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Die beiden Nachtwächter.

HumoreskevonKarl May.

I.

Wer da etwa glaubt, daß blos der Adelige seine Ahnen zählt und mit Stolz von den Verdiensten seiner Vorfahren spricht, der befindet sich in einem gar gewaltigen Irrthume, denn die Pietät, welche so gern nach rückwärts blickt auf die Reihe der Ureltern, um ihrem Beispiele nachzuahmen, ist einem jeden Menschen eigen, nur bei dem Einen mehr oder weniger ausgeprägt als bei dem Andern, und vom Kaiser bis herab zum Nachtwächter durch alle Abstufungen der Gesellschaft zu bemerken.

Bis herab zum Nachtwächter?

Jawohl! Und wer das etwa nicht glaubt, der mag nur nach Ammerstadt oder nach Wummershausen gehen, um von der Wahrheit der obigen Behauptung vollständig überzeugt zu werden.

Beide Städte liegen etwas über zwei Stunden weit von einander entfernt, und die Verbindung zwischen ihnen wird durch einen Stellwagen erleichtert, welcher täglich zwei Mal hin und zurück geht. Die Straße, welche er dabei zu benutzen hat, ist zu beiden Seiten mit hohen Pappelbäumen eingefaßt, geht immer in schnurgerader Richtung fort und würde auch nicht die mindeste Abwechslung bieten, wenn sich nicht gerade auf der Hälfte des Weges ein Wirthshaus präsentirte, auf dessen Schilde in vielfach verwitterten Lettern die Inschrift „Gasthof zur goldenen Ente“ zu lesen ist.

In Ammerstadt, ganz draußen im letzten Hause, wohnt der ehrsame Schuhmachermeister Hillmann, welcher von den Vätern der Stadt mit dem wichtigen Amte betraut worden ist, über das nächtliche Wohl seiner lieben Mitbürger zu wachen, und in Wummershausen, ganz draußen im letzten Hause, wohnt der ehrsame Schneidermeister Bachmann, welcher von Abends Zehn bis früh vier Uhr zu sorgen hat, daß nichts geschehe, was dem Glücke der ihm anvertrauten Mrnschenkinder [Menschenkinder] Gefahr bringen könnte.

Hillmann und Bachmann, das ist nicht etwa nur so von ungefähr, sondern die beiden Nachtwächter sind auch wirklich Männer, die etwas zu bedeuten haben, und es ist wahrhaftig kein Spaß, für die Sicherheit einer ganzen Stadt die Verantwortung zu tragen. Und diese Verantwortung ist nicht etwa erst neueren Datums, sondern sie hat auf den Familien gelegen, schon seit Menschengedenken, da die Hillmanns in Ammerstadt und die Bachmanns in Wummershausen das Nachtwächteramt bekleidet haben, so lange überhaupt von einem Hillmann oder Bachmann die Rede gewesen ist. Ist es daher ein Wunder, daß sie stolz sind auf die Wohlthaten, welche von ihren Familien ausgegangen sind, und daß sie ihren Dienstspieß als eine Reliquie betrachten, welcher mehr Ehre gebührt, als selbst dem berühmten Backzahne des heiligen Laurentius?

Heut ist der zweite Weihnachtsfeiertag. Draußen schneit es, was nur immer vom Himmel herunter will, drin in der Stube aber knistert und pustet es in dem alten Kachelofen, hinter welchem auf dem Großvaterstuhle ein Mann sitzt, den wir uns etwas näher betrachten müssen. Lang und dürr, ja, fast übermäßig lang und dürr ist die hagere, ausgetrocknete Gestalt; lang und dürr sind die

beiden Beine, welche in einem Paar Lederhosen stecken, die früher einmal schwar gewesen sind; jetzt aber in allen möglichen Farben schimmern; lang und dürr sind die Arme, mit denen er, jetzt gerade in einer Rede begriffen, wie mit Windmühlenflügeln in der Luft herum gestikulirt; lang und dürr ist auch das Gesicht, aus welchem eine Nase hervorragt, deren scharfen Rücken man sofort als Rasirmesser benutzen könnte, während die graden und dünnen Lippen und die kleinen, unruhig funkelnden Augen auf einen Charakter schließen lassen, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Lang und dürr ist Alles an ihm, nur nicht das zweifelhafte Kleidungsstück, welches nicht viel mehr als die Hälfte seines Oberkörpers bedeckt, und in ein Paar Aermel mündet, welche die gefährliche Passage über den spitzen Ellbogen hinweg schon seit langer Zeit nicht mehr gewagt zu haben scheinen.

Dieses Ding war zu Urgroßvaters Zeiten einmal ein Pelz und hat gar manchen, manchen Sturm erlebt, was am Ende nicht viel zu bedeuten hätte, denn so eine alte, gutwillige Schafhaut vermag schon etwas auszuhalten, aber — die Motten, die unglückseligen Motten, die haben den Amtspelz der Hillmänner von jeher zu ihren Sommerlogis gemacht, und da sie immer eine besondere Vorliebe für die untere Parthie desselben hatten, so waren dort regelmäßig mit Anfang Dezember die Haare verschwunden, der zerfressene Streifen mußte abgeschnitten werden, der Pelz wurde von Jahr zu Jahr kürzer und stieg endlich an der langen Gestalt seines jetzigen Besitzers so weit in die Höhe, daß zwischen seinem untern Saume und der Hosenschnalle ein zärtliches Verhältniß entstand, welches bei den Angehörigen des Nachtwächters ein solches Aergerniß erregte, daß sie sich entschlossen, dem Gatten und Vater einen neuen Pelz zum heiligen Christe zu geben.

Da aber waren sie schön angekommen, denn der Beschenkte erblickte in der Liebesgabe eine Realinjurie auf das bisher so heilig gehaltene Erbmottenquartier und befand sich eben jetzt dabei, diesem Letzteren eine feurige Lobrede zu halten.

„Ja, ja, so geht’s! Zwölf Hillmanns, hört Ihrs, ein ganzes Dutzend Hillmanns sind hinter einander Nachtwächter gewesen und haben den Schafpelz getragen und in Ehren gehalten; Keinem ist er zu kurz gewesen, und mir auch nicht, denn was ihm eigentlich an der Länge fehlt, das habe ich zu viel, und nun plötzlich soll er nicht mehr gut genug sein? Heiliger Knieriem, ich weiß schon, worauf das hinzielt!“

„Worauf anders solls denn hinzielen,“ sprach die Frau, welche am Tische saß und strickte, „als daß Du des Nachts nicht mehr so frieren sollst!“

„Frieren? Wer hat Euch denn weiß gemacht, daß michs friert, mich, den dreizehnten Hillmann? Nichts da — mich macht Ihr nicht dumm! Weil der Bachmann, der Großthuer, vor’m Jahre von seinem Mädel einen neuen Pelz gekriegt hat, soll ich nun auch mich mit einem so unnützen und theuren Dinge in der Welt herumschleppen. Heiliger Knieriem, daraus wird nichts! Euch zu Liebe will ich ihn heut noch einmal anziehen, dann aber ists ab!“

„Ich weiß gar nicht, was Du nur immer mit dem Bachmann hast! Der wohnt in Wummershausen und Du in Ammerstadt; Ihr geht Euch einander nichts an, und — —“

„Thu doch nur nicht, als ob DU nichts wüßtest! Aber Ihr sollt Euch alle Beide noch verrechnet haben mit Euren saubern Plänen, die Ihr da hinter meinem Rücken schmiedet!“

„So! Was wären denn das wohl für Pläne?“

„Höre, bringe mich nicht in die Wolle zum zweiten Feiertage! So eine Frau thut, als könne sie kein Wässerchen trüben, und dabei hat sie es hinter den Ohren und hilft dem Jungen noch in seinen Dummheiten.“

„Aha, jetzt komme ich auch an die Reihe!“ klang es vom Fenster her, wo der Sohn Hillmanns, ein hübscher, kräftiger, etwa zweiundzwanzigjähriger Bursche stand.

