Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
1)
(Nachdr. verb.)
„Sihdi, wie denkst Du über das Sterben?“
Wir waren stundenlang schweigsam nebeneinander her geritten, und nun erklang diese Frage so plötzlich, so unerwartet, so unmotivirt, daß ich den Sprecher erstaunt ansah und keine Antwort gab. Das arabische Wort Sihdi bedeutet „Herr“. So pflegte mich Halef noch immer zu nennen, obgleich wir schon längst nicht mehr Herr und Diener, sondern Freunde waren.
„Sihdi, wie denkst Du über das Sterben?“ wiederholte er seine Frage, als ob er annehme, daß ich ihn nicht verstanden habe.
„Du kennst ja meine Ansicht über den Tod,“ antwortete ich nun. „Er ist für mich nicht vorhanden.“
„Für mich auch nicht. Das weißt Du wohl. Aber ich habe Dich nicht nach dem Tode, sondern nach dem Sterben gefragt. Dieses ist da. Kein Mensch kann es wegleugnen!“
„So sage mir zunächst, wie Du zu dieser Frage kommst! Mein lieber, heiterer, stets lebensfroher Hadschi Halef spricht vom Sterben! Hast Du etwa einen besonderen Grund zu dieser Deiner Frage?“
„Nein. Von meiner Seele, meinem Geiste, meinem Verstande wurde sie nicht ausgesprochen, sondern sie ist mir aus den Gliedern in den Mund gestiegen.“
Das klang wohl sonderbar; aber ich kannte meinen Halef. Er pflegte mit dergleichen, für den ersten Augenblick auffälligen Ausdrücken immer den Nagel auf den Kopf zu treffen. Darum wiederholte ich seine Worte:
„Aus den Gliedern? Fühlst Du Dich vielleicht nicht wohl?“
„Es fehlt mir nichts, Sihdi. Ich bin so gesund und so stark wie immer. Aber es ist Etwas in mich hineingekrochen, was nicht hinein gehört. Es ist etwas Fremdes, etwas Ueberflüssiges, was ich nicht in mir dulden darf. Es steckt in meinen Gliedern, in den Armen, in den Beinen, in jeder Gegend meines Körpers. Ich weiß nicht, wie es heißt und was es will. Und dieses unbekannte, lästige Ding ist es, welches Dich über das Sterben gefragt hat.“
„So wird es wohl wieder verschwinden, wenn wir es gar nicht beachten, ihm gar keine Antwort geben.“
„Meinst Du? Gut; wollen das versuchen!“
Er kehrte nach diesen Worten in sein früheres Schweigen zurück.
Sollte jemand fragen, wer dieser mein Hadschi Halef eigentlich war? Jeder meiner Leser hat ihn nicht nur kennen gelernt, sondern auch von Herzen liebgewonnen. Früher mein Diener, jetzt der Scheik eines mächtigen Beduinenstammes. Früher ein strenger, zelotischer Muhammedaner, jetzt im Innern wahrer Christ und seelensguter Menschenfreund. Stolz, eigenwillig, ehrgeizig, dabei aber mir treu und opferwillig, zu jedem, selbst dem schwersten Dienst bereit. Es gab keinen Zweiten, der in Beziehung auf die orientalische, bilder- und blumenreiche Ausdrucksweise sich mit ihm messen konnte. Wenn er von Etwas begeistert war, ging ihm das Maß verloren. Dann war es höchst ergötzlich, ihm zuzuhören. In solchen Augenblicken glaubte er so fest an seine eigenen Uebertreibungen, daß es bei seinem heißblütigen
Temperamente nicht gerathen war, sich in Widerspruch zu ihm zu setzen.
Der liebe, kleine, so gern lustige Hadschi war seit gestern oder wohl schon seit vorgestern ungewöhnlich ernst und in sich gekehrt gewesen, bei ihm eine Seltenheit. Ich hatte angenommen, daß ihn irgend ein Gedanke innerlich beschäftige; nun aber wußte ich, daß dies nicht der Fall gewesen sei. Es war eine körperliche Indisposition vorhanden, von der ich annahm, daß sie bald vorübergehen werde.
Wir waren von Basra über Muhammera und Doraq an den um diese Zeit ziemlich wasserreichen Dscherrahi gekommen und hatten uns von ihm in die Berge des südlichen Luristan führen lassen. Nun war der Fluß längst verschwunden, und wir befanden uns in einem wasserarmen Gebiete, wo der Regen höchst selten und dann nur als kurzes, aber verheerendes Gewitter aufzutreten pflegt. Die Höhen ragten schroff und steil empor. Ihre Hänge waren kahl. Man sah keinen Baum, nur hier und da einen durstigen Strauch. Die Sonne brannte am Tage heiß hernieder; die Nächte hingegen waren empfindlich kalt, und wo es in den Schluchtentiefen mit Gras bewachsene Stellen gab, da hatte dieses Grün sein Dasein nur dem Thau der kalten, wunderbar sternenhellen Nächte zu verdanken.
Wir glaubten, morgen den obersten Zufluß des Quran zu erreichen. Dort, wo es Wald und Wasser gab, wollten wir uns ausruhen und unseren Pferden einige Tage Zeit lassen, sich von der jetzigen Anstrengung zu erholen. Es waren edle Pferde, zwei Rappen. Assil Ben Rih hieß der meinige. Der Hengst Halefs hieß Barkh, was „Blitz“ bedeutet. Ueber die Eigenschaften und den Werth dieser beiden
Thiere habe ich bereits an anderer Stelle das Nöthige gesagt. ✽)
Jetzt war es Nachmittag. Wir strebten einem Höhenkamm zu, dessen Erklimmen die Kräfte unserer Pferde so in Anspruch nahm, daß wir, als wir endlich oben angekommen waren, für einige Zeit anhielten, um sie verschnaufen zu lassen. Tief unter uns sahen wir das leere, wild zerrissene Bett eines Regenbaches, dem wir zu folgen hatten, wenn wir den jenseitigen Gebirgszug erreichen wollten. Ich sprach die Hoffnung aus, daß sich dort ein zum Uebernachten geeigneter Ort finden lassen werde. Aber Halef ging nicht, wie ich geglaubt hatte, auf diesen Gedanken ein, sondern er sagte:
„Sihdi, ich habe es versucht, doch vergeblich. Die Frage kommt immer wieder. Wie denkst Du über das Sterben? Antworte mir; ich bitte Dich!“
„Lieber Halef, meinst Du nicht, daß es besser wäre, von etwas Anderem zu sprechen?“
„Besser oder nicht besser; ich kann jetzt an nichts Anderes denken. Es ist, wie ich schon sagte, nicht der Tod, den ich meine. Den habe ich auch früher für etwas Wahres gehalten, jetzt aber weiß ich, daß er nichts als Täuschung ist. Wenn wir von ihm sprechen, so meinen wir eben das Sterben, welches doch kein Tod ist. Hast Du schon darüber nachgedacht?“
„Natürlich! Jeder ernste Mensch wird das thun. Warum fragst Du denn nicht Dich selbst? Du hast doch ebenso wie ich schon Menschen sterben sehen?“
„Nein, noch keinen!“ (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
2)
(Nachdr. verb.)
„Wieso? Ich habe doch mit Dir vor Sterbenden gestanden!“
„Allerdings. Aber sterben sehen habe ich trotzdem noch keinen Einzigen. Man legt sich hin; man schließt die Augen; man röchelt; man hört auf zu atmen; dann ist man gestorben. Aber was ist dabei geschehen? Hat Etwas aufgehört? Hat Etwas angefangen? Hat sich Etwas fortgesetzt, nur in anderer als der bisherigen Weise? Kannst Du mir das sagen?“
„Nein, das kann ich nicht. Das kann überhaupt kein Lebender. Und wenn die Gestorbenen wiederkommen und zu uns sprechen könnten, wer weiß, ob sie es vermöchten, Deine Frage zu beantworten. Sie würden vielleicht auch nichts weiter sagen können, als daß im Sterben die Seele von dem Leib geschieden wird.“
„Von ihm geschieden! Wo kam sie her? Wurde sie ihm gegeben? Ist sie in ihm entstanden? Was hat sie in ihm gewollt? Geht sie gern von ihm? Oder thut ihr das Scheiden von ihm weh?“
„Lieber Halef, ich bitte Dich, von diesem Gegenstande abzubrechen! Was Gott allein wissen darf, das soll der Mensch nicht wissen wollen!“
„Woher weißt Du, daß nur Allah es wissen darf? Das Sterben ist ein Scheiden. Ich darf ja wissen, wohin mich dieses Scheiden führen soll, nämlich in Allahs Himmel. Warum soll es mir verboten sein, zu erfahren, in welcher Weise dieser Abschied vor sich geht? Höre, Sihdi, während Du in der vergangenen Nacht schliefest, habe ich darüber nachgedacht. Soll ich Dir sagen, was mir da in den Sinn gekommen ist?“
„Ja. Sprich!“
„Ich bin der Scheik der Haddedihn, ein in
der Dschesireh sehr reich gewordener Mann. Worin besteht mein Reichthum? In meinen Herden. Da sendet mir der Sultan einen Boten, durch welchen er mir sagen läßt, daß ich nach drei oder fünf Jahren in die Gegend von Edreneh ziehen soll, um Rosen zu züchten, welche mir den Duft ihres Oeles zu geben haben. Was werde ich thun? Kann ich meine Heerden mitnehmen? Nein. Ich werde sie nach und nach aufgeben, um mir an ihrer Stelle anzueignen, was mir dort in Edreneh von Nutzen ist. Und wenn ich das gethan habe, so kann ich, wenn die Zeit gekommen ist, aus meinem bisherigen Lande scheiden, ohne mitnehmen zu müssen, was im neuen Lande mir nur hinderlich sein würde. So ist es auch beim Sterben. Ich wohne in diesem Leben, doch Allah hat mir seine Boten gesandt, welche mir sagen, daß ich für ein anderes bestimmt bin. Nun frage ich mich, was ich in jenem anderen Leben brauchen werde. Früher glaubte ich, es sei nichts weiter nöthig, als nur der Kuran und seine Gerechtigkeit. Aber ich lernte Dich kennen und erfuhr, daß diese Gerechtigkeit bei Allah nicht einen Para Werth besitzt. Ich weiß jetzt, was ich hier hinzugeben und was ich mir dafür für dort einzutauschen habe. Ich will Liebe anstatt des Hasses, Güte anstatt der Unduldsamkeit, Menschenfreundlichkeit anstatt des Stolzes, Versöhnlichkeit anstatt der Rachgier, und so könnte ich Dir noch vieles Andere sagen. Weißt Du, was das heißt, und was das bedeutet? Ich habe aufzuhören, zu sein, der ich war, und ich habe anzufangen, ein ganz Anderer zu werden. Ich habe zu sterben, an jedem Tage und an jeder Stunde, und an jedem dieser Tage und an jeder dieser Stunden wird dafür etwas Neues und Besseres in mir geboren werden. Und wenn der letzte Rest des Alten verschwunden ist, so bin ich völlig neu geworden; ich kann nach Edreneh, nach Allahs Himmel gehen, und das, was wir das Sterben
nennen, wird grad das Gegentheil davon, nämlich das Aufhören des immerwährenden bisherigen Sterbens sein!“
Nachdem er dies gesagt hatte, sah er mich erwartungsvoll an. Ich war nicht nur erstaunt, ich war sogar betroffen. War es denn möglich, daß mein Hadschi derartige Gedanken hegen und solche Worte sprechen konnte?!
„Halef, sag mir aufrichtig: Bist Du krank?“ fragte ich ihn.
„Krank?“ lächelte er. „Du meinst im Kopfe? Ist das, was ich gesagt habe, so thöricht gewesen?“
„Nein. Unklar zwar, aber so gut, so gut! Ich meine körperlich krank.“
„Ich sagte Dir doch schon, daß ich gesund bin. Ein klein wenig matt bin ich seit gestern, und heut drückt Etwas gegen meine Stirn. Die Sonne schien an diesen beiden Tagen gar so heiß. Das ist der Grund. Zu sagen hat es nichts.“
„Und anstatt zu schlafen, hast Du Deinen Gedanken nachgehangen. Wir werden heut eher als gewöhnlich Rast machen. Dir ist Ruhe nöthig. Komm; reiten wir weiter!“
Es ging nur langsam in das Thal hinab, und dann folgten wir dem Regenbette, dessen Windungen uns wieder aufwärts führten. An einer schmalen Stelle ritt ich voran, als hinter mir ein lautes, zitterndes „Huh u uh!“ erklang.
„Was war das?“ fragte ich, indem ich mich umdrehte.
„Mich fror ganz plötzlich,“ antwortete Halef.
Ich sagte nichts, aber ich begann, besorgt um ihn zu werden. Der wackere Hadschi besaß eine fast ebenso eiserne Gesundheit wie ich selbst, doch war es sehr leicht möglich, daß er während unseres Aufenthaltes in dem höchst ungesunden Basra irgend einen Ansteckungsstoff in sich aufgenommen hatte, der nun in ihm zu wirken begann.
Als wir höher kamen, erhob sich ein scharfer Wind. Die Nacht versprach sehr kalt zu werden, und das Gesicht Halefs zeigte eine Entfärbung, die mir nicht gefiel. Ich wünschte sehr, baldigst an eine vom Zuge freie Stelle zu kommen, wo wir zur Nacht bleiben konnten. Dieses Verlangen wurde auch sehr bald erfüllt, wenn auch in anderer Weise, als ich erwartet hatte.
Wir erreichten das Ende oder vielmehr den Anfang des Regenbaches. Zwei Bergeshänge stießen zusammen und bildeten ein Becken, dessen undurchlässiger Felsengrund das Wasser angesammelt hatte. Es gab in Folge der Feuchtigkeit da allerlei Gesträuch, mit Hülfe dessen man sich ein wärmendes Lagerfeuer gestatten konnte. Das war uns beiden natürlich sehr willkommen. Weniger erfreulich aber war, daß wir die Stelle schon besetzt fanden. Es lagen ein Dutzend Männer da, deren abgesattelte Pferde am Wasser grasten. Sie sprangen überrascht auf, als sie uns kommen sahen. Ihre zurücktretenden Stirnen und hohen Hinterköpfe ließen mich vermuthen, daß sie Luren waren. Bewaffnet waren sie nicht besser und nicht schlechter als alle diese Leute. Ihre Kleidung war die gewöhnlicher armer Nomaden, und auch unter ihren Pferden gab es keines, welches einen besonderen Werth gehabt hätte. Ob wir in ihnen ehrliche oder unehrliche Leute vor uns hatten, das wußten wir natürlich nicht, doch waren wir gewohnt, vorsichtig zu sein. Daß sie uns mit neugierigen und unsere Pferde mit bewundernden Blicken betrachteten, konnte uns nicht auffallen. Und ebenso wenig erregte es unser Bedenken, daß sie unseren Gruß nicht abwarteten, sondern uns in jenem Gemisch von Arabisch, Persisch und Kurdisch willkommen hießen, welches man in diesem Grenzgebiete so oft zu hören bekommt.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
3)
(Nachdr. verb.)
Es gab unweit des Wassers einen alten Mauerrest, der gegen den Wind schützte; jedenfalls die beste Lagerstelle hier an diesem Platze. Sie wurde uns sofort und freiwillig angeboten, und wir machten von dieser Zuvorkommenheit recht gern Gebrauch. Man fragte uns nicht nach Namen, Stand und Herkommen, auch nicht nach der Religion, was hier, wo Sunniten und Schiiten einander stets feindlich gegenüberstehen, eine Seltenheit war. Auch gab es keine der gewöhnlichen Aufdringlichkeiten, denen man bei dem Zusammentreffen mit derartigen Leuten fast stets ausgesetzt ist. Kurz, wir fanden keinen Grund, wegen der Anwesenheit dieser Männer um uns besorgt zu sein.
Selbst als wir unsere Pferde abgesattelt hatten, belästigten sie weder die Thiere noch gaben sie ihre Urtheile über sie in jener lauten lärmenden Weise ab, welche zudringlich ist. Auch unsere, besonders meine Waffen fielen ihnen auf; das sahen wir ja, aber sie gestatteten sich nicht, uns nach ihnen zu fragen oder gar sie zu berühren und zu untersuchen. Wir waren in ihren Augen vornehme Fremde, denen sie mit Achtung und Rücksicht zu begegnen hatten. Diesen Eindruck machten sie auf uns.
Sie gingen nur ein einziges Mal aus ihrer höflichen Zurückhaltung heraus. Nämlich als Halef Holz zu sammeln begann, um für uns ein Feuer anzuzünden, leisteten sie ihm bereitwilligst Hülfe; dann aber hielten sie sich wieder so entfernt von uns wie vorher. Trotz alledem beschloß ich, zu wachen, während der Hadschi schlafen würde. Die Ruhe that ihm noth.
Ich nahm von unseren Datteln und aß.
Halef versicherte, weder Hunger noch Appetit zu haben. Das hörte ich nicht gern. Dann sah ich wiederholt, daß er in sich zusammenschauerte.
„Friert Dich wieder?“ fragte ich ihn.
„Ja,“ antwortete er. „Aber es ist wie ein Frieren ohne Kälte. Ich möchte gern etwas recht Heißes trinken. Meinst Du, daß ich diese Leute hier um etwas Kaffee bitten dürfte?“
Die Nomaden hatten nämlich auf ihrem Feuer ein großes Blechgefäß stehen, in welchem sie Kaffee kochten. Der Geruch dieses Getränkes verfehlte auch auf mich seine Wirkung nicht. Ich ging also hin zu ihnen und brachte unser Anliegen vor. Ich sah ganz deutlich, daß man sich herzlich darüber freute, uns diesen Gefallen erweisen zu können. Der, welcher ihr Anführer zu sein schien, sagte:
„Herr, Ihr steigt in großer Güte zu uns nieder. Wir sind arme Leute, und dieser Kaffee wurde so bereitet, wie er sich für uns ziemt. Ihr aber sollt einen anderen, besseren haben, der Euer würdig ist. Habt nur einige Minuten Geduld; dann wird er fertig sein.“
Wir hätten ihn ja auch so genommen, wie sie ihn hatten; aber wenn man an Stelle des weniger Guten etwas Besseres bekommen kann, so wäre man ein Thor, es abzulehnen. Uebrigens pflegt man in jenen Gegenden dem Kaffee Gewürz beizumischen, welches nicht hinein gehört. Der, welchen sie jetzt tranken, duftete ziemlich stark nach Cardamomen, und das war weder nach meinem noch nach Halefs Geschmack. Ich erlaubte mir, ihnen dies zu sagen. Der Mann antwortete so schnell und bereitwillig, daß es mir unter anderen Umständen ganz gewiß aufgefallen wäre:
„Wir werden den Eurigen nicht würzen, Herr. Aber unsere Bohnen haben einen etwas bitteren Beigeschmack, der Euch ohne Gewürz
mehr auffallen wird. Sie werden beim Händler in der Nähe einer bitteren Sache gestanden haben. Uns thut das nichts; Euch aber wird es ungewöhnlich sein.“
Die Verhältnisse in den Kaufläden des Orients sind so mangelhafte, daß es gar kein Wunder ist, wenn irgend eine Sache den Geruch oder Geschmack einer anderen „anzieht“. Daß der Kaffee ein Wenig bitter schmecken werde, konnte also keinen irgend welchen Verdacht in uns erwecken; aber der Eifer, mit dem es mir gesagt wurde, hätte meine Aufmerksamkeit erregen sollen. Diese Leute hatten, wie wir später erfuhren, uns schon lange Zeit, bevor wir sie bemerkten, von der jenseitigen Höhe herabkommen sehen und sich aus ganz bestimmten Gründen bei unserer Annäherung so gestellt, als ob sie keine Ahnung von uns gehabt hätten. Zu dem Plane, den sie ausführten, gehörte ganz besonders auch der Kaffee, den sie uns angeboten hätten, wenn ich nicht von selbst mit meiner Bitte gekommen wäre.
Das Frostgefühl Halefs nahm zu. Es schüttelte ihn, und darum war es wohl begreiflich, daß er, als wir das heiße Getränk bekamen, einen großen Becher voll auf einmal leerte und ihn sich auch gleich wieder füllen ließ. Ich genoß meinen Theil langsamer. Er war stark, sehr stark. Ich nahm freilich an, daß die Ursache dieser Uebertreibung nur darin liege, daß wir für vornehme Leute gehalten wurden. Bitter war er allerdings auch, aber man hat in den fernen, einsamen Grenzbergen zwischen Khusistan und Luristan keine Ursache, den Feinschmecker herauszukehren, und so trank ich nach und nach ebenso viel wie der Hadschi — — drei große Becher voll. Ich that dies besonders in der Absicht, dadurch zum Wachen angeregt zu werden. Wir pflegten, abwechselnd zu wachen; heut aber hatte ich
mir im Stillen vorgenommen, Halef nicht aus dem Schlafe zu wecken.
Unsere Pferde grasten ganz in unserer Nähe. Sie waren gewohnt, sich nicht von uns zu entfernen. Und ebenso gehörte es zu ihrer Eigenart, daß sie sich nur gezwungener Weise zu anderen Pferden gesellten. Sie hatten ihre „Geheimnisse“. Was das heißt, habe ich an anderen Orten wiederholt gesagt. Hierzu muß noch erwähnt werden, daß sie von Halef dressirt worden waren, auf den zweimaligen Zuruf des Wortes „Litath“ ✽) und einen dazwischen tönenden Pfiff jeden fremden Reiter abzuwerfen. Der Beduine liebt dergleichen Dinge und hat auch Zeit genug, sie seinen Pferden beizubringen. Sie können unter Umständen von großem Nutzen sein.
Mein Assil Ben Rih war gewöhnt, daß ich ihm des Abends, ehe ich mich schlafen legte, die Sure „Abu Laheb“ langsam und deutlich in das Ohr sagte. Er hätte keinem Menschen Gehorsam geleistet, der dies nicht wußte und also unterließ. Ich that dies auch heut und streckte mich dann, in meine Decke gehüllt, neben Halef aus, obwohl es nicht meine Absicht war, einzuschlafen.
Zunächst machte ich die Bemerkung, daß mich der starke Kaffee nicht nur an-, sondern sogar aufgeregt hatte. Meine Denkkraft war in die schnellste Bewegung gesetzt. Es jagte eine Vorstellung die andere; ich konnte keine Idee festhalten. Dabei war diese innerliche Ruhelosigkeit keineswegs von der äußeren begleitet. Ich bewegte mich nicht. Es fiel mir gar nicht ein, auch nur ein Glied zu rühren. Ich hatte das Gefühl, daß ich mich überhaupt nicht mehr bewegen könne, aber zum festen, klaren Bewußtsein wurde es mir nicht. (F. f.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
4)
(Nachdr. verb.)
Zuerst sah ich die sich hetzenden Gedanken trotz ihrer Schnelligkeit deutlich an und in mir vorüber fliegen. Nach und nach verloren sie ihre Bestimmtheit; sie wurden verschwommen; dann konnte ich sie überhaupt nicht mehr voneinander unterscheiden, und schließlich wußte ich von ihnen gar nichts mehr; aber auch ich selbst war mir verschwunden, vollständig verschwunden.
Später war es mir, als ob ich einige Male halb aufgewacht, aber sofort wieder eingeschlafen sei. Das wiederholte sich, bis mir irgend ein Etwas in mir zuflüsterte, daß ich in einem unnatürlich tiefen Schlaf liege, den ich unbedingt zu besiegen habe. Dieses Etwas war ich selbst; ich hatte mich wiedergefunden. Und nun begann ein Ringen mit den widerstrebenden Augenlidern und der bleiernen Gliederschwere, die mich fest und unbeweglich an dem Boden halten wollte. Dazwischen hinein war es mir, als ob ich das Krachen des Donners höre. Das Rauschen des Windes und des Regens drang mir wie aus weiter Ferne an das Ohr, und dann kam es mir vor, als ob ich in kalter Nässe liege, welche den ganzen Körper durchdrang und ihn aber glücklicher Weise auch endlich, endlich wieder bewegungsfähig machte. Ich strengte meinen ganzen Willen an, und da gelang es mir, den Oberkörper aufzurichten und die Augen zu öffnen. Was aber sah ich da!
Der Himmel war verschwunden. Ein fürchterliches Gewitter tobte. Ein Blitz zuckte nach dem anderen. Der Donner schien keine Pause
zu kennen. Es ging Krach auf Krach und Schlag auf Schlag. Der Regen fiel wie eine compacte Masse nieder. Er hatte das Felsenbecken, dessen Boden vorher nur bedeckt gewesen war, fast ganz bis oben angefüllt. Vor mir saß Halef, mit dem Rücken am Gemäuer lehnend. Seine Augen waren geschlossen. Er regte sich nicht. Seine Kleidung bestand nur aus Hose, Weste, Hemd und Stiefel. Der Regen troff von diesen vollständig durchnäßten Stücken. Das lenkte meinen Blick auf mich selbst. Auch ich hatte nur Hose, Weste, Hemd und Stiefel, ganz so wie Halef, weiter nichts, alles andere fehlte. Kein Mensch außer uns Beiden rinsumher! Die Nomaden waren fort, mit ihnen unsere Pferde, unsere Waffen und Alles, was wir sonst noch besessen hatten. Ein Griff in meine Taschen zeigte mir, daß sie vollständig leer waren. Man hatte uns ausgeraubt, und wir mußten noch froh sein, daß wir nicht vollständig ausgezogen worden waren.
Ich kann nicht sagen, daß ich über diese Entdeckung erschrak. Selbst wenn ich ein schreckhafter Mensch wäre, so würde der Zustand der Betäubung, dem ich mich doch noch nicht ganz entrungen hatte, eine so engerische [energische] Regung, wie der Schreck ist, gar nicht zugelassen haben. Ich rieb mir die Stirn, und es gelang mir, zwei Gedanken herauszureiben. Der erste war, daß wir in dem Kaffee Opium oder etwas dem Aehnliches getrunken hatten. Opiate sind ja in Persien, ihrem Erzeugungslande, von Jedermann sehr leicht zu haben. Und zweitens sagte ich mir, daß uns jetzt nichts so sehr wie ruhige Ueberlegung geboten sei.
„Halef!“ rief ich dem Gefährten zwischen zwei Donnerschlägen zu.
Er antwortete nicht. Ich wiederholte seinen Namen und schüttelte ihn am Arme. Die Wirkung war eine höchst sonderbare:
„Litaht!“ rief er fast überlaut. Dann steckte er, ohne die Augen zu öffnen, den Zeigefinger krumm in den Mund, brachte einen schrillen Pfiff hervor und schrie dann das Wort zum zweiten Male.
Das war sein Zeichen für die Pferde, Fremden nicht zu gehorchen, sondern sie abzuwerfen. Warum jetzt dieses Zeichen? Es war gewiß ein Zusammenhang der Ideen oder der Umstände, welcher ihn veranlaßte, es zu geben. Ich rüttelte ihn stärker und so lange, bis er die Augen aufschlug. Er starrte mich wie abwesend an.
„Halef, weißt Du, wer ich bin?“ fragte ich.
Da trat das Bewußtsein in seinen Blick, und er antwortete:
„Mein Sihdi bist Du. Wer denn sonst?“
„Wie befindest Du Dich? Wie ist Dir jetzt?“
„Warm, sehr warm,“ lächelte er.
Wie? Warm? Mich, den Gesunden, durchdrang eine eisige Kälte, und er, dessen Zustand mir Besorgniß eingeflößt hatte, fühlte sich warm, sogar sehr warm! Wenn ich richtig vermutet hatte und eine Krankheit bei ihm im Anzuge war, so konnte die jetzige durchnässung ihm im höchsten Grade gefährlich werden. Und da fühlte er sich warm! War es etwa das Fieber, welches hier einmal als Wohlthäter auftrat und ihm das Leben rettete?
„Weißt Du, wo wir sind und was geschehen ist?“
Er schloß die Augen, wie um nachzusinnen, und antwortete nicht gleich. Dann öffnete
er sie wieder, sprang mit einem einzigen Rucke in die Höhe und rief aus:
„Sihdi, Du bist stets gegen den Gebrauch der Peitsche; aber hier ist sie es, welche das erste Wort zu sprechen hat! Es waren zwölf Mann. Sobald wir sie erwischt haben, bekommt ein Jeder hundert Hiebe; das macht zusammen zwölfhundert Hiebe. Welche Seligkeit für mich!“
Er stand da, stolz und gerade aufgerichtet, als ob ihm nichts, aber auch gar nichts fehle. Bis auf das Hemd ausgeraubt, vollständig mittellos, sprach er doch genau so, als ob er der Beherrscher der Situation sei. Darum sagte ich:
„Rede mit Ueberlegung, lieber Halef! Schau Dich und mich an! Wir sind Bettler; wir sind ganz ohnmächtige Menschen!“
„Bettler? Ohnmächtig? Was fällt Dir ein! Wenn Du nicht mein Sihdi wärest, so würde ich Dir sagen, daß Du Dich schämen solltest, so ohne Selbstvertrauen zu sein! Kennst Du denn Dich und mich nicht mehr? Hast Du vergessen, was wir alles erlebt und erzwungen haben? Bettler und ohnmächtig! Du bist der klügste Mann des Abend- und ich bin der pfiffigste Halef des ganzen Morgenlandes! Grad daß wir vollständig ausgeraubt und scheinbar ohne Mittel und ohne Hilfe sind, muß uns willkommen sein! Denn das gibt uns Gelegenheit, zu zeigen, was wir können! Laß mich nur machen! Ich werde überlegen. Ich habe nicht immer geschlafen; ich bin auch aufgewacht; aber bewegen konnte ich mich leider nicht. Ich habe gesehen, und ich habe gehört. Was? Darüber will ich nachdenken.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
5)
(Nachdr. verb.)
Er setzte sich wieder nieder, obgleich die Stelle naß wie jede andere war. Den Kopf in die Hände legend, sah er auf die Erde. Dabei sagte er, indem er zwischen den einzelnen Worten oder Sätzen längere oder kürzere Pausen machte:
„Ich wurde hin und her gewälzt, wachte aber nicht auf. — Ich fühlte fremde Hände in meinen Taschen, konnte mich aber nicht wehren. — — — Man hatte uns schon drüben auf dem Bergkamme stehen sehen, wo wir die Pferde ausruhen ließen. — — — Man beschloß, uns nicht zu überfallen und nicht zu töten, sondern mit Efjuhn ✽) wehrlos zu machen. — — — Dann war es Tag geworden. Ich hörte die Hufe der Pferde und dachte an unsere Hengste. Das gab mir Kraft die Augen aufzuschlagen. Ich sah, daß die Diebe fort wollten. Eben schwangen sich zwei auf unsere Rappen. Der Grimm darüber machte mich sofort gesund, leider nur für einen Augenblick. Ich rief zweimal das Wort und gab den Pfiff. Die Hengste gehorchten sofort. Sie gingen in die Luft, und die beiden Kerle flogen in weitem Bogen auf die Erde nieder. Der Eine stand wieder auf. Der Andere aber konnte das nicht thun; er mußte aufgehoben werden. Allah gebe, daß er ein Bein gebrochen hat, noch besser aber alle beide! — — — Dann schlief ich wieder ein, doch nicht auf lange Zeit, denn ich sah sie fortreiten, da grad hinauf; jenseits verschwanden sie. Die helle Morgensonne schien. Nun aber kam der tiefste Schlaf, aus welchem mich der Donner weckte. Ich setzte mich auf und lehnte mich hierher. Mehr zu thun, hatte ich nicht die Kraft. — — —
Ich träumte allerlei, bis ich von Dir aufgerüttelt wurde. — — — Das, Sihdi, ist es, was ich Dir sagen kann, weiter nichts!“
Wie kam es wohl, daß er nicht so tief wie ich geschlafen hatte? Hatten die in seinem Körper thätigen Krankheitserreger die Wirkung des Opiums abgeschwächt? Wohl möglich! Da umzuckte uns ein Blitz, als ob wir mit der Umgebung in einer einzigen Flamme ständen; es folgte ein betäubender Donnerschlag, und dann gab es plötzlich keinen Tropfen Regen mehr. Das Wetter war vorüber; die Wolken verschwanden schnell, und hierauf schien die Sonne erwärmend und trocknend auf uns hernieder. Ihr Stand sagte uns, daß es Nachmittag gegen drei Uhr sei. Uhren hatten wir nicht mehr.
Es war, als ob uns mit der Sonne die volle Lebenskraft zurückgegeben worden sei. Halef behauptete, er sei vollständig gesund und wohl und fühle nicht das geringste Unbehagen. Er wurde, wie sich später herausstellte, getäuscht. Ich hatte Kopfschmerzen und vermißte sowohl die körperliche als auch die geistige Elasticität. Das konnte mich aber nicht hindern, zu thun, was nöthig war. Zu überlegen gab es nichts. Wir konnten nichts anderes thun, als den Dieben folgen. Der Regen hatte zwar alle ihre Spuren weggewischt, aber wir wußten doch, nach welcher Richtung sie sich entfernt hatten. Eigentlich war es lächerlich, daß wir ohne alle Waffen und zu Fuße wohlbewaffnete Reiter verfolgen wollten, um ihnen ihren Raub wieder abzunehmen; aber sie konnten doch nicht wochenlang in einer Tour fortreiten. Sie mußten einen Ort haben, an welchem sie wohnten, und dieser konnte nicht wohl jenseits der Grenzen dieser Berge liegen. Wir mußten uns auf unsern Scharfsinn verlassen und unserem alten, guten Glück Vertrauen schenken. Die größte Mißlichkeit unserer Lage bestand darin, daß wir ohne Lebensmittel waren. Aber
verhungern konnten wir nicht, denn nur eine Tagesreise von hier gab es am oberen Quran bewohntes Land, wo wir wohl bekommen würden, was uns nöthig war. Uebrigens trug ich auf der Brust die Brieftasche mit den Geldwerthen, welche mich gegen jeden späteren Mangel sicher stellten. Es fiel mir nicht im Geringsten ein, gleich von vorn herein an unserem Erfolge zu verzweifeln. Wenn Halef munter blieb, konnte sich sehr wohl ein guter Ausgang einstellen. Er behauptete, bereit zu sein, und so traten wir in dem scheinbar hülflosen Zustande, in welchem wir uns befanden, an eine Aufgabe heran, zu deren Lösung mehr, viel mehr gehörte, als uns zur Verfügung stand.
Das Trocknen unserer höchst mangelhaften Anzüge ganz einfach der Sonne überlassend, verließen wir das Wasserbecken und stiegen in der Richtung bergan, in welcher sich die Nomaden entfernt hatten. Es war eine Art Bergsattel, auf dessen anderer Seite sie verschwunden waren. Gebahnte Wege gab es natürlich nicht. Jeder konnte die ihm beliebige Richtung einschlagen; aber es verstand sich ganz von selbst, daß er sich den bequemsten Ab- oder Aufstieg suchte. Wenn das Terrain mehrere bequeme Richtungen bot und es keine Spuren gab, so war es freilich für uns schwer, zu bestimmen, wohin die Gesuchten sich gewendet hatten. Das war hier oben der Fall. Gegenüber lagen nackte Höhen, hinter denen im Osten Berge emporstiegen, welche bewaldet oder doch wenigstens mit Gebüsch bestanden zu sein schienen. Es war anzunehmen, daß die von uns Verfolgten dorthin geritten seien. Grad vor uns ging ein breiter, sanft geneigter Felsenhang hinab, an dessen Fuße drei verschiedene, nach Osten gehende Thäler mündeten. Welches von diesen dreien war gewählt worden? Das wußten wir nicht. Jammerschade, daß der Regen jede Spur verwaschen hatte.
Wir stiegen hinab und begannen, das Terrain -
Terrain abzusuchen, obgleich wir keine Hoffnung auf Erfolg hatten. Aber das Glück, von dem ich vorhin sprach, war uns günstig. Das mittlere dieser Thäler war das breiteste und, wie es schien, bequemste. Darum gingen wir zunächst eine Strecke weit in dasselbe hinein. Da sahen wir den zwei Finger starken Ast eines Strauches liegen. Er war gewiß erst heut früh abgeschnitten und gehörte derselben Buschgattung an, welche oben am Wasser gestanden hatte. Er war an dem einen Ende zersplittert und zwischen diesen Splittern hingen zwei lange schwarze Pferdehaare. Er lag ganz nahe an einem hoch und glatt aufragenden Felsenstück, dessen Vorderseite fast ganz trocken war, weil der Wind den Regen von Süden her gebracht hatte. Es gab da in fast Manneshöhe eine feuchte, rote Stelle am Gestein, und unten auf dem Erdboden war ein mehrere Hände großer Flecken geronnenen Blutes zu sehen, welches der Regen nicht getroffen und also auch nicht aufgelöst hatte.
„Ob das ein Beweis ist, daß unsere Spitzbuben hier gewesen sind?“ fragte Halef.
„Ja. Und zwar ein sicherer Beweis,“ antwortete ich. „Um welches von unseren Pferden es sich handelt, das weiß ich nicht; aber man hat eines von ihnen hierher an den Felsen gedrängt, um es zu zwingen, sich besteigen zu lassen. Es hat sich gewehrt und ist dafür mit diesem Aste gezüchtigt worden. Man hat ihn an dem edlen Tiere in Splitter geschlagen und diesem dabei diese Haare aus dem Schwanze gerissen. Aber der Hengst hat die Missethat sofort vergolten und den Betreffenden so getroffen, wahrscheinlich an die Brust, daß aus seiner Lunge ein Bluterguß erfolgt ist. Sie sind also in diesem Thale aufwärts geritten, und wir wissen nun, welche Richtung wir einzuschlagen haben, wenn wir ihnen folgen wollen.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
6)
(Nachdr. verb.)
„Wie? Was?“ fragte Halef zornig. „Unseren Barkh oder unseren Assil Ben Rih geschlagen? Mit diesem Knüppel hier? Das muß hundertfach gerochen werden! Das erste Gebot für uns ist, Allah zu lieben; das zweite ist, die Menschen zu lieben, und das dritte ist, die Thiere und überhaupt alle Geschöpfe zu lieben, welche uns dienen sollen, weil Allah sie uns anvertraut hat. Wer gegen eines dieser drei Gebote handelt, der ist ja gar nicht werth, daß sie ihm gegeben worden sind! Ich will nicht etwa sagen, daß das Schlagen überhaupt verboten sei, denn warum hätte man sonst die Peitsche erfunden, und wozu wäre da ganz besonders auch meine eigene Kurbatsch ✽) vorhanden, welche in diesem Augenblick allerdings nicht mehr vorhanden ist? Ich hoffe aber, daß ich sie sehr bald wiederbekomme, um die Hiebe, mit denen die edle Haut unseres Pferdes entweiht worden ist, mit Zinsen und wieder Zinseszinsen von diesen Zinsen zurückgeben zu können! Wer ein Pferd schlägt, durch dessen Adern reines Blut und edler Wille fließt, der ist ein Schuft, ein Schurke, ein elender Taugenichts, der die größte Verachtung verdient. Und wenn er gar das Pferd vorher gestohlen hat und mit dem Knüppel also eine Stelle bearbeitet, welche gar nicht sein rechtmäßiges Eigenthum ist, so — — so — — so fehlen mir überhaupt die Worte, Dir zu erklären, wie unendlich tief der Abgrund der Niederträchtigkeit ist, in dem er diese mir ganz unbegreifliche That begangen hat!“
Das war so recht die Gesinnung und die Ausdrucksweise meines kleinen Hadschi. Er stand mit geballten Fäusten vor mir. Seine
Augen blitzten, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck des höchsten Zornes. Ein Vollblutpferd mit dem Stocke zu bestrafen, das ging ihm über alle menschenmöglichen Begriffe. Er riß mir den Ast aus der Hand und fuhr fort:
„Gib ihn mir! Ich sehe den Rücken schon von Weitem, auf welchem ich dieses Werkzeug der Missethat vollends zersplittern werde!“
„Sei ruhig, Halef,“ fiel ich ein. „Schau hier das Blut! Die That ist ja schon gerächt worden, und zwar viel strenger, als Du sie rächen könntest.“
„Meinst Du! Hm! Ja! Der Hauptthäter hat seinen Lohn bekommen. Aber es waren elf Andere dabei, welche die Mißhandlung geduldet haben. Traust Du mir etwa zu, daß ich sie begnadige?“
Diese Frage war so ernst gemeint, daß ich über sie lächeln mußte.
„Warum lachst Du?“ fragte er. „Willst Du etwa meinen Grimm vergrößern? Soll ich nun auch noch auf Dich zornig werden?“
„Nein; das wünsche ich nicht, lieber Halef. Aber schaue Dich an, und schenke auch mir einen Blick! Wie stehen wir da! Wie sehen wir aus! Worin besteht unser Besitz und unsere Macht? Und da sprichst Du von Begnadigung?“
„Warum soll ich das nicht?“ fragte er im Tone des Erstaunens. „Werden wir etwa so, wie wir jetzt aussehen, hier stehen bleiben? Haben wir nicht soeben die Spur Derer entdeckt, welche wir suchen? Werden wir ihnen denn nicht Alles wieder abnehmen, was sie uns gestohlen haben? Und sind sie dann nicht ganz und gar in unsere Hände gegeben? O, Sihdi, von Dir habe ich gelernt, an mich und Dich zu glauben, und nun bist grad Du es selbst, der keinen Glauben hat! Was soll ich von Dir denken! Selbst wenn es aus allen anderen Gründen unmöglich wäre, an diesen Schurken Vergeltung zu üben, so ist doch diese
eine Unthat, unser Pferd geschlagen zu haben, so ungeheuerlich, daß sich das Kismet ✽) gezwungen sehen muß, uns diese Kerle auszuliefern! Also zweifle nicht! Ich weiß, was kommen wird. Paß auf, was ich jetzt thue!“
Er schleuderte den Ast weit von sich und fügte dann hinzu:
„So wie ich dieses Werkzeug des Verbrechens wegwerfe, so werde ich alle meine Güte und Gnade von mir werfen, wenn diese Spitzbuben mich um Schonung bitten! Sei so gut und komme mir dann ja nicht mit Deiner wohlbekannten „Menschenliebe“, mit welcher Du mir schon so manche unbezahlte Rechnung ausgestrichen hast! Ich will und werde mich rächen, und zwar so, wie ich mich noch nie gerächt habe. Jetzt komm! Wir wollen fort von hier! Wir dürfen keine Zeit versäumen, um Gericht zu halten über Alle, die uns beraubt, belogen, betrogen und beleidigt haben!“
Wir gingen, um dem Thale zu folgen, in welchem wir uns befanden. Mein Gesicht schien jetzt einen Ausdruck zu haben, der Halef nicht gefiel, denn dieser sah mich, während wir neben einander gingen, forschend an und sagte dann:
„Du lächelst abermals und doch ist es kein Lächeln. Du lächelst zwar sehr deutlich, aber innerlich. Habe ich Recht?“
„Ja,“ nickte ich.
„So sag: Was kommt Dir spaßhaft vor!“
„Deine Ungnade.“
„Die ist ganz und gar nicht lächerlich. Ich meine doch, daß Du mich kennst, Sihdi!“
„Ja, ich kenne Dich!“
„Nun? Weiter? Was willst Du sagen?“
„Dein Grimm will oft die ganze Welt verschlingen. Dann aber schleicht sich heimlich und leise Dein gutes Herz heran, um diese ganze Welt verzeihend zu umarmen!“
„So! Also so stark und so schwach bin ich in Deinen Augen?“
„Ja, aber nicht so, wie Du es meinst, sondern umgekehrt: schwach im Grimme und stark in der Güte.“
„Höre, Sihdi, ich will nicht mit Dir streiten. Ich streite ja überhaupt nie mit Dir, weil ich Dir sonst zeigen müßte, daß Du immer und immer unrecht hast. Und diese Kränkung will ich Dir ersparen, denn ich bin Dein wahrer Freund, und liebe Dich. Aber dieses Mal muß ich Dir doch sagen, daß Du Dich in mir täuschest. Es wird meinem Herzen nicht einfallen, geschlichen zu kommen, um hinter meinem Rücken meinen Grimm in Liebe zu verwandeln. Du denkst nie so scharf und empfindest nie so tief wie ich! Ich habe vorhin mit ganz besonderer Absicht gesagt: beraubt, belogen, betrogen und sogar auch noch beleidigt. Diese Beleidigung kannst Du freilich nicht so ganz unten in der tiefsten Tiefe des Zornes fühlen wie ich, denn Du bist ein Abendländer aus Dschermanistan ✽), wo man es für höflich hält, das Heiligthum des Hauptes preiszugeben. Ihr grüßt, indem Ihr dem Kopfe das nehmt, was an jedem Kopfe das Allerwichtigste ist, nämlich die Bedeckung. Ich aber bin ein Scheik des Morgenlandes aus der Dschesireh ✽✽), wo man es für eine Schande hält, die ehrenvolle Würde des Scheitels zu entblößen. Wer mich zwingt, unbedeckten Hauptes zu erscheinen, der hat schlimmer an mir gehandelt, als wenn er mir hundert Ohrfeigen oder tausend Stockhiebe gegeben hätte. Er hat ein Verbrechen an mir begangen, welches ihm zu verzeihen mir ganz unmöglich ist. Nun schau mich an! Was siehest Du? Oder vielmehr, was siehest Du nicht?“
„Das Allerwichtigste, was es an Deinem Kopfe gibt,“ antwortete ich. (Forts. folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
7)
(Nachdr. verb.)
„Halt! Lächle nicht etwa schon wieder! Diese Kerle haben mir nicht nur den Fez geraubt, sondern auch das Turbantuch, mit welchem man den obersten und höchsten Theil des Morgenlandes schmückt. Ich bin der hervorragendste Punkt des berühmten Volkes der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Und dieser Punkt ist unbedeckt, der Luft, der Sonne, dem Regen und jedem Auge preisgegeben! Verstehest Du das? Kannst Du mir das nachfühlen, wenn ich mir Mühe gebe, es Dir so deutlich wie möglich vorzuempfinden? Ist es Dir möglich, die Größe der Schande zu ermessen, welche mir angethan worden ist? Oder ist es nöthig, die Thätigkeit Deines Begriffsvermögens durch ein erklärendes Beispiel zu unterstützen?“
„Laß mich dieses Beispiel hören!“ forderte ich ihn auf, denn wie ich ihn kannte, war jetzt eine seiner Uebertreibungen, also etwas Drolliges zu erwarten.
