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Reiseerlebnis auf der Karawanenstraße nach Mekka von Dr. Karl May.

1. In Basra.

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Jeder Leser des „Deutschen Hausschatzes“ kennt meinen wackern, kleinen Diener Hadschi Halef Omar, den treuesten und opferwilligsten Untergebenen, den ich jemals gehabt habe. Obgleich ich sein „Herr und Gebieter“ war, nannte er sich andern gegenüber doch stets meinen „Freund und Beschützer“, und ich habe dies dem gespaßigen Hadschi nie verwiesen, denn ich sah über seine kleinen Schwächen wegen seiner sonstigen Eigenschaften gern hinweg. Nach unserer ersten Trennung schrieb er mir, wie aus dem 14. Jahrgange des genannten lieben Blattes bekannt ist, einen Brief, den ich für diejenigen Leser, welche ihn noch nicht kennen und weil er ebensowohl ein Muster orientalischer Schreibweise als auch ein Charakterbild Hadschi Halef Omars bietet, hiermit wiedergebe, natürlich in das Deutsche übersetzt:

„Mein lieber Sihdi 1).

Gnade und Gruß Gottes! Wir sind angekommen, ich und Omar. Freude und Glück überall! Geld! Panzer! Ruhm, Ehre, Wonne! Kara ben Nemsi Emir 2) sei Segen, Liebe, Andenken, Gebet! Hanneh 3), die Liebenswürdige, die Tochter Amschas, der Tochter Maleks, des Ateïbeh, ist gesund, schön und entzückend. Kara Ben Hadschi Halef, mein Sohn 4), ist ein Held. Vierzig getrocknete Datteln verschlingt er in einem Atem, o Gott, o Himmel! Omar Ben Sadek 5) wird heiraten Sahama, die Tochter von Hadschi Schukar esch Schamain Ben Mudal Hakuram Ibn Saduk Wesilegh esch Schammar, ein reiches und schönes Mädchen. Allah schenke Dir sehr gutes Wetter und schöne Witterung! Rih, der Hengst 6), grüßt sehr ergebenst und höflich. Omar Ben Sadek hat ein gutes Zelt und eine liebenswürdige Schwiegermutter. Heirate auch bald! Allah beschütze Dich! Sei stets zufrieden, und murre nicht! Ich liebe Dich! Vergiß das Siegel; ich habe weder ein Petschaft noch Siegellack! Sei immer tugendhaft, und meide die Sünde und das Verbrechen! Komme im Frühjahre! -

1) Herr.  2) Meint er mich.  3) Seine junge Frau.  4) War damals sechs Monate alt.  5) Einer unserer Begleiter.  6) Der Rappe, den ich ihm bei unserm Scheiden geschenkt hatte.

Frühjahre! Sei immer mäßig, bescheiden, zuvorkommend, und fliehe die Betrunkenheit.

Voller Hochachtung, Ehrerbietung, Demut und Anbetung Dein ehrlicher und treuer Freund, Beschützer und Familienvater

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas
Ihm [Ibn] Hadschi Dawud al Gossarah.“

Er forderte mich also in diesem sonderbar stilisierten Schreibebriefe auf, die Sünde, das Verbrechen und auch die Betrunkenheit zu meiden, obgleich er nicht den mindesten Grund dazu hatte. Dies war aber so seine Weise, und ich mußte beim Lesen seiner Zeilen herzlich lachen. Der Einladung, im Frühjahre zu ihm zu kommen, konnte ich erst zwei Jahre später folgen, als ich mich wieder am obern Tigris befand. Von dem, was ich da mit dem Hadschi erlebt habe, ist einiges im Marienkalender für 1892 und 1893 zu lesen. Hier mag die Schilderung eines dritten Ereignisses folgen, welches in Basra begann und in der arabischen Wüste endete, wohin ich gar nicht hatte gehen wollen.

Meine Absicht war vielmehr gewesen, von Basra aus per Schiff nach Abuschehr in Persien zu fahren und von dort aus Schiras, das berühmte, zu besuchen. Basra oder Bassora liegt in einer heißen, sumpfigen und also höchst ungesunden Gegend an der Vereinigung des Euphrat und Tigris, welche Schatt es Arab genannt wird. Darum wollten wir, um unsere Gesundheit nicht zu gefährden, uns nicht lange hier aufhalten. Ich sage „wir“ und meine dabei mich, Hadschi Halef Omar, Omar Ben Sadek und zwei Haddedihnaraber, welche mich vom letzten Weideplatze der Haddedihn auf einem Kellek den Tigris herab nach Bagdad gebracht hatten. Dies war aus Anhänglichkeit geschehen, und in Bagdad hatten sie mir Lebewohl sagen und zurückkehren wollen. Aber Halef und Omar, meine früheren Gefährten in so manchen Gefahren, hatten sich nur schwer von mir trennen können und mich gebeten, noch bis Basra mitfahren zu dürfen. Ich hatte eigentlich nicht ja sagen wollen, aber endlich doch eingewilligt, weil sie gar so gute Worte gegeben hatten.

Es war dabei von ihnen ein Vorwand benutzt worden, gegen welchen ich nichts sagen konnte. Die Haddedihn, welche vortreffliche Kameelzüchter sind, hatten nämlich mehrere große Kelleks 1) mit Kameelwolle nach Basra gesandt, wo es Händler gibt, welche dieses Produkt gern kaufen und auf Bagla nach Indien und sogar weiter senden. Der Befehl über diese Kelleks war dem zwar jungen aber trotzdem in solchen Handelssachen erfahrenen Mesud Ben Hadschi Schukar übergeben worden. Ben heißt Sohn; Mesud war also der Sohn von Hadschi Schukar, und da, wie Halef in seinem Brief sagt, Omar Ben Sadek eine Tochter dieses Hadschi Schukar geheiratet hatte, so war er der Schwager dieses Mesud Ben Hadschi Schukar. Dies muß ich erwähnen, wenn das Spätere richtig verstanden werden soll.

Mesud war also mit seinen Flössen und den ihn begleitenden Haddedihn nach Basra, und dies gab Halef und Omar den Vorwand, mich vollends dorthin zu begleiten, um ihn aufzusuchen und mit ihm zurückzukehren. Ich konnte nichts dagegen haben.

Als wir in Basra ankamen, suchten wir nach Mesud und fanden ihn ohne große Mühe, da die früher so bedeutende Stadt jetzt kaum noch zehntausend Einwohner hat und Menschen also nicht leicht in der Menge verschwinden können. Er hatte die Kameelshaare an den Mann gebracht, einen guten Preis erzielt und sollte das Geld morgen ausbezahlt bekommen.

Ich ging nach dem im Norden der Stadt liegenden Hafenbassin, um mich nach einem abwärts segelnden Schiffe umzusehen, erfuhr aber zu meinem Bedauern, daß ich noch mehrere Tage warten müsse. Was während dieser Zeit anfangen? Ein im Oriente Unbekannter hätte sich wohl für diese kurze Zeit mit Basra beschäftigen können, mir aber

1) Flösse aus aufgeblasenen Ziegenhäuten.

konnte Basra gar nichts bieten. Da war es mir denn sehr lieb, daß die Haddedihn die Absicht hatten, nach Kubbet el Islam zu reiten, um den Manen Ibn Risaa’s ihre Verehrung darzubringen. Kubbet el Islam, zu deutsch Kuppel des Islam, ist nämlich der Name für Alt-Basra, welches ungefähr fünfzehn Kilometer südwestlich von Neu-Basra liegt und bis in das vierzehnte Jahrhundert zu den vier Paradiesen der Moslemim gerechnet wurde. Es spielt nächst Bagdad die bedeutendste Rolle in den Märchen von tausend und einer Nacht, und hier war es, wo im vierten Jahrhundert der berühmte Ibn Risaa eine der ersten muhammedanischen Gelehrtenakademien gründete. Daher unterläßt es selten ein „wahrer Gläubiger“, der sich in Neu-Basra befindet, einen Ausflug nach Kubbet el Islam zu machen, was zwar nicht erforderlich ist, aber doch als verdienstlich gilt.

Um die Zeit zu verbringen, wollte ich diesen Ritt mitmachen, und er sollte morgen vorgenommen werden, wenn Mesud das Geschäftliche vollends besorgt haben würde. Da wir auf dem Kellek gekommen waren, hatten wir natürlich keine Pferde mit, doch waren zu jeder Zeit Mietesel genug zu bekommen, unter denen sich, gerade so wie in Bagdad, viele Schimmel befinden, die sonst sehr selten sind. Darum sah ich mich nicht schon heute nach Reittieren um, ein Umstand, den wir später sehr zu beklagen hatten.

Wir hatten uns alle in einer Privatwohnung einquartiert, welche in der Nähe des Marghil oder Kut-i-Frengi lag; so wird das englische Konsulat genannt, welches das beste Gebäude von Basra ist.

Am nächsten Morgen begab sich Mesud zu dem Käufer seiner Wolle und erhielt das Geld ausbezahlt. Ich hatte ihn aufgefordert, dies später zu thun, weil er das Geld noch nicht brauchte und man auch auf einem so kurzen Ausfluge, wie wir ihn vorhatten, vor unliebsamen Begegnungen nie sicher ist, aber er war mir nicht folgsam gewesen. Als er zurückkam, wollte ich gehen, um die nötigen Hamir 1) zu mieten; da sagte er:

„Das ist nicht nötig, Effendi. Ein freier Araber reitet nicht gern auf einem Esel, und ein so berühmter Emir, wie Du bist, darf sich erst recht nicht auf einen so niedrigen Sattel setzen. Wir werden auf Pferde reiten.“

„Hast Du etwa welche besorgt?“ fragte ich ihn.

