Im Seegerkasten.
Ein Schwank aus guter alter Zeit von C. May.
Nichts ging dem alten, possirlichen Fagottmeier über ein gutes Glas echten Doppelwachholder! Noch lieber hatte er seine lange Pfeife; am aller-, allerliebsten aber war ihm das Erzählen, und er konnte halbe Nächte lang sitzen, um seine alten Geschichten, die man der ihm eigenthümlichen derben, kernhaften Ausdrucksweise wegen immer wieder von Neuem gern anhörte, zum zehnten zum [und] hundertsten Male zu wiederholen. Selbst der ernstesten Begebenheit wußte er einen drolligen Anstrich zu geben, und wenn er so da saß, die Pfeife in dem unaufhörlich paffenden Munde und die Schirmmütze waghalsig auf die Krakehlseite geschoben, so herrschte gewiß die größte Stille rings umher und die Spannung der Zuhörer wuchs von Satz zu Satz, um sich schließlich allemal in ein schallendes Gelächter aufzulösen.
Heute war nun Kantoreischmaus, und die Adjuranten [Adjuvanten], zu denen er als Fagottbläser auch gehörte, saßen mit ihren Frauen um die lange Tafel, welche mit ihren Speiseresten den Anblick eines vom Feinde geräumten, trümmerbedeckten Schlachtfeldes bot. Freilich war der Rückzug kein ganz vollständiger; denn wenn auch das Plänkelgefecht zwischen Löffel und Suppenschüssel längst beendet war und die mannhaftern Linien des Schweinebratens mit Schwarzsaurem, und die festen Kolonnen der Butterbrode mit gekochtem Schinken und Ziegenkäse fast zu einer schmählichen Auflösung gezwungen worden waren, so konnte man hie und da von der versprengten Artillerie doch noch ein nicht ganz überwundenes Geschütz bemerken, und gerade da, wo auf einem derselben die verführerische Aufschrift: „Doppelwachholder“ zu lesen war, gerade da und nirgend anderswo war der von Siegeslust schon halbberauschte Fagottmeier eifrig bemüht, den zu Ende gehenden Kampf bis auf den Boden der Flasche fortzusetzen.
Die auf die beiden Flanken postirten Cigarrenhalter schienen seiner strategischen Beobachtung zu unbedeutend zu sein, als daß er ihnen einige Aufmerksamkeit hätte schenken mögen; vielmehr hatte er aus dem einen Rockschoß das „Geburtstagskäppchen“ und aus dem anderen den unvermeidlichen „Grünsiegel“ hervorgezogen und sich von einem der Chorknaben die „liebe Lange“ holen lassen, um, wie er sich auszudrücken pflegte, so recht „cumammino“ blasen und plaudern zu können, und das jetzt ertönende, nicht enden wollende Lachen der Versammlung bewies, daß er soeben die Erzählung eines seiner tragikomischen Abenteuer beendet habe.
„Das war prächtig!“ rief der Kantor, welcher, trotzdem er seine Amtswürde allezeit zu behaupten wußte, bei solchen Gelegenheiten, wie die heutige eine war, doch ein Späßchen gern mit anhörte. „Aber das Mädchen ist doch noch Eure Frau geworden, Meier; denn sie sitzt ja wie sie leibt und lebt hier neben Euch. Wie ist es denn gekommen, daß Ihr sie doch noch gekriegt habt?“
„I nun ja, das is ooch wieder so ’ne Geschichte, über die ich mich eegentlich ärgern sollte, wenn ich nich d’rüber lachen müßte. Habe ich se Euch denn noch nich ’mal erzählt, Ihr Leute?“
„Bewahre, bewahre; mach’ nur los, Fritz!“ rief es von allen Seiten, und ohne die Wahrheit dieser Versicherung einer weiteren Prüfung zu unterziehen, drückte er den Tabak fester in den Pfeifenkopf nieder, nahm einen herzhaften Schluck aus dem Glase und begann:
„Also, ich sollte das Mädel nich kriegen, weil se ’mal so een drei- bis vierhundert Thaler in die Hände bekommen sollte, und ich hatte nischt, geradezu gar nischt niche. Mein ganzer Reichthum bestand damals aus folgenden Habseligkeiten: Zwee Hemden, zwee Paar Strümpfe, anderthalbe Unterhose, eene Leinwandschürze, een Paar gelbe Nanggänghosen, eene roth und blau karrirte Sammetweste, een grüner Schößelrock mit Puffen, Batten und thalergroßen Knöpfen, und een Cylinderhut mit so langen Haaren, daß er immer aussah wie een nasses und glatt gebürstetes Pudelfell. — Alles Andere hatte ich Krankheitswegen versetzen müssen und war noch nich wieder an’s Einlösen gekommen. Aber ich war doch sonst een Kerl mit bei der Spritze, blies mein Fagott aus dem ff, tanzte eenen Schleifer wie sonst Keener und hatte außer dem Wachholder och nich ’ne eenzige Spezialeigenschaft an mer.“
