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17011.

Fürst und Reitknecht.

Eine Erzählung von Karl May.

I.Bei „Mutter Röse.“

Obgleich es noch früh am Tage war, ging es auf den Gassen, Straßen und Plätzen der guten Haupt- und Residenzstadt Dessau doch schon lebhaft zu. Es war heut ja Wochenmarkt, an welchem die Bewohner der Umgegend herbeiströmten, entweder um die Producte ihres Gewerbefleißes in Angebot zu bringen oder Dasjenige einzukaufen, was zur

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Befriedigung ihrer wirthschaftlichen, häuslichen und persönlichen Bedürfnisse nothwendig war. — Durch die Alt-, Neu- und Vorstadt auf dem Sande bewegten sich die Wagen, Karren und Fußgänger der von dem Fürsten Leopold erst neu angelegten Kavalierstraße zu, welche noch heut mit ihren Rasenplätzen und dem unvergleichlichen Blick auf die Johanneskirche eine der größten Zierden der Stadt ist. Dorthin zog es die Neugierigen, und gruppenweise standen sie vor den Ladenfenstern oder wagten sich scheu und einzeln in eins der „grausam vornehmen“ Gasthäuser, wo es zu sehen, zu hören, zu essen und zu trinken gab, was noch keinem der biederen Landbewohner vorgekommen war.

Die meisten von ihnen aber kehrten doch schließlich nach dem engen, an der Mulde gelegenen Stadttheile zurück, in welchem „Mutter Röse“, die dickste und zugleich beste Wirthin des ganzen Anhalt’schen Landes residirte, die es außerordentlich gut verstand, ihre Gäste gegen die beiden Erbübel der Menschheit, den Hunger und den Durst, in nachdrücklichen Schutz zu nehmen.

Wie ein Königin thronte sie zwischen zahllosen Flaschen, Gläsern und Krügen hinter dem langen, massiven Schenktische, hatte für Jeden einen freundlichen Gruß, ein vertrauliches Kopfnicken oder wohl gar einen kräftigen Händedruck und ließ wie eine Sonne die Strahlen ihres vollen und stets lächelnden Gesichtes bis in die entfernteste Ecke fallen. Nirgends war das Bier so frisch und erquickend, nirgends der Braten so saftig und nirgends die Bedienung so aufmerksam wie bei „Mutter Röse“, und wem es gar widerfuhr, von ihr selbst bedient zu werden, der konnte sich diesen Vorzug für eine wirkliche Ehre anrechnen und wurde darüber von den Andern groß angesehen. Aber ebenso kräftig und entschieden konnte sie auch gegen den auftreten, welcher es wagte, sie aus ihrem Gleichgewichte zu bringen, und gar mancher Gast schon hatte ein solches Beginnen mit einem blitzesschnellen „An die Luft setzen“ büßen müssen.

Auch jetzt hatte sie sich mühsam zwischen den vielen anwesenden Marktgästen hindurchgedrängt, um an dem hintern Tische einen der erwähnten Bevorzugten mit ihrer Aufmerksamkeit zu beglücken, als ein Mann eintrat, welcher sich tief bücken mußte, um seinem Kopfe eine unliebsame Berührung mit den Querbalken zu ersparen. Obgleich er die Sechzig längst zurückgelegt haben mußte, trug er sich doch so stramm und kräftig, als stehe er noch zwischen Zwanzig und Dreißig, und das dunkle, scharfe Auge hatte in jugendlicher Lebhaftigkeit das Zimmer mit einem einzigen kurzen Blick überflogen.

Er schritt zu dem allein noch leerstehenden Tische, ließ sich auf den lautkrachenden Stuhl fallen, zog die bestaubten Gamaschen in die Höhe, warf den Dreispitz von dem zierlich bezopften Kopfe und wartete nun augenscheinlich auf irgend einen dienstbaren Geist, um sich mit dessen Hilfe von einem der oben genannten Erbübel zu befreien.

Zufälliger Weise aber war sein Kommen nicht bemerkt worden, und so zupfte er zunächst etliche Male ungeduldig an dem blauen Leinwandsacke herum, welcher seinen breitschultrigen Oberkörper bedeckte, wirbelte sodann mit unmuthiger Miene die beiden Spitzen seines Schnurrwichses um die Zeigefinger, und als auch diese Manipulation erfolglos blieb, erhob er endlich den dicken Knotenstock, welcher mittelst eines Lederriemens an seinem Handgelenke hing, und ließ ihn lautdröhnend auf die eichene Platte des Tisches fallen.

„Heda, alte Klatschmaschine, mach’, daß Du bald vorkommst, sonst werde ich Dir Beine machen!“

Auf diese mit lauter und kräftiger Baßstimme hervorgedonnerten Worte trat über das ganze Zimmer hinweg augenblicklich eine tiefe Stille ein, und Aller Augen wandten sich nach dem Manne, welcher es wagte, die zwar gute, aber sehr streng auf ihre Reputation haltende Wirthin in dieser Weise zu insultiren. Jedermann war überzeugt, daß der Sprecher in wenig Sekunden draußen vor der Thür stehen werde, zumal Mutter Röse, schnell herumfahrend, die beiden Hände in die Hüften stemmte, was bei ihrer Korpulenz allerdings ein gewagtes und höchst schwieriges Unternehmen war, und mit vor Zorn hochrothem Gesichte über die Häupter der Sitzenden hinweg rief:

„Wer ist denn der unverschämte Kerl, he, der da vorn so dicke thut? Wart ’mal, Bürschchen, wir werden gleich sehen, wer von uns Beiden dem Andern Beine macht!“ Und sich nach dem Schenktisch wendend, wo eben ein vierschrötiger Hausknecht ein Faß auf die Stellage hob, setzte sie befehlend hinzu: „Christian, nimm ihn doch ’mal bei der Perrücke und zeige ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!“

„Laß Dich nicht auslachen, alte Bierliese, und halte den Schnabel. Ihr wärt mir die Rechten von wegen dem Zimmermannsloche!“

Das war der Wirthin doch zu stark, zumal nun auch der Aerger über den Hausknecht dazu kam, denn dieser machte nicht die geringste

Miene, dem Befehle seiner Herrin Folge zu leisten, sondern lehnte in höchster Verlegenheit an der Küchenthür. Mit raschen Schritten wand sie sich zwischen den Gästen hindurch, um den Fremden, den sie der Entfernung wegen noch gar nicht hatte sehen können, in Augenschein zu nehmen.

„Was wären wir? Die Rechten? Ja, das sind wir auch, und das will ich Ihm sofort beweisen, Er Grobian! Glaubt Er denn, daß man eine ehrsame und tugendhafte Wittwe — — Herrjeh!“ unterbrach sie sich, die dicken Hände in höchstem Schrecke zusammenschlagend, als sie jetzt in das sich ihr zuwendende Gesicht des Ausgescholtenen blickte, „wer denkt denn so Etwas! Bitte hunderttausend Mal um Verzeihung, Durchl — —“

„Will Sie wohl endlich ruhig sein und mir einen Krug Zerbster bringen und was dazu gehört!“ unterbrach er sie schnell. „Oder glaubt Sie etwa gar, daß ich hereingekommen bin, nur um Ihre schönen Redensarten anzuhören?“

„Ja, freilich, einen Krug Zerbster,“ wiederholte sie eilfertig. „und was dazu gehört, gleich, gleich sollen Durchl — —“

„Ich frage Sie nur,“ fiel er ihr wieder rasch und diesmal mit dem Fuße stampfend in die Rede, „ob Sie schweigen will. Wenn Sie noch ein einziges Mal dieses Wort ausspricht, so mag Sie Ihren Zerbster selbst hinunterspülen!“

„Ja ja, schön, schön, ich wollte nur sagen, daß ich Ew. Durchl — —“

Das Wort blieb ihr bei dem fürchterlichen Blicke, welcher sie traf, im Munde stecken; sprachlos vor Verlegenheit über ihre dreimalige Indiskretion eilte sie nach dem Schenktisch, brachte den vollen Thonkrug herbei, stellte ihn auf den höchsteigenhändig mit ihrer weißen Schürze abgewischten Tisch, und bald lag neben dem Trunke auch ein mächtiges, hausbackenes Roggenbrod, ein Stück gelber Butter und ein großer, appetitlicher Landkäse.

Der Gast leerte den Krug auf einen Zug und gab ihn der Wirthin zum Füllen zurück. Sodann griff er zum Messer und beschäftigte sich sehr eifrig und erfolgreich mit dem Imbiß, während die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und sich nicht genug über das eigenthümliche Vorkommniß wundern konnten, bis ein Name leise von Stuhl zu Stuhl, von Tisch zu Tisch geflüstert wurde und die Fremden dann mit halb scheuen, halb ehrfurchtsvollen Blicken die hohe Gestalt des Essenden musterten.

Dieser bekümmerte sich nicht im Geringsten um die Andern und war so sehr in seine Arbeit vertieft, daß er den Eintritt eines neuen Gastes gar nicht bemerkte, welcher, ihn erblickend, ein Zeichen der Ueberraschung nicht unterdrücken konnte, dann aber wie in Folge eines raschen Entschlusses auf ihn zuschritt und nach einem Stuhle griff.

„Ist der Stuhl erlaubt?“ fragte er kurz.

„Warum nicht?“ antwortete mit einem tiefen Brummen der Kauende. „Ich habe ihn nicht gemiethet!“

Der also Berichtete setzte sich und meinte:

„Wünsch’ guten Appetit!“

„Danke,“ brummte es wieder; „aber lasse Er mich jetzt ungeschoren! Ich habe mehr zu thun, als mir seine Höflichkeiten gefallen zu lassen.“

„Ist mir auch recht!“ klang die Antwort unter einem belustigten Lächeln des Sprechenden. „Heda, Mutter Röse, habt Ihr nicht noch ein Messer bei der Hand? Der Mann da wird die ganze Portion wohl nicht für sich allein brauchen!“

Jetzt erst blickte der Essende auf und überflog mit einem erstaunten Blicke seinen Gegenüber. Das Resultat mußte ein zufriedenstellendes sein, denn als die Wirthin antwortete: „Ich habe schon noch das Nöthige für Ihn übrig,“ entgegnete er in befehlendem Tone:

„Mache Sie keine Faxen und lasse Sie ihn immer hier mit zugreifen!“

Mit einem raschen Griffe schwang er dem jungen Manne das schwere Brod hinüber, schob ihm Butter und Käse zu und nahm dann die unterbrochene Beschäftigung mit erneutem Nachdrucke auf. Der Andere griff ebenso fleißig zu, und als die beiden Hungrigen endlich ihre Arbeit beendigten, war außer einem bescheidenen Brodreste nichts Genießbares mehr auf dem Tische zu bemerken.

Die leeren Krüge wurden wieder gefüllt, und sich mit einem behaglichen Laute die Magengegend streichend, begann der zuerst Angekommene:

„So, das wäre abgemacht, und nun kann man auch wieder sprechen. Er schlägt keine schlechte Klinge!“

„Hm, so was lernt sich schon, und der Käse war gut!“

„Meint Er? Ja bei der Mutter Röse weiß man, was man bekommt. Er ist wohl kein Dessauer Kind?“

„Nein.“

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„So ist Er wohl in Geschäften hier?“

„Ja und nein, je nachdem man’s nimmt.“

„Ja und nein, so sprecht doch deutlicher, wie es einem vernünftigen Menschen zukommt!“

„Warum?“

„Warum, fragt Er noch? Na, zum Tausendsapperlot, wenn wir nicht hier sitzen und Maulaffen feil halten wollen, so müssen wir doch Etwas reden. Und auf eine gutgemeinte Frage gehört doch wohl eine ehrliche Antwort!“

„Da habt Ihr wohl recht; nur weiß ich nicht, was es Euch und mir nützen soll, wenn wir über meine Angelegenheiten verhandeln!“

„Mir wird’s freilich nicht viel nützen, aber für Euch kann’s vielleicht gut sein. Ich bin hier bekannt, und wenn es auch weiter gar nichts wäre, so kann doch wenigstens ein guter Rath nie Schaden bringen.“

„Ihr sprecht wahrhaftig grad’ wie ein Buch; aber wahr ist’s trotzdem, was Ihr sagt. So sollt Ihr denn meinetwegen wissen, daß ich mir hier eine Stelle suchen will.“

„Eine Stelle? Was denn für eine?“

„Beim Alten!“

„Beim Alten? Bei was denn für einem Alten, he, wenn’s gefällig ist?“

„Nu, beim Fürsten.“

„Beim Fürsten? Bei dem wollt Ihr eine Stelle haben und nennt ihn doch den Alten?“ fuhr er zornig auf. „Da schlag doch ein Himmelmillionenschock — na, ich sehe da gar nicht ein, warum ich mich über Seine Malicen ärgern soll. Seine Stelle kann mir ja ganz gleichgültig sein!“

„Ich habe Nichts dagegen, aber wer neugierig ist, muß auch die Antworten nehmen, wie sie kommen.“

„Hört ’mal, Ihr seid ein verteufelt aufrichtiger Kerl, und ich glaube, das Flunkern habt Ihr nicht gelernt!“

„Das will ich wohl zugeben. Man kommt mit der Ehrlichkeit immer noch weiter als mit der Flunkerei.“

„So? Da habt Ihr es wohl schon weit gebracht?“

„O ja, bis zum Reitknechte.“

„Alle Wetter, das ist allerdings weit; so wohl ist mirs noch nicht geworden! Und da will Er wohl auch in diesem Fache Beschäftigung beim Fürsten haben, den Er den „Alten“ nennt, he? Na, ich wollte Ihn dafür kurranzen, wenn ich der „Alte“ wäre!“

„Errathen!“ antwortete der Stellesuchende lächelnd über das „Er“, mit welchem er an Stelle des „Ihr“ betitelt wurde, seit er von sich als Reitknecht gesprochen hatte. „Aber aus dem Kurranzen würde wohl nichts werden.“

„So! Warum denn nicht?“

„Weil Ihr es bleiben lassen würdet. Wenigstens seht Ihr grad’ wie ein verständiger Mann aus, und ein brauchbarer Diener hat auch seinen Werth.“

„Ei, der Kukuk, sehe ich wirklich wie ein verständiger Mensch aus?“ rief der Alte lachend, daß ihm die Thränen in die Augen traten. „Na, das wollte ich Ihm auch gerathen haben. Was Er aber da von dem Diener schwatzt, das klingt recht nach Einbildung.“

„Da irrt Ihr Euch gerade. Ein Mann soll nicht mehr, aber auch nicht weniger von sich halten, als er darf!“

„Jetzt spricht ja Er wie ein Buch. Kann Er denn wirklich ein Pferd reiten?“

„Ein Pferd? Hm! Sprecht lieber, jedes Pferd!“

„Jedes? Höre Er ’mal, dazu gehört mehr als Brod essen! Der „Alte“ zum Beispiel, wie Ihr den Fürsten nennt, hat einen Rapphengst, der noch Niemanden im Sattel gelitten hat. Das ist eine Bestie, wie es in der ganzen Welt weiter keine giebt!“

„Wer, der Alte oder der Rapphengst?“

„Mohrenelement, wie meint Er das? Er Himmelhund will doch nicht etwa seinen Narren aus mir machen. Das sollte Ihm ganz außerordentlich schlecht bekommen!“

„Halt, guter Freund, was Ihr da sagt, das fällt mir ja gar nicht ein. Ich habe Euch nur nicht recht verstanden und meinte gar, Ihr wolltet den Fürsten verschimpfiren. Aber da hättet Ihrs mit mir zu thun bekommen, denn der ist ein Kerl, welcher mehr wiegt, als fünfmalhunderttausend von der Sorte, wie Ihr seid. Ich habe einen heidenmäßigen Respekt vor ihm, und wer ihn schlecht machen will oder gar eine Bestie nennen, wie mir es vorhin schien, dem schlage ich das Lästermaul so breit, daß man darauf sechsspännig herumfahren kann!“

„So, so!“ schmunzelte es wohlgefällig um den schwarzen Schnurrwichs. „Er macht mir da ein schönes Kompliment mit den Fünfmalhunderttausend!“

„Na, ist’s etwa anders? Ich habe Euch noch nicht gefragt,

wer und was Ihr seid, aber der Fürst ist Souverain, Feldmarschall, Gouverneur, Ritter von fünf Schock Orden und was Alles sonst noch. Ist das etwa nicht genug, he?“

„Hm, Etwas ist’s schon; aber was glaubt Er denn, was ich bin?“

„Ihr? I na, ich habe so einen Blick, so einen gewissen Geruch, um zu sagen, was Einer ist und ich irre mich selten. Ich glaube, Ihr — Ihr — handelt mit — mit — na, mit Zwiebeln!“

„Ich hand — le mit Zwie — Zwie — Zwie — beln — hahahaha — mit Zwie — Zwie — wie — wie — beln!“ brach der Alte mit einem Lachen los, welches fast in einen Lachkrampf ausartete und die Wände des Zimmers zu erschüttern schien. „O, Er ist ein weiser Salomo; aber errathen hat Er es doch: ich handle — hahaha — mit Zwie — wie — wie — beln — hahahaha — ja, und ich habe schon Manchen in eine Zwiebel beißen lassen, daß ihm die Augen übergegangen sind! Höre Er, Er ist kein unebener Kerl, und ich möchte Ihm gern einen Gefallen erweisen. Will Er wirklich zum Fürsten?“

„Freilich! Ich habe gehört, daß der Leibknecht abgegangen ist, und wollte fra­gen —“

„Halt da! Er versteht wohl von der Sache noch gar Nichts? Leibknecht kann nicht jeder hergelaufene Fremde werden, sondern zu einem solchen Posten kommt nur Einer, der erstens sein Fach aus dem Fundamente versteht, und zweitens vom Stalljungen auf gedient und sich das Vertrauen des Fürsten erworben hat. Das ist ein Vertrauensposten, auf den ein Unbekannter sich keine Rechnung machen darf.“

„Das ist mir Alles gar wohl bekannt; aber man weiß doch manchmal nicht, wie der Hase läuft, und ein Fremder ist zuweilen ebenso brauchbar wie Einer, der sich von Stelle zu Stelle emporscherwenzelt hat.“

„Ich will da nicht mit Ihm streiten, aber der Leibknecht des Fürsten muß, so viel ich weiß, nicht nur ein excellenter Reiter sein, sondern auch nach der Schnur fahren können, denn der „Alte“, wie Er den Fürsten nennt, ist etwas mürbe geworden, und das Fahren fällt ihm leichter als das Reiten, da er seine Achtundsechzig auf dem Rücken hat. Er steht jetzt mit seinen Buntröcken in Magdeburg und muß auch zuweilen hier in Dessau sein; da geht es denn oft herüber und hinüber, und der Leibknecht ist dabei meist seine einzige Begleitung. Versteht Er denn, was ich meine?“

„Warum denn nicht? Ihr macht es Einem ja so deutlich, als wenn Ihr gar auf Schulmeister gelernt hättet, und man bekommt einen wirklichen Respekt vor Euch. Aber Ihr sollt mir doch keine Angst machen, und ich werde mein Heil versuchen! Der Fürst soll jetzt grad in Dessau sein, und ich werde mich noch heut’ Vormittags erkundigen, wie man es anzufangen hat, um mit ihm sprechen zu können.“

„Da braucht Er gar nicht erst ewig herumzufragen, denn ich kann es Ihm ebensogut berichten, wie jeder Andere. Ich muß nachher auch auf’s Schloß; habe mit dem Hofgärtner so Einiges abzumachen und werde wegen Ihm einmal zuhorchen. Bin auch nicht ganz so ohne alle Konnexionen, und bei Hofe geht es manchmal wunderbar zu — von der Nichte zum Vetter, vom Vetter zur Muhme, von der Muhme zur Tante, von der Tante zum Onkel, und so weiter, versteht Er! Wollen doch ’mal sehen, ob ich Ihn bis zum Kammerlakaien hinaufschieben kann; das Andere ist dann Seine Sache.“

„Ja, da habt Ihr recht, daß bei Hofe zuweilen Einer etwas thun kann, dem man es gar nicht angesehen hat, und ich habe alles Vertrauen zu Euch. Wenn Ihr ein Wort für mich sprechen wollt, so werde ich es Euch herzlich Dank wissen; aber wie habe ich mich denn sonst noch zu verhalten?“

„Das ist sehr einfach. Gehe Er einmal so in anderthalb Stunden aufs Schloß; da steht unter dem Thore Einer, der muß Jeden fragen, was er dort zu suchen hat, und dem kann er es einmal im Vertrauen sagen, daß er den Zwie — hahahaha — den Zwie — wie — wiebelhändler sucht. Er wird Ihm sagen, wo ich stecke, und dann wird sich ja zeigen, ob ich derweile Etwas für Ihn habe thun können.“

„Gut, ich werde mich pünktlich einfinden und Euch Ehre zu machen suchen!“

„Das will ich auch hoffen. Heda, Mutter Röse, hier ist Geld!“

Die Wirthin kam so eilig herbei, als ihr Körperumfang es ihr gestattete und nahm von ihm die Bezahlung für beide Gäste in Empfang.

„Habe Seine Zeche mit abgemacht! Er hat mit mir gegessen und getrunken und war also mein Gast. Leb er wohl und verbummle Er die richtige Zeit nicht!“

„Habt keine Sorge. Danke für das Zahlen!“

Die Wirthin begleitete den Fortgehenden bis an die Thür,

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während der Zurückbleibende ihm mit einem listigen und befriedigten Lächeln nachblickte.

II. Beim „Alten.“

„Der alte Knasterbart,“ wie der Feldmarschall des heiligen römischen Reiches deutscher Nation und Preußens, Leopold von Anhalt-Dessau,1) gern von seinen Soldaten genannt wurde, saß in seinem Arbeitszimmer. Die kleinen Fältchen an den äußeren Augenwinkeln waren zusammengezogen und die tiefen Furchen der Stirn senkten

sich nieder fast bis auf die Nasenwurzel — ein Zeichen, daß er sich mit unangenehmen Gedanken beschäftige.

Früher war es seine treue Lebensgefährtin, die einstige Apothekerstochter Anna Luise Föhsin2) gewesen, welche mit mildem Zuspruch so manche Wolke verscheucht, so manche Sorge mit ihm getheile hatte; aber die lag nun im Grabe, die alte, liebe, gute Anneliese, und er mußte nun allen Aerger, alle Kränkung allein tragen, und das wollte ihm doch gar nicht in den harten Trotzkopf, der die lange Reihe von Jahren bis auf den heutigen Tag kein anderes Gesetz gekannt hatte, als seinen eigenen Willen.

Aergerlich schob er den Stuhl zurück, riß einige Knöpfe des Uniformrockes auf und maß mit langen, raschen Schritten das Zimmer.

„Das ist doch geradezu um des hellen, lichten Teufels zu werden!“ monologisirte er. „Da hat der König3) am dreißigsten September bei Sorr4) die Oesterreicher mit seinen achtzehn Tausend gegen volle vierzig Tausend aufs Haupt geschlagen, ihnen zweiundzwanzig Kanonen, zwölf Fahnen und zwei Tausend Gefangene abgenommen und glaubt nun, daß sie sich auf eine solche Schlappe heuer nicht wieder herauswagen werden. Die Armee kantonnirt bei Schweidnitz, und General du Moulin5) soll sie mit seinem Kordon an der Grenze schützen. Der König ist nach Berlin gegangen und spielt Flöte, seine Soldaten liegen in ihren Baracken und rauchen Tabak, und Keiner merkt, daß man unterdessen da hinter dem Gebirge einen Trank zusammenbraut, der ganz verteufelt nach Schwefel und Salpeter schmecken wird.“

Dem alten Kriegshelden schien es wohl zu thun, sich immer weiter in seinen Grimm hineinzureden.

„Ja, ja, mich macht die österreichische Therese6) nicht dumm, und der Kaunitz,7) na, der taugt so wenig, daß ich ihn für zehntausend Thaler nicht in eine Kompagnie stecken möchte. Der Kerl ist ja die reine Flaumfeder und zieht zehn Röcke, zwanzig Ueberröcke und dreißig Pelze an, wenn er sich in den Hundstagen einmal an die Luft fahren läßt, und so einem Ofenhocker sollte der Dessauer nicht in die Karte gucken können? Prosit die Mahlzeit! Aber was hilft’s denn, he? Einen Brief nach dem andern schicke ich nach Berlin, warne, mahne, bitte, drohe, kurz und gut, ziehe alle möglichen Saiten auf — und was ist die Folge? Man antwortet mir nicht einmal, lacht mich vielleicht gar noch dazu aus.

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Da muß doch gleich ein himmelmiserables Graupelwetter dreinschlagen, mich auch noch auszulachen! Wenn ich nur ein einziges Wort davon höre, so nehme ich meine zwölftausend Buntröcke, marschire auf Berlin und lasse das ganze armselige Nest Spießruthen laufen vom König an bis herunter zum letzten Schusterjungen!“

Jetzt befand sich der Sprecher in der vollsten Rage. Bei den letzten Worten war er stehen geblieben und hatte drohend den Arm erhoben. Er dachte gar nicht daran, daß er sich in der schönsten Revolution gegen seinen Feldobersten befinde, und als habe Jemand einen Einspruch gegen seine Rede erhoben, fuhr er plötzlich auf den Absätzen herum und rief:

„Was, das thäte ich nicht? Warum denn nicht, he? Wer will mir’s denn verwehren, mir, dem Sieger in den Niederlanden, am Rhein, in Bayern, in Italien, in Schweden und so weiter? Aber was ich gethan habe, das hat man vergessen, und wenn ich warne, da lacht man und — bläst Flöte dazu. I, da spielt meinetwegen Rumpelbaß oder Brummeisen, aber auslachen lasse ich mich nicht, und Antwort will ich haben, wenn ich schreibe! Aber ich weiß wohl, der Fritz ist mir nicht gut, weil ich bei seinem Alten, der Herrgott hab’ ihn selig sammt seinem Tabakskollegium, einen Stein im Brette hatte. Ja, der kannte seine Leute, und wenn er auch manchmal ein wenig unbequem werden konnte, so — — Na, was will Er denn, er Schockschwerenöther?“ unterbrach er sich, als in diesem Augenblicke ein Diener unter der Thür erschien.

„Oberlieutenant von Polenz. Meldung aus Halle!“

„Herrrrein!“

In der nächsten Sekunde stand der Genannte gerade und steif wie ein Ladestock vor dem Fürsten, diesem mit der Rechten ein versiegeltes Schreiben hinreichend. Leopold trat mit demselben ans Fenster, erbrach das Couvert und begann, den Inhalt zu buchstabiren. Er war nie ein Freund und Bewunderer der edlen Schreibekunst gewesen, und Meldungen lesen oder gar selbst die Feder führen, gehörte für ihn zu den größsten Strapazen des Erdenlebens. Die Zeilen konnten nichts Gutes enthalten, denn seine Miene verfinsterte sich immer mehr, und als er fertig war, ballte er das Schreiben in der Hand zusammen und trat mit unheilverkündender Miene auf den Offizier zu.