„Ja.“

„Von wem?“

„Von Abd el Kahir, dem berühmten Scheik der Muntefikaraber.“

„Das ist allerdings ein berühmter und höchst vertrauenswerter Mann; aber es wundert mich, daß er sich auf ein solches Geschäft einläßt. Ein so hervorragender Krieger pflegt seine Pferde nicht zu vermieten.“

„Da hast Du recht. Er vermietet sie uns auch nicht, sondern er leiht sie uns umsonst, weil er sich freut, Dir dienen zu dürfen.“

„Mir? Ich bin hier fremd. Was weiß er von mir?“

Da fiel mein kleinere Hadschi Halef, welcher jede Gelegenheit, mich und dabei natürlich auch sich zu verherrlichen, gern ergriff, rasch ein:

„Wie kannst Du nur so fragen, Sihdi! Hast Du vergessen, war für Heldenthaten wir vollbracht haben? Gibt es auch nur einen Menschen, der uns gleichzustellen ist? Wir sind die Riesen der Kühnheit und der Tapferkeit, und alles, was außer uns lebt, ist Zwerg gegen uns. Unsere Namen sind durch alle Länder erklungen, und von unsern Thaten wird in allen Häusern und Zelten erzählt und gesungen. Warum soll Abd el Kahir da nicht wissen, daß Du der unbesiegliche Emir Kara Ben Nemsi Effendi bist, der unter meinem unüberwindlichen Schutze steht?“

„Halef, schneide nicht auf! Es ist möglich, daß er von unsern früheren Erlebnissen einiges gehört hat; aber woher weiß er, daß wir uns hier befinden und nach dem Kubbet el Islam reiten wollen?“

„Von mir,“ antwortete Mesud. „Ich habe es ihm gesagt.“

„Wo hast Du ihn getroffen?“

„Bei dem Händler, von welchem ich mir das Geld geholt habe.“

1) Plural von Himar, Esel.

„Bei dem war er? Hat er gesehen, daß Du soviel ausgezahlt bekamst?“

„Ja.“

„So sei vorsichtig, und nimm es nicht mit!“

„Effendi, was denkst Du von Abd el Kahir! Er ist ein ehrlicher Mann, bei dem wir sicherer sind als an jedem andern Orte, soweit die Erde reicht. Und wem sollte ich die Summe während unserer Abwesenheit anvertrauen?“

„Es mag einer von Euch hier bleiben, dem Du das Geld gibst.“

„Dazu entschließt sich keiner, denn das wäre die Unterlassung eines sehr verdienstlichen Werkes.“

„Hm! Kennst Du Abd el Kahir persönlich?“

„Nein.“

„So kannst Du also nicht wissen, ob er es wirklich ist. Wann will er mit seinen Pferden kommen?“

„In einer Stunde.“

„Hm! So möchte ich während dieser Zeit zu dem Händler gehen und mich erkundigen, ob der Araber, welcher bei ihm gewesen ist, wirklich Abd el Kahir war.“

„Das ist unnötig, denn der Händler hat ihn bei diesem Namen genannt und, als ich dabei war, mit ihm vom Stamme der Muntefik gesprochen. Als wir miteinander fortgingen, kamen wir in ein kurzes Gespräch, wobei ich ihm sagte, daß wir mit Dir nach dem Kubbet el Islam wollten, und zwar auf Eseln reitend. Da bot er mir gleich seine Pferde an, indem er sagte, daß es eines solchen Emirs, wie Du bist, nicht würdig sei, sich auf ein solches Tier zu setzen; er werde Dir gern seine eigene, kostbare Stute leihen.“

„So! Sagte er Dir, wo er seine Pferde hat?“

„Im Dorte El Nahit, welches draußen vor dem Thore von El Mibad liegt. Natürlich ist nur die Stute sein; die übrigen gehören seinen Leuten, die mit ihm sind; die werden aber nichts dagegen haben, daß wir sie für kurze Zeit benutzen.“

„Weiß er denn, wo wir wohnen?“

„Ja, denn er ist mit mir bis an dieses Haus gegangen.“

„So konntest Du ihn mit hereinbringen!“

Mein Verhalten schien ihn halb zu kränken und halb zu erzürnen, denn er sagte:

„Du hast mich bis jetzt noch nicht für einen Knaben gehalten, scheinst es aber nun zu thun. Bedenke, daß mir die Kelleks und ihre Fracht anvertraut worden sind! Das mag Dir sagen, daß ich es nicht nötig habe, Worte des Mißtrauens anzuhören!“

„Und ich versichere Dir, daß es nicht meine Absicht gewesen ist, Dich zu beleidigen. Ich habe die Gewohnheit, alles mit möglichster Vorsicht zu thun, und will hoffen, daß dies im vorliegenden Falle nicht angebracht gewesen ist.“

Damit war der Wortwechsel zu Ende, denn ich glaubte, allerdings zu weit gegangen zu sein. Wer sollte es wagen, sich für Abd el Kahir auszugeben, ohne es zu sein! Dieser Scheik, dessen Name „Diener der Tugend“ bedeutet, stand in einem sehr guten Rufe, und es war eine Ehre für mich, auf seiner Stute reiten zu dürfen.

Nach der angegebenen Zeit ließ sich draußen Pferdegetrappel vernehmen, und dann erschien im offenen Eingange ein dunkelbärtiger Mann, der uns mit einem kurzen Blicke musterte und dann, zu mir gewendet, mit einer höflichen Verneigung grüßte:

„Sabah el cher, ia Emir — guten Morgen, o Emir! Mein Auge ist stolz darauf, Dich sehen zu dürfen.“

Er trug Sandalen an den nackten Füßen und einen einfachen, durch eine Kameelschnur zusammengehaltenen Haïk, dessen Kapuze hinter hinunterhing, so daß sein Kopf jetzt unbedeckt war. Noch selten hatte ich so einen Charakterkopf gesehen. Das dunkle Haar desselben war in viele, dünne Zöpfchen geflochten, welche nach allen Seiten herunterhingen. Schief über die niedrige aber breite Stirn gingen zwei nahe bei einander liegende Narben, welche nicht von einer Verwundung herrührten, sondern sichtbar durch absichtliche Messerschnitte hervorgebracht worden waren. Es gibt Stämme, und dies sind immer sehr kriegerische, welche ihre Angehörigen durch solche Merkmale von andern auszeichnen. Daß die Muntefikaraber solche Narben trugen, war mir bisher unbekannt geblieben. Der Bart war dichter, als sonst bei den

Arabern zu bemerken ist. Sein Auge hatte einen scharfen, fast stechenden Blick, was aber kein Grund war, mißtrauisch zu sein, zumal er in so höflicher Weise grüßte. Daß er vom Stolz sprach, mich zu sehen, war orientalische Ausdrucksweise und nicht etwa eine Überschwenglichkeit, die mich hätte zur Vorsicht mahnen können. Darum stand ich auf, verbeugte mich ebenso und antwortete:

„Sabah el cher, ja Scheik! Sei mir willkommen, und setze Dich!“

Ich reichte ihm die Hand, und dann setzten wir uns nebeneinander nieder, um uns einige Minuten lang in jener Weise zu unterhalten, welche eigentlich keinen Zweck hat, aber durch die Sitte geboten ist. Dann erhoben wir uns wieder und gingen hinaus, um den beabsichtigten Ritt zu beginnen.

Wir waren zusammen zwölf Personen, und draußen hielten ebensoviele Pferde, die nicht beaufsichtigt und auch nicht zusammengebunden waren. Er hatte auf einem gesessen, und die andern waren ihm, gehorsam wie die Hunde, bis zu unserer Wohnung gefolgt; dies ist den Beduinenpferden angewöhnt. Ich sah eine sehr schöne Fuchsstute dabei, die jene kostbare Art Sattel- und Riemenzeug trug, welche der Perser Reschma nennt. Er deutete auf sie und sagte:

„Steig auf, Emir! Dieses Pferd ist für Dich bestimmt, und ich denke, daß Du mit ihm zufrieden sein wirst.“

Ich folgte seiner Aufforderung, als ob es sich von selbst verstände, daß ich das beste Pferd zu bekommen hätte, und dann ging es im langsamen Schritte zur Stadt hinaus. Als wir dieselbe im Rücken hatten, nahmen wir eine schnellere Gangart an, und da merkte ich gar wohl, welchen Wert die Stute hatte. Mit meinem Rih war sie aber freilich nicht zu vergleichen. Später fielen wir aus dem Trabe in Galopp, und es war nach der langen Fahrt auf dem Flosse ein wahres Vergnügen, so über die Ebene dahinzufegen.

Ich war noch nie in dieser Gegend gewesen, wußte aber, daß Kubbet el Islam südwestlich von Neu-Basra lag; wir ritten aber beinahe gerade nach Süden. Das fiel mir zunächst nicht auf, denn ich konnte falsch unterrichtet sein. Als aber eine Stunde vergangen war und wir Alt-Basra noch nicht erreicht hatten, wurde ich bedenklich. Wir mußten weit über fünfzehn Kilometer zurückgelegt haben.

Die Haddedihn hatten sich während des Rittes unterhalten, ich aber war mit Halef an der Spitze schweigsam gewesen, weil ich mich nur mit dem Pferde beschäftigt hatte. Jetzt drehte ich mich nach dem Scheik um, welcher der letzte war. Dieses Umdrehen geschah rasch und für ihn unerwartet, und da sah ich, daß seine funkelnden Augen mit einem unerklärlich begehrlichen Blicke auf mich gerichtet waren. Als er aber bemerkte, daß ich ihn ansah, senkte er sofort die Lider, und sein Gesicht nahm den Ausdruck der Gleichgültigkeit an. Ich hielt mein Pferd an, ließ ihn zu mir herankommen, ritt dann an seiner Seite, aber nun langsam, weiter und fragte:

„Du weißt genau, wo Alt-Basra liegt, o Scheik?“

„Wie sollte ich es nicht wissen!“ antwortete er.

„Es scheint mir aber doch, daß Du Dich irrst. Wir sind so schnell geritten, daß wir schon längst dort sein müßten.“

„Wie gefällt Dir die Stute?“

Diese Frage schien mit meinen Worten so wenig in Beziehung zu stehen, daß ich verwundert antwortete:

„Sie ist ein gutes Pferd; aber ich sprach doch nicht von ihr, sondern von Kubbet el Islam!“

„Das habe ich wohl verstanden, doch sah ich, daß Dir das Pferd gefiel, und weil ich Dir die Freude, es zu reiten, gönnte, haben wir einen Umweg gemacht, der aber nur gering ist. Kommt jetzt zurück!“

Er wendete sein Pferd um und schlug eine nordwestliche Richtung ein. Wir waren also schon über Alt-Basra hinaus. Das machte mich mißtrauisch, obgleich seine Ausrede eine sehr geschickte war.

