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Nachdruck verboten.

Robert Surcouf.

Ein Seemannsbild von Ernst von Linden.

Vor Toulon.

Es war am Maternustage des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: „Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen.“ Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, cumulirenden Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen illuminirt wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echo’s zu vertausendfachen schienen.

Der prasselnde Regen goß in solcher Dichtigkeit herab, daß ihm keine Kleidung länger als eine Minute zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein Einziger nur befand sich im freien Felde. Er schritt die Straße dahin, welche durch Wein- und Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war leicht und sommerlich gearbeitet; vom Regen vollständig durchdrungen, legte es sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im Mindesten zu geniren. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguß hinein, und seine elastischen Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, welcher nicht die geringste Veranlassung, sich zu beeilen, hat.

Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Thüre desselben waren je zwei in einander gesteckte Dreiecke angebracht, und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen: „Cabaret du roussillon.“

Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemüthlich vor dem Häuschen stehen, schob die Mütze in das Genick, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau.

„Cabaret du roussillon! Ob dieser Roussillon wohl ächt sein wird? Das Haus sieht nicht darnach aus. Nasser werde ich nicht, wenn ich weiter gehe, und ich weiß dann ganz genau, daß ich es mit reinem Gotteswasser zu thun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Weine soll man es nicht finden. Ich werde also weiter segeln und erst in Beausset vor Anker gehen.“

Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Thür sich öffnete und eine Person erschien, in welcher man sofort den Wirt erkennen mußte.

„Eh, mon cher, wohin wollen Sie?“ erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. „Ist es vielleicht geradezu Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruche ertrinken zu wollen?“

„Das weniger,“ antwortete der Wandersmann. „Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruche aus Ihren Fässern.“

„Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack, und ich bin nicht der Mann, welcher einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet.“

„So will ich Eurem Worte glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Hollah, ein neuer Mann an Bord!“

Diese letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel macht, und dann auf dem Stuhle Platz nahm, den ihm der Wirth herbeigezogen hatte.

In dem kleinen Raume sah es außerordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Convents erfüllt, und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirthe gehörte nur ein einziger Gast dem Civile an; dies war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes, welcher im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J. H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er mußte ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Muthe begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt. Es waren damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben, und man hatte von sämmtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereides verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Beginne unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die bisherige Zeitrechnung ab; am 10. November führte die Pariser Commune den Dienst der Vernunft ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalconvent, daß es keinen Gott mehr gebe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Convent, daß kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seeleglauben dürfe. Unter diesen Umständen war es gewiß ein Beweis außerordentlichen Muthes, sich im Ordenskleide unter die halb betrunkenen Krieger der Revolution zu wagen, eine Kühnheit, welche sehr leicht verhängnißvoll werden konnte.

Ein bärtiger Sergent-major war der Erste, welcher den eingetretenen Fremden anredete:

„Holla, Bürger, woher des Weges?“

„Ein wenig von der Durance herunter.“

„Und wohin, he?“

„Nach Beausset hinein.“

„Was willst Du dort?“

„Einen Freund besuchen. Hast du vielleicht etwas dagegen?“

„Hm! Vielleicht, vielleicht auch nicht.“

„Aaah!“

Er stieß diesen Laut nur leise und langsam aus, aber es wäre wohl nicht möglich gewesen, einer ironischen Stimmung sprechender Luft zu machen. Er legte die Beine über einander, schlug die Arme über der Brust zusammen und blickte den Sergent-major mit ein paar Augen an, in denen Alles, nur keine Bewunderung zu lesen war. Dieser junge Mann konnte höchstens zwei- oder dreiundzwanzig Jahre zählen, aber diese hohe Stirn, diese breiten Schläfen, die dichten Brauen, der mächtige Blick, die scharfe Adlernase, der energisch gezeichnete Mund, der sehnige, von der Sonne gebräunte und vom Hemdkragen bloß gelassene Hals, die breiten Schultern, der geschmeidige Gliederbau, das Alles machte den Eindruck des Gereiften, des Achtunggebietenden, des Ungewöhnlichen.

„Was wunderst Du Dich da, Bürger?“ frug der Unteroffizier. „Glaubst Du, daß zum Hauptquartiere in Beausset ein Jeder Zutritt habe, dem es beliebt?“

„Das glaube ich nun freilich nicht; aber glaubst Du vielleicht, Bürger Sergent-major, daß Du es bist, den man um die Erlaubniß zu fragen hat?“

„Schweig! Ein jeder Soldat hat die Pflicht, die Sicherheit des Heeres zu bewachen! Wie ist Dein Name, Bürger?“

„Surcouf,“ antwortete der Gefragte mit einem etwas malitiösen Zug um seine Mundwinkel.

„Der Vorname?“

„Robert, Robert Surcouf.“

„Was bist Du?“

„Seemann.“

„Ah, drum tappst Du in aller Seelenruhe wie eine Ente da draußen im Wasser herum! Wer ist der Freund, den Du besuchen willst?“

„Der Bürger Grenadier Andoche Junot.“

„Andoche Junot,1) der Advokat gewesen ist?“

„Ja, derselbe.“

„Das ist ein guter Kamerad. Woher kennst Du ihn?“

„Wir sahen uns zu Bussy le Grand, wo er geboren wurde.“

1) Derselbe Junot, welcher später Herzog von Abrantes wurde.

„Das stimmt! Du bist legitimirt, Bürger Surcouf. Junot steht bei meiner Compagnie; ich werde Dich zu ihm bringen. Vorher aber magst Du mit uns trinken.“

„Was habt Ihr für Sorten?“

„Nur eine: Roussillon; aber ist stark und lieblich zugleich. Probire ihn!“

Der Wirth brachte ein großes Humpenglas des berühmten Getränkes, und alle Hände streckten sich aus, es auf Rechnung des Fremden anzutrinken. Dieser ließ sich dies lachend gefallen; er gab zu, daß man das Glas immer von Neuem füllen ließ und wieder austrank, und als der Wirth wegen der Bezahlung ein bedenkliches Gesicht zu machen begann, zog er eine Handvoll Assignaten aus der ledernen Brieftasche und warf davon mehr als nöthig auf den Tisch. Bei diesem Anblick erhob sich großer Jubel; der Wirth mußte von Neuem füllen, und nun wurde auch der geistliche Herr bedacht, dem man bisher noch keinen Schluck gegönnt hatte. Der Sergent-major trat zu ihm, hielt ihm den Humpen entgegen und forderte ihn auf:

„Steh auf, Bürger Confrère, nimm das Glas und trinke auf das Wohl des Convents, der den Papst zum Lande hinausgeworfen hat!“

Der Priester erhob sich wirklich und ergriff das Glas; aber anstatt den geforderten Toast zu bringen, sprach er mit sanfter, jedoch fester Stimme:

„Gott hat uns diese Gabe nicht zur Lästerung gegeben. Im Weine ist Wahrheit, und ich will nicht eine Lüge sagen. Ich trinke auf das Wohl des heiligen Vaters in Rom, den die Heerscharen des Himmels beschützen werden!“

Er wollte das Glas zum Munde führen, aber ein Faustschlag des Sergent-major schmetterte es ihm aus der Hand, so daß es am Boden in Stücke zerschellte.

„Was fällt Dir ein, Bürger Confrère!“ rief der Unteroffizier. „Weißt Du nicht, daß in unserm schönen Frankreich der alte saint-père abgesetzt worden ist? Wie lange wird es dauern, so wirft man auch Euch selbst hinaus mit Allem, was Ihr uns weis gemacht habt! Ich befehle Dir, Deinen Toast zu widerrufen!“

Da drängte sich ein Anderer, ein Tambour-major, hinzu:

„Halte-là, Alter! Warum zerschlägst Du ihm das Glas? Bürger Wirth, gib ein neues, volles her! Dieser da gehört ganz sicherlich zu denen, welche sich weigern, den Bürgereid zu leisten. Wir werden ihn auf die Probe stellen, und wehe ihm, wenn er sie nicht besteht!“

Der Wirth brachte das Verlangte; der Tambour-major drückte dem Priester das gefüllte Glas in die Hand und befahl ihm:

„Jetzt trinke mir zu, Bürger, und rufe laut: „„Es lebe die Republik; nieder mit dem Papste!““

Der Bedrängte zeigte nicht die mindeste Angst. Sein Angesicht war bleich, aber seine Augen blitzten, als er, das Glas erhebend, rief:

„Es lebe der heilige Vater; nieder mit den Feinden Frankreich’s und den seinen!“

Da erhob sich unter der rohen Horde ein wüstes Geschrei; zwanzig Hände streckten sich aus, den muthigen Bekenner seines Glaubens zu ergreifen, um ihn zu mißhandeln, aber man kam nicht dazu: der Fremde hatte sich herbeigedrängt. Niemand konnte sagen, wie es kam, aber er stand plötzlich vor dem Priester, den er mit seinem Leibe deckte, und rief mit lächelnder Miene:

„Bürger, wollt Ihr mir einen Gefallen thun?“

„Welchen?“

„Seid so gut und ringt erst mir das Wasser aus der Jacke, ehe Ihr Euch an diesem Gottesmann vergreift!“

Sie begriffen wirklich seine Absicht nicht sogleich; sie wurden irre an dem Lachen seines Auges und an der Freundlichkeit seines Tones; aber in diesem Auge und in diesem Tone lag Etwas, was sie stutzen machte.

„Deine Jacke?“ frug der Sergent-major. „Was haben wir mit dieser zu thun? Gehe auf die Seite, Bürger Surcouf; wir wollen diesem Heuchler eine Litanei einpauken, die er nicht vergessen soll!“

„So erlaubt wenigstens, daß ich erst einen Schluck mit ihm trinke!“

Er nahm dem Priester das Glas aus der Hand und fragte ihn:

„Wie ist Dein Name, frommer Vater?“

„Ich werde Bruder Martin genannt,“ antwortete der Gefragte.

„Eh bien, Bruder Martin, so erlaube, daß ich mit Dir trinke auf Dein Wohl, auf das Wohl aller muthigen Männer, welche sich nicht fürchten, die Wahrheit zu bekennen, auf das Wohl meiner schönen Bretagne, wo ich geboren bin, auf das Wohl meines Vaterlandes, auf den Sieg unsers Glaubens und auf das Wohl aller ehrwürdigen Diener der heiligen Kirche, welche Gott der Herr beschützen möge!“

Er setzte das Glas an die Lippen und trank es bis zur Nagelprobe aus. Einige Sekunden lang herrschte tiefe Stille in der Stube, die Stille der Ueberraschung, dann aber brach der Sturm los. Alle Stimmen schrien, und alle Fäuste ballten sich; man drängte sich zornig heran, aber der lange Tambour-major breitete die Arme aus und hielt die Andern zurück.

„Halt, Bürger Kameraden!“ rief er. „Der Soldat muß bei jedem Angriffe nach bestimmten Regeln verfahren. Dieser Mensch, der sich Bürger Surcouf nennen läßt, scheint mir kein Seemann, sondern ein verkappter Emissair des Papstes zu sein. Wir wollen ihn einmal auf die Bank legen und mit dem Stock befragen. Bürger Sergent-major, faß an!“

Die beiden starken Menschen streckten die Hände aus, um Surcouf zu erfassen, flogen aber — so schnell der Eine in diese und der Andere in jene Ecke, daß Niemand eigentlich begreifen konnte, wie es geschehen war. Ein Schrei der Wuth erscholl ringsum, und nun ließ sich Keiner mehr halten, sich auf die beiden Angegriffenen zu werfen. Da aber ertönte ein lautes Krachen; Surcouf hatte ein Bein vom Tische gebrochen und schlug damit einen so regelrechten Achter, daß sofort Zwei, am Kopfe scharf getroffen, zu Boden stürzten, die Anderen aber sich schleunigst zurückzogen.

„Glaubt Ihr nun, daß ich Seemann bin?“ lachte er. „Ein Schiffer weiß so ein petit levier1) schon zu gebrauchen! Ist das der Dank, daß Ihr meinen Wein getrunken habt, Ihr Memmen, die Ihr Euch an zwei Männer wagt, weil Ihr über Dreißig zählt? Kommt her und legt den Robert Surcouf auf die Bank, wenn Ihr könnt!“

„Drauf auf sie!“ brüllte der Sergent-major.

Surcouf ließ das Tischbein wieder wirbeln; aber die Hinteren drängten die Vorderen, und es hätte gewiß ein Unglück gegeben, wenn nicht eben jetzt eine helle, scharfe, gebieterische Stimme von der Thüre her gerufen hätte:

„Cessez à l’instant! Was geht hier vor?“

Draußen vor den Fenstern sah man einen kleinen Reitertrupp halten, und unter der Thür stand derjenige, welcher gesprochen hatte. Er war von kleiner, schmächtiger Gestalt; sein hageres, scharf geschnittenes Gesicht zeigte eine bronzene Färbung; die breite Stirn bedeckte ein Dressenhut, und die Gestalt war in einen weiten Regenrock gehüllt. Beim Anblick dieses Mannes zogen sich die Angreifer erschrocken zurück, indem sie mit der tiefsten Ehrerbietung salutirten. Er mochte vierundzwanzig Jahre zählen; sein bartloses Gesicht blieb vollständig regungslos, aber sein mächtiges Auge blitzte im Kreise umher und blieb dann auf demjenigen haften, welcher unter den Anwesenden die höchste Charge bekleidete:

„Bürger Tambour-major, berichte!“

Der Genannte, dem bereits der Angstschweiß auf die Stirne zu treten begann, erzählte in kurzer, soldatischer Weise:

„Hier ist ein Pfaffe, mon Colonel, und ein päpstlicher Emissair, welche uns beleidigten.“

„Und darauf antwortet Ihr mit Schlägen! Welcher ist der Emissair?“

„Der mit dem Tischbeine.“

„Woher weißt Du, daß er ein Emissair ist?“

„Ich vermuthe es.“

„Très bien, Bürger Tambour-major. Du bist fertig; nun mag auch Er sprechen!“

Surcouf trat einen Schritt vor und blickte dem Offizier furchtlos in die Augen.

„Mein Name ist Surcouf, Bürger Colonel; darf ich um den Deinigen bitten?“

1) Handspeiche, Brechstange.

„Ich heiße Bonaparte,“ erklang es kalt und stolz.

„Also ich heiße Surcouf, Robert Surcouf, bin Seemann und wollte nach Beausset, um meinen Freund Andoche Junot, den Advokat und Bürger Grenadier, zu besuchen. Ich trat hier ein, ließ diese Bürger Soldaten Wein auf meine Rechnung trinken, bis sie von diesem würdigen Priester verlangten, daß er auf das Verderben seines höchsten Oberhauptes, des heiligen Vaters, trinken solle. Er that es nicht, und darum wollten sie ihn schlagen. Er ist ein Mann des Friedens und kann sich nicht wehren; darum brach ich dieses Tischbein ab und habe ihn vertheidigt. Nun halten sie mich für einen Emissair. Ein braver Seemann aber wird einen Jeden vertheidigen, welcher von einer Uebermacht unschuldig angegriffen wird. Es sind noch viele Tischbeine hier!“

Ueber das Gesicht des Obersten zuckte ein leises, ganz leises Lächeln, welches aber sofort wieder verschwand. Er wandte sich zu den Soldaten:

„Bürger Tambour-major, Du marschirst sofort mit den Andern in den Arrest!“

Das Wort war kaum gesprochen, so salutirten sämmtliche „Bürger Soldaten“ und marschirten zur Thür hinaus. Dann drehte sich der Oberst wieder zu den beiden Andern herum. Sein Wort galt zunächst dem Priester:

„Wer bist Du?“

„Ich bin Bruder Martin vom Orden der Missionäre des heiligen Geistes,“ lautete in bescheidenem Tone die Antwort.

„Es sind alle Orden aufgehoben. Hast Du den Bürgereid geleistet?“

„Nein. Mein Eid gehört nur der heiligen Kirche.“

„Das wird sich finden!“ Und sich zu dem Seemann wendend, fuhr er fort: „Surcouf? Ich muß diesen Namen bereits gehört haben! Ah, hast Du den Namen „the Runner“ gehört?“

„Ja. Das war das englische Avisoschiff, welches ich durch die Klippen bringen sollte, aber mit Fleiß und Absicht auf die Bank laufen ließ.“

Der Oberst maß den jungen Mann mit einem kurz aufleuchtenden Blick.

„Ah, das wärst also Du? Wirklich? Weißt Du, Bürger Surcouf, daß Dein Leben an einem Haare hing!“

„Ich weiß es; aber sollte ich den Feind in den Hafen bringen? Ich sprang, sobald der Runner auflief, über Bord und kam glücklich an’s Land, obgleich die Kugeln mir um den Kopf pfiffen. Die Engländer schießen schlecht, sehr schlecht, Bürger Colonel!“

„Wir werden in diesen Tagen sehen, ob Du Recht hast. Warum nimmst Du Dich eines Priesters an, der den Bürgereid nicht leisten will?“

„Weil dies meine Pflicht ist. Ich bin ein guter Katholik; ich habe mit ihm auf das Wohl des heiligen Vaters getrunken.“

„Ah, quelle inconsidération! Mußtest Du das thun? Brauchtest Du mir dies zu sagen, Bürger Surcouf? Ich sah, daß Du einige Soldaten beschädigt hast?“

„Ja, mit dem Tischbeine hier.“

„Gut. Der Fall soll untersucht und bestraft werden. Auch Ihr Beide seid arretirt. Man wird Euch nach Beausset bringen; doch sollst Du Deinen Freund Junot zu sehen bekommen. Adieu!“

Der kleine Offizier wandte sich scharf auf dem Absatze um und verließ die Stube. Eine Minute später ritt er mit seinen Begleitern davon; er befand sich jedenfalls auf einer Recognoscirung. Zu gleicher Zeit aber traten drei Militairs ein, welche den Beiden sagten, daß sie ihnen nach Beausset zu folgen hätten.

„Das werden wir thun,“ meinte Surcouf, indem er sein Tischbein bei Seite legte. „Beausset war ohnedies mein Ziel.“

„Aber das meinige nicht,“ antwortete Bruder Martin. „Ich wollte hinauf nach Sisteron.“

„Dorthin kannst Du auch morgen gehen, mein frommer Bruder. Bis dahin magst Du in Beausset mein Gast sein; vorher aber wollen wir hier mit drei tapferen Bürgern noch ein Glas trinken. Ich finde diesen Roussillon sehr gut und muß ja auch mein Tischbein bezahlen.“

Der wackere Seemann schien sich in seine Gefangenschaft sehr leicht zu finden. Es war ihm nicht die mindeste Abnahme seiner guten Laune anzumerken, und als dann später aufgebrochen

wurde, ertrug er den strömenden Regen mit derselben Geduld, mit der er ihn vorher ertragen hatte.

Beausset ist noch heut ein kleiner Ort von nicht viel über 3000 Einwohnern. Es gibt dort eine Wollenweberei, und in der Umgebung wird ein gutes Olivenöl und ein leidlicher Rothwein gebaut. Als die beiden Gefangenen dort anlangten, wurden sie nach dem Hause geführt, in welchem der Oberstkommandirende, General Cartaux, sein Quartier aufgeschlagen hatte, und dort in eine enge, dunkle Kammer eingesperrt, deren einziges Fenster durch den Laden dicht verschlossen war.

„So, hier liegen wir vor Anker,“ meinte Surcouf. „Leider gibt es weder Hängematte noch Daunenbett. Wir müssen uns mit dem Bewußtsein fügen, daß man uns bald aus dieser Koje erlösen wird.“

„Ich wenigstens habe das nicht zu hoffen,“ seufzte Bruder Martin.

„Nicht? Warum?“

„Weißt Du nicht, Bürger Surcouf, daß es jetzt in Frankreich kein größeres Verbrechen gibt, als dem Willen des Convents zu trotzen? Ich habe meinen priesterlichen Eid abgelegt und kann keinen anderen schwören. Ich sehe böse Tage für mich kommen, aber ich bleibe meinem Schwure treu.“

Da ergriff Surcouf die Hände des Gefährten, und seine Stimme klang ganz anders als bisher, indem er nun in bewegtem Tone sagte:

„Das vergelte Dir Gott, Bruder Martin! Viele, Viele sind abgefallen; aber noch Mehrere sind freiwillig in die Verbannung gegangen oder bleiben muthig im Lande, um mit der Hyder des Unglaubens und der Vergewaltigung zu kämpfen. Ich bin nicht der sorglose Mann, der ich scheine. Ich sehe eine Zeit kommen, in welcher man auch das Allerheiligste verleugnen wird, nachdem man vorher das Heilige beschimpfte, eine Zeit, in welcher es starker Geister und gewaltiger Arme bedarf, um das Vaterland vor der Herrschaft des Schreckens zu befreien und unserm Volke die ihm von Gott angewiesene Stellung unter den Nationen zu erhalten. Es wird große Kämpfe geben; es werden Ströme Blutes fließen; es wird ein gigantisches Ringen des Einen gegen Alle sein. Das Weizenkorn, welches unter dem Unkraute der Revolution verborgen liegt, wird aufgehen, doch werden dunkle Wolken es beschatten, und Stürme es knicken wollen. Da gilt es, wach und munter zu sein; da gilt es, sich bei Zeiten im Kampfe zu üben und zu stählen, damit ein Jeder an seinem Platze sei, wenn die Kräfte gemessen werden. Ich bin ein Sohn des Vaterlandes und auch ich habe die Pflicht, treu und stark zu ihm zu halten in aller Noth und Gefahr. Darum habe ich mich ihm zum Dienste angeboten, aber man hat mich abgewiesen, weil ich offen bekenne. daß ich nicht zu denen gehöre, welche den Stuhl Petri stürzen und Christum abermals an das Kreuz schlagen möchten. Wegen einer offenen Rede habe ich aus Paris flüchten müssen; ich ging an andere Orte und wurde wieder abgewiesen; nun komme ich nach Toulon, um den letzten Versuch zu machen. Ich werde mit den Generalen Cartaux und Doppet sprechen; ich werde auch mit diesem Colonel Bonaparte reden; er hat das Gesicht eines Mannes, welcher wachsen wird; vielleicht erreiche ich hier am letzten Orte, was mir anderwärts versagt worden ist.“

Der Priester hielt seinen Blick erstaunt auf den Sprecher gerichtet. Dieser junge Mann war auf einmal ein ganz Anderer geworden; der fröhliche, sorglose, unbekümmerte Jüngling stand plötzlich da als ein Mann, dessen Auge prophetisch in die Ferne blickte, dessen Rede begeistert von den Lippen floß, und dessen Aufgabe auf ein großes Ziel gerichtet war.

„Mein Sohn“, sagte Bruder Martin, „ich höre aus Deinem Munde Worte eines Mannes, dessen Weg zur Höhe führen muß. Was auch die Zukunft Dir beschieden haben mag, sei stets der ewigen Wahrheit eingedenk, daß der Mensch nichts Gutes thut als nur in Gott, und daß er einen Richter hat für jeden Gedanken, jedes Wort und jede That, die er vollbringt. Dein Fuß wird nicht gewöhnliche Pfade wandeln; laß Dich bei jedem Schritte von dem Lichte leiten, welches kein Convent und keine Revolution verlöschen kann.“

Nach diesen Worten herrschte längeres Schweigen. Die beiden Gefangenen hätten sich Vieles zu sagen gehabt, aber der

Augenblick war zu weihevoll, als daß ein profanes Wort ihn hätte stören dürfen.

Nach längerer Zeit wurde die Thüre geöffnet. Man rief Surcouf, um ihn zum commandirenden General zu führen. Es dauerte lange, ehe er zurückkehrte, und dann wurde Pater Martin abgeführt. Dieser kam sehr bald zurück. Er hatte sich erklären sollen, ob er bereit sei, den Bürgereid zu leisten, und als er sich entschieden weigerte, war ihm eröffnet worden, daß man ihn als Verräther behandeln müsse und ihm also seine Freiheit nicht zurückgeben könne. Surcouf frug ihn, was er dagegen zu thun entschlossen sei.

„Was soll ich thun?“ frug er. „Ich bin ein Mann des Wortes, aber nicht ein Mann des Schwertes. Es wird mir gehen wie so vielen Andern; man wird mich nach Paris bringen und dort werde ich verschwinden.“

„Ah, Du würdest nicht in Paris, sondern bereits schon unterwegs verschwinden; aber dies soll nicht geschehen, so wahr ich Robert Surcouf heiße!“

„Wie wolltest Du mir helfen? Du bist ja selbst Gefangener!“

„Aber ich werde es nicht immer sein. Der General wollte sich nur vergewissern, ob ich ein Emissair sei oder nicht. Sobald er einsah, daß ich ein ehrlicher Seemann bin, handelt es sich nur noch um die kleinen Hiebe, welche diese guten Bürger Soldaten von mir erhalten haben, und darüber soll Colonel Bonaparte urtheilen, wurde mir gesagt. Ich werde also baldigst auf freiem Fuße sein.“

„Welcher Mensch kann mit Sicherheit auch nur von dem nächsten Tage sprechen! Ich wollte nach Sisteron, um von da vielleicht über Gap oder Embrun und Briançon aus Frankreich zu kommen; nun aber bin ich gar gefangen!“

„Ueber Gap und Embrun? Oh malheur! Einen solchen Fluchtweg kann nur eine Seele einschlagen, die mehr im Himmel als auf der Erden wandelt! In diesen beiden Festungen muß ein Jeder hängen bleiben, der nach dieser Richtung hin entkommen will, und übrigens wimmelt die ganze Strecke von Toulon bis an die italienische Grenze von Conventstruppen, welche schwer zu täuschen sind. Dazu begreife ich nicht, wie man in einem Weinhause einkehren kann, wenn man den Häschern entgehen will!“

„Der Wirth dieses Hauses ist mein Verwandter; er hielt mich lange Zeit versteckt, und eben wollte ich Abschied nehmen, als das Wetter die Soldaten herbeitrieb.“

„Das hätte nichts zu sagen gehabt; aber dieses geistliche Gewand ist zum Verräther geworden. Ueberhaupt gibt es von hier aus auf dem Landwege kein Entkommen; nur auf der See ist die gesuchte Freiheit zu finden.“

„Aber wie gelangt man ohne Freunde, ohne Mittel und ohne Kenntniß der Gelegenheiten auf ein sicheres Schiff?“

„Durch mich, durch Robert Surcouf. Verstanden?“

Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Thür wurde abermals geöffnet, und es trat ein Grenadier herein, in welchem Surcouf seinen Freund Junot erkannte. Dieser war jetzt noch gewöhnlicher Soldat, aber man weiß, daß er nur drei Tage später Sergent wurde. Bei der Beschießung von Toulon vom 15. bis 17. Dezember 1793 dictierte ihm Napoleon einen Befehl; da schlug eine Kanonenkugel neben ihnen in den Boden und bespritzte das Blatt mit Erde. „Prächtig,“ rief Junot, „so brauchen wir keinen Streusand!“ Durch dieses Wort wurde Bonaparte auf ihn aufmerksam und ließ ihn von da nicht wieder aus den Augen, so daß Junot schon 1804 Divisionsgeneral und Commandant von Paris wurde.

