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71.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

I.Der Krautpopel.

(Nachdruck verboten.)

Wenn man zu Anfange des vorigen Jahrhunderts auf der Straße von Oschersleben nach Halberstadt ging, hatte man einen ausgedehnten Wald zu durchwandern, in welchem man wohl allen möglichen Arten von Wild, selten aber einem Menschen

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begegnete. Diese Forstung war sogar ein wenig verrufen, wohl meist der zahlreichen Wilddiebe wegen, und es wurde in der Umgegend als ein Beweis von Muth angesehen, wenn ein einzelner Mann sich entschloß, die Straße allein und ohne Begleitung zu durchwandern.

Heut gab es bereits am frühen Morgen drei solche muthige Personen, welche sich im Walde befanden; doch waren sie durch größere Entfernungen so von einander getrennt, daß Keiner von den beiden Andern etwas wußte und Jeder von ihnen glaubte allein zu sein.

Am Straßenrande saß ein junger Mann, der vielleicht in den ersten zwanziger Jahren stehen mochte. Er hatte seine riesigen, aber sehr wohl proportionirten Glieder bequem in das duftende Gras ausgestreckt und kaute behaglich an einem Stücke trockenen Brodes, zu welchem er hie und da einen Schnitt harten Bauernkäse zwischen die blanken Zähne schob. Seiner Kleidung nach mußte man ihn für den Sohn nicht ganz armer Bürgersleute halten; sie war sehr sauber und aus einem Tuche gefertigt, dessen Preis von einem Armen nicht bezahlt werden konnte. Seine Vertrauen erweckenden offenen Züge waren schön zu nennen; der klare muthige Blick seines tiefblauen Auges harmonirte sehr gut mit dem kraftvollen Körperbaue, und ein schelmischer, unternehmender, ja beinahe listiger Zug um die mit einem gut gepflegten Schnurrbärtchen geschmückten Lippen gab dem jugendlich frischen Gesichte einen Ausdruck, den eine Salondame vielleicht als pikant bezeichnet hätte.

Nicht auf der Straße, sondern tiefer im Walde schritt eine zweite Person zwischen den Bäumen dahin. Der Mann mochte am Ende der Zwanziger stehen. Er hatte zwar nicht ganz den riesigen Gliederbau wie der Vorige, doch hätte sein Kopf wohl immer noch um ein Beträchtliches über tausend Andere hervorgeragt. Die breitschulterige sehnige Gestalt stak in einem ziemlich abgetragenen grauen Tuchwammse, in eben solchen Hosen und in Stiefeln, deren Schäfte bis weit über die Kniee heraufgezogen waren. Das Gesicht war von der Sonne braun gebrannt und erhielt durch den scharfen strengen Blick der tiefschwarzen Augen und einen gewaltigen Zwickelbart einen höchst martialischen Ausdruck. Dieser Mann trug über der Schulter eine Büchse, an welcher ein Rehbock von seltener Größe hing.

Die dritte Person war eine ziemliche Strecke auf der Straße zurück. Es war ein Jüngling von vielleicht achtzehn Jahren, dessen Gestalt sich recht gut neben derjenigen der beiden Andern zeigen

konnte. Er trug einen Knotenstock in der Hand und auf dem Rücken ein altes Ränzel, welches ihn nebst seinem ganzen Habitus als einen jungen Handwerksgesellen kennzeichnete, der sich auf der Wanderschaft befand.

Der Jäger mitten im Walde hielt mit rüstigen Schritten auf die Straße zu, welche er dann in der Richtung nach Halberstadt verfolgte. Er schien seine Gedanken mit irgend einem fesselnden Gegenstande zu beschäftigen, denn er bemerkte den seitwärts im Grase Liegenden nicht eher, als bis er ihn vollständig erreicht hatte. Da blieb er halten und musterte ihn mit einem Blicke, in welchem man zunächst einige Ueberraschung und dann ein sichtliches Wohlgefallen bemerken konnte.

„Guten Morgen, Freund,“ grüßte er dann. „Was treibt man denn so früh da hier im Walde?“

Der Andere hatte den scharfen Blick lächelnd ausgehalten.

„Guten Morgen,“ antwortete er. „Was ich treibe, das ist sehr leicht zu sehen.“

„Nun?“

„Ich ruhe mich aus und esse.“

„Donnerwetter, das sehe ich allerdings! Aber wer ist man denn?“

„Einer, der nicht ganz so neugierig zu sein scheint wie Er.“

Ueber das Gesicht des Fragers zuckte ein eigenthümliches Lächeln.

„Meint Er? — Meinetwegen! Aber der Mensch hat seinen Schnabel nicht blos für Brod und Käse, sondern auch zum Sprechen erhalten und dazu gehört bekanntlich, daß Rede und Antwort richtig zusammenklappen. Sieht Er das ein?“

„Ja.“

„Na, so antworte Er auch, wenn Er gefragt wird! Also, wer ist Er?“

„Hm! Wenn ich Ihm wirklich antworten soll, so muß Er etwas gescheidter fragen!“

„Alle Teufel! — Inwiefern denn, Er Grobian?“

„Was soll ich denn auf die Frage „Wer?“ antworten, he? Das Wort ist mir zu unbestimmt.“

„Ach so! Na, ganz Unrecht hat Er freilich nicht, und da will ich Ihm die Schlackwurst deutlicher vorkauen. Wo ist Er her?“

„Aus Oschersleben.“

„Was treibt Er für ein Metier?“

„Ich bin Lohgerber.“

„Mache Er mir nichts weiß, Er Himmelhund!“

Der Gerber konnte ein befriedigtes Lächeln nicht verbergen. Es zuckte beinahe schalkhaft über seine Züge, als er antwortete:

„Etwas weiß machen? Pah! Er scheint mir nicht der Kerl zu sein, wegen dem man sich die Mühe geben sollte, eine Lüge an den Mann zu bringen.“

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„Hoho! Sehe ich denn gar so vagabundisch aus?“

„Na und ob!“

„Himmelheiliges Bomben — man merkt es, daß Er es mit Kälber-, Schaf- und Ochsenschwarten zu thun hat! Er ist ja ein Grobsack der allerobersten Sorte!“

„Meinetwegen! Wie es in den Wald schallt, so schallt es wieder heraus.“

„Ach so! Bin ich etwa grob gegen Ihn gewesen?“

„Saugrob geradezu!“

„Kerl, sage Er mir das noch einmal, so schlage ich Ihm den Rehbock hier um die Ohren, daß Er Seinen Lohgerber für den Rammelsberg halten soll! Erkläre Er sich über meine Grobheit doch einmal deutlicher!“

„Ist es etwa fein und manierlich, wenn Er mich einen Lügner nennt?“

„Hat ein Lohgerber etwa solche feine weiße Hände wie Er da?“

„Ich bin Meister und lasse nur meine Gesellen und Lehrbuben arbeiten.“

„Alle Wetter, da ist Er ja ein verteufelt junger Meister und scheint sich nicht ganz schlecht zu stehen!“

Der Andere lachte wohlgefällig.

„Ja; wir haben was wir brauchen, und vielleicht auch noch ein Bischen mehr.“

„Darf man denn auch Seinen Namen wissen?“

„Warum nicht? Ich heiße Heinrich Silberling.“

„Hm, vertrakter Name! Habe ihn noch nicht gehört, als nur einmal in Bernburg, wo es auch einen Silberling geben soll.“

„Das ist mein Vater,“ meinte der Gerber mit einem leichten Zucken seiner Bartspitzen.

„Sein Vater? Sapperlot! — So wäre Er ja ein Anhalter Kind?“

„Das bin ich auch. Ich bin erst vor einem halben Jahre nach Oschersleben gezogen.“

„Da schlagen doch gleich fünfunddreißigtausend Wetter in diese hundsföttische Geschichte. Das ist ja eine Nachlässigkeit, die ihres Gleichen gar nicht finden kann. Na, wartet nur, Ihr Hallunken, ich werde Euch schon lehren, die Augen besser aufzusperren!“

„Was denn? Auf wen raisonnirt Er denn eigentlich?“

„Auf meine We — — na, das braucht Er nicht zu wissen. Wohin will Er denn eigentlich jetzt? Vielleicht nach Halberstadt?“

„Nein, sondern nach Quedlinburg.“

„Da muß Er doch über Halberstadt.“

„Fällt mir gar nicht ein!“

„Warum?“

„Wenn Er mich ansieht, so kann Er es sich denken.“

„Werde mir Seinetwegen den Kopf nicht zerbrechen. Also, heraus damit!“

„In Halberstadt sitzt der Dessauer mit seinem Musterregimente.“

„Und was hat dies mit Ihm zu schaffen?“

„Sehr viel. Oder weiß Er nicht, daß dieser Spitzbube keine größere Freude hat, als wenn es ihm gelingt, einen Mann von meiner Größe für sein Regiment wegzuschnappen?“

„Wer? Wie sagt Er? Dieser Spitzbube? Mensch, sagt Er das noch einmal, so werde ich Ihn bespitzbuben, daß — aber, das geht mich ja gar nichts an; das ist mir ganz und gar egal. Aber lasse Er es nur keinen Andern hören, sonst könnte Er gewaltig in die Käse fliegen. Also nach Halberstadt will Er nicht?“

„Nein. Ich lasse es links liegen.“

„Und was hat Er in Quedlinburg zu suchen?“

„Ich muß zu einem alten Pathen, der auf dem Sterben liegt und mich noch einmal sehen will. Er hat keine Verwandte und wird mich wohl im Testamente bedenken wollen.“

„Gratulire! Er ist glücklicher als andere Leute. Mir zu Liebe holt der Teufel keinen alten Pathen, der auf den löblichen Gedanken kommt, mir seinen Geldsack aufzuzwingen.“

„Glaube es Ihm. Nach großen Geldsäcken sieht Er allerdings nicht aus!“

„Nach was denn, he, wenn ich fragen darf?“

„Hm, Er ist doch wohl nichts Anderes, als ein armer Dorfspitz, der sich hinter dem Rücken des gnädigen Herrn einen Braten gemaust hat. Nicht?“

„Ein Dorfspitz, also ein Büttel? Braten gemaust? Heiliger Ladestock, ich möchte Ihm den Spitz — aber ein gutes Auge hat Er, das muß man sagen. Will Er mir wohl einen Gefallen thun?“

„Warum nicht?“

„Kehrt Er vielleicht in dem Kruge ein, der da vorn an der Straße liegt?“

„Möglich.“

„So sei Er so gut und verrathe Er mich dort nicht. Er braucht mich ja gar nicht in das Maul zu nehmen. Wenn es herauskäme, daß ich mir den Bock geholt habe, so käme ich um mein Amt und müßte ein paar Jährchen brummen. Und dazu habe ich ebensowenig Lust, wie Er zu den Soldaten.“

„Werde von Ihm gar nicht reden. Aber, weiß Er nicht vielleicht, ob der Dessauer gerade jetzt in Halberstadt anwesend ist?“

„Warum?“

„Darum! Meines Geschäftes wegen.“

„Wie so?“

„Weil man jetzt so gar nicht weiß, woran man ist. Der

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schwedische Karl ist in Sachsen eingefallen, hat den dortigen Kurfürsten besiegt und ihn im Altranstädter Frieden gezwungen, die polnische Königskrone herzugeben. Der König von Preußen hat Alles in Kriegsbereitschaft gesetzt, und der Dessauer —“

„Der Spitzbube, wie Er ihn vorhin nannte, Er Schwerenöther,“ fiel ihm der Dorfbüttel in die Rede.

„Thut nichts. Er ist ja auch ein Spitzbube, denn er maust im Lande wie ein Rabe nach groß gewachsenen Leuten herum. Also, der Dessauer steht in Halberstadt auf dem Sprunge nach Sachsen hinüber, und dennoch spricht man davon, daß Karl der Zwölfte und unser König eine geheime Friedensunterhandlung im Sinne führten. Das gibt natürlich eine Ungewißheit, unter welcher alle Geschäfte leiden. Und darum frug ich Ihn nach dem Dessauer. Ist er bei seinem Regimente in Halberstadt, so deutet dies auf Krieg; befindet er sich aber in seiner Residenz zu Dessau, so gibt dies Hoffnung auf Frieden.“

„Er ist ja ein ganz außerordentlicher Diplomat, und ich bekomme einen ganz heillosen Respekt vor Ihm. Der Spitzbube ist in Halberstadt; das kann ich Ihm ganz genau sagen, denn ich selbst habe ihn noch gestern Abend dort gesehen. Nehme Er sich nur in Acht, daß er Ihn nicht am Ende auch wegfischt und unter seine Buntröcke steckt. Das Maß hat Er ja wohl, nicht? Ich glaube, daß der Dessauer noch niemals einen Flügelmann von Seiner Größe gehabt oder auch nur gesehen hat. Stelle Er sich doch einmal in die Höhe!“

Der Andere folgte bereitwillig dieser Aufforderung, und der Büttel rief ganz erstaunt:

„Tausend Schock Element. Er ist ja noch größer, als ich vorhin dachte. Er muß ja seine sieben Fuß haben. Himmel Kreuz Bataillon, wenn Ihn der Dessauer zu sehen bekommt, so ist Er geliefert. Nehme Er sich in Acht!“

„Wird mir nicht viel anhaben, Euer General Schockschwerenöther.“

„Oho! Inwiefern?“

„Wer mich packen wollte, den würde ich zu Mehl zerreiben.“

„Nur sachte, sachte, sachte. Sein Maul ist ja noch fünf mal größer als Er selber. Er thut wahrhaftig, als ob Er der lange Seeström in eigener Person wäre!“

„Der lange Seeström? Wer ist das?“

„Der größte, stärkste und brävste Offizier, den es gibt. Er dient bei dem schwedischen Karl, der große Stücke auf ihn hält. Also, ich bitte Ihn, mich dort in dem Kruge nicht zu verrathen. Hat Er es kapirt?“

„Ja.“

„Gut. So sind wir fertig. Lebe Er wohl!“

„Guten Appetit zu dem Bocke, den Er geschossen hat!“

Diese Worte waren mit einer Betonung gesprochen, die den Büttel veranlaßte, sich noch einmal umzudrehen.

„Was für einen Bock hat Er da gemeint?“

„Hat Er denn noch einen andern als diesen geschossen?“

„Hm! Seine Rede klang mir beinahe etwas anzüglich, und das hätte ich mir allerdings sehr streng verbitten müssen.“

„War gut gemeint. Nun aber mache Er, daß Er fortkommt, sonst wird Er trotz meiner Verschwiegenheit erwischt und als Wilddieb eingesperrt!“

„Hopp, hopp! Habe meine Arme und Beine nicht umsonst in den Leib gesteckt bekommen.“

Damit verschwand der Mann mit dem Bocke zwischen den Bäumen des Waldes. Der Lohgerber legte sich behaglich wieder nieder.

„Ich thue also, als ob ich der lange Seeström sei, hahahaha! Und der da ist ein Dorfspitz, der sich einen Bock gestohlen hat! Man müßte dieses Gesicht und diesen Zwickelbart nicht kennen! Und verrathen soll ich ihn nicht dort in dem Kruge. Ich wette meinen Goldfuchs gegen ein Heupferd, daß er jetzt im Gegentheile geradewegs nach dem Kruge läuft, um seinen Rekrutenfängern zu sagen, daß sie mich packen sollen. Danke für Knoblauch im Quarke!“

Wirklich hielt sich der Büttel nicht allzulange im Walde, er trat nach einiger Zeit wieder auf die Straße heraus, welche er mit raschen Schritten verfolgte, bis er an ein Häuschen gelangte, über dessen Thür ein Tannenzweig andeutete, daß man hier einkehren könne. Er trat in die niedrige, halb dunkle Gaststube. Es waren nur zwei Tische vorhanden. Der eine stand leer, und an dem andern saßen vier Männer, welche würfelten. Der Wirth hockte in der Ecke auf einem niedrigen Schemel.

Der Eingetretene warf den Bock zur Erde, lehnte die Büchse an die Wand und setzte sich an den leeren Tisch.

„Hollah Wirthshaus! Schläfst Du etwa?“

„Geht Dich wohl nicht viel an, Bursche!“

„Meinst Du? Na, friß mich nur nicht! Hast Du ein Bier hier in Deiner alten Bude?“

„Ja.“

„Aber was es taugen wird!“

„Es ist mehr als gut genug für Dich und Deinesgleichen.“

„Bist wahrhaftig nicht auf das Maul gefallen, Alter! Ist es Broihahn?“

„Ja.“

„So schaffe einen Krug, aber ohne Zucker und Zitrone!“

Der Wirth brachte das Verlangte. Indem er es auf den Tisch setzte, frug er:

„Woher des Weges?“

„Das siehst Du ja: aus dem Walde.“

„Bist wohl Forstknecht?“

„Fällt mir nicht ein!“

„Ah! Du hast also die Büchse zum Vergnügen?“

„So ähnlich.“

„Und wagst Dich hierher in den Krug?“

„Warum nicht? Oder gibt es hier Menschenfresser?“

„Nicht ganz, aber ziemlich. Siehe Dir einmal hier diese Leute an!“

Er zeigte nach den Vieren am andern Tische. Der Büttel blickte gleichgiltig zu ihnen hinüber. Er verzog keine Miene, als sich zwei von ihnen erhoben und zu ihm traten.

„Warum?“ frug er.

„Es sind Freunde von Rehböcken und solchen Kerlen wie Du bist. Mußt einen allerliebsten Grenadier abgeben, Bursche!“

„Meinst Du? Bin zu alt dazu?“

„Noch nicht. Versuche es einmal!“

„Hätte längst versuchen können, habe aber keine Lust dazu.“

„Papperlapapp, keine Lust!“ meinte einer der Nahegetretenen. „Hat man den Rock an, so kommt die Lust ganz von selber. Höre, sieh einmal her, was ich Dir zeige! Es ist ein hübsches Sümmchen, aber es ist Dein, wenn Du Dir einen Dreispitz aufsetzen läßt!“

„Pech und Schwefel! So seid Ihr also Werber! Für wen arbeitet Ihr?“

„Für den Dessauer.“

„Der wird seine helle Freude an Euch haben!“

„Wie so?“

„Weil Ihr wahre Wunder von Gescheidtheit seid. Wäre ich der Dessauer, so ließ ich Euch durchfuchteln, daß Euch die Wolle platzte. Ist das eine Manier, einem Fremden gleich im ersten Augenblicke zu sagen, wer man ist und was man will! Gibt Euch der Dessauer nicht genug Moos, daß Ihr so einem Vogel erst zutrinken könnt, bis er Euch von selbst in die Arme fällt? Wo ist Korporal Waldow, der diese Station kommandirt?“

Sie machten größere Augen als vorher, und Einer antwortete:

„Draußen im Stalle.“

„Herein mit ihm!“

Das klang so gebieterisch, so unwiderstehlich, daß der Genannte unwillkürlich gerufen wurde. Er trat ein. Kaum hatte er den Büttel erblickt, so warf er sich in jene stramme unbewegliche Haltung, welche die militärische Disziplin einem hohen Vorgesetzten gegenüber vorschreibt. Die andern Vier folgten sofort und erschrocken seinem Beispiele.

„Korporal Waldow, weiß Er, was Er ist?“

„Zu Befehl, Durchlaucht Excellenz!“

„Nun was denn?“

„Korporal der ersten Kompagnie von Ew. Durchlaucht Regiment Anhalt-Dessau.“

„Das ist seine Charge; Er selbst aber ist etwas ganz Anderes, nämlich ein ganz gewaltiger Esel, ein Ochse, wie er gar nicht dümmer vorkommen kann!“

Der Korporal antwortete nicht. Er war bleich geworden, blickte aber dem Fürsten fest in das Auge, wie es Vorschrift war.

„Nun rede Er!“

„Excellenz, ich kann nicht.“

„Wie? Was? Ich übergebe Ihm eine Werbestation, und Er behauptet, nicht reden zu können! Warum kann Er nicht reden, he?“

„Ein Esel schreit, und ein Ochse brummt, Durchlaucht Excellenz; reden aber können Beide nicht!“

„Heiliges Sternhagel-Kreuz-Millionen-Schloßen- und Bom­ben­wet­ter! So wagt Er Hallunke mir zu kommen! Ich trete Ihn mit Seinen eigenen Beinen in die Wolken, Er Hundsfötter, Er! Wie kann Er es wagen, in dieser Weise zu reden, he!“

(Fortsetzung folgt.)
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Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

„Excellenz haben mich bei Namur gesehen, dann bei Kaiserswerth, Venloo, Stephanswerth und Roermonde, nachher bei Höchstädt, am Oglio, bei Cassano und Turin, bei Novara, Mailand, Pizzighettano und so weiter. Da haben der Herr General niemals zu mir gesagt, daß ich ein Esel oder Ochse sei!“

Die finstere Stirn des Fürsten klärte sich wieder auf.

„Hm, ja! Er ist ein Dessauer Kind, hat mich auf allen meinen

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Feldzügen begleitet und stets seine Pflicht gethan. Aber warum nimmt Er diese Schafsköpfe nicht besser in die Schule!“

„Sie sind von den neuen, aus Brandenburg gesandten Leuten, Excellenz. Für ihre Köpfe kann ich nicht. Lieutenant von Hallau

hat sie mir gegeben, weil ich hier nur Leute gebrauchen kann, die der Bevölkerung der Umgegend noch nicht als Soldaten bekannt sind.“

„So hat Er ja den Ladestock. Das ist das beste Mittel, ein zusammengedorrtes Gehirn aufzuweichen. Mit ihm macht man einen Brandenburger Ochsen in vierzehn Tagen zum Professor der

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Weltweisheit. Merke Er sich das, sonst probire ich dieses Experiment an Ihm selber. Doch, jetzt höre Er: In einigen Minuten wird ein Kerl vorüberkommen, den ich haben muß. Er ist gewachsen wie eine Eiche und gibt einen Flügelmann, der sich gewaschen hat. Kehrt er ein, so nehmt Ihr ihn hier, will er aber vorüber, so faßt Ihr ihn draußen. Er spricht, daß er ein Lohgerber aus Oschersleben sei und nach Quedlinburg wolle. Ich glaube es ihm aber nicht. Vielleicht gibt er sich bei Euch für etwas noch Anderes aus. Verstanden?“

„Zu Befehl, Durchlaucht.“

„Wenn Er ihn fest hat, so bringt Er ihn mir selbst nach Halberstadt, und hier den Bock dazu, den ich geschossen habe. Der Kerl ist stark genug; er mag ihn tragen. Fangt Ihr mir den, so will ich ein Auge zudrücken über die Dummheit von vorhin. Damit Gott befohlen!“

Er trank sein Bier aus, warf dem Wirthe ein Geldstück hin und verließ den Krug. —

Der zurückgebliebene Lohgerber erhob sich um dieselbe Zeit aus dem Grase; aber statt seinen Weg auf der Straße fortzusetzen, trat er in den Wald und schlug die Richtung quer durch denselben nach Quedlinburg ein.

Unterdessen war der junge Handwerksbursche näher gekommen. Er erreichte den Krug, ohne Jemanden begegnet zu sein. Er war vielleicht von einem langen Wege ermüdet, denn er trat ein und ließ sich auf demselben Stuhle nieder, auf welchem kurz zuvor Fürst Leopold gesessen hatte. Außer dem Wirthe befand sich nur der Korporal jetzt in der Stube; er schien von dem Eingetretenen nicht die mindeste Notiz zu nehmen. Dieser öffnete seinen Ranzen und zog eine mächtige Blutwurst hervor, welche er ohne Brod zum Munde brachte, dessen Zähne einer solchen Arbeit wohl gewachsen zu sein schienen. Dazu ließ er sich ein Glas Bier geben.

„Schmeckts?“ frug der Wirth.

Der Gefragte nickte. Er hatte von der Wurst ein solches Stück abgebissen, daß er unmöglich antworten konnte.

„Woher des Weges? Wohl von Oschersleben?“

Der Esser nickte zum zweiten Male.

„Und wohin des Weges? Gewiß nach Halberstadt!“

Ein drittes Nicken erfolgte.

„Was ist man denn?“

Da erfolgte die erste hörbare Antwort:

„Sieht Er das nicht, Er Rhinozeros? Ein Handwerksbursche!“

„Hm, Er scheint unter dem wilden Viehzeuge sehr bewandert zu sein! Was hat Er denn für ein Metier gelernt, he?“

„Bürstenbinder.“

„Glaube es! Grob genug ist Er dazu, und das Saufen hat Er auch gelernt. Schlingt dieser Kerl einen solchen Doppelkrug voll Braunbier in einem einzigen Zuge hinunter! Wo ist man denn geboren, he?“

„Im Bette!“

„Alle Wetter, ich will es glauben, daß es nicht auf der Kirchthurmspitze geschehen ist. Aber ich möchte doch gern wissen, für was für einen Landsmann man Ihn zu halten hat!“

„Ich bin ein Lappländer.“

„Das sieht man an den Wurststücken, die Er losreißt und hinunterlappt! Er hat ein Gefälle wie eine Bulldogge.“

„Wenn Er sich so gern um mein Gefälle kümmert, so sehe Er zu, daß der Krug nicht in alle Ewigkeit leer stehen bleibt, sonst fahre ich Ihm mit meinem Knotenstocke zwischen die Beine, daß sie in Bewegung kommen!“

„Hm, Er ist noch ein junger Kerl, aber man kann von Ihm viel lernen. Zum Balletmeister hat Er kein Talent!“

Er brachte das Bier und ließ sich neben dem angeblichen Bürstenbinder nieder.

„Ist Er nicht vor ganz kurzer Zeit bereits einmal Lohgerber gewesen?“

„Lohgerber? Nein. Aber ich kann es gleich werden.“

„Wie so?“

„Wenn Er mir noch einmal mit einer solchen albernen Frage in die Quere kommt, so gerbe ich Ihm das Fell, daß das Pergament in Fetzen davonfliegen soll!“

„Auch nicht übel! Er hätte ganz bedeutende Anlagen.“

„Wozu?“

„Zum Adjutanten bei Fürst Leopold oder zum Beichtvater bei dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm.“

„So? Hm! Warum?“

„Weil dies die beiden gröbsten Kerle sind, die es gibt.“

„Sage Er ihnen dies einmal selber, Er Lausewenzel, Er!“

„Mag von dieser Ehre gar nichts wissen! Na, na, nehme Er sich nur Zeit. Weiß Gott, der Doppelkrug ist schon wieder leer!“

„Mache Er ihn voll!“

„Das wollte ich wohl, aber hat Er denn auch Geld?“

„Will Er wohl auf der Stelle einschenken, oder soll ich nachhelfen?“

Bei diesen Worten griff er zum Knotenstocke.

„Dummheit! Lege Er seinen Knüppel weg! Hier zu Lande gibt es schon noch Leute, die sich von einem Lappländer oder einem Lappisten nicht zu fürchten brauchen. Wenn Er Geld hat, werde ich Ihm einschenken, sonst nicht. Zeige Er Seinen Beutel her!“

„Erst den Stock, dann das Bier, und zulegt den Beutel!“

Mit diesen Worten holte er aus, und zog dem Wirthe den Stock mit einem kräftigen Jagdhiebe über den Rücken. Der Getroffene sprang auf und wollte ihn fassen, merkte aber sofort, daß er seinen Meister gefunden hatte, denn der blutjunge Mensch packte ihn bei den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn zur Erde, daß Alles krachte.

„Waldow, zu Hilfe!“ rief der Wirth.

„Schon da!“ antwortete der Korporal.

„Zurück!“ gebot der Handwerksbursche und hielt den Knotenstock zum Schlage bereit.

„Gibt es nicht bei mir, mein Junge. Wirst wohl folgen müssen.“

Der ebenso gewandte wie starke und in so vielen Schlachten gestählte Korporal griff zu, erhielt zwar einen Hieb, den er nicht zu pariren vermochte, hatte aber im nächsten Augenblicke seine Arme so um den Jüngling geschlungen, daß dieser trotz aller Anstrengung sich kaum zu regen vermochte.

„Herein, Leute!“ rief er dabei.

Die Nebenthür öffnete sich, und die vier Werber traten ein.

„Wir haben ihn. Gebt ihm den Hut auf den Kopf und das Aufgeld in die Tasche!“

Sie setzten dem Handwerksburschen den Dreispitz auf und steckten ihm einige Münzen zu. Jetzt ließ ihn der Korporal los, entriß ihm aber vorher den Stock.