„Weiß Er, was in dem Wische steht?“

„Zu Befehl, Excellenz.“

„Weiß Er auch, was d’raus wird, wenn das so fortgeht?“

„Zu Befehl, nein, Excellenz.“

„So! Oberlieutenant will Er sein, und weiß das nicht, was sich ein jeder Tambour denken kann? Wenn das Desertiren und Ausreißen so fortgeht, so steht Er zuletzt ganz allein im Standquartiere und sperrt das Maul auf, oder kann sich auch so nach und nach verduften wie die Andern. Da schlage doch das Wetter in die Disziplin! Kein Tag vergeht, wo ich nicht vom Durchbrennen höre, und allemal sind’s die besten Kerls, welche sich davonmachen, während die Taugenichtse kleben bleiben. Heut’ wieder der Korporal Nauheimer, der bravste Unteroffizier in der ganzen Armee. Auf den hatte ich Häuser gebaut! Warum hat sich der salvirt, he? Das muß doch einen Grund haben, denn ohne Grund desertirt kein Nauheimer!“

„Halten zu Gnaden, Excellenz, ich weiß es nicht; der Korporal Nauheimer hat sich einen Urlaub von drei Tagen genommen und ist nicht wieder eingetroffen.“

„So! Und da zetert Ihr gleich über Desertion? Es kann doch dem Manne sonst ’was zugestoßen sein. Werde die Sache untersuchen! — Aber was ist denn nun das Andere, he? Da wagen sich die sächsischen Werber herüber über die Grenze und schnappen uns nicht nur die besten Bauernburschen, sondern auch die eigenen Soldaten weg! Nun hört mir aber Alles auf! Zwölftausend Preußen stehen da, ziehen die Nachtmützen über die Ohren und lassen sich die feindlichen Werber geradezu zwischen den Beinen hindurchkriechen — will Ihm denn da sein Bischen Verstand nicht still stehen, he? Da sollen doch gleich zehn Millionen Granaten in die ganze saubere Geschichte hineinfahren! Na, ich werde hinüberkommen und die guten Herren beim Schopfe nehmen, daß es ihnen grün und gelb vor den Augen funkeln soll! Wie weit ist Er denn mit seiner Liebsten?“

„Excellenz, immer noch auf dem alten Flecke.“

„Kann mir’s denken! Tabak rauchen, Karte spielen, mit dem Säbel rasseln, den Verstand vertrinken, einem braven Bürgersmädchen den Kopf verdrehen, Schulden machen, Schlägereien anzetteln, das könnt Ihr alle; aber wenn es endlich einmal ernstlich einem gescheidten und anständigen Frauenzimmer gilt, da klebt Ihr in der Buttermilch und wißt kein Geschick d’ran zu machen!“

„Excellenz, halten zu Gnaden, das Fräulein von Naubitz hat die Marotte, nur mit einem Offizier anzuknüpfen, der eine Kompagnie hat, und da —“

„Papperlapapp! Meine Anneliese hat auch nicht nach der Kompagnie gefragt! Wenn man so ein Mädchen nur zu packen weiß, da fällt sie Einem ganz von selbst um den Hals; ich weiß das ganz genau. Aber da scheint es Ihm am Besten, nämlich an der Anstelligkeit zu fehlen. Die Naubitz ist meine Pathe; Sein Vater schreibt mir und bittet mich um Protektion, und ihm zu Liebe, der ein alter Kriegskamerad von mir ist, thue ich auch alles Mögliche, um die Sache zu Stande zu bringen, aber wenn Er selbst den Brei immer wieder anbrennen läßt, so mag Er zusehen, wenn ein Anderer kommt und sie Ihm vor der Nase wegschnappt.“

„Verzeihen Excellenz, das glaube ich nicht befürchten zu müssen!“

„Nicht? Da weiß ich mehr als Er. Das Teufelsmädel ist schön, reich und klug, und ich glaube, sie hat bei ihrem letzten Besuche in Berlin Einen gefunden, der es geschickter anzudrehen weiß als Er! ’S ist ein Rittmeister bei den Ziethenhusaren, und die sind in allen Dingen gewohnt, g’rad d’reinzuschlagen. Da ihre Eltern todt sind, so hat der Mann kurz und bündig mich um das Jawort gebeten, und, wahrhaftig, er hätte es mit Freuden bekommen, wenn mir nicht noch zur rechten Zeit Sein Vater eingefallen wäre.“

„Gestatten Excellenz die Frage nach dem Namen des Rittmeisters?“

„Meinetwegen; es ist der Herr von Platen, derselbe, von dem man sich so manches lustige Reiterstückchen erzählt. Der König scheint ihn sehr zu protegiren. Er kann sehen, wie Er ihn aus dem Sattel bringt!“

„Werde es versuchen und sage Excellenz meinen schuldigen Dank für gnädige Information.“

„Schon gut! Das Mädel ist g’rad noch hier im Schlosse, geht aber schon in einigen Stunden auf ihr Gut nach Bayersdorf. Er ist noch im letzten Augenblicke gekommen; gehe Er zu ihr und mache Er Seine Sache besser als bisher!“

Während des letzten Theiles der Unterredung hatte sich der Unmuth des Fürsten etwas gelegt und einer freundlicheren Stimmung Platz gemacht, ein Umstand, aus welchem sich schließen ließ, daß der Vater des vor ihm stehenden Offiziers bei ihm in gutem Andenken stehen müsse. Am Schlusse der Endermahnung gab er mit der Hand das Entlassungszeichen und wandte sich zurück. Der Oberlieutenant aber blieb, trotzdem der den Wink bemerkt haben mußte, stehen und zog zwischen den Rabatten der Uniform ein Papier hervor.

„Excellenz!“

„Was giebt’s denn noch?“

Ohne ein Wort der Erklärung auszusprechen, reichte der Gefragte das Schriftstück hin. Der Fürst trat wieder an das Fenster hin und studirte eine ganze Weile auf dem Zettel herum, bis er endlich ärgerlich in die Worte ausbrach:

„Was ist denn das für ein dummer Wisch, he? Das sieht ja gerade aus, als hätte Einer Hände und Füße in die Tinte gesteckt und wäre dann mit allen Vieren auf dem Papiere herumgekrochen. Und so eine heillose Sudelei wagt man, mir zu schicken!“ Die Stirnadern schwollen wieder ganz bedenklich an, und die Augen begannen von Neuem ihre Blitze zu werfen. „Da kann ja kein Mensch einen richtigen Buchstaben herausfinden. Wird Er mir wohl sagen, welcher Esel das geschrieben hat?“

„Verzeihen, Excellenz,“ stotterte der Offizier in größter Verwirrung; „Oberst von Brandow läßt ganz gehorsamst bitten, mir mitzutheilen, was die Zeilen enthalten.“

„Oberst Brandow — mittheilen — enthalten? — — Seid Ihr denn alle mit einander verrückt geworden! Was habe denn ich mit der Korrespondenz des Obersten zu thun? Soll der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau etwa Schreiberdienste bei ihm verrichten? Nun ist mir’s aber genug, und wenn Er nicht sofort macht, daß Er zur Thür hinauskommt, so werde ich Ihm sammt Seinem unverschämten Obersten zeigen, wie man sich gegen seinen Vorgesetzten zu verhalten hat. Hier ist der Wisch, und dort ist das Loch; vorwärts marsch!“

„Durchlaucht, Excel­lenz“ — —

„Marsch, sage ich!“

„Bitte, tausend Mal“ — —

„Himmel, Kreide, Pech und Hölle, wird Er wohl Subordination leisten! Rrrrraus!“

„Excellenz ha­ben“ — —

„Rrrrraus!!“

„Diese Ordre hier“ — —

„Rrrrraus!!!“

„Ja selbst geschrieben!“

„Rrrr — — — wa—a—a—as, selbst geschrieben? Ich? Diese Klexerei? Mensch, ich lasse Ihn auf der Stelle krumm schließen, wenn er das noch eimal sagt! Glaubt Er etwa, ich kann nicht schreiben oder gar mein Geschriebenes nicht lesen?“ (Forts. folgt.)

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Fürst und Reitknecht.

Eine Erzählung von Karl May.

(Fortsetzung.)

Kein Mensch wird wagen, so Etwas nur zu denken, Durchlaucht; aber bitte, die Unterschrift zu bemerken, und hier ist das Couvert!“

„Die Unterschrift? Hm, hm, ich unterschreibe mich doch „Leopold“, aber da ist kein L, kein e und auch kein o zu erkennen, und das „pold“ ist ganz und gar in der Tinte ersoffen. Zeige er das Couvert! Hm, hm, was soll denn die ganze Geschichte vorstellen?“

„Es ist die Ordre, welche Excellenz gestern durch einen reitenden Boten dem Herrn Obersten von Brandow zu — —“

„Was, meine Ordre ist’s? Und die kann der Oberst nicht lesen? Die schickt mir der Oberst zurück? Alle Sternhagelblitz- und Granatensplitter — jetzt hört endlich ’mal die Geduld auf — jetzt steigt mir’s in den Kopf — jetzt lasse ich die ganze saubere Gesellschaft krumm schließen!“

Mit dem Zeichen der höchsten Erregung stürmte er im Zimmer auf und ab, stampfte mit den Füßen und focht mit den Armen in der Luft. Der vor Angst förmlich zitternde Polenz schwieg eine geraume Weile und unternahm es sodann, den Obersten zu entschuldigen:

„Excellenz, die Schrift“ —

„Solche unmenschliche Dummheit! — ja, ja — die Schrift“ —

„Ist durch die Hän­de“ —

„Sollte man nicht — — ja ja — durch die Hän­de“ —

„Des ganzen Offizierscorps gegangen!“

„Für möglich halten! Ja ja — Offizierscorps geg — was sagt er da? Des ganzen Offizierscorps? Eine Ordre, die nur an den Obersten gerichtet war? Und das nennen diese Menschen militärische Diskretion! Na, ich komme hinüber — freut Euch nur!“

„Und Kei­ner“ —

„Was noch, he?“

„Hat sie lesen können!“

„Keiner — kein Einziger — das wird immer toller!“

„Und da der Ordre doch Gehorsam geleistet werden muß“ —

„Das will ich mir auch ausgebeten haben, Ihr Himmelsakermenter!“

„So bin ich im Carrière herübergerit­ten“ — —

„Nun und?“

„Um gehorsamst zu fragen, welchen Befehl sie enthält!“

„Welchen Be — — Mensch, sind Ihm denn alle Sinne abhanden gekommen, alle miteinander? Da ist wohl der Befehl noch gar nicht ausgeführt worden?“

„Excellenz verzeihen gnädigst, was man nicht lesen kann, kann man auch nicht ausführen.“

„Und das sagt Er mir? Wirklich mir? Himmelherrgott, wo nehme ich nur heute diese übermenschliche Geduld her? Eigentlich sollte ich Ihn in Kochstücke hauen! Gebe ich da einen Befehl — und dieser Befehl wird nicht befolgt — weil man nicht lesen kann — und nun soll ich meine eigene Ordre lesen! Sage Er mir doch in drei Teufels Namen, für wen sie geschrieben ist!“

„Für den Herrn Oberst von Brandow.“

„Gut, jetzt scheint Ihm doch der Verstand wieder zu kommen! Wer hat sie also zu lesen?“

„Der Herr Oberst, Excellenz.“

„Richtig, ganz richtig! Bin ich aber etwa der Herr Oberst von Brandow?“

„Nein.“

„Richtig, sehr richtig! Also wer hat sie nicht zu lesen?“

„Ew. Durchlaucht.“

„Gut, vortrefflich! Merke Er sich das und sage Er das auch Seinem Herrn Obersten. Ich brauche nicht so zu schreiben, daß ich es lesen kann, denn ich schreibe keine Briefe und Ordres an mich selbst. Da ich heut’ aber ausnahmsweise einmal nachsichtig bin, so werde ich Ihm die Geschichte noch einmal zu Papiere bringen. Warte Er also!“

18712.

Mit einem grimmigen Lachen setzte er sich an den Tisch, und bald knirschte und kratzte die Feder mit lautem, geräuschvollem Schreien über das Papier.

„So — da lese Er ’mal!“

„Excellenz, das — kann — ich — nicht — lesen!“

„Das will ich Ihm auch gerathen haben; ich kann’s auch nicht lesen! Meine Befehle soll, darf und kann — versteht Er wohl? — kann auch nur Der lesen, an den sie gerichtet sind. Und wer’s nicht kann, der mag sich zum Teufel scheeren. Merk Er sich auch das, und sage Er es Wort für Wort dem Herrn Oberst wieder — Jetzt aber mache Er, daß Er endlich fortkommt!“

Mit erleichtertem Herzen trat Polenz unter militärischem Gruße ab und schritt so schnell durch das Vorzimmer und über den Korridor, daß er fast mit einer jungen Dame zusammengerannt wäre, welche sich eben anschickte, die Treppe hinabzusteigen. Erschreckt fuhr er zurück, verbeugte sich erröthend und stammelte:

„Entschuldigung, Fräulein von Naubitz, ich befinde mich so sehr in Ei­le“ — —

„Daß ich den Herrn Lieutenant keinen Augenblick aufhalten, sondern ihm gern den Vortritt lassen werde,“ fiel sie ihm in stolzer Haltung und mit einem feinen, überlegenen Lächeln in die Rede, indem sie mit einer abweisenden Handbewegung zurücktrat.

„O, meine Gnädige — so groß ist diese Eile denn doch nicht, — daß ich nicht einige Wor­te“ — —

„Danke, danke! Der Dienst geht vor, und Ihr befindet Euch im Dienste. Bitte voranzutreten!“

„Ich werde gehorchen; aber zuvor bitte ich, mir zu sagen, warum Ihr gegen meine Person eine so große Abneigung hegt!“

„Ich muß bemerken, Herr von Polenz, daß hier nicht der geeignete Ort ist, von Zu- oder Abneigungen zu sprechen.“

„Dann ersuche ich ganz ergebenst um die Erlaubniß, einige kurze Minuten bei Fräulein eintreten zu dürfen!“

„Ich stehe eben im Begriff, der Einladung einer Freundin Folge zu leisten. Es ist ein Abschiedsbesuch, welcher sich unmöglich aufschieben läßt!“

Polenz wollte gerade eine Entgegnung aussprechen, als sich unten eine tiefe, wohlklingende Stimme vernehmen ließ:

„Höre Er, guter Freund, ist im Laufe des Vormittages nicht ein Zwiebelhändler hier gewesen?“

Die Sonderbarkeit der Frage ebenso wie der Wohllaut der sonoren Stimme, aus welcher trotz der in den Worten liegenden Erkundigung doch etwas Befehlendes klang, erregte die Ausmerksamkeit der Obenstehenden in der Weise, daß sie ihre eigenen Angelegenheiten vergaßen.

„Ein Zwiebelhändler? O, ja,“ tönte unter einem leisen Lachen die Antwort. „Er will wohl mit ihm sprechen?“

„Ja.“

„Dann ist Er wohl der Fremde, der bei Mutter Röse mit ihm gegessen hat?“

„Ja.“

„Gut, so gehe Er diese Treppe hinauf. Hinter der Thür, welche Ihm links entgegensteht, wird man Ihm Bescheid sagen!“

Das war die Thür des fürstlichen Vorzimmers; es handelte sich also vielleicht um eines jener spaßhaften Vorkommnisse, welche zuweilen einzutreten pflegten, wenn der Fürst die Stadt oder deren Umgegend einmal inkognito durchstrichen hatte. Die beiden an der Treppe Postirten sahen in Folge dessen dem Erscheinen des Fragers mit einer gewissen Neugierde entgegen.

Jetzt kam er langsam und gemächlich die Stufen heraufgestiegen. Es war ein noch junger Mann, welcher vielleicht dreißig Jahre zählen mochte. Von nicht zu hoher Gestalt, war er breitschulterig gebaut, von kräftigen Formen und gewandten Bewegungen. Wie er so mit über den Rücken gelegten Armen den Fuß von Stufe zu Stufe setzte, war es fast, als sei er hier zu Hause oder finde ganz und gar nichts Besonderes in einem Besuche bei dem strengsten Souverain des deutschen Reiches.

Oben angekommen, erhob er mit einem raschen und offenen Aufschlage den bis jetzt niedergerichteten Blick. Ein Blitz freudiger Ueberraschung leuchtete, als er die Dame erblickte, aus dem großen, dunklen Auge, aber so schnell, so kurz, daß Polenz ihn gar nicht bemerkte und dann klang es in gleichgültig fragendem Tone unter dem sorgfältig gepflegten Bärtchen hervor:

„Wo ist die Thür, die Einem hier links entgegensteht?“

Fräulein von Naubitz war bei seinem Anblicke bis tief in den Nacken hinab erröthet und schien durch die possirliche Frage ganz aus der Fassung gebracht zu werden. Desto mehr aber bewahrte der Lieutenant seine Würde.

„Kerl,“ rief er, „ist Er denn wirklich so heidenmäßig dumm, daß er nicht weiß, was links und was eine Thür ist?“

„Freilich! Ich hielt Sein großes Maul für das Loch, durch das ich kriechen soll. Er reißt es ja sperrangelweit genug auf!“

Damit drehte sich der Fremde nach links und trat in das Vorzimmer. Polenz hob schon den Fuß, ihm nachzueilen, um ihn für die Beleidigung zu züchtigen, aber die Gegenwart der Angebeteten veranlaßte ihn, seinen Zorn zu beherrschen.

„Freches Subjekt!“ brummte er. „Solches Volk darf man aber gar nicht beachten! — Also das gnädige Fräulein steht im Begriff, auszugehen? Und doch läßt mich der Dienst keine spätere Stunde erwarten.“

„Nun, so theilt mir schnell mit, war Ihr von mir wollt!“

„Was ich will, fragt Ihr? Nichts weiter, als eine endgültige Entscheidung. Ihr kennt mich und meine Verhältnisse und wißt auch, daß ich nicht ohne Protektion bin.“

„So wißt Ihr desto weniger, daß die Protektion der Liebe nur schadet. Diese läßt sich nicht kommandiren, sie handelt nach eigenem Ermessen und ist nur für den Preis zu haben, den sie selbst bestimmt.“

„So nennt mir diesen Preis!“ bat der Offizier, indem sein Blick sich mit verlangender Gluth an die schönen, vollen Formen der Sprecherin heftete.

Mit träumerisch glücklichem Ausdrucke suchte ihr Auge die Thür, hinter welcher vor wenigen Sekunden der Fremde verschwunden war, und leise klang es von ihren Lippen:

„Ich kann nur einem Mann angehören, der neben imponirender Körper- und Geisteskraft auch einen Sinn für die feineren Gefühle des Herzens besitzt. Das profane, alltägliche Leben muß mit den Strahlen der Romantik übersponnen werden, wenn die Liebe heimisch werden soll, und ich kann mir nichts Entzückenderes denken, als wenn zum Beispiel ein stolzer Ritter die Zeichen seines Standes von sich legt, um im unscheinbaren Kleide nach dem Besitze der Geliebten zu ringen!“

In süßer Selbstvergessenheit haftete ihr Auge noch immer an der Thür, als könne sie durch dieselbe das Wesen erblicken, von welchem ihre Worte berichteten; dann aber richtete sie sich stolz empor, grüßte den Lieutenant mit einem kurzen Nicken des weißgepuderten Lockenköpfchens und rauschte die Stufen hinab.

„Die Zeichen seines Standes von sich legt — also inkognito — in unscheinbarem Kleide — stolzer Ritter — Besitz der Geliebten ringen“ — murmelte Polenz. „Hm, habe noch gar nicht gewußt, daß sie an solchen alten Burg- und Rittergeschichten Wohlgefallen findet. Mir soll’s recht sein — da bin ich dabei. Nach Beyersdorf geht sie? Gut, ich kommt auch nach Beyersdorf — — aber natürlich ganz inkognito. Da giebts dann vielleicht Eduard und Kunigunde, und nachher zur Abwechslung Kunigunde und Eduard!“

Unter diesen Gedanken stieg auch er jetzt mit nachdenklicher Miene nach unten.

III. Die Reitprobe.

Während dessen war der junge Mann, welchen wir zuerst bei Mutter Röse trafen, in das Vorzimmer des Fürsten getreten, wie wir gesehen haben. Dort wandte er sich an den dienstthuenden Lakaien mit der Frage:

„Hat Er nicht vielleicht heut einen Zweibelhändler hier herumlaufen sehen?“

Der Gefragte lachte mit dem ganzen Gesichte.

„Wie kommt Er denn dazu, einen Zwiebelhändler hier zu suchen?“

„Nu, der Mann hat mich herbestellt, und da unten an der Thür stand Einer, der hat mich hier heraufgewiesen!“

„So, na, da gehe Er nur immer dahinein! Vielleicht findet Er da Seinen guten Freund von der Mutter Röse her.“

Noch immer rollte der Aerger seine Wogen durch die Adern des Fürsten, welcher unter dem Einflusse der gehabten Aufregung mit langen Schritten im Zimmer auf- und abspazierte. Als er den Eintretenden bemerkte, glättete sich sein faltenreiches Gesicht zusehends, trotzdem aber klang es kurz und barsch:

„Wen sucht Er hier?“

„Den Zwiebelhändler!“

„Den Zwie — ja ja, den Zwie — hahahaha — den Zwie — wie — wiebelhändler!“ Und sich breitspurig vor ihm hinstellend, rief er, immer noch lachend: „Will Er mich wohl einmal recht genau angucken?“

„Warum denn nicht, wenn’s Euch solchen Spaß macht!“

„Gut! Was sieht Er denn nun da, he?“

„Was ich sehe? Nu, was denn Anders als Euch!“

18812.

„Höre Er ’mal, das versteht sich ja ganz von selber! Aber ich meine, ob Er nicht so Etwas bemerkt von wegen einer gewissen Aehnlichkeit.“

„Aehnlichkeit?“ und dabei musterte er mit der größten Aufmerksamkeit die Figur des Fürsten. „Nein, davon sehe ich Nichts.“

„Was? Er sieht gar Nichts in Beziehung auf mich und den Zwiebelhändler? Ich hätte wahrhaftig nicht gedacht, daß Er so wenig Grütze im Kopfe hat!“

Bei diesen Worten richtete sich der Fremde einige Zoll höher empor.

„Grütze? Höre Er, wem es von uns Beiden an Grütze fehlt, das wird sich finden, aber beleidigen lasse ich mich nicht, versteht Er wohl? Daß er mein Zwiebelhändler ist, das sieht wohl jedes Kind, und wer man selbst ist, dem kann man doch nicht ähnlich sehen. Also frage er ein andermal gescheidter, wenn Er keine dumme Antwort haben will!“

„Alle Wetter,“ lachte der Fürst, daß ihm die Thränen über die Backen liefen, „ist Er denn nicht bei Troste, hier an diesem Orte so aufzutreten!“

„Ich bin den ganzen Tag bei Troste, und Abends und des Nachts erst recht, am allermeisten aber jetzt eben! Hat Er’s verstanden! Er denkt wohl, weil er Seine Zwiebeln vielleicht in dem fürstlichen Garten bauen und also auch diese alte, speckige Livree tragen darf, oder weil Er ein Glas Bier und ein Stück Käse für mich bezahlt hat, so soll ich mir’s gefallen lassen, daß Er mich mit meiner Grütze aufzieht? Da kommt Er bei mir an den Rechten, denn grade darin bin ich am Allerempfindlichsten!“

Leopold konnte vor Lachen nicht antworten. Der Aerger war vollständig verschwunden und hatte der besten Laune Platz gemacht. Mit den Händen immer abwechselnd die Thränen aus den Augen wischend, bemerkte er auch nicht, daß es hier und da wie helle Belustigung über das Gesicht des Sprechers zuckte.

„Ja, lache Er nur! Ich kann meinen Käse schon noch selber bezahlen und brauche auch Seine Fürsprache gar nicht, denn ich werde auch ohne Ihn mit dem Fürsten reden können!“

„Ohne mich? Hahahaha! Das möchte ich doch einmal sehen, wie es zuginge!“

„Wie das zuginge? Gut, das werde ich Ihm gleich zeigen!“

Er drehte sich um, schritt nach dem Eingange und hatte diesen schon geöffnet, als es hinter ihm erscholl:

„Halt, komme Er noch einmal her!“

Langsam und zögernd folgte er dem Rufe.

„Sage Er doch in des Teufels Namen, wo will Er denn da eigentlich hin?“

„Wohin denn anders als zum Fürsten? Mit Ihm werde ich mich nicht etwa lange hier herumärgern!“

Wieder brach der Fürst in ein schallendes Gelächter aus, und nur mit Mühe brachte er die Frage hervor:

„Aber sieht Er denn wirklich nicht, daß ich der Fürst selber bin?“

„Er? Na, Er wäre mir der Rechte!“

Das Lachen wurde immer dröhnender, bis sich Leopold endlich mit Gewalt beherrschte und mit ernster Miene dicht an den Ungläubigen herantrat.

„So, Er glaubt es nicht?“

„Nein, nicht eher, als bis Er mir Sein Wort giebt, daß es wahr ist.“

„Gut, hier hat Er meine Hand darauf, daß ich Leopold heiße!“

„Jaaa — Leopold heißen Viele!“

„Na, und daß ich der Fürst bin!“

Der Fremde hatte bisher in bequemer und gemüthlicher Haltung dagestanden, jetzt aber reckte sich wie unter einem elektrischen Schlage seine Gestalt in stramme Breite und Höhe, und selbst das Auge des feinsten oder strengsten Exerziermeisters hätte nicht die leiseste Veranlassung zu irgend einem Tadel wahrgenommen. Wohlgefällig überflog Leopold den kraftvollen und dabei doch so geschmeidigen Gliederbau und meinte dann in freundlichem Tone:

„Also eine Stelle sucht Er bei den Pferden?“

„Durchlaucht, nicht bei den Pferden, sondern bei Euch!“

„Das ist hüben wie drüben: die Pferde sind mein, und mein sind die Pferde, also wenn Er eine Stelle bei meinen Pferden hat, da — na was lacht Er denn?“

„Entschuldigung, Durchlaucht — da habe ich bei den Pferden auch eine Stelle!“ antwortete der Gefragte rasch, der den Eindruck der wunderlichen Logik des Fürsten nicht schnell genug überwinden konnte.