„Meine Christel diente damals beim alten Stadtrichter Lautenschläger, der zugleich ihr Vormund war. Der Mann war ’ne alte, seelensgute Haut, wenn er ooch so etliche zehn oder zwanzig Marotten an sich hatte, und unter diesen war für mich die schlimmste, daß er in seinem Hause keene Liebelei nich leiden wollte. — Ueberhaupt hatte er ’nen ganz besonderen Pik off mich, weil ich ihm ’mal unversehener Weise über seine Rettigsbirnen gerathen war, und er hatte damals ’nen Trumpf droff gesetzt, mich in die Flattusen hauen zu lassen, wenn ich mich wieder ’mal bei ihm blicken ließe.“
„Das Ding ging mir zwar im Kopfe ’rum; denn meine Haut war mir gerade ebenso lieb, wie ihm die seinige; aber die Christel war meine zwölfte Liebe, und Ihr wißt ja Alle recht gut, wenn erst ’mal das Dutzend voll is, dann sitzt mer fest, und es läßt Eenen nich so leichte wieder locker. Also immer droff! Für drei- bis vierhundert Thaler läßt man sich schon ’mal ooch ohne Noten pauken. Und richtig, fast jede Woche nahm ich ’ne hölzerne Anweisung off eene Buckeleinreibung mit Oppedeldok und flüssig Element mit heeme. Entweder lag Scheitholz off den Stufen, so daß ich verkehrt die Treppe hinunter rumorte, oder ich wurde von den Knechten gejagt, daß ich mit dem Kopfe an die Bäume rannte und vor lauter Angst und Eile das Hosenkreuz an den Zaunlatten hängen ließ, oder es war sonst in irgend eener Weise der Teufel los. Einschmieren und flicken, flicken und einschmieren, das waren regelmäßige Folgen, wenn ich mich ’mal atrappiren ließ, und so lief mir doch endlich die Galle so weit über, daß ich mir fest vornahm, Mädel Mädel sein zu lassen und nich eher wieder hinzugehen, als bis die Luft mal ganz reene sei.“
„So standen die Aktien, als ich eenes Abends die Meldung bekam, daß der Herr Stadtrichter mit seiner dicken Friederike zu Kaffee geladen sei und vor Zwölfen oder Eens nich wieder heeme komme. Na, das war Syrup off meine Bemme! Ich machte mich also off die Socken, schlich mich leise ins Haus und traf droben in der Küche die Christel im hellen Eifer, mir etwas Gutes vorzurichten. Das andere Gesinde hatte sich die Kaffeevisite ooch zu Nutze gemacht und war ausgeflogen, und so gab es denn für diesmal keene eenzige Menschenseele, vor der wir uns hätten fürchten und in Acht nehmen müssen. Deshalb gedachte ich ooch ’mal den Herrn zu spielen, setzte mich in der guten Putzstube off’s Sopha und machte mich mit der größten Gemüthlichkeet über die Seltenheiten her, die mir meine Zukünftige zusammengequirlt hatte.“
„Na, ich will Euch den Mund nich wäss’rig machen, aber so ’was Gutes habe ich mer mein Lebtage nich wieder gethan, und die Zunge läppert mer noch heut’, wenn ich nur daran denke. Von allen nur möglichen Delikatessen, die so seit ’nem Monat off den Tisch gekommen waren, hatte die Christel Etliches in den großen Zweekannentopp verschwinden lassen, und mit der Zeit war aus den guten Sachen so nach und nach een russischer Salat, een Mischlimaschli von allen erdenklichen Deliciositäten entstanden, deren bloßer Duft schon so einladend in die Nase krabbelte, daß Eenem das Wasser im Munde zusammenlief, grad’ so wie die Kommunalgarde, wenn es trommelt. Was eegentlich Alles in dem Toppe stak, das is mer heute noch een Räthsel; aber ich hatte
weder Lust noch Zeit, viel Fragen darüber zu thun, und so machte ich mich denn mit Eifer drüber her.“