„Ich hoffe, daß Du uns ein ehrlicher Führer bist, o Scheik!“ warnte ich ihn.

Da fuhr er zornig auf:

„Willst Du mich beleidigen, Emir?“

„Nein; aber wir haben Kubbet el Islam besuchen, jedoch nicht spazierenreiten wollen. Warum hast Du uns nicht auf geradem Wege hingeführt?“

„Aus dem Grunde, den ich Dir gesagt habe. Du solltest das Vergnügen länger haben. Ich borgte Euch unsere Pferde, ohne etwas dafür zu verlangen, und Du dankst mir dafür durch eine Beleidigung. Es ist ein Glück für Dich, daß ich keine Waffe bei mir habe, sonst würde ich Dich zwingen, mit mir zu kämpfen.“

„Wie? Du wärst nicht bewaffnet?“

„Nein. Ich habe Messer und Gewehr zurückgelassen und bin allein mit Euch geritten, um Euch zu zeigen, daß ich es ehrlich meine und dem berühmten Emir Kara Ben Nemsi die Achtung zolle, die ihm gebührt. Schau her!“

Er hatte allerdings kein Gewehr bei sich, und als er bei seinen letzten Worten den Haïk vorn auseinander schlug, sah ich, daß er auch kein Messer bei sich hatte. Da verschwand mein Mißtrauen, und ich bat:

„Verzeihe, daß meine Rede anders klang, als ich beabsichtigte! Beleidigen wollte ich Dich nicht.“

„Ich mußte mich über Dein Mißtrauen zehnfach wundern, denn selbst wenn ich hundert Krieger bei mir hätte und wir alle bewaffnet wären, könnten wir doch nichts gegen Euch machen. Es ist ja bekannt, daß Kara Ben Nemsi mehrere Bunduk es Sihr 1 besitzt, mit denen er immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen. Dies müßte, selbst wenn ich eine böse Absicht gegen Euch hätte, mich von derselben abbringen.“

Also selbst bis in diese Gegend, bis zu den Muntefikarabern, war die Kunde von meinem Henrystutzen gedrungen! Ich brauchte mich freilich nicht darüber zu wundern, wenn ich an die Erfolge dachte, welche ich diesem Gewehre bei den Arabern des Tigris zu verdanken gehabt hatte.

Nach kurzer Zeit kamen wir an den ausgetrockneten Flußarm, welcher Dscharri Zaade heißt, und da sahen wir die Ruinen von Alt-Basra liegen. Wir hätten eigentlich von Nordosten an dieselbe kommen müssen, befanden uns aber infolge unsers Umweges an ihrer südöstlichen Seite.

Mein Mißtrauen war, wie bereits gesagt, verschwunden, erwachte aber wieder, als ich bemerkte, daß Abd el Kahir das Ruinenfeld mit einem scharfen, erwartungsvollen Blicke absuchte. Hatte er etwa jemand herbestellt, nach dem er jetzt forschte? Wer konnte das sein? Einer seiner Leute? Oder gar mehrere? Von der Zeit an, wo er sich gegen Mesud erboten hatte, uns seine Pferde zu borgen, waren weit über zwei Stunden vergangen, genug für die Muntefik, um zu Fuße herzukommen. Hatte ich das Richtige getroffen, so war ihr Weg der direkte, der kürzeste gewesen, und der Scheik hatte einen Umweg gemacht, damit wir ihre Spuren nicht sehen sollten. Jetzt kam mir sein Verhalten in einem ganz andern Lichte vor. Nun erklärte ich mir auch den begehrlichen Blick, den er auf mich geworfen hatte; er war weniger auf meine Person als vielmehr auf meine Gewehre, auf die „Zauberflinten“ gerichtet gewesen, die schon gar manchem in die Augen gestochen hatten.

Aber ich konnte mich auch irren und sagte mir darum, daß ich nichts gegen ihn unternehmen dürfe, bis ich die Beweise für seine Unehrlichkeit in den Händen hätte. Wenn ich ihn wieder ohne Grund beleidigte, konnten wir alle leicht der Rache dieses mächtigen Scheikes verfallen.

„Da Du Kubbet el Islam so genau kennst,“ sagte Mesud zu ihm, „so wirst Du uns wohl sagen können, welche von den Ruinen die des Beit Ibn Risaa 2 ist? Dort müssen wir unsere Andacht verrichten.“

Der Gefragte zeigte nach einem auf der Südseite gelegenen Ruinenhaufen und antwortete:

„Dort ist’s, wohin ich Euch führen muß. Die Pferde lassen wir hier.“

„Warum?“ fragte ich. „Wir können ja hinreiten.“

Da blitzte mich sein Auge drohend an, und er erwiderte:

„Die Pferde gehören nicht Euch, sondern mir, und sie bleiben da, wo ich es bestimme!“

1) Gewehre der Zauberei.  2) Haus des Ibn Risaa.

„So bleibe ich auch hier!“

„Thu, was Du willst. Ihr andern kommt!“

Er ging fort, und sie folgten ihm. Ich fand kaum noch Zeit, Mesud zuzuraunen, vorsichtig zu sein, und Omar Ben Sadek einen warnenden Blick zuzuwerfen. Halef blieb bei mir stehen.

„Du gehst nicht mit?“ fragte ich ihn.

„Nein. Ich gehöre zu meinem Sihdi und habe keinen Grund, diesen Ibn Risaa zu verehren. Ich verehre Isa aber nicht Risaa. Dieser Scheik scheint Dir nicht zu gefallen?“

„Nein. Ich habe ihn im Verdacht, böse Absichten gegen uns zu hegen. Bleib hier bei den Pferden, während ich nachsehen werde, ob meine Vermutung richtig ist!“

„Welche Vermutung?“

„Daß sich seine Muntefik auch hier befinden.“

„Die sind doch in dem Dorfe El Nahit!“

„Will es wünschen! Es ist bis jetzt nur ein Verdacht, der auf keinem festen Grunde ruht, und es wird mir sehr lieb sein, wenn ich diesen Grund nicht finde. Also bleib hier, und entferne Dich ja nicht von den Pferden, deren Besitz für uns höchst wichtig ist.“

„Wo willst Du hin?“

„Nach der Nordseite des Ortes. Sehe ich dort keine Spuren, so habe ich mich geirrt.“

„So laß mir Deine Gewehre hier, denn sie werden Dir beim Klettern hinderlich sein.“

„Gerade die nehme ich mit, denn man könnte es auf sie abgesehen haben.“

Ich ging. Halef hatte vom Klettern gesprochen, und zwar mit Recht. Ich hätte allerdings den ganzen Plan umgehen können, ohne klettern zu müssen, aber dazu lange Zeit gebraucht, während meine Anwesenheit nötig werden konnte. Darum ging ich nicht ganz nach dem nördlichen Ende der Ruinenstadt, sondern bog schon eher in westlicher Richtung zwischen die Trümmerhaufen ein. So mußte ich jede von Norden kommende Spur durchkreuzen und bemerken.

Das Ruinenfeld besaß eine weit, weit größere Ausdehnung, als ich gedacht hatte. Ich kam immer tiefer zwischen Schutt und Mauerreste hinein, ohne auf eine Spur zu treffen. Mein Mißtrauen war doch wohl ungerechtfertigt gewesen. Schon wollte ich mich umwenden, um zu Halef zurückzukehren, da sah ich, zwischen zwei verfallenen Lehmmauern stehend, jenseits derselben eine ebene, freie Stelle, wo die Erde fein wie Staub war, und in diesem Staube schien es Eindrücke zu geben, welche freilich auch von einem Tiere herrühren konnten. Schnell war ich dort und bückte mich — — — nein, ich bückte mich nicht nieder, dies war gar nicht notwendig, denn ich sah auch so ganz deutlich, daß hier Leute vorübergekommen waren; es konnten kaum weniger als zehn Personen gewesen sein.

Meine Ahnung! Im ersten Augenblicke wollte ich zu Halef zurück; aber der befand sich wahrscheinlich gar nicht oder überhaupt nicht in Gefahr, sondern es war zunächst auf Mesud abgesehen, der das Geld bei sich hatte. Er war mit den andern Haddedihn nach irgend einer Stelle gelockt worden, wo sich die Muntefik versteckt hatten, um ihn auszurauben und gar auch zu ermorden. Nach dieser Stelle mußten die Spuren, die ich vor mir sah, führen. Darum kehrte ich nicht um, sondern ich folgte ihnen, und zwar so schnell, wie es mir bei dem schwierigen Terrain möglich war. Es ging auf- und abwärts, bald einen Trümmerhaufen empor, bald in ein steiles Loch hinunter. Zuweilen war ich, um einen Bogen, welche die Fährte machte, abzuschneiden, zu gefährlichen Sprüngen gezwungen. Ich rannte, sprang und kletterte weiter und weiter, bis ich, auf einem hohen Ruinenhaufen angekommen, keuchend stehen bleiben mußte, um mich einen Augenblick zu verschnaufen.

Da sah ich links, doch weit von mir, die Pferde. Halef saß bei ihnen im dürren Grase, und neben ihm stand — — der Scheik. Sie schienen sich ganz freundlich zu unterhalten. Sollte ich mich denn wieder und immer wieder irren? Sollte Abd el Kahir doch ein ehrlicher Mann sein? Schon wollte mir das Herz wieder leicht werden, da sah ich,

daß er einen Stein vom Boden aufhob und, ihn zum Schlage hochhaltend, schnell hinter Halef trat.

„Halef, ati balak, ati balak — — Halef, paß auf, paß auf!“ schrie ich hinunter, doch zu spät; der brave Hadschi bekam den Hieb auf den Kopf und fiel hintenüber.

