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Die Laubthaler.

Humoreske von Karl May.

Kennt Ihr den alten Bäckermeister Franz Halbermann auf der Obergasse? Nicht? — Nun, das ist jammerschade, denn er ist ein gar lieber, wackerer Kumpan, was Einen eigentlich gar nicht Wunder nehmen kann, denn er ist ein Sachse, da aus der Gegend von Dresden oder gar von Potschappel her, und Ihr wißt ja Alle, daß Dresden und besonders Potschappel an Gemüthlichkeit ihres Gleichen suchen. Er wird von seinen Nachbarn und Bekannten der Kürze und der gewohnten Sitte wegen nicht anders als der Bäckerfranz genannt, hat auf seinen weiten Gesellenfahrten und auch dann später viel erlebt und versteht es, seine kleinen, possirlichen Abenteuer so drastisch und auschaulich zu erzählen, daß es eine helle Lust ist, ihm zuzuhören. Er liest außerordentlich gern, und unter allen Schriften und Büchern, die er hält oder kauft, steht ihm das Blatt, in dem der freundliche Leser dies liest, obenan, denn warum? Sie sind ja Beide gar nicht weit voneinander zu Hause, und auf Landsleute muß man immer etwas halten.

So oft die neueste Nummer kommt, steckt er sie hübsch sorgfältig in die Tasche und steigt mit ihr hinüber nach dem „goldnen Ring“, wo die Stammgevattern um den runden Tisch sitzen. Dort putzt er sich die großen, runden Brillengläser, schiebt das Messinggestell hinter die Ohren und beginnt die Vorlesung, auf die sie Alle schon seit dem letzten Hefte gewartet haben.

Auch heute sitzen sie dort beisammen und horchen gespannt auf das Ende der Geschichte, die eben an der Reihe ist.

„Aber das war schön,“ meint der Wirth; „ich bin nur froh, daß sie einander noch bekommen haben! Aber wissen möchte ich doch, ob das Alles wirklich passirt ist oder ob sich’s die Dichter und Gelehrten nur so aussinnen.“

„Aussinnen? Hm, möglich wär’s am Ende schon,“ meint der Bäckerfranz, indem er das Blatt in die Tasche schiebt; „aber im Leben passiren oft noch viel schönere und wunderbarere Geschichten, als in den Büchern. Wenn ich gut auf der Feder wäre, so könnte ich aus meinen eigenen Erlebnissen gar manche schöne Geschichte schreiben, bei der ich mir nicht das Geringste auszusinnen brauchte. Denkt nur zum Beispiel einmal daran, wie ich zu meiner ‚Alten‘ gekommen bin! Es sind Viele unter Euch, die haben noch nichts davon gehört. Soll ich’s Euch vielleicht einmal erzählen?“

„Ja, ja, erzähl’ es, Franz!“ ruft es im Kreise, während man erwartungsvoll zusammenrückt.

„Nun gut, so mag es losgehen; aber schwatzt mir nicht unnöthig d’rein; Ihr wißt, ich kann’s nicht leiden!“

Er beginnt. Hinten in der Ecke aber sitzt Einer, dessen Name hier oben unter der Ueberschrift zu lesen ist und der gar aufmerksam zuhört, um die Geschichte für Bäckerfanzens Lieblingsblatt wegzuangeln. Was er wohl sagen wird, wenn er sie dort findet?! —

I.

Ihr Alle wißt, daß ich von Potschappel stamme, wo mein Vater ein armer, schutzverwandter Schneidermeister war. Die

älteren Brüder mußten an die Nadel, ich aber, als der Jüngste, kam zu einem Bäcker in die Lehre, weil die Eltern meinten, daß ich es da eher zu etwas bringen könnte. Sie dachten nicht daran, daß man mit der Scheere eher sein eigener Herr werden kann, als vor dem Backtroge, wenn man nämlich nichts hat, was nach Silber klingt oder nach Hundertthalerscheinen raschelt.

Als ich ausgelernt hatte, ging ich auf die Wanderschaft, stand hier und da in Arbeit, wanderte dazwischen hin und her, so oft und viel ich Lust hatte, und kam auch eines schönen Tages hier im Städtchen an, um mir eine Stellung zu suchen, da mir Rock, Hose und Stiefel mit der Zeit ganz außerordentlich hinfällig geworden waren.

Zuerst ging ich in mein jetziges Haus zum Bäcker Hilbert. Er war Obermeister von der Innung und ließ sich mein Wanderbuch geben. Als er es durchgesehen hatte, guckte er mich so halb von der Seite an und zog die Nasenhaut in Falten. Ich sah nun freilich nicht gerade sehr vornehm aus. Den Rock hatte ich geschenkt erhalten; er war mir in der Taille um eine Elle zu weit und an den Aermeln um eine Viertelelle zu kurz. Die Weste war einmal von Sammet gewesen und hatte roth gesehen; jetzt schien sie von Sacktuch zu sein und hatte alle neunundachtzig Farben. Von den Hosen will ich ganz schweigen, es ist besser, und die Stiefel, die waren so offenherzig geworden, daß ich mit den Füßen fast noch besser als mit der Nase merken konnte, wo die Luft herkam. Woran das lag, das brauche ich nicht zu sagen; es wird Manchem von Euch in der Fremde vielleicht ebenso gegangen sein. Aber ein ehrlicher Kerl war ich doch, verstand mein Handwerk aus dem Fundamente und hatte weder den Betäl, noch sonst etwas Ungutes im Buche stehen. Darum verdroß es mich gewaltig, als er meinte:

„Auch ein Bruder Luftikus! Hier hast Du das Buch zurück und dazu das Geschenk. Platz hätte ich wohl für einen braven ordentlichen Gesellen; Dich aber kann ich nicht gebrauchen!“

„Nichts für ungut, Herr Meister, aber ich bitte —“

„Sei still! Ich mag Dich nicht, und damit basta! Du bist ein Sachse, und ich kenne diese Sorte.“

Da war allerdings mehr, als ich vertragen konnte; ich legte ihm also sein Geld wieder auf den Tisch und antwortete:

„Das ist eine Beleidigung, Meister, zu der Ihr kein Recht habt. Ich bin ehrlicher Leute Kind, und auf der Reise wird man kein feiner Hofcavalier. Wenn ich Arbeit hier in Orte finde, so werdet Ihr bald erfahren, daß ich mich vor Niemandem zu schämen brauche. Hier habt Ihr Euern Groschen wieder, und damit Adjes!“

„Schade um den hübschen Burschen!“ hörte ich es leise, als ich die Thür schon in der Hand hatte. Es war die Meisterstochter, die Emma, die das zu ihrer Mutter sagte. Sie war ein herzig liebes Kind, wie ich das später zur Genüge erfahren habe, und ich drehte mich um und sah ihr noch einmal in das freundliche Gesichtchen, ehe ich die Thür zumachte.