Verdutzt sah ihn dieser an, bis ihm endlich ein Licht aufging über die gehabte sprachliche Konfusion; er lachte selbst darüber und rief:

„Ja, so geht’s Einem, wenn man sein A-B-C mit dem Säbel

schreibt und seine Verse mit den Kanonen singt! Der Dessauer ist eben nicht zum Schulmeister geboren. Aber bleiben wir doch bei der Fahne! Also Er getraut sich jedes Pferd zu reiten, wie Er am Vormittage sagte?“

„Ja.“

„Gut, ich nehme Ihn beim Worte. Leibknecht kann Einer eigentlich erst nur nach langen Dienstjahren werden; so ein Mann will erprobt sein. Aber Er gefällt mir, und so will ich Ihm denn ein Generalstückchen aufgeben, welches ebenso viel wiegt wie eine lange Dienstzeit. Drunten steht ein Rapphengst, der hat neunundneunzig Teufel im Leibe; satteln und aufzäumen läßt er sich, aber damit ist’s basta; er hat bisher Alle in den Sand geworfen, die sich an ihn gewagt haben, und es waren Kerle d’runter, vor denen man Respekt haben muß. Will Er’s versuchen?“

„Warum nicht, Durchlaucht? Den wollen wir schon kriegen!“

„Das hat Jeder gesagt; aber sitzen bleiben ist die Hauptsache. Komme Er ’mal mit!“

Einen leichten Ueberrock umwerfend, schritt er voran hinunter zu den Stallungen.

Sämmtliches Personal, von dem eben anwesenden Oberstallmeister bis herab zum letzten Jungen betrachtete den Fremden mit neugierigen Blicken, als der Befehl ertheilt wurde, den Rappen vorzuführen. Es war ein prachtvolles Thier, dessen Bau einen jeden Kenner und Liebhaber in Entzücken versetzen mußte; aber aus den dunkel von der Weiße des Augapfels abstechenden Pupillen loderte unbezähmte Wildheit.

Vier starkte Reitknechte waren nothwendig, es herbeizuführen, und kaum hatten sie mit ihm den Platz betreten, so zogen sich alle Andern ängstlich zurück, um bei dem zu erwartenden Schauspiele nicht beschädigt zu werden. Die Hauptperson auf der Scene aber, der Fremde nämlich, schien für das Thier gar keine Aufmerksamkeit zu haben, sondern sein Blick war auf eine Person gerichtet, welche an einem der geöffneten Fenster stand und, mit unverkennbarer Angst in dem schönen Angesichte, dem Vorgang zuschaute.

„Marie!“ flüsterte er. „Sie hat mich erkannt. Sie schien vorhin ausgehen zu wollen, und ist doch zurückgeblieben, um zu sehen, was ich bei dem Alten thue. Nur getrost, mein süßes Mädchen — werde ihm das verweigerte Jawort schon noch abzwingen!“

Er wandte sich dem Pferde zu, welches abwechselnd vorn und hinten in die Höhe ging und die Knechte mit wirklichem aber immer nur kurzem Erfolge von sich abzuschütteln suchte.

„Aufgepaßt!“ kommandirte er. „Sobald ich springe, laßt Ihr fahren und bringt Euch in Sicherheit!“

Eben bäumte sich der Rappe auf den Hinterfüßen hoch empor — ein kühner Sprung — der Reiter saß im Sattel, und die vier Leute flogen nach allen Richtungen davon.

Im ersten Augenblicke schien das Thier gar nicht zu wissen, was mit ihm geschah und stand eine Weile vollständig bewegungslos, dann aber schnellte es plötzlich mit allen Vieren in die Luft und versuchte durch eine Reihe von Seitensprüngen sich der Last zu entledigen. Als ihm das nicht gelang, warf es sich nieder, sprang wieder empor, wälzte sich, dazwischen immer wieder von Neuem aufspringend und sich zur Erde werfend, nach allen Seiten hin und her, gebrauchte Hufe und Zähne, um sich des Reiters zu erwehren, aber immer blieb dieser über ihm und schien desto größeres Gaudium zu empfinden, je toller es die Bestie unter ihm trieb. Jetzt sauste er im rasenden Galopp dahin, riß das Pfed im halsbrecherischen Schwunge auf den Hinterhufen herum, sprengte bis gegenüber der Thür, unter welcher der Fürst stand, und rief mit lauter Stimme:

„Aufgepaßt jetzt, wer Etwas lernen will!“

Mit kräftigem Stoße grub er den Daumen der geballten Hand zwischen Hals- und Rückenwirbel des Pferdes ein; dieses stieß einen Schmerzensschrei aus, der mit dem Klange des gewöhnlichen Wieherns nicht die entfernteste Aehnlichkeit hatte, und versuchte, wieder in die Höhe zu steigen. Aber wie eingemauert stak sein Leib zwischen den Schenkeln des Reiters, deren gewaltiger Druck ihm trotz der Anstrengung aller Muskeln und Fibern den Athem und die Bewegung raubte. Es war ein Anblick zum Angstwerden. Hier kämpfte nur Körperkraft gegen Körperkraft, und die geistige Ueberlegenheit des Menschen war für den Augenblick suspendirt. Die Stirnadern des muskelstarken Mannes traten blau und angeschwollen hervor; blutroth lag die Anstrengung auf seinem Gesichte, und groß und schwer fielen die Tropfen des Schweißes ihm von den Wangen herab. Bewegungslos waren seine Züge, starr hing das Auge an dem Kopfe des Pferdes, und dem Zerreißen nahe spannten sich die Zügel. Der Odem des Rappen drang pfeifend durch die Nüstern; die Beißkette knirschte unter den vor Angst zusammengepreßten Zähnen; die Hufe hoben sich unter den

18912.

krampfhaft zuckenden Beinen und suchten doch sofort wieder den Boden. So hielten Roß und Reiter eine ganze, kleine Ewigkeit an derselben Stelle, bis endlich das Erstere lautlos zusammenbrach.

Ein allgemeines „Ah“ der Bewunderung und Erleichterung entfuhr den Lippen Aller, welche Zeugen dieses Meisterstückes gewesen waren; über alle Rufe hinweg aber ertönte die Stimme des

Fürsten: „Mensch! Kerl! Wo hat Er nur um aller Welt willen diese heidenmäßige Stärke her? Da stehen Einem ja die Haare zu Berge, wenn man daran denkt, daß man einmal unversehener Weise zwischen

Seine Beine gerathen könnte. Er hat mir ja den Rappen zusammengedrückt, daß er nach Luft schnappt wie ein Karpfen! Höre Er, ist Er denn auf dem Wagen auch so zu Hause wie auf dem Pferde?“

19012.

„Ich denke, Durchlaucht!“

„So! Nun, wenn Er es denkt, so wird es auch schon wahr sein; ich habe es Ihm gleich angesehen und auch gesagt, daß Er das Flunkern nicht gelernt hat. Er soll die Stelle haben. Dort steht der Herr Oberstallmeister, der wird Ihm Seine Instruktionen geben! Ueber Seine früheren Verhältnisse werden wir schon noch reden!“

Langsam entfernte sich der Fürst. Die Knechte zogen das bis auf’s Aeußerste ermattete Pferd, welches sich unterdeß wieder aufgerichtet hatte, in den Stall, und der Vorgesetzte, an welchen der Pferdebändiger gewiesen worden war, unterwies denselben in seinen Obliegenheiten, und zwar in einer Weise, welche deutlich erkennen ließ, daß dabei das Wohlwollen des Fürsten bedeutend mit in Betracht gezogen wurde.

Als er das Schloß verließ, um zu Mutter Röse zu gehen, wo er seit seiner gestrigen Ankunft in Dessau logirt und also seine Effekten liegen hatte, hörte er das Rauschen einer seidenen Robe hinter sich und vernahm zugleich die Worte:

„Kurt, Du hier? Was soll diese Maskerade?“

Er zog die Schritte etwas ein, und während die Fragerin vorüberpassirte, antwortete er:

„Grüß Dich Gott, mein Herzensschatz! Ich nahm Urlaub, um auf den mir gewordenen abschlägigen Bescheid unerkannt die Verhältnisse zu sondiren. Im Gasthause traf ich auf den Fürsten und bin durch die Macht der Umstände in seinen Dienst gerathen, obgleich das gar nicht in meiner ursprünglichen Absicht lag. Nun mag’s laufen, wie es läuft.“

„Ich gehe nach Beyersdorf. Sehen wir uns dort?“

„Ja, wenn es möglich zu machen ist. War das vorhin der Polenz?“

„Ja,“ hörte er noch, dann hatte sie ihn so weit überholt, daß keine weiteren Bemerkungen ausgetauscht werden konnten.

Bei Mutter Röse angekommen, trat er zunächst noch einmal in die allgemeine Gaststube, um sich nach der gehabten Anstrengung an einem Kruge guten Bieres zu erquicken. Obgleich er anfänglich nicht daran dachte, die Anwesenden zu beobachten, wurde seine Aufmerksamkeit doch bald durch zwei Männer in Anspruch genommen, welche an dem benachbarten Tische saßen.

Der Eine, lang und hager, aber starkknochig gebaut, trug einen schwarzen Knebelbart; seine kleinen, stechenden Augen blickten listig unter den buschigen Brauen hervor, und jeder Zug seines von der Sonne verbrannten Gesichtes verrieth den schlau berechnenden Egoisten, dessen höchster Lebenszweck der Gewinn ist. Der Andere und Jüngere war, wie aus der Aehnlichkeit zwischen Beiden sich schließen ließ, jedenfalls sein Sohn und schien auch in geistiger Beziehung ganz das Ebenbild seines Vaters zu sein.

„Was sagst Du da, Junge? Du hättest zum Beispiel eine Gelegenheit gefunden?“ fragte der Letztere.

„Ja, und was für eine!“

„Wo denn, zum Beispiel?“

„In Bitterfeld.“8)

„In Bitterfeld? Wie bist Du denn dahin gekommen? Dort giebts ja fast nur lauter Tuchmacher, Töpfer und Schuster.“

„Oho, es giebt auch ganz bedeutenden Getreidebau dort, den die Flämminger9) betreiben, die ihr eigenes Recht haben. Aber diese Leute sind so zähe, daß Unsereiner an ein Geschäft mit ihnen gar nicht denken kann. Ich wollte es versuchen, deshalb ging ich hin, aber umsonst. Der Einzige, mit dem sich ein Wörtchen reden läßt, ist der Bäcker Wolfstraaten; das ist ein Kerl, mit dem sich Etwas machen läßt, aber es fehlt ihm eben auch am Besten!“

Dabei machte der Sprecher die Geberde des Geldzählens.

„So! Was zum Beispiel läßt sich denn mit ihm machen?“

„Hm, ich denke, so ziemlich Alles, wenn’s nur ’was einbringt.“

„Junge, Du bist ein Schlauberger, und wenn Du von Jemandem so Etwas sagst, so hast Du auch Deine Gründe dazu. Hab’ ich Recht?“

„Möglich.“

„Ja, ja, bist ganz nach mir gerathen, ganz nach mir. Also, was ist’s zum Beispiel mit dem Bäcker?“

Der Gefragte sah sich scheu um; da aber unser Lauscher in seinen Bierkrug vertieft zu sein schien und die andern Gäste zu entfernt saßen, um Zeugen des Gespräches sein zu können, so antwortete er, wenn auch in etwas gedämpfterem Tone:

„Der fragt bei Allem, was ihm vorkommt, nur, ob es ihm ’was einbringt, und je mehr es trägt, desto weniger bekümmert er sich darum, wie man es nennt. Er hat in einem Umkreise von mehreren Meilen die Hauptniederlage für den Elbschmuggel, steht mit allen Langfingern in ziemlicher Freundschaft und weiß vielleicht

auch von den Seelenverkäufern und Werbern zu reden, welche die Gegend dort herum so unsicher machen.“

„Das ist ja ein ganz außerordentlich gefährlicher Kerl! Mit dem mag ich zum Beispiel nicht zu thun haben, gar nichts!“

„Ja, das wäre wohl auch meine Meinung, aber der Mann hat auch eine ganz vortreffliche Seite.“

„Welche denn?“

„Die, daß er Vormund ist.“

„Vormund? Von wem denn zum Beispiel?“

„Na, von Der, die ich vorhin meinte!“

„Ach so! Aber mache mir die Sache doch etwas deutlicher!“

„Du weißt, die Flämminger sind eigne Leute, die so ihre altherkömmlichen Gebräuche haben und sich den Teufel um unsere Gesetze und Regeln kümmern. Bei ihnen hat ein Vormund eine ganz ungewöhnliche Macht über sein Mündel und darf mit dessen Person und Habe schalten und walten, fast nach Belieben. Und da wäre denn mit dem Wolfstraaten ein Geschäft zu machen.“

„Wieso?“

„Seine Mündel, ein blitzsauberes Mädel, soll eine Erbschaft gemacht haben in Haarlem10) oder so dortherum; die wird jetzt ausgezahlt und“ —

„Da hast Du Dich an das Mädel gemacht?“

„Ja, noch mehr aber an den Vormund.“

„Höre, Du bist ein ganzer Junge! Bei den schweren Kriegsläufen zum Beispiel haben wir im Geschäfte mehr zugesetzt als profitirt, und da könnte man so eine Zubuße schon gebrauchen. Wie ist’s denn gegangen mit der Sache?“

„Gut und schlecht, je nachdem man es nimmt. Das Sofje, wie die Flamänder statt Sophie sagen, hat einen Liebsten, und ich habe also nicht viel ausrichten können; den Bäcker aber habe ich auf meiner Seite, und das ist doch immer die Hauptsache.“

„Wie hast Du denn das zu Wege gebracht?“

„Das ist doch so einfach wie nur ’was! Ich lasse ihn mit erben!“

„Das war gescheidt! Politisch muß man sein, und Du bist bei mir zum Beispiel in eine gute Schule gegangen. Ihr seid also einig geworden?“

„Ja; es fehlt nichts weiter, als daß Ihr nach Bitterfeld fahrt und die Sache mit ihm vollends in Ordnung bringt. Das schöne Geld sticht Einem in die Augen, und wenn man erst das Mädel sieht, da möchte man gleich mit ganzen Beinen d’reinspringen!“

„Ich glaube, Du bist gar verliebt! Da wird man ja selbst ordentlich neugierig. Weißt Du ’was? Ich werde gleich morgen oder übermorgen hinauffahren. Zu thun giebts hier nicht viel, und bei solchen Dingen darf man keine Zeit verlieren. Also einen Liebsten hat sie? Was ist es denn für ein Mensch?“

„Er heißt Nauheimer und ist Korporal.“11)

„Also ein Buntrock ist er? Da ist es mir gar nicht angst, denn diese Sorte darf zum Beispiel gar nicht so leicht an’s Heirathen denken, und das Mädel wird, wenn sie Etwas auf sich hält, sich bedanken, einen solchen Bruder Leichtfuß zu nehmen.“

„Verrechnet Euch nur nicht! Ein bildschöner Kerl ist er, das muß ich sagen, und das Sofje ist auch ganz vernarrt in ihn. Außerdem soll der alte Dessauer große Stücke auf ihn halten, und wo so ein Herr dahintersteckt, da weiß man nicht, wie es werden kann.“

„Dieser Punkt darf Dir keine große Sorge machen! Du bist ja auch ein Kerl, der sich sehen lassen kann, und wenn der Nauheimer sich etwa gar zu breit macht, so hast Du ja ein Paar gute und gesunde Fäuste, mit denen sich zum Beispiel schon Etwas machen läßt. So ein Korporal hat seinen Rücken auch nicht von ungefähr und fühlt eine Tracht Prügel ebenso gut wie jeder Andere. Als ich zu Deiner Mutter auf die Freite ging, habe ich gar manchen herzhaften Puff austheilen müssen, ehe ich sie den Andern wegschnappte, aber Püffe, sage ich Dir, Püffe, die thun manchmal Wunder, besonders wenn sie nicht gar zu zart sind!“

„Hört, Vater, Euer Wort in Ehren, da kommt Ihr bei dem Nauheimer an den Rechten. Ich hab’s auch ohne Euch gewußt, was eine derbe Faust zu Stande bringt, aber bei dem mag ich’s mein Lebtag nicht wieder versuchen.“

„Was? Du bist wohl schon mit ihm zusammengerathen?“

„Na, das versteht sich, und wie!“

„Nu, und weiter?“

„Was denn weiter? Ich habe meine Prügel eingesteckt und das Nachsehen gehabt!“

„Mohrenelement! Du hast Dich so ruhig abwalken lassen und bist dann fortgeschlichen? Da muß ich mich als Dein Vater ja wirklich schämen. Das hätte zum Beispiel mir passiren sollen; alle Wetter, hätte ich den Kommisbrodbeißer kurranzen wollen! Aber so ist’s jetzt bei Euch Dämlingen! Ein sauberes und reiches Mädchen

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sticht Euch wohl schon in die Augen, aber wenn es gilt, für sie einmal d’reinzuschlagen, da salvirt Ihr Euch und reibt den Buckel!“

„Oho, da seid Ihr allerdings auf dem Holzwege! Ich bin auch kein Hasenfuß und weiß mich meiner Haut schon zu wehren, aber der Korporal steht für Zehne; so einen Goliath habe ich noch gar nicht gesehen. Deshalb hält ja eben der alte Dessauer so große Stücke auf ihn, denn der Nauheimer und der Rittmeister Platen von den Ziethenhusaren, das sind die beiden stärksten Kerle in der ganzen preußischen Armee, das weiß jedes Kind. Ich glaube, wenn die Zwei ’mal zusammen kämen, die hauten eine ganze Kompagnie zusammen!“

„So schlimm ist’s doch wohl nicht! Von dem Platen habe ich auch gehört, und der soll ein ganz verteufelter Satan sein, was aber Deinen Korporal betrifft, so ist er mir noch nicht mit einem einzigen Worte vor die Ohren gekommen, und ich glaube, es läßt sich mit ihm schon fertig werden! Wie ist es denn zum Beispiel eigentlich mit Eurer Balgerei gewesen?“

„Das war so: Das Sofje wollte am Sonntag Abends auf den Tanz gehen; das erfuhr ich von dem alten Wolstraaten. Das Mädel ist eine flotte Tänzerin, und der Bäcker gab mir da einen Wink, mich an sie zu machen, „denn“, sagte er, „ein guter Tänzer und eine flotte Tänzerin geben einen tüchtigen Hopser, und zwei Hopser ein Liebespaar.“ Ich machte mich also auch auf den Saal und suchte sie auf; aber das Ding war gar nicht so leicht, wie ich es mir gedacht hatte.“

„Wieso denn zum Beispiel?“

„Weil um das Mädel ein Gezerre und Gereiße war, als ob es auf der ganzen Welt weiter gar keine Andere gäbe. Einer nahm sie dem Andern nur immer so vor der Nase weg, und ich kam gar nicht einmal dazu, nur ein Wörtchen mit ihr zu reden.“

„Donnerwetter, das muß doch ein ganz außerordentlich hübsches Geschöpfchen sein, daß es den Burschen die Köpfe so verdreht! Ich werde immer neugieriger auf das Mädel. Morgen fahre ich hinauf nach Bitterfeld!“

„Ja, da guckt sie Euch nur einmal an! Die hat ein Gesicht wie Milch und Blut; ein Paar Augen macht sie, daß es Einem ganz weich im Magen wird, und gewachsen ist sie dazu, wie — wie — na, die vornehmste Dame brauchte sich nicht zu schämen, und Ihr werdet es ja selbst sehen, wenn Ihr hinkommt. — Also ich mußte nur immer so von Weitem stehen, und Ihr könnt Euch wohl denken, daß es mir darüber ganz grimmig zu Muthe wurde. Am liebsten hätte ich schon jetzt dreinschlagen mögen; aber es hatte mir ja eigentlich noch gar Niemand Etwas gethan, und so mußte ich meinen Aerger im Stillen hinunterkauen. — Da auf einmal geht die Thüre auf, und es tritt ein Kerl herein, so lang und breitschultrig, daß er oben, hüben und drüben fast anstößt, und dabei quirlt er sich den Schnurrbart und reißt ein Gesicht wie ein General.“

„Du, das war wohl zum Beispiel der Nauheimer?“

„Freilich war er’s, aber ich wußte es noch nicht und hatte auch noch gar nichts von ihm gehört. Als ihn die Sophie sieht, läßt sie ihren Tänzer grad’ mitten auf dem Saale stehen, lacht vor Freude bis hinter die Ohren und drängt sich durch das Gewühle bis hin zum Korporal. Und der packt sie auch ganz ungenirt unter den Armen, hebt sie in die Höhe und klebt vor allen Leuten seinen Schnurrbart unter ihr Näschen, als ob er dort vierzehn Tage hängen bleiben sollte.“

„Ja, so Einer mit zweierlei Tuch zum Beispiel nimmt sich gar viel heraus. Aber mach’ weiter!“

„Als er sie wieder auf die Füße gestellt hat, gucken sie sich einander in die Augen, als hätten sie sich seit Abraham’s Zeiten nicht gesehen, und dann packt er sie plötzlich um den Leib und — heidi, geht’s los, rund herum, daß die andern Paare auseinander fliegen und es Einem ordentlich wirbelig wird.“

„Der macht kurzen Prozeß; das muß ja ein Tausendsapperloter sein!“

„Hm, ja, und die Bursche hatte einen solchen Respect vor ihm, daß sich Keiner von jetzt an mehr an das Mädchen wagte. Das war grad’ so, als wäre er ganz allein Hahn im Korbe, und auch die Musikanten spielten blos die Tänze auf, die er bestellte.“

(Fortsetzung folgt.)

20413.

Fürst und Reitknecht.

Eine Erzählung von Karl May.

(Fortsetzung.)

Aha, es schwant mir schon, und jetzt zum Beispiel geht der Teufel los!“

Ihr habt’s errathen! Die Geschichte wurmte mich natürlich ganz ungemein, und da ich mich nun von den Andern nicht mehr zurückgedrängt sah, so wartete ich erst noch ein Weilchen und steuerte dann auf sie zu, um sie zum Tanze wegzunehmen. Das Mädel lachte mich an und meinte:

„Warum denn nicht, wenn’s mein Liebster da erlaubt!“

Jetzt mußte ich ihn fragen, aber er antwortete mir gar nicht, sondern drehte sich zu ihr:

„Du weißt ja, wie ich es gehalten haben will: wenn ich nicht da bin, so kannst Du meinetwegen mit jedem honnetten Burschen tanzen, wenn ich aber komme, so hat’s damit ein Ende. Wer ist denn der?“

„Das ist ein Getreidehändlerssohn aus Dessau, der mit dem Vater Geschäfte macht.“

„So, dagegen kann ich nichts haben, aber mit Dir soll er keine Geschäfte machen!“ Und darauf wandte er sich herum und sagte: „Hat Er’s gehört? Marsch, ab!“

„Alle Hagel, grad’ als Hätte er einen Rekruten vor sich. Was zum Beispiel hast Du denn dazu gesagt?“

„Das Kommandiren fuhr mir in die Nase. Der soll sich verrechnet haben, dachte ich, und deshalb antwortete ich grad’ in demselben Tone wie seiner gewesen war:

„Höre Er ’mal, hier ist ein öffentlicher Ort, und ein Mädchen, das hierher kommt, muß mit Jedem tanzen, der sie wegnimmt, wenn sie noch nicht versprochen ist. Mein Geld ist auch kein Blech und wenn ich bezahle, so tanze ich, mit wem ich will!“ “

„Da hast Du es ihm aber zum Beispiel tüchtig gesteckt! Und was sagte er dazu?“

„Erst gar nichts; er blinzelte mich nur so verdächtig vom Kopfe bis zum Fuße an; nachher stand er auf, stellte sich groß und breit vor mich hin und meinte ganz freundlich:

„So ist’s recht, mein Junge, so gefällst Du mir! Aber mache, daß Du fortkommst, sonst könnte ich Dir nicht gefallen!“

„Da bist Du doch nicht etwa fortgelaufen?“

„Freilich bin ich gegangen! Ich weiß selber nicht, wie das gewesen ist, das war so eine sonderbare Freundlichkeit, daß es mir ordentlich in die Beine gefahren ist, und ehe ich zur rechten Ueberlegung gekommen bin, habe ich wieder in meiner Ecke gestanden. Die dabei gewesen sind haben mich ausgelacht, und da ist eine wirkliche Wuth über mich gekommen. Als der nächste Tanz losging, bin ich wieder auf die Beiden zugetreten und habe den Korporal gefragt:

„Ist Seine Liebste jetzt versprochen?“

„Nein,“ antwortete er.

„Und Er tanzt auch nicht mit ihr?“

„Nein, diesmal nicht.“

„So werde ich’s einmal mit ihr versuchen.“

„Das lasse Er ja bleiben. Es könnte Ihm am Ende einen Schnupfen eintragen!“

„Oho, glaubt Er etwa, die Mädels seien alle nur für Ihn gewachsen?“

„Dabei habe ich sie beim Arme ergriffen und mit ihr fortgewollt; aber ehe ichs mir nur versehen konnte, bin ich durch das Gedränge hindurch bis grad’ vor die Thür geflogen, so daß ich rechts und links ein halbes Dutzend von den im Wege Stehenden

mit niedergerissen habe, und da ist er auch schon wieder bei mir gewesen, hat mich angefaßt, so daß ich mich gar nicht rühren konnte und mich die Treppe hinunter bis vor das Haus getragen. Da ist drüben über der Straße ein langer, hölzerner Wassertrog gestanden, in den hat er mich der Länge lang hineingelegt, so daß mir das Wasser aus dem Rohre grad’ über die Nase gelaufen ist.“

„Und Du hast Dir das so ruhig gefallen lassen? Das hätte er zum Beispiel einmal mit mir probiren sollen!“

„Ihr hättet auch nichts machen können! Der Mensch ist ja so stark, daß mir nicht nur der Athem, sondern auch Hören und Sehen vergangen ist. Und so habe ich mich denn aus dem kalten Bottich herausgekrabbelt und bin meiner Wege gegangen. Als ich so pudelnaß zum Bäcker kam, ist der fuchswild über das Mädchen gewesen und ich mag die Predigt nicht mit anhören, die sie später jedenfalls bekommen hat. Ich bin in andere Kleider gefahren, habe einen warmen Schluck zu mir genommen, und dann sind wir noch lange beisammen gesessen, um unsre Heirathsgeschichte in Ordnung zu bringen. Als ich am frühen Morgen fortging, hat er mir noch einen schönen Gruß an Euch aufgetragen, und Ihr solltet nur recht bald kommen, um Euch die Gelegenheit einmal anzusehen.“

„Na, das ist ja ein ganz miserables Abenteuer gewesen, und hier ist zum Beispiel gar nicht viel Zeit zu verlieren! Ich werde, wie gesagt, schon morgen fahren, und es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn ich den Handel nicht zu Stande brächte. Ich bin schon noch der Mann, so einem nichtsnutzigen Korporal den Braten zu verderben! Komm, trink aus; wir müssen das Geschirr putzen, daß morgen Alles recht hübsch sauber ist. Wer gut schmiert, der fährt auch gut!“

Bei der Erwähnung des Rittmeisters Platen hatte sich unser schweigsamer Zuhörer vorhin eines leisen Lächelns nicht erwehren können; jetzt blickte er den beiden sich entfernenden Männern mit ironischem Ausdrucke nach und winkte dann die Wirthin herbei.