„So höre, was ich Dir sage! Ihr entblößt aus Höflichkeit das Haupt, wenn aber wir höflich sein wollen, so ziehen wir die Pantoffeln aus. Wieviel Menschen gibt es in Eurem Abendlande?“
„Viele, viele Millionen.“
„Aber ist auch nur ein einziger Scheik der Haddedihn dabei?“
„Nein; keiner.“
„So wirst Du einsehen, was für eine seltene und wichtige Person ich bin! Also vernimm nun den Vergleich: Daß man mir den Fez und das Turbantuch gestohlen hat, ist eine noch viel größere Missethat, als wenn allen Deinen abendländlichen Millionen ihre sämmtlichen -
sämmtlichen Pantoffeln gestohlen worden wären. Das siehst Du doch wohl ein?“
„Hm!“
„Ich will dieses „Hm!“ nicht hören, weil es mich an Deiner Einsicht zweifeln läßt. Ich hoffe, es ist Dir nun klar geworden, daß ich die Rache für diese Beleidigung unmöglich den Händen meines guten Herzens anvertrauen — — — höre, Sihdi, was hast Du schon wieder zu lächeln?“ unterbrach er sich.
„Ich wundere mich über die „Hände“ Deines Herzens, lieber Halef.“
„So! Ah — — hm — — — Hände! Du willst die schöne, geläufig fließende Sprache meines Mundes mit Fehlern belasten, daß sie stecken bleiben möge? O, Sihdi, verdoppele ja nicht meinen Zorn, denn er ist auch ohne dies schon so groß, daß er, wenn er Dich träfe, Dich vollständig vernichten würde. Ich will Dich aber schonen und darum werde ich schweigen!“
Er rückte um einige Schritte von mir ab, um mir zu zeigen, daß er mit mir schmolle. Das that er immer, wenn ich es für nöthig hielt, gegen seine Eigenart eine leise Verwahrung einzulegen; doch war seine Indignation nie von langer Dauer. Er konnte es nicht aushalten, einen trennenden Gedankenstrich zwischen sich und mir zu wissen.
Wir waren noch nicht weit vorwärts gekommen, so hatten wir Veranlassung, wieder stehen zu bleiben. Das Thal stieg hier in fast schnurgerader Richtung nach oben, und es war uns also ein ziemlich weiter Blick in den vor uns liegenden Theil desselben gestattet. Da sahen wir eine Schaar berittener Männer, welche uns entgegenkamen und, als sie uns bemerkten, halten blieben, um uns zu beobachten.
„Schau, Sihdi, da kommt Rettung!“ rief
Halef, schnell seinen Groll vergessend. „Siehst Du sie?“
„Rettung?“ fragte ich. „Abwarten!“
„Da ist gar nichts abzuwarten! Genommen kann uns nichts werden, denn wir haben ja nichts mehr. Und wer uns nichts Böses thun kann, der muß uns doch Gutes thun. Es sind acht Personen, aber elf Pferde. Wie fangen wir es an, um zwei von den ledigen Tieren zu bekommen? Ich weiß es!“
„Nun, wie?“
„Auf Credit. Wenn sie hören, wer ich bin, werden sie bereit sein, uns mit zwei Pferden auszuhelfen!“
„Wollen es versuchen. Komm!“
Wir gingen also weiter. Als die Retter dies sahen, setzten auch sie sich wieder in Bewegung. Nach zwei Minuten hielten sie an, und wir standen vor ihnen. Sie waren schwarzhaarige, dunkelgefärbte Männer mit Gesichtszügen, die an Kurdistan gemahnten. Bei derartigen Begegnungen richtet man den ersten Blick auf die Reiter, den zweiten auf die Pferde. Wir sahen, daß wir von diesen Fremden nicht unfreundlich betrachtet wurden. Ihr Pferdematerial war ein mittelmäßiges. Dem entsprachen auch ihre Anzüge und die Waffen, welche sie trugen. Zwei von den ledigen Pferden waren zum Reiten gesattelt. Auf dem Packsattel des dritten sahen wir ein in eine alte, schlechte Decke gewickeltes Bündel festgeschnallt. Der Anführer, ein stark gebauter, vollbärtiger Mann, wartete nicht, bis wir ihn grüßten, sondern er hob seine Rechte bis in die Gegend des Herzens und sagte in höflichem Tone:
„Ni, vro’l ker!“
Das war der gewöhnliche kurdische „Gutentag“-Gruß. Er enthielt keine übertreibende Höflichkeit und klang ebenso aufrichtig, wie er einfach war. Das gefiel uns. Wenn wir bedachten, wie wir vor diesen Leuten standen, so war es
gewiß anzuerkennen, daß ihr Anführer uns den Gruß zuerst gegeben hatte. Wir dankten ihm mit gleicher Höflichkeit; dann nannte er uns, ohne von uns gefragt worden zu sein, aus eigenem Antrieb seinen Namen:
„Ich bin Nafar Ben Schuri, der Scheik der Dinarun. Wir befinden uns auf der Jagd. Unser Lager ist gegen Osten eine Stunde weit von hier.“
Wir sahen, daß er nun unsere Antwort erwarte. Ich ließ es geschehen, daß Halef sie gab. Er that dies natürlich in der ihm geläufigen Weise, auf welche er grad unter den gegenwärtigen, für uns so mißlichen Umständen am allerwenigsten verzichtet hätte. Was unserer persönlichen Erscheinung mangelte, das mußte unbedingt durch klingende Worte ergänzt werden.
„Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abal [Abul] Abbus [Abbas] Ibu [Ibn] Hadschi Dawuhd al Gossarah, der Scheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar. Ich hoffe, daß Dir dieser Name nicht unbekannt ist!“
Es war allerdings, als der Anführer diesen Namen hörte, wie eine Art von Leuchten über sein Gesicht gegangen. Nun antwortete er:
„Ich habe von Dir gehört. Einige meiner Leute sind vor mehreren Tagen von Basrah heimgekehrt. Sie haben Dich gesehen und mir von Dir erzählt.“
Das war Wasser auf Halefs Mühle. Er reckte seine kleine Gestalt so hoch wie möglich empor und fiel in stolzem, selbstbewußtem Tone ein:
„Von meinen Thaten auch? In der Sahara? In Egypten? In Arabien? In Kurdistan?“
„Alles nicht, aber Vieles,“ lächelte Nafar Ben Schuri. „Wenn Allah will, werde ich noch mehr von Dir selbst erfahren.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
8)
(Nachdr. verb.)
„Er wird es wollen, hoffe ich! Aber sieh hier diesen anderen Mann, meinen Freund und Begleiter, an! Sein Name ist eigentlich noch viel, viel länger als der meinige; aber er liebt es nicht, daß derselbe von Anfang bis zum Ende vorgetragen wird. Darum will ich ihn einstweilen nur Kara Ben Nemsi aus Dschermanistan nennen. Was ich erlebt habe, hat er fast Alles miterlebt. Ich will Dir nur die allerwichtigsten unserer Thaten aufzählen, denn wenn ich Dir alle nennen wollte, so — — —“
Er hielt mitten in der Rede inne, denn ich hob die Hand auf, um ihm Einhalt zu thun. Grad die sogenannten „großen Thaten“ waren es ja, die er mit den buntesten Blumen auszuschmücken pflegte. Den orientalischen Zuhörern konnte seine überschwängliche Ausdrucksweise freilich nicht auffallen, weil sie meist selbst keine andere gewöhnt waren; aber ich liebte sie nicht und suchte sie darum, so oft dies möglich war, in die richtigen Grenzen zurückzuleiten. So auch jetzt. Er gehorchte zwar sogleich, warf mir aber die bedauernde Bemerkung zu:
„Sihdi, winke mir doch nicht immer grad dann zu, wenn ich spreche! Du weißt ja, daß mich das stört! Winkst Du mir, wenn ich schweige, so habe ich ja viel mehr Zeit, Deinen Wink zu beachten. Das wirst Du wohl einsehen!“ Sich hierauf dem Anführer wieder zuwendend, fuhr er fort: „Die letzte und allergrößte unserer Thaten geschieht eben jetzt, indem wir Dir begegnen. Wir stehen eben im Begriffe, zwölf Schurken, welche uns ausgeraubt -
ausgeraubt haben, zu verfolgen, zu ergreifen, zu richten und zu bestrafen!“
Nafars Gesicht zeigte einen zwar undefinierbaren, aber leicht erklärlichen Ausdruck, als er hierauf fragte:
„Man hat Euch ausgeraubt?“
„Ja. Das siehst Du doch!“
„Ihr habt keine Pferde?“
„Nein. Oder siehst Du welche?“
„Waren die Räuber beritten?“
„Ja.“
„Und dennoch wollt ihr sie verfolgen?“
„Natürlich! Es kann uns doch gar nicht einfallen, sie entkommen zu lassen.“
„Und ihr glaubt, sie einholen zu können?“
„Ganz gewiß!“
„Etwa mit Euren Beinen? Auf diesen Euren Füßen?“
„Fällt uns auch nicht ein!“
„Wie denn?“
„Ganz selbstverständlich auf den Füßen Eurer Pferde!“
„Maschallah ✽)! Ihr glaubt, daß wir Euch helfen werden?“
„Es wäre uns wohl lieb, wenn Ihr es thätet, aber unbedingt nothwendig ist es nicht. Wir brauchen zwei Pferde, zwei Gewehre, zwei Messer, zwei Fez’, zwei Haïks ✽✽) und Pulver und Blei. Das kaufen wir Euch ab.“
„Du sprichst sehr kurz und bestimmt. Könnt Ihr denn dies Alles bezahlen?“
„Sogleich freilich nicht; aber ich bin Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn, und wenn ich mein Wort gebe, daß ich sogar den doppelten Preis zahlen werde, so frage
ich: Wer wagt es, zu ehaupten, daß ich es nicht halten werde?“
„Niemand. Ich glaube Dir. Aber ich habe Euch noch nie gesehen, und ich besitze keinen Beweis, ob Ihr wirklich die berühmten Männer seid, deren Namen Du genannt hast. Es ist also ein ganz besonderer Handel, auf den ich mit Dir eingehen soll. Erlaube uns, o Scheik der Haddedihn, daß wir von unseren Pferden steigen, um uns von Dir erzählen zu lassen, von wem und in welcher Weise der Raub an euch begangen worden ist!“
Das klang so vernünftig und so hülfsbereit. Daß er vorher gesprächsweise prüfen wollte, konnten wir ihm nicht im Geringsten übelnehmen. Die Dinarun stiegen von ihren Thieren und setzten sich, einen Halbkreis bildend, nieder. Wir nahmen vor ihnen Platz, und dann begann Halef zu erzählen. Er that dabei alles Mögliche, unsere Unvorsichtigkeit zu entschuldigen und die an uns begangene Missethat in das grellste Licht zu stellen. Als er geendet hatte, richtete der Anführer die Frage an ihn:
„So wißt Ihr also nicht genau, wer diese Menschen gewesen sind?“
„Nein,“ antwortete Halef.
„Auch nicht, wo sie wohnen?“
„Auch nicht.“
Da ging ein breites, frohes Lächeln über das dunkle, bärtige Gesicht Nafars, und er sagte:
„Wie gut für Euch, daß Ihr uns begegnet seid! Was Ihr nicht wißt, das könnt Ihr von uns erfahren.“
„Von Euch?“ fragte Halef schnell. „Wißt Ihr denn etwas über diese Hallunken?“
„Ja,“ nickte der Anführer.
„Was und woher?“
„Wir sind ihnen ja begegnet!“
„Ihr? Ihnen? Begegnet?“ rief Halef aus, indem er aufsprang. „Hamdulillah! Das ist ja ganz so gut, als ob wir sie schon hätten! Wo und wann ist das geschehen?“
„Um die Mittagszeit, im Nordosten von hier. Ich weiß die Stelle ganz genau. Und da Ihr Hadschi Halef und Kara Ben Nemsi seid, so bin ich gern erbötig, Euch die Hülfe unseres ganzen Lagers anzubieten. Ja, es stimmt: Es waren zwölf Personen, aber zwei von ihnen schienen krank oder verwundet zu sein — — —“
„Der vom Pferde Abgeworfene und der vom Pferde Geschlagene!“ unterbrach ihn Halef.
„Eure beiden Rappen wurden an den Zügeln geleitet. Es saß Niemand auf ihnen, und erst jetzt fällt es mir ein, daß sie sehr aufgeregt zu sein schienen.“
„Habt Ihr mit den Leuten gesprochen?“
„Nein. Sie schienen das nicht zu wünschen und ritten, nur kurz grüßend, an uns vorüber. Später sahen wir einen zusammengebundenen Gegenstand an der Erde liegen. Es ist möglich, daß sie ihn verloren haben, aber keineswegs gewiß, denn wir haben nicht auf ihre Fährten geachtet und wissen also nicht, ob er auf ihren Spuren lag. Nachdem wir aber Euch hier getroffen und erfahren haben, was Euch geschehen ist, so vermute ich, daß die darin befindlichen Sachen Euch gehören. Wir öffneten natürlich das Paket und haben also gesehen, was es enthält. Es scheint alles zu sein, was Euch an Eurer Kleidung fehlt.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
9)
(Nachdr. verb.)
Er winkte einem seiner Leute, welcher das Bündel vom Packsattel löste, um es herbeizubringen, zu öffnen und dann den Inhalt vor uns auszubreiten. Es war zu unserer gewiß nicht unangenehmen Ueberraschung so, wie er gesagt hatte: Da lagen unsere Decken, die Haïks, die Fez’, die Turbantücher, die Jacken und auch die kleineren, unwichtigen Gegenstände, welche zu unseren Anzügen gehörten. Es fehlte nichts; als ob man mit besonderer Aufmerksamkeit darauf bedacht gewesen sei, grade diese Kleidungsstücke von den anderen uns geraubten Sachen in der Weise abzusondern, daß ein glücklicher Umstand sie uns vollständig zurückzugeben habe. Später sahen wir freilich ein, daß uns dies hätte auffallen müssen; zunächst aber erregte der willkommene Fund nicht das geringste Bedenken in uns, zumal die Taschen leer waren und es keinen Grund für uns gab, auf irgend eine Absichtlichkeit zu schließen. Das Paket war schlecht festgebunden gewesen. Man hatte es also während des Rittes verloren und dies nicht sogleich bemerkt. Freilich lag die Frage nahe, warum man nicht umgekehrt war, es zu suchen, als man endlich doch gewahrte, daß es abhanden gekommen sei. Das war aber nicht schwer zu erklären: Wer einen Raub begangen hat, der sucht zunächst, sich möglichst weit zu entfernen; zur Umkehr müssen wichtige Gründe vorliegen, und der Wert dieser Kleidungsstücke war doch nicht ein so hoher, daß man ihretwegen eine Zeit von vielleicht mehreren Stunden hätte versäumen mögen. Dazu kam die Begegnung der Diebe mit den Dinarun. Die ersteren mußten sich, sobald sie den Verlust bemerkten, sagen, daß
die Letzteren das Packet gefunden haben und, wenn man es von ihnen zurückverlangte, gewiß nach der Berechtigung dazu fragen würden. Das konnte sehr leicht zu unangenehmen Forschungen und Weiterungen führen — — — kurz und gut, es war weder für mich noch für Halef unbegreiflich, daß wir unsere Sachen so hübsch bei einander vor uns liegen sahen. Freilich an den Umstand, daß es für mich überhaupt keinen Zufall gibt, dachte in diesem Augenblicke keiner von uns Beiden. Halef, der stets Schnellerfertige von uns, rief, als er die Sachen sah, voller Freude aus:
„Maschallah! Was erblicken meine Augen! Da liegt ja die ganze Ehre unserer Häupter und die ganze Zierde unserer Glieder vor uns ausgebreitet! Ich sehe nicht ein einziges Stück, welches sich nicht dabei befindet, sondern es ist Alles, Alles da! Sihdi, ich fordere Dich auf, im Verein mit meinem Munde zu erklären, daß das Kismet ehrlicher und gerechter ist, als diese Spitzbuben es gewesen sind! Das gütige Fatum zeigt uns hier wieder einmal, daß wir in die vorderste Reihe seiner Lieblinge gehören. Und weißt Du, warum es uns zunächst die geraubte Kleidung zurücksendet?“
„Nun, warum?“ fragte ich.
„Weil wir sie nöthiger als alles Andere haben und damit wir hieraus erkennen sollen, daß wir auch das, was noch fehlt, zurückbekommen werden. Was sitzest Du da und regst Dich nicht! Folge doch meinem Beispiele; die Sachen gehören doch uns!“
Er war nämlich aufgesprungen und nun eifrig damit beschäftigt, die Kleidungsstücke so eilig anzulegen, als ob sein ganzes Heil in der vollständigen Umhüllung seines kleinen, schmächtigen, aber außerordentlich sehnen- und nervenstarken Körpers bestehe. Ich folgte nun seinem
Beispiele, wenn auch in langsamerer und bedächtigerer Weise.
„So!“ sagte er, als er fertig war. „Jetzt bin ich wieder Hadschi Halef Omar, aber weiter nichts. Der berühmte Krieger und Scheik der Haddedihn werde ich erst dann wieder sein, wenn ich mein Pferd und meine Waffen wiederhabe. Aber wehe dann allen denen, welche fähig gewesen sind, einen solchen Verrath und Bruch der Gastfreundschaft an uns zu verüben! Ich werde über sie Gericht halten wie der Erzengel Midschaïl ✽), dem das Schwert der Rache in die Hand gegeben ist! Ich werde weder Gnade noch Güte walten lassen! Ich werde so hart sein wie der Kieselstein am Ufer des Tigris und so unnachgiebig wie der Grimm, der sich im Magen eines hungrigen Löwen regt. Ich werde sie packen, wie der schwarze Panther seine Tatzen in das Genick der Kameelstute schlägt, und ich werde sie festhalten, wie das Krokodil seine Beute nie aus den Zähnen läßt! Ihre Qualen werden größer sein als die Qualen aller Höllen, die es gibt, und wenn sie vor Schmerzen stöhnen, wie der Hammel unter der Hand des Schlächters stöhnt, so werde ich lächelnden Mundes dabeisitzen und mich freuen, daß sie der wohlverdienten Strafe nicht entgangen sind!“
Das klang schrecklich genug. Wer ihn nicht kannte, der konnte allerdings glauben, daß er in voller Ueberzeugung spreche. Die Dinarun warfen einander heimlich sein sollende Blicke zu. Das war nicht zu verwundern, wenn man unsere Lage mit den Worten des Hadschi verglich. Nafar blieb ernst, doch hatte seine Stimme einen ungewöhnlich freundlichen, theilnehmenden Ton, als er jetzt sagte:
„Ich sehe, daß diese Sachen allerdings Euer Eigenthum sind. Wir haben sie gefunden, geben sie Euch aber gern. Es freut mich, daß Ihr nun als Männer vor mir steht, denen man ansieht, daß sie gewohnt sind, zu befehlen, nicht aber, zu gehorchen. Wir sind bereit, Euch Hülfe zu erweisen. Ihr könnt einstweilen diese beiden Pferde, dann aber auch noch bessere bekommen, wenn Ihr einwilligt, unsere Gäste zu sein und uns nach unserem Lager zu begleiten. Auch Gewehre, Messer und Pulver werden wir Euch geben. Und wenn Ihr es für nützlich haltet, bin ich sogar bereit, Euch mit einer Anzahl meiner Leute zu begleiten, um den Dieben nachzueilen und ihnen abzunehmen, was sie Euch entwendet haben.“
Konnten wir willkommenere Worte hören? Gewiß nicht! Ich wollte ihm sagen, daß ich bereit sei, sein Anerbieten dankbar anzunehmen, doch Halef kam mir zuvor. Er rief begeistert aus:
„Wie glücklich ist der Stamm, dem Du angehörst, o Nafar Ben Schuri. Die Weisheit spricht aus Deinem Munde, und von Deinen Lippen klingen die Töne des Verstandes! Die Großväter Deiner Ahnen und Urahnen sind die klügsten Leute ihres Volkes gewesen, und die Urenkel Deiner spätesten Nachkommen werden berühmt in allen Ländern und Gegenden des Erdkreises sein. Wir sind gekommen, das Glück Deines guten Herzens zu erhöhen, indem wir annehmen, was Du uns bietest. Wir werden innige Freundschaft und ein ewiges Bündniß mit Dir schließen. Wir sind bereit, Dich sofort nach Deinem Lager zu begleiten, und ich verspreche Dir — — —“
„Halt!“ unterbrach ich ihn, denn er wäre in seiner Freude fähig gewesen, Zugeständnisse zu machen, denen nachzukommen uns später nicht möglich war. (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
10)
(Nachdr. verb.)
„Was?“ fragte er. „Bist Du etwa mit dem, was ich sage, nicht einverstanden, Sihdi?“
„Darin, daß wir die uns angebotene Hülfe annehmen, stimme ich Dir bei, Halef. Aber nach dem Lager können wir nicht gleich mit.“
„Warum?“
„Es ist nur noch kurze Zeit bis zum Untergang der Sonne. Dann werden die Diebe Halt machen. Ich möchte womöglich erfahren, wo sie die Nacht zubringen. Gelingt uns das, so können wir bis früh schon wieder im Besitze unserer Pferde sein. Wir können also nur Eins thun, nämlich jetzt sogleich ihren Spuren folgen.“
„Das ist wahr!“ gab er zu.
„Ja, das ist richtig!“ stimmte auch Nafar bei. „Und damit Ihr seht, daß ich es wirklich freundlich mit Euch meine, erkläre ich, daß wir Euch begleiten werden. Ihr werdet aber einsehen, daß ich einen Boten in das Lager senden muß!“
„Natürlich! Er hat Nachricht zu geben, daß und warum ihr heut nicht zurückkehrt,“ sagte ich.
„Noch mehr!“
„Was?“
„Wir sind nicht so berühmte Krieger, welche, so wie Ihr, ohne Waffen und fast in der Minderzahl einen Feind verfolgen, der gezeigt hat, daß er zu Allem fähig ist. Ich bin es meinen Leuten schuldig, Vorsicht walten zu lassen, und so — — —“
„Vorsicht?“ fiel da Halef schnell ein. „Minderzahl -
Minderzahl? Wir waren nur Zwei, und wie sahen wir aus — — und doch sind wir hinter den Dieben her! Ihr seid Aht, mit uns Zehn, genau so viel, wie die Feinde zählen, von denen zwei krank sind!“
„Aber Ihr habt noch keine Waffen!“
„Die haben wir!“
„Wo?“
„Da — — Dort — — — bei den Spitzbuben! Die haben ja unsere Gewehre, und die holen wir uns!“
Da ging ein eigenartiges Lächeln über das Gesicht des Anführers. Er strich sich mit der Hand über den dunklen Bart und sagte in bedächtigem Tone:
„Ja, es ist Alles wahr, was ich von Hadschi Halef Omar, dem Scheik der Haddedihn, vernommen habe. Deine Gedanken haben die Schnelligkeit des Blitzes; hierauf folgt sofort der Donner Deiner Worte, und wie der Regenguß kommt dann die schnelle That. Aber wir wissen zwar, was jetzt ist und wie es ist, doch wie es sein wird und was noch kommen kann, das wissen wir nicht. Wenn zehn Männer gegen andere zehn Männer stehen und man aber leicht eine größere Schaar haben kann, so soll man nicht auf diesen Vortheil verzichten. Habe ich Recht oder nicht, Sihdi?“
Diese Frage war an mich gerichtet, und so antwortete ich:
„Ich stimme Dir bei, falls dieser Zuwachs an Kriegern nicht mit Verlusten andererseits verbunden ist.“
„Welche Verluste könnten das wohl sein?“
„Ich meine vor allen Dingen die Zeit, welche wir dadurch verlieren könnten.“
„Wir haben keinen Augenblick zu opfern,
Sihdi, denn wir folgen ja sofort der Spur der Diebe, während sich nur ein einziger Mann von uns trennt, um nach dem Lager zu reiten und mehr Leute zu holen.“
„Wie folgen uns diese? Auf unserer Fährte?“
„Nein. Denn wenn sie dies thäten, so müßten sie erst wieder hierher, und dann kämen sie freilich zu spät. Sie könnten dann unsere Spuren nicht mehr sehen, weil es inzwischen dunkel werden muß.“
Er sann einige Augenblicke nach und fuhr dann fort:
„Die Reiter hatten die Richtung nach dem Dschebel Ma; das ist der „Berg des Wassers“, weil es dort eine Quelle gibt. Ich bin überzeugt, daß sie dort in der Nacht lagern werden. Ich lasse dreißig oder vierzig Krieger holen, welche vor diesem Berge an einer Stelle, wo wir auf sie warten werden, auf uns zu treffen haben. Meinst Du nicht, daß dies richtig sein wird?“
Es war ein Glück für uns, diesen [diesem] Scheik der Dinarun und seinen Leuten begegnet zu sein. Ich hätte freilich gern eine andere Disposition getroffen, fühlte mich ihm aber zu Dank verpflichtet und durfte es nicht zu einer vielleicht möglichen Verstimmung zwischen ihm und mir kommen lassen. Darum erklärte ich:
„Wir kennen diese Gegend nicht; Euch aber ist sie wohlbekannt; darum bin ich überzeugt, daß Dein Rath der beste ist, der uns gegeben werden kann. Wir werden ihn befolgen.“
„Ich danke Dir, Sihdi! Du wirst die Erfahrung machen, daß sich Niemand täuscht, der mir vertraut. Wir kehren also mit Euch Beiden um.“
Er gab einem seiner Leute die nöthigen Befehle, und als dieser im Galopp fortritt und das ledige Packpferd mitnahm, stiegen wir auf und schlugen die Richtung ein, aus welcher die Dinarun gekommen waren.
„Brrr!“ schüttelte sich Halef, als wir kaum einen Kilometer zurückgelegt hatten.
„Friert Dich wieder?“ fragte ich ihn.
„Ja. Aber es ist auch noch etwas Anderes.“
„Was?“
„Mein jetziges Pferd! O, Sihdi, welch eine Wonne des Paradieses ist es, auf meinem Barkh zu sitzen! Ja, es sind sogar zwei, drei, vier oder fünf solche Wonnen! Aber so ein Gaul wie dieser! Sihdi, bist Du einmal auf einem Ziegenbock geritten?“
„Nein.“
„Ich auch nicht; aber ich leide jetzt dieselben Qualen, die man eigentlich nur auf dem Rücken einer Ziege suchen darf. Ich weiß nicht, ist das Pferd schuld, oder gibt es eine andere Ursache: Ich werde schwindelig; mein Herz klopft überschnell.“
„Halef, Du bist krank, ernstlich krank!“ rief ich besorgt aus.
„Krank? O nein! Wie könnte ich krank sein, wenn es Spitzbuben zu verfolgen und einzufangen gibt! Du mußt doch Deinen alten treuen Hadschi kennen!“
„Irre Dich nicht! Denke einmal an jenen Unglücksritt von Bagdad auf den Weg der persischen Todeskarawane!“
„An den werde ich denken, so lange ich nur denken kann. Wir ritten der Pest entgegen, die erst Dich, dann mich ergriff.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
11)
(Nachdr. verb.)
„So erinnere Dich genau! Vergleiche Deinen damaligen Zustand mit Deinem jetzigen!“
„Allah! Hast Du etwa Grund, jetzt wieder an die Pest zu denken?“
„Nein, sondern einstweilen nur an das Kranksein im Allgemeinen. Daß Du Schwindel hast, macht mich besorgt.“
„Jetzt ist er wieder weg; aber ich habe Figuren und bunte Fäden vor den Augen, die mich hindern, deutlich und klar zu sehen.“
„Hm! Halef, ich wollte, wir hätten unsere Pferde und überhaupt unser Eigenthum wieder und befänden uns an einem stillen, sicheren Orte, an dem wir bleiben könnten!“
„Sihdi, lieber Sihdi, mache mir doch nicht Angst mit Deiner Sorge um mich! Ich bin ja ganz gesund! Schau, vorhin fror es mich; jetzt aber ist das völlig weg; es ist mir sogar heiß, ganz heiß geworden. Habe also keine Angst. Ich bin so rüstig, wie ich stets gewesen bin und wie ich bleiben werde, bis ich sterbe!“
Es wäre ein großer Fehler gewesen, ihm diese gute Meinung zu widerlegen; darum sagte ich nichts, und da auch er nicht weiter sprach, so ritten wir nun still neben einander her. Nafar Ben Schuri ritt voran; dann folgten wir Zwei, und hinter uns kamen seine Leute. Es war eigenthümlich, daß der Anführer sich nicht zu uns hielt, aber keineswegs
unerklärlich. Wir sahen, daß er der Fährte, welcher wir folgten, große Aufmerksamkeit widmete; das hätte er nicht gekonnt, wenn er gezwungen gewesen wäre, sich mit uns zu unterhalten. Auch lag es für den Scheik, der überdies die Gegend genau kannte, sehr nahe, sich an der Spitze des kleinen Zuges zu halten. Vielleicht war er überhaupt ein schweigsamer Mann, der nur dann sprach, wenn er es für nöthig hielt. Oder galt es bei ihm als ein Beweis der Achtung und Höflichkeit, sich nicht zu uns zu gesellen und uns mit neugierigen Fragen und überflüssigen Reden zu belästigen? Wahrscheinlich hielt er sich auch nicht für befähigt oder erfahren genug, auf ein Gespräch mit Leuten einzugehen, denen er sich nicht geistig gleichgestellt fühlte. Kurz, es gab Gründe genug, seine Absonderung von uns zu erklären. Nur an Eines dachten wir nicht, nämlich daß ihn das böse Gewissen oder die Vorsicht abhalte, neben uns zu reiten und sich nach Verhältnissen fragen zu lassen, über welche er nicht Auskunft geben wollte. Da hätten wir ihn ja für unehrlich halten müssen, ihn, der doch eigentlich unser Retter war, und dazu fehlte uns, zumal in unserer gegenwärtigen Lage, die Befähigung. Uebrigens kam es zuweilen vor, daß er uns eine Bemerkung über den Weg, die Gegend oder über die Spuren, denen wir folgten, zuwarf, und das genügte uns so vollständig, daß wir gar nicht mehr von ihm verlangten.
Mich beschäftigte der Gedanke an Halef außerordentlich. Mir erschienen seine Wangen jetzt noch tiefer als vorher eingefallen. Ich sah sie bald sich entfärben, bald dunkler werden. Oder bildete ich mir das nur ein? Seine Augen blickten jetzt matt und starr, und gar nicht lange, so schienen sie in ungewöhnlichem Glanz zu strahlen. Auch hierin konnte ich mich täuschen, doch nicht darin, daß er zuweilen tief und seufzend Athem holte, was ich bei ihm noch nie bemerkt hatte. War seine Frage nach dem Sterben einer Vorahnung entsprungen, daß eine schwere Krankheit die fleischlosen, gierigen Hände nach ihm ausstrecke? Fast erschrak ich, denn grad als mir dieser Gedanke kam, wendete er mir sein Gesicht zu und sagte:
„Sihdi, ich komme mit meiner Frage noch einmal: Wie denkst Du über das Sterben?“
„Wir haben das ja schon besprochen,“ antwortete ich.
„Nein, noch nicht!“
„Wieso?“
„Du hast mir nicht geantwortet. Du warst so klug, wie Du immer bist, wenn Du meinst, daß ich nach Etwas frage, was ich noch nicht verstehen kann. Dann antwortest Du mir dadurch, daß Du mich selbst antworten lässest. Aber ich wollte doch nicht hören, was ich denke, sondern wie Du denkst.“
„Lieber Halef, frage nicht jetzt nach solchen Dingen; es ist nicht Zeit dazu.“
„Warum?“
„Muß ich Dir das erst erklären? Was weiß der Mensch vom Sterben? Und wenn er ja darüber nachdenken, oder gar darüber sprechen will, so soll er das in stiller, geräuschloser Stunde thun, in welcher er nicht von dem Leben abgehalten wird, seine Gedanken mit dem Sterben zu beschäftigen. Sei gut, lieber Halef, und laß jetzt diese Frage fallen!“
„Sei gut, lieber Halef! O, Sihdi, wenn Du in dieser Weise zu mir sprichst, so könnte ich nicht nur vom Sterben sprechen, sondern selbst und wirklich sterben — — für Dich, aus Liebe, ja, aus Liebe! Wenn doch alle, alle Menschen nur in diesem Tone zu einander sprechen wollten!“
„Alle?“
„Ja, Sihdi!“
„Auch die guten mit den bösen?“
„Ja, auch; denn dann würden die Einen vielleicht durch die Anderen gerettet werden!“
„Ist das Dein Ernst?“
„Ja.“
„Hm!“
„Wieder dieses „Hm!“ Hinter diesem Brummen steckt stets Etwas, was ich begangen habe. Wahrscheinlich auch jetzt. Ich bitte, es mir nicht vorzubrummen, sondern deutlich zu sagen!“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
12)
(Nachdr. verb.)
„Denke an den Erzengel Midschaïl, dem das Schwert der Rache in die Hand gegeben ist! Wer wollte so streng Gericht halten wie er?“
„Hm!“
„Ah, wer brummt jetzt? Ich oder Du? Wer wollte weder Gnade noch Güte walten lassen?“
„Hm!“
„Wer wollte wie ein Kieselstein oder wie ein hungriger Löwe sein?“
„Hm!“
„Ein schwarzer Panther, ein Krokodil? Wer wollte alle Qualen der Hölle spenden und sich dann lächelnden Mundes über diese Qualen freuen? Kennst Du vielleicht den Mann?“
„Hm!“
Er hatte bei jedem „Hm!“ den Kopf immer tiefer sinken lassen. Ich fuhr fort:
„Und jetzt wünscht ganz derselbe Mann, daß alle, alle Menschen nur im Tone der Liebe zu einander sprechen möchten, auch die guten zu den bösen, weil die letzteren dadurch vielleicht gerettet werden könnten!“
Da hob er den Kopf mit einem schnellen Ruck empor, wendete mir das liebe, liebe Gesicht wieder zu und rief aus, indem ein helles seelengutes Lächeln darüberflog:
„Vergib, Sihdi! Dieser Mann, dieser Mensch, dieser Kerl, dieser Dummkopf ist der größte Esel, den es nur geben kann! Glaubst Du das?“
„Nein!“
„So streite ich mich mit Dir! Du kennst nämlich Deinen Halef nicht!“
„O doch!“
„Nein, noch lange nicht! Auch ich habe
ihn nicht gekannt, bis — — bis — — bis ich einmal ganz plötzlich den Anderen kennen lernte.“
„Den Anderen?“
„Ja. Hältst Du es für möglich, daß ein Mensch aus zwei Personen bestehe?“
Ich sah erstaunt zu ihm hinüber. Welch eine Frage!
„Ja, da schaust Du mich groß an!“ fuhr er fort. „Verzeihe mir, daß ich Dir bisher die große, wichtige Entdeckung verschwieg, welche ich an mir gemacht habe! Ich bestehe aus zwei ganz ähnlichen und doch unendlich verschiedenen Wesen. Das eine ist gut, das andere schlimm. Beide zusammen heißen Hadschi Halef; stehen sie einander aber kämpfend gegenüber, so ist das schlimme der Hadschi und das gute der Halef. Verstehst Du mich?“
„Ja.“
Jetzt war er es, der mich prüfend ansah.
„Du verstehst mich? Sonderbar! Kämpft es etwa auch in Dir so wie in mir?“
„Ja, in jedem Menschen. Aber Millionen schenken diesem inneren Kampfe keine Aufmerksamkeit, und darum sterben sie, ohne es zum Sieg zu bringen.“
„Das will ich aber! Ich will siegen, darum kämpfe ich! Kein Mensch bemerkt das, und selbst Du hast es nicht bemerkt. Es lebt Einer in mir; der ist, als ob er von Allahs Himmel stamme, so freundlich, so gütig, so edel, so aufopfernd, so geduldig. Das ist Dein Halef, den Du liebst. Und es lebt Einer in mir, der nicht vom Himmel stammt, denn er ist stolz, trotzig, unvorsichtig, Alles übertreibend, prahlerisch, jähjornig [jähzornig], unversöhnlich, rachsüchtig. Das ist der Hadschi, der Dir nicht gefällt und den Du meinst, so oft Dein „Hm!“ sich hören läßt. Du wirst vielleicht fragen, warum ich
den guten als den Halef und den schlimmen als den Hadschi bezeichne; aber wenn ich Dir sage, daß Halef ein Mann und Hadschi ein Titel ist, so wirst Du mich verstehen.“
Für diejenigen, welche es noch nicht wissen, diene die Bemerkung, daß der Anhänger des Islam dann zum Hadschi wird, wenn er eine der heiligen muhammedanischen Städte der Pilger besucht und dort alle seine religiösen Obliegenheiten erfüllt hat. Ein Hadschi in vollstem Sinne ist der, welcher in Mekka, Medina und vielleicht gar noch in Jerusalem zum Besuch der Omarmoschee gewesen ist. Für den Westafrikaner aber genügt es auch schon, das dort für heilig geltende Kaïrwan besucht zu haben.
Halef hatte nach seinen letzten Worten eine kurze Pause gemacht. Dann fuhr er fort:
„Als Du mich damals in der Sahara kennen lerntest, war ich ein junger unerfahrener und doch sehr eingebildeter Mensch. Ich nannte mich Hadschi, obgleich ich kein Recht hatte, diesen Titel zu führen. Du freilich durchschautest mich und lächeltest über diesen falschen Hadschi, der noch nie an einem der heiligen Orte gewesen war. Ich nannte sogar meinen Vater und auch meinen Großvater Hadschi’s, obgleich sie noch nicht einmal Kaïrwan im Lande Tunis gesehen hatten. Das war nicht nur eine Lüge, sondern sogar eine Uebertreibung der Lüge bis auf meine Vorfahren zurück. Ich war eitel und ruhmsüchtig; ich prahlte; ich wollte mehr sein, als was ich war, und aus dieser Unwahrheit entsprangen alle anderen Fehler, welche sich über Dein „Hm!“ zu ärgern pflegen. Darum habe ich den schlimmen Kerl, der in mir steckt und mir so viel zu schaffen macht, den „Hadschi“ genannt. Begreifst Du mich jetzt, Sihdi?“
„Sehr gut, mein lieber Halef.“
„Und dieser „Hadschi“ ist Dir bekannt?“
„Wahrscheinlich besser, als Du denkst.“
„So hoffe ich, daß Dir auch der andere, der gute Kerl in mir bekannt ist, den ich mit meinem Namen, also mit „Halef“ bezeichne. Denn dieser hat mir immer wieder zurückzuholen, was der andere mir von Deiner Liebe und Deiner Achtung raubt. Diese beiden so verschiedenen Wesen wohnen in mir und streiten sich unaufhörlich nicht nur um den Besitz meiner Persönlichkeit, sondern sogar um jedes meiner Worte und um jede meiner Thaten. Wer von ihnen zuerst dagewesen und wer dann später gekommen ist, der Hadschi oder der Halef, das kann ich nicht sagen, denn ich habe damals nicht aufgepaßt. Seit einiger Zeit aber beobachte ich sie sehr genau, und da bemerke ich, daß sie eigentlich gar nicht zu einander gehören und doch unendlich schwer von einander zu unterscheiden sind. Aber bemerkt habe ich doch, daß der Halef die Wahrheit liebt und von dem Andern nichts, gar nichts wissen will, während aber im Gegentheile der Hadschi sich oft die größte Mühe gibt, mich zu belügen und zu betrügen, indem er sich stellt, als ob er der Halef sei, darum habe ich diesem Hadschi schon hundertmal die Gastfreundschaft in mir gekündigt; aber er hat keinen Gehorsam und kein Ehrgefühl; er bleibt, wo er ist, und wenn ich ihn einmal vorn zur Thüre meines Zeltes hinausgeworfen habe, so ist er im nächsten Augenblicke hinten unter der Leinwand schon wieder zu mir und in mich hineingekrochen. Sihdi, wenn ich den Kerl fassen könnte! Leider aber ist mir das nicht möglich! Er hat weder vor mir noch vor andern Leuten Angst, und es gibt nur Einen, vor dem er sich fürchtet.“
„Wer ist das?“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
13)
(Nachdr. verb.)
„Das bist Du. Ja, Du! Vor Dir scheint er einen ungeheuren Respekt zu haben, aber weniger vor Deiner Gestalt, als vielmehr vor Deinen Augen. Erst seitdem ich dies bemerkt habe, weiß ich, daß es Augen gibt, welche der Warnung, und wieder andere, welche der Verführung dienen. Ich habe sehr oft schon in Augen gesehen, bei deren Blick dieser Hadschi sofort zu prahlen und zu übertreiben beginnt. Aber wenn Du mich anschaust, weiß Du, so ernst und doch so lächelnd, da kann er gar nicht anders, da ist er sofort still. Er schämt sich vor Dir; ja er flieht vor Dir. Wie das nur kommen mag? Kannst Du es mir erklären?“
„Vielleicht. Er flieht nämlich nicht vor mir, sondern vor dem guten Halef in Dir. Dieser ist es ja, den ich lieb habe, und wenn die Liebe mein Auge auf Dich richtet, ruft sie ihn wach und steht ihm bei, den Andern zu besiegen. Das ist ein Räthsel des menschlichen Seelenlebens, welches Du nicht lösen kannst. Versuche also nicht, ihm nachzuforschen!“
„Diese Warnung ist gar nicht nöthig, denn Du weißt ja, daß ich kein Freund von Räthseln bin. Aber über die beiden in mir wohnenden Wesen möchte ich doch gar so gern ins Reine kommen. So oft ich über sie nachdenke, muß ich an die beiden Adamlar ✽) denken, von denen Du zuweilen gesprochen hast. Es ist in Deinem
Ahd idsch dschedid ✽) von ihnen die Rede. Kannst Du Dich besinnen?“
„Ja.“
„Das heilige Buch der Christen spricht von einem alten Adam, den man ablegen soll, damit ein neuer, gerechterer und besserer an seine Stelle trete. Ob da wohl der Hadschi und der Halef gemeint sind, welche in mir wohnen?“
„Ja; natürlich sind sie gemeint.“
„Aber, Sihdi, da möchte ich doch beinahe sagen, daß das heilige Buch der Christen das klügste aller Bücher sei! Es schaut in das Innere der Menschen hinein und spricht von Geheimnissen, welche er selbst nicht kennt! Wenn eine Religion von mir mehr weiß, als ich selbst, so muß ich vor ihr Respect haben, ich mag wollen oder nicht. Wie schade, daß wir von diesem Gespräch abbrechen müssen! Der Scheik der Dinarun scheint Etwas Wichtiges zu sehen!“
Wir waren nämlich zuletzt durch eine Art von Engpaß geritten. Er mündete auf eine kleine Hochebene, von welcher aus er wiederum zu Thale führte. Der Scheik hatte seinem Pferde die Sporen gegeben, um uns vorauszukommen. Nun hielt er am Rande der Ebene und deutete uns durch Zeichen an, daß ihm dort irgend Etwas in die Augen gefallen sei. Als wir uns ihm bis auf Hörweite genähert hatten, rief er uns zu:
„Ich sehe die Räuber. Sie lagern da unten am Wasser. Kommt her; aber reitet nicht
bis ganz an den Rand dieses Platzes, damit Ihr nicht von ihnen gesehen werdet! Der Berg da drüben ist der Dschebel Ma.“
An diesem Berge hatte sich die Natur endlich einmal wenigstens einigermaßen grün gekleidet. Seine Hänge waren ziemlich hoch hinauf mit Gras bewachsen, und an seinem Fuße zog sich allerlei Buschwerk hin. Es gab da sogar einen kleinen, schmalen Wasserlauf, an dessen Ufer wir die, welche wir suchten, lagern sahen.
„Wir müssen von den Pferden steigen, wenn wir sie unbemerkt beobachten wollen,“ meinte der Scheik, indem er aus dem Sattel sprang, welchem Beispiele wir natürlich folgten. „Ich glaube, daß sie es sind. Oder meint Ihr vielleicht, daß ich mich irre?“
Er richtete diese Frage an mich und Halef. Der Letztere antwortete:
„Ich sehe gar Niemand. Soeben legt sich mir wieder dieser rothe Nebel vor die Augen, den mein Blick nicht durchdringen kann. Sihdi, sag, was Du erblickst!“
Ich sah zwölf Menschen und vierzehn Pferde. Zwei von diesen letzteren standen von den anderen getrennt. Es waren unsere Rapphengste; ich irrte mich nicht, denn ich erkannte sie ganz deutlich. Als ich dies Halef sagte, rief er aus:
„So wollen wir eilen, schnell hinabzukommen! Diese Schurken sollen keinen Augenblick zu lange das Vergnügen haben, sich für die Besitzer unseres Eigenthums zu halten!“
Er wollte sofort wieder in den Sattel steigen.