Draußen aber blieb ich einige Augenblicke stehen und musterte

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zum ersten Male meine Kleidage genau. Die Worte des Mädchens waren mir in das Herz gedrungen und öffneten mir die Augen.

„Du siehst aus wie ein Lump,“ dachte ich; „aber, Franz, es wird anders, und zwar gleich von jetzt an!“

Gerade gegenüber wohnte der alte Bäckermeister Kießling; er wurde nur der Bäckerjakob genannt und hatte nicht übermäßig viel zu thun, da er kein großer Hexenmeister war und sich nicht übermäßig viel anstrengte. Sein Sohn war noch in der Fremde und hatte keine große Lust, bald wiederzukommen. Ich ging natürlich auch zu ihm.

„Glück und Segen ins Haus, Meister! Ich bin ein wandernder Bäckergesell, habe hier mein Buch und bitte um einen kleinen Zehrpfennig!“

Er nahm das Buch, setzte die Nasenquetsche ins Gesicht und buchstabirte so ein halbes Stündchen in den Blättern herum. Dann betrachtete er mich von Kopf zu Fuß und meinte endlich:

„War Er schon beim Obermeister?“

„Ja.“

„Hat Er etwas bekommen?“

„Ja; ich habe es der nicht genommen.“

„Warum?“

Ich erzählte es ihm.

„Hm, so, so!“ brummte er. „Er ist ein Sachse?“

„Ja.“

„Das freut mich! Bin auch dort gewesen; sind gar brave, herzliebe Leute, die Sachsen. Habe zwei volle Jahre in Arbeit gestanden da in der Gegend von Potschappel.“

„Von Potschappel? Da bin ich her!“

„Das freut mich wieder! Wann will Er denn nach Hause?“

„Das kann ich nicht sagen. Für jetzt möchte ich gern hier im Orte bleiben. Braucht Ihr keinen Burschen, Meister?“

„Hm, eigentlich nicht; aber weil Er ein Sachse ist und in der Gegend von Potschappel zu Hause, so könnte ich es beinahe einmal mit Ihm versuchen.“

„Thut es, Meister; es wird Euer Schade nicht sein!“

„Meint Er? Da klingt ja recht wichtig! Jetzt sieht Er freilich nicht danach aus; aber Er gefällt mir, und wenn Er den guten Willen hat, so wird Er gar bald auch wieder zu guten Sachen kommen. Hat Er ein Felleisen?“

„Ja; es liegt auf der Herberge.“

„So hole Er’s; wir sind jetzt einig. Nur merke Er sich das: Ich rede nicht gern viel, aber wir wollen einmal Beide dem stolzen Hilpert da drüben zeigen, daß Er ein Sachse, nämlich ein ordentlicher Kerl und kein Luftikus ist. Da ist meine Hand, schlage Er ein!“

„Meister, das ist ein Wort, welches mir wohl thut. Habt Dank dafür!“

„Schon gut. Jetzt gehe Er, damit Er bald in Ordnung kommt!“

Als ich mit dem Felleisen von der Herberge kam, trat die Meisterin aus der Küche. Sie wollte natürlich den neuen Gesellen sehen und gab mir freundlich die Hand. Sie hatte so wundergute Augen und ein Gesicht wie heller Sonnenschein.

„Nicht wahr, Er heißt Franz?“

„Ja.“

„Dann willkommen, Franz! Gebe Er den Tornister her; das ist meine Sache!“

Natürlich waren keine Pretiosen in dem alten Ranzen, und ich schämte mich, sie hineingucken zu lassen. Sie machte aber wenig Federlesens, schnallte ihn auf und nahm die Sachen heraus.

„Ach Gott, ist Er schlimm daran, Er armer Tropf! Von den Sachen kann Er ja gar nichts mehr gebrauchen! Komme Er mit hinauf in die Kammer, da liegen noch Kleider und Wäsche von unserem Jungen; das wird Ihm passen!“

Ihr könnt Euch denken, wie selig mir zu Muthe war, zu so herzensguten Leuten gekommen zu sein. Ich wurde ausstaffirt nach Möglichkeit und ging dann mit Freuden an die Arbeit. Sie ging mir aus Liebe doppelt schnell von der Hand, und schon nach einigen Tagen klopfte mir der Meister freundlich auf die Schulter.

„Höre Er, Potschappler Franz, Er ist kein unebener Kerl. Fahre er so fort!“

Das war mir lieber, als wenn er mir zehn Thaler geschenkt hätte. Ich sah, daß sein Vertrauen immer mehr wuchs, und wurde wie ein Kind gehalten. Na, ich will mich nicht loben, aber Ihr wißt ja Alle, wie ich backe. Ich hatte da Meine gelernt, gab mir Mühe und bemerkte schon nach kurzer Zeit, daß unsere Kundschaft wuchs. Das Brod war stets gut und rein, und als ich mich gar aufs weiße Bachwerk legte, was der Bäckerjakob ganz vernachlässigt hatte, da sah ich den Herrn Obermeister stundenlang drüben am Fenster stehen und grimmige Gesichter herüberschneiden. Wir thaten ihm gewaltig Abbruch, das war nicht zu verkennen.

Aber es stand noch Jemand zuweilen am Fenster oder unter der Thür und warf einen verstohlenen Blick herüber, dem man allerdings weder Haß noch Aerger anmerken konnte. Das war die Emma. Ich war ihr seelensgut, das könnt Ihr mir glauben; aber ich ließ es mir nicht merken. Was hatte auch der arme Potschappler, der Luftikus, mit der reichen Obermeisterstochter zu schaffen! Aber wenn ich mir früh das Wasser holte und sie am Brunnen traf, wo ich einen freundlichen Gruß bekam, dann war den ganzen Tag Sonntag, und ich konnte bei der Arbeit singen und pfeifen wie eine Haidelerche.

So verging ein halbes Jährchen und noch eins. Da Geschäft ging besser und immer besser, so daß wir beinahe einen zweiten Gesellen nöthig hatten, da der Meister nur hier und da einmal zum Vergnügen mit zugriff. Ich konnte mir ein Stück Kleidung und Wäsche nach dem anderen kaufen und fand eine wahre Lust daran, ein netter Kerl zu sein. Meine größte Freude war, wenn ich den Eltern ein Weniges nach Hause schicken konnte, und die Briefe, die ich jetzt von ihnen bekam, lauteten ganz anders als die früheren.

