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Die Fastnachtsnarren.

Humoreske von Karl May.

„Da muß doch gleich der helle, lichte Popanz drinne sitzen! Zehnmal und hundert Mal schon habe ich Dirs gesagt, daß Du mit dem Heinrich nicht liebäugeln sollst, und sobald ich Abends nur die Nase zum Fenster ’naus recke, sehe ich Euch miteinander im Garten oder hinter dem Schuppen oder sonst in irgend einer Ecke stecken, und was thut Ihr da, he, was habt Ihr da zu thun, frage ich?“

„Nichts thun wir, Vater, gar Nichts.“

„So? I der Tausend, da mag Dein Herzallerliebster auch ein schöner Kerl sein, wenn Ihr gar Nichts thut. Als ich noch in den Jahren war, in denen man eines hübschen Gesichtchens wegen alle Wochen zwei Paar neue Hosen an den Zäunen hängen läßt, da habe ich meinem Mädchen so viel Arbeit gemacht, daß sie gar nicht fertig werden konnte. Und dieser Taugenichts, der drei, vier Stunden lang bei Dir steht und Nichts, gar Nichts thut, den willst Du heirathen? Zum Loche werfe ich ihn ’naus, wenn er mir noch ’mal in die Bude kommt! So ein Schlabbermäulchen wie Du, das den ganzen Tag nicht stille steht und immer vorneweg und obenauf ist, braucht einen Mann, der Haare auf den Zähnen hat. Aber sich hinstellen, das Maul aufreißen und den Mond angucken, das wäre mir ein Liebhaber; schäme Dich!“

„Na, so schlimm ist’s doch nicht. Der Heinrich weiß auch, was sich für einen Burschen schickt, der sein Mädchen lieb hat.“

„Ach so! Da tut Ihr wohl zuweilen doch etwas mehr als gar Nichts, he?“

„Das kommt ganz auf die Witterung an.“

„Auf die Witterung? Du willst Dich doch nicht etwa über mich lustig machen? Heraus damit! Wieso auf die Witterung?“

„Na, wenn’s bei ihm heiß wird, beißt er mich, und wenn’s mir zu schwül wird, beiß ich ihn. Gute Nacht, Vater!“

„Halt, dageblieben! Wir sind noch nicht fertig, und wenn ich mit Dir rede, so hast — — Wahrhaftig, da ist sie fort, und ich stehe da grad wie ’ne alte Frau, der die Röcke ’runter gefahren sind. Wenn ich wieder ’mal was auf dem Herzen habe, so weiß ich, was ich thue: Entweder halte ich das Maul, oder ich erzähle es den alten, ledernen Hosen dort am Nagel. Die laufen mir doch wenigstens nicht davon!“

Er brachte die ausgegangene Meerschaumpfeife wieder in Brand, griff nach Stock und Pelzmütze und schritt nach der Thür. Draußen vor der Küche traf er die Hausfrau.

„Schlaf wohl, Mutter!“

„Gute Nacht, Vater, sei nicht gar zu lange außen.“

„Hat sich ’was! Heut wird es spät werden: es ist Neuwahl, und da geht es laut her.“

„Wer wird wohl Vorsteher werden?“

„Das zeigt sich erst zu Fastnachten. Ich hoffe, daß ich’s bleibe!“

Er öffnete die Thür und schritt durch die schneebedeckten Gassen einem Hause zu, welches am Ende der kleinen Stadt

lag und die verheißungsvolle Inschrift „zum lustigen Mann“ trug. Hier kamen wöchentlich zwei Mal die Mitglieder des Zipfelmützenclubs zusammen, um nach des Tages Last und Arbeit in geselligem Kreise zu erheitern und munteren Scherz und Frohsinn walten zu lassen.

Bei diesen Zusammenkünften trug jedes Mitglied eine weiße Zipfelmütze mit rothem Rande und blauer Quaste, der Vorsteher aber eine Kopfbedeckung mit vierfachem Zipfel als Abzeichen seines hohen, leider nur ein Jahr währenden Amtes.

Am letzten Sonnabend vor Fastnachten nämlich wurden mittels Ballotage zwei Mitglieder bestimmt, von denen derjenige die Vorsteherwürde erhielt, welcher am darauffolgenden Fastnachtsdienstag den Anderen am Auffälligsten „zum Narren“ machte. Die ganze Stadt war jedesmal auf die Lösung dieser possierlichen Angelegenheit gespannt, da es manchen guten Witz dabei gab, der noch lange Zeit den Gegenstand des Stadtgespräches bildete.

Schon eine Reihe von Jahren war es dem Färbereibesitzer Wadenbach gelungen, sich auf dem Stuhle des Vorstehers zu erhalten. Er war einer der beliebtesten Bewohner des Städtchens, stak voll Schnurren und Drolligkeiten und besaß eine Laune, die geradezu unverwüstlich war. Aber neben seinen zahlreichen, guten Eigenschaften, hatte er auch einige kleine „Mucken“, wie er es nannte, die ihm schon manchen Streich gespielt hatten. Er war nämlich ein eifriger Verehrer des rothen Pommeranzens und kannte sehr genau den Büffetwinkel im „lustigen Manne“, wo die betreffende Flasche ihr unveränderliches Domicil aufgeschlagen hatte. Ferner besaß er in Beziehung auf Geister, Gespenster, Ahnungen und Anzeichen so seine eigne Meinung, von der er sich nicht abbringen ließ; denn er war ein Sonntagskind und hatte schon Manches gesehen, wovon Andre keine Ahnung zu haben pflegen. Und endlich hatte er einen ganz außerordentlichen Pik auf Hahnemann, den Pächter eines halbwegs zwischen der Stadt und einem dreiviertel Stunde von ihr entfernten Dorfe gelegnen Gasthofes.

Hahnemann war arm und Wadenbach sehr reich; aber dennoch wagte Heinrich, der Sohn des Ersteren, sein Auge zu Marie, der Tochter des Letzteren zu erheben, und die beiden jungen Leute hatten sich so lieb, daß alles Zanken und Raisonniren von Seiten Wadenbachs umsonst war. An die Armuth Heinrichs hätte er sich nicht sehr gestoßen; denn dieser war brav und besaß den besten Ruf; aber der alte Hahnemann war ein Spaßvogel par excellence, hatte alle möglichen Pfiffe und Kniffe im Kopfe und war in letzter Zeit durch dieselben so in Ruf und Beliebtheit gekommen, daß der Färber Gefahr für seine vierzipfelige Mütze sah. Er, der sich mit Stolz den größten Spaßvogel der Umgegend nennen hörte, hätte es wohl sehr schwer verwinden können, wenn ein Anderer und nun gar dieser malitiöse Hahnemann, der natürlich auch Mitglied des Clubs war, ihn von seinem Ehrenplatze verdringt hätte.

Deshalb hatte er vorhin Marie so streng ins Gebet

genommen; aber das Mädchen, welches die Gutmüthigkeit des Vaters kannte, ließ sich bei dem halb halb zornigen, halb komischen Verweise des Vaters nicht Angst werden, und kaum war derselbe zur vordern Thür hinaus, so ließ sie ihren Heinrich zur hinteren herein, um ihm in Gegenwart der nachsichtigen Mutter zum hundertsten Male zu sagen, daß sie ihn leiden könne.

„Habe ich nicht Recht gehabt?“ fragte am andern Morgen beim Kaffeetrinken der Färber. „Hahnemann ist mit mir Candidat geworden, und ich kann nur die Ohren spitzen, daß ich nicht vom Schemel falle.“

„Du wirst Dich doch nicht etwa von ihm zum Narren halten lassen?“ antwortete seine Frau.