Dieser Grenadier, welcher jetzt wohl nicht ahnte, daß er einst eine Herzogskrone tragen werde, hatte große Freude, seinen Freund Surcouf wiederzusehen. Er erfuhr, daß dieser sich um eine Anstellung in der Marine bewerbe und daß er nun auch von General Cartaux abfällig beschieden worden sei. Junot konnte für den Freund nichts thun, als ihm seine gegenwärtige Haft erleichtern; er sorgte für Speise, Trank und Licht und mußte die Beiden dann ihrem Schicksale überlassen.

Erst am Nachmittag des nächsten Tages kam eine Ordonnanz, welche den Seemann zu Bonaparte bringen sollte. Dieser befand sich nicht in Beausset, sondern außerhalb des Ortes in einer Schanze, von welcher aus die Befestigungen von Toulon beschossen wurden.

Diese Stadt hatte sich der unter Admiral Hood stehenden Flotte der vereinigten Engländer und Spanier übergeben, und der Convent machte die riesigsten Anstrengungen, diesen hochwichtigen Platz zurückzuerobern. Leider erwiesen sich die Generale Cartaux und Doppet als unfähig; der Eine war ein Maler und der Andere ein Arzt gewesen; sie waren im Atelier und Lazareth an ihrem Platze, nicht aber vor den gewaltigen Außenwerken eines so großartigen Waffenplatzes, und darum hatte man den jungen Napoleon Bonaparte gesandt, um den beiden Generalen beizustehen.

Der kleine Corse hielt soeben neben den beiden Obergeneralen, als Surcouf zu ihm geführt wurde. Er beachtete den Gefangenen gar nicht und schien nur in das Gespräch vertieft, welches er mit seinen zwei Vorgesetzten führte.

„Und ich kann dennoch nicht von meiner Ueberzeugung abgehen,“ sagte er. „Wenn wir so fortfahren, werden wir nach einem Lustrum immer noch unverrichteter Sache vor Toulon liegen. Was sind unsere Geschütze gegen die Feuerschlünde der Festung und der Flotte! Wir müssen so schnell wie möglich weiteres Belagerungsgeschütz aus Marseille und den andern Waffenplätzen kommen lassen. Wir dürfen nicht nur die Befestigungen der Stadt beschießen, sondern wir müssen vor allen Dingen die feindlichen Schiffe mit glühenden Kugeln bewerfen. Haben wir die Flotte vernichtet und vertrieben, so kann sich die Stadt unmöglich lange mehr halten. Geben Sie mir Vollmacht, so verspreche ich, daß Toulon sich in vierzehn Tagen in unseren Händen befindet.“

„Nur nicht sanguinisch!“ erwiderte Cartaux in hochfahrendem Tone. „Selbst wenn die Flotte weichen muß, wo haben wir die Mittel, Befestigungen wie Fort Malbosquet, Balagnier und Eguilette zu bezwingen?“

„Man schaffe nur zunächst Geschütz und Munition herbei, verstärke die Belagerungsarmee bis auf vierzigtausend Mann und versehe diese Verstärkungen mit den nothwendigen Requisiten. Ich habe das Terrain noch nicht genau studiren können, aber es muß ein Punkt zu finden sein, welcher die feindlichen Werke dominirt, und von diesem aus werden wir den Gegner zu bezwingen wissen.“

Surcouf hatte diese Worte gehört; er trat mit zwei raschen Schritten an die drei Offiziere heran und sagte:

„Pardon, Bürger! Dieser Punkt ist bereits gefunden.“

Cartaux machte eine strenge, zurückweisende Geberde; auch Doppet drehte sich stolz zur Seite. Napoleon aber überflog den Sprecher mit einem Blitze seines Auges und meinte:

„Du bist sehr kühn, Bürger Surcouf! Wenn Offiziere sprechen, hat ein jeder Andere zu schweigen, besonders wenn er gar ein Gefangener ist. Welchen Punkt meinst Du?“

„Bürger Colonel, siehe dort den Platz zwischen beiden Häfen der Stadt. Wenn Du ihn besetzest, so kannst Du die feindliche Flotte in ihrer ganzen Ausdehnung bestreichen. Die Stadt muß sich in zwei oder drei Tagen ergeben, sobald Du ihre Werke von dort aus mit Vierundzwanzigpfündern und Mörsern demolirst. Das Auge wird Dich lehren, daß von diesem Punkte aus Fort Malbosquet sehr leicht zu bombardiren ist.“

Bonaparte setzte das Fernrohr an und musterte die betreffende Gegend. Als er es wieder absetzte, bewegte sich kein Zug seines ehernen Gesichtes. Er blickte lange auf den Horizont hinaus; dann aber wandte er sich plötzlich zu den beiden Generalen:

„Dieser Mann hat Recht, vollkommen Recht. Ich ersuche die Bürger Generale, seinen Rath, welchen ich mit meiner Ueberzeugung unterstütze, in schnelle Erwägung zu ziehen!“

„Den Rath eines Arrestanten!“ rief Cartaux. „Schäme Dich, Bürger Colonel!“

Auch auf diese beleidigende Antwort zuckte keine Wimper in Napoleon’s Gesicht, aber seine Stimme klang scharf und schneidig, als er entgegnete:

„Allerdings schäme ich mich, messieurs, aber nicht über den Rath, welcher uns ertheilt wurde, sondern darüber, daß bis jetzt noch nicht gefunden worden ist, was dieser Bürger auf den ersten Blick bemerkte. Ich bin gewohnt, jeden nützlichen Rath anzunehmen, er komme, von wem es auch sei, und bitte, den betreffenden Punkt schleunigst besetzen und befestigen zu lassen. Wenn uns die Engländer zuvorkommen, so muß es uns außerordentliche Opfer kosten, die Unterlassung wieder auszugleichen.“

„Colonel!“ brauste Cartaux auf. Er wollte mehr sagen, Doppet aber ergriff ihn beim Arme und zog ihn fort.

Bonaparte blickte ihnen mit finsterer Miene nach.

„Man wird dennoch thun müssen, was ich will,“ murmelte er, und zu Surcouf gewendet, fuhr er fort: „Dein Plan ist gut, Bürger; ich danke Dir! Wo hast Du diesen Scharfblick her, Du, ein Matrose?“

„Matrose?“ lachte der Gefragte. „Ein Schüler der See-Akademie und des Bureau des longitudes? Der Seemann hat ebenso seine Strategie und Taktik, wie der Offizier des Festlandes. Bürger Colonel, ich freue mich, mit Dir sprechen zu können. Ich bin Dein Gefangener; Du wirst mich vielleicht bestrafen, weil ich einigen unnützen Burschen den Schädel geklopft habe; ich werde diese Strafe auf mich nehmen; aber wenn ich sie verbüßt habe, so werde ich Dich abermals aufsuchen, dann habe ich Dir eine Bitte vorzutragen.“

„Sprich sie aus!“

„Heute nicht. Erst muß ich die Strafe hinter mir wissen.“

Bonaparte runzelte leicht die Stirn.

„Du sprichst sehr kategorisch! In Deinem Alter ist man gern bescheiden, weil man da erst im Begriffe steht, das Leben zu beginnen.“

„Bürger,“ lächelte der Getadelte, „Du beginnst es also vom Colonel an, denn wir werden wohl die gleichen Jahre zählen.“

Napoleon beachtete diesen Einwurf nicht und fuhr fort:

„Du hast allerdings Strafe verdient, denn Du hast Dich an den Soldaten des Convents vergriffen; aber um des Rathes willen, welchen Du uns gegeben hast, soll Dir verziehen sein. Jetzt nun wirst Du wohl Zeit finden, Deine Bitte auszusprechen, Bürger Surcouf?“

„Ich danke Dir, Bürger Colonel! Meine Bitte ist sehr kurz; sie lautet: gib mir ein Schiff!“

Der kleine Corse blickte erstaunt den Seemann an.

„Ein Schiff?“ rief er verwundert. „Was willst Du mit dem Schiffe, und woher soll ich es nehmen?“

„Hier lies zunächst diese Papiere!“

Er zog sein Portefeuille hervor, nahm eine Anzahl groß gesiegelter Zeugnisse hervor und gab sie Napoleon. Dieser las eines nach dem andern und gab sie ihm dann mit einer sehr nachdenklichen Miene zurück.

„Ausgezeichnet!“ nickte er. „Bürger Surcouf, es wird wenig Männer Deines Alters geben, welche sich des Besitzes solcher Papiere rühmen können. Du bist klug und kühn; der Convent wird wohlthun, Dich im Auge zu behalten.“

„Pah, der Convent will mich gar nicht haben!“

„Warst Du in Paris?“

„Ich war dort; ich war in Le Havre; ich war in Brest, in Nantes, in La Rochelle, in Bordeaux, Marseille und Lyon; ich war bei allen Marinebehörden bis hinauf zum Minister und habe nur das Eine gehört, daß ich unfähig bin.“

„So sind Deine Zeugnisse eine Lüge.“

„Sie enthalten die Wahrheit; aber die Männer, bei denen ich war, segeln im Nebel, ohne die Augen zu öffnen. Ich habe Alles gethan, um sie sehend zu machen; ich habe ihnen meine Ansichten entwickelt; ich habe ihnen den Vorhang der Zukunft gelüftet — sie wollten blind bleiben.“

Jetzt lächelte Bonaparte, aber wie ein Riese, welcher einen Zwerg von Heldenthaten sprechen hört.

„Welches sind die Ansichten, die Du ihnen entwickelt hast?“ fragte er.

„Es sind die Ansichten eines einfachen Mannes, der sich durch kein Blendwerk täuschen läßt. Die republikanische Form unserer Regierung steht im Gegensatze zu den Regierungsformen der uns umgebenden Länder; unsere Interessen sind den ihrigen feindlich entgegengesetzt, und der Ausgleich kann nicht auf dem Wege des Friedens geschehen. Ferner gibt es im Innern der Republik selbst tausend noch ungezügelte Kräfte und Mächte, welche eine gewaltige Expansionskraft besitzen; eine einzige dieser Kräfte ist im Stande, den noch unfertigen Bau augenblicklich zu zertrümmern. Die Religion ist das Herz der Nation; die Republik will sich dieses Herz herausreißen; sie wird zum Selbstmörder werden; sie wird sterben; aber ihr Tod wird kein sanfter, sondern ein fürchterlicher sein. Damit habe ich bewiesen, daß

Frankreich vor großen Kämpfen steht, vor Kämpfen nach außen und vor Kämpfen nach innen. Hierzu bedarf es einer Land- und Seemacht, welche nicht nur sich in gutem Vertheidigungszustande befindet, sondern nöthigenfalls auch zum Angriffe schreiten kann. Wir haben ein tapferes Heer und gute Generale, aber was wir nicht haben, das ist eine genügende Flotte. Seeleute hat Frankreich genug, aber es mangelt an Kriegsschiffen und an Seeoffizieren, welche die Fähigkeit besitzen, die kriegerischen Traditionen unserer Feinde zu Schanden zu machen — — —“

„Und ein solcher Offizier bist Du?“ unterbrach ihn Napoleon.

„Ja,“ antwortete der Gefragte mit offener Miene. „Man gebe mir ein Schiff, und ich werde es beweisen!“

„Du sprichst sehr stolz, Bürger Surcouf, und läufst Gefahr, daß man Dein Selbstbewußtsein für Prahlerei nimmt. Wer einen Kahn zu steuern vermag, ist doch noch nicht ein geborenes Genie zur See!“

Es lag etwas wie Geringschätzung in dem Tone, in welchem diese Worte gesprochen wurden; Surcouf fühlte das, und seine Stimme klang schärfer denn vorher, als er entgegnete:

„Bürger Colonel, Du sprichst in dieser Weise zu mir, weil Du siehst, daß ich noch nicht das Alter besitze, um Mitglied des Rathes der Alten zu sein. Das ist ein schlechter Mann, welcher mehr von sich hält, als er ist; aber ein noch viel schlechterer Mann ist derjenige, welcher nicht weiß, was er zu leisten vermag. Wenn ein Maler oder Arzt General werden kann, so ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß ein Seemann ein Schiff zu führen vermag. Wir stehen in einer Zeit, welche Altes zerschmettert, um Neues zu schaffen. Die Kämpfe, denen wir entgegen gehen, erfordern jugendliche Kräfte. Warum soll ich abgewiesen werden?“

„Weil Du Dir erst verdienen mußt, was Du begehrst. Was hast Du für den Staat geleistet? Du magst ein guter Seemann sein; Du magst dies im privaten Leben auch bewiesen haben; der Marinebehörde aber bist Du unbekannt und darfst nicht erwarten, daß man Dir ein Schiff anvertraut, ohne Dich vorher kennen gelernt zu haben.“

„Aber man will mich nicht kennen lernen; man will keinen Offizier, der den Glauben hat, daß sein Schiff ebenso von Gottes Hand wie von den Winden geleitet wird.“

„So ändere Deinen Glauben!“

Surcouf trat einen Schritt zurück und rief:

„Bürger Bonaparte, Du scherzest! Ich bin ein Katholik und bleibe es. Ich bin ein Franzose und bleibe es, trotzdem mir von England Anerbietungen gemacht worden sind, welche mir die Erfüllung meiner sehnlichsten Wünsche verheißen. Ich werde

stets nur für mein Vaterland, niemals aber gegen dasselbe kämpfen, und gibt man mir kein Schiff, so nehme ich es mir!“

Napoleon machte eine abweisende Geberde.

„Das träumst Du nur!“ meinte er scharf.

„Robert Surcouf träumt nie, Bürger Colonel! Du bist der Letzte, auf den ich meine Hoffnung setzte. Gib mir wenigstens ein kleines Fahrzeug, aus welchem ich einen Brander herstellen kann, und Du sollst sehen, daß ich das feindliche Flaggenschiff in die Luft sprenge!“

„Hier, im Hafen von Toulon?“

„Ja.“

„Ah, nun bin ich wirklich überzeugt, daß Du träumst! Bürger Surcouf, gehe; Deine Dienste werden nicht gebraucht!“

„Ist dies Dein letztes Wort?“

„Mein letztes!“

„So habe ich meine Schuldigkeit gethan und kann nun nach Belieben handeln. Es wird eine Zeit kommen, in welcher Frankreich’s Ruhm zur See zusammenbricht, in welcher man vergebens ausschaut nach einem Manne, der unsere Flagge siegreich steigen lassen könnte; aber dieser Mann wird fehlen. Dann, ja dann wird man sich des Bürgers Surcouf erinnern; man wird ihn rufen, doch er wird diesem Rufe nicht Folge leisten.“

„Ah, Dein Traum wird zum Fieber! Man wird Dich niemals rufen, denn Du wirst niemals zu verwenden sein. Und wäre ich selbst es, der hier zu entscheiden hätte, so würde ich der Letzte sein, der Deinen Namen nennt. Frankreich braucht Männer und besonnene Köpfe, aber nicht Knaben und Phantasten. Heut hast Du gesprochen, und bereits morgen wirst Du vergessen sein!“

Da trat Surcouf hart an den Offizier heran und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter.

„Bürger Bonaparte, ich will Dir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten; ich sage Dir offen, daß ich Dich für einen Mann halte, der seinen Weg machen wird; auf diesem Wege aber wird Dir einst Robert Surcouf begegnen, und dann wirst Du bedauern, daß Du ihn so schnell vergessen hast. Wir sind geschieden für ewige Zeiten; vorher aber sage mir noch Eins: Was wirst Du mit Pater Martin, meinem Gefährten, thun?“

„Darnach hast Du nichts zu fragen. Er hat sich gegen die Verordnungen des Convents gesträubt und wird seine Strafe leiden.“

„Er hat Gott mehr gehorcht als den Menschen, und darum wird ihn Gott beschützen. Versucht es immerhin, den Ewigen abzusetzen: es wird Euch schwer werden, gegen den Stachel zu lecken!“ —(Fortsetzung folgt.)

Nachdruck verboten.

Robert Surcouf.

Ein Seemannsbild von Ernst von Linden.

(Fortsetzung.)

Eine kühne That.

Am Abend desselben Tages saß Pater Martin allein in seiner Kammer. Es war ihm gesagt worden, daß sein Gefährte frei sei und nicht wieder zurückkommen werde. Draußen vor dem Orte donnerten die ehernen Stimmen der Geschütze trotz der herrschenden Dunkelheit, und in dem Hofe erklang der regelmäßige Schritt der Schildwache, welche vor dem Fenster des Gefängnisses Wache zu halten hatte.

In den Gassen von Beausset und besonders vor dem Hauptquartiere standen Gruppen von Soldaten, welche sich über die nächtliche Kanonade unterhielten. Es war dies ein Zeichen, daß mit dem Obersten Bonaparte ein neuer Geist in die Belagerungsarmee getreten sei, und man gab sich der Hoffnung hin, daß man einen baldigen Erfolg bemerken werde.

Da kam sporenklirrend ein Offizier die Gasse herab und trat in das Haus. Er schritt direkt durch den Flur hinaus nach dem Hofe und blieb vor dem Posten halten.

„Bürger Soldat, wie heißest Du?“ fragte er kurz und barsch.

„Etienne Girard,“ antwortete der Gefragte salutirend.

„Nun wohl, Bürger Girard, öffne mir die Thür, welche zu dem Gefangenen führt!“

Der Soldat gehorchte ohne Widerrede. Der Offizier blieb vor dem Eingange stehen und befahl dem Priester:

„Bürger Martin, folge mir! Du sollst die Ehre haben, vor dem General zu erscheinen, welcher Dich draußen in der Schanze sprechen will.“

Der Gefangene erhob sich und verließ still und gehorsam die Kammer. Der Offizier schob dem Soldaten ein versiegeltes Papier in die Hand und gebot ihm:

„Hier die Bescheinigung, daß Du mir den Gefangenen übergeben hast, Bürger Girard. Du wirst sie dem Bürger Colonel Bonaparte einhändigen, sobald er zurückgekehrt ist; für jetzt aber bist Du abgelöst.“

Er entfernte sich mit dem Priester und schritt mit ihm an den Militärgruppen vorüber, zur Stadt hinaus. Draußen aber änderte er die Richtung und schwenkte links ab in das Feld hinein; an einer einsam gelegenen Stelle angekommen, blieb er halten.

„Bürger Martin, Du stehst vor Deinem Richter,“ sprach er mit derselben strengen Stimme, mit der er vorher gesprochen hatte.

Der Priester blickte auf.

„Du?“ frug er. „Du wolltest mein Richter sein?“

„Ja. Aber ich bin Dir ein gerechter Richter; ich spreche Dich frei.“ Und in völlig verändertem Tone setzte er lachend hinzu: „Vraiment, sogar dieser gute Pater Martin hat mich nicht erkannt!“

Bei dieser Stimme fuhr der Priester überrascht empor.

„Surcouf, Robert Surcouf, ist es möglich!“ rief er.

„Pst, leise!“ warnte der Andere. „Da drüben gibt es Leute, welche sich sehr für uns interessiren.“

„Aber wie kommst Du zu mir? In dieser Uniform? Weißt Du, daß Dein Spiel ein sehr gewagtes ist?“

„Gewagt? Ah pah! Diese Herren Maler, Aerzte, welche es sich beikommen lassen, den General zu spielen, sind mir nicht gefährlich; aber vor diesem kleinen Colonel Bonaparte muß man sich ein wenig in Acht nehmen. Du fragst, wie ich zu Dir komme. Glaubst Du etwa, daß Robert Surcouf der Mann ist, einen guten Bekannten sitzen zu lassen? Und diese Uniform? Haha, sieh’ sie Dir einmal genauer an! Es ist der Rock eines Douanier, eines Zollwächters, der ihn ausgezogen hat, weil er ihn auf dem Schaffote nicht mehr brauchte. Ich habe auch gute Freunde und Bekannte, auf welche ich mich verlassen kann. Ich werde ein wenig hinein nach Toulon gehen, um zu sehen, was zu machen ist.“

„Thu dies ja nicht. Du wagst Dein Leben!“

„Sorge Dich nicht um mich. Ich weiß ganz genau, was ich wage. Jetzt handelt es sich ganz allein um Dich. Du bist frei. Wohin gedenkst Du Dich zu wenden?“

„Ehe ich Dich traf, hatte ich die Absicht, die italienische Grenze zu erreichen. Drüben wird man für mich sorgen.“

„Du sollst sicher hinüber kommen, mein guter Pater Martin. Ich habe da einige wackere Leute, welchen Du nach Frejus folgen wirst; sie werden Dich auf einem Fahrzeuge hinüber bringen.“

Er stieß einen leisen Pfiff aus, worauf zwei Gestalten aus dem Dunkel der Nacht auftauchten.

„Hier ist der würdige Pater Martin, Ihr Leute. Ich übergebe ihn Euch, weil ich weiß, daß er in Euern Händen ebenso sicher ist, wie in den meinigen. Und nun gebt mir meinen Rock und nehmt diesen dafür zurück. Und jetzt, frommer Vater, wollen wir Abschied nehmen. Wir werden Beide dieses Land verlassen, aber unsere Wege werden wohl nie wieder zusammentreffen. Beten Sie für mich, denn das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist, und ich werde es ja brauchen können!“

„Gott segne Dich, mein Sohn! Ich — — —“

Er sprach nicht weiter, denn Surcouf war bereits im Dunkel der Nacht verschwunden, hatte ihm aber vorher Etwas in die Hand gedrückt. Der Priester fühlte, daß es Geld war; er mußte den beiden Schiffern folgen, ohne es zurückweisen zu können.

Eine halbe Stunde später kehrte Bonaparte von der Schanze in das Quartier zurück, und Etienne Girard beeilte sich, ihm das Schreiben zu überreichen. Es enthielt allerdings eine Empfangsbescheinigung; es lautete:

„An den Bürger Colonel Bonaparte.

Ich bestätige hiermit den richtigen Empfang eines Mitgefangenen, des frommen Pater Martin. Ich habe ihm die Freiheit gegeben, um ihn ungerechten Richtern zu entziehen und dem Bürger Bonaparte zu zeigen, daß der Bürger Surcouf nicht bloß zu träumen, sondern auch zu handeln vermag. Er hat versprochen, sich ein Schiff zu holen, weil man ihm keines gibt, und er wird sein Wort halten.

Robert Surcouf.“

Bonaparte ließ sich von dem Soldaten das Geschehene berichten und starrte dann lange auf die Zeilen nieder. Sollte er den überlisteten Posten bestrafen? Nein. Er winkte schweigend, und der Mann trat ab. Der Colonel traf nicht einmal Anstalten, den Entflohenen zu verfolgen. Es wurde über die ganze Angelegenheit kein Wort gesprochen.

Napoleon hatte übrigens Anderes zu thun, als sich um die Wiederhabhaftwerdung eines Flüchtlings zu bekümmern, dessen Besitz ihm nicht den mindesten Vortheil brachte. Die beiden Generäle Cartaux und Doppet gaben nämlich die Besetzung des Punktes, auf welchen sie durch Surcouf aufmerksam gemacht worden waren, nicht zu; desto klüger aber waren die Engländer, welche plötzlich die Wichtigkeit des Ortes erkannten, 4000 Mann hinlegten und ihn mit furchtbaren Verschanzungen versahen. Diese Befestigungen waren so stark, daß sie den Platz Kleingibraltar nannten.

Voll Aerger über diesen Fehler fertigte Bonaparte einen Bericht an den Convent ab, in Folge dessen der Oberbefehl im November dem tapfern und einsichtsvollen Dugommier übertragen wurde. Dieser erkannte[,] welchen Mann er in dem kleinen Corsen besaß, und gab seinen Vorschlägen offenes Gehör. Es wurden ganz in der Stille die nöthigen Vorkehrungen getroffen, welche volle drei Wochen in Anspruch nahmen; dann begann ein dreitägiges, entsetzliches Bombardement auf Kleingibraltar, welches dann im Sturme gewonnen wurde.

Unter den Bewohnern der Stadt herrschte natürlich eine große Aufregung. Viele Tausende hatten sich an dem Aufstande gegen den Convent betheiligt und die Engländer willkommen geheißen, als die Flotte derselben kam, um Toulon im Namen Ludwig’s des Siebzehnten in Besitz zu nehmen. Sie Alle waren verloren, wenn die Vertheidigung nicht gelang. O’Hara, der Stadtkommandant, machte die riesigsten Anstrengungen, um die Belagerung abzuweisen; aber als Kleingibraltar verloren war, erkannte er, daß nun alle Mühe vergebens sei. Auch der Befehlshaber der englischen Flotte, Admiral Lord Hood, erklärte, daß Toulon nun nicht mehr zu halten sei, und verließ den Hafen. Er kreuzte draußen auf der Rhede und nahm die Truppen nebst denjenigen Einwohnern auf, welche sich compromittirt hatten. Wohl an die vierzehntausend Menschen verließen auf diese Weise die Stadt, um sich der Rache des Convents zu entziehen, von dem man wußte, daß er nicht zur Milde geneigt sein werde.

In einem engen Gäßchen, unweit des innern Hafens gelegen, gab es eine Taverne, welche nur von Matrosen besseren Schlages besucht wurde. Oncle Carditon, wie der Wirth genannt wurde, war ein anständiger Mann, welcher alles Gesindel von

seinem Hause fern zu halten wußte. Dabei war er ein guter Christ und ein eifriger Patriot, welcher die Revolution haßte.

Es war einen Tag vor dem Sturme auf Kleingibraltar, als ein fremder Mann in die Taverne trat. Er trug die Kleidung eines englischen Marinematrosen und zeigte auch die ganze Ungenirtheit dieser Leute, denn er legte, nachdem er sich gesetzt hatte, die schmutzigen Füße auf den mit einem weißen Linnen gedeckten Tisch und stieß, mit der Faust aufschlagend, einen lauten Fluch aus, um den Wirth herbeizurufen.