Da sitze ich eines Sonntags Abends am Tische und lese in der Hauspostille. Ich war noch in kein Wirthshaus oder auf einen Saal gekommen, denn ich hatte meinen Lohn zu nothwendigeren Dingen gebraucht. Da tritt der Meister hinter meinen Stuhl und schlägt mir das Buch vor der Nase zu.

„Höre Er, Potschappler Franz, kann Er tanzen?“

„Ja.“

„So will ich Ihm einmal etwas sagen. Es ist ganz gut, wenn so ein Jungbursche, wie Er, ordentlich ist und gern daheim bleibt. Man bringt dabei etwas für sich. Aber allzuviel ist auch nicht gut, und ein Kerl, wie Er, gehört auch zuweilen unter die Leute. Man hört und sieht und lernt da Manches, was Einem Nutzen macht, und wird für keinen Duckmäuser angesehen. Jetzt zieht Er seinen Rock an und geht hinauf in den ‚goldenen Stern‘, da ist Tanz. Und morgen sagt Er mir, wie’s Ihm gefallen hat. Hier ist der Hausschlüssel; vorwärts, marsch!“

Ich hatte keine rechte Lust; aber eigentlich hatte er Recht, und ich folgte ihm.

Im „Stern“ ging es gar munter her. Die Bursche sahen mich zwar ein wenig fremd an, doch war ich bald mitten unter ihnen und sah mich endlich gar nach einer Tänzerin um. Wißt Ihr, wen ich da bemerkte? Die Emma. Sie saß mit einigen Anderen an einem Tische bei Seite. Ich beobachtete sie und sah, daß sie einige Male das Tanzen abschlug. Wollte sie überhaupt nicht tanzen, oder waren es die Rechten nicht gewesen? Es war ein gar großer Abstand zwischen ihr und mir, aber ich nahm mir das Herz und ging hin. Sie wurde wie eine Kirsche so roth im Gesichte, aber sie stand auf und gab mir ihre Hand.

„Darf ich wiederkommen?“ fragte ich, als wir fertig waren.

„Ja.“

Ich hätte für dieses „Ja“ ihr sonst etwas zu Liebe thun können, und Ihr mögt Euch nur immer denken, daß ich von jetzt an fast jede Tour mit ihr tanzte. Als es die richtige Zeit für ein ordentliches Mädchen war, ging sie mit den Anderen nach Hause. Aber wir hatten uns noch nicht gar viele Male auf dem Saale wiedergetroffen, so durfte ich an deren Stelle mitgehen.

Wie es nun weiter kam, das brauche ich Euch nicht zu sagen. Die ganze Stadt erfuhr es, daß wir uns lieb hatten, und endlich ihr Vater auch. Na, das hat einen Heidenspectakel gegeben! Sie durfte nicht mehr fort, und wenn wir uns einmal sehen wollten, so mußten wir uns auf allerlei Schliche legen,

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wie sie bei solchen Gelegenheiten gebräuchlich sind. Wir trafen uns im Garten oder gingen ein Stückchen zur Stadt hinaus; aber als der Winter kam, da wollte das nicht mehr gehen; es wurde zu kalt dazu. Wir huschten nun in die Brodkammer oder in den Hausflur, und endlich machte sie es gar möglich, daß ich mit in die Wohnstube durfte, wenn Alles schlafen

gegangen war. Hört einmal, Ihr Leute, das sind glückliche Zeiten, obgleich man dabei Gefahr läuft, den Rücken durchgebläut zu bekommen und zur Thür hinausgeworfen zu werden. Ich will sie Euch nicht beschreiben; denkt lieber daran, wie’s bei Euch auch gewesen ist!

(Fortsetzung folgt.)

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Die Laubthaler.

Humoreske von Karl May.

(Fortsetzung.)

Das ging so eine ziemliche Weile, bis uns der Obermeister einmal einen fürchterlichen Strich durch die Rechnung machte. Er mußte etwas gemerkt haben, auf welche Weise, das weiß ich heut’ noch nicht. Kurz und gut, wir saßen eines schönen Sonntags Abends allein beieinander in der Stube und bauten allerlei Luftschlösser, wie sie bei jungen Leuten gebräuchlich sind; da kommt auf einmal Jemand langsam die Treppe herabgestiegen, untersucht die hintere Thür und dann auch die vordere und zieht den Hausschlüssel ab, den die Emma im Schlosse hatte stecken lassen. Wir sind natürlich nicht wenig erschrocken und sehen uns nach Rettung um.

Es gab Euch wahrhaftig keinen Platz, wo ich mich bequem hätte verstecken können; aber dahinten auf dem Tische in der Ecke stand ein Tragkorb; das war die einzige Möglichkeit, denn draußen in der Backstube hätte ich zwischen den nackten vier Wänden erst recht keinen Ort gefunden.

„Steig’ rasch in den Tragkorb, Franz; ich decke Dich zu!“ bat Emma. Es war ihr himmelangst, denn der Störenfried konnte kein Anderer, als ihr Vater sein.

Schnell war ich auf dem Tische, steige in den leeren Korb, ducke mich zusammen, und kaum hatte sie ein Mehltuch darüber

gebreitet und mit dem Strickstrumpfe wieder an dem Tische Platz genommen, so wurde die Stubenthür geöffnet.

Der Obermeister war’s.

„Ich denke, Du bist schon längst schlafen gegangen!“ meinte er.

„Ich habe noch nothwendig zu stricken.“

„So, hm, und ich noch nothwendig zu lesen!“

Durch eine Spalte in dem Weidengeflechte konnte ich den ganzen Raum überblicken und bemerkte, daß er sich sehr aufmerksam in der Stube umsah. Er trat an den Ecktisch, faßte den Korb und schüttelte ihn ein wenig.

„So, so, also gestrickt hast Du! Hat Dir vielleicht Jemand mit geholfen?“

„Wer sollte denn?“

„Nun, ich weiß nicht, vielleicht der Lehrjunge. Zu Zweien strickt sich’s besser. Na, mach’ nur Deinen Kram.“

Er langte auf das Bret über der Thür und nahm die Nürnbürger Bilderbibel herab, trug sie zum Tische und begann zu lesen.