Da packte mich eine Wut, wie ich sie wohl noch nie gefühlt hatte. Ich rannte, oder vielmehr ich sauste rutschend von dem Haufen hinab, schlug unten die Richtung nach den Pferden ein, mußte über eine hohe, von der Sonne fast zu Mehl gebrannte Mauer klettern; sie war mürbe wie Pfefferkuchen; dennoch kam ich hinauf; ich wollte drüben hinab, sah aber gerade in diesem Augenblicke Leute kommen, die nicht meine Haddedihn waren und unten vorüber wollten. Zugleich ertönte weiter südwärts von mir ein Geschrei, welches mir sagte, daß dort ein Unglück geschehen sein müsse. Sollte ich dorthin, oder — — ja, was ich sollte oder wollte, das galt jetzt nichts, denn die Mauer, auf welcher ich stand oder vielmehr hing, brach unter mir zusammen und ich stürzte hinab, mitten zwischen die Kerls hinein, die sich augenblicklich auf mich warfen.

Was in den folgenden Minuten geschah, das weiß ich nicht. Es war mir später, als ob ich, in eine dichte Staubwolke gehüllt und von vielen Händen am Boden festgehalten, mit Händen und Füßen um mich geschlagen und gestoßen hätte, um mich frei zu machen. Dann hüllte mich nicht bloß der Staub, sondern auch die Vergessenheit ein.

Als ich wieder zu mir kam, sah ich Omar Ben Sadeks Gesicht gerade über dem meinigen.

„Du schlägst die Augen auf, Effendi?“ rief er aus. „Hamdulillah, Du bist also nicht tot! Siehst Du mich? Hörst Du, was ich sage?“

Ich wollte antworten, brachte aber im Moment kein einziges Wort hervor. Mein Hals schien eine umgewendete Kardendistel und mein Kopf ein großes aber leeres Wasserfaß zu sein, so war ich an dem ersteren gewürgt und auf den letzteren geschlagen worden.

„Wach auf, Sihdi, wach vollends auf!“ bat Omar weiter. „Verstehst Du denn nicht, was ich sage? Du hast doch die Augen offen!“

Es standen sieben Haddedihn bei ihm, welche ebenso angstvoll auf mich niederblickten; aber ich konnte weder etwas sagen noch mich bewegen.

„O Allah! Er ist trotz der offenen Augen tot!“ fuhr er fort. „Wo mag Halef sein? Warum ist er nicht mit unserm lieben Effendi gegangen!“

Halef! Mein guter, kleiner Hadschi! Das gab mir die Besinnung, die Bewegung und auch die Sprache wieder. Ich sprang auf und schrie:

„Kommt, kommt! Halef ist wahrscheinlich ermordet worden!“

Ich wollte fort, wankte aber und stürzte wieder nieder, raffte mich abermals auf und brach noch einmal zusammen.

„Halef ermordet? Wo denn, wo?“ riefen die Haddedihn.

„Bei den Pferden. Lauft hin, lauft hin!“

„Ja, lauft hin, rennt hin!“ stimmte mir Omar bei. „Ich muß hier bei meinem Sihdi bleiben; er kann nicht auf, er kann nicht fort.“

„Ich kann, denn ich muß!“ entgegnete ich, während sie fortrannten.

„So versuche es, mein lieber, lieber Effendi! Ich werde Dich stützen.“

Er hob mich auf, und mit seiner Hilfe konnte ich gehen, langsam zwar, aber doch. Je weiter wir kamen, desto freier wurde mir der Kopf, und desto williger gehorchten mir die Beine. Als wir dorthin kamen, wo ich Halef zurückgelassen und zuletzt mit dem Scheik gesehen hatte, lag er ohne Besinnung und mit blutendem Kopfe auf der Erde. Die Pferde waren fort, alle fort. Das brachte mir meine körperliche und geistige Spannkraft wieder. Ich machte mich von Omar los, der mich nun nicht mehr zu halten brauchte, und befahl einem Haddedihn:

„Lauf eiligst nach dem Nordende der Trümmerstadt, ob Du von dort aus die Muntefik mit ihren Pferden noch erblicken kannst!“

Er gehorchte dieser Aufforderung, und ich kniete neben Halef nieder, um ihn zu untersuchen. Er war nicht tot, sondern nur betäubt, und die ihm mit dem Steine beigebrachte Wunde, welche blutete, schien auch nicht gefährlich zu sein. Wir konnten unbesorgt um ihn auf sein Erwachen warten. Nun erst bemerkte ich, daß wir nicht vollzählig waren.

„Wo ist Mesud?“ fragte ich. „Ich sehe ihn doch nicht.“

„O Sihdi, wie recht hattest Du, als Du mir winktest und ihm leise sagtest, vorsichtig zu sein!“ antwortete Omar. „Mesud, der Bruder meines Weibes, ist tot, erstochen und ausgeraubt worden von den Hunden vom verfluchten Stamme dieser Muntefik.“

„Herrgott! Ist’s wahr?“

„Ja. Wir fanden seine Leiche.“

„Ich dachte es mir, als ich Euch schreien hörte. So hat er meine Warnung also doch nicht beachtet!“

„Leider nicht! Während wir auf unsern Knieen lagen, um diesen Ibn Risaa zu verehren, den Allah besser nicht erschaffen hätte, lockte der Häuptling ihn, ohne daß wir es bemerkten, unter irgend einem Vorwande fort. Da hörten wir ihn um Hilfe rufen und eilten ihm nach, mußten aber suchen, ehe wir ihn in einer Blutlache fanden. Er war gerade in das Herz gestochen worden. Das Geld ist fort. Wir erhoben ein großes Geschrei und wollten zu den Pferden, zu Dir. Das hat die Mörder von Dir verscheucht und Dir das Leben gerettet. Aber sie sind entkommen!“

„Für jetzt, doch nicht für immer; darauf kannst Du Dich verlassen. Wir werden den Schatt el Arab nicht eher verlassen, als bis wir mit diesem Scheik Abd el Kahir abgerechnet haben. Wo liegt Mesud Ben Hadschi Schukar? Führt mich zu ihm!“

Einige blieben bei Halef; die andern gingen mit mir fort. Wir kamen an der Stelle vorüber, wo sie mich besinnungslos gefunden hatten. Hier fielen mir meine Gewehre ein, die ich bei mir gehabt hatte. Welch ein Schreck! Sie lagen nicht da; sie waren verschwunden; die Muntefik hatten mit Entzücken Besitz von den berühmten „Zauberflinten“ ergriffen. Das war ein Verlust, wie er mir größer gar nicht zugefügt werden konnte, ein solcher Verlust, daß ich, anstatt darüber zu klagen, ihn schweigend hinnahm; aber dieses Schweigen war ein Schweigen grimmiger Entschlossenheit, mir die Gewehre wiederzuholen. Sonst hatten die Muntefik mir nichts genommen, weil sie von den herbeistürmenden Haddedihn vertrieben worden waren.

Dann kamen wir dorthin, wo Mesud lag. Wie schnell hatte er seine Vertrauensseligkeit, sein zu großes Selbstbewußtsein büßen müssen. Ja, er war tot, gerade und genau ins Herz getroffen. Den Inhalt aller seiner Taschen hatten die Muntefik mitgenommen. Omar Ben Sadek sah finstern Blickes auf die Leiche nieder, tauchte die Finger der rechten Hand in das Blut, hob diese Hand dann empor und sagte:

„Effendi, ich weiß, daß Du milder denkst als wir. Ich habe schon einmal einen Racheschwur gethan, damals auf dem Schott, unter dessen Salzdecke mein Vater verschwunden war 1, und später mich nicht durch den Tod des Mörders gerächt, sondern ihn nur geblendet; diesmal aber werde ich keine Gnade walten lassen, sondern meine Hand ebenso in Abd el Kahirs Blut tauchen, wie ich sie jetzt in dasjenige des Ermordeten getaucht habe. Willst Du mir dazu verhelfen?“

Zum Gegenmorde verhelfen? Ich, als Christ? Nein! Und doch konnte ich ja sagen, weil ich wußte, daß nicht der Scheik der Mörder war, sondern seine Leute Mesud getötet hatten, wenn auch in seinem Auftrage. Darum antwortete ich:

„Ja, dieser Scheik soll sterben, falls er der Mörder ist. Ich muß ja auch zu ihm; ich muß ihn finden, denn ich werde mein Leben daran wagen, meine Gewehre wieder zu bekom­men!“ — —

1) Siehe „Deutscher Hausschatz“ Jahrgang VII Seite 298.

2. El Lakit.

Illustration2

Als wir zu Halef zurückkehrten, war er erwacht. Seinen schmerzenden Kopf in den Händen haltend, rief er mir entgegen:

„O Sihdi, was ist geschehen! Daß mir mein Kopf brummt wie damals der große Bär, den wir bei der Hütte des Kohlenhändlers erlegten, das thut nichts, denn er wird zu brummen aufhören; aber Mesud ist tot, und Du hättest auch beinahe Dein Leben lassen müssen. Ich wäre vor Gram gestorben, vor Schmerz um Deinen Tod; Hanneh, die beste unter allen Frauen, wäre eine betrübte Witwe und Kara, mein Sohn, ein trauernder Waisenknabe geworden. Und daran ist dieser Abd el Kahir, der Scheik, der Mörder und Räuber schuld! Allah sende ihn in den Teil der Hölle, wo selbst das Feuer so kalt ist, daß es noch gekocht werden muß!“

„Ich bin doch nicht so gut weggekommen, wie Du denkst,“ erwiderte ich ihm. „Die Kerls haben meine Gewehre mitgenommen.“

Da sprang er, seine Schmerzen vergessend, auf und sprach nicht, sondern schrie förmlich:

„Deine Gewehre? Denen wir so oft unsere Rettung zu verdanken hatten? Die so ganz unersetzlich sind? Ist das wahr, Sihdi?“

„Leider, ja.“

„So sende Allah diesen Scheik ja noch nicht in die Hölle, sondern warte damit so lange, bis wir die Gewehre wieder haben! Du magst sie doch nicht missen, sondern wirst sie wieder holen?“