„Keine Uebereilung, Halef,“ warnte ich. „Wir können nicht anders zu ihnen kommen, als daß wir die diesseitige Berglehne hinabreiten, und da müssen sie uns sehen.“
„Du meinst, dann fliehen sie und entkommen uns?“
„Nein, ich bin vielmehr der Ansicht, daß sie bleiben würden, um uns Widerstand zu leisten. Wir wären ohne Deckung; sie aber könnten sich hinter die Büsche stecken. Hast Du Lust, Dich erschießen zu lassen, ohne Dich wehren zu können?“
„Welche Frage! Ich will auf keinen Fall erschossen sein, gleichviel, ob ich mich wehren kann oder nicht. Aber können wir denn nicht von einer anderen, besseren Seite an sie kommen?“
„Das würde uns zu einem Umwege nöthigen, für den uns die Zeit mangelt. In einer Viertelstunde wird es dunkel sein. Bedenke das!“
„Was soll ich thun, Sihdi? Denken? Das kann ich nicht! Soeben ist es mir wie ein leiser Hauch der Wüste durch den Kopf gegangen. Mein Hirn ist heiß, und alle Gedanken sind aus ihm hinweggeblasen. Was ist das plötzlich nun? Ich muß mich setzen.“
Er ließ sich auf die Erde nieder und legte den Kopf in die Hände. Ich wollte mich zu ihm niederbrücken; er aber wehrte ab:
„Sorge Dich ja nicht um mich! Das ist gar nicht schlimm, sondern nur die letzte Wirkung des giftigen Kaffees, den wir gestern getrunken haben. Es wird schnell vorübergehen. Glaube mir: ich bin so gesund, wie Du nur wünschen magst!“ (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
14)
(Nachdr. verb.)
Er schob mich von sich fort, und ich gab mir den Anschein, daß ich beruhigt sei. Ich konnte ja nichts Besseres thun, zumal Nafar Ben Schuri mich jetzt in Anspruch nahm:
„Was Du zum Scheik der Haddedihn sagtest, waren Worte der Vernunft. Wollten wir so, wie er es wünschte, zum Angriffe schreiten, so würde keiner von uns lebend an die Feinde kommen. Wir müssen hier warten, bis es dunkel ist.“
„Dann aber wird der Weg nur schwer zu finden sein,“ bemerkte ich.
„Nein. Wir sind ihn oft geritten und kennen ihn genau.“
„Aber das Geräusch der Pferdehufe kann uns leicht verrathen.“
„So lassen wir die Pferde hier zurück. Auch verfehlen können wir trotz der Dunkelheit die Feinde nicht, weil sie wahrscheinlich ein Feuer anzünden werden. Auch hoffe ich, daß meine Leute kommen, ehe es finster wird.“
„Wo ist die Stelle, an welcher sie zu uns stoßen sollen?“
„Hier diese ist es. Sie werden durch den Paß kommen, durch den wir soeben geritten sind. Ich sage Dir, daß uns die Leute da unten gar nicht entgehen können. Erlaube, daß wir uns niedersetzen! Wir können jetzt nichts Anderes thun, als warten.“
Er hatte Recht. In Beziehung auf die Wiedererlangung unseres Eigenthums lagen
die Verhältnisse so, daß ich mich beruhigt fühlte. Dagegen war es mir um Halef bang. Ich setzte mich an seiner Seite nieder und versuchte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Er gab mir nur ganz kurze Antworten; sein Ton war matt, der Klang fast widerwillig; darum hielt ich es für besser, zu schweigen.
Da auch die Dinarun nicht sprachen, so herrschte hier oben bei uns eine Stille, welche nur durch das jeweilige Schnaufen oder Hufscharren eines Pferdes unterbrochen wurde. Der Tag ging schnell zu Ende. Der Abend senkte sich hernieder, aber die erwartete Verstärkung stellte sich nicht ein. Da der Scheik keine Bemerkung hierüber machte, nahm auch ich diesen Umstand schweigend hin. Wozu über Etwas Worte machen, was man durch sie doch nicht ändern kann! Auch brannte unten am Wasser jetzt noch kein Feuer, und uns an die Feinde schleichen, ohne einen solchen Wegweiser zu haben, das wäre doch wohl unvorsichtig gewesen.
Da fühlte ich Halefs tastende Hand, welche meinen Arm berührte und an demselben niederglitt. Er ergriff meine Rechte, nahm sie in seine beiden Hände und lehnte seinen Kopf an meine Seite. So saß er längere Zeit still und unbeweglich. Mir war es, als ob seine Hände ungewöhnlich warm seien.
„Sihdi!“ erklang es leise.
„Halef!“ antwortete ich ebenso.
„Siehst Du die Sterne dort oben?“
„Ja.“
„Man meint, daß das der Himmel sei. Ob Euer oder unser Himmel?“
„Meinst Du, es gebe verschiedene Himmel, mein guter Halef?“
„Nein. Und wenn! Hätte Allah zehn Himmel, und mir wäre der höchste von ihnen bestimmt. Und hätte der Gott der Christen auch zehn Himmel, und für Dich sollte der unterste sein. Weißt Du, was ich thäte?“
„Nun?“
„Ich verzichtete auf meinen obersten und ginge mit Dir in Deinen niedrigsten. Er würde für mich doch der höchste sein, denn wo die Liebe wohnt, da ist die schönste und beste Seligkeit. Wäre ich Dir willkommen, Sihdi?“
„Kannst Du ungewiß hierüber sein, Halef?“
„Nein. Ich bin wie ein Kind, welches gern den Vater sagen hört, daß er es liebt!“
„So sage ich es Dir von ganzem Herzen!“
„Ich danke Dir! Ich dachte soeben nach — — — über Dich und über mich. Meinst Du, daß wir Freunde seien?“
„Gewiß! Bessere kann es gar nicht geben!“
„Ich denke aber anders.“
„Wie?“
„Solche Freunde, wie wir sind, kann es ja gar nicht geben. Wir sind mehr, viel mehr als Freunde. Es gibt kein Wort dafür. Wenn wir uns als Menschen lieben, welche beide ein gutes und ein nicht gutes Wesen in sich haben, so sind wir Freunde. Aber wenn wir die Liebe nur der beiden guten Wesen in uns meinen, so ist das mehr als Freundschaft; das muß doch wohl der Himmel sein! Das ist es, was ich dachte, und was ich Dir sagen
wollte! Ich kann Dein Gesicht nicht erkennen; aber sag, lächelst Du vielleicht?“
„Nein. Ich bin sehr ernst, aber glücklich ernst.“
„Und ich bin so weich. Woher das wohl kommen mag? Sag: Wenn ich Dich hier verlassen müßte, um zu sterben, würde ich Dich dann wohl auch noch sehen können?“
„Halef! Wie kommst Du zu dieser Frage?“
„Das weiß ich nicht. Sie kam mir auf die Zunge und wollte ausgesprochen sein; da habe ich es gethan. Es spricht Jemand in mir vom Tode. Ob es der Halef oder der Hadschi ist, das weiß ich nicht; aber ich werde — — — Horch!“
Es gab in diesem Augenblick allerdings Etwas zu hören, nämlich ein plötzliches Geschrei vieler Stimmen, wie es beim Angriffe oder im Kampfe ausgestoßen wird. Die Dinarun sprangen auf, und ihr Scheik rief aus:
„Allah! Das sind meine Krieger!“
„Da unten?“ fragte ich, indem ich mich auch schnell erhob. „Du sagtest doch, daß sie hierher kommen würden!“
„Sie sind direct zu den Räubern geritten und über sie hergefallen.“
„Aber sie wußten doch nicht, wo diese sich befanden!“
„Es wird sie der Zufall oder irgend ein Zeichen zu der Stelle geführt haben!“
„Irrst Du Dich nicht? Weißt Du gewiß, daß es Deine Leute sind?“
„Sie sind es. Es ist unser Ruf.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
15)
(Nachdr. verb.)
„So müssen wir hinab!“
„Nein. Jetzt noch nicht. Laß nur einige Minuten vergrhen [vergehen], so werden wir erfahren, wie es steht!“
Ich war nicht ohne Sorge, zwang mich aber zur Geduld. Halef war auch aufgesprungen. Es schien alle Schwäche von ihm gewichen zu sein. Seine Stimme klang sehr energisch, als er den Scheik jetzt fragte:
„Können Deine Krieger denn einen anderen Weg als den ihnen anbefohlenen eingeschlagen haben?“
„Ja,“ antwortete Nafar Ben Schuri.
„Warum? Sie haben doch zu gehorchen?“
„Man kann doch auch grad aus Gehorsam etwas Anderes thun, als was befohlen worden ist.“
„Nein! Das ist gar nicht möglich, denn ein Befehl wird doch gegeben, daß man ihn grad so und nicht anders befolge, als er lautet.“
„Aber wenn der, welcher ihn auszuführen hat, währenddem einsieht, daß er ihn auf andere Weise viel besser und vollständiger erfüllen kann, so ist es doch grad die Pflicht des Gehorsams, nicht darauf zu achten, wie der Befehl ursprünglich geklungen hat!“
„Damit erkennst Du also jedem Deiner Leute die Berechtigung zu, Deine Gebote zu deuten und von ihnen abzuweichen oder nicht, je nachdem sie es für nützlich halten. Meine Haddedihn haben genau nach meinen Worten
zu handeln, ohne von ihnen hinwegzunehmen oder hinzuzufügen. Doch schaut hinab. Man hat ein Feuer angezündet, und man ruft. Wer ist gemeint?“
Es leuchtete unten eine Flamme auf, und wir hörten die Worte erklingen:
„Gahlab, gahlab; ta’al, ta’al, ia Scheik — — Sieg, Sieg; komm, komm, o Scheik!“
„Diese Worte gelten mir,“ antwortete Nafar Ben Schuri. „Meine Leute wissen ja, daß ich hier oben bin, und da sie den Feind überwunden haben, so fordern sie mich auf, zu ihnen hinabzukommen.“
„Hoffentlich haben sie in ihrem eigenmächtigen Handeln nichts gethan, was uns in Schaden setzt! Wie man Etwas thut, das ist oft wichtiger, als daß man es thut!“
Die Rufe von unten wiederholten sich, und so stiegen wir auf, um hinabzureiten. Das geschah in einer langen Einzelreihe, Einer hinter dem Andern. Halef und ich machten die Letzten und verließen uns auf unsere Pferde, welche trotz der Dunkelheit und trotz der Beschwerlichkeit des Weges nur selten einmal einen Fehltritt thaten. So kamen wir ganz gut in das Thal hinab und ritten quer über dasselbe hinüber, indem wir uns das Feuer als Wegweiser dienen ließen. Dabei wurden Rufe und Gegenrufe gewechselt, und es gab einen Lärm, der immer größer wurde, je näher wir kamen. Als wir dann anlangten, befanden wir uns inmitten von 50 oder 60 Dinarun, welche alle auf das Lebhafteste auf uns einschrieen. Jeder Einzelne wollte uns erzählen, durch welche großen Heldenthaten speziell auch er zum Siege beigetragen habe, und so dauerte es ziemlich
lange, bis wir erfuhren, wie höchst einfach sich die Sache zugetragen habe.
Der Bote, welcher von dem Scheik in das Lager gesandt worden war, hatte den Anführer gemacht. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, daß die Diebe am Wasser des Dschebel Ma nachtlagern würden. Er hatte unterwegs den Entschluß gefaßt, sich mit dem ganzen Ruhme des Sieges zu schmücken und den Ueberfall also ohne den Scheik und uns zu übernehmen. Darum war er nicht nach dem Stelldichein geritten, sondern einer anderen Richtung gefolgt, welche ihn unten thalabwärts bis an den Fuß des Berges geführt hatte. Dort angekommen, waren die Pferde unter der Aufsicht einiger Leute zurückgelassen worden. Dann hatte man sich leise dem Wasser entlang geschlichen, die Feinde trotz der Dunkelheit entdeckt und sie so unerwartet und mit Uebermacht überfallen, daß an einen Widerstand gar nicht zu denken gewesen war. Sonderbarer Weise wurde diesem eigenmächtigen Verfahren von Seiten des Scheikes nicht die geringste Rüge ertheilt.
Die Räuber lagen mit Stricken und Riemen gebunden an der Erde. Doch noch ehe wir uns mit ihnen beschäftigen konnten, geschah Etwas, worüber selbst die pferdekennenden Dinarun in Staunen geriethen. Nämlich kaum war der Schein des Feuers auf mich und Halef gefallen, und kaum hatten wir einige laute Worte gesprochen, so ertönte von der Seite her das überlaute, frohe Wiehern zweier Pferdestimmen, und unsere beiden Rappen drängten sich, ihn gewaltsam auseinandertreibend, durch den Haufen der Beduinen, um uns zu begrüßen. -
begrüßen. Barkh machte vor Freude die drolligsten Ziegenbockcapriolen, die er nur unterbrach, um seinen Kopf an Halefs Brust zu reiben und ihm in das Gesicht zu schnauben, als ob er sehr viel und Wichtiges mit ihm zu sprechen habe. Mein Assil Ben Rih benahm sich nicht so laut wie Barkh, aber im höchsten Grade rührend. Er drückte mir sein Maul fest an die Wange — Pferde gehören bekanntlich zu den wenigen Thieren, welche küssen — leckte mir hierauf die Hand und legte sich dann zu meinen Füßen auf die Erde und sah mich an, als ob er sagen wolle: „Du weißt, was ich meine. Sei so gut, und thu es mir zu Liebe, damit ich nicht nur sehe, sondern auch höre, daß Du wieder bei mir bist!“ Er wollte nämlich die gewohnte Sure in das Ohr gesagt haben. Leider durfte ich das nicht thun, weil ich damit eines der Geheimnisse dieses prächtigen Thieres verrathen hätte. Aber ich kniete zu ihm nieder, steckte den Arm unter seinem Hals hindurch und hob seinen Kopf empor, um ihn zu streicheln und den Hauch meines Mundes seine Nüstern berühren zu lassen. Da ging sein Athem so laut und so froh, daß es geradezu gefühllos gewesen wäre, zu behaupten, daß dies etwas Anderes, aber nur keine Freude sei.
„Er hat Dich lieb, sehr lieb,“ sagte da der Scheik. „Ist es sein Geheimniß, daß Du ihn so anfassest und ihm Deinen Athem gibst?“
„Nein,“ antwortete ich kurz, weil es unter den Beduinen als Taktlosigkeit gilt, nach dem Geheimnisse eines edlen Pferdes zu fragen.
„Aber er hat eines oder vielleicht gar mehrere?“ erkundigte er sich weiter.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
16)
(Nachdr. verb.)
„Allerdings, denn er ist vom ächtesten, allerreinsten Blute.“
„Bestehen diese Geheimnisse in Worten oder in Zeichen?“
„Diese Geheimnisse bestehen eben in Geheimnissen, von denen nicht gesprochen wird!“
Ich sagte das in zurückweisendem Tone; dennoch fuhr er fort:
„Bitte, laß mich die Probe machen! Ich will seinen Hals umarmen, grad so wie Du, und ihm dann auch in die Nüstern hauchen.“
Das war eine beispiellose Zudringlichkeit, welche mich leicht bewegen konnte, meine bisher gute Ansicht über diesen Mann zu ändern. Ich schüttelte verneinend den Kopf. Trotzdem knieete er neben mir nieder und sagte:
„Ich habe noch nie ein Thier von dieser Reinlichkeit gesehen. Ich muß es liebkosen. Verweigere mir das nicht!“
Da stand ich nun allerdings schnell auf, um ihm Platz zu machen, und antwortete:
„Du bist Dein eigener Herr und darfst natürlich thun, was Dir beliebt. Als Deinem Gaste ist es mir verboten, Dich zu hindern.“
Jetzt schob er seinen Arm unter den Hals des Pferdes, welches diese Berührung zwar duldete, aber mit unwilligem Schnaufen beantwortete. Als er dann aber Assil anhauchte, schleuderte dieser ihn mit einer kräftigen Bewegung -
Bewegung des Kopfes zur Seite, sprang auf und schlug mit den Hinterhufen nach ihm aus, glücklicherweise ohne ihn zu treffen, weil Halef schnell hinzugesprungen war und den Scheik von der gefährlichen Stelle hinweggerissen hatte. Dieser rief, beschämt von der ihm ertheilten Lehre, zornig aus:
„Allah verdamme das Vieh, welches im Zeichen des Scheitan ✽) geboren worden ist! Man wagt ja förmlich sein Leben, wenn man es berührt!“
„Das thut man allerdings,“ antwortete ich. „Warum hörtest Du nicht auf mich? Man soll nie versuchen, mit Gewalt in die Geheimnisse anderer Menschen dringen zu wollen!“
„Ist der andere Hengst von derselben Gefährlichkeit?“
„Der eine ist wie der andere. Sie erkennen nur uns als ihre Herren an. Wer dieses unser Recht nicht achtet, der hat es zu bereuen. Schau diese beiden Menschen an! Sie haben sich an unseren Pferden vergriffen und sie bezwingen wollen. Die Strafe ist der That sofort gefolgt.“
Ich zeigte bei diesen Worten auf die beiden Diebe, deren verbundene Gliedmaßen vermuthen ließen, daß sie die zwei Unvorsichtigen seien, die sich an unseren Pferden vergriffen hatten. Sie waren, wie auch ihre Kameraden, gefesselt, sagten kein Wort und sahen uns auch nicht an. War das ein Zeichen der Scham, des Schuldbewußtseins? Oder hatte es auch noch einen anderen Grund? Wir konnten ihre
Züge nicht deutlich sehen, weil das flackernde Feuer keine ruhige Helle gab.
Ganz selbstverständlich war es nun unser Erstes, nach den uns geraubten Gegenständen zu suchen. Das wurde uns sonderbarerweise viel leichter, als es zu vermuthen gewesen war. Wir sahen nämlich unweit des Feuers einen Mantel ausgebreitet, auf welchem Alles lag, was wir vermißten, von den Gewehren an bis herunter zum kleinsten Büchschen, welches den Phosphor zur Bereitung der Zündhölzer enthielt. Daß nichts, aber auch gar nichts fehlte, hätte uns wohl auffallen müssen, doch fehlte uns jetzt die Ruhe, diesen Umstand ganz besonders zu beachten. Die Diebe hatten den Raub wahrscheinlich erst später theilen wollen. Das genügte vollständig, zu erklären, warum noch jetzt Alles so schön beisammenlag.
Auch Nafar Ben Schuri äußerte seine Freude darüber, daß es uns mit seiner Hülfe gelungen war, ohne den geringsten Verlust und so vollständig wieder zu unserem Eigenthum zu gelangen. Er kauerte sich zu uns hin und nahm ein Stück nach dem anderen in die Hände, um es zu betrachten und seine Bemerkungen darüber zu machen. Ganz besonders interessirte er sich für unsere Gewehre, deren Construction ihm vollständig unbekannt war. Er betrachtete sie mehr als genau, wollte den Zweck jedes einzelnen Schräubchens wissen und wurde uns mit seinen vielen Fragen so unbequem, daß Halef ihm endlich im Tone schlechtverhehlten Unwillens bedeutete:
„Du siehst, daß diese Gewehre grad so wie unsere Pferde ihre Geheimnisse haben, welche
Jeder zu achten hat, dem sie nicht freiwillig mitgetheilt werden!“
„Verzeih! Aber bei dieser Art von Waffen darf man doch neugierig sein,“ entschuldigte sich der Scheik. „Ihr beide wißt, wie oft und viel von ihnen gesprochen wird. Man erzählt sich Wunderdinge von ihnen und von Eurer Fertigkeit in ihrem Gebrauche. Diese Gewehre sind den Waffen des ganzen Morgenlandes überlegen. Ist es da so unbegreiflich, daß ich gern wissen möchte, wie man sie zu handhaben hat?“
„Ja, es ist unbegreiflich, weil die Neugierde nur eine Eigenschaft der alten Weiber ist. Bei dem Scheik und Anführer tapferer Krieger aber darf sie noch viel weniger als sonst bei einem Mann zu finden sein.“
Das war deutlich gesprochen, wohl auch ein Wenig rücksichtslos, weil wir dem in dieser Weise Zurückgewiesenen ja so viel verdankten. Aber daß er sich jetzt wieder, wie vorhin bei den Pferden, so zudringlich zeigte, das legte unserer Dankbarkeit einen Dämpfer auf, der uns selbst am unangenehmsten berührte. Leider schien er das nicht zu empfinden, denn er fügte zu den bisherigen Fehlern einen neuen, indem er im Tone des Vorwurfes sagte:
„Du scheinst nicht zu wissen, was Ihr uns schuldig seid! Wo wäret Ihr jetzt, und was hättet Ihr jetzt, wenn wir nicht bereit gewesen wären, Euch in unseren Schutz zu nehmen!“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
17)
(Nachdr. verb.)
Halef war eifrig damit beschäftigt, Alles, was ihm gehörte, einzustecken, ich ebenso. Nun hatten wir nur noch die Gewehre an uns zu nehmen. Wir thaten das, und nun, da wir uns sicher und selbstständig fühlen durften, antwortete der Hadschi:
„Du forderst Dankbarkeit? Weißt Du noch nicht, daß der wahre Dank nicht genommen, sondern nur gegeben werden kann? Du hast zwar von uns gehört, kennst uns aber nicht. Darum erscheint Dir Deine Güte zu uns viel größer als sie wirklich ist. Wo wir wären und was wir jetzt hätten? Wir hätten auch ohne Euch die Spuren dieser Diebe gefunden. Wir wären ihnen gefolgt und hätten uns noch während dieser Nacht hierhergeschlichen, um zu bestrafen, was man an uns verbrochen hat. Euch haben wir weiter nichts, weiter gar nichts zu verdanken, als daß wir drei oder vier Stunden eher hier eingetroffen sind. Und für diese paar Stunden sollen wir Dir die Geheimnisse unserer Pferde und unserer Waffen verrathen? Denke nach, was Du da da forderst! Wir haben uns als Deine Gäste betrachtet; aber wenn Du uns mit Fragen von Dir treibst, so werden wir jetzt auf unsere Pferde steigen und nach einem Orte reiten, wo man weiß, daß die wahre Gastfreundschaft sich nicht im Ueberfluß der Worte zeigt! — — Barkh, ta’ahl ✽)!“
Als sein Pferd diese beiden Worte hörte, kam es herbei und stellte sich so vor Halef hin, daß dieser nur den Fuß in den Bügelschuh zu heben brauchte, um sich in den Sattel zu schwingen. Ich gab dem Freunde innerlich Recht, hätte mich aber an seiner Stelle wohl etwas höflicher ausgedrückt. Wir hatten Rücksicht zu nehmen. Wie kam es nur, daß der sonst so gern dankbare Kleine hier so schroffe Ausdrücke fand? Er hob auch wirklich schon den Fuß, um aufzusteigen, da trat der Scheik schnell zu ihm hin und sagte, indem er ihn am Arme zurückhielt:
„Hadschi Halef Omar, handle nicht zu schnell! Es war ja nicht meine Absicht, Euch von hier fortzutreiben! Bedenke, was man von uns sagen würde, wenn man erführe, Ihr seiet unsere Gäste gewesen, wäret aber nicht bei uns geblieben!“
„Für uns würde das wohl keine Schande sein!“ antwortete Halef streng.
„Nein, aber für uns! Darum bitten wir Euch, hier zu bleiben und morgen früh mit nach unserem Lager zu reiten. Ihr könnt diesen Ort wohl auch gar nicht eher verlassen, als bis Ihr über die Diebe Gericht gehalten habt!“
Das war freilich ein Grund, welcher sofort wirkte:
„Gericht halten? Allerdings!“ antwortete der Kleine. „Wer soll es thun? Willst Du Dich mit einer Dschemmah ✽) Deiner Krieger daran betheiligen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil das Urtheil derselben wohl nicht mit dem Eurigen übereinstimmen würde.“
„Wieso?“
„Jede Dschemmah hat nach dem Gesetze der Wüste zu richten, welches den Pferderaub mit dem Tode bestraft. Euer Urtheil aber wird sich dieser Strenge wahrscheinlich nicht bedienen.“
„Nicht?“ fragte Halef im Tone der Ueberraschung. „Warum denkst Du das?“
Der Scheik dachte nach, wie er sich am besten auszudrücken habe. Leider verhinderte mich sein Vollbart, seine Gesichtszüge zu studiren. Sie kamen mir verlegen und doch auch wieder pfiffig vor. Er wollte unbefangen erscheinen, und doch hätte ich behaupten mögen, daß er grad jetzt befangen sei. Dann antwortete er:
„Man hört von euch, daß Ihr ganz anders denkt, als andere Leute denken. Ihr handelt nach einer Gerechtigkeit, welche lieber verzeiht, als daß sie sich den Vorwurf der Härte machen läßt. Und hart wäre es doch wohl, wenn diese zwölf Personen wegen nur zwei Pferden alle sterben müßten!“
„Nur zwei? Ich sage Dir, daß diese zwei Hengste mehr werth sind als hundert, als tausend andere Pferde! Die Zahl kommt also hier ganz und gar nicht in Betracht.“
„So, aber doch der Umstand, daß Ihr Euch schon wieder in ihrem Besitz befindet!“
„Das ist richtig. Wir werden also nicht vom Tode sprechen. Aber eins dieser edlen Pferde ist geschlagen worden. Das ist Etwas, was nicht vergeben werden kann!“
„Rechne die zerbrochenen Knochen der beiden Unvorsichtigen ab, welche von den Hufen getroffen worden sind!“
„Abrechnen? Wie kommst Du mir vor? Ist es Deine Absicht, der Dawa wekeli ✽) dieser Missethäter zu sein und sie zu vertheidigen? Wer nicht mit richten will, hat auch nicht zu beschönigen. Ich werde also mit meinem Sihdi berathen, und was wir bestimmen, das wird ausgeführt. Jetzt aber — — jetzt — — oh, Sihdi, halte mich! Der Schwindel ist wieder da. Ich sehe nichts und muß mich niedersetzen!“
Er griff nach dem vor ihm stehenden Pferde, um sich festzuhalten. Ich schlang den Arm um ihn und führte ihn an das Feuer. Dort ließ ich seine Decke ausbreiten und legte ihn auf dieselbe nieder. War ich erst besorgt gewesen, so wurde mir nun angst um ihn.
„Was fehlt dem Scheik der Haddedihn?“ erkundigte sich Nafar Ben Schuri. „Hat er vielleicht den Suchuna ✽✽)?“
„Nein,“ antwortete ich.
„Oder die Berdija ✽✽✽)?“
„Nein.“
„Oder die Chumma mutallati ✽✽✽✽)?“
„Auch diese nicht. Er hat gestern vergifteten Kaffee getrunken. Davon ist ihm noch übel. Weiter ist es nichts.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
18)
(Nachdr. verb.)
Ich wußte, daß ich log; aber die Klugheit verbot mir, die Wahrheit zu sagen. Ich war jetzt beinahe überzeugt, es mit einer schweren, typhösen Erkrankung zu thun zu haben, mußte dies aber verheimlichen, um mir die Bedingungen einer wenigstens den Umständen angemessenen guten Krankenpflege zu ermöglichen. Daß es sich um eine ansteckende Krankheit handle, brauchte jetzt noch Niemand zu wissen. Später freilich hätte ich es unter allen Umständen für meine Pflicht zu halten, die Dinarun vor Ansteckung zu bewahren.
Glücklicher Weise hatten wir unsere Sachen wieder, auch unsere kleine Reiseapotheke. Ich beeilte mich also, Halef Chinin zu geben. Dann lag er still und mit geschlossenen Augen da, als ob er schlafe.
Die aus dem Lager gekommenen Dinarun waren mit Proviant versehen. Es wurde gegessen. Die Portion Halefs bot ich ihm nicht an, sondern hob sie auf. Für unsere beiden Pferde sorgte ich selbst. Dann setzte ich mich zu Halef hin, um das zu thun, was ich auch in der vorigen Nacht mir zwar vorgenommen aber leider nicht gethan hatte — — zu wachen.
Für Nafar Ben Schuri war an der anderen Seite des Feuers ein Lager zurecht gemacht worden. Da saß er, rauchte einen Tschibuk und schien in Nachdenken versunken zu sein. Mit wem er sich im Stillen beschäftigte, das sagten mir die Blicke, welche er von Zeit zu Zeit zu mir herübersandte. Seine Leute hatten
sich so gelagert, wie es in ihrem Belieben lag. Eine gewisse Ordnung schien dabei nicht beabsichtigt zu sein. Einmal stand ich auf, um nach den Gefangenen zu sehen. Ihre Fesseln waren nicht übermäßig streng angelegt, doch brauchte ich nicht besorgt zu sein, daß sie sich losmachen würden, weil sie ja rings von den Dinarun umgeben waren und ich ja die Absicht hatte, nicht zu schlafen. Sie lagen mir so nahe, daß mir nichts entgehen konnte.
Ich wollte die beiden Verletzten untersuchen, um ihnen, falls möglich, ihre Schmerzen zu erleichtern; sie duldeten das aber nicht. Dann legte ich dem, den wir für ihren Anführer gehalten hatten, einige Fragen vor, die er mir beantworten sollte. Ich wollte ihn durch sie zu der Bitte ermuntern, nicht streng mit ihm und seinen Leuten zu verfahren; er zog es aber vor, sich in ein so trotziges Schweigen zu hüllen, daß ich den wohlgemeinten Versuch aufgab und an meinen Platz zurückkehrte. Da richtete nun der Scheik das Wort an mich:
„Sihdi, halte es nicht für Herzenshärtigkeit! Es ist die Furcht vor Dir, die diesem Manne die Worte raubt!“
„Verteidigst Du ihn abermals?“ antwortete ich.
„Nein. Nur suche ich mir sein Schweigen zu erklären. Welches Urtheil werdet Ihr wohl über ihn und seine Leute fällen?“
„Das weiß ich nicht. Ich muß darüber mit Hadschi Halef sprechen.“
„Und wo soll es ausgeführt werden?“
„Da wo wir uns befinden, wenn es gesprochen wird.“
„Also daheim in meinem Lager!“
„Warum dort?“
„Weil ich Euch eingeladen habe, uns dorthin zu begleiten. Sag, ob Ihr uns diesen Wunsch erfüllen werdet!“
„Ich bin bereit dazu, damit Ihr seht, daß wir nicht so undankbar sind, wie Du zu denken scheinst.“
„Verzeih mir das! Wir, die wir hier zwischen den Bergen wohnen, achten nicht auf die künstlichen Regeln der Städtebewohner, nach denen sich ihre Höflichkeit richtet. Ihr werdet als unsere willkommenen Gäste Alles finden, was Euch von Nöthen ist. Und das, was Ihr bei uns über diese Diebe beschließet, wird von uns genau so ausgeführt werden, wie Ihr es von uns fordert.“
„So bist Du erbötig, die Ausführung unseres Urtheils zu überehmen?“
„Ja. Nur möchte ich wissen, worin die Strafe bestehen wird. Etwa im Tode?“
„Nein, keinesfalls.“
„Was sonst?“
„Hiebe!“
Dieses Wort sagte nicht ich, sondern es klang aus Halefs Munde. Er hatte also gehört, was von uns gesprochen worden war.
„Hiebe!“ wiederholte er, ohne aber die Lage seines Körpers zu verändern.
„Wieviel?“ fragte der Scheik.
„Jeder zehntausend!“
„Allah! Das ist zu viel!“
„Nein, sondern zu wenig!“
„Das würde doch schlimmer als der Tod
sein. Kein Mensch hält zehntausend Hiebe aus!“
„Das soll er auch nicht! Und von den Beiden, die sich an unseren Pferden vergriffen haben, bekommt jeder zwanzigtausend!“
„Höre ich recht?“
„Ja. Aber wenn es Dir zu wenig ist, so will ich sagen — — dreißigtausend!“
Er richtete sich halb auf, machte mit dem Arme die Bewegung des Schlagens und sank dann wieder nieder.
„Allah beschütze ihn!“ sagte der Scheik. „Er ist krank; er hat die Suchuna. Die Glut des heißen Fiebers fließt ihm durch die Adern!“
Ich griff nach Halefs Hand, um nach dem Puls zu fühlen. Ja, er fieberte! Der Scheik fuhr fort:
„Hoffentlich spricht er anders, wenn das Fieber vorüber ist. Diese Diebe sollen die ihnen gebührenden Schläge bekommen; aber sie durch die Bastonnade langsam zu Tode zu martern, könnt Ihr doch nicht wollen.“
Ich durfte weder Ja noch Nein sagen, weil ich mich hätte hüten müssen, Halef aufzuregen, benutzte aber diese Gelegenheit, eine mir nöthig scheinende Vorbereitung zu treffen:
„Das Urtheil wird gefällig werden, wenn wir bei Euch angekommen sind. Ihr habt doch wohl einen Tachtirwan ✽) im Lager?“
„Mehrere. Warum fragst Du?“
„Der beiden Verletzten wegen. Es würde unmenschlich sein, sie reiten zu lassen.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
19)
(Nachdr. verb.)
Da fiel der Scheik viel schneller als ich erwartet hatte, ein:
„Sie sollen im Tachtirwan nach dem Lager gebracht werden?“
„Ja.“
„Meinst Du, daß ich einen Boten sende?“
„Ja.“
„Sogleich?“
„Je eher desto besser. Wenn es möglich ist, so laß zwei Sänften kommen!“
Ich hatte es mit einer dieser Sänften auf Halef abgesehen, welcher unmöglich in den Sattel konnte, wenn sein Zustand der jetzige blieb. Das wußte der Scheik nicht, und darum wunderte ich mich nicht über das Lob, welches er mir spendete:
„Die Güte Deines Herzens gedenkt sogar, den Feinden größere Erleichterung zu bieten, als eigentlich nöthig ist. Ein Tachtirwan genügte wohl für Beide, doch da es Dein Wille ist, so will ich nach zweien schicken, und zwar sogleich.“
Er gab einem seiner Leute den betreffenden Befehl, worauf dieser Mann zu seinem Pferde ging und von dannen ritt.
„Ich sprach von Deiner Güte, nicht von der meinigen,“ knüpfte der Scheik das unterbrochene Gespräch wieder an. „Und doch hätte ich auch von dieser letzten reden können. Weißt Du, zu welchem Stamm diese Leute gehören, welche Euch bestohlen haben?“
„Nein.“
„Sie sind Dschamikun. Allah verdamme sie in die tiefste Hölle hinab!“
„Sind die Dschamikun Feinde Deines Stammes?“
„Nicht nur Feinde, sondern Todfeinde! Es ist Blut, unaufhörlich Blut geflossen zwischen uns und ihnen, seit man die Namen dieser beiden Stämme kennt. Erst kürzlich wieder ist an uns ein Verbrechen begangen worden, welches zu Allahs höchstem Himmel schreit. Ich will Dir nicht jetzt davon erzählen. Du wirst davon hören, wenn wir heimkommen. Wenn ich solche Leute im Tachtirwan transportiren lasse, um ihnen Schmerzen zu ersparen, so ist das eine Güte, welche sich recht wohl mit der Deinen messen kann! Vielleicht darf ich in dieser Angelegenheit auf Deinen Rath, wohl gar auf Deine Hülfe rechnen.“
„Wenn wir Dir in irgend einer Weise von Nutzen sein können, so werden wir natürlich sehr gern thun, was wir vermögen. Warum aber willst Du mit Deiner Mittheilung warten, bis wir uns morgen in Eurem Lager befinden?“
„Weil Du jetzt wahrscheinlich schlafen willst.“
„Ich pflege nicht gern Etwas aufzuschieben. Was man sogleich erfahren kann, soll man nicht bis später warten lassen.“
„Das ist die Energie, die jedem Krieger wohl geziemt. Ich bin in dieser Beziehung ganz so wie Du gesinnt. Darum sollst Du schon jetzt hören, was ich Dir erst morgen sagen wollte. Wirst Du mir glauben, wenn ich Dir noch einmal und ganz bestimmt versichere, daß die Dschamikun sich auf den Raub und Diebstahl verlegen?“
„Ich muß es ja glauben, weil sie es persönlich an uns bewiesen haben.“
„Nicht nur an Euch, sondern auch an uns. Sie haben uns erst kürzlich wieder im tiefsten Frieden überfallen und einen großen Theil unserer Herden weggeführt. Ich war mit den meisten meiner Krieger abwesend, um mit einem befreundeten Stamme ein Fest zu feiern, zu dem uns dieser geladen hatte. Das war von den Dschamikun beobachtet worden, und darum gelang ihnen der Raub. Sie haben dabei fünf unserer Wächter getötet. Nun kennst Du unsere Pflicht?“
„Sie lautet nach Euren Gesetzen: Blut um Blut!“
„Ja, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben, Blut um Blut! Auch wollen wir unsere Herden wieder haben. Du wirst es also begreiflich finden, daß wir einen Zug der Vergeltung gegen sie beschlossen haben?“
„Ich halte das nach Euern Gesetzen für ganz selbstverständlich. Wann soll er unternommen werden?“
„Wir wollten schon morgen früh aufbrechen.“
„Ah! Das ist nun wohl nicht möglich?“
„Nein. Die Gastfreundschaft steht selbst über der Pflicht der Rache. Wir haben Euch eingeladen, zu uns zu kommen, und wir müssen Euch also zeigen, daß wir stolz darauf sind, Euch bei uns haben zu können. Die Dinarun haben die Gastlichkeit niemals verletzt, sondern sie stets höher gehalten, als dies von den anderen in dieser Gegend wohnenden Stämmen geschieht. Ich hoffe, daß Ihr uns die Ehre erweist, Euch in jeder Beziehung als unsere Gäste betrachten zu dürfen. Welche Antwort gibst Du mir?“
Wer die Gebräuche jener Völker nicht kennt,
der erwartet natürlich, daß ich sofort und mit Vergnügen eingestimmt habe. Es schien ja geradezu als eine liebevolle Fügung des Schicksals betrachtet werden zu müssen, daß diese Einladung ausgesprochen wurde. Besonders fiel hier der Umstand ins Gewicht, daß Halef von einer vielleicht schweren und langwierigen Krankheit bedroht war, welche eine Unterbrechung unserer Reise erheischte, damit ihm die so nothwendige Ruhe und Pflege geboten werden könne. Aber die Sache hatte noch eine andere Seite, welche ich als vorsichtiger Mann nicht übersehen durfte.
Nach den Gepflogenheiten der Beduinen ist der „Gast“ nämlich nicht etwa, wie bei uns, nur ein sogenannter „Besuch“, dem man sich zu widmen und alle mögliche Aufmerksamkeit zu erweisen hat. Er hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, denn er ist für die Zeit seines Aufenthaltes bei dem betreffenden Stamme ein vollgültiges Mitglied desselben. Ja, noch mehr: Das Wort „Gast“ hebt ihn über die Mitglieder des Stammes empor, und wie sie außerordentliche Pflichten gegen ihn zu erfüllen haben, so wird auch von ihm eine größere als die gewöhnliche Hingabe an das Wohl und an die Interessen des Stammes gefordert. Der Gast steht während seines ganzen Aufenthaltes in gewisser Beziehung sogar noch über dem Scheik und hat nicht weniger als dieser an allen Freuden, doch ebenso auch an allen Leiden seiner Gastgeber theilzunehmen. Er würde als ehrloser Mensch betrachtet und behandelt werden, wenn er sich von einer Gefahr zurückzöge, welche denen droht, die ihn bei sich aufgenommen haben.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
20)
(Nachdr. verb.)
Die Frage Nafars hatte also einen zweifachen Klang, eine doppelte Bedeutung für uns. Sie lautete: „Wollt Ihr zu uns kommen und jede Unterstützung finden, deren Ihr bedürftig seid?“ Wenn ich hierauf mit einem Ja antwortete, so war es mir dann unmöglich, zu dem hierauf folgenden Schlusse ein Nein zu sagen: „Wollt Ihr zu uns kommen, um an dem Rachezuge gegen die Dschamikun theilzunehmen?“
Diese, wenn auch nur sehr kurze Erwägung war der Grund, daß ich nicht augenblicklich die erwartete Antwort gab. Darum warf mir der Scheik sofort die etwas piquirt klingenden Worte hin:
„Du zögerst, anzunehmen? Hältst Du uns für Leute, deren Berührung Eure Ehre beschmutzen würde?“
Diese Frage würde unter anderen Verhältnissen wohl auch eine andere Wirkung hervorgebracht haben; aber es war auf Halef Rücksicht zu nehmen, und wir hatten den Scheik ja auch schon daran erinnert, daß wir seine Gäste seien. Das konnten wir unmöglich zurücknehmen, und darum sagte ich in beruhigendem Tone:
„Man soll zwar rasch denken, aber nicht zu schnell sprechen, o Scheik! Ihr habt bisher als Freunde an uns gehandelt, und ich bin überzeugt, daß Ihr das auch weiter thun werdet. Warum sollte ich Euch mißtrauen? Warum an Eurer Ehrlichkeit zweifeln? Als ich nicht augenblicklich antwortete, hatte das einen ganz anderen Grund.“
„Welchen?“
„Ich fragte mich, ob es uns wohl erlaubt sei, Euch in der Weise zu belästigen, wie es geschehen wird, wenn wir darauf eingehen, für längere Zeit als nur heute Eure Gäste zu sein.“
„Belästigen?“ wiederholte er mein Wort:
„Ja.“
„Ich weiß, daß Du ein Christ bist. Wahrscheinlich kennst Du die Forderungen unseres Kuran nicht?“
„Ich kenne nicht nur ihn, sondern auch alle seine Auslegungen.“
„So mußt Du auch wissen, daß ein Gast niemals belästigen kann! Allah zu gehorchen, ist das oberste der himmlischen Gesetze und den Gast zu ehren, die oberste der irdischen Vorschriften. Wir gehorchen Allah, und wir ehren unsere Gäste. Hoffentlich genügt es Dir, daß ich Dir dies versichere!“
Ich muß gestehen: Es lag in dem Wesen, in der Ausdrucksweise und in dem ganzen Verhalten dieses Mannes Etwas, wodurch meine erst für ihn gehegte Sympathie verringert worden war. Ich konnte dieses Etwas zwar nicht definiren, aber es war vorhanden und übte eine mich zur Zurückhaltung mahnende Wirkung auf mich aus. Aber die Umstände verboten mir, dies in Worten auszudrücken. Darum antwortete ich:
„Es bedarf dieser Versicherung gar nicht. Aber als Gäste geehrt sein zu wollen und dazu auch noch ganz besondere Opfer beanspruchen zu wollen, das schien mir denn doch zu viel von euch verlangt.“
„Für einen Gast Etwas zu thun, kann nie
ein Opfer sein. Welche Belästigungen sind es, die Du meinst?“
„Schau hin zu meinem Hadschi Halef, dem Scheik der Haddedihn! Ich vermuthe, daß eine Krankheit sich ihm naht, welche im Stande ist, Euch ungewöhnliche Sorge und Arbeit zu bereiten. Meine Gewissenhaftigkeit gebietet mir die Frage, ob es uns gestattet ist, diese Last auf Euch zu legen.“
„Es ist für uns keine Last. Wir werden ihn wie einen Bruder pflegen. Und wenn die Krankheit, von welcher Du sprichst, wirklich käme, so bist ja Du gesund und — — und —“
Er zögerte, weiter zu sprechen. Wahrscheinlich hatte er einen Gedanken, den ich nicht errathen sollte, wenigstens jetzt noch nicht. Ich vermuthete, daß der Satz, wenn er ausgesprochen worden wäre, wahrscheinlich folgendermaßen gelautet hatte: „Wir haben zwar auf Eure beiderseitige Hülfe gerechnet, aber falls Halef krank wird, bist ja Du noch da, und auf Dich rechnen wir dann ganz bestimmt!“ Ich fand nicht Zeit, hierüber weiter nachzudenken oder den Scheik zu veranlassen, sich vollständiger und deutlicher auszudrücken, denn kaum hatte er diese Pause eintreten lassen, so begann der bisher bewegungslos daliegende Hadschi plötzlich sich zu regen, und zwar in höchst energischer Weise. Er wickelte sich aus seiner Decke heraus, sprang auf, stellte sich vor mich hin und fragte in einem Tone, der auf nichts weniger als auf Kranksein schließen ließ:
„Was hast Du da gesagt, Sihdi? Ich habe Alles gehört! Denkst Du wirklich und im Ernste an die Möglichkeit, daß ich krank sein werde?“
„Ja,“ antwortete ich aufrichtig.
„Was für eine Krankheit wird das sein? Welchen Namen gibst Du ihr?“
„Ich sehe sie jetzt nur von Weitem. Erst wenn sie da ist, kann ich sie erkennen und Dir ihren Namen sagen.“
„Also von Weitem! O Sihdi, wie enttäuschest Du mich! Ich habe Dich für klug gehalten, und sehe nun, daß Du dies gar nicht bist!“
„Danke, lieber Halef!“
„Bitte! Fasse doch diesen Deinen Gedanken an; stelle ihn vor Dich hin und schau ihm in das lügnerische Angesicht! Du siehst meine Krankheit jetzt nur von Weitem. Sie ist also noch gar nicht da. Muß ich ihr denn erlauben, vollends heranzukommen und in meinen Körper einzuziehen, um es sich in demselben wie in einem festgeschmückten Zelt bequem zu machen?“
„Wenn sie will, wird es geschehen!“
„Will, will, will! Auch ich habe meinen Willen, und was ich will, das pflege ich durchzusetzen. Jede Krankheit ist Schwäche. Auch die, welche Du von weitem kommen siehst, kann gar nichts Anderem gleichen, als einem alten, schwachen, elenden Weibe, welches keinen Zahn mehr im Munde hat. Und ich, der berühmte, tapfere Scheik der Haddedihn, der selbst dem Löwen nie den Rücken zeigte, soll mich vor einem solchen Geschöpf der Schwäche fürchten? Ich sage Dir: Ich lasse diese Krankheit nicht heran! Ich weise sie ab! Ich lache sie aus! Du selbst hast mich gelehrt, was ein fester Wille kann, und wie fest und unerschütterlich der meinige ist, das muß ich doch wohl am allerbesten wissen!“
„Halef, bitte, gib mir Deine Hand!“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
21)
(Nachdr. verb.)