„So, mein Bürschchen; weißt Du nun, wie viel es geschlagen hat?“

Der Gefragte zeigte nicht die mindeste Ueberraschung. Er antwortete sehr ruhig:

„Zwölfe.“

„Richtig zwölfe hat es geschlagen. Wir sind Werber im Dienste Seiner Durchlaucht, des Herrn Generals der Infanterie Fürst Leopold von Anhalt-Dessau. Du bist jetzt unser, Dein Stock ist mein, und er kommt nur dann erst in Anwendung, wenn Dir beikommen sollte mir Widerstand zu leisten.“

„Kerl, hast Du Arme. Die sind ja von Eisen!“

„O, mit so einem Jüngelchen wird man schon fertig. Aber merke Dir: Mit dem Du ist es nichts. Ich bin der Herr Korporal Waldow und werde Er genannt!“

„Schön, Herr Korporal; ich werde Ihn genügend respektiren.“

„Na, Er scheint ganz gute Anlagen zur Subordination zu besitzen und sich in sein Schicksal ergeben zu wollen.“

„Das thue ich auch. Es ist ja nicht mehr zu ändern.“

„Bravo! Es gibt keinen bessern Rock, als den des Königs. Wenn Er die Kleinigkeit von zwölf bis fünfzehn Jahren abgedient und seinen Dienst absolvirt hat, kann Er gar einmal Korporal werden, so wie ich. Er sieht, daß ich seine Willigkeit anerkenne, denn ich nenne Ihn jetzt noch Er, was allerdings anders wird, sobald Er eingekleidet ist. Er wird jetzt auf der Stelle nach Halberstadt transportirt. Entscheide Er, ob Er mir gutwillig und ohne Fluchtversuch folgen will, oder ob ich Ihn binden soll?“

„Ich gehe freiwillig mit.“

„Freut mich. Aber gedenke Er ja nicht mich anzuschmieren. Diese vier Männer werden uns begleiten, und ein Entkommen ist also unmöglich. Sobald Er versucht uns durchzubrennen, wird Er geschlossen und als Deserteur betrachtet, welcher Spießruthen laufen muß. Ich meine es gut mit Ihm, also bedenke Er sein Wohl.“

„Werde gehorsam sein, Herr Korporal. Aber sagt mir, an welchen Offizier ich abgeliefert werde.“

„Ich habe Ihn an Durchlaucht selbst abzugeben. Aber fürchte Er sich nicht. Der Fürst ist ein Kerl wie ein Kind. Er kann mit ihm reden wie mit einer gebackenen Aepfelfrau. Jetzt aber müssen wir einmal sehen, was Er in seinem Tornister hat.“

„Da wird der Herr Korporal nicht viel finden, was er brauchen kann.“

„Das versteht sich ganz von selber. Wir sind ehrliche Werber, aber keine Straßenräuber. Was Seine ist, das bleibt auch Seine. An seinem Eigenthum vergreifen wir uns nicht, und wenn Er tausend Thaler im Felleisen hätte, was Ihm aber nicht einfallen wird.“

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Der Rekrut lächelte. Der Korporal untersuchte das Ränzel. Er brachte zunächst ein mächtiges Stück Schinken und dann eine Brieftasche und einen Beutel zum Vorschein. Er beroch den Schinken und nickte.

„Vorzüglich! Aecht aus Westfalen! Da könnte Er mir ein Stück losschneiden!“

„Der Herr Korporal kann ihn ganz behalten!“

„Danke! Man sieht schon jetzt, daß Er ein tüchtiger Grenadier wird, mit dem seine Herren Vorgesetzten zufrieden sein werden. Aber, alle Wetter, ist der Beutel schwer! Was ist darin, he?“

„Sehe Er nur immer hinein!“

Der Korporal öffnete.

„Donnerwetter! Was ist denn das? Gold, reines pures Gold, lauter Goldstücke! Kerl, wo hat Er sie her?“

„Von meinem Vater als Reisegeld.“

„Schnikschnak! Ein Bürstenbinder kriegt nicht so viel als Reisegeld mit. Wie viel ist es denn?“

„Grad tausend Thaler.“

„Tausend Thaler? Himmel Heiland! Kerl, Er hat das Geld doch nicht etwa gar gestohlen?“

„Warum nicht gar!“

„Hm! Er sieht mir allerdings auch nicht wie ein Spitzbube aus. Und was ist in der Brieftasche?“

„Sehe Er hinein!“

Der Korporal zog zunächst einige Papiere hervor.

„Was sind das für Wische? Das ist ja eine fremde Sprache!“

„Es ist Latein und Französisch.“

„Versteht Er das?“

„Ja.“

„Sapperlot, dann ist Er ja ein verdammt gescheidter Bürstenbinder! Na, ich sehe schon, daß Er Karrière machen wird. Vielleicht bringt Er es bereits in zehn Jahren zum Korporal. Nun weiter, hier! Das ist doch, hol mich der Teufel, schon wieder Geld, Papiergeld die schwere Menge! Wie viel ist das, he?“

„Neuntausend Thaler.“

„Neun — tau — — send — — — Tha — — — — ler!“ rief der Korporal, die Hände zusammenschlagend. „Ein Bürstenbinder, ein Handwerksbursche, und zehntausend baare Thaler im Ranzen? Verdammter Kerl, Er ist ein Räuberhauptmann!“

„Meinetwegen! Uebergebt das Gelb dem Fürsten. Er mag untersuchen, ob ich ein Räuber bin.“

„Ja, das werde ich. Der Ranzen wird mit zehn Siegeln versiegelt. Er hat wohl auch in der Tasche Geld?“

„Ein wenig.“

„Zeige Er es her!“

Der Rekrut zog einen langen, zweizugigen Beutel hervor und gab ihn hin. Der Korporal schüttete den Inhalt auf den Tisch und zählte ihn.

„Gold und Silber! Dreihundert und vierundsechzig Thaler, neunzehn Groschen und elf Pfennige zusammen! Mensch, wo hat Er das Geld her? Gestehe Er es!“

„Von meinem Vater!“

„Na, dieser Vater wird wohl noch herauszubekommen sein! Ich werde Ihn doch noch binden müssen.“

„Ist nicht nothwendig.“

„Ist sehr nothwendig. Solche gefährliche Subjekter läßt man nicht frei in der Welt herumlaufen. Uebrigens hat Er hier den Rehbock zu tragen.“

„Ich? Fällt mir gar nicht ein!“

„Fällt Ihm recht sehr ein, merke Er sich das! Wenn Er sich weigert, setzt es fürchterliche Keile. Mit Ihm wird kein Federlesens gemacht!“

Der Beutel wurde mit in den Tornister gethan und dieser wirklich versiegelt. Der Rekrute erhielt ihn auf den Rücken geschnallt, seine Hände wurden gefesselt, und nachdem man ihm den Rehbock über die Schulter gehängt hatte, setzte sich der Zug in Bewegung.

Unterdessen war Fürst Leopold in seinem Quartiere zu Halberstadt eingetroffen. Er fand im Vorzimmer mehrere Offiziere, welche sich zum Rapporte eingefunden hatten, und auf seinem Schreibtische einige Briefe, welche er sofort öffnete, um sie zu lesen. Der eine war mit dem königlichen Privatsiegel versehen. Leopold hob ihn bis zuletzt auf und hatte dann außerordentliche Mühe, die sehr unleserliche Schrift zu entziffern. Schreiben und Lesen gehörten für ihn zu den größten und verhaßtesten Anstrengungen. Hier war diese Anstrengung eine doppelte, und nur mit Hilfe einiger hundert Kernflüche brachte er es endlich fertig, den Brief zu lesen. Er lautete mit Auslassung des Datum:

„An Unßern Liebwerten, treyen und besunderbahrlich geehrten

General Leopold, Fürsten und Herren von Anhalt-Dessau etc. zu Halwerstatt.

Ew. Lübden diene vürdersammst zur Nachriecht, das Wier in Hult Ewer gedenken, zumahlen die politischen Konstellazionen sich dermaaßen präsentuiren, das Wier Unß Ewrer Hülfe zu getrößten gedenken.

Maaßen wir Unß veranlaßt sehen, Unßern vielliewen Son, den Kronprinßen Friedrich Wilhelmus Euch nag Halwerstatt zu senden, damiet Ew. Lübden des Näheren von Ihme selpst müntlich in Erfarung bringen sol. Wolen auch Ew. Lübden sich so fort auff Seyne Ankunft forbereidten, da Er nuhr kurtze Zeidt nach Dießem bei Euch eintreffen wirdt.

Indeme Wier Unß des Beßten von Euch versehen, hofen wier daß beßte Gelingen und versiechern Euch Unßerer ganz besonderbaren, gnädigen Freundschaft und Neigung, um zu seyn

Ewer

Bruder und König

Friedrich.“

Die Lektüre dieses sonderbar orthographisirten Schreibens brachte eine sehr schnelle Wirkung hervor. Er eilte an die Thür und öffnete sie. Die Herren da draußen waren in einer halblauten Unterhaltung begriffen.

„Ruhe!“ donnerte er. „Seine Königliche Hoheit, der Kronprinz Friedrich Wilhelm treffen heut zum Besuch hier ein. Das Regiment exerzierbereit und paradefertig halten, sonst soll Euch alle der Teufel holen. Jetzt eintreten zum Rapport. Aber kurz machen. Habe keine Zeit, mich mit Lappalien abzugeben!“

Was noch niemals geschehen und bei seiner militärischen Strenge ein wirkliches Ereigniß war, er hatte die Uniform anzulegen vergessen und nahm den Rapport in demselben Habite entgegen, welches er draußen im Walde getragen hatte. Noch aber waren kaum zehn Minuten vergangen, so wurden die Herren durch den Diensthabenden gestört, welcher einzutreten wagte, obgleich dies nur bei außerordentlichen Veranlassungen gestattet war.

„Was will Er?“ fuhr ihn Leopold, erzürnt über die Störung an.

„Excellenz verzeihen! Der Korporal Waldow ist draußen und sagt — —“

Sofort fiel ihm der Fürst in die Rede.

„Der Waldow? Ist er allein?“

„Nein. Er hat vier Mann Begleitung bei sich, um Ew. Durchlaucht einen soeben erworbenen Rekruten vorzustellen.“

„Mag eintreten. Der Rekrute aber wartet draußen, bis ich ihn befehle!“

Während der Wachthabende abtrat, wandte sich Leopold an die Offiziere:

„Bin neugierig! Werden einen Kerl sehen, wie wir noch keinen gesehen haben.“ Er rieb sich in der seltensten guten Laune die Hände und fuhr dann fort: „Sieben Schuh hoch, ein Riese unter den Riesen, und proportionirt gebaut! Ein wahrer Simson, ein Kolos zu Rodach, oder wie das Nest geheißen hat, ein Mensch, grad wie der lange Seeström, für den ich zwanzigtausend Thaler geben würde, wenn ich ihn bekommen könnte.“

Der Korporal trat ein.

„Nun, Waldow?“

„Gehorsamst zu melden, wir haben ihn!“

„Wollte es Euch auch gerathen haben! Hat er viel Sperenzien gemacht?“

„Gar keine.“

„Wundert mich. Wäre der Kerl dazu, Euch alle Fünf in Grund und Boden zu stampfen. Scheint kein kouragirter Kerl zu sein, werden ihm aber schon den gehörigen Muth einbläuen.“

„Gehorsamst zu vermelden, Durchlaucht, Muth hat der Kerl, und grob war er auch wie — wie der Teufel. Er fing gleich von Anfang Skandal mit dem Wirthe an, hieb ihm Eins mit dem Knotenstocke über und warf ihn zu Boden wie ein Kind. Nachher bekam ich auch einen Rettig über den Arm, daß ich lange daran pfiepen werde; aber als wir ihm das Handgeld und den Hut gaben, war er wie umgewandelt und fügte sich sofort. Muß gern Soldat sein der Kerl, das war ihm anzusehen.“

„Desto besser. Schicke ihn herein!“

„Bitte unterthänigst noch um eine Bemerkung, Excellenz!“

„Nun?“

„Der Mensch ist entweder ein Spitzbube oder ein Räuberhauptmann.“

„Wa — wa — wa — was! Bist Du verrückt!“

„Nein, Durchlaucht. Er ist ein Bürstenbinder und — —“

„Ein Lohgerber!“

282.

„Zu mir sagte er ein Bürstenbinder, und hatte in seinem Tornister — —“

„Tornister? Er hatte ja gar keinen!“

„Permettiren Durchlaucht gnädigst! Er hatte einen, er hat ihn sogar mit.“

„So habe ich ihn nicht gesehen, oder er hatte ihn versteckt.“

„Das Letztere wird es wohl sein, denn er hatte in dem Ranzen eintausend Thaler in Gold und neuntausend Thaler in Papier. Und außerdem befanden sich in seinem Beutel über mehrere hundert Thaler in Gold und Silber. Dieses Geld hat er zusammengeraubt.“

„Alle Teufel! Hat er das gestanden?“

„Nein. Er sagte, er habe es von seinem Vater.“

„Immer möglich. Werde ihn examiniren und ihm den Satan auf den Hals bringen, wenn er die Wahrheit verschweigt. Wo ist der Ranzen?“

„Er hat ihn noch auf dem Rücken. Ich habe ihn zehnfach versiegelt.“

„Gut! Wie steht es mit meinem Bocke?“

„Er hat ihn hierher getragen, wie Ew. Durchlaucht befahlen.“

„Hast Du ihn in der Küche abgegeben?“

„Nein; er hat ihn noch überhängen.“

„So mag er ihn mit hereinbringen. Es ist ein Kapitalbock, den die Herren sehen müssen. Also herein mit ihm!“

Der Korporal trat ab und brachte nach einigen Augenblicken seinen Rekruten hereingeführt. Dieser war noch immer gefesselt und schleppte seinen Tornister und den Rehbock auf dem Rücken. Trotz dieser Bürde schritt er leicht und rüstig vor, stellte sich in Positur und salutirte.

„Durchlaucht, eingetroffen als Rekrut!“

„Himmel-Kreuz-Bataillon-Schock-Schwe — — —!“

Der Fürst war einige Schritte zurückgewichen, hatte vor Schreck die Arme hoch erhoben und den Mund aufgerissen, als ob ihm Jemand bis in den Magen hinuntersehen solle. Der Fluch blieb ihm trotz dieser Oeffnung im Munde stecken. Auch die Gesichter der meisten Offiziere zeigten einen Ausdruck, der mehr eine Folge der Bestürzung als der Ueberraschung zu sein schien.

Der Rekrut drehte sich zu dem Korporal um:

„Korporal Waldow, Er hat Recht: Mit dem Fürsten von Anhalt-Dessau kann man reden wie mit einer gebackenen Apfelfrau. Er sperrt das Maul auf, als hätte er die Apfeldorre im Bauche!“

Jetzt bekam Leopold die Sprache wieder:

„Hol mich der Teufel; es ist wirklich wahr! Königliche Hoheit! Alle guten Geister loben ihren Meister! Königliche Hoheit als Rekrut, mit meinem Bo — mit — hahahaha — mit mei — hahahahi — mit meinem — hahihi hahihihi — mit meinem Bock auf — hihihihi — auf dem — hihihi — auf dem Buckel — hihihi hihihihiiiiii — — —!“

Er hatte sich bei den ersten Worten alle Mühe gegeben, das Lachen zu unterdrücken; aber dies war ihm unmöglich. Aus dem anfänglichen Lachen auf A wurde nach und nach ein riesiges, fast wieherndes Gelächter auf Ihhhiii, welches schon mehr dem schrillen Trompetiren eines Elephanten glich und fast in einen Lachkrampf ausartete. Er mußte sich auf einen Stuhl werfen, schob den Kopf über die Lehne, streckte die Füße weit von sich, legte die Hände auf den Bauch und brüllte nun ein solches Klarinettengelächter hin aus, daß die Wände des Zimmers zu wackeln schienen.

Die Mehrzahl der Offiziere hatte den Kronprinzen Friedrich Wilhelm erkannt. Sie strengten sich beinahe übermenschlich an, sich von dem Lachen des Fürsten nicht anstecken zu lassen, aber auch sie wurden von dem Verhängnisse ergriffen; denn als der Kronprinz selbst, von der Situation hingerissen, sich mit schallender Stimme hören ließ:

„Himmel-Donnerwetter, Durchlaucht, nur um Gotteswillen nicht zerplatzen, hihihihiiiiihhh!“

Da konnte sich keiner von ihnen mehr halten, und nun brach ein Lachchor los, dessen Brausen und Wiehern einem entfesselten Orkane glich, und der nicht eher endete, als bis die Thür aufgerissen wurde und eine weibliche Gestalt eintrat.

„Was ist denn um Gottes Willen hier los, Leopold? Man hört das ja über die ganze Stadt hinweg!“

„Hahahahihihi — was hier — hahihihi — hier los ist, hiiiih? Anneliese, hahihihihahaha — komme einmal her, und — hihihahaha, und siehe Dir den Kerl hier an — hohohohohuuuh!“

Die Fürstin trat näher, blickte dem Rekruten in das Gesicht und schlug die Hände zusammen.

„Königliche Hoheit! Herrgott, als Handwerksbursche und mit diesem Thiere da! Wie geht das zu?“

(Fortsetzung folgt.)
403.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Auch der Kronprinz lachte noch aus vollem Halse.

„Hahahaha — Durchlaucht entschuldigen — hihihohohoh — aber ich kann mich nicht halten: der Kukuk hole das verdammte Lachen; ich glaube — hohohohoho — meine Haut langt nicht mehr zu. Aber diesen Bock — hahahihihohoho — habe ich für Eure Küche herschleppen müssen — hohohohohooooh.“

„Für — meine Küche? Wie geht das zu?“

„Fragt Den da, Durchlaucht! Der hat — hahahihoho — es mir — es mir befohlen — hohohoho!“

„Ists möglich!“

„Jahahahaha!“

Dies gab dem Fürsten auf einmal seinen vollen Ernst wieder. Er erhob sich und trat mit drohender Miene hart an den Korporal heran.

„Kerl, Schlingel, Taugenichts, Hallunke, ich lasse Ihn fuchteln, bis es keinen Ladestock im Regimente und keinen Haselzweig mehr im ganzen deutschen Reiche gibt! Wie hat Er Himmelhund denn diesen hirnverbrannten Streich zuwege gebracht?“

Der arme Teufel hatte dieses Gewitter längst erwartet, und darum war ihm vor lauter Herzensangst nicht das allermindeste Lächeln angekommen. Er wußte, daß der Kronprinz von Preußen, der nachmals als König Friedrich Wilhelm der Erste eine solche Strenge und Rücksichtslosigkeit entwickelte, daß er sogar seinen eigenen Sohn, den späteren Friedrich den Großen, erschießen lassen wollte, der barscheste Offizier des ganzen Heeres sei und sich gewöhnt hatte, trotz seiner achtzehn Jahre mit den ältesten und verdientesten Militärs nach Gutdünken umzuspringen. Er hatte diesen Prinzen einen Spitzbuben und Räuberhauptmann genannt; er hatte ihn zum Rekruten gepreßt und ihn sogar gefesselt; er hatte ihn gezwungen, den Rehbock eine so weite Strecke und durch ganz Halberstadt zu tragen. Es war ihm, als sei der jüngste Tag gekommen und er stehe mitten unter den Böcken, die dahin müssen, wo Heulen und Zähneklappern ist. Trotz dieser entsetzlichen Angst versuchte er sich zu fassen und eine ruhige Antwort zu geben:

„Durchlaucht pardonniren allergnädigst! Ich habe handeln müssen wie mir befohlen war.“

„Befohlen? Heiliges Hagelwetter! Habe ich Ihm befohlen, Seine königliche Hoheit, den Kronprinzen von Preußen zu arretiren und ihm diesen vermaledeiten Rehbock an den Hals zu hängen, he?“

„Durchlaucht haben mir befohlen, den Kerl, welcher jetzt gleich kommen werde, zum Rekruten zu machen und ihn den Bock nach hier tragen zu lassen.“

„Nicht raisoniren, Er Himmelsakermenter, sonst wird Er krumm geschlossen wie ein Igel! Ich habe Ihm allerdings befohlen, daß Er den Kerl festnehmen soll, aber sind Seine königliche Hoheit ein Kerl? Sind Seine königliche Hoheit der Kerl, den ich meinte?“

„Ich habe nicht die Ehre, Seine Königliche Hoheit zu kennen, und da allerhöchst Dieselben zuerst kamen und sich für einen Handwerker ausgaben, so mußte ich meine Pflicht erfüllen.“

„Der Kerl ist weiß Gott unverbesserlich. Er will seine Schuld nicht einsehen! Hoheit, ich gebe ihn in Eure Hände. Laßt ihn schlachten; laßt ihn in die Bockhaut nähen und auf einem Ambos hämmern; schneidet ihm die Nase oder sonst ’was ab, laßt ihn in der Esse räuchern; thut überhaupt mit ihm, was Euch gefällt. Er gehört Euch!“

Friedrich Wilhelm, der jetzt seine spätere Härte noch nicht besaß und sich durch das gehabte Vergnügen zur Milde gestimmt fühlte, lächelte. Er meinte:

„Uebergebt Ihr ihn mir wirklich, Durchlaucht?“

„Mit Leib und Leben!“

„Dann habe ich also auch das Recht, ihn wieder zu verschenken?“

„Natürlich!“

„Nun gut, so werde ich von alledem nichts mit ihm thun. Ich übergebe ihn Euch, liebe Fürstin. Bestraft oder begnadigt ihn, ganz wie es Euch gefällt!“

„Himmelsapperlot, das ist falsch, Hoheit! Die würde ihn begnadigen, und wenn er Euch gefressen hätte. Die Anneliese hat ein Herz wie Butter. Wenn es warm wird, läufts in die Kasserole.“

„Ich danke, Königliche Hoheit!“ meinte dagegen die Fürstin. „Ich werde nicht entscheiden, ohne vorher gehört zu haben. Erzähle, Leopold!“

„Ich? Erzählen? Etwa ein Verhör anstellen zwischen mir und diesem Schwerenöther? Hm, na meinetwegen, weil Du es bist, Anneliese. Also da draußen im Walde liegt ein Mensch, wenn den der Herrgott gesehen hätte, so hätte er ihn hinauf in den Himmel geschleppt, und ihn zum Flügelmanne in seiner Leibgarde zu machen, ein Mensch, sage ich Euch, der beinahe einen Kopf länger noch ist als ich selber, um ein paar Schultern hat wie der Ablaß, oder der Atlas oder wie der arme Teufel geheißen hat, der früher die Erde auf seinen Achseln getragen hat, ein Mensch wie gemalt, ein Mensch wie aus Erz gegossen ober in Marmor gehauen. Ich renne also nach der Station und befehle diesem Hallunken hier, ihn abzufangen, wenn er kommt. Und was thut die Rotte Korah, Dathan und Abraham? Sie fängt mir statt den Kapitalburschen hier die Königliche Hoheit weg. Ist das nicht geradezu zum Verrücktwerden! he?“ —

„Hast Du den Mann näher bezeichnet?“

„Natürlich! Er sagte mir, daß er in dem Kruge einkehren werde, und so gab ich den Befehl, den Ersten, welcher komme, zu arretiren.“

„Und wer ist der Erste gewesen, Korporal?“

„Seine Königliche Hoheit.“

„Still, Dummkopf! Hättest Du in Deinem Strohkopfe nur einen Funken von Verstand, so wäre Dir eingefallen, daß ein Kronprinz dieser Erste ja gar nicht sein darf.“

423.

„Leopold, der Korporal ist unschuldig!“

„Unschuldig? Was? Wie? Warum?“

„Er hat sich ganz genau nach Deinen Worten gerichtet!“

„So! Und ist ihm das etwa erlaubt, wenn da Dummheiten entstehen? Dann hat er sich gar nicht nach mir zu richten, dann bin ich eine reine Null, dann hat er eben nur den Richtigen zu fangen. Himmel-Donnerwetter, ich werde ihm schon noch lehren, was Subordnung heißt. Das heißt nämlich, Alles so sub zu machen, daß Alles in Ordnung ist. Versteht Er mich, Er Himmelelementer, he? Nun sage Er einmal, hat Er wirklich sub gemacht? Nein, denn sonst wäre die Sache in Ordnung?“

Er hatte sich wieder in die volle Wuth hineinraisonirt. Die Fürstin versuchte ihn abzuleiten.

„Aber Leopold, wo ist denn nun der Richtige geblieben?“

„Der Richtige? Himmel-heiliges Pech, das ist ja wahr! Wo ist er geblieben, Korporal?“

„Halten zu Gnaden, Excellenz, ich weiß es nicht.“

„Wie — wo — was? Er weiß es nicht? Nein, nun ist es aber aus, reineweg aus! Der Hund weiß nicht, wo der Richtige ist. Hinaus mit Dir, hinaus, Tagdieb, und wenn Du mir den Richtigen nicht bringst, so karbatsche ich Dich mit eigener Hand, daß Du die Cherubim und Seraphim im Himmel pfeifen und trommeln hörst!“

Nichts konnte dem Korporal so willkommen sein, als dieser Befehl. An den Nachsatz, der für ihn höchst gefährlich war, dachte er noch gar nicht. Er machte sich schleunigst aus dem Staube.

„War der Mensch denn wirklich so excellent?“ frug der Kronprinz. Er war wo möglich ein noch größerer Liebhaber großer Soldaten, und es ist bekannt, daß er als König trotz seiner oftmals übermäßigen Sparsamkeit bisweilen fünfzehntausend Thaler für einen solchen Mann bezahlte.

„Excellent? Geht mir mit diesem Excellent! Es sagt noch viel zu wenig. Ein Simson ist er, und wenn ich ein Regiment solcher Kerls hätte, so schlüge ich mit ihm ganz allein an die fünfmalhunderttausend Philister todt.“

„So müssen wir ihn haben!“

„Ja, wir müssen ihn haben, und wenn er in die Mongolei gelaufen wäre!“

„Aber wie?“

„Hm! Kreuzschokschwerenoth, ist das ein Elend! Wenn man nur wüßte, wo der Kerl steckt! Im Walde ist er längst nicht mehr.“

„Wo kam er denn her?“

„Aus Oschersleben; aber er stammt aus Bernburg. Sein Vater heißt Silberling. Es gibt blos einen einzigen Silberling dort.“

Da trat einer der anwesenden Offiziere vor.

„Pardon, Königliche Hoheit! Pardon, Durchlaucht! Der Kerl hat eine Lüge gesagt. Ich kenne den Silberling in Bernburg, denn ich habe bei ihm in Quartier gelegen. Er hat gar keine Kinder, und einen zweiten Silberling gibt es nicht.“

„Ist das wahr, Hauptmann?“

„Ich bürge dafür.“

„Donnerwetter, so hat mich der Mensch geleimt! Wehe ihm, wenn ich ihn bekomme! Dann ist er wohl auch gar nicht aus Oschersleben, und wer weiß, wer und woher er eigentlich ist. Ein solcher Kerl kann gar nicht vom Civil sein, denn den hätten die Werber längst weggeschnappt. Es wird doch nicht etwa ein Emisär des Kurfürsten von Sachsen oder des Schwedenkönigs sein!“

„Möglich!“ meinte der Kronprinz. „Oberst Ravenau, der beim Könige in geheimen Geschäften ist, hat mir geschrieben, daß der lange Seeström auf Urlaub ist. Ich erkundigte mich nach ihm, weil ich ihn gern haben möchte.“

„Alle neunundneunzigtausend Teufel, am Ende ist er es gar gewesen. Ich habe hier die eisernen Ladestöcke, den Gleichschritt und das neue Exerzitium eingeführt, und ich halte es für sehr möglich, daß der Schwede auf den Gedanken kommt, mir diese vortheilhaften Neuerungen ablauschen zu lassen!“

„Wo wollte der Fremde hin?“ frug der Kronprinz.

„Nach Quedlinburg aber um Halberstadt herum.“

„Es ist möglich, daß er Euch auch hier belogen hat.“

„Das soll ihm schlecht bekommen, denn ich werde ihn dennoch fangen. Ich lasse die ganze Gegend besetzen und nach ihm absuchen, ich lasse jedes Haus in der Stadt und auf den Dörfern umwenden, und es müßte mit dem Satan zugehen, wenn er mir entkäme.“

„Das müßte aber gleich geschehen.“

„Natürlich! Aber Königliche Hoheit, Ihr müßt entschuldigen, wenn — —“

Der Kronprinz war für eine solche Rekrutenhetze selbst so passionirt, daß er ihm schleunigst in die Rede fiel:

„Macht Euch keine Sorge, Durchlaucht! Ihr wißt, daß ich überflüssige Schnirkeleien nicht leiden mag. Der Kerl muß gefangen werden, und ich werde selbst mithelfen. Das wird mir keinen Schaden, sondern nur Vergnügen machen. Meine Kleider und andern Sachen sind noch unterwegs, ich kann mich also nicht umziehen, und so brauche ich keine Bange zu tragen, daß ich erkannt werde, wenn ich ein wenig mit spioniren gehe. Wenn Ihr Streifpatrouillen in die Gegend von Quedlinburg, Aschersleben und Thale aussendet und die Stadt mit ihrer Umgebung gut absuchen laßt, so werden wir den Urian bekommen, und dann könnt Ihr ja den Preis sagen, für welchen ich ihn erhalten kann.“

„Schön, Hoheit! Werde auch selbst mit suchen und brauche mich also auch nicht in Gala zu werfen. Annaliese, schaffe etwas zum Schlucken und Beißen und laß hier den Bock abholen, er braucht sich nicht jetzt und in alle Ewigkeit hier herumzusielen!“

„Und meinen Ranzen,“ fügte der Kronprinz bei, „übergebe ich Euch, Durchlaucht. Den Inhalt werden wir vielleicht gut brauchen können. Habt Ihr die Zuschrift meines gestrengen Vaters erhalten?“

„Gleich vorhin erst.“

„Ich weiß nicht, wie viel er schreibt. Darf ich den Brief einmal sehen?“

„Hier ist er! Hat mir viel Mühe gemacht. Will lieber auf eine Festung Sturm laufen als solchen Krimskrams enträthseln.“

Der Kronprinz las das Schreiben und meinte dann:

„Steht gar nichts drin. Werde Euch alles ausführlich expliziren müssen. Doch das hat noch Zeit. Gebt also Eure Instruktionen, daß die Hetze losgehen kann!“ —

Der Gegenstand dieser Unterredung, der angebliche Lohgerber nämlich, war unter dem Schutze des Waldes bis in die Entfernung von drei Viertelstunden an die Stadt herangekommen. Am Saume des Forstes blieb er halten, um die Gegend zu rekognosziren. Vor ihm lag ein niedrig gehügeltes Terrain, aus fruchtbaren Feldern und Wiesen bestehend, welche hier und da durch ein dünnes durchsichtiges Buschwerk getrennt wurden.