„Gieß’ Oel in die Lampe, Emma,“ befahl er nach einer

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Viertelstunde. „Mach’ sie richtig voll; ich bleib’ gleich auf, bis das Backen losgeht!“

Na, das war eine schöne Zuversicht! Er wollte da bleiben; ich stak im Tragkorbe, und drüben bei mir hatte ich den Hefenteig stehen, der sicher aus dem Backtroge in die Stube lief, wenn ich nicht nach Hause konnte. Hätte ich nur genau gewußt, ob er etwas gemerkt hatte; aber er that so gleichgiltig, daß es mir möglich schien, ich könnte mich hinter seinem Rücken aus dem Korbe machen und leise davon schleichen. Das hatte aber gute Weile. Es war so still in der Stube, daß man die geringste Bewegung von mir hören mußte. Wenn ich nur den Kopf ein wenig rührte, so prasselte es rund um mich herum, und ich kann Euch die Stellung, in der ich mich befand, und die Unbequemlichkeit, die sie mir verursachte, gar nicht beschreiben.

Endlich mochte ihm doch die Geduld ausgehen.

„Geh’ nun einmal schlafen, Emma, und schicke mir den Gesellen herab!“

Sie mußte gehorchen, nahm gute Nacht und ging fort.

Jetzt stand er auch vom Stuhle auf und ging, sich vergnügt die Hände reibend, in der Stube auf und ab. Nun wurde mir erst wirklich unheimlich zu Muthe. Durch die Spalte sah ich deutlich die schadenfrohen Blicke, die er in meine Ecke warf. Es war richtig, er hatte den Braten gerochen und nur geschwiegen, um irgend einen Plan ausführen zu können. Was war zu thun? Sollte ich stecken bleiben oder —

Da trat der Geselle ein. Er hatte im ersten Schlafe gelegen und gähnte entsetzlich.

„Erst um Zwölf! Was soll ich denn, Meister?“

„Das soll Er gleich hören. Komm Er einmal vor an die Thür!“

Sie flüsterten leise miteinander. Es war klar: ich sollte denken, ich sei noch nicht entdeckt, und darum ruhig stecken bleiben, ohne zu hören, was der Geselle eigentlich sollte. Ich hörte ihn heimlich lachen und dann durch den Hausflur hinaus in den Hof gehen. Dann vernahm ich den Schall einer Hacke, die auf Holz traf. Jetzt wußte ich auf einmal, was sie mit mir vornehmen wollten, und schon stand ich im Begriffe, emporzufahren und der Sache ein Ende zu machen, als sich mir ein Ausweg eröffnete.

„Meister, ich bring’s nicht allein fertig; die Breter sind eingefroren!“ klang es mit unterdrückter Stimme von der Hinterthür her.

„So muß ich helfen; aber mach’ rasch!“

Er eilte hinaus. Er mochte denken, ich habe noch keinen Verdacht geschöpft und werde nicht den Muth haben, die wenigen Augenblicke zu benutzen. Schnell aber stand ich in der Stube und öffnete die Thür zur Bäckerei. Ich hatte mich gleich bei meinem Kommen dort umgesehen und neben der Beute einen Korb bemerkt, welcher gerade wie der meinige mit einem weißen Tuche bedeckt war. Ich versuchte ihn; er hatte ein ziemliches Gewicht, und im Nu war er mit dem anderen umgewechselt. Dann flog ich unter den Tisch und drückte mich so tief in den Schatten, daß ich wenigstens nicht auf den ersten Blick erkannt werden konnte.

Dies Alles hatte kaum eine Minute in Anspruch genommen; aber die Zwei waren auch schnell gewesen und traten jetzt wieder ein. Ohne ein Wort zu sagen, nahm der Geselle den Korb auf den Rücken und trug ihn hinaus. Der Meister folgte ihm. Ich schlich mich hinter ihnen her. Draußen war es vollständig dunkel, so daß ich unbemerkt bis in den Hof gelangte, wo ich hinter einem Baumstamme Posto faßte.

Noch heute denke ich mit Vergnügen daran, wie ich sie mit heimlicher Freude an die Grube treten hörte, die ich Euch gar nicht erst zu nennen brauche. Gewöhnlich war sie mit Bretern verdeckt. Jetzt hatten sie dieselben entfernt. Der Geselle ließ die Tragbänder locker; der Meister griff mit zu, riß das Tuch hinweg, der Korb wurde schnell umgestülpt, und — plumps und klirrrrr —

„Himmeltausendele — was ist denn da drin gewesen? Das war ja der Kerl gar nicht! Rasch hinein, er muß noch in der Stube sein!“

Sie sprangen in das Haus zurück; ich aber war mit einem raschen Schwunge über den Zaun hinweg und hinaus in den Garten und in wenigen Minuten daheim bei meinem Hefenteige.

Er war prächtig in die Höhe gegangen, und ich kam gerade zur rechten Zeit, den Backofen zu heizen.

Am frühen Morgen klopfte es an die Hausthür. Ich öffnete.

„Guten Morgen!“

„Guten Morgen, Frau Bürgermeisterin! Was wünschen Sie so zeitig?“

„Ach, mein Lieber, kann ich nicht bei Ihm gleich Kuchen backen?“

„Kuchen? Und gleich? Vielleicht ist’s möglich zu machen! Bestellen Sie fertig, oder besorgen Sie die Zuthat selbst?“

„Das muß ich erst mit Ihm verhandeln; ich weiß vor Aerger noch gar nicht, wo mir der Kopf steht. Denke Er sich: Meine Tochter hält heute Kindtaufe, und ich habe gestern das Mehl, das wir ja selbst erbauen, und alles Erforderliche zu Hilbert’s geschickt, um Kuchen zu backen. Ich bin für jetzt bestellt worden, und als ich komme, haben sie mir einen Teig zusammengeknetet, der unmöglich der meinige sein kann. Ich wollte ihn ja selbst machen. Mein Mehlsack fehlt, mein Geschirr ist fort, die Butter ist anders, der Zucker befindet sich in blauen Düten und ich hatte weiße, mein Korb ist naß und hat eine Farbe und einen Geruch — nein, ich kann bei diesen Leuten nicht mehr backen! Ich habe auf meine Fragen keine einzige kluge Antwort bekommen und bin endlich vor Zorn fortgelaufen und herüber zu Ihm. Ich habe gehört, daß Er seine Sache versteht. Will Er mir aus der Noth helfen? Er kann dann auch für später auf meine Kundschaft rechnen!“

„Na, da kommen Sie herein, Frau Bürgermeisterin; es wird sich machen lassen!“

II.

Der Bäckerjakob wunderte sich nicht wenig, als er aufstand und die vornehme Frau am Backtroge sah. Er gab mir nicht eher Ruhe, als bis ich ihm die Tragkorbgeschichte bis aufs Haar erzählt hatte.