„Ja freilich kommst Du auch noch an die Reihe, Du Taugenichts — oder willst Du mir etwa sagen, von wem Du die schönen gestickten Hosenträger gestern geschenkt bekommen hast?“

Der junge Mann konnte eine leichte Röthe nicht verbergen, welche sein Gesicht überzog, und verzichtete auf eine Antwort.

„Nun? Warum wirst Du roth? Warum stehst Du nicht Rede und Antwort? Nicht wahr, ich habs getroffen? Denkst Du denn, ich hätte das M. B. nicht gesehen, was mit draufgestickt ist, und wüßte nicht, daß das „Minna Bachmann“ heißen soll?“

„Aber was hast Du denn eigentlich gegen das Mädchen?“ fragte der Sohn.

„Gegen das Mädchen? Heiliger Knieriem, nicht nur gegen das Mädchen habe ich ’was, sondern die ganze Sippschaft kann mir gestohlen werden! Ihr Alter bildet sich Wunder was darauf ein, daß er der vierzehnte Bachmann ist und ich erst der dreizehnte

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Hillmann; ein einziger Bachmann wäre ebenso viel werth wie zehn Hillmänner, hat er gesagt, und über meine neue Schnarre hat er sich auch sehr lustig gemacht und mich deshalb einen Bretzeljungen genannt. Soll ich das etwa ruhig hinunterschlucken? Uebrigens sind schon zur Zeit des starken August1) die Hillmänner den Bachmännern nicht grün gewesen; im siebenjährigen Kriege2) haben zwei neben einander gedient und sich wegen eines Mädchens bald todtgeschlagen; nachher, als die Franzosen gekommen3) sind, ists wieder so gewesen; da ist in der Schlacht bei Leipzig4) ein Hillmann — und das war der Großvater, Gott habe ihn selig — mit übergegangen, und ein Bachmann — das war auch dem jetzigen sein Großvater — bei Napoleon geblieben, und das hat später vielen Streit gemacht. Und jetzt — jetzt, da ists rein ganz aus, ich bin nationalliberal und er hälts mit dem Fortschritt,5) wie ich mir habe sagen lassen. Hahahaha, Fortschritt — und lacht über meine Schnarre! Ich als Nachtwächter kann doch gar keinen größern Fortschritt machen! Mag der Kerl immerfort in sein Ochsenhorn hineinduten, aber mich laßt in Ruhe mit ihm!“ — —

Gerade um dieselbe Zeit saß auch Bachmann hinter seinem Ofen, hatte die fetten Hände um das dicke Bäuchlein — ein seltsames Naturstück bei einem Schneider — geschlungen, sah behaglich dem Treiben der Schneeflocken zu und warf dann zuweilen zur Abwechslung einen liebevollen Blick auf die beiden Frauen, welche eben bemüht waren, einen warmen Kaffee nebst Zubehör auf den Tisch zu stellen.

„’S ist doch nirgends schöner in der Welt, als im Bette und hinter dem Ofen!“ sagte er. „Wenn man bei solchem Heidenwetter die ganze Nacht da draußen herumlaufen muß, da merkt mans erst, was ein Bett und ein Ofen in der Weltgeschichte zu bedeuten hat. Es geht doch nichts über etwas Warmes, besonders im Winter!“

„Da hast Du Recht, Alter! Drum komm her, ehe der Kaffee wieder kalt wird!“

Er folgte der freundlichen Aufforderung seiner sorgsamen Hausfrau, und die Beharrlichkeit, mit welcher er zulangte, zeigte, wie trefflich ihm der Weihnachtskuchen mundete.

„Das ist aber doch keiner von Unsern?“ fragte er, ein ganz besonders appetitliches Stückchen, welches er eben in seiner Hand behielt, betrachtend.

„Der ist vom Herrn Bürgermeister. Er schickte vorhin einen ganzen Teller voll für das hübsche, neue Lied, was Du gestern Abend gesungen hast.“

„Ach so!“ rief er lachend. „Na, da hat mir die Schnurre doch ’was eingebracht!“

„Was wars denn für ein Lied?“ fragte die Tochter neugierig.

„Habs selber gemacht; wirst’s schon auch noch hören!“

„Ja,“ meinte die Frau stolz, „so ein Nachtwächter ist ’was werth, der sich seine Lieder selber machen kann. Da kann man Jedem vor seinem Fenster ’was singen, was er gern hört und was auf ihn paßt, und darum haben sie Dich auch alle so gern. Ich glaube, das hat noch kein Hillmann zusammengebracht.“

„I bewahre. Die zwölf Hillmänner sind ganz brave Leute gewesen, aber eine poetische Ader hat Keiner gehabt, und der jetzige, der dreizehnte, erst recht nicht. Ich möcht nur wissen, wie man mit so einer dummen Holzschnarre laufen kann; das hat weder Saft noch Kraft!“

„Ich kenne ihn noch gar nicht so recht; aber sein Sohn, der Eduard soll ein braver und auch ein schmucker Bursche sein.“

„Soll?“ fragte Bachmann mit einem pfiffigen Gesichtsausdrucke. „Höre, Alte, Du willst doch nicht etwa erst jetzt anfangen, mir Flattusen vorzumachen! Wer hat denn am Tage vor dem heiligen Abende hier an dem Tische mit Rosinen gelesen, he? Wer ist denn nachher in Wummershausen in den Metten gewesen — giebts etwa in Ammerstadt keine Kirche? Wer hat denn gestern da der Minna die neuen goldenen Ohrglocken zum heiligen Christ gegeben, he? Und wer will denn heut Abend in die „goldene Ente“ kommen, wohin unser junges Volk zu Balle läuft, und wenns meinetwegen unterwegs Heugabeln schneit? Na, so antworte doch!“

Trotz dieser Aufforderung blieb sie die verlangte Antwort schuldig, und auch das Mädchen blickte verlegen vor sich nieder.

„Ja, da sitzt Ihr nun und könnt nicht bis Drei zählen! Ihr denkt Wunder, wie gescheidt Ihrs angefangen habt! Aber ein Bachmann läßt sich nicht so leicht an der Nase herumführen.“

„Na, so zanke nur nicht, Alter! Wir habens ja nicht bös gemeint.“

„Zanken, das fällt mir gar nicht ein,“ meinte er gutmüthig. „Mit Euch kommt man damit nicht weit. Aber denken konntet Ihr es Euch doch, daß ich es endlich auch erfahren mußte.“

„Wir wollten erst sehen, wie’s der Eduard meint, ehe wir direkt was davon sagten.“

„Papperlapapp, der meints natürlich ehrlich! Das habt Ihr gleich von Anfang an gar nicht anders gedacht, denn bei Euch Weibsleuten meint’s eben ein Jeder ehrlich. Na, ich kann gegen den Jungen gar nichts haben und menge mich auch gar nicht in die Geschichte. Habe mehr zu thun, als mich um Eure Liebelei zu bekümmern. Aber viel wird nicht daraus werden, denn der Hillmann kann nun einmal die Bachmänner nicht leiden, und was der will, das will er. Der hat seinen Kopf für sich!“

II.