„Warum?“
„Gib sie nur!“
„Wozu? Ist’s etwa wegen Deines Dass innabd ✽)?“
„Ja.“
„Das kann ich selbst!“
Er legte den Daumen der rechten Hand an die Ader oberhalb des linken Handgelenkes, hielt beides an das Ohr, lauschte eine kleine Weile und fuhr dann fort:
„Ich höre nichts, gar nichts; es ist also Alles in der schönsten Ordnung! Denn wäre etwas Fremdes in der Ader, so müßte es sich doch bemerklich machen!“
„Man darf nicht hören, sondern fühlen!“
„Das ist ganz gleich, denn ich habe auch nichts gefühlt. Und dieses Gefühl müßte ich doch deutlicher haben als jeder Andere, der nicht nach seinem, sondern nach meinem Pulse greift!“
Ich wollte da eine erklärende Bemerkung machen, doch ließ er mich nicht zum Worte kommen und fügte schnell hinzu:
„Ich weiß, Sihdi, daß es Deine Liebe ist, welche Dich so besorgt um mich macht. Aber ich will Dir beweisen, daß Deine Gedanken auf einem ganz verkehrten Wege spazieren gehen. Ich frage Dich: Ist das Negris ✽✽) eine Krankheit?“
„Ja.“
„Wenn dieses Negris in meiner großen Zehe sitzt, fühlst Du es dann etwa in der Deinigen?“
„Nein.“
„Ganz recht! Du bist geschlagen! Du bist überführt! Du mußt erkennen, daß Du Unrecht hast! Das Negris thut nur dem wehe, der es hat, keinem Andern. Nur wer die Schmerzen fühlt, weiß, daß er ihr rechtmäßiger Eigenthümer und Besitzer ist! Und ganz genau so ist es auch bei allen übrigen Krankheiten. Ich fühle mich gesund, vollständig kerngesund! Aber ich bekomme Angst um Dich, Sihdi!“
„Warum?“
„Weil Du es bist, der meine Krankheit fühlt und sieht. Sie ist also nicht die meinige, sondern die Deinige! Darum befürchte ich sehr, daß wir die Gastfreundschaft dieser guten Dinarun nöthig haben, um Dich wieder gesund pflegen zu können!“
Wer da meinte, diese Worte seien im Fieber oder aus Unverstand gesprochen worden, der hätte sich geirrt. Ich begriff den lieben, kleinen Kerl sehr wohl. Er machte den Ernst zum Scherze, um mich zu beruhigen, doch gelang es ihm freilich nicht, mich zu täuschen.
„Ihr nehmt es also an, unsere Gäste zu sein?“ fiel da der Scheik schnell ein.
„Ja,“ antwortete Halef. „Denn wir brauchen vielleicht einige Zeit, um dem alten, zahnlosen Weibe, welches mein Sihdi von Weitem kommen sieht, begreiflich zu machen, daß es sich weder schickt noch ziemt, mit Leuten
zu verkehren, wie wir Beide sind. Und während dieser Frist sind wir natürlich gern bereit, Euch so nützlich zu sein, wie es die Pflicht Eurer Gäste ist.“
Das war es, was der Scheik hören wollte. Er zauderte nicht, Halef beim Worte zu nehmen:
„Auch gegen die Dschamikun?“
„Jawohl. Das ists ja grad, was ich meine!“
Da war das Wort hinaus, welches auszusprechen ich gezögert hatte! Zwar hätte ich Halef in die Rede fallen können; aber das wäre auffällig gewesen, und, wie bereits gesagt, es blieb uns keine Wahl. Die Schnellfertigkeit des Hadschi hatte in diesem Falle keinen Fehler begangen, sondern nur etwas eher zugestanden, was ich, der Bedächtigere, später doch auch nicht hätte verweigern können. Das Versprechen mußte dem Scheik werthvoll sein, denn er verbeugte sich gegen uns Beide, hob die Hände bis zur Brust empor und sprach:
„So ist der Bund zwischen Euch und uns geschlossen. Eure Feinde sind auch unsere Feinde und unsere Freunde sind auch Eure Freunde. Wir wollen das Brod darüber essen!“
Er zog ein Stückchen dünnen Brodfladen aus der Tasche seines Haïk, brach es in drei Theile, schob den seinigen in den Mund und gab uns die beiden anderen. Da war nichts Anderes zu thun; wir mußten sie nehmen und essen, worauf wir uns in jeder Beziehung als Dinarun zu betrachten hatten!
Halef war nicht nur vollständig damit einverstanden, -
einverstanden, sondern er freute sich sogar darüber. Er ging um das Feuer, zu dem Scheike hin, reichte ihm die Hand und sagte:
„Ich habe vorhin nicht etwa geschlafen, sondern Alles vernommen, was Du erzähltest. Ihr habt uns heut beigestanden, diesen Dschamikun Alles, was sie uns raubten, wieder abzunehmen. Nun werden wir Euch beistehen, Eure Herden wieder zu bekommen und den Tod Eurer Wächter zu rächen. Zwar sind wir nur zwei Personen, aber — — —“
Da unterbrach ihn Nafar:
„Aber ihr zählt für Viele. Das wissen wir wohl! Solchen Gewehren, wie Ihr besitzt, kann kein Feind widerstehen, und ebenso wenig kann, wenn Ihr Eure Pferde reitet, ein Fliehender Euch entkommen. Vielleicht ist die Krankheit, von welcher Ihr redet, eine Täuschung. In diesem Falle könnten wir schon morgen oder doch übermorgen aufbrechen, um den Dschamikun die wohlverdiente Strafe zu ertheilen!“
„Ich bin schon morgen bereit dazu,“ erklärte Halef, „und mein Sihdi ganz gewiß ebenso! Ihr werdet es nicht bereuen, uns getroffen und hierher begleitet zu haben. Doch ehe wir morgen aufbrechen, muß über diese Diebe hier das Wort des Gerichtes ausgesprochen werden. Es hat mich gewundert, Dein Herz so mild gegen sie zu sehen, besonders, nachdem Du uns gesagt hast, daß sie zu demselben Stamm gehören, an welchem auch Ihr Euch zu rächen habt.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
22)
(Nachdr. verb.)
Halef sprach diese Bemerkung gewiß ganz absichtslos aus, doch schien es mir, als ob sie dem Scheik nicht recht gelegen komme. Er antwortete nicht. Da hielt ich es denn für nicht unklug, diesen Eindruck durch die direct an ihn gerichtete Frage zu verstärken:
„Als diese zwölf Männer Euch heut begegneten, habt Ihr denn nicht mit Ihnen gesprochen?“
„Nein,“ antwortete er. „Das sagte ich Euch doch schon.“
„Warum habt Ihr sie denn nicht angehalten?“
„Weshalb hätten wir dies thun sollen? Wir kannten Euch noch nicht, hatten also noch keinen Bund mit Euch geschlossen und wußten ebenso wenig, daß Ihr von ihnen beraubt worden waret.“
„Habt Ihr sie denn nicht als Dschamikun erkannt?“
„Nein!“ antwortete er auffällig schnell.
„Sonderbar! Dieser Stamm hat euer jetziges Lager überfallen?“
„Ja.“
„Und hierauf wagten sich zwölf einzelne seiner Leute so nahe an dieses heran? Diese Dschamikun scheinen nicht nur kühne, sondern sogar verwegene Krieger zu sein.“
„Das sind sie allerdings!“
„Und Du wünschest eine so gelinde Strafe für sie? Wenigstens als Geisel hättest Du sie von uns fordern sollen!“
„Das ist es, was ich noch thun werde. Ihr Schicksal ist ja noch gar nicht entschieden!“
Er sah mich forschend an. Er mochte fühlen, daß ich nicht ohne Mißtrauen sei. Dann fuhr er fort:
„Ich wünschte ja nur deshalb, sie nur leicht von Euch bestraft zu sehen, damit sie mir für eine schwere Sühne übrig bleiben. Freigelassen werden sie auf keinen Fall!“
„So können wir befriedigt sein, Sihdi,“ meinte Halef, indem er an seinen Platz zurückkehrte, um sich niederzulegen. „Wir haben wieder, was uns fehlte. Mit der Strafe brauchen wir ja nicht zu eilen. Damit hat es auch Zeit, bis wir von dem Zuge gegen die Dschamikun zurückkehren. Und da wir ihn, wie ich denke, schon morgen antreten werden, so brauchen wir jetzt Ruhe. Wir wollen also schlafen. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ sagte auch Nafar Ben Schuri, indem er sich niederlegte. Vielleicht war es ihm recht lieb, jetzt nicht weitersprechen zu müssen.
Auch ich streckte mich unter meiner Decke aus, doch nur, um zu thun, als ob ich schlafen wolle. Selbst wenn es nicht meine Absicht gewesen wäre, die ganze Nacht wach zu bleiben, hätte ich jetzt doch nicht schlafen können. Sie gaben mir ja Beide mehr als genug zu denken, Halef sowohl wie auch der Scheik der Dinarun. Ich schrieb das plötzliche Aufspringen des Ersteren und seine eifrige Theilnahme am Gespräche dem Fieber zu. Er hatte, anstatt mich zu beruhigen, meine Sorge um ihn nur
vergrößert. Und diese Sorge wurde nicht geringer, wenn ich an Nafar Ben Schuri dachte.
Ich bin von jeher so herzlich gern ein dankbarer Mensch gewesen. Vielleicht ist es einer meiner größten Fehler, das Gute, welches mir erwiesen wird, in der Weise zu vergrößern, daß der, welcher es that, mich für seinen ewigen Schuldner halten muß. So zählte ich auch jetzt im Stillen Alles auf, was wir heut dem Zusammentreffen mit den Dinarun zu verdanken hatten. Ich verkleinerte nichts und suchte, möglichst viel zusammenzufinden; aber trotzdem wollte es mir nicht gelingen, es zu einem klaren, reinen, fest überzeugten Gefühle der Dankbarkeit zu bringen. Warum das nur? Ich wollte gern lieb und gut über diese Leute denken, aber ich brachte das nicht fertig. Es gab einzelne Beobachtungen, und es gab auch Worte, welche an sich vielleicht ganz unverfänglich waren, aber dadurch, daß ich sie zusammenhielt und mit einander verglich, eine für mich unwillkommene und unverwünfchte [unerwünschte] Bedeutung bekamen. Ja, wir waren am gestrigen Nachtlager beraubt worden und hatten die erlittenen Verluste wieder zurückgewonnen. Nun hätte ich ruhig sein können. Aber ich war es nicht. Es lag ein Ahnen, ein Fühlen, ein Empfinden in mir, als ob der von uns erlittene Schaden doch noch nicht ersetzt worden sei, oder als ob uns ein anderer, neuer Nachtheil getroffen habe, der erst später und viel schwerer auszugleichen sei. Solche innere Stimmen scheinen zunächst undeutlich und unbestimmt zu sprechen, aber dann, wenn ihre Warnung zur Wahrheit wird, ist man gezwungen, -
gezwungen, einzusehen, daß man sie bei etwas größerem Vertrauen gar wohl verstanden hätte.
Es war kein Befehl gegeben worden, das Feuer zu unterhalten. Darum ging es nach und nach aus. Ich that nichts, dies zu verhindern, denn der Himmel stand voller Sterne, und der Schein, welchen sie herniedersandten, war hell genug für mich, die Gefangenen zu beobachten. Es bewegte sich nur selten einmal einer von ihnen, und dann auch nur, um sich von der einen Seite auf die andere zu wenden. Des Gedankens, sich von den Fesseln zu befreien und zu fliehen, schien Keiner fähig zu sein.
Halef schlief. Ja, er schlief wirklich, fest und ruhig. Sein Athem ging regelmäßig. Das machte mir Hoffnung. Vielleicht hatte ich doch zu schwarz gesehen. Manchmal freilich ging ein Schauer über seinen Körper und dann bewegte er sich, als ob er im Begriff stehe, aufzuwachen. Das konnte aber auch von der nächtlichen Kälte sein, weil, wie bereits erwähnt, in Persien die Wärmeunterschiede zwischen Tag und Nacht ganz bedeutend und viel größer sind als bei uns.
Erst gegen Morgen wachte er auf, und da fror es ihn allerdings so, daß es ihn schüttelte. Es war schon hell, und so sah er, daß ich munter war.
„Du hast auch schon die Augen offen, Sihdi?“ fragte er. „Die Dinarun schlafen noch, obgleich es Zeit zum Morgengebete ist. Ich werde mich also waschen gehen.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
23)
(Nachdr. verb.)
Ich hätte ihn gern gebeten, dies heut nicht zu thun, wußte aber, daß dies vergeblich sein würde. Er stand auf und ging an dem Wasser entlang, bis er hinter einigen Büschen verschwand, um dort seine Morgenandacht zu verrichten. Sein Gang war fest, seine Haltung sicher gewesen. Das beruhigte mich in der Weise, daß ich die Augen schloß, um schnell noch ein Viertelstündchen Schlaf hinwegzunehmen. Wie gedacht, so geschehen: Ich schlief wirklich sofort ein und wachte nicht eher auf, als bis ich von dem Lärm des Aufbruches erweckt wurde.
Niemand wußte, daß ich die Nacht hindurch gewacht hatte. Darum nahm ich es dem Scheik nicht übel, als er mich scherzweise einen Langschläfer nannte. Der abgeschickte Bote war schon mit den beiden Tachtirwans angekommen. Man hatte das frugale Frühstück eingenommen. Auch ich trank einige Schluck Wasser aus dem Bache und aß ein paar Datteln, wobei ich meinen Halef beobachtete, welcher still auf seiner Decke saß, starr vor sich hinblickte und für Niemand, auch nicht einmal für mich ein Auge zu haben schien. War es so schnell anders mit ihm geworden?
„Halef!“ rief ich ihn.
Er antwortete nicht.
„Halef! Hörst Du mich?“
Er nickte nur, sagte aber nichts und drehte sich auch nicht nach mir um.
„Ist dir nicht wohl?“ fragte ich.
„Laß mich!“ bat er jetzt mit gedrückter Stimme. „Sprich nicht auf mich!“
„Warum nicht?“
„Ich kann nicht antworten. Ich bin so müde, so unendlich matt!“
Da ging ich hin und beugte mich zu ihm nieder. Er legte den Arm um meinen Hals und sagte:
„Sihdi, mein lieber, lieber Sihdi, wie denkst Du über das Sterben?“
„Ich denke, daß wir beide noch recht, recht lange darauf warten werden,“ antwortete ich.
„Meinst Du? Mir aber ist, als ob es sofort beginnen solle. So wie mir jetzt ist, muß es Einem sein, der sterben soll!“
„Denke nicht daran! Es ist nichts als Müdigkeit.“
„Aber eine so große, wie ich sie noch nie empfunden habe! Wenn ich mich nicht legen soll, so muß ich Dich bitten, mich festzuhalten, damit ich nicht umfalle.“
Soeben wurden die gefesselten Gefangenen auf ihre Pferde gebracht. Die beiden Verwundeten wollte man in die Tachtirwans bringen. Da gab ich dem Scheik die Weisung:
„Die zwei Gefangenen kommen mit einander in eine Sänfte!“
„Für wen ist die andere?“ fragte er.
„Für Hadschi Halef.“
„Für den Scheik der Haddedihn?“ gab er verwundert zurück. „Wie kann Jemand, der ein solches Pferd besitzt wie er, auf den Gedanken kommen, wie ein Weib in eine Sänfte zu steigen!“
„Er ist krank. Er kann nicht reiten.“
Da nahm Halef seinen Arm von meinem Halse, sprang mit einem schnellen, kräftigen Rucke auf, sah mir mit funkelndem Auge in das Gesicht und rief zornig aus:
„Sihdi, bist Du toll? Hast Du plötzlich die Gabe Deines Verstandes verloren?“
Ein einziger Augenblick hatte genügt, ihn in ein Bild der höchsten Energie zu verwandeln.
„Nein,“ antwortete ich. „Ich bin sogar sehr bei allen meinen Sinnen.“
„Das kannst Du unmöglich sein, wenn Du mir zumuthest, nicht zu reiten, sondern mich tragen zu lassen!“
„Es muß sein, lieber Halef. Füge Dich!“
„Das fällt mir nicht ein. Soll ich zum Gelächter aller Menschen werden, die es gegeben hat, die es jetzt gibt und auch die es einst noch geben wird?“
„Nein. Die Krankheit ist doch nicht etwas, worüber man zu lachen hat!“
„Aber der Tachtirwan. Uebrigens bin ich ja gar nicht krank!“
„Und soeben fühltest Du Dich zum Umfallen schwach!“
„Jetzt nicht mehr. Das ist vorüber!“
„Es wird wiederkommen!“
„Nein! Dein altes Weib, welches keine Zähne mehr hat, werde ich mir vom Leibe zu halten wissen!“
Es war die Erregung des Stolzes, die ihm die Kraft gegeben hatte, aufzuspringen. Er griff mit beiden Händen nach dem Kopfe. Es schwindelte ihm.
„Sei gut, Halef!“ bat ich.
„Ich bin ja gut! Gegen Dich kann ich doch gar nicht anders sein!“
„Jetzt bist Du es nicht. Du weißt, daß ich Dich nur [nie] um Etwas bitte, was nicht nöthig ist.“
„So machst Du gegenwärtig eine Ausnahme. Das, was ich thun soll, ist vollständig überflüssig!“
„Streiten wir uns nicht hierüber! Kannst Du Dich noch besinnen, daß Du mir eines Tages Etwas schenken wolltest und doch nichts hattest?“
„Ja. Das war zu Deinem Geburtstage.“
„Du warst traurig darüber, daß Du mir nichts geben konntest. Besinne Dich! Was sagtest Du da zu mir?“
„Ich bat Dich, mir es zu sagen, wenn Du einmal einen recht, recht großen Wunsch haben würdest. Ich versprach, ihn Dir zu erfüllen.“
„Ja und zwar unbedingt zu erfüllen! Nun, diesen Wunsch habe ich jetzt ausgesprochen, und ich wiederhole ihn! Steig in den Tachtirwan!“
„So forderst Du das von mir als nachträgliches Geburtstagsgeschenk?“
„Ich fordere es nicht, sondern ich erbitte es mir. Sei brav; sei willig, lieber Halef!“
„Oh, mein guter, guter Sihdi, wenn Du in diesem Tone mit mir redest, kann ich Dir nicht widerstehen! Aber, hast Du gehört, was der Scheik sagte?“
„Denke nicht daran!“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
24)
(Nachdr. verb.)
„Er sagte: „Wie ein Weib in die Sänfte steigen!“ Wenn ich es thue, gebe ich meine ganze Würde hin!“
„Nein!“
„Doch! Die Würde des Mannes, die Würde des Kriegers und die Würde des Scheikes!“
„Diese drei Würden werden Dir bleiben; aber die Würde meines Freundes würde verloren gehen, wenn Du es nicht thätest.“
„So thue ich es. Aber mein Gewehr und alles, was zum Manne gehört, muß ich mitnehmen dürfen!“
„Selbstverständlich! Ich danke Dir!“
„Und Du hebst mich hinein. Es soll mich kein Anderer anfassen als nur Der allein, dem zu Liebe ich es thue!“
„Gern. So komm!“
Ich war ihm behülflich, einzusteigen, und gab ihm dann seine Waffen hinauf. Als dies geschehen war, kam der Scheik zu mir. Er hatte gespannten Auges zugesehen und fragte nun:
„Sihdi, wer wird jetzt das Pferd Halefs reiten?“
„Niemand,“ antwortete ich, von seiner Frage nicht etwa angenehm berührt.
„Würdest Du es mir nicht für diese kurze Zeit erlauben?“
„Nein.“
„Sihdi, bedenke, daß wir Brüder sind! Du bist mein Gast!“
„Das weiß ich. Und eben weil ich es weiß, darf ich Dir Deinen Wunsch nicht erfüllen.“
„Du darfst nicht? Oder willst Du nicht?“
„Ich darf nicht.“
„Warum?“
„Das Pferd würde Dich abwerfen.“
„Du brauchst ihm ja nur das Zeichen zu geben, so wird es dies nicht thun!“
„Aber dieses Zeichen ist ein Geheimniß, und die Geheimnisse eines Vollblutpferdes werden selbst dem besten Freunde, dem Bruder, dem Gaste nicht verrathen. Das mußt Du wissen. Grad weil ich Dein Gast bin, ist es Deine heilige Pflicht, nichts von mir zu fordern, was ich Dir nicht gewähren kann. Die Auslegung des Kuran sagt: „Wer das Antlitz seines Gastes durch eine unerfüllbare Bitte schamroth macht, ist nicht werth, Gäste zu haben.“ Das scheinst Du nicht zu wissen!“
Nachdem ich ihm diese Lehre, und zwar im ernstesten Tone ertheilt hatte, wendete ich mich von ihm ab. Es war mir mehr als unangenehm, ja, es machte mich bedenklich, immer wieder zu bemerken, daß er danach trachtete, die Geheimnisse unserer Pferde zu erfahren. Ich bestieg meinen Assil und nahm Barkh am Zügel, um ihn neben mir hergehen zu lassen. Der Scheik mußte es hinnehmen, daß ich ihn von jetzt an nicht mehr beachtete. Ich wagte dabei nichts, denn im Besitze unserer Hengste und unserer Gewehre hatten wir, so lange wir Vorsicht übten, die ganze Schaar dieser Beduinen nicht zu fürchten. Und daß der Scheik
dies wußte, das war aus seinem Verhalten mit Sicherheit zu schließen.
Es war ein schöner, frischer Ritt in den jungen, kühlen Morgen hinein. Dann später, als die Sonne über den östlichen Bergen erschien, wurde es schnell warm. Wir hatten nicht unsere gestrige Richtung rückwärts eingeschlagen, sondern wir ritten den Weg, auf welchem der Bote die von ihm geholte Hülfe gebracht hatte. Ich achtete aber weniger auf die Gegend als auf Halef, den ich während der ersten Zeit nicht sah, weil er in dem Grunde der Sänfte lag. Doch später setzte er sich auf und ließ sein Gesicht erscheinen, um nach mir auszuschauen. Als er mich an seiner Seite sah, nickte er mir lächelnd zu und sagte:
„Sihdi, das alte Weib ist wieder fort. Ich bin so munter, daß ich gern aussteigen und lieber reiten möchte.“
„Ich bitte Dich aber, sitzen zu bleiben,“ antwortete ich ihm.
„Meinst Du, daß sie wiederkommt?“
„Ja.“
„Ich glaube es nicht. Die Schwäche ist heraus!“
„Nein, Sie steckt noch drin. Sie wird vielleicht sogar noch größer werden.“
„Du irrst, Sihdi. Ich sehe ja, daß sie heraus ist.“
„Du siehst es? Wieso?“
„Ich habe sie jetzt außen auf der Brust.“
Diese Worte erschreckten mich, obgleich ich so etwas erwartet hatte. Ich verstand ihn gleich; ich wußte, was er meinte. Wenn es sich um Petechien handelte, so hatte ich das
Richtige befürchtet: Halef war typhuskrank.
„Hast Du Flecken auf der Brust?“ fragte ich.
„Ja, Sihdi.“
„Wie sehen sie aus?“
„Ich war bei Kindern, welche an der Chassba ✽) litten. Das ist eine Krankheit, welche die Haut zu färben pflegt. Genau von dieser Farbe sind die Flecken, die ich jetzt bei mir bemerke.“
Mit diesen Worten hatte er das Kennzeichen des Petechial-Typhus angegeben. Daß gewisse Beobachtungen, welche ich seit gestern an ihm gemacht hatte, nicht genau mit den Symptomen dieser Krankheit übereinstimmten, konnte mich nicht beirren. Jedes Leiden pflegt nebenbei seine individuellen Erscheinungen zu haben. Ich wußte nun, daß es sich möglicherweise um das Leben Halefs handeln konnte, daß die größte Schonung, die sorgfältigste Pflege geboten war und daß ich selbst im günstigen Falle an eine Genesung vor Ablauf eines Monates nicht denken durfte. Was das heißt, wenn man sich dabei in fremder Gegend und unter halbwilden Menschen befindet, kann man sich unschwer denken!
„Du bist so still! Worüber denkst Du nach?“ fragte er nach einiger Zeit, in welcher ich nicht gesprochen hatte.
„Ich fragte mich nach dem Lager dieser Dinarun. So gute, geräumige und bequeme Zelte wie unsere Haddedihn werden sie wohl nicht besitzen.“ (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
25)
(Nachdr. verb.)
„Nein, solche nicht, Sihdi! Die gibt es nur bei uns! Aber das erwarte ich gar nicht. Wozu auch Zelte? Wir bleiben doch höchstens nur einige Stunden dort, weil schon heut gegen die Dschamikun aufgebrochen wird.“
„Das halte ich nicht für so bestimmt wie Du.“
„Es ist bestimmt. Du weißt ja, daß ich es dem Scheik versprochen habe, und was ich verspreche, das halte ich!“
„Aber ich? Habe ich es auch versprochen?“
„Nein. Doch mein Wort gilt natürlich auch als das Deinige, und ich hoffe, daß Du mich nicht Lügen strafen lässest!“
Hierauf sah ich ihn nicht mehr. Er hatte sich wieder niedergelegt. Die Schwäche war also doch zurückgekehrt!
Von nun an geschah nichts Erwähnenswerthes, als daß einer der Dinarun voranritt, um unsere Ankunft zu melden. Der Scheik befand sich, wie gestern, an der Spitze des Zuges, und da er vermied, zu mir zu kommen, hatte ich noch viel weniger Veranlassung, ihn da vorn aufzusuchen. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn wir ihn und seine Leute gar nicht getroffen hätten. Es wäre uns wahrscheinlich auch ohne ihre Hülfe gelungen, wenn auch nicht so schnell und mühelos, unsere Absicht durchzusetzen.
Nach einigen Stunden gab es wieder Büsche. Wir befanden uns also nicht mehr in wasserloser -
wasserloser Gegend, wie vom heutigen Aufbruche an, und ich vermuthete, daß wir nun nicht mehr fern dem Ziele seien. Diese Muthmaßung bewährte sich als richtig. Ich sah einen Reitertrupp erscheinen, welcher uns entgegenkam, und nun hielt es der Scheik endlich für geboten, sein Pferd so lange anzuhalten, bis wir ihn erreicht hatten. Dann deutete er mit der Hand vorwärts und sagte:
„Sihdi, da nahen Krieger meines Stammes, um Euch willkommen zu heißen. Wirst Du erlauben, daß sie Euch mit dem gebräuchlichen Lab el Barud ✽) empfangen? Eine Fantasia, die wir Euch als so lieben Gästen schuldig sind, wird abgehalten werden, sobald wir uns im Angesichte des Lagers befinden.“
Das Lab el Barud besteht gewöhnlich in einer tollen Schießerei, bei welcher sehr viel Pulver verschwendet wird. Bei der Fantasia werden allerlei Reiterkünste gezeigt. Beides hat den Zweck, den Gast zu ehren und ihm zu zeigen, daß die, welche ihn empfangen, als gute Reiter und Schützen seiner Achtung würdig sind.
Ich hätte dem kranken Hadschi diesen Lärm wohl gern erspart, damit aber wahrscheinlich die Dinarun beleidigt, und da durch die Ausführung dieser Gebräuche das gegenseitige Gast- und Freundschaftsverhältniß bestätigt wird, so hielt ich es in Hinsicht auf unsere Sicherheit für gerathen, meine Zustimmung zu ertheilen.
Als ich dies gethan hatte, gab er den
Nahenden mit dem erhobenen Arme ein Zeichen, worauf sie im Galopp herangesprengt kamen, uns einige Male im Kreise umritten und unter wildem Schreien aus ihren langen Flinten wiederholte Salven und einzelne Schüsse abgaben. Dann sammelten sie sich hinter uns, um sich uns anzuschließen.
„Bist Du mit diesem Empfange zufrieden?“ fragte mich der Scheik im Weiterreiten.
„Ja,“ antwortete ich. „Wir danken euch!“
„Ich glaubte, Du habest Deine Erwartungen nicht erfüllt gesehen.“
„Warum?“
„Weil Du mit keinem einzigen Schusse diesen Empfang erwiedert hast.“
Das war ein Vorwurf, der mir nicht gefiel, und dem eine versteckte Absicht zu Grunde liegen mußte. Und diese Absicht konnte sich nur auf die gastliche Treue beziehen. Das wurde mir von jenem Mißtrauen gesagt, welches sich nun einmal nicht in mir niederdrücken lassen wollte und jetzt wieder seine warnende Stimme erhob. Darum antwortete ich:
„Du weißt, o Scheik, daß wir weder Knaben noch Neulinge, sondern erfahrene Männer sind. Wir wissen ganz genau, was so ein Lab el Barud zu bedeuten hat. Aus Euren Gewehren hat die Stimme der Gastfreundschaft gesprochen. Diese Schüsse waren Eure Versicherung, ja Euer Schwur, daß ihr Euch Mühe geben werdet, alle Eure Pflichten gegen uns zu erfüllen.“
„Weiter nichts?“ fragte er.
„Nein.“
„Du irrst! Durch diese Schüsse richteten
wir auch die Frage an Euch, wie es mit den Pflichten stehe, die Ihr gegen uns auf Euch genommen habt.“
Da hielt ich mein Pferd an, faßte den Zügel des seinigen, daß es auch stehenbleiben mußte, richtete mich im Sattel auf, sah ihm grad und forschend in das Gesicht und sagte:
„Das würde eine Beleidigung für uns sein!“
„Nein!“ behauptete er.
„Doch!“
„So bitte ich Dich, es mir zu erklären!“
„Es sollte dieser Erklärung gar nicht erst bedürfen! Die Gastfreundschaft ist zwischen Euch und uns bereits geschlossen. Ihr habt uns Euer Wort gegeben und dafür das unserige erhalten. Ist das so?“
„Ja,“ gestand er ein.
„Haltet Ihr uns für Lügner?“
Als ich meinem Blick hierbei einen drohenden Ausdruck gab, senkte er den seinen und antwortete:
„Nein. Ich gebe Dir die Versicherung, dies ganz und gar nicht gemeint zu haben!“
„Das ist es, was ich wissen wollte! Wenn wir unser Wort geben, so halten wir es unter allen Umständen. Es bedarf bei uns keiner weiteren Versicherung durch irgend eine That oder gar durch ein bloses Spiel, bei welchem wir gezwungen wären, unsere Munition zu vergeuden, die viel kostbarer als die Eure ist.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
26)
(Nachdr. verb.)
Ich machte eine Pause, um den nächsten Worten eine erhöhte Bedeutung zu geben, und fuhr dann fort:
„Oder sollte es Dir vielleicht so außerordentlich wichtig sein, zu sehen, wie unsere Gewehre beim Schießen gehandhabt werden müssen? Wir schießen niemals im Spiele, sondern stets nur dann, wenn der Ernst uns dazu zwingt, wenn wir uns vertheidigen müssen. Aber dann sitzt jeder Schuß; das kannst Du mir gut glauben! Wenn Ihr es für nothwendig gehalten habt, Euren Worten durch Eure Schüsse größere Glaubhaftigkeit zu verleihen, so sage ich Dir, daß wir so Etwas nicht nöthig haben, weil unsere Worte Thaten sind, die nicht erst noch besonders bestätigt zu werden brauchen! Und nun frage ich Dich: Sind wir im vollsten Sinne des Wortes eure Gäste oder nicht?“
„Ihr seid es,“ versicherte er, indem er mir die Hand herüber hielt.
Es war ihm anzusehen, daß er sich beschämt fühlte. Vielleicht gab es in seinem Innern auch noch etwas Anderes als diese Scham allein. Ich schlug ein, gab sein Pferd frei und sprach, indem wir nun weiter ritten:
„Du weißt nun ganz genau, wie wir über die Heiligkeit und Verletzlichkeit [Unverletzlichkeit] des gegebenen Wortes denken. Fordere also nicht von uns, Etwas hinzuzufügen, denn so ein Wunsch würde eine schwere Beleidigung für uns sein!“
„Und doch hast Du etwas Aehnliches von uns gewünscht, ohne daß es mir eingefallen ist, es Dir übelzunehmen!“
„Was?“
„Das Lab el Barud und die Fantasia.“
„Soll ich gezwungen sein, Dich, unseren Gastfreund, Lügen zu strafen? Du hast uns Beides angeboten; ich habe es nicht verlangt. Das ist der Unterschied. Und durch dieses Dein Angebot hast Du eigentlich gesagt, daß Dein Wort erst noch weiterer Bekräftigung bedarf, bevor man ihm Vertrauen schenken kann.“
„Das habe ich nicht gewollt! Bei Allah! Wenn Du mich in dieser Weise verstanden hast, so zwingst Du mich jetzt, eine Bitte auszusprechen.“
„Welche?“
„Auf die Fantasia zu verzichten!“
„Das thue ich sehr gern!“
„Sie wird also in Wegfall kommen, damit Du nicht ferner annimmst, daß sie als Bestätigung des Euch gegebenen Wortes nöthig sei. Wir wissen ebensogut wie Ihr, was so ein Wort bedeutet!“
Ja, das wußte er wohl ganz gewiß. Aber etwas Anderes wußte und fühlte er wohl nicht, nämlich daß das gegebene Wort seine ganze Heiligkeit verliert, wenn es Veranlassung giebt, in einer so peinlichen Weise über seine Bedeutung verhandeln zu müssen!
Wir ritten jetzt eine langsam ansteigende, sonnige Höhe empor, welche dicht mit niedrigen Genistenpflanzen bewachsen war. Tausende von weißen Schmetterlingsblumen sandten uns da ihre köstlichen Düfte zu. Dieser Strauch, welchen die Hebräer Retom nannten, ist identisch mit dem „Wachholder“ des alten Testamentes,
welches von dem Propheten Elias erzählt: Er kam in die Wüste von Bersaba und setzte sich unter einen Wachholder und wünschte sich den Tod und sprach: Es genügt mir, Herr. Nimm meine Seele, denn ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich nieder und entschlief im Schatten des Wachholderbaumes. Und siehe, ein Engel des Herrn rührte ihn an und sprach: Steh auf, und iß! ¹)
Man sah hier und da eine Ziege, welche sich die weichen Spitze der Zweige schmecken ließ, und Kinder, von denen diese Thiere beaufsichtigt wurden. Das war ein Zeichen, daß wir uns dem Lager näherten. Zu den Ziegen gesellten sich fett geschwänzte Schafe mit sonderbar langen, lappigen Hängeohren. Einige magere Rinder kauten seitwärts im harten, scharfen, schilfähnlichen Grase. Dann kamen wir an zerstreut weidenden Eseln und Maulthieren vorüber, und endlich sahen wir den Lagerort, nicht oben auf der Höhe, sondern unterhalb derselben sich seitwärts an der Berglehne hinziehend.
Die uns dort erwartenden Dinarun waren benachrichtigt worden, daß die Fantasia zu unterbleiben habe. Dennoch saßen sie alle zu Pferde, weil es für sie eine Schande gewesen wäre, uns zu Fuße zu empfangen. Sie waren so freundlich, wie wir es erwarteten, drückten dies aber mehr durch Gesten und Pantomimen als durch Worte aus. Redselig, wie der Beduine fast immer gegen Gäste ist, zeigten sie sich nicht. Das genirte mich aber nicht. Es gab vielmehr einige andere Beobachtungen, durch welche ich mich enttäuscht fühlte. Doch, davon später.
Es mochten gegen zweihundert Männer hier
versammelt sein. Ich überflog den ganzen Plan mit schnellem Blicke. Zelte gab es nur wenige, und diese waren ärmlich. Das beste von ihnen wurde uns von dem Scheik als das bezeichnet, in welchem wir wohnen sollten. Die vorhandenen Pferde waren theils mittel-, theils auch minderwerthiges Material, und es gab höchstens zehn oder fünfzehn, für welche man etwas mehr als den gewöhnlichen Durchschnittspreis hätte bieten können.
Außer den Zelten gab es nur niedrige Hütten, welche aus Ginsterzweigen errichtet worden waren. Weiber, Kinder, Maulthiere und Esel — man verzeihe, daß ich dies zusammen nenne — waren nur so viele da, wie zum Transporte der geringen Habseligkeiten und der mageren Schlachttiere gebraucht wurden.
Noch ehe wir dieses sogenannte „Lager“ erreichten, hatte Halef sich in seinem Tachtirwan wieder aufgerichtet und mir zugerufen:
„Sihdi, mein Herz ist voller Wehmuth und meine Seele voller Traurigkeit, daß ich nicht im Sattel sitzen kann. Was werden die stolzen Krieger der Dinarun von mir denken, daß ich meinen Einzug bei ihnen in einer alten Sänfte halte! Sie werden mich nicht für Hadschi Halef, den Scheik der Haddedihn, sondern für die Erzgroßtante aller Urgroßmütter halten. Ich bin wirklich zu schwach, aus diesem Kasten zu steigen. Aber später werde ich ihnen zeigen, daß dies nur ein vorübergehender und von mir unverschuldeter Zustand meiner einzelnen Bestandtheile ist, die ich schon wieder zum Gehorsam bringen werde!“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
27)
(Nachdr. verb.)
Er wußte ebenso wie ich, daß die Dinarun aus mehreren Familien bestanden, jede wenigstens fünf Personen zählend, und im Besitze ganz bedeutender Heerden waren. Darum hatte er sich das Lager derselben ganz anders vorgestellt, als wir es jetzt sahen, und sich unseren Empfang auch ebenso ganz anders gedacht. Diese Enttäuschung schien aber keineswegs deprimirend, sondern ganz im Gegentheile sogar kräftigend auf ihn zu wirken, denn als er einen Blick über die ganze rund umher bemerkbare Aermlichkeit geworfen hatte, begann er mit dem ganzen, lieben Gesichte zu lächeln und sagte:
„Wie schön, wie wirklich schön ich es hier finde! Gefällt es Dir nicht auch, Sihdi?“
„Nein!“ antwortete ich.
Ich konnte das sagen, weil wir in diesem Augenblicke unbeobachtet waren.
„Nicht? Was bist Du doch für ein sonderbarer Mensch! Mir gefällt es außerordentlich. Weißt Du, warum?“
„Nun?“
„Weil ich sehe, daß diese Leute arm sind, so arm, daß es mich erbarmt! Wir werden gebraucht, Sihdi; wir werden gebraucht! Das macht mich froh! Du weißt, daß ich tausendmal lieber gebe, als daß ich nehme. Nehmen kann auch der Faule und der Kranke! Aber
wer geben und dem Andern nützlich sein will, der muß thätig sein und sich zusammenraffen. Als ich die Dinarun vorhin für reich hielt, war ich schwach. Jetzt sehe ich, daß wir ihnen helfen müssen; nun schau, was ich thue!“
Er wollte aus der Sänfte heraus, ohne sich unterstützen zu lassen. Ich war noch nicht abgestiegen, drängte mein Pferd zu ihm hin und warnte:
„Nicht unvorsichtig, Halef! Du bist — — —“
„Was bin ich?“ fiel er mir in die Rede. „Nicht mehr schwach, sondern stark bin ich. Da, paß auf! Willst Du es etwa hindern?“
Er wendete sich blitzschnell auf die andere Seite hinüber, stieg über den Rand der Sänfte, hielt sich am Sattelhorne fest, glitt von dem Kamele herab und kam zu mir herüber.
„Nun? Was sagst Du jetzt?“ fragte er. „Bin ich noch immer krank?“
„Sogar sehr!“ antwortete ich, indem ich mich vom Pferde schwang. „Das, was Du thust, kann man nur im Fieber thun!“
„Fieber? Fällt mir gar nicht ein! Hier hast Du meine Adern. Greif hin, so viel Du willst!“
Ich that, was er wollte. Sein Puls schlug matt, aber regelmäßig — ein wahres Wunder! Seine Augen glänzten und sein Gesicht strahlte, aber nicht in Fieberhitze, sondern vor Freude.
„Nun?“ fragte er.
„Halef, sei vorsichtig!“ warnte ich. „Du bist jetzt einen Augenblick frei, aber es wird — — —“
„Was wird?“ unterbrach er mich. „Du meinst, jenes alte, zahnlose Weib werde wiederkommen? Mag sie! Sie wird auch wieder gehen müssen! Jetzt aber laß uns essen und mit dem Scheik der Dinarun verhandeln. Du siehst, daß er sich darauf vorbereitet hat.“
Ja, man hatte sich auf unser Kommen eingerichtet. Die Luft trug den Duft bratenden Hammelfleisches von den Feuern zu uns herüber. Einige Frauen breiteten Decken aus, auf denen die Speisenden sitzen sollten, und stellten daneben Gefäße mit Wasser, welches aus einer bergseits hervorfließenden Quelle geschöpft worden war. Nafar Ben Schuri kam, um uns zum Essen einzuladen. Halef erklärte sich sofort bereit und folgte ihm. Mir wurde himmelangst um den kleinen Freund. Typhus — — — und gebratener Hammel, vielleicht sogar der fürchterlich fette Schwanz desselben, welcher den Gästen stets geboten wird, weil er als das beste Stück des Bratens gilt! Das konnte sein Tod sein! Ich nahm mir gar nicht Zeit, erst unsere Pferde abzusatteln, sondern führte sie hin zur Stelle, wo gegessen werden sollte, pflockte sie dort an und setzte mich zu dem Scheik und Halef nieder, welcher gar nicht säumte, die Hände zu falten und mit einem lauten „Be ism lillahi ✽)!“ das Essen einzuleiten.
Der Scheik legte ihm wirklich das dickste, vom Fette triefende Schwanzstück vor, und Halef nahm es an. Ich wollte ihn daran
hindern; da aber sah er mir einige Sekunden lang still in das Gesicht. Er sagte kein Wort dazu; aber dieser Blick bedeutete mehr als alle Worte: Er verbat es sich, als kranker, unselbständiger Mann behandelt und — — blamirt zu werden. Wie ich ihn kannte, mußte ich nun still sein. Er war jetzt Scheik der Haddedihn und Gast der Dinarun. Das wollte er sein, und ich hatte mich zu fügen!
Ich that dies nur mit Anwendung aller meiner Selbstbeherrschung. Dies macht mich zum Reden ungeschickt, während Halef sich um so gesprächiger zeigte. Seit er gesehen hatte, wie arm diese Leute waren, stand sein Entschluß, ihnen zu helfen, fester als vorher. Das ganze, jetzt von ihm geleitete Gespräch, hatte den Zweck, sich zu informiren. Er warf eine Menge Fragen auf, von denen keine einzige überflüssig war, und zeigte sich dabei so überlegsam und bedacht, wie ich ihn nur ganz selten gesehen hatte. Ich wußte nicht, was ich denken sollte, und wurde fast irr an mir selbst. Er aß mit dem größten Appetit, doppelt so viel wie ich, und trank keinen Schluck Wasser dazu. War das Fieber? Die von ihm gestellten Fragen verriethen zwar eine fast zudringliche Wißbegierde; aber Nafar Ben Schuri schien sie für ganz selbstverständlich zu halten, nahm sie ihm nicht im Geringsten übel und beantwortete sie mit solcher Bereitwilligkeit, als ob er nur darauf gewartet habe, daß sie ausgesprochen würden.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
28)
(Nachdr. verb.)
Inzwischen hatten sich die sämmtlichen anwesenden Dinarun auch zum Essen gelagert. Es ging bei den verschiedenen Gruppen, welche sich bildeten, sehr lebhaft zu, und verschiedene zu uns herüberklingende laute Bemerkungen verriethen mir die allgemeine Ueberzeugung, daß noch heut zum Zuge gegen die Dschamikun aufgebrochen werden sollte. Als auch Halef eine dieser Interjectionen hörte, stieß er ein vergnügtes Lachen aus und sagte zu Nafar Ben Schuri:
„Deine Krieger scheinen sich auf dieses Unternehmen zu freuen, o Scheik der Dinarun, und das ist ein gutes Zeichen. Denn nur das, was das Herz erfreut, wird mit dem Arm und dem Verstand vortrefflich ausgeführt. Wir sind bereit, Dir beizustehen. Nur darum habe ich Dir so viele Fragen vorgelegt. Wir wollen das, was Du mir antwortetest, noch einmal kurz zusammenfassen, damit nicht nur ich, sondern auch mein Sihdi weiß, was er zu denken hat.“
Das war wieder einmal einer seiner kleinen diplomatischen Kniffe. Er pflegte gern den eigenen Wunsch mit fremden Wünschen zu maskiren. Nun fuhr er fort:
„Also ihr seid nicht etwa der ganze Stamm, sondern nur ein kleiner Abzweig der Dinarun?“
„So habe ich gesagt, und so ist es wirklich,“ antwortete Nafar.
„Ihr weidetet hier in der Nähe und wurdet von den Dschamikun überfallen und derart ausgeraubt, daß von euren Herden und Zelten fast gar nichts übrig geblieben ist?“
„Ja.“
„Ihr wollt sie verfolgen und ihnen das Geraubte wieder abnehmen. Das muß schnell geschehen, und darum könnt Ihr nicht auf die Hülfe eures Stammes rechnen, weil eure Genossen sich so weit von hier befinden, daß eine lange Zeit vergehen würde, ehe es ihnen möglich wäre, sich hier zusammenzufinden?“
„Das ist es, was ich Dir sagte. Die Dschamikun zählten vielleicht zweihundert Mann, als sie unser Lager überfielen. Ich habe Euch schon erzählt, daß wir nicht daheim, sondern auf einem Feste abwesend waren, sonst wäre ihnen der Raub gewißlich nicht gelungen. Wir können ihnen das uns Gestohlene nur dann wieder abnehmen, wenn wir ihnen sofort nachjagen, um sie einzuholen, bevor es ihnen gelungen ist, ihren eigenen, großen Stamm zu erreichen. Kommen wir zu spät, so ist Alles für uns verloren. Darum wollten wir schon heut früh aufbrechen. Dies wäre ganz gewiß geschehen, wenn wir nicht gestern Euch getroffen hätten. Dadurch haben wir einen halben Tag verloren. Jetzt aber essen wir, und dann werden wir aufbrechen. Ich hoffe, Ihr seht ein, daß wir nicht länger warten können.“
„Natürlich sehen wir das ein, aber ehe Ihr diesen Ort verlaßt, gibt es noch mehr zu thun, als bloß zu essen.“
„Was?“
„Willst Du denn nicht an unsere Gefangenen denken?“
„Maschallah! Das ist richtig. Die können wir doch unmöglich mit uns schleppen!“
„Nein. Sie würden uns nur hinderlich sein und uns wohl gar entschlüpfen und zu Verrätern werden. Also essen wir vorerst; dann halten wir Gericht über sie, und dann wird sofort von hier aufgebrochen!“
Das klang Alles so glatt und selbstverständlich, daß ich es für an der Zeit hielt, nun endlich auch einmal das Wort zu ergreifen.
