sie getrost ein Dutzend mehr hinein. Was kocht Sie denn dazu?“

„Gebackene Pflaumen.“

„Donnerwetter, das ist mein Leibgericht, das mir die Anneliese wöchentlich wenigstens einmal vorsetzen muß. Ihr Leute von der Geistlichkeit habt keinen schlechten Geschmack!“

Das dralle, nette Weibchen war nicht wenig erstaunt über die ungenirte Weise, mit welcher sich dieser fremde Mann einführte, und sah den Pfarrer fragend an.

Dieser beeilte sich, das Versäumte nachzuholen.

„Liebe Frau, unserem Hause widerfährt heute eine ganz absonderliche Gnade und Ehre. Unser hoher Gast ist — — —“

„Schnickschnack!“ unterbrach ihn Leopold. „Ich bin der Dessauer und habe Hunger, weiterer Worte bedarf es nicht.“

Jetzt erschrak die Frau auf das Heftigste.

„Mein Gott, ists möglich! Da mögen Ew. Durchlaucht nur Nachsicht üben, wenn mein Es­sen — — —“

„Still! Ruhe! Nicht gemuxt! Leckereien mag ich nicht, aber wenn Sie mir Etwas vorsetzt, so muß es genug sein, denn ich schlage keine üble Klinge. Spute Sie sich; ich habe nicht lange Zeit und werde in der Stube warten, bis angerichtet ist.“

Der Pfarrer folgte ihm in das Zimmer.

„Er ist ein Sachse, wie ich gehört habe?“

„Ja.“

„Woher?“

„Aus Dresden.“

„Ah, wo meine guten Freunde wohnen, der Kukuk mag sie reiten! Ich werde schon noch einmal über sie kommen, darauf kann Er sich verlassen! Wie ich hörte, war Er bisher Erzieher?“

„Beim Grafen von Glachau, Durchlaucht.“

„Warum hat Er diese Stelle quittirt?“

„Der Graf starb als Wittwer, und die beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, kamen unter die Vormundschaft des Ministers von Brühl, mit dem ich nichts zu thun haben mochte.“

„Höre Er, da ist Er mein Mann! Ich mag den Kerl auch nicht leiden. Aber warum wandte Er sich denn gerade in das Dessauische?“

„Ew. Durchlaucht Gesandter, Geheimerath von Raumer, ist mir verwandt. Von ihm erhoffte ich eine Anstellung, die mir auch geworden ist.“

„Da hat Er einen gar wackern Vetter, und ich werde ihm meine Anerkennung ausdrücken dafür, daß er mir einen so guten Kanzelredner in das Land gezogen hat. Ich bin mit Ihm zufrieden, denn Er spricht, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist, und redet keinen solchen frommen Syrup, wie man ihn von den meisten Geistlichen zu schlucken bekommt. Wer nicht an die Bibel glaubt, der ist ein Hundsfötter, den man hängen sollte, aber deshalb braucht man nicht zu himmeln und die Augen zu verdrehen, als ob sie in einem Leierkasten stäken. Es kommen in der Bibel Dinge vor, über die man sich ganz verteufelt ärgern kann.“

„Darf ich ein Beispiel davon hören, Durchlaucht?“

„Warum nicht! Was hält Er von der Strategie, Taktik und Heeresorganisation, wie sie in der Bibel vorkommt? Wenn ich so einen Kerl wie Josua, Gideon, Saul und wie sie alle heißen, in meinem Regimente zu Halle hätte, er müßte mir alle Tage Spießruthen laufen. Es ist abscheulich, was diese Menschen für Schnitzer machen. Diese Ammoniter, Moabiter und Moskowiter verstehen nicht zu exerziren, noch zu manövriren; ich glaube, es hat damals noch gar keinen richtigen Korporal gegeben. Und dieser Simson hantirt gar mit einem Eselskinnbacken, statt mit einem Säbel. Wäre ich ein Philister gewesen, ich hätte ihn bekinngebackt, daß ihm angst und bange geworden wäre!“

Er wurde in diesen sonderbaren Reflexionen durch ein Mädchen unterbrochen, welches eintrat, um den Tisch zu decken und einen Vortrunk zu kredenzen. Von ungewöhnlich hoher und voller Gestalt, war sie trotz dieser Verhältnisse eine Schönheit ersten Ranges zu nennen, was auch Leopold durch einen ihm unbewacht entschlüpfenden Ausdruck der Bewunderung bekundete.

„Sakerment! Hm, ja, hätte bald Etwas gesagt. Aber lasse Sie das Dienern und Verbeugen! Sie hat es zwar ganz prächtig exerzirt, aber ich mag solchen Firlefanz nicht gern leiden. Komme Sie doch ’mal näher!“

Sie trat zum Stuhle, auf welchem er Platz genommen hatte.

„Hierher! So! Achtung, Arme an den Leib, Kopf in die Höhe, Augen grad aus! Jetzt ists richtig. Wer ist denn die Jungfer? Seine Tochter kann sie nicht sein.“

„Sie ist eine — eine — eine Verwandte, Durchlaucht,“ antwortete der Pfarrer mit einigem Stocken, „die sich zur Unterstützung meiner Frau bei uns befindet.“

„Verwandte? Unterstützung? Hm, von so einem Prachtmädel könnte ich mich auch unterstützen lassen. Hat Sie einen Liebsten?“

„Nein, Durchlaucht,“ antwortete sie erröthend über die etwas indiskrete Frage.

„Keinen? So! Hm, das ist schön! Donnerwetter, da fällt mir Einer ein, der wie für Sie gewachsen ist, ein reputirlicher Kerl, lang, stark, gescheidt und muthig. Hm, ja, das gäbe ein Paar, über das man seine Freude haben könnte. Sage Sie doch einmal, hat Sie von der Anneliese gehört?“

„Durchlaucht meinen Dero Frau Gemahlin?“

„Ja, ich meine meine gute Alte. Sie hat einige Dutzend Jahre mehr auf dem Rücken wie die Frau Pastorin und braucht also eine Unterstützung nöthiger. Hat Sie Lust, zu ihr nach Dessau zu gehen?“

„Durchlaucht!“ erklang es mehr erschrocken als erfreut.

„Na, na, na, Sie braucht darüber nicht gleich aus Rand und Band zu fahren. Meine Liese ist ein gutes Weibsen und wird Sie nicht verschlingen. Also, will Sie?“

„Die Gnade, welche Durchlaucht mir zugedenken, ist groß, aber ich möchte mei­ne — meine Muhme doch nicht gern verlassen, weil — weil — —“

„Nun, weil — —?“

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„Weil sie zuweilen an Zufällen leidet, welche schnelle weibliche Hülfe erfordern.“

„Papperlapapp! Meine Anneliese hat ganz dieselben Zufälle; Ihr Grund fällt also weg. Sie hat keine Lust, das sehe ich gar wohl, aber das wird Ihr nicht viel helfen. Ich habe einen Plan mit Ihr. Also Sie geht nach Dessau?“

„Durchlaucht — —!“

Sie vermochte nicht, den Ausdruck der Besorgniß, welcher in ihren schönen, feinen Zügen lag, zu beherrschen, und auch das Gesicht des Pfarrers war höchst ernst geworden.

„Sie will nicht? Gut, so muß Sie; punktum, dabei bleibts! Morgen Mittag zwölf Uhr hat Sie sich auf dem Schlosse mit Sack und Pack einzufinden; kommt Sie nicht, so lasse ich Sie holen. Verstanden? Und nun mache Sie sich an Ihre Arbeit!“

Dieses Intermezzo war von einem sichtlich beängstigenden Eindruck auf die drei Personen der pastorlichen Familie, und auch der Fürst zeigte in Folge des Widerstandes, den er gefunden hatte, einige Verstimmung, die auch nicht wieder wich, bis er sich zum Aufbruch rüstete.

„Jetzt gehts wieder fort. Wenn Er einmal nach Dessau kommt, so spreche Er mit bei mir vor; Er soll auch eine Suppe und ein Dutzend Rühreier haben. Und liegt Ihm einmal Etwas am Herzen, so wende Er sich nur getrost an mich; ich habe es gern, wenn Leute, mit denen ich zufrieden bin, von der Leber weg reden. Und Sie, Frau Pastorin, lasse Sie Ihre Zufälle und habe Sie Dank für Ihre Gastfreundlichkeit! Ihre Pflaumen waren gut. Das Mädel aber schicke Sie mir nach Dessau, sonst könnte trotz Ihrer Pflaumen ein Wetter losdonnern, das Ihr monatelang vor den Augen leuchtet. Ordre parirt, merkts Euch, und damit adieu!“

Er ging. Bei jedem Gute und jedem Hause, an welchem er vorüberkam, fuhren die Köpfe durch die geöffneten Fenster, und die Jugend trollte in respektvoller Entfernung hinter ihm her, bis er das Dorf im Rücken hatte.

Bis Dessau waren einige Wegestunden zurückzulegen; die Sonne brannte trotz der vorgerückten Jahreszeit heiß hernieder; darum mäßigte er seine Schritte, bis er in den Wald gelangte, in dessen Schatten er schneller vorwärts kam. Eine Biegung des Weges überwindend, bemerkte er vor sich eine Gestalt, welche sofort seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

„Sapperlot ist das ein Kerl! Der könnte ja gleich Flügelmann bei der Potsdamer Garde werden. Achtzig Zoll hat der Kerl wenigstens, Schultern wie Simson, Hüften wie Goliath, und Schenkel wie — wie — na, der Teufel kann wissen, wie die Riesen damals alle geheißen haben; ich glaube, es war auch ein Herr Kules mit dabei! Wer mag der Mensch sein? Jung ist er auch, das sieht man am Gange und der Haltung. Ich werde ihm einmal auf den Zahn fühlen!“

Er verdoppelte seine Schritte und hatte den Gegenstand dieses Selbstgespräches in kurzer Zeit erreicht. Dieser war ein Jüngling von höchstens vierundzwanzig Jahren und zeigte allerdings eine Figur, welche jeden Werber in Entzücken versetzen konnte. Seine offenen, ehrlichen Züge nahmen den Fürsten sofort für ihn ein; es lag etwas beinahe Militärisches in seinem Wesen, und seine Bewegungen hatten eine Art eleganter Sicherheit, welche bei dem Sohne des Volkes nur selten anzutreffen ist.

„Guten Tag!“ lautete der populäre Gruß Leopolds.

„Schönen Dank!“

„Woher des Weges?“

Der Jüngling warf einen prüfenden Blick auf den Frager und antwortete dann:

„Von Sachsen herein.“

„Und wohin?“

„Zunächst nach Dessau.“

„Was will Er dort?“

„Will mir eine Anstellung suchen, wenns möglich ist.“

„Als was?“

„Hm, als Gärtner oder so dergleichen.“

„Als Gärtner? Giebts denn nichts Besseres für Ihn?“

„Was denn zum Beispiel?“

„Nun, Soldat! Darauf muß doch ein Kerl, wie Er ist, ganz von selbst kommen. Ich glaube, der Dessauer würde Ihn mit Freuden in sein Regiment aufnehmen.“

„Denkt Er?“

„Ja, ich denke es. Hat Er nicht ein Lüstchen, he?“

„Hm, das schon, aber — — —“

„Nun, was aber — — —?“

„Ich habe nicht Lust, mich malträtiren zu lassen!“

„Malträtiren? Von wem denn, wenn ich fragen darf? Was will Er damit sagen?“

„Nun, vom Korporal, vom Feldwebel, von den Offizieren bis hinauf zum Obersten und endlich auch vom Fürsten selbst.“

„Alle Teufel, das wäre allerdings ein ganz verdammtes Malträtement! Und das sagt Er mir so frei und offen in das Gesicht, Er Mohrenelementer Er? Damit verdient Er Himmelhund ja eben, daß man Ihn malträtirt!“

Bei dieser Ausdrucksweise glitt das Auge des jungen Mannes wie unter einem plötzlichen Erkennen über die Gestalt des Fürsten, nahm aber schnell seinen vorigen Ausdruck wieder an.

„Wer ist Er denn, daß ich Ihm das nicht sagen soll?“

„Ich? Hm, ich bin — na, ich kann es Ihm ja sagen: ich bin ein Werber.“

„Ohne Montur?“

„Ohne Montur, denn so macht man den besten Fang. Und wie heißt Er?“

„Franz Baldauf.“

„Woher?“

„Aus Bautzen.“

„Was für ein Metier?“

„Gärtner.“

„Hat Er Papiere bei sich?“

„Natürlich.“

„Zeige Er sie ’mal her!“

Der Aufgeforderte griff in die Tasche und reichte ihm das Verlangte hin. Leopold warf einen Blick hinein.

„Richtig; das stimmt — aber, Donnerwetter, was ist denn das mit der Größe? Da steht ja siebzig Zoll, während Er über achtzig mißt!“

„Siebig? Steht das wirklich dort? Ich habe das Geschreibsel noch gar nicht so genau angesehen.“

„Freilich steht es da. Hier, sehe Er einmal her!“

„Wahrhaftig. Na, was ists denn weiter? Der Kerl hat sich jedenfalls verschrieben!“

„Anders kann es ja gar nicht sein; aber bei Seiner Figur eine Siebzig für eine Achtzig zu machen, dazu gehört eine geradezu fürchterliche Dummheit. Die Papiere wird Er mir gleich lassen!“

„Oho! Wozu denn?“

„Nun, weil ich Ihn anwerbe.“

„Ohne mich weiter zu fragen?“

„Ohne! Passe Er auf, wie schnell das geht!“

Er zog den Beutel, nahm einige Goldstücke heraus, schob sie ihm in die Außentasche seines Rockes, nahm ihm die Mütze vom Kopfe und setzte ihm an ihre Stelle den eigenen Dreispitz auf. Dies geschah allerdings mit einer Schnelligkeit, welche es dem Andern unmöglich machte, es zu verhindern. Er schien auch gar nicht überrascht und bestürzt zu sein, sondern nahm diese Prozedur mit lächelnder Miene hin.

„So! Er hat das Handgeld in der Tasche und des Fürsten Hut auf dem Kopfe und gehört also von diesem Augenblicke an in das blaue Regiment, welches zu Halle garnisonirt.“

„Hopsa, Alter; da habe ich wohl auch ein Wort zu sprechen!“

„Wie so? Der Handel ist abgemacht!“

„Noch nicht! Erstens habe ich das Geld zwar in der Tasche, aber angenommen habe ich es nicht. Wenn Er wirklich Werber ist, so muß Er ja wissen, daß Er mir es in die Hand zu geben hat. Zweitens muß Er mir erst noch beweisen, daß diese alte Mottenschachtel wirklich des Fürsten Hut ist. Drittens ist Er in Zivil und kann also einen gültigen militärischen Handel gar nicht abschließen. Und wenn auch diese drei Punkte nicht wären, so bin ich viertens Manns genug, zu thun, was grad nur mir beliebt.“

„Ah! Glaubt Er das wirklich?“

„Ja!“ Im Nu hatte er den Hut wieder mit seiner Mütze vertauscht. „Hier hat Er Seine Filzquetsche wieder; die drei Dukaten behalte ich als Angebinde; Er muß nämlich wissen, daß heut mein Geburtstag ist! Heraus mit den Papieren!“

„Gratulire, grutulire!“ lachte Leopold ingrimmig. „Aber die Wische werde ich als Andenken an Seinen Geburtstag doch behalten. Er ist Rekrut, und damit basta!“

„Er giebt die Papiere heraus, und damit hollah!“

„Hole Er sie sich!“ rief der Fürst, den Knotenstock erhebend.