„Höre Er, Potschappler Franz,“ schmunzelte er vergnügt, „da hat Er ja in einer ganz verteufelten Capitalpatsche gesteckt! Na, die Emma ist’s werth, daß Er sich Mühe um sie giebt. Es wird freilich am Ende vergeblich sein, denn ich glaube im ganzen Leben nicht, daß Er sie bekommt. Aber darum braucht Er den Muth nicht zu verlieren; es geht bei solchen Dingen oft gar wunderlich zu. Aber nehme Er sich in Zukunft besser in Acht, daß es Ihm nicht noch einmal schlimmer ergeht! Der Hilbert wird Ihm und dem Mädchen nun doppelt auf dem Nacken sein. Er hält sich für den großen Mann, der einen Grafen zum Schwiegersohne bekommt; aber wer weiß, ob er wirklich einen so großen Beutel hat! Sein Getreidehandel hat ihn in der letzten Zeit gar derb hineingerissen. Vielleicht wird es bald Zeit, daß er die Laubthaler findet, die der Hilbertludwig anno Vierzehn mit aus Frankreich gebracht und aus Mißgunst vor seinem Tode versteckt hat.“

„Wie ist denn das? Davon habe ich ja noch gar nichts gehört!“

„Der Ludwig war der Oheim von ihm und ist ein gar eigner Kauz gewesen. Er war zu dem Gelde gekommen, man weiß nicht wie, und hat darauf gesessen wie der leibhaftige Drache. Dann ist er plötzlich gestorben, und als sie bei ihm suchten, hat Keiner einen Pfennig gefunden. Wer’s einmal erwischt, kann sich darüber freuen!“

Es war so, wie er gesagt hatte. Der Obermeister war mir doppelt gehässig geworden, that mir und meinen Meistersleuten Alles zum Aerger und bewachte die Emma auf eine Weise, daß sie kaum mehr aus der Thür zu treten wagte. Dabei ging es mit unserem Geschäfte immer besser, und von dem seinigen vernahmen wir immer weniger Gutes. Ich wußte, daß mir das Mädchen treu war, und das war mir genug. Wir hatten uns lieb, aber wir kamen nicht mehr zusammen; es war besser so, denn ich wollte der Emma keine schlimme Zeit bereiten.

So verging der Winter, und ich wurde Altgesell, worüber sich der Obermeister schrecklich ärgerte, denn er mußte mir nun von wegen der Innung öfters Gehör schenken und konnte mich nicht fortweisen, wenn ich gezwungen war, mit ihm zu reden.

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Ich that dies aber nur, wenn es nothwendig war. Auch der Sommer war wieder vorüber, und die kalten Tage kamen.

Da auf einmal hörte ich, daß die Emma heirathen solle. Ein reicher Bäckerssohn von auswärts hatte um sie angehalten und wollte das Geschäft übernehmen, während Hilbert nur noch den Getreidehandel betreiben sollte. Man munkelte, daß es bei ihm bald Matthäi am Letzten sei.

Eines Sonnabends wurde drüben ganz gewaltig geputzt, gefegt und gescheuert, und ich erfuhr, daß der Bräutigam morgen auf die Brautschau kommen werde. Das gab mir einen Stich ins Herz, wie Ihr Euch wohl denken könnt. Zwar war die Bäckerin mir nicht ganz abgeneigt, das wußte ich; aber was konnten die beiden Frauen machen, wenn der Vater nicht von seinem Vorsatze ging? Er brauchte einen reichen Schwiegersohn, und die Tochter mußte sich fügen, wenn sich nicht auf irgend eine Weise Hilfe zeigte.

Ich beschloß, mit ihr zu sprechen, und gab ihr, als sie sich auf einen Augenblick am Fenster sehen ließ, ein Zeichen, daß ich um Acht im Garten auf sie warten werde. Ich ging auch um diese Zeit hinüber, denn ich wußte nicht, daß der Obermeister im Verkaufsladen gewesen war und mein Zeichen bemerkt hatte. Er war schon vor mir im Garten und hörte jedes Wort, was wir redeten.

„Wo ist Dein Vater?“ war meine erste Frage, als sie kam.

„Er ist einmal fortgegangen, kann aber jeden Augenblick wiederkommen. Hast Du gehört, daß er mich zur Hochzeit zwingen will?“

„Ja. Was wirst Du thun?“

„Ich weiß es noch nicht; aber das ist sicher, daß ich nicht ‚Ja‘ sage. Es ist ein alter Junggeselle, schon nahe an die Vierzig; er gefällt wohl auch dem Vater nicht recht, aber er hat Geld, deshalb soll ich ihn nehmen.“

„Und die Mutter?“

„Die weint mit, wenn ich weine. Ach, Franz, es geht jetzt schlecht bei uns. Seit Du beim Bäckerjakob bist, ist unser Geschäft ganz herabgekommen; wär’st Du im Haus, so käm’s wohl wieder in die Höhe. Was thun wir nur!“

„Komm, laß uns überlegen —!“

„Dazu ist jetzt keine Zeit, Franz. Ich hab’ noch viel zu thun, und wenn der Vater kommt, muß ich in der Stube sein. Komm lieber später wieder.“

„Geht es denn?“

„Ich denke. Wir haben so lange nicht miteinander gesprochen, da der Vater gewiß meint, es ist aus. Er wird nicht

denken, daß wir uns heut’ bestellen. Ich habe dem Gesellen den Hauschlüssel fortstibitzt; hier hast Du ihn. Es wird für morgen viel gebacken; da gehen Alle zeitig schlafen. Ich gehe zuletzt, und wenn Du in meiner Bodenkammer Licht brennen siehst, so kannst Du kommen. Schau’ aber erst durch die Ladenritze, ob es in der Stube auch wirklich finster ist. Den Hausschlüssel ziehst Du wieder ab und gehst leise in die Stube; ich komme nicht eher, als bis Alles fest eingeschlafen ist.“

„Ich komme, Emma, und wenn sie mich zehnmal wieder aus dem Korbe schütten wollen. Gieb her den Shlüssel, und gute Nacht bis dahin!“

„Gute Nacht!“

Ich ging. Ich war ganz glücklich, daß ich wieder einmal bei ihr sein durfte, und schaute alle fünf Minuten nach dem Bodenfenster. Sobald ich Licht dahinter bemerkte, machte ich mich auf.

„Wo soll es denn hingehen?“ fragte der Meister. Er hatte meine Unruhe beobachtet.

„Hinüber!“

„So! Na, ich will Ihn nicht weiter warnen; Er weiß ja selber, was Er zu thun hat!“

Durch die Läden war nichts Verdächtiges zu bemerken; ich benutzte also meinen Hausschlüssel und trat in die Stube. Da ich nicht wußte, wo das Zunderzeug stand, konnte ich die Lampe nicht anbrennen, aber durch das Tasten überzeugte ich mich, daß keine Seele in dem Raume sei. Zur Sicherheit verriegelte ich die Thür von innen — Emma konnte ja leise klopfen — und ging nach der Backstube. Hier war es wärmer, und ich beschloß, mich auf den Backofen zu setzen, wo ich in aller Gemüthlichkeit warten konnte, bis sie kam.