„Lieber Halef, erlaubst Du, daß auch ich mit sprechen darf?“ fragte ich.
„Was fällt Dir ein, Sihdi!“ rief er aus. „Seit wann hast Du erst um Erlaubniß zu bitten, bevor Du reden darfst?“
„Seit ich höre, daß Du der Pascha dieser ganzen Gegend und aller derer bist, die sich in ihr befinden!“
„Ich? Pascha? Fällt mir gar nicht ein! Ich habe nur deshalb so drauflos bestimmt, weil Du Deinen Mund nur für den Hammelschwanz, nicht aber für den Ausdruck Deines Verstandes zu haben scheinst. Wer reden will, der muß das Kauen lassen. Mir ist es überhaupt stets lieber, wenn Du sprichst, denn wenn Du schweigst, so steckt Etwas dahinter! Du siehst doch gewiß ein, daß wir uns entschließen müssen, daß keinen Augenblick gezögert werden darf?“
„Ich sehe zunächst ein, daß wir uns gar nicht so zu übereilen brauchen, denn die Worte Nafar Ben Schuri’s haben gelautet: „In diesem Falle können wir schon morgen oder doch übermorgen -
übermorgen aufbrechen.“ Hat sich vielleicht etwas zugetragen, wodurch dieses „Uebermorgen“ so vollständig ausgeschlossen ist, daß wir uns jetzt nicht einmal von dem heutigen Ritte ausruhen dürfen?“
„Nein. Es ist nichts geschehen. Aber bist Du denn so ermüdet? Ich bin es keineswegs, und von Dir ist man solche Schwächen ja auch nicht gewöhnt.“
„Vorsichtig und bedacht zu sein, ist niemals eine Schwäche, lieber Halef. Wir wissen über die Dschamikun ja nicht mehr, als wir von ihnen wußten, ehe wir hier diese unsere Freunde trafen. Oder genügt es Dir vielleicht, von ihnen nur zu wissen, daß wir jetzt ihre Feinde sind und mit gegen sie ziehen wollen?“
Er sah mich an, nickte dann verständnisvoll vor sich hin und sagte hierauf:
„Ja, daran habe ich freilich nicht gedacht! Und doch haben wir dieser Deiner Gepflogenheit Alles zu verdanken, was wir jemals erreicht haben. Du pflegst Alles auf das Reiflichste zu bedenken und mit dem Geiste anzuschauen, ehe Du handelst. Du greifst niemals einen Gegner an, ohne genau zu wissen, wer er ist, wo er ist und wie stark er ist.“
„Nun, wissen wir das von den Dschamikun?“
„Nein.“
„Und doch bist Du bereit, sofort mit aufzubrechen! Dürfen wir es wie kleine Knaben machen, die auf einander losschlagen, ohne zu wissen, was es für einen Ausgang nehmen kann?“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
29)
(Nachdr. verb.)
Er wollte antworten, wurde aber durch das Erscheinen eines Mannes daran verhindert, welcher langsam den Berg herauf gekommen war und, als er uns sah, seine Schritte zu uns lenkte und sich ohne Wort und Gruß zu uns setzte. Seinem Aeußern nach war er keineswegs eine Person, von der man hätte sagen mögen, daß sie zu dem Scheik und zu uns gehöre. Sein Körper war von um ihn herumhängenden Fetzen nur halb bedeckt. Die hindurchblickenden nackten Stellen hatten ebenso wie das Gesicht, die Hände und die unbekleideten Füße einen dicken Schmutzüberzug. Ein Zeugstück, welches man in Deutschland einen verbrauchten Hader nennen würde, war um seinen Kopf gewunden. Darunter hingen lange Haare heraus, welche wahrscheinlich altersgrau waren, aber derart von fettiger Unreinlichkeit starrten, daß man ihre Farbe unmöglich bestimmen konnte. Trotzdem waren sein Gang und seine Haltung so würdevoll und selbstbewußt, als ob er über uns allen hoch erhaben sei. Seine Gesichtszüge waren außerordentlich regelmäßig, Stirne und Wangen trotz des Alters beinahe ohne Falten. Ich sagte mir, daß er ein schöner Greis sein werde, sobald er sich gereinigt und anders gekleidet habe. Geradezu selten schön waren seine großen sonderbaren Augen. Es schien, als ob eine bisher unberührte Gazellenunschuld in ihren dunklen Tiefen wohne. Und doch konnten aus diesen
Tiefen Blitze aufsteigen, als ob sich da unten plötzlich ein verborgener Krater geöffnet habe. Dann bekam die schwarze Pupille einen hellen, fast möchte ich sagen, gelben Ueberschein, und die Lider öffneten sich hoch und weit, als ob alle Ströme und Fluthen einer unbekannten seelischen Welt hervorbrechen wollten. Das sah ich natürlich nicht sofort, im ersten Augenblicke, sondern ich beobachtete es nur nach und nach, denn dieser Mann flößte mir ein so ungewöhnliches Interesse ein, daß ich ihn beobachtete, ohne es mir eigentlich bestimmt vorgenommen zu haben. Es gibt Menschen, zu denen man innerlich hingezogen wird, obgleich die äußeren Verhältnisse dies gar nicht zu gestatten scheinen. Ich will aufrichtig gestehen: Der Schmutz dieses Fremdlings wirkte abstoßend, und doch war er unter allen Anwesenden der Einzige, dem ich ohne allen Vorbehalt meine Hand hätte geben können. Warum, das wußte ich nicht, aber ich fühlte so.
Der Scheik schien es für ganz selbstverständlich zu halten, daß dieser Mann sich zu uns setzte. Er nickte ihm nicht nur freundlich, sondern mit dem Ausdrucke der Ehrfurcht zu und sagte dann zu uns:
„Das ist Sallab, der Fakir. Wohin er kommt, bringt er den Segen Allahs mit.“
Hierauf kreuzte Sallab die Hände auf der Brust und sprach, nicht etwa mit der gewöhnlichen, widerlichen Salbung dieser stets für fromm und oft sogar für heilig gehaltenen Leute, sondern im Tone ruhiger Selbstverständlichkeit.
„Allah ist ja nur Segen, blos Segen; er kann gar nichts Anderes sein!“
Hierauf nannte der Scheik ihm unsere beiden Namen. Als dies geschah, bemerkte ich zum erstenmal den erwähnten Aufschlag und das ebenso schnelle Niedersinken seiner Augenlieder. Es war nur ein Moment, aber in diesem raschen Blicke lag eine Bedeutung, welche mir erst später klar wurde. Hierauf verhielt er sich genau so, als ob er diese Namen jetzt zum erstenmal gehört habe.
Das Wort Fakir erklärte es zur Genüge, daß er sich hatte zu uns setzen dürfen. Selbst der vornehmste Mann wird es wenigstens öffentlich vermeiden, zu zeigen, daß er sich für etwas Besseres halte, als so ein „Glaubensheld“ für den Durchschnittsmuhammedaner ist. Damit wir auch in Beziehung auf unsern Gesprächsgegenstand wüßten, woran wir mit ihm seien, machte der Scheik gegen uns die Bemerkung:
„Wir können weitersprechen. Sallab bekümmert sich nicht um die Angelegenheiten dieser Erde. Er lebt bereits das Leben, welches für andere Leute erst nach ihrem Tode beginnt.“
„So erlaube, daß wir uns nach den Dschamikun erkundigen!“ sagte Halef. „Weißt Du, wie viel Krieger sie haben?“
„Ungefähr zweihundert, wie ich ja bereits erwähnt habe,“ antwortete Nafar Ben Schuri.
„Weißt Du auch, wo sie sind?“
„Ich habe ihnen Kundschafter nachgeschickt. Ihr hört also, daß auch ich vorsichtig zu sein verstehe. Sie haben die uns geraubten Heerden zu treiben und kommen also nur langsam vorwärts. -
vorwärts. Aber wenn wir ihnen zuviel Zeit lassen, werden sie einen solchen Vorsprung gewinnen, daß sie ihren Stamm erreichen, ehe wir sie einholen, und dann bleibt uns nichts übrig, als unverrichteter Sache umzukehren. Darum hielt ich es für besser, den Ritt schon heut zu beginnen.“
„Kennst Du die Gegend, durch welche wir ihnen zu folgen haben?“
„Sehr genau. Ich hatte die Absicht, sie im Daraeh-y-Dschib ✽) einzuholen. Das ist ein langes, enges Thal mit hohen, steilen Felswänden, welches kurz vor seinem Ende von einem sehr schmalen, aber auch sehr tiefen Flußbette quer durchschnitten wird. Es führt eine uralte, jetzt halb eingefallene Brücke darüber. Dieses Thal würde eine Falle sein, in welcher wir die Dschamikun fangen und zur Herausgabe ihres Raubes zwingen könnten, ohne daß ein Kampf stattzufinden brauchte.“
„Sie werden sich hüten, in diese Falle zu gehen!“
„Ich bin überzeugt, daß sie dieses Thal passiren werden, weil sie sonst einen Umweg machen müßten, welcher für sie fast zwei Tage in Anspruch nehmen würde. Kämen wir eher hin als sie, so könnten wir die Brücke besetzen. Dann ließen wir sie hinein, besetzten hinter ihnen auch das andere Ende des Daraeh-y-Dschib und hätten sie dann so fest im Sacke, daß es ihnen ganz unmöglich wäre, sich zu bewegen oder gar sich zu vertheidigen.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
30)
(Nachdr. verb.)
Da schaute Halef mich, im ganzen Gesicht lachend, an und fragte:
„Was sagst Du dazu, Sihdi? Das ist ja ganz derselbe Streich, den wir schon wiederholt den Feinden unserer Freunde gespielt haben! Und zugleich wird dadurch das vermieden, was man nicht ohne Noth thun soll, nämlich das Blut von anderen Menschen zu vergießen. Ist dieser Plan des Scheikes der Dinarun nicht lobenswerth?“
„Er scheint gut zu sein,“ antwortete ich. „Wie aber nun, wenn die Dschamikun ebenso klug sind wie wir und uns fangen, anstatt wir sie?“
Da lachte Nafar Ben Schuri laut auf und entgegnete:
„Die uns? Auf einen solchen Gedanken kommen diese Dummköpfe nicht! Und wenn sie ihn hätten, so könnten sie ihn doch nicht ausführen, weil die Heerden ihnen im Wege wären.“
„So denke Dir die Lage, wie sie sein würde, wenn sie wirklich in die Falle gingen! Sie würden allerdings in dem engen Thale stecken, und wir befänden uns am Eingange und am Ausgange desselben. Wir wären also getheilt. Wäre das vortheilhaft für uns?“
„Ja, denn wir hätten sie zwischen uns und könnten sie mit unsern Kugeln zwingen, sich zu ergeben.“
„Das bezweifle ich. Wir hätten außerhalb des Thales keine Deckung, und folglich würden
ihre Gewehre uns gefährlicher werden als die unserigen ihnen.“
„Aber das Thal ist so schmal, daß nur sehr Wenige auf uns schießen könnten!“
„Wir aber auch auf nur wenige von ihnen!“ entgegnete ich.
„Sie sind aber eingeschlossen und können nicht heraus! Wir haben gar nichts zu thun, als zu warten, bis sie um Gnade bitten!“
„Sie können es länger aushalten als wir, denn die Euch geraubten Thiere geben ihnen für längere Zeit Fleisch, als wir haben.“
„Aber das Wasser fehlt ihnen! Das Flußbett ist vollständig trocken.“
„So müssen ja auch wir dürsten!“
Da rief er ungeduldig aus:
„Sihdi, ich habe geglaubt, Du seiest ein tapferer Mann, und nun machst Du solche Einwände! Denkst Du denn gar nicht auch an Eure Gewehre?“
„Ah — — —! Unsere Gewehre — — —! Du rechnest auf sie?“
„Natürlich! Ich weiß, daß Ihr sehr viele Male schießen könnt, ohne laden zu müssen, und daß eure Kugeln wenigstens fünfmal weiter gehen als die unserigen. Wir können den Dschamikun also so fern bleiben, daß ihr Blei uns gar nicht erreicht, während sie aber von Euch alle nach und nach erschossen werden.“
Sein Gesicht hatte während dieser Worte den Ausdruck einer Pfiffigkeit angenommen, welcher mir nicht gefiel. Ich hatte schon das Wort auf den Lippen, ihm dies verstehen zu geben, aber da kam Halef mir zuvor:
„Sihdi, erlaube, daß ich Dich nicht begreife! Bist Du plötzlich undankbar geworden?
Dieser unser Freund Nafar Ben Schuri hat uns einen großen Dienst geleistet. Wir sind seine Gäste, seine Brüder. Er rechnet auf die Ueberlegenheit unserer Gewehre. Weißt Du, was uns die Pflicht des Dankes und der Gastfreundschaft gebietet?“
„Halef!“ warnte ich ihn. „Willst Du mich beleidigen?“
„Nein! Aber Du beleidigst mich! Du bist der beste und der tapferste Mann der ganzen Welt; aber Dein Geburtsland ist Dscharmanistan [Dschermanistan] und wird es immer bleiben. Ich aber wurde in der Wüste geboren; ich bin ein ächter Ibn el Arab ✽) und kann es nicht anhören, daß Du plötzlich solche Bedenken trägst, die Gesetze der Wüste zu befolgen!“
„Hamdulillah — — hamdulillah!“ ✽✽) rief da der Scheik, indem er aufsprang und die Hände zustimmend zusammenschlug. „Das ist ein Wort, wie ich es von einem Manne erwartet habe! Ich höre, daß Du Hadschi Halef Omar bist, der berühmte, unüberwindliche Scheik der Haddedihn vom tapferen Stamme der Schammar!“
Das wirkte geradezu elektrisirend auf meinen kleinen, ehrgeizigen Hadschi. Er sprang auch auf und erklärte in seinem bestimmtesten Tone:
„Ja, der bin ich allerdings, und Du wirst sogleich hören, was ich beschlossen habe: Wir reiten fort, jetzt, gleich! Wir folgen den Dschamikun bis in das „Thal des Sackes“ und zwingen -
zwingen sie dort, sich uns zu ergeben. Das sage ich, und mein Sihdi sagt es auch. Darauf gebe ich Dir mein Wort, mein Ehrenwort!“
„Halef!“ rief ich ihm zu, indem ich nun auch aufsprang. „Was fällt Dir ein! Gib Deinen Puls! Das Fieber spricht aus Dir!“
Er trat einen Schritt zurück und antwortete:
„Ob Fieber oder nicht, ich habs gesagt und werde es auch halten. Mein Puls ging ruhig, wie er immer geht; aber wenn Du zauderst, zu thun, was uns die Pflicht und die Ehre gebietet, so muß er freilich schneller gehen! Ich bin mit Dir gereist, so weit, so weit! Und ich bin auch bereit, mit Dir zu gehen bis an das Ende der Erde. Du aber willst mir nicht einmal den Gefallen thun, den ich unsern Freunden, den Dinarun, zu erweisen habe! Darum gab ich so schnell mein Ehrenwort, um Dich zu zwingen. Jetzt thue, was Dir beliebt! Ich reite mit, sogleich! Wirst Du mich, Deinen Halef, verlassen können?“
Der Fakir war von uns der Einzige, der noch saß. Jetzt stand er auf, ergriff Halefs Hand und dann die meine, legte beide in einander und sagte, sich an mich wendend:
„Halte Deinen Freund und Bruder nicht zurück! Der Tod steht an seiner Seite und streckt die Hand nach ihm aus; Du aber siehst es nicht. Reite gern und schnell mit ihm nach dem Darah-y-Dschib! Dort wird er Rettung finden; hier aber müßte er sterben. Glaub es mir! Es ist so gut, als hätte Allah selbst es Dir gesagt!“
Nach diesen Worten wandte er sich ab und ging von uns weg. (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
31)
(Nachdr. verb.)
„Das ist die Wahrheit,“ erklärte der Scheik. „Er sieht Dinge, die kein Anderer sehen kann, auch den Tod!“
„Kennst Du diesen Fakir so genau?“ fragte ich.
„Ja.“
„Seit wann?“
„Gehört habe ich seit langer Zeit von ihm. Gesehen habe ich ihn erst gestern früh, als er in unser Lager kam. Er ist bald hier, bald dort.“
„Wie lange bleibt er bei Euch?“
Der Fakir hatte sich schon so weit von uns entfernt, daß er diese meine Frage unmöglich gehört haben konnte. Und dennoch blieb er grad in diesem Augenblicke stehen, drehte sich um und rief uns zu:
„Sallab kam, und Sallab geht. Er hat weder Brod, noch Fleisch, noch Salz, noch Wasser hier genossen; er ist keines Anderen als nur Allahs Gast. Doch was er sprach, das war zu Eurem Heile!“
Hierauf ging er weiter, bis er in einer Terrainfalte verschwand.
Halef hielt meine Hand noch fest. Jetzt zog er sie noch näher an sich und fragte:
„Nicht wahr, Du reitest mit, Sihdi?“
„Ja,“ antwortete ich.
„Sogleich?“
„Ja.“
Was wollte oder konnte ich Anderes sagen, da der Scheik bei uns stand, in dessen Gegenwart -
Gegenwart ich doch nicht sprechen konnte, wie ich wollte.
„Ich danke Dir, Sihdi!“
Bei diesen Worten gab der Hadschi meine Hand wieder frei.
„Nein, danke nicht mir, sondern Dir selbst! Denn Du bist die Quelle dieses meines Entschlusses. Ich wollte erst morgen entscheiden. Du hast es schon jetzt gethan, und so wollen wir wünschen, daß wir es nicht zu bereuen brauchen!“
„Es ist zu unserm Heile. Der Fakir hat es gesagt, Sihdi! Und da es denn beschlossen ist, so wollen wir auch nicht lange zögern. Um mich brauchst Du keine Sorge zu haben. Das zahnlose Weib ist für immer fort. Ich bin so gesund und stark, daß ich mich schäme, in der Sänfte gesessen zu haben wie eine kraftlose Urahne sämmtlicher Großmütter aller kranken Schwiegereltern. Du hast Dich um nichts zu bekümmern. Ich werde für Alles sorgen, auch für Futter für die Pferde.“
Als er das sagte, sah er so frisch und munter aus, als ob die Sänfte vollständig überflüssig gewesen sei. Der Scheik forderte ihn auf, mit ihm in das Zelt zu gehen; er wolle ihm den Vorrat von Bla el Dud ✽) zeigen. Er folgte ihm, und da ich nun allein war, so schlenderte ich langsam durch das Lager und dann über dasselbe hinaus, um vollends bis auf die Kuppe des Berges zu steigen. Als ich da oben angekommen war, sah ich den Fakir über den jenseitigen Abhang schreiten.
Indem ich ihn mit den Augen verfolgte, blieb er stehen, hob den rechten Arm empor, bewegte ihn, als ob er jemand warnen wolle, und ging dann weiter. Wem hatte das gegolten? Mir? Geheimnisvoller Mann! Warum hatte er bei den Dinarun weder gegessen noch getrunken? Und warum hatte er uns noch besonders hierauf aufmerksam gemacht? Gab es für ihn einen Grund, so vollständig auf die Gastlichkeit dieser Leute zu verzichten? Fakire sind ja immer sonderbare Leute; warum sollte grad dieser weniger seltsam gehandelt haben?
Als ich in das Lager zurückkam, waren die Zurüstungen zum Aufbruche flott im Gange. Halef hatte die Pferde getränkt und die Futtersäcke mit Bla el Dud gefüllt. Er theilte mir mit, daß man in zwei Abtheilungen reiten werde. Die Mehrzahl sollte sich beeilen, die Kundschafter, welche den Dschamikun heimlich folgten, so bald wie möglich einzuholen. Die Uebrigen waren dazu bestimmt, mit den Frauen und Kindern und der Bagage langsamer nachzukommen.
Der gute Hadschi war ganz Feuer und Flamme, und ich hütete mich wohl, seine Begeisterung herabzustimmen. Es mußte vielmehr nun meine Sorge sein, ihm diesen seinen Enthusiasmus möglichst zu erhalten. „Der Tod steht an seiner Seite und streckt die Hand nach ihm aus; Du aber siehst es nicht!“ Diese Worte des Fakirs wollten mir nicht aus den Ohren. Ich mußte mir ja sagen, daß die jetzige Munterkeit Halefs nicht von langer Dauer sein werde. Der Geist konnte nur solange Herr des erkrankten Leibes sein, als er anregende -
anregende Sorge und Beschäftigung hatte; dann war der Rückschlag sicher zu erwarten. Ich hatte wohl kaum jemals mich so schweren Herzens in den Sattel gesetzt, wie heute; er aber ritt heiter und unbefangen neben mir her und brachte es sogar fertig, über meine Bedachtsamkeit zu scherzen, die ihn zu dem schnellen Entschlusse gebracht hatte, durch sein Ehrenwort alle meine Weiterungen abzuschneiden.
Wenn ich mich nicht geirrt hatte, sondern die Krankheit, welche ich vermuthete, wirklich im Anzuge war, so mußte ich jetzt die psychische Kraft bewundern, welche jetzt so nachdrücklich und so lange die Herrschaft über die Symptome dieser Krankheit behauptete. Es verging der ganze Nachmittag, ohne daß sich eine Ermüdung bei ihm zeigte. Wir ritten sogar noch einen Theil des Abends weiter, um für heut eine möglichst große Strecke zurückzulegen, und als wir dann zur Nachtruhe anhielten, sprang er so munter vom Pferde, als ob er erst vor Kurzem aufgestiegen sei. Ich schrieb diese außerordentliche Widerstandsfähigkeit außer seinem Willen und seinem Enthusiasmus auch seinem südlichen Temperamente zu. Es war Feuer in ihm. Aber wenn es auch wirkte, so lange es möglich war, wenn es verlöschte, hatte ich meines Erachtens mit einem um so schwereren Rückfall zu rechnen. Darum legte ich mich, als wir gegessen hatten, nicht ohne Sorgen an seiner Seite nieder. Glücklicher Weise bewahrheiteten sich diese meine Befürchtungen nicht, wenigstens nicht in dem Maße, wie ich es erwartet hatte. — — —
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
32)
(Nachdr. verb.)
Ich schlief in Folge des gestrigen Nachtwachens heut sehr rasch ein und wäre wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch nicht aufgewacht, wenn Halef mich nicht aufgerüttelt hätte.
„Verzeih, Sihdi, daß ich Dich wecke!“ sagte er. „Ich glaube, das alte Weib will wiederkommen.“
„Spürst Du ihr Nahen?“ fragte ich.
„Nicht nur ihr Nahen. Sondern ich bemerke, daß sie schon ganz vor mir steht.“
„Halef, Du sprichst mit Mühe! Deine Zähne klappern!“
„Nein; aber es hält mir den Mund halb offen, ganz so, wie einem Menschen, der sehr friert. Gib mir von Deiner Arznei!“
Ich folgte dieser Aufforderung. Als er die absichtlich vergrößerte Gabe genommen hatte, erkundigte er sich:
„Weißt Du, was Zittern ist, Sihdi?“
„Ja. Jedermann weiß das wohl.“
„Aber hast Du selbst schon einmal gezittert?“
„Ich glaube, nein.“
„Ich auch nicht, weder aus Angst noch aus irgend einem anderen Grunde. Aber, denke Dir, jetzt zittre ich! Oder vielmehr, nicht ich thue es, sondern das alte, zahnlose Fieberweib, welches nun doch in mich hineingekrochen ist, zittert in mir. Ich glaube, aus Furcht, schnell wieder heraus zu müssen. Und sodann
ist es mir, als ob mir ein Gürtel um den Kopf gelegt und übermäßig fest zugeschnallt worden sei. Meine Beine sind mir abhanden gekommen. Ich weiß zwar ganz genau, daß ich sie noch habe, aber ihr Selbstbewußtsein ist ihnen verloren gegangen. Sie können sich nicht mehr auf sich selbst besinnen, und darum ist es gar nicht zu verwundern, daß sie auch mich ganz und gar vergessen haben, obgleich ihnen das verboten ist. Ich werde einmal versuchen, sie von ihrer Pflichtvergessenheit zurückzubringen.“
Er erhob sich langsam und unsicher, blieb aber nur kurze Zeit stehen, ließ sich dann wieder nieder und sagte:
„Das ist eine ganz eigenthümliche Empfindung, die ich Dir wohl nicht deutlich genug machen kann. Es scheint mir, als ob ich da unten keine Knochen, keine Sehnen und kein Fleisch mehr habe, sondern blos noch die Haut, und diese ist so außerordentlich dünn, daß ich von innen heraus den Stoff der Hose sehen kann.“
Welch naive und doch bewundernswerthe Deutlichkeit, mit welcher er diesen Schwächezustand seiner Glieder beschrieb! Er war in dieser Beziehung ja schon überhaupt unübertroffen! Er verstand es, selbst für das unerklärbar Scheinende Worte zu finden, welche trotz ihrer Sonderbarkeit fast stets das Richtige trafen.
Nun war ich fest überzeugt, daß er keinen Augenblick mehr werde schlafen können. Jeder Arzt hätte das mit der größten Bestimmtheit behauptet. Aber ich sollte sogleich vom Gegentheile -
Gegentheile überzeugt werden, denn er wickelte sich in seine Decke ein und sagte:
„Der Frost ist weg, ganz plötzlich weg, wohl weil ich aufgestanden bin. Ich werde wieder warm. Nun bin ich müd, so sehr müd. Ich werde wieder schlafen. Gute Nacht, mein Sihdi!“
„Gute Nacht, mein lieber Halef!“
„Lieber Halef! So sagst Du zu mir? Hast Du mir verziehen?“
„Von ganzem Herzen!“
„Ich danke Dir! Wollen ja nicht vergessen, einander ohne alle Unterbrechung und ohne alles Aufhören recht, recht lieb zu haben! Du hast mir vergeben, aber ich selbst mir nicht. Ehe ich Dich weckte, habe ich über heut nachgedacht. Ich war nicht gut zu Dir, nicht höflich und bescheiden. Das ist zwar nicht Dein guter Halef, sondern jener böse Hadschi gewesen, der immer, immer Fehler macht, aber da ich diese seine immerwährenden Dummheiten nicht zu dulden habe, muß ich mich ganz ebenso wie ihn selbst anklagen. Er hat Dich beleidigt und gekränkt. Das war schlecht, nicht blos von ihm, sondern auch von mir!“
Nun war er still, der liebe prächtige Kleine. Ich lauschte. Er bewegte sich nicht mehr, und als ich mich nach einiger Zeit zu ihm hinüberbog, bemerkte ich, daß er eingeschlafen war. Er wachte zu meiner großen Freude auch nicht eher auf, als bis die Dinarun aufstanden und er durch den nun entstandenen Lärm aufgeweckt wurde. Da stand er auf, aß und trank, war munter wie ein vollständig gesunder Mann und sagte, als er sah, daß ich ihn beobachtete:
„Sie ist längst wieder fort, die mich heute
Nacht besuchte. So alte Klage- und Jammerweiber halten es bei einem rüstigen Menschen niemals lange aus. Soeben steigt der Scheik auf das Pferd. Komm, Sihdi, laß uns dasselbe thun!“
Er schwang sich leicht und frei in den Sattel, so wie ich gewohnt war, es von ihm zu sehen. Ich wurde vollständig irr an dem Krankheitsbilde, welches mir in Beziehung auf ihn bisher drohend vorgeschwebt hatte, und fragte mich, ob es sich vielleicht doch nur um eine morbillöse Infection handle. Aber dann hätte unbedingt ein Katarrh der Luftwege und der Augenbindehaut, begleitet von einem reichlichen Thränengusse, vorhanden sein müssen, und das war keineswegs der Fall. Mochte nun aber vorliegen, was da wollte, ich mußte die Entwickelung ruhig abwarten. Halef kämpfte jedenfalls mit größerer Anstrengung, als er mir eingestehen wollte, gegen dieses Uebel, und ich nahm mir vor, ihm diesen Kampf nicht thörichter Weise dadurch zu erschweren, daß ich ihn die Größe meiner Besorgniß sehen ließ.
Unser Nachtrab hatte uns gegen Mitternacht eingeholt. Er blieb noch hier, um auszuruhen und uns dann zu folgen. Wir aber ritten weiter.
Es ist nicht mein Zweck, die Gegenden, durch welche wir kamen, zu beschreiben. Typographische [Topographische] Ausführlichkeiten pflegen wohl für den Fachmann interessant, für andere aber langweilig zu sein. Es genügt vollständig, nur das zu erwähnen, was mit dem Zwecke unseres Rittes in Zusammenhang stand.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
33)
(Nachdr. verb.)
Es war noch am Vormittage, als wir über eine Tiefung kamen, auf welche zwei breitere Thäler und mehrere schmale Schluchten mündeten. Es schien, als ob es hier einst einen tiefen See mit zahlreichen Wasserzuflüssen gegeben habe. Der Boden bestand aus einem feinen, hellen, fast mehligen Sande, in welchem jede vorhandene Spur mit ungemeiner Deutlichkeit zu sehen war. Man konnte sogar den Weg, den eine Maus oder ein kleiner, hüpfender Vogel genommen hatte ganz genau erkennen. Die Stelle war rund um von Höhen umgeben, welche die Winde abhielten; es gab also hier keine Luftbewegungen, durch welche die Spuren ausgewischt und verweht wurden.
Daher auch die große Deutlichkeit einer Fährte, welche aus einer rechts von uns liegenden Schlucht herauskam, um links in einer andern zu verschwinden. Sie führte also quer über unsern Weg. Nafar Ben Schuri, welcher, wie bisher stets, unserm Zuge voranritt, sah sie zuerst. Er hielt an, um sie zu betrachten. Seine Leute gruppirten sich sogleich in der Weise um ihn, daß die Fährte unter den Hufen ihrer Pferde verschwand. Als wir nun hinkamen, hörten wir die Worte des Scheikes:
„In dieser einsamen Gegend sollte man keine Spur vermuthen. Ich weiß genau, daß es weder nach rechts noch nach links hin Menschen gibt. Wer mag das wohl gewesen sein, der hier vorüber gekommen ist?“
„Du fragst und scheinst es doch aber gar nicht wissen zu wollen,“ antwortete Halef.
„Wieso?“ fragte Nafar verwundert.
„Wenn ich Dir einen Brief schreibe, den ich auf einen schwarzen Schiefer geschrieben habe, was thust Du da?“
„Ich lese ihn.“
„Nein! Ich sehe ja, daß Du das nicht thust! Du löschst ihn aus und fragst Dich dann verwundert, was auf dem Schiefer wohl gestanden habe.“
„Traust Du mir wirklich keine größere Klugheit zu?“
„Wie kannst Du mir eine Frage vorlegen, durch deren Beantwortung ich Dich beleidigen würde! Schau diesen Sand! Er ist die Schiefertafel. Der, welcher hier geritten ist, hat eine Schrift geschrieben, welche zu lesen ist, nämlich seine Spur. Anstatt sie aber zu lesen, laßt ihr Eure Pferde so über die Fährte trampeln, daß sie nun fast nicht mehr zu sehen ist. Nun sei so gut und beantworte Dir Deine Frage selbst!“
Halef hatte vollständig recht. Wir Beide ritten zur Seite, stiegen da, wo die Spur noch nicht ausgetreten war, von den Pferden und folgten ihr, um die Eindrücke zu betrachten, so weit, bis ich genug gesehen zu haben glaubte. Der Scheik war uns langsam gefolgt. Als ich mich jetzt wieder umwandte, fragte er:
„Nun, was habt Ihr gesehen? Der Scheik der Haddedihn wird uns jetzt zeigen, wie gut er lesen kann!“
Das klang beinahe ironisch. Halef war sofort mit der richtigen Antwort da:
„Wir haben nichts, gar nichts gefunden, o Scheik der Dinarun. Darum bitten wir Dich, Dein Pferd zu verlassen, um zu versuchen, ob Du diese Schriftzeile besser lesen kannst als wir!“
„Was liegt daran, zu wissen, wer hier war?“ entgegnete Nafar ausweichend.
„Sehr viel liegt daran! Wir befinden uns auf einem Kriegszuge. Es darf uns nicht gleichgültig sein, wer in derselben Gegend mit uns ist. Es kann uns Verrath und Gefahr von jeder Seite drohen. Ich hoffe, daß Dir dies nicht unbegreiflich ist!“
Er gab seiner Stimme einen strengen Klang. Da stieg der Dinari ✽) vom Pferde und betrachtete die Fährte. Hierauf schüttelte er den Kopf und sagte:
„Man sieht, daß zwei Reiter hier vorübergekommen sind, weiter nichts.“
„Wirklich weiter nichts?“
„Nein.“
Wahrscheinlich bemerkte Halef das Lächeln, welches ich um meine Lippen fühlte. Er hatte mehr gesehen als Nafar und nahm wohl an, daß die Schrift für mich trotzdem noch verständlicher gewesen sei, als für ihn selbst. Darum fuhr er fort:
„Du sprichst von zwei Reitern, von weiter nichts. Was ritten sie für Tiere?“
„Pferde natürlich!“
„Was für Pferde waren es?“
„Wer kann das wissen? Niemand!“
„So! Dieser „Niemand“ bin ich. Das eine Pferd war ein junger Hengst, das andere aber eine Stute, welche wenigstens schon fünf- oder sechsmal geboren hat.“
Da machte der Dinari die Augen weit auf und fragte:
„Woran siehst Du das?“
„Das ist auch eines unserer Geheimnisse, welche nicht verrathen werden. Es würde Dir auch nichts nützen, wenn ich es Dir sagte, denn es gehört viel Erfahrung und eine lange Uebung dazu, die Zahl der Geburten, also das ungefähre Alter einer Stute aus ihren Spuren zu erkennen. Wäre der Sand nicht so fein, so würde selbst ich vergeblich forschen. Glaubst Du nun, daß der Scheik der Haddedihn eine Fährte lesen kann? Und da steht Kara Ben Nemsi, der mein Lehrer in dieser Kunst gewesen ist. Ich sehe es ihm an, daß diese Spur ihm noch mehr gesagt hat als mir. Sprich, Sihdi, was hast Du gesehen?“
„Die Stute ist allerreinsten Blutes“, antwortete ich.
„Ja; das weiß ich auch.“
„Sie ist einmal infolge eines Fehltrittes lange Zeit fußkrank und unbrauchbar gewesen.“
„Maschallah!“ rief da der Scheik der Dinarun. „Weißt Du, an welchem Fuße?“
„Links vorn. Es war eine Flechsendehnung, welche nur langsam und durch die größte Ruhe zu heilen ist.“
„Bist Du allwissend?“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
34)
(Nachdr. verb.)
„Nein. Ich habe meine Augen geübt. Das ist es, weiter nichts. Du scheinst verwundert zu sein. Kennst Du ein solches Pferd?“
„Ja. Es ist eine braune Stute. Ihre Haut bekommt in der Sonne dunklen Kupferglanz; sie hat die drei berühmten Haarwirbel der Pferde des Propheten; sie trinkt das Wasser mit der Zunge, wie ein Hund; ihr Ohr ist schärfer als das Auge des Geiers, und wenn sie Dich anschaut, glaubst Du, dem sanften Blicke einer Huri zu begegnen.“
Der Beduine wird stets poetisch, wenn er von einem edlen Pferde spricht. So auch hier.
„Wem gehört dieses Pferd?“ erkundigte ich mich.
„Diese wunderbar schnelle Stute heißt Sahm ✽) und gehört — — dem — — — Ustad ✽✽).“
Er zögerte so eigentümlich, dieses letzte Wort auszusprechen. Das hatte jedenfalls einen besonderen Grund, der nicht allein in ihm vorhanden war, denn als er diesen Namen aussprach, drängten sich die bei uns haltenden Dinarun sofort noch näher zu uns heran.
„Wer ist das, der Ustad?“ fragte ich.
„Ein Dschamiki,“ antwortete er so kurz, daß ich annahm, er gebe nicht gerne Auskunft über diesen Mann.
„Vielleicht der Scheik einer Unterabtheilung der Dschamikun?“
„Nein.“
„Also ein gewöhnlicher, wenn auch reicher Mann?“
„Auch nicht!“
„Weder Scheik noch einfacher Nomade? Was aber denn?“
„Warum willst Du das so durchaus wissen?“ sprach er ungeduldig. „Dieser Mann geht mich und auch Dich nichts an!“
„Dich vielleicht nicht, aber mich! Ich habe keinen Grund, mich vor irgend einem Menschen oder gar nur vor dem Namen eines Menschen zu scheuen. Wir verfolgen die Dschamikun; zwei von ihnen sind hier an dieser Stelle gewesen. Das eine der Pferde ist die Stute des Ustad. Ich muß also unbedingt wissen, wer dieser Ustad ist und was es mit ihm für eine Bewandtniß hat.“
„Ich spreche nicht von ihm!“ erklärte er in einem Tone, als sei dies nun sein letztes Wort. Es klang fast wie ein Befehl für mich, still zu sein. Da regte sich das Mißtrauen von Neuem in mir. Sein Verhalten war für mich ein Räthsel, dessen Lösung ich mir unbedingt verschaffen mußte.
„Komm, Halef!“
Indem ich diese Aufforderung an meinen Hadschi richtete, wendete ich mich von Nafar Ben Schuri und stieg wieder in den Sattel. Halef that ebenso. Der Blick, den er mir zuwarf, sagte mir, daß er mich verstanden hatte und mir recht gab.
„Wohin?“ fragte er.
„Dorthin!“
Ich zeigte nach der Schlucht links, nach
welcher die Spur führte, und setzte mein Pferd anstatt in Schritt in schnellen Trab. Da rief der Scheik der Dinarun hinter uns her:
„Was fällt Euch ein? Warum reitet Ihr dorthin? Wollt Ihr uns verlassen?“
Wir antworteten nicht, sahen uns auch nicht um und erreichten schnell die Schlucht, hinter deren Eingangsfelsen wir für die Dinarun verschwanden. Hier lag derselbe leichte Sand wie draußen. Die Fährte war ebenso deutlich wie dort. Halef hielt sich neben mir. Er konnte es nicht über das Herz bringen, zu schweigen!
„Sihdi, was hast Du vor?“ fragte er. „Willst Du unsere Freunde verlassen?“
„Nein.“
„Aber warum entfernst Du Dich von ihnen?“
„Erstens um sie zu zwingen, mir Auskunft über diesen Ustad zu geben, und zweitens um sie darüber zu belehren, daß wir Männer sind, denen man Antwort zu geben hat, wenn sie fragen!“
„Das sind wir allerdings! Doch meine ich, daß wir unsere Freunde — — —“
„Freunde?“ unterbrach ich ihn. „Sei vorsichtig mit diesem Worte! Es fällt mir schwer, das rechte Vertrauen zu dieser Freundschaft zu haben.“
„Ich aber traue ihnen, Sihdi!“
„Das weiß ich gar wohl; es wäre aber besser, wenn Du zu mir mehr Vertrauen hättest, als zu ihnen. Es liegt irgend Etwas zwischen ihnen und uns. Ich weiß es, kann es aber nicht finden. Wir werden es aber erfahren und ich hoffe, daß wir uns nicht zu der Sorte
von Menschen zu zählen haben, welche nur durch Schaden klug werden können! — Schau! Was ist hier?“
„Da sind die Reiter abgestiegen, um auszuruhen,“ antwortete er.
So war es allerdings. Sie hatten an der rechten Seite der Schlucht Halt gemacht und sich in den weichen Sand gesetzt. Daneben standen niedrige Akaziensträucher, deren Spitzen und Blätter von den Pferden abgefressen worden waren. Die Eindrücke in dem Sande waren da, wo sie gesessen hatten, so scharf, daß man sogar sah, welche Stellung dabei von ihren unteren Extremitäten eingenommen worden waren. Kaum hatte ich einen Blick dorthin geworfen, so entriß mir die Ueberraschung den Ausruf:
„Welche Entdeckung! Oder täusche ich mich?“
„Was ist’s, Sihdi?“ fragte Halef.
„Später! Die Dinarun kommen!“
Sie waren es nicht alle, sondern nur der Scheik mit einigen von ihnen. Ich war wieder abgestiegen, um die Eindrücke in dem Sande zu untersuchen. Er blieb, um die Spuren nicht wieder zu verwischen, in einiger Entfernung von uns halten und rief uns, halb ärgerlich, halb bittend zu:
„Ist denn plötzlich irgend ein Scheitan ✽) in Euch gefahren? Warum verlaßt Ihr uns? Wollt Ihr etwa hier weiterreiten?“
„Ja,“ antwortete ich.
„Warum?“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
35)
(Nachdr. verb.)
„Wenn ich einen so gefährlichen Weg unternommen habe, wie der unsere ist, lasse ich nie eine unbeantwortete Frage auf ihm liegen. Ich muß unbedingt wissen, wen oder was ich vor mir habe.“
„Du meinst den Ustad?“
Er wußte also wohl, warum wir uns entfernt hatten.
„Ist Dir dieser Mann denn so sehr wichtig?“
„Ja.“
„Warum?“
„Weil Du ihn durch Dein Schweigen für mich wichtig gemacht hast. Hättest Du mir nicht die Auskunft verweigert, so wäre er für uns wohl weiter nichts als jeder andere Mensch.“
„Und was soll euch diese Fährte nützen?“
„Sie soll mich zu der Kenntniß führen, welche Du uns nicht geben willst. Wir reiten als Eure Freunde mit Euch. Es handelt sich hierbei vielleicht um Blut und Leben. Darum ist die größte Vorsicht geboten. Ich sehe, daß sich noch andere Personen in unserer Nähe befunden haben, vielleicht noch befinden. Ich will wissen, wer sie sind. Ich entdecke, welches Pferd geritten wird. Ich will Auskunft über den Besitzer desselben. Du kannst sie geben, gibst sie aber nicht. Das ist gegen die Offenheit, welche ich von Dir zu fordern habe! Du hast Geheimnisse vor uns, die wir mit Dir in den Kampf gehen sollen. Das trennt uns von Euch. Wir reiten dieser Fährte nach, bis ich weiß, wer die Männer sind, die unsere Wege kreuzen!“
„Du hast einen harten Kopf!“ warf er ein.
„Nicht das, sondern nur einen festen Willen!“
„Weißt Du, was kommen wird, wenn Ihr Euch von uns trennt?“
„Was?“
„Ihr werdet in unbekannter Gegend hilflos sein! Der Hunger wird an Euch nagen, und der Durst wird Euch verzehren!“
Kein Mensch hätte mir jetzt einen größern Gefallen erweisen können, als dieser Mann es mit diesen Worten that. Halef traute den Dinarun, ich aber nicht. Das brachte mich in einen zunächst zwar nur innern Zwiespalt mit ihm, der uns aber äußerlich gefährlich werden konnte. Hatte doch Halef mir schon da oben im Lager Widerstand geleistet! Ich mußte wünschen, daß sein Vertrauen zu diesen Leuten ihn nicht wieder zu einem solchen Fehler verleite. Wirklich erschüttert aber mußte es nicht von mir, sondern von ihnen selbst werden. Da kam Nafar Ben Schuri mit seinem Worte „hilflos“ mir zur rechten Zeit zur rechten „Hilfe“. Dieses Wort wirkte auf meinen kleinen Hadschi wie ein feindlicher Pistolenschuß. Er ritt zu dem Scheik hin, blieb hart vor ihm halten und fuhr ihn zornig an:
„Wer wird hilflos sein? Wer wird hungern? Und wer wird dürsten? Warum besteht Ihr darauf, daß wir mit Euch reiten, wenn Ihr uns für junge Schakals haltet, die sich den eigenen Schwanz abfressen, wenn nicht die Mutter ihren Hunger stillt? Hast Du jemals gehört, daß Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn, sich nicht zu helfen gewußt habe? Hältst Du uns für kleine Buben, denen Du auf ihre Fragen mit der Beleidigung
des Schweigens antworten darfst? Meinst Du, daß wir nur Dir zu Liebe unsere Gewehre mühsam nach dem „Thale des Sackes“ schleppen, um von Dir dafür einen Wasserschluck und eine Dattel zu erhalten, damit wir nicht vor Durst und Hunger uns in die Brühe faulender Gurken verwandeln? Denkst Du, wir lesen Dir die schwere Sprache der Fährten zu dem Zwecke vor, von Dir zu erfahren, daß sie unnütz sei? Ob dieses Land uns bekannt oder unbekannt ist, das ist uns völlig gleich. Jeder Schuß aus unsern Gewehren wird uns Nahrung bringen, und jeder Busch oder Strauch hat uns zu sagen, wo wir Wasser finden werden! Du hast uns „hilflos“ genannt. Schau Dich an! Weißt Du, als was ich Dich jetzt vor mir krumm im Sattel sitzen sehe? Als den niedergeschmetterten Scheik der Dinarun, dem jetzt, in diesem Augenblicke um nichts als nur um unsere Hülfe bange ist! Ich habe gesprochen!“
Er wendete sein Pferd um und kam wieder her zu mir. Der Scheik antwortete nicht sogleich. Daß er zornig sei, war ihm wohl anzusehen, doch gebot ihm die Klugheit, sich zu beherrschen. Seine Leute sprachen leise auf ihn ein.