„Kennt Ihr die Zwei, welche hier an diesem Tische saßen, Mutter Röse?“

„Ei freilich werde ich sie kennen. Es war der Getreidehändler Habermann mit seinem Sohne.“

„Habermann? So so! Das sind wohl reiche Leute?“

„Steinreich, wie die Leute sagen. Der Alte ist ein Pfiffikus, aber auch ein sonderbarer Kauz. Bei jedem Worte sagt er „zum Beispiel“. Wollt Ihr Geschäfte mit ihm machen?“

„Nein. Ein fürstlicher Bediensteter darf keine Geschäfte in Getreide oder Mehl unternehmen.“

„Ach so, Ihr seid in die Dienste der Durchlaucht getreten! Deshalb wart Ihr wohl auf dem Schlosse?“

„Ja.“

„Und nun wißt Ihr auch, mit wem Ihr heut’ Vormittag gesprochen habt?“

„Es war der Fürst selber.“

„Ja, der macht sich gern den Spaß, einmal in einem alten Rocke nachzuschauen, wie es unter den Bürgern zugeht. Morgen fährt er wieder nach Halle. Da müßt Ihr wohl auch mit?“

Der Gefragte nickte bejahend und erhob sich dann, um nach seinen Reisehabseligkeiten zu sehen, die noch oben im Zimmer lagen.

IV. Der Kleidertausch.

In einer der Morgenstunden des nächsten Tages hielt ein leichter Jagdwagen, an den zwei feurige Braune gespannt waren, welche ungeduldig mit den Hufen scharrten und an den Zügeln zerrten, vor dem Schlosse zu Dessau. Auf dem Bocke saß der neue Leibknecht, welcher heut’ seinen Herrn zum ersten Male fahren sollte.

Endlich erschien derselbe unter dem Portale und trat zu den Pferden.

„Das sind zwei heillose Sappermentskanaillen, höre Er. Die Probe, welche Er heut’ im Fahren ablegen soll, wird Ihm nicht leicht werden!“

„Durchlaucht sollen zufrieden sein!“

„Hoffe es auch!“ antwortete der Fürst, zum Schlage tretend, welchen ein Diener öffnete. „In Radegast wird Mittag gemacht und abgefüttert. Weiß Er den Weg?“

„Werde ihn schon finden, Durchlaucht.“

„Na, dann vorwärts!“

Ohne eine Bedienung aufzunehmen, rollte das Gefährte davon, zum Leipziger Thore hinaus und schlug dann die Straße ein, welche über Heusdorf, Radegast12) und Zörbig nach Halle13) führte. Am zweitgenannten -

20513.

zweitgenannten Orte wurde, wie der Befehl gelautet hatte, ein längerer Halt genommen, und dann ging es wieder in scharfem Trabe weiter.

Der Fürst schien mit der vorzüglichen Führung seines muthigen Gespannes außerordentlich zufrieden zu sein. Er hatte sich in den

weiten Ueberrock gehüllt und lag behaglich in einer Ecke des Wagens, mit munterem Auge die Umgegend musternd, obgleich er dieselbe in Folge des öfteren Hin- und Herpassirens genau kannte. Längst schon war man über Zörbig hinausgekommen und näherte sich eben

der Stelle, an welcher das Geschirr in die von Brehna kommende Straße einbiegen mußte, als er sich plötzlich mit dem Oberkörper aus dem Wagen beugte, um einen Mann zu beobachten, welcher mit langen und eiligen Schritten vor ihnen herwanderte.

Es war eine hochgewachsene, breite Gestalt, durch deren Haltung und Bewegung sich der Mann als Militär gekennzeichnet hätte, auch wenn seine Kleidung nicht eine soldatische gewesen wäre.

„Alle Teufel, wenn das nicht der Korporal Nauheimer ist,

20613.

welcher desertirt sein soll, so ist meinen Augen nicht mehr zu trauen. He, fahre Er ’mal zu, daß wir an den Kerl kommen, der da vorne läuft!“

Bei dem Namen Nauheimer hatte der Kutscher rasch aufgeblickt und brachte die Pferde in raschere Bewegung, noch ehe der Befehl dazu vollständig ausgesprochen war. Den Mann im erwartungsvollen Auge behaltend, murmelte er leise vor sich hin:

„Da wird man ja den Riesen kennen lernen, mit dem man mich zusammenstellt. Und desertirt soll er sein? Bin doch neugierig!“

Der Voranschreitende vernahm jetzt das Rollen des Wagens und drehte sich um. Kaum hatte er den Insassen desselben erblickt, so machte er Front und streckte sich in die zum Gruße vorgeschriebene Stellung. Der Kutscher parirte die Pferde; der Fürst legte sein Gesicht in die grimmigste Miene und fragte barsch und kurz:

„Korporal Nauheimer, wie kommt Er hierher?“

„Zurück vom Urlaub, Excellenz.“

„Wie lange hat man Ihm Urlaub gegeben?“

„Drei Tage, Excellenz.“

„Und wie lange ist Er fort?“

„Sechs Tage, Excellenz.“

„Er ist also Deserteur!“

„Zu Befehl, Excellenz,“ ertönte die Antwort, während das Gesicht des Soldaten nicht die mindeste Spur von Angst oder Bestürzung zeigte.

„Er ist also mein Gefangener und wird in Halle Seine Strafe bekommen. Will Ihm, der als Unteroffizier ein gutes Beispiel geben sollte, lehren, so ganz nach Belieben vom Regimente wegzubleiben. Setze Er sich neben den Kutscher und dann vorwärts!“

„Mit Permiß, Excellenz, habe, bevor ich aufsteige, erst meinen Rapport abzustatten!“

„Seinen Rapport? Alle Teufel, ist Er etwa in dienstlichen Angelegenheiten desertirt? Wenn er vielleicht meint, mir Etwas vorfasuliren zu können, so lasse ich Ihm das Fell noch extra gerben!“

„Excellenz, allerdings waren es dienstliche Angelegenheiten, welche mich verhinderten, zur rechten Zeit beim Regimente einzutreffen.“

„Will Er wohl Sein Maul halten, Er Erzflunkerer! Steige Er auf, sonst werde ich ihm eigenhändig auf den Bock helfen!“

„Zu Befehl, Excellenz,“ und dabei machte er Miene, dem Gebote Folge zu leisten. „Aber dann werden wir sie auch nicht fangen!“

„Fangen? Wen denn?“

„Na, die Sachsen!“

„Die Sachsen? Halt! Stehen geblieben, und Rede und Antwort gegeben! Was für Sachsen sollen wir fangen?“

„Die Werber, die Excellenz so gern haben wollen, und die uns doch immer entgangen sind.“

„Die Werber?“ Bei dieser Frage blitzten die Augen des Fürsten auf. „Hat Er vielleicht einen ihrer Schlupfwinkel entdeckt?“

„Zu Befehl, ja!“

„Wo denn?“

„In Bitterfeld.“

„Da? Diese Himmelhunde wagen sich sogar nach Bitterfeld? Na, ich werde ihnen die Suppe so versalzen, daß sie die Mäuler von Leipzig bis Merseburg verziehen sollen! Wo ist denn das Loch, in dem Er sie getroffen hat?“

„Bei dem Bäcker Wolstraaten.“

„Hat der Schwerenöther eine Trinkwirthschaft?“

„Ja, und sein Mündel ist meine Geliebte.“

Der Fürst blickte ihn überrascht an.

„So? Da geht es aber doch einem Mann an den Kragen, dem Er goutiren sollte!“

„Der Dienst geht vor die Liebe, Excellenz!“

„Er ist ein braver Kerl, Nauheimer, und Seinen Schaden soll er bei der Geschichte nicht haben. Wie viele sind es denn?“

„Es sind zehn Mann, die im Verborgenen die Gegend absuchen und ihren Fang zum Bäcker bringen. Dort werden die Angeworbenen in den Keller gesteckt, wo sie bis zu einer passenden Gelegenheit versteckt oder auch wohl gefangen bleiben; denn es wird bei der Sache nicht blos Ueberredung, sondern auch Gewalt angewendet.“

„Gut, den Keller wollen wir einmal leer machen. Wie lange Zeit hat das wohl noch?“

„Blos bis heute Abend.“

„Alle Hagel, das ist verteufelt wenig. Ehe man nach Halle oder wenigstens in das nächste Quartier kommt, vergeht ja schon eine ganze Ewigkeit, und ein von dort abgesandtes Detachement kann dann unmöglich noch zur rechten Zeit in Bitterfeld eintreffen.

Und etwas Anderes giebt’s ja nicht. Hm, hm! Wie sollen die Leute denn fortgeschafft werden?“

„Jedenfalls geht ein kleines Kommando Bedeckungsmannschaften einzeln und verkleidet über die Grenze. Bei Wolstraaten treffen sie sich, und dann werden die Rekruten bei Nacht und Nebel und auf Schleichwegen hinübertransportirt.“

„Hm! Wie viele sitzen denn auf dem Leime?“

„Sechszehn Mann; ich hab’s von meinem Mädchen. Die soll zwar von der Sache nichts wissen, aber Weiberaugen sehen durch die dickste Mauer. Ich habe meinen Urlaub nur überschritten, Excellenz, um durch die Sophie der Geschichte richtig auf die Spur zu kommen!“

„Na, da will ich einmal Sein Beichtvater sein, Korporal Nauheimer, und Ihm Absolution ertheilen. Jetzt aber wollen wir die Zeit nicht mit vergeblichem Grübeln verschwenden. Also aufgestiegen und dann fort, was die Pferde laufen können! Es wird unterwegs schon noch der richtige Gedanken kommen. — Nein,“ fügte er hinzu, als der Korporal sich anschickte, neben dem Kutscher Platz zu nehmen, „setze Er sich herein zu mir. Er soll mir einen ausführlichen Bericht erstatten!“

Diesem letztern Gebote wurde, während die Pferde trotz des schelchten Weges im raschesten Laufe dahinflogen, Folge geleistet, und bald war der Fürst nicht nur mit den letzten Erlebnissen, sondern auch mit allen Verhältnissen und Wünschen des Unteroffiziers bekannt. Da das Gespräch in lautem Tone geführt wurde, so vernahm auch der Wagenlenker jedes Wort, trotzdem er seit einiger Zeit ein Fuhrwerk, welchem sie sich näherten, scharf in die Augen genommen hatte, und als jetzt Leopold nachdenklich brummte:

„So, also der junge Habermann aus Dessau will Ihm das Mädel wegfischen? Das wird Er sich doch nicht gefallen lassen!“ wandte er sich zu dem Sprecher zurück und bemerkte, nach vorwärts deutend:

„Durchlaucht, da vorn fährt er, der Habermann!“

„Was? Hat den der Teufel auch schon hier? Wohin mag der nur wollen?“ (Fortsetzung folgt.)

21914.

Fürst und Reitknecht.

Eine Erzählung von Karl May.

(Fortsetzung.)

Nach Bitterfeld, zum Bäcker Wolstraaten, Durchlaucht.“

„Wie kommt Er auf diese Idee? Der wird wohl nicht acht Stunden umfahren; der grade Weg geht doch über Ragulm und Jeßnitz, und überdies hätte er da unten links einbiegen müssen!“

„Vielleicht hat er hier herum ein Geschäft abzumachen und richtet es so ein, daß er des Nachts bei dem Bäcker bleibt. Ich weiß ganz gewiß, daß er zu ihm will.“

„Woher denn?“

„Er sprach gestern bei Mutter Röse mit seinem Sohne davon, daß er heut’ die Heirathsgeschichte in Ordnung bringen will.“

„So so, hm, hm! Alle Wetter, da kommt mir ein Gedanke. Laß’ Er die Pferde ausgreifen, daß wir den Kerl schnell einholen!“

Das Gespann sauste im gestreckten Galoppe dahin, fuhr an dem Getreidehändler vorüber und hielt dann mitten auf der Straße, sich quer über dieselbe legend, sodaß Habermann nicht vorbei konnte. Dieser ließ auch halten, zog ehrfurchtsvoll die Mütze und grüßte, indem er sich respektgemäß erhob.

„Höre Er, Habermann, was hat Er denn hier in der Welt herum zu fahren? Wo will Er hin?“

„Nach Landsberg, Durchlaucht.“

„Was hat Er da zu thun?“

„Eine Partie Roggen kaufen. Soll ein gutes Geschäft sein zum Beispiel; habs unterwegs erst gehört.“

„Unterwegs? So hat Er also gar nicht nach Landsberg gewollt und wird wohl auch über die Nacht nicht dortbleiben?“

„Nein, Durchlaucht.“

„Wo soll’s denn hingehen?“

„Nach Bitterfeld.“

„Da geht Er noch verteufelt weit. Was hat Er denn dort zu suchen? Giebt es dort auch Roggen zu kaufen?“

„Familienangelegenheiten, Durchlaucht.“

„So, da hat Er also keine Verluste, wenn Er heute gar nicht hinkommt. Höre Er mal, Habermann, will Er mir wohl ’nen Gefallen thun?“

„Wenn ich zum Beispiel kann, mit tausend Freuden!“

„Das ist schön von Ihm. Viel Hudelei wirds Ihm nicht machen; wollen blos ’mal unsre Wagen umtauschen.“

„Die Wagen? Umtauschen? Wie käme ich denn zum Bei­spiel — —“

„Halte Er das Maul mit seinem Beispiel und parire Er Ordre! Also ausgestiegen!“

Während der Getreidehändler vom Wagen sprang, verließ auch der Fürst den seinen.

„So! Komme Er’mal näher! Ich glaub’, wir haben eine Länge mit einander, und über allzu großes Fett kann Er sich ebenso wenig beklagen wie ich.“

„Durchlaucht —“ tönte die verlegene Antwort, da der Sprecher nicht wußte, wo das Alles hinaus sollte.

„Da wird mir also Sein Rock nicht ganz schlecht sitzen und in dem Meinen braucht Er sich auch nicht zu schämen.“

„Durchlaucht, wenn ich fragen dürfte, warum zum Beispiel?“

„Will Er wohl auf der Stelle Sein albernes Beispiel weglassen! Werde Ihm schon sagen, was Er zu thun hat! — Muß heut’ noch einen kleinen Abstecher machen, aber ohne daß mich Jemand kennt. Weil nun mein Wappen an dem Wagen ist, so soll Er mir den seinen geben; Seine Mähren kann Er aber behalten.

Und mit dem Habit machen wir es ebenso. Da in den Sträuchern können wir umwechseln, ohne daß wir einander anzugaffen brauchen!“

Habermann stand vor Erstaunen da, wie vom Blitze getroffen und zog dabei ein so verdutztes Gesicht, daß der Fürst laut auflachen mußte, während er sich an den Kutscher wandte:

„Und Er giebt hier Dem da Seine Livree! Der Nauheimer wird derweile bei den Pferden bleiben. Verstanden?“

„Sehr wohl, Durchlaucht!“ antwortete der neue Leibknecht mit einer Miene, in der sich das ganze Vergnügen aussprach, welches er an dem ungewöhnlichen Abenteuer empfand.

Er zog, während der Korporal zurückblieb, den Knecht Habermanns mit sich fort, und bald war nur noch die scheltende Stimme Leopolds zu hören, welcher sich in der unbequemen Arbeit nur schwer zurechtfinden konnte.

Die beiden Rosselenker waren am ersten mit der Umänderung ihres äußeren Adams fertig; schon hatten sie die Pferde umgeschirrt und saßen wartend auf ihrem Platze, als endlich die beiden Andern erschienen. Es war wirklich auffallend, welche Aehnlichkeit Habermann jetzt in der Montour mit dem Fürsten hatte, und Letzterer sah in der Kleidung des Ersteren ganz wie ein alter, ehrsamer Spießbürger aus.

„So, das wäre gemacht! Denke Er nicht etwa, daß ich nur aus reinem Appetite in Seine alten Hosen gefahren bin. Es geht diesmal nicht anders, weil mir keine Zeit übrig bleibt. Und daß Er Seinen Schnabel hält über die ganze Geschichte, das sage ich Ihm, sonst hat Er’s mit mir zu thun!“

Er zog seine Brieftasche hervor, riß ein Blatt aus derselben und kritzelte einige Augenblicke darauf herum.

„Nun passe Er auf, was ich Ihm jetzt befehlen werde. Er fährt jetzt, so sehr Seine Ziegenböcke laufen können, nach Halle; dem Wachtcommandanten am Thore giebt Er diesen Zettel, und das Uebrige wird sich finden. Hat Er’s kapirt, he?“

„Ja.“

„Na, so steige Er auf! Morgen sehen wir uns wieder. Korporal Nauheimer, Er kann sich wieder zu mir in den Wagen setzen! Vorwärts jetzt!“

Der Leibkutscher lenkte um, und in fliegender Eile ging es erst zurück und dann auf der Straße nach Brehna weiter. Als sie das Städtchen erreichten, war es bereits dunkel, und die engen Gassen wurden nur von einigen Laternen erleuchtet, welche hier und da vor der Thür eines Gast- oder Wirthshauses brannten. Eben fuhren sie an einem solchen vorüber, als der Korporal sich zurückbog, um einen Mann schärfer anzusehen, welcher unter dem Thore gestanden hatte; aber die Entfernung war schon zu bedeutend, um die Gesichtszüge desselben zu erkennen.

„Was war’s denn, Nauheimer?“

„Es war mir grad so, Excellenz, als ob der Wolstraaten dortgestanden hätte.“

„Da hat Er sich sicher geirrt. Der wird sich hüten, heut’ Abend aus dem Hause zu gehen, wo solcher Besuch zu erwarten ist.“

„Er weiß doch nicht —“

„Papperlapapp, ich meine die Sachsen. Wollen sie aber schon kriegen, die Schurken! Ich bin der Getreidehändler Habermann — na, das geht ja jetzt so toll bei mir her, daß ich zuletzt selbst nicht mehr weiß, wer oder was ich bin, hahaha! Gestern war ich ein Zwie — wie — hahahaha — ein Zwie — wie — wiebelhändler, heut spiele ich den Getreidewurm — hahahaha — und wer weiß, was Alles noch bis morgen aus mir werden kann. Also ich bin der Getreidehändler Habermann und komme, um die Heirathsgeschichte in Ordnung zu bringen; der Leibkutscher ist mein Knecht — hört Er’s?“ frug er, sich zu dem Erwähnten vorbeugend — „und Er, na Er hat keine Rolle, sondern Er soll uns nur führen und dann Seine Augen offen halten.“

Der Jagdwagen mit dem fürstlichen Wappen und den beiden Kleppern bewegte sich zögernd nach Halle zu. Hans, dem Knechte, ging das soeben gehabte Erlebniß wie mit Windmühlenflügeln im Kopfe herum, so daß es ihm ganz gleichgiltig war, ob die Pferde überhaupt liefen oder sich in den Straßengraben legten, und Habermann konnte ebenso wenig aus dem Ereignisse klug werden. Er grübelte und grübelte, was dies Alles wohl zu bedeuten habe, aber es wollte ihm lange nicht das rechte Licht kommen, bis ihm endlich ein einziges Wort den Verstand zurückbrachte.

„Korporal Nauheimer, Er kann sich wieder zu mir in den Wagen setzen! hat der Alte gesagt, und so hieß ja zum Beispiel der infame Bengel, der meinen Jungen in in den Wassertrog gelegt hat! Da steckt Etwas dahinter. Ob die nicht vielleicht nach Bitterfeld fahren! Der Kerl soll gut beim Fürsten stehen und da weiß man nicht, was es geben kann. Ich muß mir nur einmal den Zettel ansehen, den ich am Thore abgeben soll!“

22014.

Er zog ihn aus der Tasche und versuchte seinen Inhalt kennen zu lernen; aber das war ein Unternehmen, welches seine hier ohnehin schwachen Kräfte überstieg, und so steckte er ihn denn unbefriedigt wieder zu sich.

„Hm, das ist ja eine ganz verwickelte Geschichte! Da soll ich zum Beispiel nach Halle fahren, versäume dabei aber meinen Handel in Landsberg, und in Bitterfeld wird mir unterdessen vielleicht gar der Braten vor der Nase weggefischt. Den Handel möchte immerhin der Kukuk holen, aber die Heirath zum Beispiel, die Heirath, die darf ich mir nicht entgehen lassen. Die Erbschaft aus Harlem oder so daherum, das ist die Hauptsache; aus dem Fürsten brauche ich mir nichts zu machen und den Zettel kann ich ja mit Gelegenheit nach Halle besorgen! — Hans, kehre um! Wir fahren nach Bitterfeld!“

Der Angerufene schrak aus seinem tiefen Sinnen auf, nahm die zwei Gedanken, welche ihm noch geblieben waren, zusammen und zog die müden Thiere herum.

„Nach Bitterfeld? Ohne erst noch ’mal einzukehren? Ja, beim Schimmel ginge es wohl, aber es geht nicht, weil’s der Fuchs nicht aushält; dem liegt’s schon seit Langem in den Gliedern!“

„Fahre nur zu! Zum Ausruhen ists zum Beispiel in Brehna oder weiter unten noch Zeit!“

Es wurde dunkel. Kurz vor Brehna begegnete ihnen ein einzelner Fußgänger.

„He, guter Freund, wo soll denn der Weg hingehen?“ fragte Habermann.

„Nach Halle will ich; aber die Thore werden wohl schon geschlossen sein, wenn ich hinkomme.“

„Habt Ihr denn nothwendig dort zu thun?“

„Freilich, sonst würde ich doch lieber in dieser späten Tageszeit zu Hause bleiben!“

„Na, da will ich Euch durch die Thore helfen. Gebt zum Beispiel einmal diesen Zettel an den Wachtkommandanten ab; es steht eine Nachricht für ihn darauf, und bei dieser Gelegenheit kommt Ihr ungehindert in die Stadt.“

Der Fremde trat an den Wagen, um das Papier in Empfang zu nehmen. In dieser unmittelbaren Nähre war es ihm möglich, die Uniform zu erkennen, und respektvoll zog er die Mütze.

„Schönen Dank, Herr Offizier, das soll gut besorgt werden!“

„Das will ich hoffen! Es wird auch Euer Schade nicht sein, denn Ihr werdet zum Beispiel ein schönes Trinkgeld bekommen!“

Mit diesem Versprechen beabsichtigte Habermann, den Diensteifer des Mannes anzuspornen; dieser grüßte noch einmal und schritt dann eilig davon.

„Das paßt gut!“ flüsterte der Fußgänger vor sich hin. Wenn die Sachsen kommen, mache ich mich allemal aus dem Staube, damit es mir nicht an den Kragen geht, wenn sie einmal erwischt werden. Das Geld habe ich voraus, und sie kennen die Schliche im Hause so gut, daß sie ihre Leute auch ohne mich finden. Und übrigens ist ja die Rosine da; auf die kann ich mich verlassen. Die Hauptsache ist ein — ein — Alibi, wie’s die Juristen nennen, der Beweis, daß ich nicht zu Hause, sondern wo anders gewesen bin, und in Halle hole ich mir diesen Beweis am sichersten, denn was Einer vom Militär sagt und bezeugt, das gilt in solchen Dingen mehr, als was ein gewöhnlicher Mann behauptet, der keine bunten Fetzen trägt.“

Er verbarg das Papier gut in seinem Rocke, ohne den Inhalt desselben zu ahnen, welcher also lautete:

„Rittmeißter von Gallwitz sofohrt mit Seyner Eskadron nach Bitterfeld. Ist eylig! Mich beym Bäcker Wollstraden treffen. Ueberbrynger ist der Gedreydehändler Hawermann aus Dessau. Ihm feßthalden und mitbringen.

Leopold.“

Während der vertrauensvolle Bote seinen Weg fortsetzte, näherte sich der Wagen Habermanns dem Städtchen und passirte dasselbe, ohne anzuhalten. Die Pferde wollten, von der zurückgelegten weiten Tour ungewöhnlich angestrengt, nicht mehr recht weiter, die Finsterniß wurde immer dichter und es fröstelte die beiden Männer, welche so unerwartet zu Ehren und Würden gekommen waren.

„Wir könnten doch unsre armen Thiere eine halbe Stunde verschnaufen lassen!“ räsonnirte Hans.

„Das geht nicht! Das muß doch zum Beispiel ein jedes Kind einsehen, daß wir in unsern Kleidern uns hier nicht sehen lassen dürfen. Bei mir hätte es zwar keine Noth, aber Du zum Beispiel, Du —“

„Was denn ich?“ fiel ihm der Knecht ärgerlich in die Rede. „Denkt Ihr denn etwa, daß ich den Kammerjäger oder den Leibhusar oder was ich jetzt vorstellen soll, nicht spielen kann? Das ist

mir Wurst wie Schale, warum also nicht einkehren? Es ginge schon, aber es geht nicht, weil Euch der Offizier zu schwer fällt!“

„Was? Der Offizier? Mir schwer fallen? Wenn Du das noch einmal sagst, so jage ich Dich auf der Stelle fort, und dann kannst Du zum Beispiel leibjägern oder kammerhusaren wo und wie es Dir beliebt; aber jetzt bist Du mein Husarenjäger und da hast Du vor allen Dingen Respekt zu haben. Verstehtst Du mich?!“

„Na, warum denn nicht? Da mögen die Pferde meinetwegen hungern, daß die Schwarte knackt, aber warum ich als Stallmeister auch mit hungern soll, das möchte ich wissen, Herr Generalrittmeister!“

„Hunger hast Du?“ erwiderte Habermann, durch diesen unmöglichen Titel geschmeichelt. „Ja, das ist ein miserables Gefühl, und so wollen wir zum Beispiel bei der nächsten Gelegenheit mal einkehren und sehen, ob etwas zu beißen zu bekommen ist. Aber da werde ich Dir auch beweisen, daß ich aufzutreten verstehe wie ein Feldmarschall.“

Er fuhr mit den beiden Händen in das Gesicht, versuchte seinem Schnurrbarte eine martialische Biegung nach oben zu geben und zog die Stirn in so bedrohliche Falten, daß die Augenbrauen fast auf die Nase zu liegen kamen.

„So, das ist die richtige und wahrhafte Generalsstabsmiene. Fahre zu, Hans; wir werden schon noch an ein Wirthshaus kommen, wo Du Dich zum Beispiel über mich wundern sollst!“

„Na, ich habe heut’ schon mein blaues Wunder vor Augen gehabt. Wenn ich’s nur auch begreifen könnte, was der Fürst eigentlich vorhat. Es ginge wohl, denn ich bin all mein Lebtage nicht dumm gewesen, aber es geht nicht, weil mir das Nachdenken noch niemals nicht Etwas geholfen hat! Ahü Schimmel, ahü Fuchs, sonst sollt ihr sehen, daß ich Stallhusar geworden bin!“

V. Die Seelenverkäufer.

Es klingelte am Thore. Die Glocke wurde von einem schlank gewachsenen jungen Mann gezogen, welcher die Kleidung gewöhnlicher Landleute trug, zu der aber ein gewisses Etwas in seiner Haltung nicht recht passen wollte. Niemand schien auf den Ton zu hören, trotzdem derselbe weit über den Hofraum hinschallte. Der Einlaß Begehrende handhabte den Klingelzug in etwas ungeduldigerer Weise, und bald ließen sich langsame, schlürfende Schritte vernehmen, welche sich dem Eingange näherten.