Es hatte hier wirklich viel zu thun gegeben. Die große Beute war mit Brodmehl gefüllt und an ihren beiden Enden der Sauerteig angemacht worden; auf einigen Stühlen standen zwei kleinere Backtröge für den Kuchenteig und auf ebener Diele ein dreielliger Trog für den Semmelteig. Sehen konnte ich das freilich nicht, sondern nur fühlen, und an dem eigenthümlich süßlichen Geruche merkte ich zugleich, daß die Hefe in den Trögen schon zu gähren angefangen hatte.

Also ich steige hinauf auf den Backofen und will es mir eben so bequem wie möglich machen, da höre ich es neben mir rascheln; es packt mich Jemand bei der Kehle, setzt mir die Kniee auf die Brust und ruft:

„Heinrich, Fritz, kommt herein; ich hab’ ihn!“

(Schluß folgt.)

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Die Laubthaler.

Humoreske von Karl May.

(Schluß.)

Das war der Obermeister. Er hatte die Emma oben eingeriegelt, daß sie gar nicht kommen konnte, den Gesellen und den Lehrjungen in den Flur postirt und mich hier erwartet. Ein Glück war es, daß ich die Thür verriegelt hatte; die Gehilfen konnten nicht herein. Aber was nun thun? Reden durfte ich nicht, damit er mir nichts beweisen konnte, wenn die Sache ja eine ungeschickte Wendung nahm; Gewalt wollte ich auch nicht gebrauchen; er war ja der Vater von meinem Mädchen, — und ausreißen? Ja, das war nun so ein Ding! Zu fürchten brauchte ich mich nicht sehr; aber der Spectakel, der Mordspectakel, der dabei entstehen mußte, und dazu waren die Thüren alle verschlossen; ich konnte doch unmöglich den Schlüssel in aller Gemüthsruhe aus der Tasche langen und mir während des Aufschließens

den Buckel vollprügeln lassen, worauf es jedenfalls am meisten abgesehen war! Es war wirklich eine bedenkliche Lage.

Und dabei drückte mir der Obermeister die Gurgel zusammen, als ob er einen Raubmörder unter sich hätte; die Luft wollte mir ausgehen, und weil das Ersticken niemals nach meinem Geschmacke gewesen ist, so faßte ich ihn doch endlich unter den Armen, hob ihn empor und legte ihn zur Seite, so daß ich wieder athmen konnte. Ich hatte dabei meine ganze Kraft nicht aufgewendet, und doch schrie er, daß man es drei Häuser weit hören konnte:

„Hilfe, Hilfe! So macht doch nur, daß Ihr hereinkommt!“

„Ja, Meister, wir können doch nicht; die Thür ist ja verriegelt!“

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„So hebt den Schieber aus und kommt durch die Fußgrube!“

Alle Teufel, das war gefährlich! Wenn sie durch das Loch, durch welches der fertige Teig hinaus in den Backofen gereicht wird, hereinkamen, so war ich verloren. Ich gebe also dem Hilbert einen Klaps, daß er eine Strecke weit fortkugelt, und springe vom Backofen herunter, aber — Prosit die Mahlzeit! — nicht etwa auf die Diele, sondern in den einen Backtrog, der da auf den Stühlen steht. Das alte Möbel kommt natürlich ins Wackeln; ich fahre mit den Händen in der Luft herum, als wolle ich Mücken fangen, kann aber das politische Gleichgewicht nicht wiederfinden, falle also vornüber und schlage wie ein Dampfhammer in den zweiten Backtrog. Der hat sich das Ding auch nicht vermuthet und fährt vor Entsetzen so ganz außer Rand und Band, daß wir im nächsten Augenblicke alle Sieben miteinander und durcheinander unten auf dem Boden liegen, nämlich vier Stühle, die zwei Backtröge und ich.

Na, so eine Weihnachten! Ihr könnt Euch den Heidenscandal gar nicht vorstellen! Die beiden Kerls in der Fußgrube denken, die Welt geht in der Stube unter, und schreien, was sie nur schreien können; der Obermeister trompetet vor Wuth wie ein Elephant und kommt vom Backofen heruntergeschossen; natürlich will er mich wieder bei der Parabel nehmen, geräth aber mit den Beinen in das umgestürzte Backmagazin und fällt mitten hinein, so daß er wieder gerade auf mich zu liegen kommt. Der Geselle hat unterdessen den Schieber geöffnet und steckt schon mit dem halben Leibe in der Stube; der Lehrjunge schiebt helfend nach; ich muß mich also zu salviren suchen und springe auf. Hilbert aber hat sich an mir festgeklammert, und ich kann ihn wirklich nicht anders los werden, als daß ich ihn oben und unten anfasse und in den dreielligen Semmeltrog einquartiere. Ehe er sich aus dem alten Kasten herausfindet, bin ich im Flur und lange nach dem Hausschlüssel. Aber damit ist’s nichts. Der Nachtwächter hat seinen Umgang gehalten, den Lärm gehört und Succurs geholt. Es donnert vorn und hinten an den Thüren, und von oben kommen nun auch die aus dem Schlafe geweckten Hausleute die Treppe herunter. Sapperlot, wohin soll ich um Tausendwillen nur fahren? In die Küche, weiter giebt es keine Rettung!

Ich reiße also die alte, morsche Thür auf, daß sie aus den verrosteten Angeln fährt und auf eine hölzerne Stellage fällt, auf der sich eine Menge von allen möglichen thönernen Töpfen, Schüsseln, Torten- und Pfannenkuchenformen befindet. Das giebt ein Geprassel, daß Einem Hören und Sehen vergehen möchte; ich aber kann mich um die heillose Verwirrung, die ich angerichtet habe, gar nicht bekümmern, sondern springe auf den Heerd und stecke im nächsten Augenblicke droben im Rauchfange auf der Räucherstange, wo ich so häuslich wie möglich mich einzurichten suche. Mittlerweile hat sich Hilbert aus dem Troge gemacht und die Thür geöffnet. Beim Scheine der Lampen und Laternen findet man sofort meine Spur, weil ich bei jedem Schritte Stücke von dem mir anklebenden Kuchenteige verloren habe, und nun steht die Rotte Korah, Dathan und Abiram unten in der Küche und reißt alle möglichen schlechten Witze über mich. So hänge ich also droben und lasse den ungebackenen Rosinenkuchen mir langsam an den Beinen herunterlaufen, so daß er Klex auf Klex mir von den Füßen tropft.