„Hast Du jemals so Etwas gehört, Sihdi?“ fragte Halef mit unterdrückter Stimme. „Hilflose Menschen sollen wir sein! Mit solchen Freunden hat man freilich nur mit der nöthigen Vorsicht umzugehen! Wenn mich ein Freund beleidigt, so ist das schlimmer, als wenn ein Feind es thut! Ich werde mich in Zukunft nicht wieder nach meinem Herzen, sondern nach Deinem Verstande richten!“
Da kam Nafar näher und wendete sich an mich:
„Sihdi, ich konnte nicht ahnen, daß Euch mein Schweigen beleidigen werde. Ich bin Moslem und rede also nicht gern von Dem, der ein Feind des Propheten ist. Ich habe nicht daran gedacht, daß Du ein Christ bist. Willst Du mir verzeihen?“
Ich nickte nur. Da fuhr er fort:
„Hast Du noch den Wunsch, Etwas über den Mann zu hören, den sie den Ustad nennen?“
„Natürlich!“
„Er ist ein Dschamiki, wurde aber nicht bei den Dschamikun geboren. Sie waren arme Teufel, doch treue Anhänger des Propheten, als er aus einer fernen Gegend zu ihnen kam. Er unterrichtete sie in der Weisheit und Fertigkeit der Abgefallenen. Sie wurden durch ihn wohlhabend, viele sogar reich, haben sich aber aus freien Nomaden in unfreie Sklaven der Arbeit verwandelt. Sie züchten Vieh; sie bebauen Aecker, und sie besitzen Gärten, in welche sie Bäume pflanzen. Pfui!“
„Und dennoch sind sie Räuber, die Euch Eeure Heerden gestohlen und die Wächter ermordet haben?“ warf ich ein.
„Ja, das sind sie freilich auch! Der Abfall vom Propheten treibt stets zu Raub und Mord!“
„Meinst Du?“
„Ja. Das darf Dich nicht beleidigen, denn Du bist ja nie ein Moslem gewesen und also kein Abgefallener.“
„Sind die Dschamikun Christen?“
„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß sie von Muhammed abgewichen sind.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
36)
(Nachdr. verb.)
„Wie nennen sie sich?“
„Nur Dschamikun. Ihrer Religion geben sie keinen Namen. Der Ustad ist ein alter, alter Mann, mit grauen Haaren. Man sagt, er sei mehrere hundert Jahre alt. Ja, Einige meinen sogar, daß er nie geboren worden sei und niemals sterben werde. Das ist gewiß nur Aberglaube. Aber Eins, was man über ihn sagt, ist richtig. Nämlich daß man sich hüten muß, bös von ihm zu reden. Wer das thut, dem folgt die Rache wie ein böser Geist, der nicht eher ruht, als bis er ihn vernichtet hat. Darum wollte ich Deine Frage nicht beantworten. Bist Du nun versöhnt?“
„Ich will es sein, warne Dich aber vor ähnlichen Beleidigungen. Weißt Du vielleicht, ob Sallab, der Fakir, mit den Dschamikun bekannt ist?“
„Er geht überall hin, wahrscheinlich auch zu ihnen.“
„Ist er ihnen mehr Freund als Euch?“
„Wer kann das sagen!“
„Er ist hier gewesen.“
„Hier? An diesem Orte?“ fragte er erstaunt.
„Ja.“
„Unmöglich!“
„Er hat auf der braunen Stute des Ustad gesessen.“
„Das ist ebenso unmöglich!“
„Schau her! Hier an dieser Stelle sind die beiden Reiter von den Pferden gestiegen. Der, welcher den Hengst ritt, hat die Spuren von ledernen Sohlen hinterlassen. Der Andere, welcher von der Stute sprang, ist barfuß gewesen. -
gewesen. Nun komm hierher, wo sie gesessen haben! Hier der Barfüßige und hier der Andere. Hast Du vielleicht schon einmal einen Menschen so auffällig sitzen sehen, daß er nur das eine Bein unterschlägt und auf das Knie desselben die Kniekehle des andern Beines legt, dessen Ferse also jenseits den Boden berühren muß!“
„Maschallah! So sitzt nur Einer! Auch Du hast ihn gesehen!“
„Wer ists?“
„Der Fakir!“
„Richtig! Diese seine Art zu sitzen oder vielmehr zu hocken ist mir sofort aufgefallen, als er in Eurem Lager sich bei uns niederließ. Der barfüßige Mann hier hat ganz genau in derselben Weise gesessen.“
„Kann es nicht einen Zweiten geben, welcher auch diese Gewohnheit hat?“
„Gut, nehmen wir diese Möglichkeit an! Aber hast Du Dir genau betrachtet, wie der Fakir gekleidet war?“
„In Fetzen!“
„Wodurch wurden diese Fetzen zusammengehalten?“
„Durch eine Schnur. Die Enden des Knotens hingen hinten herab.“
„Hast Du an diesen beiden Enden Etwas bemerkt?“
„Zwei Cypressenzapfen an jedem.“
„So, sieh hierher! Diese Zapfen haben, als er saß, den Sand hinter ihm berührt. Er hat sich bewegt und mit sich diese Zapfen. Siehst Du diese Striche? Und da, wo sie stillgelegen haben, die runden Eindrücke in dem Mehle des feinen Sandes?“
Er richtete die Augen auf diese Zeichen und dann, groß und weit geöffnet, auf mich.
„Sihdi,“ sagte er, „das ist nun freilich Spurenlesen! Es ist bewiesen, daß es wirklich der Fakir war, der hier gesessen hat. Aber an das Pferd des Ustad glaube ich noch nicht!“
„Ich habe nur gesagt, was für ein Pferd es war. Mehr kann ich nicht wissen. Den Ustad hast Du selbst genannt. Ist er denn reich genug, der Besitzer eines solchen Pferdes zu sein?“
„Ja, man sagt, daß er die Macht über den ganzen Reichthum der Erde besitze.“
„Man sagt so Manches, was man eben blos sagt. Heut hat für mich nur das Geltung, was ich hier sehe. Wann denkst Du, daß wir das Daraeh-y-Dschib erreichen werden?“
„Wir würden schon heut Abend in seiner Nähe sein, wenn wir nicht einen Umweg eingeschlagen hätten, um nicht auf etwaige Nachzügler der Dschamikun zu treffen.“
„So treffen wir aber doch auch auf Eure Späher nicht!“
„O doch! Wir haben heut den Weg der Feinde zu kreuzen, um ihnen dann zuvorzukommen. An dieser Kreuzungsstelle haben meine Kundschafter auf uns zu warten.“
„So kennen sie die Stelle, an welcher diese Kreuzung stattfindet?“
„Ja. Ich hoffe, daß euer Vertrauen zu uns nun wieder vollständig zurückgekehrt ist!“
Er sah mich an, erwartungsvoll, was für eine Antwort ich nun geben werde. Da wurde mir so offen, daß er es hörte, von Halef die Frage zugeworfen:
„Was wirst Du ihm sagen, Sihdi? Das Vertrauen ist nicht wie eine Dattel, die man
in der Minute zehnmal hin- und hergeben kann. Es geht schneller fort, als es wiederkehrt.“
„Ich werde ihn nach einer Lücke fragen, die es zwischen ihm und uns gibt, lieber Halef,“ antwortete ich.
„Eine Lücke? Ich kenne keine.“
„Und doch ist sie da. Wir haben sie mitgenommen, als wir das Lager der Dinarun verließen. Sie wurde um Mitternacht, als uns der Nachtrab erreichte, größer als sie vorher war, und nun bin ich neugierig, ob es ihm gelingt, sie auszufüllen. Ich habe darüber geschwiegen, weil Du an die Dinarun glaubtest, und ich Dir Deine Unbefangenheit gönnte.“
„Ich verstehe Dich nicht!“
„Du wirst es gleich hören!“
Und zu dem Scheik gewendet, fuhr ich fort:
„Ist euer Lager jetzt vollständig verlassen?“
„Ja,“ nickte er.
„Es befindet sich Niemand mehr dort?“
„Kein Mensch mehr?“
„Es ist also Alles mit uns unterwegs? Mit uns hier und dem Nachtrab?“
„Alles!“
„Und unsere Gefangenen? Die Dschamikun? Mit denen wir Gericht halten wollten?“
Er war schneller mit der Antwort da, als ich erwartet hatte:
„Ich habe sie nach dem großen Lager unseres Stammes geschickt. Dort werden sie bis zu unserer Rückkehr für Euch aufbewahrt.“
„Warum sagtest Du uns das nicht?“
„Habt Ihr mich gefragt?“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
37)
(Nachdr. verb.)
„Du hattest es uns auch ohne Frage mitzutheilen. Die Gefangenen gehörten zunächst uns und dann später Dir. Ich sagte nichts über sie, weil ich es für ganz selbstverständlich hielt, daß sie sich beim Nachtrab befinden würden. Ich sage Dir ganz aufrichtig folgendes: Daß diese wenigen Dschamikun so nahe bei Euch waren, obwohl Ihr von ihren Stammesgenossen beraubt worden waret, das erschien mir unbegreiflich. Daß Ihr ihnen begegnet seid, ohne sie als Dschamikun anzuhalten, hielt ich für höchst sonderbar. Daß sie nun verschwunden sind, ohne daß Du es für nöthig gehalten hast, uns ein Wort darüber zu sagen, das kommt mir sogar bedenklich vor. Darum will ich Dir Deine Frage nach unserm Vertrauen jetzt noch nicht beantworten. Du wirst schon ganz von selbst bemerken, ob es wiederkehrt oder verschwunden bleibt. Jetzt wollen wir den unterbrochenen Weg fortsetzen.“
Er sagte nichts, lenkte um und ritt mit seinen Begleitern wieder aus der Schlucht hinaus. Erst nach einiger Zeit blickte er sich einmal um, damit er sehe, ob wir ihm folgten. Natürlich thaten wir das. Draußen stießen wir zu dem Trupp, der auf uns gewartet hatte, und ritten dann mit diesem weiter, indem wir die beiden Letzten des Zuges waren.
„Sonderbar, das mit den Gefangenen!“ sagte Halef nach einiger Zeit, während welcher er still an sich niedergesonnen hatte. „Glaube, [Glaubst] Du, Sihdi, daß ich seit unserm Aufbruche gar nicht an diese Leute gedacht habe?“
„Ich bemerkte das.“
„Und aber Du?“
„Ich sah erst heut früh, daß sie fehlten.“
„Und hast gegen mich geschwiegen!“
„Du warst so heiter wie in den letzten Tagen selten. Ich wollte Dich nicht ohne Noth bedenklich stimmen.“
„Weil Du mich wegen meiner Krankheit schonen willst; ich weiß es! Glaubst Du noch an sie?“
„Ja.“
„So gib mir jetzt wieder die Arzenei!“
„Halef!“ rief ich. „Fühlst Du Dich wieder unwohl?“
„Nein. Aber die Alte ist wieder da. Sie hat sich heimlich herangeschlichen, nicht von vorn, sondern von hinten. Sie sitzt hinter mir auf dem Pferde und streicht mir mit eiskalter Hand am Rücken auf und ab. Sie muß wieder fort. Gib mir das Mittel!“
Ich hatte während der letzten Stunden in Beziehung auf das Fieber nicht auf ihn geachtet. Jetzt sah ich seine Augen glänzen. Sie hatten einen unstäten [unsteten], ängstlichen Blick. Ich nahm das Chinin aus der Satteltasche und gab ihm davon. Er nahm es ein, und dann wurde es für längere Zeit still zwischen uns.
Dieses Schweigen hatte seinen Grund zunächst in der Besorgniß, welche ich in Beziehung auf Halef von Neuem hegte. Sodann aber war mir auch in Betreff meiner selbst ein Gedanke gekommen, welcher sehr geeignet war, mich zu beunruhigen.
Wir hatten in jüngster Zeit ganz bedeutende Fehler begangen, Fehler, welche eigentlich für uns hätten unmöglich sein sollen. Hierzu kamen, wenn ich nachdachte, eine ganze Menge kleinere Sonderbarkeiten, die uns eigentlich gar nicht geläufig waren. Vor allen Dingen fragte ich mich, wie es möglich gewesen war,
daß wir hatten von dem Lager der Dinarun aufbrechen können, ohne vorher über unsere Gefangenen zu bestimmen. Hierauf fiel mir ein, daß es doch eigentlich gerathen gewesen wäre, uns die Leichen oder die Gräber der beim Ueberfalle der Herden ermordeten Wächter zeigen zu lassen. Auch das hatten wir nicht gethan. Wie war es für uns alte, erfahrene, doch sonst so scharfsinnige Leute möglich gewesen, uns solcher Unterlassungssünden schuldig zu machen? Bei Halef war die Krankheit schuld. Was aber bei mir? War ich plötzlich vergeßlich geworden? Hatte ich die Schärfe meiner Denkkraft eingebüßt? Woher kam auch bei mir die sonderbare Müdigkeit, die ich gar nicht beachtet hatte, obgleich sie von Halef schon einige Male erwähnt worden war? Ich befinde mich in dem Besitze einer Constitution, wie nur selten ein Mensch sie hat. Meine Gesundheit macht für mich den Gedanken, krank zu sein, fast zur Unmöglichkeit. Und wenn ich ja vielleicht einmal unwohl sein sollte, so glaube ich es nicht. Ein Zustand, über welchen Andere klagen und sehr besorgt sein würden, ist für mich eine kleine, gar nicht beachtenswerthe Unpäßlichkeit, über die ich kein Wort verliere. Nun aber jetzt, da mir der erwähnte Gedanke gekommen war, that ich das, was ich bisher versäumt hatte: Ich nahm nicht Halef, sondern einmal auch mich selbst her, um mich auf mein Wohlbefinden hin zu untersuchen, und da — man lache nicht! — geschah das Unerwartete, daß das „alte, zahnlose Weib“ mir in die Ohren raunte, daß sie auch bei mir zu Gaste sei.
Der Gedanke an die Möglichkeit brachte die Erkenntniß der Wirklichkeit. Was ich bisher nicht beachtet, ja fast kaum empfunden
hatte, das trat mir jetzt im Handumwenden deutlich ins Gefühl: Mein Kopf war eingenommen, meine Stimmung unlustig, mein Geist ermüdet und mein Körper nicht mehr von der gewohnten Beweglichkeit. Diese Entdeckung machte ich, und kaum hatte ich sie gemacht, so — — so — — — war es mir, als ob in diesem Augenblicke mein Stirnbein doppelt dick geworden sei und mir das Gehirn zusammendränge. Unsinn! Ich, und Kopfschmerzen haben! Geradezu lächerlich! Die reine Einbildung! Aber ich fühle ihn ja! Ist es erlaubt, an Autosuggestion zu glauben?
Ich nahm mich zusammen und gab meinem Pferde ganz absichtslos die Sporen, daß es einen weiten Satz vorwärts that.
„Was ist?“ fragte der Hadschi, indem er mir in das Gesicht sah. „Was haben Deine Wangen für eine Farbe? Warum sind sie plötzlich eingefallen? Bist Du krank?“
„Fällt mir nicht ein!“ lachte ich, ohne aber dabei wirklich heiter zu sein.
„Du, verbirg mir nichts! Meine alte Frau hat Dich gegrüßt! Das wäre grad das, was uns noch fehlt! Mir ist so heiß, so heiß und so innerlich angst. Ich habe Sehnsucht nach der allergrößten Kälte, die es gibt. Vor meinen Augen drehen sich feurige Räder. Sihdi, wir müssen den Scheik fragen, ob es nicht vielleicht hier in der Nähe Wasser gibt.“
Er trieb sein Pferd an und ritt nach vorn. Ich folgte ihm. Noch ehe wir den Scheik erreicht hatten, rief er ihm zu:
„Nafar Ben Schuri, sag, ob es in dieser Gegend irgendwo Wasser gibt!“
„Zum Trinken?“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
39)
(Nachdr. verb.)
„Ja, auch! Aber noch viel mehr! So viel, daß man hineinspringen und sich baden kann.“
Da zeigte ich mit dem ausgestreckten Arm rechter Hand nach vorn und sagte:
„Dort ragt ein Berg, ganz dunkel blaugrün. Da gibt es Wald, wahrscheinlich sogar Laub-, nicht Nadelwald. Kennst Du ihn?“
„Ja“ antwortete der Scheik. „Seine Kuppe trägt Nadelbäume. Weiter unten aber folgen Mürwaran und Dischbudakan ✽). Wir kommen an seinem Fuße vorbei.“
„Wo Mürwaran stehen, gibt es unbedingt fließendes Wasser!“
„Das gibt es allerdings dort. Es fließt in einen stehenden Weiher. Ich kenne ihn. Wir haben dort gefischt. In etwas über zwei Stunden werden wir ihn erreichen.“
„So spät?“ fragte Halef.
„Ja. Die Richtung durch die Luft ist nicht halb so weit; aber wir müssen zweimal tief in Thäler hinab und jenseits wieder hinauf. Der Teich liegt an der westlichen Seite des Berges.“
„Zwei Stunden warte ich nicht. Kommt uns nach! Wir reiten voraus. Du machst doch mit, Sihdi?“
Er berührte, ohne meine Antwort abzuwarten, die Flanken seines Rappen mit den Sporen. Da schoß das edle Thier mit ihm davon, als ob es von einem Bogen abgeschnellt worden sei. Mein Assil Ben Rih folgte augenblicklich, ohne einen Antrieb von mir abzuwarten. Er wußte, daß er mit Barkh zusammengehöre.
Es ging zunächst über ebenes Terrain, und da war es eine Wonne, so über dasselbe hinzufliegen, als ob die Hufe den Boden gar nicht berührten. Halef jauchzte auf. Ich ließ ihn voran. Das sollte seinen Ehrgeiz anspornen und seine Energie beleben. Vielleicht hielt er dann aus! Mit abgespanntem Geiste einen Weg von über zwei Stunden zurückzulegen, das hätte ihn vielleicht bis zur Niederlage ermattet. Darum rief ich ihm zu:
„Zähle nach, Hadschi, in wieviel Minuten ich Dich einhole!“
Da warf er den Arm in die Luft und rief lachend:
„Nie, nie! Ich zähle nicht. Es wäre eine Ewigkeit!“
Er legte sich nach vorn. Der Luftzug riß ihm auf der Brust den Burnus auf und schwellte ihn zum Ballon. Da zog er den Saum unter dem Sitz hervor, um ihn fliegen zu lassen. Es sah aus, als ob Roß und Reiter beschwingt seien. Der Boden der Erde schwand förmlich hinter uns. Ich schaute mich um. Die Dinarun hatten ihre Pferde angehalten, um uns erstaunt nachzublicken. Einen solchen Ritt hatten sie wohl noch nicht gesehen.
Schon nach kurzer Zeit war die Ebene zu Ende. Nun ging es im Galopp einen sanft absteigenden Hang hinunter, quer über die Tiefe des Thales und drüben wieder hinauf. Es war eine wahre Wonne, Halef in dieser Weise so leicht, wie von aller Schwere befreit, dahinfliegen zu sehen. Bei so einem ächten Beduinenritte haben Beide, der Reiter und das Pferd, nur einen einzigen Willen und eine einzige Ehre!
Der jenseitige Abfall der Höhe war steiler. Es lagen da Felsenbrocken wie ausgesäet, und
zwischen ihnen standen vereinzelte Coniferen. Halef mußte da den Rappen zügeln; ich den meinen auch. Mein Assil war ein besserer Kletterer als Barkh. Das edle Tier wollte nicht zurückbleiben, sondern das andere unbedingt einholen; aber so oft wir fast herangekommen waren, ging Halef mir wieder davon. Unten angekommen, griffen die Pferde ganz von selbst wieder in der früheren Weise aus. Mein Assil ließ jenen tiefen, gutturalen Ton hören, welcher ein Zeichen der Ungeduld war. Er ärgerte sich, daß ich ihn zurückhielt. Da gab ich ihm die Zügel frei, richtete mich in den Bügeln auf, um mein Gewicht zu erleichtern, und rief das Wörtchen jallah aus, welches so viel wie „vorwärts“ bedeutet. Das herrliche Geschöpf warf, vor Freude laut wiehernd, den Kopf in die Höhe, ließ ihn wieder sinken, und nun, aber nun war zu sehen, was so ein ächtes Vollblut zu leisten vermag, aus freiem Willen, ohne von dem Reiter angetrieben zu werden, sondern nur aus einem Ehrgefühl. Es mag Leute geben, für welche dieses Wort zu hoch gegriffen ist. Sie mögen sich ein anderes suchen. Der wahre Thierfreund aber weiß, woran er ist!
Die Folge dieses plötzlichen Anlaufes war, daß ich Halef überholte. Da ließ er jenen lauten, scharfen Ton erschallen, welcher sich aus dem „a“ und dem „ch“ zusammensetzt. Der Reiter treibt mit ihm sein Thier zur Eile an, und nur eine arabische Kehle ist im Stande, ihn richtig hervorzubringen. Da legte sich Barkh nun wieder in das Zeug, um Assil einzuholen. Ich hatte gar nicht die Absicht, voranzubleiben, sondern ich wollte, daß Halef den Weiher vor mir erreichen sollte. Aber damit war mein Pferd nicht einverstanden. Als ich die Zügel straffer nahm, begann es,
zornig zu schnauben. Ich konnte mich durch eine falsche Behandlung um sein Vertrauen, um seine Hingebung bringen; darum hielt ich es für besser, ihm seinen Willen zu lassen.
Als wir auf der zweiten Höhe ankamen, hatte der Hadschi mich wieder eingeholt. Sein Gesicht strahlte. Körper, Geist und Seele waren bei ihm in gleicher Spannung. Das war es ja, was ich gewollt hatte!
„Sihdi, gib zu, daß ich Dich besiege!“ rief er mir zu.
„Nein!“ antwortete ich.
„So paß auf!“
„Du willst doch nicht etwa das „Geheimniß“ anwenden?“
„Nein. Das thue [thun] wir ja nur in größter Noth. Aber paß auf, ich siege doch!“
Er bog sich so weit wie möglich nach vorn nieder, um in aneiferndem Tone auf das Pferd einzusprechen:
„Rascher, rascher, mein Freund! Zeige nun Deine Eilfertigkeit, Du Edler! Erweise mir die Liebe, schneller zu sein, Du liebster aller Lieblinge! Ich bin stolz auf Dich! Dein Werth ist unvergleichlich, Du größter meiner Schätze! Willst Du zugeben, daß ich mich vor dem Sihdi da neben uns zu schämen habe? Du weißt, daß mein Ruhm auch Dein Ruhm und Deine Schande auch meine Schande ist. Erhöre mich! Meine Liebe wird Dir Deinen Eifer lohnen. Lauf, o, lauf! Flieg, o, flieg, Du meine Freude, meine Wonne, meine Lust! Ich gebe Dir eine ganze Handvoll Datteln; die besten, die aller-, allerbesten, die ich habe, die suche ich Dir aus! Denke doch, denke doch: Datteln, Datteln, Datteln!“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
38) [ 39) ]
(Nachdr. verb.)
Das Pferd verstand natürlich nicht den Sinn der Worte, aber die Bedeutung derselben. Das Wort Tamr, Datteln, aber war ihm wohlbekannt. Es senkte den Kopf tiefer und griff noch schärfer aus als bisher. Die Folge war, daß wir genau nebeneinander blieben.
Unser Ritt war ein so schneller, daß der Berg, der unser Ziel war, in hoch emporstrebender Bewegung zu sein schien. Auch seine Breite gewann mit jedem Augenblick. Bald trennte uns nur noch eine muldenähnliche, grasige Bodensenkung von ihm. Es ging ventre-à-terre über dieses Gras. Da, rechts, floß Wasser von der Höhe. Saftiges Gebüsch bezeichnete seinen Lauf, bis zwischen den Stämmen hoher Erlen und Eschen hervor, der Spiegel des Weihers uns entgegenglänzte.
„Wasser, Wasser, Wasser! Endlich, endlich!“ rief Halef aus.
Er gab seinem Pferde heimlich den Sporen der von mir abgelegenen Seite. Ich merkte das gar wohl an der Bewegung seines Pferdes, sagte aber nichts. Dieser kleine, etwas unehrliche Kniff mochte ihm immerhin gelingen. Barkh schoß in Folge desselben mit einem Male vor, und ohne daß mein Assil diesen schnell entstandenen Vorsprung einzuholen vermochte, waren wir am Ziele angelangt. Halef natürlich zuerst. Er wendete sein Pferd herum und fragte:
„Nun, Sihdi, wer ist Sieger?“
„Du!“ antwortete ich.
„Aber Du lächelst ja!“
„Ist die Schande, von Dir besiegt worden zu sein, so groß, daß ich weinen soll?“
„Du, Sihdi, verbirg Dich nicht! Ich verstehe dieses Lächeln. Ich habe Barkh angetrieben; Du aber hast Assil zurückgehalten. Gestehe es! Sei aufrichtig! Thatest Du es?“
„Ja,“ antwortete ich. Ich konnte es ehrlich sagen, weil ich meinen Zweck, Halef in Spannung zu halten, doch erreicht hatte.
„Also, ich wäre unterlegen, wenn Du gewollt hättest?“
„Ja. Ich sage Dir das so offen, weil es eine Ehre, ein großes Lob für Dich ist.“
„Wieso?“
„Barkh stammt nicht von einem Eurer Pferde. Assil ist ihm über, weil er bei Euch geboren und von Dir erzogen worden ist. Er ist unvergleichlich, weil Rih, sein Vater, unvergleichlich war.“
„Das ist richtig. Deine Worte machen mich stolz, Sihdi. Ich war nicht ehrlich gegen Dich. Du sprichst [sprachst] kein Wort zu Deinem Hengste; ich aber habe dem meinen zuletzt den Sporn gegeben. Verzeihe mir!“
Wir waren, während wir diese Worte wechselten, abgestiegen. Wie standen unsere Pferde da! Still, als hätten sie sich schon stundenlang hier befunden. Ihr Athem ging ruhig. Es gab keine einzige Flecke [Flocke] Schaum und keine einzige schweißesnasse Stelle ihrer Haut. Wir liebkosten sie. Da faßte Barkh mit den Zähnen Halefs Aermel und ließ ihn nicht wieder los.
„Weißt Du, was er will?“ lachte der Hadschi.
„Die versprochenen Datteln.“
„Ja. Der Mensch hat auch seinen Thieren Wort zu halten.“
Er öffnete den Futtersack und that genau das, was er versprochen hatte: Er suchte eine Handvoll der besten Datteln aus und gab sie dem gedächtnisstarken Mahner. Hierauf sattelten wir die Pferde ab, worauf sie ohne unser Zuthun augenblicklich in das Wasser gingen, bei in der Wüste geborenen Pferden eine Seltenheit!
Die An- oder Aufregung war mit dem Ritte vorüber. Die Spannkraft ließ bei Halef schnell und sichtlich nach. Als er nach dem Einflusse des Baches ging, um von dem dort noch klaren und lebendigen Wasser zu trinken, sah ich, daß seine Schritte unsicher waren. Mich selbst überkam ein eigenthümliches Gefühl. Es war mir, als ob ich von ebenso unsichtbaren wie unfühlbaren Händen langsam emporgehoben und dann in das Gras gelegt würde. Ich mußte mich setzen. Da begannen die Erlen um mich herum zu tanzen. Mein Kopf kam mir wie eine hohle Kugel vor, die immer größer und leerer wurde. Ich schloß die Augen. Sonderbar: Ich hörte mit den von ihm doch so entfernten beiden Ohren ganz deutlich das Klopfen meines Herzens. Jemand ergriff meine Hand.
„Sihdi, Sihdi, was ist mit Dir? Die Haut Deines Gesichtes sieht wie Erde aus! Warum hast Du die Augen zu?“
Es kostete Mühe, sie zu öffnen. Halef stand gebückt vor mir. Aus seinem Blicke sprach die Angst, die auch in seiner Stimme klang. Das half. Ich sprang auf und antwortete:
„Es war ein Tanz der Bäume um mich her, den ich vorüberlassen wollte.“
„Ganz wie jetzt oft bei mir! Die Gegend, durch welche wir kamen, drehte sich im Kreise; der Kopf schmerzte, und alle Eingeweide meines Innern wollten sich empören. Es hat mich alle meine Kraft gekostet, Dir das zu verbergen und mich aufrecht zu halten. Allah verderbe dieses alte Weib! Kann sie sich nicht mit mir zufrieden geben? Bin ich ihr nicht genug, ich, der berühmte Scheik der Haddedihn, dem Tausende von tapfern Kriegern gehorchen? Muß sie ihre unbeschnittenen Fingernägel auch nach Dir ausstrecken? Sie allein ist schuld, daß Alles um uns tanzt! Wenn ich sie doch sehen und fassen könnte! Es sollte ihr vergehen, mit solchen Männern sich derartige Scherze zu erlauben. Komm, und trink Wasser! Das kühlt das Blut und ärgert dieses Weib!“
Er behielt meine Hand zärtlich in der seinen und führte mich dorthin, wo er getrunken hatte. Er, der Kranke, leitete mich! Was sollte daraus werden! Es galt, mich zusammen zu nehmen! Ich trank, trank und trank in langen Zügen. Ich fühlte förmlich die kühle Woge, die dabei langsam und kräftigend durch meinen Körper und meine Glieder ging. Als ich mich dann aufrichtete, war mein Auge wieder klar.
„Und nun komm; wir müssen baden,“ forderte mich Halef auf. „Aber ja nicht entfernt von einander. Wir haben beisammen zu bleiben, damit wir einander helfen können, falls auch das Wasser um uns tanzen sollte.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
40)
(Nachdr. verb.)
Eine hierzu geeignete Stelle war bald gefunden. Ich stieg zuerst in die für uns jedenfalls außerordentlich wohlthätige Fluth. Sie war am Rande seicht, wurde aber sehr bald tief. Ich schwamm hinaus. Das war nach dem kaum vorübergegangenen Schwindelanfalle vielleicht eine Unvorsichtigkeit, aber ich nahm an, daß diese Bewegung mir nützlich sein werde. Aber nicht lange, so kehrte ich um. Ein Luftzug kräuselte die Oberfläche des Wassers, und dieses Kribbeln und Krabbeln und Flimmern und Funkeln ging mir durch das Auge ins Gehirn. Ich fühlte mich unsicher.
Als ich wieder Grund gewann, mußte ich nach Halef suchen. War er denn noch nicht im Wasser? Da wurde ich durch eine Bewegung aufmerksam gemacht. Ich näherte mich der betreffenden Stelle. Da lag er, lang ausgestreckt, den Kopf hintenüber gebeugt, so daß nur Mund und Nase außerhalb des Wassers waren. Diese Situation war eine spaßhafte; aber das Lachen verging mir, als ich vollends herankam und den Körper sah. Der ganze Leib war voller Flecken, die eine livid-dunkle Färbung hatten.
Typhus! Wirklich und wahrhaftig Typhus!
War es denn eine Menschenmöglichkeit, daß sich Jemand bis zu diesem vorgeschrittenen Stadium der Krankheit aufrecht halten und zuletzt sogar noch einen solchen Parforceritt mitmachen konnte?! Ein Kind der sogenannten „Civilisation“ hätte das gewiß nicht fertig gebracht! Nur der durch und durch kerngesunde, abgehärtete Körper des enthaltsamen -
enthaltsamen Nomaden, der die Laster und entnervenden Genüsse der „höher stehenden“ Intelligenz nicht kennt, kann eine solche Gegenkraft und Widerstandsfähigkeit zeigen. Neben diesen körperlichen Eigenschaften hatten auch die seelischen des kleinen Hadschi das Ihrige dazu beigetragen, daß es [er] nicht schon längst zusammengebrochen war. Vielleicht hatten auch rein geographische Faktoren mitgewirkt. Aber mochte das sein, wie es wollte, die Thatsache war jetzt da. Sie lag vor meinen Augen da im Wasser, bedeckt mit Petechien, deren vorher scharfe Ränder schon begannen, in einander überzugehen. Als ich das sah, that mein Kopf mir plötzlich weh, und es ging, mich schüttelnd, ein Frost durch meine Glieder. Da kam Halefs Kopf schnell ganz nach oben.
„Du frierst, Sihdi? Ich sehe es!“ sagte er. „Geh Du ans Land! Ich werde noch liegen bleiben.“
„Das ist schon vorüber,“ antwortete ich. „Aber, Freund, wie siehst Du aus?“
„Gefleckt wie ein Leopard! Nicht wahr? Aber, aber — — — was sehe ich da?“
Er erhob sich ganz, zeigte auf meine Brust und fuhr fort:
„Da ist es auch bei Dir! Genau so hat es bei mir angefangen!“
Ich schaute an mir hernieder. Was ich vorher noch nicht bemerkt hatte, das sah ich jetzt: Auch ich hatte Flecken, allerdings noch klein. Sie lagen unterhalb der Schlüsselbeine.
„Bist Du erschrocken?“ fragte der Hadschi. „Warum schweigst Du? Warum sagst Du nichts? Ist es eine Krankheit? Eine schwere oder eine leichte? Kennst Du sie?“
„Ich kenne sie, Halef,“ antwortete ich. „Und damit Du keine Fehler machst, muß ich
aufrichtig mit Dir sein. Sie ist fast ebenso gefährlich und langwierig wie die Pest, welche uns damals dem Tode nahebrachte. Von zehn Kranken sterben zwei — — —“
„Aber warum sollen grad wir diese Beiden sein?“ unterbrach er mich. „Es mögen nur erst noch die acht Anderen kommen! Eher mitzurechnen, fällt mir gar nicht ein!“
„Auch ich hoffe, daß wir dem Schlimmsten entgehen. Wir sind beide in Beziehung auf unsere Gesundheit keine Durchschnittsmenschen, also können die von mir erwähnten Ziffern nicht für uns gelten. Glücklicher Weise bin ich im Besitze der besten Gegenmittel, Kampher und Chinin. Kalte Bäder müssen wir haben. Wenn es mir in den Sinn kommt, bleiben wir gleich hier. Unser Leben muß uns ebenso theuer sein, wie die Pflicht der Gastlichkeit. Aber, wo nehmen wir die Pflege her, die uns so nöthig ist?“
„Daher, von wo sie uns damals gekommen ist, vom Himmel Allahs, der uns nie vergessen hat und nie vergessen wird. Mein guter, mein lieber Sihdi, denke doch daran, daß wir auch damals keinen Menschen hatten, der sich unser annehmen konnte. Wir lagen in der größten Einsamkeit, unter uns die pesthauchende Erde, doch über uns das große, lichte Zelt, von welchem alle Englein auf uns niederschauten. Sie kamen mir im Traume, und auch im Wachen dachte ich an sie. Sind wir nicht gesund geworden ohne alle andere, als allein nur ihre Hülfe?“
„Ja, Du Wackerer, Du Treuer! Sie haben uns gepflegt, erst Dich durch meine und dann mich durch Deine Hand, obgleich diese unsere Hände so schwach, so hager, so elend waren.“
„So werden sie es jetzt auch wieder thun! Oder glaubst Du das nicht?“
„Ich glaube es. Aber damals wurde ich erst dann von der Pest ergriffen, als Du bereits wieder am Gesunden warst. Jetzt jedoch werden wir wahrscheinlich zu gleicher Zeit — —“
„Zu gleicher Zeit?“ unterbrach er mich. „Fällt uns gar nicht ein! Wenn dieses alte Weib etwa denkt, daß alles genau so zu gehen hat, wie sie es will, da irrt sie sich! Wir haben doch auch unsern Willen! Und den setzen wir durch! Es kommt mir gar nicht in den Sinn, daß wir mit einander krank werden! Wenn wir es nicht nach einander werden können, so werden wir es lieber gar nicht! So lange der Eine krank ist und der Pflege bedarf, hat der Andere gesund zu bleiben! Der Anfang hierzu ist ja schon ganz richtig eingetreten! Diese Flecken haben sich bei mir eher eingestellt als bei Dir. Die Höhe der Krankheit wird also nicht zu gleicher Zeit eintreten. Vor dieser Höhe aber lege ich mich nicht nieder! Ehe es mich nicht mit tausend Armen packt, habe ich den Dinarun Wort zu halten.“
„Halef — — —!“
„Sihdi — — —! Ich weiß, was Du sagen willst. Morgen aber werden wir im „Thale des Sackes“ sein, und wir sind nicht derart krank, daß wir hier liegenbleiben müssen. Uebermorgen ist der Kampf vorbei, und dann werde ich ohne Widerstreben thun, was Du bestimmst. Bleiben wir hier zurück, so ziehen die Dinarun nicht als unsere Freunde, sondern als unsere Feinde weiter und kommen, sobald wir hülflos sind, zurück, um sich zu rächen. Hülflos! Das war ja das Wort des Scheikes. Lassen wir es nicht zur Wahrheit werden, Sihdi!“ (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
41)
(Nachdr. verb.)
Dieser Beweis hatte Hand und Fuß. Wie freute ich mich darüber, daß seine Denkkraft sich noch als so scharf erwies! War das dem Einflusse des kalten Bades zuzuschreiben? Ich legte mich zu ihm, denn auch ich empfand, daß das Wasser wohlthätig auf mich wirkte. Unsere Pferde weideten draußen im saftigen Grase, ein lange entbehrter Genuß für sie. Die Schatten der hohen Eschen deckten uns so, daß uns der heiße Strahl der Sonne nicht belästigen konnte. Wir fragten nicht darnach, ob ein zu langes Verweilen im Wasser uns schaden könne, und verließen es erst dann, als wir anzunehmen hatten, daß die Dinarun nun bald eintreffen würden. Als sie sich hierauf einstellten, standen wir schon zur Fortsetzung des Weges bereit.
Natürlich aber hielten nun auch sie erst Rast, auf welche jedoch nur eine halbe Stunde verwendet wurde. Dann ging es weiter, wobei wir uns, wie vorher, am Ende des Zuges hielten.
Es war während dieses Aufenthaltes der Dinarun am Deiche [Teiche] zwischen uns und dem Scheik kein Wort gesprochen worden. Für seine Leute hatten wir freundliche Augen und höfliches Benehmen, aber auch keine Reden gehabt. Das höchst fatale Wort „Mißtrauen“ verschloß ihm und uns den Mund.
Wir bemerkten mit Genugthuung, daß wir uns jetzt in einer wasser- und darum wald- und weidereichen Höhenzone befanden. Das war ein Umstand, der uns Beruhigung gewährte. Uebrigens schien die Wirkung des Bades auf uns eine ganz verschiedene zu sein. Ich fühlte mich gekräftigt, während Halef mir mittheilte, daß er sehr ermüdet sei. Er war
kalte Bäder nicht gewohnt, und das heutige hatte wohl eine zu lange Dauer für ihn gehabt.
Später sah ich, daß er sich schüttelte. Die Sonne schien noch warm auf uns nieder, und darum nahm ich an, daß diese seine Bewegung eine rein zufällige sei. Als sie sich aber wiederholte, gestand er mir auf meine dringende Frage, daß er von einem innern Frost geschüttelt werde, und bat mich wieder um Chinin. Ich hielt es für gerathen, ihm dieses Mittel jetzt vorzuenthalten und schlug ihm eine Wiederholung unseres Wettrennens vor. Sofort richtete er sich munter im Sattel auf und sagte:
„Ich bin mit Freuden einverstanden, Sihdi. Aber ich mache eine Bedingung.“
„Welche?“
„Daß wir die Pferde wechseln!“
Welch ein kleiner Schlaumüller! Ich erklärte mich selbstverständlich bereit dazu und gab ihm meinen Assil, während ich seinen Barkh bekam. Am liebsten hätten wir auf diesem Ritte den Weg eingeschlagen, den wir überhaupt zu nehmen hatten, wären da aber zu Fragen an den Scheik gezwungen gewesen, der mit uns schmollte. Wir beschlossen also, eine andere Richtung zu nehmen, und zwar rund um einen Berg, welcher zur Linken vor uns lag. Wir mußten, wenn wir ihn umritten hatten, wieder auf die Dinarun, und wenn nicht auf sie selbst, so doch auf ihre Spuren stoßen. Wir riefen also Nafar Ben Schuri zu, was wir beabsichtigten, und wollten schon die Pferde antreiben, da antwortete er:
„Bleibt doch hier! Dort, jenseits des von Euch erwähnten Berges, liegt ja der Kreuzungspunkt, auf welchem meine Krieger auf uns warten.“
„Das ist für uns kein Grund, uns in Eure Langsamkeit zu fügen. Ihr kennt ja nun die Schnelligkeit unserer Pferde. Wahrscheinlich sind wir eher dort als Ihr.“
„Aber Ihr kommt gewiß?“
„Ja.“
„Schwöre es mir!“
„Was fällt Dir ein! Einen Schwur gibt es selbst für viel wichtigere Dinge bei uns nicht. Du hast mein Wort, und das muß Dir genügen!“
Nun ritten wir fort, aber zunächst langsam, denn Halef hatte ein Wort auf seinem Herzen:
„Er ist mißtrauisch, Sihdi.“
„Und beleidigend,“ fügte ich hinzu.
„Ja, es war eine Beleidigung, einen Schwur zu verlangen. Wir müssen ihm von großem Werthe sein.“
„Das scheint freilich so!“
„Hast Du eine Ahnung, warum?“
„Ja.“
„Welche?“
„Es ist eben nur eine Ahnung, das heißt, etwas Unklares. Von Werth sind wir ihm als Helfer gegen die Dschamikun. Er weiß, daß er sich auf unsere Erfahrung und auf unsere Fertigkeit im Schießen mehr verlassen kann, als auf sich selbst und alle seine Leute. Das hat er uns ja schon gesagt, ohne es eigentlich sagen zu wollen. Aber diese Betrachtung genügt mir nicht, Verschiedenes zu erklären, was mir aufgefallen ist.“
„Was?“
„Er trachtet so auffallend und eifrig darnach, die Geheimnisse unserer Waffen und unserer Pferde kennen zu lernen. Warum? Diese Geheimnisse haben doch nur für den Besitzer -
Besitzer Werth. Hat er etwa die Absicht, unser Eigenthum an sich zu reißen!“
„Sihdi!“ rief Halef überrascht.
„Ist er etwa unser Feind, der nach den Pferden und Gewehren trachtet, die ihm aber ohne vorherige Aufklärung unnütz sind? Und gibt er nur deshalb vor, unser Freund zu sein, weil er auf diesem Wege die Geheimnisse zu erfahren hofft? Wird er dann, sobald er sie erfahren hat, uns sein richtiges Gesicht zeigen — — das Gesicht eines Räubers und Mörders?“
„Sihdi! Kann ein Mensch von so bodenloser Schlechtigkeit sein?“
„Das fragst Du und hast doch schon solche Menschen kennen gelernt!“
„Wie thöricht wäre ich gewesen, wenn Du recht hättest!“
„Tröste Dich! Auch ich habe keineswegs klug gehandelt. Wir haben die größte Vorsicht zu beobachten. Das ist um so schlimmer für uns, als wir von der Krankheit jeden Augenblick niedergeworfen werden können.“
„Du, Sihdi, die Krankheit ist nun bei mir Nebensache! Seit Du Deine Befürchtung ausgesprochen hast, gibt es für mich nicht eher Zeit, krank zu sein, als bis wir wissen, woran wir mit diesem Nafar Ben Schuri sind. Ist jetzt noch Etwas zu besprechen?“
„Nein.“
„So wollen wir beginnen. Zu gleicher Zeit. Paß auf! Eins — — zwei — — — drei!“
Bei „drei“ begann die Jagd nach der Ehre, welche, wie ich wollte, dem Scheik der Haddedihn zufallen sollte. Leider sollte sie ihm nicht vergönnt sein, aber auch mir nicht. Es wurde eine ganz andere Jagd daraus.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
42)
(Nachdr. verb.)
Wir hatten uns von den Dinarun auf einem Plateau getrennt, von welchem wir hinunterritten, um an den Fuß des Berges zu gelangen, den wir halb zu umkreisen hatten. Unten angekommen, sahen wir, daß sich das Terrain zunächst so sehr verengte, daß wir langsam reiten mußten. Wir hatten uns vorsichtig durch ein fast unzugängliches Felsengewirr zu winden, wo es aber doch Spuren davon gab, daß zuweilen Menschen hier vorüberzukommen pflegten. Diese Enge trat dann mit einem Male weit auseinander, um sich in das Thal zu öffnen, dem wir rund um den Berg zu folgen hatten. Grad als wir aus ihr hervor wollten, tauchten kaum zwanzig Schritte entfernt zwei Reiter vor uns auf, welche da hinein trachteten, wo wir herauskamen. Und wer waren sie?
Sallab, der Fakir! Er ritt eine braune Stute, die sichtlich ein Pferd allererster Rasse war, jedenfalls „Sahm“, dem Ustad angehörig. Sein Begleiter, ein jüngerer Mann, sichtlich auch ein Fakir und ebenso unbewaffnet wie Sallab, saß auf einem dunkeln, halbedlen Hengste. Beide erschraken, als sie uns erblickten.
„Die Dschamikun [Dinarun]!“ rief Sallab aus.
„Nein, nur wir!“ antwortete ich.
„Ihr Beide allein?“
„Ja.“
„Das glaube Euch der Scheitan! Komm! Zurück, zurück!“
Er wendete sein Pferd und jagte fort. Der Andere folgte ihm.
„Sihdi, was ist — — —“ rief Halef.
„Still! Kein unnützes Wort!“ unterbrach ich ihn. „Diese beiden Fukara ✽) sind die Schlüssel zum Räthsel, welches zu lösen ist. Wir müssen sie unbedingt haben.“
„Auch mit Gewalt?“
„Ja, wenn sie sich wehren! Nimm Du den Andern; ich fasse Sallab. Aber seine Stute ist pfeilschnell. Gib mir meinen Assil! Jeder sein Pferd, welches er kennt. Rasch, rasch!“
Wir sprangen ab und wechselten die Thiere. Dann ging es vorwärts, hinter den Fliehenden her.
„Nimm Dich in acht!“ rief ich Halef noch zu. „Sie könnten doch verborgene Waffen bei sich führen!“
„Keine Sorge, Sihdi! Hamdulillah! Endlich, endlich einmal eine Hetze, eine wirkliche, wahrhafte Hetze! Wohlan Jallah, jallah, jallah!“
Das Umtauschen unserer Pferde hatte keine Minute in Anspruch genommen, dennoch waren die Fukara schon weit von uns entfernt; Sallab ritt voran. Wie die Sache lag, durfte ich mich auf keine lange Jagd einlassen. Da der Kreuzungspunkt jenseits dieses Berges lag, konnten die Dschamikun in der Nähe sein. Wir mußten die Flüchtlinge also so bald wie möglich fassen.