„Mühe wird er sich freilich geben; aber da man das weiß, so wird es ihm schwer gelingen.“

„Von Dir weiß er es ebenso gut, und so wird es auch Dir nicht sehr leicht werden.“

„Habt nur keine Sorge! Ich werde ihn so gemüthlich aufs Eis führen, daß er es erst merken wird, wenn er anfängt, Purzelbäume zu schlagen.“

„Wie willst Du das anfangen?“

„So was darf man Euch Frauenzimmern nicht auf die Nase binden. Ich glaube, das Mädel wäre im Stande, mir den ganzen Spaß zu Wasser zu machen.“

„Ja, wenns Bier wäre, ließest Du Dirs wohl eher gefallen?“

„Das versteht sich; aber Chemnitzer Schloß müßte es sein; da laufe ich zwei Meilen darnach!“

„Oder gar rother Pommerranzen.“

„Ob Du nicht schon wieder den Schnabel vorn hast! Ich würde mich den Kukuk um den rothen Pommeranzen bekümmern, wenn meine Hämorrhoiden nicht wären.“

„Ja, die sind an Vielem Schuld!“ lachte das Mädchen.

„Der Heinrich hat wohl noch nicht drüber geklagt?“ fragte boshaft der Alte und brachte sie durch diese Frage sofort zum Schweigen.

Am andern Tage bekam Hahnemann einen Brief von seinem in einer entfernten Garnison stehenden Sohne, in welchem derselbe bat, ihn mit dem Schlitten vom Bahnhof abzuholen. Er hatte sich einen mehrtägigen Urlaub erbeten und freute sich königlich auf den Maskenball, welchen der Zipfelmützenverein auf Aschermittwoch abhalten wollte.

„Das paßt mir auch schlecht. Da muß ich vier Stunden weit in Sturm und Schneegestöber fahren und werde mir eine rothe Nase holen, so schön zinnoberig, wie sie der Wadenbach hat, und dazu grad am Fastnachtsdienstag, wo jede Viertelstunde angerechnet ist!“

„Zanke nicht, Alter,“ begütigte Frau Hahnemann; „der Junge ist ein ganzes Jahr nicht zu Hause gewesen und will uns doch auch ’mal sehn. Wenn Du keine Lust hast, so kann ja der Heinrich fahren.“

„Das wäre ’was! Der Fritz ist Unteroffizier und schon werth, daß ich ihn selber hole!“

Damit war die Sache abgemacht. Obgleich der Dienstag sich höchst stürmisch anließ, schirrte Hahnemann doch den Braunen ein und brachte schon zu früher Morgenstunde die Einwohner des Städtchens mit seinem Schellengeläute und dem Knalle des Hetzkollers in Alarm. Wadenbach steckte den Kopf durch die halbgeöffnete Thür und winkte dem Dahertrabenden Halt zu. Der Wink wurde befolgt.

„Was giebt es?“

„Wo soll denn die Reise hingehen?“

„Ich will meinen Sohn, den Korporal von der Bahn abholen.“

„Ach so. Weißt Du was, Gevatter, Du könntest mir ’nen Gefallen thun.“

„Welchen?“

„Ich brauche verschiedene Farben, die mir ausgegangen sind. Könntest zum Droguisten gehen und mir die Sachen mitbringen. Ich thue Dir einen andern Gefallen dafür.“

„Da schreib auf, was Du brauchst und gieb das Geld dazu. Aber mach rasch, daß ich fortkomme!“ meinte Hahnemann. Er kannte das Verhältniß seines ältesten Sohnes zu Marie, und da er die ungünstigen Gesinnungen Wadenbachs nicht entgegnete, so freute es ihn, demselben einen Dienst leisten zu können.

Nach wenigen Augenblicken kam Wadenbach mit einer ellenlangen Liste und einem ganzen Beutel voll Geld, welches Beides er dem Gastwirth übergab. Demselben fiel es nicht auf, daß die lange Reihe von Namen unmöglich in so kurzer Zeit geschrieben sein konnte und auch das Geld bereits abgezählt bereit gewesen sein mußte. Er steckte Beides zu sich, und indem er die Zügel wieder ergriff, meinte er scherzend:

„Adieu, Herr Vorsteher. Wollen sehn, wer heut der größte Narr sein wird!“

„Adieu!“ antwortete der Färber und blickte ihm, vergnügt lächelnd, nach. „Fürs Erste bist Du’s. Das wird heut Abend ein schönes Halloh geben!“

Freilich wollte, als am Abende sämmtliche Mitglieder der Gesellschaft versammelt waren, dieses Halloh etwas auf sich warten lassen; denn Hahnemann, der sonst immer Einer der Ersten gewesen war, hatte sich bisher nicht eingestellt. Es schlug acht Uhr; es schlug sogar neun Uhr, und noch immer war er nicht da. Der übliche Fastnachtsgrog wurde ausgetragen, und noch immer fehlte er.

„Wo der alte Schwede nur stecken mag?“ fragte Einer.

„Er ist heut Morgen fort, um seinen Korporal von der Bahn zu holen,“ antwortete Wadenbach. „Der Junge wird sich verspätet haben, und der Alte hat wohl deßhalb warten müssen. Jetzt aber muß er bald kommen; denn der letzte Zug kommt, glaube ich, um 8 Uhr an.“

Wirklich ertönte in diesem Augenblicke helles Schellengeläut die Straße herauf und verstummte vor der Thür, zum Zeichen, daß der Schlitten unten halte. Kurze Zeit darauf trat eine lange, in einen Mantel gehüllte und ganz verschneite Gestalt in die Stube, in welcher man erst dann Hahnemann erkannte, als er die tief in die Stirn gedrückte Pelzmütze vom Kopfe nahm.

„Brr, ist das ein Heidenwetter! Man jagt da nicht ’mal ’nen Hund hinaus. Das weht und schneit, daß man nicht aus den Augen gucken kann, und dazu ist es so feuchtkalt, daß einem der Schnee gleich auf dem Pelz gefriert. Da schaut her, ich bringe die Schale gar nicht ’runter. Gebt ’mal ’was Warmes her!“

„Wo hast Du nur gesteckt?“ fragte man ihn, indem er den heißen Grog behaglich hinunterschlürfte. „Du mußt es doch ganz und gar pressant gehabt haben, daß Du in diesem Heidenwetter Deine alte Mähre so coujonirt hast!“

„Mein Jüngster hat geschrieben, daß er mit dem Frühzuge kommen wolle; aber er hat sich nicht sehen lassen, trotzdem ich gewartet habe bis vorhin. Es muß ihm ’was dazwischen gekommen sein!“

[(Fortsetzung folgt.]

Die Fastnachtsnarren.

Humoreske von Karl May.

(Fortsetzung.)

„Möchte doch wissen, was!“ meinte Wadenbach.

„Freilich! Es ist kein Spaß, mich in diesem sibirischen Bärenwetter aus den Federn zu reißen und umsonst in der Welt herum zu jagen. Ich werde dem Jungen einen Brief schreiben, der sich gewaschen hat.“

„Machs nur gelinde. Er könnte doch am Ende unschuldig sein.“

„Ach was unschuldig! Wenn er einmal schreibt, daß ich

kommen soll, so muß er auch Gewißheit haben, daß er Urlaub bekommt.“

„Na, gut ist’s doch gewesen; denn wenn Du nicht gefahren wärst, hätten meine Gehülfen übermorgen nicht arbeiten können. Ich hatte schon seit gestern keine Farben mehr.“

„Ja, Du hast gut lachen.“

„Natürlich! Einen Boten hätte ich heut für schweres

Geld nicht bekommen, und deßhalb bin ich Dir auch recht herzlich dankbar dafür, daß Du Dich so schön hast leimen lassen.“

„Leimen — wieso?“ fragte Hahnemann, aufmerksam werdend

„Das nehme mir aber Niemand übel,“ wandte der Färber sich lachend an die Andern. „Glaubt der alte Schlaupelz wirklich immer noch, daß der Brief von seinem Unteroffizier gewesen ist! Ich dächte, das rechte Licht könnte Dir längst schon aufgegangen sein.“

„Höre, Gevatter,“ meinte der Gastwirth, der jetzt zu begreifen begann. „Ich will doch nicht etwa hoffen, daß Du mich mit dem Brief fexirt hast! Der Spaß wäre doch etwas zu derb.“

„Das geht mich nichts an! Wenn Du so dumm bist, mein Geschreibsel für die Handschrift Deines Sohns anzusehen, so darfst Du Dich auch nicht wundern, wenn ich mir das zu Nutze mache. Heut ist eben Fastnacht, und da gelten alle Vortheile.“

Jetzt brach ein allgemeines Halloh aus. Die Sache lag so klar, daß sie weiter gar keiner Erklärung bedurfte. Wadenbach hatte seinem Mitcandidaten eine Nase gedreht, und dieser konnte nun lange suchen, bis er für seinen Gegner eine bessere fand.