Dieser trat heran und erkundigte sich in aller Höflichkeit nach dem Begehr des Gastes.

„Wein!“ sagte dieser.

„Haben Sie ein Gefäß bei sich?“

„Ein Gefäß? Was! Gibt es für die Gäste hier keine Gläser, he?“

„Für die Gäste, ja. Aber beim Verkaufe über die Straße hat ein Jeder sein Gefäß mitzubringen.“

„Wer sagt Euch denn, daß ich den Wein mit fortnehmen will? Ich bin Gast und werde ihn hier trinken.“

„Wenn Ihr von meinem Weine trinken wollt, so müßt Ihr ihn allerdings mit fortnehmen, denn hier trinken könnt Ihr ihn nicht. Wer mein Gast sein will, der hat sich so zu betragen, daß ich mich seiner nicht zu schämen brauche.“

„Ah! Und meiner müßt Ihr Euch wohl schämen?“

„Allerdings. In meinem Hause thut man die Beine hübsch unter den Tisch.“

„Und wenn mir dies nicht gefällt?“

„So könnt Ihr gehen, oder ich führe Euch hinaus.“

„Was gilt die Wette: ich lasse die Beine, wo sie sind, und bin Euch doch willkommen!“

„Daran denkt kein Mensch! Ich ersuche Euch, schleunigst abzusegeln!“

„Auch wenn man mich hierher bestellt hat?“

„Wer?“

„Robert Surcouf.“

„Surcouf? Der? Einen Engländer? Ah, das ist etwas Anderes. Erlaubt, daß ich Euch ein Glas bringe!“

„Nun, wer hat Recht?“ lachte der Fremde. „Jetzt aber sehe ich, daß ich an die richtige Adresse gekommen bin, und werde manierlicher sein. Habt keine Sorge, Oncle Carditon, ich bin kein Engländer, sondern ein Kind unserer guten Bretagne; ich war nur gezwungen, mich in dieser Verkleidung durch die Feinde hindurchzuschmuggeln. Ist Surcouf daheim?“

„Er ist da. Welchen Namen soll ich ihm nennen?“

„Bert Ervillard!“

„Ervillard!“ rief der Wirth erfreut. „Wirklich? O, warum sagtest Du das nicht gleich!“

„Weil ich zum Spasse sehen wollte, ob Du wirklich ein so großer Brummbär bist, wie man sagt, Oncle Carditon.“

„Es ist nicht so schlimm; aber ich kann nun einmal die Engländer nicht leiden. Wo hat Dich unser Bote getroffen?“

„In Tropez. Surcouf wußte genau, daß ich dort zu finden war. Hat er etwas gefunden?“

„Ich weiß es nicht. Er ist sehr verschwiegen, was ich nicht tadeln kann.“

„Wie ich ihn kenne, ist er bereits im Klaren. Ich bin erst vor zwei Stunden angekommen und weiß dennoch bereits, was ich thun würde. Da sah ich zum Beispiel eine Brigantine, scharf auf den Kiel gebaut, schmuck wie eine Taube und glatt wie ein Falke; sie hatte zwanzig Stückpforten und schien ganz vor Kurzem vom Stapel gekommen zu sein. Das wäre eine Prise, he!“

Der Wirth lächelte geheimnißvoll schelmisch.

„Du meinst „the hen“, welche da drüben vor Anker liegt? Ja, ein feines Schiff! „La poule“ würde besser klingen als „the hen“, das ist wahr. Na, wer weiß, was sich ereignen kann! Surcouf sagte, daß ihm nichts zu schwer sei, wenn Du ihm helfen würdest. Ich glaube, daß er Dir den Posten des Ersten Offiziers zugedacht hat. Komm; ich will Dich zu ihm führen!“

Dieses Gespräch war laut geführt worden, da kein Gast zugegen war. Der Wirth führte Ervillard eine Treppe empor, und als er zurückkehrte, bekam er weitere Arbeit, da ein Trupp Hafenarbeiter Zutritt genommen hatte und seine Dienste in Anspruch

nahm. Kurze Zeit später trat ein Mann herein, welcher in stolzer Haltung die vordere Stube durchschritt und in dem hinteren Zimmer verschwand, welches den Aufenthalt der Kapitäns und Steuerleute bildete. Er besaß eine hohe, plumpe, ungeschlachte Gestalt, und sein aufgedunsenes Gesicht hatte jene spirituose Färbung, welche man vorzugsweise an Schnapstrinkern zu beobachten pflegt.

In dem Angesichte des Wirthes zuckte es eigenthümlich, als er, ohne erst auf die Bestellung zu warten, dem neuen Gaste ein großes Glas voll Cognac nachtrug. Er grüßte ehrerbietig, aber ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht doch einen verstohlenen Blick belauscht, der auf eine ganz andere Gesinnung schließen ließ.

„Nun?“ frug der Gast kurz, nachdem er den Inhalt seines Glases auf einmal hinabgegossen hatte.

„Ich habe nachgesehen, Kapitän, und — — —“

„Still!“ gebot ihm der Andere. „Laß Deinen Kapitän bei Seite! Es braucht Niemand zu hören, wer ich bin. Also Du hast nachgesehen?“

„Ja.“

„Und — —?“

„Es wird gehen.“

„Das denke ich auch.“

„Nur müssen Sie sich mit genug Arbeitskräften versehen. Die Mauer ist sehr schwer zu durchbrechen, und lange Zeit darf der Vorgang doch nicht in Anspruch nehmen.“

„Das ist richtig. Hast Du Niemand, der helfen kann?“

„Nein. Ich will überhaupt dabei ganz aus dem Spiele bleiben. Ich darf nicht das Geringste wissen, verstehen Sie? Es würde um mich geschehen sein, wenn man ahnte, daß ich im Einverständnisse bin.“

„Das läßt sich denken. Aber woher die Leute nehmen! Diese Bürger Soldaten schießen so sicher, daß ich bereits den dritten Theil meiner Leute eingebüßt habe. Wie viele Personen werden erforderlich sein?“

„Zwanzig ganz sicher.“

„Ah, und ich habe nicht vierzig! Ich brauche überhaupt neue Hände an Deck, und hier ist Niemand zu bekommen. Weißt Du Keinen, der Lust hat, es einmal auf einem Engländer zu versuchen? Ich zahle Dir für Jeden eine Guinee.“

„Hm, vielleicht; aber ein Engländer ist es nicht.“

„Ein Franzose?“

„Ja, doch er hat es sehr eilig, aus dem Lande zu kommen.“

„Das ist mir sehr lieb; solche Leute sind am besten zu brauchen; dazu ist ja die Schiffsordnung vorhanden. Wo ist der Kerl?“

„Hm! Er muß noch hier im Hause sein. Und wenn ich nicht irre, hat er auch einige Kameraden, welche sich vielleicht bereden lassen, auch an Bord zu gehen.“

„So schaffe ihn mir einmal herbei, aber schnell; ich habe nicht viel Zeit. Vorher jedoch bringe mir eine ganze Flasche Cognac; denn ein guter Schluck macht solche Leute willfährig.“

Der Wirth brachte das Bestellte und stieg dann abermals die Treppe empor. Dort oben gab es ein kleines, verstecktes Zimmer, an dessen Thüre Oncle Carditon klopfte. Es wurde geöffnet, und zwar von Surcouf, welcher sich mit Ervillard ganz allein in dem Raume befand.

„Was gibt es?“ fragte der Erstere.

„Er ist da,“ antwortete der Wirth.

„Wer? Der Kapitän?“

„Ja,“ antwortete Oncle Carditon. „Er arbeitet uns ganz außerordentlich in die Hände. Er braucht Matrosen und hat mir eine Guinee versprochen für einen Jeden, den ich ihm verschaffe.“

„Ah, Bert Ervillard, was meinst Du dazu? Willst Du Erster Offizier auf „the hen“ werden?“

Die Augen des Gefragten strahlten vor Vergnügen, als er antwortete:

„Robert Surcouf, Du kannst Dich auf mich verlassen. Sage mir, was ich zu thun habe!“

„Es freut mich, daß Du Dein Auge grad so wie ich auf „the hen“ geworfen hast. Sie ist die schmuckste Seglerin, welche ich jemals gesehen habe, und darum soll sie unser werden. Ihr Kommandant ist der Kapitän zur See, William Harton.

Er muß große dienstliche Fehler begangen haben, da man ihm nur diese Brigantine anvertraut. Ueberhaupt ist er kein ehrlicher Seemann, sondern ein Spitzbube, dem wir auf die Finger klopfen werden. Er weiß, daß Toulon nicht zu halten ist und daß die ganze Flotte in einigen Tagen den Hafen verlassen wird; natürlich sticht auch er in See, will aber vorher erst einen Coup ausführen, welcher an und für sich schändlich ist, uns aber trefflich zu Statten kommt. Das Haus unsers Oncle Carditon stößt nämlich an die Banque orientale, in deren Kellern sich bedeutende Summen vermuthen lassen. Das Eigenthum der Bank steht natürlich unter öffentlichem Schutze; von außen ist demselben nicht beizukommen. Da hat sich nun dieser ehrliche Kapitän an Oncle Carditon gemacht, um ihn vorsichtig auszuforschen. Carditon ist scheinbar auf seine Absichten eingegangen, und so haben Beide beschlossen, von der Taverne aus mit Brechwerkzeugen in die Keller einzudringen. Das soll in der Nacht geschehen, bevor die Flotte den Hafen verläßt. Bei Oncle Carditon darf man natürlich nichts finden; den ihm gehörigen Antheil will der Kapitän in Barcelona deponiren. Was sagst Du dazu, Bert Ervillard?“

„Ich sage, daß dieser William Harton ein großer Schurke und ein noch größerer Dummkopf ist. Es gehört eine ungeheure Albernheit dazu, unsern Oncle Carditon für so albern zu halten, auf ein solches Geschäft einzugehen.“

„Das ist richtig. Ich glaube, dieser Kapitän hat einen großen Theil seines Verstandes vertrunken. Die Sache ist jedoch sehr vortheilhaft für uns. Um die Mauern zu bewältigen, braucht er eine ziemliche Anzahl kräftiger Arme; er wird dazu seine eigenen Leute nehmen und also die Brigantine von Männern entblößen; ist dies geschehen, so werden wir handeln.“

„Sind wir zahlreich genug?“

„Habe keine Sorge! Ich habe eine Anzahl braver Bursche, welche sich zwar zerstreut in der Stadt befinden, aber in einer Viertelstunde zur Stelle sind, wenn ich sie brauche. Jetzt nun sagt uns Oncle Carditon, daß der Engländer Matrosen brauche. Willst Du Dich melden, Bert Ervillard? Wenn Du mit einigen von meinen Jungens an Deck der Brigantine kommen könntest, so wäre das Unternehmen schon zur Hälfte gelungen.“

„Ich bin bereit dazu.“

„So hast Du keine Zeit zu verlieren. Als Engländer darfst Du ihm natürlich nicht kommen. Sage ihm, daß Du einige Bekannte in der Nähe hast, welche auch gern einige Meilen Wasser zwischen sich und Frankreich bringen möchten. Am besten würde es sein, wenn er euch für Landratten hält; er kann dann weniger leicht Mißtrauen schöpfen. Laß Dir von Oncle Carditon ein anderes Habit geben und komme dann wieder herauf!“

Während sich dies in der Taverne begab, rollte der Donner des Bombardement über die Stadt und die Rhede hin; er schwieg selbst während der Nacht nicht still, und am andern Morgen rüsteten sich die Truppen des Convents zum Sturme. Es war noch dunkel, als Dugommier und Napoleon ihre Colonnen gegen die Werke von Kleingibraltar führten. Das Tirailleurfeuer und die Kartätschen der Engländer wütheten in der Weise unter den Franzosen, daß Dugommier, der sonst so Unerschrockene, sich mit den Worten „Wir sind verloren!“ zurückzog. Napoleon hatte sich aber im fürchterlichsten Kugelregen einen Weg in die feindlichen Redouten gebahnt, und bald befand sich Kleingibraltar in seinen Händen. Dann erstürmte er die beiden Forts Balagnier und Eguillette, und es erschienen die Deputirten des Convents, um ihm ihren Dank auszusprechen. Er hatte heut die erste große Stufe zum Consulate und zum Kaiserthrone erstiegen.

Admiral Hood zog sich zurück. Zunächst lichteten die größeren Schiffe die Anker; dann sollten die kleineren folgen. Die Rheden und das Meer waren von Schaluppen und Fahrzeugen bedeckt, welche sich mit Truppen und fliehenden Einwohnern an Bord des Geschwaders begaben. Unterdessen dauerte die Kanonade ununterbrochen fort, welche gegen die übrigen Befestigungswerke gerichtet war. Die Erde zitterte unter dem Donner der Geschütze, die See schäumte unter den peitschenden Schlägen von tausend Rudern, und die Luft zischte hinter den zahllosen Geschossen, welche sie nach allen Richtungen durchkreuzten. In der Stadt herrschte eine fieberhafte Aufregung. Man war auf den Gassen und Straßen derselben seines Lebens nicht sicher. Wer den Convent zu fürchten hatte, der floh, und wer zurückblieb, der verbarrikadirte -

verbarrikadirte sich in seinem Hause aus Furcht vor den Marodeurs, welche in größeren oder kleineren Trupps ihr räuberisches Handwerk trieben.

Diejenigen Schiffe, welche noch in dem innern Hafen lagen, mußten an den Befestigungen vorüber, welche sich jetzt in den Händen der Conventtruppen befanden. Mehrere von ihnen wurden von den Artilleristen Napoleon’s in den Grund gebohrt; darum blieben die übrigen zurück, um den Schutz der Nacht zu erwarten, wo sie meinten, mit größerer Sicherheit auslaufen zu können. Zu ihnen gehörte auch die Brigantine „the hen“.

Als der Abend hereingebrochen war, stellte sich der Kapitän Harton bei Oncle Carditon ein. Es befand sich kein einziger Gast in der Taverne, denn es gab Niemand, der Zeit und Lust gehabt hätte, in dieser Zeit der Not die Seinen zu verlassen, um nach alter Gewohnheit beim Glase zu sitzen.

„Wie steht es; ist Alles sicher?“ frug er den Wirth.

„Alles,“ antwortete dieser.

„Und drüben in der Bank?“

„Man hat Wächter in die oberen Räume gestellt; nach unten aber können diese nicht. Uebrigens ist die Kanonade so stark, daß kein Lauscher Ihre Arbeit vernehmen kann. Haben Sie genug Leute mit?“

„Ja. Oeffnen Sie Ihren Keller; sie werden gleich kommen. Im Weiteren aber werden Sie sich nicht um uns bekümmern!“

„Hier ist der Schlüssel. Und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es nicht bin, der Sie belästigen wird. Aber sagen Sie vorher Eins: haben Sie die versprochenen Männer an Deck bekommen?“

„Ja. Es sind Elf, zwar lauter junge, unbefahrene Leute, die nur deßhalb zu Schiffe gehen, weil ihnen hier der Boden unter den Sohlen brennt; aber ich bin doch froh, sie bekommen zu haben. Andere sind weniger glücklich wie ich, und die neunschwänzige Katze ist der beste Lehrmeister, den es gibt.“

„Sie verwenden sie doch nicht zu dem jetzigen Unternehmen?“

„Fällt mir gar nicht ein! Sie sind mir nicht sicher genug; auf meine Theerjacken aber kann ich mich verlassen.“

Er nahm den Schlüssel und ging hinaus. Der Wirth nickte befriedigt vor sich hin und brummte:

„Wirst Dich wundern, alter Spitzbube! Wie gut, daß er den Bert Ervillard an Bord gelassen hat; dieser wird mit den zehn Kameraden schon dafür sorgen, daß „the hen“ in die rechten Hände kommt.“

Nach einiger Zeit vernahm er draußen das Geräusch zahlreicher Schritte, und wenige Minuten später trat Robert Surcouf ein.

„Gefangen!“ lachte er. „Jetzt, Oncle Carditon, gib uns noch einen guten Schluck; dann brechen wir auf.“

„Stecken sie fest?“

„Fest! Wir haben so viele Tonnen auf die Thür gewälzt, daß sie diese vom Keller aus gar nicht zu öffnen vermögen. Auch habe ich dafür gesorgt, daß sie von der Bank aus gut empfangen werden. Es sind über zwanzig Männer; „the hen“ ist also entblößt, und so zweifle ich nicht, daß unser Streich gelingen wird.“

„Ihr werdet sofort in See stechen?“

„Nein. Robert Surcouf ist kein Einbrecher, der nur im Dunkel der Nacht sein Wesen treibt. Ich werde am hellen Tage und mit offener, französischer Flagge den Hafen verlassen.“

„Das würde keine Kühnheit mehr, sondern Wahnsinn sein!“

„Desto sicherer wird es gelingen. Habe Dank für Deine Hilfe, mein guter Oncle Carditon. Du wirst von mir und den Meinigen bald hören!“

Draußen im Flure standen gegen dreißig Männer, welche sich am Tage über in den obern Räumen des Hauses versammelt hatten. Sie tranken auf das Gelingen ihres Vorhabens und verabschiedeten sich dann vom Wirthe. Mit Surcouf an der Spitze begaben sie sich an das Wasser, wo sie die Boote fanden, auf denen Kapitän Harton mit seinen Leuten angekommen war. Sie bestiegen dieselben und ruderten auf „the hen“ zu. Sie hatten die Brigante noch nicht ganz erreicht, so hörten sie, daß an Bord derselben Jemand ein Liedchen pfiff.

„Das ist das Zeichen,“ flüsterte Surcouf. „Die Unsrigen haben ihre Schuldigkeit gethan und sich in den Besitz des Fahrzeuges gesetzt.“

„Ahoi, Brigantine!“ rief er jetzt.

Da bog sich ein Kopf über die Regeling des Schiffes herab, und die Stimme Bert Ervillard’s frug:

„Boote ahoi! Welche Männer sind es?“

„Die richtigen!“ antwortete Surcouf.

„Grâce à Dieu! Laßt die Treppe herab, Jungens! Der Kapitän kommt.“

Die Ankommenden stiegen an Bord und zogen dann die Boote nach. Bert Ervillard hatte die Besatzung des Schiffes hinunter in den Kielraum gelockt und dort eingeschlossen. Die Brigantine befand sich in der Gewalt Surcouf’s, und eine nähere Untersuchung ergab, daß ihre Ausrüstung bis auf das Allerkleinste eine ganz vorzügliche war. Der schwierigste Theil der Aufgabe freilich war noch zu lösen: es galt, das so leicht eroberte Fahrzeug nun auch zu behaupten.

Während der Nacht versuchten mehrere Schiffe, an den Batterien der Franzosen unbemerkt vorüberzukommen, aber die Kanoniere waren aufmerksam und ließen sich nicht täuschen. Surcouf blieb ruhig vor Anker liegen und verwendete auch den ganzen Vor- und Nachmittag nur darauf, die Brigantine für seine Zwecke einzurichten und ihr den möglichst hohen Grad der Seetüchtigkeit zu geben. Durch einen Boten, den er in die Taverne sandte, erfuhr er, daß die Engländer noch immer als Gefangene im Keller stäcken und auch nicht eher hervorkommen dürften, als bis „the hen“ in See gegangen sei.

Endlich am späten Nachmittag gab das Admiralsschiff den noch in den Häfen befindlichen Fahrzeugen das Zeichen, schleunigst die See zu suchen, und zu gleicher Zeit sah man die Besatzung von dreizehn französischen Orlogschiffen, welche sich an dem Aufstande gegen den Convent betheiligt hatten, ihre Fahrzeuge verlassen, um sich an Bord der Engländer zu begeben.

Bei diesem Anblick ballte Surcouf die Faust.

„Treulose Feiglinge!“ sagte er zu Bert Ervillard, seinem Lieutenant. „Wir wagen das Leben, um dem Feinde eine kleine Brigantine abzunehmen, und sie lassen neun Linienschiffe und vier Fregatten im Stiche, eine ganze Flotte, mit welcher ich diese Engländer um die Erde jagen würde!“

„Sie verdienen an die große Raa gehängt zu werden!“ antwortete Ervillard. „Aber ein Trost ist es, daß ihre Schiffe der Nation verbleiben werden, denn der Convent wird sie schleunigst in Besitz nehmen.“

„Meinst Du wirklich? Ich sage Dir, daß auf jedem dieser Schiffe bereits die Lunte brennt; in kurzer Zeit wirst Du dreizehn riesige Flammen leuchten sehen.“

„Ist es nicht möglich, wenigstens eines davon zu retten und in Besitz zu nehmen?“

Surcouf schüttelte den Kopf.

„Ich thue es nicht. Der Convent hat mich abgewiesen; ich habe kein Recht, mich eines seiner Schiffe zu bemächtigen, und also auch keine Verpflichtung, ihm eines derselben zu retten. Uebrigens sind wir zu wenig Mannen, mit einem Orlogschiff zu manövriren; unsere kleine Brigantine entspricht meinen Zwecken viel besser, und ich halte es für gerathener, dem Feinde ein Fahrzeug vor der Nase wegzunehmen, als den Retter zu spielen, wenn ich weiß, daß ich statt des Lohnes nur Undank ernte. Ich habe diesem Colonel Bonaparte gesagt, daß Frankreich’s Flagge sich senken werde; er hat mich ausgelacht; aber bereits heut beginnt die Trauer unserer Marine, denn das Meer wird dreizehn ihrer besten Schiffe im Werthe von vielen Millionen verschlingen. Vielleicht denkt der Colonel, wenn er die Flammen lodern sieht, an mich, obgleich er mich so schnell vergessen wollte.“

Er wandte sich ab, um vor Anbruch der Nacht noch einmal alle Räume und die ganze Ausrüstung des Schiffes durchzumustern, denn es galt, des Fahrzeuges selbst in den kleinsten Einzelheiten mächtig zu sein.

Der Abend neigte sich auf die unglückliche Stadt, und kaum hatte sein Dunkel die Umrisse der Plätze und Straßen umhüllt, so ertönte ein Donnerschlag, welcher Erde und Wogen erbeben machte: das Hauptmagazin war explodirt und in die Luft geflogen, und zu gleicher Zeit stiegen aus dem Zeughause fünf mächtige Flammensäulen zum Himmel empor. Kaum war dies geschehen, so liefen an den Masten der dreizehn französischen Kriegsschiffe züngelnde Feuerschlangen empor.

Die ganze Stadt und die Häfen wurden von diesen gewaltigen Feuern tageshell erleuchtet. Alles, was Ruder und Segel besaß, flüchtete hinaus auf die offene See, und nur die Brigantine blieb ruhig liegen. Sie war von den eroberten Forts aus ganz gut zu erkennen; man konnte von diesen Punkten aus sogar die Bemannung erkennen, welche sich auf den Raaen und im Takelwerke befand, um den Anblick des feurigen Panoramas besser genießen zu können. Das Verhalten dieses Fahrzeuges mußte natürlich auffallen; man konnte sich keinen Grund denken, weßhalb sich dieser Engländer nicht auch in Sicherheit brachte, und behielt ihn scharf und mißtrauisch im Auge, bis nach einigen Stunden die Flammen erloschen und die Dunkelheit sich wieder über Land und See ausbreitete.

Bereits mit Tagesanbruch stand Napoleon in einer der den Hafen beherrschenden Batterien. Er hatte während der Nacht nicht geschlafen, desgleichen auch General Dugommier, welcher an seiner Seite sich befand. Sie hatten die Fernrohre an den Augen und beobachteten das Fort La Malgue, welches ihnen noch Sorgen bereitete. Es schien verlassen zu sein, aber man konnte annehmen, daß es vorher unterminirt worden sei. Bei dieser Gelegenheit richtete Napoleon sein Glas auch auf die Brigantine, welche sich soeben aus dem aufsteigenden Nebel abzuzeichnen begann.

„Was ist das!“ rief er. „Bürger General, welcher Name hat gestern am Buge dieser Brigantine gestanden, welche uns soviel zu denken gibt?“

„The hen,“ antwortete der Gefragte.

„„Man hat während der Nacht diesen Namen überstrichen und geändert. Das Wort ist ganz deutlich durch das Rohr zu erkennen.“

Der General richtete sein Glas, las und schüttelte den Kopf.

„Unbegreiflich!“ meinte er. „Da steht geschrieben „le faucon“; es ist aus der englischen „Henne“ ein französischer „Falke“ geworden. Was hat dies zu bedeuten?“

„Nichts Anderes als eine List, ein Verrath gegen uns.“

„Pah, dieses kleine Fahrzeug kann uns nichts thun! Ah, jetzt hißt es die Segel. Mille tonnerre, die Wimpel haben französische Farbe! Man hebt den Anker; die Morgenluft bläht die Leinwand; die Brigantine will in See stechen!“

„Das will ich ihr verbieten!“ meinte Napoleon.

Er trat an eine der Kanonen, deren Lauf er eigenhändig richtete; dann lächelte er, seiner Sache gewiß:

„Sie muß in Schußlinie vorüber. Man wird sehen, ob der Bürger Bonaparte noch zu schießen vermag.“

Der General gab mit der Hand ein verneinendes Zeichen.

„Der Mann da auf dem Hinterdecke kommt mir nicht wie ein Engländer vor. Ich bin kein Seemann, aber das sehe ich, daß sich das Schiff in ausgezeichneten Händen befindet; es gehorcht wie ein Vollblutpferd dem leisesten Steuerdrucke. Uebrigens beobachtet uns der Kapitän ebenso durch das Rohr, wie wir ihn.“

Bonaparte nahm sein Glas abermals vor und blickte hindurch; dann zog er es rasch vom Auge, wischte es ab und schaute noch einmal nach dem Befehlshaber der Brigantine. Dieser hatte ihn durch das Rohr erkannt schwang sich in den Wanten empor und schwenkte grüßend seine Mütze.

„Er salutirt zu uns herauf,“ meinte der General. „Er muß einen von uns Beiden kennen.“

„Ich bin es, den er kennt,“ antwortete Bonaparte.