„Assil — — Assil! Ramchchchchch, ramchchchchch!“
Das war die Aufforderung zum schnellsten Galopp. Ich streichelte ihm den Hals. Er flog. Die Vorderhufe berührten noch den Boden, so griffen die hintern schon vor. Es
war eine Lust, dieses Gefühl, als ob man nur den freischwebenden Sattel und gar kein sich bewegendes Thier unter sich habe! Ich kam den beiden Fukara schnell näher. Da sah Sallab sich um. Ich hörte, daß er einen Schrei ausstieß. Er trieb sein Pferd an; es vergrößerte die bisherige Schnelligkeit. Der Andere schlug auf das seine ein, blieb aber zurück. Nach kurzer Zeit hatte ich ihn erreicht. Indem ich an ihm vorüberflog, that ich das so nahe, daß ich ihn erreichen konnte. Er saß halb nach vorn gebeugt. Ich stieß ihm die Faust in die Seite. Die Kraft meines Stoßes wurde durch Assils ungemeine Schnelligkeit verdoppelt. Der Fakir flog aus dem Sattel, und hinter mir erscholl die Stimme Halefs:
„Ich ergreife ihn! Ich halte ihn! Ich bringe ihn.Schau nur noch nach dem Andern, Sihdi!“
Ich sah gar nicht nach dem Hadschi zurück, denn ich wußte, daß er thun werde, was ich erwartete. Aber Sallab schaute sich wieder um, und da er mich in solcher Nähe hinter sich sah, mußte er erkennen, daß ich ihn in einer Minute eingeholt haben werde. Ich behielt ihn scharf im Auge und sah, daß er dreimal mit beiden Händen auf beide Halsseiten seines Pferdes schlug und dabei ein Wort ausrief, welches ich nicht verstehen konnte.
Sollte dies das Geheimniß der Stute sein? War dieser Fakir ein solcher Freund und Vertrauter des Ustad, daß dieser es ihm mitgetheilt hatte? Meine Frage wurde sofort beantwortet: Die Stute lief nicht mehr, sondern sie raste! Es war das Geheimniß gewesen. Kaum hatte er es gegeben, so war seine Entfernung -
Entfernung von mir schon verdoppelt. Ich mußte also auch das meinige anwenden. Indem ich mich weit vorbog, legte ich Assil die Hand zwischen die Ohren und sagte dreimal seinen Namen. Dieses Zeichen war gewählt worden, weil es sehr schwer auszuführen ist. Nur ein Reiter, welcher eines arabischen Renners würdig ist, wird es fertig bringen, im schärfsten Galoppe die Ohren seines Pferdes mit der Hand zu erreichen.
Die Wirkung war eine großartige. Zunächst schien es für einen Moment, als ob Assil haltenbleiben wollte. Es ging wie ein Zittern durch seinen ganzen Körper. Dann ließ er ein tiefes schnaubendes Stöhnen hören, ein Stöhnen dankbarer Willensfreudigkeit. Und aber nun — — — nun kam es mir vor, als ob die Beine nicht mehr zu sehen seien, so unglaublich schnell bewegten sie sich. Die Büsche und Bäume flogen förmlich an mir vorüber. Der Boden des Thales kam wie auf einer sich drehenden Walze auf mich zugeflossen, um hinter mir zu verschwinden. Die stehende Luft des Thales wurde in blasenden Wind verwandelt. Meine Bewegung glich nicht mehr einem Ritte, sondern einem horizontalen Fallen. Ich konnte nicht anders: ich jauchzte auf, worauf Assil schnaubend frohe Antwort gab.
Das war ein ganz anderes Wettreiten, als ich mit Halef beabsichtigt hatte! Die berühmte, pfeilschnelle Stute des Ustad und das beste Blut der Haddedihn im Kampfe gegen einander! Nicht im Scherz, sondern im Ernste! Beide mit geöffneten Geheimnissen und sich anstrengend, ihr Bestes, ihr Alles herzugeben! Wer wird siegen? (Fortsetzung folgt)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
43)
(Nachdr. verb.)
Diese Frage blieb mir höchstens eine Viertelstunde lang eine Frage. Sie verwandelte sich in die Antwort, als ich sah, daß das Geheimniß die Stute aufgeregt hatte. Das Spiel ihrer Glieder war von wunderbarer Leichtigkeit, aber nicht regelmäßig. Sie zeigte bald die rechte, bald die linke Flanke. Bald sah ich ihren Kopf auf dieser, bald auf jener Seite. Schon nach kurzer Zeit kam es mir vor, als ob sie sich nicht immer gleich, sondern in bemerkbaren Pulsen vorwärts bewege. Wahrscheinlich hatte man sie seit Langem nicht mehr geübt, im Geheimnisse zu rennen, und darum wurde ihr nun jetzt die Lunge kurz und schwer. Dazu kam, daß der Reiter kein Mann für ein Pferd dieser Gattung war. Ob man überhaupt gewohnt ist, einen Fakir reiten zu sehen, mag hier Nebensache sein. Mit Sallab mußte es in dieser Beziehung eine ganz besondere Bewandtniß haben. Aber er saß jetzt während des Geheimnisses nicht anders als bei einem ganz gewöhnlichen Galoppe im Sattel. Ich vermuthete, daß er seine eigne Lunge nicht zu reguliren und dem Pferde überhaupt keine Erleichterung zu geben wisse. Eine innere Fühlung zwischen ihm und dem Thiere gab es nicht, denn ich sah, daß er, um Steinen und andern Hindernissen auszuweichen, die Zügel zu Hülfe nahm. Das thut man doch nicht, wenn die Energie des Reiters mit der seines Pferdes in guter, innerlicher Verbindung steht!
Wie wunderbar glatt und gleich ließ dagegen Assil seine Kräfte spielen. Das war es ja: Es glich einem Spiele, keiner Anstrengung. Es war, als ob er nicht mehr Körper, sondern
nur noch Willen sei. Er ging über Löcher und Steine hinweg oder er vermied sie, ohne daß seine Rückenlinie sich dabei zu heben oder zu senken schien. Der Schlag seiner Hufe wettete an Regelmäßigkeit mit dem Ticken einer Uhr. Die Mitte seiner Stirn wich keinen Augenblick lang und keinen Zoll breit von der Gesammtrichtung seines Körpers ab. Von seinem Athem war kein Hauch zu spüren. Die Schnelligkeit, von der ich vorhin sprach, war nicht mehr da; an ihre Stelle war die Unbegreiflichkeit getreten.
So kam ich dem Fakir näher und immer näher. Er drehte sich immer öfter um und begann, das Pferd zu schlagen. Ich war kaum zehn Längen hinter ihm, als er die Unvorsichtigkeit beging, es auch noch mit den Füßen zu bearbeiten.
„Halt ein!“ rief ich ihm zu. „Im Geheimnisse schlägt und stößt man nie ein Pferd!“
Kaum hatte ich dies gesagt, so bewahrheitete es sich. Die Stute gab ihre Windeseile auf, fiel in Galopp, that einen Seitensprung, einen zweiten wieder zurück, und — — — der Fakir flog aus dem Sattel! Ich schoß sofort weit über ihn hinaus, gab aber schnell das Zeichen und nahm mit dem Zurufe „Andak!“ ✽) das Geheimniß wieder zurück. Fast noch im Fluge ging Assil einen Bogen, fiel dabei durch Galopp und Trab in Schritt und blieb da stehen, wo der Fakir von der Erde aufstand und sich prüfte, ob und wo er vielleicht Schaden genommen habe.
„Warum bist Du vor uns geflohen?“ fragte ich ihn, indem ich abstieg.
„Sihdi, Dein Pferd ist kein Pferd, sondern ein Dschimi ✽)!“ antwortete er.
„Ich habe Dich nicht nach meinem Pferde gefragt! Bist Du verletzt?“
„Nein. Allah sei Dank!“
„So hole Sahm herbei!“
„Sahm?“ fragte er erstaunt. „Du kennst den Namen dieser Stute?“
„Ich weiß noch mehr, mehr als Du denkst. Aber eins weiß ich nicht und kann es nicht begreifen: Warum bist Du vor uns erschrocken und hast die Flucht ergriffen?“
„Weil — — weil — — —“
Er sprach nicht weiter, sah mir forschend in das Gesicht und senkte dann den Kopf.
Da trat ich nahe zu ihm hin und sagte:
„Du scheinst früher von dem Scheik der Haddedihn und mir gehört zu haben?“
„Ja.“
„Gutes oder Böses?“
„Nur Gutes.“
„Und hältst uns doch für schlimme Menschen?“
„Nein.“
„Doch! Denn gute Menschen flieht man nicht!“
„So lange sie gut sind, ja!“
„Sind wir es etwa nicht mehr?“
„Ist der Mensch noch gut, wenn er sich in den Dienst der Bösen stellt?“
„Meinst Du die Dinarun?“
„Ja.“
„Wir stehen nicht in ihrem Dienste!“
„Aber in ihrer Freundschaft. Und die Freundschaft solcher Leute macht den besten Ruhm zu nichte.“
„Deine Worte klingen mir unverständlich;
aber sie haben große Aehnlichkeit mit der Warnung, die mir meine Ahnung gab. Vor allen Dingen muß ich Dir sagen, daß wir nie beabsichtigt haben, die Freunde böser Menschen zu sein — — —.“
Ich wurde unterbrochen, weil Halef kam. Er ritt neben dem andern Fakir. Beide unterhielten sich, als ob sie sich im herzlichsten Einverständnisse mit einander befänden. Sobald er mich erblickte, rief er mir zu:
„Assil hat gesiegt?“
„Ja,“ antwortete ich.
„Ich wußte es! Warte, was ich Dir zu sagen habe, Sihdi! Es ist von größter Wichtigkeit.“
Er trieb seinen Barkh an, sprang, als er uns erreicht hatte, ab und fuhr eifrig fort:
„Hier werden wir uns niedersetzen, um Berathung zu halten. Weißt Du, Sihdi, wer und was unsere Dinarun sind?“
„Nun?“
„Wir sind dumm gewesen, ganz unendlich dumm! Sie sind gar keine Dinarun, sondern Ausgestoßene, Ausgestoßene aus allen Stämmen, die es in dieser Gegend gibt. Jeder Mensch, der ein Verbrechen, eine schlechte That begangen und sich mit Schande beladen hat, geht zu ihnen, um sich ihnen anzuschließen. Sie leben nur von Diebstahl, von Raub und ähnlichen Unternehmungen. O, Sihdi, wir haben diesen Leuten ein Vertrauen geschenkt, welches sie gar nicht verdienen. Du bist zwar ein ganz klein Wenig klüger gewesen als ich, aber sehr viel trägt das auch nicht aus. Ich möchte Dir eine Ohrfeige geben, mir selbst aber zehn oder zwanzig oder auch fünfzig. Aber weil ich Dich viel zu sehr achte und liebe, als daß ich sie Dir wirklich geben könnte, so muß ich natürlich auch auf meine fünfzig verzichten!“ (F. f.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
44)
(Nachdr. verb.)
Sein Aerger war sehr ächt, denn ohne diese Aechtheit wäre es ihm, der so viel auf seine persönliche Ehre hielt, gar nicht eingefallen, in Gegenwart der beiden Fukara so despectirlich von sich selbst zu sprechen. Was mich betrifft, so war es mir willkommen, endlich Klarheit zu erlangen; aber ich werde mich hüten, eine begangene Unvorsichtigkeit durch eine zweite, vielleicht noch größere wieder gutmachen zu wollen. Darum fragte ich ihn:
„Weißt Du gewiß, daß unsere bisherigen sogenannten Freunde keine Dinarun sind?“
„Ja.“
„Wer hat es Dir gesagt?“
„Dieser Fakir.“
Er deutete auf ihn.
„Und Du glaubst ihm?“
„Natürlich! Unter Fukara darf keine Lüge sein!“
„Das ist erstens nicht ganz richtig, und zweitens muß ich Dich fragen: Könntest Du darauf schwören, daß diese beiden Fukara wirkliche Fukara sind?“
„Maschallah! Welche Frage! Richte sie doch nicht an mich, sondern an sie selbst!“
Da wandte ich mich an Sallab:
„Sei aufrichtig! Meine Frage soll der Prüfstein Deiner Ehrlichkeit sein. Bist Du Fakir?“
Da antwortete er:
„Du bist Kara Ben Nemsi, der Mann aus Dschermanistan, und wir wissen, daß aus Dschermanistan nie ein böser Mensch zu uns gekommen ist. Darum will ich ehrlich sein. Ich bin kein Fakir, und dieser mein Begleiter ist auch keiner!“
„So heißest Du gar nicht Sallab?“
„Nein.“
„Wie denn?“
„Ich legte mir aus guten Gründen den Namen des bekannten Fakirs bei. Aber wer ich eigentlich bin, das darf ich Dir so lange nicht sagen, als Du Dich für verbunden hältst, diesen Räubern Unterstützung zu erweisen.“
„Haben sie uns belogen, so ist das, was wir ihnen versprochen haben, so gut wie nicht gesprochen!“
„Nun, sie haben euch belogen!“
„Kannst Du das beweisen?“
„Beweisen? Was verlangst Du für Beweise?“
Ich muß gestehen, daß er mich mit dieser Frage in Verlegenheit brachte. Ich antwortete ihm:
„Sie haben sich als Dinarun bezeichnet, und Du behauptest, daß sie keine seien. Du selbst aber gestehst ein, daß Du als Fakir Sallab eine Lüge gewesen. Von Dir ist die Unwahrheit erwiesen, von ihnen aber nicht.“
Wir hatten uns niedergesetzt, alle Vier. Der Alte senkte den Kopf, sah einige Zeit sinnend vor sich nieder, hob ihn dann wieder und fragte:
„Ihr seid mit denen, die sich Dinarun nennen, gegen die Dschamikun ausgezogen. Wir sind Dschamikun. Ihr habt uns gefangen. Was werdet Ihr mit uns thun?“
„Wir lassen euch frei. Ihr könnt reiten, wohin ihr wollt.“
„Gleich jetzt?“
„Ja.“
„Reiten?“
„Natürlich!“
„So wollt Ihr nicht wenigstens unsere Pferde als Beute behalten?“
„Nein.“
„Aber bedenke, was für ein Pferd die Stute ist!“
„Kein Mann aus Dschermanistan wird jemals in Euer Land kommen, um Beute zu machen!“
„So segne Dich Allah, und so segne er auch Alle, welche in Deiner Heimat dieses menschenfreundlichen Gedankens sind! Du hast Dich soeben als ein Mann bewiesen, der das, was er zu sein vorgibt, auch wirklich ist, nämlich ein Christ. Die Nächstenliebe und Selbstlosigkeit, welche Isa Ben Marryam ✽) von allen fordert, die sich nach seinem Namen nennen, ist bei Dir nicht blos ein leerer Schall, sondern sie leitet Dein Leben, Dein Reden und Dein Thun. Ich aber kann Dir leider jetzt, in diesem Augenblicke, nicht den von Dir geforderten Beweis erbringen, daß das, was ich sage, mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Erst die Thatsachen des morgenden Tages werden Dir zeigen, daß Du mir heute Vertrauen schenken konntest. Wäre dieser Nafar Ben Schuri im gegenwärtigen Augenblick hier bei uns, so würde er eingestehen müssen, daß ich die Wahrheit über ihn gesprochen habe. Du sollst von mir erfahren, was diese Wahrheit sagt.“
Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort:
„Nafar hat als Oberster der Ausgestoßenen unten in Bagdad und Bassora Späher, von denen er alles für ihn Wichtige erfährt, was dort geschieht. Von ihnen kam die Kunde von Euren herrlichen Pferden, von den unvergleichlichen Gewehren, welche Euch Beiden die Stärke eines ganzen Stammes verleihen. Man theilte ihm mit, daß Ihr kommen würdet, und er nahm sich vor, Euch diese Schätze abzunehmen. Er ließ Euch unterwegs beobachten, ohne daß Ihr es bemerktet. So erfuhr er, wann und wo Ihr kamt. Euch offen zu überfallen, das wagte er nicht, weil er Eure Waffen fürchtete. Darum entschloß er sich zur List. Ihr solltet seine Gäste sein und einen Schurb en Nom ✽✽) von ihm bekommen.“
„Bei ihm? Von ihm?“ unterbrach ihn Halef. „Das war doch nicht bei ihm!“
„Höre mich nur weiter!“ antwortete der Alte. „Man hatte am Wasser auf Euch gewartet, weil anzunehmen war, daß Ihr dort bleiben würdet. Ihr kommt. Man stellte sich bescheiden; man hütete sich, Euch durch Aufdringlichkeit mißtrauisch zu machen. Darum war man in Verlegenheit, wie man Euch den Schurb en Nom werde beibringen können. Da aber batet ihr selbst um Kaffee. Man that den schon bereitgehaltenen Afiun ✽) hinein und gab Euch das Getränk, welches Ihr trotz seiner Bitterkeit bis auf den letzten Tropfen zu Euch nahmt. Dann schlieft Ihr ein. Man wollte Euch nur berauben, nicht ermorden. Aber selbst als ausgeraubte Männer hatte man Euch zu fürchten, Eurer Erfahrung, Eurer Klugheit, Eurer Kühnheit wegen. Darum mußtet Ihr über Die, welche Euch den Trank der Schläfrigkeit reichten, im Irrthum sein; darum ließ sich Nafar Ben Schuri gar nicht bei Euch sehen, und darum lauerte er nicht mit allen seinen Leuten auf Euch, sondern er schickte nur wenige Männer an das Wasser, welche dann nach vollbrachter That leicht verschwinden konnten. — — — Diese That gelang, und der darauf folgende Regen deckte sogar ihre Spuren zu. Aber als man eben begonnen hatte, des vollbrachten Raubes froh zu werden, mußte man die Vergeblichkeit desselben erkennen. Eure Gewehre gingen von Hand zu Hand, doch Niemand konnte entdecken, auf welche Weise man mit ihnen zu schießen habe. Sie waren für die Unwissenheit werthlos. Und Eure Pferde ließen keinen Reiter aufsitzen. Man wollte sie zwingen, doch war die Folge, daß dabei zwei Männer verletzt wurden. Es galt also, die Geheimnisse der Pferde und der Waffen zu erfahren, und das konnte nur durch Euch erreicht werden.“ (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
45)
(Nachdr. verb.)
„Allah, wallah, tallah!“ rief Halef zornig aus. „Wir werden diesen Schurken unsere Heimlichkeit derart offenbaren, daß ihnen vollständig unheimlich dabei werden soll! Sprich weiter!“
„Nafar Ben Schuri faßte den klugen Plan, als Euer Retter aufzutreten. Er war überzeugt, daß die Dankbarkeit Euch verleiten werde, Eure Geheimnisse gegen ihn nicht als Geheimnisse zu betrachten. Man mußte Euch da zwar Alles wiedergeben, aber doch nur für kurze Zeit. Er schickte also die Thäter nach einer bestimmten Stelle, wo sie sich ruhig überfallen lassen sollten, und ritt Euch dann entgegen, denn er nahm ganz richtig an, daß Ihr nicht umkehren, sondern weitergehen würdet, um nach den Uebelthätern zu suchen. Auf welche Weise er diesen seinen Plan ausgeführt hat, das wißt Ihr besser, als ich es weiß. Ihr habt ihm ja dabei geholfen!“
„Ja, das haben wir allerdings!“ gestand Halef ein. „Wir haben diesem Manne geglaubt und ihm vertraut. Wir haben ihm die Gefangenen überlassen und nicht einmal nach den Leichen und Gräbern derer gefragt, die Ihr ihm getödtet habt!“
„Wir? Ihm? Ja, ich weiß gar wohl, welche Fabel Euch erzählt worden ist; aber wo es keine Leichen gibt, kann es auch keine Gräber geben. Es ist ihm kein einziger Mann getödtet oder auch nur verletzt worden.“
„Was? Wie? So ist auch das eine Lüge?“
„Ja. Wir tödten nicht! Unser Glaube verbietet uns den Angriff gegen das Leben derer, die selbst dann unsere Brüder sind, wenn sie die Thorheit begehen, sich als unsere Feinde zu betrachten.“
„Allah! Welch ein Glaube! Welche Friedfertigkeit! So seid ihr also Christen?“
„Vielleicht, vielleicht auch nicht! Erst dann, wenn ich Christen kennen gelernt habe, kann ich Dir sagen, ob wir welche sind: Nicht wir haben Blut vergossen, sondern Nafar Ben Schuri hat es gethan. Seine That hat mir, grad mir das Herz so schwer, so tief verwundet. Und dieses Herz, es will laut auf um Rache schreien, weil ich ein Mensch mit menschlichen Gefühlen bin. Aber da oben, wo der Himmel in stillen Stunden für mich offen ist, da steht ein lichtes, großes Wort geschrieben, welches das irdische Gesetz der Rache überstrahlt. „Ed dem b’ed dem ✽)!“ schreit das Menschenherz zum Himmel auf, wenn der Rauch vergossenen Blutes aufwärts steigt; von droben aber rufen tausend Engel ihr „es Samah!“ ✽✽) nieder, und bei diesem heiligen Gebot muß jede Wunde schweigen!“
Er war aufgestanden und ging, innerlich erregt, eine kleine Weile hin und her. Ich sah jetzt nicht den Schmutz, der sein Gesicht entstellte, und nicht die Lumpen, die ihn häßlich machten. Aber ich sah den tiefen Schmerz, der seine Augen füllte, und ich sagte mir, daß
wir diesem Mann wohl vertrauen dürften. Als er sich beruhigt und wieder niedergesetzt hatte, sprach er weiter:
„Ich will annehmen, daß Ihr Euern Bund mit Nafar Ben Schuri für zerrissen halten werdet, und halte es darum für keinen Fehler, Euch schon jetzt zu sagen, was Ihr eigentlich erst später erfahren solltet. Nämlich der Tir ✽) unseres Stammes, zu welchem ich gehöre, hat sich von den andern Dschamikun abgesondert, weil wir Muhammed zwar für einen Propheten, seine Lehre aber nicht für seligmachend halten. Wir sind nicht mehr Nomaden, sondern wohnen in Häusern, welche wir nur im Sommer mit Zelten vertauschen. Wir haben Gärten und Felder, welche wir bebauen, und Heerden, deren Ertrag wir auf den Markt von Isfahan liefern. Unsere Ernten sind reich an Galläpfel, Mastix, Mannah, Sesam und Tabak. Mit dem Letzteren versorgen wir fast ganz Chusistan. In Beziehung auf den Ruf, in dem wir stehen, füge ich hinzu, daß sich unausgesetzt hundert unserer jungen Leute bei der Leibgarde des Schah-in-Schah befinden, obgleich der Beherrscher sehr wohl weiß, daß sie ihre Waffen niemals verwenden würden, unschuldiges Blut zu vergießen. Ich bin der Scheik und werde nicht bei meinem Namen, sondern Peder ✽✽) genannt. Hoch über mir und allen Andern aber steht der Ustad, vor dessen Ehrwürdigkeit wir uns in Liebe und Gehorsam beugen. Ihr werdet ihn sehen; das hoffe ich.“
„Ist er in Eurem Stamm geboren?“ erkundigte -
erkundigte ich mich, indem ich an die Angabe Nafars dachte.
„Nein. Wenn Du Auskunft über ihn haben willst, so wende Dich an ihn selbst. Er ist für uns ein Bote des Himmels, für den wir keine solchen Fragen haben. Wir leben in steter Eintracht unter uns und halten Frieden mit allen andern Menschen. Als wir uns um unseres Glaubens willen von den andern Dschamikun trennten, wurden wir eine Zeitlang von ihnen heftig angefochten und sehr hart bedrängt. Nun aber haben sie eingesehen, daß dieser Glaube auch für sie nur Güte und nur Vortheil hat. Sie sind uns wieder freund geworden. Zu hüten haben wir uns nur noch vor den Ausgestoßenen, welche euch gesagt haben, daß sie Dinarun seien. Sie leben nur vom Raube, wobei sie selbst den Mord nicht scheuen. Wir aber nennen sie nur Massaban ✽), weil unser Chodeh ✽✽) nicht will, daß wir Diejenigen, welche uns leid thun, mit einem bösen Wort bezeichnen. Diese Massaban, deren oberster Anführer Nafar ben Schuri ist, schwärmen in einzelnen Trupps überall herum, in der Absicht, zu ernten, wo sie nicht gesäet haben. Aber wenn es einen größeren Streich gilt, finden sie sich schnell zusammen. Ein solcher war es, der uns betroffen hat. Unsere Männer waren fast alle auf einem Fest der Leng-i-Karun abwesend — — —“
„Ich denke, Nafar Ben Schuri war auf einem solchen Feste?“ fiel Halef ein.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
46)
(Nachdr. verb.)
„Das ist nicht wahr. Er überfiel uns während der Nacht, raubte alles, was er zusammenraffen konnte, und führte auch einen Theil unserer Heerden mit sich fort. Hierbei wurden von den wenigen Männern, welche daheim geblieben waren, sechs ermordet. Unter den Todten befand sich mein einziger Nachkomme, mein Enkelsohn, die Freude meiner Augen, die geliebte Abendröthe meiner letzten Lebenstage. Als wir am anderen Tage heimkehrten, sah ich ihn vor mir liegen, blutbefleckt, mit weit aufgerissenen Augen und im Todesschmerz geballten Händen. In meinem Innern erklangen zwei Stimmen. Die eine rief mir „Ed dem b’ed dem!“ zu; die andere aber ließ ihr „Samah, samah!“ tönen. Es war ein kurzer, aber schwerer Kampf. Das „Samah“ unseres gnadenreichen Chodeh siegte. Ich ließ alle meine Männer zusammenkommen, um zu berathen. Der Ustad stieg von seinem hohen Hause nieder und wohnte der Versammlung bei. Wir sprachen lange hin und her; da gab er seinen Plan und mit demselben unserm Willen Festigkeit. Es wurde beschlossen, der Plage des Landes, welche die Massaban bilden, mit einem einzigen, kräftigen Streiche ein Ende zu machen. Wir wollten sie fangen, ohne alles Blutvergießen; Keiner sollte entgehen. Dann sollten sie dem Sipahsalar ✽) geschickt werden, welcher grad jetzt nach Soldaten für Farsistan sucht und keine findet, weil kein Angeworbener hinab nach der ungesunden Grenze gegen Indien will. Wir sandten also einen Boten nach Isfahan, um diese Nachricht hinzubringen, und machten uns zur Verfolgung
der Massaban auf. Als sie von uns erreicht wurden, bemerkten sie unsere große Ueberzahl und verloren den Muth, sich zu vertheidigen. Sie ließen ihren Raub stehen und liegen und ergriffen die Flucht. Hierauf verwandelte ich mich und meinen Begleiter hier in Fukara und ritt ihnen mit der Stute des Ustad nach, weil für meinen Zweck unter Umständen das schnellste unserer Pferde nöthig war. Als sie sich gelagert hatten, ließ ich den Begleiter an einem verborgenen Orte mit den Thieren zurück und ging zu ihnen. Ich gab mich für Sallab aus, dessen Namen sie kannten. Ein Fakir darf nicht fortgewiesen werden. Man duldete mich. Auch ist er ein Mann, der sich nur für religiöse Dinge zu bekümmern pflegt. Man war also in meiner Gegenwart nicht so vorsichtig, wie man es gegen einen Andern gewesen wäre. Ich hörte Verschiedenes. Es waren Bruchstücke. Aber wenn ich sie zusammensetzte, so bekam ich ein fast ganz vollständiges Bild. Das veranlaßte mich, Abends, als es dunkel war, mich scheinbar zu entfernen. Aber ich kehrte zurück und belauschte Nafar Ben Schuri, als er mit einigen seiner Leute zusammensaß. Ich hörte, was man gegen Euch vorhatte. Gern hätte ich Euch gewarnt, aber ich kannte ja die Oertlichkeiten nicht, und Ihr mußtet auch schon dort angekommen sein, wo Ihr den Schlaftrunk bekommen solltet. Als ich dann wiederkam und bei ihnen saß, hörte ich, daß man Eure Waffen gegen uns brauchen wollte. Wir sollten verfolgt werden, denn die Massaban wollten uns ihre verlorene Beute wieder abnehmen. Das war mein Augenblick, den ich sogleich benutzte. Ich that, als ob ich gar nicht aufgepaßt und darum auch gar nichts verstanden hätte, und begann, von dem „Thale des Sackes“ zu sprechen. Dahin wollten wir sie nämlich locken, weil dies der einzig passende
Ort war, sie so einzuschließen, daß sie sich gar nicht wehren konnten. Nafar Ben Schuri griff meine Worte sofort auf. Er ahnte meine Absicht nicht im Geringsten. Sein Gehirn begann, an der Falle zu bauen, deren Entwurf ich ihm hingeschoben hatte, um ihn selbst zu fangen. Um ihn sicher zu machen, stellte ich mich ganz unwissend und erzählte, daß ich auf meinem Wege eine Schaar von Dschamikun gesehen habe, welche sehr eilig nordwärts geritten sei.
„Hatten sie Heerden?“ fragte er.
„Nein.“
„Wie viele waren es?“
„Wohl einige Hundert.“
Er glaubte es und dachte nun, wir hätten uns getrennt und es seien bei den Heerden, denen er folgen wollte, nur wenige unserer Leute geblieben. Sein Vorhaben erschien ihm also als sehr leicht ausführbar, und als ich mich dann zum Schlafen niederlegte, konnte ich es mit dem Bewußtsein thun, daß mein Anschlag eine gute Statt gefunden hatte. Am anderen Morgen erfuhr ich dann auch wirklich, daß beschlossen worden sei, die Dschamikun zu verfolgen und in dem „Thale des Sackes“ einzuschließen. Ich hätte nun gehen können, denn meine Absicht war erreicht; aber der Gedanke an Euch hielt mich noch fest. Eure Namen sind bekannt. Ich wollte wissen, ob der gegen Euch gerichtete Anschlag gelungen sei. Ich wünschte, Euch nützen zu können. Da kamen die Massaban, welche Euch beraubt hatten. Sie brachten Alles mit, was Euch abgenommen worden war. Man jubelte. Da aber stellte es sich heraus, daß Eure Pferde störrisch und Eure Gewehre unbrauchbar seien. Es wurde schnell Rath gehalten, und man nahm sich vor, sich Eurer scheinbar anzunehmen, bis man die Geheimnisse Eurer Tiere und Waffen erfahren habe. Wie man das ausführte, -
ausführte, wißt Ihr ja. Ich bekam dadurch Zeit, meine Dschamikun zu unterrichten. Ich ritt zu ihnen, um ihnen meine Anweisungen zu ertheilen, und als ich am anderen Tage zurückkehrte, setzte ich mich zu Euch. Ich erfuhr, daß Ihr die Massaban wirklich für Dinarun hieltet und ihnen gegen uns helfen wolltet. Nun wußte ich genug und ging. Von der nächsten Anhöhe aus sah ich Kara Ben Nemsi auf dem Berge stehen und winkte ihm warnend zu. Das war für so erfahrene Männer, wie Ihr seid, hinreichend, zur Vorsicht zu mahnen. Ich wollte Euch helfen. Ich gedachte nicht, Euch als unsere Feinde zu betrachten. Ihr solltet zwar mit gefangen genommen, dann aber sofort wieder freigelassen werden. Ich hatte gesehen, daß der Scheik der Haddedihn krank sei. Ich kenne diese Krankheit genau. Sie wird sehr häufig vom Euphrat und vom Tigris zu uns heraufgeschleppt, und wir kennen ein Mittel, welches ganz unfehlbar wirkt. Ich machte darum den Hadschi aufmerksam, wo er das Loben [Leben] gegen den Tod finden werde, weiß aber nicht, ob Ihr mich verstanden habt. Ich wußte Alles, auch daß uns Kundschafter nachgeschickt worden waren. Als ich wieder zu meinen Dschamikun kam, beeilten wir uns, die Falle so zu stellen, daß die Massaban ganz gewiß glauben werden, wir seien es, hinter denen sie sich zuzuschließen habe. Auch wir haben Kundschafter. Sie haben Euch scharf beobachtet. Als ich den Ort Eures letzten Nachtlagers erfuhr, setzte ich mich mit diesem meinem Begleiter zu Pferde, um Euch mit eigenen Augen zu beobachten. Wir dachten nicht an die Möglichkeit, daß es Jemanden von Euch einfalle, von Euerm Wege abzuweichen. Da trafen wir auf Euch.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
47)
(Nachdr. verb.)
„Und wendetet sogleich die Pferde, um die Flucht zu ergreifen! Warum thatet ihr das?“ fiel hier Halef ein.
„Durften wir Euch trauen?“ fragte der alte Scheik lächelnd.
„Nein. Du hast Recht. Aber wie steht es nun jetzt? Wie denkt ihr nun von uns?“
Da stand Peder wieder von seinem Platze auf, stellte sich in feierlicher Haltung vor uns hin und antwortete:
„Ihr habt uns gefangen, aber wieder freigegeben. Das war eine That des Vertrauens und der Ehrlichkeit. Ich will nicht minder ehrlich sein als Ihr. Ja, ich bin es schon gewesen! Ich habe Euch gesagt, daß wir den Massaban eine Falle gestellt haben, in welche sie gehen sollen. Wenn Ihr ihnen das mittheilt, falls Ihr ihnen mehr glaubt als uns, so ist diese unsere Mühe vergeblich gewesen. Ich spreche keine Bitte aus. Dieses mein Schweigen mag Euch sagen, was ich von Euch denke.“
Nun sprang auch Halef auf. Ich sah ihm an, daß er seinem schnellen Temperamente folgen wollte. Er besann sich aber, wendete sich zu mir und fragte:
„Hörst Du es, Sihdi? Der Scheik der Dschamikun gibt sich wehrlos in die Hände unserer Rechtschaffenheit! Ich wollte ihm sagen, was wir thun werden; aber sag Du es ihm!“
Ich folgte dieser Aufforderung, indem ich mich erhob und dem Alten die Hand reichte:
„Wir glauben Dir! Deine Falle wird sich ganz gewiß bewähren, denn wenn die Massaban zögern sollten, hineinzugehen, werden wir sie hineinführen. Am Liebsten ritte ich jetzt mit Dir zu Deinen Leuten; aber wir betrachten
uns von diesem Augenblicke an als Deine Freunde und Verbündete und wollen nicht der unverdienten Ruhe pflegen, sondern das Unsere dazu beitragen, daß Euer Vorhaben gelinge und diese Landplage unschädlich gemacht werde.“
„Das, das wollt Ihr wirklich thun?“ fragte Peder im Tone der Freude.
„Ja. Darum bitten wir Dich, uns das Nöthige über die Lage des „Daraeh-y-Dschib“ mitzutheilen, damit wir keine Fehler machen. Aber thue das schnell und kurz, denn wir müssen nun zu den Massaban zurückkehren, wenn sie nicht wegen unseres zu langen Ausbleibens mißtrauisch werden sollen.“
Ich kann diese seine Instructionen hier übergehen, weil sich ihr Inhalt aus dem Nachfolgenden ergeben wird. Peder beschrieb die Oertlichkeiten so genau, daß ich eine hinreichende innere Anschauung von ihnen bekam. Auch über die Falle, in welche die Massaban geführt werden sollten, sprach er sich in der Weise aus, daß wir nicht im Zweifel darüber waren, wie wir uns zu verhalten hatten. Dann trennten wir uns von ihm und seinem Begleiter, und zwar in ganz anderer Weise, als wir vorhin mit ihnen zusammengetroffen waren. Sprachlich will ich hier noch bemerken, daß das persische Wort Peder (Vater) nicht etwa wie der deutsche Name Peter, sondern mit dem Tone auf der letzten Sylbe, also Pedehr, ausgesprochen wird.
Als wir hierauf nun Seite an Seite um den nördlichen Fuß des Berges herumritten sagte Halef zu mir:
„Jetzt wissen wir nun endlich genau, woran wir mit diesen Lügnern und Betrügern sind. Wie schwer wird es mir fallen, un auch Betrüger zu sein!“
„Betrüger? Wieso?“
„Weil wir ihnen doch nicht merken lassen dürfen, daß wir Alles wissen. Wir müssen uns verstellen, müssen uns als Freunde geberden, und das, das fällt mir ganz entsetzlich schwer, Sihdi! Wenn ich nicht sagen darf, was ich denke, so sage ich lieber nichts!“
„Ganz richtig! Ich bitte Dich, genau nach diesem Worte zu handeln, doch nicht nur in Beziehung auf das Sprechen. Auch Alles, was Du thust, muß verschwiegen sein. Du darfst durch keine Bewegung, durch keine Miene verrathen, daß Du mehr weißt, als Du wissen sollst.“
„Das ist es ja eben, was mir schwer fällt!“
„Es ist leichter, als Du denkst. Man muß sich nur hüten, gesprächig oder gar geschwätzig zu sein. Wir brauchen uns nur genau so zu verhalten, wie wir es gethan haben, seit wir auf die Spuren getroffen sind. Dann wird es einer großen Verstellungskunst gar nicht bedürfen. Auch ich gebe mich nicht gern anders, als ich bin; aber wenn in diesem gegenwärtigen Falle Klugheit gegen Arglist und Schweigsamkeit gegen Verstellung gehalten wird, so kann das ganz unmöglich eine Sünde sein. — Hat Dich unser Eilritt angegriffen, Halef?“
Ich fragte so, weil ich sah, daß er jetzt nicht mehr stramm im Sattel saß. Da nahm er sich sofort zusammen, richtete sich auf und antwortete:
„Angegriffen? Ich? Wie kann mich ein Ritt angreifen, der die größte Wonne ist, die ich mir zu Pferde vorstellen kann? Sei doch so gut, jetzt ja nicht an die Krankheit zu denken! Du siehst doch jedenfalls ein, daß der Haupttheil unsers Erlebnisses mit den Massaban erst jetzt beginnen soll. Meinst Du, daß ich da dem alten Weibe erlauben werde, mich
von den Thaten, welche geschehen sollen auszuschließen? Wir werden es kurz machen. Wahrscheinlich sind wir schon morgen mit diesen Leuten fertig. Und so sage ich Dir: So lange wir sie nicht in der Falle haben, so lange würde selbst der Tod nichts über mich vermögen. Und wenn er mich niederwürfe, ich würde doch wieder aufstehen, um ihnen zu beweisen, daß sie sich in uns verrechnet haben. Laß uns machen, daß wir schnell zu ihnen kommen!“
Nicht lange hierauf hatten wir den Berg umkreist und stießen auf die Fährte der Massaban, welcher wir folgten, bis wir den Reiterzug an einer Stelle einholten, wo von dieser und der nächsten Höhe aus sich ein ebenes Tafelland nach Osten zog. In diese Ebene ritten wir nun hinaus, ohne daß uns Jemand nach dem Verlauf unserer Reitpartie gefragt hätte. Man verhielt sich still gegen uns, und das war uns nur lieb.
Nach einiger Zeit sahen wir auf der Fläche vor uns mehrere Reiter erscheinen, welche, als sie uns erblickten, schnell auf uns zukamen. Nafar Ben Schuri ritt ihnen entgegen und sprach längere Zeit mit ihnen. Dann gab er das Zeichen zum Weiterreiten. Diese neu zu uns gestoßenen Massaban machten nun die Führer.
„Ob das wohl die erwarteten Kundschafter sind?“ fragte Halef.
„Jedenfalls,“ antwortete ich.
„Warum meldet er uns nicht, was sie ihm berichtet haben?!“
„Laß ihn! Es ist die Laune des bösen Gewissens. Er spielt den Gekränkten, freilich ohne zu wissen, daß dieses sein Schmollen uns sehr willkommen ist.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
48)
(Nachdr. verb.)
„Aber, haben wir es uns gefallen zu lassen? Wir sind nicht seine Untergebenen, sondern stehen über ihm. Er ist doch der Meinung, daß wir ihm helfen sollen, und da hat er uns doch unbedingt zu berichten, welche Meldung ihm gebracht worden ist!“
„Hätten wir uns noch als seine Helfer zu betrachten, so würde ich mir diese Zurücksetzung freilich verbitten. Nun aber, da sich die Sache so ganz anders gestaltet hat, kommt mir sein Schweigen sehr gelegen. Dein Selbstgefühl kann sich beruhigen, lieber Halef. Du weißt ja doch, daß die Strafe nicht auf sich warten lassen wird.“
„Das läßt mich allerdings den Verweis, den ich ihm geben möchte, in den Abgrund meines Zornes fallen lassen. Dort mag er bis zur Stunde der Vergeltung liegen bleiben!“
Das gekränkte Ehrgefühl meines kleinen Hadschi brauchte nicht länger als ein kleines Viertelstündchen zu warten, um zu Worte kommen zu können. Schon nach dieser kurzen Zeit stießen wir auf eine von Süden herüberstreichende breite Fährte, welche diejenige der Dschamikun mit ihren Heerden war. Gleich der erste Blick belehrte uns, daß diese Pferde- und Wiederkäuerspuren über einen Tag alt waren, ein außerordentlich wichtiger Umstand, den aber weder die Kundschafter noch Nafar Ben Schuri beachteten. Jetzt hielt er es nun für an der Zeit, einige Worte an uns zu richten:
„Das ist der Kreuzungspunkt, von dem ich
zu Euch sprach. Ihr seht, daß wir die Dschamikun glücklich eingeholt haben.“
Eingeholt! Wie er sich irrte! Sie waren ja schon gestern hier vorübergekommen und hatten also mehr als genug Zeit gehabt, ihre Falle zu stellen. Seine Kundschafter taugten nichts. Natürlich hüteten wir uns, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß seine Ansicht eine durchaus falsche sei. Er fuhr fort:
„Diese Räuber und Mörder machen hier, indem sie weit nach Osten hinaus abbiegen, den Umweg, der sie in unsere Hände bringen wird. Indem wir ihnen nicht folgen, sondern geradeaus nach Norden reiten, kommen wir ihnen zuvor und gewinnen mehr als genug Zeit, das Daraeh-y-Dschib zu besetzen.“
„Wie weit ist es von hier bis dorthin?“ erkundigte ich mich.
„Wir sind schneller gewesen, als wir vorher dachten. Wenn wir uns sputen, können wir es noch vor dem Eintritt der Dunkelheit erreichen.“
„Meinst Du, daß die Dschamikun dann morgen kommen?“
„Eher keinesfalls.“
„Und unser Nachtrab? Wo bleibt der?“
Diese Frage schien ihm ganz unerwartet zu kommen. Er machte eine verlegene Miene. Ich hatte sie ausgesprochen, weil mir daran lag, die Massaban alle zusammen in das Netz zu bekommen. Auch die, welche sich noch hinter uns befanden, sollten mit dabei sein.
„An den Nachtrab habe ich gar nicht gedacht, weil es nicht nöthig ist,“ erklärte er.
„Nicht nöthig? Willst Du haben, daß Deine Absicht durch ihn verrathen und die Ausführung desselben dadurch verhindert werde?“
„Wieso verhindert?“
„Sonderbare Frage! Wann wird der Nachtrab am „Thale des Sackes“ ankommen?“
„Morgen.“
„Und die Dschamikun kommen auch morgen? Sie werden ihn sehen und sofort über ihn herfallen!“
„Maschallah! Das ist richtig! Das muß verhütet werden! Sihdi, gib uns Deinen Rath! Was meinst Du, daß wir thun?“
„Es ist nur Eines möglich: Deine Dinarun haben uns zu folgen und sich noch während der Nacht bei uns im Thale einzustellen.“
„Im Thale?“
„Ja.“
„Nicht an oder bei dem Thale?“
„Nein. Wenn Du fähig wärest, einen so unverzeihlichen Fehler zu begehen, würde ich mit dem Scheik der Haddedihn sofort umkehren und Euch keinesfalls weiter begleiten, weil wir überzeugt sein würden, daß Dein so schön angelegter Plan dann für uns unheilvoll werden müßte. Wir haben diese Nacht natürlich in dem Thale, keineswegs aber bei demselben zuzubringen.“
„Warum?“
Ich gab mir den Schein der Ungeduld, indem ich antwortete:“
„Denkt Ihr denn gar nicht nach? Wenn wir eine ganze Nacht lang in der Nähe des Thales lagern, so gibt das Spuren, welche noch wochenlang zu sehen sind. Die Dschamikun müßten doch blind sein, wenn sie diesen unverzeihlichen Selbstverrath nicht bemerkten! Und nach einer so handgreiflichen Warnung wäre es nur Wahnsinnigen zuzumuthen, in die
Falle zu gehen. Der Felsengrund des Thales aber nimmt keine Spuren an, die zur vorzeitigen Entdeckung führen können. Außerdem bieten uns die hohen Steinwände Schutz gegen jede Unbill der Nacht. Und drittens befinden wir uns, wenn die Entscheidung naht, gleich frühmorgens an Ort und Stelle und können so wunderbar schön versteckt bleiben, daß bis zum letzten Augenblicke kein Dschamiki ahnen kann, wie nahe sein Verderben ist.“
Ich sah ihm an, daß ich ihn überzeugt hatte. Auch auf den Gesichtern seiner Leute, welche meine Worte gehört hatten, war nichts als Zustimmung zu lesen. Da sagte er:
„Ich höre, daß Du Dir die Sache gut überlegt hast. Auch ich hatte schon so ähnliche Gedanken. Wir sind bereit, Deinen Vorschlag auszuführen. Die Kundschafter mögen hier bleiben, und den Nachtrab, sobald er ankommt, hinunter nach dem Daraeh-y-Dschib zu geleiten. Nun aber müssen wir uns beeilen, weil es im Thale eher finster wird als außerhalb desselben.“
Die Späher stiegen von den Pferden und setzten sich nieder. Der Zug ritt weiter, ich mit Halef hinterdrein. Der Letztere sprach, als uns Niemand hörte:
„Sihdi, das hast Du pfiffig gemacht! Jede Lüge vermieden und doch unseren Zweck erreicht! Leider haben diese Menschen keine Ahnung von der Lehre, die Du ihnen jetzt gegeben hast.“
„Welche Lehre, Halef?“
„Das fragst Du mich? Du selbst, der sie ertheilte?“
„Sprich sie nur aus, damit sie hörbar werde!“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
49)
(Nachdr. verb.)