Der Halberfrorene machte natürlich gute Miene zum bösen Spiele und setzte sich mit zu den Uebrigen.

„Mein Brauner mag hier im Stalle stehen bleiben, bis wir für heute fertig sind. Ich gehe nicht erst nach Hause. Gebt mir noch ein Glas Grog!“

„Willst Du nicht lieber einen Pommeranzen nehmen?“ fragte Wadenbach. „Der ist gut gegen alle möglichen Arten von Erkältung und hilft auch für den Aerger.“

„Danke schön; ich habe auf Deine Hämorrhoiden bis jetzt noch nicht abonnirt! Uebrigens habe ich den Pommeranzen zu Hause besser, als er hier im lustigen Manne ist.“

„Das ist ’mal nicht wahr! Wenn irgend Jemand den Pommeranzen kennt, so kenne ich ihn. Ich habe drei Meilen im Umkreise in jede alte Flasche geguckt und kenne also meine Sorte. Der lustige Mann hat den besten, und dabei bleibt’s.“

„Laß Dir nichts weiß machen, Gevatter! Ich mache eine Wette mit um Alles, was Du willst, daß der meinige besser ist.“

„’S ist aber nicht wahr! Ich setze auf der Stelle ein Faß Chemnitzer Schloßbier.“

„Gut, ich halte Deine Wette. Jetzt auf der Stelle wird der Pommeranzen geschafft; die ganze Versammlung muß kosten und ihr Urtheil abgeben. Wir nehmen den Ballotagekasten her, und weiß gilt für mich und schwarz für Dich. Bist Du einverstanden?“

„Freilich. He, Wirthshaus, hast Du noch Chemnitzer „Schloß?“

„Leider nicht. Ich habe vorhin den letzten Tropfen selber noch getrunken und bekomme erst morgen Mittag welches.“

„So lange können wir nicht warten, und von den andern Wirthen will mir’s nicht schmecken. Ich weiß nicht, woran das eigentlich liegt. Das beste Chemnitzer „Schloß“ hat man in der Langenberger Teichschenke. Wißt Ihr was? Der Hahnemann muß seinen Braunen wieder anspannen, und wir holen das Faß aus Langenberg.“

Der Vorschlag wurde von der Gesellschaft, welche sich schon in einem etwas angetrunkenen Zustande befand, lachend angenommen, und nur Hahnemann schüttelte verneinend den Kopf.

„Da mache ich nicht mit! Erstens habe ich das Fahren in diesem Wetter satt, und zweitens ist mein Brauner ist zu müde.“

„Es ist auch gar nicht nothwendig,“ rief ein Anderer, „daß Du selbst fährst, und was Deinen Braunen betrifft, so ist’s bis Langenberg nur ein Katzensprung. Er hat sich schon ausgeruht.“

„Nein, ich muß das Pferd schonen.“

„Was Du doch dumm bist! Willst Du Dich denn zum zweiten Male von Wadenbach leimen lassen?“

„Wieso denn?“

„Na, Du siehst doch ein, daß er blos deßhalb das Bier aus Langenberg haben will, weil er wußte, daß es dort Niemand holt. Denn seine Wette muß er verlieren; Dein Pommeranzen ist der beste; das wissen wir Alle zusammen.“

„Das ist nicht wahr!“ vertheidigte sich Wadenbach, der sich schon einen ziemlichen Spitz angetrunken hatte. „Wenn Ihr das denkt, so will ich gleich selber fahren. Giebst Du mir den Braunen?“

„Wenn Du selber fährst, ja!“

„Gut, spanne ein; ich will derweile noch Einen trinken, daß ich warm bleibe.“

„Da muß ich Dir aber einen Zettel an meine Leute mitgeben,“ meinte Hahnemann, dem plötzlich ein Gedanke kam; „sonst mußt Du gewärtig sein, den Pommeranzen gar nicht zu kriegen.“

„Meinswegen! Ich will ihn Deiner Alten geben.“

In kurzer Zeit war das Pferd vorgespannt, und Wadenbach saß mit dem Zettel in der Tasche und der Peitsche in der Hand, im Schlitten.

„Fahr zu, Gevatter,“ sprach Hahnemann. „Sei nicht lange außen und grüße mir den Teichwirth. Hopp, Brauner!“

Das Pferd zog an, und das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung.

Noch immer schneite es, was vom Himmel herunter wollte, so daß man kein Auge aufzuthun vermochte und kaum rechts und links die Chausseebäume zu erkennen waren. Wadenbach drückte sich zusammen. Er merkte jetzt in der frischen Luft erst, daß der Spitz größer war, als er es geglaubt hatte; doch grad dieser Umstand schützte ihn einigermaßen gegen Sturm und Kälte.

Es war ihm lieb, daß die Teichwirthschaft grad so als erstes Haus am Ende von Langenberg lag, wie der „lustige Mann“ das letzte Haus der Stadt war. So war der Weg zwischen beiden Orten so kurz wie möglich, und obgleich er den Pommeranzen erst auf dem Rückwege mitzunehmen brauchte hielt er nach einer Weile doch vor Hahnemanns Wirthschaft, welche, wie schon oben erwähnt, halbwegs zwischen Stadt und Dorf lag, und krabbelte mit froststeifen Gliedern aus dem Schlitten heraus.

Heinrich, der Sohn des Wirthes, trat aus der Thür und wunderte sich nicht wenig, statt seines eigenen Vaters denjenigen seines Mädchens vor sich zu sehen.

„Guten Abend, Herr Wadenbach! Was in aller Welt führt Sie denn in diesem Wetter und so spät noch heraus zu uns? Das ist ja unser Fuhrwerk! Wo ist denn der Vater?“

„Der ist gescheidt gewesen und sitzen geblieben. Ich dummer Esel aber kutschire da Nachts zwölf Uhr noch über

Land, um eines Fäßchen Bieres willen. Das ist aber so, wer einmal A gesagt hat, muß auch B sagen. Komm herein; ich habe ’was an Dich auszurichten und muß mir auch einen kräftigen Schluck nehmen, sonst komme ich als Eiszapfen nach Langenberg.“

In der Stube angelangt, übergab er ihm den Zettel, welchen er von Hahnemann erst im Schlitten erhalten hatte, so daß es ihm unmöglich gewesen war, das Daraufstehende zu lesen.

Heinrich entfaltete ihn und las nichts als die beiden Worte: „Heimlich umlenken.“

Er war nicht auf den Kopf gefallen und ahnte sofort, daß dieses Umlenken im Zusammenhange mit der heutigen Vorsteherwahl stehe. Er trat also, während der Färber mit der Wirthin sprach, wieder hinaus auf die Straße und befolgte die Weisung des Vaters, obgleich er den eigentlichen Grund derselben nicht kannte.

Das Klingen des Schellengeläutes bei der Bewegung des Pferdes wurde von dem Sturm verschlungen, so daß Wadenbach nichts davon hörte und bei dem Wiedereintreten des jungen Mannes sich mit den Worten an denselben wandte:

„Heinrich, die Flasche Pommeranzen nehme ich erst auf dem Rückwege mit. Ich sehe schon voraus, daß ich nachher hier noch Einen zu mir nehmen muß. Adjes derweile!“

Er schritt hinaus und stieg in den Schlitten.

„Komm, Brauner, komm!“ Das geduldige Thier zog an und trabte wieder in die Nacht hinaus.

„Hm!“ brummte Wadenbach. „Die Luft hat sich gewandt und kommt mir jetzt g’rad in den Rücken; da hat Blasius doch ’mal ein Einsehen gehabt. Aber auf dem Rügwege wird’s desto ärger.“

So ging es wieder zwischen den kaum sichtbaren Straßenbäumen vorwärts, und als er endlich das erste Haus des Ortes erreichte, hielt er genau vor der Thür desselben still und klatschte so laut wie möglich mit der Peitsche.