„Hm,“ meinte er wie zu sich selbst, „fatale Affaire! Ich muß den Klas Baldauf unbedingt sprechen; ich muß also auf alle Fälle in die Stadt, und doch bin ich in Gefahr, wenn man mich sieht. Der Büttel war kein Anderer als der Dessauer selbst. Er wird das Blaue vom Himmel herunter wettern, wenn er hört, daß sie mich nicht ergriffen haben, und ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß er dann die ganze Gegend nach mir absuchen läßt. Gehe ich durch eines der Thore in die Stadt, so bemerkt man mich, denn meine Größe fällt auf, und springe ich irgendwo über die Mauer, so ist das erst recht gefährlich. Was thun? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich bis möglichst nahe heran zu pürschen und dann zu sehen, was zu thun ist.“

Er schritt in der Richtung nach Halberstadt weiter, indem er jede Begegnung sorgfältig zu vermeiden und sich durch die Büsche zu decken versuchte. Hätte er gewußt, daß man gerade damals sehr fleißig an einem neuen, jenseits der Holzemme gelegenen Stadttheile baute, so wäre er nicht so sehr besorgt gewesen in die Stadt zu kommen.

Das Terrain brachte es mit sich, daß er nicht in gerader Richtung gehen, sondern einen Bogen um die Stadt schlagen mußte. Da erblickte er die vor der Mauer gelegenen, theils neuen theils noch unvollendeten Gebäude, an denen zahlreiche Arbeiter beschäftigt waren. Ein befriedigtes Lächeln glitt über sein Gesicht, und nun wandte er sich geradewegs auf einige Zimmerleute zu, welche nicht weit von ihm mit dem Behauen von Balken beschäftigt waren. Er grüßte sie und frug:

„Könnt Ihr mir nicht sagen, wo in der Stadt ein Gastwirth Namens Hilarius Wolf zu finden ist?“

„Der Hilarius?“ antwortete Einer. „Der wohnt gar nicht mehr da drüben. Der wird doch nicht dumm sein und sich dort hinübersetzen, wo es hier hüben Batzens zu verdienen gibt. Sehe Er sich das Haus dort an, das ist der Gasthof „zum Leopold.“ Da wohnt der Hilarius Wolf.“

„Lebt seine Frau noch?“

„Die lange Margarethe? Die lebt noch; die stirbt nimmermehr.“

„Haben sie Kinder?“

„Fällt ihnen gar nicht ein. Sie sind ganz allein und haben nur den schwarzen Klas bei sich, den alten Eulenspiegel. Er will wohl zu dem Hilarius?“

„Ja.“

„Wo kommt Er denn her?“

„Von Brandenburg. Habe einen Auftrag an ihn.“

Mit diesen Worten setzte er sich gegen das bezeichnete Haus in

433.

Bewegung. Es war noch neu, und über seiner Thür prangte ein riesiger Schild mit einem Reiter. Das Pferd sah eher wie ein Ziegenbock aus, und wen der Mann vorstellen sollte, konnte man nur aus der Unterschrift errathen. Sie lautete „Gasthof zum Leopold,“ war aber sammt Pferd und Reiter vom Regen bereits wieder verwischt und verwaschen.

Eben als er eintreten wollte, wollte ein Anderer heraustreten. Sie fuhren zusammen, machten erst erzürnte, dann aber überraschte Gesichter und hatten sich sofort bei der Hand.

„Klas!“ rief der Fremde.

„Junker Erich! Um Gotteswillen, wenn man Euch sieht!“

„Kannst Du mich verstecken?“

„Ja; es paßt gerade, daß Niemand auf der Treppe ist. Kommt herauf, ich will es riskiren.“

Er führte ihn die Treppe empor in ein kleines zweifenstriges Stübchen, dessen einfache Möbel dahin deuteten, daß es seine Wohnung sei. Ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett und ein Uhrkasten bildeten das sämmtliche Inventarium. Der Uhrkasten war jedenfalls ein Erbstück aus längst vergangenen Zeiten her. Aus starkem Eichenholze gefertigt, hatte er eine Breite von fast drei und eine Höhe von sicher sieben bis acht Fuß. Die Uhr fehlte; vielleicht war sie unten in der Gaststube aufgehängt worden.

„Hier herein, Herr Lieutenant. Hier seid Ihr sicher.“

„Wer wohnt hier?“

„Ich.“

„Kommt Niemand herein?“

„Niemand außer des Abends einige Speziale, die wir aber jetzt nicht zu erwarten haben. Also Ihr in Halberstadt! Wer hätte das gedacht! Aber erlaubt, daß ich erst noch einmal hinuntergehe, um zu sehen ob wir sicher sind!“

„Bringe mir ein Bier und etwas zu Essen mit!“

Es dauerte lange, ehe Klas wieder kam. Man hatte ihn wider seinen Willen aufgehalten. Er stellte Essen und Trinken vor den Lieutenant hin und beguckte ihn dabei mit ein paar Augen, aus denen die innigste Liebe und Anhänglichkeit glänzte.

„Aber sagt, wie kommt Ihr nur nach Halberstadt, gnädiger Junker!“

„Ich war in Stralsund und Stettin.“

„Ah, ich denke, Ihr geht bei dem Könige in Sachsen!“

„Allerdings. Du weißt, daß wir den Sachsen klein gemacht haben. Der König will nun auch an den Preußen. Der ahnt dies und hat ihm den Obersten Ravenau geschickt, um einen Vertrag vorzubereiten. Während dessen aber rüsten Beide. Kommt der Vertrag je noch zu Stande, so gibt es nur eine Galgenfrist; der König bricht doch noch los. Daher mußte ich nach Stettin und Stralsund und komme auf dem Rückwege zu Dir. Wie steht es mit Deiner Aufgabe?“

„Sehr gut. Ich bin fertig.“

„Kennst also das neue Exerzitium?“

„Ja.“

„Das Reglement?“

„Ja. Habe es hier im Tischkasten.“

„Wie kamst Du dazu?“

„Sehr leicht. Mit den Papieren, die Ihr mir aushändigtet, fand ich in Halberstadt sofort die Erlaubniß bleiben zu dürfen. Ich wählte mir einen passenden Dienst und wurde Hausknecht hier beim Hilarius. Zu ihm kommen sehr viele Soldaten, ich trollte sehr oft mit hinaus auf den Exerzierplatz und habe mir die neue Geschichte recht wohl zu Kopfe genommen.“

„Aber das Reglement?“

„Habe ich von einem guten Freunde, der mich oft besucht und hier oben ein Gläschen mit mir trinkt.“

„Wer ist es?“

„Korporal Waldow. Er hat die Werbestation da im Oscherslebener Wald.“

„Ah! Hätte mich heut beinahe in die Hände gekriegt!“

„Nicht möglich! Wie so?“

„Ich traf den Dessauer — —“

„Donnerwetter! Doch nicht!“

„Ja. Eben da draußen im Walde.“

„Nanu! Er geht immer hinaus um zu schießen.“

„Er hatte einen Rehbock und fing ein Gespräch mit mir an. Ich gab mich für einen Oscherslebener Lohgerber aus, und er suchte mich zu veranlassen, in dem Kruge, welcher im Walde liegt, einzukehren.“

„Da hätte Euch der Teufel geholt.“

„Glaube es; bin also nicht auf den Leim gegangen. Hast Du einen Plan von Halberstadt?“

(Fortsetzung folgt.)
564.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

„Ja. Ist schon längst fertig.“

„Wird aus dem Vertrage nichts, so schlägt der König los. Der nächste und schlimmste Feind ist der Dessauer. Daher beabsichtigt der König, Halberstadt zu überrumpeln und den Fürsten mit seinem ganzen Regimente aufzuheben. Deshalb bist Du hierhergeschickt worden, und deshalb auch steigt der Wachtmeister Roller zwischen hier und Merseburg herum, um sich den Weg zu besehen. Es ist jetzt die Zeit der frühzeitigen Kirchweihen. Er benutzt dies und geht bald als Leiermann, bald als Vogelhändler oder so etwas, und kundschaftet dabei Dinge aus, die mancher Offizier nicht herausbringen würde.“

„Aber wenn man ihn ertappt, so ist er geliefert!“

„Ich und Du auch. Diese Art von Vergnügen wird nun einmal Spionage genannt und mit dem Strange bezahlt. Habe übrigens verdammt wenig Lust, dergleichen Affären auch fernerhin mitzumachen. Schickt sich nicht für einen ehrlichen Offizier. Weiß gar nicht, warum der König allemal mich auswählt, da ich doch wegen meiner Gestalt in größerer Gefahr bin als jeder andere.“

„Er weiß, daß er sich auf Euch verlassen kann.“

„Pah, das weniger! Ich habe so meine eigenen Gedanken, die ich beinahe einen Verdacht nennen möchte.“

„Doch nicht!“

„Ja. Ich habe nämlich eine Geliebte — —“

„Ihr? Eine Geliebte? Wollt Ihr mich konfus machen?“

„Ich sage die Wahrheit.“

„Eine Geliebte! Endlich, endlich hat Er einmal angebissen!“

„Allerdings. Es ist viel geangelt worden, ohne daß ich es auch nur beachtet habe, hier aber habe ich sofort zugeschnappt.“

„Wer ist es?“

„Hm! Eine sehr reiche Erbin.“

„Von Adel?“

„Natürlich.“

„Jung?“

„Achtzehn. So lang und stark wie ich beinahe.“

„Alle Teufel!“

„Ja, ein Weibsen wie Kernseife. Aber dabei ein Gemüth wie Wachs, ein Gesicht wie Milch und Blut und einen kühnen entschlossenen Sinn.“

„Wo wohnt sie?“

„Bei Merseburg. Sie ist eine Waise, und der Herzog von Sachsen-Merseburg ist ihr Vormund. Hole ihn der Teufel!“

„Warum der Teufel?“

„Weil er sie verschachern will.“

„An wen?“

„An unsern Obristen Börjessen.“

„Ah, an den Liebling des Königs?“

„Der König ist auch für den Plan eingenommen. Was kann ich als armer kleiner Lieutenant dagegen thun?“

„Ist sie es werth, daß man etwas dagegen thut?“

„Versteht sich. Ihretwegen reite ich ein ganzes Regiment über den Haufen.“

„Hm, so thut man eben etwas. Aber was?“

„Der Obrist hat erfahren, daß Anna mich kennt, und dem Könige einen Floh in das Ohr gesetzt. Nun werde ich zu Missionen benutzt, die eine lange Abwesenheit mit sich bringen, die man wohl benutzen wird. Vielleicht tritt gar der Fall ein, daß ich irgendwo abgefangen werde, und dann hat der Obirst freie Hand. Wenn sie es mir zu toll machen, werde ich ihnen die Rechnung durchstreichen. Wo hast Du den Plan und das Reglement?“

„Hier!“

Der Hausknecht zog den Tischkasten auf und nahm die Papiere aus demselben. Noch aber hatte Seeström sie nicht geöffnet, als sich unten im Flur eine Stimme hören ließ:

„Wird oben in seiner Stube sein.“

„Gut; steige ich hinauf!“

„Sakerment! Herr Lieutenant, da kommt dieser verdammte Korporal Waldow!“ meinte Klas erschrocken.

„Schließ zu!“

„Geht nicht. Müßte hinaus und den Drücker abziehen, und das sieht er ja.“

„Donnerwetter! Wenn man sich nur verstecken könnte!“

„Rasch hinein in den Uhrkasten!“

„Hm, geht an! Mach schnell!“

Sie zogen den Kasten von der Wand zurück, und Klas schob ihn, nachdem der Lieutenant dahintergeschlüpft war, wieder an dieselbe an. Kaum war er damit fertig, so trat der Korporal ein. Dieser warf sich nach einem außerordentlich mürrischen Gruße auf einen Stuhl und schlug mit der Faust auf den Tisch.

„Klas!“

„Waldow!“

„Ich erschieße mich!“

„Weshalb?“

„Ja, ich erschieße mich, wenn Du mir keinen guten Rath gibst.“

„Weshalb?“

„Ei Du dreimal — — na, ich will nicht fluchen, denn ich habe mich auf meine letzte Stunde vorzubereiten, weil ich mich ganz sicher erschieße.“

„So sage doch nur, weshalb Du Dich partout massakriren willst?“

„Weil ich einen Bock geschossen habe, größer als der größeste Elephant.“

„Und da mußt Du Dich auch erschießen.“

„Ja, denn sonst läßt mich der Fürst bei lebendigem Leibe abziehen und braten.“

„Was ist es denn für ein Bock, den Du geschossen hast?“

„Ein jämmerlicher, ein horribler, ein ganz und gar entsetzlicher. Denke Dir, Klas, ich habe seine königliche Hoheit, den Kronprinzen arretirt!“

„Was!“

„Ich habe ihn einen Spitzbuben und Räuberhauptmann geschimpft!“

„Was!“

584.

„Ich habe ihn gefesselt, mit Stricken gebunden!“

„Wa — a — as!“

„Und ich habe ihn gezwungen, einen Rehbock von der Station bis zum Fürsten auf dem Buckel zu schleppen!“

„Wa — wa — was!“

„Ja, so ist es. Und darum muß ich mich erschießen!“

„Mensch Du sagst niemals eine Lüge, und daher muß ich Dir es glauben, obgleich es ganz unmöglich klingt. Aber wir stehen am Anfange der Hundstage, und — —“

„Ich bin nicht toll! Es ist ganz genau so, wie ich sage.“

„Aber bei allen Teufeln, wie kommst Du dazu, den Kronprinzen zu arretiren!“

„Ja, das ist es ja eben! Eigentlich bin ich nicht schuld, aber schuld bin ich doch!“

„Das reime sich zusammen wer es mag, ich nicht!“

„Ich werde Dir es erklären, und Du gibst mir dann einen guten Rath!“

„Gern, wenn es möglich ist.“

„Also es war so: Der Fürst geht sehr früh in den Wald und schießt sich einen Bock. Da sieht er einen Kerl, der ein wahrer Goliath ist und der bei uns in dem Kruge einkehren will. Er kommt sofort zu mir und sagt mir, daß ich diesen Kerl abfangen soll, er werde gleich kommen. Dann legt er mir den Bock hin, den der Kerl nach Halberstadt tragen soll, und macht sich davon. Gleich darauf kommt auch Einer, der die richtige Grenadiergröße hat. Ich denke es ist der Richtige, und nehme ihn bei der Parabel. Ich finde über zehntausend Thaler in Gold und Papieren in seinem Ranzen, trotzdem er sich für einen Handwerksburschen ausgibt, halte ihn deshalb für einen Spitzbuben und schließe ihn. Auch den Bock hänge ich ihm über den Rücken, wie es der Fürst befohlen hat. So bringe ich ihn nach Halberstadt.“

„Ja wo bleibt denn da der Fehler, den Du begangen haben willst?“

„Der kommt ja gleich; denn denke Dir nur, als ich den Kerl dem Fürsten vorführe, wer ist es? Kein anderer als der Kronprinz Friedrich Wilhelm, königliche Hoheit, der sich den Spaß gemacht hat, inkognito nach Halberstadt zu gehen.“

„Himmelheiliges Pech!“

„Ja! Ich denke, mich rührt ein dreißigfacher Schlag. Ich war ganz perplex und hatte nachher kaum so viel Verstand, mich leidlich zu vertheidigen. Es lief auch ziemlich gut ab, denn die Herren lachten alle fürchterlich, sogar der Kronprinz mit, und dann kam die Annaliese und nahm mich in Schutz, weil ich doch blos gethan hatte, was mir befohlen worden war. Aber da jagte mich der Fürst zur Thür hinaus und befahl mir den Richtigen zu bringen, sonst geht es mir über den Kopf. Als ich in das Vorzimmer komme, sind meine vier Leute, die den Skandal gehört haben, ausgerissen. Ich weiß meiner Angst kein Ende und komme zu Dir. Rathe mir, wo ich den Richtigen hernehmen soll.“

„Das ist ja eine ganz verdammte Geschichte! Sollst Du denn allein nach ihm suchen, oder haben auch noch Andere dabei zu thun?“

„Ich habe nur wenig davon gehört, aber ich denke, daß man die ganze Gegend mit Streifpatrouillen belegen und auch in der Stadt nachsuchen lassen wird.“

„So kannst Du Dich trösten, denn vielleicht wird man ihn finden. Kommst Du direkt vom Fürsten?“

„Nicht ganz. Ich habe erst eine halbe Stunde nach meinen Leuten herumgesucht. Die sind jedenfalls hinaus nach der Station und ich bin — — Donnerwetter, da ist Lieutenant Kummer! Er weiß, daß ich hier verkehre, wenn ich in der Stadt bin, und wird mich doch nicht etwa suchen?“

Unten wurde die Stubenthür geöffnet und man hörte eine Stimme fragen:

„Korporal Waldow heut hier gewesen?“

„Ja,“ lautete die Antwort. „Er ging vorhin hinauf zum Hausknechte.“

„Wo ist dieser?“

„Werde es Euch zeigen, Herr Lieutenant.“

Der Korporal gerieth in die größte Angst. Er fuhr in der Stube herum wie eine Maus, welche ihr Loch nicht finden kann.

„Kreuz-Bataillon, wo verstecke ich mich!“

„Ist nicht nothwendig. Er mag Dich immer treffen!“

„Nein. Er soll mich zum Fürsten schleppen.“

„Fahr unter das Bette!“

„Da sieht er mich. Ich stelle mich hinter den Uhrkasten. Schiebe ihn schnell wieder an die Wand zurück!“

Er faßte den Kasten und zog ihn ab, um in höchster Eile dahinter zu schlüpfen, blieb aber erstarrt stehen, denn an der Wand

lehnte ein Mensch, der einen ganzen Fuß länger war als er selbst. Wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke: das ist der Kerl, den wir suchen; das ist der Richtige!

In diesem Augenblicke trat der Lieutenant ein; der Wirth war, nachdem er diesem die Thür gezeigt hatte, wieder zurückgegangen. Der Offizier erblickte den Hausknecht und den Korporal, den schwedischen Lieutenant aber nicht, weil zwischen ihm und diesem sich der halb verschobene Kasten befand.

„Korporal Waldow, wo treibt Er sich denn herum?“

„Ich bin von Seiner Excellenz entlassen, Herr Lieutenant!“

„Ja, aus dem Audienzzimmer, aber im Vorzimmer hatte Er zu bleiben. Hätte ich nicht gewußt, daß Er immer hier zu finden ist, so hätte ich nach Ihm laufen können bis an der Welt Ende! Er kennt den Oscherslebener Wald?“

„Ganz und gar.“

„So komme Er! Er soll einer Streife durch den Forst als Wegweiser dienen.“

„Um den — den Richtigen zu fangen?“

„Ja.“

„Das ist nicht nothwendig, Herr Lieutenant. Ich habe ihn bereits.“

„Donnerwetter, ist es wahr? Wo hat Er ihn denn?“

„Hier.“

Er deutete hinter den Kasten. Der Lieutenant trat näher, und zu gleicher Zeit trat auch Seeström hervor. Er wurde von dem Lieutenant mit erstaunten Blicken betrachtet.

„Mensch, was macht Er denn hier hinter dem Uhrkasten?“

„Ich wollte sehen, welche Zeit es für ihn ist.“

„Was soll das heißen?“

„Werdet es sehen! Ja, ich bin der Richtige, den Ihr sucht, das will ich gern gestehen; aber wer ich eigentlich bin, das weiß noch Keiner von Euch. Der Herr Kamerad mag seiner Durchlaucht, dem Fürsten von Dessau, und Seiner königlichen Hoheit, dem Kronprinzen von Preußen sagen, daß es nicht so leicht ist, als wie sie es sich denken, den Junker Erich von Seeström, Lieutenant in Seiner schwedischen Majestät Regiment „Gustav Adolf“ unter die preußischen Rekruten zu stecken. Nun weiß Er wer ich bin. Dieser Hausknecht hier ist der Feldwebel Klas Baldauf in meiner Kompagnie. Wir empfehlen uns!“

Ein Schlag seiner Faust traf den Lieutenant, so daß dieser zusammenstürzte, und ein zweiter brachte auch den Korporal zu Falle.

„Hast Du etwas mitzunehmen, Klas?“

„Die Papiere hat der Herr Junker. Weiter brauche ich nichts.“

„Dann vorwärts! Es ist hier nicht mehr recht geheuer.“

Sie traten aus dem Zimmer, stiegen die Treppe hinab und verließen ungehindert das Haus. Auch durch die noch im Entstehen begriffenen neuen Straßen kamen sie ohne Belästigung, aber als sie die Stadt im Rücken hatten, sahen sie, daß die Umgebung von zahlreichen militärischen Trupps durchzogen wurde, denen man entweder nur zu Pferde oder unter dem Schutze der Nacht entkommen konnte. Es war lauter Infanterie, und nur zwei einzige Männer saßen zu Pferde. Der eine kam von links und der andere von rechts dahergeritten, und unweit der Stelle, an welcher sich die Flüchtlinge befanden, mußten sie sich begegnen.

„Der Fürst!“ meinte Seeström besorgt.

„Und der Kronprinz!“ fügte der Feldwebel hinzu. „Wir sind verloren!“

„Noch nicht. Sie sind im ersten Augenblick nur zwei gegen zwei.“

„Aber da hinter uns kommt eine Truppe.“

„Himmel-Donnerwetter! Was ist zu thun?“

Da glitt über das sonnverbrannte, dunkel behaarte Gesicht des Feldwebels ein halb entschlossener, halb lustiger Zug.

„Ich habs!“

„Was?“

„Sieht der Herr Junker die beiden Krautpopel.“

„Du meinst die Vogelscheuchen?“

„Ja. Hier zu Lande heißt es Krautpopel. Schnell hinein, den einen nieder, und der Herr Lieutenant an seine Stelle!“

„Ah, hm! Und Du?“

„Der Fürst kennt mich. Der Herr Junker werden schon sehen was ich will: jetzt ist keine Zeit zu Weitläufigkeiten. Vorwärts, hinein.“

Sie standen vor einem umfangreichen Waizenfelde. Die Aehren desselben waren bereits gelb vor Reife, und um die gefräßigen Vögel von ihnes abzuhalten, hatte der Besitzer zwei Vogelscheuchen mitten in das Feld gesetzt, welche riesenhafte menschliche Figuren

594.

bildeten. Seeström bückte sich zur Erde nieder und kroch zwischen die Halme hinein, auf die nächste Figur zu. Sie bestand aus einer Strohpuppe welcher man einen gigantischen Dreispitz aufgesetzt und einen langen Rock mit Bratenschößen, von dem die Fetzen hingen, angezogen hatte. Seeström legte seinen eigenen Hut ab, setzte den andern auf, warf sich den alten Rock über, erhob sich dann langsam und streckte die beiden Arme gerade so wie sein Vorgänger aus.

Der Feldwebel war unterdessen langsam weiter getrollt.

Leopold und der Kronprinz, beide noch immer in Civil, hatten sich in der Stadt getrennt, um außerhalb derselben die Patrouillen schneller instruiren zu können. Hier trafen sie sich wieder.

„Etwas bemerkt?“ frug Friedrich Wilhelm.

„Nein.“

„Ich auch nicht. Wer ist der Mensch, der da kommt?“

Leopold drehte sich um.

„Hausknecht im Gasthof, „zum Leopold“. Kommt auf uns zu und macht ein verteufelt wichtiges Gesicht. Heda, Klas, was schnobbert Er hier herum?“

Der Angerufene trat heran und zog den Hut unter einer linkischen Referenz, wobei sein Gesicht ein sehr verschmitztes Lächeln versuchte.

„Durchlaucht suchen einen Flügelmann?“

„Was soll die Frage?“

„Der im Wald davongekommen ist? Ich habe ihn.“

„Donnerwetter, ists wahr?“

„Ein Kerl, gerade sieben Fuß hoch, blond, himmelblaue Augen.“

„Stimmt, stimmt wie Rhabarber! Kerl, Du kriegst hundert Thaler, wenn es wahr ist und wenn wir ihn bekommen!“

„Danke! Die hundert Thaler sind mein. Aber ehe ich sage, wo er ist, müssen mir Durchlaucht eine Bitte gewähren!“

„Gut, eingestanden! Aber welche?“

„Er steckt in meinem Herrn seinem Felde. Reiten es Durchlaucht doch nicht nieder!“

„Ah, im Felde? Gut, wir werden es schonen. Also, nun heraus damit!“

„Sehen die Herren dort den Krautpopel im Waizen?“

„Nun?“

„Das ist der Richtige.“

„Kerl, Er ist verrückt!“

„Nein, Durchlaucht. Ich bin meiner Sache sicher. Ich war bei den Kartoffeln daneben und hatte mich niedergebückt, um sie zu untersuchen. Da kam er hier den Rain entlang. Er hat die beiden Herren kommen sehen und im Augenblicke kein anderes Mittel gewußt sich zu retten. Er kroch zu dem Krautpopel hin, setzte sich den Hut desselben auf, zog den Rock desselben an und — nun, da steht er.“

Die Arme Seeströms mochten ermüden; er ließ den einen ein wenig sinken, hob ihn aber sofort wieder empor. Der Fürst hatte es bemerkt.

„Gott stehe mir bei, es ist wahr! Dieser Krautpopel ist ein Mensch! Seht Euch einmal sein Gesicht an, Königliche Hoheit, und er hat mit dem Arme gewackelt.“

„Wirklich!“ meinte der Kronprinz. „Der ist verloren!“

„Unbegreiflich!“ eiferte Leopold. „Der Kerl muß doch Gottstrampach noch weniger Verstand im Kopfe haben wie sein Ideal, von dem er sich Hut und Rock geborgt hat. Na, Bursche, warte, ich werde Dich bekrautpopeln! Komme Er einmal her Klas, und halte Er unsere Pferde! Wir werden unser Wort respektiren und nicht in das Feld seines Herrn reiten. Aber hineinsteigen werden wir dennoch müssen, wenn auch nur ein kleines Bischen.“

Auch der Kronprinz stieg ab und übergab dem Feldwebel die Zügel seines Pferdes.

„Durchlaucht,“ meinte er, „wir thun gar nicht dergleichen, als ob wir etwas ahnten. Wir umgehen das Feld, Ihr rechts und ich links, und dann spazieren wir gerade auf ihn zu. Nachher kann er uns ja gar nicht auskommen.“

„Versteht sich! Wir thun, als ob wir Kornblumen suchen. Auf diese Weise bringe ich meiner Annaliese einen Feldstrauß mit nach Hause. Also vorwärts, Hoheit!“

Sie stiegen von dannen und umgingen, Kornblumen pflückend das Feld, bis sie die unbewegliche Vogelscheuche gerade zwischen sich hatten.

„Los!“ rief jetzt der Kronprinz und rannte vorwärts in den Waizen hinein.

„Halloh, haben ihn!“ rief der Fürst und folgte von der entgegengesetzten Seite seinem Beispiele.

Seeström rührte sich nicht eher, als bis sie beide auf drei Schritte herangekommen waren. Da aber flog dem Prinzen

der alte Rock um den Kopf und dem Fürsten der Hut in das Gesicht. Der Schwede raffte den seinigen auf und sprang in mächtigen Sätzen davon. Leopold stand einige Augenblicke ganz verblüfft; der vor Schmutz starre Hut hatte seinem Gesichte nicht sehr wohlgethan; auch der Prinz war eine Minute lang beschäftigt seinen Kopf aus dem Rocke zu bringen. Da war der Flüchtling bereits über zwanzig Schritte von ihnen entfernt, und bei den tigerähnlichen Sätzen, welche er machte, war keine Hoffnung, ihm zu Fuße nachzukommen.

„Halt ihn auf, halt ihn auf!“ brüllte der Fürst. „Her, schnell her mit den Pferden, Klas.“

„Gleich!“ rief dieser.

Im Nu saß er auf dem einen Thiere und im nächsten Augenblicke der Lieutenant auf dem andern.

„Gute Verrichtung, meine Herren!“ rief der letztere. „Seid so gut und vergeßt den Lieutenant Seeström nicht.“

„Und auch seinen Feldwebel Klas Baldauf nicht!“ rief der Hausknecht.

Im Galoppe, so daß die Ackererde hinter den Hufen der Pferde aufflog, ging es über Stock und Stein, durch Dick und Dünn davon.

„Straf mich Gott, der Seeström ists gewesen!“ knirschte Leopold.

„Hol mich der Teufel, er war es, und sein verdammter schwarzer Feldwebel dazu!“ sekundirte der Kronprinz. „Ihr mußtet auch so albern sein und vom Pferde steigen!“

„Seid Ihr klüger gewesen, he?“

„Aber Ihr habt den Vorschlag gemacht!“

„Nicht raisonniren, Hoheit, sonst soll das Donnerwetter dreinschlagen! Mit Maulaffen Feilhalten kriegen wir die Höl­len­hun­de nicht wieder. Still über unsern albernen Streich, und rasch in die Stadt. Alle Pferde, die es dort gibt, müssen her. Tausend Tha­ler dem, der mir diesen schwedischen Satan fängt!“

(Fortsetzung folgt.)
725.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

II.In der Patsche.

In Dankerode war Jahrmarkt. Dies konnte nun allerdings kein großartiges Ereigniß genannt werden, aber daß zum Dankeroder Jahrmarkt einmal ein so ausgezeichnetes Wetter war, das hatte man seit vielen Lustren nicht erlebt. Daher wanderte auch Alles, was nicht mit Gewalt zu Hause festgehalten wurde, dem Dorfe zu.

Dankerode war keine Stadt, nicht einmal ein Marktflecken. Es hatte also auch gar keine Gerechtsame zur Abhaltung eines Jahrmarktes. Aber es war nun einmal herkömmlich, daß am fünfzehnten Juli Jeder, der etwas zu verkaufen hatte oder etwas kaufen wollte, Jeder, der sich entschlossen hatte, in Dienst zu gehen oder der einen Dienstboten brauchte, überhaupt Jeder, der ein Geschäft irgend welcher Art abzumachen hatte, nach Dankerode lief, um dort seine Angelegenheit unter freiem Himmel in Ordnung zu bringen.