Es war am Abend desselben Tages. Die Uhr an der Wand zeigte einige Minuten vor zehn Uhr; draußen wehte kein Lüftchen durch die Nacht, aber der Schnee fiel so dicht, daß es nicht möglich war, auch nur auf einige Schritte Entfernung hin den Flockenschleier zu durchdringen.

Bachmann hüllte sich in seinen Pelz, setzte die Pfeife mit dem großen Meerschaumkopfe in Brand, fuhr mit den beiden Händen in die dicken Fausthandschuhe und griff sodann nach Spieß und Horn.

„Gute Nacht, Mutter! Lege Dich ruhig nieder, aber laß mir das Mädel nicht zu lange draußen in der Kälte stehen, wenn sie vom Balle kommt.“

„Keine Sorge, Alter; werde es schon hören, wenn sie klopft! Aber willst Du Dir denn nicht ein Stückchen Kuchen mitnehmen? Ich weiß, Dir geht nichts über den Kuchen, und bis früh vier Uhr ists eine gar lange Zeit; da kann man schon hungrig werden.“

„Danke! Spare Deine guten Sachen; ich weiß mir schon zu holen, was ich brauche. Gute Nacht!“

„Gute Nacht!“ antwortete sie und begleitete ihn hinaus, um die Thür von innen zu verriegeln. Aber, in die Stube zurückgekehrt, machte sie nicht etwa Anstalt, sich schlafen zu legen; vielmehr schob sie einige Schaufeln Kohlen in den Ofen, griff zu dem Strickstrumpfe, und ließ bald durch das geschäftige Klimpern der Nadeln vermuthen, daß sie das vorhin erwähnte Klopfen wohl schwerlich überhören werde.

Unterdessen schritt Bachmann die Gasse entlang und setzte, als jetzt der zehnte Stundenschlag vom Kirchthurme erklang, das Horn an den Mund, um seinen musikalischen Verpflichtungen nachzukommen.

„Dut — hat Zehn geschlagen — Lobt Gott den Herrn!“ klang es durch die stille, weißgefärbte Nacht; dann setzte er seinen Weg weiter fort. Hier auf dem äußersten Punkte der Stadt war er nicht gewillt, seine Virtuosität zu zeigen, darum machte er es so kurz wie möglich. Der Ort dehnte sich lang hin, und man hatte gerade so zu thun, um in drei Viertelstunden von einem Endpunkte zum andern zu kommen, zumal es für einen Nachtwächter doch fast immer Störungen giebt, die ihn aufhalten.

„Dut — hat Zehn geschlagen — Lobt Gott den Herrn!“ tönte es an der nächsten Gasse. Er zog den Kragen in die Höhe, stopfte den Tabak in der Pfeife nieder und setzte seinen Weg rasch wieder fort. Bei der nächsten Ecke trat er an einen Fensterladen, blickte durch eine Ritze hinein in das hellerleuchtete Zimmer und nickte beifällig mit dem Kopfe.

„Das paßt! Da sitzt die ganze junge Gesellschaft um den Tisch, trinkt Grog und beißt Kuchen dazu. Sapperlot! Ist das nicht Apfelkuchen? Den hat meine Alte heuer nicht. Warte, ich werde Euch ’mal so einen kleinen Wink geben!“

„Du — u — u — ut!“ Diesmal schonte er den Athem weniger als bisher; dann räusperte er sich ein wenig und sang:

„Hört, Ihr Herren und laßt Euch sagen:

Die Glocke, die hat Zehn geschlagen.

Bewahrt das Feuer und das Licht,

Daß der Stadt kein Schad’ geschicht.

Und lobet Gott den Herrn,

Apfelkuchen ess’ ich gern!“

Drin in der Stube erscholl ein lautes Lachen und mit gewichtigem Nachdrucke wiederholte er:

Und lobet Gott den Herrn,           

Apfelkuchen ess’ ich gern!“

Auf diese sehr deutliche Demonstration antwortete von innen ein sehr vernehmliches Klopfen an den Laden.

„Gut; sollst ein Stück haben und auch ein Paar gute Schlucke dazu; aber einen neuen Vers mußt Du noch singen, und gut muß er sein!“

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„Und wer vielleicht in finstrer Nacht

Mit seinem Mädel B’stellmich macht,

Der trolle sich von seinem Schatz

Und geb ihr nun den letzten Schmatz.

Das lange Liebeln thut nicht gut,

Im Bette sichs am Schönsten ruht,

Und treff ich so’nen Freiersmann,

den leucht ich mit der Laterne an!“     

Der so schnell improvisirte Knüttelvers schien das Wohlgefallen der Zuhörerschaft erlangt zu haben, denn bald öffnete sich die Hausthür und eine Stimme rief:

„Na, komm ’rein, alter Bänkelsänger; wirst ein Gläschen vertragen können bei dem Wetter heut!“

Bachmann schüttelte den Schnee von sich und trat in die Stube. Hier wurde seinem dichterischen Talent die lebhafteste Bewunderung gezollt; er bekam den wohlverdienten Kuchen, und man trank ihm von allen Seiten so fleißig zu, daß es ihm schließlich Angst wurde und er die Flucht ergreifen mußte.

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„Verteufeltes Volk!“ brummte er, wieder auf der Straße angekommen; „die hatten es darauf abgesehen, daß ich einen „Spitz“ bekommen soll. Ich glaube, ich habe die Terrine ganz allein ausgetrunken. Na, das wäre eine schöne Geschichte; so ’was soll mir nicht passiren!“

Es war ihm jetzt auf einmal so warm, so eigenthümlich wohl und leicht im Magen und unter der Pelzmütze; die Beine hatten eine ganz andere Spannkraft bekommen; drum ging es auch rasch vorwärts; das Duten war ihm ein wahres Plaisir, und ehe er sich’s versah, stand er auf dem Marktplatze vor dem Rathhause.

Hier sang er seine besten und schönsten Verse, denn drin saßen rund um den Stammtisch die ehrwürdigen Vormünder der Stadt und hatten ihr Wohlgefallen an dem Gesange. Oft wurde er dann hineingerufen und bekam eine mündliche Belobigung und einen Extratrunk als praktische Anerkennung.

Er setzte das Horn an und blies:

„Dut — — hat Zehn geschlagen!“

Nach einem kurzen räuspernden Husten sang er dann so laut wie möglich:

„Und wenn es Zehn geschlagen hat,

Versammeln sich die Herrn der Stadt,

Sie sinnen hin, sie sinnen her,

Es spricht bald Dieser und bald Der.

Und ist das Sinnen und Reden aus,

So gehen sie so klug wie zuvor nach Haus!“

Im Gastzimmer des Rathhauses, wo man ihm aufmerksam zugehört hatte, erhob sich ein schallendes Gelächter über den spaßhaften Hieb, den den „Herrn bei der Spritze“ versetzt hatte, und als er eintrat, wurde er mit lautem Jubel empfangen. Zwanzig — dreißig Gläser hielt man ihm entgegen; er mußte Bescheid thun, er mochte wollen oder nicht. Echt Bairisch, Lager-, Zucker- und einfaches Bier, Nordhäuser, Kümmel, Pomeranzen, Hoffmann’scher, Liqueur, Punsch, Wein, Enzianschnaps und Hoppelpoppel, Alles, Alles mußte über seine widerstrebenden Lippen, und als er wieder ins Freie kam, schaute er sich höchst bedenklich um, denn er konnte gar nicht genau unterscheiden, ob es von oben nach unten scheie oder ob der Schnee von unten nach oben in die Höhe fahre.