„Ich muß das Pferd in den Stall schaffen lassen; denn bis wir das Faß hintenauf haben, vergeht eine gute Viertelstunde. Aber geht’s heut’ noch laut her in Langenberg; heda, Hausknecht!“

Nach nochmaligem Rufen und Peitschenknallen trat der gewünschte dienstbare Geist unter die Thür und rief, vor Kälte pustend:

„Na, wer kommt denn da noch so spät angelandet? Das muß eine nothwendige Fuhre gewesen sein!“

„Nothwendig g’rade nicht; aber das geht Niemandem ’was an. Mach nur, daß Du herkommst und den Braunen in den Stall bringst. Mir ist das ganze Mundwerk eingefroren, und ich muß erst Einen trinken, ehe ich wieder ein gescheidtes Wort reden kann.“

„Alle Wetter, das sind Sie ja, Herr Wadenbach! Ist doch gar nicht möglich, daß Sie schon wieder da sein können!“

„Christian, Du bist’s? Was willst denn Du in Langenberg? Und wie bist Du um des Himmelswillen in dieser Geschwindigkeit hierher gekommen?“

„In Langenberg? Nichts für ungut; aber entweder machen Sie Spaß oder es ist der rothe Pommeranzen Schuld. Haben Sie das Faß mitgebracht?“

„Das Faß? Mach’ keine dummen Witze! Konntest Dich doch mit aufsetzen, anstatt vorüber zu laufen, als ich bei Hahnemann’s war.

„Vorbeigelaufen? Bei Hahnemanns? Wenn soll denn das gewesen sein?“

„Nu, eben jetzt, vor zehn Minuten etwa.“

„Herr Wadenbach, machen Sie, daß Sie hereinkommen in die warme Stube! Ich habe doch gar nicht geglaubt, daß die Kälte Einen so perplex machen könnte.“

„Du bist wohl nicht recht bei Troste, Mensch, mir so Etwas zu sagen! Mach’, daß Du das Pferd ausspannst und hilf nachher das Faß mit aufladen.“

Er stieg aus, schritt auf die Thür zu und trat in den Flur. —

„Sapperlot, müssen Sie gefahren sein!“ rief da der Wirth, welcher soeben aus der unteren Gaststube kam. „Ich denke Sie sind noch gar nicht in Langenberg. Haben Sie das Bier?“

Mit weit geöffneten Augen starrte Wadenbach den Sprecher an, wandte dann den Blick auf die Wände und umstehenden Gegenstände und rief endlich:

„Bin ich denn verhext oder habe ich den Verstand verloren?“

„Was denn; wieso denn?“ frug der Wirth.

„So ’was ist mir doch in meinem ganzen Leben noch nicht passirt! Da fahre ich schnurstracks nach Langenberg und als ich aussteige, bin ich immer noch da hier im lustigen Manne. Wenn das heut’ Abend Walpurgis wäre oder Sanct Andreas oder gar Sylvester, so dächte ich, der Gottseibeiuns hätte mich irre geführt. So aber ist Fastnachtsdienstag und —“

„Halloh, der Wadenbach ist wieder da! Kommt ’raus und schafft das Faß mit herauf!“ unterbrach der soeben die Treppe herabkommende Hahnemann den Sprecher, und sofort wurde oben die Thüre geöffnet und die ganze Versammlung drängte nach unten, um den Gegenstand ihrer Sehnsucht baldigst in Empfang nehmen zu können. Ohne den Färber erst groß zu fragen, stürmten die Vordersten an ihm vorüber und hinaus zum Schlitten.

„Wo steckt denn das Bier, Wadenbach; oder hast Du’s schon abgeladen?“

„Laßt mich in Ruhe, und gebt mir vor allen Dingen erst einen Pommeranzen, daß ich die Gedanken wieder zusammen kriege!“

Mit diesem Stoßseufzer stieg er die Treppe hinan und erzählte den ihm folgenden Leuten das räthselhafte Abenteuer.

„Ihr allzusammen wißt, daß ich nicht abergläubisch bin, nein, gewiß ganz und gar nicht; aber das geht mir denn doch über die Hutschnur. Draußen im Walde hat mich’s schon öfter’s im Kreise herumgeführt, aber mit einem Schlittengeschirr und auf offner, gerader Straße — wie gesagt, wenn es heut’ Walpurgis wäre oder And-“

„Walpurgis?“ fiel Hahnemann ihm in die Rede; „was ist denn Walpurgis weiter für eine Nacht! Die paar Hexen, die da auf dem Bloxberge herumkrappeln, sind gar nicht der Rede werth; aber Sanct Lazarus, der vierundzwanzigste Februar und der fünfundzwanzigste nachher, das sind zwei schlimme Tage, an denen — na, ich sage weiter nichts; denn es glaubt heut zu Tage doch Niemand mehr an solche Sachen. Das junge Volk will einmal klüger sein als das verständige Alter.“

„Sanct Lazarus?“ fragte Wadenbach. „Was ist denn da los?“

„Weißt Du denn das noch nicht? Das ist ja der Tag,

an dem der Teufel vom Erzengel Michael oder Gabriel oder wie der geheißen hat, durch die Wolken herunter auf die Erde geworfen worden ist. Und am fünfundzwanzigsten ist Sodom und Gomorrha untergegangen. An diesen beiden Tagen darf sich keine Menschenseele um Mitternacht draußen im Freien blicken lassen; entweder führt es Einen irre, oder es thut Einem sonst einen Schabernack.“

„Und heut ist der Vierundzwanzigste!“ rief Wadenbach mit leisem Schauer.

„Heute? Wahrhaftig; daran habe ich gar nicht gedacht. Aber Du, da bist Du noch gut weggekommen, wenn Du nicht etwa gar dem Lot seine Frau gesehen hast, die damals in eine Salzsäule verwandelt worden ist, weil sie rückwärts gegukt hat.“

„Die habe ich nicht gesehen.“

„Das ist ein Glück; denn wer die sieht, der stirbt in demselben Jahre, und wer sich gar nach ihr umgukt, der lebt keine vierundzwanzig Stunden mehr. Meine selige Großmutter zum Beispiel hat es mit erlebt, daß der alte Schubertbauer in Reichen­brand —“

„Larifari!“ fiel Einer der Umstehenden ein, wurde aber von den Anderen, welche die Absicht Hahnemanns wohl merkten, durch Winke zurecht gewiesen.

„Du meinst die Geschichte vom Schubertbauer, der am Vierundzwanzigsten Abends elf Uhr aus Meinsdorf fortgefahren ist und als er nach Hause kommt, fragen sie ihn, wo er so lange gewesen ist?“ stimmte ein Anderer ein.

„Ja, das ist wirklich passirt. Mein Vater hat damals als Kleinknecht bei ihm gedient und erinnert sich noch heute an den Schreck, den der alte Mann damals gehabt hat. Von Meinsdorf bis Reichenbrand ist es nur eine kleine Stunde, und als er nach Hause kommt, sieht er, daß er ein ganzes, volles Jahr gefahren ist, ohne daß er etwas davon gemerkt hat.“

„Das ist viel; das ist wahrhaftig viel!“ rief der erstaunte Färber. „Aber wie war es denn mit der Salzsäule?“

„Die hat er gesehen und ist auch nachher ganz plötzlich gestorben. Aber diese Sachen sind ja vorbei und gehen uns nichts an. Heute handelt es sich’s um weiter nichts, als um unser Bier, das wir haben müssen. Wie wirds, Wadenbach? Du hast die Sache einmal auf Dich genommen.“

„Mich kriegt Ihr nicht wieder dazu. Ich bin froh, daß ich mit heiler Haut davongekommen bin.“

„Ich glaube gar, Du fürchtest Dich!“

„Fällt mir nicht ein, ganz und gar nicht. Von dieser Seite kennt Ihr mich ja Alle; aber in diesem Hundewetter kann man sich den Tod holen. Die Nacht ist keines Menschen Freund!“

„Ach, die Nacht ginge am Ende noch; aber die Salzsäule, die verflixte Salzsäule, mit der mag man nicht gern ’was zu thun haben!“

„Nein, wahrhaftig, ich fürchte mich nicht und vor einer Salzsäule erst recht nicht; denn da habe ich noch ganz andre Dinge gesehen; aber ich sehe gar nicht ein, warum grad ich alleine am Vierundzwanzigsten um Mitternacht, wo der Teufel vom Himmel geschmissen worden ist, hinaus soll. Von Euch kann mir doch Keiner helfen, wenn mir’s nachher an den Kragen geht. Wirthshaus, noch einen Pommeranzen!“

„Du gestehst’s ja also doch selber ein, daß Du Dich fürch­test!“ —

„Ich! Mich fürchten? Das hätte ich eben nöthig! Mich dauert nur das arme Pferd.“

„Ach, Papperlappap! Angst hast Du!“

„Und das will unser Vorsteher sein? Das ist eigentlich eine Schande für die ganze Gesellschaft,“ fügte Einer hinzu. „Da ist der Hahnemann ein ganz andrer Kerl, der fürchtet sich vor dem Teufel und seiner ganzen Sippschaft nicht. Wo steckt er denn eigentlich?“

„Er ist hinuntergegangen. Ich glaube, er fährt gleich selber nach Langenberg. Der geht dicke d’rauf; so einen Mann brauchen wir zum Vorsteher!“ meinte der Wirth.