Da stand denn sehr oft Bude an Bude und Regenschirm an Regenschirm; denn wer am fünfzehnten Juli nach Dankerode ging, der wußte, daß er naß wurde, von außen bis auf die Haut, und von innen durch allerhand Viere und sonstige Flüssigkeiten bis unter die Haut und noch tiefer.

Daß es nun heut nicht wie aus Tragkörben goß, war ein Wunder aller Wunder. Nicht einmal ein Gewitter stand am Himmel, der so hell und rein, so unschuldig aussah, als ob er alle Jahre den Dankerodern ein so freundliches liebenswürdige Gesicht gemacht hätte. Sogar der Himmel hat kein Schamgefühl mehr!

Aber das Anfeuchten war man in Dankerode einmal gewohnt. Ging es nicht von außen, so geschah es doppelt und dreifach von innen, wegen der ungeheuren Hitze, wie man sich entschuldigte.

In keiner Bude aber wurde so viel getrunken, wie in derjenigen der ehrsamen Wittib Veronika Salzmeierin. Das war aber auch eine Frau, bei der man unwillkürlich mit der Zunge schnalzen mußte, gerade so, als wenn man ein Stück saftigen Rehrücken vorgesetzt bekommt. So propre und sauber, so nett und adrett, so appetitlich und zum Anbeißen gab es in der ganzen Grafschaft Mansfeld sicherlich kein zweites Weibsen, und dabei hatte sie ein Mäulchen, so fleißig wie ein zwölfgängiges Mühlwerk, und ein paar Augen, die es jedem anthaten, der noch ein Herz im Leibe trug.

Heut hatte sie es besonders auf einen Tisch abgesehen, der da hinten in der Herrenecke stand. Da saßen nämlich sieben oder acht Gäste, von denen Jeder wenigstens drei Flaschen, nämlich drei leere Flaschen, vor sich stehen hatte. Und dabei hatten die Leute so etwas an sich, so etwas Ausgezeichnetes, so etwas Vornehmes, so etwas Salzmeierinanziehendes, daß die gute Veronika kein Auge von der Gruppe verwandte und alle drei Minuten herbeigetrippelt kam, um zu fragen, ob vielleicht noch eine Flasche befohlen werde.

Und jetzt kam gar ein Mann herein, der hatte eine Haltung, einen Schritt, ein Auge, einen Zwickelbart, hurrjeh, dem sah es die Wirthin sofort an, daß er noch viel ausgezeichneter und anziehender sein müsse als die Andern. Die erhoben sich auch sofort von ihren Sitzen und machten Gesichter, als ob er sie alle ungefährdet verschlingen dürfe. Er aber gab nur einen ganz kleinen Wink, so setzten sie sich augenblicklich wieder nieder, und er nahm bei ihnen Platz.

Sie kam wie eine Bachstelze herbei gewippt und geschnippt, wischte sich mit der schneeweißen Schürze den Mund ab, schlug in jungfräulicher Verschämtheit die Augen nieder und frug nach den Befehlen des gnädigen Herrn Bergamtmannes. Denn in der Grafschaft Mansfeld war damals der Bergamtmann die angesehenste Persönlichkeit, und weil dieser Herr gar so nobel aussah, mußte er

725.

unbedingt ein Bergamtmann sein, obgleich er für eine solche Charge eigentlich noch sehr jung war.

„Woher kennt Sie mich denn so genau,“ frug er mit einem Blicke, der eigentlich für zwei Bergamtmänner zugereicht hätte.

„Von dem letzten Bergaufzug her,“ antwortete sie, ganz entzückt, daß sie so scharfsinnig gewesen war, sofort das Richtige zu treffen.

„Wie so?“

„Da schritt der gnädige Herr voran und hatte einen rothen Federstutz oben,“ antwortete sie, denn so war es bei den Bergamtmännern der Fall.

745.

„Hm, ja; Sie hat ein sehr gutes Gedächtniß. Sage Sie einmal, könnte Sie wohl einen Bergamtmann gut leiden?“

Diese Worte gingen ihr so tief in das liebesbedürftige und doch verwittwete Herz und seine Finger knippen sie so zärtlich in die gerötheten Wangen, daß sie einen so tiefen Knix machte, daß ihre Knie beinahe die Erde berührten.

„Ja!“

„Donnerwetter, das paßt; denn ich habe noch keine Bergamtmännin. Wenn kann man Sie denn einmal besuchen, Sie kleine Hexe Sie?“

„Zu jeder Zeit, gnädiger Herr!“

„Schön! Ich gebe Ihr mein Wort, daß ich zu keiner Anderen gehe, wenn ich mir meine Amtmännin hole.“

„Aber vergeßt es nur nicht, gnädiger Herr!“ lispelte sie leise.

„Nein. Sie hat mein Wort und damit basta! Bringe Sie mir auch so eine Flasche, aber kein Katzenwasser, verstanden!“

Sie schnellte hinter den Schenktisch und suchte eine von den wenigen Flaschen hervor, die sie für ganz besondere Ehrengäste reservirt hatte. Da kostete eine zwanzig Silbergroschen, aber sie nahm sich vor, ihm nur zwölf abzuverlangen. Das erste Glas goß sie ihm selbst ein und nippte leise davon.

„Zur Gesundheit, gestrenger Herr!“

„Danke, Schatz!“

Er trank das Glas aus, schenkte sich voll und leerte nochmals; dann streckte er die Beine von sich und wollte eben ein Gespräch beginnen, als er daran verhindert wurde und sich augenblicklich in eine horchende Stellung aufrichtete.

Draußen vor der Bude hielt nämlich ein Schleifer mit seinem Karren. Er hatte sehr viel zu thun; aber nicht nur seine Kunden standen bei ihm, sondern auch eine ganze Menge andere Leute. Er war seit einigen Tagen in der Gegend bekannt, und man wußte, daß er gar schöne Schleiferlieder zu singen verstehe. Er pflegte sie zum Takte seines Rades vorzutragen und die Pausen mit dem Geräusche auszufüllen, welches durch die Berührung der Messer und Scheeren mit dem Schleifsteine hervorgebracht wird. Er hatte heut bereits viel gearbeitet, aber noch nicht gesungen. Darum wurde er so dringend um ein Lied gebeten, daß er endlich nachgeben mußte. Er begann:

„Der Schleifer ist allzeit ein Mann,

Den man nicht gut entbehren kann,

Weils Vieles gibt, wie Ihr ja wißt,

Was abgestumpft und schartig ist,

Und man sich da nur nutzlos quält,

Wo Schärfe, Schnitt und Rundung fehlt.

Der Schleifer findet weit und breit

Gar manche Ungeschliffenheit,

Und wo er nicht selbst helfen kann,

Da packen andre Kräfte an.

Das Schicksal faßt ja manchen Tropf

Mit eisenfestem Griff,

Setzt ihm den widerspenst’gen Kopf

Zurecht und gibt ihm Schliff!“

Der Klang dieser Stimme war es, welcher den zwickelbärtigen Herrn Bergamtmann am Sprechen verhindert hatte. Er hörte die Strophe zu Ende und meinte dann:

„Nicht übel, das Lied, hm; sollte länger sein, nicht, Hauptmann?“

Derjenige, an den die Worte gerichtet waren, beeilte sich beizustimmen:

„Gewiß, Durchlaucht! Doch, da kommt ja bereits eine zweite Strophe!“

Wirklich erklang es bereits nach dieser kurzen Pause draußen weiter:

„Der Meister und die Meisterin,

Die haben oft gar eignen Sinn,

Der Lehrling ist ein Aschenbrod,

Hat wenig Freud und sehr viel Noth,

Arbeitet wie ein Droschkenpferd

Und gilt doch keinen Heller werth.

Der Sündenbock für alle Welt,

Auf halbe Ration gestellt,

Zu spät ins Bett, zu früh heraus,

Das halte doch der Teufel aus!

Und klagt und schimpft und jammert er,

So kommt der Meister Pfiff,

Nimmt Elle oder Knieriem her

Und applizirt ihm Schliff!“

Der Bergamtmann strich schmunzelnd seinen schwarzen Schnurrwichs.

„Ja, die Elle oder der Knieriem sammt dem Lade- und dem Haselstocke sind die besten Erzieher, die es gibt. Die Elle macht fromm, der Knieriem sanft, der Ladestock gehorsam und der Haselstock geduldig! Meint Er nicht, Hauptmann?“

„Versteht sich, Excellenz. Ein strenges Wort hat mehr Wirkung, als eine freundliche Predigt von sechs Stunden Dauer.“

„Bei einer solchen Gesinnung ist es schade, daß Er nicht anstatt Hauptmann Feldprediger geworden ist. Aber horcht, er singt weiter!“

Der Schleifer fing die dritte Strophe an. Sie lautete:

„Bei einem wohlbekannten Haus

Fliegt Geld hinein, Papier heraus.

Man sagt, daß es ein Bankhaus sei,

Doch ists die höh’re Schleiferei;

Denn man dreht drinnen dem Hans Tapp

Die schwer ersparten Groschen ab.

Da plötzlich wird die gute Bank

An hoffnungsloser Schwindsucht krank;

Der Prinzipal kniff gerne ex,

Doch faßt ihn „Polyp multiplex.“

Jetzt brummt er in der Einsamkeit,

Und kaut an seinem Kniff,

Und für das Schleifen frührer Zeit,

Bekommt er selbst nun Schliff!“

„Wenn dieser Kerl sich seine Lieder selbst macht, so ist er ein ganz verdammter Himmelhund!“ meinte der Fürst. „Das schnappt und klappt ja Alles ganz vortrefflich! Und das mit der höheren Schleiferei ist ganz richtig; nur will ich ihm nicht rathen einen Namen zu nennen, sonst wird er noch höher geschliffen. Aber wahrhaftig, der Mann bringt noch mehr. Hört!“

Draußen erklang die Fortsetzung des Liedes:

„Im Schulhaus geht für Jedermann

Das offizielle Schleifen an.

Und was die liebe Frau Mama

Bisher am Zuckerkind versah,

Wird hier barmherzig und geschickt

Mit Stock und Ruthe ausgeflickt.

Das niederträchtige A-B-C

Schmeckt unbedingt nach Aloë,

Und wer das Einmaleins verdaut,

Der stirbt auch nicht an Sauerkraut.

In diese Art Philosophie

Fährt man mit raschem Griff,

Legt sie gemüthlich übers Knie

Und applizirt ihr Schliff.“

„Bravo, Bravo! Immer übers Knie mit den Rangen, und gehörig aufgewichst. Mir sollte die Anneliese nicht wagen, die Buben und Mädels zu verderben! Warum hat man jetzt so gottlose subordnungswidrige Bengels unter den Rekruten, Hauptmann? Nun?“

„Es liegt an der Erziehung; die Eltern sind schuld!“

„Und darum verdienen sie mehr Prügel, als die Jungens. Es ist jetzt eine traurige Zeit, eine Zeit, in welcher eigentlich Hoch und Niedrig, Jung und Alt ganz gehörig durchgeprügelt werden müßte; denn ich sage Euch, Ihr Herren, daß — — —“

Er war dabei auf eines seiner Lieblingsthemata gekommen, über welches er stundenlang zu reden vermocht hätte, wenn er nicht von dem Schleifer gestört worden wäre:

„Wohnt einmal Einer in der Stadt,

Der gar zu lange Finger hat;

Bei Tage bleibt er stets zu Haus,

Geht nur im Dunkelmunkel aus,

Ist aller Straßenlampen Feind

Und liebt den Mond, wenn er nicht scheint.

So wandert heimlich er fürbaß,

Denkt bald an Dieses, bald an Das,

Bis er, Kreuzhimmelelement,

Ein fremdes Port’monnaie umrennt.

Doch leider wird der Schelm ertappt

Bei dem verbot’nen Griff;

Ein Gänsedarm hat zugeschnappt

Und sorgt für bessern Schliff.“

„Hm,“ brummte jetzt der Fürst. „Da fällt mir ja etwas ein, Ihr Herren. Habe da einen Wisch von Oberst Ravenau, der beim Schwedenkönige sitzt, erhalten, worin ich benachrichtigt werde, daß ein Wachtmeister, ein gewisser — — Teufel, wie heißt doch der Bengel gleich? Major, Er hat das Schreiben ja gelesen!“

755.

„Wachtmeister Roller,“ antwortete der Aufgeforderte.

„Roller, ja; also daß ein gewisser Wachtmeister Roller in der Gegend zwischen Merseburg, Halberstadt und da herum sein — — — Donnerwetter, da geht es wieder los; das muß man sich gefallen lassen. Hört!“

„Ich kenne ein Amphibium,

Heißt Redakteur und ist nicht dumm.

Im Tintenfasse schwimmt das Thier,

Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier,

Hat eine Zunge, spitz und scharf,

Und quakt, was man nicht quaken darf.

Drum bringt den Herrn Amphibius

Das Quacken öfters in Verdruß,

Wobei es hier und da gelingt,

Daß man ihn auf das Trockne bringt.

Denn tritt er in der Setzerei

Etwas zu stark aufs Schiff,

So stürzt ein Paragraph herbei

Und sorgt für bessern Schliff.“

„Fertig? Also nun kann ich fortfahren. Der Oberst Ravenau schreibt mir, daß sich da ein Wachtmeister Roller herumtreibe, bald als Brillmann, bald als Bänkelsänger oder Scheerenschleifer, bald als sonst etwas. Was das für einen Zweck hat, kann sich Jeder denken, und ich möchte mir den Kerl da draußen denn doch einmal in Augenschein nehmen. Was meint Er, Major?“

„Ein gewöhnlicher Schleifer hat diese Verse nicht gemacht, so viel ist sicher, Durchlaucht. Sie stammen nicht blos von einem witzigen, sondern auch von einem gewandten und erfahrenen Kopfe — — ah, noch eine Strophe!“

„Herr Müller und Frau Müller sind

Zuweilen sehr konträr gesinnt.

Er liebt den Skat; sie haßt das Spiel,

Er schweigt gern und sie plappert viel,

Er ist ein Feind von Tand und Putz,

Und sie hälts mit dem Federstutz.

Der Frau gebührt natürlich Recht;

Sie ist das schönere Geschlecht.

So war es schon zu Adams Zeit,

So bleibt es auch in Ewigkeit.

Und fehlt dazu dem Grobian

Der richtige Begriff,

Schafft sie sich einen Hausfreund an

Und sorgt für bessern Schliff!“

Ein schallender Beifall war der Lohn für den Vortrag dieses Liedes. Auch in der Bude stimmte man ein, und nur die Offiziere verhielten sich zurückhaltend. Auf einen Wink des Fürsten erhob sich der Jüngste von ihnen und trat hinaus vor die Bude zu dem Schleifer.

„Hat Er einen Augenblick Zeit?“

Der Gefragte sah ihn forschend an.

„Warum?“

„Da drinnen am hintersten Tische sitzen einige Männer, die Ihn gern sehen möchten, weil Er so schöne Lieder singen kann.“

„Werde gleich kommen!“

Seine Haltung und seine Ausdrucksweise verriethen dem Auge des Kenners allerdings eine nicht vollständig zu verbergende militärische Schulung. Er schliff das Messer, welches er in der Hand hielt, vollends fertig und trat dann in die Bude, wo er der Wirthin begegnete.

„Wer sind die Leute da hinten?“ frug er sie.

Sie kannte ihn jedenfalls schon und nickte ihm aufmunternd zu.

„Sehr vornehme Leute, da wird es ein Gläschen Guten geben. Der Eine, der mit dem schwarzen Zwickelbarte, ist der Herr Bergamtmann, der erst eine halbe Stunde hier ist und bereits die dritte Flasche hat.“

„Bergamtmann? Sehe nicht viel Vornehmes daran,“ antwortete er.

Sie warf ihm ob dieser Rede einen sehr vernichtenden Blick zu, er aber beachtete denselben gar nicht und schritt nach dem ihm bezeichneten Tische. Leopold wandte sich ihm zu.

„Er ist der Schleifer von da draußen?“

„Ja.“

„Woher hat Er seine Lieder?“

„Die mache ich mir selber.“

„Und die Melodie dazu?“

„Auch.“

„Kreuzelement, da ist Er ja ein ganz verdammt gescheidter Kerl!“

„Ist auch nicht zu verwundern!“

„Wie so?“

„Habe viel Schule genossen. Sollte studieren.“

„Kam aber nicht bis an das Gehirn, sondern nur bis an das große Maul!“

„Oho! War bereits bald fertig, da wurde das Geld alle, und ich mußte aufhören. Aber dichten und musiziren kann ich dennoch wie sonst Einer.“

„Heda, Wirthin!“

Die ehrbare und lobesame Wittwe Veronika Salzmeierin kam herbeigeschnippt.

„Was gebieten der gestrenge Herr Bergamtmann?“

„Eine Flasche für Den da, aber hinaus an den Karren!“

Sie knixte erst, und dann schnippte sie eiligst davon.

„Danke, Herr Amtmann!“ meinte der Schleifer.

„Wo ist Er denn eigentlich zu Hause?“

„In Treptow.“

„So so!“

„Hat Er Seinen Schein bei sich?“

„Ja.“

„Zeige Er ihn einmal heraus!“

Der Schleifer brachte seine Legitimation aus dem Wammse und gab sie dem Fürsten. Dieser buchstabirte sie zusammen. Seine Miene verrieth einige Bedenklichkeit.

„Dieser Ausweis ist doch nicht in Treptow, sondern in Merseburg ausgestellt worden!“

„Die ursprüngliche Legitimation ist mir verloren gegangen, und da hat man mir an ihre Stelle diese hier gegeben.“

„Ach so! Aber der Verlust der ersteren müßte doch hier bemerkt sein!“

„Das verstehe ich nicht. Vielleicht ist diese Bemerkung vergessen worden.“

„Möglich. Doch kann er dadurch in Verlegenheiten verwickelt werden.“

Er hätte vielleicht noch etwas hinzugefügt, aber es hatte sich ein Mann herbeigedrängt, der dem Schleifer die Hand auf die Achsel legte.

„Nicht wahr, Er ist der Schleifer?“

„Ja.“

„Hier ist der Brief, den Er zu besorgen hat. Bezahlt ist Er wohl bereits?“

„Ja. Werde ihn gut besorgen.“

Der Mann entfernte sich und Leopold frug nun weiter:

„Hat Er Seine Lieder nur im Kopfe oder auch auf Papier geschrieben?“

„Was ich selber dichte, brauche ich doch nicht etwa niederzuschreiben!“

„Wohin wird Er von hier aus gehen?“

„Vielleicht nach Querfurt; da ist in ein paar Tagen auch Jahrmarkt.“

(Fortsetzung folgt.)
886.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

„So! Na, da will ich Ihm gute Geschäfte wünschen. Jetzt kann Er gehen.“

Kaum war der Schleifer fort, so berichtete der Major, welcher neben Leopold saß:

„Durchlaucht kannten den Mann, welcher den Brief brachte?“

„Nein. Wer war er?“

„Ein Diener des Grafen Johann Georg der Dritte von Mansfeld.“

„Ah! Etwa gar heimliche Intriguen des Grafen! Aber es kann ja auch eine Privatsache des Dieners betreffen.“

„Dann hätte er ihn gekannt und nicht erst gefragt, ob er der Schleifer sei.“

„Das ist richtig.“

„Dann hätte er sich auch anders ausgedrückt und nicht gesagt: Hier ist der Brief, den Er zu besorgen hat!“

„Das ist wieder richtig.“

„Und dann hätte der Brief wohl auch ein anderes Siegel und eine andere Adresse gehabt. Ich habe Beides zwar flüchtig aber genau gesehen.“

„Was für ein Siegel war es?“

„Das des Grafen.“

„Ah! Und die Adresse?“

„War diejenige des Herzogs von Sachsen-Merseburg.“

„Donnerwetter! Ists wahr?“

„Ich weiß genau, daß ich mich nicht geirrt habe.“

„Dann ist irgend eine Teufelei dabei im Spiele. Diese Grafschaft Mansfeld ist nicht mehr selbstständig; sie steht unter brandenburgischer und sächsischer Sequestration, und der Graf erhält blos die Einkünfte des Bornstädtischen Amtes. Man weiß von sächsischen Umtrieben, denen der Graf nicht fern steht, und dieser Merseburger Herzog ist ein Filou, der sich freuen würde, uns einen Streich zu spielen. Ah, ich werde diesem Schleifer doch einmal auf die Finger sehen, und wehe ihm, wenn sie schmutzig sind. Was meinen die Herren, wie man das anfängt?“

„Es müßte sehr im Geheimen geschehen,“ antwortete der Major.

Während er noch sprach, kam die Wirthin herbei und berichtete mit einem tiefen Knixe:

„Gestrenger Herr Bergamtmann, der Schleifer läßt sich noch einmal für den Wein bedanken.“

„So? War nicht nothwendig!“

„Vielleicht, weil er jetzt fortgeht.“

„Er geht fort?“

„Ja. Er hat alle Scheeren und Messer, die er noch zu schärfen hatte, zurückgegeben und sich auf den Weg gemacht.“

„Wohin?“

„Nach Eisleben zu.“

„Gut. Ich danke Ihr!“

Sie knixte tief und schnippte davon. Der Fürst wandte sich an den Lieutenant:

„Höre Er, diesen Schleifer übergebe ich Ihm. Wir haben denselben Weg mit ihm. Mache Er sich jetzt auf und reite Er so hinter ihm her, daß er nichts merkt. Er läßt ihn nicht aus dem Auge, bis wir nachkommen. Verstanden?“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

Der Offizier entfernte sich. Nach einer Viertelstunde verließen auch die Andern die Bude. Der sonst so sparsame Leopold berichtigte die ganze Zeche.

„Also merke Sie es sich,“ meinte Er zur Wirthin. „Wenn ich eine Bergamtmännin brauche, so komme ich zu Ihr!“

„Viel Ehre, sehr viel Ehre, gnädiger Herr!“

„Wenn ich Sie aber nun nicht mehr ledig finde?“

„O, ich warte; ich warte so lange, bis Ihr kommt.“

„Darauf verlasse ich mich auch, denn unter zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre wird es wohl nicht dauern, bis ich komme!“

Sie machte ein höchst erschrockenes Gesicht, er aber trat aus der Bude mit einer Miene, in welcher man seine Freude über diese Enttäuschung erkennen konnte.

In einiger Entfernung vor dem Dorfe gab es seitwärts von

der Straße eine kleine Waldwiese, auf welcher mehrere Reitknechte mit Pferden standen. Die Herren waren hier im Verborgenen abgesessen, um ihr Inkognito nicht zu gefährden.

„Lieutenant Walther hier gewesen?“ frug der Fürst.

„Vor einer Viertelstunde,“ berichtete der Knecht.

Man stieg auf und verfolgte den Weg im scharfen Trabe, bis der Lieutenant erreicht wurde.

„Wo ist der Schleifer, he?“

„Da vor uns hinter der Straßenkrümmung.“

„Hat Er sich sehen lassen?“

„Nein. Ich habe das Terrain so benutzt, daß er mich nicht bemerken konnte.“

„Dann vorwärts!“

Der Schleifer hörte das Pferdegetrappel hinter sich und wandte sich um. Er verwunderte sich sichtlich, die Herren auf militärisch aufgeschirrten Pferden zu sehen.

„Was? Er hier!“ meinte der Fürst erstaunt. „Ich denke, Er hatte da oben sehr viel zu arbeiten?“

„Die Leute wollten nicht viel zahlen, darum bin ich fort.“

„Das mache Er mir nicht weiß! In Seinem Geschäfte wird nicht abgehandelt. Er hat erhalten was Er verlangte. Ich meine, es gibt einen andern Grund, weshalb er den Ort so rasch verlassen hat.“

„Den möchte ich wissen! Es kann Andern überhaupt ganz gleichgiltig sein, ob ich bleibe oder gehe. Es gefiel mir nicht mehr, und damit basta!“

„Und damit gar nicht basta, Er Himmelelementer! Mir zum Beispiel ist das, was Er thut, ganz und gar nicht gleichgiltig. Er ist nur deshalb so schnell von da oben fort, weil Seine Fixfaxerei mit dem Grafen abgethan ist!“

„Mit dem Grafen?“

„Thue Er nicht unschuldig, sonst klatsche ich Ihm Seine Heimlichkeit um die Ohren, verstanden! Wo ist der Brief, den Ihm der Diener des Grafen brachte?“

„Das war kein Diener irgend eines Grafen.“

„Mensch, lüge Er nicht! Heraus mit dem Briefe!“

„Der gehört nur mir. Ihr als Bergamtmann habt mir überhaupt gar nichts zu befehlen. Ich mache was ich will.“

„Schön, sehr schön von Ihm!“ meinte Leopold mit einem gefährlichen Lächeln. „Wer hat Ihm denn gesagt, daß ich ein Bergamtmann bin?“

„Die Wirthin.“

„Die ist dumm und Er noch zehnmal dümmer! Ein Wachtmeister Seiner schwedischen Majestät sollte sich von einem Weibsen nicht foppen lassen. Aha, Er erbleicht! Habe ich den Nagel getroffen?“

„Was meint Ihr da mit dem Wachtmeister?“

„Weg mit den Faxen, Kerl! Der Dessauer läßt sich von einem Wachtmeister Roller nicht an der Nase führen!“

Der Mann wurde noch bleicher als vorher.

„Wer seid Ihr? Der Fürst Leopold von Dessau?“

„Ja, wenn Er nämlich nichts dagegen hat. Komme Er einmal mit seinem Karren hier seitwärts in den Wald herein!“

„Warum?“ frug der Mann trotzig.

„Warum? Weil ich es Ihm befehle, Er Himmelhund! Vorwärts, sonst helfe ich nach!“

Der Schleifer blickte sich um, machte einen Sprung zwischen den Offizieren hindurch und wollte entfliehen. Da riß Leopold sein Pferd in die Höhe, setzte ihm nach und ritt ihn einfach über den Haufen.

„Ich werde Ihm lehren auszureißen! Bindet ihn und schafft ihn nebst seinem Karren unter die Bäume. Wir wollen es nicht an die große Glocke schlagen, daß der berühmte Schleifer gefangen wird. Die Sachsen und Schweden brauchen es nicht zu hören!“

Diesem Gebote wurde schnell Folge geleistet. Die Herren zogen sich mit ihrem Gefangenen so weit unter die Bäume zurück, daß die zu erwartende Verhandlung von einem zufällig Vorübergehenden weder gesehen noch gehört werden konnte.

„Jetzt nehmt ihm einmal ab was bei ihm zu finden ist!“

Der Major untersuchte die Taschen des Schleifers und brachte zunächst einige Zettel zum Vorscheine, auf welchen Gedichte standen.

„Was ist das, Major?“

„Schleiferlieder sind es.“

„Ah! Ist das auch dabei, welches Er vorhin gesungen hat?“

„Ja.“

„Sieht Er es, Er Hallunke, daß Er mich vorhin belogen hat! Wird Er mir wohl sagen, wer Er ist, he?“

„Durchlaucht haben ja meine Legitimation gesehen!“

„Unsinn! Ich frage Ihn, ob Er eingestehen will, daß Er der Wachtmeister Roller ist. Wir haben keinen Krieg, und wenn Er auch die Gegend ausgekundschaftet hat, so werde ich ihn dennoch nicht als

896.

Spion betrachten. Seine Vorgesetzten haben es Ihn geheißen, und Er hat gehorchen müssen. Na also!“

Der Gefragte schwieg verlegen.

„Wenn Er fortfährt mich zu belügen, so lasse ich Ihn durchpeitschen. Stöcke wachsen hier genug. Gesteht Er es aber, so kann Er wählen: Entweder bleibt Er einen Monat als Kriegsgefangener

bei mir und kann gehen, wohin es Ihm beliebt, oder Er tritt in Seiner gegenwärtigen Eigenschaft als Wachtmeister in preußische Dienste. Also, ist Er der Roller oder nicht?“

„Zu Befehl, Durchlaucht; ich bin es.“

„Gut! Wer hat diese Lieder gemacht?“

„Der Herr Lieutenant von Seeström.“

„Donnerwetter, der Kerl kann doch Alles! Sie waren wohl extra für Ihn gemacht, damit Er den Schleifer richtig spielen könne?“

906.

„Ja.“

„Und was war seine Aufgabe?“

„Diese Gegend zu durchforschen, ob die Bevölkerung preußisch oder sächsisch gesinnt ist.“

„Nun, wie hat Er es gefunden?“

„Man hält es mehr mit Sachsen.“

„So mag der Teufel die ganze Gegend holen! Und Pläne hat Er wohl auch gezeichnet?“

„Ja.“

„Wo sind sie?“

„Im Schleifkarren, hier in dem verborgenen Kästchen.“

„Heraus damit!“

Der Major öffnete das Schubfach, welches ein Fremder wohl schwerlich an diesem Orte vermuthet hätte, und gab die Pläne dem Fürsten hin, der sie prüfte.

„Er ist doch ein ganz verdammter Kerl! Diese Arbeiten sind ausgezeichnet. Er soll es gut haben, wenn Er sich entschließt, zu uns überzugehen. Mit seinem Schwedenkönige bleibt es nicht so stehen, wie jetzt; das kann ich Ihm sagen. Und nun der Brief des Grafen von Mansfeld?“

„Im Westenfutter.“

Er wurde hervorgeholt, und der Fürst öffnete ihn.