„Thue er den Prügel weg; Er sieht, daß ich auch so einen Rückenkitzler in der Hand habe!“

„Was, Er will sich also ernstlich zur Wehre stellen, Er Hundsfötter Er? Er ist Rekrut, und wenn Er nicht auf der Stelle den Stock wegthut, so lasse ich Ihn füsiliren!“

Die Augen des Jünglings leuchteten belustigt auf. Hätte der zornige Fürst auf das Mienenspiel seines Gegners Acht gehabt, so hätte er bemerken müssen, daß dieser errieth, wen er vor sich habe.(Fortsetzung folgt.)

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Der Pflaumendieb.

Humoristische Episode aus dem Leben des alten DessauersvonKarl Hohenthal.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Mich füsiliren? Er wäre mir der Rechte dazu! Und den Hundsfötter, den stecke Er nur gleich wieder ein, denn mich geht das Schimpfwort nichts an. Er ist der Kukuk, der seinen eigenen Namen schreit.“

„Wa — wa — waaaaas? Der Hundsfötter bin ich selber? Himmel-, Hagel- und Graupelwetter, das hat mir noch Niemand geboten, das ist zu arg, das steigt mir in die Faust; hier — hier hat Er Eins, und noch Eins, und noch — — —“

Er vollendete vor Erstaunen seine Rede nicht. Der erste Hieb war durch eine blitzschnelle Bewegung des Jünglings parirt worden, und bei dem zweiten begegnete der Stock des Letzteren demjenigen Leopolds mit solcher Kraft, daß dieser dem Fürsten aus der Hand und weit fort über die Straße flog.

„Donnerwetter,“ schnaubte der Entwaffnete, „da fliegt der

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Knüttel zum Teufel; fahre Er mit, Er Lumpazi Hallunki Vagabundus!“

Er faßte den Gegner, der sofort den Stock fallen ließ, bei den Schultern und versuchte, ihn niederzuringen, brachte es aber nicht zu Stande. Mit ausgespreizten Beinen stand der Jüngling lächelnden Angesichtes wie eine Mauer da, ohne sich zu wehren, ohne jegliche Bewegung. Leopold wandte seine ganze Kraft auf, ihn aus dem Gleichgewichte zu heben, vergebens; er fluchte und tobte; sein Grimm wuchs mit jeder neuen nutzlosen Anstrengung, bis er völlig vor Wuth schäumte.

„Heiliger Sturmbock, der Kerl ist weiß Gott der leibhaftige Beelzebub; aber ich werde ihn doch noch in die Hölle schicken!“

Er trat zurück um auszuholen; er wollte den jungen Mann mit einem gewaltigen Ansprunge niederstürzen, wurde aber, da dieser zur Seite wich, von der Kraft seines Anlaufes auf den Boden geschleudert. Mit einem unartikulirten Schrei der äußersten Wuth erhob er sich wieder.

„Bei allen zehntausend Bomben und Granaten, das ist mir noch nie passirt; aber nun ists aus, nun wirds alle, jetzt nimmts ein Ende mit Ihm!“

Der Grimm verdoppelte seine Kräfte; das Ringen begann von Neuem — ganz mit demselben Erfolge. Da endlich schien dem Jünglinge die Geduld abhanden zu kommen.

„Giebt Er die Papiere heraus?“

„Nein, und hundertmal nein!“

„So nehme ich sie!“

Er legte die Arme um den Fürsten, der sich wie zwischen einem Schraubstocke fühlte und den Athem verlor; ein rascher Griff dabei, und er hatte seine Papiere zurück; ein nochmaliges Zusammenpressen der wie aus Stahl gebildeten Arme machte den Fürsten zu jedem Widerstande unfähig.

„So, jetzt sieht Er, was ein Hundsfötter zu bedeuten hat, Er Schelm und Spitzbube Er, der ehrliche Leute auf offener Straße anfällt, um ihnen die Legitimation zu rauben. Für einen Werber giebt Er sich aus? Ein Galgenstrick ist Er, ein Erzschlingel, den ich arretiren und nach Dessau liefern werde. Marsch vorwärts! Seinen Prügel werde ich tragen, und wenn Er nur den geringsten Versuch macht zu entfliehen, so ist Ihm sein Brod gebacken.“

„Was will Er? Mich arretiren? Ihm ist wohl der Tollwurm in den Kopf gestiegen! Weiß Er, wer ich bin? Weiß Er, an wem Er sich vergriffen hat?“

„Wer und was Er ist, das wird sich finden. Vorwärts jetzt, allons!“

„Ja, das wird sich finden, und zwar sofort! Sieht Er den Wagen, welcher dort kommt?“

„Der geht mich nichts an!“

„Der geht Ihn sogar sehr viel an, denn wie ich sehe, sitzt darin der Rittmeister Baron von Wehlen, Gesandter am sächsischen Hofe, der Ihm sagen wird, gegen wen Sein Mordanfall gerichtet war.“

Wirklich kam im scharfen Trabe ein Wagen herbeigefahren, in dessen Innern ein einzelner Herr saß. Dieser erkannte, in der Nähe angekommen, den Fürsten und gebot dem Kutscher, zu halten. Erstaunt blickte er auf die vom Falle arg beschmutzte Kleidung Leopolds.

„Durchlaucht hier?! Wollen Ew. fürstliche Gnaden vielleicht einzusteigen geruhen?“

„Ja, wohlan, ich fahre mit; doch zuvor sagt doch einmal diesem Himmelhund, wer ich bin!“

„Wer anders als Durchlaucht Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall Excellenz!“

„Hört Ers, Er Sakermenter? Will Er mich nun noch arretiren?“

Beim Klange des berühmten Namens hatte sich der Angeredete in eine militärisch-stramme Haltung geworfen; er stand da wie ein Soldat vor seinem Generale, doch war nicht die geringste Verlegenheit in seinen Zügen zu bemerken.

„Ich gebe Durchlaucht frei.“

„So! Will Er wirklich so gut sein? Und was denkt Er wohl, ob ich auch Ihn freigebe?“

„Ich hoffe es nicht.“

„Was? Er hofft es nicht? Er will gefangen sein?“

„Gefangen allerdings nicht, denn so etwas würde selbst Ew. Durchlaucht nicht gelingen.“

„Nun, was denn?“

„Ich nehme das Handgeld an. Hier sind die Papiere!“

„Donnerwetter, warum hat Er sich denn da vorhin so heidenmäßig gewehrt?“

„Uebertölpeln und zwingen lasse ich mich nicht. Was ich thue, das thue ich freiwillig. Hätten mir Ew. Durchlaucht gesagt, wer

Sie waren, so hätte ich aus eigenem Antriebe um die Erlaubniß gebeten, in Dero glorreich berühmtes Regiment eintreten zu dürfen.“

Das Gesicht des Fürsten nahm einen wohlwollenderen Ausdruck an.

„Aber Er hat sich an mir vergriffen!“

„Ich kannte Ew. Durchlaucht nicht und war ebensowenig Derjenige, welcher den Streit begann. Auch glaube ich beweisen zu können, daß ich mit möglichster Rücksicht verfahren bin.“

„Das ist richtig! Er hat ja eine wirkliche Elephantenstärke und hätte mich zu Brei gemacht, wenn Er gewollt hätte. Kann Er schreiben?“

„Ja.“

„Schön! Er gefällt mir, und es kann etwas aus Ihm werden. Setze Er sich zum Kutscher. Er fährt mit mir nach Dessau; aber ich hoffe, daß Er sich in Zukunft eine ähnliche Paukerei mit mir nicht wieder einfallen läßt. Den Hundsfötter wollen wir gegenseitig zurücknehmen. Aufgestiegen, vorwärts marsch!“ — — —

II. Beim Dessauer

Es war am andern Morgen. Am Fenster seines Arbeitszimmers stand Fürst Leopold und neben ihm sein Vetter, der regierende Fürst von Anhalt-Bernburg, Viktor Friedrich, ein junger, mit einem sehr angenehmen Aeußeren ausgestatteter Herr, welcher um die Hand Louisens, der Lieblingstochter des Dessauers, angehalten hatte, eine Werbung, welche den Beifall der jungen Prinzeß hatte und auch von den Eltern nicht abschläglich beschieden worden war.

Leopold trommelte mit den Fingern lebhaft an einer Fensterscheibe, ein Zeichen, daß er sich im Zorne befinde.

„Also Du sagst wirklich, daß die Hallunken sich wieder in den Anhaltischen Landen breit machen?“

„Trotzdem die Bewohner desselben protestantisch sind.“

„Sie müssen doch wissen, was ihrer wartet, wenn sie attrapirt werden.“

„Lange Gefangenschaft, eventuell noch mehr.“

„Schön, mein Junge! Dieses Eventuell wird eintreten, sobald ich einen dieser Schleicher bei mir erwische. Ich halte fest an Gott und weiß es auch, daß er es gern sieht, wenn ihm getrommelt und gepfiffen wird, aber Alles in der rechten Weise. Habe da gestern einen Prediger gehört, der seine Sache aus dem Fundamente verstand; werde ihn vielleicht ’mal zum Feldprediger machen. Aber sich die Haut mit Frömmigkeit beschmieren, während das Herz voll Dreck, Schlamm und Sünde ist, das kann ich nicht leiden, da werde ich wild, da fahre ich reinweg aus der Haut. Und das nennt sich „Gesellschaft Jesu,“ hole der Kukuk die saubere Bande! Du meinst also, daß sie besonders in Erbangelegenheiten machen?“

„Ja; doch habe ich ihnen die Sache in einigen Fällen verleidet.“

„Recht so. Da muß man dazwischen fahren, wie der Teufel damals unter die Schweine; ich glaube, es war bei den Girgesenern, oder wie die braven Leute hießen. Werden auch schönen Speck bekommen haben! Was waren es denn für Fälle?“

„Natürlich machen sie sich besonders an die wenigen Katholiken im Lande. Hatten da einen reichen Bauer vollständig umzingelt, daß er ihnen zu Gunsten ein Testament machte und seine Kinder enterbte. Diese suchten Hülfe bei mir, weil sonst Niemand helfen konnte.“

„Hast es doch gethan?“

„Natürlich. Ich ließ mir das Testament bringen und zerriß es. Die Erbschleicher suchten das Weite, und dem Tölpel von Bauer habe ich den Kopf wieder zurechtgesetzt.“

„Bravo! Wagten sie so etwas bei mir, so wollte ich ihnen eine Erbschaft bereiten, die ihnen schwer zu verdauen sein würde. Weiter!“

„Nach Bernburg kommt ein Uhrmacher, gründet ein Geschäft, macht sich an eines der reichsten Nädels in der Stadt, fischt sie auch wirklich weg und heirathet sie. Nach einiger Zeit stirbt der Vater; die junge Frau tritt als einziges Kind das Erbe an, und jetzt erklärt ihr der Mann, daß er eigentlich katholisch sei und aus dem Lande ziehen werde. Die Frau wehrt sich, und er geht ihr mit dem Gelde durch. Aber kurz vor der Grenze haben wir ihn erwischt.“

„Und aufgehängt natürlich.“

„Nein; der Strick wäre zu gut für ihn gewesen. Er mußte den Raub herausgeben und wurde über die Grenze gestäupt.“

„Zu wenig, viel zu wenig, Vetter; bei mir hätte er unbedingt hängen müssen! Du bist zu gut und unvorsichtig, denn der Schlingel wird anderwärts dasselbe Spiel beginnen.“

„Die Nachforschungen, welche ich anstellen ließ, haben ergeben

463.

daß diese Gesellschaft Jesu uns förmlich zu erobern trachtet. Wir sind zum Zwecke ihrer Propaganda in regelrechte Bezirke getheilt, welche unter Agenten stehen und von Subjekten bearbeitet werden, die nach einem festen, unerschütterlichen Plane handeln.“

„Und du meinst, daß Dessau auch zu diesen Bezirken gehört?“

„Jedenfalls.“

„Das mögen sie sich nur nicht wagen, sonst nehme ich ihre Propaganda, oder wie das Weibsen heißt, beim Kopfe und lasse ihr das Leder gerben, daß man Trommelfelle daraus machen kann!“

„Sie werden es dennoch wagen. Ich bin gestern in der Stadt Einem begegnet, der dem gestäupten Uhrmacher so ähnlich sah wie ein Ei dem andern.“

„Siehst Du? Nun habe ich das Ungeziefer hier! Hättest Du ihn hängen lassen! Doch ich hoffe, daß ich Deinen Fehler gut machen kann.“

Ein Diener trat ein.

„Was willst Du?“

„Der Herr Gesandte Geheime Rath von Raumer bittet um Audienz zum Vortrage.“

„Mag kommen! Kannst dableiben, Vetter; wir haben keine Heimlichkeiten zu verhandeln.“

Der Geheimerath Johann Georg von Raumer trat ein. Er gehörte zu denjenigen wenigen Persönlichkeiten, welche den Fürsten richtig zu nehmen wußten, und sich daher seiner unveränderlichen Gunst erfreuten.

„Setzt Euch nieder, Hansjörg, und beginnt mit Euren Neuigkeiten!“ befahl Leopold.

Der tägliche Morgenvortrag wurde begonnen, und Raumer verstand es, selbst das Unangenehme in eine versöhnliche Gewandung zu hüllen, so daß der Fürst ohne besondere Aufregung bis zu Ende hörte.

„Fertig für heute, Hansjörg! Ich habe gestern Deinen Pastor gehört.“

„Darf ich hoffen, daß er sich der Zufriedenheit Ew. Durchlaucht erfreut?“

„Er ist ein ganzer Kerl, und wir haben mit ihm eine sehr passable Aquisition gemacht. Kennt Ihr das Mädchen, welches er bei sich hat?“

„Ja,“ antwortete der Geheimerath, indem sich eine leichte Röthe über sein Gesicht zog.