„Beide können klug sein, der Böse sowohl als auch der Gute. Aber wenn es zum Schlusse kommt, so stellt sich unbedingt heraus, daß nur der Gute wirklich und wahrhaftig klug gewesen ist.“
„Was folgt hieraus?“
„Nichts, als was ich gesagt habe. Das ist doch wohl genug!“
„Drehe es einmal herum!“
„O, Sihdi, was muthest Du mir zu! Du weißt ja, daß ich nicht gern Räthsel löse! Und wenn man Etwas herumdreht, so wird es verkehrt, und ich werde mich wohl hüten, etwas Verkehrtes zu sagen! Drehe Du doch selbst es um, damit ich höre, wie es aus Deinem Munde klingt!“
„Jedenfalls nicht verkehrt. Aus Deinen Worten geht hervor, daß es die wahre Klugheit ist, nur gut, nie aber bös zu handeln. Nafar Ben Schuri ist stolz auf seinen Plan, den er für ungeheuer schlau hält. Von wem aber hat er ihn bekommen? Von dem Peder!“
„Ganz recht! Hast Du Dir die Augen dieses Mannes betrachtet?“
„Ja.“
„Ich auch. Droben im Lager der Massaban, als er noch als Fakir galt, habe ich ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt aber möchte ich mich fragen, ob ich wohl schon einmal etwas so Schönes wie diese Augen gesehen -
gesehen habe. Es ist mir da ein Gedanke gekommen, und ich kann mir nicht helfen, ich muß ihn Dir sagen.“
„Sprich!“
„Wirst Du mich auslachen?“
„Nein!“
„Im Herzen des Menschen wohnt entweder der Himmel oder die Hölle, und das Auge ist das Fenster, durch welches entweder Allah oder der Scheitan seinen Blick nach Außen richtet. Dieser Peder trägt den Himmel in sich. So oft er seinen Blick auf mich lenkte, war es mir, als ob Allah mich anschaue. Ich könnte diesem Manne niemals Etwas thun, was ihn betrüben müßte. — — Gib mir die Medizin!“
Diese letzte Aufforderung kam so unerwartet, daß ich ihn betroffen ansah.
„Habe ich Dich erschreckt?“ fragte er. „Es ist nichts, wirklich gar nichts! Du brauchst keine Sorge zu haben. Aber ich fühle plötzlich den Hals nicht mehr. Es ist mir, als ob der Kopf frei in der Luft schwebe. Und doch wird er mir ganz plötzlich so schwer, daß ich das Gefühl habe, er werde mir herunterfallen.“
Das war ein schlimmes Zeichen. Nach der vorherigen Aufregung begann das Gegentheil nun einzutreten. Auch ich fühlte eine bedenkliche Eingenommenheit des Kopfes, gab aber doch nur Halef von dem Mittel, obgleich ich es wohl auch hätte nehmen sollen.
Unsere bisherige gute Stimmung war plötzlich eine ganz andere geworden. Die Sonne
schien nicht mehr, und nun sie hinter den Bergen verschwunden war, breitete sich die Dämmerung mit der jenen Gegenden eigenen Schnelligkeit über das Land. Dieser äußere Vorgang wollte sich auch in unserm Innern fortsetzen. Kein Mensch, und sei er ein noch so ausgeprägter, kräftiger Character, bringt es fertig, sich den Einflüssen der Natur ganz zu entziehen. Er hat an den Leiden und Freuden der Schöpfung theilzunehmen, welche auf ihn, so lange er lebt, niemals verzichten wird.
Halef saß jetzt zusammengedrückt im Sattel, er ließ den Kopf hängen. Was mich betrifft, so fühlte ich mich nicht nur ermüdet, sondern matt. Diese Mattigkeit lag nicht in meiner Natur; sie war mir fremd, war — — Krankheit. Wie kam es doch, daß ich grad jetzt an das Hammelfleisch denken mußte, welches wir im Lager der sogenannten Dinarun gegessen hatten? Ich fühlte, daß es mir unmöglich sein würde, gegenwärtig auch nur einen einzigen Bissen davon zu genießen. Schon bloß der Gedanke daran schüttelte mich! War das ein Wink von innen heraus? Wer vermag die dort wohnenden Geheimnisse zu ergründen!
Unser Weg war jetzt ein unausgesetzt abwärts gehender. Der voranreitende Nafar Ben Schuri hatte sichtlich Eile. Es ging in schnellem Tempo theils an Berghängen, theils auch über freie Bodensenkungen hin, bis uns ein kurzes, schmales Thal aufnahm, dessen Mündung uns an den Rand eines „Warr“
brachte, welches mich an gewisse Gegenden der inneren Sahara erinnerte.
Unter Warr hat man einen Ort zu verstehen, dessen Boden mit wirr liegenden Felsentrümmern bedeckt ist. Ein solches Warr im wahrsten Sinne sahen wir hier vor uns liegen. Als ob vor Jahrtausenden da ein riesiger feuerspeiender Krater vorhanden gewesen sei, so gerade und steil stieg rundum das schwarze Gestein zum Himmel auf. Wo lebten die Giganten, welche die Spitzen der rundum ragenden Berge abgebrochen und in solche Tiefen geschleudert hatten, daß sie in tausend Trümmer zerschmettert worden waren? Es sah ganz so aus, als ob von unheilvollen Urkräften hier einst irgend eine erschreckliche Teufelei ausgeführt worden sei. Die Zwischenräume der gewaltigen Steinbrocken waren mit Farren, Dornen und allerlei Gestrüpp so dicht ausgefüllt, daß es gewiß unmöglich gewesen wäre, hindurchzukommen, wenn es nicht ein jetzt leeres Wasserbette gegeben hätte, welches in zwar zahlreichen, aber doch gangbaren Windungen nach der anderen Seite hinüberführte.
Wir folgten diesem Wege. Drüben angekommen, trafen wir auf ein zweites, noch breiteres Wasserbette, welches sich mit dem unserigen vereinigte. Nafar Ben Schuri deutete in die Richtung desselben zurück und rief uns zu:
„Das ist der Weg, auf dem die Dschamikun kommen werden. Und da, gerade vor uns, seht Ihr das Thor, durch welches man in das Daraeh-y-Dschib gelangt.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
50)
(Nachdr. verb.)
Zwei früher senkrecht stehende Felsenwände hatten sich einander zugeneigt, bis sie hoch oben auf einander getroffen waren. Sobald uns dieses finstere, aus gewaltigen Massen bestehende und doch einsturzdrohende Thor aufgenommen hatte, war es so dunkel um uns her, daß es einiger Zeit bedurfte, bis wir die Augen hieran gewöhnt hatten und die nächste Umgebung zu unterscheiden vermochten. Da habe ich mich freilich wohl falsch ausgedrückt, denn es gab nur eine „nächste“ und gar keine weitere Umgebung. Das Thal bestand hier aus dem Wasserbette und einem nicht viel breiteren Ufer rechter Hand, welches unsere Pferde zu erklettern hatten. Links gab es keinen solchen Rand, weil das Wasser — nämlich wenn es welches gab — direct von der Felsenwand begrenzt wurde. Indem wir nun langsam und vorsichtig auf diesem einen und auch einzigen Ufer hinritten, begleitete uns hoch oben ein Himmelsstreifen, welcher nicht breiter als eine Hand zu sein schien.
Die Schritte unserer Pferde erregten hier einen wahren Höllenlärm, von den zurückgeworfenen Schallwellen verzehnfacht, dumpf, hohl, ohne Höhe oder Tiefe, unbegrenzt, vollständig klang- und wesenlos. Es war ein Spectakel schattenhafter Geräusche, denen mit dem Inhalte auch das Leben fehlte.
Später senkte sich das Wasserbett tiefer, und das Ufer wurde breiter. Wir bekamen mehr Platz. Es gab sogar Büsche an Orten, welche keiner directen Sonnenstrahlen bedürfen. Wir athmeten eine dicke, stehende, feuchtmoderige Luft, welche die Lungen beschwerte. Das wurde erst besser, als die Felsen oben weiter auseinander traten und uns vom Ausgange des Thales oder vielmehr der Schlucht her ein frischer Odem entgegenwehte. Dann gab es plötzlich Raum genug für uns
alle und auch für unsere Pferde. Der „Sack“ war zu Ende.
Eigentlich war der Name „Dschib“ nicht zutreffend gewählt für die vorhandene Oertlichkeit. Sie glich weniger einem Sacke, als vielmehr einer lang- und dünnhalsigen, weitbauchigen Phiole oder einer jener Flaschen, in welche der Steinwein abgezogen wird. Der lange schmale Gang verbreiterte sich mit einem Male zu einem großen, halbkreisähnlichen Platze, auf dem wir ganz bequem lagern konnten. Und doch hatte der Ausdruck Sack, wenigstens im vergleichenden Sinne, auch seine Richtigkeit, weil der Weg von hier nicht weiter ging. Die Bodenlinie der Flasche wurde nämlich von einem tiefen Felsenrisse gebildet, dessen Ende wir nicht ersehen konnten. In diesen Riß mündete unser Wasserlauf. Es mußte bei gefülltem Bette Grauen erregen, die Wassermasse spurlos da unten in der Tiefe verschwinden zu sehen! Der jenseits des Risses liegende Theil des Berges war nicht steil gerichtet; er bildete vielmehr eine moosig grüne Böschung, auf welcher einzelne uralte Eichen und andere Laubhölzer standen. Das lockte hinüber; aber leider konnten wir nicht, weil der Felsenspalt uns von ihm trennte!
Es hatte eine Brücke hinübergeführt, deren Reste wir noch sahen: zwei Urwaldstämme, darüber Querstämme und dann Steine darauf. Die Steine waren verschwunden. Von den Querstämmen reichte nur noch einer von oben bis in den Felsenriß hernieder, wo er sich eingestemmt hatte, um zu verrathen, daß die Brücke nicht von der Natur, sondern durch Menschenhand zerstört worden sei. Die Dschamikun hatten Stämme und Steine in die Tiefe gestürzt, damit den Massaban die Flucht von hier aus abgeschnitten sei. Als der Anführer der Letzteren die Vernichtung sah, war er nicht etwa enttäuscht, sondern er rief ganz im Gegentheile sehr erfreut aus:
„Die Brücke ist eingestürzt! Welch ein Glück für uns! Wenn die Dschamikun morgen
kommen, können sie nicht hinüber und sind gezwungen, sich uns zu ergeben! Wir haben nun gar nicht nöthig, die Brücke zu besetzen, und können uns also alle daran betheiligen, die Feinde hier hereinzutreiben!“
Das gab eine allgemeine Freude, an welcher wir Beide uns freilich nicht betheiligten. Halef war nämlich mehr vom Pferd herabgefallen, als herabgestiegen. Ich nahm ihn in den Arm und führte ihn zu einer Stelle, welche ich zum Lagern für die beste am ganzen Platze hielt. Dort legte ich ihn nieder, holte seinen Sattel zum Kopfkissen und wickelte ihn in seine und in meine Decke ein, denn ich sah, daß der Frost ihn förmlich schüttelte. Die Zähne schlugen ihm zusammen. Er schien am Ende seiner Kräfte angekommen zu sein. Noch hatte ich ihn nicht ganz eingehüllt, so riß er die Decken wieder weg, richtete sich in sitzende Stellung auf und sagte, indem er mich mit weit aufgerissenen Augen angstvoll anstarrte:
„Sihdi, müssen wir hierbleiben?“
„Ja,“ nickte ich.
„Die ganze, ganze Nacht?“
„Ja.“
„Da sterbe ich! Ich fühle, daß ich es hier nicht aushalte, daß ich fort muß, daß es mein Leben kostet, wenn ich bleibe!“
„Zurück können wir unmöglich!“
„Aber vorwärts?“
„Die Brücke ist weg!“
„Wir haben die Pferde! Der Spalt ist schmal. Wir springen hinüber!“
„Halef!“ rief ich erschrocken. „Das würde Wahnsinn sein!“
Da preßte er die Lippen zusammen und ballte die Fäuste, als ob er alle seine Kräfte herbeizwinge. Es gelang ihm, die Schwäche noch einmal zu besiegen. Er stand ganz auf, ging hin an den Spalt, wo die Brücke gelegen hatte, und maß die Entfernung der gegenüberliegenden Kante mit scheinbar ruhigem Auge. Dann drehte er sich zu mir um und sprach:
„Sihdi, erhöre mich! Es ist vielleicht die
letzte, die allerletzte Bitte, die ich in diesem Leben zu Dir sage. Ich habe Dich belogen, denn ich wollte Dich nicht beängstigen. Meine Krankheit ist schlimmer, als Du denkst. Ich habe mit allen Kräften gegen sie gekämpft, ohne es Dir einzugestehen. Diese Kräfte sind alle; sie reichen nur noch zu dem letzten Sprunge dort hinüber. Dann breche ich zusammen, und Du sollst mich pflegen. Willst Du diesen Sprung mit mir wagen?“
„Halef, mein lieber, lieber Halef!“ antwortete ich kopfschüttelnd, nicht aus Angst vor dem Wagniß, sondern aus Herzenssorge um ihn.
„Laß mich nicht viele Worte machen, denn sie rauben mir die Kraft, die ich nöthiger brauche. durch den Gang können wir nicht zurück. Das erfordert zu viel Zeit, und die Massaban würden uns auch nicht lassen. Bleiben wir aber hier, so weiß ich, daß ich verloren bin. Allein aber kann ich unmöglich fort. Sihdi, mein Sihdi, hast Du mich noch lieb?“
„So lieb, wie noch nie, mein Halef!“
„So denk an den fürchterlichen Sprung damals, den Du auf Deinem herrlichen Rih über die „Spalte des Verräters“ ✽) thatest. Assil leistet im Springen ganz dasselbe wie sein Vater Rih, und dieser Riß hier ist ganz gewiß nicht so breit, wie jene Spalte war!“
Ich legte ihm beide Hände an die Wangen, küßte ihn auf den Mund und sah ihm dann in das Gesicht. Es hatte noch nie einen so liebevollen, aber auch noch niemals einen so entschlossenen Ausdruck gehabt. Es war wirklich sein Leben, um welches es sich handelte. Es mußte gerettet werden!
„Wirst Du denn fest im Sattel sitzen?“ fragte ich. „Nur noch zwei Minuten fest?“
„Ich schwöre es Dir bei Allah zu, Sihdi!“
„Gut, dann sei es gewagt! Bleib Du ruhig stehen. Ich werde die Vorbereitungen treffen.“ (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
51)
(Nachdr. verb.)
Die Massaban hatten damit zu thun, ihre Pferde zu versorgen und es sich dann möglichst bequem zu machen. Sie achteten in Folge dessen nicht besonders auf uns. Ich legte Barkh den Sattel wieder auf, schnallte die Decken an Ort und Stelle und untersuchte mit ganz besonderer Vorsicht die Lage und die Festigkeit der Bauchgurte. Während ich das that, sagte Halef:
„Sihdi, die Pferde können keinen weiten Anlauf nehmen. Sage ihnen also, um was es sich handelt! Sie werden Dich verstehen.“
Ich führte die Rappen also ganz hart an die Spalte, so daß sie mit den Köpfen gegen dieselbe standen.
„Natt, natt — springen, springen!“ sagte ich, indem ich sie streichelte.
Da hoben sie die Schwänze, ihre Ohren legten sich vor und ihre Nüstern weiteten sich, tief Athem holend. Sie wußten gar wohl, was das Wörtchen „natt“ zu bedeuten und was hierauf zu erfolgen hatte.
„Wer zuerst?“ fragte Halef.
„Du. Doch beachte, daß auf der Kante drüben der Felsen unter einer Schicht von Erde und faulem Holze liegt. Barkh wird abrutschen, wenn er nur mit den Vorderhufen faßt. Nimm die Peitsche in die Hand, um unglücklichen Falles nachzuhelfen, und schaue Dich ja nicht erschrocken um, wenn ich es für nöthig halte, den rettenden Schwung durch einen Schuß zu unterstützen!“
„Es wird das Alles gar nicht bedürfen. Du kommst gleich hinter mir?“
„Sobald ich sehe, daß Du drüben bist und mir Platz gemacht hast. Eher nicht.“
„Kann es losgehen? Jetzt?“
„Ja.“
„So sei Allah unsere Hilfe! Ich denke an Hanneh, der ich mein Herz gegeben habe, und an Kara Ben Halef, meinen Sohn, welcher der Stolz und die Hoffnung meines irdischen Lebens ist. Sihdi, wir bleiben beisammen, jenseits dieser Felsenspalte lebend, lebend hier oder lebend dort. Du warst und bist mein Freund; ich danke Dir! Schaff Platz! Nun solls beginnen!“
Im Hintergrunde unseres Lagerplatzes war es vollständig Nacht. Vorn gab es noch einen letzten, langsam ersterbenden Dämmerungshauch. Ueber dem Felsenriffe aber stand der offene Himmel, und da reichte die Helle grad noch zu, den jenseitigen Bord des Abgrundes deutlich zu erkennen, aus welchem uns das „Sterben“ entgegen gähnte, denn „Tod“ gibt es ja doch nicht! Sollte uns da unten in der schauerlichen Spalte vielleicht Halefs Frage: „Sihdi, wie denkst Du über das Sterben?“ beantwortet werden?
Er griff nach seinem Gewehre, um es sich am Riemen über den Rücken zu hängen; da aber nahm ich es ihm weg und sagte:
„Halt! Du sollst nicht beengt sein. Ich werde es mit zu den meinigen nehmen.“
„Aber Du hast ja schon zwei!“ warf er ein.
„Thut nichts. Ich bin nicht so krank wie Du, und mein Assil Ben Rih springt besser als Dein Barkh. Ich habe Dich also zu entlasten.“
Er wollte es trotzdem nicht zugeben; ich
schnitt aber alle weiteren Einwendungen dadurch ab, daß ich unsere beiden Pferde an den Zügeln nahm und sie um des Anlaufs willen so weit wie möglich in die Schlucht zurückführte. Als dies Nafar Ben Schuri sah, fragte er:
„Warum verlaßt ihr Eure gute Stelle? Wollt Ihr da hinten schlafen, wo die Luft so schlecht und so schwer zu athmen ist?“
„Nein,“ antwortete ich; „sondern wir wollen Euch zeigen, wie Ihr es machen müßt, wenn Ihr morgen die Dschamikun fangen wollt.“
„Uns das zeigen? In welcher Weise?“
„Wir reiten über die Spalte.“
„Unmöglich! So einen Sprung bringt kein Pferd fertig. Wer ihn wagte, der wäre unbedingt wahnsinnig. Er würde nicht nur Allah versuchen, sondern in den sicheren Tod stürzen!“
„Wir verlassen uns allerdings auf Allahs Schutz; aber wahnsinnig sind wir nicht. Was Euch mit Euern Pferden verderblich sein würde, das dürfen wir den unseren wohl zutrauen. Macht Platz, und Keiner stelle sich etwa in den Weg oder mache sonst eine Bewegung, uns zu hindern. Wir würden ihn niederreiten!“
„Aber, Sihdi, ich sage Dir, daß ihr unbedingt da hinunter in den Riß — — —“
„Schweig!“ unterbrach ich ihn hart. „Du hast uns gar nichts zu sagen!“
Ich hatte die Absicht, ihn durch diesen meinen strengen Ton derart zu verblüffen, daß er jeden Schritt und jeden Griff nach uns unterließ. Und das gelang. Hatten wir einmal zum Sprunge angesetzt, so konnte jede Störung uns das Leben kosten. Als kluger Mann hätte er sich nach dem eigentlichen Grunde dieses unseres Wagnisses fragen müssen und da wäre
er gewiß auf die einzige richtige Antwort gekommen, daß wir uns von ihm und seinen Leuten trennen wollten; aber dieses Vorhaben erschien ihm so ungeheuerlich, daß der Schreck darüber ihn zu gar keiner Ueberlegung kommen ließ.
„Denkt Euch, ihr Männer,“ schrie er seinen Massaban zu, „unsere Gäste wollen über den Spalt springen! Das nenne ich eine Verwegenheit, die ganz unglaublich ist!“
Sie antworteten in ihrer wirren, lärmenden Weise. Wir achteten nicht darauf. Halef hatte Barkh bestiegen. Die Peitsche in der Hand, sah er mich mit zuversichtlichem Lächeln an und sagte:
„Ich bin bereit. Mein Rappe muß es verzeihen, wenn er in diesem seltenen Falle einmal einen Schlag von mir bekommt. Es kann dadurch ihm und mir das Leben gerettet werden. Soll ich jetzt?“
„Ich will erst vollständig freie Bahn machen und bitte Dich noch einmal, ja nicht zu erschrecken oder Dich umzusehen, wenn ich etwa schieße!“
Der ganze Vorgang spielte sich natürlich viel schneller ab, als ich ihn erzählen kann. Ich warf nochmals einen forschenden Blick auf Halef. Seine Haltung war fest und gut und sein Gesicht hatte den Ausdruck eines solchen Selbstvertrauens, als ob an ein Mißlingen des Sprunges gar nicht zu denken sei. Nun warf ich mir zwei Gewehre über den Rücken, machte das dritte schußfertig, schwang mich in den Sattel und ließ Assil derart nach der Spalte courbettiren, daß die wenigen Massaban, welche noch im Wege standen, zurückweichen mußten.
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
52)
(Nachdr. verb.)
„Ileri — vorwärts!“ rief ich nun Halef zu.
„Bi aun illah — mit Gottes Hülfe! Jatib, jatib, ia Barkh — spring, spring, o Barkh!“
Indem er diese Worte ausrief, trieb er sein Pferd an, welches nun wohl wußte, um was es sich handelte. Es flog, nein, es schoß in der Weise vorwärts, daß mein Ohr die einzelnen Hufschläge nicht von einander unterscheiden konnte. Es gab in mir ein Gefühl, welches ich noch nie empfunden hatte und welches mich wahrscheinlich auch jetzt nicht ergriffen hätte, wenn der Hadschi nicht so krank und matt gewesen wäre. Mein ganzes Wesen schien ein einziger, großer, lauter Hilferuf zu sein.
Da setzte Barkh hüben an — — jeder seiner Muskeln war federnde Energie — — jetzt schwebte er über dem Abgrunde — — nun faßte er drüben Boden — — mit allen Vieren — — schon war es mir, als müsse ich vor Freude jauchzen — — — da gab die jenseitige Kante unter seinen Hinterhufen nach — — sie rutschten ab — — — Halef erkannte die fürchterliche Gefahr — — — er hieb mit der Peitsche hinter sich nach der Weiche des Hengstes — — — dieser wollte empor, brachte es aber nur zu einem vergeblichen Kratzen des nun von der trügerischen Humusschicht befreiten, glatten Felsenrandes — — — sie mußten, mußten, mußten abstürzen, beide Reiter und Pferd, wenn nicht mein Schuß noch Rettung gab! — — — Ich drückte ab. Der Krach wurde mit verzehntfachter Stärke von
den Felsen zurückgeworfen und schien von hundert Echos wiederholt zu werden — — — es war, als ob dieser gewaltige Knall die mechanische Kraft besitze, die Hinterhand des Pferdes empor zu heben — — — oder war es die bewundernswerthe Geistesgegenwart Halefs? — — — Er zog die Beine empor, legte beide Hände auf die Schulter des Rappen und schleuderte sich seitwärts am Kopfe desselben vorüber nach vorn, wodurch er glücklich den festen Boden erreichte — — — das dadurch entlastete und durch den Schuß zur Anspannung aller Nerven getriebene Thier gewann die felsige Kante, that einige krampfhafte Sätze vorwärts und blieb dann, am ganzen Leibe zitternd, zwischen den Bäumen stehen. Halef folgte ihm wankend — — — drehte sich um — — — erhob den Arm, um mir zu winken — — — brach da aber in einer Weise zusammen, als ob ein Schlag ihn zu Boden geworfen habe.
Ich glaube nicht, daß ich jemals im Leben so tief, so unendlich tief und erleichtert aufgeathmet habe, wie in jenem Augenblicke! Die Massaban hatten, wie vom Schreck gelähmt, vollständig still und unbeweglich gestanden; nun aber machten sie ihren Gefühlen durch ein Geschrei Luft, welches in Folge des Echos gar nicht aus menschlichen Kehlen zu kommen schien. Sie sprangen hin und her, schlugen mit den Armen in die Luft und geberdeten sich so, als ob sie toll geworden seien.
„Ruhe! Macht Platz!“ brüllte ich sie an, denn nur durch diese allerstärkste Art des Tones konnte ich mich ihnen hörbar machen.
„Bleib doch, bleib!“ schrie Nafar Ben Schuri. „Hast Du denn nicht den sichersten,
schauerlichsten Tod vor Deinen Augen gesehen?!“
„Hast Du denn nicht gesehen, daß dieser Tod gar nicht so sicher ist, wie Du sagst?“ antwortete ich. „Gebt Raum! Nehmt Euch in Acht!“
Indem ich mein Pferd mitten unter sie hineintrieb, zwang ich die Horte [Horde], die Bahn wieder frei zu geben. Dann streichelte ich den schönen, warmen Hals des Rappen und bat ihn in ruhigem Tone:
„Jatib, ia Assili, jatib — spring, o mein Assil, spring!“
Er wußte seinen Freund Barkh drüben, und er verstand diese meine Worte. Da bedurfte er gar keines Antriebes. Ich hörte, daß er die Brust voll Athem nahm und hob mich in den Bügeln. Das gab ihm freie Spannung. Er that die wenigen Sammelsprünge in wunderbarer und nervenruhiger Sicherheit, kam ganz genau am Rande des Abgrundes zum Ansatze und ging leicht wie ein Gedanke über die Spalte hinüber. Noch vier, fünf Schritte, dann blieb er, ohne daß ich ihn anzuhalten brauchte, genau neben Barkh stehen.
Dies war mit so verblüffender Leichtigkeit vor sich gegangen, daß die Massaban da drüben dieses Mal ganz still blieben. Ich sprang ab, warf die Gewehre weg und zog mit beiden Händen den Kopf des herrlichen Thieres an meine Brust. Assil hatte es verdient, daß ich vor allen Dingen erst ihm einige dankbare Schmeichelworte sagte; dann aber mußte ich nach Halef sehen.
Er lag am Boden und regte sich nicht. Tot war er natürlich nicht, sondern nur besinnungslos -
besinnungslos und zwar nicht etwa vor Schreck oder Angst, sondern in Folge der Ueberanstrengung aller seiner körperlichen und geistigen Kräfte. Der längst von mir befürchtete Augenblick des endlichen Zusammenbrechens hatte sich nun eingestellt!
Was war zu thun? Da — — — horch! War das nicht eine halblaute Stimme, welche mich rief?
„Sihdi — — — Sihdi!“
Das klang hinter einem der starkstämmigen Bäume hervor.
„Wer ruft?“ fragte ich.
„Ich! Der Scheik der Dschamikun.“
„Peder?“
„Ja. Ich darf nicht hinter dem Baume hervor, weil mich die Massaban da drüben trotz der Dämmerung doch vielleicht sehen würden. Komm her zu mir!“
Ich ging hin. Ja, da stand er, noch als Fakir, wie wir ihn vorher gesehen hatten.
„Wirklich Du!“ sagte ich. „Wie ist es möglich, daß Du schon hier sein kannst. Wir sind so schnell geritten, und zwar, wie es scheint, den allerkürzesten Weg!“
„Wir aber noch schneller, und zwar auf einem Wege, welcher auch nicht länger als der Eure ist. Ich wollte vor Euch hier sein, um wo möglich noch heut Abend die Falle schließen zu können. Ich habe sowohl hier, als auch am Eingange des Daraeh-y-Dschib meine Wachen stehen, welche mir alles melden, was geschieht. Sie sahen Euch kommen und haben hinter Euch das Thal so gut besetzt, daß die Massaban nur dann wieder heraus können, wenn wir es ihnen erlauben.“
(Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
53)
(Nachdr. verb.)
„So muß ich Dir vor allen Dingen sagen, daß noch während dieser Nacht auch noch der Nachtrab ankommen wird.“
„Das ist mir wichtig. Ich danke Dir und werde meine Vorkehrungen darauf treffen. Ich postirte mich hierher, um die Enttäuschung der Massaban zu beobachten, so bald sie sähen, daß die Brücke nicht mehr vorhanden sei. Ich hatte vergessen, Dir zu sagen, daß wir sie zerstört haben. Es war anzunehmen, daß Du mit dem Scheik der Haddedihn bis morgen früh bei ihnen hier im Thale bleiben und Dich dann in unauffälliger Weise von ihnen trennen würdest, um zu kommen. Ihr habt das aber schon heut und zwar derart gethan, daß meiner Bewunderung die Worte fehlen. Sihdi, habt Ihr denn nicht an den Tod gedacht?“
„O doch! Grad weil wir das thaten, wurde der Sprung unternommen. Es galt, Halef zu retten. Er konnte es unmöglich da drüben bis morgen früh aushalten. Das Wagniß mußte unternommen werden.“
„Es war mehr, viel mehr als blos das, was man Wagniß nennt! Ich fühle mich bis jetzt so sehr beschämt, daß ich mit der berühmten Stute des Ustad von Dir auf Deinem Rappen eingeholt worden bin; nun ich aber hier gesehen habe, was Ihr Euch und Euren Pferden zuzumuthen versteht, sehe ich ein, daß es keine Schande ist, von euch übertroffen worden zu sein. Es war auch für mich ein schrecklicher
Augenblick, Hadschi Halef an der Kante über dem Abgrunde hängen zu sehen. Sein kühner Schwung und Dein Schuß haben ihn gerettet. Als ich dann sah, daß Du bereit warst, ihm zu folgen, bebte mir das Herz. Der Araber war auf dem Araber nicht glatt angelangt; so gab es also für den Europäer noch weniger Hoffnung, auf einem nichtfränkischen Pferde diesen entsetzlichen Sprung mit Glück zu thun. Wie gern hätte ich Dir zugerufen, dies zu unterlassen; aber es war mir ja verboten, meine Gegenwart zu verrathen! Da kamst Du angesaust, so leicht, so glatt, so unbeschreiblich sicher! Du saßest nicht; Du standest hoch im Bügel. Noch nie war das von mir gesehen worden! Das war so ungewohnt, so fremd, so über mir, und doch kam augenblicklich die Gewißheit über mich, daß für Dich nichts zu fürchten sei. Dein Rappen ging in kühnem, festem Bogen in die Luft. Es war nur ein Moment, aber doch so hell, so deutlich, was ich sah: Du warst es zwar, doch wars auch ein Gesicht, ein Blick ins ferne Land, das wir die Zukunft nennen: Du warst das Abendland, auf fehlerfreiem, morgenländischem Pferde! Der Abgrund zwischen hier und dort, er schwand; dein Assil trug das Christenthum mir zu. Die finstre Schlucht dort ist verschwundenes Land. Ich heiße Dich, den Westen, hoch willkommen! Krank liegt der Osten hier zu unsern Füßen, in tiefer Ohnmacht, ganz wie Halefs Körper. Doch Du und ich, wir werden ihn erwecken, und unsere Liebe soll ihm Rettung sein!“
Er zog mich an sich und küßte mich. Ich erwiederte diesen Kuß so gern, so gern, obwohl
er noch als Fakir gekleidet und darum in diesem Augenblicke nicht etwa ein Ideal körperlicher Sauberkeit war. Dann fuhr er fort:
„Das war das Gesicht, welches über mich kam, für einen einzigen, noch weniger als kurzen Augenblick; aber dieses Schauen in die Ferne der zukünftigen Zeit wird von seiner Deutlichkeit nichts verlieren, denn was die Seele unserm Auge zeigt, das darf von dem Geiste nicht vergessen werden! — — Nun erlaube mir, für Hadschi Halef zu sorgen. Ich gehe fort, um Befehle zu ertheilen, werde aber schnell zurückkehren.“
Er entfernte sich. Welch ein sonderbarer Empfang von Seiten dieses Mannes! Es war ein ganz eigenthümlicher Eindruck, den er mit seinen Worten auf mich machte. Dazu die nun hereingebrochene Nacht. Ueber mir die hochragenden Bäume, durch welche ein schweres, ernstes Rauschen ging. Vor mir ein vollständig unbekanntes Terrain, mit Menschen, die mir fremd und dennoch Freunde waren. Hinter mir die durch unsere Entschlossenheit besiegte Tiefe, über welche die rufenden Stimmen der Massaban hinüberklangen. Sie wollten Antwort von mir haben; ich gab sie ihnen nicht. Mit diesen Leuten wollte ich nichts mehr zu thun haben. Ich war entschlossen, wenn möglich, Keinen von ihnen jemals wiederzusehen. Ich nahm an, daß wir uns mit ihnen gar nicht mehr zu beschäftigen brauchten, die Dschamikun hatten jedenfalls Leute genug, mit ihnen fertig zu werden.
Halef lag noch genau so da, wie er niedergefallen war. Dem Athem fehlte die Stärke,
die Brust zu bewegen, und den Puls konnte ich kaum fühlen. Ich rief seinen Namen, sogar ganz nahe bei dem Ohre; es machte keinen Eindruck auf ihn. Seine Hände, seine Arme, seine Glieder waren vollständig schlapp. Es lag vor mir ein Körper, der weder Kraft, noch Willen und kaum noch Leben hatte. Das war der hochenergische, strotzende und sprühende Hadschi Halef, der sich so gern „den größten Helden des Morgenlandes“ nannte. Als ich ihn so vor mir liegen sah, oder vielmehr, ihn unter meinen Händen fühlte, vergaß ich natürlich ganz, auch an mich selbst zu denken. Dennoch bemerkte ich, daß mir, wenn ich mich bückte, der Kopf schwer nach vorn fallen wollte. Es war, als ob in meinem Gehirn eine reibende und darum schmerzende Bewegung vorhanden sei. Die Augenlider wollten nicht geöffnet bleiben. Es ging durch mich, wohl ebenso geistig wie auch leiblich, eine Empfindung, welche nur in die Worte ausgedrückt werden kann: Du hast Dich gesträubt, so lange du mußtest; jetzt aber sind alle Gefahren vorbei; nun bist du mein!
Da kam Peder wieder. Er hatte mehrere seiner Leute bei sich. Ich hatte mich neben Halef niedergesetzt und stand auf. Das wurde mir schwer, so schwer, daß ich mich mit den Händen stützen mußte. Einige von den Dschamikun nahmen den Hadschi auf und trugen ihn fort. Andere ergriffen die Zügel unserer Pferde, um sie zu führen. Der Scheik faßte meine Hand und sagte:
„Der Ustad läßt Euch bitten, bei ihm zu wohnen. Ich habe ihm einen Boten gesandt; er weiß, daß Ihr kommt.“ (Fortsetzung folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
54)
(Nachdr. verb.)
„Ist es weit?“ fragte ich.
Fiel ihm nur diese meine Frage oder auch der matte Ton auf, in dem ich sie ausgesprochen hatte? Er erkundigte sich:
„Bist Du etwa auch krank?“
„Ganz plötzlich müd, sehr müd!“
„Hast Du Flecken am Körper?“
„Ja, auf der Brust.“
„Allah jesellimak — Gott erhalte Dich! In diesem Zustande habt Ihr einen solchen Todessprung gewagt! Ganz unbegreiflich, ja eigentlich eine Menschenunmöglichkeit!“
Ich versuchte, zu scherzen!
„Du hast vorhin in mir das Abendland gesehen. Verzeihe mir, daß es so krank zu Euch gekommen ist!“
Da drückte er mir die Hand, an welcher er mich führte, fester und antwortete:
„Ich kenne Euer Leiden. Es geht so gern auf die gesunden Andern über. Doch tragt Ihr es uns ja nicht heimlich zu und gebt die Schwäche nicht für Stärke aus. Wer uns nicht täuscht, der täuscht sich nicht in uns. Komm, lieber Mann, ich will Dir Bruder sein!“
Es war unter den Bäumen so dunkel, daß ich die Hand vor den Augen nicht sehen konnte. Der Peder hielt mich fest. Er kannte das Terrain -
Terrain genau und machte mich auf jede Eigenthümlichkeit desselben aufmerksam. Dennoch wurde mir das Gehen schwerer, als die Umstände es eigentlich begründeten. Ich stolperte und schwankte oft. Da schlang er, um mich zu stützen, stets und schnell den Arm um mich. Am liebsten wäre ich in diesem starken, liebevoll besorgten Arme liegen geblieben, um mich von ihm weitertragen zu lassen!
Wie lange wir so, oft auf-, oft abwärts gingen, weiß ich nicht. Das Gefühl für die Bestimmung der Zeit war mir vollständig abhanden gekommen. Dann war der Wald zu Ende. Die Sterne standen über uns, und unsere Füße schritten über ebenen Boden und auf weichem Grase. Wir hatten bei der Entfernung von der Felsenspalte den Schluß gemacht, waren also die Letzten und beide allein. Von dem Hadschi und den Pferden sah ich nichts. Als ich nach ihnen fragte, bekam ich die Antwort:
„Habe keine Sorge! Du wirst Deinen Freund beim Ustad finden, Eure Pferde auch und ebenso die Gewehre.“
Die Gewehre! Da kam noch nachträglich der Schreck über mich. Ich hatte sie vergessen, vollständig vergessen, gar nicht an sie gedacht, als ich vom Peder fortgeführt worden war. Erst jetzt fiel mir ein, daß ich sie, als ich nach dem Sprunge aus dem Sattel stieg, neben mich hingeworfen hatte. Diese im andern Falle
ganz unmögliche Vergeßlichkeit brachte mich zu der Ueberzeugung, daß die Krankheit auch bei mir viel weiter vorgeschritten sei, als ich gedacht hatte.
Kaum hatte ich diesem Gedanken Raum gegeben, so begann er, mich zu beherrschen. Ich mußte stehen bleiben. Meine Beine zitterten, die Füße versagten mir den Dienst.
„Was ist mit Dir?“ fragte der Peder, „Fällt Dir das Gehen schwer?“
„Nicht schwer, nicht leicht; es gibt eben kein Gehen mehr. Erlaube, daß ich mich für einige Augenblicke setze!“
Er umfaßte mich, um mich langsam niederzulassen. Ja, sitzen! Das war nicht möglich; ich mußte sofort liegen; es fehlte mir die Kraft, den Oberkörper aufrecht zu halten. Da sanken auch die Lider herab und waren nicht wieder in die Höhe zu bringen. Was nun mit mir geschah, das weiß ich nicht. Ich war wie ganz im festem Schlafe, zuweilen auch wie nur im Traume. Ich hörte zuweilen die gütige, besorgte Stimme des Peder. Er sprach zu mir; er sprach auch zu Andern, doch klang es wie aus weiter, weiter Ferne. Ich fühlte mich gehoben und getragen. Ich war so leicht; ich hatte keinen Körper. Ich bestand aus nichts als nur aus froher Zuversicht und glücklichem Vertrauen, und diese gänzliche Hingebung lag wie auf Engelsflügeln ausgebreitet.
Dann war es mir, als schwebe ich durch tausend, tausend selige Ewigkeiten, unendlich lang und doch so kurz, so kurz! Was für Töne erklangen da? Waren das die Harfen verklärter Geister? Oder war es der Psalter des alttestamentischen Sängers, der da spricht:
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt!“
Und da legte sich eine Hand auf meine Stirn. Es war, als ob von ihr aus eine gütig reine, immaterielle Kraft durch mein ganzes Wesen gehe. Und eine tiefe, wohllautende Stimme sprach die letzten Worte ganz desselben Psalms:
„Der Herr behüte Deinen Eingang und Deinen Ausgang von nun an bis in Ewigkeit. Amen!“
Die Stimme schwieg. Leise Schritte entfernten sich. Tiefe, fromme Stille herrschte in mir und auch rund umher. Aber ich hatte die Empfindung, daß ich nicht allein und verlassen sei. Es umwehte mich ein feiner, gottesdienstlicher Duft, wie von Weihrauch und Myrrhen. Da erklangen hoch über mir zwei Glöcklein. Sonderbar, daß ihr schönes Harmonieverhältniß mir sofort in die Ohren trat! Die eine, tiefere, war in die untere Dursexte der oberen gestimmt.
(Schluß folgt.)
Am Tode.
Reiseerzählung von Karl May.
55)
(Nachdr. verb.)
(Schluß.)
Es war gewiß ganz eigenthümlich, daß mir trotz meines Zustandes die Frage kam, warum in diesem Grundaccorde doch die Quinte fehle! Nun wieder tiefe Stille. Dann hörte ich in kurdischer Sprache ein vierstimmiges, feierliches Lied erklingen, dessen erste Strophe deutsch zu lauten hätte:
„Herr, ich trete
Im Gebete
Vor Dein heilig Angesicht.
Laß Dir sagen
Meine Klagen;
Höre, was mein Flehen spricht!“
Es waren nicht Orgel-, sondern Harfentöne, welche dieses Lied begleiteten. Gab es hier eine Kirche? War ich überhaupt auf der Erde? Träumte oder wachte ich? Ich hatte keine Macht über meine Augen. Besaß ich überhaupt jetzt welche? War ich überhaupt nur Geist, nur Seele? Wo war mein Körper geblieben? Ich fühlte ihn nicht!
Da gab es neben mir ein leises, leises Rauschen wie von einem feinen, sich bewegenden Gewande. Zwei warme, weiche Frauenhände ergriffen meine Hand, und eine innig sprechende Altstimme betete:
„Herr, es treten
Um zu beten
Zu Dir Alle, die Du liebst.
Laß den Glauben
Uns nicht rauben,
Daß Du nichts als Leben gibst!“
Meine Hand wurde lange festgehalten. Das merkte ich, obgleich ich den Sinn für Zeit und Raum kaum noch zu besitzen schien. Dann gab es eine Berührung, als ob zwei Lippen sich auf diese meine Hand legten. Ich wollte sie zurückziehen, ohne daß ich diese Bewegung ausführen konnte. Wer war es, der, vor mir knieend, um mein Leben gebetet hatte? Ich wünschte so dringend, dies zu erfahren, doch gelang es mir nicht, ein Wort der Frage auszusprechen. Aber ich fühlte, daß meine Augen sich öffneten; das war so eigenartig, so ganz, als ob es nicht meine leiblichen, sondern die seelischen seien. Da sah ich in ein liebes, ernstes, reines Frauenangesicht. Es war von einer so frommen, edlen Schönheit, wie man Heilige abzubilden pflegt. Die Augen waren dunkel und trotzdem doch so hell, so licht, so klar. Es ging von ihnen eine Wärme aus, welche auf mich überfloß. Mir war, als ob ich dieses Antlitz schon einmal gesehen habe, nicht gleichgültig und vorübergehend, sondern sorgsam und mit derselben Herzenswärme, welche ich jetzt zurückempfing. Nun breitete sich ein frohes Lächeln über die so kinderholden und doch so frauenhaft sinnigen Züge, und die Lippen, welche vorhin meine Hand berührt hatten, fragten mich:
„Erkennst Du mich, Sihdi? Ich bin Schakara, welche Du vom Tode errettet hast.“
Ich wollte antworten, konnte aber nicht. Ich hörte nichts, als ein unverständliches Flüstern, welches aus meinem Munde kam. Da fuhr sie fort:
„Ich bin das Mädchen, welches damals in Omadijah [Amadijah] die Oelim kires ✽) gegessen hatte. Deine Hand brachte mir das schon fast entflohene Leben zurück. ✽✽) Kannst Du Dich erinnern?“
Ich bewegte meine Augenlider, um ihr anzudeuten, daß ich sie verstanden habe. Zu sprechen war mir nicht möglich. Da legte sie ihre Rechte auf meine Stirn und sagte:
„Die Krankheit hat Dir das Reden verboten. Aber sei getrost! Chodeh ist die Barmherzigkeit. Er wird uns nicht das schreckliche Leid anthun, Dich bei uns sterben zu lassen. Der Ustad hat für Euch gebetet, und die Güte des Himmels wird ihn ganz gewiß erhören. Schau, da kommt er. Siehst Du ihn?“
Sie fragte mich so, weil mir jetzt die Augen zugefallen waren; ich konnte sie nicht wieder öffnen. Doch hörte ich Schritte, welche sich näherten.
„Kam er noch nicht zu sich?“ wurde Schakara gefragt.
„Er öffnete die Augen und sah mich an,“ antwortete sie. „Sprechen konnte er nicht.“
„Hat er Dich erkannt?“
„Ich glaube es.“
„So liegt er nun wieder in der vorigen Bewußtlosigkeit. Ihn werden wir wohl retten. Von seinem Gefährten dort aber kann ich das leider nicht auch sagen. Er steht bereits sehr nahe am Tode.“
Da hörte ich Halefs Stimme laut und zornig erklingen:
„Am Tode? Sein Gefährte? Also ich? Ihr glaubtet wohl, ich schlafe? Ich bin soeben aufgewacht und habe Euch gehört. Ich stehe nicht am Tode! Nein, nein, nein! Ich bin Hadschi Halef Omar, der Haddedihn vom Stamme der Schammar. Mich kennt man überall; einen Tod aber gibt es nicht! Darum ist das, was Ihr sagt, ganz unmöglich. Ich befinde mich nicht am Tode — — — am Tode — — — nicht, nicht — — — am — — — — — Tode!“
— — — — — — — — — — — — — —
Ich hörte diese Worte meines Hadschi, wußte aber nicht, wo er lag. Es war, als ob irgend eine Frage nach ihm sich in mir emporringen wolle; sie trat aber weder in das Bewußtsein noch in den Willen, denn ich hatte die Empfindung, als ob ich jetzt emporgehoben und weit, weit fortgetragen werde, und wie in unendlicher Ferne hörte ich die Worte verklingen:
„Am Tode — — — am Tode!“