„Wie kommt Er zu dem Grafen?“

„Der Herzog von Merseburg gab mir einen Brief an ihn mit auf den Weg.“

„Den hat Er abgegeben?“

„Ja. Das hier ist die Antwort.“

„Das ist ja eine richtige deutliche Kanzleihand. Man weiß, daß der Graf wie gedruckt schreiben soll. Das ist aber auch alles, was er kann. Will einmal sehen, was er schreibt!“

Der in hübscher deutlicher Handschrift verfaßte Brief lautete folgendermaßen:

„An meynen vielliewen Bruder, Hertzogen zu Sachßen-Merzeburg, zu üwergewen durch Dießem hier.

Auff Ewer werthen Anffrag von wegen dere Sequestrazzion bien Ich bereitt, deß Näheren zu vernehmen und unter den erffahrene Bedingnißen auff Ewer Vorschlägg einzuhalten, maßen Ich weiß, daß ich Mir von Sachzen deß Besserem zu versehen hawe als von dießem Preußen. Schreibt mir also deß Baldigen wiedder.

Von Erfforderniß der Mamßell Anna von Boberfeld bien ich allerdinge der eintzige Verwantte, dene Selwige annoch besizzen mag, abber sindt so vielle Stuffen derenzwischen, daß mann wohlen sehr schwehr findten möchte, welchem Grad dieße Verwanttschafft angehören möchte. Gebe allßo gern meyn Permiß zu deren Heyrath mit deme Obrißten von Börjesson, maßen ich Seyner Mayestät von Schwedten gern rekommandirret bien.

Daß Auffseheramt zu Eißleben hat bereidts Meyn Klagen üwer diesem Leopoldten von Anhalt empfangen, wasmaßen Ich auf Sonntag nach Merßeburg kommen werdte, um mit Euch zu berathen, auff welch Weisen Wier diesen Uewermuth demühtigen und auch Euch zu dem Eurigen zu verhelffen vermöggen.

Damiet Gott beffohlen, obgleych daß Einkomm vom Amdte Bornstädt bey dieße Theyrung faßt nimmer zureichen mag.

Meines Herrn Hertzogen Bruder und Freundt

Johann Georg III., Graff zu Mannsfeldte.“

Leopold hatte diese Zeilen nicht laut gelesen; aber daß sie ihn erzürnten, konnten die Umstehenden an seinem Gesichte sehen. Nun aber donnerte er los:

„Also so schreiben die heiligen Apostel Matthäus, Markus, Lucius und Sankt Paulum? Solche saubere Geschichten haben diese Herren im Kopfe? Ueber den Leopold wollen sie herziehen? Kreuz-Mohrenelement, das soll ihnen versalzen werden! Ich werde zwischen ihnen hineinfahren wie damals die Sau unter die — oder vielmehr wie damals die Teufel unter die Säue der Gir — Gir — Gir — Girgendorfer, oder wie die Leute hießen!“

„Und eine Verschwörung wollen sie machen gegen die kurbrandenburgische Sequestration?“ fuhr er nach einer Pause fort. „Ich werde ihnen den Sequest um die Nase wischen, daß sie niesen sollen bis zum jüngsten Tage! Dem schwedischen Karl will er sich rekommandiren? Werde ihm zeigen, daß ich auch rekommandiren kann, mit dem spanischen Rohre nämlich! Und was ist denn das mit Der von Boberfeld? Die soll an den Schweden Börjesson verschachert werden? Die Boberfeld, welche länger und stärker sein soll als ein Flügelmann? Die kriegt keinen Andern als einen Offizier von meinem Regimente. Wir brauchen große Weiber, wenn wir große Rekruten ziehen wollen. Habe sie in Dresden gesehen, sie ist ein Prachtweibsen, und mir soll beim Teufel kein Schwede wagen, sie mir wegzuschnappen! Kennt Jemand von den Herren die Anna von Boberfeld?“

Fast Alle bejahten.

„Ihr Vater hat mit mir bei Namür, Kaiserswerth und Venloo gefochten, und als er vor Stephanswerth an meiner Seite starb, da bat er mich, an seine Tochter zu denken. Er hatte zwar in seinem Testamente den von Sachsen-Merseburg zum Vormunde bestimmt, aber dies nachher bereut, und ich denke, daß ich es ihm schuldig bin, seine Tochter nicht so elend verschachern zu lassen. Weiß Jemand wo sie ist?“

„Durchlaucht,“ antwortete der Major, „ich glaube, daß sie sich jetzt in Allstädt befindet. Das ist eine ihrer vielen Besitzungen, deren Einkommen der Merseburger in seine Tasche steckt.“

„Werde ihm einmal auf diese Tasche klopfen! Muß so wie so zum Schweden hinunter. Ihr wißt es ja, weshalb. Müssen eine kleine Demonstration unternehmen, damit diesem kleinen Könige die Lust vergeht, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Hm, Saperlot, kommt mir da ein Gedanke, ein lustiger famoser Gedanke. Höre Er, Roller, wozu wird Er sich entscheiden: will Er Wachtmeister oder Gefangener sein?“

„Desertion, Durchlaucht!“

„Papperlapapp! Ist Er durchgebrannt? Ist Er freiwillig vom Regimente gelaufen? Er kann ja annehmen und sagen, daß ich Ihn mit Gewalt unter meine Buntröcke gesteckt habe, ich habe ja dazu das Recht. Verstanden? Na, entschließe Er sich!“

„Gut, ich trete über.“

„Schön! Aber das sage ich Ihm, daß ich Ihn Spießruthen laufen lasse bis Er krepirt, wenn Er Miene macht fortzugehen. Hier hat Er sein Handgeld und meinen Hut auf Seinen Schädel. Lege Er Seine Hand in meine Patsche und schwöre Er, was ich Ihm vorsage!“

Der Wachtmeister that wie ihm geheißen wurde, obgleich er noch gefesselt war. Der Fürst sagte ihm den Schwur vor.

„Wie ist Sein vollständiger Name?“

„Ich habe nur einen Vornamen: Jakob Roller.“

„Aus?“

„Aus Dresedow.“

„Also ein Pommer! Schwöre Er: Ich, Jakob Roller aus Dresedow in Pom­mern — —“

„Ich schwöre: Ich, Jakob Roller aus Dresedow in Pom­mern —“

„Bisher Wachtmeister in der Kavallerie des Königs Karl von Schwe­den — —“

„Bisher Wachtmeister in der Kavallerie des Königs Karl von Schwe­den — —“

„Mag von diesem Himmelhunde von heute an nichts mehr wis­sen — —“

„Mag von diesem — — Himmelhunde von heute an nichts mehr wis­sen — —“

„Und trete also hiermit in den Dienst Seiner Majestät des Königs von Preußen über.“

„Und trete also hiermit in den Dienst seiner Majestät des Königs von Preußen über.“

„Ich gelobe in die Hand meines nächst obersten Kriegs­herrn — —“

„Ich gelobe in die Hand meines nächst obersten Kriegs­herrn — —“

„Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Generales der Infante­rie — —“

„Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Generales der Infante­rie — —“

„Daß mich der leibhaftige Teufel holen soll — —“

„Daß mich der leibhaftige Teufel holen soll — —“

„Wenn es mir beikommen sollte, von meiner neuen Fahne zu desertiren.“

„Wenn es mir beikommen sollte, von meiner neuen Fahne zu desertiren!“

„Amen!“

„Amen!“

„So, nun ist Er mein. Und das Wetter soll Ihn treffen, wenn Er sich Fissimatenten erlaubt; denn ich sage Ihm, der Teufel, der Ihn dann holt, den mache ich selbst! Nehmt ihm die Stricke fort. Er ist nun mein Soldat und soll frei sein.“

Der Wachtmeister wurde von seinen Banden befreit, und dann frug der Fürst:

„Wem gehört die Karre? Hat Er sie bezahlt?“

„Nein. Der Herzog von Merseburg hat sie mir versorgt.“

„Den werde ich bekarren, daß Er an mich denken soll! Ich werde sein Schleiferlied lernen, und Er hat mir dabei zu helfen. Den Karren bringe ich dem Herzog selber zurück.“

Er hob den Karren in die Höhe und schob ihn eine Strecke fort.

916.

„Es wird gehen, ganz prachtvoll. Jetzt spanne Er sich vor. Wir reiten über Hettstedt nach Aschersleben, und Er folgt uns nach. Ich lasse zwei Reitknechte bei Ihm, die mit ihrem Kopfe für Ihn haften. Sie haben Pistolen mit. Merke Er sich das!“

Die Herren stiegen zu Pferde und verfolgten ihren Weg weiter. Ihnen nach trollte der Schleifer, von den zwei Knechten zu Fuße begleitet. Er wäre ihnen wohl schwerlich entkommen, wenn ihn die Lust zur Flucht angewandelt hätte.

Es war einige Tage später, und zwar an einem Sonnabende. Jungfer Zeißig, die Wirthschafterin des Rittergutes Allstädt, hatte sehr viel zu schaffen. Der Sonnabend ist der Tag der wöchentlichen Reinigung. Auch heute sollte geputzt und gescheuert werden, aber es war zum Verrücktwerden, daß die nothwendigen Hände dazu fehlten. Es gab nämlich auf Feld und Wiese eine solche Arbeit, daß alle vorhandenen Knechte und Mägde dabei betheiligt werden mußten. Mit Getreide oder Heu hochbeladene Wagen wankten hinter einander durch das Thor herein, auf die geräumigen Scheuern zu, und Jungfer Zeißig lief aus einer Stube in die andere und ärgerte sich zum Zerplatzen, daß noch nirgends gescheuert war und überall der Staub auf Tischen und Stühlen lag.

Nur in den Zimmern der Herrin war gesäubert worden. Dort gab es nämlich ein Stuben- und ein Kammermädchen, und diese beiden hatten dafür gesorgt, daß Alles blitzeblank aussah. Konnte Jungfer Zeißig sich dies gefallen lassen? Nein. Sie ging hinauf zu der Herrin, stemmte die Arme in die Seiten und meinte, sich einige Male um ihre Achse drehend und dabei die Möbel besichtigend:

„Ja, das lasse ich mir gefallen, gnädiges Fräulein! So muß es sein; hier gibt es Ordnung und Sauberkeit. Aber unten bei mir, da sieht es noch aus grad wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte.“

„Da muß Sie sich gedulden, meine gute Jungfer Zeißig,“ antwortete Anna von Boberfeld. „Die Leute haben keine Zeit, aber am Spätnachmittage werden sie fertig sein.“

„Das ist es ja eben! Wenn ich am Spätnachmittage erst anfange, kann ich ja gar nicht fertig werden, selbst wenn ich bis tief in die Nacht hinein scheuern lasse. Es ist ein Kreuz und ein Elend. Im Winter sitzen die Leute Haufenweise da und haben nichts zu thun, im Sommer aber, zumal zur Erntezeit, weiß man vor Arbeit weder aus noch ein und kann doch keine Leute kriegen. Das ist eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Sie könnten helfen, gnädiges Fräulein!“

„Wie so?“

„Wenn Sie mir das Kammermädchen und das Stubenmädchen für einige Stunden ablassen wollten.“

„Ah! Ich habe Ihr doch bereits oft gesagt, meine gute Jungfer Zeißig, daß dies nicht geht.“

„Es geht schon, wenn Sie nur wollen gnädiges Fräulein.“

„Nein, es geht nicht. Die Beiden haben bei mir zu thun. Die Eine ist eben über dem Plätten, und die Andere näht an der Garderobe.“

„Ist das denn heut so nothwendig?“

„Ja. Und überdies habe ich die Mädchen nicht für den Stall oder für die Wirthschaft gemiethet. Sie sind ausschließlich nur zu meiner Bedienung da und würden sich sehr wundern, wenn ich ihnen zumuthete, die Gesinderäume zu scheuern.“

„O, dazu sind sie auch nicht zu gut! Aber ich weiß schon, sie bilden sich ein, mehr zu sein als die andern, das Näschen steht ihnen hoch, und der Hochmuthsteufel steckt ihnen im Leibe. Da kann man ihnen freilich nicht zumuthen, eine Treppe tiefer zu steigen und zu uns Plebs herunter zu kommen. Das ist eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Ich werde am Ende noch selber scheuern müssen! Dann aber laufe ich auf und davon, und wer bleibt dann übrig zum Wischen und Putzen? Das Kammer- und Stubenkätzchen. Und wenn die nicht wollen, so müssen das gnädige Fräulein endlich selber scheuern, melken und ausmisten. Es ist ein Kreuz und ein Elend hier auf Allstädt!“

Damit ging sie zur Thür hinaus.

Unten begegnete ihr ein Soldat, welcher am Thore abgestiegen war und sein Pferd dort angehängt hatte.

„Ist das gnädige Fräulein von Boberfeld zu sprechen?“

Ihr Gesicht heiterte sich bei seinem Anblicke außerordentlich schnell auf.

„Ihr seid es, Herr Korporal? O, das ist doch einmal eine Erholung in all diesen Jammer und dieses Elend hinein.“

„Hat Sie denn schon wieder einen Jammer erlebt?“

„Wie, nur von einem einzigen Jammer redet Ihr? Zwei, drei, fünf, zehn, zwanzig Jammers habe ich; unzählige Jammers

erlebe ich täglich! Denkt Euch nur: es ist bereits zwei Uhr, und ich habe noch nicht mit dem Scheuern anfangen können!“

„Das ist allerdings sehr schlimm!“

„Blos schlimm? Das langt noch lange nicht! Fürchterlich ist es, schrecklich sogar ist es!“

„Ja, Sie hat gar zu viel auf Ihren Schultern liegen. Als Frau Korporalin hätte Sie es bedeutend besser!“

Sie schlug verschämt die Augen nieder.

„Frau Korporalin, oh, das hat einen Klang, einen Klang wie, wie — wie, wie ein Waldhorn oder eine Trompete! Aber wo wäre denn mein Korporal?“

„Wo? Hier steht er, meine schöne Jungfer Zeißig!“

„Hier? Ihr wäret es? Ihr wollt mich nur ein wenig zum Narren halten, nicht?“

„Bewahre! Ich rede die reine Wahrheit, aber natürlich nur unter gewissen Umständen.“

„Darf man diese Umstände erfahren?“

„Warum nicht! Sie weiß, daß mein Herr, der Oberst Börjesson Ihr Fräulein lieb hat. Sie scheint nicht ganz einverstanden zu sein, und leider habe ich den Schwur gethan, nur mit meinem Obersten zu heirathen. Dann wird er General und ich werde Feldwebel oder gar Lieutenant. Das wäre ein Leben!“

„Oh mein Gott, wie schön, wie prächtig, wie herrlich, wie entzückend!“

„Nicht wahr? Aber mein Oberst wird nie heirathen, wenn er das Fräulein von Boberfeld nicht bekommt, und dann muß ich meinen Schwur halten und ledig bleiben.“

„Ist das so nothwendig?“

(Fortsetzung folgt.)
1047.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

„Natürlich! Ein Schwur, bedenke Sie, der hat gar viel zu bedeuten!“

„Ach, das ist traurig! Das ist ja eine Wirthschaft, grade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!“

1057.

„Hat er das gesagt? Da hat er auch Recht gehabt. Sie weiß doch wie wir Schweden die Polen zusammengehauen haben, so daß ihr König in Altranstädt hat abdanken müssen. Aber sage

Sie einmal: Sie hat einen Mann gehabt und wird doch Jungfer genannt?“

„Jungfer Zeißig, geborene Linde,“ ergänzte sie stolz.

„Gut. Aber wie reimt sich das zusammen?“

Sie erröthete züchtig und schlug abermals die Augen verschämt zu Boden.

„Weil ich — weil ich noch — noch eine Jungfer bin.“

„Ah!“

„Ja. Ich kann es Euch zuschwören, mein Seliger war damals viel älter als ich. Er war ein Seiler und — und gab sich lieber mit seinen Stricken ab als mit mir.“

1067.

„Da ist er ja selber der allergrößeste Strick gewesen, den es gegeben hat. Er hätte sich ja gleich an sich selbst aufhängen können!“

„Oh, das hat er auch gethan!“

„An sich selbst?“

„Nein; aber gehängt hat er sich. Ach, diesen Tag vergesse ich nie, nie, nie, Herr Korporal! Er zankte sich immer mit mir, obgleich ich ein Herz habe wie ein Lamm, und eines schönen Tages sagte er: „Das ist ja eine Wirthschaft, grade wie in Polen!“ Das waren seine letzten Worte. Er ging hinaus, und als ich später einen großen Lärm hörte und zum Fenster hinaussah, da hatte er sich draußen auf der Straße an die Hausthüre gehängt.“

„Schauderhaft!“

„Ja, schauderhaft; es schaudert mich noch heute, wenn ich daran denke! Das war nachher eine Wirthschaft, grade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!“

„Ein elender Tod! Aufhängen! Das kann auch nur ein Seiler machen. Unsereiner würde edler sterben.“

„Edler sterben? In wie fern?“

„Wenn ich mich wegen meiner Frau tödten wollte, so würde ich mich erschießen.“

„Erschießen!“ lispelte sie mit liebevollem Blicke. „Oh, das ist ein tapferer Tod, ein sehr ritterlicher Tod!“

„Ja. Aber ich würde mich eben mit meiner Frau so gut vertragen, daß ich mich gar nicht zu erschießen brauchte.“

„Natürlich! Man ist ja geduldig und liebevoll und verträglich. Man paßt ja zusammen, als ob man von den Tauben zusammengetragen worden wäre!“

„Versteht sich! Wenn nur beim Teufel Ihr Fräulein mit meinem Obersten ein wenig freundlicher sein wollte!“

„Ach ja. Wenn ich da nur helfen könnte!“

„Das kann Sie.“

„Aber wie, Herr Korporal?“

„Wenn Sie ein wenig mit Intrigue spielt.“

„O, das kann ich, darin habe ich ausgelernt, da bin ich erfahren wie keine andere.“

„Habe es Ihr auch zugetraut.“

„Nicht wahr? Ja, man hat auch so seine Kenntnisse und Fertigkeiten! Aber worin soll ich denn Intriguen spielen?“

„Gegen diesen Lieutenant von Seeström.“

„Ach so! Ja, ich glaube, dem ist sie gut!“

„Versteht sich! Aber dieses Gutsein muß man eben alle machen.“

„Ich bin dabei, Herr Korporal. Aber wie kann man dies fertig bringen?“

„Das weiß ich noch nicht, aber mein Oberst weiß es. Er wird Ihr schon die nöthigen Instruktionen geben, und wenn Sie diese ausführt, so ist es sehr leicht möglich, daß Sie Frau Korporalin, Frau Feldwebel und Frau Lieutenant wird.“

„Oh, ich werde sie ausführen; darauf könnt Ihr Euch verlassen! Aber ist es denn auch wahr, Herr Korporal?“

„Ja.“

„Oh!“ seufzte sie entzückt. „Frau Korporalin, Frau Feldwebel und gar Frau Lieutenant, verwittwete Zeißig, geborene Linde. Wann kommt Ihr Herr Oberst wieder einmal nach Allstädt?“

„Heute, jetzt! Er ist bereits unterwegs, und ich bin vorausgeritten, um ihn dem gnädigen Fräulein anzumelden.“

Da schlug sie die Hände erschrocken zusammen.

„Herr, mein Heiland! Der Herr Oberst kommt, und es ist noch nicht gescheuert! O weh, das ist ja eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Geht hinauf, Herr Korporal. Ich muß eilen, ich muß fliegen, ich muß mich sputen!“

Sie rannte in die Küche und er stieg die Treppe zu der Herrin von Allstädt empor.

Während dieses Gespräches schritten zwei Männer dem Gute zu. Es waren kräftige, aufrecht gehaltene Gestalten, die im Gleichschritte neben einander gingen, so exakt, als ob sie vor dem Dessauer exerzirten, der ja den Gleichschritt zuerst in seinem halberstädtischen Regimente eingeführt hatte.

„Das ist Allstädt, Korporal?“ frug der Eine.

„Ja.“

„Ob er bereits da ist?“

„Abwarten!“

„Verdammte Geschichte!“

„Was?“

„Wenn er uns sieht.“

„Lassen uns eben nicht sehen. Müssen erst rekognosziren.“

„Natürlich.“

„Wollte doch, es käme ihm einmal etwas in die Quere! Dann bissen wir ihn heraus und erhielten vielleicht Pardon.“

„Der Teufel hole diesen verdammten Seeström!“

„Warum?“

„Ihr fragt noch warum? Sind wir nicht etwa wegen ihm fortgejagt worden wie alte Hunde, die keine Zähne mehr haben?“

„Das ist richtig! aber muß man denn nun deshalb den Seeström zum Teufel wünschen? Er ist ein prächtiger Kerl. Daß er uns so gelöffelt hat, ist allerdings eine ganz vermaledeiete Geschichte; aber man muß Achtung vor ihm haben. So etwas bringt ein Anderer nicht gleich fertig. Aber diesen Feldwebel Baldauf, den mag der Teufel zur Hölle reiten! Gibt sich für einen Hausknecht aus, führt mich an der Nase herum und haut mir nachher gar Eins über den Kopf, daß ich niederplumpse wie ein Sack.“

„Ist er es denn auch wirklich gewesen? So ein Hieb sieht mehr nach Seeström aus!“

„Mir egal. Er war mit dabei, und wenn ich ihn zwischen meine Finger kriege, quetsche ich ihn wie eine Citrone aus oder zerschnitze ihn zu Gurkensalat!“

„Es wäre am Ende besser wir gingen zu den Schweden!“

„Warum, Er Elementer?“

„Nun, hat uns der Dessauer nicht fortgejagt, uns alle fünf, weil wir den Kronprinzen gefangen haben und ihm nachher der Junker entwischt ist.“

„Ja, das hat er, aber muß man nun da gerade durch Dick und Dünn zu den Schweden rennen, he? Hat Er keine Ehre und Ambition im Leibe? Mich, den Korporal Waldow kann der Leopold tausendmal fortjagen, ich bleibe ihm dennoch treu. Er ist ein ganz verfluchter Grobian und schüttet das Kind zuweilen mit dem Bade aus, das ist wahr; aber wenn die Hitze verflogen ist, dann ist er wieder der beste Kerl, den es nur geben kann. Und Er will zu den Schweden? Jetzt wo der Teufel den Fürsten reitet, daß er partout nach Allstädt und Merseburg will, und zwar inkognito, wie sie lateinisch sagen, das heißt zu deutsch als Scheerenschleifer?“

„Wißt Ihr es denn gewiß?“

„Ja. Der Wachtmeister Roller, den er neu angeworben hat, hat es mir gesagt. Er hat ihn das Schleifen und auch das Lied dazu lehren müssen.“

„Möchte dabei gewesen sein!“

„Ja, ist auch schön dabei zugegangen. Der Fürst hat etliche fünfzig Messer verschliffen, etliche dreißig Scheeren ruinirt und das Lied doch nicht in den Kopf gebracht. Singen kann er nicht, denn der Herrgott hat ihm seinen Bärenbaß gerade nur zum Kommandiren gegeben, und die achtundneunzig Zeilen, welche das Lied hat, mengt er wie Kraut und Rüben unter einander. Aber er hat sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen; er ist eben ein Eisenkopf, der Alles thut, was er sich einmal vorgenommen hat. Wenn er anfängt zu schleifen und zu singen, so müßte es mit Erbsen zugehen, wenn sie ihn nicht erkennen und festhalten.“

„Festhalten?“

„Natürlich!“

„Es ist doch kein Krieg!“

„Ihm fehlt wahrhaftig ein ganzes Rad von Verstand. Es ist wahr, der Preuße verhandelt mit dem Schweden; aber das ist auch eine Verhandlung die keinen Dreier werth ist. Ich sage ihm, Krieg gibt es allemal. Durch die Verhandlung kann er nur auf einige Jahre oder Monate hinausgeschoben werden. Wird man aber über gar nichts einig, so bricht er sofort los. Darum rüstet der Sachse im Stillen, trotz des Altranstädter Friedens, darum hält der Schwede seine Leute schlagbereit, und darum stellt auch der Preuße seine Buntröcke heimlich an die Grenze, so daß sie in einem einzigen Tage in Merseburg sein können. Und wie ich den Dessauer kenne, so ist er nicht so in das Blaue hinein als Schleifer in diese Gegend gegangen. Er weiß, welche Gefahr er dabei läuft und hat sich sicher einen Hinterhalt für den Fall gelegt, daß sie ihn ertappen und bei der Parabel nehmen wollen. In Allstädt ist er sicher, denn die Besitzerin ist eine Tochter des Majors von Boberfeld, unter dem ich in den Niederlanden gekämpft habe. Er war mit dem Leopold ein Herz und eine Seele; das weiß sie, und darum wird sie ihm nichts Uebles zufügen.“

„Und der Kronprinz?“

„Der ist auch so ein Tausendsapperloter. Ich glaube, er ist auch inkognito zu den Schweden oder nach Merseburg, und es sollte mich Wunder nehmen, wenn ich mich täuschte. Warum hat er sich in Halberstadt bei meinem Gevatter Schneider einen gewöhnlichen Anzug und bei einem Tischler einen Kasten machen lassen, wie ihn die Tabuletkrämer brauchen? Das kann wenn er erkannt wird eine ganz heillose Geschichte werden!“

„Hier ist das Thor!“

„Ja. Spioniren wir zuerst!“

1077.

Sie blieben am Thore halten, von welchem aus sie den ganzen weitläufigen Hof zu übersehen vermochten.

„Ich sehe keinen Schleifer,“ meinte der Korporal Waldow.

„Und auch keinen Karren,“ fügte sein Gefährte hinzu.

„Er ist noch nicht da.“

„Was machen wir?“

„Er kommt jedenfalls. Dort guckt ein Weibsbild aus dem Fenster. Vorwärts, hin zu ihr!“

„Seid nur höflich, Korporal!“

Der Angeredete warf dem Sprecher einen sehr verweisenden Blick zu.

„Bin ich etwa nicht immer höflich, he?“

„Hm!“ machte der Andere, zog es aber vor, sich nicht weiter auszusprechen.

Der gute Korporal war gegen seine Untergebenen zuweilen wohl etwas Anderes gewesen als höflich. Er meinte in überlegenem Tone:

„Werde Ihm gleich zeigen, wie galant ich sein kann. Dieses Weibsen ist eine alte, halb verrostete Schachtel, aber ich werde sie dennoch mit „Jungfer“ anreden, denn so etwas hören die Frauenzimmer gern, selbst wenn sie neunzig Jahre zählen, und zwanzig Männer unter die Erde geärgert haben.“

Sie stiegen über den Hof hinweg bis an das Fenster, aus welchem die Wirthschafterin ihnen entgegenblickte.

„Guten Tag, Jungfer!“ grüßte er, indem er den Dreispitz lüftete.

„Guten Tag,“ entgegnete sie freundlich. Er hatte sie mit seiner Anrede sofort gewonnen. „Was wollt Ihr hier?“

„Nicht wahr, dieses Rittergut heißt Allstädt?“

„Ja.“

„Und gehört dem gnädigen Fräulein von Boberfeld?“

„Ja.“

„Ihr seid gewiß das gnädige Fräulein selbst, nicht wahr, Jungfer?“

Sie lachte vor Entzücken am ganzen Gesichte. Der Korporal verstand es doch nicht so schlecht, sich die Gunst eines weiblichen Herzens im Sturmschritte zu erobern.

„Nein. Das gnädige Fräulein bin ich zwar nicht, aber die Wirthschafterin.“

„Thut nichts, denn das ist ja beinahe eben so viel. Darf man Euern Namen wissen?“

Sie nickte freundlich lächelnd. Er nannte sie nicht Sie sondern Ihr, und das that ihrer nach Sympathie verlangenden Seele wohl.

„Jungfer Zeißig, geborene Linde.“

Der Korporal beherrschte sich, sein Kamerad aber hatte die Kraft nicht dazu. Er machte ein höchst verblüfftes Gesicht, denn er konnte sich nicht erklären, wie eine geborene Linde noch Jungfer Zeißig heißen könne.

„Schön, Jungfer Zeißig!“ meinte der Korporal. „Ich heiße Waldow, und mein Kamerad heißt Hammer. Wir suchen Arbeit. Habt Ihr vielleicht welche?“

„Arbeit? O, genug! Was seid Ihr denn, was könnt Ihr denn?“

„Wir können Alles, was zur Landwirthschaft gehört.“

„So könnt Ihr sofort eintreten. Kommt aber zunächst herein in die Küche; ich will Euch zu essen geben. Dann könnt Ihr mit dem ersten Knechte, der mit dem Wagen kommt, hinaus auf das Feld oder auf die Wiese fahren.“

Diese Einladung war den Beiden willkommen. Sie gingen in die Küche und bekamen reichlich vorgesetzt. Sie hatten eben die Messer in die Hand genommen, als der schwedische Korporal eintrat. Er warf einen kurzen, hochmüthigen Blick auf die beiden Fremden und meinte dann mißmuthig:

„Verfluchte Geschichte!“

„Was denn?“ frug die Wirthschafterin.

„Wollte Ihr Fräulein heute ausfahren?“

„Nein.“

„Donnerwetter! Und als ich melde, daß mein Oberst kommt, sagt sie, das thue ihr leid. Sie sei für heute bereits in die Nachbarschaft versprochen und werde gleich abfahren; ich solle das dem Herrn Obersten melden.“

„Ich weiß nichts davon.“

„Sie thut dies natürlich nur, um dem Herrn Obersten von Börjesson auszuweichen.“

„Wo mag sie hin wollen?“

„Ich nahm mir den Muth und frug sie. Da fuhr ich aber verteufelt an. Sie donnerte mich ab, daß es eine Art hatte.“

„Läßt sich denken. Das gnädige Fräulein sind außerordentlich selbständig.“

„Sie hat jedenfalls gemeint, der Herr Oberst kommt ihr nachgeritten, wenn er erfährt wo sie sich befindet.“

„Was wird er sagen, wenn er es erfährt?“

„Wenn er es nur erst erfahren hätte, daß der Sturm vorüber wäre, den es geben wird. Uebrigens weiß ich auch den Weg gar nicht, den er einschlägt, und es ist also sehr unsicher, ob ich ihm begegnen werde. Lebe Sie wohl, Jungfer.“

„Lebt wohl, Herr Korporal!“

Er ging, und sie begleitete ihn über den Hof hinweg zu seinem Pferde. Die beiden Zurückbleibenden sahen einander an.