„Ein Prachtmädel! Nicht wahr?“

„Allerdings.“

„Ja, ein Blitzmädel, stramm und fest, gewachsen wie ein Grenadier. Sie wird heut Mittag kommen, hahahaha, als Stütze für meine Anneliese, habe ich gesagt; aber die Sache wird anders: der Franke soll sie heirathen.“

„Der Franke?“

„Ja. Oder habt Ihr etwas dagegen?“

„Was Ew. Durchlaucht thun, ist wohlgethan; da es aber so steht, muß ich mir in dieser Angelegenheit eine Bemerkung gestatten.“

„Nun?“

„Korporal Franke hat eine Geliebte.“

„Ist das wahr?“

„Ich habe mir niemals gestattet, Ew. Durchlaucht ein unsicheres Wort zu sagen.“

„Da soll mir der Kerl durch das ganze Regiment Spießruthen laufen und nachher als Extrastrafe das Pastormädel nehmen. Verliebt sich der Mensch, ohne mir ein Wort zuvor zu sagen! Die Welt wird immer böswilliger und ungehorsamer, und es ist wirklich die höchste Zeit, den Gänserich zu rupfen, damit er erfährt, wem seine Federn gehören. Wer weiß, in was für eine Drehpuppe sich der Kerl verschamerirt hat. Wenn meine Blauröcke heirathen, so sollen sie auf tüchtige Rekruten zielen, und dazu ist vor allen Dingen erforderlich, daß ihnen die Frau nicht blos bis an die Hüften reicht.“

„Das hat der Korporal jedenfalls im Auge, denn seine Erwählte ist kaum zwei Zoll kleiner als er und dabei brav und wohlhabend wie selten Eine.“

„So! Das freut mich; da hat er doch eine Ansicht gehabt, und ich werde ihm also die Spießruthen erlassen. Aber das Pfarrermädel nimmt er doch. Ich habe es beschlossen, und dann wißt Ihr, daß es dabei bleibt. Hat sie etwa auch schon einen Liebsten?“

„Ich glaube, nein. Der Pfarrer war heut schon früh wegen ihr bei mir.“

„Ah!“

„Er hat Ew. Durchlaucht mitgetheilt, daß er Erzieher bei dem Grafen von Glachau war?“

„Allerdings.“

„Die beiden Kinder desselben kamen nach seinem Tode unter die Vormundschaft des Ministers von Brühl.“

„Der beste Freund, den der Dessauer hat. Wenn es nach ihm ging, wäre es längst aus mit mir!“

„Eine seiner Kreaturen, ein Federfuchser und Baron ich weiß nicht wie, verlangt für seine geleisteten Dienste die schöne Tochter des Grafen von Glachau von ihm.“

„Ist sie wirklich schön?“

„Sehr, und gut und lieb dazu.“

„So wollte ich, daß der Teufel den Kerl in die Hölle ritte! Also für geleistete Dienste? Gegen wen sind sie denn geleistet worden? Doch nur gegen Preußen und mich? Und dafür soll der Hallunke eine so vornehme, schöne und brave Frau bekommen? Ist sie lang?“(Fortsetzung folgt.)

594.

Der Pflaumendieb.

Humoristische Episode aus dem Leben des alten DessauersvonKarl Hohenthal.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

So lang und stark wie der Korporal Franke.“

„Donnerwetter, wenn man dem Kerl etwas am Zeuge flicken könnte!“

„Das könnten Ew. Durchlaucht recht gut!“

„Wirklich? Inwiefern?“

„Emma von Glachau kann den Federfuchser nicht leiden.“

„Darum lobe ich sie.“

„Der Minister aber will sie zwin­gen —“

„Bekäme ich den Urian einmal zwischen meine Patschen, ich wollte ihn auch zwingen!“

„Darum hat sie kurzen Prozeß gemacht und ist entflohen.“

„Ausgerissen? Hört, Hansjörg, das ist ein ganzes Weibsen! Ich möchte sie nur einmal sehen!“

„Ew. Durchlaucht haben sie bereits gesehen und gesprochen.“

„Ich? Wo denn?“

„Sie floh aus dem Lande zu ihrem früheren Erzieher, der aus diesem Grunde eine Anstellung in Dessau gesucht hatte.“

„Meint Ihr damit etwa Euern Pastor?“

„Denselben.“

„Himmelbataillon, jetzt geht mir ein Licht auf. Das ist ja eine förmliche Verschwörung gegen mich! Der Hansjörg stellt hinter meinem Rücken einen Pfarrer an, damit ein obstinates Mädel ihrem Vormunde echappiren kann. Ich werde Euch und die ganze Sippschaft krummschließen lassen!“

Der Zorn begann sich in ihm zu regen. Raumer ergriff das geeignetste Mittel, ihn zu besänftigen.

„Durchlaucht waren abwesend, und ich gab dem Pfarrer die Stelle, ohne von der ganzen Angelegenheit das Geringste zu wissen, und weil ich ihn für einen Prediger hielt, mit dem sein fürstlicher Patron zufrieden sein werde. Er entschied sich deshalb für Dessau, weil er wußte, unter einen starken Schutz zu kommen. Der Minister fürchtet Durchlaucht und wird es nicht wagen, zu Gewaltmitteln zu greifen, was er in jedem andern Falle thun würde.“

„Wollte es ihm auch nicht rathen! Aber wenn das Mädel wirklich so ein großes Vertrauen zu mir hat, so soll sie sich nicht

604.

täuschen. Sie wird bei mir so sicher sein wie im Schooße Abrahams. Aber, alle Teufel — da kann ja aus der Geschichte mit dem Franke gar nichts werden! Er ist ein ganzer Kerl, das ist richtig, doch eine gräfliche Prinzeß — hm, da habe ich mich in eine schöne Patsche hineingeritten. Helft mir heraus, Hansjörg! Daß ich das Mädel kommen ließ, das macht mir kein Bauchgrimmen; sie wird als Gesellschaftsdame bei meiner Liese bleiben, die ganz glücklich sein wird, so eine arme verwaiste und malträtirte Glucke unter ihre Flügel nehmen zu können. Aber ich habe auch den Franke bestellt, um ihm seine Braut zu zeigen. Was thue ich mit ihm?“

„Durchlaucht können ihm ja irgend einen Auftrag geben.“

„Oder ihm die Genehmigung zur Heirath mit seiner Liebsten ertheilen,“ fiel jetzt der Bernburger ein.

„Hm, so ja ja! Vetter, Du hast nicht ganz unrecht; aber ich kenne das Mädel ja nicht.“

„Es wird Dir nicht schwer sein, sie einmal zu sehen.“

„Das wohl, aber er hat sich in sie verliebt, ohne mich um Erlaubniß zu fragen; das erfordert Strafe, und ich wer­de — —“

Er wurde durch den eintretenden Diener unterbrochen.

„Rittmeister Baron von Wehlen!“

„Herein!“

Er wandte sich an die beiden Anwesenden.

„Der Rittmeister kehrte gestern aus Dresden zurück; ich hatte keine Zeit, seine Anträge zu hören und habe ihn für jetzt bestellt. Gehe zu den Frauen, Vetter, und bringe sie mir hernach herüber; ich habe sie heut noch gar nicht gesehen. Und Euch, Hansjörg, werde ich meine Entschließung in Betreff Eures Schützlings zukommen lassen. Jetzt adieu!“

Sie entfernten sich, während Wehlen eintrat. Er schritt drei Schritte vor, schlug die Fersen sporenklirrend zusammen und wartete dann auf die Anrede des Fürsten.

Die Unterhaltung bezog sich auf politische Evolutionen, und erst als dieses Thema erschöpft war, zog der Rittmeister zwei Schreiben hervor, welche er Leopold überreichte.

„Von wem?“

„Aus der Kanzlei des Ministers von Brühl.“

„Und das zweite?“

„Von seiner Excellenz dem Generalfeldmarschall Prinz Eugenius. Es wurde mir von dem österreichischen Gesandten zur Besorgung anvertraut.“

„Was sollte mir dieser Brühl mitzutheilen haben? Weiß Er es vielleicht?“

„Ja; der Minister legte mir persönlich an das Herz, den in seiner Zuschrift ausgesprochenen Wunsch bei Ew. Durchlaucht zu befürworten.“

„Nun?“

„Es betrifft seine Mündel, die Gräfin Emma von Glachau, welche ihm entflohen ist und nach Anhalt gegangen zu sein scheint.“

„Kennt Er die Dame persönlich?“

„Ja. Ich wurde ihr vorgestellt.“

„Weßhalb entfloh sie?“

„Einer ihr mißfälligen Verbindung wegen.“

„Wen sollte sie nehmen?“

„Den Sekretär von Sanden.“

„Den — —! Ein schöner Kerl! Habe seinem Einflusse auf den Minister manchen Aerger zu verdanken. Er soll des Satans Urgroßmutter heirathen, aber nicht die Glachau. Seine Befürwortung behalte Er für sich, Rittmeister. Wir sind fertig. Rechtsum, kehrt, marsch!“

Eine scharfe Schwenkung auf dem Absatze, und der Offizier schritt zur Thür hinaus.

Kaum hatte er sich entfernt, so erklangen lachende Stimmen auf dem Korridor, die Thür wurde wieder geöffnet und wie ein zum Neste zurückkehrender Vogel flog Prinzeß Louise herein und an seinen Hals. Ihr folgten langsamer die Fürstin am Arme des Bernburgers.

„Guten Morgen, Papa!“ grüßte Louise, ihn herzlich küssend.

„Guten Morgen, Kind!“ Und der Fürstin die Hand entgegenstreckend, fügte er hinzu: „Willkommen, Alte! Ausgeschlafen?“

„Gut, mein Alter. Du warst schon sehr in Arbeit?“

„Wie es sich für einen Fürsten schickt, der ein guter Vater seines Landes sein will! Setzt Euch! Wo bleiben denn die Andern?“

„Die sind im Parke exerziren bei Korporal Franke.“

„Recht so! Wer jung gedrillt wird, erspart es im Alter. Du hast Fräulein von Mitagsheim Urlaub gegeben?“

„Auf einige Wochen,“ erwiderte die Fürstin.

„Sollst in ihrer Abwesenheit eine andere Gesellschafterin haben,

ein braves Frauenzimmer, das von seinen Feinden gehetzt wird und bei Dir Schutz sucht.“

„Wer ist es?“ frug Anna Louise verwundert, da sich der Fürst nur höchst selten um ihre Damen zu bekümmern pflegte.

„Eine Gräfin von Glachau aus Dresden. Brühl will sie zwingen, einen Skribifax zu heirathen; da ist sie entflohen und soll bei Dir Hülfe finden. Heut Mittag trifft sie ein. Hier ist der Brief, welchen der Minister mir schreibt. Ich habe ihn noch gar nicht geöffnet. Lies ihn einmal vor, Louise!“

Die Prinzeß ergriff das Schreiben, brach das Couvert auf und entfaltete den Bogen. Der Minister stellte die Angelegenheit in seinem Sinne dar, bat um sofortige Auslieferung der Flüchtigen, falls sie, wie sich aus den Spuren vermuthen lasse, in den Anhalt-Dessauischen Landen eine Zuflucht suche, und drohte im Verweigerungsfalle mit ernsten Maßregeln, zu denen er sich dann veranlaßt sehe.

Der Fürst hörte den Brief bis zum Ende ruhig an; bei der letzten Wendung aber brauste er zornig auf.

„Der Teufel hole den Kerl! Ich mache mir den Kukuk aus seinen Maßregeln, und wenn sie so ernst sind, daß ihm selbst die Haare dabei zu Berge stehen! Ich bin souveräner Fürst des deutschen Reiches und brauche mir keine Vorschriften vortrommeln zu lassen. Ich nehme bei mir auf, wen ich will, und jage fort, wen ich nicht leiden mag. Die Glachau ist mir willkommen, und die Maßregeln werde ich ruhig abwarten!“

„Ist es eine gebildete und liebenswürdige Dame, Papa?“ frug Louise.

„Ja; vierundsiebzig Zoll hoch und so breit wie ich. Eine solche Bildung hat nicht Jede aufzuweisen.“

„Sogar ich nicht,“ lachte die Prinzeß. „Fräulein von Mitagsheim ist meine Freundin, und wenn die Riesin so gut ist wie sie, wird sie es auch werden.“

„So ist’s recht, mein Matz! Aber hier habe ich noch einen Brief. Er ist vom Prinzen Eugenius. Lies ihn vor!“

Das in der eigenthümlichen Art des „kleinen Kapuziners“ abgefaßte Schreiben lautete folgendermaßen:

„Wien, im Fruchtmonat anno domini 1739.

Ew. Liebden!

Obgleich es in politicis und causa militaris mit nichten etwelche Absonderlichkeit zu vermelden giebt, so seid Ihr mir ein theurer und werther Freund, an den ich eine Bitte donnire, betreffend eine Personnage, welcher ich mein Wohlwollen und Fürwort nicht versagen kann.

Ew. Liebden weiß von unsern ruhmreichen Feldzügen her, daß ein General von Hellbach unter mir diente, dessen Bravour und aimable Conduite ich stets auszuzeichnen hatte. Item verblich derselbe vor Jahresfrist des Todes und hinterließ einen legitimen Erben, dessen Mutter dem Generale in der Stunde ihres Todes allerdings nachträglich angetrauet wurde. Die Hellbachs sind zwei Linien. Die jüngere, annoch bestehende zeichnet sich durch extremement fromme Gesinnungen und Inklinationen aus, zuwegen bei ihr die Väter Jesu verkehren und ihre plus meilleuse Stütze finden. Also erhebt sich gegen den Erben Arthur von Hellbach eine feine Opposition, geleitet von den frommen Vätern, so nach seinen Gütern trachten, ihm seine Papiere und documenti entwenden und es ihm impossible machen, seine Beweise zu präsentiren. Dieweilen man ihn des Betruges zeiht, wird er gar in prison genommen, dabei es ihm gelingt, sich gewaltsam zu salviren.

Ew. Liebden können glauben, daß ihn die Väter und Brüder in Jesu verfolgen, indem sie ihn sodann in Sachsen gefunden haben. Auch hier ist ihm der Rückzug gelungen, und nun vernimmt man die Mähr, er sei nach Preußen gegangen. Item habe ich alle Ursache, mich des Verfolgten anzunehmen und im Stillen die Beweise seiner Unschuld und Legitimität zu sammeln, was mir binnen kurzer Zeit vollständig gelungen sein wird. Sollte besagter Hellbach bis dahin Ew. Liebden vor das Gesicht und Gehör kommen, so ersuche ich, ihm allen Vorschub zu leisten und ihn gegen die Machinationen seiner ennemis in löblichen Schutz und Protektion zu nehmen, wobei ich nicht verfehle, mich zu dünken

Ew. Liebden vielgetreuer Freund und Kamerad

Eugen.“

„Alle Wetter, das ist ja dieselbe Geschichte, welche mir gestern der Seifensieder erzählt hat!“ meinte Leopold.

„Welcher Seifensieder?“ frug die Fürstin.

Ihr Gatte erzählte von dem Zusammentreffen. Die Fürstin wurde nachdenklich.