„Na, na, na, na!“ machte er. „Ich glaube, der Schnee fällt heut ganz verkehrt!“

Kopfschüttelnd stolperte er in die nächste Straße hinein.

Dort lag der Gasthof zum „schwarzen Bären,“ der Bahnhof für die Stellwagenlinie Ammerstadt-Wummershausen, und vor dem wegen des Schneewetters geschlossenen Thore stand der ehrwürdige Omnibus, dessen Pflichteifer sich die etwaigen Passagiere anzuvertrauen hatten.

„Hm, ich muß mich ein Bischen setzen. So kunterbunt ist mirs in meinem ganzen Leben noch nicht im Bauche gewesen. Das muß ich vorbei lassen, wenns nicht etwa gar die Cholera ist. Na, das wäre die reine Schlechtigkeit, mitten im Winter die Cholera, und noch dazu am zweiten Weihnachtsfeiertage!“

Er suchte nach der steinernen Bank, welche an der einen Seite des Einganges stand, und auf der er manches kurze „Ständchen“ gehalten hatte; aber sie war so überschneit, daß er sich bedenklich abwandte.

„Das geht nicht; da könnt ich mich schön erkälten und zu der Cholera noch einen Schnupfen kriegen, der sich gewaschen hat. ’S ist schon Eins genug von den Beiden! Hm! Da steht der alte Rumpelkasten; der fährt um elf Uhr fort; und jetzt ist es erst halb. Wie wärs, wenn ich mich ein paar Minuten hineinsetzte? Na, besser allemal als hier auf der Bank!“

Er öffnete, kurz entschlossen, die Thür und stieg hinein, zog die Thür hinter sich zu und schmiegte sich behanglich in die Ecke. Die genossenen Spirituosen äußerten jetzt ihre einschläfernde Wirkung, und nach wenigen Augenblicken war der Nachtwächter vom tiefsten Schlafe befallen.

Die Zeit hatte heute keine sonderliche Lust, auf den Schläfer zu warten; sie rückte von Minute zu Minute immer weiter vor, und kurze Zeit vor Elf öffnete sich das Thor des Gasthofes, um nebst Hausknecht und Kutscher die beiden Klepper hindurch zu lassen, welche auf der Linie Ammerstadt-Wummershausen die Stelle der Dampfkraft zu vertreten hatten.

„Pfui Teufel, ist das ein Heidenwetter,“ fluchte der Hausknecht; „Du hast den Schnee wahrhaftig zwei Ellen hoch auf dem Bocke liegen!“

„Alberne Erfindung, so ein Omnibus!“ raisonirte der Kutscher. „Muß ich da nach Ammerstadt fahren, obgleich kein einziger Mensch

drin in der Bude sitzt. Mach, daß Du fertig wirst. In der „goldenen Ente“ wird Einer draufgegossen. Hühü!“

Die Pferde zogen an, und das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung.

Der Schnee hatte sowohl die Schritte der beiden Männer als auch die Hufschläge der Thiere gedämpft, und da man in Anbetracht der herrlichen Schlittenbahn dem Stellwagen die Räder abgenommen und ein paar Schlittenkufen untergeschraubt hatte, so geschah Alles mit einer solchen Ruhe und Geräuschlosigkeit, daß der Schlafende nicht das Geringste merkte.

Wegen des hohen Schnees ging die Fahrt nicht sehr schnell von Statten, dennoch aber nahm sich der Kutscher, bei der „Ente“ angekommen, so viel Zeit, als zum Genusse einiger Nordhäuser gehört. Es ging sehr lebhaft zu. Man hatte von beiden Städten aus Schlittenparthien bis hierher unternommen, und da also Jeder seine gute Gelegenheit für den Retourweg hatte und es auch noch nicht Zeit zum Aufbruch war, so wollte sich Niemand für die Benutzung des Omnibus finden, und dieser setzte seinen einsamen Weg ohne Fahrgast fort.

In Ammerstadt angekommen, hielt er vor dem Gasthofe zum „blauen Stern,“ der Kutscher stieg ab, spannte seine Pferde aus, führte sie in der Stall und ließ den Wagen stehen.

Weder die Bewegungen desselben während der Fahrt noch die Musik, welche vom Saale der „Ente“ auf die Straße schallte, hatten den guten Nachtwächter wach gerufen. Jetzt aber, wo das Fuhrwerk plötzlich stille stand, schien einiges Leben in ihn zu kommen. Er hob den herabgesunkenen Kopf in die Höhe, streckte die Beine aus, erst langsam und unsicher, dann aber energischer, und wollte, zum Bewußtsein seiner Pflicht gekommen, schnell in die Höhe fahren, stieß aber mit dem Kopfe so kräftig an die Wagendecke, daß das alte Gerümpel in allen Fugen krachte und er wieder auf den Sitz zurückfiel.

„Tausendsapperlot, was ist denn das? Wo bin ich denn da hingerannt? Hat der Bärenwirth denn seit heute ein Dach über seine Bank machen lassen?“

Noch immer in dem Wahne, daß er auf der gewohnten Bank sitze, tastete er mit den Händen um sich und fühlte sich von hinten, rechts und links von Wänden eingeschlossen.

„Na, jetzt hört Alles auf! Wo bin ich denn nur eigentlich hingerathen? Das ist ja eine Finsterniß wie in einer egyptischen Mumie! Ich muß mir nur ’mal Licht anbrennen!“

Er zog die Zündhölzer aus der Tasche, strich eins derselben an, und gewahrte nun endlich, wo er sich befinde.

„So dumm! Ich bin doch erst vor ein Paar Minuten hereingekrochen und weiß schon nicht mehr, wo ich stecke. Das macht aber der Grog und der Wein und Schnaps im Rathhauskeller. Na, das soll mir nicht mehr passiren. Es ist nur ein tausendes Glück, daß es noch nicht um Elfe ist, sonst hätte mich der Fritz ertappt, und das wär ’ne schöne Blamage gewesen! Und die Pfeife ist mir auch aus den Zähnen gefallen. Wenn nun der theuere Geburtstagskopf gar noch zerbrochen ist!“

Er hob sie auf und untersuchte sie, so gut sich das im Finstern thun ließ.

„Na, ’s ist Alles noch ganz. Immer noch Glück beim Unglück!“

Damit schob er sich aus dem Wagen hinaus.

Noch immer schneite es so dicht, daß kaum die nächste Umgebung zu erkennen war. Während des zweistündigen tiefen Schlafes hatte sich der kleine Rausch verflüchtigt, und es war ihm nun recht hübsch und wohl zu Muthe.

„Was doch so ein kurzes Nickerchen thun kann! Höchstens fünf Minuten habe ich die Augen zugemacht und bin doch nun wie neugeboren. Aber da ist ja die Ecke!“

„Du — u — u — ut! ’S hat Zehn geschlagen! Lobt Gott den Herrn!“

Er ging weiter und bemerkte gar nicht, daß hinter ihn eine Thür sich öffnete und ein dahinter verstecktes Liebespaar ihm verwundert nachblickte. Die Straße schien ihm zwar etwas länger als gewöhnlich, aber in dem hohen Schnee kannte [konnte] man heut gar nicht so vorwärts kommen und — — aber was war denn das? Da vorn, eine ziemliche Strecke vor sich hörte er den Ton einer Schnarre und gleich darauf die Worte:

„Zwölf geschlagen! Lobt den Herrn!“

„Tausendsapperlot, da will mich Einer foppen. Warte, Bursche, Dich will ich schon erwischen!“

Im Schnellschritt ging es nun vorwärts; aber es war nichts zu sehen, und der Spaßvogel schien sich in ein Haus geflüchtet zu haben. Nur eine lange, hagere Gestalt ging dort einige Schritte vor ihm her. Der Mann wars jedenfalls nicht gewesen, sonst wäre er nicht so langsam und gravitätisch davongestiegen. Vielleicht wars

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der Herr Landrichter; der hatte auch so einen steifen Hahnenschritt.