„Ein Schwede!“

„Habs gesehen, daß es kein Mohr war,“ antwortete Waldow. „Dieser Oberst Börjesson scheint also mit der von Boberfeld Süßholz raspeln zu wollen, und sie mag nichts von ihm wissen.“

„Er gefällt ihr vielleicht nicht!“

„Natürlich, Er Esel. Wenn er ihr gefiele, würde sie nicht vor ihm ausreißen. Vielleicht hat sie ganz denselben Wohlgefallen an ihm, wie ich an dieser Jungfer Zeißig, geborene Linde.“

„Gefällt mir aber ganz gut.“

„Ah? Traue es Seinem Geschmacke beinahe wirklich zu!“

„Natürlich, gerade meinem Geschmacke. Oder hat sie hier nicht dafür gesorgt, daß wir Geschmack an ihr finden müssen?“

„Ach so! Hm, Er ist denn doch nicht ganz auf die Nase gefallen. Bin nur neugierig, die Boberfeld zu sehen. Soll ein Weibsen sein, wie der Goliath!“

„Wenn wir hier tagelöhnen, werden wir sie schon noch zu sehen bekommen.“

Jetzt trat die Wirthschafterin wieder ein.

„Schmucker Kerl,“ bemerkte Waldow.

„Wer?“

„Dieser schwedische Korporal.“

„Findet Ihr das? Sein Oberst hält auch große Stücke auf ihn. Es wird gar nicht lange dauern, so wird er Feldwebel und dann auch Lieutenant.“

„So! Das hat er Euch wohl selbst gesagt?“

„Ja. Aber Ihr seid jetzt wohl fertig mit Essen?“

„Wir sind satt, und nun kann die Arbeit losgehen.“

„Draußen hält der Knecht mit dem Wagen. Ich habe es ihm gesagt; er wird Euch mitnehmen. Das Andere werde ich mit dem Verwalter ausmachen, wenn er nach Hause kommt.“

Sie begleitete sie bis in den Hof. Dort war wohl ein ungeheurer Leiterwagen, aber kein Knecht zu sehen.

Die Wirthschafterin suchte und fand ihn in der Remise.

„Was thut Er hier? Er muß ja hinaus auf das Feld!“

„Ich habe für das gnädige Fräulein anzuspannen.“

„Wer hat es Ihm befohlen?“

„Das Fräulein selbst. Sie guckte zum Fenster heraus.“

„So, hm! Na, da mache Er seine Sache. Sie wird selber fahren, wie gewöhnlich, und Er bringt dann diese beiden Männer hinaus auf das Feld.“

Sie kehrte in die Küche zurück. Waldow und Hammer griffen mit zu, so daß der leichte Wagen bald zur Abfahrt bereit war. Und nun kam auch die Herrin in den Hof herab.

Sie war allerdings von einer ganz außerordentlichen Höhe, dabei aber so proportionirt gebaut, daß dieselbe ihrer ungewöhnlichen Schönheit nicht den mindesten Abbruch that. Ihre Bewegungen waren sicher, leicht und graziös, und der Blick ihres Auges ließ errathen, daß sie neben weiblicher Milde auch über ein gutes Theil männlichen Selbstbewußtseins verfüge.

„Wer seid Ihr?“ frug sie die beiden ehemaligen Werber.

„Neue Arbeiter,“ antwortete der Korporal.

Sie nickte mit dem Kopfe, stieg ein und ergriff die Zügel. In kurzer Zeit war der schnell dahinrollende Wagen nicht mehr zu sehen. Auch der Leiterwagen verließ den Hof. Kurze Zeit später sprengte ein Reiter durch das Thor, ließ sein Pferd in eleganten Sätzen über den Hof kourbettiren und warf dabei einige verstohlene Blicke nach den Fenstern der herrschaftlichen Etage empor. Als er Niemand bemerkte, stieg er ab und band sein Pferd an die Angel eines Fensterladens. Seine Miene war finster geworden. Eben wollte er eintreten, als ihm die Wirthschafterin entgegenkam.

„Der Herr Oberst von Börjesson. Willkommen auf Allstädt, gnädiger Herr!“

„Willkommen? Es scheint nicht so!“

„Warum, gnädigster Herr Oberst?“

(Fortsetzung folgt.)
1208.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

„Es gibt hier ja nicht einmal einen Diener, welcher mir das Pferd abnehmen kann. Das bin ich allerdings nicht gewohnt!“

„Entschuldigen der Herr Oberst! Es sind alle Hände hinaus auf das Feld, und wir haben erst vor einigen Minuten erfahren, daß wir Euch zu erwarten hatten.“

„War der Korporal hier?“

„Ja.“

„Bin ihm nicht begegnet.“

„Schade!“

„Schade; warum?“

„Weil er Auftrag hatte Euch zu sagen, daß unser gnädiges Fräulein nicht zu Hause ist.“

„Wer hat ihm diesen Auftrag ertheilt?“

„Das Fräulein selber.“

„Also war sie vorher zu Hause?“

„Ja.“

„Ah! War es vorher bestimmt, daß sie aus wollte?“

„Mir wenigstens hat sie nichts gesagt.“

„Sie ist aber noch nicht fort?“

„Doch.“

„Seit wann?“

„Seit einer Viertelstunde.“

„Wohin?“

„Sie hat es Niemandem gesagt.“

Sein Gesicht legte sich in immer düsterere Falten.

„Das heißt also, daß sie vor mir geflohen ist und mich nicht wissen lassen will, wo ich sie finden könnte! War der Lieutenant Seeström hier?“

„Gestern Abend.“

„Wann kam er?“

„Sechs Uhr.“

„Und wann ritt er wieder fort?“

„Vielleicht um Mitternacht.“

„Also für ihn hat sie sechs volle Stunden übrig, für mich aber ist sie nicht daheim. Ich werde sie aber erwarten.“

„Sie wird wohl spät kommen, gnädiger Herr!“

„Thut nichts. Ich hätte auf alle Fälle heut hier über Nacht bleiben müssen.“

„Ah!“

„Ja. Ich hatte sehr angenehmen und hohen Besuch anzumelden, den ich morgen Vormittag an der Seite der Herrin des Hauses hier empfangen muß.“

„Ist es möglich! Herr mein Heiland, ist das ein Jammer und ein Elend! Hoher Besuch und noch nicht gescheuert! Das ist ja eine Verwirrung und eine Unordnung, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Darf ich fragen, wer die hohen Herren oder Damen sind?“

„Keine Damen, sondern nur Herren. Bin auch nicht befugt, die Namen zu nennen. Es sind ihrer drei oder vier. Zwei kann ich Ihr bezeichnen, nämlich den Herzog von Merseburg, den Vormund Ihrer Herrin, und — — —“

„Herr mein Heiland, der Herr Herzog kommen, und es ist weder gescheuert, noch sonst eine Vorbereitung getroffen!“

„Und der Graf von Mansfeld.“

„Der Graf von Mansfeld! So ein berühmter großmächtiger Herr aus dem Lande, wo sie die Thaler aus der Erde graben! Und noch nicht gescheuert! Ich vergehe vor Aerger, Jammer und Sorge.“

„Treffe Sie also Ihre Vorbereitungen. Ich will Sie dabei nicht stören und werde darum einen Spazierritt vornehmen. Mit der Dunkelheit bin ich zurück. Aber spute Sie sich, denn es ist immerhin möglich, daß außer mir einer der Herren noch heute eintrifft.“

Er band sein Pferd wieder los, schwang sich auf und ritt davon. Sie aber stand in völliger Rathlosigkeit vor der Thür und schlug die Hände zusammen.

„Was ist zu thun? Was ist anzufangen? Wer hereinkommt, wird festgehalten. Ich lasse keinen Menschen wieder fort. Sie Alle, die Knechte und Mägde müssen putzen und scheuern, daß es kracht!“

Sie hätte ihren Monolog vielleicht noch weiter ausgedehnt, aber sie wurde unterbrochen, denn es kam abermals ein Reiter durch das Thor und gerade auf sie zu. Bei seinem Anblick wäre sie beinahe in eine Ohnmacht gefallen. Er hielt vor ihr an und frug:

„War das nicht der Oberst Börjesson, der jetzt das Gut verließ?“

„Ja, mein gnädiger Herr Herzog.“

„Meine Mündel ist zu Hause?“

„Nein. Das gnädige Fräulein sind ausgefahren.“

„Wohin?“

„Wir wissen es nicht.“

„Wann kommt sie zurück?“

„Auch das wissen wir nicht.“

Seine Miene wurde strenger und finsterer, als sie schon bereits war.

„Hat sich der Oberst anmelden lassen?“

„Ja.“

„Bei Ihr oder bei Fräulein von Boberfeld?“

„Bei dem gnädigen Fräulein.“

„Sie war also noch da?“

„Noch vollständig da.“

„War ihre Spazierfahrt bereits beschlossen und sehr nothwendig?“

„Nein, mein gnädiger Herr.“

„So hat sie also dem Obristen ausweichen wollen. Ich werde ihr diese Mucken vertreiben! War der Lieutenant Seeström hier?“

„Gestern, sechs Stunden lang.“

„Ah, vor ihm reißt sie also nicht aus!“

„Ja, das ist ein Jammer und Elend hier auf Allstädt, mein

1218.

gestrenger Herr Herzog. Alles geht drunter und drüber. So hoher Besuch und nicht geputzt, gereinigt und gescheuert, keine Vorbereitung getroffen, nicht gebacken, kein Fleisch gekauft, oh, das ist

eine Wirthschaft, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte.“

„Also nicht einmal absteigen kann man? Hat der Oberst den

Besuch angemeldet und Ihr gesagt, wie viele Personen Sie zu erwarten hat?“

„Ja, drei oder vier sehr hohe Herren.“

„Oder auch fünf, denn ich glaube nicht, daß der Kö — — wollte sagen, der eine Herr ganz ohne Begleitung kommen wird. Spute Sie sich mit Ihren Vorbereitungen, ich werde einen Spazierritt

1228.

machen und versuchen, ob ich den Obristen noch einholen kann. — Wann wollte er wiederkehren?“

„In der Dämmerung.“

„Gut; da komme ich auch zurück. Kann Sie lesen?“

„Ach nein, mein gestrenger Herr Herzog. Unsereiner hat eine solche Schu­le — —“

„Schon gut! Hier nehme Sie einmal diese kleine Mappe und trage Sie dieselbe hinauf in mein Zimmer. Aber sorge Sie dafür, daß sie kein Mensch in die Hände bekommt! Versteht Sie mich?“

„Sehr wohl, mein gnädiger Herr!“

Er zog aus der Satteltasche einen mit dem herzoglichen Wappen versehenen Umschlag hervor, in welchem mehrere Papiere lagen, welche durch einen Gummi festgehalten wurden. Nachdem er ihr diese Mappe übergeben hatte, ritt er davon. Sie sah ihm nach und schlug die Hände abermals zusammen.

„Herr mein Heiland, ist das eine Noth und eine Sorge! Nun ist auch der bereits da. Ich muß nur gleich in die Vorrathskammer gehen und nachsehen, was Alles noch zu besorgen wäre!“

Sie trat in die Küche, legte die Mappe auf den ersten besten Tisch und begab sich dann in den Vorrathsraum. Noch waren nicht zehn Minuten vergangen, so kam abermals eine Person durch das Thor. Es war kein Reiter, sondern ein Fußgänger, der einen Karren vor sich herschob. Er blieb einige Augenblicke halten, besah sich die Gebäude und brachte seinen Karren dann nach der Wagenremise.

Weder hier noch sonst irgendwo war ein Mensch zu sehen. Der Mann schritt also dem Eingange des Wohnhauses zu und trat in die Küche. In demselben Augenblicke kam die Wirthschafterin von ihrer Inspektion zurück.

„Guten Tag!“ grüßte er mit tiefer Baßstimme und warf, indem er mit der Linken seinen Knebelbart strich, aus seinen dunklen Augen einen forschenden Blick auf sie. „Gibt es hier Arbeit für mich?“

„Arbeit? Genug! Was ist Er denn?“

„Ein Scheerenschleifer.“

„Ah, ich dachte, vielleicht ein Taglöhner. Aber Er kann auch als Schleifer hier Arbeit finden, denn unser ganzes Schneidzeug ist stumpf geworden. Doch ich habe jetzt keine Zeit. Setze Er sich und — — — ah, da kommt mir ein Gedanke! Es ist gut, daß Er hier vorspricht. Es muß Jemand hinaus auf das Feld und auf die Wiesen, um die Leute zu rufen. Droben sind zwar die beiden Stubenmädchen, aber die kann ich nicht schicken, denn ihnen steht die Nase zu hoch. Er ist hier fremd, nicht wahr?“

„Ja.“

„Er würde also die Leute nicht finden; also muß ich selbst hinaus. Bleibe Er einstweilen hier. Dort steht Brod, Wurst und Käse. In zehn Minuten bin ich ganz sicher wieder da; das kann Er sagen, wenn Jemand kommen sollte.“

„Schön! Wer ist Sie denn eigentlich?“

„Ich bin Jungfer Zeißig, geborene Linde, die Wirthschafterin hier.“

„Hm, Jungfer Zeißig, geborene Linde, wo ist denn Ihre Herrin?“

„Ausgefahren.“

„Sonst kein Besuch hier?“

„O ja, sehr vornehmer Besuch!“

„Wer denn?“

„Der Herzog von Merseburg und der Obrist von Börjesson. Aber ich habe jetzt keine Zeit zum Plaudern; ich muß auf das Feld, ich, die Wirthschafterin! Das ist ja eine Verwirrung, ganz wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Also halte Er Haus, bis ich wiederkomme!“

Sie eilte davon. Er blickte ihr durch das Fenster nach.

„Ein ganz verfluchtes Weibsen, das! Nennt sich Jungfer und hat bereits einen „Seligen“. Wie war nur ihr Name? Es war ein Vogel und ein Baum. Ja, so ist es; Jungfer Finke, geborene Birke, oder nein, Jungfer Wachtel, geborene Erle, so war es. Muß es mir merken, denn die scheint hier im Hause etwas zu gelten! Aber was ist denn das, hier?“

Sein Auge war auf die Mappe gefallen.

„Das Merseburger Siegel! Kreuz-Schock-Schwerenoth, vielleicht spielt mir da der Zufall gerade das in die Hände, was ich so gerne wissen möchte! Muß doch einmal nachsehen. Bin wie es scheint der Einzige hier im Hause und wäre wahrhaftig ein riesiger Esel, wenn ich das nicht benutzte. Ueberrascht kann ich nicht werden, da ich ja von hier aus das Thor im Auge habe.“

Er öffnete die Mappe und nahm die Papiere hervor. Je

länger er die Schriftzüge zu entziffern suchte, desto gespannter wurde seine Miene, und von Zeit zu Zeit stampfte er mit dem Fuße oder schlug mit der Faust auf den Tisch und stieß dabei einen kräftigen Fluch hervor. Als er fertig war, legte er die Papiere wieder in den Umschlag zurück und zog den Gummi darüber.

„Himmel-Tausend-Sakerment, habe ich da einmal in einen Topf geguckt! Na, warte, diesen Braten soll Euch der helle lichte Teufel gesegnen! Aber essen muß ich noch schnell etwas, sonst merkt diese Jungfer Zippe, geborene Fichte, daß ich vielleicht spionirt habe.“

Er schob sich ein Stück Brod in den Mund und einen halben Käse darauf. Dann setzte er kauend seine Betrachtungen fort.

„Das ist ja die elendeste, die schlechteste Schlechtigkeit! Also über uns herfallen wollen sie. Der Mansfeld will die Sequestration los sein, und der Merseburger bekommt einige Hunderttausende in die Schatulle gesteckt. Ihr verdammten Bengels, ich werde Euch sequestriren und schatulliren, daß Euch die Augen flimmern sollen! Und dazu den Meißener Kreis kriegt der Merseburger? Nicht auch noch Oesterreich und Bayern, Frankreich und das Kaffernland dazu! Das sollte der sächsische Kurfürst wissen! Kommt dieser Schwedenbengel herein nach Deutschland und geberdet sich, als ob er Hahn im Korbe sei und Herzogthümer verschenken könne!“

Er schob ein halbpfundschweres Stück Wurst dem Käse nach.

„Wir haben den Kerl jetzt ungestört schalten und walten lassen, weil er zu unserm Vergnügen einigen von unsern lieben Vettern das Fell ausklopfte, daß die Flöhe davonspringen mußten. Jetzt nun hält er uns für Tolpatsche und will auf uns los. Kerl, mache mich nicht warm, sonst trete ich Dich auf die Hühneraugen, daß Du Deine Leichdörner für die Alpen ansehen sollst! Und auch mir, dem Leopold von Dessau, wollen sie die Fingernägel verschneiden, weil ich mir zuweilen einen Rekruten über die Grenze hinübergeholt habe. Prosit die Mahlzeit, dazu gehört eine Scheere und jetzt bin ich Schleifer. Ich werde Euch die Scheere so verschleifen, daß sie Euch in die eigenen Tatzen zwackt! Also die Verhandlung mit unserm Oberst von Ravenau wird nur zum Scheine und zwar so lange geführt, bis diese Spitzbuben hier sich geeinigt haben! Hm! Hätte ich nur gleich Jemand, der mir hinüber nach Blankenfelde laufen könnte zu dem Major! Aber, da kommt die alte Schachtel! Ich muß mich noch einmal über den Käse hermachen!“

Als die athemlose Wirthschafterin eintrat, saß er mit einem sehr unschuldigen Gesichte bei dem Essen.

„Na, da ist Sie ja wieder! Braucht Sie Ihre Leute denn gar so nothwendig?“

„Freilich, freilich! Der Besuch ist ja bereits da und morgen kommen noch mehrere. Und da ist weder gescheuert noch Eins noch Keins! Aber jetzt kommen sie Alle gerannt, und dann soll Er sehen wie schnell alles in Ordnung gebracht wird.“

„Ja, ja, so eine Wirthschafterin hat was zu bedeuten, und Sie kann es mir glauben, daß ich bei solchen Gelegenheiten nicht in Ihrer Haut stecken möchte, meine liebe Jungfer Amsel geborene Erle!“

Sie sah ihn ganz erstaunt an.

„Will Er mich vielleicht schimpfen he? Das lasse Er nur immer bleiben!“

„Schimpfen? Fällt mir gar nicht ein! Warum denn?“

„Weil Er mir einen so albernen Namen gibt!“

„Das ist ja der Ihrige, den Sie mir selber gesagt hat!“

„Jungfer Zeißig, geborene Linde, habe ich gesagt!“

„Bomben und Granaten! Ich wußte wohl, daß es ein Vogel und ein Baum war, aber ich habe mir nur die richtigen nicht gemerkt, das ist der Fehler.“

„Wenn es so ist, will ich es Ihm für dieses Mal nicht anrechnen, aber für später mag Er es sich besser merken. Jetzt kann Er hinausgehen und sich einen Stand aussuchen. Ich werde wohl so viel Zeit übrig behalten, um einige Scherren, Messer und Anderes für ihn auszulesen.“

Er verließ die Küche und ging hinaus in den Hof. Dort besah er sich die Stallungen und Scheunen, während die Knecht und Mägde von den Feldern heimkehrten. Zu seinem Karren zurückkehrend, sah er zwei Männer, welche vor demselben standen und ihm den Rücken zukehrten. Als sie seinen Schritt vernahmen, drehten sie sich um. In jedem von den drei Gesichtern spiegelte sich die Ueberraschung ab.

„Waldow, Hammer! Ihr verfluchten Hallunken Ihr, was habt Ihr denn in Allstädt zu suchen?“

„Wir tagelöhnern hier, Durchlaucht,“ antwortete Waldow.

„Halte den Schnabel, Kerl! Sagst Du noch einmal Durchlaucht, so pfeife ich Dir Eine in das Gesicht, daß Du denkst, Du hast

1238.

zweiunddreißig Elephantenzähne drinnen! Was Ihr hier wollt, das weiß ich sehr genau: Mit den Schweden wollt Ihr dunkelmunkeln!“

„Straf mich Gott, das ist nicht wahr! Und da Ihr so kommt, so will ich aufrichtig sagen, was wir hier wollen. Wir haben gewußt, daß Ihr als Schleifer nach Allstädt wollt, und weil das gefährlich ist, sind wir nach, damit Ihr doch Jemanden habt, auf den Ihr Euch verlassen könnt, wenn etwas schief gehen sollte.“

„Höre Er, ist das wahr oder ist es nur eine verfluchte Finte?“

„Habe ich meinem Generale jemals eine Finte gemacht?“

„Nein, das ist wahr!“

„So könnt Ihr mir auch hier glauben.“

„Aber ich habe Euch fortgejagt!“

„Der Teufel soll mich holen, wenn Ihr uns nicht auch wieder annehmt!“

„Hallunke! Du sprichst ja, Gott stärke mich, wie Einer, der nur zu reden braucht! Na, ich werde Euch einmal auf die Probe stellen.“

„Thut es! Wir werden sie bestehen.“

„Wollen sehen! Also merkt auf, was ich Euch sage! Ihr thut jetzt, als ob die Arbeit Euch nicht gefällt, und macht Euch auf die Socken. Ihr lauft hinüber nach Blankenfelde zum Major Hagen. Morgen Abend punkt halb Elf muß er mit fünfzig Mann hier hinter dem Gute stehen. Diese Leute müssen durch feindliches Gebiet. Er wird also für Civilkleider sorgen, nur lauter zuverlässige Männer nehmen und sie den Weg ganz vereinzelt machen lassen. Wenn der Major auf die Minute hier ist, so habt Ihr Eure Scharte ausgewetzt, Waldow, und Du magst meinetwegen Feldwebel werden. Jetzt aber packt Euch fort, Ihr Ungeziefer, sonst merken diese Leute, daß wir uns kennen.“

„Aber nehmt Euch in Acht bis da­hin — —“

„Will Er Himmelhund wohl gleich verduften, he, oder soll ich Ihm Beine machen, daß Er in einem Athem läuft von hier bis nach Konstantinopel?“

Die Zwei gingen davon und benutzten die erste Gelegenheit, das Gut heimlich zu verlassen. Nach einiger Zeit kam der Verwalter zu dem Schleifer.

„Hier bringe ich Ihm Verschiedenes zum Ausbessern, aber Er braucht sich damit nicht sehr zu beeilen!“

„Wird dennoch noch heute gemacht. Morgen ist Feiertag, an dem ich nicht arbeite.“

„Ganz wie Er will. Standen nicht die beiden neuen Tagelöhner vorhin bei Ihm?“

„Ja.“

„Ich sehe sie nicht mehr. Wovon sprachen sie?“

„Davon, daß ihnen das Ding nicht recht gefallen wollte. Es wäre keine Ordnung hier auf dem Gute.“

„Aha, lüderliches Pack. Sie sind auf und davon. Landstreicher, nichts weiter!“

Nach und nach brachten auch einige der Knechte und Mägde Verschiedenes zu schleifen, und er begann. Zuschauer gab es nicht, da Alle sehr beschäftigt waren. Gegen Abend kehrte der Herzog von Merseburg an der Seite des Obristen zurück. Ihre Zimmer waren in Ordnung, wie ihnen die Wirthschafterin meldete.

„Das Fräulein zurück?“ frug der Herzog.

„Noch nicht.“

„Melde Sie es mir sofort, wenn sie kommt! Und jetzt besorge Sie uns etwas zu essen!“

Eine halbe Stunde später saßen die beiden Herren bei Tische und unterhielten sich von den Plänen, welche morgen hier zur Sprache kommen sollte. Sie wurden hier und da durch ein schallendes Gelächter unterbrochen, welches vom Hof heraufschallte.

„Was gibt es da unten?“ frug der Herzog, als die Wirthschafterin eine neue Schüssel brachte.

„Es ist ein Schleifer da, ein possierlicher Grobsack, mit dem sich das Volk, das meistenteils nun Feierabend hat, unterhält. Sie fragen ihn ob er singen kann, aber er hat keine rechte Lust dazu.“

In diesem Augenblicke ging unten etwas los, für was man unmöglich einen Namen haben konnte; es war kein Reden, kein Brüllen, kein Singen, und es war doch Alles dies zusammen. Die Fenster waren geöffnet, und man konnte jedes Wort deutlich verstehen:

„Der Schleifer ist allzeit ein Mann,

Den man nicht gut entbehren kann.

Arbeitet wie ein Droschkenpferd,

Und gilt doch keinen Heller werth.

Denn man dreht drinnen dem Hans Tapp

Die schwer ersparten Groschen ab.

Das niederträcht’ge A-B-C

Schmeckt unbedingt nach Alloë,

Wobei es hier und da gelingt,

Daß man ihn auf das Trockne bringt.

In dieser Art Philosophie

Kaut er an seinem Kniff;

Er legt die Elle übers Knie

Und applizirt ihr Schliff.“

Der Herzog sah den Obristen erstaunt, und dieser ebenso erstaunt den Herzog an.

„Unser Schleiferlied!“ meinte überrascht der Merseburger. „Aber wie! Das klingt ja, als würde es von einem Hahn, einer Katze, einem Löwen und einer Klarinette unisono gekräht, gemiaut, gebrüllt und gepfiffen. Und diese Verse! Hört!“

Unten fuhr der Sänger mit donnernder Stimme fort:

„Wohnt einmal Einer in der Stadt,

Der gar zu lange Finger hat.

Im Tintenfasse schwimmt das Thier,

Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier.

Und wer das Einmaleins verdaut,

Der stirbt auch nicht an Sauerkraut.

Und wo er selbst nicht helfen kann,

Da packen andre Kräfte an.

Man sagt, daß es ein Bankhaus sei,

Doch ists die höh’re Schleiferei.

Und klagt und schimpft und jammert er

Bei dem verbotnen Griff,

So stürzt ein Paragraph daher

Und kriegt nun selber Schliff!“

Ein kröhlendes Gelächter war der Lohn für den ungewöhnlichen Vortrag. Droben sahen sich die beiden Herren noch immer erstaunt an. Die Wirthschafterin war wieder fortgegangen und lauschte von der Küche aus auch auf den Gesang, aus welchem kein einziger Mensch klug werden konnte. Eben begann der Schleifer wieder:

„Ich kenne ein Amphibium,

Heißt Redakteur und ist nicht dumm.

Bei Tage bleibt er stets zu Haus

Geht nur im Dunkelmunkel aus.

So war es schon zu Adams Zeit,

So bleibt es auch in Ewigkeit.

Der Prinzipal kniff gerne ex,

Doch faßt ihn Polyp multiplex.

Zu spät ins Bett, zu früh heraus,

Das halte doch der Teufel aus!

Jetzt brummt er in der Einsamkeit

Mit eisenfestem Griff,

Und für das Schleifen früh’rer Zeit

Sorgt er für bessern Schliff.“

„Wahrhaftig unser Lied, aber zum Tollwerden! Sollte der Lieutenant Seeström sich den Spaß gemacht haben, seine Verse einem Menschen zu geben, der sie nicht in der gehörigen Reihenfolge behalten kann?“

(Fortsetzung folgt.)
1369.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

„Das ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Ich traue es ihm nicht zu. Diese Art von Menschen, welche sich Dichter nennen, haben ein eigenes Ehrgefühl, welches sie sicher abhält, ihre Reime in solche Hände kommen zu lassen. Wahrhaftig, es ist noch nicht alle; der Kerl fängt wieder an. Hört, Obrist!“

„Bei einem wohlbekannten Haus

Fliegt Geld hinein, Papier heraus,

Wobei es hier und da gelingt,

Daß man es auf das Trockne bringt.

Der Frau gebührt natürlich Recht,

Sie ist das schönere Geschlecht,

Ist aller Straßenlampen Feind

Und liebt den Mond, wenn er nicht scheint.

Der Sündenbock für alle Welt,

Auf halbe Ration gestellt,

Hat eine Zunge spitz und scharf

Und quakt was man nicht quaken darf.

Doch leider wird sie auch ertappt,

Mit ihrem Meister Pfiff;

Ein Gänsedarm hat zugeschnappt

Und kriegt nun selber Schliff.“

In das Lachen, welches unten erschallte, wurde auch oben eingestimmt.

„Das ist mehr als kurios!“ rief der Herzog. „Den Kerl möchte ich sehen.“

„Gehen wir einmal hinunter, Hoheit?“

„Wenn Ihr mitwollt, ja. Kommt!“

Sie kamen in den Hof. Es war gerade noch so hell, daß der Schleifer seine Arbeit so leidlich verrichten konnte. Er drehte den Stein mit dem Fuße und sang dabei:

„Der Meister und die Meisterin,

Die haben oft gar eignen Sinn;

Der Meister findet weit und breit

Gar manche Ungeschliffenheit.

Der Lehrling ist ein Aschenbrod,

Hat wenig Freud und sehr viel Noth.

Weil er sich da nur nutzlos quält,

Wo Schärfe, Schnitt und Rundung fehlt,

Bis er, Kreuzhimmelelement,

Ein fremdes Port’monnaie umrennt.