„Sollte dieser Mann, der sich für einen Seifensieder ausgiebt,

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vielleicht einer der jesuitischen Spione sein, welche den Hellbach verfolgen?“

„Hm! Fromm sah der Kerl nicht aus.“

„Maske!“

„Kannst recht haben, Anneliese! Ich habe ihm bedeutet, sich

zu trollen; läßt er sich wiedersehen, so geht es ihm an den Kragen. Ich will dieser heiligen Sippe zeigen, was es heißt, den Dessauer für einen Schubiak zu halten, bei dem sie ihren Dreck an den Mann bringen können!“

Die Adern seiner Stirn schwollen wieder bedenklich an, und

es wäre sicherlich einer seiner Zornesausbrüche erfolgt, wenn nicht vom Schloßhofe herauf Trommelschlag und Pfeifenklang erschollen wäre.

„Da kommen die Jungens; auf mit den Fenstern!“ gebot der Fürst.

Einer der jüngeren Prinzen, der elfjährige Moriz, verrieth trotz seiner Jugend ein unleugbares militärisches Talent, und Leopold hatte daher aus Knaben beliebter Bürger eine Kompagnie bilden lassen, welche an Uniform und Ausrüstung ganz seinem Halle’schen

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Regimente glich. Sie hatte täglich Uebung im Parke und kam von einer solchen jetzt zurück, um sich im Schloßhofe aufzulösen. Kaum aber erblickte Moriz die Zuschauer an den Fenstern, so zog er den Degen an, warf sich in Positur und ließ die Kompagnie mit klingendem Spiele und präsentirtem Gewehre vorüberdefiliren, wornach er einige Uebungen ausführte, die den vollen Beifall des Fürsten fanden.

„Bravo!“ rief dieser in den Hof hinab. „Kompagnie halt! Rechtsum! Das Gewehr beim Fuß! Los, rührt Euch! Brav gemacht, Jungens; sollt heut doppelte Löhnung haben!“

Er verließ das Zimmer, um hinabzugehen, und stieß dabei draußen auf eine Bauersfrau, welche mit einem Korbe auf dem Rücken nach der Küche wollte.

„Wohin?“ frug er.

„Zur Durchlaucht Fürstin.“

„Die kommt da hinter mir. Was hat Sie in dem Korbe?“

„Butter.“

„Es ist meine Butterfrau,“ erklärte die Fürstin. „Wie theuer giebt Sie heut das Stückchen?“

„Zweiundzwanzig Pfennige.“

„Zweiundzwanzig? Auf dem Markte kostet sie nur neunzehn.“

„Die wird auch darnach sein.“

„Gute Butter! Da sehe Sie her; ich habe sie holen lassen, weil Sie heut später kommt als gewöhnlich.“

„Soll ich nicht etwas mehr verlangen, wenn ich die Butter aufs Schloß tragen muß? Solche Leute können schon Etwas geben,“ bemerkte die Frau mit unvorsichtigem Muthe.

Die Folgen ließen sich sofort spüren. Der Fürst, den die kleinste Veranlassung aufregen konnte, war durch seine große Sparsamkeit bekannt. Daß er für jedes Stückchen Butter drei Pfennige mehr geben sollte als andere Leute, brachte ihn sofort in Harnisch.

„Wird Sie die Butter wohl für neunzehn geben?“

„Zweiundzwanzig!“

„Gut; nehme Sie den Korb herab!“

Er griff selbst mit zu.

„Also neunzehn?“

„Zweiundzwanzig!“

„Schön!“ Die rothe Farbe seines Gesichtes, seine rollenden Augen und die tiefen Falten seiner Stirn verriethen ein nahendes Wetter, doch war eigenthümlicher Weise seine Stimme nicht so dröhnend wie bei ähnlichen Veranlassungen, und der Mund zuckte unter einem unbeschreiblichen, verheißungsvollen Lächeln.

„Köche her!“ kommandirte er.

Zwei weißgekleidete Männer erschienen, eine kerzengerade Haltung annehmend.

„Kommen Sie hierher!“

Er faßte die Frau, zog sie zur hinteren Wand der Küche und stellte sie hart an die Mauer, so daß sie den Rücken nach dem Raume kehrte.

„Glaubt Sie, daß ich halte, was ich sage?“

„Ja.“

„Schön! Vortrefflich! So gebe ich Ihr jetzt mein heiliges Wort, daß ich Sie wegen Betruges vier Wochen einspinnen lasse, wenn Sie sich muxt oder eher vom Flecke rührt, als bis ich es Ihr ausdrücklich befehle. Sie hat sich keinen Zoll breit zu bewegen! Vier Wochen; hat Sie’s gehört? Und mein Wort darauf!“

Jetzt wandte er sich zu den beiden Köchen, welche vorn bei der Thür an dem Korbe standen.

„Könnt Ihr zielen?“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

„Und gut werfen?“

„Zu Befehl!“

„Werft ihr die Butter Stück für Stück auf den Buckel. Wer nicht trifft oder zu leise wirft, erhält acht Tage strengen Arrest!“

Weder die Fürstin, noch Louise oder der Bernburger wagten einen Einspruch gegen diese ungewöhnliche Züchtigung. Der Zorn Leopolds wäre dadurch nur vergrößert worden.

„Achtung! Geladen! Feuer!“

Beim zweiten Kommandorufe griffen die Köche in den Korb. Jeder nahm ein Stückchen Butter zur Hand. Beim dritten Worte flog die Butter der Bäuerin mit solcher Vehemenz auf den breiten, mit hochschließender Taillenjacke bekleideten Rücken, daß sie sich breit drückte und dann auf die Diele herabfiel. Die Frau wagte nicht, einen Laut von sich zu geben.

„Geladen! Feuer!“

Diese Kommandos erschollen so lange, bis der Korb leer war und hinter der Bäuerin ein Haufe formloser Butter lag.

„Jetzt wieder umgedreht!“

Die Frau folgte dem Gebote. Sie sprach nichts, aber ihre

Augen ruhten mit dem Ausdrucke listiger Wuth auf den Ruinen ihres milchwirthschaftlichen Fleißes.

„So! Ich werde Ihr lehren, mich zu prellen, Sie alte Butterhexe, Sie! Lecke Sie sich den Buckel ab und nehme Sie das Zeug hier wieder in den Korb. Und wenn Sie wieder einmal höhere Preise macht als Andere, so wird Ihr die Butter noch an einem andern Orte beigebracht! Versteht Sie mich, an welchem? Jetzt schleunigst fort mit Ihr!“ 

Sie schaufelte die Butter mit den beiden Händen in den Korb und verließ dann die Küche.

Als der Fürst aus derselben trat, verhandelte eben ein in die gewöhnliche ländliche Tracht gekleideter Mann, der einen Stelzfuß hatte, mit dem Kammerdiener.

„Er kann nicht vorkommen,“ meinte der Letztere. „Seine Durchlaucht sind beschäftigt, und ich kenne Ihn ja gar nicht.“

„Er wird schon Manchen eingelassen haben, den Er nicht kennt. Sage Er nur meinen Namen, so ists genug. Ich bin der Vater vom Korporal Franke!“

Diese letztern Worte vernahm Leopold im Heraustreten, und kaum war sein Auge auf den Sprecher gefallen, so rief er:

„Feldwebel Franke, alter Kriegskamerad, Du hier? Komm herein!“ und zum Diener meinte er verweisend: „Wenn Dieser hier kommt, so wird er eingelassen, und wenn es mitten in der Nacht ist!“

Er schritt voran zum Arbeitszimmer; der Stelzfuß folgte. Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, zog er den Mann an sich und klopfte ihm während der herzlichen Umarmung freundlich auf die breite Schulter.

„Willkommen, willkommen! Habe Dich seit acht Jahren nicht zu sehen gekriegt. Warum kommst Du nicht einmal herbei, he?“

„Durchlaucht, ich bin kein Lump, der von Eurer Freundschaft Vortheil ziehen will. Ihr seid gut zu mir, und ich habe Euch lieb; das wissen wir Beide, und das ist mir genug. Der Teufel hole alle Scherwenzelei! Wenn ich öfters käme, könnten die Leute weiß Gott denken, ich raspelte Süßholz mit Euch!“

„So bekomme ich also meinen besten Kriegskameraden nicht zu sehen, weil Du Dich vor den Leuten fürchtest!“

„Oho, Durchlaucht, macht mir keine dummen Witze! Ihr wißt, ich bin grad so ein alter Rappelkopf wie Ihr. Habt Ihr jemals gesehen oder gehört, daß ich mich fürchte?“

„Nein, alter Schwede; dieses Zeugniß muß ich Dir geben, und darum eben halte ich so große Stücke auf den Feldwebel Franke. Hast Du schon gefrühstückt?“

„Nein; aber macht Euch deshalb keine Sorge. Ich habe ein Stück Brod und Käse in der Tasche, das hilft gegen den Appetit und gegen den Hunger.“

„Donnerwetter, willst Du, daß ich mich blamire? Soll es etwa heißen, daß der Dessauer nichts für den Schnabel hat, wenn ihn ein guter Freund besucht? Heinz!“ Und als der Ruf nicht sofort gehört wurde, öffnete er die Thür und brüllte mit wahrer Löwenstimme:

„Heeeeeeiiiiiinz!!!“

Der Diener erschien.

„Schaffe etwas zu essen; aber nichts Schnepferliches, sondern etwas Kräftiges für zwei alte Soldaten! Und einen guten Trunk dazu; das ist die Hauptsache!“(Fortsetzung folgt.)

Auch dieser Vorgang beruht auf geschichtlicher Thatsache, obgleich es unmöglich ist, ihn vollständig wahrheitsgetreu zu erzählen.
755.

Der Pflaumendieb.

Humoristische Episode aus dem Leben des alten DessauersvonKarl Hohenthal.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Einige Minuten später saßen sie am Tische und schlugen wacker ein; die Gläser klangen, und die Erinnerungen wurden wach. Eine halbe Stunde verging nach der andern; jeder Angemeldete wurde abgewiesen, und die Dienerschaft merkte also, daß der einfache Mann mit dem Stelzfuße dem Herrn werther sei als mancher Offizier und Kavalier, vor dem man Respekt haben mußte. Sämmtliche Kriegsfahrten und Abenteuer des Dessauers wurden durchgenommen; manches Kraftwort erschallte, und manches heitere oder gar dröhnende Lachen ertönte. So wurde es zwölf Uhr, und mit dem Glockenschlage trat der Diener ein.

„Ist ein Weibsbild draußen; kommt vom Pastor aus — — —“

„Die?“ fiel er ihm in die Rede. „Die mag hereinkommen, und nachher führst Du sie zur Fürstin!“

Die Angemeldete trat ein. Sie trug heut eine Kleidung, welche die Schönheit und Fülle ihrer Formen noch mehr hervortreten ließ als das gestrige Hausgewand.

„Bravo! Ich sehe, daß Sie pünktlich ist. Wo hat Sie den Pfarrer?“

„Er befindet sich beim Herrn Geheimerath von Raumer.“

„Habt wohl alle Beide Angst vor mir?“

„Angst nicht, Durchlaucht; aber eine kleine Sorge durfte ich mir gestatten.“

„Ja, das hat man davon, wenn man nicht offenherzig ist. Konntet mir gleich gestern Alles sagen! Sie ist eine Glachau?“

„Zu Befehl, Durchlaucht.“

„Und der Brühl will Sie zur Heirath zwingen?“

„Leider!“

„Der Teufel soll ihn holen und den Bräutigam dazu! Und wenn sie mir wegen Ihr etwas am Zeuge flicken wollen, so werde ich sie koramiren, daß es ihnen grün, gelb und blau vor den Augen wird!“

„Soldat Baldauf!“ meldete der Diener.

„Herrrrein!“

Der gestern angeworbene Rekrut trat ein. Er trug bereits die Uniform des Halle’schen Regimentes und hielt mehrere Papiere in der Hand. Als sein Auge auf Emma von Glachau fiel, zuckte es wie ein tiefer Schreck über sein offenes Gesicht; auch sie erbleichte sichtlich, doch nahmen sich Beide schnell zusammen.

„Ich habe Ihn für jetzt bestellt, um mir Seine Skripturen anzusehen. Ist es wahr, daß Er gut mit der Feder bewandert ist, wie Er mir gestern sagte, so wirds zu Seinem Nutzen sein. Habe da drei Kerle in der Kanzlei sitzen, die können nicht ’mal meine Schrift lesen, viel weniger eine andere. Seine Faust versteht Er zu gebrauchen, das hat Er mir bewiesen, Er Himmelhund, und Begriff hat Er auch, das sehe ich jetzt: gestern erst eingetreten, heute eine Stunde exerzirt, und steht nun vor mir, glatt und blank wie ein Alter. Das freut mich, Er kann’s schnell vorwärts bringen. Zeige Er die Wische her!“

Leopold überblickte die Bogen.

„Famos, ganz famos! Er ist ein Tausendschwerenöther! Eine Zeile wie die andere, und die Buchstaben in gleicher Höhe und Lage aufmarschirt wie ein Regiment Grenadiere, Augen rechts, richtet Euch. Er tritt in meine Kanzlei, und weil es grad so paßt, so setze er sich her; ich werde Ihm ’was diktiren!“

Der Rekrut nahm an dem Seitentische Platz, auf welchem sich alle nöthigen Schreibrequisiten befanden.

„Also schreibe Er!“

„An den Minister Excellenz Graf von Brühl, Dresden.

Habe Eure Schrift erhalten und gelesen. Scheere mich den Teufel um das, was bei Euch vorgeht; scheert Euch doch auch den Teufel um das, was mir zu thun beliebt. Die Glachau ist ein braves, resolutes Weibsen; werde sie Euch nicht an das Messer liefern. Wer sie heirathen will, mag sie holen. Ab, basta!

Leo — — —“

„Wollen Euer Durchlaucht diese Unterschrift nicht selbst vollziehen?“ unterbrach ihn der Schreiber.

„Ja, richtig! Wenn ich einmal im Flusse bin, so läufts wie Wasser. Gebe Er die Feder her!“

Während er sich bückte, um seinen Namen unter die höflichen Zeilen zu setzen, begegneten die Augen des Rekruten dem Blicke Emma’s. In Beider Zügen leuchtete die Freude. Es war klar, sie mußten bekannt mit einander sein.

„Jetzt kann Er gleich noch einen Brief schreiben,“ gebot der Fürst. „Wir sind einmal im Zuge!“

Der Rekrut nahm wieder Platz, und Leopold diktirte:

„Dessau, im September 1739.

Ew. Liebden

theile ich mit, daß ich auch ganz verdammt ärgerlich bin über die Ruhe im Reiche. Wenn der Friede so bleibt, so verfault Alles; ein fröhlicher Krieg ist die Hauptsache, alles Andere aber ist Larifari. Der Hellbach soll mir willkommen sein, wenn er so gescheidt ist, mich aufzusuchen; die Schleicher aber, die ihn suchen, lasse ich aufhängen, sobald ich sie erwische, wobei ich verbleibe

Ew. Excellenz guter Freund und Kame­rad — — —

So, jetzt kommt der Name!“

Er streckte die Hand nach der Feder aus; der Schreiber hielt sie zurück.