„Will Er wohl herunterkommen?“ ruft der ergrimmte Obermeister.

Ich antworte nicht.

„Ich frage Ihn, ob Er sofort herunterkommen will!“

Ich gebe keine Antwort.

Darüber geräth der über und über bekleisterte Mann in neue Wuth, steigt auf den Heerd und langt mit den Händen in den Schornstein. Ich halte mich an der Räucherstange fest und schüttele mit den Beinen, so daß die Tigtropfen wie ein Hagelwetter auf ihn niederschlagen. Er spring zurück und ruft den Lehrjungen.

„Fritz, geh’ in den Schuppen und bring’ dürres Karloffelkraut herbei; ich will den Kerl schon noch herunterkriegen!“

Jetzt wird die Sache bedenklich; aber hinunter gehe ich nicht und sollte ich doppelt geschmort, dreifach gebacken und zehnfach

gebraten werden! Ich hebe also die Räucherstange aus und schiebe mich mit den Knieen, Ellenbogen und Achseln nach Schornsteinfegerart in die Höhe. Das ist nun freilich eine schlechte Passage; ich muß die Augen schließen; denn der Ruß wirbelt nur so um mich herum, und jetzt — wahrhaftig, jetzt fängt es unter mir an zu knistern und zu prasseln; der Rauch dringt mir in Mund und Nase; ich nehme also meine zwei Gedanken zusammen, und husch, husch, husch! geht es empor, als hätte ich eine Dampfmaschine von dreißig Pferdekräften vorgespannt. Oben fahre ich hinaus und ducke mich so viel wie möglich hinter dem Essenkopfe zusammen.

Ja, da standen sie — vorn auf der Gasse und hinten in Hof und Garten, und von Minute zu Minute wurde der Haufe größer. Zwar konnte ich nichts erkennen, denn die Nacht war stockrabendunkel; aber was gesprochen wurde, das verstand ich desto besser.

„Was ist denn los?“ fragte Einer. Es war der Bäckerjakob.

„Es ist Jemand mit Dietrichen bei mir eingebrochen,“ antwortete der Obermeister, der mich gern so tief wie möglich in die Tinte bringen wollte; „ich bin aber dazu gekommen, und da hat er sich durch die Feueresse aufs Dach retirirt. Nachbar Schwalbe, besetzt Eure Bodenkammern, daß er nicht hinein kann!“

Da gab es nun freilich keine Zeit zu verlieren; denn durch das Nachbarhaus ging der einzige Rettungsweg, und so kletterte ich denn an dem Firste hin, um dem Schwalbe mit seinen Leuten womöglich zuvor zu kommen. Es war bei Frost und Glätte ein lebensgefährlicher Weg; aber er gelang. Das Nachbarhaus war etwas höher, und ich mußte mich also aufrichten, um hinüber zu kommen. Kaum aber hatte ich mich auf die Kniee erhoben, so prasselten die angefaulten Schindeln unter mir, und ich fuhr mit dem einen Beine durch das Dach.

„Horcht, er bricht beim Schwalbe in die Kammer!“ rief Hilbert. „Kommt rasch; jetzt kriegen wir ihn!“

Da hinüber durfte ich also nicht. Mit einigen kräftigen Stößen machte ich das Loch so weit, daß ich hindurch konnte, und stieg hinein. Nun schnell die Treppen hinunter und mitten durch die Gaffer hindurch gesprungen!

Ich suchte also nach einem Ausgange. Aber — was war denn das? Hier Mauer und da Mauer, so eng, daß es kaum eine Elle breit Zwischenraum gab, und oben darüber weg das Dach. Bei dieser Untersuchung stieß ich an etwas Hartes. Ich bückte mich; es war ein Topf, oben fest zugebunden und so schwer, als ob er mit Blei ausgegossen wäre.

Da durchzuckte mich ein Gedanke, ein Gedanke — hurrjesses, wenn das dem Hilbertludwig seine Laubthaler wären! Rasch riß ich Band und Leinwand los und griff hinein. Alle neunundneunzigtausend Hefenklöße! Es war Geld, gutes rundes Geld, Silber, vielleicht wohl gar auch Gold dabei! Na, Obermeister, Du kannst allen Heiligen danken, daß ein solcher Spitzbube bei Dir eingebrochen ist, und wahrhaftig, da steht noch einer — und noch einer; na, Emma, freu’ Dich; denn jetzt bin ich Derjenige, welcher Deinen Vater im Sacke hat!

Ich stecke mir also alle Taschen voll, steige wieder hinaus aufs Dach und krieche zurück bis an die Esse. Eins, zwei, drei, bin ich hinein und fahre zwanzigmal rascher hinunter, als es hinaufgegangen ist. Kein Mensch denkt, daß mich der Klapperstorch wieder durch den Schornstein bringen werde, und so komme ich ungesehen bis an die Stubenthür, die ich öffne, um ganz ungenirt einzutreten.

„Alle guten Geister —!“ schreit es mir entgegen, und Alles reißt vor mir aus, hinaus in die Bäckerei und hinauf auf den Backofen. Ich sah allerdings wie der leibhaftige Teufel aus; erst der weiße Teigüberzug, nachher eine Rußhaut, dann das Schindel- und Ziegelpulver und endlich noch einmal durch den Schornstein; das war eine Kruste, wie sie sich der Gottseibeiuns nicht schöner wünschen konnte, — und in der Backstube, da lag noch Alles über dem Haufen, die Stühle, die Backtröge, das Mehl, der Teig, und die da oben auf dem Ofen hatten sich in den äußersten Winkel zusammengedrückt und dachten, ihre letzte Stunde sei gekommen: die Emma, ihre Mutter, der Geselle, der Lehrjunge und die Magd.

Da geht die Stubenthür auf, und wer kommt her ein? Der

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Obermeister und mein alter Bäckerjakob. Er hat sich gleich gedacht, wer der Spitzbube sein mag, hat den Hilbert in das Haus zurückgetrieben und alle Thüren verschlossen, so daß uns Niemand stören kann.