„Halt!“ rief Wadenbach, der sich jetzt bei der Ambition gepackt fühlte und Alles für sein eifersüchtig bewahrtes Ehrenamt fürchtete. „Den brauchen wir nicht; der mag nur dableiben; ich fahre selbst!“

„So ist’s recht!“ rief es im Kreise. „Dem Hahnemann ist’s nur um den Vorsteher zu thun. Heut Abend möchte er es gern gut machen, daß Du ihn früh zum Narren gehabt hast.“

„Das ist auch so! Hört, war der Streich nicht fein von mir ausgedacht?“

„Prächtig.“

„Fährt der Kerl in diesem Hundewetter zwei Stunden weit, um mir Farben zu holen, hahaha!“

„Freilich; der mag sich schöne ärgern, daß er Dich nicht auch herum kriegen kann.“

„Mich? Das kann im ganzen Leben nicht vorkommen! Wirthshaus, noch einen Pommeranzen! Mach aber schnell, sonst fährt mir der Hahnemann davon.“

Dieser war indessen abermals nach unten gegangen und hatte mit Verwunderung seinen Sohn im Gastzimmer getroffen.

„Heinrich, Du hier! Wie kommt denn das? Ich denke, Du willst heute zu Hause bleiben.“

„Ich wollte; aber der Spaß mit Wadenbach hat mich hereingetrieben.“

„Es paßt mir gut, daß Du da bist. Komm heraus! Er fährt jedenfalls noch einmal, und es ist möglich, daß wir ihn heute wegen Dir und Deiner Luise bei der Parabel nehmen können.“

Sie schritten mit einander hinaus, und einige Minuten später saß der Färber wieder in dem Schlitten und kutschirte zum zweiten Male auf der Langenberger Straße dahin.

Es war ihm nicht ganz geheuer zu Muthe. Die Erzählungen von Sodom und Gomorrha und dem herabgeworfenen Teufel stimmten in der Weise mit seinen eignen Anschauungen zusammen, daß nur der mögliche Verlust der Vorsteherwürde ihn vermocht hatte, sich in einer so gefährlichen Nacht zum zweiten Male heraus zu wagen, und er fühlte die Bangigkeit erst schwinden, als er die Wirthschaft Hahnemann’s vor sich sah.

Aus Besorgniß, die Salzsäule zu erblicken, hatte er sich nicht umzuwenden getraut und also auch nicht bemerkt, daß Heinrich gleich nach Beginn der Fahrt hinten aufgestiegen und in geduckter Stellung sein Begleiter gewesen war. Der junge Mann ließ ihn erst in das Haus treten und schritt dann, nachdem er das Fuhrwerk wieder umgelenkt hatte, durch die Küche in das Gastzimmer.

„Da sind Sie ja wieder, Herr Wadenbach! Waren sie in Langenberg noch munter?“

(Schluß folgt.)

Die Fastnachtsnarren.

Humoreske von Karl May.

(Schluß.)

Der Gefragte schüttelte den Kopf.

„Gieb mir erst ’nen Pommeranzen, und dann sollt Ihr hören, wie mirs heut Abend gegangen ist.“

Er that einen kräftigen Schluck und erzählte dann sein Erlebniß.

„Das ist gar nicht zu verwundern,“ meinte Heinrich trocken, als er geendet hatte. „Heut ist ja der Tag, an dem der Teufel auf die Erde gefallen ist, und da muß man sich in Acht nehmen. Der alte Schulmeister Fridolin in Chursdorf hat den dreifachen Höllenzwang und ist ein großer Meister im Beschwören und Citiren. Von ihm habe ich Manches erfahren und möchte heut um keinen Preis weiter als zehn Schritte von der Thür gehen.“

„Das geht mir ebenso. Aber was will ich machen? Ich muß fort, wenn ich mich nicht blamiren will. Schlaft wohl; auf dem Rückwege spreche ich wieder vor. Lauft also nicht zu Bette, damit ich noch eine Herzstärkung zu mir nehmen kann.“

„Gute Nacht, Herr Wadenbach. Wir werden warten!“ antwortete Heinrich, griff, als der Färber die Thür geschlossen hatte, in die Kommode und war mit dem weißen Gegenstande, welchen er aus dem Kasten nahm, so eilig verschwunden, daß die Mutter gar keine Zeit zu der ihr auf der Zunge liegenden Frage hatte, was er denn mit den Betttuche machen wolle.

Mittlerweile fuhr Wadenbach weiter. Er hatte sich den Sitz tief heruntergeschnallt, damit er sich recht eng und klein in die Ecke schmiegen könne und ließ den Braunen laufen, wie es ihm gefiel; das arme Thier kam nur langsam vorwärts. Fast den ganzen Tag auf den Beinen, war es nun ernstlich müde geworden und konnte sich durch die zahlreichen Schneewehen, welche der Wind angesetzt hatte, nur mühsam fortbewegen und stand endlich ganz still.

„Hott üh, Brauner; komm, Hans, hopp!“ rief Wadenbach und richtete sich auf; aber mit einem lauten Aufschrei sank er sofort in seinen Winkel zurück; denn grad vor dem Pferde stand eine lange, weiße Gestalt mit weit auseinandergestreckten Armen. Das war die Salzsäule!

„Alle guten Geister lo­ben —!“

Weiter brachte er den Stoßseufzer nicht heraus. Der Schreck schnürte ihm die Kehle zu, und ein reibeisenartiges Gefühl lief ihm kalt vom Nacken aus über die ganze hintere Fronte hinunter.

„August Wadenbach!“ rief es ihn mit hohler Stimme an. —

Er konnte unmöglich antworten; die Zunge lag ihm so schwer und fest im Munde, als wäre sie angeschnallt.

„August Wadenbach, rede, oder Du bist verloren!“

Er fühlte seine Nerven zittern, als ob er in ein ganzes hundert galvanischer Drähte gewickelt sei und gab sich die größte Mühe, ein Wort hervorzubringen; aber es ging nicht.

„August Wadenbach, Du hast noch drei Minuten Zeit. Wenn Du schweigst, holt Dich noch diese Woche der Teufel!“

Es war ihm, als bohrten sich eine Legion Eiszapfen durch seine Haut. Er krümmte den Körper und schnaufte mit weit geöffneten Nasenflügeln die Luft ein, um ein Wort, ein einziges Wort hervorzubringen; aber es ging absolut nicht. Da, nach einer fürchterlichen Anstrengung und einem tiefen, tiefen Athemzuge gab er den befohlenen Laut von sich. Die vorhin noch so feuchte Luft war einer trockenen, schneidenden Kälte gewichen, und der Schnee wurde in scharfen, spitzen Körnchen ihm in’s Gesicht getrieben. Eines dieser Körnchen war ihm bei dem angelegentlichen Luftschnappen in die Nase gerathen und gab seine Gegenwart durch ein unwiderstehliches Kribbeln kund, dem ein lautes, kraftvolles, langgezogenes „A — zziih!“ ein Ende machte.