„Mit Verlaub, Durchlaucht; an diesem Schreiben wird etwas zu ändern sein.“

„Zu ändern?!“ Leopold trat einen Schritt zurück und maß den Verwegenen mit zornigem Auge. „Zu ändern? Er wagt es, mein Diktum zu tadeln? So lang ich lebe, ist mir so ’was noch nicht vorgekommen, und Er Himmelbatailloner thut es gleich im ersten Augenblicke Seines Dienstes! Er ist entlassen aus der Kanzlei; Er geht vier Wochen in Arrest. Marsch hinaus!“

„Durchlaucht haben — — —“

„Marsch, sage ich!!“

765.

„Keinen Fehler begangen,“ fuhr der Muthige ruhig fort.

„Marsch hin — — — Was? Ich habe keinen Fehler gemacht, und doch sagt Er, daß geändert werden muß! So stammt der Schnitzer also von Ihm?“

„Auch nicht. Ich muß nämlich bemerken, daß — — —“

„Kerl, Er ist verrückt, Er ist total übergeschnappt! Niemand hat einen Fehler gemacht, und doch soll geändert werden. Will Er mir das wohl erklären!“

„Ich meine den Passus „der Hellbach soll mir willkommen sein, wenn er so gescheidt ist, mich aufzusuchen.“ Hier muß es anders heißen.“

„Wie denn zum Beispiel, Er Himmelelementer?“

„Der Hellbach ist so gescheidt gewesen, mich aufzusuchen, und ich heiße ihn willkommen.“

„Donnerwetter, das wäre ja die reine Lüge!“

„Ich wage dies zu bestreiten, Durchlaucht, denn —“ er richtete sich so hoch wie möglich empor und fuhr salutirend fort: „Der Hellbach steht ja hier!“

„Er — Er ist der Hellbach? Teufel, das ist ja ein wirkliches Theaterstück, was Er da aufführt! Ich denke, Er heißt Franz Baldauf.“

„Ich mußte meinen Namen verschweigen und habe mir die auf Baldauf lautenden Papiere geborgt.“

„So, so, hm! Also darum stand eine Siebzig an Stelle der Achtzig. Aber, hm, ja, wie will Er mir denn beweisen, daß Er wirklich der Arthur von Hellbach ist?“

„Haben Ew. Durchlaucht die Güte, sich an Fräulein von Glachau zu wenden. Sie kennt mich und wird mich rekognosziren.“

„Ihr kennt Euch? woher denn?“

„Von Dresden aus, wo ich erst Zuflucht fand und dann wieder fliehen mußte.“

„Himmeltausendsapperment, jetzt wirds hell, jetzt geht mir eine Ahnung auf! Das Fräulein von Glachau hat den Tintenklexer nicht gemocht, weil — weil — na, weil ihr ein gewisser Hellbach lieber gewesen ist. Ists so oder nicht, Ihr Tausendschwerenöther?“

„Wir können nicht leugnen, Durchlaucht,“ antwortete Hellbach.

„So! Und was man in Wien und Dresden zerrissen hat, das soll ich hier wieder zusammenflicken?“

„Ew. Durchlaucht sind der einzige Schneider, der das fertig bringt!“

„Was bin ich? Ein Schneider bin ich, Er Mohrenelementer? Und noch dazu der einzige? Warum denn das, he?“

„Es hat nicht Jeder den Muth, zwei unschuldig Verfolgte in Schutz zu nehmen. Ew. Durchlaucht sind der einzige Fürst im deutschen Reiche, vor dessen Willen selbst der Kaiser Respekt hat.“

„So! meint Er das wirklich?“

„Mit voller Ueberzeugung!“

„So soll Er sich auch nicht getäuscht haben. Ihr bleibt in Dessau, so lange es Euch gefällt, und ich will ’mal Den sehen, der Etwas dagegen hat! Aber als gemeinen Soldaten kann ich ihn unmöglich installiren. Er scheint bereits einige militärische Begriffe zu haben?“

„Ich habe die Militärschule absolvirt und stand, als Vater starb, als Oberlieutenant beim Regimente Natzmer.“

„Natzmer? Sind ganze Leute das; kenne sie von früher her, als ich an der Seite des kleinen Kapuziners focht! Will Er bei mir eintreten?“

„Mit Freuden!“

„Schön, Herr Oberlieutenant à la suite. Jetzt aber nehme Er Seine Braut und führe Er sie zu meiner Frau. Die und die Louise werden sich schön wundern über den Roman, der hier zu spielen scheint.“

Hellbach nahm mit vor Freude glänzendem Gesichte Emma beim Arme und marschirte mit ihr zur Thür hinaus. Als sich diese hinter ihnen geschlossen hatte, wandte sich Leopold zu Franke zurück.

„Was sagst Du dazu, altes Haus?“

„Eine ergötzliche Geschichte.“

„Und ein verteufelt schmuckes Paar.“

„Freilich; grad wie mein Junge und seine Anna.“

„Ach so, ja, es ist ja wahr; der Korporal soll eine Liebste haben?“

„Und was für eine! Sie gibt da der Glachau gewiß nichts nach.“

„Alle Wetter, das ist viel gesagt!“

„Die reine Wahrheit!“

„Ich werde ihn aber dennoch ganz gehörig bei der Parabel nehmen. Wie kann er es wagen, sich ohne meinen Willen zu verschameriren!“

„Er hat mich auch nicht gefragt, und ich bin doch der Vater.“

„Aber ich bin sein Pathe und Kriegsoberster!“

„Die Liebe ist ein obstinates Ding. Als ich meine Alte nahm, habe ich auch nicht viel gefragt, und ich weiß nicht, ob Durch­laucht — — —“

„Hast Recht, Alter, hast Recht! Na, so wollen wir es für dieses Mal noch hingehen lassen. Wer ist denn das Mädel?“

„Es ist die Nichte vom Amtmann Grunert.“

„Vom Grunert? Ich hörte, der Kerl sei unverheirathet.“

„So ist es auch. Die Anna führt ihm die Wirthschaft, und was das bei einem Amtsgute zu bedeuten hat, das wird Durchlaucht wissen.“

„Ja ja; das Gut ist groß, ein wirkliches, richtiges Rittergut. Der Grunert war fremd; er kam, glaube ich, aus Oesterreich oder Bayern, als ich den Pacht ausrufen ließ. Er bot fünfhundert Thaler mehr als sein Vorgänger, und darum erhielt er es. Ich war damals im Felde, und — meiner Treu, jetzt fällt es mir erst ein, daß ich ihn noch gar nicht gesehen habe. Der Pacht wurde von der Rentei abgeschlossen, und da die Gelder alle pünktlich eingehen, so habe ich mich nicht weiter nach der Geschichte umgesehen.“

„Und dennoch wäre dies vielleicht einmal nöthig gewesen.“

„Nöthig? Wie so?“

„Er wirthschaftet schlecht.“

„Und zahlt pünktlich. Wie paßt das zusammen?“

„Wer die Aecker aussaugt und den Wald rodet, der kann gut zahlen.“

„Donner und Doria, ist das wahr?“

„Natürlich, sonst würde ich es doch nicht sagen.“

„So soll mir der Hallunke herhalten. Er hat den Pacht pünktlich zu entrichten und das Gut mitsammt den Liegenschaften in dem Stande zu erhalten, in welchem er sie überkommen hat.“

„Ja, prosit die Mahlzeit! Durchlaucht mögen nur hingehen und sich die saubere Wirthschaft einmal ansehen. Der Wald wird von Tag zu Tag lichter, das Feld magerer, die Wiese gelber, und im Stalle stehen die Pferde und Rinder wie die Gespenster. Der Pacht läuft im Frühjahr ab; dann wird der Grunert mit dem herausgesaugten Gelde verschwinden, und der Nachfolger kann sich zehn Jahre abmühen, ehe er einen gesunden Halm erbaut.“

„Wenn das so ist, so werde ich es mit ihm machen, wie er mit der Wirthschaft. Aber das ist doch nicht plötzlich gekommen. Warum wird es mir erst jetzt gemeldet?“

„Der Grunert ist Amtmann, ein schlauer Fuchs und dabei gewaltthätig bis zum Exzeß. Wer will sich da aufwerfen. Uebrigens haben ja Durchlaucht und Dero Beamte selber Augen, um zu sehen, was zu sehen ist; warum soll man da den Angeber machen!“

„Gut, hast Recht. Werde ihm nächster Tage in den Sattel steigen, und dann wehe ihm, wenn ich schmutzige Wäsche bei ihm finde!“

„Ist genug davon vorhanden! Ich hätte heut gar nicht von ihm angefangen, wenn nicht die Gemeinde endlich doch zusammengetreten wäre und mich hergeschickt hätte, um mit Durchlaucht über ihn zu sprechen.“

„So also steht es? Eine förmliche Beschwerde!“

„Ja, nicht wegen seiner schlechten Wirthschaft, denn das geht uns nichts an, sondern wegen seiner Amtsführung und andern Dingen.“

„Nun, heraus damit.“

„Ja, es muß heraus, obgleich seine Nichte die Liebste von meinem Jungen ist. Wie er die Felder aussaugt, so zieht er auch die Gemeinde aus. Es sollte mich wundern, wenn eine einzige Rechnung stimmte. Im vorigen Jahre hat der Schmied für zwanzig Gulden Arbeit geliefert, in der Rechnung aber steht plötzlich eine Sechzig. Dem Lehrer, welcher sich plagen muß, aus dummen Jungen brauchbare Rekruten zu machen, hat er von seinen vierzig Gulden, die doch weder vorn noch hinten reichen, fünfzehn abgebrochen. Wenn Ew. Durchlaucht rekrutiren lassen, so fertigt er eine Liste, in welcher die reichen Bursche nicht stehen, weil sie zahlen können; dann muß der Kriegsherr die armen, ausgehungerten Teufel nehmen, deren Mütter und so weiter der Gemeinde zur Last fallen.“

„Da schlage doch gleich ein sternhageldickes Graupelwetter drein!“ rief der Fürst aufspringend. „Das ist genug: ich mag jetzt weiter gar nichts hören! Aber ich komme, Du Hallunke, und Gnade Dir Gott und die Fuchtel, wenn ich Dich zwischen die Finger nehme!“

„Eins aber muß ich doch noch sagen!“

„Was noch?“

„Haben Durchlaucht von den Jesuiten gehört, welche sich jetzt im Lande breit machen wie die Kohlraupen?“

„Habe es gehört. Was ists mit ihnen?“

„Der Grunert ist Katholik, und — — —“

775.

„Katholik? Ich glaube, in seinem Ausweise stand, daß er Protestant sei.“

„Möglich, aber dennoch ist er Katholik, und des Nachts verkehren bei ihm öfters Leute mit langen Röcken, die bis oben zugeknöpft sind. Manchmal sind wohl an die Zwanzig da. Dann werden des Nachts Reden gehalten; man ißt und trinkt und schleicht sich beim grauenden Morgen heimlich wieder davon.“

„Woher weißt Du das?“

„Von der Anna. Der Amtmann will es nämlich nicht zugeben, daß sie meinen Jungen nimmt, und so kommt sie zuweilen zu mir und meiner Alten, um uns ihre Noth zu klagen. Sie soll partout Einen heirathen, der bei den nächtlichen Zusammenkünften mit zugegen ist; er ist reich und sie bekommt nichts, weil das Vermögen des Amtmanns der Gesellschaft Jesu gehört.“

„So, aha, pfeift es aus diesem Loche? Höre, Franke, kennen mich die Leute bei Euch?“

„Wohl kaum; es sind bereits über zwanzig Jahre her, daß Ew. Durchlaucht nicht im Dorfe waren.“

„Gut, schön. Schreibe mir doch ’mal die Bursche auf, welche der Amtmann durch die Liste gelassen hat!“

Franke griff ohne Umstände nach Feder und Papier, um die verlangte Aufzeichnung zu machen. Er übergab das Blatt dem Fürsten.

„Einundzwanzig Bursche? Alle Teufel; die im Regimente haben oder nicht, das ist ein Unterschied! Ich werde die Sache so besorgen, daß Du zufrieden sein kannst, Franke, doch halte reinen Mund. Und jetzt kommst Du mit hinüber zur Anneliese; die wird sich freuen, daß Du uns nicht ganz vergessen hast!“ — — —

III.Auf der Kirchweihe

Wieder war es Sonntag Morgens, aber zu einer früheren Stunde als vor acht Tagen; da ließ sich auf der Leinefelder Straße lauter Marschschritt hören.

„Einunddreißig, zweiunddreißig — einunddreißig, zweiunddreißig — Leberwurst und Sauerkraut, — links, rechts — links, rechts — Leberwurst und Sauerkraut — einunddreißig, zweiunddreißig — Brust heraus, Bauch hinein — Donnerwetter, was macht Ihr für Puppengesichter, Ihr Hallunken! Finster, immer finsterer, noch finsterer, daß die Leinefelder Respekt bekommen! So ists recht! — — Da ist das Nest. Achtung! Augen rrrrechts! Augen grrrrad aus! Tambour, fang an! Einunddreißig, zweiunddreißig — einunddreißig — rrrrumdidum di rrrrumdidum! Uebers G’werrrr!“

So raisonnirte und kommandirte der alte zwickelbärtige Feldwebel, welcher eine halbe Kompagnie blauröckiger Grenadiere nach dem Dorfe führte. Eigentlich hatte er nicht die mindeste Veranlassung zu einem Raisonnement, denn es war der kleinen Truppe sehr deutlich anzusehen, daß sie ganz ausgezeichnet gedrillt sei. Ein Zopf war auf die Linie so lang wie der andere, ein Riemen lag wie der andere, ein Auge blickte wie das andere, eine Gamasche saß wie die andere, und der Marschschritt klang so kurz, voll und exakt, daß es gar nicht nöthig war, mit dem damals beliebten „Einunddreißig, zweiunddreißig — Leberwurst und Sauerkraut — links, rechts — links, rechts“ den Takt zu markiren.

So viele Dorfbewohner aus den Federn waren, so viele kamen auch heraus auf die Gasse, und wer von dem Trommelschlage erwachte, der beeilte sich hinabzukommen, um die Veranlassung zu dem ungewöhnlichen Lärme zu erfahren.

785.

Der Feldwebel ließ seine Truppe bis vor die Fronte eines großen, hart an der Dorfstraße liegenden Gutes marschiren.

„Bataillon, halt! — Frrrront! — Schultert das G’werrrr! — Beim Fuß das G’werrrr! — Augen rrrrechts, rrrrichtet Euch! — Augen grrrrad aus!“ klang das Kommando; dann wandte sich der Webel an eine schläfrige Magd, welche sich an dem Thorpfeiler reckte und dehnte.

„Gehört Sie hier zum Gute?“

„Ja.“

„Das Gut ist herrschaftlich?“

„Ja.“

„Wo ist der Amtmann?“

„Im Bette.“

„Wecke Sie ihn!“

„Ich darf nicht.“

„Waas? Wenn ich Ihr etwas befehle, so darf Sie nicht?“

„Ich darf nicht. Wer den Herrn Amtmann weckt, wird fortgejagt.“

„I der Tausend. Hier stellt Sie sich an den Pfeiler; so! Soldat Hiller, vortreten!“

Der Genannte trat drei Schritte aus der Fronte heraus.