„Nunununuhhh!“ machte eine tiefe Baßstimme hinter der Mauer. „Wo brennts denn hier in Beyersdorf? Soll ich etwa löschen helfen?“

„Macht keine dummen Witze und zieht lieber den Riegel weg, damit man eintreten kann!“ raisonnirte der Außenstehende.

„Dumme Witze? Könnt Ihr sie vielleicht besser machen? Riegel wegziehen? Der ist blos bei Nacht vorgeschoben; das Schloß ist Schuld, daß Ihr draußen steht und ich hinne. Eintreten kann? Damit hat’s noch gute Weile! Wer seid Ihr denn?“

„Das kann Euch egal sein. Macht nur auf!“

„Da kann es Euch egal sein, wenn ich nicht aufmache!“

Der Mann schlürfte langsam und gemächlich wieder über den Hofraum zurück.

„Will Er wohl dableiben und öffnen, Er Grobian!“ rief der Andere, an dem Zuge reißend, daß der Draht zersprang.

„Höre Er da draußen, wenn Er keine Ruhe halten kann, so schicke ich Ihm die Knechte auf den Hals; mit denen mag Er sich herumklingeln, soviel Er will! Ist das eine Art, nicht Red’ und Antwort stehen und dann an der Glocke zerren, daß man denkt, der jüngste Tag sei da? Hier hängt nun der Drath; das ist ein schöne Bescheerung!“

„Wenn Er aufgemacht hätte, so wäre das nicht passirt. Also vorwärts; ich habe keine Lust, mich lange mit Ihm herumzuärgern!“

„Das ist auch nicht nothwendig, und der Gedanke ist nicht so ganz albern von Ihm. Also, wer ist Er denn?“

„Ich habe Ihm schon gesagt, daß Ihm das egal sein kann!“

„Auch gut. Da mag Er also draußen stehen bleiben. Das Klingeln will ich Ihm jetzt nicht mehr verbieten!“

Wieder entfernten sich die Schritte. Das war dem Harrenden zu viel; er schnellte sich an der Mauer empor, ergriff die obere Kante derselben, zog sich mit einem kräftigen Schwunge hinauf und machte Anstalt, auf der andern Seite hinunter zu springen, als ein lauter Pfiff ertönte.

„Hektor, allons; da fällt es Einem ein, auf unsre Festung Sturm zu laufen. Zeige ihm doch mal deine Zähne!“

22114.

Der große, zottige Wolfshund, welcher auf den Ruf herbeigesprungen war, nahm unter dem Obensitzenden Platz und fletschte grimmig knurrend das scharfe Gebiß.

„So! Wenn die Leute jetzt anfangen, über die Mauern herein zu spazieren, da brauchen wir das Thor gar nicht mehr zu verschließen!“

Bei diesen Worten steckte er den Schlüssel in das Schloß und zog dann die Thorflügel weit auseinander.

„Jetzt, Hektor, kannst Du heraus und herein. So ein Thier will auch mal sein Vergnügen haben!“

Mit breitem Lachen wandte er sich ab und schritt langsam der Scheune zu, aus welcher eine Anzahl von Knechten und Mägden den Mauerreiter unter schallendem Gelächter beobachteten. Da das Thor jetzt von dem schlauen Alten geöffnet worden war, so konnte der Fremde weder hüben noch drüben herunter, denn nach welcher Seite er sich auch wandte, immer stand der Hund unten, der mit einigen raschen Sätzen durch das Thor dem Gefangenen zuvorkam. -

zuvorkam. Er erkannte das Mißliche seiner Lage und die Nothwendigkeit, sich auf’s Bitten zu legen.

„So rufe Er doch nur Seinen Köter zurück. Er soll ja erfahren, wer ich bin!“

Der Angeredete drehte sich um und kam wieder näher. Sein dickes, rothes Gesicht grinste förmlich von einem Ohre bis zum andern vor Plaisir.

„Das ist ganz gescheidt von Ihm, denn ich hätte Ihn sonst meinetwegen bis zum Jörgentage da oben sitzen lassen. Also zum dritten Male: wer ist Er denn?“

„Ich bin ein guter Freund von Seiner Herrin, mit der ich Etwas zu besprechen habe,“ antwortete der unglückliche Turner, indem er seinen besorgten Blick über die zwei Fensterreihen des Wohngebäudes gleiten ließ. Welche ungeheure Blamage, wenn sie ihn in seiner gegenwärtigen Situation bemerkte!

„Ein Freund von meiner Herrin? — von Fräulein von Naubitz? Das mache Er nur getrost einem Andern weiß, aber mir nicht! Ein Freund von unserm gnädigen Fräulein hat nicht nöthig, über

die Mauern zu springen und sich dabei die Hosen aufzuschlitzen!“

Erst auf diese Notabene hin bemerkte der junge Mann mit Schrecken, daß seine Beinkleider weniger glücklich nach oben gekommen waren, als ihr Besitzer. Mit einer raschen Bewegung zog er die Ränder des weitklaffenden Risses über einander und kapitulirte weiter:

„Weiß Er vielleicht, was inkognito ist?“

„Natürlich weiß ich das. Wenn ich dort der Karoline ihren Wattrock anziehen und ihre Bänderhaube aufsetze, so bin ich inkognito.“

„Richtig, und ich bin auch inkognito. Versteht Er mich?“

„Ja. Er ist irgend ein vornehmer Herr und reist zu seiner Unterhaltung jetzt als Mauerläufer. Viel Prosit scheint Er aber nicht dabei zu haben!“

„Daran ist Niemand weiter Schuld, als Er. Rufe Er den Hund zurück, daß ich hinunter kann!“

„Nicht eher, als bis Er Seinen Namen nennt!“

„Den wird Er schon noch zur rechten Zeit erfahren, und dann wird Er wohl einsehen, was für ein Esel Er gewesen ist!“ antwortete -

antwortete der rittlings auf dem Throne Sitzende. Die Achtung, welche er seinem Stande und Namen schuldig zu sein glaubte, verbot ihm ihn zu nennen.

„Ganz wie Er will! Wenn ich der Esel bin, so mag Er als Affe droben hocken bleiben, bis das gnädige Fräulein zurückkehrt. Dann wird sichs wohl finden, was für ein guter Freund Er von ihr ist!“

„Fräulein von Naubitz ist nicht da?“

„Verreist.“

„Wohin?“

„Nach Bitterfeld.“

„Wann kommt sie zurück?“

„Spät Abends oder gar erst morgen.“

„Erst gestern in der Nacht hier angekommen, und heut schon wieder fort? Das muß ja etwas ganz Nothwendiges sein.“

„Woher weiß Er denn, daß sie gestern hier eingetroffen ist?“

„Weil ich gestern früh noch mit ihr in Dessau gesprochen habe.“

„So so, da scheint doch etwas Wahres daran zu sein, daß Ihr

22214.

sie kennt. Aber warum sagt Ihr auch nicht, wer Ihr seid und was Ihr wollt? Hektor, kusch Dich! Da springt meinetwegen jetzt herunter. Die Karoline mag Euch den Riß zuflicken, und dann könnt Ihr warten, bis das Fräulein kommt.“

Der aus seiner Drangsal Erlöste wagte den nicht ganz leichten Sprung und antwortete dann, tief aufathmend:

„Das Warten ist eine langweilige Sache; ich werde ihr lieber entgegen gehen und sie also unterwegs oder in Bitterfeld treffen. Wo ist sie dort zu finden?“

„Ja, das weiß ich nicht! Ich glaube, es handelt sich um einen Prozeß, und da könnt Ihr einmal, wenn Ihr ihr nicht begegnet, bei ihrem Sachwalter nachfragen. Er heißt Uhlmann und wohnt beim Bäcker Wolstraaten. Sie kennt die Familie gut und ist schon früher mehrmals dortgeblieben, wenn’s zur Heimfahrt zu spät wurde.“

Die Karoline wurde gerufen und folgte den beiden Männern in die Stube. Während hier ein Imbiß genommen wurde, heilte sie mit kräftigen Nadelstichen den Hosenriß zusammen, und dann nahm der Held der verunglückten Mauerattaque, in welchem wir längst den Lieutenant von Polenz wieder erkannt haben, Abschied, um sein Inkognito weiter fortzusetzen.

Es war doch nicht mehr so früh am Tage, als er gemeint hatte, und da er den Weg noch nicht gegangen war, so mußte er ihn mit der Beschreibung, die er sich von demselben hatte geben lassen, so oft vergleichen, daß er nicht mit der erwünschten Schnelligkeit vorwärts kam. Dazu verursachte ihm das genossene Vesperbrod einen Durst, welcher sich mit jedem Schritte steigerte, und deshalb beschloß er, obgleich es schon zu Dunkeln begann, in ein Wirthshaus einzutreten, welches er jetzt erblickte, einsam zwischen dichtem Gebüsche an der Straße liegend.

An einem der eichenen Tische, welche in der niedrigen Gaststube standen, saßen drei Männer, die sich durch den Neuangekommenen nicht im Geringsten stören ließen, sondern ihr Gespräch über Krieg und Frieden, Handel und Wandel ungenirt fortsetzten. Doch glitten ihre Blicke beobachtend über seine schlanke, biegsame Gestalt, und als er sich einen Krug Bier bestellte und der Wirth ihnen einen fragenden Blick zuwarf, neigte der Eine von ihnen bejahend und mit pfiffigem Augenblinzeln seinen Kopf.

Der Wirth holte den Trunk aus dem Keller, brachte denselben aber nicht direkt in die Stube, sondern ging erst in die Küche, wo er ein Fläschchen aus dem Schranke nahm, um einige Tropfen daraus in das Bier zu gießen.

„Möchte doch nur wissen, was das für ein Teufelszeug ist! Wer’s bekommt, der verliert den Verstand und die Besinnung so vollständig, daß man alles Mödliche mit ihm machen könnte. Na, mich geht’s nichts an; ich bekomme mein Geld für jeden Vogel, den sie fangen, und damit holla!“

Er trug den Krug in das Zimmer und stellte ihn vor Polenz hin. Dieser, durstig wie er war, leerte ihn bis auf die Nagelprobe und ließ sich einen zweiten kommen. Das Getränk schien ihm Kühlung zu bringen, aber der Durst wollte nicht weichen und wurde vielmehr immer heftiger. Er trank und trank; das Blut pulsirte ihm heiß durch die Adern; es war, als müsse er aufspringen und hinauseilen in die feuchte Abendluft, aber ihm fehlte nicht nur die Kraft, sondern auch der Wille dazu.

Und dabei empfand er keineswegs eine Beklemmung seines Gemüthes, sondern es bemächtigte sich seiner eine Heiterkeit, welche ihn bewog, auf das Anerbieten der drei Männer, sich zu ihnen zu setzen, willig einzugehen.

Bald war eine launige Unterhaltung im Gange; die Rede kam auf das Soldatenwesen, auf die Schlachten und Gefechte der letzten Feldzüge, auf die Vorzüge der verschiedenen Armeen und endlich auch auf die Anwerbung. Der Eine von ihnen war kürzlich erst den sächsischen Werbern mit sammt dem Draufgeld durchgebrannt und erzählte unter Scherz und Lachen, wie es dabei zugegangen sei. Polenz fand Gefallen an den muntern Burschen und gab nach besten Kräften seinen Theil zum Gespräche, obgleich ihm die Zunge immer schwerer wurde und seine Sinne sich zu umnebeln begannen.

„Also so war’s,“ fuhr der Erzähler fort, sich an Polenz wendend: „Ich saß so, wie Ihr hier sitzt, und hier, hier, hier und hier saßen die vier Kerls, welche mich haben wollten. Mir war’s blos um das Handgeld zu thun, denn mein Beutel hatte das Bauchgrimmen, und so that ich, als ob ich nichts merkte. Hab’ sie auch schön geleimt, die Hallunken; da liegt er noch, der kurfürstlich sächsische Soldatenhut, den ich mir zum Andenken mitnahm, als ich ihnen durchging. Habe ich’s etwa nicht klug gemacht?“

„Doch, doch!“ nickte Polenz.

„Gut! Nun denkt Euch einmal, Ihr wärt an meiner Stelle!

Mit dem Zutrinken gings natürlich los, und der Wein wurde nicht geschont. Prosit, Kamerad!“

„Prosit!“ antwortete Polenz, das Glas leerend. Wenn ihn jetzt Jemand nach seinem Namen gefragt hätte, so wäre er kaum im Stande gewesen, sich auf ihn zu besinnen.

„Der Soldatenrock soll leben, Kamerad. Prosit!“

„Prosit!“ klang es von Neuem, und wieder war das Glas leer.

„Da hält er mir drei goldne Füchse hin, so ungefähr, wie ich sie jetzt Euch hinhalte, und dabei fragt er mich: „Willst Du’s immer so lustig haben, wie heut’? Greif zu!“ Was hättet Ihr an meiner Stelle gethan, wenn es bei Euch im Beutel so ausgesehen hätte wie bei mir?“

„Greif zu!“ antwortete Polenz, das Geld einsteckend, ohne zu wissen, was er that. Er kannte alle Kunstkniffe dieser Leute, aber er war seiner nicht im Geringsten mehr mächtig und wäre am liebsten unter den Tisch gefallen, um sich gründlich auszuschlafen.

„So ist’s recht! Darauf hat er den Hut genommen, ihn mir auf den Kopf gesetzt, so wie ich es jetzt mit Euch thue, und gesagt „Basta, abgemacht, jetzt bist Du des Churfürsten Soldat und hast von nun an Ordre zu pariren. Komm mit in Deine Kammer und träume, was Dein Herz begehrt. Morgen wird’s von selber anders. Hahahaha!“

Die drei Männer erhoben sich und trugen den vollständig Besinnungslosen hinaus. Als sie zurückkehren, meinte der Wirth:

„Habe Euch heut die Arbeit leicht gemacht; er hat in jedem Krug sein Deputat bekommen.“

„Kerl bist Du verrückt? Das kann ihn ja um den Verstand bringen! Einmal ists schon leidlich; zweimal ists genug. Aber gewöhnlicher Leute Kind ist der nicht, das hat man ihm angesehen. Wenn er nur nicht etwa eine Frau Liebste hat und was noch Kleines drum und dran zu hängen pflegt, sonst heult er uns die Ohren voll und — na, mit heut ist so wie so ja Alles vorüber!“

Der Sprecher suchte ein schmutziges Spiel Karten hervor und bald saßen die drei Kumpane beim Spiele, welches erst eine Störung erlitt, als draußen Pferdegetrappel und das Rollen eines Wagens hörbar wurde.

Der Wirth zündete eine Laterne an, um nachzusehen, was es gäbe. Die Zurückbleibenden horchten gespannt auf.

„Hieher leuchten,“ tönte eine barsche Stimme, „damit man weiß, wohin man tritt! Giebt’s bei Ihm zum Beispiel ’was zu essen und zu trinken?“

„Jawohl, Herr Lieutenant!“

„Und Futter für die Pferde?“

„Jawohl, Herr Hauptmann!“

„Und Tabak? meine Pfeife ist mir zum Beispiel ausgegangen.“

„Jawohl, Herr Major!“

„So führt mich hinein in die Budike!“

„Jawohl, Herr Oberst!“

Der Wirth sah, daß er einen Offizier vor sich hatte, doch konnte er in der Dunkelheit sich über den Rang desselben nicht klar werden. Je näher er ihm aber mit der Laterne kam, desto höher wuchs sein Respect vor der mächtigen Gestalt, die vor ihm stand; mit kriechender Höflichkeit öffnete er die Stubenthür, und als er nun beim hellen Schein der Lampe den Gast genauer in das Auge fassen konnte, sprang er schnell zu einem Stuhle, wischte ihn eilig ab und rief, denselben präsentirend:

„Wollt Ihr nicht Platz nehmen, Herr General?“

Habermann — denn dieser war es — warf sich mit seiner hochmüthigsten Miene in den Sessel, richtete den herabgesunkenen Bart wieder in die Höhe, streckte die langen Beine gravitätisch von sich und ließ sein Auge so funkelnd wie möglich in dem Raume umherschweifen.

Von den Gästen waren zwei verschwunden, und der dritte lehnte schnarchend in der Ecke hinter dem Ofen.

„Wecke Er mal dort den Menschen auf. Ich bin zum Beispiel nicht gewohnt, mich anschnarchen zu lassen! So! Und nun bringe Er zunächst einen Krug Bier. Den für meinen Leibhusaren setzt Er dort an die Ecke bei der Thür!“

Während dessen schlüpfte einer von den zwei Verschwundenen auf die Straße und trat zum Kutscher.

„Schöne Pferde das!“ (Fortsetzung folgt.)

23615.

Fürst und Reitknecht.

Eine Erzählung von Karl May.

(Fortsetzung.)

Hm, ja! Mit dem Schimmel ginge es wohl, aber es geht nicht, denn dem Fuchs liegt es schon lange in den Gliedern.“

„Und ein proprer Wagen. Sapperlot, da muß man wie ein Prinz drinsitzen!“

„Hm ja! Vielleicht gar wie ein Fürst.“

„Da habt Ihr ja ein Wappen d’ran! Laßt mich’s doch ’mal sehen!“

Hans leuchtete gutmüthig hin.

„Donnerwetter, das ist ja — — Unsereiner,“ setzte er, sich rasch unterbrechend, hinzu, „kennt sich mit solchen vornehmen Bildern nicht aus. Wer ist denn eigentlich der Herr, der da drinnen sitzt?“

„Das ist — das ist — ja, das darf ich nicht sagen. Es ginge wohl, denn ich weiß ganz genau, wer es ist, aber es geht nicht, weil ich’s sonst verrathe!“

„Aber wer Ihr seid, das dürft Ihr wohl sagen?“

„Warum nicht? Ich werde doch wohl von mir selber reden dürfen!“

„Nun?“

„Ja nun! Ich bin der Stalloberhusar vom alten Dessauer!“

„Und wer der da drin ist, das wollt Ihr mir nicht sagen?“

„Bewahre. Ich werde doch meinen eignen Herrn nicht etwa verrathen!“

„Wo soll denn die Reise so spät noch hingehen?“

„Nach Trippstrill,“ antwortete Hans ärgerlich über das viele Fragen. „Packe Er sich fort, sonst komme ich vor Weihnachten nicht zu meinem Bier!“

Nachdem er mit Hülfe des Wirthes die Pferde versorgt hatte, trat er in die Stube. Habermann saß ganz allein darin und kaute an dem Abendbrode, welches er sich hatte geben lassen. Verwundert guckte der Knecht auf die Ecke, auf welcher seine Portion stand.

„Wo ist denn mein Bier?“

„Dort.“

„Hier das?“

„Ja.“

„Grad wie die Leichenfrau! Die muß sich auch an die Ecke bei der Thür setzen. Das ginge wohl, denn ich habe Hunger, aber es

geht nicht, denn ich bin keine Leichenfrau, sondern fürstlicher Kammermeister!“

„Maul gehalten — hingesetzt — eingehauen!“ donnerte ihn da Habermann an. „Wart, ich werde Dir zeigen, daß ich den Offizier spielen kann! Kammermeister! Da bist Du zum Beispiel gar nichts gegen mich!“

„Na ja,“ antwortete Hans kleinlaut und vollständig eingeschüchtert. „Der Fürst konnte auch meinen Rock anziehen und Ihr dem Kutscher seinen; da wär’s grad umgedreht gewesen: ich wäre Regimentsmarschall und Ihr wärt Stalllakai, und da könnte ich Euch auch in die Wicken donnern!“

„Will Er nun wohl dort zum Beispiel anbeißen oder soll ich Ihm raisonniren helfen, Er Schwerenöther!“

„Ich esse ja schon!“ ertönte die Antwort zwischen den kauenden Zähnen hervor; „es geht so leidlich, denn ich habe Hun­ger!“ —

Drüben auf den andern Seite des Flures saßen in einer kleinen, moderigen Hauskammer die Drei, welche sich aus dem Staube gemacht hatten, und steckten, leise flüsternd, die Köpfe zusammen. Im hintern Winkel des Raumes lag Polenz auf der Erde und merkte nicht das Mindeste von dem, was um ihn vor­ging. —

„Ja, das wäre ein Fang, wie er uns im ganzen Leben nicht wieder vorkommt!“

„Und was der uns einbringen würde, wenn’s der alte Dessauer wirklich ist!“

„Freilich ist er’s; darüber giebt’s ja gar keinen Zweifel!“

„Aber es ist viel gewagt bei der Sache. Wir könnten uns vielleicht auch eine schlimme Suppe einbrocken.“

„In wiefern?“

„Denkt, was das in aller Welt für eine Skandal machen würde; es entstände ein wahrer Aufruhr unter den Diplomaten, und auf wen ginge es hinein? Zunächst auf den Kurfürsten, und dann immer weiter hinunter, bis es uns an den Kragen käme!“

„Bilde Dir nicht solche dumme Sachen ein, alter Hasenfuß. Hast Du denn von den Gerüchten noch gar nichts gehört, die so in der Luft herumschweben? Wenn Du an eine Winterruhe glaubst, jetzt Anfangs November, so bist Du auf dem Holzwege. Die Schlappe, welche die Oesterreicher bei Sorr erlitten haben, können sie unmöglich ein halbes Jahr lang auf sich ruhen lassen; die werden nach Revanche brennen, und wenn man Augen und Ohren offen hält, so hört und sieht man Manches, was nach neuen Märschen riecht. Warum ist der Prinz von Lothringen14) von Wien abgereist, warum befindet sich unser Marschall Rudowsky15) immerfort auf Inspektion unterwegs, und warum endlich werden plötzlich alle Werbestationen eingezogen, trotzdem wir uns grad’ jetzt mitten in den besten Geschäften befinden, he?“

„Ja warum?“

„Weil’s heut’ und morgen losgehen kann, oder übermorgen! Der Dessauer steht mit zwölf Tausend Mann an der sächsischen Grenze, und er ist so ein Hitzkopf, daß er beim geringsten Zeichen sofort hinübermarschirt und losschlägt. Da wäre es doch wohl ein ächter Geniestreich, wenn man den alten Krippenbeißer mitten unter seinen Leuten und in Feindesland zusammenwickelte und nach Nummer Sicher transportirte, so daß er keinen Schaden bringen kann. Donner und Doria, das gäbe Geld und Avancement und vielleicht noch manches Andere!“

„Wie Du die Sache anschaust, haben wir allerdings nur Belohnung zu erwarten, und es leuchtet mir auch ein, daß Du vollständig Recht hast. Aber wie wollen wir ihn denn so kriegen, daß wir sicher mit ihm durchkommen?“

„Das ist allerdings das Schwierige. Betrunken machen können wir so Einen nicht, und selbst wenn wir ihn schon fest hätten, so will ein Fürst und Feldmarschall doch anders behandelt sein, als so ein Grünschnabel, wie sie uns zu Dutzenden ins Garn laufen.“

„Ich denke, wenn wir ihn nur erst in Bitterfeld hätten, so wäre das Weitere nicht schwer. Bei solcher Bedeckung, wie sie heut’ Nacht zu uns stößt, ist Nichts mehr zu befürchten.“

„Das ist richtig, aber wie ihn nach Bitterfeld bringen?“

„Hat er Waffen bei sich?“

„Habe nichts gesehen.“

„Auch im Wagen nicht?“

„Nein, habe Alles durchsucht.“

„Der Kutscher scheint ein noch sonderbarerer Kauz zu sein als sein Alter. Vor dem brauchen wir uns keine Angst zu machen! Der spricht: „Es ginge wohl, aber es geht nicht!“ und dabei knicken wir ihn zusammen und schnallen ihn über das Schmutzleder.“

„Wenn sie keine Waffen haben, so ist die Sache ja doch nicht schwer! Mit dem Kutscher wird gar kein Kram gemacht und der Alte muß uns sein Ehrenwort geben, daß er sich ruhig fügen will.“

23715.

„Aber wenn er es nun nicht giebt?“

„Nicht giebt? Ein Pistolenlauf ist eine kitzliche Sache. Versuchen können wir es wenigstens.“

„Aber der da? Den können wir doch nicht im Stiche lassen!“

„Das wird sich schon machen; der wird einfach hinten aufgebunden. Zuerst müssen wir den Kutscher nehmen, um in den Besitz des Wagens zu kommen. Das ist Eure Sache; den Fürsten nehme ich auf mich allein.“

„Und der Wirth? Wird der’s zugeben?“

„Der muß ruhig sein, denn wenn wir reden, so wird er strangu­lirt.“ —

Während in der dunklen Kammer über das Schicksal des Feldmarschalls -

Feldmarschalls des heiligen römischen Reiches deutscher Nation und des Königreichs Preußen solche außergewöhnlichen Bestimmungen getroffen wurden, schob Seine Durchlaucht Habermann den leer gewordenen Teller von sich, schnalzte mit der Zunge und meinte:

„Das war nicht schlecht gegessen in diesem alten Neste. Wie steht es zum Beispiel mit den Pferden, Wirth?“

„Die sind wieder frisch und munter.“

„Da bringe Er noch ein Bier, und dann mag’s weiter gehen!“

Hans erhob sich, während der Wirth nach dem Keller schritt.

„’S ist nicht so prächtig mit dem Essen! Im Käse waren Maden, und das Brod“ — —

„Maden? Willst Du mir etwa noch hintennach den Appetit

verderben, Kerl? Wo sollen denn zum Beispiel jetzt im November die Maden herkommen!“

„Na, die treiben sich doch wohl das ganze Jahr im Käse ’rum! Ich kann keine essen. Es ginge wohl, wenn man die Augen dabei zumachen wollte, aber es geht nicht, weil ich sehen muß, was ich esse.“

„Mach’, daß Du ’raus kommst zu den Pferden, sonst will ich Dir helfen!“

„Herr Brigadewebel, ich lasse mich nicht „Du“ schimpfen, so lange ich Kammerhusarenjäger bin!“

„Packe Er sich fort, sonst werfe ich Ihm zum Beispiel dort den Bierkruf an den Kopf!“

„Gut, so ’ne Rede lasse ich mir eher gefallen; das „Er“ und „Ihm“ macht sich doch gleich reputirlicher!“

Mit dieser Belobigung trollte er sich von dannen.

Nachdem er das Riemenzeug der Pferde einer kurzen Kontrole unterworfen hatte, nahm er auf dem Bocke Platz und gewahrte also nicht, daß auf dem am Hintertheile des Wagens abgebrachten Bediententritte ein Mann saß, welcher durch Stricke in seiner sitzenden Lage festgehalten wurde. Ebenso wenig hörte er die leise geflüsterten Worte:

„Gut, der macht’s uns leicht! Da können wir den Alten ruhig einsteigen lassen, dann aber heißt’s rasch d’rauf — ich den Fürsten, Du den Kutscher, und Du greifst da zu, wo es zuerst nothwendig wird. Aufgepaßt, jetzt kommt er!“

„So, da leuchte Er nur wieder; das ist ja eine Finsterniß, daß man zum Beispiel die Hand nicht vor den Augen sehen kann — na, da löscht Ihm noch dazu der Luftzug Seine alte Funzel aus —

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nun ist’s rabenschwarz! ’S ist gut; Er braucht nicht erst wieder anzubrennen. Finde mich schon zurecht. So! Jetzt vorwärts, Hans!“

„Hü“ — wollte dieser den Pferden zurufen, aber die Laute blieben ihm vor heller Verwunderung im Halse stecken, denn in diesem Augenblicke saß neben ihm ein Mann, der ihm die Zügel und die Peitsche aus der Hand nahm und darauf loskutschirte, als ob das Fuhrwerk ihm gehöre. Das war dem Hans noch nicht passirt, so lange er lebte, und deshalb wußte er auch gar nicht, wie er sich zu verhalten habe. Das Ereigniß ging ihm so über alle Begriffe, daß er schluckte und schluckte und doch kein Wort hervorbrachte, trotzdem ihm das Erstaunen den Mund sperrangelweit aufgerissen hatte.