„Das Mädel am linken Arm, den Topp zwischen den Beenen und den Löffel in der Rechten, so saß ich in den weichen Spannfedern und dachte eher an alles Andere als an — — „horch, Christel; mir war’s jetzt g’rad, als ob die Hausthiere gequietscht hätte!“
„I bewahre! Du bist’s selber gewesen; Du hast mit’n Löffel an den Topp gekratzt.“
„Aber ich traute doch dem Landfrieden nich und spitzte das Ohr. Ja wirklich; jetzt wurde unten die Thür zugeriegelt, gleich darauf kamen Schritte die Hausflur her und off die Treppe zu.“
„Alle Hagel! Du, das sind die Alten! Die muß der Kukuk ooch so sehr bei Zeiten heem führen! Was machen wir? Wo stecke ich mich in aller Welt nur gleich hin?“
„Ich schob den Topp unter das Kanapee und schoß dann von eenem Winkel in den andern, um eenen Ort zu suchen, an dem ich mich so viel wie möglich unsichtbar machen könnte. — Die Geschichte roch mir wieder ganz verteufelt nach Oppedeldok, und zur Thür ’naus konnte ich doch nich, weil ich da dem alten Isegrimm gradezu in die Hände geloofen wäre, und in der Stube gab’s wahrhaftig keenen Platz niche, wo ich een einigermaßen standesgemäßes Unterkommen gefunden hätte.“
„Steck’ Dich da in den Seegerkasten, Fritz!“ rief meine Christel in der größten Angst; denn draußen knarrten schon die Treppenstufen, und die ehrwürdigen Großeltern der Stadt konnten jeden Oogenblick in unser fürchterliches Dasein hineinplatzen.“
„Nun müßt Ihr nämlich wissen, daß in der Stube so een uraltes Erbstück von Schwarzwälder Kukuksuhr hing, und der Gewichtskasten, der unter ihr an der Wand lehnte, schien grad’ hoch genug und hatte ooch so ziemlich die nothwendige Breite, mich dahinter zu verstecken. Rasch und ohne mich lange zu besinnen zog ich ihn weg, lehnte mich so dicht wie möglich an die alte Tapete und ließ ihn von der Meinigen wieder ’ran schieben. Und kaum war das geschehen, so ging die Thüre off und die Herrschaft rauschte in die Stube.“
„Christel, Du kannst zu Bette gehen!“ flötete die gnädige Frau, und wenn die obrigkeitliche „Sie“ anfing zu flöten, dann war stets een eheliches Gewitter im Anzuge, das wußte die ganze Stadt. Und dieses Wetter brach denn ooch, sobald die beeden Leute alleene waren, sofort los.“
„Wie kannst Du Dich nur in einen solchen Skandal mit dem pfennigfuchserigen Apotheker einlassen! Ich wollte mich heute Abend einmal so recht gründlich amüsiren, und nun ist mir die ganze Freude in den Brunnen gefallen.“
„Mir ooch!“ dachte ich im Stillen. „Die Christel im Bette und ich im Seegerkasten; da bin ich neugierig, wo eegentlich das Amüsement herkommen soll!“
„Konnte ich anders?“ fragte Lautenschläger. „Er griff mich bei der Ambition an und da mußte ich mich meiner Haut wehren.“
„Ist Dir Recht geschehen,“ dachte ich, „hast mich nach meiner Ambition ooch nich gefragt, und was meine Haut betrifft, so habe ich sie nich ’mal vertheidigen können, sondern sie hinterher noch einreiben müssen!“
„Wie viel bist Du ihm denn schuldig? Du mußt doch schrecklich schlecht wirthschaften!“
„Wenn Du wissen willst, wessen Wirtschaft mich zu Grunde gerichtet, so guck nur in Deinen Kleiderschrank!“
„Guckt wohin ihr wollt,“ dachte ich; „nur nich unter das Kanapee und in den Seegerkasten!“
„Wie viel es ist, will ich wissen!“
„Sapperlot,“ dachte ich, „wenn die Christel mir ’mal in so ’nem Tone käme, die wollte ich aber anfagotten!“
„Ein Wechsel auf lumpige achthundert Thaler ist’s; ich habe schon einige Male um Nachsicht gebeten; er aber will nicht mehr prolongiren und die Sache jetzt gar der Justiz übergeben.“
„Da steckst Du ja in einer ganz famosen Patsche! Stadtrichter und sitzen?“
„Na,“ dachte ich, „er kann sich mit mir trösten. Meine Patsche is nich weniger famos als die seinige und ich wäre froh, wenn ich een Bischen sitzen könnte!“