„Schulterts G’werrrr! — Hahn auf! — Leg annnn!“

Hiller stand mit angelegtem Gewehre da, bereit, auf das Kommando „Feuer“ auf die Magd abzudrücken, zu der sich der Feldwebel wieder wandte.

„Will Sie den Amtmann wecken, he?“

„Ja, Herr Hauptmann!“

„Schön, mein Schatz. Aber spute Sie sich, sonst mache ich Ihr Füße! Soldat Hiller, leg ab! — rrrrechtsumkehrrrrt, marrrrsch! — Frrrront! — Beim Fuß das G’werrrr!“

Kaum waren zwei Minuten vergangen, so erschien unter dem Thore eine blos mit Hose, Jacke und Zipfelmütze bekleidete Gestalt. Die schmale, niedrige und zurückgebogene Stirn, die weit auseinanderstehenden, kleinen, stechenden Augen, die scharfgeschnittene Habichtsnase, die dünnen, bartlosen Lippen und das kaum bemerkbare, spitze Kinn, in welches dieses Gesicht verlief, gaben demselben etwas ganz entschieden Raubvogelähnliches. Dieser Mann war sicher ebenso listig wie hart und gewaltthätig und vollständig unfähig, mit seiner Physiognomie Vertrauen zu erwecken.

„Seid Ihr der Herr Amtmann?“

„Ja. Was solls denn sein?“

„Ein Befehl der Kriegskanzlei, abzugeben an Euch!“

„Gebt her!“

„Donnerwetter! Glaubt Ihr etwa, daß ein alter, diensterfahrener Feldwebel Euch hier am Thore eine Meldung machen oder gar einem Manne in Schlafmütze und Nachthosen eine Ordre übergeben wird, die aus der Kriegskanzlei kommt und von dem Feldmarschall Durchlaucht Excellenz eigenhändig unterzeichnet wurde? Macht Euch schnell hinein und fahrt in einen andern Gottfried, sonst mache ich Euch Beine wie Eurer Milchchristel, die Euch nicht wecken wollte.“

„Oho! Ihr wißt wohl gar nicht, mit wem Ihr sprecht?“

„Nun, mit wem denn, he?“

„Ich bin der Amtmann Grunert, wie ich Euch schon einmal sagte.“

„Davon sehe ich noch nichts. Für jetzt steht nur eine Schlafmütze und Nachthaube hier. Also steckt den Amtmann heraus; ich habe keine Zeit und muß bald weiter!“

Grunert entfernte sich. Der Feldwebel folgte ihm nach einigen Minuten und fand ihn in der Stube am Schreibepulte seiner harrend.

„Seid Ihr der Herr Amtmann?“

„Zum Teufel, ich habe Euch doch bereits zwei­mal — — —“

„Rrrruhe, nicht gemuxt!“ donnerte da der alte Soldat mit wahrer Löwenstimme. „Was versteht Ihr vom Dienste! Ich habe Euch zu fragen und Ihr habt zu antworten, damit basta! Seid Ihr der Herr Amtmann?“

„Ja.“

„Eine Ordre aus der Kriegskanzlei!“

Er übergab das Schreiben. Grunert öffnete und las es. Sein Gesicht zeigte, wenn nicht Bestürzung, so doch einige Verlegenheit.

„Das ist unmöglich!“

Der Feldwebel schwieg.

„Reinweg unmöglich!“

Der Feldwebel antwortete nicht.

„Habt auch Ihr irgend welche Ordre?“

„Allerdings.“

„Welche?“

„Wenn Ihr nicht binnen einer Stunde schafft, was da drin verlangt wird, so werde ich mir es zu holen wissen. Leinefeld hat fünfundzwanzig Mann zu liefern, und sollte ich diese Zahl mit dem Herrn Amtmann selber voll machen müssen!“

„Eine Stunde ist zu wenig!“

„Für mich nicht. Könnt Ihr oder nicht? Dann habe ich die Fünfundzwanzig in zehn Minuten.“

„Ich muß mit dem Gemeinderathe sprechen.“

„Mir ganz egal. Könnt Ihr?“

„Ja.“

„Schön. Wir haben scharf geladen. Ich lasse das Dorf umzingeln, daß Keiner echappirt. Zehn Minuten haben wir bereits verhandelt; in punkt fünfzig Minuten bin ich hier, um die Rekruten mit einer Namensliste in Empfang zu nehmen!“

Er ging hinaus.

„Bataillon in zwei Zügen abmarschirt. Korporal Fritsche vor!“

Der Korporal trat vor die Fronte und kommandirte:

„Erster Zug, G’werrrr auf! — Rrrrechts um! — Uebers G’werrrr! — Vorwärts marrrrsch!“

„Gefreiter Lange vor!“ befahl der Feldwebel.

Dieser folgte dem Rufe und kommandirte:

„Zweiter Zug, G’werrrr auf! — Rrrrechts um! — Uebers G’werrrr! — Zweimal links abgeschwenkt, vorwärts marrrrsch!“(Schluß folgt.)

846.

Der Pflaumendieb.

Humoristische Episode aus dem Leben des alten DessauersvonKarl Hohenthal.

(Nachdruck verboten.)

(Schluß.)

Der erste Zug marschirte nach dem niedern, der zweite nach dem obern Dorfe, um den Kordon zu schließen. Der Feldwebel aber bog in einen schmalen Seitenweg ein, welcher zwischen zwei Gütern hindurchführte, ging eine Strecke hinter den Gärten fort und stieg dann über ein niederes Staket, welches ein kleines Gärtchen umschloß, das zu einem niedlichen und außerordentlich sauber blickenden Häuschen gehörte. Durch die hintere Thür desselben tretend gelangte er in eine Küche, wo er Niemand fand, und von da in die Wohnstube, in welcher zwei Personen bei der Suppe am Tische saßen.

Es war der Feldwebel Franke und seine Frau. Beim Anblicke des Feldwebels erhob sich der Erstere überrascht.

„Durchlaucht!“

„Halte Er den Schnabel, Er Sakermenter! Es braucht Niemand zu wissen, wer ich bin; für jetzt bin ich Feldwebel, punktum. Habt Ihr noch einen Löffel? Ich habe Appetit!“

Die über diesen vornehmen und plötzlichen Besuch erschrockene Hausfrau erhob sich, um das Verlangte zu holen. Sie machte Miene, sich in Entschuldigungen zu ergehen, die ihr aber sofort abgeschnitten wurden.

„Still! Jetzt wird gegessen und nicht gesprochen!“

Die Löffel erklangen, und es wurde der Suppe zugesprochen, bis kein Tropfen mehr in der Schüssel war. Erst jetzt begann der Fürst:

„Ihr habt heut Kirmeß?“

„Ja.“

„Ich lade mich zu Gaste, doch darf jetzt noch kein Mensch ’was davon wissen. Es hat mich Niemand zu Euch gehen sehen. Bin gekommen, um dem Grunert in den Topf zu gucken. Habe fünfundzwanzig Rekruten von ihm verlangt, und wehe ihm, wenn er parteiisch handelt! — Habe Euch auch eine Freude gemacht!“

„Allerdings ist es uns die größte Freude, Ew. Durchlaucht bei uns zu sehen!“

„Nicht geflunkert! Meine eine andere Freude. Habe Eurem Jungen, dem Korporal, Urlaub gegeben, daß er zur Kirmeß gehen und seine Anna einmal beim Kopfe nehmen kann. Hast Du nichts wieder von den Schwarzkitteln gehört?“

„O ja. Die Anna war gestern Abend hier und erzählte, daß heut in dem Gartenhause heimliches Abendessen sei.“

„Wann?“

„Um acht Uhr.“

„Wie viele Gedecke?“

„Achtzehn.“

„Sehr gut. Werde gesegnete Mahlzeit wünschen. Macht mir ein Bett zurecht; werde vielleicht heut Nacht hier schlafen. Jetzt adieu! Hört Ihr den Lärm und das Lamentiren draußen? Der Amtmann läßt die Rekruten zusammenschleppen.“

Er ging denselben Weg wieder zurück, den er gekommen war. Beim herrschaftlichen Hofe angelangt, fand er wirklich fünfundzwanzig Bursche vor, welche mit Paketen auf dem Rücken Abschied von ihren weinenden und jammernden Angehörigen nahmen, und zugleich ertönte der lautschallende Schritt der wieder herbeikommenden Soldaten.

„Nun mags gut sein mit dem Heulen, Ihr Jungens! Ihr bekommt des Fürsten Rock angezogen, und wer sich darein fügt und gut gehorcht, aus dem kann mal was Ordentliches werden, vielleicht gar so ein Feldwebel wie ich. Angetreten und eingerückt! So! Wer zu entfliehen sucht, wird niedergeschossen! — Kompagnie rrrechts um! — Adieu, Herr Amtmann; viel Vergnügen zur Kirmeß! Kann leider nicht hier bleiben, sondern muß weiter, um noch einige fünfzig Jungens zu holen. Uebers G’werrrr! Vorwärts marsch!“

Die gepreßten Rekruten in der Mitte, marschirte die Truppe das Dorf hinab, begleitet von den jammernden Verwandten.

„Einunddreißig, zweiunddreißig, Leberwurst und Sauerkraut, links, rechts, links rechts, Tambour, fang an! Einunddreißig, zweiunddreißig, einunddreißig, zweiunddreißig, rrrrumdidum di rrrrumdidum!“

Draußen vor dem Dorfe ließ er halten, um die störende Begleitung zurückzuweisen; dann ging der Marsch fort bis in den

Wald, wo er in einen Holzweg einbiegen ließ, der in einen schmalen Pfad verlief und dann auf eine verborgene Lichtung mündete.

Hier lagerte sich, nachdem die nöthigen Posten ausgestellt waren, die Truppe. Er zog das Namensverzeichniß, welches er von dem Amtmanne erhalten hatte, hervor, um zu verlesen. Es befand sich unter den Burschen kein einziger von denen, welche ihm Franke in Dessau aufnotirt hatte.

„Jammert nicht, Jungens! Ich gebe Euch mein Wort: wenn Ihr Euch ruhig verhaltet und keine Dummheiten macht, so seid Ihr heut Abend alle wieder frei. Ich bin der Leopold von Dessau und will nur Eurem sauberen Amtmann einmal auf die Finger klopfen!“

Diese Rede brachte allerdings nicht geringe Freude hervor. Der Fürst aber trat zu einem Baume, unter welchem zwei Männer standen, die einige Pakete hielten. Es war der Oberlieutenant von Hellbach und der Korporal Franke, beide einander an Gestalt und Größe vollständig gleich.

Er wandte sich an den Ersteren.

„Er kennt also einige von denen, die ihn verfolgen, persönlich?“

„Ja.“

„Vielleicht hat er das Vergnügen, sie heut Abend zu sehen.

Korporal, er kann nach Hause gehen. Ich werde ihn schon finden, wenn ich ihn brauche. Jetzt, Helldorf, komme er zwischen die Büsche. Ich bin neugierig, wen er aus mir machen wird!“

Nach Verlauf einer halben Stunde hinkte eine lange, tief vornübergebeugte Gestalt dem Dorfe zu. Auf dem Kopfe saß ein Filz, der weder Form noch Farbe hatte, über das rechte Auge zog sich eine breite, schwarze Binde; ein eisgrauer Schnurrbart senkte seine müden Spitzen zu beiden Seiten des Kinnes herab; eine alte, abgeschabte Uniform bedeckte den Körper, und an den Füßen schlappten ein paar Schuhe, die man beinahe als Kähne benützen konnte.

Sich hinter das Dorf wendend, stand er eben im Begriffe, zwischen Zäunen und Feldern umzubiegen, als ihm aus derselben Richtung ein Mädchen entgegenkam, bei deren Anblicke er unwillkürlich stehen blieb.

„Gott zum Gruß, Jungfer,“ hüstelte er.

„Schönen Dank. Will er zur Kirmeß?“

„Ja.“

„Zu Verwandten?“

„Nein. Ich habe hier Niemanden; aber zu einem solchen Feste gibt wohl Jedermann einem alten armen Teufel ein Stückchen Brod.“

„Sicher. Hier hat Er etwas!“ Sie griff in die Tasche und reichte ihm einige Kupfermünzen. „Komm Er nachher zu mir; da soll Er haben, was Er nur essen kann.“

„Ja, wer ist denn die Jungfer?“

„Ich gehöre zum herrschaftlichen Hofe und bin des Amtmanns Nichte. Frage Er nur nach mir, man wird ihn schon zurechtweisen.“

Sie ging. Er blickte ihr nach, so lange er sie zu sehen vermochte.

„Himmelbataillon, das also war die Anna! Hm, wegen der ließe ich mir am Ende auch ’mal Urlaub geben von der Anneliese. Der Franke soll sie haben, so wahr ich Leopold heiße!“

Er humpelte weiter.

Hinter dem gutsherrlichen Garten angekommen, blickte er über den Zaun hinüber und gewahrte eine Reihe von Pflaumenbäumen, welche voll der größten, schönsten Früchte hingen.

„Sapperlot, sind das Zwetschgen, so reif und süß, daß sie den Boden bedecken! Die Suppe beim Franke war ganz verteufelt gesalzen und hat mir Durst gemacht. Vorwärts, hinüber; ich muß Pflaumen haben!“

Er schwang sich über den Zaun, setzte sich gleich in das thaufrische Gras und begann zu schnabuliren. Die Früchte waren wirklich so gut, wie er sie noch selten gegessen hatte; er aß und aß und merkte nicht, daß Jemand leise herbeigeschlichen kam. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter und eine zornige Stimme schnaubte ihn an:

„Was thut Er hier?“

Er wandte langsam den Kopf.

„Das sieht Er ja; ich esse.“

„Das sehe ich allerdings. Aber was ißt Er denn?“

„Hm, Zwetschgen.“

„Ja, aber meine Zwetschgen, meine!“

„Seine? Wie will Er das beweisen?“

„Beweisen? Ist Er verrückt?“

„Fällt mir gar nicht ein! Sieht Er nicht, daß ich hier aus der Tasche esse? Wer sagt Ihm denn, daß ich grad Seine Zwetschgen drin habe?“

„Was sollen es denn für welche sein?“

856.

„Mir egal!“

„Und sieht Er, jetzt langt er sich eine vom Boden auf und beißt hinein!“

„Das war blos eine Verwechslung. Ich will Ihm dafür eine andere aus meiner Tasche herlegen.“

„Aber was hat er denn hier im Garten zu suchen?“

„Hm, was sucht denn Er?“

„Ich bin der Amtmann!“

„Ach so, das gibt der Sache allerdings eine andere Wendung.“

Er erhob sich. „Ich bin ein armer Teufel und muß vorsprechen gehen; da sah ich hier die Pflaumen liegen und habe mir ein Paar davon geholt. Das wird nicht schlimm sein, denn was am Boden liegt,

866.

das gehört den Bettlern und Handwerksburschen, das ist ein alter Brauch.“

„Aber bei mir nicht. Komme Er mit herein!“

„Wozu?“

„Nur vorwärts und nicht geweigert; Er ist mein Arrestant!“

„Da muß ich allerdings gehorchen.“

Er folgte dem Amtmanne durch die Wohnstube in einen Nebenraum, wo derselbe seine Expedition zu haben schien. Dort nahm dieser einen Bogen Papier und die Feder zur Hand.