„Ganz gewiß!“

„So recht, so recht, Sihdi! Diese Flinten haben Dich zu allen Völkern und in alle Länder der Erde begleitet, und wenn ihre Stimme erscholl, sind wir Sieger in allen Gefahren gewesen. Was wären wir ohne sie? Menschen ohne Arme und Beine, Vögel ohne Flügel und Tabakspfeifen ohne Feuer! Wir müssen sie holen, unbedingt, unbedingt, und wann man sie noch so gut und noch so pfiffig verstecken sollte! Und wenn wir sie haben, dann werde ich diesem Abd el Kahir einen viel kräftigeren Klapps auf den Kopf versetzen, als er mir gegeben hat, einen Klapps, von dem er ganz gewiß nicht wieder erwachen soll, wie ich von dem seinigen!“

„Warum hast Du nicht besser aufgepaßt? Du wußtest doch, daß ich ihm nicht traute!“

„O, dieser Sohn einer Hündin that so freundlich und zutraulich, daß es mir fast wehe that, ihn in einem so schlimmen Verdachte gehabt zu haben.“

„Ich begreife ihn. Er hat Mesud seinen Leuten in die Hände geführt und ist dann, von unsern betenden Haddedihn unbemerkt, nach hier zurückgekehrt, um Dich und mich in dieselbe Falle zu bringen. Da er Dich allein antraf, hat er Dich niedergeschlagen, um mich, sobald ich wiederkommen würde, mit Deinem Gewehre zu töten. Daß ich vorher seinen Leuten in die Hände fiel und daß diese vertrieben wurden, dafür konnte er nicht. Nun haben wir keine Pferde und müssen nach Basra laufen.“

„Das ist schlimm. Wären wir beritten, so könnten wir sofort den Spuren dieser Mörder folgen und würden sie einholen.“

„Wir werden sie finden, ohne daß wir ihnen folgen. Wir wissen ja, wer sie sind, und der Scheik der Muntefik kann nicht vom Erdboden verschwinden. Wir werden sofort, wenn wir nach Basra kommen, zum Mutessarif 1 gehen und ihm erzählen, was geschehen ist. Er muß uns helfen.“

„Wenn Allah gibt, daß er will!“

„Er muß wollen, denn ich werde ihm zeigen, daß ich im Schatten des Padischah stehe. Hast Du Dich so weit erholt, daß Du den Rückweg mitantreten kannst?“

„O, ich bin schnell gesund geworden, als ich von dem Verluste Deiner Gewehre hörte. Wir können gehen.“

„Gut! Aber den Toten dürfen wir nicht unbewacht lassen. Der Mutessarif wird Beamte herschicken, welche den Thatbestand aufzunehmen haben. Wir lassen Mesud also jetzt unbeerdigt liegen und kehren mit diesen Beamten zurück, um ihn dann zu begraben.“

Da sagte Omar Ben Sadek:

„Mesud war mein Verwandter, und wie ich darum die Blutrache auszuführen habe, werde ich auch bei ihm bleiben, bis Ihr wiederkehrt.“

Er entfernte sich, ohne meine Zustimmung abzuwarten; wir aber traten den Heimweg nach Basra an. Ich gesteht aufrichtig, daß mir der Verlust meiner Gewehre ebenso zu Herzen ging wie Mesuds Tod. Was Halef gesagt hatte, war richtig: wir hatten diesen Waffen viele unserer Erfolge und oft sogar das Leben zu verdanken gehabt. Welche Dienste hatte besonders der Henrystutzen mir und andern erwiesen! Ich war wirklich fest entschlossen, auf seine Wiedererlangung das Leben zu setzen.

Mittag war längst vorüber, als wir in Basra ankamen, und wir begaben uns, ohne vorher zu essen, sofort nach der Residenz des Mutessarif. Dieser war, wie ich wußte, ein Gesinnungsgenosse des berühmten Midhat Pascha, welcher als Generalgouverneur von Bagdad so viel für das Wohl dieser Provinz gethan und erreicht hatte, also ein reformatorisch gestimmter Moslem, und so hoffte ich, daß ihm mein Glaube keine Veranlassung sein werde, mir seine Hilfe zu versagen.

Ich wurde von der Dienerschaft mit dem Bedeuten abgewiesen, daß ich morgen oder übermorgen oder auch in einigen Wochen, „wie Allah will“, wieder anfragen solle, weil der Gebieter gerade jetzt eine wichtige Besprechung habe. Es fiel mir aber nicht ein, mich auf türkisch fortkomplimentieren zu lassen, sondern ich schickte ihm meine Legitimationen hinein und wartete den Erfolg ab. Schon nach einigen Minuten wurde ich unter tiefen Verbeugungen aufgefordert, in das Selamlük 2 zu treten.

In diesem saß, rauchend und Kaffee trinkend, der Gouverneur mit einem sonnverbrannten und beduinisch gekleideten Manne, der aber kein gewöhnlicher Nomade sein konnte, weil er die Ehre hatte, an der Seite des Mutessarif Platz zu finden.

Dieser empfing mich mit einer sehr gnädigen Handbewegung, winkte mich näher, drückte meine mit dem großherrlichen Siegel versehenen Papiere an die Stirn, den Mund und die Brust und forderte mich, sie mir zurückgebend, auf, mich ihm gegenüber niederzusetzen. Er that dies mit Hilfe der französischen Sprache, welche er aber in der Weise radebrechte, daß ich ihn nicht halb verstehen konnte, sondern erraten mußte, was er meinte.

1) Gouverneur.  2) Empfangszimmer.

Als ich mich gesetzt hatte, klatschte er in die Hände, um mir auch Kaffee und eine Pfeife reichen zu lassen; dann saßen wir uns eine Weile stumm, rauchend und trinkend gegenüber. Er befand sich augenscheinlich in großer Verlegenheit. Wie sollte ich, der Europäer, ihn bei seinem so mangelhaften Französisch verstehen! Endlich begann er, wieder zu sprechen, aber so wirr, daß ich es wagte, ihm in die Rede zu fallen und mitzuteilen, daß mir die Sprache des Landes geläufig sei.

„Allah sei Dank!“ rief er da froh aus. „Die Sprachen des Abendlandes sind wie die Räder eines Ochsenwagens; man hört sie wohl rollen, aber sie haben keine Worte. Der Padischah, dem Allah tausend Jahre geben möge, hat Dich mit seinem ganz besondern Schutz begnadigt. Ich habe Deinen Namen auf dem Papiere gesehen. Wie ist er auszusprechen?“

„Mein Name klingt hier fremd. Vielleicht hast Du die Güte, mich bei demjenigen zu nennen, den mir die Bewohner dieses Landes gegeben haben.“

„Wie lautet er?“

„Kara Ben Nemsi.“

Da stieß der neben ihm sitzende Beduine einen Ruf der Überraschung aus und fragte mich, seine Augen gespannt auf mich richtend:

„Bist Du etwa jener Almani, welchem Muhammed Emir [Mohammed Emin] seinen berühmten Hengst Rih geschenkt hat?“

„Ja, der bin ich.“

„Maschallah! So habe ich viel von Dir gehört.“

Er sprach hierauf leise auf den Mutessarif ein, was keine Höflichkeit gegen mich war, aber doch recht gut gemeint zu sein schien, denn das Gesicht des Gouverneurs wurde heller und heller, bis um seinen Mund ein breites Lächeln entstand und er mich fragte:

„Auch ich habe schon von Dir gehört. Du bist also der Fremdling, welcher damals den Mutessarif von Mosul so listig gezwungen hat, seinen eigenen Makredsch 1 abzusetzen und zur Befreiung seines Gefangenen selbst beizutragen?“

„Ja,“ antwortete ich der Wahrheit gemäß, obwohl mir diese Frage keineswegs angenehm sein konnte.

Bis jetzt hatte er nur gelächelt, nun aber lachte er laut und fuhr fort:

„Du brauchst keine Sorge zu haben, denn dieser Mutessarif war mein Gegner, welcher mir und andern viel zu schaffen gemacht hat. Man erfuhr, wie es damals zugegangen war; der Koch hatte den Verräter gemacht, und sein Herr wurde bald darauf versetzt. Ich bin Dir sehr wohlgewogen. Wenn Du etwa gekommen bist, einen Wunsch auszusprechen, so soll er Dir erfüllt werden, wenn es möglich ist.“

„Ich bin allerdings mit einer Bitte gekommen.“

„So sprich sie aus!“

„Ich sehe mich gezwungen, Dich um Deinen Schutz anzurufen.“

„Gegen wen?“

„Gegen Abd el Kahir, den Scheik der Muntefikaraber.“

„Gegen Abd el Kahir?“ fragte er erstaunt.

„Gegen Abd el Kahir?“ sagte auch der andere.

Die beiden sahen einander mit großen Augen an und schüttelten die Köpfe.

„Hast Du etwas gegen diesen Scheik?“ erkundigte sich hierauf der Mutessarif.

„Nicht nur etwas, sondern sehr viel.“

„Sage es.“

„Abd es Kahir ist ein Räuber und ein Mörder, um dessen Bestrafung ich Dich bitten möchte.“

„Räuber! Mörder!“ riefen beide zu gleicher Zeit.

Sie schienen diesen Scheik für einen grundehrlichen und grundbraven Mann zu halten; darum beeilte ich mich, sie etwas besser zu belehren, indem ich ihnen erzählte, was geschehen war.

Der Mutessarif hörte mich ruhig an; des andern aber bemächtigte sich eine stets wachsende Aufregung, in welcher er mich oft mit einem Kraftwort unterbrach. Als ich fertig war, rief er, sichtlich im höchsten Zorne, aus:

1) Oberrichter.

„Sollte man das für möglich halten! Kann so etwas wirklich geschehen! Wehe diesem Hunde, wenn ich ihn jemals erwische!“

Um den Mund des Mutessarif spielte wieder ein Lächeln, diesmal aber ein ironisches.

„Kannst Du uns die Versicherung geben, daß Deine Erzählung wirklich wahr ist?“ fragte er mich.