Und dazu kam, daß auch hinter ihm etwas Ungewöhnliches vorging, denn grad’ als ihm sein „Hü“ stecken geblieben war, hatte auch Habermann gerufen „Donnerwet“ — — und das Wort nicht ganz herausgebracht. Wäre es Tag gewesen, so hätte der gute Hans sehen können, daß sein Herr mit noch viel weiter geöffnetem Munde ebenso vergeblich nach Worten schnappte wie er selbst. Da ertönte eine halblaute, befehlende Stimme:

„Kein Wort, Durchlaucht, außer wenn ich frage! Es soll Euch nichts geschehen; aber wenn Ihr Lärm macht, so haben wir scharf geladen!“

Hans drehte sich nach dem Sprecher um und sah trotz der Dunkelheit drei Männer im Wagen sitzen statt einem, und in den Händen von zweien blitzten Pistolenläufe. Das gab ihm die verlorene Sprache wieder.

„Lärm machen? Bewahre, wir sind ja die zwei ruhigsten Leute in der ganzen Umgegend!“

Dieses angstvolle Geständniß löste auch die Zunge des Getreidehändlers, der zwar weniger Furcht besaß, aber den Waffen gegenüber sich doch eingeschüchtert fühlte.

„Alle Wetter, was wollt Ihr Strolche hier in meinem Wagen?“ rief er mit halber Stimme. „Hans, willst Du wohl gleich anhalten!“

„Ja, das ginge wohl, wenn ich allein wäre, aber es geht nicht, weil bei mir auch Einer sitzt!“

„So wirf ihn zum Beispiel hinunter auf die Straße!“

„Oder er mich! Fangt nur Ihr erst mit Euren Beiden an! Ich als Leibstalljäger muß warten, bis der Herr Divisionskorpo­ral“ — —

Die Fahrt ging jetzt über steinigtes Terrain, und die ferneren Worte des Spreches wurden von dem lauten Rollen des Wagens verschlungen.

VI. Im Keller.

Mamsell Rosine saß in der Laube. Das war nun jedenfalls kein großes weltgeschichtliches Ereigniß, doch wer Mamsell Rosine gekannt und gewußt hätte, was für eine außerordentliche Wirthschaftslast auf ihren spitzen Schultern ruhte, und daß sie selbst in den schönsten Tagen den Garten fast nie betrat, den hätte es doch wohl Wunder genommen, sie in der Dämmerstunde dieses unfreundlichen Novembertages in der Laube sitzen zu sehen.

Aber sie hatte gar wohl einen Grund, heut’ hier zu sein, nur daß derselbe nicht im Wetter lag, sondern viel, viel tiefer, nämlich in ihrem pietätsvollen, warmfühlenden Herzen. Heut’ war ihr Geburtstag, und heut’ war es auch gerade neununddreißig Jahre, daß er — ach er — nämlich ihr Erster und leider auch ihr Letzter — hier in dieser Laube vor ihr auf den Knieen — auf allen beiden Knieen gelegen und ausgerufen hatte:

„Röse — Röschen — Rosa — Rosina — ich liebe Dich — küsse mich, oder ich sterbe!“

Das war ihr weit hinab in die gefühlvolle Seele gedrungen. Sterben, nein, sterben sollte und durfte er nicht; sie mußte ihn retten! Und so hatte sich denn ihr süßes, theures Bild zu ihm herabgeneigt, den Heißgeliebten zärtlich zu umfangen, und dann — ach, ja, ja, das war in dieser Laube gewesen, grad’ in derselben hier, nur daß sie damals drüben in der andern Ecke gestanden hatte und dann später vollständig neu hierher gesetzt worden war — die halbverfaulten Bretter und Latten von der alten hatte man verbrannt.

War es also etwa ein Wunder zu nennen, daß Mamsell Rosine wie alljährlich, so auch am heutigen Datum die traute Stätte aufsuchte, die den ersten Kuß ihrer einzigen Liebe gesehen und — gehört hatte? — ihrer einzigen, denn er war Schneider gewesen und ihr nur vierzehn Tage treu geblieben. Sie aber hatte ihm ihre Treue bewahrt die ganze Zeit ihres Lebens hindurch, denn so oft

die Versuchung an sie herangetreten war, Keiner hatte sie gewollt, Keiner hatte sie gemocht — und so haßte sie alle, alle, außer diesem Einzigen, der doch wenigstens zwei Wochen in ihren Armen ausgehalten hatte.

Die Liebe, verschmäht und gekränkt, war aus ihrem Herzen gewichen — sie sagte es wenigstens — und die Rache dafür in dasselbe eingezogen. Sie hatte sich gerächt an dieser verhaßten Männerbrut — und wie oft! Wie Viele waren da unten in den Kellern eingeschlossen worden, die das verführerische Handgeld von Vater und Mutter, von Bruder und Schwester — vom Liebchen hinweggelockt hatte, und die, wenn der Rausch verflogen war, alle Qualen der Reue durchkostet hatten! An dieser Reue, an ihren Klagen und Thränen der Betrogenen hatte sie sich erquickt und bei jedem neuen Opfer neue Freude empfunden.

Nur der heutige Tag hatte sie stets versöhnlich gestimmt. Wenn das Herz das ganze Jahr hindurch Rache kocht, einen Tag muß es doch haben für die Liebe, und wenn kein Fisch mehr anbeißen will, so geht man in die Vergangenheit zurück zu dem Einzigen, welcher angebissen hatte.

Sie senkte das Gesicht tief auf den Strickstrumpf und blies einen Seufzer nach dem andern in die Maschen, dabei ihres einsamen Lebens gedenkend und des trüben Schicksales, es nicht weiter bringen zu können als bis — zur Haushälterin.

Ach, Haushälterin! Sie war’s gewesen, wie lange, wie lange, und war’s geblieben, auch bei dem vorigen Besitzer des vor der Stadt gelegenen Hauses. Dann hatte Wolstraaten es gekauft und seine Bäckerei an den Nagel gehängt, aber obgleich er Wittwer war und sie nun wieder süße Hoffnungen hegen durfte — sie war Haushälterin geblieben.

Und dieses dumme, unerfahrene Ding, das Sofchen, um die war das Gereiße, und seit nun gar die Harlemer Erbschaft spukte, war es erst recht nicht mehr zum Aushalten! Wenn das Mädchen doch recht bald fortkäme aus dem Hause! Vielleicht hat der Dessauer Getreidehändler ein Einsehen und kommt bald zur Brautschau! Sobald ein Mädchen ein nur einigermaßen passables Lärvchen hat, bildet es sich gleich wer weiß was für Wunderdinge ein — grad so wie die Fremde, die heut’ wieder einmal bei Anwalts auf Besuch ist, und die immer an Einem vorüberrauscht, als wäre sie von Seide und Andere aus Papier. Es soll ein adeliges Fräulein aus Beyersdorf sein, und dort — jaja, man darf nur den Teufel an die Wand malen, da kommt er sicher gleich — das ist sie; ich möchte nur wissen, was die im Garten zu suchen hat, jetzt im November! Mit der mag ich gar nicht zusammentreffen. Ich ge­he! —

Mamsell Rosine konnte nicht begreifen, was die jugendliche Spaziergängerin in den Garten trieb, und doch war es dieselbe Gewalt, von welcher sie selbst hergeführt worden war: die Liebe. Der Liebende, sei seine Neigung nun glücklich oder unglücklich, er sucht die Einsamkeit, er liebt die abendliche Stille, in welcher er denken, sinnen und träumen kann. Und was gab es für Maria von Naubitz nicht alles zu denken!

Der Rittmeister von Platen, den sie ihren Geliebten nannte, hatte Urlaub genommen und war trotz der abschlägigen Antwort des Fürsten nach Dessau gekommen, war gegen seine ursprüngliche Absicht in den Dienst desselben gerathen — was sollte daraus werden! Der Sachwalter war verreist; seine Frau liebte es nicht, ihrem Besuch mit zudringlichen Aufmerksamkeiten beschwerlich zu fallen; so konnte sie, ohne die Gastfreundin zu beleidigen, sich in den Garten zurückziehen, um den Regungen ihres Innern Gehör zu schenken. — Längst schon war es dunkler Abend, und noch immer saß sie, das Köpfchen nachdenklich in die Hand gestützt, in der Laube, an welche sich die süßen Erinnerungen von Mamsell Rosine knüpften.

Diese befand sich jetzt in der Stube und gab sich ihrer Lieblingsbeschäftigung hin, ihrer intimen Feindin, dem Sofchen, das Leben sauer zu machen. Das Zanken, Keifen und Sticheln wollte kein Ende nehmen, und es war zu verwundern, mit welcher Geduld und Selbstbeherrschung das hübsche und zugleich verständige Mädchen diese Raisonnements ertrug.

Da näherte sich das Rollen eines Wagens, welcher dann vor dem Hause halten blieb. Das kräftige Klatschen einer Peitsche forderte die Bewohner desselben zur Aufmerksamkeit auf.

„Na, wird’s denn bald, Du alte Schlenderliese,“ rief Mamsell Rosine dem Mädchen zu, „oder soll ich etwa selbst hinaus gehen?“

Ohne ein Wort der Erwiderung verließ die Gescholtene das Zimmer.

Wohnt hier der Bäcker Wolstraaten?“ fragte eine tiefe Männerstimme vom Wagen herab.

„Ja!“

„Kann man hier die Pferde unterstellen?“

23915.

„Im Stalle nicht mehr; da stehen schon zwei. Aber in dem Schuppen ist noch Platz.“

„Schön. Da mögen die zwei aus dem Stalle in den Schuppen gebracht werden. Meine sind gewohnt, auf Flaumfedern zu schlafen!“

„Das wird das Fräulein von Naubitz nicht zugeben!“

„Von Naubitz? Was hat denn das Wettermädel hier zu suchen, he?“

„Sie ist beim Sachwalter, der hier im Hause wohnt.“

„Und da bleibt sie wohl auch heut’?“

„Ich glaube.“

„Das hätte ich wissen sollen. Da hätte der Polenz mitgemußt!“

Es war so finster, daß der Fürst die Aufmerksamkeit, welche sein Kutscher diesem Gespräch schenkte, nicht bemerken konnte.

„Na, gegen das Weibsvolk muß man galant sein; da mögen die Braunen also in die Boutique kommen. Aber höre Er, reibe Er sie erst tüchtig ab, lasse sie gehörig verschnaufen und wickle sie dann gut in Decken ein, damit sie mir nicht etwa verschlagen! Wer ist Sie denn, Sie kleines Geschöpf?“

„Ich heiße Sophie und bin das Mündel vom Wirthe.“

„So! Da ist also Sie die Wetterhexe, das Sofchen, wegen der die Leute in den Wasserbottichen herumkrabbeln müssen? Ich werde Sie mir einmal gehörig angucken!“

Damit sprang er aus dem Wagen und trat in das Haus.

Sophie wollte ihm folgen, wurde aber noch vor der Thür von zwei starken Armen umschlungen und fühlte einen langen, herzhaften Kuß auf den Lippen. Die besondere Art und Weise dieser Liebkosung schien ihr sehr bekannt vorzukommen, denn sich rasch von ihrem augenblicklichen Schrecke erholend, rief sie, ohne den Mann erst genau betrachtet zu haben:

„Fritz, Du? Ich denke, Du bist längst über alle Berge!“

„Ich dachte auch nicht, daß ich so rasch wiederkäme; aber die Umstände haben’s nothwendig gemacht.“

„Wer ist denn der, mit dem Du gekommen bist?“

„Das — das ist der Getreidehändler Habermann aus Dessau mit seinem Knechte.“

„Der Getreidehändler! Der kommt wohl schon meinetwegen?“

(Fortsetzung folgt.)

25016.

Fürst und Reitknecht.

Eine Erzählung von Karl May.

(Fortsetzung.)

Freilich.“

„Und Du — wie kommst Du denn mit ihm zusammen?“

„Unterwegs. Aber gehe jetzt hinein; ich muß nun verschwinden. Sobald Du Zeit hast, kommst Du hinüber an den Hollunderbusch; ich werde auf Dich warten.“

Er schob sie durch die Thür, obgleich sie noch hundert Fragen auf der Zunge hatte. Als sie in die Stube trat, fand sie den Fremden in voller Verhandlung mit Mamsell Rosine.

„Und der Wolstraaten, wo steckt er denn?“

„Der ist nach Halle.“

„Nach Halle — heut? So so — hm, da hat er Teufelskerl doch Recht gehabt, der Nauh — ja so, hm, hm. Und Sie, wer ist Sie denn?“

„Ich heiße Mamsell Rosine Fransenhuberin und halte hier die Wirthschaft in Ordnung.“

„Das ist ja recht schön von Ihr! Also, Mamsell Rosine Fransenhuberin, ich habe einen verteufelten Durst; hat Sie vielleicht einen guten Schluck, der dagegen hilft? Auch für etwas zu essen kann Sie sorgen, denn ich werde hier bleiben, bis der Wolstraaten wiederkommt!“

Das gebieterische Wesen dieses Mannes imponirte ihr; sie machte den Versuch, einen Knix zu Stande zu bringen, und eilte

dann zur Küche, wo sie mit Sophie zusammentraf, welche sich in der Stube gar nicht verweilt hatte.

„Schnell einen Krug Bier hinein! Das muß kein ganz gewöhnlicher Mann sein!“

„Ich bleibe da. Sie kann ihm das Bier auch hinein tragen!“

„Ich? Warum denn ich?“

„Weil ich nicht mag. Mit dem Habermann habe ich Nichts zu thun!“

„Der Habermann ist’s? Woher weißt Du denn das?“

„Hab’s draußen gehört.“

„So so — das ist ja ein recht reputirlicher Herr — zwar nicht mehr der Jüngste, aber er hat so eine Manier, so eine Art und Weise — war er nicht Wittwer?“

„Ja.“

„Wenn Du nicht anders willst, so kann ich ihm das Bier schon selbst hinaustragen!“

Mamsell Rosine hatte die Eigenthümlichkeit, daß ihr bei jeder unverheiratheten Mannsperson jene süßen Worte: „Röse — Röschen — Rosa — Rosine — ich liebe Dich — küsse mich, oder ich sterbe!“ und die darauf folgenden seligen Augenblicke in den Sinn kamen, und wie herrlich, wie erhebend mußte es sein, wenn diese tiefe, kraftvolle Baßstimme da d’rinnen einmal versuchen wollte: „Röse — Röschen“ — — aber sie hatte keine Zeit, diesen himmlischen Gedanken vollständig auszudenken, obgleich ihr beifiel, welch’ einen Streich sie der Sophie, diesem dummen Dinge, spielen könne, wenn sie ihre Schwiegermutter würde. Sie füllte den Krug und eilte in die Stube, wo sie ihn mit dem gewinnendsten Lächeln vor den Gast hinsetzte.

„So — ich danke Euch! Hättet Ihr denn wohl ein Bett, wenn man die Nacht hierbleiben müßte?“

„Wir sind nicht auf Nachtgäste eingerichtet; aber ich würde Euch — ja“ fuhr sie erröthend fort — ich würde Euch — wenn Ihr“ — —

„Na, heraus damit! Was würdet Ihr?“

„Ich würde Euch — — meine Kammer abtreten!“ brachte sie endlich züchtig und verschämt die Blicke senkend heraus. Und in ihrem Innern jubelte es: „Erst sagte er „Sie“, jetzt spricht er schon „Ihr!“ O, ich weiß, was das zu bedeuten hat!“

„Ihre Kammer?“

„Ja.“

„Und wohl auch Ihr Bett?“

„Wenn — wenn — na — ja, auch das Bett.“

„Und wo wollt Ihr denn schlafen, he?“

„Für mich wird sich schon ein andres Plätzchen finden. Ich thue es Euch gern zu Gefallen!“

„Zu Gefallen?“ fragte er, während seine Augen sie ganz eigenthümlich anblitzten. „Höre Sie ’mal, Mamsell Rosine Fransenhuberin, Sie ist doch ein ganz heilloses Weibsen! Erstens sagt ein Frauenzimmer so etwas gar nicht, wenn sie auch im Stillen ihr Lager für einen Gast herborgt, und zweitens kann es mir in meinem ganzen Leben nicht einfallen, mich auf so einer alten Schachtel ihre Schnarchmaschine zu legen. Es war übrigens auch nur so eine Frage für den Nothfall.“

Wenn eine Bombe in das Zimmer gefahren wäre, sie hätte kein größeres Unheil in dem Innern von Mamsell Rosine anrichten können, als diese Worte. Zuerst stand sie wie ein Bildsäule in absoluter Unbeweglichkeit da; es schien ihr die Luft vollständig ausgegangen zu sein. Dann aber stieß ihre vom Entsetzen zusammengepreßte Lunge einen keuchenden Pfiff hervor, ihre Arme fuhren topfhenkelartig in die Seiten, die Augen öffneten sich groß und drohend, ihr weit geöffneter Mund ließ anderthalb Paar lange, gelbe Turbirzähne erblicken, und nun brach die Sturmfluth los:

„Was? Was wäre ich? Eine alte Schachtel? Und mein Bett, mein Bett eine Schnarchmaschine? Weiß Er denn, Er unverschäm­ter —“

Weiter freilich kam sie nicht; denn ihr Gegner fuhr mit donnernder Stimme dazwischen:

„Will Sie wohl ruhig sein!“

„Weiß Er denn, Er un­versch“ — —

„Ich frage, ob Sie ruhig sein will!“

„Weiß Er denn, Er un“ — —

„Rrrraus!“

„Er unversch“ — —

„Rrrraus!“

„Er un“ — —

„Rrrraus, sage ich!“

„Er“ — —

Jetzt konnte sie beim besten Willen nicht weiter; denn er hatte den Bierkrug ergriffen und schleuderte ihr den Inhalt desselben mit

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solcher Vehemenz in das Gesicht, daß er Ihr nicht nur in den geöffneten Mund, sondern auch in die Augen und in die Nase drang. So einen Mordanfall hatte man noch niemals auf sie versucht; alle ihre Nerven waren, als hätte sie der Schlag getroffen, vom Schrecke gelähmt und wie angeleimt lagen die schützenden Hände vor dem triefenden Gesichte, da endlich ging ein konvulsivisches Zittern durch ihren Körper; der in die Nase gedrungene Gerstensaft begann seine lebendig machende Thätigkeit: die Hände hoben sich vom Gesichte, der Kopf bog sich hintenüber, der Mund fuhr krampfhaft auseinander, die Züge legten sich in jene wunderbar ergreifende und erwartungsvolle Visage, welche bei Nichtschnupfern die unausbleibliche Folge einer guten Prise ist, und nun entrang sich dem jungfräulichen Busen von Mamsell Rosine Fransenhuberin ein markerschütterndes und wahrhaft elephantenartiges:

„A — a — a — azzz — i — i — iiiihhh!“

„Wohl bekomme es Ihr, Sie alte Regimentskneipzange, Sie!“ lachte höflich der Bierkrugschütze und schob, während sie immer wieder von Neuem zum Niesen ausholte, die alles Widerstreben Vergessende über die Stube hinüber und in die Küche hinaus. Sophie hatte Alles vernommen und konnte sich beim Anblicke der Mamsell des Lachens nicht enthalten.

„Komme Sie doch einmal herein zu mir!“ befahl der Fürst.

Sie folgte ihm.

„So! Hierher muß Sie treten, daß ich Sie bei der Lampe deutlich sehen kann. Hm, hm, der Korporal scheint keinen so ganz schlechten Geschmack zu haben! Höre Sie ’mal, Sie mag wohl den Namen Habermann gar nicht gern leiden?“

Sie vermochte vor Verlegenheit nicht zu antworten.

„Na, ich meine es ja ebenso gut mit Ihr wie der Nauheimer, und Sie wird schon noch einsehen, daß ich auf Ihr Glück bedacht bin! Jetzt sorge Sie aber zunächst für ein Abendbrod, und dann wollen wir einmal weiter mit einander reden!“

Da trat der Kutscher ein und machte Anstalt, an einem der Tische Platz zu nehmen.

„Höre Er, aus dem Hersetzen wird jetzt nichts. Er wird bei der Sache Sein Theil jedenfalls auch mit zu thun bekommen, und da ist es ganz besonders nothwendig, daß Er die gehörige Ortskenntniß besitzt. Gehe Er also einmal rekognosziren, damit Er sich später zurechtfinden kann, wenn’s nothwendig ist.“

Der Angeredete entfernte sich, obgleich er ganz aus eigenem Antriebe die Umgebung des Hauses schon abgesucht hatte. Nur allein im Garten war er noch nicht gewesen, und daher richtete er jetzt seine Schritte nach demselben. Ganz sicher hatte das Haus gewisse Schlupfwinkel und wohl auch verborgene Gelegenheiten zum Ein- und Auspassiren, die bei dem heutigen Rekrutentransporte jedenfalls benutzt wurden. Leicht konnte man mit einer der eingeweihten Personen zusammentreffen und Verdacht erregen, und so schlich der Kutscher geräuschlos und mit einer Umsicht weiter, die ihm nicht das Geringste entgehen ließ, ihn selbst aber gegen jede Entdeckung schützte.

So kam er auch an die Laube. Ohne in dieselbe einzutreten, lauschte er mit angestrengten Sinnen, ob dieselbe leer oder besetzt sei. Leise Athemzüge ließen sich vernehmen — es war Jemand drin. Wer war es? Er mußte Gewißheit haben, und machte schon Anstalt, sich niederzulegen, um näher zu kriechen, als ein leichtes Räuspern ertönte, das Rauschen eines weiblichen Gewandes sich vernehmen ließ und eine dunkle Gestalt hervortrat.

Sie blieb einige Augenblicke vor dem Eingange stehen und wollte sodann sich nach dem Hause wenden, als sie dicht neben sich den leisen Ruf vernahm:

„Marie!“

Ueberrascht, fast erschrocken zog sie den Fuß zurück.

„Ist Jemand da?“ fragte sie mit halblauter Stimme.

„Wahrhaftig, Du bist’s, und ich habe mich nicht geirrt!“ ertönte es mit gewaltsam unterdrückter Freude, zwei Arme legte sich um sie und zogen sie an eine breite Männerbrust.

„Kurt! Welche Ueberraschung! Wie kommst Du, den ich in Halle glaubte, hierher?“

„Das sollst Du erfahren. Komm, setze Dich!“

Er trat mit ihr in die Laube, zog sie auf seinen Schoß, und bald waren sie in lebhafter, wenn auch fast unhörbarer Unterhaltung begrif­fen. — —

Während dessen setzte Sophie das Essen auf den Tisch und schlüpfte dann, den Gast befriedigt und beschäftigt wissend, auf ein kurzes Weilchen hinüber zu dem Hollunderbusch.

Der Fürst ließ sich das Mahl wohl schmecken und war mit demselben grad’ fertig geworden, als der Kutscher wieder eintrat.

„Hat Er ’was Verdächtiges gespürt?“

„Nein.“

„So esse Er! Ich werde mir den Ort jetzt auch einmal besehen!“

Er erhob sich und schritt hinaus. Um die Ecke des Hauses biegend, sah er die zurückkehrende Sophie auf sich zukommen. Da er sie in der Dunkelheit nicht sofort erkannte, so hielt er sie beim Arme.

„Halt, was trippelt denn da im Grase herum?“

„Ich bin’s“ — —

„Ach, das kleine Jungferchen! Kann mir’s denken, was Sie hier herum zu suchen hat, nicht wahr?“

„Durchlaucht!“

„Durchlaucht? Aha, so hat also der Schwerenöther, der Nauheimer, das ganze Geheimniß ausgeplaudert! Na, den werde ich bei der Parabel nehmen!“

„O nein, Durchlaucht, verzeiht ihm! Er hat’s ja gut gemeint, und ich will Euch dafür auch in Allem gern behülflich sein.“

„So, will Sie das? Na, da stehe Sie mir erst ’mal aufrichtig Rede und Antwort! Ist’s wahr, daß da unten in den Kel­lern ?“ — —

„Ja.“

„Darf Sie in die Keller?“

„Nein; ich soll ja gar Nichts davon wissen.“

„Und heut’ soll es fortgehen?“

„Ja.“

„Woher weiß Sie das?“

„Ich hörte den Vormund mit der Mamsell davon sprechen.“

„Ach so! Da ist die alte verliebte Kachel auch mit bei der Sippe?“

„Die führt eigentlich das ganze Geschäft. Der Vormund entfernt sich allemal, wenn ein Transport kommt oder geht.“

„Weshalb?“

„Aus Klugheit, damit er sich herausreden kann, wenn einmal Etwas passirt.“

„Sind die Keller groß?“

„Groß und klein. Es sind mehrere, wie man sie eben braucht.“

„Sie ist trotz des Verbotes doch wohl schon unten gewesen?“

„Zuweilen“ — klang die zögernde Antwort.

„Ja, Euch Weibsbilder kennt man schon! Könnte Sie mich nicht vielleicht ’mal ’runterführen?“

„Das wird schwer halten. Die Mamsell hat die Schlüssel.“

„Kann Sie die nicht auf einen Augenblick fortstibitzen?“

„Ich will’s versuchen, Durchlaucht! Aber wenn Ihr weiter Nichts wollt, als Euch blos die Leute ansehen, die da unten sind, so brauche ich gar keinen Schlüssel.“

„Ja, vor der Hand will ich doch auch nichts anderes.“

„Da steigen wir in den Bierkeller; der steht auf, und da habe ich ein Loch entdeckt, durch welches man die Gesellschaft ganz gut belauschen kann.“

„So führe Sie mich hinunter.“

„Soll ich nicht den Korporal holen? Es ist besser, man ist bei solchen Dingen vorsichtig.“

„Nicht nothwendig. Der mag auf seinem Posten bleiben, um zu sehen, was außer dem Hause passirt. Komme Sie nur!“

Sie schritten mit einander um die zweite Ecke des Hauses und kamen in den Hofraum. Sophie schob den Riegel von einer schmalen Thür, hinter welcher eine Stufenreihe abwärts führte.