Aber hier kam wieder eine Ecke; er griff zum Horn und setzte es an.

„Du — u — u — ut!

Hört. Ihr Herrn und laßt Euch sagen,

Die Glocke, die hat Zehn geschlagen;

Verwahrt das Feuer und das Licht,

Daß — —  —“

„Heiliger Knieriem!“ donnerte es ihm da mit solcher Gewalt in die Ohren, daß ihm die „Stadt“ mit dem „Schaden“ sofort im Halse stecken blieb. „Wer ist denn der Tausendsakermenter, der es wagt, hier herumzuduten und die falsche Zeit auszurufen!“

„Tausendsakermenter? — Herumzuduten? — Falsche Zeit? — Was fällt Ihm denn ein, und wer ist Er denn eigentlich, Er Nichtsnutz?“

„Er“ nennt Er mich, und „Nichtsnutz“ dazu? Wart, ich werde Ihm lehren, die Leute aus dem Schlafe zu wecken und mich in meinem Amte da mit Seiner Dute zu beleidigen. Marsch fort ins Loch!“

„In Seinem Amte? — Beleidigen? — Ins Loch? Kerl, ist Er denn verrückt? Ich bin der Nachtwächter Bachmann und werde Ihm zeigen, was arretiren heißt. Vorwärts marsch, ins Loch!“

„Der Nachtwächter Bachmann? Heiliger Knieriem! Was will Er denn hier in Ammerstadt?“

„In Ammerstadt? Tausendsapperlot, denkt Er denn, ich weiß nicht, wo ich bin und wie meine Vaterstadt heißt? Wer ist Er, frag ich noch einmal!“

„Ich? Ich bin der Nachtwächter Hillmann.“

„Der Nachtwächter Hillmann? Was will er denn hier in Wummershausen?“

„In Wummershausen? Hahahaha! Jetzt weiß ich nun, wer von uns beiden der Verrückte ist.“

„Ja ja, ich weiß es auch, und — —“

Er hielt mitten in der Rede inne, denn eben schlug es Eins, erst die vier Viertel auf der kleinen Glocke und dann den Stundenschlag auf der großen. Vor Erstaunen und Ueberraschung vergaß er ganz, den Mund zuzumachen; das waren ja nicht die Wummershausener, sondern die Ammerstädter Glocken!

„Nun, was sperrt Er denn das Maul auf? Es dämmert Ihm wohl jetzt in seinem Kopfe?“

„Tausendsapperlot, da bin ich mit dem Omnibus nach Ammerstadt gefahren und denke immer, ich habe blos fünf Minuten drin geschlafen!“

Jetzt ging Hillmann ein Licht auf, aber zugleich wurde ihm auch noch etwas Anderes klar. Erkannte er nämlich die vorliegende Thatsache an, so mußte er Bachmann laufen lassen, und das lag nicht in seinem Sinne. Jetzt endlich hatte er den Todfeind, den „Vierzehnten“ einmal im Sacke, und er wollte ihn so lange wie möglich drin zappeln lassen.

„So! Also der Bachmann will Er sein? Na, das wird sich ja finden, wer Er ist; jetzt aber komme Er mit!“

„Mitkommen! Fällt mir gar nicht ein! Er ist der Hillmann, das weiß ich nun, und daß Er seinen Racker auf mich hat, obgleich ich Ihm noch nie Etwas zu Leide gethan habe, das weiß ich auch. Es steht auch in Seiner Macht, verdächtige Leute u. s. w. zu arretiren, aber hier ist mein Spieß und mein Horn; daraus könnte Er sehen, wer ich bin, auch wenn ich Ihm nicht persönlich bekannt wäre. Ich bin also sicher und brauche mich nicht einstecken zu lassen.“

„Er ist mir persönlich gar nicht bekannt, und einen Spieß und ein Horn kann sich Jeder verschaffen, der sich einen dummen Spaß machen will. Ich frage Ihn blos, ob er mitgehen will, oder ob ich mir Hülfe suchen soll. Er weiß wohl, was Widersetzlichkeit zu bedeuten hat!“

Bachmann durchschaute die Absicht seines Feindes, aber er sah ein, daß er sich in das Unvermeidliche fügen müsse und seufzte:

„Na da kommt, wenn Ihrs verantworten könnt! Tausendsapperlot, was werden sie in Wummershausen sagen, wenn sie morgen die Geschichte hören? Dreizehn Bachmän­ner —“

„Ja,“ fiel ihm der Andere schadenfroh ins Wort, „dreizehn Bachmänner! O, wenn die wüßten, wie der Vierzehnte heut ins Kraut gelaufen ist. Aber so geht’s, wenn man sich zu viel einbildet und ein Fortschrittler ist; da kommt man von Wummershausen nach Ammerstadt, man weiß nicht wie. Na, lauft ’was rascher; habe keine Zeit, lange mit Euch herumzuschleichen!“

III.

Hillmann hatte seinen Gefangenen in das städtische Polizeiverließ gebracht. Er freute sich königlich über den Streich, den das Schicksal seinem Spezialfeinde gespielt hatte, und beschloß, diese Freude durch den Genuß eines „Bittern“ zu erhöhen.

„Auf so einen Schreck kann man schon Einen trinken; da wäre es ja riesendumm, wenn Einen die paar Dreier dauerten. Na, wird das morgen ein Gaudium werden und ein Aufsehen, wenn ich den verlaufenen Wummershausener Nachtwächter mit Horn und Spieß durch die Stadt aufs Rathhaus führe. Heut erfährt kein Mensch ein Wort; denn das Vergnügen will ich mir doch nicht etwa verderben!“

Er trat in die nächste Wirtschaft und spülte seine „Bittern“ gleich am Schenktische hinunter; aber, wie es so herzugehen pflegt, wer dem Teufel einen Finger bietet, giebt ihm bald auch noch die ganze Hand — er fand einige Bekannte, trank mit ihnen, bezahlte auch noch „Einige“ und als er endlich wieder auf die Straße trat, war aus den vorgesetzten wenigen Minuten fast eine ganze Stunde geworden und er hatte ein Gefühl, als beständen seine langen Beine aus Watte, sein Leib aus einem Luftballon, sein Kopf aber aus einem Zentnergewichte, und die beiden Arme vigilirten6) in der Luft herum wie die Vorderpfoten einer Katze, welche mit der Nase in eine Schnupfdose gerathen ist.

„Heiliger Knieriem, ist das ein Wetter! Der Schnee fällt so dicke, daß er Einen von einer Seite auf die andere schiebt. Ich möcht nur wissen, wem die Beine da unten eigentlich sind über die ich immer hinwegstolpere. — ’Hat Eins — nein, wart ’mal, na weiter ists noch nicht — ’hat Eins geschlagen! Lobt den Herrn!“

Er versuchte, mit der Schnarre einen Wirbel zu schlagen, aber — rrrrr, flog sie ihm aus der Hand und über die Gasse hinüber. Ganz erstaunt blieb er stehen und sah sich um.