„Ah! Wer ist es?“

„Bürger General, das ist eine Geschichte, welche ich erzählen werde, wenn mir mehr Muße dazu bleibt. Dieser junge Mensch wollte von dem Convente ein Schiff haben; man hat es ihm verweigert, und nun hat er sich selbst eins genommen, und zwar mitten aus der englischen Flotte heraus.“

„Außerordentlich, ganz außerordentlich! Wie hat er dies angefangen?“

„Mir unbegreiflich!“

„Wir werden es erfahren. Er hat jedenfalls die Bemannung zu überwältigen gewußt. Ein kühner Bursche! Leider aber wird er seinem Verderben entgegengehen. Draußen liegen die englischen Schiffe: sie werden ihn zusammenschießen.“

„Leider! Hätte er den Namen des Schiffes nicht so augenfällig verändert, so wäre es ihm möglich, hindurch zu kommen.“

Jetzt kam die Brigantine in das Bereich der Batterie. Mit einem lauten Commandorufe brachte Surcouf seine Leute hinauf auf die Raaen, wo sie, sich die Hände reichend, Parade bildeten. Zu gleicher Zeit flog die französische Flagge empor, und aus den Stückpforten krachte die gebräuchliche Zahl der Begrüßungsschüsse. Dies Alles geschah mit einer solchen Gewandtheit und zierlichen Genauigkeit, daß selbst der sonst so kalte Bonaparte hingerissen wurde. Er kommandirte Feuer und gab mit geladenen Kanonen Antwort auf den Gruß des Mannes, den zu vergessen er sich vorgenommen hatte. Natürlich waren die Kugeln jetzt nicht gezielt; sie flogen weit an der Brigantine vorüber, welche mit graziöser Schwenkung dem Bereiche der Batterie entsegelte.

Kaum war sie vorüber, so wurde ein Mann am Bug herabgelassen, der sich mit der Inschrift zu schaffen machte. Jetzt sahen die beiden in der Redoute befindlichen Offiziere, daß der ursprüngliche Name nicht vertilgt, sondern nur mit einem Papier überklebt worden war, auf welchem die beiden Worte „le faucon“ standen. Diese Worte wurden jetzt entfernt, und nun kam wieder der frühere Name „the hen“ zum Vorschein.

„Ah diable, er hat uns betrogen!“ rief General Dugommier. „Die ganze Scene war nur Komödie, um unangefochten an der Batterie vorüber zu kommen. Man hat ihm kein Schiff gegeben, und nun ist er zu dem Feinde übergegangen.“

„Das glaube ich nicht,“ antwortete Napoleon. „Dieser Surcouf ist keines Verrathes an seiner Nation fähig, denn er ist eigenthümlicher Weise ein frommer Christ und guter Katholik. Diese Art von Leuten hat neben anderen Eigenschaften auch die, daß man auf sie rechnen kann. Ich glaube eher, daß er beabsichtigt, die Engländer zu düpiren.“

„Das werden wir sehen, sobald er in den Bereich ihrer Kanonen kommt.“

Die Brigantine flog mit vollen Segeln und zierlich sich zur Seite neigend über die Rhede dahin. Draußen kreuzten die Dreimaster der Engländer; man konnte mit dem bloßen Auge jedes einzelne Schiff erkennen. Am deutlichsten war das Flaggenschiff zu unterscheiden, auf welchem sich Admiral Hood in eigener Person befand. Die Brigantine hielt grad auf dasselbe zu; sie wurde noch immer von den Fernrohren der beiden Offiziere verfolgt.

„Er segelt das Signalschiff an; er ist wirklich ein Abtrünniger,“ sagte General Dugommier.

„Wir wollen noch warten,“ meinte Napoleon. „Diese Episode ist wirklich hochinteressant!“

„Könnte er sich in die Nähe des Flaggenschiffes wagen, wenn er den Engländern wirklich entkommen will?“

„Das scheinbar Schwierigste ist zuweilen just das Leichteste. Ah, was ist das?“

„Die Leute, welche wieder durch die Luken heraufsteigen?“

„Ja. Sie gingen vor zwei Minuten hinab; jetzt, da sie zurückkehren, tragen sie die Uniform englischer Seeleute. Mir ahnt, was dieser verteufelte Surcouf beabsichtigt. Wenn meine Vermuthung in Erfüllung geht, so ist dieser junge Bretagner allerdings ein Mann, dem man ein Schiff hätte anvertrauen sollen!“

Die Wangen des kleinen Corsen rötheten sich; die Brigantine nahm jetzt sein regstes Interesse in Anspruch. Er dachte nicht an Toulon, an die gewaltigen Werke, welche vor ihm lagen, sondern er sah nur das kleine Fahrzeug, welches keck und kühn den stolzen Linienschiffen England’s in die Zähne segelte.

„Der Mensch wird doch nicht so verrückt sein, zu glauben, daß er an diesem Punkte die Linie durchbrechen kann!“ hob der General wieder an. „Er müßte sich weiter nach Ost halten, um dem Feinde den Wind abzugewinnen.“

„Wer weiß, welcher Berechnung er folgt! Vielleicht hat er trotz der kurzen Zeit „the hen“ genau genug kennen gelernt, um zu wissen, was er mit ihr wagen kann. Voilà, da dreht das Flaggenschiff bei! Er hat das Zeichen gegeben, daß er mit dem Admirale reden will.“

Jetzt kam ein Augenblick der größten Spannung. Das Flaggenschiff hatte beigedreht, indem es den einen Theil seiner Segel voll im Winde ließ, den andern aber so braßte, daß der Wind von außen empfangen wurde. Nun hätte man erwarten sollen, daß die Brigantine ihre Segel fallen ließe, statt dessen aber setzte Surcouf ein Sternsegel nahe am Winde bei und ließ den Helmstock -

Helmstockstock des Steuerruders an der Leeseite festbinden. Dadurch wurde der Vordertheil des Schiffes der hohen See zugekehrt, und die beiden Fahrzeuge trieben einander langsam entgegen.

Napoleon sah durch das Rohr Surcouf auf dem Hinterdecke stehen, in englischer Uniform und das Sprachrohr in der Hand, aber in einer solchen Haltung, daß man vom Flaggenschiff aus sein Gesicht noch nicht zu sehen vermochte. Kaum noch fünf oder sechs ihrer eigenen Längen war die Brigantine von dem Dreimaster entfernt, da winkte Surcouf mit dem Rohre. Sofort riß der Mann am Steuer das Tau vom Ruder, und das Sternsegel wurde gerefft: „the hen“ nahm frischen Wind und kam wieder in schnelle Fahrt. Statt anzuhalten, strich sie mit ziemlicher Schnelligkeit an dem Dreimaster vorüber. Napoleon sah, daß Surcouf abermals den Arm erhob. In diesem Augenblick legte sich die Brigantine schwer zur Seite und die französische Flagge flog empor. Zunächst erblickten die beiden Officiere einen lichten Rauch, welcher der Breitseite des kleinen Fahrzeuges entquoll; dann sahen sie das große, stolze Flaggenschiff bis an die Spitze seiner Masten erzittern, und einige Augenblicke später hörten sie den Donner der Kanonen, mit denen der kühne Bretagner das Orlogschiff begrüßt hatte.

Eine Minute nachher faßte die Brigantine vollen Wind, und ehe man auf dem Linienschiffe sich von seinem Erstaunen erholt hatte, war sie bereits aus sicherer Schußweite gekommen. Man sah, welche Verwirrung dieses außergewöhnliche Intermezzo auf dem Admiralsschiffe hervorrief; es wendete und jagte dem Flüchtling eine Breitseite nach, aber ohne zu treffen; dann flogen Signale an den Leinen empor, welche von den anderen Schiffen beantwortet wurden, und bald befanden sich alle verfügbaren Fahrzeuge auf der Jagd nach dem verwegenen Zwerge, welcher es gewagt hatte, den Riesen zu täuschen und mit ihm anzubinden.

„Ah, excellent, excellentissime!“ rief General Dugommier, indem er tief aufathmete. „Dieser Mensch ist wirklich ein kleiner Teufel, der alles Lob verdient.“

„Lob?“ erwiderte Bonaparte. „Bürger General, was dieser Robert Surcouf geleistet hat, ist über alles Lob erhaben; ich, Napoleon Bonaparte, sage, daß er eine Schlacht gewonnen hat. Ich wünsche von Herzen, daß er entkommt. Stände ich an der Spitze der Marineangelegenheiten, so würde ich ihn zurückrufen, um ihm eine Flotte anzuvertrauen. Ich habe mich in diesem Genie getäuscht!“ —

Drei Tage später trat ein korsischer Fischer aus Calvi bei ihm ein. Dieser hatte die Brigantine „le faucon“ getroffen und von dem Befehlshaber derselben einen Brief erhalten, um ihn bei Napoleon abzugeben. Derselbe lautete:

„An den Bürger Colonel Bonaparte. Ich habe mein Wort gehalten und mir ein Schiff genommen. Wenn Gott mich beschützt, so daß ich unbeschädigt an Gibraltar vorüberkomme, wird man bald Weiteres von meinen Träumen hören. Robert Surcouf.“

Napoleon Bonaparte faltete das Papier langsam und nachdenklich zusammen. Und doch ahnte er nicht, daß er einen der größten Fehler seines Lebens begangen hatte, als er diesem Manne seine Protection verweigerte. — — —

Der Flug des Falken.

Seit den letzt erzählten Ereignissen waren sieben Jahre vergangen. Napoleon hatte in Italien seine Adler steigen lassen, in Aegypten seine Siege erfochten und war erster Consul geworden. Der kleine Corse regierte mit Cambacérès und Lebrun das Land, war aber in Wirklichkeit der einzige Regent Frankreich’s.

Die Prophezeiung Robert Surcouf’s hatte sich erfüllt. Die Nation war von inneren Kämpfen zerrissen und von äußeren Kriegen geschwächt worden; zu Lande war ihr der Sieg treu geblieben, zur See aber hatte sie sich stets schwach gezeigt. Napoleon war ein großer Feldherr, aber ein schlechter Admiral; es fehlte an einem Geiste, welcher berufen gewesen wäre, ein Bonaparte zur See zu sein.

Die Marine war Frankreich’s schwächste Seite, und darum war England der gefürchtetste Gegner desselben. Der eines großen Geistes würdige Plan Napoleon’s, England in Egypten und Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit des Admirals Brueys gescheitert, welcher sich trotz seiner Uebermacht von Nelson bei

Abukir schlagen ließ. Das stolze Albion beherrschte alle Meere; sein Krämersinn übte auf die Schifffahrt aller Nationen einen Druck, der sich kaum ertragen ließ. England schrieb Gesetze vor und änderte dieselben nach Belieben; es trachtete nach dem Monopole des Handels, nach der Beherrschung des Weltverkehres und erzwang sich auf diesem Wege des Druckes und der Pressung ungeheure Summen, mit denen es wieder im Stande war, sich die Kabinete zu erkaufen und die Regierungen also von sich abhängig zu machen.

England schien unverwundbar zu sein. Es besaß neben Nelson Hunderte von Seemännern, denen Frankreich nicht einen Einzigen entgegenstellen konnte; es lachte der Anstrengungen seiner Feinde; es erlaubte sich die brutalsten Eingriffe in das Völkerrecht; es konnte dies ungestraft thun; es konnte die aufrichtig gemeinten Friedensanerbietungen des ersten Consuls mit verächtlichem Schweigen oder mit beleidigenden Floskeln beantworten, denn der einzige Franzose, den es fürchtete, wirklich fürchtete, schwamm in einem kleinen, unansehnlichen Fahrzeuge auf fernen Meeren und hatte sich selbst aus seiner Heimat verbannt, weil er von derselben verstoßen worden war und da draußen in der Fremde Menschen gefunden hatte, die ihn liebten und verehrten, die ohne seinen Schutz nicht leben konnten und ohne seine Hülfe elend umgekommen wären. Und dieser Einzige war kein Anderer als Robert Surcouf, der kühne Sohn der Bretagne. —

Es war an einem lichten Sommertage. Die Sonne Indien’s neigte sich dem Untergange entgegen, so daß die Schatten der Masten riesenhaft über die Wogen fielen. Während des Tages hatte die glühende Hitze nicht einen erfrischenden Windhauch aufkommen lassen, jetzt aber erhob sich ein leises Lüftchen, welches von Viertelstunde zu Viertelstunde immer stärker wurde und im Hafen von Pondischery die warmen Fluthen zu kräuseln begann.

Pondischery, ursprünglich eine französische Colonie, war den Franzosen 1793 von den Briten abgenommen und dem Nabob von Karnatik übergeben worden. Man hatte die Festungswerke geschleift und auch in übriger Beziehung alle französischen Erinnerungen zu verlöschen gesucht. Grad jetzt lag der Hafen voller Schiffe; der in dieser Jahreszeit herrschende Südwestmonsun hatte sie herbeigeführt und bot ihnen treffliche Gelegenheit, ihren Weg nach Osten weiter fortzusetzen. Es waren Fahrzeuge aller Nationen vorhanden, nur kein französisches; denn den Schiffen dieser Nationalität erschwerte man durch allerlei Schikanen die Einfahrt, und ein Kriegsschiff derselben brauchte den Versuch, hier die Anker zu werfen, gar nicht zu machen.

Etwas weiter vom Lande entfernt, als die anderen Schiffe, lag eine kleine Brigg mit Schoonertakellage. Es war ein Yankee, welcher die Aufmerksamkeit der anwesenden Kapitäns nicht wenig in Anspruch nahm. Die Brigg hatte die neue amerikanische Bauart: scharfes, bis an die Gallion verlängertes Vordertheil, schmale Brust und ungewöhnlich schlanken Körper. Sie zeichnete sich jedenfalls durch ihre feinen Wasserlinien und eine Schnelligkeit aus, welche man recht gut auf sechzehn bis siebzehn Seemeilen für die Stunde annehmen konnte. Diese Brigg war gewiß ein ausgezeichneter Küstenfahrer; aber es gehörte ein kühner, trefflicher Seemann dazu, sich mit einem so leicht dem Kentern ausgesetzten Fahrzeuge über den großen Ocean zu wagen. Und dieser Seemann war noch so jung; er konnte kaum dreißig Jahre zählen. Er hatte Wein und Spirituosen geladen, welche er gegen Opium und Indigo umzutauschen beabsichtigte; er hatte aber seine Ladung noch Keinem angeboten.

Ganz in der Nähe dieser Brigg lag ein Engländer, ein großes, dreimastiges Kauffahrteischiff. Es hatte hier ausgezeichnete Geschäfte gemacht und wollte morgen den Anker lichten; für heut Abend aber gab der Kapitän seinen Handelsfreunden ein Abschiedsfest, zu welchem auch die Kapitäns der nahe liegenden Schiffe geladen waren.

Als der Abend hereingebrochen war, ließ der Engländer einige Raketen steigen, worauf die Geladenen von ihren Schiffen stießen, um bei ihm an Deck zu kommen. Auch der Amerikaner stellte sich ein. Vom Lande kamen die Gäste herbeigerudert und brachten ihre Frauen und Töchter mit. Eine Musikkapelle war schon an Bord. Nach kurzer Zeit klangen die lustigen Weisen derselben über die Wogen dahin. Das Vorderdeck war zum Tanzen

geräumt, und im Hintertheile stand die lange Speisetafel nebst den Buffets, an denen man sich nach Belieben erfrischen konnte.

Am muntersten ging es während der Tafel zu. Toast verdrängte Toast; die Herren waren bereits ein wenig angeheitert und ließen sich nach Seemannsart mehr gehen, als es eigentlich die Anwesenheit der Frauen gestattet hätte. Natürlich wurden allerlei merkwürdige Seegeschichten erzählt; ein Jeder hatte etwas Ungewöhnliches erlebt, und es kam manche Münchhauseniade zum Vorscheine, über welche herzlich gelacht wurde. Aber man erzählte auch Ernsthaftes, z. B. von berühmten Kaperschiffen. Bei diesem Thema schlug einer der Kapitäns mit der Faust auf den Tisch und sagte:

„Geht mir mit Euren Kapers und Privateers! Sie alle sind doch nichts gegen den „Falken am Aequator“. Wer unter Euch hat ihn gesehen?“

Keiner antwortete, und der Sprecher fuhr fort:

„So bin ich es allein, der ihm begegnet ist.“

„Begegnet? Wirklich?“ rief es rundum. „Still! Ruhig! Erzählt, Kapitän! Wie sah er aus? Was that er? Welches Schiff hatte er?“

„Das war vor zwei Jahren, unter fünf Grad nördlicher Breite und ungefähr auf der Länge von Adaman. Wir hatten einen Sturm, wie ich ihn noch nie erlebt habe, und das will viel sagen. Der Tag war finster wie die Nacht; der Orkan schien aus allen Richtungen auf uns einzufahren; der Himmel hing bis auf das Wasser nieder, und die Wogen stiegen bis in die Wolken empor. Da plötzlich sahen wir beim Scheine der Blitze ein fremdes Fahrzeug, dessen Schnabel grad gegen unsern Bug gerichtet war. Seine Segel glänzten weiß wie das Federfell eines Schwanes, und — glaubt’s oder glaubt’s nicht— der Halunke hatte kein einziges Reff gelegt; er fuhr mit voller Leinwand auf uns ein. Es war ein zweimastiges Fahrzeug, ungefähr so was man eine Brigantine nennt. Natürlich hatte ich Angst vor dem Zusammenprall und befahl dem Manne am Steuer, einen Strich abzufallen. Da schoß der Fremde an uns vorüber, so nahe, daß ich ihn mit der Hand greifen konnte. Ich nahm das Sprachrohr an den Mund und rief ihn an: „„Schiff ahoi! Welches Fahrzeug?““ Ich sah keine Menschenseele auf dem Deck; ein einziger Mann hing in den Backbordwanten. Dieser brauchte kein Rohr; er legte die eine Hand an den Mund und rief herüber, als ob das Brüllen des Sturmes nur ein leises Säuseln sei: „„Der Falke des Aequators, Kapitän Surcouf. Gebt ihm Eins! Feuer!““ — Da erst sehe ich drüben die französische Flagge und unter ihr die blutrothe wehen; es thun sich sechs Geschützpforten auf, und wir bekommen die Kugeln in den Rumpf, während der Franzose im Dunkel des Wetters verschwindet. Na, wir haben die Löcher verstopft und weiter keinen großen Schaden gehabt; aber wenn der Kerl bei solchem Sturme den Spaß nicht lassen kann, wie mag es dann erst gehen, wenn er bei sicherer See einmal Ernst macht!“

„Ja,“ meinte einer der Zuhörer, „er soll ein entsetzlicher Kerl sein. Admiral Seymur sagte von ihm: „„Er hat eine jährliche Rente von 365 gekaperten Schiffen,““ und das ist genug gesagt. Er segelt mit seinem Zweimaster die größten Schiffe an und soll selbst ein Orlogschiff ersten Ranges nicht fürchten.“

„Oho!“ rief der Kapitän, welcher den Wirth machte. „Mir sollte er nicht kommen; ich würde ihn schlimm heimschicken, so wahr ich James Sarald heiße!“

„Sprecht nicht zu viel, Kapitän!“ warnte Einer. „Kennt Ihr die Angriffsweise dieses Robert Surcouf?“

„Nun?“

„Er ist kein Seeräuber; er zeigt Euch ganz ehrlich seine Flagge und kommt an Euch heran, ohne einen Schuß zu thun. Bord an Bord aber, springt er mit zwanzig Mann zu Euch an Deck. Wehrt Ihr Euch, so braucht er seine Waffen; ergebt Ihr Euch aber, so geschieht Euch kein Leid. Er führt Euer Schiff nach dem Hafen der nächsten französischen Colonie, wo es im Namen Frankreich’s mit Beschlag belegt wird. Ihr erhaltet richtige Bescheinigung und Reisegeld, um nach Hause zu kommen.“

„Weiter nichts? Mit zwanzig Mann? Pah!“

„Lacht ja nicht, Kapitän Sarald!“ rief ein Anderer. „In der Nähe des Ambra-Vorgebirges hat er mit zwanzig Mann den „Bananian“ geentert, ein Schiff der ostindischen Compagnie mit

26 Kanonen schwersten Kalibers und über 200 Mann Besatzung, alle gut bewaffnet.) Ich mag ihm nicht begegnen!“

„Und ich wünsche nun grad, ihm zu begegnen!“ behauptete Sarald.

„Sprecht diesen Wunsch nicht aus, denn er könnte in Erfüllung gehen!“ meinte sehr ernst der Amerikaner, welcher bisher schweigend zugehört hatte. „Es soll mit Surcouf nicht zu scherzen sein.“

„Oh, Ihr mögt Euch vor ihm fürchten, Ihr mit Eurer Nußschale,“ antwortete Sarald; „ich aber würde ihm nur mit der neunschwänzigen Katze antworten.“

Der Yankee lächelte, indem er kopfschüttelnd bemerkte:

„Darauf könnte sehr leicht eine Gegenantwort erfolgen, die noch schlimmer als die Katze wirkt. Was aber meine „Nußschale“ betrifft, so dürfte sich dieselbe mehr Respekt erwerben, als Euer Dreimaster.“

„Oho! Soll das eine Beleidigung sein?“

„Ich bin Euer Gast und pflege einen Gastfreund zu ehren, aber nicht zu beleidigen. Um Euch jedoch zu beweisen, daß ich auf meine Nußschale stolz sein kann, will ich Euch einmal ein Maneuvre von ihr zeigen, welches mir nicht leicht Einer nachmachen soll.“

„Was wäre das?“

„Paßt auf!“

Er trat an die Regeling, legte die Hand an den Mund und rief nach Lee hinüber, wo in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Faden seine Brigg lag:

„Ahoi, Ervillard!“

„Ahoi!“ antwortete es durch ein Sprachrohr von drüben herüber.

„Anker auf!“

„Aye, Sir!“

„Bei allen Stürmen,“ meinte der, welcher vorhin die Begegnung mit dem „Falken“ erzählt hatte, „Kapitän, Ihr habt ja eine wahre Posaunenstimme, fast wie damals Surcouf, als er mir die sechs Kugeln gab!“

Die Versammlung war im höchsten Grade begierig, was geschehen werde. Man erhob sich und drängte nach der Leeseite, um die Brigg zu beobachten. Man sah, daß sie den Anker hob und ihre Leinwand entfaltete; dann rief der Yankee:

„Mylords und Myladies, darf ich bitten, mir einmal nach dem Achterbord zu folgen? Ich kann dort am besten mein Maneuvre erklären.“

Sie folgten ihm ohne Ausnahme nach dem hochgebauten Hintertheile des Schiffes, so daß sich vom Spriet bis an den Besaan nur die Musikanten befanden, einige Matrosen ausgenommen, welche die Gäste zu bedienen hatten; die anderen Deckhände befanden sich im Unterraume, wo sie sich heut beim Grog gütlich thun durften.

„Seht,“ meinte der Yankee, „wie meine Brigg dem einen Segel gehorcht. Ein unvergleichliches Fahrzeug! Ein solcher Segler würde für Surcouf passen. Aber à propos, es wurde vorhin nicht geglaubt, daß er mit zwanzig Burschen ein Schiff mit zweihundert Mann und sechsundzwanzig Kanonen weggenommen hat. Was ist wohl schwieriger, Mylords, ein solches Schiff zu nehmen oder mitten in einem besuchten Hafen mit zwanzig Mann einen gut bewehrten Dreimaster zu entern?“

„Das Letztere ist geradezu unmöglich!“ antwortete ein alter Seemann, der wohl bereits über fünfzig Jahre lang die See gepflügt hatte.

„Wirklich, Kapitän? Es soll Leute geben, die auch dieses Stück dem Surcouf zutrauen.“

„Mit zwanzig Mann?“

„Ja. Wir haben ja gehört, daß er die Gewohnheit hat, nur mit zwanzig Mannen anzugreifen. Aber das sollen auch Burschen sein, die sich nicht fürchten, die Großmutter des Teufels aus der Hölle zu holen. Seht, da kommt die Brigg! Wie malitiös sie herantänzelt, grad als ob sie sich über den mächtigen Dreimaster lustig machen wollte, der kleine David über den Goliath!“

„Aber was soll das?“ frug Kapitän Sarald. „Was soll die Brigg so nahe bei mir?“

) Diese That ist geschichtlich wahr, so unglaublich sie auch klingen mag.

„Es ist das Maneuvre, zu welchem ich Euch hier auf dem Achterdeck versammelt habe. Seht, jetzt ist sie da; sie läßt das Segel fallen, und nun springen meine Jungens an Deck.“

„Aber ich frage noch einmal, wozu dieses Maneuvre? Was sollen Eure Jungens an meinem Bord?“

„Zählt sie einmal! Es werden genau Zwanzig sein. Meine Herren und Damen, ich gebe mir die Ehre, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin kein Amerikaner, der Weine und Spiritus geladen hat. Ich habe geladen einige hundert Enterbeile, verschiedene Zentner Pulver, ein ganzes Arsenal vortrefflicher Waffen und zwanzig Kanonen, bei denen genug Leute stehen, um diesen guten Dreimaster in den Grund zu bohren. Mein Name ist Robert Surcouf!“

Es läßt sich nicht beschreiben, welche Wirkung diese Worte auf die Versammlung hervorbrachten. Die harten, unerschrockenen Männer, die so manchen Gefahren furchtlos in das Auge geschaut hatten, verstummten vor dem Namen, den sie soeben gehört hatten. Sie blieben sogar unbeweglich, als einige der Leute Surcouf’s auf’s Schleunigste die Luken besetzten, damit die Matrosen des Kauffahrers nicht an Deck kommen könnten. Kapitän Sarald faßte sich zuerst.

„Robert Surcouf?“ fragte er. „Seid Ihr wirklich Surcouf?“

„Ich bin es. Und diese Brigg ist der „Falke des Aequators“. Sehen Sie meine Leute an, Messieurs! Dieselben werden sehr höflich mit Ihnen sein, so lange Sie es verdienen; an demjenigen aber, welcher zu widerstreben wagt, werden sie die Schärfe ihrer Waffen erproben. Bedenken Sie, daß Sie es mit zwanzig Burschen zu thun haben, welche nicht gewöhnt sind, ihre Feinde zu zählen, und bedenken Sie, daß hier an der Seite dieses Schiffes zwanzig Kanonen auf mein Kommando warten, dieses Schiff in den Grund zu schießen. Sie haben von Surcouf gehört, aber Sie haben ihn noch nicht gesehen; heut soll Ihnen die Ehre zu Theil werden, ihn kennen zu lernen. Es sind Frauen an Bord, und Robert Surcouf ist ein Franzose. Ein Franzose wird nie die Achtung und Ehrerbietung verletzen, welche er Frauen schuldig ist. Darum will ich heut einmal nicht daran denken, daß Sie die Feinde meines Volkes sind, und daß mein Schiff ein Kaper ist, dem Sie verfallen sind. Was ich verlange, können Sie leicht gewähren. Ich wünsche, daß meine braven Jungens an dem Feste Theil nehmen dürfen, welches Sie geben; ich wünsche ferner, daß ihnen ein Tänzchen erlaubt sei mit den Frauen, welche das Fest verschönern. Wenn Sie mir dies gewähren, so verspreche ich Ihnen, daß Ihnen kein Haar auf Ihrem Haupte gekrümmt wird, daß Sie nicht den mindesten Verlust zu erleiden haben, und daß unser geselliges Beisammensein so fröhlich enden wird, wie es begonnen hat. Surcouf hat lauter anständige Männer an Bord; der Letzte seiner Leute ist ein Cavalier. Jetzt haben Sie zu entscheiden. Thun Sie es schnell!“

Er verbeugte sich und trat einige Schritte zurück, um mit den beiden Pistolen zu spielen, welche er aus der Tasche zog. Die Männer, welche ohne Ausnahme waffenlos waren, steckten verlegen und flüsternd die Köpfe zusammen; die Weiblichkeiten aber betrachteten mit furchtsamer Neugierde den berühmten Privateer und seine Untergebenen, welche, bis an die Zähne bewaffnet, das Achterdeck von dem übrigen Raume abgesperrt hielten.