Doch dazu fehlt dem Grobian

Ein widerspenst’ges Schiff,

Man schafft sich einen Hausfreund an

Und gibt ihm bessern Schliff.“

Die zwei Herren waren während der letzten Verse etwas näher getreten. Da faßte der Herzog den Obristen beim Arme.

„Himmel! Wer ist denn das! Kennt Ihr ihn, Herr Obrist?“

„Nein.“

„Kommt rasch zurück, daß er mich nicht bemerkt!“

Er zog ihn unter den Eingang, wohin das Auge des Schleifers nicht reichen konnte und meinte dann in sehr angelegentlichem Tone:

„Welch ein Fall! Obrist, wir machen hier einen Fang, der den Erfolg aller unserer Pläne und Intentionen auf das Beste sichert!“

„Einen Fang? Welchen?“

„Rathet?“

„Wie kann ich rathen.“

„So hört und staunet: Dieser Schleifer ist kein Anderer, als der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, wie er leibt und lebt!“

„Hoheit, unmöglich.“

„Ganz gewiß! Wir haben uns zwar noch nie gesprochen, und daher mag es kommen, daß er denkt, ich kenne ihn nicht; aber ich habe ihn dennoch oftmals gesehen und kenne ihn sehr genau.“

„Ihr müßt Euch täuschen.“

„Nicht im Geringsten! Habt Ihr noch nie gehört, wie gern er verkleidet im Lande umherzieht, um zu horchen wie es steht? Habt Ihr noch nie gehört, daß er nicht im Stande ist, nur zehn Worte richtig auswendig zu lernen? Habt Ihr noch nie gehört, daß es ihm unmöglich ist, eine Melodie zu merken oder auch nur einen richtigen Gesangston hervorzubringen?“

„Allerdings habe ich das gehört.“

„Nun! Und den Grund könnt Ihr Euch doch auch denken, warum er in dieser Gegend herumschleicht. Diesen Scharfsinn muß ich Euch jedenfalls zutrauen.“

Der Obrist nickte mit dem Kopfe. Er schien jetzt überzeugt zu sein, daß sich der Herzog nicht geirrt habe. Dieser fuhr fort:

„Und Ihr erkennt auch den unendlichen Vortheil, welcher uns erwachsen muß, wenn wir ihn dingfest machen können?“

„Das versteht sich!“

„Seid Ihr dabei?“

„Auf der Stelle!“

„Aber Ihr begreift, daß ich mich wenigstens offiziell rein halten muß?“

„Das begreife ich sehr. Die Schweden haben diese Provinz besetzt; dieser General einer Macht, die wir jetzt nicht für eine uns freundliche erklären können, schleicht sich mitten in unsere Kantonnirung ein. Ich habe nicht nur das Recht, sondern sogar die strenge Verpflichtung ihn gefangen zu nehmen.“

„Aber ohne alles Aufsehen!“

„Habt da keine Sorge, Hoheit. Ich bin sehr überzeugt, daß der Fürst sein Inkognito nicht preisgeben wird. Ich nehme also nur einen verdächtigen Schleifer gefangen, und das Uebrige wird sich dann von selbst ergeben. Aber wie kommt er zu diesem Liede?“

„Mir ein Räthsel!“

„Ob Seeström eine Abschrift davon bei seiner kürzlichen Flucht aus Halberstadt bei sich gehabt und verloren hat?“

„Schwerlich. Ich befürchte vielmehr, daß Wachtmeister Roller eine Unvorsichtigkeit begangen hat und dem Dessauer in die Hände gefallen ist.“

„Das wäre verdammt! Aber in diesem Falle läßt sich vermuthen, daß der Fürst den Karren des Wachtmeisters benutzt; ich habe diesen ja gesehen, und werde mich überzeugen.“

„Aber wie greifen wir ihn. Es ist ein verwegener Geselle.“

„Das ist sehr einfach. Ihr geht hinauf in das Nebenzimmer, wo Ihr die ganze Verhandlung mit anhören könnt. Ich lasse ihn zu mir kommen, während ich noch unten bleibe und den Karren besehe. Dann bringe ich mir gleich so viel Knechte mit, daß er keinen Widerstand zu leisten vermag.“

„So mag es gehen. Aber wohin stecken wir ihn?“

„Ihr kennt die Räumlichkeiten dieses Hauses besser als ich. Bestimmt Ihr das!“

„Hier im Flur gibt es ein Gewölbe, welches ein ganz kleines und vergittertes Fenster hat; die Thür ist aus starkem Eichenholze und

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mit sehr sicheren Riegeln versehen, das Schloß gar nicht gerechnet. Hier könnte er nicht entkommen. Bis morgen früh steckt er da vollständig sicher.“

„Warum nur bis morgen früh? Ich halte es für vortheilhafter, wenn wir ihn bis zur Ankunft des Königs und des Grafen hier behalten.“

„Ihr habt Recht. Also wollen wir beginnen. Ich gehe nach oben. Macht Eure Sache gut!“

Einige Minuten später trat die Wirthschafterin zu dem noch immer von dem sämtlichen Gesinde umgebenen Schleifer.

„Höre Er, Er könnte nun aufhalten. Es ist ja so dunkel, daß Er gar nichts mehr sehen kann!“

„Ja, Sie hat Recht, meine gute Jungfer Bachstelze, geborene Akazie. Macht Platz, Jungens, daß ich meinen Karren wieder in die Remise bringe!“

„Was fällt Ihm denn ein, he, mich wieder so zu nennen?“ rief die Beleidigte, indem sie sich breit und drohend vor ihn hinstellte.

„Einfallen? Was denn? Sie hat mir ja gesagt, das Sie so heißt!“

„So! Na, wie heiße ich denn?“

„Na, glaubt Sie etwa, daß ich mir Ihren Namen nicht merken kann?“

„So sage Er ihn doch!“

„Den kann Sie hören: Jungfer Drossel, geborene Nußbaum!“

Ein dröhnendes Gelächter war die Folge dieser Verwechselung. Selbst die Wirthschafterin lachte ihren Aerger mit fort.

„Er ist ein Dummrian wie es keinen Zweiten wieder gibt!“

„So? Aaach! Ein Dummrian? Sage Sie das noch einmal, so fahre ich Ihr mit dieser Schinkengabel in die Physiognomie, daß Sie auf der Stelle die Maulsperre kriegt, Sie altes Feuereisen, geborene Kachelofen!“

„Schimpfe Er nicht, denn das kann ich nicht vertragen, Er alter langer Gabriel!“

„So, wer hat zuerst geschimpft, Sie alte buckelige Melusine, Sie! Warum kommt Sie denn her; was will Sie denn eigentlich von mir?“

„Meine Messer und Scheeren will ich!“

„Die werden erst morgen fertig. Solche Sachen macht man nicht in einem Schweineathem aus, verstanden?“

„So komme Er!“

„Wohin?“

„Hinauf zum gnädigen Herrn Obristen.“

„Was soll ich da?“

„Er hat Sein schönes Lied gehört und will Ihm seine Anerkennung aussprechen.“

„Seine Anerkennung? Darnach frage ich den Teufel. Er mag sie auf Leinwand schmieren, und Jemandem auflegen, der einen Karfunkel hat. Ich brauche kein solches Pflaster. Ich singe für mich und für keine Maulaffen.“

„Na, meinetwegen; aber er will Ihm ein Messer aushändigen, welches Er scharf machen soll.“

„Das ist etwas Anderes; das hole ich mir. Führe Sie mich zu ihm!“

„So komme Er. Aber sei Er mit dem Herrn Obristen höflicher als mit mir!“

„Kommt nicht auf mich an, sondern nur auf ihn. Vorwärts marsch!“

Sie schritt voran, und er folgte ihr die Treppe empor bis in das Zimmer, in welchem die Herren gesessen hatten.

„Warte Er einen Augenblick. Der Herr Obrist wird gleich kommen!“

„Nur nicht zu lange! Versteht Sie mich?“

Sie ging, und er setzte sich mit einer Nonchalance auf den nächsten Stuhl, als ob dieses Zimmer für ihn bestimmt sei. Nach kurzer Zeit trat der Obrist ein. Er betrachtete sich den Schleifer mit einem Blicke, dessen Ausdruck nicht zu entziffern war.

„Er ist der Schleifer von da unten?“

„Hm, jetzt bin ich der Schleifer von hier oben!“

Der Obrist lächelte.

„Zugestanden! Wo ist Er denn eigentlich zu Hause?“

„Aus dem Bückeburgischen.“

„Und wie heißt er?“

„Friedrich Langer.“

„Hat Er eine Legitimation mit?“

„Versteht sich!“

„Zeige Er sie einmal vor!“

„Hm, wo hat mich denn da diese Jungfer Krähe geborene Weide hingeführt?“

„Wie so?“

„Sie wollte mich doch zum Obristen Börjesson bringen!“

„Der bin ich ja!“

„Der — —? Ach so! Ich dachte, Er wäre der Büttel von Allstädt, weil Er nach meiner Legitimation fragt. — Na, schadet nichts! Er erniedrigt sich wohl auch nicht viel, wenn Er dem Büttel einmal die Arbeit versorgt. Hier ist der Wisch!“

Der Obrist prüfte die Legitimation. Sie stimmte genau mit den gemachten Angaben. Doch wußte der Schwede recht gut, daß es dem Fürsten von Anhalt nicht schwer fallen könne, sich eine solche Legitimation zu verschaffen.

„Richtig! Woher hat Er denn das Lied, welches Er vorhin sang?“

„Gehört.“

„Von wem?“

„Von einem andern Schleifer.“

„Wo?“

„Weiß nicht mehr. Der Teufel mag sich die Namen der ganzen Nester merken, in denen man geschliffen hat!“

„Und woher hat Er den Karren, mit welchem Er arbeitet?“

„Von zu Hause.“

„Aus dem Bückeburgischen?“

„Ja.“

„Er sagt mir die Wahrheit nicht.“

„Wie so?“

„Diesen Karren hat Er erst seit einigen Tagen.“

„Wer hat Ihm das weiß gemacht?“

„Niemand. Ich weiß es selbst. Höre Er, mit Ihm hat es keine guten Wege!“

„Da fahre ich!“

„Der Karren, den Er hat, gehört einem Schleifer, der seit einigen Tagen spurlos verschwunden ist!“

„Der Karren gehört mir, und wenn Einer verschwinden will, so brauche ich ihn nicht zu halten.“

„Man vermuthet, daß der Mann ermordet worden ist.“

„Wohl von seinem Karren?“

„Spotte Er nicht! Ich habe Seine Grobheiten bis jetzt übersehen, doch das thue ich nicht länger. Woher hat Er den Karren?“

„Ich habe es bereits gesagt.“

„Das ist eine Lüge. Es ist der Karren des ermordeten Schleifers. Ich muß Ihn verhaften, um die Sache untersuchen zu lassen.“

„Er? Mich verhaften, Er Himmelhund?“ donnerte Leopold, indem er einen Schritt auf den Obristen, welcher unwillkürlich zurückwich, zutrat. „Er wäre mir der Kerl dazu! Er hat hier den Teufel zu sagen!“

„Das ist meine Sache! Er ist mein Gefangener, und damit basta! Wenn Er sich nicht gutwillig fügt, mache ich kurzen Summs mit Ihm!“

„Er mit mir? Wage Er es mich anzurühren, so werde ich Ihn besummsen, daß Ihm die Seele in lauter Nudeln aus dem Leibe fährt. Her mit meinem Wisch!“

Er riß dem Obristen die Legitimation aus der Hand und öffnete die Thür. Draußen standen sämmtliche Knechte, wohlbewaffnet.

„Was ist denn das, he?“ frug Leopold sich zurückwenden. „Das sind wohl die Häscher, welche Er Judas Ischarioth auf mich hetzen will? Wer hindert mich, Ihm Eins auf die Nase zu geben, daß Ihm das große Einmaleins sechs Jahre lang im Kopfe herumwirbelt? Aber ich durchschaue Ihn, und werde mich den Teufel hüten, mich mit diesen Christians und Traugotts herumzuschlagen. Gut, ich bin Sein Gefangener. Ein Schleifer macht sich nichts daraus, wenn er einmal in die Patsche geräth; er weiß sich wieder herauszudrehen; Er aber, Er schwedischer Lausewenzel Er, soll sicher nicht gleich wieder herausgerathen, wenn Er einmal bis über die Ohren in der Tinte sitzt; darauf kann Er sich verlassen, jetzt und in alle Ewig­keit!“ — — —

III.Herausgebissen.

Am nächsten Tage, als am Sonntage Nachmittags, ritten zwei Männer auf dem Vizinalwege dahin, welcher nach Allstädt führte. Der Eine war in einen militärisch geschnittenen Rock gekleidet, mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre zählen und hatte ein vollständig bartloses Gesicht, aus welchem jedoch ein Paar Augen blitzten, welche dem Gesichte einen sehr bedeutenden Ausdruck gaben. Der Andere

1399.

war viel älter und trug sich in Civil, seine Züge verriethen einen tief denkenden, sich in ruhigem nachhaltigem Wirken gefallenden Geist.

„Und was sagst Du zu diesem Plane, Piper?“ frug der Jüngere.

„Wenn er gelingt, Majestät, so macht er Euch zum Herrn des ganzen nördlichen Deutschlands, und Ihr könnt Euren Feinden diejenigen Grenzen diktiren, hinter welche Ihr sie zurückdrängen wollt.“

Der Sprecher war der schwedische Reichsrath Piper, der bekannte Freund und Rathgeber des zwölften Karls von Schweden.

„Deine Zustimmung erfreut mich,“ meinte der letztere. „Ich weiß, daß ich dieses Mal nicht den gewohnten geraden Wege gehe, aber ich habe mich entschlossen ihn zu betreten, weil er mich am schnellsten zum Ziele führt.“

„Wer hat diesen Plan entworfen?“

„Nicht ich, denn ich mag niemals mit fremden Federn schmücken. Er stammt von dem Obristen Börjesson, der sich dann auch alle mögliche Mühe gegeben hat, ihn zur Ausführung zu bringen. Ich werde seinen Eifer belohnen.“

„Wodurch?“

„Nach dem Gelingen unseres Vorhabens mache ich ihn zum Generale, und bereits jetzt gebe ich ihm eine Frau, die er sich von mir erbeten hat.“

„Von Euch? Habt Ihr ihre Hand zu vergeben?“

„Eigentlich nicht, aber die Umstände geben mir die Macht dazu.“

„Das klingt, als ob er diese Hand freiwillig nicht erhalten würde.“

„So ist es auch. Sie liebt ihn nicht.“

„Ich könnte ihn auch nicht lieben. Wer ist das Mädchen?“

„Ein Fräulein von Boberfeld; ihr Vater war Obrist in preußischen Diensten.“

„Ah! Er starb in den Niederlanden?“

„Ja.“

„Der Freund des Dessauers?“

„Derselbe.“

„So ist der Herzog von Merseburg ihr Vormund?“

„Ja.“

„Ist es edel von Borjesson, sich die Hand eines Mädchens zu erzwingen, welches ihm ihre Liebe und vielleicht auch ihre Achtung versagt?“

„Ich kann darüber nicht urtheilen, denn Du weißt, ich hasse die Frauen. Ein Freund wie Du ist mir mehr werth als alle Frauen der Welt. Und darum hast Du mir mit Deiner Reise von Schweden hierher eine Freude bereitet, welche ich Dir hoch anrechnen werde. Uebrigens was diese Boberfeld betrifft, so verhält sie sich nur deshalb abweisend zu dem Obristen, weil sie eine kleine Liebelei mit einem meiner niederen Offiziere angesponnen hat.“

„Mit wem?“

„Mit Erich Seeström.“

„Dem Sohne von Axel Seeström?“

„Ja.“

„Das ist ein nicht nur körperlich, sondern auch geistig ausgezeichneter junger Mann, der Karrière machen wird, obgleich er einer armen Familie angehört.“

„Ich weiß es. Er hat mir bereits verschiedene Aufgaben von großer Schwierigkeit gelöst, und ich stehe im Begriffe ihm einen Auftrag zu ertheilen, dessen gute Ausführung ihm viel nützen wird. Ich sende ihn nach Warschau.“

„Wenn?“

„Morgen.“

„Weiß er davon?“

„Noch nichts.“

„Ich verstehe! Dann ist er dem Obristen aus dem Wege geräumt. Majestät, ich würde dies nicht thun!“

„Ich verbinde mir dadurch nicht nur den Obersten, sondern auch den Herzog und den Grafen von Mansfeld. Ich kenne meine Handlungen. Es muß jede einzelne von ihnen beurtheilt werden nach dem Zusammenhange mit den andern, mit denen sie eine geschlossene Kette bildet, die mir zur Fesselung meiner Feinde dient. Hier ist Allstädt. Ich hoffe, daß die Andern bereits anwesend sind.“

Sie ritten in den Hof des Gutes ein. Da ihre Ankunft bemerkt worden war, kam ihnen der Obrist mit dem Herzoge und dem Mansfelder, welcher bereits auch eingetroffen war, entgegen, um sie zu empfangen.

Kurze Zeit später schritten zwei andere Männer auf demselben Wege dahin. Auch hier war der eine jünger als der andere. An dem herkulischen Gliederbau war Erich von Seeström und an dem

von einem dunklen Barte bewaldeten Gesichte der schwarze Klas, Feldwebel Baldauf leicht zu erkennen.

„Also es ist wirklich wahr von dem Börjesson?“ frug Erich.

„Ja, Herr Lieutenant. Er ist gestern Mittag fort und bis heute noch nicht zurückgekehrt. Sein Bursche sagte, daß er nach Allstädt sei.“

„Und ohne Bedienung?“

„Ja.“

„Auffällig.“

„Und zwar hat er sich durch sein Faktotum, den Korporal Malholm dort anmelden lassen. Ich habe es von dem Korporal selbst erfahren.“

„Was hat das Fräulein gesagt?“

„Daß ihr der Obrist willkommen sei, sie habe ihn längst mit Sehnsucht erwartet.“

„Lüge! Grade das Gegentheil hat sie gesagt, dafür will ich mit meinem Leben einstehen. Dieser Malholm weiß, daß Du mir Alles wiedersagst, und hat mich ärgern oder gar mit dem Fräulein veruneinigen wollen. Ehe wir nach dem Gute gehen, kehren wir erst im Dorfe ein. Dort werden wir erfahren, ob sich der Obrist bei dem Fräulein befindet oder nicht.“

Das Dörfchen bestand aus nur einigen Bauerngütern und Häusern. Ehe sie es erreichten, sahen sie einen Mann langsam seitwärts vom Felde kommen.

„Der Wirth! Der wird uns Auskunft geben können.“

Sie versuchten ihn einzuholen, dies gelang ihnen aber erst, als er seinen Garten bereits erreicht hatte.

„Ah, der Herr Lieutenant!“ meinte er. „Wollt Ihr auch auf das Schloß?“

„Auch? Das klingt ja, als ob bereits Wer dort sei?“

„Will es meinen!“ antwortete der Wirth mit wichtiger Miene.

„Wer ist es?“

„Ihr wißt es wirklich nicht, Herr Junker?“

„Nein.“

„So muß ich es Euch freilich sagen: Der König.“

„Der König?“ frug Erich erstaunt. „Welchen König meint Ihr denn?“

„Wir haben ja jetzt nur einen König hier, Euren König, den König von Schweden.“

„Das ist wohl nicht gut möglich. Was will der König auf Allstädt?“

„Weiß es nicht.“

„Er hat sich eine Unwahrheit aufbinden lassen!“

„Dann müßte ich sie mir selber aufgebunden haben. Ich habe ihn nach dem Gute gehen sehen.“

„Kennt Er ihn denn genau?“

„Will es meinen! Habe ihn oft genug in der Stadt gesehen, und zwar erst gestern noch mit dem Regentschaftsvikar Piper, der heut auch mit ist.“

„Wenn dies wahr ist, so muß es allerdings etwas höchst Wichtiges geben.“

„Könnt Euch darauf verlassen!“

„Sind noch andere Herren da?“

„Ja.“

„Wer?“

„Der Graf von Mansfeld, der Herzog von Sachsen-Merseburg und der Obrist Börjesson. Der erstere ist heut Vormittag gekommen, die beiden andern aber schon gestern.“

„Alle Wetter, das Fräulein ist zu Hause?“

„Ja.“ Und mit gutmüthig verschmitzter Miene fuhr er fort: „Sie ist auch erst heute Vormittag gekommen, denn gestern ist sie vor dem Herrn Obersten ausgerissen.“

„Weiß Er das genau?“

„Sehr. Die Kammerzofe ist meine Base; die macht mir keine Lügen. Es gibt auf dem Gute heut noch mehr Sonderbares.“

„Er will mich neugierig machen!“

„Schadet aber nichts, denn ich kann diese Neugierde auch stillen.“

„Nun?“

„Gestern haben sie einen Scheerenschleifer gefangen genommen.“

„Weshalb?“

„Weil er einen andern Schleifer todt geschlagen und ihm den Karren und die Lieder abgenommen hat.“

„Die Lieder?“

„Ja. Die hat er hier gesungen, und davon ist es herausgekommen.“

Der Lieutenant wurde aufmerksam.

„Weiß Er was es für Lieder gewesen sind?“

Es soll gar wunderbar sein was er gesungen hat. Die Base

1409.

hat Alles mit angehört und gar sehr lachen müssen. So hat es zum Beispiel darin geheißen:

„Der Frau gebührt natürlich Recht,

Sie ist das schönere Geschlecht.“

dann ferner:

„Im Tintenfasse schwimmt das Thier,

Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier.“

und auch:

„Denn wer das Einmaleins verdaut,

Der stirbt auch nicht am Sauerkraut.“

„Klingt das nicht possirlich? Und nun steckt er unten im Gewölbe, und ein Knecht muß stets Wache vor der Thüre stehen, daß er nicht echappiren kann. Gehen die Herren einmal mit herein? Ich habe ein frisches Faß angesteckt!“

„Wir gehen mit,“ antwortete der Lieutenant nachdenklich.

„Ich führe Euch durch die Küche gleich in die Herrenstube.“

Dieses geschah. Das Herrenstübchen war von der gewöhnlichen Gaststube durch eine Glasthüre getrennt, welche keinen Vorhang hatte. Eben wollte sich der Lieutenant setzen, als der Feldwebel beinahe erschrocken seinen Arm ergriff.

„Herr Junker!“

„Was?“

„Seht durch die Thür!“

Der Lieutenant warf einen Blick durch die Glasscheibe und fuhr zurück.

„Alle Wetter!“

„Was denn?“ frug der Wirth.

„Dieser Tabuletkrämer ist ein Bekannter von uns.“

„Soll ich ihn herausschicken?“

„Nein, um keinen Preis! Wirth, ich muß Ihm sagen, daß Er mir einen großen Gefallen thun kann!“

„Sehr gern, wenn es mir möglich ist.“

„Sagt diesem Krämer nicht, daß ich hier bin; verschweigt ihm auch, daß die Herrschaften sich auf dem Gute befinden, und versucht es, ihn nur eine Viertelstunde aufzuhalten, bis ich wiederkomme. Baldauf, passe auf ihn auf. Daß Du ihn mir ja nicht aus den Augen lässest!“

Er verließ das Zimmer durch die Küche und eilte mit raschen Schritten nach dem herrschaftlichen Gute. Dort trat ihm die Wirthschafterin entgegen.

„Der Herr Lieutenant!“

„Ja. Ist das gnädige Fräulein zu Hause?“

„Ja.“

„Wo ist sie?“

„In der blauen Stube bei den Herren.“

„Kennt Sie diese Herren?“

„Nicht alle.“

„Ich muß hinauf.“

„Halt, das ist verboten!“

„Warum?“

„Der gestrenge Herr Herzog haben gesagt, daß kein Mensch Zutritt haben soll, er mag heißen wie er will.“

„Das gilt nicht für mich.“

„Oh, für Euch auch, denn der Herr Obrist hat das hinzugefügt.“

„Ah! Und dennoch gehe ich hinauf!“

„Ihr dürft nicht!“

Sie wollte ihn beim Aermel zurückhalten, brachte es aber nicht fertig.

„Herr mein Heiland, ist das eine Noth und eine Sorge! Wer soll das aushalten? Da soll er nicht hinauf und rennt dennoch hinauf. Ueber wen wird man dann herfallen? Ueber mich! Das ist ja eine ganz heillose Geschichte, eine Unordnung, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!“

Oben trat der Lieutenant ein. Die Herren saßen um die Tafel, hatten allerlei Karten, Pläne und Skripturen bei sich und vor ihnen stand die Herrin des Hauses in einer Haltung und einer Miene, welche sehr kampfbereit aussah. Bei seinem Anblicke erhoben sich die Herren alle.

„Lieutenant Seeström,“ rief der König in strengstem Tone.

„Majestät!“

„Weiß Er, daß der Eintritt hier verboten wurde?“

„Die Wirthschafterin sagt es.“

„Und Er wagt es meinen Befehl zu übertreten?“

„Majestät, der Grund wird mich entschuldigen.“

„Es gibt keinen Grund, der einen solchen Ungehorsam entschuldigen könnte. Ich werde Ihn bestrafen lassen! Herr Obrist!“

„Majestät!“

„Lieutenant Seeström erhält eine Woche Stubenarrest!“

Das Auge des Junkers blitzte zornig auf.

„So mag der Fang zum Teufel gehen! Majestät, ich bedanke mich für die gnädige Strafe!“

Mit dröhnendem Schritte verließ er das Zimmer.

„Lieutenant!“ erklang es hinter ihm.

Es war der König. Er mußte umkehren.

„Majestät!“

„Mache Er die Thür wieder zu! Von welchem Fange sprach Er?“

„Ich habe soeben den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen im Inkognito gesehen und er kannt.“

„Wetter! Er fabulirt!“

„Majestät, ich bin nüchtern!“

Es kam eine eigenthümliche Bewegung unter die Anwesenden. Der König frug:

„Wo hat Er ihn gesehen?“

„Hier in der Nähe. Das war der Grund, der mich entschuldigen sollte!“

Schnell hatte er sich umgedreht und war zur Thüre hinaus.

„Teufel, welch ein Benehmen! Obrist, eile Er ihm nach und bringe Er ihn zurück!“

Börjesson sprang davon, kehrte aber bereits nach einer Minute allein zurück. Sein Gesicht war vom Zorne geröthet.

„Nun, wo hat Er ihn?“

„Majestät, ich fordere Genugthuung! Dieser Mensch antwortet mir, daß er keine Achtung vor mir zu haben brauche; einem solchen Boten könne er nicht gehorchen.“

Bei diesen Worten blitzten die Augen der Herrin stolz und befriedigt auf. Der König ergrimmte sichtlich über den Widerstand des Lieutenants, aber es stand so viel auf dem Spiele, daß er sich beherrschte.

„Wer weiß, wie Er dem Junker gekommen ist.“

Er trat zum Fenster und öffnete es. Seeström hatte bereits das Thor erreicht.

„Lieutenant von Seeström!“

„Majestät!“ klang es von unten herauf.

„Ich befehle ihm zurückzukehren!“

„Zu Befehl!“

Er trat nach wenigen Augenblicken wieder ein. Der König fixirte ihn lange mit finstern Blicken, dann sagte er:

„Ich will ihm den Stubenarrest erlassen. Wo ist der Kronprinz?“

„In der Schenke hier.“

„Inkognito?“

„Als Tabuletkrämer.“

„Hat Er Seine Maßregeln getroffen, daß er nicht entkommen kann?“

„Feldwebel Baldauf bewacht ihn.“

„Wie viele Mann gebraucht Er, um ihn gefangen herzubringen?“

„Keinen als mich allein.“

„Warum hat Er ihn dann nicht gleich gebracht?“

„Einen Kronprinzen? Ohne Euer Majestät Erlaubniß oder Instruktion?“

„Er hat Recht! Ich vertraue ihm diese Mission an. Gehe Er und bringe Er ihn!“

Der Lieutenant trat ab und eilte nach der Schenke. In der Herrenstube angekommen sah er, daß der Tabuletkrämer noch anwesend war. Er hatte Mehreres an die Gäste abgesetzt und verschloß soeben seinen Kasten, um das Lokal zu verlassen.

„Du folgest mir nachher, Baldauf, daß er nicht fliehen kann.“

Mit diesen Worten trat er in das allgemeine Gastzimmer und legte dem Krämer, der ihm den Rücken zudrehte, die Hand auf die Achsel. Er wandte sich um.

„Donnerwetter, der Seeström!“ rief er erschrocken.

„Ja, der Seeström,“ antwortete Erich freundlich. „Willkommen hier zu Lande! Wie geht der Handel, Kamerad?“

Der Krämer hatte sich bereits wieder gefaßt.

„Schlechte Zeiten, man muß zufrieden sein!“

„Ja, ja. Wenn Er ein besseres Geschäft machen will, als hier, so folge Er mir!“

„Wohin?“

„Auf das herrschaftliche Gut.“

Das Gesicht des Krämers wurde ernster.

„Habe keine Zeit!“

„Einer Dame zu Liebe hat man allemal Zeit!“

„Fräulein von Boberfeld?“

„Ja, die Ihn wohl nicht fressen wird!“

„Habe keine Angst, aber auch keine Zeit, wie ich schon sagte!“

(Schluß folgt.)
15010.

Der Scheerenschleifer.

Originalhumoreske von Karl Hohenthal.

(Schluß.)

„Und ich habe Befehl Ihn mitzubringen, todt oder lebendig!“ antwortete der Lieutenant in scherzhaftem Tone; der Tabuletkrämer aber mußte erkennen, daß der strengste Ernst dahinter stecke.

Sollte er es auf einen Kampf ankommen lassen? Der Junker war ihm überlegen, und ein Schauspiel mußte auf alle Fälle vermieden werden.