„Wartet einen Augenblick, Durchlaucht; ich will Licht machen.“

Sie griff in eine kleine Nische, zog Stahl, Stein und Zunder hervor, und bald brannte das Licht der Laterne, welche hier placirt war, damit man beim Holen des Bieres eine Lampe nicht über den ganzen Hof zu tragen habe. Nachdem sie noch einmal nachgesehen hatte, daß die Thür vollständig herangezogen sei, stieg sie, ihm voran, die Stufen hin­ab. — —

„Heda, ist denn Alles ausgerissen?“ rief der Kutscher, vom Essen aufblickend, und klopfte mit dem leeren Kruge auf den Tisch.

Die Küchenthür öffnete sich und ließ die spitze Nase der Mamsell Rosine erscheinen.

„Was hat Er denn zu spektakeln? Bei Ihm heißt’s wohl auch: Wie der Herr, so der Diener!“

„Nein, sondern: Wie die Liebe, so die Hiebe! Kommt Sie manierlich, so bin ich reputirlich, kommt Sie aber mit Grobheiten, so kann Sie ’was erleben. Hier, noch einen Krug!“

Der Gebrannte scheut das Feuer, darum hütete sich Rosine auch, ihrem Zorn freien Lauf zu lassen. Ihren Ingrimm verbeißend, nahm sie den Krug, um ihn aus der in der Küche befindlichen Blechkanne zu füllen; aber dieselbe enthielt nicht mehr die nöthige Menge des braunen Getränkes. Durch den Umstand, wegen dieser groben Menschen auch noch in den Keller steigen zu müssen, wurde ihr Aerger um ein Bedeutendes erhöht; sie eilte

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über den Hof, fand die Kellerthür nur angelehnt, und wohl das Feuerzeug, nicht aber die Laterne an ihrem Platze.

Sie stutzte. Es mußte Jemand im Keller sein und zwar in einer geheimen Absicht. Leise schlich sie die Stufen hinab und bemerkte, unten angekommen, im Hintergrunde einen schmalen Lichtstreifen. Er fiel aus einem der Nebenräume, welche durch eine starke, eisenbeschlagene Thür vom Bierkeller getrennt wurden. Mit lautlosen, katzenartigen Schritten näherte sie sich der Thür und erkannte nun deutlich den Fremden, welcher auf einem herbeigerollten leeren Fasse stand und durch ein in der Mauer angebrachtes Luftloch in das nebenan liegende Gewölbe blickte, aus welchem sich verschiedene Stimmen vernehmen ließen. Sophie stand mit der Laterne in seiner Nähe.

Es flimmerte vor den Augen der Lauscherin. Das war ja Verrath, und diese Heuchlerin stak mit dem unverschämten Grobsacke unter einer Decke! Welch’ ein Glück, daß sie zur rechten Zeit gekommen war! Hier mußte rasch gehandelt und das spionirende Paar unschädlich gemacht werden. Aber die Genugthuung mußte sie dabei haben, den Beiden wissen zu lassen, von wem ihnen der Streich gespielt werde. Sie trat deshalb unter den Eingang.

„Was hat Er denn hier in meinem Keller zu suchen, Er alter neugieriger Zyperkater Er? Ich werde Euch Zweien das Horchen einstreichen, daß Ihr wer weiß wie lange an die „alte Schachtel“ denken sollt!“

Ehe er noch vom Fasse steigen oder die erschrockene Sophie herbeieilen konnte, hatte sie die Thür zugeschlagen und schob die Riegel vor.

„Will Sie wohl gleich aufmachen, Sie verwünschte Wetterhexe Sie?“ donnerte der Fürst und trat mit kräftigem Fußstoße gegen die Thür. Aber es war weder eine Antwort zu hören, noch gab die Thür den vereinten Anstrengungen der beiden Eingeriegelten nach. Sie waren gefangen.

Allerdings tobte der alte „Knasterbart“ wie ein angeschossener Eber in dem engen Raume herum. Er, der Sieger in so vielen Schlachten, der — na — er sollte sich von so einer — na — übertölpeln und in solch’ schandbaren Prison nehmen lassen! Und was wird die Welt dazu sagen, wenn es heißt, daß er, der Fürst — Tod und Teufel, nein — lieber wollte er die Mauer mit seinem Kopfe einrennen und — horch, was ist denn das da drüben für ein schallendes Gelächter?

Er stieg auf das Faß und lugte durch die Oeffnung. Drüben hatte man einen Kreis geschlossen, inmitten dessen Einer stand, welcher mit lauter Stimme erzählte. Eben schien er mit dem Berichte fertig zu sein, denn es erhob sich ein rauschender Beifallssturm, aus welchem am vernehmlichsten der Ruf zu unterscheiden war:

„Hurrah, der alte Dessauer gefangen — Bier her, Wein her, das muß angefeuchtet werden!“

Zitternd vor Grimm sprang er von seinem hölzernen Sockel.

„Da sollen doch gleich fünfunddreißig Tausend Bomben und Granaten dreinschlagen — diese Hundsfötter wissen wahrhaftig, wer ich bin. Na, laßt mich nur hinüber kommen — ich werde Euch den „alten Dessauer“ um die Ohren schlagen, daß Ihr den Himmel für einen Osterfladen halten sollt!“

„Jetzt bringen sie ihn!“ schallte es gedämpft durch die Wand.

„Bringen — wen denn?“ knurrte er zornig, wieder auf das Faß steigend und die Nase in das Mauerperspektiv steckend. Kaum aber hatte er einen Blick hinübergeworfen, so fuhr er zurück, daß er fast die Balance verloren hätte.

„Sternen-, Pech- und Hagelwetter, das wird ja mit jeder Minute bunter — das ist ja der Habermann, der Schwerenöther! Da ist der Kerl gar nicht nach Halle gefahren, und ich kann jetzt bis zum jüngsten Tage auf meine Dragoner warten? Und dazu hat er meinen Rock an und blamirt ihn jetzt und in alle Ewigkeit, Amen. Na, komme ich nur hinüber, ich werde ihm eine Salbe einreiben, nach der es ihn am ganzen Leibe jucken soll!“

„Aber ich bin ja gar nicht der Fürst, für den Ihr mich zum Beispiel haltet!“ wurde drüben eine ärgerliche Stimme laut.

„Nicht? Wer seid Ihr denn, wenn man fragen darf?“

„Ich bin der Getreidehändler Habermann aus Dessau und“ —

„Schon gut, Durchlaucht, wir kennen das! Ihr sollt das beste Plätzchen, was wir hier haben, als Gewahrsam bekommen und auch einen guten Schluck zu trinken. Das Uebrige mag nachher der Hauptmann bestimmen, sobald er eingetroffen ist!“

„Aber ich sage Euch zum Bei­spiel“ — —

„Wissen Alles, wissen Alles! Der Getreidehändler Habermann hat sicher weder einen Jagdwagen noch ein fürstlich Wappen daran, und Eure Uni­form —“

„Ich habe ja mit dem Fürsten umwechseln müssen!“

„Allen Respekt vor Euch, Durchlaucht, aber Ihr werdet uns auf diese Weise nur zum Lachen zwingen. Tretet hier herein!“

„Und Er,“ ertönte eine andre Stimme, „kann sich einstweilen dort in jene Ecke setzen.“

„Wohin? Soll ich mich etwa immer nur von einer Ecke auf die andre drücken — erst beim Bataillonsmarschall und nun auch hier? Das ginge wohl, wenn ich mir’s gefallen ließe, aber es geht nicht, weil ich es nicht zu leiden brauche. Ich bin Oberstallbereiter und setze mich hin, wo mir’s beliebt. Gebt mir ’was zu trinken!“

„Heut’ ist die ganze Welt von Sinnen,“ murmelte der Fürst; „doch der Mensch von einem Pferdeknechte da, der ist ganz und gar verrückt geworden. Aber da bringen sie wahrhaftig noch Einen geschleppt, und da kommt auch die gute Mamsell Schachtelmeierin oder Kachelhuberin oder wie sie heißt, dahinter hergestiegen. Die wird wohl melden wollen, daß sie hier zwei Vögel eingesperrt hat. Na, komme ich nur hinüber, ich werde ihr in die Schmachtlocken sausen, daß sie aus dem Nießen gar nicht wieder herauskommen soll!“

„So!“ klang es drüben. „Stecken sie denn fest?“

„Ja, ich habe sie eingeriegelt.“

„Dann macht’s uns keinen Schaden; wir marschieren ja heut’ ab. Thut nachher mit ihnen, was Ihr wollt!“

„Das ist gut!“ bemerkte der Fürst. „Sie fragen gar nicht, wer ich bin, sonst hätten sie mich wahrhaftig mit dem Habermann zusammengeführt. Aber wer ist denn das, den sie dahin gelehnt haben? Heiliger Baldrian, entweder sehe ich verkehrt, oder es ist der Polenz! Wie kommt denn der von Halle her nach Bitterfeld — und in dieses Loch? Der Tausendelementer macht doch nichts als dumme Streiche, und einen immer schlimmer als den andern. Betrunken ist er zum Erbarmen, und — Schwerebrett, einen sächsischen Dreispitz hat er auf dem Kopfe. Ich glaube gar, den haben sie um den Verstand gebracht und angeworben! Na, komme ich nur hinüber, mein guter Polenz, ich werde Ihn in die Wäsche nehmen, daß Ihm die Lust zum Heirathen vergehen soll. Hm, so ein Hallunke und die Marie — die Nau­bitz!“ — —

VII. Schluß.

Nach Beendigung des Abendbrodes begab sich der Kutscher wieder hinaus in den Garten. Er glaubte den Fürsten auf Rekognition; vor Eintreffen der Dragoner war jedenfalls Nichts zu thun, und so hatte er mit der Geliebten Verabredung getroffen, sich noch auf ein Viertelstündchen in der Laube zu sprechen. Er hatte das Glück, bei ihr sein zu können, noch zu wenig genossen, um jetzt nicht jede Minute ihrer Nähe für kostbar zu halten, und zudem gab es so viel zu besprechen, zu rathen, zu beruhigen und — aufzuklären.

Als er das stille Plätzchen betrat, fand er sie schon seiner wartend und nahm dicht an ihrer Seite Platz. Schon vorhin hatte er ihr über den Grund seiner und des Fürsten Anwesenheit einige kurze Mittheilungen gemacht; jetzt vervollständigte er dieselben und war grad’ bei der Bemerkung, daß Leopold auch um ihr Hiersein wisse, als er unter seinen Füßen ein Geräusch wahrzunehmen glaubte. Auch Marie hatte dasselbe gehört, und Beide lauschten mit angehaltenem Athem, ob es vielleicht wiederkehren werde.

Da plötzlich bewegte sich ihr Sitz, und zwar dieser nicht blos allein, sondern mit ihm die ganze Laube. Der Darinsitzende ergriff das Mädchen und stand mit einem raschen Sprunge auf festem Boden. Nur die kurzen Worte: „Schnell, schnell hinter jenen Baum!“ raunte er ihr zu, und lag dann auch schon platt auf der Erde, von welcher er bei der Dunkelheit nicht zu unterscheiden war.

Ein leiser Lichtschein schimmerte aus der Tiefe und ließ die Mündung eines Ganges erkennen, welcher von dem hölzernen Boden der Laube verdeckt gewesen war. Ein einziger Blick genügte, um den einfachen Mechanismus zu begreifen. Im Balkenfuße des kleinen Bauwerkes stak ein senkrechter Riegel, welcher die Laube fest hielt; zog man ihn aber heraus, was sowohl von oben als auch von unten geschehen konnte, so ließ sie sich drehen und gab den Eingang frei.

Leise, vorsichtige Schritte stiegen empor; ein Kopf tauchte aus der Tiefe hervor und spähete in die schwarz umherliegende Nacht hinaus, ob er unbeobachtet sei. Dann stieg der Mann vollends herauf und schob, während das Licht unten fortbrannte, die Laube wieder in ihre vorige Stellung, worauf er den Riegel in seine ursprüngliche Lage brachte.

Voller Angst harrte Marie des nun Kommenden; sie ahnte, daß ein Kampf zwischen ihm und dem Geliebten bevorstand und

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zitterte vor Erregung. Da vernahm sie ein leises Geräusch — jetzt ist der Augenblick gekommen, dachte sie — aber es blieb vollständig ruhig, bis nach einigen Augenblicken eine leise Stimme rief:

„Marie, komm!“

Voll Freude eilte sie herbei. Er kniete auf einem menschlichen Körper.

„Hier mein Messer! Schneide die Waschleine von diesen zwei Bäumen ab; ich muß ihn binden, ehe ihm die Besinnung wiederkehrt.“

Sie folgte der Weisung, und bald lag der Betäubte geknebelt und gebunden in einem Winkel des Gartens.

„Ich muß hier bleiben, um den neuentdeckten Eingang zu bewachen. -

bewachen. Willst Du nicht einmal auf die Straße spähen, ob Du den Korporal entdeckst? Er soll herkommen; ich muß mit dem Fürsten sprechen.“

Sie eilte von dannen. Leichten Schrittes flog sie durch den Hausflur, so daß ihr Kommen von einem Manne, welcher auf die Straße lauschend am Fenster stand, gar nicht gehört wurde. Seine hohe, breite Gestalt ließ ihr in ihm den Gesuchten ahnen.

„Seid Ihr der Korporal Nauheimer?“

„Ja, der bin ich.“

„Ihr sollt schnell zum Kutscher des Fürsten in den Garten kommen; er hat eine wichtige Entdeckung gemacht.“

„Wer seid Ihr?“

„Eine Pathe des Fürsten.“

„Gut, ich gehe mit.“

Er folgte ihr und erfuhr, bei der Laube angekommen, das Vorgefallene und die Absicht des Kutschers, zum Fürsten zu gehen.

„Ja, da weiß der Kukuk, wo der sich jetzt herumtreibt, und auch die Sophie ist nicht zu finden; ich habe schon eine ganze Zeit vergebens nach ihnen gesucht. D’rin in der Stube sitzt die alte Mamsell allein und fängt Grillen, und — weiß Er ’was Neues?“

„Was denn?“

„Der Habermann ist da!“

„Der Habermann? Nicht möglich!“

„Und doch! Vorhin brachten sie ihn im fürstlichen Jagdwagen;

jedenfalls denken sie, sie haben die Durchlaucht gefangen. Es waren sechs Personen: der Habermann, sein Knecht, und Einer, den ich nicht wegbekommen konnte, war hintenauf geschnallt.

„Und wo sind sie jetzt?“

„Jedenfalls im Keller.“

„Weiß es der Fürst?“

„Wohl nicht; er wird doch nicht etwa zu weit fortgegangen und den Transporteurs in die Hände gefallen sein? Die können jeden Augenblick kommen!“

„Das wäre ’ne schöne Geschichte! Muß ’mal suchen. Zunächst aber wollen wir doch einmal nachsehen, wo der Gang hinführt, der

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hier unter der Laube mündet. Jetzt sind wir zu Zweien und können eher Etwas wagen.“

Der Korporal war bereit, obgleich Marie bat, von dem gefährlichen Unternehmen abzustehen. Der Riegel wurde entfernt, die Laube gedreht; dann stiegen Beide in die noch immer erleuchtete Oeffnung, welche sie nicht verschlossen, um für alle Fälle sich einen schnellen Rückzug zu sichern. Der Gang war sehr einfach und schleußenartig ausgeführt, erstreckte sich in gerader Richtung vorwärts und endete vor einer Thür, welche nur angelehnt war.

Vorsichtig öffneten sie dieselbe und betraten einen kleinen, leeren Kellerraum; hier aber tönten ihnen aus einem Nebengewölbe laute Stimmen und schallendes Gelächter entgegen. Sie befanden sich, ohne daß sie es wußten, unmittelbar neben dem Keller, in welchem der Fürst mit Sophie eingeschlossen war, nur daß man die Thür zu demselben auf der entgegengesetzten Seite angebracht hatte.

Der Kutscher blies das Licht aus und huschte an die ihnen gegenüberliegende Thür; auch sie war nur angelehnt, so daß er durch die so entstandene Spalte fast das ganze Gewölbe überblicken konnte. Nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück.

„Kommt! Wir wollen uns nicht unnöthiger Weise in Gefahr begeben, aber vor den paar Leuten wäre mir auch nicht bange.“

Wieder im Garten angekommen wurde die Oeffnung verschlossen, und während der Korporal nun Wache hielt, ging der Andere, den Fürsten zu suchen. Er fand ihn weder in der Nähe des Hauses, noch in der Gaststube, welche vollständig leer war. Auch in der Küche war weder Sophie noch die Wirthschafterin zu erblicken. Schon wollte er, von lebhafter Besorgniß erfüllt, durch den Hausflur in den Garten zurückkehren, als ein dumpfes Geräusch wie von unterdrückten menschlichen Stimmen an sein Ohr schlug.

Er blieb lauschend stehen; die Töne drangen durch die Seitenwand und schienen von unten zu kommen. Er näherte sich der Wand, deren eine Hälfte ein großer, breiter Schrank einnahm, dessen Thür nicht verschlossen, sondern nur angelehnt war. Sein Inhalt bestand in Kleidungsstücken, welche den Raum von oben bis herab zum Boden ausfüllten. Das dumpfe Gemurmel war hier vernehmlicher als vorher, und die alten Röcke und Hosen mit beiden Armen auseinander ziehend, erblickte er hinter ihnen eine dunkle Oeffnung, welche jedenfalls mittelst einer Treppe nach abwärts führte. Der Schrank hatte keine Hinterwand.

Die Pistole ziehend, kroch er in die Oeffnung, fühlte Stufen unter seinen Füßen und stieg dieselben leise und vorsichtig hinunter. Nach einer Weile berührte er mit der tastenden Hand eine Thür. Dieselbe war jetzt nur durch eine einfache Klingvorrichtung verschlossen. Behutsam öffnete er und gewahrte, daß er außerhalb desselben Gewölbes steht, welches er vorhin von der entgegengesetzten Seite überblickt hatte, und in dem sich eine zahlreiche Gesellschaft von Männern befand. Soeben setzte, wie er durch die schmale Spalte bemerken konnte, die Mamsell einen Krug vor den Knecht des Getreidehändlers.

„Wohl bekomm’s Ihm!“ sagte sie dabei in höflichem Tone. „Er kann von Glück reden, daß man Ihn mit dem Fürsten aufgegriffen hat. Herrendienst ist ein schlimmer Dienst, und so ein schmucker Gesell wie Er wird bei den Soldaten sicher sein Glück machen. Da giebt es ein lustigeres Leben als in Dessau, wo Er nur böse Tage hat, wenn Er nicht zu scherwenzeln versteht!“

„Soldat? Ich gehe nicht unter die Soldaten!“

„Nicht? Da wird Er wohl gar nicht viel gefragt werden. Mitgegangen, mitgefangen!“

„Fällt mir gar nicht ein, den bunten Rock anzuziehen! Ja, es ginge wohl, wenn ich wollte, aber es geht nicht, weil ich mich nicht gern todtschießen lassen mag!“

Der Lauscher wußte genug. Leise, wie er gekommen war, schlich er wieder zurück und begab sich nun eiligen Schrittes nach der Laube.

„Der Fürst ist nirgends zu sehen, auch das Mädchen nicht. Entweder sind Beide in eine Falle gerathen, oder es droht der Durchlaucht von außen her eine Gefahr.“

„Alle Teufel, was ist da zu thun!“

„Zu thun gibts weiter nichts als unsre Pflicht. Wir müssen uns in den Besitz des Nestes setzen und die Kerle da unten unschädlich machen. Das Uebrige wird sich dann schon finden.“

„Aber wir sind nur zu Zweien!“

„Fürchtet sich der Korporal Nauheimer vielleicht?“

„Fürchten? Wenn Er das Wort noch einmal sagt, so soll Er sehen, was passirt. Er sieht mir’s wohl auch an, daß ich es recht gut mit einem halben Dutzend solcher Hallunken aufnehme, aber man muß auch vorsichtig sein. Zu einer solchen Affaire gehört mehr Umsicht und dergleichen, als ein Kutscher, wie Er, zu besitzen pflegt!“

„Ah, ist es das? Nun, ich werde Euch einmal zeigen, daß ein Kutscher zuweilen auch ein ganzer Kerl sein kann. Paßt ’mal auf! Ich habe soeben noch einen Eingang zu den Kellern entdeckt; er geht von der Küche aus hinunter. Nun könnten wir zwar die Leute von beiden Seiten einschließen, aber es wäre ihnen doch möglich, auszubrechen; es sind ihrer viele und so eine Thür ist bald zertrümmert; dann wäre uns natürlich das ganze Spiel verdorben. Und was am meisten zählt, sie blieben alle im Besitze ihrer Waffen. Diese muß man ihnen nehmen und sodann entweder sie in ganz sicheren Gewahrsam bringen oder nach Befinden ihnen mit noch energischeren Maßregeln auf den Leib rücken.“

„Höre Er, Seine Ansichten sind nicht schlecht! Aber wie soll das Alles angefangen werden?“

„Nun, Ihr schleicht Euch durch den Laubengang bis an die zweite Thür; ich gehe durch die Küche, und sobald Ihr merkt, daß ich Euch brauche, tretet Ihr in das Gewölbe.“

„Gut! Hat Er denn Waffen?“

„Ja; Ihr doch wohl auch?“

„Zur Genüge.“

„Und ich?“ frug da Marie, welche bisher eine schweigende Zuhörerin gewesen war.

„Du? Für Dich ist es am besten, wenn Du Dich zurückziehst. Solche Vorgänge sind nicht für Frauen.“

„Ich mich zurückziehen, wo es sich um den Fürsten handelt und um Dich? Nimmermehr!“

„Mein liebes, muthiges Mädchen!“ antwortete er. „Ich kenne Dich und habe nichts Anderes von Dir erwartet.“

Er zog sie an sich und küßte sie innig, während Nauheimer, ganz erstaunt über diese Vertraulichkeit zwischen einer solchen Dame und einem Kutscher, dastand und die Zärtlichkeit der Beiden gar nicht begreifen konnte.

„Und welchen Platz weisest Du mir also an?“ fragte sie.

„Einen sehr wichtigen. Die Transportmannschaft wird baldigst eintreffen, denn jedenfalls war Der, welchen ich vorhin überrumpelte, abgeschickt, um ihnen den Weg zu zeigen. Ich glaube annehmen zu können, daß sie schon jetzt da drüben in dem Hölzchen auf diesen Boten warten, da sich in der Nähe keine andere Deckung für sie befindet. Da sollst Du nun hier Wache stehen. Sobald Du etwas Verdächtiges bemerkst, eilst Du zur Küche, steigst durch den Kleiderschrank, hinter welchem eine Treppe in den Keller führt, und giebst mir Nachricht. Doch denke ich, daß wir fertig sein werden, ehe Du Veranlassung zu einer solchen Warnung bekommst.“

„Aber sage Er mir doch einmal,“ platzte da endlich Nauheimer los, „wie kommt Er denn zu dieser Bekanntschaft mit“ —

„Laßt das jetzt gut sein,“ fiel ihm der Andere schnell in das Wort; „Ihr werdet schon noch das Nöthige erfahren. Jetzt macht, daß Ihr in den Gang kommt! Ich muß ihn von Außen verschließen, damit Ihr nicht vielleicht von hinten überfallen werdet; man muß sich hier Alles überlegen.“

„Höre Er, ich bekomme nach und nach einen ganz gehörigen Respekt vor Ihm!“

„So? Na, da thut dazu, daß ich auch vor Euch Respekt bekomme!“

Als der Korporal in dem Gange verschwunden und die Laube wieder vorgerückt worden war, sah der Kutscher noch einmal nach dem in der Gartenecke Liegenden und überzeugte sich, daß von demselben nichts zu befürchten sei. Dann empfahl er der Geliebten die nöthige Vorsicht und begab sich zunächst in den Stall. Hier versah er sich mit einer ziemlichen Anzahl von Schnüren und Stricken, welche an den alten, verwitterten Wänden herumhingen.

„So, die werden wir vielleicht gebrauchen können. Wenn der Korporal wirklich so ein Kerl ist, wie der junge Habermann gestern sagte, so wird Alles gut gehen, trotzdem es ein ganz verteufeltes Wagestück ist!“

Jetzt schritt er nach der Gaststube, in welcher er Mamsell Rosine traf.

„Will Sie mir wohl einen Gefallen thun, Jungfer Rosine?“ fragte er sie.

„Er ist eigentlich zu unmanierlich, als daß man Ihm viel Gefallen erweisen möchte; aber was will Er denn, und wozu sind die Stricke da?“

„Das soll Sie gleich sehen,“ antwortete er, indem er die Thür verriegelte und die Pistole hervorzog. „Setze Sie sich einmal hier auf diesen Stuhl!“

„Herr Jemine, was soll“ — wollte sie beim Anblicke der Waffe aufkreischen; er aber fiel ihr schnell in das Wort:

(Schluß folgt.)

26117.

Fürst und Reitknecht.

Eine Erzählung von Karl May.

(Schluß.)

„Kein Wort weiter! Wenn Sie nur im Geringsten muckst, so schlage ich Ihr hier mit dem Dinge da die Schmachtlocken auseinander, -

auseinander, denn einen Schuß Pulver ist so eine alte Trine, wie Sie, doch nicht werth!“

Sie zitterte an allen Gliedern und konnte vor Angst kein Wort mehr hervorbringen.

„Was für eine saubere Wirthschaft da unten in den Kellern getrieben wird, das weiß ich, und wir werden das Nest auch nachher ausnehmen; jetzt aber frage ich Sie nur, wo mein Herr, der Habermann aus Dessau steckt!“

26217.

War der Fürst in eine Falle gerathen, so mußte sie es wissen, so kalkulirte er, indem er sie drohend anblickte.

„Sau — be — re Wirth — schaft?“ stammelte sie. „Habermann? — Ich weiß von Alledem nichts, gar nichts!“

„So, na, da hat eben Ihre letzte Stunde geschlagen!“

Er faßte sie beim Halse und holte aus, als wolle er ihr mit dem Griffe der Pistole einen Schlag versetzen.

„Halt,“ röchelte sie in Todesangst, „ich will’s gestehen!“

„Nun, wo ist er?“

„Unten, eingeschlossen.“

„Und die Sophie?“

„Auch mit eingeschlossen.“

„Wer hat es gethan?“

„Die Sachsen,“ antwortete sie aus Angst, daß es ihr an’s Leben gehen könne, wenn sie die Wahrheit sagte.

„Gut, jetzt weiß ich genug! Jetzt lege Sie Ihre Hände hinter die Lehne und die Füße hier an die Stuhlbeine. Ich werde Sie anknüpfen. Wenn Sie sich ruhig verhält, geschieht Ihr nichts, wenn Sie aber einen Versuch macht, loszukommen, so ist’s um Sie geschehen!“

Widerstandslos ließ sie sich fesseln; dann band er ihr die Schürze vor den Mund und trat in die Küche.

Helles Gelächter tönte ihm entgegen, als er die Stufen hinunterschritt. Ihm war allerdings nicht sehr lächerlich zu Muthe. Von dem Gelingen des Streiches hing Vieles ab, besonders da der Fürst sich selbst unter den Gefangenen befand. Geräuschlos öffnete er die Thür ein wenig und horchte.