„Ja.“

„Ich glaube, daß Du in fester Überzeugung sprichst, aber Du irrst Dich; Du hast die Wahrheit nicht gesagt, sondern einen völlig Unschuldigen beschuldigt.“

„Wenn dies der Fall ist, so habe ich richtig geahnt, und der Mann ist gar nicht Abd el Kahir, der Scheik der Muntefik, gewesen.“

„Er war es nicht, denn Abd el Kahir sitzt hier vor Deinen Augen neben mir.“

Es läßt sich denken, daß diese unerwartete Eröffnung mich nicht sonderlich erbaute; aber in Verlegenheit brachte sie mich doch nicht, denn der Scheik hatte keine Veranlassung, mir zu zürnen. Um so mehr ergrimmt war er auf den Menschen, der sich seines Namens bedient hatte. Er sprang auf, lief im Selamlük hin und her und fragte immerfort, wer es doch wohl gewesen sein möge. Ich beschrieb die Person möglichst genau und erwähnte dabei auch die Stirnnarben.

„Das ist kein Kennzeichen,“ meinte er. „Es gibt Stämme, bei denen alle Krieger Narben tragen.“

„Das meine ich eben. Man kann dadurch vermuten, zu welchem Stamm er gehört.“

„Sie können auch von einer zufälligen Verwundung herrühren.“

„Nein. Ich bin vollständig überzeugt, daß sie mit Absicht eingeschnitten worden sind.“

„Dann wäre es notwendig, zu wissen, ob seine Leute gerade auch solche Narben hatten.“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Du mußt es aber doch wissen, denn Du hast sie gesehen und sogar mit ihnen gekämpft!“

„Gesehen nur einen einzigen Augenblick, und während des ebenso kurzen Kampfes waren wir in dichten Staub gehüllt.“

„Deine Haddedihn wissen es vielleicht?“

„Darf ich gehen, sie zu fragen?“

„Wenn Du erlaubst, thue ich es selbst.“

Er ging; als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, sagte er:

„Sie haben alle dieselben Stirnnarben gehabt, welche also ein Stammeszeichen sind. Zwei Narben, eng nebeneinander von rechts nach links schräg über die Stirn gehend, werden von einigen Arteilungen der Tamimaraber getragen.“

„Wo wohnen diese?“ erkundigte ich mich.

„Auf dem Karawanenwege von hier nach Mekka,“ antwortete er.

„Kannst Du die Gegend nicht genauer angeben?“

„Da müßte ich wissen, zu welchem Zweige der Tamim diese Halunken gehören, welche sich meines ehrlichen Namens bedient haben. Das soll ihnen vergolten werden. Es ist das eine Schändung, welche nur mit Blut abgewaschen werden kann. Ich schließe mich den Truppen an, welche Du gegen sie aussenden wirst.“

Der Mutessarif, an den diese letzten Worte gerichtet waren, zuckte die Achseln und erklärte:

„Meine Macht erstreckt sich nur bis El Hufeïr, wo die Grenze von Irak ist; die Tamim aber wohnen jenseits derselben. Ich werde den Händler kommen lassen, bei dem der angebliche Scheik gewesen ist.“

Es wurde ein Polizeisoldat geschickt, diesen Mann zu holen. Wir erfuhren, daß er den echten Abd el Kahir ebensowenig kannte wie ich vorher, und dem Falschen seine Versicherung, es zu sein, geglaubt hatte. Dieser hatte ihm verschiedene Gegenstände verkauft, welche sehr wahrscheinlich die Ergebnisse eines Beutezuges waren.

Nun wußten wir gerade soviel wie vorher. Wir berieten hin und berieten her und kamen zu dem Resultate, daß die Mörder bei den Tamim zu suchen seien. Es blieb uns also gar nichts anderes übrig, als uns nach der Karawanenstraße zu wenden.

Eine kleine Hoffnung hatte ich doch noch außerdem, und diese setzte ich auf die Spuren der Räuber. War es mir möglich, diesen heute noch eine Strecke zu folgen, so ließ sich hoffen, doch vielleicht etwas Genaueres zu erfahren. Als ich dies dem Scheike sagte, forderte er mich eifrig auf, die Verfolgung sofort zu beginnen. Ich war gern bereit dazu, hatte aber kein Pferd. Da stellte mir der Mutessarif eines zur Verfügung und ließ es eiligst satteln.

Der Scheik brannte vor Begierde, die Schuldigen bestraft zu sehen, und war entschlossen, mir morgen früh mit den Haddedihn nachzukommen, welche er beritten machen wollte. Sie konnten leider nicht gleich mit mir fort, weil sie eben noch keine Pferde hatten und vorher ihren Mesud Ben Hadschi Schukar begraben mußten. Mein Hadschi Halef aber wollte sich nicht bis morgen halten lassen, und der Mutessarif war so freundlich, auch für ihn ein Pferd zur Verfügung zu stellen.

Ich konnte nicht wissen, wohin mich die Spuren führen würden, und da war es leicht möglich, daß die nachfolgenden uns nicht finden konnten. Um dies zu vermeiden, wurde ausgemacht, daß ich auf alle Fälle in dem nicht allzuweit von Basra entfernten Orte Mangaschania eine Botschaft oder Weisung zu hinterlassen habe.

Nun standen die Pferde im Hofe; ich verabschiedete mich von dem Mutessarif und ritt mit Halef fort, ohne ein Gewehr mitzunehmen. Ich hätte mir zwar eines geben lassen können, hielt es aber für besser, gar keins zu haben als ein schlechtes. Wir ritten im Galopp nach Kubbet el Islam, wo wir zunächst Omar Ben Sadek benachrichtigten und dann nach den Spuren der falschen Muntefikaraber suchen wollten. Omar saß bei der Leiche seines Schwagers und hatte neben derselben sein Messer in die Erde gesteckt. Dies war nach dem Gebrauche der Haddedihn das Zeichen seines festen Entschlusses, den Tod Mesuds an dem Mörder blutig zu rächen. Dieser Entschluß sprach sich auch in der finstern Erstarrung aus, in welcher seine Züge lagen, und in dem Blicke, mit welchem er uns empfing. Er hörte mich ruhig an, als ich ihm erzählte, was wir in Basra erfahren und erreicht hatten, und sagte dann:

„Hätte der Bruder meines Weibes auf Dich gehört, Emir, so wäre er noch am Leben; ich habe ihn aber dennoch zu rächen und werde nicht eher nach den Zelten der Haddedihn zurückkehren, als bis ich den Thäter niedergestreckt habe. Ed dem b’ ed dem, Blut um Blut, und ich muß es erfüllen, wenn ich mich nicht von dem ganzen Stamme verachten lassen will.“

„Ja, diese Blutthat muß gerächt werden,“ stimmte Halef sehr ernst zu. „Wenn wir nicht alles aufböten, den Mörder zu finden und zu bestrafen, so dürften wir unsern Kriegern nicht vor die Augen treten, und Hanneh, das schönste und beste Weib unter den allerbesten Frauen, würde irre an mir werden.“

Wir verabschiedeten uns bis auf morgen von Omar und ritten nach der Nordseite der Ruinen, wo wir auf die Fährte der Mörder trafen. Diese war so deutlich, daß gar keine Kunst dazu gehörte, ihr zu folgen. Sie zeigte nach Westsüdwest, und wenn sie diese Richtung beibehielt, so mußte sie uns nach der Pilgerstraße von Basra nach Mekka führen. Dies war mir lieb und doch wieder nicht angenehm. Lieb, weil diese Straße verhältnismäßig eng bewohnt ist und wir also den Vorteil hatten, Erkundigungen einziehen zu können, unlieb aber deshalb, weil die Bewohner dieser Mekkastraße äußerst unduldsame Muhammedaner sind, bei denen ich in große Gefahr geriet, falls sie entdeckten, daß ich ein Christ sei.

Da wir der Spur nur bis zum Abende folgen konnten, trieben wir unsere Pferde zur möglichsten Eile an und hatten, als es dunkel wurde, eine tüchtige Strecke hinter uns gelegt. Da lagerten wir uns und ritten, so bald der Tag graute, weiter. Zwei Stunden später erreichten wir Mangaschania, einen Ort, an welchem schon vor Muhammed der Araberhäuptling Keïs einen Wachtturm erbauen ließ. Ich fand ein elendes Nest, welches von den Beni Mazin vom großen Stamme der Tamim bewohnt wurde, doch söhnte mich damit der Umstand aus, daß wir verabredet hatten, hier Nachricht zu hinterlassen. Hätte uns die Spur wo andershin -

andershin geführt, so wäre dies mit Zeitverlust verbunden gewesen.

Vor dem Orte lungerten einige Kerls herum, welche uns mit einer Freundlichkeit begrüßten, deren Aufrichtigkeit nicht ganz zweifellos zu sein schien. Es kam mir vor, als ob sie nach uns ausgeschaut hätten, und die allzu forschenden Blicke, mit denen sie uns betrachteten, wollten mir wenig gefallen. Ich fragte sie, ob der Scheik el Beled 1) zu sprechen sei, und ließ mich, als sie dies bejahten, zu ihm führen. Er wohnte in einer ziemlich umfangreichen Erdhütte, aus deren offener Thüre er trat, als er uns kommen hörte. Auch hier kam es mir so vor, als ob er uns erwartet habe. Ich fragte ihn, ob er den Reitertrupp gesehen habe, welcher vor uns hier durchgekommen sei.

„Natürlich habe ich ihn gesehen,“ antwortete er. „Sie haben hier am Brunnen gehalten und ihre Schläuche gefüllt.“

„Wohin sind sie dann?“

„Dahin,“ sagte er, indem er nach Westen deutete.