„Wer ist denn der Kerl, der mir die Schnarre aus der Hand schlägt, he? Will Er mir sie wohl gleich wieder holen!“ Als keine Antwort erfolgte, schritt er selbst nach der Stelle, wo er sie vermuthete, bückte sich nieder und — stand im nächsten Augenblick mit allen Vieren im Schnee. Er gab sich alle Mühe, die Balance zu behalten; vollends nieder wollte er nicht, in die Höhe konnte er nicht, weil ihm der Kopf zu schwer wurde, und so stand er bewegungslos wie ein Turnerbock auf der Erde, bis er endlich doch das Gleichgewicht verlor und sich kräftig auf die Seite legte. Glücklicherweise kam er dabei mit der Hand auf die verlorene Schnarre zu liegen.

„Ja, wenn Keiner ’was findet, ich darf nur zugreifen — gleich habe ichs. Geschick, das ist die Hauptsache! Wenn ich nur wieder in die Höhe wär, da mag dann meinetwegen schnarren wer will, ich laß sie mir nicht wieder aus der Hand werfen!“

Nach langer Anstrengung gelang es ihm, sich aufzurichten, und nun gings im Zickzack wieder die Gasse entlang. Nach einiger Zeit blieb er stehen.

„Gott sei Dank, da ist der „blaue Stern,“ und da steht auch der Omnibus. Jetzt muß ich eine Viertelstunde ausruhen, hahaha, grad so, wie’s der Bachmann gemacht hat, der dumme Kerl. Fährt der Mensch von Wummershausen nach Ammerstadt und fängt hier an zu duten! Das muß er doch merken, wenns fortgeht!“

Er öffnete die Thür und guckte in das Innere des Wagens.

„Nein, da gehe ich nicht rein, da ist mirs zu luftig. Im Rauchcoupé ists kleiner und also auch wärmer! Bin nur froh, daß ich heut den Spieß nicht mit habe; den brächte ich gar nicht hinein.“

Mit vieler Mühe führte er seinen Vorsatz aus, setzte sich nieder und schlief ein. —

Währenddessen stak Bachmann zwischen seinen vier nackten Wänden und ärgerte sich ganz ingrimmig über die Thorheit, durch die er sich in solche Verlegenheit gebracht hatte. Mit den lebhaftesten Farben malte er sich die Schande aus, welche er zu erwarten hatte, und als er gar an die Schadenfreude dachte, welche Hillmann an den Tag legen würde, sprang er von der harten Pritsche auf, stürmte in dem engen Raum hin und her und rüttelte endlich mit aller Gewalt an der Thür, welche ihm den Weg zur Freiheit verschloß — — einen Laut der Freude stieß er aus, denn sie hatte nachgegeben.

Das Holz, durch welches die eisernen Haspen in der Wand festgehalten wurden, war von der hier herrschenden Feuchtigkeit angegriffen worden und verfault. Ein kräftiges Andrücken mit der Schulter — ein lautes Krachen, Rasseln und Klirren, und die alte Thür lehnte sich an die gegenüberliegende Wand des engen Ganges.

Niemand konnte das Geräusch gehört haben, denn das altersgraue und baufällige Gebäude wurde, gebaut wie ein Schuppen,

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jetzt nur noch zur Aufbewahrung der Jahrmarktsbuden benutzt und hatte außerdem nichts als die Zelle aufzuweisen, welche als Interimsaufenthalt für ungefährliche Inkulpaten gebraucht wurde.

Nicht weit vom Eingange lehnte sein Spieß, und da hing auch sein Horn an einer der Budenlatten, das wußte er. Nachdem er trotz der Dunkelheit beide gefunden, suchte er nach einem Ausgange. Das Thor war verschlossen, aber in der Vorderwand befanden sich einige Laden, die jedenfalls von innen zu öffnen waren. Er machte den Versuch — es gelang, und trotz seiner Korpulenz befand er sich nach wenigen Augenblicken im Freien.

„Tausendsapperlot,“ athmete er erleichtert auf, „einmal eingesponnen und nicht wieder! Warte nur, Hillmann, Dir will ichs gedenken! Aber wie komme ich nach Wummershausen? Laufen kann ich doch in dem Wetter unmöglich, und hier bleiben? — nein, das geht nicht. Halt, der Omnibus geht ja jetzt bald wieder fort. Mit dem fahre ich — aber blind — wenn mich Niemand sieht, so ist die ganze Geschichte nicht wahr gewesen!“

Vorsichtig durcheilte er die Stadt und trat dann am Ende derselben hinter eine Scheune, um den Wagen zu erwarten.

Fritz, der Kutscher, hatte sich im „blauen Stern“ ausgewärmt [aufgewärmt] und brachte nun die Pferde wieder aus dem Stalle. Der Hausknecht war ihm beim Anspannen behilflich.

„Bist nicht zu beneiden!“ meinte dieser. „Im Sommer mags gehen, aber im Winter ist’s unnöthig, dieses Nachtfahren.“

„Alberne Erfindung, so ein Omnibus,“ antwortete der Angeredete mit den bei ihm gewöhnlichen Worten; muß ich da nach Wummershausen fahren, obgleich kein Mensch drin in der Bude sitzt!“

Das Gefährt setzte sich in Bewegung, ohne daß der Kutscher den festschlafenden Passagier bemerkte, welchen nur das Vorderfenster von ihm trennte. Auch davon sah er nichts, daß später eine dicke Gestalt hinten aufstieg und hinauf auf das Verdeck kletterte.

„Tausendsapperlot, das ist eigentlich kein Vergnügen, heut da oben zu hocken; aber ich muß vorsichtig sein; ’s ist von wegen der Ehre, und bei der „Ente“ steigen vielleicht noch Spätlinge ein. Am besten ists, ich lege mich der Länge nach auf das Dach; denn da herauf guckt gewiß Niemand!“

Er hatte nicht falsch vermuthet. Als der Wagen bei der „Ente“ hielt, kamen zwei junge Leute, ein Bursche und ein Mädchen, heraus und stiegen ein.

„Richtig ists die Minna mit dem Eduard! Die haben sich wie gewöhnlich wieder so viel zu sagen gehabt, daß sie sitzen geblieben sind. Wahrhaftig, er steigt auch mit ein. Der muß doch dem Mädel ganz außerordentlich gut sein, daß er so viel riskirt. Denn ein Donnerwetter wird es setzen, wenn er morgen Früh nicht zu Hause ist. Und dann läuft er bei diesem Schnee zwei Stunden weit bis Ammerstadt — brrrr! Na, ich bin auch ’mal so verrückt gewesen. Der Junge ist gut; ich hätte gar nichts gegen ihn, wenn nur der Alte herumzukriegen wäre!“

So monologisirte Bachmann oben auf dem Verdecke, während die beiden Liebenden unten im lauschigen Innern einander beim Kopfe hatten und gar nicht wußten, wo die Zeit hingegangen war, als der Wagen plötzlich hielt.

„Brrr!“ kommandirte Fritz. „Das wäre für heut überstanden; der Teufel hole die alte Bude!“

Er spannte die Pferde ab, führte sie in den Stall und ließ den Wagen stehen.

Minna und Eduard waren sofort ausgestiegen, Bachmann mußte aber oben liegen bleiben, bis Alles zur Ruhe war. Als Fritz des Thor geschlossen hatte, erhob er sich leise, nahm Horn und Spieß zur Hand und schickte sich an herabzuklettern. Da ließ ihn ein Geräusch im Innern des Wagens innehalten.