Die Berathung der Männer war bald zu Ende, und der Aelteste von ihnen nahm das Wort:

„Kapitän Surcouf, wir gestehen Ihnen, daß Sie uns in eine zweifelhafte Lage gebracht haben. Unsere Pflicht wäre es, mit Ihnen zu kämpfen; halt!“ — unterbrach er sich, als er sah, daß Surcouf bei dem letzten Worte die Hähne seiner Pistolen aufzog — „lassen Sie mich ausreden! Wir sollten eigentlich mit Ihnen kämpfen; aber Sie selbst sagen mit Recht, daß die Gegenwart unserer Frauen und Töchter einige Rücksicht erfordert. Es soll daher zwischen uns ein Waffenstillstand geschlossen werden, welcher bis zum Anbruch des Morgens dauert; dagegen verlangen wir jedoch, daß das uns von Ihnen gegebene Versprechen buchstäblich erfüllt werde!“

„Es wird erfüllt; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,“ antwortete Surcouf. „Doch werden Sie mir eine nothwendige Bedingung gestatten. So lange ich mich bei Ihnen befinde, darf kein Mensch ohne meine ausdrückliche Erlaubniß an Bord kommen,

noch von Bord gehen oder sonst etwas unternehmen, was meine Sicherheit gefährdet und Sie dadurch in Gefahr bringen würde. Mein Schiff bleibt längsseite bei dem Ihrigen liegen, um die Erfüllung meiner Bedingungen zu überwachen, und sobald die Sonne am Horizont steht, ist der Waffenstillstand abgelaufen. Reichen wir uns als Ehrenmänner zum Zeichen des Einverständnisses die Hände!“

Diese Bedingungen wurden angenommen, und ein Jeder bekräftigte durch Handschlag, sie zu halten. Nun gab Kapitän Sarald ein Zeichen, und die Musik begann auf’s Neue. Männer und Weiber durften das Vorderdeck wieder betreten; Freund und Feind mischte sich unter einander. Die Leute des „Falken“ zeigten sich gegen die Frauen so zart und anständig, daß das Vergnügen nicht durch den geringsten Hauch getrübt wurde.

Endlich, lange nach Mitternacht, gab Surcouf während einer Pause das Zeichen, daß er sprechen wolle. Man bildete einen Kreis um ihn.

„Messieurs und Mesdames,“ sagte er, „ich stehe im Begriffe, mich von Ihnen zu verabschieden. Ich danke Ihnen für die Ehre, welche Sie mir durch die Erlaubniß, an Ihrem Vergnügen Theil zu nehmen, erwiesen haben; noch mehr aber danke ich Ihnen dafür, daß ich nicht gezwungen worden bin, von meinen Waffen Gebrauch zu machen. Ich liebe den Frieden, doch fürchte ich den Kampf nicht. Hätten Sie meine Vorschläge abgewiesen, so lebten Viele von Ihnen nicht mehr, und dieses Schiff befände sich jetzt als meine Prise auf dem Wege nach einem französischen Hafen. Suchen Sie unter Ihren Bekannten meine Bitte zu verbreiten, mir nicht unvorsichtig zu widerstreben, wenn ich meine Flagge zeige. Das Schiff, welches ich einmal als Feind betrete, verlasse ich entweder als Sieger, oder es fliegt mit mir und seiner Bemannung in die Luft; dies ist das Geheimniß meiner Unüberwindlichkeit. England bereitet meinem Vaterlande einen fortdauernden, unersetzlichen Schaden; zürnen Sie also nicht mir, wenn man Repressalien gebraucht. England hat uns die besten Schiffe unserer Marine genommen oder zerstört; verdenken Sie es nicht mir, wenn nun auch ich ein jedes britische Fahrzeug nehme, welchem ich begegne. Wir scheiden jetzt in Frieden; wünschen wir um Ihretwillen nicht, daß wir uns auf offener See wiedersehen, denn dann würde ich es sein, welcher aufspielen läßt, aber zu einem weniger friedlichen Tanze. Kapitän Sarald mag jedoch überzeugt sein, daß sein Schiff der einzige Engländer ist, den Robert Surcouf betreten hat, ohne ihn in’s Schlepptau zu nehmen. Er hat dies den Frauen zu verdanken. Leben Sie wohl!“

Fünf Minuten später flog der „Falke“ mit vollen Segeln hinaus in die offene See; die Kapitäns kehrten auf ihre Fahrzeuge zurück, um die Erfahrung reicher, daß Frankreich einen Seemann besitze, der für einen höheren Wirkungskreis geboren sei1) Er hatte in ihnen neue und eifrige Verbreiter seines Ruhmes gefunden.

Wenig über eine Woche später ging in Pondischery die Nachricht ein, daß Robert Surcouf auf der Höhe von Colombo ein englisches Handelsvollschiff weggenommen habe. Darauf sei er einer Corvette mit fünfundzwanzig Kanonen begegnet, die ihm die Prise wieder abnehmen wollte; aber er habe auch diese Corvette geentert und dann beide Schiffe nach Isle de France gebracht. Diese vollständig verbürgte Nachricht trug nicht dazu bei, die Furcht vor dem kühnen Kaper zu vermindern. Das indische Gouvernement traf Maßregeln über Maßregeln; es sandte Kriegsschiffe aus, Surcouf zu fangen oder zu tödten; es setzte sogar einen hohen Preis auf seinen Kopf, aber diese Bemühungen blieben ohne allen Erfolg.

Napoleon’s Plan, England in Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit seines Admirales gescheitert. Und hier brachte ein einzelner Mann, der nur ein kleines Fahrzeug befehligte, einen Schrecken über alle indischen Besitzungen des stolzen Albion, einen Schrecken, welcher den Handel England’s ungemein schädigte, da man sich mit reicher Fracht kaum mehr in jene Breiten getraute und die Versicherungsbanken ganz bedeutende Prämien forderten, ehe sie die Garantie einer Ladung übernahmen, welche nach dem Jagdgebiete Surcouf’s bestimmt war.

1) Auch der Ballabend auf dem englischen Dreimaster ist geschichtliche Thatsache.

Natürlich war der Ruf seiner Thaten längst nach Frankreich gedrungen, besonders durch den Gouverneur von Mauritius, bei welchem er seine Prisen zu deponiren pflegte, und von welchem auch die daraus gelösten Summen nach Paris übermittelt wurden. Man ward auf ihn aufmerksam; die Marinebehörde trat unter der Hand mit ihm in Unterhandlung; sie ließ ihm durch dritte und vierte Stelle immer höher steigende Anerbietungen machen; er aber that, als ob er diese Offerten nicht verstehe oder nur für eine leere Phrase halte.

Da plötzlich tauchte das Gerücht auf, daß ein berühmter englischer Parteigänger mit Kaperbriefen nach Indien gekommen sei, um sich den auf Surcouf gesetzten Preis zu verdienen. Er hatte sein Schiff „Eagle“ (Adler) genannt, um anzudeuten, wie sehr er dem „Falken“ überlegen sein werde. Dieser Kapitän hieß Schooter, hatte eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich und war besonders berüchtigt durch die Härte, mit welcher er die Disciplin seines Schiffes handhabte.

Die Wahrheit dieses Gerüchtes bewährte sich, denn man hörte sehr bald, daß Schooter einige kleine französische Kauffahrer weggenommen hatte. Die Mannschaft derselben hatte er über die Klinge springen lassen, trotzdem sie völlig unbewaffnet in seine Hände gefallen war. Diese Grausamkeit verstieß gegen alles völkerrechtliche Uebereinkommen und rief die Mißbilligung aller menschlich Denkenden hervor; noch entrüsteter aber wurde man über ihn, als man erfuhr, daß er einen förmlichen und zwar mitleidslosen Krieg mit allen Menschen führe, die Franzosen waren. Er suchte die Inseln und Küsten des Indischen Meeres förmlich ab, und fand er in irgend einer Niederlassung einen Ansiedler französischer Nationalität, so war es um diesen und sein Eigenthum geschehen. Ganz besonders hatte er es auf die Missionäre katholischen Bekenntnisses abgesehen. Fiel ein solcher Glaubensbote in seine Hände, so war derselbe unbedingt verloren; man erzählte sich sogar, daß er solche Gefangene gewöhnlich den wilden Inselbewohnern ausgeliefert habe, wo sie vor dem Tode die raffinirtesten Leiden zu erdulden gehabt hätten. Auf diese Weise verschwand damals mancher Priester der Mission, welcher sich vereinzelt in jene Breiten gewagt hatte, und während er auf Borneo, Celebes oder Timor einem fürchterlichen Schicksale erlag, glaubten die Seinen ihn so lange auf einer jener Inseln in voller, christlicher Thätigkeit, bis sie nach Jahren ihn endlich für verschwunden erklären mußten.

Die letzte dieser Thaten hatte Schooter an demjenigen Theile der Küste von Java verrichtet, welcher der Insel Bali gegenüber liegt. Um diese Zeit lag in dem kleinen javanischen Hafen Kalima ein kleiner Klipper vor Anker, an dessen Brust man den Namen „Jeffrouw Hannje“ lesen konnte. Nach diesem Namen zu urtheilen, schien er niederländischer Nationalität zu sein, trotzdem sein Bau sehr von dem in Holland gebräuchlichen abwich. Es kümmerte sich übrigens kein Mensch um ihn, denn Kalima war damals erst im Entstehen begriffen, und man hatte mehr zu thun, als sich um die Schiffspapiere eines friedlichen, kleinen Seefahrers zu bekümmern.

Der bedeutendste Ansiedler Kalima’s war ein gewisser Davidson, welcher mit dem Kapitän der „Jeffrouw Hannje“ Geschäfte haben mußte, denn dieser hatte sich bei ihm einlogirt, während seine Leute ohne Ausnahme an Deck hatten bleiben müssen. Die beiden Männer saßen in einer offenen Verandah, deren Blätterdach genügenden Schutz vor

den Sonnenstrahlen bot, rauchten feine Sumatra und lasen in den neuesten Zeitungen, deren Datum aber trotzdem mehrere Monate älter war. Damals bedurfte es fast eines Vierteljahres, um eine europäische Zeitung nach Java zu expediren.

„Also hört, Kapitän, der Napoleon ist zum lebenslänglichen Consul ernannt worden,“ bemerkte der Ansiedler.

„Ich las es bereits vorhin,“ nickte der Angeredete, welcher kein Anderer als Surcouf war. „Man wird nächstens die Nachricht erhalten, daß er König oder Kaiser geworden ist.“

„Sprechen Sie im Ernste?“

„Vollständig! Dieser Consul Bonaparte ist ein Mann, der nicht auf halbem Wege stehen bleibt.“

„Ah, Sie sind ein Bewunderer von ihm?“

„Nein, obgleich ich anerkenne, daß er ein Genie ist. Ich diene meinem Vaterlande und achte einen Jeden, welcher sich bemüht, -

bemüht, dasselbe von dem Drucke England’s zu befreien. In diesem Punkte besitzt der Consul meine vollste Sympathie. Nur weiß ich nicht, ob er den allein richtigen Weg zum Ziele einschlagen wird. Die Macht England’s wurzelt in seinen Colonien und in dem Vorrang, welchen es sich in Angelegenheiten des Welthandels angemaßt hat. Man nehme ihm diese Colonien; man führe seinen merkantilischen Einfluß auf das richtige Maß zurück; man schwäche seine Verbündeten und stärke seine Gegner; was weiß ich noch! Ich bin nicht Consul, und es genügt ja, wenn nun er das Richtige trifft. Die Hauptsache aber ist die Schaffung einer Flotte, welche Achtung zu gebieten vermag. Der Consul ist seinem Lande und seinem Volke die Politik des Friedens schuldig. Und wenn er dies beherzigt, so kennt er nur einen einzigen wirklichen Feind, und dieser heißt England. Dieser Gegner aber ist erfolgreich nur zur See zu bekämpfen.“

„Wie Sie es im Kleinen thun, Kapitän. Uebrigens muß es für einen Mann von Ihren Fähigkeiten mit einer gewissen Ueberwindung verbunden sein, friedliche Kauffahrer wegzunehmen.“

„Warum? Meinen Sie vielleicht, weil dieses Verfahren der Piraterie ähnlich sieht? Kennen Sie einen größeren Piraten als England? Es untersucht und confiscirt nach Belieben die Handelsschiffe friedlicher Mächte; es schließt die Häfen der Nationen nach Gutdünken; es tödtet den Handel und dadurch das Gewerbe der Völker; es macht auf diese Weise Millionen fleißiger Arbeiter brodlos, nur um Alles an sich selbst zu reißen. Was es im Großen thut, thue ich im Kleinen; während es gegen Nationen sündigt, welche kein Verschulden trifft, operire ich ehrlich und offen gegen einen Feind, der sich ebenso rücksichtslos wie unversöhnlich zeigt. Verurtheilen Sie mich, wenn Sie es können! Hat England nicht Hunderte von Kapern unter Segel? Und was für Männer sind dies? Denken Sie nur an den nichtswürdigen Schooter, welcher kein Mensch, sondern ein Teufel ist! Sollen wir die Waffen senken, um uns feig und wehrlos ersticken zu lassen? Und wenn ich dies thun wollte, so dürfte ich es nicht, denn ich habe heilige Verpflichtungen zu erfüllen. Auf meinem Schiffe befinden sich vierzig wackere Männer, welche ich zu ernähren habe, und glauben Sie ja nicht, daß dies meine ganze Familie ist! In Bengalen habe ich Greise, welche in den französischen Colonien dienten und nun von den Engländern nichts empfangen; ich habe zahlreiche Ansiedlersfamilien, welche durch die englischen Coloniekriege zu Grunde gerichtet wurden; ich habe arme Franzosen, welche mittellos in die Fremde gingen, weil sie durch die Revolution vertrieben wurden und die nun etwas Geld brauchen, um ein wenig Land urbar zu machen; ich habe fromme Männer, welche unter die Heiden gingen, um das Wort Gottes zu predigen, durch die Kälte und den Unglauben der gegenwärtigen Richtung aber ihre Subsistenz bedroht sehen. Nun wohl, ich bin ihrer Aller Versorger. Ich gebe den Invaliden Pensionen, den zu Grunde Gerichteten Entschädigungen, den Ansiedlern Unterstützungen, den Missionären Schutz und Lebensunterhalt. Frankreich thut es nicht, wenn ich es nicht thue; in Paris wird keiner der Briefe geöffnet, in welchen die in der Ferne befindlichen Kinder des Landes vergeblich um Hülfe flehen. Was soll aus ihnen werden, wenn Robert Surcouf die Waffe niederlegt und dann gezwungen ist, seine Hand von ihnen zu ziehen!“

Davidson sprang auf, um dem braven Seemann seine Hand zu reichen. „Kapitän, ich weiß das Alles,“ rief er, „denn ich selbst bin es ja, durch dessen Hand so viele Ihrer Gaben fließen. Frankreich hat keine Ahnung, welchen Mann es hier in diesem Winkel der Erde besitzt, und — — —“

Er wurde unterbrochen; es trat ein Matrose Surcouf’s herein und meldete seinem Herrn, daß der „Eagle“ am Ostende der Insel vorgestern eine Pflanzung überfallen und einen Priester mit sich genommen habe.

„Wer sagt es?“ frug der Kapitän.

„Soeben hat ein holländischer Sluger) Anker geworfen, von dem erfuhren wir es.“

„So ist es keine Erfindung. Sehen Sie, Davidson, daß ich nicht ruhen darf! Dieser Mensch will sich den Preis verdienen, den die Herren Engländer auf meinen Kopf gesetzt haben;

) Zweimaster mit Gaffelsegel und einer Schraube als Auxiliarkraft.

ich aber habe seine Spur bis heut vergeblich gesucht. Jetzt finde ich sie, und nun will ich ihm meinen Kopf zeigen. Adieu, Davidson. Ich lasse Alles im Stich, denn ich weiß, daß wir uns baldigst wiedersehen.“

Der seltene Mann eilte in einer Stimmung, welche man fast Begeisterung nennen mochte, nach dem Hafen und auf sein Schiff. In weniger als einer Viertelstunde segelte er bereits zu dem kleinen Hafen hinaus, und kaum hatte er Kalima hinter sich, so ließ er zwei Männer am Bug herab, welche den Namen „Jeffrouw Hannje“ überstreichen mußten. Dies war in kurzer Zeit geschehen, und dann wurde der eigentliche Name des Fahrzeuges, „le faucon“,) wieder angebracht.

Der Wind wehte günstig, und so erreichte der „Falke“ bereits nach drei Stunden die Ostspitze Java’s, wo die betreffende Niederlassung zu suchen war. Zwischen hier und der Insel Bali hindurch auf Kap Butur zuhaltend, gewahrten sie am Ausflusse eines Baches die Trümmer mehrerer verbrannter Hütten liegen, neben welchen einige Leute bereits beschäftigt waren, neue zu errichten. Surcouf ließ die Segel fallen, fuhr möglichst nahe an das Land und bestieg sodann ein Boot, um sich zur Küste rudern zu lassen.

Die Leute waren aufmerksam auf das Schiff und das nahende Boot geworden und hatten sich schleunigst in den Schutz eines nahen Eisenbaumwaldes zurückgezogen. Als der Kapitän landete, sah er wohl verbrannte Hütten, verwüstete Gärten, zerstörte Felder, aber keinen Menschen, welcher ihm Auskunft zu geben vermochte. Erst nach langem Rufen vernahm er aus der Ferne einen menschlichen Ton als Antwort und dann hörte er die Frage:

„Was ist das für ein Schiff?“

„Ein Franzose,“ antwortete er.

Er hatte aus Vorsicht unterlassen, die Flagge aufzuziehen. Auf seine Antwort jedoch rauschte es bald in den Büschen, und er sah einen Mann hervortreten, welcher einen kräftigen Knüttel in der Rechten hielt.

„Kommen Sie näher und fürchten Sie sich nicht,“ sagte der Kapitän. „Ich bin ein Freund aller friedfertigen Leute und werde Ihnen nichts Schlimmes, sondern nur Gutes erweisen. Uebrigens sehen Sie ja, daß ich allein bin. Meine beiden Ruderer sind im Boote zurückgeblieben.“

Da kam der Fremde näher. Er war eine hohe, breite, muskulöse Gestalt mit einem intelligenten Gesichte, in welchem jedoch ein Zug tiefer Schwermuth vorherrschend zu sein schien. Bekleidet war er nur mit dünnen, weißen Hosen und mit einer weißen Blouse.

„Ihr Fahrzeug kam uns verdächtig vor,“ entschuldigte er sich; „darum zogen wir uns zurück.“

„Was an meinem Schiffe hat Ihren Verdacht erregt?“ frug Surcouf.

„Hm, eben nichts Bestimmtes. In diesen Breiten sind vier Schiffe unter zehn ganz sicher Seeräuber, und nach den Erfahrungen, welche wir gemacht haben, ist es eine Kunst, Vertrauen zu besitzen.“

„Ich habe gehört, daß der „Eagle“ hier gewesen ist. Sie gehören natürlich zur hiesigen Ansiedlung?“

„Erst seit vorgestern. Ich gehörte zur Bemannung des „Eagle“ und habe die Gelegenheit benutzt, am Lande zurückzubleiben.“

„Ah!“ machte Surcouf erstaunt. „Sind mit Schooter gefahren?“

„Leider! Er hat mich gepreßt, und es ist mir schlecht genug ergangen, ehe es mir gelang, mich zu salviren.“

„Wenn das so ist, so sehen Sie sich einmal mein Schiff an. Hier haben Sie mein Rohr dazu.“

Der Mann nahm das Fernrohr; kaum aber hatte er dasselbe auf die Brigg gerichtet, so nahm er es mit einem lauten Ausrufe des Erstaunens wieder vom Auge:

„Le faucon! Ist es möglich! Le faucon, Kapitän Robert Surcouf?“

„Allerdings. Surcouf bin ich selbst.“

„Sie, Sie sind es! O Herr, dann segne ich die Stunde, in welcher ich vom „Adler“ entflohen bin, denn nun weiß

) Surcouf nannte sein Schiff zuweilen auch nach seiner Heimat, der Bretagne „le breton“.

ich, daß dieser fürchterliche Schooter seinen Lohn empfangen wird!“

„So weit es in meiner Macht liegt, soll er ihn erhalten. Erzählen Sie!“

„Erlauben Sie mir vorher, die Andern zu benachrichtigen, damit sie nicht länger in Sorge sind.“

Er entfernte sich und kehrte bald mit zwölf Personen, acht Erwachsenen und vier Kindern zurück, welche Surcouf mit Jubel willkommen hießen.

Die kleine Colonie hatte aus zwei verheiratheten Holländern, drei Franzosen, einem Belgier und einem Schweden bestanden. Bei dem Ueberfall war der Letztere, welcher sich zur Wehr gesetzt hatte, getödtet worden.

„Ich denke, es ist auch ein Priester bei Euch gewesen?“ frug Surcouf.

„Allerdings,“ lautete die Antwort. „Er kam von Djokjokarta, um sich mit den Javanesen zu beschäftigen, welche hier in der Nähe in den Wäldern wohnen.“

„So war er ein Missionär?“

„Ja; er war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes. Wir mußten ihn Vater Martin nennen.“

„Ah!“ rief Surcouf, indem er von dem Steine emporfuhr, auf welchem er sich niedergelassen hatte; „Vater Martin vom Orden des heiligen Geistes? Das ist wunderbar! Den kenne ich; der darf unmöglich in den Händen dieses Menschen bleiben! Erzählt!“

Der entflohene Seemann übernahm es, den Bericht zu liefern.

„Wir lagen vor Palembong,“ sagte er, „als wir hörten, daß der „Falke“ jedenfalls an der Nordküste von Java kreuze. Kapitän Schooter hatte geschworen, den „Falken“ zu bekommen, und lichtete sofort die Anker. Wir segelten der Küste entlang, ohne Ihr Schiff zu entdecken, Kapitän, sichteten aber dafür diese kleine Niederlassung. Schooter recognoscirte sie durch das Rohr und gewahrte einen Priester. Dies war für ihn sofort der Grund, die Ansiedlung zu überfallen.“

„Wie kann die Anwesenheit eines Priesters die alleinige und genügende Ursache einer so traurigen That sein?“ rief Surcouf.

„Ich weiß nicht; aber Thatsache ist es, daß Schooter beim Anblick eines Priesters in Wuth geräth. Man erzählt sich, daß er selber früher Mitglied eines Ordens gewesen sei. Er ist ein Irländer und soll aus einem schlimmen Grunde Protestant geworden sein. Damit hängt sein Priesterhaß zusammen, der bei ihm zur wirklichen Manie geworden ist. Er ist der gottloseste Mensch, den ich gesehen habe, ein unmäßiger Trinker, ein lästerlicher Flucher, ein Barbar gegen seine Untergebenen. Ich bin ein Deutscher und gehörte zu einem jener unglücklichen Regimenter, welche von ihren Fürsten an die Engländer verkauft wurden, um in Amerika die Ideen der Freiheit und Gerechtigkeit ausrotten zu helfen. Ich mußte meine Braut und meine Eltern im Stiche lassen und desertirte, wie so Viele, die nicht für eine Nation kämpfen wollten, welche nur die eine Politik verfolgt, sich wie ein Blutegel an dem Wohlstande anderer Völker vollzusaugen. Das war mein Unglück. Ich konnte nicht in das Vaterland zurück; die Braut heirathete einen Andern; die Eltern starben, und mein Erbtheil wurde confiscirt. Ich ging zur See. Seit dieser Zeit habe ich alle Meere befahren, bis ich mich am Kap niederließ. Da kamen vor fünf Jahren die Engländer und nahmen es in Besitz. Ich zog mit Anderen weiter an der Küste hinauf, wo wir uns niederließen. Vor zwei Monaten ankerte Kapitän Schooter bei uns. Wir hielten ihn für einen Kauffahrer, und ich ging an Bord, um mit ihm über die Preise des Schlachtviehes, welches er von uns kaufen wollte, zu verhandeln. Wir wurden nicht einig, und zur Strafe dafür, daß ich ihm nicht zu Willen sein konnte, behielt er mich als Matrose an Bord. Ich habe die schlimmste Zeit meines Lebens bei ihm zugebracht und nach jeder Gelegenheit zur Flucht gesucht; erst vorgestern ist sie mir gelungen. Er beorderte dreißig Mann an das Land, um diese Ansiedelung zu überfallen, den Priester gefangen zu nehmen und die Wohnungen nach ihrer Beraubung niederzubrennen. Diese braven Leute flohen. Ein Einziger hielt nebst dem Priester Stand. Der Erstere wurde niedergeschossen, und der Letztere, welcher hatte vermitteln wollen, wurde gebunden auf das Schiff geschleppt. Es gelang mir, nach dem Eisenbaumwalde zu entkommen, -

entkommen, und diese Leute haben mich bereitwillig bei sich aufgenommen, trotzdem ich vom Schiffe der Piraten zu ihnen kam.“

„Welchen Plan verfolgen Sie nun in Beziehung auf Ihre weitere Zukunft?“

„Ich werde suchen, nach meiner kleinen Besitzung am Kap zurückzukommen. Vorher aber bitte ich Sie, mich mit an Bord zu nehmen. Ich wünsche dabei zu sein, wenn Sie mit Schooter Abrechnung halten.“

„Diesen Wunsch erfülle ich Ihnen gern. Was für ein Schiff ist der „Adler“?“

„Ein Orlog-Kutter von dreißig Kanonen; doch macht er nur dreizehn Meilen in der Stunde. Wenn Sie keine Zeit versäumen, Kapitän, so werden Sie ihn in der Mangkassarstraße finden. Er pflegt seine Gefangenen den wilden Dayaks, welche die Sakuruberge auf Borneo bewohnen, zu übergeben und dafür Goldsand einzutauschen. Bei diesen Gelegenheiten landet er auf einer Insel der Sakurubai. Die Dayaks bezahlen weiße Gefangene sehr theuer, um sie mit vornehmen Todten lebendig zu begraben oder ihren Götzen als Opfer darzubringen.“

Diese Mittheilung trieb Surcouf zur höchsten Eile an. Zwar landete er vorher noch verschiedene Sämereien, Werkzeuge und andere Gegenstände, welche er den Ansiedlern schenkte, um ihrer zerstörten Niederlassung wieder aufzuhelfen; dann aber ging er sofort in See, um noch vor Nacht den nördlichen Theil des Sundameeres zu gewinnen und, dort kreuzend, dem „Eagle“ den südlichen Ausgang aus der Mangkassarstraße zu verlegen. Dies gelang ihm vollständig, und da er während der Nacht kein Schiff in Sicht bekam, so ging er am Morgen zwischen Borneo und den Balabalagan-Inseln nach Norden.