„Azzih, azzih, azzih!“ antwortete rasch die fürchterliche Erscheinung. „August Wadenbach ich danke Dir; Du hast mich erlöst. Als wir aus Sodom fortzogen, hatte uns der Engel verboten, uns umzusehen. Lot, mein Mann, hatte einen fürchterlichen Schnupfen und mußte, grad als wir draußen vor der Stadt über die Kettenbrücke gingen, laut niesen. Uneingedenk des strengen Verbotes drehte ich mich um, rief: „Prosit!“ und wurde sofort zur Strafe für diese Todsünde in eine Salzsäule verwandelt. Seit jener Zeit treibt mich’s in der Welt umher und ich habe nicht eher Ruhe, bis ich Einen finde, der mich annießt. Du hast’s gethan, und ich danke Dir. Deßhalb darfst Du heut’ nicht nach Langenberg; denn dort, grad vor der Teichschenke, ist der Ort, wo der Teufel aufgetroffen ist, als er auf die Erde fiel. Wenn Du hinkämst, müßtest Du ein ganzes Jahr fahren, ehe Du heut’ nach Hause kämst. Lebe wohl, August Wadenbach; lebe wohl! Grad vor Dir ist der lustige Mann!“

Die Gestalt warf die Arme in die Luft, und das Pferd durch diese Bewegung an seine Pflicht erinnert, zog an und suchte die verlorene Zeit in raschem Trabe einzuholen.

„Erlöst — erlöst — ich habe einen Geist erlöst!“ murmelte Wadenbach tief aufathmend vor sich hin. „Das kann in der ganzen Gegend kein Mensch von sich sagen, und ich werde ein berühmter Mann werden. Aber umsehen darf ich mich nicht; es ist dem Landfrieden doch nicht recht zu trauen.“

Immer den Kopf steif haltend, damit keiner seiner Blicke rückwärts falle, fuhr er, ohne sich jetzt um Wind und Wetter viel zu kümmern, in seinem Selbstgespräche fort:

„Daß ich auch grade nießen muß! Reden hätte ich nicht können, um Alles in der Welt nicht: denn so miserabel ist mir’s all mein Lebtage noch nicht zu Muthe gewesen. Es war mir gerad, als ob — na, das läßt sich nicht beschreiben; hu, hu, brrr! — Also darum durfte ich nicht nach Langenberg! Aber wie in aller Welt bin ich denn da nur gefahren? Das ist mir unbegreiflich. Auch jetzt geht’s schnurstracks auf Langenberg zu und — Herr meines Lebens, nun sollte ich am Ende doch noch an die Teichschenke kommen. Ich muß aufpassen!“

Mit scharfem Auge suchte er die Nacht zu durchdringen,

und als er endlich mehrere Lichter vor sich erblickte, hielt er an. Nach dem er eine Zeit lang die Entfernungen derselben mit ängstlicher Sorgfalt berechnet hatte, meinte er:

„Wahrhaftig, das ist nicht Langenberg. Dort das Licht, das ist der lustige Mann; das da drüben ist im Pfarrhause und hier — ja wirklich, hier steht auch die alte, abgebrochene Pappel. Juchhei, ich bin zu Hause! Komm, Hans; wir bringen zwar kein Bier; aber ich habe einen Geist erlöst. Was werden die das Maul aufsperren, wenn ich anfange zu erzählen! Vor einer halben Stunde erst haben sie mir von der Salzsäule erzählt und jetzt habe ich sie schon gesehen, hab’ sie wirklich und richtig angenießt. Komm, Brauner!“

Nach einigen Augenblicken hielt er vor dem lustigen Manne. Mit mächtigem Schwunge ließ er die Peitsche knallen und rief dann mit dem kräftigsten Tone seiner Stimme:

„Heraus, heraus; der Wadenbach ist wieder da!“

Sofort kam der Hausknecht geeilt, und auf der Treppe wurde es von den bierdurstigen Vereinsmitgliedern lebendig.

„Das ist rasch gegangen!“

„Du bist doch nicht etwa wieder irre gefahren, weil Du so schnell da bist?“

„Wo ist das Faß, August?“ so rief und fragte es durcheinander. Der Färber aber ließ sich nicht irre machen, stieg mit majestätischer Ruhe und Schweigsamkeit aus dem Schlittenkorbe und schritt nach der Thür.

„Halt Bruderherz; so kommst Du uns nicht davon! Du darfst den Fuß nicht eher über die Schwelle setzen, bis Du gesagt hast, wo das Bier bleibt.“

„Jawohl,“ rief Hahnemann. „Er hat wieder Nichts mitgebracht, und für Nichts und wieder Nichts lasse ich meinen Gaul nicht zu Schanden machen. Wie steht’s, Gevatter?“

„Laßt mich los! Mir gehen ganz andere Dinge im Kopfe ’rum, als Euer Chemnitzer Schloßbier. Wenn Ihr hübsch artig sein wollt, so sollt Ihr hören, was ich Schreckliches lebt habe. Aber erst muß ich einen Pommeranzen haben. Die Geschichte ist mir so in die Glieder gefahren, daß ich kaum die paar Stufen steigen kann. Kommt nur mit ’rauf!“

Oben angekommen, ließ er sich auf den Stuhl nieder, griff nach dem schnell herbeigeholten Lieblingstrank und begann dann, einen stolzen selbstbewußten Blick um sich werfend:

„So; das bringt wieder Leben in den Körper! Ich kenne keine Furcht, das wißt Ihr Alle, und wenn Einem unter Euch das begegnet wäre, was mir begegnet ist, so wäre er auf der Stelle vor lauter Angst und Schrecken mausetodt gewesen, aber angegriffen hat mich’s doch auch ein klein Wenig. Gebt ’mal meine Mütze her! Erst will ich mir’s gemüthlich machen, und dann sollt Ihr zu staunen kriegen!“

Nach dieser vielversprechenden Einleitung begann er seinen Bericht. Er war reich gespickt mit selbstgefälligen Bemerkungen und stellte den Erzähler in das Licht eines Helden, der sich auch durch das Schrecklichste nicht aus der Fassung bringen läßt. Daß hinter der Geistererscheinung etwas sehr Natürliches stecken müsse, wußten die Andern alle, und da Hahnemann an dem Färber Revanche zu nehmen hatte, so richteten sich ihre Vermuthungen natürlich sofort auf ihn. Allerdings schien das Lächeln in seinen Zügen diese Vermuthungen nicht Lügen zu strafen, und deutlich war zu bemerken, daß er bei den Worten „Kettenbrücke“ und

„Prosit“ Mühe hatte, seine Heiterkeit nicht laut werden zu lassen.

„’S ist doch viel, sehr viel!“ rief er am Ende der Gespenstergeschichte. „Du bist wirklich ein ganzer Kerl, Gevatter, und ich will Dir offen gestehen, daß ich mich jedenfalls nicht so tapfer gehalten hätte wie Du.“

„Ach was da!“ meinte ein Andrer. „Bist Du denn wirklich so dumm, an Gespenster zu glauben? Wer weiß, was er gesehen hat, oder was für ein Spaßvogel sich mit ihm —“

„Ich will doch nicht hoffen,“ unterbrach Wadenbach den Sprecher, „daß Du glaubst, ich lasse mich in dieser Weise von Jemandem zum Narren machen. Was ich gesehen habe, das habe ich gesehen.“

„J, man kann viel sehen, wenn der Pommeranzen gut ist.“ —

„Du, werde nicht etwa anzüglich; das will ich mir sehr verbitten! Wenn mich irgend Wer zum Besten gehabt hat, wie wollt Ihr es Euch denn dann erklären, daß ich zweimal hinter einander nicht nach Langenberg gekommen bin, trotzdem ich beschwören kann, daß ich weder umgelenkt, noch einen andern Weg als die Straße befahren habe?“

„Na, na, werde nur nicht hitzig! Die Sache muß sich ja sehr leicht aufklären lassen. Frage nur ’mal dort den Hahnemann; der wird die Salzsäule wohl auch kennen.“

„Da kommt Ihr an den Rechten!“ antwortete dieser. „Ich werde mich hüten, etwas zu sagen; denn wer solche Dinge vor dem neunten Tage ausplaudert, dem dreht es am zehnten entweder den Kopf auf den Rücken, oder er geht nach und nach ein, bis er endlich weg ist.“

Wadenbach wurde bei diesen Worten kreideweiß. Die Regel von dem neunten Tage hatte er wohl gekannt, aber leider nicht daran gedacht.