„U — ah! U — ah!“ ertönte ein lautes und anhaltendes Gähnen. „Potz Knieriem, wo stecke ich denn da? Na, hier Wand, da Wand, dort Wand und drüben auch Wand — und da unten meine Schnarre. Ich glaube gar, ich bin in den Omnibus hereingeduselt, grad so wie der Bachmann, der Esel!“

Bachmann horchte auf. Das war ja sein guter Freund Hillmann, daran war gar kein Zweifel.

„Tausendsapperlot! Wie kommt denn Der in den Omnibus? Da muß ich horchen!“

Leise kroch er nach dem vorderen Theile des Verdeckes, wo er jedes Wort des schlaftrunkenen Nachtwächters vernehmen konnte.

„U — ah! Lange kann ich nicht hinne gesteckt haben, denn ich bin nur eben erst hinein; da wird es wohl derweile Zwei geschlagen haben. Muß nur nachher gleich ’mal zum Bachmann sehen, damit er mir nicht etwa Dummheiten macht; die alte Thür ist ganz flügellahm, und das Schloß ist auch vom Roste

ganz durchlöchert. Na, freu Dich, Vierzehnter, wenn Dich morgen früh der Dreizehnte durch die Gassen führt. Und ins Blatt kommen muß der Spaß, gedruckt werden muß er, das thue ich gar nicht anders, und wenn ichs selbst bezahlen sollte!“

Jetzt machte der Sprecher Anstalt den Wagen zu verlassen.

„Heiliger Knieriem, thut mir das Kreuz weh von dem Sitzen da drin! Der alte Pfefferkasten ist so niedrig, daß ich den Kopf habe zwischen die Beine stecken müssen. Mir liegts so schwer in den Knochen, als hätte ich stundenlang dringesteckt!“

Jetzt endlich stand er auf der Erde und machte den Versuch, sich umzuschauen.

„So einen Schnee hats doch mein Lebtage noch nicht gegeben! Ich kanns dem Bachmann gar nicht übel nehmen, daß er Ammerstadt für Wummershausen angesehen hat. Freilich, mir hätte das allerdings nicht passiren können, dazu haben wie Hillmanns viel zu helle Köpfe, und wir Nationalliberalen, bei uns bleibt Ammerstadt Ammerstadt und Wummershausen Wummershausen.

Dabei machte er eine energische Schwenkung und watete die Straße hinab. An der nächsten Ecke blieb er stehen und drehte seine Schnarre.

„Zwei geschlagen! Lobt Gott den Herrn!“

Er arbeitete sich weiter durch den Schnee, die ganze Gasse hinauf, und bog dann links ab.

„So, das ist die Wiesengasse, und da wohnt der Bäcker Meinhold, den soll ich halb Drei wecken.“

Er zählte die Hausthüren ab, nannte bei jeder den Namen des Besitzers und pochte endlich laut und vernehmlich an eine derselben. Dann schnarrte er, daß es weithin schallte und rief:

„Zwei geschlagen — heda, Meinhold — Lobt Gott den Herrn — ich bins, mach daß Du aus den Federn kommst!“

„Was ist denn das hier für ein Mordspektakel am frühen Morgen!“ ertönte eine zornige Stimme.

„Wer schreit denn da vorn so wie ein Nußknacker, he? Packt Euch ruhig nach Hause, oder ich will Euch heimleuchten!“

„Heimleuchten? Wer denn? Glaubt Er denn, daß sich jeder dumme Teufel bei uns hier herstellen, den Nachtwächter spielen und ehrbare Leute aus dem Schlaf wecken darf?“

„Heiliger Knieriem, hat der Kerl ein Lästermaul! Na warte, ich werde ihm Mores lehren!“7)

„Mores lehren? Mir? Wer ist er denn eigentlich?“ damit kam der Sprecher näher und blickte Hillmann ins Gesicht. Dieser that mit ihm dasselbe und packte ihn dann sofort beim Kragen.

„Halt, das ist ja der Bachmann, wie er sich vorhin nannte! Kerl, da ist er wohl gar aus dem Gefängniß gebrochen? Na, da hat Er sich eine schöne Suppe eingebrockt, und es ist nur gut, daß ich Ihn wieder habe. Allons, jetzt werd ich Ihn ins Rathhaus führen; da giebts keine lockere Thüren!“

„Suppe eingebrockt? — wieder habe? — ausgebrochen? — Ich verstehe Ihn doch gar nicht. Wer ist Er denn eigentlich, he?“

„Wer ich bin? Na, so ’ne schauderhafte Frechheit! Habe den Kerl vor einer Stunde erst eingewickelt, und jetzt fragt er mich, wer ich bin!“

„Frechheit? Tausendsapperlot, das hat mir noch niemand gesagt! Kerl, ich arretire Ihn. Komme Er mit!“

„Was? Er mich arretiren? Er ist wohl nun ganz und gar übergeschnappt? Marsch!“

„Höre Er, was — —“

„Marsch, sage ich!“

„Was ich Ihm rathen — —“

„Marsch, oder soll ich etwa Gewalt brauchen?“

„Nun gut, ich balge mich nicht mit Ihm herum, aber merke er sich nur, daß Er sich an mir vergriffen hat und nicht mit mir gegangen ist. Ich bin der Nachtwächter Bachmann, und Er hat mir Gehorsam zu leisten, wenn ich Ihn mitnehmen will.“

„Heiliger Knieriem, marsch, sage ich, oder ich prügle Ihn mit Seinem eigenen Spieß aufs Rathhaus!“

„Gut, ich gehe mit; Er mag verantworten, was Er thut!“

„Darüber braucht Er sich gar keine Sorge zu machen!“ tröstete er und wandte sich noch einmal zurück: „Meinhold, hasts gehört? Ich kann mich nicht bis zum Charfreitag herstellen!“

So schritten die Beiden also ihres Weges fürbaß. An einer der nächsten Straßen blieb Hillmann stehen, schnarrte und rief sein

„Zwei geschlagen — Lobt den Herrn!“

Da öffnete sich eine Thür, und ein Mann trat hervor.

„Bachmann, was fällt Dir denn ein? ’S wird gleich Sechs schlagen! Hast wohl jetzt auch ’ne Schnarre, wie der in Ammerstadt?“

Es war ein Fleischer, der trotz des schlechten Wetters mit seinem Hunde aufs Land gehen wollte. Er blieb stehen und wunderte -

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wunderte sich, daß er keine Antwort bekam und die beiden Männer vielmehr ruhig weiter gingen.

„Daraus werde klug, wers begreifen kann! Eine Schnarre und jetzt erst um Zwei!“

Kopfschüttelnd ging er fort.

Die Worte des Mannes hatten Hillmann doch etwas stutzig

gemacht; er ging jetzt nicht mehr auf der Mitte der Gasse, sondern hielt sich an den Häusern hin und betrachtete dieselben so genau

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wie möglich. Er wurde immer mehr irre an sich, und da — da schlug es Sechs, und was für eine Sechs!