„Ich werde Ihn verhören, und Er hat mir durchaus nur die Wahrheit zu sagen!“

„Werde es thun!“

„Herr Amtmann, hat Er hinzuzufügen! Wie heißt Er?“

„Werde es später sagen.“

„Herr Amtmann, heißt es! Warum nicht jetzt?“

„Habe meine Gründe.“

„Herr Amtmann! merke Er es sich doch einmal. Wo ist Er her?“

„Aus Dessau.“

„Herr Amtmann, soll Er hinzufügen, sage ich!“

„Donnerwetter, wenn Er so genau weiß, wer und was Er ist, warum soll ich es Ihm denn dann bei jedem Worte sagen?“

„Aha, Er ist ein renitenter Kerl, der nicht gestehen will, wie Er heißt! Da wollen wir kurzen Prozeß machen, und ich kann die Schreiberei sparen. Er ist in meinen Garten gestiegen?“

„Ja.“

„Und hat von meinen Pflaumen gegessen?“

„Ja.“

„Gesteht Er zu, daß dies gestohlen ist?“

„Meinetwegen; mir Alles egal!“

„So! Also weder Reue, noch Aussicht zur Besserung! Für seinen Einbruch in meinen Garten bekommt Er vier Tage Gefängniß im Orte, und zwar sofort und auf der Stelle. Darnach wird sich finden, wer Er ist, ich werde Ihn weiterliefern.“

„Ich habe höchstens ein halbes Schock Pflaumen gegessen, ich werde sie bezahlen.“

„Ah, Er hat Geld?“

„Ja.“

„Ich habe Ihm Alles abzunehmen, was Er bei sich führt. Zeige Er her!“

„Fällt mir nicht ein! Ich gebe Ihm einen Gulden für die Pflaumen.“

„Er hat keinen Gulden!“

„Weiß er das so genau? Da schaue Er her!“

Er zog eine wohlgefüllte Börse hervor und ließ ihren Inhalt klingen.

Die Augen des Amtmannes leuchteten auf.

„Woher hat Er das viele Geld?“

„Gestohlen nicht!“

„Das muß Er erst beweisen! Ein Landstreicher trägt keine solche Summe bei sich. Ich muß Ihn als dringend verdächtig festhalten. Zahlt Er zehn Gulden für Pflaumen, Arretur und Verhör, so kann Er gehen, wohin Er will!“

„Höre Er, Er ist doch ein ganz verdammter Hallunke! Von mir erhält er keinen rothen Heller. Stecke Er mich in Gottes Namen ein!“

„Dann vorwärts! Der Büttel ist nach der Stadt; ich werde Ihn selbst einsperren; das mit den zehn Gulden war natürlich blos ein juristischer Kniff, um zu sehen, woran ich mit Ihm bin. Er wird nicht eher wieder frei, als bis Er vollständig ausgewiesen ist.“

„Hat Er denn ein Gefängniß im Orte?“

„Ein eigentliches Gefängniß nicht. Er kommt bis zu seiner Abführung in das Spritzenhaus.“

Der vermeintliche Landstreicher schritt ohne Widerstreben voran, der Amtmann folgte, mit einem riesigen Schlüssel in der Hand, den er von der Wand genommen hatte.

Der Vormittagsgottesdienst, den heut Alles besuchte, was Zeit hatte, war bereits angegangen, darum fanden sie die Straße vollständig leer und gelangten an das im unteren Theile des Dorfes gelegene Spritzenhaus, ohne daß ihnen Jemand begegnet wäre. Der Amtmann hielt seinen Arrestanten für einen schwachen Greis und ahnte nicht das Mindeste von der Gefahr, in welche er sich begeben hatte. Er steckte den Schlüssel in das Schloß und öffnete.

„Hier; trete Er ein!“

„Er ist Amtmann; Er hat den Vortritt!“ meinte der Andere. Sich hoch aufrichtend, faßte er ihn bei den Hüften und schleuderte ihn in den dunklen Raum hinein, der zur großen Hälfte von dem darin befindlichen Spritzkasten ausgefüllt wurde. Im Nu hatte er

die Thüre in das Schloß geworfen, drehte den Schlüssel zweimal herum, zog ihn ab und steckte ihn ein.

„Werde Er nicht auch renitent, Herr Amtmann!“ klang es unter lustigem Gelächter; dann schritt er davon.

Im Oberdorfe lag der Gasthof. Dorthin begab er sich.

Trotz des Gottesdienstes befanden sich einige Gäste hier, besonders Fremde, von denen das Ereigniß des heutigen Morgens eingehend besprochen wurde. Das ganze Dorf befand sich in Aufregung darüber, daß kein einziger der reicheren Bauerssöhne mit abgeführt worden war, und es wurden sogar die Summen genannt, welche der Amtmann für diese Ungerechtigkeit eingenommen hatte.

Im Laufe des Gesprächs kam Vieles zum Vorschein, was ein düsteres Licht über diesen Mann verbreitete, und als endlich erwähnt wurde, daß der Fürst benachrichtigt worden sei, sprachen Alle die Ueberzeugung aus, daß dieser ganz sicher wie ein Wetter dazwischen fahren und der Sache ein Ende machen werde. Leopold konnte so in aller Gemüthlichkeit vernehmen, wie beliebt er trotz seiner vielen Härten im Lande war.

So verging die Zeit, und der Gottesdienst war beendet. Da kam Einer und erzählte, daß der Amtmann im Spritzenhause eingeschlossen sei. Einige vorübergehende Kirchgänger hatten sein Rufen gehört und nach dem Schmiede geschickt, um das Schloß zu öffnen.

Jetzt war es Zeit für Leopold, den Ort zu verlassen. Als er das Freie erreichte, warf er den alten Hut von sich, strich sich die Farbe aus dem Barte und schritt in seiner gewöhnlichen energischen Haltung dem Walde zu, um zu den Seinigen zu gelangen.

Da kam ein Mann langsam ihm entgegen die Höhe herabgestiegen. Er kam ihm bekannt vor, und darum blickte er schärfer hin.

„Alle Teufel, der Seifensieder. Warte, dem werde ich gleich einmal nach dem Pulse fühlen!“

Er ging ihm entgegen. Der Mann erkannte auch ihn und blieb halten.

„Das ist ja der Werber von voriger Woche! Woher des Weges?“

„Hat Ihm kein Kerl begegnet, ungefähr in derselben Bekleidung wie die meine?“

„Nein. Warum?“

„Weil er mir einen ganz verteufelten Streich gespielt hat. Will ich da ins Dorf, um einen alten Bekannten zu besuchen, den ich wohl an die zehn Jahre nicht gesehen habe, und setze mich, dieweil es mir zu heiß wird, ein wenig in das Gras. Aus Unvorsichtigkeit ziehe ich auch meinen Rock aus und schlafe am Ende ein. Als ich erwache, ist mein Dreispitz weg sammt dem Rocke, und statt ihrer liegt hier dieser Gottfried dort. Der’s gethan hat, muß ein Bettler oder Vagabund gewesen sein. Ins Dorf hinein ist er jedenfalls nicht; darum bin ich heraus, um seine Spur zu finden.“

„Es ist mir Niemand dergleichen begegnet. Aber da wir uns so zufälliger Weise begegnen, so könnte Er mir wohl sagen, ob Er vielleicht etwas von dem Hellbach gemerkt hat.“

„Hm!“

„Ja?“

„Hm!“

„So rede Er doch!“

„Und derweile geht mir mein Spitzbube verloren! Adieu!“

Er that, als ob er fort wolle; der Andere aber ergriff ihn am Arme.

„So bleibe Er doch! Sein Rock wird wohl noch zu ersetzen sein!“

„Wer soll ihn mir ersetzen? Doch, wohl Er nicht?“

„Warum nicht? Wenn Er mir gute Botschaft gibt, kommt es mir auf zehn Gulden nicht an.“

„Hat Er das Geld bei sich?“

„Ja.“

„Dann her mit den zehn Gulden!“

„Erst Sein Bericht!“

„Und dann kein Geld; das kennen wir! Adieu!“

„Halt! Hat Er ihn gesehen?“

„Erst das Geld!“

„Hier ist es. Aber nun will ich auch etwas hören!“

Der Fürst steckte die zehn Gulden schmunzelnd ein.

„Ich habe ihn gesehen.“

„Ists wahr?“

„Ja.“

„Und gesprochen?“

„Hm!“

„Na, heraus damit!“

„Hm!“

„Was will Er denn mit Seinem Hm?“

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„Daß ich ihn gesehen habe, macht zehn Gulden. Mehr Werth noch hätte es für Ihn, wenn ich ihn sogar gesprochen hätte?“

„Er ist ein Gauner und Erzschelm!“

„Kostet nun erst recht zehn Gulden, und wenn Er fortschimpft, macht es gar zwanzig!“

„Hier sind noch zehn. Nun ists aber ab!“

„Ich habe mit ihm gesprochen, und zwar öfters.“

„Was denn?“

„Ja, nun ists aber ab!“

„Ich soll doch nicht etwa noch zehn Gulden zahlen, um zu erfahren, was Er mit ihm geredet hat?“

„Das überlasse ich Ihm!“

„Er ist wirklich ein Spitzbube!“

„Soll ich Ihm sagen, für was ich Ihn halte?“

„Gut, Er soll Seinen Willen haben. Hier sind noch zehn Gulden; aber weiter bekommt Er auf keinen Fall etwas! Also, was hat Er mit ihm gesprochen? Was hat Ihm der Hellbach mitgetheilt?“

„Alles! Reinweg Alles!“

„Weiter!“

„Ja, weiter sage ich auf keinen Fall etwas!“

Es machte Leopold innerlich Spaß, den Mann gegen so gute Bezahlung förmlich auf die Folter zu spannen; dieser hingegen konnte nur mit Mühe seinen Aerger und die Begierde, etwas zu erfahren, verbergen.

„Er ist ein schlechter Mensch, ein Galgenstrick, den — — —“

„Schön; ich kann gehen; dann mag Er sehen, von wem Er etwas erfährt. Der Hellbach ist nur heut noch zu haben, und zwar auf die leichteste Weise, die es nur geben kann.“

„Ist das wahr?“

„Ich will zehntausend Jahre in der Hölle braten, wenn ich es nicht fertig bringe, ihn Euch heut noch zu verschaffen!“

„Jetzt glaube ich Euch! Ihr seid unser Mann! Ihr verdient Euch gern etwas und werdet ein gutes Geschäft machen. Der Hellbach muß verschwinden, versteht Er? Verschwinden auf immer und spurlos. Was will Er haben, wenn Er ihn uns heut bringt?“

„Was gibt Er?“

„Hundert Gulden!“

„Papperlapapp!“

„Ist das zu wenig?“

„Wie viel erbt die jüngere Linie oder Sein Orden, wenn er verschwindet?“

„Wer hat Ihm das gesagt?“

„Da sieht Er wenigstens, daß ich den Hellbach im Sacke und nach Allem ausgeforscht habe!“

„Ich gebe zweihundert.“

„Dafür bekommt Er wohl seinen Rock oder seine Stiefel, nicht aber seine Person. Die ist Millionen werth.“

„Er ist wirklich ein ganz hartgesottener Sünder!“

„Dankt Gott, daß ich das bin, denn sonst könntet Ihr kein Geschäft mit mir machen! Uebrigens brauche ich diese Reden nicht zu leiden. Lebe Er wohl!“

„Halt! Sage Er mir kurz und bündig, wie viel Er haben will!“

„Tausend Gulden. Jetzt die Hälfte und heut Abend die Hälfte, wenn ich ihn bringe.“

„Das geht nicht!“

„Warum nicht?“

„Es ist zu viel!“

„So sind wir fertig. Adieu!“

„Auch habe ich das Geld nicht bei mir.“

„So hole er es sich.“

„Ja, wo denn?“

„Das ist Seine Sache. Ich warte grad eine halbe Stunde.“

„Sechshundert gebe ich.“

„Tausend!“

„Siebenhundert.“

„Tausend!“

„Achthundert.“

„Tausend! Komme Er mir nicht noch mit neunhundert, sonst ist’s ab!“

„Er geht also nicht herunter?“

„Keinen Heller!“

„Er ist ein Filz; doch soll Er das Geld haben! Ich kann Ihn gleich bezahlen; da sieht Er, daß Er um die andere Hälfte nicht besorgt zu sein braucht!“

„Werde sie mir schon holen!“ lachte der Fürst, grimmig vergnügt.

„Hier hat Er! Sehe Er nach; es sind zehn Fünfzigguldenscheine!“

„Danke!“

„Nun hält Er aber auch Wort!“

„Der Teufel soll mich holen, wenn ich Euch den Hellbach nicht bringe!“

„Schön! Aber Er weiß ja noch gar nicht wohin!“

„Werde es wohl erfahren!“

„Kennt Er das Dorf hier?“

„Leidlich.“

„Es liegt ein herrschaftliches Gut darin.“

„Habe davon gehört.“

„Dorthin soll — — —“

„Halt, das ist mir zu gefährlich.“

„Warum?“

„Was Ihr vorhabt und was in dem Gute geschehen soll, brauche ich nicht zu wissen; aber ich will nicht dort gesehen sein, damit man mich nicht mit Euren Angelegenheiten in Verbindung bringt.“

Diesen Einwand hielt Leopold nöthig, um kein Mißtrauen zu erwecken.

„Wo soll ich ihn denn bekommen?“

„Punkt acht Uhr hier an diesem Orte.“

„Wird er auch mit mir gehen?“

„Sicher; Er ist ein guter Freund von mir, der ihm zur Flucht behülflich sein will.“

„Das geht.“

„Aber bringe Er die andern Fünfhundert mit.“

„Habe Er keine Bange; aber denke Er auch nicht, mich zu betrügen; ich kenne nämlich den Hellbach sehr genau.“

„Wenn ich spiele, so ist mein Spiel stets ein ehrliches. Abgemacht. Und säume Er nicht, denn ich bin nicht gewohnt, zu warten!“

Sie gingen aus einander. —

Am Nachmittage strich der Korporal einmal längs des herrschaftlichen Gartens hin. Anna hatte bereits von seiner Unwesenheit gehört, und da sie sich früher bei ähnlichen Veranlassungen im Garten gesehen hatten, so war sie herausgegangen, um ihn vielleicht zu treffen. Er erblickte sie und sprang zu ihr herüber.