„Ich kann nicht begreifen,“ klang eine Stimme, „warum Müller nicht zurückkommt. Um blos zu sehen, ob sie da sind, braucht er doch nicht eine so lange Zeit. Ich muß einmal nachschauen, was er draußen treibt!“

Das galt jedenfalls dem gefesselt im Garten Liegenden. Hier war keine Zeit zu verlieren, und der Sprecher hatte kaum den Fuß erhoben, um sich zu entfernen, so ertönte von der Thür her ein kraftvolles „Halt!“ in seine Ohren.

Er fuhr herum und erblickte den am Eingange Stehenden, welcher in jeder Hand eine gespannte Pistole hielt.

„Verrath! Zu den Waffen!“ rief er erschrocken und eilte zum Ecktische, auf welchen er und seine Kameraden ihre Waffen abgelegt hatten. Aber mit einigen raschen Schritten hatte ihn der Eindringling vom Tische abgeschnitten.

„Keinen Schritt weiter! Wer sich von seiner Stelle rührt, ist verloren!“ erscholl es ihm entgegen.

Da riß er ein Messer hervor und wollte sich mit erhobener Faust auf den Fremden stürzen. Ein Schuß krachte, und der Arm sank zerschmettert herab. Zu gleicher Zeit öffnete sich die andere Thür; Nauheimer trat ein und warf sich mit seiner mächtigen Gestalt den Werbern entgegen, welche aufgesprungen waren, ihren Kameraden zu rä­chen. — — —

Währenddessen stand Marie von Naubitz draußen in der finstern Nacht auf ihrem Posten, um Wache zu halten. Sie war eine würdige Pathe des alten Knasterbartes und kannte weder Furcht noch Unentschlossenheit. An die Worte des Geliebten denkend, schien es Ihr rathsam, sich einmal nach dem Gehölz zu schleichen, und schon legte sie die Hand an die kleine Gartenpforte, welche in das Freie führte, als sie einen Schritt zurücktrat und sich schnell niederbeugte.

Zwei dunkle Gestalten kamen längs des Zaunes herbeigeschlichen und blieben jenseits desselben grad’ vor ihr stehen.

„Das muß das Haus sein, Hauptmann!“ flüsterte eine leise Stimme.

„Natürlich! Und hier steht auch die Laube, in welche der Gang münden soll.“

„Warum nur keiner von den Kerls sich beim Rendezvous einfindet! Sie müssen doch wissen, daß wir nicht ewig warten können, weil wir die Nacht zum Transporte benutzen wollen.“

„Wer weiß, was sie noch zu verrichten haben. Eintreten können wir nicht; so bleibt uns also nichts übrig, als uns in Geduld zu fügen.“

Die beiden Männer entfernten sich langsamen Schrittes und auch Marie erhob sich wieder, um das Gehörte zu melden. Als sie, längs des Gebäudes hingehend, an die Kellerthür kam, glaubte sie ein polterndes Geräusch zu vernehmen, welches die Stufen heraufdrang.

Sie öffnete und lauschte hinunter. Jetzt hörte sie ganz deutlich ein lautes Krachen und dazwischen den unterdrückten Schall einer tiefen Baßstimme:

„Himmelmohrenelement, ob wohl das alte Ding nachgeben wird, daß man aus der Bude herauskommt!“

Das war der Fürst; sie kannte diese Stimme zu deutlich und hörte aus den vernommenen Worten, daß er eingeschlossen sei. Ohne sich lange zu besinnen, eilte sie, so schnell es ihr die Dunkelheit gestattete, die Treppe hinab, und je weiter sie hinunter kam, desto deutlicher bemerkte sie, daß man eine Thür mit mächtigen Fußtritten bearbeite. Sie tappte sich dem Schalle nach, bis sie die Thür erreicht hatte und zog mit Anstrengung aller ihrer Kräfte die Riegel zurück. Der Schein des Lichtes fiel auf ihre Gestalt.

„Alle Wetter! Mädel, wie kommst denn Du in dieses vermaledeite Loch? Na, davon später; jetzt muß ich machen, daß ich den beiden Teufelskerlen da drüben zu Hülfe komme, denn da scheint es bunt herzugehen! Wie kommt man denn aber hinab in die Rattenfalle?“

„Durch die Küche, Durchlaucht. Erlaubt, daß ich Euch führe!“ antwortete Marie, noch ehe Sophie ein Wort sagen konnte.

„Durch die Küche? Wie kommst denn Du dazu, das zu wissen, he?“ fragte er, eilte aber, ohne eine Antwort abzuwarten, nach oben, und stand in kurzer Zeit vor dem Kleiderschranke.

„Da hinein soll ich kriechen? Na, jetzt komme ich endlich, Ihr Schwerenöther, und nun sollt Ihr alle Euern Zahlaus haben!“

So rasch wie möglich eilte er nach unten, stieß die angelehnte Thür auf und — blieb erstaunt unter derselben stehen.

Im Hintergrunde des Gewölbes lagen sämmtliche Werber gebunden auf der Erde; der Korporal war eben beschäftigt, dem Letzten derselben eine Schlinge um die Beine zu legen, während der Kutscher mit drohenden Pistolen immer noch an dem Tische stand, auf welchem die Waffen der Gefangenen lagen. Es war augenscheinlich, daß die Angeworbenen, ihren Vortheil erkennend, bei der Ueberwältigung derselben geholfen hatten, und auch Hans schien nicht ganz müßig gewesen zu sein, denn er stand vor Einem der Gefesselten und hielt ihm eben die erbauliche Rede:

„Sieht Er’s nun ein, he? Wie Du mir, so ich Dir! Wir wollen Ihm schon lehren, bei nächtlicher Weile ehrlichen Leuten auf den Wagen zu springen, um sie unter’s Militär zu stecken! Das ginge wohl, wenn’s blos hieße: wie Du mir, aber es geht nicht, weil’s auch heißt: so ich Dir!“

Die Arbeit war also hier vollständig gethan, und Leopold konnte sich nicht enthalten, in die anerkennenden Worte auszubrechen:

„Kerls, habt Ihr denn den leibhaftigen Satan im Leibe, daß Ihr zu Zweien Euch in diese Räuberhöhle wagt? Das ist doch ein Stück, wie’s nur so im Buche steht. Na, es soll Euch auch angerechnet werden! Nauheimer, Er mag einmal hier zur Wache zurückbleiben; Er aber“ — damit wandte er sich an den Kutscher — „Er aber bringe mir einmal den Habermann herauf in die Stube und auch den — den — na, den Menschen, der dort an der Wand lehnt. Muß einmal ein Wörtchen mit ihnen reden, und die Andern werden schon auch noch an die Reihe kommen!“

Als er in die Küche trat, fand er die beiden Mädchen vor, welche mit Spannung auf den Ausgang des Abenteuers gewartet hatten. Marie trat zu ihm heran.

„Verzeihung, Durchlaucht, daß ich vorhin keine Zeit fand, zu melden, daß sächsisches Militär das Wäldchen unweit des Dorfes besetzt hält.“

„Woher weißt Du das?“

„Ich stand Wache und hörte dem Gespräche zweier Offiziere zu.“

„Wache gestanden? Blitzmädel, an Dir ist ein Grenadier verdorben, und der Herrgott mag’s einmal bei mir verantworten, wenn ich hinauf komme, daß er Dich in den Unterrock gesteckt hat. Und zwei Offiziere waren es, sagst Du? Da ist die Mannschaft zahlreich, und wir müssen die Ohren spitzen. Was sprachen sie?“

Sie theilte die belauschte Unterredung mit.

„Da wären wir wenigstens einen Augenblick vor der Ueberrumpelung sicher und“ —

Er hielt mitten im Satze inne und eilte in die Stube, denn draußen vor dem Hause hatte sich Pfergetrappel hören lassen. Noch hatte er die in den Flur führende Thür nicht erreicht, als dieselbe hastig geöffnet wurde und ein Dragoneroffizier eintrat, hinter welchem noch mehrere Uniformen zu erblicken waren. Den Fürsten erkennend, salutirte er:

„Eingetroffen nach Befehl, Excellenz!“

„Gut, gut, schön, schön! Aber wo ist denn der Gallwitz?“

„Ist mit der Eskadron noch Etwas zurück; schickte mich nur vor, um zu rekognosciren; mußte vorsichtig sein, wußte nicht, um was es sich handle.“

„Ja, der Gallwitz ist ein verständiger und umsichtiger Soldat. Mache Er sich’s einstweilen bequem hier, schicke aber vorher einen Seiner Leute retour, den Gallwitz zu führen. Alles Geräusch vermeiden; fünfhundert Schritt entfernt vom Hause halten!“

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Schon seit einigen Minuten war der Kutscher mit Habermann und Polenz aus dem Keller gestiegen. Marie hatte ihm sofort die dem Fürsten gemachte Mittheilung wiederholt, und als er jetzt die letzten Worte desselben vernahm, trat er vor.

„Erlaubt, Durchlaucht, daß ich gehe; kenne mich hier besser aus als diese Leute, die soeben erst hier angekommen sind!“

„Da hat Er recht. Melde Er mir’s sofort, wenn die Blauen eingetroffen sind!“

Der Kutscher ging; aber anstatt sich direkt nach der Straße zu wenden, trat er zu dem fürstlichen Jagdwagen, auf welchem der Getreidehändler gekommen war, hob den Sitz in die Höhe und entnahm dem darunter befindlichen Kasten ein Packet.

„Es war doch gut, daß ich für alle Fälle meine Uniform einpackte. Jetzt mag vorerst der Kutscher in den Kasten gehen, und dann — ja dann wollen wir den Sachsen auf den Hals, ohne daß wir den Alten erst lange um guten Rath fragen!“ murmelte er lei­se. — — —

Erst als die Thür sich hinter dem Fortgehenden geschlossen hatte, bemerkte Leopold die Mamsell, welche noch immer gefesselt und geknebelt auf ihrem Stuhle saß.

„Alle guten Geister,“ rief er, „das ist ja die alte Meerkatze, die mich — na, das ist nicht für Jedermanns Ohren! Nehmt ihr doch ’mal die Schürze von der Nase und bindet den Drachen los!“

Als diesem Befehl Folge geleistet war, fragte er:

„Jetzt sage Sie ’mal, wer Sie hier so vortrefflich festgenagelt hat; aber mache Sie’s kurz!“

„Wer denn anders, als Euer Kutscher!“ antwortete sie, ihren Ingrimm bemeisternd, da sie sehr wohl bemerkte, daß hinter dem Getreidehändler doch wohl etwas Anderes stecke. Zudem fühlte sie sich nur gar zu wohl schuldig, und dieses Gefühl machte sie gefügiger, als sie es sonst gewesen wäre.

„Das ist doch ein ganz verteufelter Himmelhund!“ rief er wohlgefällig. „Jetzt bleibe Sie ruhig sitzen; wir werden nachher schon sehen, was für Fett sich noch aus Ihrem Leichnam braten läßt. Ah, da ist ja auch der Habermann! Komme Er doch ’mal näher, mein Lieber!“

Diese Worte waren mit jener eigenthümlichen Freundlichkeit gesprochen, hinter der sich immer ein Gewitter verbarg. Der Handelsmann trat zögernd herbei.

„Warum ist Er niederträchtiger Millionenschwede — ach, alle Wetter!“ unterbrach er sich hier, indem ihm erst jetzt das Eintreffen der Dragoner wunderbar vorkam, da Habermann doch jedenfalls nicht nach Halle gekommen war. Mit Spannung fuhr er deshalb fort: „Wie kommt Er denn hierher nach Bitterfeld?“

„Weil mich die Werber gefangen nahmen, Durchlaucht.“

„So schämt Er sich denn nicht bis über die Waden hinunter, daß Er sich von solchem Gelichter hat übertölpeln lassen — und noch dazu in meinem Rocke, Er Hallunke? Eigentlich sollte ich Ihn ganz gewaltig durchfuchteln lassen, versteht Er mich, he? Aber Er wird Seine Strafe auch so schon haben! Und was hat Er denn mit meinem Zettel angefangen?“

„Den habe ich einem Manne gegeben, der mir unterwegs begegnete. Er ging nach Halle.“

„Was? Einem Manne? Hat Er ihn denn gekannt?“

„Nein.“

„Nicht? Also dem Ersten Besten übergibt Er so mir nichts, dir nichts eine Ordre von mir — wo so viel auf dem Spiele steht, Er Mohrenbraten Er!“ — — —

Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Konnte das wohl vielleicht gar der Wolstraaten gewesen sein? Wahrscheinlich war es, und bei dieser Vorstellung lachte er ingrimmig in sich hinein; dann meinte er drohend:

„Wenn der Zettel nicht abgegeben worden ist, so hat Er’s mit mir zu thun, und wird sehen, was es Ihm einbringt! Was hat Er denn eigentlich in Bitterfeld zu suchen gehabt?“

Der Gefragte schwieg, an allen Gliedern zitternd.

„Er mag immer schweigen! Weiß doch, daß Er dort das Goldfischchen hat wegangeln wollen für seinen albernen Buben, aber da wird ihm der Henker ’was braten. Das Mädel ist versehen, und der Nauheimer ist ein Kerl, der Meriten hat und meine Konnexion obendrein. Setze Er sich. Die Angst ist Ihm ja in die Beine gefahren, wie einem Storche der Schinken!“

Polenz lehnte während dieser Scene auf einem Stuhle. Die Besinnung war ihm wenigstens soweit zurückgekehrt, daß er das um ihn Vorgehende wie im Träume sah und hörte. Die Stimme des Fürsten klang ihm wie die Posaune des jüngsten Gerichtes in die Ohren, und als dieser befahl: „Jetzt bringt mir nun den Menschen dort einmal her!“ war es ihm grad, als sei er an eine Kanone gebunden und erwarte in furchtbarer Todesangst den vernichtenden

Schuß. Je näher er wankenden Schrittes herbeitaumelte, desto grimmiger wurde das Gesicht Leopolds. Dieser schien den Malefikanten mit dem Auge durchbohren zu wollen und vor Zorn nach Worten ringen zu müssen, bis er endlich, ganz gegen seine Gewohnheit, kurz und kalt befahl:

„Schafft mir das Subjekt aus den Augen! Das Jammerbild ist ja keines Wortes werth. Aber den Hut mag er auf dem Hirnkasten behalten, bis man ihm das Standrecht hält!“

Eine ganze Weile schritt er, mit seiner Aufregung kämpfend, in der Stube auf und ab. Endlich wurden seine Züge milder und milder, und mit einer kurzen Schwenkung blieb er vor Marie von Naubitz stehen.

„Höre, Mädel, da hätte ich alter Isegrimm bald einen dummen Streich gemacht und Dich an einen Mann gehängt, der — na, ich will mich nicht wieder ärgern! Wir wollen uns die Sache mit dem Platen noch einmal überlegen. Habe viel von ihm gehört, sehr viel Gutes und Schönes — soll ein ganz wahrhaftiges Extraktum von allen Offizierstugenden sein! Und Du selbst bist ja heut’ auf dem Damme gewesen trotz eines Pulverfressers und hast mich aus der Teufelshöhle herausgeholt, in die mich dort das alte Schüreisen — na, warte nur,“ unterbrach er sich, wieder zornig werdend, „nennt mich dieses traurige Weibsbild einen alten Cyperkater! Ich werde Sie, Mamsell Rosine Kachelmüllerin oder Schachtelbergerin, becypern, daß Sie bis an Ihr seliges Ende an dem Kater herumkauen soll!“

Vielleicht hätte er der alten Jungfer eine etwas längere Rede gehalten, wäre jetzt nicht zum zweiten Male draußen das Stampfen von Rosseshufen laut geworden, und zwar in einer Weise, welche auf eine zahlreiche Abtheilung schließen ließ.

Wüthend eilte der Fürst nach der Thür.

„Wahrhaftig, da bringt mir der Kerl die ganze Truppe bis an die Nase hergeschleppt, und dabei machen die Leute einen Skandal, daß die Kurfürstlichen taub sein müßten, wenn sie es nicht hörten. Das wird uns den ganzen Coup verderben!“

Er befand sich wieder in vollem Zorne und herrschte, als jetzt der Eingang sich öffnete, dem einen der beiden Eintretenden zu:

„Alle Tod und Teufel, Rittmeister, was fällt Euch denn ein, mit solchem Spektakel hier in das Haus zu fallen, wenn ich befohlen habe, daß Ihr fünfhundert Schritt von hier Posto nehmen sollt? Nun sind uns die Sachsen futsch, die ich haben wollte!“

„Excellenz erlauben zunächst, diesen Mann abzuliefern!“ erwiderte der Angeredete, indem er seinen Begleiter vorschob. Es war ein in Zivil gekleideter Mann, in dessen Mienen die Angst und Furcht mit größter Deutlichkeit zu lesen waren.

„Wer ist’s?“

„Der Bäcker Wolstraaten.“

„Aha, ist er von seinem Spaziergange nach Halle zurück? Habe jetzt aber keine Zeit, mich mit dem Landesverräther zu befassen. Setzt ihn dorthin neben seine alte Mamsell Schatulle!“

„Sodann habe ich Excellenz diese Allerhöchste Zuschrift zu überreichen. Kam aus Berlin und ist so pressant, daß sie mir sogar für die gegenwärtige Exkursion anvertraut wurde, um baldigst in Eure Hände zu gelangen.“

„Na, da gebt ’mal Licht her!“

Er trat zum Tische, brach das königliche Siegel auf, entfaltete das Schreiben und versuchte, sich den Inhalt desselben anzueignen. Lange wollte es ihm nicht gelingen; endlich aber legte er es mit einer Miene des Triumphes wieder zusammen.

„So, da ist der alte Dessauer wieder ’mal gescheidter gewesen, als all die hochgelehrten Herren Federfuchser. Kinder, morgen marschiren wir; der Teufel geht wieder los. Mein guter Spezial, der liebe Herr Minister von Brühl,16) hat wieder ’mal ’nen Affen geheckt, der ihn in die eigenen Augen kratzen wird. Der alte Blutsauger kann das Schlabbermaul nicht halten und hat sich selbst verrathen. Also morgen geht’s auf Leipzig los, und der Herrgott mag seine Engelein trommeln und pfeifen lassen, daß es uns nicht am Siege fehlt! — Es wird ja doch wohl die letzte Kampagne sein, die Euer alter Leopold mit Euch unternimmt,“ setzte er mit milder werdendem Tone hinzu, „und da wollen wir denn noch einmal zeigen, daß wir noch Kalk in den Knochen haben! Was nun das Neueste dabei ist, der Rittmeister Kurt von Platen wird mir als Adjutant beigegeben. Der Fritz in Berlin will’s so, und mir kann’s auch recht und lieb sein! Aber nun hinaus zu den Sachsen, wenn sie uns, wie gesagt, nicht futsch sein sollen!“

„Excellenz, die Sachsen sind uns nicht futsch; wir haben sie schon!“

„Ihr habt sie? — — Wo denn, he?“

„Draußen vor dem Hause.“

„Vor dem Hause? Gefangen? Alle Hagel, wie ist denn das zugegangen?“

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„Der Rittmeister von Platen, welchen uns Excellenz entgegenschick­ten“ —

„Platen? — Entgegenschicken? Bei Euch rappelts wohl?“

Der Gefragte wurde der Antwort überhoben, denn es öffnete sich wieder die Thür und ein Offizier in der kleidsamen Tracht der Ziethenhusaren trat ein, nahm drei Schritte vor dem Fürsten Stellung und meldete:

„Fertig mit den Kurfürstlichen, Durchlaucht. Alle gefangen!“

„Potz Schwe“ — — —

Das Kraftwort blieb dem alten Helden im Munde stecken. Auf’s Höchste erstaunt, trat er einige Schritte zurück und beguckte sich mit aufgerissenen Augen den Mann, der sich mit solcher Eleganz vorzustellen wußte.

„Ist denn heut’ die ganze Welt aus Rand und Band gefahren, daß Er Himmelsackermenter es wagen darf, als Leibkutscher sich“ —

Wieder hielt er vor erneutem Erstaunen mitten in seiner Strafpredigt inne, denn Marie von Naubitz trat zu dem Husaren, legte ihre Hand auf den Arm desselben und sprach:

„Der Herr Rittmeister von Platen, Excellenz!“

„Wa—wa—wa—was? Das ist ja heut’ eine förmliche Revolution gegen mich! Also Er ist der Tausendschwerebretter, der so viele schöne, dumme Streiche gemacht hat und nun jetzt gar dieses Mädel da zur Frau nehmen will? Und da hat Er sich gestern wohl nur deshalb bei Mutter Röse eingeschlichen, um mir so hinten herumzukommen und mich auf Seine Seite zu kriegen? Und den Kutscherrock hat Er angezogen, Er, ein Offizier, der doch Ehre im Leibe haben sollte und Reputation und Ambition und wie das welsche, dumme Zeug alles noch heißen mag! Da schlage doch der Teufel drein! Daraus wird Nichts, rein gar Nichts. Na, wartet nur, Ihr Heidenvolk, Ihr sollt mir alle sammt und sonders, wie Ihr dasteht — und auch die da unten in den Kellerlöchern — mit nach Halle, und da wird ein Jeder Das bekommen, was er verdient hat, näm­lich — — —“

„Der Nauheimer seine Sophie!“ ertönte es herzhaft aus dem Hintergrunde, wo der Korporal auf einen kurzen Augenblick erschienen war, um sein Mädchen beim Halse zu nehmen. Er hatte es unten bei den Gefangenen doch nicht länger aushalten können und war nach oben gestiegen, wo es ihm vielleicht möglich war, ein kleines Wörtchen für sein Glück einzulegen.

„Maul gehalten, Er vorwitziger — — ja so, Er war’s wohl selber, Korporal? Da will ich Nichts dagegen haben; also, der Nauheimer seine Sophie, u–und — und“ —

„Der Platen“ — — lachte muthig der Husarenrittmeister.

„Seine Marie!“ ergänzte die Pathin des Fürsten, bittend zu diesem aufblickend.

„Ja, ja, da darf man nur sagen: und — und — und —“

„Der Habermann seinen Hans!“ machte sich eine halblaute Stimme bemerklich. „Das ginge wohl, denn Habermann bleibt Habermann, und das geht auch, denn der Hans bleibt auch der Hans!“

„Will Er da hinten wohl gleich seinen Schnabel zumachen! Glaubt Er wohl, Er dummer Hans, daß ich mich nur wegen ihm herstelle und dreimal „und — und — und“ schreie? Na“ — wandte er sich wieder an die beiden jungen Leute, welche erwartungsvoll vor ihm standen — „da greift meinetwegen zu! Aber zur Beichte sollt Ihr mir noch sitzen, und zwar ganz gehörig, denn ich muß Alles wissen, was ich jetzt noch nicht erfahren habe, und wenn ich dann zufrieden bin mit dem Herrn Rittmeister, so wird er sich auch nicht zu beklagen haben über — hahaha — über den Zwie — wie — wie —hahahaha — wie — wie — wiebelhändler von gestern!“

1) Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676–1747), preußischer Heerführer, genannt der „alte Dessauer“ (zur Unterscheidung von seinen Söhnen, die auch preußische Generäle wurden).
2) Anna Luise Föhse (1677–1744), seit 1698 Frau von Leopold I., 1701 zur Reichsgräfin ernannt.
3) Friedrich II. von Preußen (1712–1786), auch Friedrich der Große oder der „Alte Fritz“ genannt.
4) Schlacht bei Soor (Sohr, Sorr) am 30. September 1745 während des Zweiten Schlesischen Krieges. Da die kriegsentscheidende Schlacht von Kesselsdorf (15. Dezember 1745), die unter Führung des „Alten Dessauers“ gewonnen wurde, nicht erwähnt wird, muss die Erzählung in den Zeitraum Oktober/November 1745 fallen. Weiter unten finden sich mehrmals die Zeitangaben „Anfang November“/„November“.
5) Peter Ludwig du Moulin (1681–1756) befehligte bei Hohenfriedberg den rechten preußischen Flügel.
6) Erzherzogin Maria Theresia von Österreich (1717–1780), Tochter von Kaiser Karl VI., Regentin Österreichs.
7) Wenzel Anton Dominik Graf Kaunitz (1711–1794), ab 1764 Fürst von Kaunitz-Rietberg, erst seit 1753 als Kanzler für die österreichische Außenpolitik zuständig, seit 1744 Minister in der Regierung der österreichischen Niederlande – dem späteren Belgien, 1750-1753 Botschafter in Paris. Kaunitz war für die antipreußische Allianz während des „Siebenjährigen Krieges“ 1756-1763 verantwortlich.
8) Zur Zeit des „alten Dessauers“ gehörte Bitterfeld zu Sachsen, es wurde erst 1815 durch den „Wiener Kongress“ der preußischen Provinz Sachsen eingegliedert. Heute gehört Bitterfeld zu Sachsen-Anhalt und ist somit „Grenzort“ nach Sachsen.
9) Nachdem Albrecht der Bär 1157 Brandenburg erobert hatte, wurden Siedler ins Land gerufen. Zahlreiche Flamen folgten diesem Ruf, so dass noch heute ein Landstrich bei Brück in Brandenburg Fläming genannt wird. Dieser Landstrich war bis 1815 Grenzgebiet des Königreiches Sachsen gegen Brandenburg und ist nach dem „Wiener Kongress“ an Preußen gefallen.
10) Haarlem, Stadt in Nordholland, nach dem Rückzug der Spanier (1577) durch flämische Immigranten zu neuer Blüte gekommen.
11) Ein „Dessauer“ Korporal im sächsischen Bitterfeld während des Zweiten Schlesischen Krieges!
12) Die sächsische Grenze verlief zwischen Radegast und Zörbig und noch weiter nach Westen bis Plötz. Erst nach 1815 („Wiener Kongress“) wurde dieses Gebiet in die preußische Provinz Sachsen eingegliedert. 1745 - während des Zweiten Schlesischen Krieges - dürfte diese durch Sachsen verlaufende Straße für einen preußischen Generalfeldmarschall ziemlich gefährlich gewesen sein.
13) Halle (Saale) im Erzbistum Magdeburg, seit 1701 zu Preußen gehörig.
14) Prinz Karl Alexander von Lothringen und Bar (1712–1780), österreichischer Generalfeldmarschall, führte 1745 die Truppen in den (verlorenen) Schlachten von Hohenfriedberg und Soor.
15) Friedrich August Graf Rutowski (auch Rutowsky, 1702–1764), illegitimer Sohn von August dem Starken mit der Türkin Fatima, sächsischer General, erst ab 1749 Feldmarschall, führte die sächsischen Truppen bei der Niederlage in der Schlacht von Kesselsdorf am 15.12.1745. Ihm wird der Satz „so schnell schießen die Preußen nicht“ zugesprochen.
16) Heinrich Graf von Brühl (1700–1763), sächsischer Minister, ab 1746 Premierminister, sehr umstrittene Figur der sächsischen Geschichte. Er hatte großen Einfluß auf den willensschwachen Kurfürsten Friedrich August II.