„Da ist er ja, der Halunke!“ ruft der Obermeister, als er mich erblickt, und will rasch wieder hinaus, um Hilfe zu holen. Ich aber habe ihn schon beim Arme, schiebe ihn hinter den Tisch und drücke ihn so kräftig auf den Stuhl, daß er sitzen bleibt, als wäre er angenagelt. Die Sache war eigentlich keine lustige; aber als ich ihn nun so dasitzen sehe, da muß ich wirklich gerade hinauslachen; der Mann sah in seinem Teigüberzuge doch gar zu possirlich aus. Mein Gelächter ergrimmt ihn; er springt also auf und ruft:

„Ich glaube gar, Er Galgenschwengel will mich auch noch auslachen! Ich werde Ihm aber —“

„Halt!“ falle ich ihm in die Rede. „Wartet erst ab, was ich Euch zu sagen habe. Da guckt Euch einmal das Ding hier an!“

Dabei greife ich in die Tasche und werfe eine von den Münzen auf den Tisch. Rasch greift er danach, betrachtet sie, läßt sie auf den Tisch klingen, sieht mich ganz verdutzt an und fragt endlich:

„Was soll denn das, he?“

„Da guckt Euch auch den an, und den — den — den — den —!“ sage ich. Er hat auf einmal seinen Grimm vergessen und fährt mit allen zehn Fingern nach dem Gelde.

„Aber ich frage Ihn doch, was das soll, he!“

„Und den — den — den — den!“ Und dabei werfe ich einen Thaler nach dem anderen auf den Tisch, bis die Taschen leer sind.

Das ist ihm denn doch zu viel. Er steht auf und macht ein Gesicht, als wäre ich der Satan und wolle ihn um Seele und Seligkeit bringen; auch der Bäckerjakob reißt den Mund auf, als wolle er einen Walfisch todtbeißen, und die Anderen machen Augen wie die Wagenräder.

„So,“ sage ich weiter, „das sind lauter alte, gute französische Laubthaler, das Stück zu einem Thaler siebzehn Groschen und sechs Pfennigen; die hat der Hilbertludwig anno Vierzehn mit aus Frankreich gebracht, und wer drei große Töpfe voll davon haben will, der mag nur zu mir kommen. Gute Nacht!“

Damit drehe ich mich um und will zur Thür hinaus. Aber da komme ich schön an.

„Halt!“ schreit der Obermeister, daß die ganze Stube wackelt. „Komm Er einmal her!“

Ich drehe mich langsam um.

„Was giebt’s denn noch?“

„Wo hat Er das Geld her?“

„Das ist meine Sache! Aber wenn Ihr Verstand annehmen wollt, so können wir morgen einmal davon reden.“

„Morgen? Nein — heute — jetzt, sogleich will ich es wissen! Ich bin der Erbe; es gehört mir!“

„Und ich bin der Finder. Holt es Euch doch einmal ohne mich!“

„Na, was verlangt Er denn als Finderlohn?“

„Nicht viel; bloß die Emma.“

„Er ist verrückt! Packe Er sich hinaus!“

„Gut, den Gefallen kann ich Euch schon thun!“

Ich gehe, bin aber noch nicht bis an die Thür, so hat er mich ergriffen und zieht mich wieder zurück.

„Sei Er einmal gescheid! Wo ist das Geld?“

„Seid einmal gescheid! Krieg’ ich das Mädel?“

„Die bleibt jetzt noch ledig!“

„Die Töpfe bleiben auch noch steh’n!“

„Kerl, ich bringe Ihn zur Anzeige!“

„Daraus macht sich ein Luftikus nichts. Ihr wißt, was ich meine, Herr Obermeister!“

„Ach, das habe ich nicht so gemeint. Er sah auch damals schäbig genug aus; jetzt aber weiß ich, daß Er ein fleißiger und tüchtiger Bäcker ist. Ich bitte es Ihm ab!“

„Gut, so gebt mir die Emma! Ich übernehme die Bäckerei und Ihr den Getreidehandel, und ich sage Euch, Ihr macht kein schlechtes Geschäft dabei! Die Brautschau morgen bringt Euch kein Heil!“

Jetzt mengt sich auch der Jakob in die Sache; die Meisterin steht ihm getreulich bei, und die Emma legt sich mit mir aufs Bitten. Er ist im Grunde kein harter Mann, springt endlich auf und ruft:

„Na, da nehmt Euch meinetwegen, wenn Er mir sagt, wo das Geld ist!“

„Gut, Herr Obermeister! Eingeschlagen!“

„Topp!“

„Und zu Ostern ist die Hochzeit?“

„Ja, ja; meinetwegen schon am Charfreitage!“

„Da brennt Euch rasch ein paar Laternen an!“

Das geschieht, und nun steigen wir die zwei Treppen hinan, Eins hinter dem Anderen: erst ich, hinter mir der Obermeister, dem der Bäckerjakob folgt, dann kommt Mutter und Tochter, nachher der Geselle, endlich die Magd und ganz zu allerletzt der Lehrjunge. So geht es hinauf bis auf den Hahnebalkenboden, wo ich an die Mauer leuchte.

„Da sind wir. Nun sucht einmal, ob Ihr ’was findet!“

Natürlich finden sie nichts, und so zeige ich denn auf die Wand.

„Seht einmal her! Das habt Ihr für die Brandmauer zwischen Euch und dem Nachbar Schwalbe gehalten; es ist aber nur eine dünne Ziegelwand, die der Ludwig hergestellt hat, um sein Geld zu verstecken.“

Ich stoße mit dem Fuße die aufs Hohe gestellten Lehmziegel ein; der Zwischenraum wird sichtbar, und wie die Spinne auf die Fliege, so fährt der Obermeister nach den Töpfen. Jedes will zuerst hineingucken; er aber drängt sie Alle fort und sagt:

„Hier nicht. Kommt hinunter in die Stube; da ist’s bequemer!“

Die Töpfe werden gepackt, er einen, ich einen und der Jakob einen. Als wir in den Flur kommen, klopft der Gerichtsdiener an die Hausthür und will wegen dem Einbrecher herein. Hilbert fertigt ihn kurz ab, und nun geht es in die Wohnstube. Da hängt der Himmel voll Baßgeigen; zum Aufräumen ist keine Zeit; wir haben mehr zu thun; es wird gegessen und getrunken, geschwatzt und gelacht, gejubelt und — Geld gezählt, und als ich endlich aufbrach, da haben sich die beiden Teigpanzermänner umärmelt, und der Obermeister hat gemeint:

„Potschappler Franz, ich habe mich sehr in Ihm geirrt; ich glaub’, es muß da hinten doch recht wackere Leute geben! Was meinst Du, Jakob?“

„Hm, bin ja auch dort gewesen und habe zwei volle Jahre da in der Gegend von Potschappel in Arbeit gestanden. War eine schöne Zeit und hab’ sie nie vergessen. Jetzt aber komme Er, Franz; meine Alte muß auch erfahren, wie Er zu der Emma und der Obermeister zu seinen Laubthalern gekommen ist!“