Heiliger Knieriem, hat das einen Ton! Aber was ist denn das da auf einmal für eine Glocke? — Doch nicht etwa die Ammerstädter!“

„Habs Ihm ja gesagt, daß Er in Wummershausen ist!“

„In Wummershausen? Er will mich wohl dumm machen, he?“

„Fällt mir gar nicht ein. Das ist Er ja schon mehr als genug! Da bleibe Er ’mal stehen und sehe Er sich diesen Wassertrog an! Kennt Er den? Oder hat Er vielleicht in Ammerstadt auch so einen?“

„Den kenne ich; das ist ja der alte Bottich, in dem die Schweden ’mal den Kaplan ersäuft haben! Heiliger Knieriem, wie komme ich denn eigentlich nach Wummershausen?“

„Das wird Er am besten wissen!“

„Freilich, nun kann ich mirs denken. Aber Er, wie kommt denn Er hierher?“

„Ich? Na, bei Euch rappelts wirklich ganz gewaltig. Ich wohne ja hier!“

„Aber Er war ja vorhin in Ammerstadt, und ich habe Ihn arretirt!“

„Arretirt? Mich? Da ist Er wohl betrunken gewesen und hat solche dummes Zeug geträumt!“

„Nicht? Nun hört mir aber Alles auf, ja, geradezu Alles. Das geht mir im Kopfe herum wie eine Häckselmaschine!“

„Da weiß man nun wenigstens, was Er im Kopfe hat! Aber jetzt mache Er mir keine Sperenzien mehr, und komme Er mit! Er verschlimmert sich nur seine Lage.“

Das war dem auf seine gute Amtsführung so stolzen Hillmann zu viel. Er knickte zusammen und legte sich aufs Bitten. Bachmann schritt lange neben ihm her, ohne eine Antwort zu geben. Endlich aber blieb er vor einem Hause stehen, zog einen Schlüssel hervor und öffnete die Thür.

„Da kommt herein! Ich wohne hier, und wir wollen die Sache besprechen!“ Unter der Stubenthür blieb er überrascht stehen. Am Tische saßen seine Frau, Minna und Eduard beim Kaffee. Die Erstere sprang sofort empor und kam auf ihn zugeeilt.

„Aber sag mir doch um aller Welt willen, Mann, wo steckst Du denn? Nach Vier sollst Du kommen, und jetzt ist es fast um Sieben!“

„Amtsgeschäfte, Amtsgeschäfte, Mutter; konnte beim besten Willen nicht eher!“

Auch Hillmann blieb an der Thür stehen und betrachtete mit weit aufgerissenem Munde und zornblitzenden Augen die Anwesenden. Er schien erst gar nicht glauben zu wollen, was er sah, dann aber trat er mit raschen Schritten zum Tische und rief:

„Kerl, was machst denn Du in Wummershausen — und hier in dieser Stube?“

Eduard war so erschrocken, daß er nicht augenblicklich zu antworten vermochte. Aber das war auch gar nicht nothwendig, denn Bachmann nahm für ihn das Wort:

„Hört ’mal, Vater Hillmann, setzt Euch nieder und laßt ein verständiges Wort mit Euch reden!“

„Ach was da — ich mag Euer verständiges Zeug ja gar nicht hören! Der Junge gehört nicht hierher, und aus der Geschichte wird nichts, ein für allemal!“

„Ein für allemal? Bedenkt wohl, was Ihr sagt!“

„Ein für allemal!“ klang die bestimmte Antwort.

„Gut, dann nehmt Eure Mütze wieder und kommt mit.“

Er griff nach dem Spieße und schritt dem Ausgange zu. Hillmann blickte ihn verlegen an.

„Aber, Bachmann, ich denke, wir wollen die Sache besprechen, wie Ihr vorhin sagtet!“

„Ganz richtig; aber da Ihr „mein verständiges Zeug gar nicht hören wollt,“ so sehe ich nicht ein, weshalb ich Euch nicht in Arrest bringen soll. Vorwärts marsch!“

„Arrest? Was ist denn los?“ riefen die Anderen erschrocken.

„Das ist unsere Sache,“ antwortete Bachmann, „und geht Euch nichts an. Ich sage aber so viel: wenn er in fünf Minuten nicht seine Einwilligung gegeben hat, daß aus Eduard und Minna ein Paar wird, so stecke ich ihn ohne Gnade und Barmherzigkeit ins Loch!“

Mit dem Spieße drohend, schritt er in energischer Haltung in der Stube auf und ab und deklamirte — natürlich nur mit anderer Anwendung — des Selbstgespräch, welches Hillmann vorhin im Omnibus gehalten hatte:

„Na, freue Dich, Dreizehnter, wenn Dich nachher der Vierzehnte durch die Gassen führt. Und ins Blatt kommen muß der

Spaß, gedruckt werden muß er, das thue ich gar nicht anders, und wenn ichs selbst bezahlen sollte!“

Jetzt wurde es dem guten Hillmann doch etwas schwül unter dem Kamisol. Er sah, daß jetzt Ernst gemacht wurde und er nun wirklich Gefahr lief, ganz schrecklich blamirt zu werden. Das Wort wollte nicht heraus; es würgte und würgte, brannte ihm auf der Zunge, aber endlich kams doch:

„Heiliger Knieriem, ist das eine Noth. So habe ich mein Lebtage nicht in der Tinte gesteckt; aber wenns denn nun sein muß, so mögen sie sich einander in drei Teuf — na, in Gottes Namen heirathen. Aber das bitte ich mir aus; von der Omnibusgeschichte darf kein Mensch ’was hören!“

„Einverstanden!“ rief Bachmann und hielt ihm die Hand hin. „Topp, schlag ein, Bruderherz. Du sollst sehen, daß´ich das Maul halten kann — natürlich nur so lange, als ich mit Dir zufrieden bin. Schreib Dir das hinter die Ohren!“

Das war nun eine Freude und Herrlichkeit in dem kleinen Hause, als wäre das große Loos zur Feueresse hereingefallen, und als dann später die beiden Ammerstädter aufbrachen, um mit dem Tagesomnibus heimzukehren, meinte Hillmann, seinem Kollegen die Hand schüttelnd:

„Du, die Bachmänner sind doch brave Kerls gewesen; das hab ich heut an Dir gesehen!“

„Na, an den Hillmännern hat man auch seine Freude haben können. Schade nur, daß sie sich gar nicht haben verstehen wollen!“

„Laß das gut sein! Von heut an wirds ja anders und besser!“

Als sie an den „schwarzen Bären“ kamen, stieg Fritz eben auf den Bock seiner „albernen Erfindung“ und Eduard öffnete das Rauchcoupé, um dort Platz zu nehmen.

„Halt!“ wehrte ihm da der Vater ab. „Da hinein setze ich mich nicht. Da muß man ja den Kopf zwischen die Beine stecken, in dem alten Pfefferkasten, und kann nachher vor Kreuzschmerzen nicht laufen!“

„Ist Dirs denn schon einmal so ergangen?“

„Nein, das nicht — bin seit Menschengedenken noch nie in so einem Ding gefahren, aber — vorstellen, recht lebhaft vorstellen kann ich mirs!“

1) Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen (1670—1733), später als August II. König von Polen, genannt „der Starke“.
2) 1756—1763, Österreich, Frankreich, Russland und Sachsen gegen Preußen und Großbritannien.
3) 1806; Eroberung Preußens nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt.
4) Oktober 1813; Sachsen stand auf Seiten Napoleons gegen die Preußisch-russische Allianz.
5) Deutsche Fortschrittspartei, 1861 gegründet; von ihr 1867 abgespalten: die Nationalliberale Partei; Streitpunkt: strafrechtlicher Schutz der preußischen Regierung trotz verfassungswidriger Finanzierung der Heeresreform (pro/contra Bismarck).
6) Vigilieren (lat.): wachen, wachsam sein, scharf beobachten, fahnden.
7) Anstand beibringen, zurechtweisen, von (lat.) mos = Sitte, Moral; Plural: mores.