Er wußte, daß er einem Feinde entgegenging, so gefährlich, wie er noch keinen getroffen hatte, und daß ihm ein Kampf bevorstand, der voraussichtlich in einem wilden Zerfleischen bestehen werde. Dennoch war er guten Muthes; er wußte, daß sein Schiff dem „Eagle“ an Manövrirfähigkeit überlegen sei; er sah, daß seine Leute sich in der besten Stimmung befanden, und er glaubte an die Möglichkeit, daß irgend ein Umstand eintreten könne, der einen blutigen Kampf vermeiden lasse.

So kam er am Mittag an Koti Lama vorüber und kreuzte mit günstigem Winde immer weiter nach Norden — links lag Borneo und rechts Celebes — ohne daß ihm ein Schiff begegnet wäre. So war er sicher, den „Adler“ noch vor sich zu haben, da Schooter den „Falken“ an der Küste von Java suchen und also durch die Mangkassarstraße nicht hinauf in das Sulu-Meer, sondern wieder zurück nach der Sunda-See gehen würde.

Die Sonne stand bereits am Horizont, als der „Falke“ die südliche Spitze der Sakurubai erreichte. Jetzt galt es, vorsichtig zu sein. Surcouf stieg zum Masthaupte empor, um die Bai mit seinem guten Fernrohre abzusuchen. Da sah er im Norden eine Insel vor sich liegen, und in einem kleinen Busen am Westufer derselben ragten die Masten eines Schiffes empor, dessen Segel beschlagen waren, ein Zeichen, daß es während der Nacht diese Stelle nicht verlassen würde. Um nicht gesehen zu werden, ließ er augenblicklich wenden und hinter der ihn verbergenden Landspitze Anker werfen.

Dort blieb er, bis es dunkel geworden war. Dann wurde der Anker wieder gelichtet, und der „Falke“ steuerte nach Nord bei Ost, um an der unbewachten Seite an die Insel zu kommen. Die Nacht war finster, so finster, daß man kaum eine Schiffslänge weit zu sehen vermochte. An Deck brannte kein einziges Licht. Es war die größte Vorsicht geboten, und als Surcouf glaubte, auf gleicher Höhe mit der Insel angekommen zu sein, ließ er gerade auf West wenden. Er folgte dieser Richtung, indem er nur so viel Segelwerk beibehielt, als nothwendig war, um das Fahrzeug langsam fortzubewegen. Als er die richtige Zeit gekommen glaubte, setzte er die Barkasse aus, welche mit umwickelten Rudern von dem „Falken“ her die Bahn zu sondiren hatte.

So erreichte man die Ostseite der Insel, wo die Barkasse eine kleine Einbuchtung entdeckte, in welcher der Schooner vor Anker gehen konnte. Dies war kaum geschehen, so bestieg Surcouf mit zwanzig Mann die Boote, um die Südseite der Insel zu umfahren, und ließ die Uebrigen zur Bewachung des Schiffes zurück. Da sämmtliche Ruder genügend umwickelt waren, so

verursachten sie kein Geräusch, und auch unter den Männern selbst herrschte die tiefste Stille.

Der Kapitän fuhr in der Schaluppe den Andern voran. Alle waren nur mit Messer und Enterbeil bewaffnet, weil Surcouf die Absicht hegte, die Boote in gehöriger Entfernung zurückzulassen und dann den „Adler“ anzuschwimmen; doch ist das Enterbeil die gefährlichste Waffe in der Hand eines kräftigen Seemannes. Sie waren noch nicht zehn Minuten lang gefahren, so sahen sie die Schiffslaterne des gesuchten Fahrzeuges leuchten. Surcouf gab ein Zeichen, zu halten, und glitt leise aus der Schaluppe in das Wasser.

Es war nothwendig, zu recognosciren, denn noch wußte man nicht, ob es auch wirklich der „Eagle“ sei, und wenn er es war, so galt es, zu erfahren, ob sich alle Mannen an Bord befanden und in welcher Weise die Wache gehandhabt wurde. Surcouf war ein ausgezeichneter Schwimmer; er zertheilte die Fluth, ohne dieselbe mehr als ein Fisch zu bewegen. In der Nähe des Schiffes tauchte er und kam erst hart an der Wand desselben wieder empor. Er umschwamm es langsam und vorsichtig und überzeugte sich, daß es der „Adler“ sei. Das Schiff stand nur an einem Anker, und zwar an dem am Krahnbalken befindlichen Nachtanker, und neben dem Tau hing die Ankertalje bis in das Wasser nieder.

Surcouf zog an der Talje und bemerkte, daß sie oben angefixt sei und ihn also tragen werde. Er griff sich empor und hütete sich dabei sehr, durch ein Anstreifen an der Bugwand das kleinste Geräusch zu verursachen. Als sein Auge in Bordhöhe gelangte, bemerkte er, daß sich nur zwei Männer an Deck befanden, nämlich die Vorder- und die Hinterdeckwache. Er hatte genug gesehen, glitt wieder hinab und kehrte zu seinen Booten zurück. Er schwamm zunächst nicht zu seiner Schaluppe, sondern zur Barkasse, welche Lieutenant Ervillard befehligte und zu deren Bemannung auch der Deutsche gehörte, welcher sich vorher auf dem „Eagle“ befunden hatte. Als dieser hörte, unter welcher Bewachung der Kapitän den Piraten gefunden hatte, bat er, der Erste an Deck sein zu dürfen, was ihm auch sofort gewährt wurde.

Nun ward eine kurze Berathung gehalten, deren Ergebniß darin bestand, daß Surcouf mit dem Deutschen und dem Lieutenant zunächst allein an Bord klettern wollte, um die beiden Wachen zu beschleichen und sie unschädlich zu machen; dies sollte durch einfache Knebelung und nur im äußersten Falle durch Tödtung geschehen; dann erst sollten die Anderen nachfolgen, indem sie, an der Ankertalje kletternd oder am Ankertaue reitend, emporkämen. Sodann hatte man den Kapitän und die Offiziere zu überrumpeln, die Waffen- und Pulverkammer zu besetzen, und nach diesen Vorbereitungen durfte man hoffen, mit der Bemannung leichter fertig zu werden.

Nachdem einem Jeden seine Rolle zugetheilt worden war, wurden die Boote an die Inseln gerudert, wo sie unter der Aufsicht eines einzigen Mannes zurückblieben. Die Uebrigen, mit dem Kapitän grad zwanzig Mann, gingen in das Wasser und schwammen, Einer immer hinter dem Andern, dem Engländer entgegen, den sie auch wirklich unbemerkt erreichten. Eine Minute später standen die Drei bereits hinter der Bugverkleidung. Die Vorderdeckwache lehnte am Fockmaste, ihnen den Rücken zukehrend.

„Er steht gut,“ flüsterte Surcouf dem Deutschen zu. „Leise hinan, und nimm ihm die Kehle fest zusammen. Er darf keinen Laut ausstoßen!“

Der Angeredete schlich sich nach dem Maste; ein rascher Griff seiner kräftigen Hände genügte, und in den nächsten Sekunden hatte die Wache einen Knebel vor Mund und Nase und war mit Armen und Beinen an den Mast gebunden. Die Hinterwache wurde ebenso glücklich überrascht, und nun gab Surcouf den unten im Wasser harrenden Leuten das Zeichen, emporzuklettern. Dies geschah so vorsichtig, daß diejenigen, welche am Ankertaue emporritten, nur ein fast ganz unmerkliches Neigen des Buges hervorbrachten. Kaum waren Alle an Deck, so schlich ein Jeder sofort nach seinem Posten.

Der Kapitän ließ sich mit dem Lieutenant von dem Deutschen nach der Kapitänskajüte führen. Die Thür derselben war von innen verriegelt, und Surcouf klopfte leise.

„Wer ist’s?“ erscholl drinnen die schläfrige Frage.

„Der Lieutenant,“ antwortete Bert Ervillard in englischer Sprache.

„Was gibt’s?“

„Pst, Capt’n, redet nicht laut! Es muß an Bord irgend eine Teufelei los sein, die wir belauschen können. Steht auf, und kommt schnell!“

„Ah! Bin gleich fertig!“

Man hörte seine hastigen Bewegungen und das Klirren einer Waffe; zugleich sah man durch eine schmale Ritze, daß er Licht machte.

„Vorsicht!“ flüsterte Surcouf. „Er darf nicht schießen, sonst weckt er alle Mannen. Nimm Du sofort seine beiden Hände, während Du, Ervillard, ihn bei der Gurgel fassest. Das Uebrige besorge ich.“

Jetzt wurde der Riegel zurückgeschoben, und die Thür öffnete sich. In ihrem hell erleuchteten Raume war Schooter mit vollster Deutlichkeit zu erkennen; er hatte einen Degen umgelegt und trug in jeder Hand eine Pistole, deren Hähne glücklicher Weise noch nicht gespannt waren. Ehe sein Auge die auf der Kajütentreppe herrschende Dunkelheit zu durchdringen vermochte, war er sowohl an beiden Händen als auch am Halse gepackt. Die Pistolen entfielen ihm; ein leises Gurgeln drang aus seiner Kehle; dann wurde er in die Kajüte zurückgedrängt, auf sein Lager gelegt, gebunden und geknebelt.

Ganz denselben Verlauf nahm die Ueberwältigung des Lieutenant in der Backbordkoje; der Deutsche, welcher jeden Winkel des Schiffes ganz genau kannte, diente als Führer. Hierauf versicherte man sich der Waffen- und Munitionsvorräthe. Bis hierher war Alles ganz glücklich abgelaufen, und da der Deutsche versicherte, daß die Bemannung sich unbewaffnet in ihren Hängematten befinden werde, so wurden die vorgefundenen Gewehre geladen, und dann stieg man durch die Vorderluke hinab in das Mannschaftsquartier.

Hier brannte eine Lampe, deren Schein den niedrigen, dumpfen Raum mit den vielen Hängematten nur nothdürftig erleuchtete. Das Passiren der schmalen, knarrenden Treppe konnte nicht mit der gewünschten Geräuschlosigkeit vor sich gehen; die Leute des „Eagle“ wurden aufmerksam, und Einer derselben stieß verdrießlich einen Fluch aus. Er glaubte, es sei die abgelöste Deckwache, fuhr aber doch sehr schnell aus seiner Hängematte empor, als er sah, daß die Störung nicht von den beiden Kameraden, sondern von einer ganzen Anzahl Unbekannter herrührte.

Er rief die Andern wach, doch schon stand Surcouf mit den beiden vorgehaltenen Pistolen des Kapitäns am Eingange und gebot mit donnernder Stimme:

„Ein Jeder an seinen Platz! Ich bin Kapitän Surcouf, und Euer Schiff ist bereits in meiner Gewalt. Wer es wagt, sich zu wehren, den lasse ich einfach an die Fockraa hängen!“

Bei der Nennung dieses Namens sanken die Arme wieder nieder, welche sich bereits erhoben hatten; Keiner der gefürchteten Bemannung des „Eagle“ hatte den Muth oder die Geistesgegenwart, ein Wort zu sagen. Die Sache war ihnen so unglaublich, so unmöglich, und doch sahen sie den gefürchteten Privateer mit seinen Leuten vor sich; es gehörte Zeit dazu, das zu begreifen, zumal ihr Schiff nicht geentert worden war, und sie an den nassen Kleidern der Franzosen erkannten, daß diese schwimmend herbeigekommen seien. Surcouf fuhr fort:

„Ihr habt Euch ohne Bedingung zu ergeben und einzeln hinauf an Deck zu steigen. Vorwärts, marsch!“

Er faßte den ihm zunächst Stehenden bei der Schulter und schob ihn nach der Treppe hin; der Mann gehorchte ganz verblüfft, und dieses Beispiel wurde von den Andern nachgeahmt. Sie stiegen in Zwischenräumen — Einer hinter dem Andern — nach oben und sahen sich dort empfangen genommen und gefesselt, ehe sie sich noch gänzlich in ihrer Lage zurecht gefunden hatten. Dann wurden sie hinunter in den Ballastraum gebracht, wo sie unter der scharfen Aufsicht einer Wache standen.

Jetzt ließ Surcouf Raketen aus der Pulverkammer kommen; ihr aufsteigendes Licht und ein einziger gelöster Kanonenschuß sollten den „Falken“ benachrichtigen, daß der „Eagle“ sich in den Händen der Sieger befinde. Diese Zeichen wurden bemerkt, und nach einer halben Stunde, während welcher Surcouf eine eingehende

Besichtigung des „Eagle“ vornahm, kam der Schooner herbei und warf neben dem Engländer den Hauptanker. Nun wurden auch die drei zurückgelassenen Boote herbeigeholt, und das Unternehmen gegen den „Adler“ war geglückt beendet.

Jetzt galt es nur noch, den entführten Missionär ausfindig zu machen. Kein einziger Mann der Schiffsbesatzung hatte Auskunft über ihn gegeben; Alle hatten vielmehr jeder Bitte und jeder Drohung ein halsstarriges Stillschweigen entgegengesetzt. Nun wurde der Lieutenant vernommen; auch dieser schwieg. Darum schickte Surcouf nach dem Kapitän, welcher noch immer gefesselt in seiner Kajüte lag, und empfing ihn an Deck, von sämmtlichen Leuten des „Falken“ umgeben.

Mehrere jetzt an den Masten aufgehängte Laternen verbreiteten ein genügendes Licht, um den berüchtigten Mann genau in Augenschein nehmen zu können. Er hatte eine lange, hagere, vornüber gebeugte Gestalt und ein Gesicht, dessen Physiognomie nichts weniger als Vertrauen erweckend war. Man hatte ihm den Knebel abgenommen und die Füße entfesselt; die Hände aber blieben gebunden. Er schien von dem, was ihn betroffen hatte, und dessen Tragweite er noch gar nicht kannte, keineswegs niedergeschlagen zu sein, sondern sein Auge blitzte, und sein Gesicht war geröthet vor Zorn, als er, in den Kreis tretend, mit barscher Stimme frug:

„Was geht hier vor? Wer ist es, der es wagt, sich auf meinem Schiffe als Herr zu geberden?“

„Auf Ihrem Schiffe, Mr. Schooter?“ antwortete Surcouf. „Ich denke, daß es das meinige ist!“

„Ah, welche Frechheit! Wer sind Sie?“

„Ich bin Robert Surcouf, Unterthan der französischen Republik, und das Schiff, dessen Licht Sie hier über Steuerbord sehen, ist der „Falke“, dessen Bekanntschaft Sie so gern machen wollten. Ich hoffe, Sie danken es mir aufrichtig, daß ich Ihnen die Mühe erspare, noch längere Zeit erfolglos nach mir zu suchen!“

Als der Kapitän diesen Namen hörte, erbleichte er; doch war dies das einzige Zeichen seines Schreckens, denn er antwortete in stolzem Tone:

„Robert Surcouf? Hm! Ja! Ach, ich erinnere mich jetzt, diesen Namen irgendwo einmal gehört zu haben. Sind Sie Seemann?“

„Ich will dies nicht behaupten, hoffe jedoch, daß man mich für einen Seemann hält.“

„Was haben Sie an Bord des „Eagle“ zu suchen?“

„Ich suche Kapitän Schooter — — —“

„Nun wohl, der bin ich. Was weiter?“

„Ferner suche ich einen Missionspriester, welchen Sie vor einigen Tagen von Java entführt haben. Sie werden die Güte haben, mir seinen Aufenthalt zu nennen!“

„Ich werde diese Güte nicht haben, Herr! Ich pflege —“

„Pah!“ unterbrach ihn Surcouf jetzt mit barscher Stimme. „Was Sie zu pflegen belieben, das ist hier vollständig gleichgültig; jetzt gilt nur das, was mir beliebt. Ich ersuche Sie, Robert Surcouf nicht für einen Mann zu halten, mit welchem man Komödie spielen darf. Ich halte Sie nicht für wahnsinnig und nehme also an, daß es Ihnen nicht an Einsicht mangelt, Ihre gegenwärtige Situation vollständig zu begreifen. Werden Sie mir sagen, wo sich der Missionspriester befindet, oder nicht?“

„Einem Surcouf antwortet Kapitän Schooter nicht!“

„Nun wohl; Sie sind mein Gefangener. Da Sie sich weigern, dem Kapitän Surcouf die verlangte Auskunft zu geben, so wird er Ihnen den Mund öffnen müssen. Lieutenant Ervillard, ein Tauende! Dieser Mann erhält dreißig scharfe Hiebe auf den bloßen Rücken!“

Bei diesem Befehle trat Schooter hastig einen Schritt weiter vor.

„Was sagen Sie da?“ rief er, vor Grimm bebend. „Schlagen wollen Sie mich lassen! Mich, einen Offizier! Den Kapitän des „Eagle“, vor dem noch jeder Feind gezittert hat!“

Surcouf zuckte die Achsel sehr gleichmüthig und antwortete:

„Hoffentlich zählen Sie mich und meine braven Jungens nicht zu den Leuten, von denen Sie gefürchtet worden sind. Ja, ich werde Ihnen den Mund mit guten Hieben öffnen lassen!“

Schooter antwortete zunächst nur mit einem heisern Schrei; dann aber rief er:

„Mensch, das wagst Du nicht! Noch gibt es ein Völkerrecht! Ich bin kein Seeräuber, sondern ein Privateer, der mit vollgültigen Kaperbriefen versehen ist. Und wenn diese nicht geachtet werden, so ist Kapitän Schooter der Mann, ihnen Achtung und sich selbst Genugthuung zu verschaffen. Zittern Sie vor meiner Rache! Sie haben mein Schiff genommen; nun wohl, ich kann nichts dagegen haben, obgleich meine Schlafmützen dies fürchterlich büßen sollen; aber Sie müssen mich im nächsten Hafen abliefern, und dann, dann werde ich Ihnen zeigen, was es heißt, einem Manne von meiner Qualität mit dem Tauende zu drohen!“

„Ich sehe doch, daß Ihr Zorn Ihren Anstand auf eine sehr ungünstige Weise beeinflußt,“ antwortete Surcouf. „Eigentlich habe ich hier keinem einzigen Menschen gegenüber meine Befehle und Handlungen mit Gründen zu belegen, aber in Rücksicht auf Ihr krankhaftes Denkvermögen will ich mich doch zu einer Erklärung herbeilassen. Ja, es gibt ein Völkerrecht, aber eben dieses Völkerrecht verbietet einem Kaper, ein Pirat zu sein; jedem ehrlichen Kapitän aber gebietet es, einen Piraten auch als Pirat, das heißt, als Seeräuber zu behandeln. Ob Sie mit Kaperbriefen versehen sind, ist mir durchaus gleichgültig; ich habe die Beweise, daß Sie wehrlose Ansiedler überfielen und friedliche Seefahrer tödteten, obgleich dieselben sich Ihnen ohne Widerstand ergaben; daß Sie sogar einen Krieg, einen Vernichtungskrieg gegen fromme Priester führen, welche keine anderen Waffen besitzen, als Worte der Liebe oder der Ermahnung. Ihre Briefe kann ich also nicht achten, denn Sie sind kein Privateer, sondern ein Seeräuber. Auch Genugthuung muß ich Ihnen versagen, da kein Dieb und Räuber satisfaktionsfähig ist. Ihre Rache fürchte ich nicht. Und endlich will ich Ihnen noch bemerken, daß ich keineswegs gezwungen bin, Sie im nächsten Hafen abzuliefern; ich bin vielmehr berechtigt und sogar verpflichtet, einen jeden Seeräuber ohne Weiteres baumeln zu lassen. Mit Ihnen habe ich bereits zu viele Worte gemacht. Ihr Schicksal ist einfach folgendes: Beantworten Sie mir meine Frage, so werde ich geneigt sein, Sie dem Gouverneur der nächsten mir im Curse liegenden französischen Besitzung als eingefangenen Piraten auszuliefern; bleiben Sie jedoch bei Ihrem Schweigen, so lasse ich Sie zunächst auspeitschen, sodann kielholen und endlich, wenn auch das zu keinem Ergebniß führt, an die Raa hängen.“

„Versuchen Sie es!“ rief Schooter sinnlos vor Wuth. „Es soll Ihnen schlecht bekommen!“

„Lieutenant Ervillard, vorwärts!“ gebot Surcouf.

Auf einen Wink des Lieutenant wurde Schooter von sechs kräftigen Fäusten gepackt und nach dem Vorderdeck geschafft.

„Bei Gott, er wagt es!“ hörte man Schooter rufen. „Führt mich zurück; ich werde die Antwort geben!“

Er wurde zurückgebracht und gestand, daß er heut am Morgen den Priester den wilden Sakuru-Dayaks übergeben habe.“

„Welchen Preis haben Sie erhalten?“ frug Surcouf.

„Den Beutel mit Goldstaub, den Sie in meiner Kassette finden,“ lautete die Antwort.

„Wo wohnen diese Dayaks?“

„Eine Stunde weit, von der Mündung des Flüßchens aufwärts.“

„Gut! Ich habe Ihnen nur noch zu sagen, daß ich Sie allerdings ausliefern werde, falls es mir gelingt, den Gesuchten unbeschädigt zurückzuerhalten; ist ihm aber das Geringste geschehen, so werden Sie dennoch aufgeknüpft. Ich handle also in Ihrem eigenen Interesse, wenn ich Sie auffordere, mir einen Ihrer Leute zu nennen, der geeignet ist, als Ihr Bote zu den Dayaks zu gehen; den Beutel soll er mitbekommen, doch werden ihn zwei meiner Männer begleiten, welche gewohnt sind, mit diesen Wilden zu verkehren. Nennen Sie den Namen!“

„Untersteuermann Harcroft.“

„Das genügt. Nun will ich Ihnen noch einen braven Mann vorstellen, der an sich selbst erfahren hat, daß Sie Seeräuber sind, und dem wir es verdanken, daß wir so schnell und erfolgreich in Ihr Kielwasser gekommen sind.“

Er gab einen Wink — die Leute traten aus einander — die Gestalt des Deutschen war zu sehen!

„Holmers! Schurke!“ rief der Gefangene und erhob die Fäuste, um sich trotz seiner gefesselten Hände auf den Genannten zu werfen; doch wurde er sofort gefaßt und auf Befehl des Kapitäns hinüber nach dem „Falken“ gebracht.

Sobald der Morgen zu grauen begann, stieß ein Boot ab, um die drei Boten an das Festland zu bringen. Der Untersteuermann Harcroft hatte ausgesagt, daß er es sei, welcher mit Karima, dem Häuptlinge der Dayaks, zu verhandeln gehabt hatte, und die beiden ihm beigegebenen Männer verstanden das Malayische hinlänglich, um ihrem Auftrage genügen zu können.

Es war ausgemacht worden, daß Surcouf bis Mittag warten, dann aber, falls sie noch nicht zurückgekehrt seien, annehmen wollte, daß er ihnen zu Hilfe kommen müsse. Auch Holmers, der Deutsche, erzählte, daß er bei dem vorigen Aufenthalte Schooter’s hier mit am Lande gewesen sei und die Gegend genügend kenne, um als Führer dienen zu können. Nach seinen Angaben konnte der Kapitän einen Situationsplan entwerfen. Er hatte überhaupt diesen Mann trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins bereits lieb gewonnen. Holmer’s Trübsinn war eine Folge seiner Sehnsucht nach dem Vaterlande, welches er von ganzer Seele liebte und zu dem er doch nicht mehr zurückkehren durfte. Als Deserteur sah er sich verurtheilt, sein Haupt dereinst in fremder Erde zur Ruhe zu legen.(Schluß folgt.)

Nachdruck verboten.

Robert Surcouf.

Ein Seemannsbild von Ernst von Linden.

(Schluß.)

Die abgelaufene Frist verstrich, ohne daß die drei Boten zurückkehrten, und sah sich Surcouf zu einer kriegerischen Expedition an das Land verpflichtet. Er übergab dem Lieutenant das Commando der beiden Schiffe und stellte sich selbst an die Spitze der zwanzig Männer, welche zur Landung ausersehen waren. Sie wurden mit guten Waffen ausgerüstet und mußten trotz der hier herrschenden Hitze drei Anzüge über einander tragen, um das Eindringen der vergifteten Pfeile der Dayaks zu erschweren. Die Schiffe verließen die Insel und warfen in der Nähe des Festlandes Anker, damit sie die Küste desselben nöthigen Falles mit ihren Kanonen bestreichen könnten. Dann stießen die Boote ab, um an der Bucht zu landen, welche von einem kleinen, hier in das Meer mündenden Flüßchen gebildet wurde.