„So ging es eene Weile in immer lauterem Tone und immer steigender Heftigkeit fort. — Die Madame hatte ihren Mops, der mit in der Kaffeegesellschaft gewesen war, off’s Kanapee gesetzt, und nun weeß ich nich, hat er gerochen, daß so een plebejischer Leinewebergeselle seinen Stammplatz verschimpfiret hat, oder is in seinem unglückseligen Gehirn eene Ahnung von dem zweekannigen Soupirtoppe offgegangen, kurz und gut, er batalgt sich trotz seines dicken Leibes und seiner kurzen Beene vom Kissen ’runter unter das Sopha hinein und fängt da unten eenen Karambol an, als hätte er een halbes Schock Rattennester offgestöbert.“
„Die Gnädige mochte so een über alle Maßen lebhaftes Temperament bei ihrem Lieblinge noch gar nich bemerkt haben; sie bückte sich nieder, um die Sache zu untersuchen, und brachte denn ooch wirklich die ganze Prosit die Mahlzeit zum Vorschein, nämlich den Mops am Schwanze und den Topp am Henkel. Was nun die beeden Toppgucker für Gesichter geschnitten haben, das kann ich nich beschreiben, weil ich es nicht sehen konnte; aber wie es mir
dabei zu Muthe geworden ist, das könnte ich wohl sagen, aber — wartet nur.“
„Christel, komm ’mal rasch herunter!“ kommandirte endlich die Madame zur Stubenthüre hinaus, und een Donnerwetter is nischt, reene weg nischt niche gegen den Mordspektakel, der jetzt losbrach. Mir wurde es ganz schwindelig, als ob ich off der Wetterfahne droben off’m Kirchthurm säße, und ich mußt alle Anstrengung offwenden, um meine glückliche Neutralität behaupten zu können.“
„Der Kasten war nämlich gleich ursprünglich nich off Sommerlogis eingerichtet. Zwar hatte ich die Mütze eingesteckt, aber ich mußte trotzdem die Knie krumm machen und mich niederducken, um nich oben ’raus zu gucken. An den Perpedickel durfte ich ooch nich kommen, sonst wäre die Weltgeschichte stille gestanden; die Uhrgewichte waren mer im Wege und ich hatte eens hüben, eens drüben in die Hosentaschen gesteckt und mußte also an den beeden Ketten ziehen, damit das verwünschte Ticktack nich schließlich gar den Athem verliere; und so hockte ich denn in geradezu unbeschreiblicher Haltung und Seelenangst wie een Gänserich im Mittagsschlaf mit eenem Beene off meinem kritischen Standpunkt, drückte, um eene moralische Niederlage zu vermeiden, die beeden Ellbogen fest an die Kastenseiten und hätte vor lauter Angst Runkelrübensyrup schwitzen mögen.“
„Aber so ’ne passive sociale Stellung is mit der Zeit nich länger auszuhalten. Nach und nach stellte sich een gefahrdrohendes Zittern in den Extremitäten und ein würgendes Gefühl von Seekrankheit im Magen ein; die Ogen fingen an zu flimmern, der Puls schlug im Neunachteltakt und in den Ohren summte und brummte es, als hätte man een Paar Säcke voll Hummeln oder Hornissen über mich ausgeschüttelt.“
„Die Anderen zanken und räsonniren derweilen fort und da stampft die Gnädige in ihrem Zorn off eenmal so mit dem Fuße, daß das wackelige Brett, off dem ich stehe, zu schaukeln anfängt und ich alle Arten von innerem und äußerem Gleichgewicht verliere. Na, Ihr könnt Euch denken, was für eenen Krach es jetzt gab. Erst kommt der alte, morsche Kasten ins Baumeln; ich fahre rasch mit den Händen in die Höhe, um ihn zu halten, aber gerade dadurch verliere ich die eenzige Position, in der ich mich halten kann; ich fange also ooch mit an zu baumeln, und so baumeln und wiegen wir uns beede ’ne Weile hin und her, bis wir endlich Eener wie der Andere über die Erdachse hinausschießen und hin in die Stube fliegen, er unten drunter und ich oben droff. Na, das Mallör! Und dabei habe ich immer noch die Gewichte in den Hosentaschen, reiße also die Uhr mit
Allem, was d’rum und d’ran hängt, von der Wand ’runter und schleudere sie der Friederike mit solcher Wucht in den Horizont, daß ihr Hören und Sehen vergeht und sie mit einem lauten Quikersch off mich niederplumpst.“