„Also nicht auf der Pilgerstraße weiter?“

„Nein, denn da würden sie nicht nach ihrem Duar kommen, und sie wollten doch heim.“

„Heim? So weißt Du also wohl, wo sie wohnen?“

„Ja.“

„Und wer sie sind?“

„Freilich weiß ich es.“

„Nun, wer?“

„Es war Humam Ben Dschihal, der Scheik der Hadescharaber mit einigen Kriegern. Sie sind in Kubbet el Islam gewesen, um Ibn Risaa zu verehren. Der Scheik hatte ein Gelübde gethan.“

„Und wo wohnen sie?“

„Im Wadi Bascham, jenseits der Wasit-Straße, drei Tagereisen von hier.“

„Du bist sicher, daß Du Dich nicht irrst?“

„Wie sollte ich mich irren! Humam Ben Dschihal ist mein Freund und Bruder, den ich oft besuche.“

„Wie lange hat er sich hier aufgehalten?“

„Keine halbe Stunde; er hatte sehr große Eile, nach seinem Wadi Bascham zu gelangen.“

„Hat er Dir gesagt, weshalb?“

„Nein, denn ich habe ihn nicht gefragt. Wollt Ihr absteigen und Eure Schläuche füllen?“

Wir hatten Schläuche mitbekommen, denn ein Schlauch gehört, sozusagen, in jenen Gegenden zum Sattelzeug.

„Ja, wenn Ihr es erlaubt,“ antwortete ich.

„Ich erlaube es, wenn Ihr dafür die gebräuchliche Taxe bezahlt.“

Ich gab ihm das Geld, welches eine nur geringe Summe war, stieg ab und gebot Halef, die Pferde an den Brunnen zu führen, sie dort zu tränken und dabei die Schläuche mit Wasser zu füllen. Dann machte ich allein einen Gang um den Ort, um nach den vorhandenen Spuren zu sehen. Es war richtig: die Fährte, welcher wir zu folgen hatten, führte in der bezeichneten Richtung weiter; der Schech el Beled schien mich also nicht belogen zu haben. Dennoch aber hatte ich das Gefühl, daß ich ihm nicht trauen dürfe.

Da wir nun wußten, mit wem wir es zu thun hatten, war Eile nicht nötig, und wir konnten hier in Mangaschania auf den Scheik der Montefik [Muntefik] warten, um dann mit ihm und seinen Leuten zusammen weiterzureiten; ein augenblickliches Verfolgen der Fährte war nun überflüssig geworden. Halef war damit einverstanden.

Die Leute von Mangaschania brachten uns für eine geringe Bezahlung zu essen und verhielten sich überhaupt sehr aufmerksam gegen uns. Dabei behandelten sie mich mit großer Scheu, und ich bemerkte wiederholt, daß ihre Augen mit einem ganz besonderen Ausdrucke auf meinem Gesichte ruhten. War ich ihnen als der bekannte Kara Ben Nemsi beschrieben worden? Das konnte nur der Mörder gethan haben, welcher überzeugt war, daß ich ihn verfolgen werde, und ihnen dies gesagt hatte. Das vergrößerte mein Mißtrauen.

Kurz nach Mittag kam Abd el Kahir mit unsern Haddedihn und seinen Muntefikarabern. Er hatte nicht geglaubt,

1) Dorfältester.

mich hier zu finden. Als ich ihm sagte, was ich erfahren hatte, rief er aus:

„Das leuchtet mir ein, Emir. Dieser Scheik der Hadescharaber ist ein Räuber, und ich traue ihm wohl zu, daß er es gewesen ist. Allah wird ihn dafür vernichten, daß er es gewagt hat, meinen ehrlichen Namen zu mißbrauchen! Wir reiten ihm augenblicklich nach. Ich kenne den Weg nach dem Wadi Bascham, wenn ich auch noch nicht dort gewesen bin.“

Wir brachen sogleich auf und ritten, bis es dunkel geworden war. Dann lagerten wir uns mitten in der Wüste. Ich bat den Scheik, Wachen aufzustellen; er lachte darüber und that es nicht. Da ich aber diese Vorsicht nie zu versäumen pflege, loste ich die Wachen mit den Haddedihn aus. Ich selbst übernahm mit einem von ihnen die erste. Nach zwei Stunden wurden wir von Halef und Omar abgelöst und legten uns nieder. Bald aber weckte mich ein Schuß. Ich sprang auf und fragte, wer geschossen habe. Omar war es gewesen. Er hatte eine Gestalt heranschleichen sehen und sie angerufen; da eine Antwort nicht erfolgt war, hatte er auf sie geschossen. Ob es ein Mensch oder ein Tier gewesen war, wußte er nicht.

Wir suchten vorsichtig nach und fanden einen sehr gut bewaffneten Beduinen, dem Omars Kugel den Kopf durchschlagen hatte; er war tot. Beim Scheine einiger Zündhölzer erkannten wir zu unserm Erstaunen in ihm einen der Räuber, die wir verfolgten.

„Siehst Du, wie recht ich hatte, daß ich Wachen ausstellte,“ sagte ich zu dem Scheik. „Sie haben auf uns gewartet und uns umschlichen, um uns zu überfallen. Jetzt müssen wir doppelte Posten ausstellen.“

Dies geschah, und es geschah bis zum Morgen nichts Feindseliges mehr. Als es dann hell geworden war, sahen wir freilich die Stapfen der Menschen, welche nur durch Omars Aufmerksamkeit von der Ausführung ihres Vorhabens abgehalten worden waren. Ihre neue Spur wich von ihrer bisherigen Richtung links ab.

„Sie wollen uns ablenken,“ sagte der Scheik; „das soll ihnen aber nicht gelingen. Wir folgen ihnen nicht, sondern reiten weiter, gerade auf das Wadi Bascham zu.

Ich stimmte bei, und so wurde die alte Richtung beibehalten. Wir kamen während des ganzen Tages durch Gegenden, welche zwar nicht Wüste genannt werden konnten, aber doch recht gut hätten in der Sahara liegen können. Gegen Abend kamen wir an den von Wasir nach Dsul Oschar führenden Karawanenweg, wo wir während der Nacht an einem Brunnen lagerten, der reichlich aber schlechtes Wasser führte. Am Morgen ritten wir weiter. Wir wollten bis in die Nähe des Wadi Bascham, um dort den Mördern aufzulauern. Es sollte aber anders kommen.

Es war noch nicht Mittag, als wir einen Reitertrupp erblickten, welcher sich in einem spitzen Winkel uns von links herüber näherte. Es waren nur vier Mann, vielleicht ein Teil von denen, die wir erwarteten. Wir griffen zu den Waffen und hielten an, um sie herankommen zu lassen. Sie setzten ihre Pferde in Galopp, und bald sahen wir, daß wir uns geirrt hatten. Mit diesem „wir“ sind jedoch nicht die Muntefik gemeint, denn als der Scheik derselben die Gesichter der Nahenden erkannte, rief er aus:

„Sie sind es, Emir, sie sind’s! Der, welcher voranreitet, ist Humam Ben Dschihal, der Scheik der Hadesch.“

„Du kennst ihn genau?“ fragte ich.

„Ja.“

„So hat uns der Schech el Beled von Mangaschania belogen, denn diese Männer waren es nicht, die uns in Kubbet el Islam überfielen.“

„Was? Wie? Diese nicht?“

„Nein.“

„So verdamme Allah den Lügner! Ich werde ihn bestrafen lassen!“

Die vier Hadescharaber kamen heran und grüßten uns. Als ihr Anführer sich nach der Ursache und dem Ziele unseres Rittes erkundigte, hielt ich es für das Klügste, ihm die Wahrheit zu sagen. Er sah allerdings wie ein echter Räuber aus, doch sind die dortigen Beduinen alle mehr oder weniger Spitzbuben.

„Allah ’l Allah!“ lachte er, als er mich angehört hatte. „Ich nehme es Euch nicht übel, daß Ihr mich für den Räuber gehalten habt; aber ich sage Dir, daß ich es besser gemacht hätte als er. Aber ich möchte gern wissen, wer der ist, mit dem ich verwechselt worden bin. Willst Du ihn mir nicht einmal beschreiben!“

Ich folgte dieser Aufforderung, als ich die beiden Narben erwähnte, rief er aus:

„Maschallah! Gingen sie von rechts nach links schräg abwärts über die Stirn?“

„Ja.“

„Hatte nur er diese Narben?“

„Nein. Jeder seiner Leute hatte sie auch und genau ebenso.“

„So habe ich es, ich hab’s! Ich weiß, wer er ist!“

„Nun, wer?“ fragte ich, im höchsten Grade gespannt.

„Es ist — — doch halt!“ unterbrach er sich, indem sein Gesicht einen lauernden Ausdruck annahm. „Ihr werdet ihn verfolgen?“

„Ja.“

„Wenn es sein muß, bis zu seinem Lagerdorfe hin?“

„Sicher!“

„So gib mit ein Versprechen!“

„Welches?“

„Daß Du auf dem Wege, den ich Dir beschreibe, hinreiten wirst.“

„Das kann ich nicht versprechen, denn es ist möglich, daß unvorhergesehene Umstände mich unterwegs zwingen, von diesem Wege abzuweichen.“

Da fiel Abd el Kahir, der Scheik der Muntefik, schnell ein:

„Wenn Du Dich weigerst, dieses Versprechen zu geben, so erfahren wir nichts. Ich gebe es hiermit an Deiner Stelle.“

„Gut, ich halte Dich beim Worte!“ sagte der Scheik der Hadesch. „Übrigens braucht Ihr ihm nicht zu folgen, denn wenn Ihr mit mir nach dem Wadi Bascham reitet, fällt er in Eure Hände. Auch ich habe eine Blutrache mit ihm. Sein Stamm steht mit dem meinigen in Fehde; ich war jetzt dort und habe dafür gesorgt, daß er mir in die Hände läuft. Ich erfuhr, daß er nach Basra ritt, und bin nach seinem Duar gezogen, um ihm einen Streich zu spielen. Was für einer dies ist, das braucht Ihr nicht zu wissen; aber Ihr könntet ihn mir leicht vereiteln, wenn Ihr nicht den Weg einschlüget, den ich Euch vorzeichne. Ich weiß ganz gewiß, daß er sofort gegen mich ziehen wird, sobald er von Basra zurückkehrt. Es ist nämlich Abd el Birr, der Scheik der Malik Ben Handhala im Wadi esch Schagina.“