Das Ufer zeigte nur einen schmalen, sandigen Strich ohne Pflanzenwuchs; dann aber begann ein dichter Urwald, dessen Schlinggewächse das Fortkommen sehr erschwerten. Da fiel zum Beispiele sogleich ein beinahe hundert Fuß hoher Baum in die Augen, der einen Umfang von vielleicht zwanzig Fuß haben mochte. Seine weiße Rinde war rissig, und seine Früchte hatten die Größe einer Pflaume. Das war der fürchterliche Antschar1), dessen Milchsaft schon durch seine Ausdünstung sehr schmerzhafte Geschwülste hervorbringt; es ist der berüchtigte Upas, von dem so viel Schreckliches gefabelt wird. Er soll ganz allein im „Todesthale“ auf Java stehen und die Luft meilenweit so verpesten, daß kein Baum, kein Strauch, kein Gras gedeiht und alle lebenden Wesen in seiner Nähe dem Tode verfallen. Das ist nicht wahr; vielmehr findet er sich in den dichtesten Wäldern, und man hat sich nur vor der Berührung mit seinem Gifte und vor dem längeren Einflusse seiner Ausdünstung zu hüten. An ihm kletterte eine fast armsdicke Schlingpflanze empor, welche bis in bedeutende Höhe völlig astlos war, dann aber zwischen ihren eliptischen Blättern grünlich-weiße Blumen zeigte, welche einen jasminartigen Geruch ausströmten. Das war der javanische Brechnußbaum2), dessen Wurzelrinde einen giftigen Saft gewinnen läßt, welcher unter den Namen Upas tschettek oder Upas radscha bekannt ist; er führte nach der geringsten Verwundung heftige

1) Antiaris toxicaria.2) Strychnos Tieute.

Convulsionen und einen schmerzhaften Tod herbei. In der Nähe wuchsen ganze Massen einer fünf Fuß hohen Pflanze, welche ellenlange, weich behaarte Blätter und einen röthlich weißen Blüthenstrauß trug. Es war der indische Galgant1). Auch wilder Cassamumar-Ingwer2) und die strauchige Beißbeere3) wuchsen da. Aus diesen fünf Pflanzen nebst einigen anderen bereiten die Bewohner des indischen Archipels ihr berüchtigtes Pfeilgift, über welches schon so viel Wahres und Unwahres erzählt worden ist. Die Bereitung geschieht auf folgende Weise: Man nimmt ein Quantum Antscharsaft, den zehnten Theil davon Saft der Galgant-Alpinie, eben so viel Saft des Cassamumar-Ingwers und des Arons, den Saft einer Zwiebel, etwas fein gepulverten schwarzen Pfeffer und vermischt das innig mit einander. Hierauf gibt man nach Umständen den Wurzelrindensaft der javanischen Brechnuß dazu und den Samen der Beißbeere, welcher ein starkes Aufbrausen verursacht. Hat das Brausen aufgehört und ist die Mischung filtrirt, so ist das Gift fertig. Wird dasselbe in nicht zu großen Quantitäten genossen, so erregt es in der Regel nur ein heftiges Erbrechen, kommt es jedoch mit dem Blute in Berührung, so wirkt es schnell tödtlich.

Daß der dichte Wald auch von gewaltigen Thieren belebt sei, zeigte den Seeleuten eine breite Rhinozerosspur, welche längs des Flüßchens aufwärts führte und in welche mehrere andere mündeten. In diese lenkte der Führer Holmers ein. Die Gefährlichkeit der Lage erforderte die Bildung einer Vorhut, und darum sandte Surcouf fünf Mann voraus, welche den Weg und dessen Umgebung auszuspähen hatten.

Man war beinahe eine halbe Stunde lang vorgerückt, als von dieser Vorhut das Zeichen gegeben wurde, daß etwas Auffälliges in Sicht sei. Schnell rückten die Anderen nach und gelangten an eine Stelle, wo sich ganz am Ufer des Flüßchens mehrere Rhinozeroswege vereinigten und also ein verhältnißmäßig freier Platz gebildet wurde. Dieser war abgeschlossen rechts durch den Fluß, links durch den dichten Urwald und vorn durch — eine mehrfache Reihe bewaffneter Dayaks, welche außerdem auch das andere Ufer des Wassers besetzt hielten. Sie

1) Alpinia galanga.2) Zingiber cassamumar.3) Capsicum.

hatten die Europäer bereits gesehen, schwangen ihre Spieße und Blasrohre und erhoben ein mächtiges Geschrei.

„Da,“ meinte der Oberconstabel, welcher mit einer Flinte und einer riesigen Keule bewaffnet war, „da haben sie sich uns in das Fahrwasser gelegt. Ich denke, wir segeln sie über den Haufen, Kapitän!“

„Nein,“ antwortete der Gefragte. „Noch wissen wir nicht, ob sie uns freundlich oder feindlich gesinnt sind.“

Er ließ die Mehrzahl seiner Leute zurück und schritt mit Holmers und noch drei Anderen vorwärts, bis er sich nur noch in einer Entfernung von vierzig Schritten von den Malayen befand. Er durfte sich sicher fühlen, da die Zurückgebliebenen die Dayaks ganz gut mit ihren Kugeln erreichen konnten. Als die Letzteren sein Manöver bemerkten, traten auch von ihnen Fünf vor. Der Eine von ihnen erhob den Wurfspieß und rief:

„Ada tuan-ku?“

Diese Worte bedeuten: „Welcher ist mein Herr?“ Sie enthielten eine Höflichkeit, und es ließ sich vermuthen, daß die Dayaks nicht die Absicht hegten, feindlich vorzugehen. Surcouf hatte sich so viel des Malayischen angeeignet, daß er antworten konnte:

„Ich bin der Anführer dieser Männer. Was führt Euch an diese Stelle?“

„Wir wollen Dich empfangen,“ lautete die Antwort.

„Woher wißt Ihr, daß wir kommen?“

„Die drei Männer, welche Du uns sandtest, haben es uns gesagt.“

„Wo sind sie?“

„Es sind nur noch Zwei; sie sind bei uns gefangen.“

„Warum?“

„Sie haben uns einen Mann getödtet. Sie kamen zu uns, um den Pengadschar1) zurückzuverlangen; ich bin der Häuptling; sie wollten mir mein Gold wiedergeben, ich aber verlangte ein Gewehr mit Blei und Pulver. Sie wollten nicht, und als sie den Pengadschar erblickten, ergriffen sie ihn, um mit ihm zu entfliehen. Wir traten ihnen entgegen; da nahm der Eine sein Messer und erstach den Sohn meines Bruders. Mein Bruder war nicht da, darum ergriff ich meinen Spieß und stach den Mann in die Hand; er starb, denn dieser Speer ist in das Tapu-Upas getaucht. Nun haben wir die zwei Uebrigen gebunden; sie liegen in meiner Hütte, und Du kannst sie sehen.“

Die Worte dieses Mannes klangen genau so, als ob er die volle Wahrheit gesagt habe. Die Boten Surcouf’s hatten unvorsichtig gehandelt und die Malayen gereizt.

„Und was verlangt Ihr jetzt für den Pengadschar?“ frug nun Surcouf.

„Das, was ich gesagt habe, denn ich rede nicht mit zwei Zungen. Aber den Todten mußt Du uns bezahlen.“

„Er ist bereits bezahlt, denn Du hast seinen Mörder getödtet; doch erlaube ich Dir, einen Preis zu fordern.“

„Das wird sein Vater thun, welcher bei seiner Leiche in der Hütte sitzt. Du wirst mit uns gehen müssen.“

„Versprichst Du uns volle Sicherheit?“

„Ja. Ihr werdet meine Gäste sein.“

Sie wurden weiter flußaufwärts geführt, bis sie ein Thal erreichten, unter dessen Bäumen die primitiven Wohnungen der Dayaks standen. In der größten derselben, welche dem Häuptlinge gehörte, sollte die Berathung geschehen, zu welcher sich die Angesehensten versammelten. Auch der Bruder des Häuptlings erschien; er hatte sich mit allerlei Zeichen seiner Trauer behangen und blieb während der ganzen Verhandlung stumm. Natürlich begehrte Surcouf vor allen Dingen, den Missionspriester und die beiden Boten zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt.

Als der Priester gebracht wurde, erkannte der Kapitän sofort den Pater Martin in ihm. Dieser blieb am Eingange stehen, freudig erstaunt, so viele Europäer hier zu sehen, von deren Anwesenheit er auf eine glückliche Wendung seiner Lage schließen konnte. Als sein Blick auf den Kapitän fiel, schien er in seiner Erinnerung vergeblich nachzusuchen.

„Ich heiße Surcouf,“ begann der Kapitän.

„Robert Surcouf! Kapitän Surcouf! Jetzt erkenne ich Sie trotz Ihres mächtigen Bartes und der sonnverbrannnten Farbe. Kommen Sie in meine Arme, mein muthiger Wohlthäter!“

1) Lehrer, Missionär.

Der Inhalt ihrer kurzen Unterredung läßt sich denken. Pater Martin war glücklich nach Italien entkommen und hatte dann Europa verlassen, um in Indien für die Bekehrung der Heiden thätig zu sein. Er erzählte in seiner schlichten Weise, daß er viel Ungemach überwunden habe, das Schlimmste aber sei ihm an Bord des „Eagle“ widerfahren, wo man die heilige Religion gelästert und ihren Diener auf die boshafteste Weise verspottet habe. Schließlich sei er gar noch verkauft worden, um bei irgend einem Begräbnisse als Todtenopfer geschlachtet zu werden. Surcouf versprach ihm natürlich seine Befreiung, erzählte ihm von der Gefangennahme Schooter’s, und der Priester pries Gottes Güte, welche ihm so augenfällig in seinem alten Beschützer abermals einen Retter gesandt hatte.

Als die zwei Boten gebracht wurden, waren es die beiden Leute des „Falken“; der am Upasgifte Gestorbene war also der englische Untersteuermann gewesen, welcher, wie seine Begleiter aussagten, so unvorsichtig kühn gehandelt habe, um sich das Wohlwollen Surcouf’s zu erwerben.

Nun begann die Unterhandlung mit den Dayaks. Häuptling Karima schien kein Freund von Umschweifen zu sein, und so wurde bis zur Einigung nicht viel überflüssige Zeit verschwendet. Seine klare, prompte Einleitung lautete:

„Wir wollen über unsere Feinde siegen, und dazu brauchen wir Waffen, wie die Euerigen sind. Ich werde Dir sagen, was Du uns geben sollst: eine Büchse und Pulver und Blei für den Getödteten; eine Büchse und Pulver und Blei für den Pengadschar, wenn er nicht hier bleiben will. Bleibt er bei uns, so soll er uns das lehren, was wir nicht wissen. Die Dayaks da oben in den Bergen und im Innern der Insel haben keine Gedanken; wir aber erkennen, daß Ihr viel weiser seid, als wir; wir wollen von Euch lernen und mit Euch einen Bund schließen. Wenn Du das thust, so werde ich Dir Goldsand und schöne Steine zeigen, welche wir in den Bergen finden, und Du sollst mir sagen, wie viele Flinten, Pulver und Blei, Beile und Messer Du uns dafür geben kannst. Auch Tücher und Kleider möchten wir gern. Dann scheiden wir in Frieden und werden uns freuen, wenn Du wiederkommst oder uns einen Boten sendest.“

Surcouf war ganz erstaunt ob dieses ebenso friedfertigen wie Gewinn verheißenden Anerbietens.

„Das ist nicht Zufall, das ist Gottes Schickung!“ meinte der Priester. „Der Herr hat diesen Häuptling bei der Hand erfaßt, um ihn auf den rechten Weg zu leiten, und mir gibt er einen Fingerzeig für den Ort einer segensreichen Wirksamkeit. Kapitän Surcouf, ich bleibe hier! Wollen Sie dafür sorgen, daß ich mit der Welt in Verbindung bleibe?“

„Gern, ich verspreche es Ihnen!“

Surcouf wandte sich an den Häuptling:

„Du hast klug und weise gesprochen, wie ein Mann, welcher der Häuptling Vieler werden wird. Das Land, aus dem ich komme, kann Dir Alles bieten, was Du brauchst: Schutz gegen Deine Feinde, Waffen, Kleider, Geräthe aller Art. Deine Worte haben mich zu Deinem Freunde gemacht. Ich werde Dir Alles geben, was Du verlangt hast. Einige meiner Leute können gehen, um es zu holen. Ich werde Dir eine Büchse, Pulver und Blei für diesen Pengadschar geben, trotzdem er wünscht, hier bei Dir zu bleiben. Willst Du ihn als Deinen Gast behalten und beschützen, so werde ich Dir außerdem noch zwei Gewehre, drei Pistolen, drei eiserne Töpfe zum Kochen, ein rothes und ein blaues Kleid für Dich, einen Spiegel, welcher dreimal größer ist, als Dein Kopf, und allerlei andere Sachen geben. Willst Du mir nun den Goldsand und die Steine zeigen?“

Karima gab einen Wink, und bald brachten drei Männer das Gewünschte in Säckchen herbei. Der Goldsand war rein und wog vielleicht zwanzig Pfund, und die Steine waren ächte Diamanten, manche von der Größe einer dicken Erbse.

„Was verlangst Du dafür?“ fragte Surcouf.

„Herr, sage selbst, was Du denkst!“

„Gut! Ich werde Dir dafür geben eine — — höre! — eine Kanone!“

Es war erstaunlich, welche Wirkung dieses Zauberwort auf alle Hörer hervorbrachte. Die braunen Gesichter der Malayen glänzten vor Wonne, und ihr Häuptling rief:

„Herr, eine Kanone, ist’s möglich?“

„Ich sage es ja! Eine Kanone mit hundert großen Kugeln und Pulver zu hundert Schüssen.“

„Oh, so bist Du der beste Freund, den wir besitzen, denn nun müssen alle unsere Feinde vor uns zu Schanden werden.“

„So sind wir also einig. Macht Euch bereit, mich auf das Schiff zu begleiten; dort sollt Ihr Alles erhalten, was ich Euch versprochen habe!“

In kurzer Zeit setzte sich ein ziemlich langer Zug in Bewegung, und bald mußten die Boote vom Schiffe abstoßen, um die Kameraden und Dayaks an Bord zu bringen. Dort erhielten sie eine Einpfünder-Drehbasse nebst Munition und alles sonst Versprochene.

Surcouf blieb drei Tage in der Sakurubucht, dann nahm er von den Malayen und dem Priester, welchen er mit allem Nöthigen reichlich versehen hatte, einen herzlichen Abschied.

In Paris.

Die französische Revolution hatte ihren Kreislauf vollendet.

Aus dem Consulate war ein Kaiserthum geworden, und der groß gewordene kleine Corse hatte sich mit einem prunkvollen Hofstaate von Großoffizieren und Großwürdenträgern umgeben. Ganz Europa hörte auf seine Stimme, und nur das stolze Albion verschmähte es, ihm ein Liniensystem in der Partitur des politischen Concertes zu gestatten. Wie sein Stern emporgestiegen war, so sollte er auch wieder sinken und verschwinden, plötzlich, aus dem Nichts in das Nichts — ein Meteor, welches keine Rückkehr feiert.

Die Häfen Frankreich’s waren von England seit mehreren Jahren so nachdrücklich blockirt worden, daß es kaum einmal einem französischen Schiffe gelang, die See zu gewinnen. Diese Sperre legte natürlich den Handel Frankreich’s vollständig auf das Trockene. Uebrigens hatte Frankreich fast alle seine Colonien an England verloren und damit ganz unersetzliche Verluste erlitten. Frankreich hätte nun diese Schläge zu verhüten oder an den Gegner zurückzugeben vermocht, aber Napoleon war kein Seemann und hegte bereits damals den großartigen, später so traurig verunglückten Plan, England in Indien über das eroberte Rußland hin anzugreifen. Dazu bedurfte er einer mächtigen Völkercoalition im Herzen Europa’s, auf welche er sein ganzes Augenmerk richtete, anstatt einen kürzeren, weniger kostspieligen und weniger unsicheren Weg einzuschlagen.

Seine Versuche, an der Küste Großbritannien’s zu landen, waren stets gescheitert. Es fehlte an einer tüchtigen Flotte und an Männern, deren Namen man neben dem der damaligen britischen Admirale hätte nennen können. Das Erbauen neuer Schiffe erforderte bedeutende Summen, aber sobald sie in See gingen, wurden sie von den Engländern weggenommen. Und doch hätte sich bereits im Jahre 1801 Napoleon einer Erfindung bemeistern können, durch welche er England in Furcht versetzt haben würde. Robert Fulton, der berühmte amerikanische Mechaniker, war nach Paris gekommen, um zu beweisen, daß es möglich sei, Schiffe mittelst der Kraft des Dampfes zu bewegen. Er stellte daselbst im Verein mit dem damaligen amerikanischen Vertreter in Paris, Kanzler Livingston, verschiedene Versuche an, welche aber nicht beachtet wurden. Aus diesem Grunde ging er nach England, wo er auch keinen Beifall fand. Dennoch ließ er sein Projekt nicht fallen und kehrte zwei Jahre später nach Paris zurück.

Er brachte auf der Seine sein erstes Versuchs-Dampfboot in Gang, wurde aber von keiner Seite unterstützt. Er wandte sich direkt an den ersten Consul, und es wurde ihm eine Audienz gestattet. In einem Zimmer der Tuilerien standen Beide einander gegenüber, der Held des Dampfes und der Heros der Schlachten.

„Man sieht ein,“ sagte Fulton nach einer längeren Debatte über seine Erfindung, „daß die Dampfkraft der Schifffahrt von ungeheurem Nutzen sein und sie auf ungeahnte Weise heben wird. Die Entfernungen werden schwinden, die Schwierigkeiten sich vereinfachen, die Gefahren und Unglücksfälle sich vermindern. Die Manövrirfähigkeit eines Schiffes muß sich verzehnfachen, wenn sie nicht mehr von Wind und Segelwerk abhängig ist. Derjenige Fürst, welcher die ersten Kriegsdampfer baut, wird jeder Marine der Welt überlegen sein.“

Der Consul hatte schweigsam und mit einem sarkastischen Lächeln um den Mund zugehört. Jetzt ergriff er Fulton beim Arme und zog ihn an’s Fenster. Auf die vor demselben wogende Menge der Passanten deutend, frug er in einem sehr ironischen Tone:

„Sehen Sie die neue Erfindung, welche viele dieser Leute zwischen den Lippen tragen?“

„Ich sehe sie,“ antwortete Fulton. „Es ist die Cigarre, welche man jetzt auch in Frankreich zu rauchen beginnt.“

„Nun wohl! Alle diese Raucher sind lebendige Dampfmaschinen. Sie entwickeln Dampf, weiter nichts!“

„Ich wage zu bemerken, daß der Rauch nicht mit dem Dampfe zu verwechseln ist. Es ist nicht Dampf, was bei dem Rauchen einer Cigarre entsteht.“

Bei diesem Einwande zogen sich die Brauen des ersten Consuls unmuthig zusammen; er war es nicht gewohnt, sich von einem schlichten Mechanikus corrigirt zu sehen; darum klang seine Stimme schroffer als bisher:

„Dampf oder Rauch, das bleibt sich gleich! Wie kann dem Rauche einer Cigarre die Kraft innewohnen, ein Schiff zu treiben? C’est drôle — es ist lächerlich!“

Fulton wagte jetzt keine abermalige Berichtigung, aber er entgegnete in dem rücksichtsvollsten, höflichsten Tone:

„Ich wiederhole jedoch und behaupte nachdrücklich, daß derjenige Herrscher, welcher die ersten Dampfschiffe besitzt, in kurzer Zeit Herr der Meere sein wird. Einem solchen Erfolge gegenüber sind die Kosten einiger Versuche verschwindend klein zu nennen. Ich erinnere an England’s Haß gegen Frankreich. Wenn der Beherrscher der französischen Nation eine Dampferflotte besäße, so würde er in London den Engländern Gesetze vorschreiben können.“

Napoleon trat von dem Fenster, an welchem Beide stehen geblieben waren, zurück und meinte in seinem kältesten Tone:

„Mon ami, ich pflege meine Chancen nicht dem Dampfe anzuvertrauen. Ich sehe mich über Ihr Object vollständig informirt und muß mich ablehnend verhalten.“

Eine stolze verabschiedende Handbewegung sagte Fulton, daß die Audienz beendet sei.

Fulton ging. Er war um eine große Hoffnung ärmer geworden. Der Consul aber ahnte nicht, daß er als verbannter Kaiser einst dieser Stunde bedauernd gedenken würde.

Aber schon wenig über ein Jahr später sollte er an sie erinnert werden. Der unterdessen Kaiser gewordene Bonaparte hatte in der Nähe von Boulogne und außerdem bei Utrecht eine bedeutende Heeresmacht zusammengezogen, um in England zu landen. In Folge dessen wurde die Bewachung der französischen Häfen von den Engländern auf eine Weise verschärft, daß keinem französischen Schiffe das Entschlüpfen gelingen wollte. Außerdem kreuzten in den Frankreich begrenzenden Meerestheilen englische Flotten, welche jedes ihnen begegnende Fahrzeug anhielten und durchsuchten; war es ein Franzose oder hatte es für Frankreich geladen, so wurde es weggenommen. Diese Calamität machte dem Marineminister ungeheuer zu schaffen; er hatte fast täglich Conferenzen mit dem Kaiser, die gewöhnlich mit beiderseitiger Erregung endigten.

Während einer dieser turbulenten Besprechungen, als eben wiederum die Rede von der strengen Blockade der sämmtlichen Häfen war, sagte der Minister:

„In dieser Misère ist es eine um so größere Freude, zu erfahren, daß es doch noch Männer gibt, deren Muth und Geschicklichkeit der Aufmerksamkeit dieser britischen Seebären gewachsen ist.“

Der Kaiser blickte auf.

„Was ist’s?“ fragte er. „Hat Hugues etwas getan?“

Admiral Hugues, war nämlich einer von den wenigen französischen Seemännern, welche zuweilen glücklich operirten.

„Nein,“ antwortete der Minister. „Es ist etwas Anderes; es ist fast ein kleiner Seeroman.“

„Sprechen Sie, so wenig ich mich sonst für Romane interessire!“

„Von dem englischen Geschwader des Commodore Dancy ist eine Fregatte auf Belle-Isle gegenüber Le Palais gelandet, um die kleinen Ortschaften der Insel zu beängstigen. Während die

Mannschaften sich am Lande befinden, kommt eine kleine Brigg herangesegelt, zeigt die englische Flagge, legt sich Seite an Seite mit der Fregatte, nimmt sie weg, zieht die französische Flagge auf und segelt davon. Am andern Morgen kommt dieselbe Fregatte, hinter sich die Brigg mit niederhängender Flagge, als habe sie dieselbe genommen, ganz wohlgemuth an das englische Blockadegeschwader vor Brest gesegelt; sie läßt ganz stolz vom hohen Top die englischen Farben wehen, und da ein jeder Kapitän die Fregatte kennt, so denkt man, sie sei von Commodore Dancy mit irgend einer Botschaft an den Commandanten des Geschwaders gesandt und habe unterwegs das französische Schiff genommen. Sie salutirt, und alle Schiffe des Geschwaders antworten. Sie segelt das Flaggenschiff an und thut, als wolle sie beidrehen; da aber plötzlich sinkt die englische Flagge und die französische fliegt empor, bei der Brigg ebenso. Beide jagen dem englischen Flaggenschiffe, einem Linienschiff von hundert und zwanzig Kanonen, die Kugeln einer Breitseite in den Riesenleib, strengen im Nu alle Segel an und kommen glücklich unter den Schutz der Batterien von Le Goulet1). Die Engländer, welche natürlich sich zur schleunigen Verfolgung aufgemacht hatten, wurden von den Kugeln der Batterien gezwungen, umzukehren.“

Die Augen des Kaisers leuchteten.

„Das ist ein Heldenstück, an das man nicht glauben kann!“ rief er.

„Sire, ich erzähle eine Thatsache!“

„Ich selbst bin allerdings Zeuge eines ähnlichen Heldenstückes gewesen. Ein ganz junger Seemann nahm ein englisches Fahrzeug und segelte damit ganz offen durch die Flotte des Admirales Hood. Dieser Mann hieß Robert Surcouf und ist derselbe, von dessen indischen Thaten man mit jeder Post auch Neues hört. Ihr Held muß übrigens die Küste der Bretagne und den Hafen von Brest ganz genau kennen.“

„Dies ist der Fall, denn er ist in der Bretagne geboren.“

„Auch Robert Surcouf ist ein Breton. Wie ist der Name Ihres Mannes? Es ist sehr nothwendig, ihn sich zu merken, denn man wird seinen Besitzer brauchen können.“

„Majestät haben ihn bereits zweimal genannt.“

„Ah! Surcouf ist es? Wirklich Surcouf?“

„Er selbst, Sire.“

„Dann glaube ich an die Wegnahme der Fregatte. Es ist dies ein Meisterstück, welches ihm Niemand nachmachen wird. Man wird diesen Mann festzuhalten suchen, ihm einstweilen ein Linienschiff und dann eine Escadre geben. Bemerken Sie sich das; es ist mein Wille!“

„Ich danke Ew. Majestät in seinem Namen. Er bringt uns nicht nur die eroberte Fregatte, sondern auch Berichte, Briefe und Gelder von Isle de France und Isle Bourbon. Der Gouverneur von Isle de France meldet mir, daß er in den letzten drei Monaten elf Schiffe von Surcouf überkommen hat, welche dieser kühne Parteigänger den Engländern wegnahm. Frankreich hat Surcouf nicht nur diese außerordentliche Schädigung des Feindes, sondern auch die durch den Verkauf dieser Prisen und die Verwerthung ihrer Ladungen erlangten großen Summen zu verdanken. Ich gestatte mir die Bemerkung, daß ich überzeugt bin, dieser noch so junge Breton könnte den Engländern furchtbar werden, wenn man ihm erlaubte, sich an der rechten Stelle zu befinden. Und dabei ist er bescheiden und anspruchslos, wie ich selten einen Mann von seinen Verdiensten gefunden habe.“

„Wie, Sie kennen ihn?“ frug der Kaiser rasch.

„Verzeihung, Sire! Ich vergaß, zu sagen, daß er mich gestern um eine Audienz bat, die ich ihm heut gewährte.“

„So befindet er sich in Paris?“

„Er ist hier, um einen Prozeß gegen den Gouverneur von Isle de France zu betreiben, welcher sich weigert, ihm den Erlös einiger Prisen auszuzahlen.“

„Wie hoch ist die Summe?“

„Gegen anderthalb Millionen Francs. Er hat gegen den Gouverneur bereits einen ähnlichen Proceß gewonnen, wo sich der gesetzgebende Körper für Surcouf entschied. Es handelte sich dabei um rund siebenmalhunderttausend Francs.“

„Solch ein Kaper verdient ja ungeheuere Summen!“

1) Die enge Einfahrt in die Rhede von Brest.