„Das ist aber doch blos dann, wenn Einem der Teufel selber erscheint,“ sprach er.

„Nein, das gilt für alle Fälle und bei allen Arten von Geistern und Gespenstern. Ich kann gar nicht begreifen, wie unvorsichtig Du gewesen bist. Du dauerst mich wirklich!“

Während man dem Gespensterseher auf diese Weise neue Sorgen bereitete, saßen Mutter und Tochter trotz der späten Stunde noch zu Hause bei der Arbeit. Der Vereinstag war für Beide eine stets willkommene Gelegenheit, einmal so recht hübsch allein sein und sich gegenseitig aussprechen zu können. Zudem war ja morgen Ball, und da gab es an der Garderobe noch Arbeit die Hülle und die Fülle.

Der Gegenstand ihres Gespräches war natürlich kein anderer, als die Abneigung des Vaters gegen die Familie Hahnemann, und eben war bei der Besprechung dieses so oft hervorgesuchten Thema’s eine kleine Pause eingetreten, als es draußen an den Laden pochte.

„Wer mag das sein, Luise?“ fragte die Mutter. „Gehe ’mal ’naus; vielleicht ist’s gar der Heinrich.“

Die Vermuthung bestätigte sich; denn nach einigen Augenblicken trat der Genannte an der Seite seines Mädchens ein. Auf die verwunderte Frage der Mutter, woher er so spät noch komme, antwortete er mit einem geheimnißvollen Lächeln und nahm den ihm angebotenen Stuhl mit den Worten:

„Ich bin gekommen, um noch heut’ mit dem Vater zu sprechen.“

„Noch heute?“ fragte Luise erschrocken. „Wo denkst

Du hin! So Etwas macht man doch nicht Nachts um ein Uhr ab. Und übrigens kennst Du ja seine Gesinnung.“

„Laß Dich doch nicht verblüffen, Louise,“ meinte die Mutter. „Es wird ihm gar nicht einfallen, sich vom Vater sehen zu lassen. Er hat gewiß im lustigen Mann gesessen und mag nicht nach Hause gehen, ohne Dich noch einmal zu sehen.“

„Allerdings war’s Anfangs so gemeint,“ antwortete Heinrich. „Ich bin die paar Schritte gelaufen, um das Haus wenigstens ’mal zu sehen, und da ich merkte, daß Ihr noch wach seid, habe ich geklopft und werde nun allerdings nicht eher wieder gehen, als bis der Vater nach Hause gekommen ist. Ich habe das Herumschleichen satt und muß heut’ noch mit ihm in’s Klare kommen.“

Die beiden Frauen wurden ängstlich, als sie merkten, daß seine Worte nicht einen bloßen Scherz enthielten, konnten aber den Grund, weßhalb er grad jetzt die jedenfalls auf später hinauszuschiebende Unterredung haben wollte, nicht erfahren.

„Jetzt nicht, jetzt nicht! wehrte er ab.“

„Aber er wird Dich wahrhaftig zur Thür hinaus ja­gen.“ —

„Das weiß ich; aber es wird ihm nichts helfen. Ich kenne die Schliche und werde gemüthlich wieder hereinkommen.“

„Um des Himmelswillen, mach das nicht, Heinrich! Du kennst ihn noch nicht; wenn er in die Hitze kommt, so giebt es keine Rücksicht bei ihm.“

„Hab’ nur keine Sorge. Wenn Du mir folgst, so wird Alles gut gehen.“

„Folgen? Was soll ich denn thun?“

„Zunächst setzest Du dort die kleine Lampe hinaus auf das Treppenfenster; ich brauche sie.“

„Wozu denn?“

„Das wirst Du schon noch merken. Und wenn Du später an die Thür pochen hörst, so thust Du, als wolltest Du das Licht putzen und löschest dasselbe aus. Das ist Alles, was ich von Dir verlange. Willst Du?“

„Wozu soll denn das Lampenauslöschen sein?“

„Du wirst es, wie gesagt, schon merken. Horch, da kommt Jemand! Das ist der Vater; ich verlasse mich auf Dich.“

Der heimkehrende Färber öffnete sich die Thür mit dem Hausschlüssel selbst. Als er in die Stube trat, und den späten Besuch erblickte, blieb er erstaunt stehen.

„I der Tausend! wer ist denn das?“

„Hm, ich denke, wir kennen uns, Herr Wadenbach.“

„Das versteht sich, das versteht sich! Aber denkst Du denn, weil ich meinen Pommeranzen bei Euch getrunken habe, darfst Du Deinen Pommeranzen auch bei uns trinken? Daraus wird nichts, reineweg gar nichts.“

„Herr Wadenbach —“

„Ach was Wadenbach! Ich leide es nicht, daß sich mein Mädel an einen — einen — ei­nen —“

„Nun, an einen —?“

„Ich meine: an einen — einen — einen Heinrich hängt. Ich kann diesen dummen, albernen Namen für den Tod nicht ausstehen; umgetauft kannst Du nicht werden, also — abgemacht, basta!“

Mit einer nicht mißzuverstehenden Geberde zeigte er nach der Thür, und als dieser Weisung nicht sogleich Folge geleistet wurde, setzte er hinzu:

„Nun, wie wird’s? Es ist bald zwei Uhr!“

„Ich getraue mich nicht hinaus, Herr Wadenbach.“

„Warum?“

„Von wegen dem Teufel und der Salzsäule.“

„So?“ fragte der Hausherr gedehnt; denn er wußte nicht recht, wie die Worte eigentlich gemeint waren. Als er aber das ernste Angesicht des jungen Mannes bemerkte, nahm er an, daß hier von einem unzeitigen Spotte wohl keine Rede sei, und fuhr beruhigt fort:

„Aber herzu hast Du Dich wohl nicht gefürchtet? Und noch dazu in diesem Wetter und mitten in der Nacht. Ihr müßt es doch ganz gewaltig nothwendig haben mit Eurer Freierei!“

„Ja, eben das Wetter, Vater, das Wetter, das ist’s ja, was ich Dir schon am Sonnabend gesagt habe,“ meinte Louise etwas unvorsichtig.“

„Willst Du wohl schweigen, Schlabbermaul, das Du bist! Wenn die Schuld nur daran liegt, so will ich gleich anders Wetter machen. Wir brauchen einander gar nicht bös zu sein oder gar Feinde zu werden; aber ich habe einmal gesagt, daß ich keinen Heinrich leiden mag, und so mögt Ihr Euch auch darnach richten. Gute Nacht!“

Der junge Mann, gegen welchen die letzten Worte gerichtet waren, erhob sich und versetzte, nach der Mütze greifend:

„Ich gehe, weil ich mich nicht zanken mag. Aber ich werde wiederkommen, und zwar viel eher, als Sie es vermuthen, Herr Wadenbach, und dann, ja dann werden Sie mich nicht fortweisen.“

„Nicht? I der Tausend, was Einem nicht Alles von so einem — einem — einem Heinrich zugetraut wird! Gute Nacht zum letzten Male. Hier ist der Hausschlüssel; ich will nur gleich selber zumachen, sonst sind die Rackers im Stande und stehen mit einander noch vier Wochen lang draußen unter der Thür.“

Heinrich ging. Als Wadenbach wieder in das Zimmer trat, begann die eigentliche Strafpredigt, welche das muntere und keineswegs sprachschwere Mädchen nur deshalb über sich ergehen ließ, weil Ihr der Wunsch ihres Geliebten hinsichtlich des Lichtausblasens zu denken gab. Der Scheltende wurde endlich, als ihm Niemand widersprach, des Raisonnirens müde, und schloß seine Ermahnungen mit den Worten:

„Und Du als Mutter solltest doch wahrhaftig so verständig sein, um dergleichen Ungehorsam nicht auch noch zu unterstützen. Sie macht schon ohne das doch nur, was sie will, und ich wette meinen Kopf, daß sie sich schon morgen nach dem Balle von dem Hahnemann wieder heimführen läßt. Wenn ich aber das merke, so —“

„Sei doch nur endlich einmal still und laß die Sache ruhen. Du hast den Heinrich doch früher gern gehabt, und er kann doch nicht dafür, daß sein Vater auch gern Vorsteher sein möchte!“

„Der? Der und Vorsteher? Geht mir doch mit dem! Hat sich heut von mir bei der Nase ziehen lassen nach Noten und ist dafür ausgelacht worden, daß es gedonnert hat.“

„Ist’s auch wahr, Vater? Ich hätte nicht gedacht, daß der Hahnemann so dumm sein würde. Das mußt Du erzählen, bitte!“

Jetzt hatte sie ihn da, wo sie ihn haben wollte, und mit freudestrahlenden Mienen berichtete er von seiner Heldenthat. Als er geendet hatte, fragte sie:

„Also bist Du auch ganz sicher Vorsteher geblieben?“

„Eigentlich sollte sich das von ganz selbst verstehen; aber da ist mir die Geschichte mit der Salz- Sapperlot, da hätte ich mich bald wieder verplappert und darf doch neun Tage lang nicht davon sprechen. Also kurz und gut, wir haben noch gar keinen Vorsteher; er wird erst morgen vor Beginn des Balles gewählt.“

„Morgen erst? Warum denn?“

„Na, es ist mir ’was passirt, wovon die Andern denken, der Hahnemann habe mich zum Narren gemacht. Es ist natürlich nicht wahr, und er hat also auch gar keine Behauptung aussprechen können. Aber um mich zu ärgern, hat er halb und halb zugegeben, daß es so sein könnte und gesagt, bis morgen Nachmittag müsse sich das Ding aufklären.“

„Was ist es denn, was Dir passirt ist?“

„Das darf ich, wie gesagt, vor dem neunten Tag nicht ausreden.“

„Da ist’s wohl gar eine Geistergeschichte?“

„Ja, und wenn ich sie Euch erzählen könnte, so würdet Ihr mir’s gar nicht glauben, so wunderbar ist die Sade. Na, wenn die neun Tage um sind, werdet Ihr’s erfahren.“

„Hat Dir’s ’was gethan?“

„Bewahre, im Gegentheile! Ich hab die Salzsäule erlöst.“

„Die Salzsäule?“ fragte Louise, der allmählich eine Ahnung aufging, was es mit dieser Geistergeschichte für eine Bewandtniß haben könne.

„Ja, die Salz — Himmelschockschwerenoth, mit Deiner albernen Neugierde kannst Du mich noch unglücklich machen! Bald hätte ich die ganze Geschichte verrathen.“

„Das hätte Dir keinen Schaden gebracht. Eine Salzsäule ist doch kein Geist.“

„Das verstehst Du nicht. Nach den neun Tagen werde ich Euch Alles erklären!“

Dem Mädchen war keine andere Salzsäule bekannt, als die biblische, und da Ihr die Neugierde keine Ruhe ließ, so beschloß sie, geradezu und derb auf den Busch zu schlagen.

„Da hast Du wohl gar dem Lot seine Frau erlöst?“

„Freilich, freilich. Aber woher weißt denn auch Du, daß sie in der Nacht vom vierundzwanzigsten bis zum fünfundzwanzigsten umgegangen ist?“

„Das darf ich Dir vor dem neunten Tage auch nicht sagen.“

„Nicht? Vor dem neunten Tage? Ist sie Dir denn auch erschienen?“

„Jawohl!“ antwortete sie dem mit offenem Mund erstaunt Dastehenden.

„Wo denn, in aller Welt? Wohl hier zu Hause?“

„Ja.“

„Die hat mich gesucht; wahrhaftig, die hat mich gesucht und ist nachher auf die Langenberger Straße gekommen. Es ist erstaunlich, wirklich erstaunlich! Hast Du Dich denn aber da nicht ge­fürch —“

Das Wort erstarb ihm auf der Zunge; denn in diesem Augenblicke geschah ein so gewaltiger Stoß an die Thür, daß das ganze Haus zu beben schien. Das Mädchen, welches jetzt Alles klar durchschaute, blies, von dem erschrockenen Vater unbemerkt, behende das Licht aus und trotz der dadurch entstandenen Finsterniß war mit Hilfe der draußen am Treppenfenster brennenden kleinen Lampe eine lange, weiße Gestalt zu erkennen, welche im Zimmer stand.

„August Wadenbach, Du hast geplaudert. Deine letzte Stunde ist gekommen!“

Wadenbach wollte sprechen; aber wie draußen auf der Straße brachte er kein Wort hervor, und nur als die Gestalt sich ihm näherte, löste ihm die Todesangst die Zunge.

„Gnade!“ stöhnte er, vor Entsetzen zitternd.

Da legte die Erscheinung die Hand auf seine Schulter und fragte:

„Giebst Du Deine Tochter dem Heinrich Hahnemann, wenn ich Dir das Leben lasse, August Wadenbach?“

„Gern, herzlich gern!“ versicherte er.

Da warf das Gespenst das Tuch von sich und rief mit fröhlicher Stimme:

„Grüß Gott, grüß Gott, Herr Wadenbach. Da bin ich wieder!“

Mit sperrangelweit aufgerissenen Augen starrte der Hausherr den aus dem Ei Geschälten an. Das Gesicht konnte er nicht erkennen; aber die Stimme brachte ihn auf eine schreckliche Vermuthung. Mit einem raschen Griffe zog er die Zündhölzer aus der Westentasche, und im nächsten Augenblicke war das ausgelöschte Licht wieder in Brand gesetzt.

„Himmeltausendmohrenelement, Kerl Du bist’s? Da muß doch gleich der helle, lichte Popanz drinne sitzen, spielt der schuftige Racker Komödie mit mir! Willst Du ’naus; ich frage, ob Du auf der Stelle ’naus willst!“

„Mein Schwiegervater wird mich doch nicht zur Thür hinausstecken!“ meinte Heinrich; denn der war es.

„Ich werde Dich bei Schwiegervatern! Vorwärts marsch, oder ich mache Dir Beine!“

„Gut, ich gehe; aber die Leute werden sich freuen, wenn —“

„Die Leute? Warum? Ich will nicht hoffen, daß Du das auch gewesen bist, draußen auf der Straße!“

„Natürlich, natürlich bin ich das auch gewesen. Haben Sie nicht Freude gehabt über die famose Kettenbrücke zwischen Sodom und Gomorrha?“

„O Du, armseliger, miserabler Bengel Du! Pack Dich aus meinen Augen, oder ich mache mich über Dich her, daß Du Zeit Deines Lebens an Sodom und Gomorrha denken sollst.“

„Und an den Schnupfen, den Lot damals hatte.“

Er ging. Noch aber hatte er die Hausthür nicht erreicht, als ihn Wadenbach wieder zurückrief:

„Halt; bleib’ ’mal da! Weiß Dein Vater von der Sache?“

„Gewiß. Der hat den Spaß ja angestellt.“

„Ihr beiden Kerls seid Einer so schlecht wie der Andere. Mutter, hol’ ’mal die Flasche her; der Aerger bringt mich sonst um!“ rief er, in sichtlichem Kampfe mit sich selbst im Zimmer auf und abgehend. Dann fragte er, zu dem Mädchen gewandt: „Willst Du denn wirklich so einen Erzhallunken zum Manne haben?“

„Wenn’s nicht anders sein kann, ja,“ lachte die Gefragte.

„Na, da nehmt Euch meinetwegen. Aber ich mache zur Bedingung, daß ich Vorsteher bleibe und kein Mensch erfährt, wie es eigentlich mit der Gespenstergeschichte gewesen ist.“

„Zugestanden,“ rief Heinrich, nach der Bulle greifend und mit derselben und dem alten, sich kraftvoll wehrenden Färber in der Stube herumtanzend. „Juchhei, es lebe der Teufel und die Salzsäule!“ Und das Mädchen fügte fröhlich lachend hinzu:

„Und der rothe Pommeranzen!“