„Gut, ich gehe mit!“

„So nehme Er Seinen Kasten!“

„Ich bin ermüdet. Ich werde ihn mir tragen lassen!“

„Mir auch recht.“

Gegen eine kleine Belohnung nahm einer der anwesenden Gäste den Kasten auf den Rücken, und die Beiden folgten.

„Sehe Er sich einmal um!“ meinte Seeström. „Kennt Er den, der hinter uns herkommt?“

Der Händler blickte sich um.

„Geht mich nichts an!“ antwortete er.

„Ist der Kasten in Halberstadt gemacht?“

„Halte Er das Maul!“

„Gut!“

Der Kronprinz that keinen Schritt, der zu der Annahme, daß er fliehen wolle, berechtigen konnte. Sie erreichten das herrschaftliche Gut; der Kasten wurde in den Flur niedergesetzt und der Prinz von dem Lieutenant nach oben geführt.

„Er tritt ab, bleibt aber zur Verfügung!“ bemerkte der König dem letzteren.

Seeström trat ab. Es war kein Mensch auf dem Korridore. Er wagte es an die Thür zu Annas Wohnzimmer zu gehen und zu klopfen. Sie öffnete.

„Erich!“

„Anna! Was passirt hier?“

„Ich weiß es nicht. Etwas politisch Wichtiges aber ist es.“

„Ihr habt bereits einen Gefangenen?“

„Ja.“

„Wer ist es?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wegen Mordes?“

„Ja. Er hat Dein Lied gesungen.“

„Ich muß kurz sein, denn der König kann jeden Augenblick rufen. Du hattest eine Scene mit den Herren gehabt?“

„Ja.“

„Ich sah es Dir an als ich eintrat. Was war es?“

„Ich habe mich gewehrt, mit aller Kraft.“

„Wogegen?“

„Gegen die Heirath mit dem Obristen. Der König und die Andern wollen mich zwingen.“

„Was war das Resultat?“

„Man gab mir noch zwei Stunden Bedenkzeit.“

„Ach! Und wenn Du nicht einwilligest?“

„Komme ich in ein Stift für alte adelige Fräuleins.“

„Was wirst Du thun?“

„Nicht heirathen und auch nicht in das Stift gehen.“

„Wohin sonst?“

„Nach Berlin zum Könige oder nach Dessau zum Fürsten. Beide nehmen sich sicher meiner an. Mein Vermögen soll dann, wenn ich nicht auf die Heirath eingehe, halb dem Herzoge, viertheils dem Mansfeld und viertheils dem Herrn Bräutigam zufallen abgerechnet die Summe, welche das Stift beanspruchen wird.“

„Schöner Plan! Sie wollen Dich wohl gleich mitnehmen?“

„Ja.“

„So willst Du fliehen?“

„Ja.“

„Ich gehe mit!“

„Wolltest Du?“ jubelte sie.

„Ja, zum Dessauer. Ich werde den Kronprinzen wieder befreien. Das ist kein Hoch-, kein Landesverrath und keine Desertion, das ist nur die einfachste Nothwehr. Für meine Treue bekam ich eine Woche Arrest; wer weiß, was später noch auf mich wartet. Wir besprechen das Weitere noch. Adieu, mein Leben!“

„Adieu, Erich!“

Kaum hatte er seinen Posten wieder erreicht, so wurde er gerufen.

In dem blauen Zimmer hatte sich unterdessen eine eigenthümliche Scene abgespielt. Der Kronprinz hielt es natürlich unter allen Umständen für gerathen, sein Inkognito festzuhalten. Er kannte sie Alle persönlich und war ebenso Allen wieder persönlich bekannt. Sie erhoben sich bei seinem Eintritte, nur Karl blieb sitzen.

„Monseigneur,“ meinte er mit einem ironischen Lächeln, „es ist eine eigenthümliche Audienz, Die ich Euch gegenwärtig ertheile!“

„Audienz? Alle Teufel, was ist das für ein Ding?“

„Ich hoffe nicht daß Euch Euer bekannter Starr­kopf — — —“

„Herr!“ donnerte der Krämer dazwischen hinein. „Wer seid Ihr?“

„Ich bin der König von Schweden!“

„Gut! Und ich bin ein armer Tabuletkrämer. Ihr habt mich kommen lassen. Was wollt Ihr von mir kaufen?“

„Ich ermahne Euch dringend, Euer Inkognito aufzugeben, da Ihr sonst als Derjenige behandelt werdet, für den Ihr Euch ausgebt!“

„Inkognito? Macht Euch nicht lächerlich! Inkognito gibt es nur bei sehr vornehmen Herren; wäre ich ein solcher, so würde ich nicht stehen bleiben, sondern mich setzen; wäre ich ein solcher, so würdet Ihr nicht sitzen bleiben, sondern so höflich sein aufzustehen. Verstanden, Herr König von Schweden? Basta, abgemacht!“

„Also Ihr seid ein Tabuletkrämer? Wie heißt Ihr?“

„Hier ist mein Hausirzettel, da steht Alles darauf. Macht es kurz!“

Der König nahm Einsicht in die Zeilen und frug darauf:

„Was wollt Ihr grad in dieser Gegend?“

„Kuriose Frage! Ehrlichen Handel treiben! Was aber wollt Ihr in dieser Gegend?“

„Zunächst habe ich hier zu fragen! Er schweigt, bis ich eine Antwort erwarte! Ist Er mit Erlaubniß Seines Vaters hier?“

„Gehe Er doch dahin, wo mein Vater ist, und frage Er diesen! Ich pflege mich nicht so wie Andere den Leuten zum Unfrieden und zur Molestation in der Welt umherzudrücken. Er wird wohl verstehen, wen ich meine!“

„Ein renitenter Kerl! Man wird Ihn aber zu packen wissen und Ihm zeigen, daß Er die Angelegenheiten Seines Herrn Vaters vollständig über den Haufen wirft!“

„Wird kein großer Haufe sein! Ich habe übrigens keine Zeit. Lasse Er mich gehen!“

„Daß man ein Thor wäre! Man wird sich Seiner Person versichern. Seeström!“

Auf diesen Ruf trat der Lieutenant ein.

„Dieser Krämer wird in dasselbe Gewölbe gebracht, in welchem sich bereits der Scheerenschleifer befindet. Er kommt dann wieder zu mir!“

Seeström führte den Kronprinzen ab, nahm der Wache den Schlüssel aus der Hand und öffnete. Der Kronprinz trat willig ein.

„Durchlaucht!“

„Hoheit!“

Diese beiden Rufe vernahm der Lieutenant, warf einen Blick in das Gewölbe und erkannte den Dessauer. Er hatte aber keine Zeit, seiner Ueberraschung Ausdruck zu geben; er mußte wieder nach oben.

Als er das blaue Zimmer wieder betrat, winkte ihm der König näher zu treten.

„Lieutenant von Seeström, Eure Umsicht, Tapferkeit und Treue hat mir schon öfters lobenswerthe Dienste erwiesen. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet und mache Euch hiermit zum Hauptmanne!“

„Majestät — —!“

„Schon gut! Ich bin überzeugt, daß ich mich auch ferner auf Euch verlassen kann, und will Euch einen Beweis meines unbeschränkten Vertrauens geben, indem ich Euch eine Mission ertheile, von deren Erfüllung sehr viel abhängt. Ihr geht nämlich nach Warschau, wo Eurer voraussichtlich ein längerer Aufenthalt wartet. Eure Instruktion ist bereits ausgefertigt. Ihr geht jetzt sofort zu meinem Sekretär, sie zu holen. Morgen früh müßt Ihr abgereist sein. Die Instruktion habt Ihr erst in Warschau zu öffnen. Lebt wohl!“

Er streckte ihm mit gnädigem Lächeln die Hand entgegen, Seeström aber ergriff sie nicht, sondern verbeugte sich kalt.

„Ja, lebt wohl, Majestät. Ich werde um meinen Abschied einkommen!“

„Wie! Höre ich recht?“ fuhr der König auf.

„Ich werde um meinen Abschied einkommen!“ wiederholte der Junker.

„Warum?“

„Weil ich Euch durchschaue, Majestät. Ich werde niemals ohne

15110.

Gegenwehr den Ort verlassen, an welchem ein gewisser Börjesson nicht am Platze ist.“

„Was will Er damit sagen?“

„Daß ich selbst einem Könige das Recht nicht zugestehe, in das Glück zweier Herzen vernichtend einzugreifen. Ich war Euer Majestät treuester, eifrigster und furchtlosester Soldat. Man belohnt mir diese Treue mit Verrath. Ich nehme meinen Abschied.“

Der König schnellte in die Höhe.

„Verrath! Elender, weiß Er, wem Er dieses Wort gesagt hat? Ich kann Ihn zertreten wie einen Wurm!“

„Wurm?“ frug Seeström mit blitzenden Augen und reckte sich in die Höhe. „Seht mich einmal an, Majestät! So wie ich hier stehe, fürchte ich Euch Alle und noch zwanzig Andere nicht. Wer ist nun der Wurm!“

„Er!“ knirschte Karl. „Das will ich Ihm sogleich beweisen! Er ist mein Gefangener. Ich selbst werde Ihn in das Gewölbe bringen, und ich will sehen, ob Er es wagt, sich an der Majestät zu vergreifen!“

Er faßte den Lieutenant beim Arme.

Dieser lächelte von oben auf ihn hernieder.

„An der Majestät? Pah! Wo wäre diese in diesem Augenblicke zu finden. Aber dennoch werde ich mitgehen, und zwar nicht wie der Verbrecher mit der Majestät, sondern wie das starke edle Roß, welches sich willig von dem kleinen Buben führen läßt. Vorwärts. Ich bin bereit und werde wieder Fürsten für Euch fangen!“

Unten im Gewölbe hatte sich unterdessen eine etwas kräftige Unterhaltung abgesponnen.

„Durchlaucht!“ hatte der Prinz, und

„Hoheit!“ hatte der Fürst gerufen.

Dann schloß sich die starke Eichenthüre hinter ihnen. Sie beguckten einander vom Kopfe bis zu den Füßen herab, und dann brachen sie beide in ein schallendes Lachen aus, welches mit der gegenwärtigen Situation allerdings nicht gut harmoniren wollte.

„Donnerwetter, nehmt Ihr Euch gut aus, Prinz!“

„Sapperlot, seid Ihr ein netter Kerl, Fürst!“

„Nicht wahr? Ja, man hat auch so seine Meriten! Wer hat Euch denn eigentlich abgefangen, he?“

„Dieser verdammte Seeström!“

„Was? Der? Den soll doch ein Donnerwetter neunundneunzig Klafter tief in den Erdboden schlagen! Hat denn den der Teufel überall?“

„Wie es scheint! Und wer hat Euch beim Zopfe genommen?“

„Der Börjesson! Diesen verfluchten Kerl lasse ich noch Spießruthen laufen, und wenn ich die Stöcke dazu barfuß und höchst eigenhändig aus Sibirien herbeischaffen sollte! War da über dem besten Schleifen, habe jedes Messer und jede Scheere um eine halbe Elle kürzer gemacht und stets von der verkehrten Seite an den Stein gehalten — sang wie eine Haidelerche mein schönes Lied; da läßt mich dieser Himmelhund zu sich kommen und schickt mir das ganze Gesinde auf den Hals. Habe mich aber gar nicht gewehrt!“

„Ich auch nicht.“

„Warum sollte man denn Spektakel machen! Das Bischen Holz hier könnte man mit dem Fuße zertreten, ist aber auch nicht nöthig. Jetzt ist es bereits acht Uhr, und halb elf Uhr kommt der Major Hagen mit fünfzig Mann von Blankenfelde herüber, um mir die Tinte, in der ich stecke, abzulecken.“

„Ah! So habt Ihr Euch also vorgesehen?“

„Ja, Doch still! Man schließt wieder auf.“

Die Thüre wurde geöffnet, und der König in eigener Person steckte den Lieutenant herein. Dieser war einigermaßen verlegen, wie er sich benehmen sollte, aber diese Verlegenheit schwand sofort, als er von einem wahrhaft homerischen Gelächter empfangen wurde.

„Oho! Wer kommt denn da? Ich glaube gar der Herr Urian selber! Auch als Gefangener oder um uns hübsch auszuhorchen!?“ frug der Kronprinz.

„Als Gefangener,“ antwortete er einfach.

„Kann Er sein Wort als Edelmann darauf geben?“

„Ich gebe es!“

„Na, da schlage doch Gott den Teufel todt! Erzähle Er!“

Während der Lieutenant seinen Bericht erstattete, saß Anna in schweren Sorgen oben in ihrer Stube. Sie hatte erfahren, daß Erich eingesperrt worden war, und die Zeit, in welcher sie ihren Entscheid geben sollte, rückte heran. Doch als die Stunde gekommen war, wurde sie nicht gerufen. Sie hätte leicht fliehen können, aber sie mochte es nicht ohne Erich. Man hatte da drüben im blauen Zimmer gewiß sehr nothwendige Berathungen zu pflegen. Es wurde neun Uhr und zehn Uhr, und die Dunkelheit des Abends begann sich über die Gegend zu breiten.

Da kam ein Mann durch das Thor und über den Hof herüber. -

herüber. Im Flur bei der Wache stand die Wirthschafterin, welche sich die Behütung der Gewölbethüre angelegener sein ließ als der Posten selbst. Der Mann trat ein. Es war der Feldwebel Baldauf, der die Rückkehr seines Lieutenants in der Schenke vergebens erwartet hatte.

„Wo ist der Herr Junker von Seeström, Jungfer Zeißig?“ frug er.

„Wo der ist? Da drin steckt er!“

„Da drin? Was thut er da?“

„Er brummt!“

„Was soll das heißen?“

„Na, was anders, als daß er gefangen ist!“

„Gefangen? Weshalb denn?“

„Weiß ich es?“ frug sie schnippisch.

„Ist es wahr?“ frug er den Posten.

„Ja,“ antwortete der Knecht treuherzig. „Ich stehe hier Wache. Ich darf das Fräulein nicht herunterlassen und auch die Drei nicht hier heraus, sonst werde ich selber eingesteckt.“

„Das Fräulein? Donnerwetter! Und diese drei? Wer ist das?“

„Der Herr Lieutenant, der Schleifer und der Krämer.“

„Darf man denn nicht einmal mit dem Herrn Lieutenant sprechen?“

„Nein, das ist sehr streng verboten!“ antwortete die Wirthschafterin.

„Halte Sie Ihr Maul! Sie hat gar nichts darein zu reden! Klaus, ist es wirklich wahr, daß ich nicht mit dem Herrn Lieutenant reden darf? Ich habe als Feldwebel ganz nothwendig mit ihm zu sprechen.“

„Hm! Mir ist blos gesagt worden, daß ich eingesteckt werde, wenn sie ausreißen.“

„So mache mir einmal auf!“

„Nein; das darf Er nicht, Klaus! Ich sage es dem Herrn Obristen!“

„Will Sie wohl stille sein, Sie alte Kanaille, Sie? Wenn Sie das Maul noch einmal aufthut, so soll Sie sehen was passirt!“

Klaus hatte den Schlüssel bereits angesteckt und öffnete.

„Herr Lieutenant!“

„Feldwebel!“

„Ihr seid wirklich gefangen?“

„Ja.“

Er trat heraus um sich zu zeigen, da faßte ihn aber die Wirthschafterin am Arme.

„Ihr habt hier drin zu bleiben! Versteht Ihr?“

Der Lieutenant war ganz erstaunt über das Frauenzimmer und antwortete ihr nicht. Aber an seiner Stelle antwortete ein anderer.

„Ah, das ist ja Sie mit Ihrem gottsvergessenen Plapperment, Sie Jungfer Staar geborene Kreuzdorn! Sie soll doch gleich der Gottseibeiuns bei Ihren Storchwaden nehmen und durch die Lüfte säuseln!“

„Halte Er sein großes Maul, Er Thunichtgut! Er ist ja keinen Heller werth! Er hat mir ja lauter Unheil angestiftet! Die Wiegmesser hat er auf der obern statt auf der untern Seite geschliffen, bei den Tischmessern die Hefte statt der Klingen und bei den Scheeren die Griffe anstatt der Schneiden. Das war eine schöne Bescheerung, das war ja eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!“

„Warte, da werde ich Sie auch gleich beim Hefte nehmen. Höre Er, wie heißt Er?“

„Klaus.“

„Er ist der Posten hier?“

„Ja.“

„Hat Er einmal vom Dessauer gehört?“

„Ja.“

„Der bin ich, und das ist der Kronprinz von Preußen. Wer jetzt muckst, dem schneide ich den Hals ab. Draußen vor dem Gute stehen meine achttausend Soldaten, die rauben, morden, sengen und brennen, die spießen die Kinder im Mutterleibe todt und schneiden den Jungfern die Bäuche auf, wenn Ihr nicht Ordre parirt. Herein mit Euch Zweien! Sie, Jungfer Henne, geborene Balsamine, wagt es nicht, einen Laut auszustoßen, und Er, Klaus, bewacht sie drin und sieht darauf, daß sie keinen Skandakel macht. Also hinein mit den zwei Sechsern in den Klingelbeutel! So!“

Er schob sie hinein, schloß zu und steckte den Schlüssel ein.

„Nun wartet einen Augenblick! Ich will sehen, ob der Hagen da ist!“

Er ging in den Hof und hinter das Gut.

„Hagen!“

„Hier!“

„Alle da?“

15210.

„Alle, Durchlaucht.“

„Das Ding wird eingeschlossen, daß niemand hindurch kann. Hinein darf Jeder, heraus aber Niemand. Waldow, Er ist Feldwebel; besorge Er das. Die Offiziere aber folgen mir jetzt!“

Als er mit diesem Gefolge den Flur erreichte, trat ihm Baldauf entgegen.

„Durchlaucht, der Herr Lieutenant von Seeström sagt mir, daß er mit Euch geht!“

„Ja.“

„Ich bin sein Feldwebel.“

„Kenne Ihn schon, Er Hallunke, von wegen der Krautpopels damals!“

„Darf ich mit?“

„Komme Er nur, denn solche Galgenstricke kann ich gern gebrauchen! Jetzt hinauf!“

Die Treppe wurde leise erstiegen, und ebenso leise öffnete Leopold die Thür. Drin stand jetzt Anna vor den Herren und der Herzog meinte eben:

„Ihr laßt also von diesem Seeström und habt die Wahl zwischen Börjesson und dem alten Jungfernstifte. Entscheidet Euch!“

„Packt Euch selber zu den alten Jungfern, Ihr malefizer gichtbrüchiger Kuppler Ihr!“ klang es da von der Thüre her.

Der Fürst, der Kronprinz, Seeström, Baldauf und vier Offiziere vom halberstädtischen Regimente traten ein. Die Ueberrumpelten sprangen auf.

„Was ist das? Verrath!“ rief der König und suchte die auf der Tafel liegenden Schriften fortzuraffen.

„Laßt das Zeug in Gottes Namen liegen, ich habe die Mappe meines lieben Merseburger Vetters bereits gestern in der Küche gelesen.“

„Ihr seid unsere Gefangenen! Was wollt Ihr hier oben? Ich werde Euch schärfer bewahren lassen!“ brauste der König auf.

„Da steckt nur auch meine Buntröcke mit ein, die das ganze Allstädt umzingelt haben, daß keine Maus und keine Laus sich durchbeißen kann! Setzt Euch nieder, Ihr Herren. Wir haben mit Euch zu reden!“

Man folgte seinem Gebote. Er wandte sich nach der Thür.

„Major Hagen, befehlt zehn Mann mit guten Stricken herauf. Man weiß nicht, wie man den Hanf brauchen kann, denn ich habe nicht Lust, mir den Schnabel wund zu reden.“

Der Major entfernte sich. Leopold wandte sich wieder der Tafel zu.

„Ihr Herren habt vorhin diesem Fräulein von Boberfeld Bedingungen gestellt, jetzt nun kommt die Reihe Bedingungen zu machen an uns. Ihr Alle kennt mich genau und wißt, daß ich kein Faselhans bin. Was ich sage, das gilt, und damit Punktum! Hört Ihr die zehn Mann mit den Stricken kommen? Sie bleiben draußen, denn unsere Unterredung dürfen nur wir hören. Unten stehen noch so viel Buntröcke, wie ich brauche. Und nun sage ich Euch, entweder werden wir einig, oder Ihr Alle geht als meine Gefangenen mit mir!“

„Das ist gegen das Völkerrecht! Ich protestire da — —“

„Donnerwetter,“ unterbrach Leopold den König, „wer muckst noch? Habe ich nicht deutlich genug gesagt, daß jetzt ich, nämlich ich spreche! Ihr habt uns ohne Umstände gefangen genommen; ich könnte es mit Euch ebenso thun; aber ich will es gnädig machen und Euch Bedingungen stellen, die Euch den Rückzug erleichtern. Geht Ihr nicht darauf ein, so ist es Euer eigener Schaden. Ich kehre mich den Teufel um Euer Völkerrecht und um Eure Protestation. Ihr macht es ebenso, wenn Ihr das Heft in den Händen habt. Also hört mein letztes Wort: Ihr habt zu Altranstädt im vorigen Jahre Frieden mit dem Kurfürsten von Sachsen gemacht; Ihr wollt zu Altranstädt in diesem Jahre eine Konvention mit dem Kaiser von Oesterreich schließen; ich verlange, daß Ihr in diesem Jahre und noch vor dieser Konvention ein Bündniß mit Preußen schließt. Ihr habt uns bisher hingehalten und unsern Obersten Ravenau mit schönen Redensarten gefüttert. Ich verlange, daß endlich Ernst gemacht wird und der Traktat bis spätestens den sechzehnten August unterzeichnet ist. Wollt Ihr nicht, dann marsch mit Euch nach Halberstadt! Gebt eine Antwort. Aber kurz und deutlich!“

„Dieser Antrag,“ meinte der König vorsichtig, „ist allerdings einer reiflichen Ueberlegung werth, und ich werde in Zeit von einigen Ta­gen — — —“

„Kreuz-Bomben-Hagel- und Granatenwetter! Ist das eine kurze und deutliche Entscheidung? Ich sehe, daß ich in den Wind rede. Major Hagen, laßt die Leute eintreten. Wir müssen zu einer andern Spra­che — — —“

„Halt, Herr Major!“ gebot der König dem bereits sich nach der Thüre kehrenden Hagen. „Ich bin bereit, bis zu dem angegebenen Tage das Bündniß abzuschließen und zu unterzeichnen!“

„Gut! Aber ein Hundsfott, wer sein Wort nicht hält! Weiter, Wir haben vorhin unten in unserem Gefängnisse Zeit gehabt, die einzelnen Punkte dieses Traktates zu Papiere zu bringen. Sie sind, Gott straf mich! sehr gerecht und billig von uns gestellt worden, und wir legen sie Euch hiermit vor. Papier liegt genug hier. Diese Punkte werden in zwei Exemplaren abgeschrieben und unterzeichnet, ein Exemplar bekommt der König und das andere der Kronprinz hier. Das ist der Traktat, der am sechzehnten August öffentlich ausgefertigt wird. Unsere heutige Abmachung bleibt bis dahin geheim, ebenso Alles, was in diesen zwei Tagen geschehen ist, und auch die Art und Weise, wie Ihr dazu gekommen seid uns willfährig zu sein. Ihr seht, daß wir Euch schonen wollen. Die geheimen Ausarbeitungen, welche Ihr hier liegen hattet, und die gegen uns gerichtet sind, kommen in meinen Gewahrsam. Sie werden Euch aber prompt und reell ausgehändigt, sobald das Bündniß abgeschlossen ist. Lest unser Papier durch. Ich gebe Euch zehn Minuten Zeit. Am Schlusse der zehn Minuten aber kommandire ich meine Jungens herein, und wenn Ihr dann zehnmal Ja sagen wollt, es ist zu spät; das schwöre ich Euch bei allen Heiligen des Kalenders, bei meiner Seligkeit und beim Teufel und seiner Großmutter, ganz wie Ihr wollt! Heraus also mit dem Wische, Hoheit!“

Der Prinz griff in die Tasche und brachte einen Fetzen Papier hervor, welchen er dem Könige übergab. Dieser studirte die Punkte.

„Fünf Minuten —“ zählte der Dessauer — „sechs — — sieben — — acht — — —“

„Ich muß bemerken,“ meinte der König, dem wirklich der Schweiß auf der Stirn zu stehen schien, „daß der dritte Punkt von mir nicht — — —“

„Nichts wird bemerkt, Majestät! Ihr sprecht heute einmal nicht mit dem Obersten von Ravenau, sondern mit dem Dessauer. Angenommen oder gefangen! — neun Minuten — — zehn — — Major Hagen, laßt — — —“

„Halt, ich nehme an!“

„Gut! Hagen, laßt die Leute wieder hinuntergehen!“

„Aber, Fürst, Ihr seid ein ganz entsetzlicher Mensch!“

„Gott bewahre! Ich bin ein höchst gemüthlicher und verträglicher Bursche, nur lasse ich mir nicht gern die Katzen vor dem Wege herumlaufen. Also schreiben, meine Herren! Ein Exemplar schreibt mein Major und das andere der Herr Graf von Mansfeld!“

„Durchlaucht, ich bin mit der Feder nicht so recht — — —“

„Papperlapapp! Ihr schreibt eine ganz erträgliche Pfote. Hier seht Euch einmal diesen Brief an! Ich habe ihn dem Wachtmeister Roller abgenommen, der jetzt bei mir in Halberstadt steht. Auch diese Beiden gehen über. Der Junker von Seeström wird als Hauptmann mein Adjutant. Könnt ihm gratuliren!“

Mit größtem Aerger sah Mansfeld sein Schreiben in der Hand Leopolds; er mußte sich bequemen und griff zur Feder. In einer halben Stunde waren die beiden Exemplare geschrieben und unterzeichnet und gingen in die Hände des Königs und des Kronprinzen über.

„So!“ meinte Leopold. „Ich weiß, das ist nur für kurze Zeit, denn ich kenne die Majestät von Schweden. Aber wenn es losgeht, dann wird der Dessauer mit dem Säbel ebenso dazwischenfahren, wie heute mit dem Maule. Und nun zu etwas Anderem! Herzoglich Merseburgische Durchlaucht wissen, daß mein Freund und Kampfgenosse von Boberfeld in meinen Armen gestorben ist, der Teufel hole die Kugel, die ihn traf! Er legte mir in seinen letzten Worten das Glück seines Kindes an das Herz, und ich will heut Abend an mein damaliges Versprechen denken. Herzogliche Durchlaucht, ich bitte hiermit bei Euch um die Hand Eurer hier stehenden Mündel Anna von Boberfeld für meinen Adjutanten, den Hauptmann Erich von Seeström!“

Das kam dem Herzoge doch zu überrascht.

„Durchlaucht, meine Mündel ist bereits versprochen, und übrigens hat der Junker von Seeström noch seinen Abschied aus dem schwedischen Dienst nicht erhalten.“

„Richtig, Eure Mündel ist bereits versprochen; sie selbst hat sich nämlich an meinen Adjutanten versprochen. Ein Anderer hat nichts darüber zu bestimmen, sonst lasse ich bei der obersten Reichsbehörde die Verwaltung ihres Vermögens untersuchen. Pasta, abgemacht und kein Wort weiter! Und was den Herrn von Seeström betrifft, so bitte ich Euer Majestät um seinen mündlichen Abschied. Die Erfüllung dieser Bitte würde ich Euch zu aller Zeit gedenken.“

Der König mußte doch lächeln über die rasche unwiderstehliche Art, in welcher der Eisenfresser Bresche zu legen versuchte.

15310.

„Durchlaucht, da Ihr mich bittet, so verabschiede ich ihn hiermit!“

„Ehrenvoll?“

„Ehrenvoll!“

„Auch seinen Feldwebel, den schwarzen Klas, den Hallunken, der mich so unverschämt gefoppt und gemeiert hat?“

„Auch ihn!“

„Danke, Majestät! Und nun, Herzogliche Durchlaucht, Eure Antwort!“

„Was soll der Herr Obrist von Börjesson sagen!“

15410.

„Der? Der hat gar nichts zu sagen! Der mag sich zum Kukuk scheeren, und wenn er ihn nicht findet, so will ich ihm gern einen Wegweiser malen! Also, heraus damit!“

„Ich habe nichts dagegen!“

„Gut! Hauptmann, geht hin, nehmt sie bei der Parabel und gebt ihr einen Schmatz, aber einen Zwanzigpfünder!“

Der Hauptmann gehorchte. Dann meinte Leopold lustig:

„Und nun ist heute Verlobung; die Herren sind ein geladen. Und am sechzehnten August, wenn man das Bündniß unterzeichnet, wird die Hochzeit gefeiert. Hier, Hauptmann, hat Er den Schlüssel zum Gewölbe. Lasse Er die zwei Gefangenen heraus und bringe Er mir die Jungfer Rabe geborene Esche mit herauf!“

In der kürzesten Zeit trat die Wirthschafterin herein. Leopold zog ihr sein fürchterlichstes Gesicht.

„He, Sie alte Trauerweide, heute Abend ist Verlobung. Weiß Sie, was das ist?“

„Ja.“

„Da wird gegessen und getrunken. Verstanden?“

„Ja.“

„Na, da spute Sie sich, und schaffe Sie her, was Sie nur finden kann. Aber bringe Sie um Gotteswillen keine Messer von denen, die ich gestern geschliffen habe! Eigentlich sollte ich Ihr Verschiedenes um die Ohren pfeifen, aber da Alles ein so gutes Ende nimmt, so will ich mich einmal nicht weiter um Ihre Flöhe bekümmern, Sie alte Jungfer Stieglitz, geborene Hollunder, Sie!“ —