„Nur ein Kaper von dem Unternehmungsgeiste und der Einsicht Surcouf’s. Aber Majestät mögen geruhen, an die Summen zu denken, welche er braucht, um stets seetüchtig zu sein. Uebrigens weiß man genau, daß Surcouf nicht einen Franken für sich behält; er ist der Vater, der Freund, der Schatzmeister unserer indischen Ansiedelungen, welche leider so oft allein nur auf seinen Schutz und seine Freigebigkeit angewiesen sind.“

„Wird er seinen Prozeß gewinnen?“

„Ich zweifle keinen Augenblick!“

„So kann ich diese Angelegenheit selbst begleichen, ohne der Gerechtigkeit durch eine décision arbitraire Eintrag zu thun. Kann man diesen Surcouf einmal wie durch Zufall sehen?“

„Ich habe mit ihm zu sprechen. Wollen Ew. Majestät befehlen, wann dies bei mir zu geschehen hat?“

„Elf Uhr morgen. Sie werden dafür sorgen, daß er pünktlich ist. Wie steht es mit seinem Antheile an der Fregatte?“

„Man ist bereits daran, das Fahrzeug zu taxiren.“

„Man kann dies unterlassen; ich selbst werde Surcouf entschädigen!“ — — —

In der Vorstadt Poissoniêre stand ein Gasthaus. Es war zwar kein feines Hôtel, aber eine recht angenehme Auberge, und der Wirth desselben pflegte, wie allen seinen Besuchern bekannt war, sich nur mit anständigen Gästen zu befassen. Es war der gute Oncle Carditon, der einem Jeden, welcher es hören wollte, sehr ausführlich erzählte, daß er zuvor eine Taverne in Toulon besessen habe, doch mit Hülfe des berühmten Kapitän Surcouf in seinen Verhältnissen so weit vorwärts gekommen sei, daß er nach Paris ziehen und sich die hübsche Auberge kaufen konnte.

Seit gestern abend befand sich Oncle Carditon in einer sehr gehobenen Stimmung und zugleich in einer ungewöhnlichen Geschäftigkeit: Robert Surcouf hatte Quartier bei ihm genommen, und zwar nicht allein, sondern mit seinem Lieutenant Bert Ervillard, seinem Segelmeister Holmers und noch einigen Leuten des „Falken“. Dieser liebe Besuch mußte natürlich auf das Beste und Sorgsamste bedient werden, und darum ist es kein Wunder, daß Oncle Carditon für Andere nicht gar viel Zeit übrig hatte.

Der gute Oncle Carditon war außerordentlich stolz auf Surcouf. Trotz seiner Geschäftigkeit fand er doch Zeit, den Stammgästen zu erzählen, daß Kapitän Surcouf gestern sofort nach seiner Ankunft zum Minister gefahren sei, und daß auch vorhin ein reich gallonirter Diener desselben einen Brief für Surcouf gebracht habe. Es sei noch nie ein Gast bei ihm eingekehrt, der mit den Ministern des Kaisers verkehrt hätte, und es könnten sehr viele vornehme Hôtels genannt werden, deren Gäste noch nie mit einem Minister gesprochen und noch weniger ihn besucht oder gar einen Brief von ihm empfangen hätten.

Als der Kapitän von einem Spaziergange zurückkehrte, brachte ihm Oncle Carditon diesen Brief in eigener Person auf einem feinen Glasteller, denn der gute Oncle dachte sich, daß der Brief eines Ministers anders zu behandeln sei, als ein Papier aus gewöhnlichen Händen. Surcouf öffnete und fand die Weisung, sich am nächsten Vormittag präcis halb elf Uhr bei dem Chef des Marinewesens einzufinden.

Als der Kapitän des „Falken“ am andern Morgen das Hôtel des Ministers betrat, wurde er direkt nach dessen Arbeitszimmer geführt. Er wußte, daß dies eine Auszeichnung für ihn sein solle, doch nahm er dieselbe so gleichmüthig hin, als ob er es gar nicht anders erwartet habe. Der hohe Beamte empfing ihn mit der ausgesuchtesten Höflichkeit.

„Ich habe Sie nicht rufen lassen,“ begann er, „um über Ihre Angelegenheit mit Ihnen zu verhandeln, sondern um mich von Ihnen über einige nautische Fragen, welche die von Ihnen mit Vorliebe befahrenen Gegenden betreffen, unterrichten zu lassen. Es sind eben jetzt so wenig Männer gegenwärtig, von denen ich die gewünschte Auskunft erhalten könnte, daß ich Ihre Anwesenheit nicht unbenützt vorübergehen lassen darf.“

Und nun brachte er eine Anzahl Seekarten zum Vorscheine, über welche eine nach und nach immer lebhaftere Unterhaltung geführt wurde. Surcouf hatte Gelegenheit, seine reichen Erfahrungen in seiner stillen, anspruchslosen Weise zur Geltung zu bringen, und der Minister verbarg es keineswegs, daß ihn der junge Seemann — je länger desto mehr — interessirte.

Da öffnete sich plötzlich die Thür, und der Diener meldete den Kaiser, welcher zu gleicher Zeit mit der Meldung eintrat.

„Excellenz,“ sagte er, „ich komme persönlich, um eine höchst wichtige Angelegenheit selbst — — ah!“ unterbrach er sich, „Sie sind beschäftigt?“

„Ich bin zu Ende und stehe Ew. Majestät überhaupt zu jeder Stunde zur Verfügung,“ lautete die Antwort.

Der Kaiser hatte Surcouf scharf in das Auge gefaßt, um zu sehen, welchen Eindruck die plötzliche Gegenwart des Lenkers Frankreich’s auf ihn machte. Wenn er geglaubt hatte, den Kapitän in Verlegenheit zu bringen, so hatte er sich getäuscht, denn dieser zuckte mit keiner Miene, und die Farbe seiner tief gebräunten Wangen blieb ganz die gleiche; er trat nur mit einer tiefen, respektvollen Verbeugung zur Seite und richtete dann seinen Blick auf den Minister, da er erwartete, verabschiedet zu werden.

„Kapitän Surcouf, Majestät,“ stellte dieser ihn vor.

„Kapitän?“ frug Napoleon kalt. Und dann fügte er mit scharfer Stimme, als beabsichtige er, einen Verweis zu ertheilen, hinzu: „Wer hat Sie zum Kapitän gemacht?“

Dieser Ton und diese Frage, welche einen Andern verblüfft hätte, brachte den Gefragten nicht im mindesten aus der Fassung; er antwortete ruhig, aber mit einem beredteren Blick, als die Demuth ihn erfordert hätte:

„Frankreich nicht, Sire, sondern der Seegebrauch. Frankreich gab mir kein Schiff; da nahm ich mir ein solches und wurde von diesem Augenblick an Kapitän genannt. Diejenigen, welche mich mit diesem Worte beehren, wissen vielleicht kein anderes, welches ihnen passend erscheint; denn die Zeit, in welcher es genügte, einen Jeden einfach „Bürger“ zu nennen, ist vorüber.“

Er hatte den Ausfall des Kaisers parirt und ihm dafür zwei Hiebe zu gleicher Zeit gegeben. Daß sie getroffen hatten, zeigte das kleine Fältchen, welches sich über der Nasenwurzel Napoleons bildete.

„Sehnen Sie diese Zeit zurück?“ frug dieser mit jener Kürze, welche er anzuwenden pflegte, wenn er einem Andern in den Grund der Seele zu blicken beabsichtigte.

Diese Frage war verfänglich, doch Surcouf antwortete ruhig:

„Ich ersehne vor allen Dingen das Glück meines Vaterlandes; in jener Zeit war Frankreich nicht glücklich; möge es jetzt anders werden!“

„Was verstehen Sie unter dem Glück eines Volkes, in’s Besondere unter dem Glück der französischen Nation?“ frug Napoleon mit einem überlegenen Lächeln.

„Nichts Anderes, als was ich unter dem Glück der Menschheit verstehe: innerliches und äußerliches Wohlbefinden.“

„Und was ist dazu erforderlich?“

„Ein friedliches Regiment und eine freie Bahn für alle redlichen Erzeugnisse des Geistes und der Hände.“

„Und wenn dieses friedliche Regiment nicht möglich ist?“

„So erzwinge man es durch würdige Mittel, welche klug und kraftvoll anzuwenden sind. Kein Friede ohne vorherigen Kampf.“

„Halten Sie die Kaperei auch für eines dieser würdigen Mittel!“ fragte der Kaiser lächelnd.

„Nein,“ erklang die aufrichtige Antwort. „Es wird die Zeit bald kommen, welche dieses beklagenswerthe Institut verurtheilt, und alle seefahrenden Nationen werden sich zur Abschaffung desselben vereinigen. Ich selbst bin Kaper, doch ohne daß mich mein Gewissen verurtheilt, denn ich habe mich zu jeder Zeit bestrebt, bei meinem Thun alle Härten zu vermeiden und es so einzurichten, daß daraus ein Segen für brave Menschen entspringt. Ich darf mich frei von Schuld und Unrecht fühlen, denn ich bin der Wurm, welcher sich unter dem Fuße des Feindes krümmt, der Wurm, dem nicht das Gebiß des Löwen oder die Pranken des Bären gegeben sind.“

„Aber dennoch ein sehr respektabler Wurm,“ konnte Napoleon sich nicht enthalten, zu bemerken. „Man hat zuweilen von Ihnen gehört. Warum treten Sie nicht in die Marine ein?“

„Weil die Marine nichts von mir wissen wollte.“

„Vielleicht hat sie ihre Ansicht geändert. Sie müssen sich darnach erkundigen!“

„Wer mir seine Thür zeigt, kann nicht erwarten, daß ich es bin, der ihn um Eintritt bittet. Man hat mich allerdings bemerken -

bemerken lassen, daß man mit meinen kleinen Erfolgen zufrieden ist; auch sind mir von anderen Nationalitäten zuweilen Anträge zugegangen, doch habe ich keine Veranlassung, eine Aenderung meiner Gesinnung eintreten zu lassen. Ich habe für mein Vaterland gekämpft, obgleich es mich von sich stieß; ich werde demselben treu bleiben zu aller Zeit, selbst dann, wenn es mir nichts Anderes bietet, als bisher.“

„Der vermeintliche Undank des Vaterlandes ist bereits für Viele der Sporn zu hohem Wirken gewesen; auch Sie werden sich nicht beklagen. Man sagt, daß Sie einen Prozeß führen?“

„Man enthält mir mein wohlerworbenes Eigenthum vor, welches ich zum Nutzen derjenigen zu verwenden habe, welche auf keine andere Hilfe rechnen können.“

„Ich bin überzeugt, daß Sie Gerechtigkeit finden. Ich sehe hier Karten liegen. Hat Excellenz Ihre Erfahrungen in Anspruch genommen?“

„Ich hatte das Glück, einige kleine Antworten geben zu dürfen.“

„Die jedoch für mich von großer Bedeutung waren,“ ergänzte der Minister. „Kapitän Surcouf ist der Mann, an welchen man sich wenden muß, wenn man sich über unsere indischen Angelegenheiten orientiren will.“

„Auch ich interessire mich für diese Angelegenheiten sehr,“ bemerkte der Kaiser. „Ich werde Sie einmal sehen und Ihnen die Stunde mittheilen lassen.“

Mit einer Handbewegung gab er das Zeichen, daß Surcouf entlassen sei.

Einige Tage später staunte Oncle Carditon nicht wenig, als vor seiner Thür ein Wagen hielt, aus welchem ein Adjutant des Kaisers stieg. Dieser fragte nach dem Kapitän Surcouf, und als er hörte, daß derselbe nicht anwesend sei, befahl er dem Wirth, Surcouf zu sagen, daß seine Majestät geruhen würden, ihn morgen zur Mittagszeit zu empfangen.

Der Wagen war längst wieder verschwunden, da stand der gute Oncle Carditon noch immer mit offenem Munde vor der Thür. Welch eine Ehre für seine Auberge! Das mußte er sogleich seinen Stammgästen erzählen, obgleich er eigentlich gar keine Zeit dazu hatte.

Am andern Tage stand Surcouf einige Minuten vor der angegebenen Zeit in den Tuilerien und wurde Punkt 12 Uhr vor den Kaiser geführt. Dieser empfing ihn in demselben Raume, in welchem Robert Fulton seine verunglückte Audienz gehabt hatte. Der Kaiser warf einen seiner durchdringenden Blicke auf die stattliche Gestalt des Sohnes der Bretagne und erwiederte [erwiderte] dessen tiefe Verneigung nur mit einem kaum bemerkbaren Senken seines Kopfes.

„Kapitän Surcouf,“ begann er, „ich habe mich Ihrer Angelegenheit angenommen. Man wird Ihnen die streitige Summe auszahlen, sobald Sie dieselbe begehren.“

Er schwieg, als erwarte er, eine Fluth von Dankesworten zu vernehmen. Der Seemann aber sagte einfach:

„Sire, ich danke! Ich hatte die Richter Frankreich’s für so gerecht gehalten, daß meine Angelegenheit Ew. Majestät nicht hätte belästigen sollen.“

„Ich verstehe Sie nicht,“ fiel der Kaiser rasch ein. „Ihre Angelegenheit ist durch mich zwar schneller, aber ganz mit demselben Resultate erledigt worden, welches sie durch den richterlichen Spruch gefunden hätte. Ganz ebenso ist es mit der von Ihnen den Engländern abgenommenen Fregatte, deren Werth bereits taxirt worden ist. Nehmen Sie dieses Portefeuille! Es enthält genau die Summe, welche Sie zu fordern haben.“

Er griff nach der Brieftasche, welche auf einem neben ihm stehenden Tischchen lag, und reichte sie ihm entgegen. Surcouf nahm sie unter einer dankbaren Verbeugung und sagte:

„Ich danke abermals, Majestät! Auf diese Weise bin ich eines längern, thatlosen Aufenthaltes in Paris überhoben und kann zur Erfüllung meiner Pflichten zurückkehren.“

„Sie wollen Frankreich verlassen?“

„Ja.“

„Jetzt, wo alle Häfen gesperrt sind und kein Schiff auszulaufen vermag!“

„Sire,“ lächelte Surcouf, „ich bin eingelaufen trotz der Blockade und werde auch wieder die See gewinnen.“

„Eh bien! Kann ich Ihnen einen Wunsch erfüllen?“

„Es gibt sogar zwei Wünsche, welche ich Ew. Majestät zu Füßen legen möchte. Der erste betrifft meinen braven Lieutenant Bert Ervillard. Er ist einer der tüchtigsten Seeleute, welche ich kenne, obgleich er kein hohes Alter hat. Ich habe noch kein feindliches Schiff betreten, ohne Meister desselben zu werden, und er ist der Gefährte meiner Siege; er würde der Marine Frankreich’s von großem Nutzen sein.“

„Will er Sie verlassen?“

„Er weiß nichts davon, daß ich von Ew. Majestät ein Schiff für ihn begehre.“

„Er soll die Fregatte erhalten, welche er mit Ihnen den Engländern entführt hat! Und Ihre zweite Bitte?“

„Sie betrifft meinen Segelmeister. Er ist ein Deutscher und gehörte zu den zwölftausend Hessen, welche für England in Nordamerika bluten sollten. Er wollte aber gegen die Union nicht kämpfen und entfloh. Da ihm als Deserteur die Rückkehr in das Vaterland nicht möglich war, verlor er eine geliebte Braut, ein nicht unbedeutendes Vermögen und mußte verzichten, seinen Eltern die Augen zuzudrücken. Er wurde Seemann, befuhr alle Meere, wurde von dem berüchtigten Kapitän Schooter gepreßt und entkam dann glücklich zu mir, wobei er mir den „Eagle“ in die Hände lieferte. Seit jener Zeit hat er Frankreich viele Dienste geleistet, denn bei jedem feindlichen Schiffe, welches ich nahm, ist er der Vorderste gewesen. Er sehnt sich, in die Heimath zurückzukehren, und hat mich dringend gebeten, Ew. Majestät sein Gesuch um Ihre allerhöchste Befürwortung zu unterbreiten.“

„Kapitän, ich habe in dem Vaterlande dieses Mannes nichts zu befehlen; aber um Ihretwillen soll er heimkehren dürfen. Ich werde diesen Wunsch der betreffenden Stelle zu erkennen geben; dabei aber mag er selbst eine Bittschrift an seine heimatliche Behörde gehen lassen, und ich bin überzeugt, daß dieses Gesuch nicht abschlägig beschieden wird. Sind Sie zufrieden gestellt?“

„Ich empfinde die Gnade Ew. Majestät mit herzlicher Dankbarkeit!“

„Und für sich selbst, haben Sie da keinen Wunsch?“

„Sire, geben Sie meinem Vaterlande den Frieden, dessen es bedarf; gewähren Sie ihm, was es braucht, um glücklich zu sein, so sind meine heißesten Wünsche erfüllt!“

„Sie verlangen für sich nichts und für Ihr Vaterland doch mehr, als ich vielleicht zu geben vermag. Man darf nicht sanguinisch sein. Zum Wohle des Vaterlandes hat ein jeder Einzelne nach Kräften beizutragen. Sie selbst haben scheinbar genug gethan, aber es gibt eine Sphäre, in welcher Sie noch Besseres leisten könnten. Soll Ihnen dieselbe verschlossen bleiben?“

„Majestät, die Frage macht mich glücklich, aber dennoch muß ich mit einem bittern „Ja“ antworten.“

„Warum?“

„Ich bin ein Seemann, ein Krieger, aber ich werde niemals ein Kriegsknecht sein können. Ich beklage den Feldherrn, der den Krieg nur um des Krieges willen führt; der Krieg ist eine traurige Nothwendigkeit; er soll geführt werden, wenn ihn ein großer Zweck erheischt, und nur so, daß dieser Zweck auch erreicht wird. Wäre dies nicht der Fall, so würde ich als Offizier meinen Abschied fordern oder nehmen.“

„Ah, ich sehe, daß ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe! Sie wollen mir einen Rath ertheilen, wie damals vor Toulon!“

„Ich bin nicht zum Rathgeber eines Kaisers berufen. Zum Bürger Colonel Bonaparte konnte ich ohne Bedenken sprechen, heut aber darf ich nur der Gründe gedenken, welche mich abhalten, in die Marine zu treten, und mich zwingen, ein „Privateer“ zu bleiben.“

„Surcouf, Sie können sprechen, ja, Sie sollen sprechen! Ich werde Ihre Offenheit ohne Zorn entgegennehmen. Sie wissen, daß man sagt, ich habe die Absicht, in England zu landen?“

„Ich weiß, daß Sie Ihre Truppen bei Boulogne zusammenziehen; aber ich weiß ebenso gut, daß diese Truppen nicht nach England kommen werden.“

„Ah! Sie behaupten kühn!“

„Meine Behauptung hat triftige Gründe. Wo hat Frankreich die Seemänner, welche es vermögen, uns den Weg nach England zu öffnen, indem sie die Engländer von unsern blockirten -

blockirten Häfen vertreiben und ihre Flotten in den Grund schießen? Wo sind die Schiffe, welche dazu gehören? Es bedarf langer Jahre, Jahre des Friedens, um Frankreich’s Seemacht von den Wunden zu heilen, die ihr geschlagen worden sind. Frankreich muß mit allen anderen Nationen Frieden haben, um sich auf den großen Schlag vorbereiten zu können, mit dem es England’s Uebermuth demüthigt, denn Frankreich hat keinen andern Feind als nur diesen einzigen: — England. Sire, warum haben Sie Robert Fulton von sich gewiesen? Ohne Prophet zu sein, behaupte ich, daß in wenigen Jahren der Dampf die riesigsten Schiffe über alle Meere treiben wird. Dann werden Sie bedauern, die Gelegenheit, der mächtigste Monarch zu sein, von sich gestoßen zu haben!“

„Pah, Fulton! Er ist ein Träumer, und seine Träumerei scheint ansteckend zu sein, da sie sogar Ihren Kopf ergriffen hat.“

„Majestät haben mich aufgefordert, zu sprechen, und können überzeugt sein, daß ich nichts sage, von dessen Wahrheit ich nicht ganz durchdrungen bin. Ich bin kein Höfling, sondern ein nüchterner Seemann, und wenn ich Phantasie besitzen sollte, so will ich sie jetzt nur gebrauchen, um zu denken, ich spreche nur zu dem Bürger Colonel Bonaparte. Ein eigennütziges Interesse treibt mich nicht, denn ich werde nach Indien zurückkehren, wo Hunderte meiner bedürfen. Mein Schiff ist der kleine „Faucon“; auch ich will klein bleiben; auch ich habe etwas vom Falken an mir: ich muß mich frei bewegen können, mein Flug muß nur von meinem eigenen Willen abhängig sein; ich bin ein schlechter Untergebener.“

Der Kaiser hatte ruhig zugehört. Kein Zug seines ehernen Angesichtes verrieth, was er bei den Worten Surcouf’s dachte; jetzt aber spielte ein leises Lächeln um seine Lippen, und er meinte fast scherzend:

„Surcouf, Ihre Heimat ist die rauhe Bretagne, und Sie sind ein ächter Sohn derselben: derb, offen, kühn, fromm, treu und dabei ein klein wenig unhöflich oder gar rücksichtslos. Aber der Bürger Colonel Bonaparte hat einst Wohlgefallen an Ihnen gefunden und wünscht jetzt, ein halbes Stündchen mit Ihnen zu verplaudern. Folgen Sie mir!“

Er schritt voran, und der Kapitän trat hinter ihm in ein anderes Kabinet. — —

Eine volle Stunde war seitdem vergangen, und von Minute zu Minute ließ sich Oncle Carditon an der Thür sehen, um den Herrn Kapitän ja sofort empfangen zu können. Und je länger es dauerte, desto freudiger glänzte das Gesicht des Wirthes, denn welch’ eine Ehre für seine Auberge, daß sein Gast die kostbare Zeit des Kaisers so lange in Anspruch nehmen durfte!

Endlich kehrte Surcouf zurück. Sein Gesicht war sehr ernst, aber er nickte doch dem Oncle Carditon freundlich zu und begab sich sodann hinauf in seine Wohnung. Ervillard und Holmers hatten auf ihn gewartet; sie kamen sogleich, um sich nach dem Resultate der Audienz zu erkundigen.

„Du warst so lange bei dem Kaiser?“ frug der Lieutenant.

„Allerdings, Herr Kapitän!“

„Wie? Was? Welchen Kapitän meinst Du?“

„Den Fregattenkapitän Bert Ervillard, dem ich hiermit herzlich gratulire!“

Ervillard begriff nicht eher, als bis Surcouf ihm seine Ernennung ausführlich erzählte. Aber der Eindruck war ein anderer, als er gedacht hatte.

„Trittst auch Du in die Marine?“ erkundigte sich der Lieutenant.

„Nein; ich kehre nach Indien zurück.“

„So gehe ich mit! Ich bleibe bei Dir; sie mögen ihre Fregatte behalten!“

„Das wird sich schon noch finden! Uebrigens hat mir der Kaiser höchst eigenhändig unser Prisengeld ausgezahlt. Laß sehen, wie viel es ist!“

Napoleon hatte kaiserlich honorirt und als Surcouf sagte, daß auch sein Prozeß bereits günstig entschieden sei, verdoppelte sich die Freude, an welcher Holmers herzlich Theil nahm.

Surcouf reichte ihm die Hand.

„Segelmeister,“ sagte er, „auch Deine Sache steht gut. Du wirst heimkehren dürfen, denn der Kaiser will Dein Gesuch befürworten.“

Der Deutsche weinte vor Freude; auch die Anderen waren gerührt, und Surcouf gestand:

„Heut habe ich einen Kampf zwischen Ehrgeiz und Principientreue bestehen müssen. Der Kaiser geht nicht nach England; ich glaube vielmehr, daß seine Rüstung Oesterreich und Rußland gilt. Ich sollte eine Escadre im Mittelmeere befehligen und habe es abgeschlagen, weil ich nur in England den einzigen Feind Frankreich’s erkenne und gegen keine andere Macht kämpfen werde.“

„So hat er Dich wohl im Zorne entlassen?“ frug nun Ervillard.

„Nein, sondern in allen Gnaden. Er ist ein großer Geist, ein gewaltiges Genie, aber er wird untergehen, weil er sein Ziel auf einem durchaus falschen Weg sucht.“ —

Und wieder am nächsten Tage wurde Oncle Carditon aus seinem Gleichmuthe gerissen, denn es erschienen mehrere Equipagen, aus denen reich uniformirte Herren stiegen. Sie ließen sich die Wohnung Surcouf’s zeigen, und eine halbe Stunde später erzählte der Oncle allen seinen Gästen athemlos, daß Kapitän Surcouf vom Kaiser das Kreuz der Ehrenlegion und einen von kostbaren Steinen funkelnden Degen erhalten habe. Welche Ehre abermals für die Auberge! Es gab große und größte Hôtels, in denen kein einziger Gast den goldenen, fünfstrahligen Stern und einen Ehrendegen erhalten hatte!

Eine Woche später reiste Surcouf nach Brest. Es gelang

ihm, die Engländer zu täuschen und mit seinem „Falken“ in See zu stechen.

Bert Ervillard ging nur nach Brest mit; er hatte dem selbstlosen Drängen seines bisherigen Kapitäns nachgegeben und sich entschlossen, das Kommando der Fregatte zu übernehmen.

Der Segelmeister Holmers blieb noch kurze Zeit in Paris bei Oncle Carditon wohnen, bis er dann die Erlaubniß erhielt, nach seiner Heimat zurückzukehren. Surcouf hatte dafür gesorgt, daß dieser Mann keine Noth zu leiden brauchte.

Napoleon’s Stern ging unter im Jahre 1815 im Monat Juli, in welchem er auf dem „Bellerophon“ als Gefangener nach England gebracht wurde. Im Kanale begegnete ihm das erste Dampfschiff, welches er sah; da wandte er sich an Montholon, welcher neben ihm stand, und sagte im trübsten Tone:

„Als ich Fulton aus den Tuilerien wies, habe ich meine Kaiserkrone weggegeben!“

Und auf St. Helena, als er, von aller Welt verlassen und von dem englischen Gouverneur Hudson Lowe fortwährend auf das Bitterste gekränkt, eines Tages auf der Klippe stand und seinen Blick nach Norden über das Meer schweifen ließ, legte er dem treuen Bertrand die Hand auf die Schulter und seufzte:

„Jener Robert Surcouf hatte Recht. England war mein einziger Feind. Der kühne Kaperkapitän wußte den richtigen Weg, diesen Feind zu besiegen und dann glücklich zu sein. Adieu, ma belle France!“ — — —

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