„Anna, meine liebe, liebe Anna!“

„Komm hinter den Hollunder, damit uns Niemand sieht!“

Aber den ersten Kuß erhielt er doch noch vor dem Hollunder. Hinter demselben angekommen nahm sie der Korporal in seine Arme und frug:

„Kommst Du heut zum Tanz?“

„Am Nachmittage nicht, sondern nur zum Abend.“

„Warum?“

„Ich habe für den Abend viel vorzubereiten, denn wir bekommen das Gartenhaus voll Gäste.“

„Ah! Mußt Du da nicht bedienen?“

„Nein.“

„Das übernimmt wohl Dein Oheim?“

„Auch nicht. Ich weiß nicht, was es für Leute sind; aber er hat mir große Heimlichkeit anbefohlen. Es muß etwas Ungutes dabei sein, denn er überläßt sie sich selbst und geht mit unsern übrigen Gästen nach dem Saale. Erst später will er zu ihnen, wenn Alles schläft.“

„Darf ich dann mit Dir tanzen, wenn der Oheim dabei ist?“

„Thue es immer. Ich lasse mich nicht zwingen.“

„So will ich jetzt wieder gehen, da Du so nothwendig hast.“

„Ja, geh! Der Oheim hat so schlimme Laune, weil er heut von einem Strolche eingesperrt worden ist. Ich glaube, ich bin demselben auch begegnet; er sah gar nicht so bös aus, und doch hat er nach seiner Flucht einen Hut und einen Rock gestohlen, wie der Oheim erfahren hat.“

Der Korporal sprang wieder über den Zaun und schritt dem Walde zu; er hielt es für nohwendig, dem Fürsten zu melden, daß der Amtmann auf dem Saale zu treffen sein wer­de. —

Es war bereits dunkel, als es vom Thurme die achte Stunde schlug, und Niemand konnte die beiden Männer sehen, welche vom Walde her dem Dorfe zuschritten.

„Getraut Er sich also wirklich, allein mit dem Kerl zu gehen?“ frug der Fürst.

„Warum nicht, Durchlaucht?“ antwortete Hellbach. „Ich kann mich auf mich verlassen und weiß doch auch Ew. Hoheit in der Nähe.“

„Werde Ihn auch nicht massakriren lassen!“

Als sie die Stelle erreichten, wo Leopold die Unterredung mit dem angeblichen Seifensieder gehabt hatte, fanden sie denselben bereits ihrer harrend.

„Da ist Er ja. Sehe Er sich diesen Herrn einmal näher an!“

Trotz der Dunkelheit erkannte der Seifensieder den Gesuchten,

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doch dieser auch ihn, freilich ohne es sich merken zu lassen.

„Der Herr Lieutenant von Hellbach!“

Jetzt nahm dieser das Wort.

„Er kennt meine Verhältnisse?“

„Ja.“

„Dieser Mann hier, der sich bisher freundlich meiner angenommen hat, hat Ihn als Führer empfohlen. Er wird von meinen Absichten unterrichtet sein und wir können also die Worte sparen. Vorwärts und adieu!“

Er reichte dem Fürsten die Hand.

„Adieu und viel Glück!“

Leopold hielt bereits die zweiten fünfhundert Gulden, welche ihm der Seifensieder zugesteckt hatte, zwischen den Fingern.

„Kein übles Geschäft! Soll mich verlangen, ob die Schufte noch mehr solches Papier haben. Kann es gut gebrauchen!“

Er wartete, bis die Schritte der Beiden verklungen waren und folgte ihnen dann vorsichtig. Als er nach einigen Minuten in den gutsherrlichen Garten kam, fand er das Gartenhäuschen bereits von seinen Soldaten besetzt. Die Thür war von innen verschlossen doch vernahm er deutlich die Stimme Hellbachs, obgleich er die einzelnen Worte nicht verstehen konnte. Er befahl zwei Mann herbei, um auf seinen Befehl den Eingang mit dem Kolben zu erzwingen.

Die Verhandlung dauerte über eine Viertelstunde; da erscholl drin ein vielstimmiger Schrei und gleich darauf von Hellbachs Stimme der donnernde Ruf:

„Herein!“

„Auf mit der Bude!“ befahl der Fürst.

Zwei Kolbenstöße genügten, die leicht gearbeitete Thür zu sprengen. Leopold trat ein.

Der Raum war hell erleuchtet; die geschlossenen Läden ließen das Licht nicht nach Außen dringen. An mehreren Tischen hatten achtzehn Männer gesessen, die unter einer Ueberraschung aufgesprungen zu sein schienen und ihre Augen jetzt auf den Eintretenden richteten. Hellbach hatte in einer Ecke Schutz gesucht und hielt in der Linken einen Pack Papiere, während seine Rechte den Griff eines Messers umschloß.

„Keine Furcht, Ihr Brüder in domine,“ rief der Seifensieder. „Dieser Mann ist der Werber, der ihn mir ausgeliefert hat.“ Und sich auf Hellbach werfend, gebot er: „Also her mit den Dokumenten!“

„Halt!“ donnerte da der Fürst. „Will Er Hallunke wohl Seine Hand von diesem Manne lassen? Habe ich Ihm nicht im „wilden Manne“ gesagt, daß Er sich eine Lauge einrühren werde, in der Er sich die Finger verbrennt? Hellbach, sage Er diesen Schurken, wer ich bin!“

„Durchlaucht, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau!“

Sämmtliche Anwesenden erbleichten. Keiner wagte, ein Wort zu sagen.

„Was hat Er da für Papiere?“

„Jedenfalls die Beweise meiner Legitimität. Sie glaubten mich in der Falle und hatten den Hohn, sie mir zu zeigen. Dieses Gartenhaus scheint der Hauptversammlungsort der frommen Brüder zu sein, und dort der Schrank enthält das Archiv. Dieser Meister Seifensieder wurde Pater Provinzial genannt.“

„Ah, ich werde ihn bepatern, daß ihm sämmtliche Provinzen des deutschen Reichs blau auf den Rücken laufen!“

Er wandte sich zurück.

„Herein mit Euch!“

Im Nu füllte sich der noch freie Raum mit den Soldaten.

„Korporal Fritsche, die Stricke her! Jungens, bindet mir diese achtzehn Schufte, aber fest, und wenn die Haut platzt.“

„Durchlaucht, ich muß gegen ein solches Verfahren apelliren!“ meinte jetzt der angebliche Seifensieder. „Wir sind nicht Unterthanen Ew. Hoheit, son­dern — — —“

„Rrrruhe, Er Hallunk! Fritsche, wenn dieser Kerl oder ein Anderer noch einmal wagt, das Maul aufzuthun, so stößt Er es ihm mit dem Kolben zu! Ich wollte solchem Ungeziefer auch rathen, sich meine Unterthanen zu nennen! Lieutenant von Hellbach, wessen klagt Er sie an?“

„Der Fälschung und des Mordversuchs. In fünf Minuten hätte ich nicht mehr gelebt!“

„Schön, schön, ausgezeichnet! Das liefert sie mir an das Messer, denn dieser Versuch wurde innerhalb meines Landes gemacht, und ich bin ja selber Zeuge. Wurde auch gut bezahlt dafür. Die Brüder in domine haben sich doch einmal verrechnet und werden hängen Alle mit einander. Werde die Sache genau untersuchen. Ihr bleibt da, Jungens, bis ich wiederkomme. Vorwärts, Hellbach; wir haben noch ein Nest auszuneh­men!“ —

Unterdessen ging es im Saale des Wirthshauses recht lebhaft zu.

Das Jungvolk drehte sich wacker im Kreise, und die Alten saßen im Nebenzimmer beim Biere, um zu politisiren und ganz besonders die Ereignisse des heutigen Tages zu besprechen.

Der Amtmann, welcher sich mit seinen Kirchweihgästen unter ihnen befand, war sehr kleinlaut. Er mußte auf manchem Gesichte eine schwere Anklage wegen seiner ungerechten Rekrutenaushebung lesen, und noch mehr als dies ärgerte ihn die Blamage, welche ihm heut der Bettler zugezogen hatte. Er suchte nach einem Gegenstande, an welchem er seinen Grimm auslassen könnte. Da fiel sein Blick durch die geöffnete Thür in den Saal, und sofort erhob er sich. Er hatte den Korporal Franke gesehen, welcher mit Anna tanzte. Auf das Paar zueilend faßte er seine Nichte und riß sie aus den Armen ihres Tänzers.

„Hast Du vergessen, was ich Dir befohlen habe? Fort nach Hause!“

Sofort schwieg die Musik, und die drehenden Paare standen still. Franke ergriff Anna von Neuem.

„Was fällt Ihm ein, Amtmann, mir meine Tänzerin zu nehmen! So lange ich mit ihr tanze, geht sie Ihm nichts an. Er wäre mir der Rechte, einen wohlgedienten Korporal seiner fürstlichen Durchlaucht öffentlich zu beschimpfen!“

„Ich werde Ihm beweisen, daß ich doch der Rechte bin, Er Grünschnabel! Ich werde ihm — — —“

Er hielt mitten in der Rede inne. Sein Blick war zufälliger Weise auf den Eingang gefallen und hatte dort den Bettler von heute morgen bemerkt. Dieser lehnte sich behaglich an den Pfeiler, ganz unbekümmert darum, daß sich der Dorfbüttel ganz in seiner Nähe befand.

„Halt, heda! Wer ist denn das?“ frug der Amtmann ganz erstaunt darüber, daß der Mensch es wagte, hier zu erscheinen. „Das ist der Kerl, der mir heut entflohen ist, der Spitzbube, der Pflaumendieb! Polizei, bringe ihn doch einmal her!“

„Diesen da?“ frug der Büttel auf den Fürsten deutend.

„Ja.“

„Dann vorwärts, Alter!“

Leopold ließ sich willig bis in die Mitte des Saales führen, wo der Amtmann stand.

„Wie kann Er es wagen, wiederzukommen, nachdem Er heut solche Schlechtigkeit verübt hat? Ich werde Ihm Seine Strafe verdoppeln. Er ist mir in den Garten gebrochen, hat mir die Pflaumen gestohlen, sich gar an mir vergriffen und ist dann entflohen. Auch den Schlüssel zum Gefängnisse hat Er gestohlen; ich werde Ihm vier Wochen diktiren!“

„Herr Amtmann, ich bin kein Dieb,“ meinte Leopold kleinlaut.

„Nicht? Er gesteht nicht ein; das macht die Sache schlimmer!“

„Ich habe die Pflaumen von ihm zu bekommen!“

„Er? Von mir? Er hat wohl ein Rad zu viel im Kopfe?“

„Hat Er mir außer dem Pachte nicht jährlich einen halben Scheffel von jeder Obstsorte zu liefern? Die paar Pflaumen habe ich mir auf Abschlag genommen.“

Immer noch klang seine Stimme kleinlaut und demüthig. Der Amtmann blickte ihn erstaunt an.

„Er hält sich wohl gar für den Fürsten, he?“

„Nein,“ donnerte da der Gefragte, indem er sich hoch aufrichtete und den alten Rock öffnete, unter welchem eine besternte Uniform sichtbar wurde; „ich halte mich nicht für ihn, sondern ich bin es wirklich, Er Erzschelm und Hallunke!“

Die Ueberraschung der Anwesenden und der Schreck des Amtmannes war unbeschreiblich. Leopold achtete gar nicht darauf, sondern fuhr fort:

„Er wollte mich heut zwingen, Ihn „Herr Amtmann“ zu tituliren. Schön, es soll geschehen! Ich habe meine ausgemergelten Felder gesehen; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Im Walde steht kein gescheidter Baum mehr; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Ich habe die Schwarzkittel in Seinem Gartenhause arretirt; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Ich werde seine Amtsführung und die Gemeinderechnungen prüfen; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmannn! Er steckt die Armen ins Militär und läßt die Reichen frei; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Gefreiter Lange!“

Auf diesen Ruf marschirte der Genannte, hinter ihm seine Leute, zur Thür herein. Sie hatten still auf der Treppe und im Hause gestanden.

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

„Dieser Mensch ist Sein Gefangener. Stecke Er ihn in das Spritzen­haus — hier ist der Schlüssel da­zu — und stelle Er zwei Posten davor! Ab, vorwärts marsch!“

Der Amtmann war so niedergeschmettert, daß er keinen Laut von sich gab. Er sah sich verloren und wankte mit niedergesenktem -

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niedergesenktem Haupte zur Thür hinaus, welche die Soldaten hinter ihm streng besetzten.

„Korporal Franke!“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

„Er sieht, ich brauche einen neuen Amtmann! Will Er es sein?“

„Durchlaucht, ich weiß nicht, ob — — —“

„Maul halten! Er ist ein tüchtiger Kerl, und wo Er nicht durchkommt, wird Ihm Sein Vater mit Rath und That beistehen, abgemacht, basta! Hole Er mir einmal Seine Frau Amtmännin her!“

Der von diesem ungewohnten Glücke beinahe verblüffte Korporal brachte die erröthende Anna herbei.

„Will Sie ihn nehmen, Sie Blitzhexe, he?“

„Ja!“ antwortete sie beherzt.

„Korporal, so gebe Er ihr auf der Stelle einen Schmatz! Eins, zwei, drei! So wars gut! Ich werde heut bei Seinem Vater bleiben, da können wir das Nöthige besprechen, vor der Hand aber lade ich mich zur Hochzeit ein; versteht Er mich? Ich bin Sein Pathe, und wenn ich so für Ihn sorge, darf Er mich nicht übergehen!“

Jetzt drehte er sich nach der Thür um.

„Herein mit den Rekruten!“

Die heut gepreßten Bursche traten ein.

„Ihr seid frei. Geht zu Euren Mädels!“

Unter beifälligem Jubel der ganzen Versammlung hatten sie sich im Nu zerstreut. Jetzt zog der Fürst den Zettel hervor, auf welchen Feldwebel Franke in Dessau seine Notizen gemacht hatte.

„Aufgepaßt! Die ich jetzt vorlese, haben vorzutreten!“

Alle Einundzwanzig waren anwesend und standen bald vor ihm.

„So! Also das sind die Himmelhunde, für welche die Söhne armer Leute büßen sollten? Euch soll ein hageldickes Donnerwetter reiten! Ich will Euch heut den Spaß nicht verderben; aber nächsten Sonnabend habt Ihr Euch in Halle zu melden, verstanden? Und wenn mir Einer fehlt, so stecke ich seinen Alten in die Montour oder den ersten besten männlichen Verwandten, der mir in die Hände kommt. Das thue ich, so wahr ich Leopold heiße! Jetzt aber, Kinder, macht wieder Musik und singt mir einmal dazu unsers Herrgotts Dragonermarsch!“

Dieser Befehl wurde mit unendlichem Beifalle entgegengenommen; die Musikanten setzten die Instrumente an, und nun erscholl ein brausendes „So leben wir, so leben wir,“ allen voran die Stimme des Fürsten, der dann, gefolgt von Franke, Anna und den Soldaten, nach dem Takte der Melodie zur Thür hinausmarschirte.