„Een Erdbeben off Kuba oder so da herum konnte keenen größeren Krawall anrichten als der war, den ich Pechvogel verursacht hatte. Der Stadtrichter sperrte vor Schreck und Ueberraschung den Mund sperrangelweit off; die Christel heulte und hatte sich in die Ecke retirirt; der Mops bellte und belferte mit solchem Eifer, als wolle er anfangen Eier zu legen; die Gnädige rieb und frottirte sich den Oberleib und ich kratzte in schrecklicher Verlegenheit mich mit eener so heldenmäßigen Ausdauer hinter den Ohren, als wollte ich die vom vorigen Herbste her dort noch liegen gebliebenen Kartoffeln herausackern. Endlich aber kam dem weisen Oberhaupte der Stadt doch die Sprache wieder.“
„Kerl, um aller Heiligen willen, wo kommt denn Er da her?“
„Nu,“ sagte ich, „grad’ aus’m Seegerkasten, Herr Stadtrichter!“
„Aus dem Seegerkasten? Das sehe ich, Er sackermentscher Urian! Was hat Er denn da d’rin zu suchen und herumzustöbern?“
„Hm,“ sagte ich, „’s hat sich sein Stöbern gehabt da drin!“
„Was denn sonst? Da schleicht Er sich bei nachtschlafender Zeit in mein Haus ein, macht meine Stube zum Liebeskabinet, läßt sich von der Köchin speisen wie ein Reichsgraf und reißt mir endlich gar noch da droben — i der Tausend, was muß denn das dort für ein Loch sein?“
„Er hielt mitten in seiner Strafpredigt inne und guckte ’nauf an die Stelle, wo der Seeger gehangen hatte, denn dort war ’ne Vertiefung zum Vorschein gekommen, in der, wie man von unten deutlich sehen konnte, een Kästchen stak.“
„Du, Friederike, ob das nicht vielleicht der Ort ist, wo der selige Großvater das Geld versteckt hat? Da könnte ich den knauserigen Apotheker sofort bezahlen.“
„Such ’mal nach, Christel, bring’ dort den Stuhl her!“
„Niemand war bei dieser günstigen Wendung der Dinge
rascher bei der Hand als das Mädel. Sie stellte den Stuhl an die Wand, stieg schnell droff und holte das Kästchen ’runter. Der Stadtrichter machte es off, sah ’nein und stieß een Jauchzer aus wie vorhin der Mops, als die Schwarzwälder flügge wurde. Die Gnädige fuhr mit allen zehn Fingern in die Friedrichsd’orsch, die bis an den Deckel ’ran lagen und schlug dann vor Freude Arme und Beene über dem Kopfe zusammen. Ich aber und die Christel, wir schrieen nich und klatschten noch viel weniger in die Hände, aber wir hatten uns beim Koppe und freuten uns königlich, daß wir off der Welt waren.“
„Meierfritz!“ rief da der Stadtrichter, und ich merkte gleich an dem Tone, daß der Wind jetzt anders pfiff, „komm’ Er ’mal her! Sieht Er das viele Geld da? Das hat mein seliger Großvater im Franzosenkriege versteckt und ist darüber gestorben. Wir haben es bisher vergebens gesucht, und wenn er [Er] heut nicht Kastenparade gemacht hätte, so hätten wir noch lange suchen können. Er soll deshalb die Christel haben und die Uhr obendrein, nämlich als Hausrath und Andenken an die Schwieden, die Er hier getrieben hat. Die Hochzeit werde ich ausrichten. So, jetzt kann Er gehen; aber nehme Er den Topf mit und das Mädel dazu; da mag Er meinetwegen hinbeißen und lecken, wohin es Ihm beliebt.“
„Na, jetzt hing natürlich der Himmel voll Baßgeigen und die Wolken voll Klarinetten. Der Stadtrichter hatte die Erbschaft, der Meierfritz seine Zwölfte und der Apotheker kriegte sein Geld; aber von mir hat er keenen rothen Heller wieder gemerkt von wegen Oppedeldok und flüchtig Element.“
„So, Herr Kantor, habe ich meine Alte gekriegt,“ fuhr der Erzähler nach einer Pause, in welcher er die Pfeife ausgeklopft und einen Schluck „Doppelten“ genommen hatte, fort. „Und heut noch, wenn ich den alten Seeger ansehe, muß ich an jenen bittersüßen Abend denken. Aber wenn ’mal meine Jüngste, die Annamarie, mit Heirathsgedanken umgeht und ihr Heimlicher mir die Schwarzwälder ’runter zerrt, so soll es mich doch wundern, ob da ooch was dahinter steckt; denn eenen seeligen Großvater habe ich ooch ’mal gehabt!“ — —