„Allah ’w Allah! Das ist möglich; ja, das glaube ich! Und nun weiß ich auch, weshalb der Schech el Beled von Mangaschania uns belogen hat. Er ist ja sein Stammesgenosse. Mangaschania wird von den Beni Mazin bewohnt, welche zu dem großen Stamme der Tamim gehören, und die Malik Ben Handhala gehören auch zu demselben. Er hatte sich dem Schech anvertraut.“

„Du hast recht. Ich sage Dir, der Mörder, den Ihr sucht, ist wirklich dieser Abd el Birr; das schwöre ich Dir beim Kuran zu.“

„So müssen wir ihm nach.“

„Wollt Ihr ihn nicht lieber in meinem Wadi, bei mir erwarten? Er kommt sicher.“

„Nein; wir haben keine Zeit dazu.“

„So reitet bis zu Euerm letzten Nachtlager zurück, und folgt von dort aus seinen Spuren. Er wird sich auf der Wasit-Straße halten bis nach Dsul Oschar hinüber, und dann auf dem Mekkawege weitergehen. Willst Du das?“

„Ja, ich verspreche es Dir. Es ist ja auch der kürzeste Weg nach seinem Dorfe.“

Ich war anderer Meinung als Abd el Kahir, sagte aber nichts, sondern hob mir das für später auf. Es wurden noch einige höfliche Redensarten gewechselt; dann trennten wir uns; das heißt, wir kehrten auf dem Wege zurück, den wir gekommen waren, Humam Ben Dschihal aber blieb mit seinen drei Hadesch halten, um zu sehen, ob wir das ihm gegebene Versprechen auch erfüllten. Ich drehte mich öfters, ohne daß es ihm auffallen konnte, nach ihm um; sobald wir jedoch so weit von ihm fort waren, daß er uns nicht mehr sehen konnte, wich ich von unserm Wege rechts ab.

„Was thust Du?“ fragte Abd el Kahir. „Du reitest falsch.“

„Ich reite sehr richtig.“

„Es würde ein Umweg sein.“

„Das Gegenteil. Unsere Feinde sind nach Südwest, wir aber reiten jetzt gerade nach Süd. Wie wollen wir sie da einholen!“

„Wir reiten ihnen ja von unserm letzten Lagerplatze aus nach!“

„Das würde einen Winkel geben, einen Umweg, welcher über einen ganzen Tag beträgt.“

„Ich habe es aber versprochen!“

„Ich nicht. Der Gegenstand ist von gar keiner Bedeutung für Dich, und wenn Du nicht nach Deinem zu schnell gegebenen Versprechen handelst, wirst Du keine große Sünde begehen. Willst Du aber Dein Wort halten, so habe ich gar nichts dagegen; reite Du weiter! Ich aber habe nichts versprochen und werde keinen Umweg machen, denn ich will die Kerls einholen, noch ehe sie ihr Dorf erreichen. Sind Sie erst dort, dann ist es gefährlicher, an sie zu kommen. Außerdem kam mir das Benehmen des Scheikes der Hadescharaber verdächtig vor. Er hat etwas gethan, was wir nicht wissen sollen, und derartige Verheimlichungen lasse ich nie unaufgedeckt. Ich muß stets wissen, woran ich bin.“

Ich ritt weiter; Halef, Omar und die Haddedihn folgten mir, und die Muntefikaraber kamen uns nach einiger Zeit doch nach, als sie sahen, daß wir nicht umkehrten. Was ging mich das leichtsinnige Versprechen ihres Scheikes an! Ich hatte auf unser Unternehmen Rücksicht zu nehmen, nicht aber auf den mir so verdächtig erscheinenden Wunsch Humam Ben Dschihals.

Wir ritten also nach Südwest und kamen bald an die Spuren des Letztgenannten und seiner Leute. Diesen folgten wir bis zum Abende, ohne daß irgend etwas geschah. Die Gegend war im höchsten Grade triste, und unser Wasser ging zur Neige. Ich wollte aber nicht südwärts nach der Wasitstraße einlenken, weil dies ein Umweg war und gerade hier mehrere Unterabteilungen der Tamim an derselben wohnten. Die hielten es natürlich mit Abd el Birr, von dem sie jedenfalls über uns benachrichtigt worden waren. Wir wären da wohl kaum unsers Lebens sicher gewesen. Später gab es an derselben Straße Angehörige anderer Stämme, denen wir mehr Vertrauen schenken konnten. Darum strengten wir unsere Pferde soviel wie möglich an, um eine tüchtige Strecke hinter uns zu legen, und infolgedessen waren, als es dunkel wurde, nicht nur die Pferde, sondern auch die Reiter ungewöhnlich ermüdet. Wir schliefen alle rasch ein, die Wache natürlich ausgenommen. Abd el Kahir hielt es nach der letzten Erfahrung gar nicht mehr für überflüssig, Wächter auszustellen.

Ich wurde auch heute bald wieder geweckt und zwar abermals durch Omar Ben Sadek. Er rüttelte am meinem Arme und sagte leise, um die andern Schläfer nicht zu stören:

„Sihdi, steh doch einmal auf, und horch, was das für Töne sind! So eine Tierstimme habe ich noch nie gehört.“

Ich that ihm den Willen, entfernte mich mit ihm eine kleine Strecke vom Lagerplatz und horchte. Es herrschte die tiefste Stille rund umher. Doch bald wurde sie durch einen eigentümlichen Ton unterbrochen, den ich allerdings auch nicht unterzubringen wußte. Eine Tierstimme war es nicht, und als sich dieser Ton einigemal wiederholt hatte, sagte ich:

„Sonderbar! Wenn dies nicht die Stimme eines rufenden Kindes ist, so weiß ich dann nicht, wem sie gehören soll. Schakal oder Fennek ist es nicht, Hyäne vollends gar nicht. Gehen wir langsam näher!“

Wir setzten uns in Bewegung, und je weiter wir kamen, desto deutlicher wurden die Laute; dann unterschieden wir die beiden Silben Zar — — ka, die von einer klagenden Kinderstimme gerufen wurden. Zarka ist das Femininum des arabischen Wortes asrak, welches blau bedeutet; hier war es also wohl der Name einer Frau oder eines Mädchens. Ein Kind allein hier in der Wüste? Unmöglich! Es waren jedenfalls andere Personen dabei, und da galt es, vorsichtig zu sein. Wir schlichen uns näher und immer näher, bis wir zu unserm Erstaunen sahen, daß das Kind allerdings ganz mutterseelenallein im Sande lag. Das konnte aber eine Falle sein, und darum beschloß ich, die Umgegend recht sorgfältig abzusuchen.

Dies dauerte ziemlich lange, und als ich damit fertig war und zu Omar zurückkehrte, saß er an der Erde, mit dem Kinde auf dem Arme. Es hatte die Ärmchen um seinen Hals geschlungen und schlief.

„Pst, Sihdi, wecke es nicht!“ flüsterte er. „Es schläft. Wir wollen ganz leise, ganz leise zurückkehren.“

Er stand langsam auf, um das Kind ja nicht etwa durch eine schnelle Bewegung zu wecken, und trug es nach dem Lager. Dort setzte er sich nieder und blieb die ganze Nacht vollständig bewegungslos sitzen, er, der rauhe Beduine, den ich nur seinem Weibe gegenüber weich gesehen hatte. Die letzte Wache war auf mich gefallen, und so sah ich beim Anbruche des Tages die rührende Hingebung, welche er für den Findling hegte. Es war ein Knabe.

Da regte sich dieser und ließ, nach schlaftrunken, wieder den Namen Zarka hören. Dann schlug er die Augen auf, aber was für Augen! Sie waren blau; fast möchte ich sagen, himmelblau, wenn es überhaupt himmelblaue Augen gäbe, denn die himmelblaue Farbe der Augen ist lediglich eine Erfindung der Dichter. Ein Araberknabe himmelblaue Augen! Omar stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus und war ganz entzückt darüber; es war allerdings ein Knäblein, wie gemalt, vielleicht anderthalb Jahre alt. Der Ruf weckte die Schläfer auf, die nicht wenig verwundert waren, als sie das Kind erblickten. Dieses fürchtete sich vor ihnen, suchte Schutz am Halse Omars und rief wieder nach seiner Zarka. Wir gaben ihm zu trinken und einige weiche Datteln; da beruhigte es sich.

Was mit dem Knaben thun? Ihn mit uns nehmen, das ging wohl kaum; noch weniger konnten wir ihn hier zurücklassen. Der nächste Ort war el Achadid an der Wasit-Straße; dorthin wollten wir ihn bringen, denn es war zu vermuten, daß er nach dort gehörte. Das zwang uns zu einem Umwege, war aber nicht zu ändern. Wir saßen also auf und schlugen die Richtung nach diesem Orte ein. Das Kind fürchtete sich vor uns allen und weinte, wenn sich einer von uns ihm näherte; zu dem braven Omar aber zeigte es sonderbarerweise eine wahre Zärtlichkeit, über welche er ganz glücklich war. Er hatte es bei sich auf dem Pferde und sorgte dafür mit einer Aufmerksamkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte.

„Sihdi,“ sagte er, „das ist ein wahrer Herzensknabe. Ich schwöre bei Allah, daß ich ihn seinem Vater wiedergeben werde.“

„Und wenn wir diesen nicht finden?“

„So nehme ich ihn mit mir und bringe ihn meiner Sahama, dem Weibe meiner Liebe, die voller Wonne über ihn sein wird.“

Seine Zuneigung zu dem Knaben wuchs von Stunde zu Stunde, und als wir gegen Abend in der Nähe von el Achadid angekommen waren, sagte er:

„Ich wollte, die Eltern wären nicht zu finden. Sieh, wie er mich am Barte zerrt und dabei lacht! Aber trotzdem sollen sie ihn wieder haben, und wenn sie noch so weit von hier wohnen. Bei Allah, ich werde ihnen ihr verlorenes Glück wieder bringen!“

Er ahnte nicht, was dieses „bei Allah“ bald für Folgen haben würde.

Da el Achadid von keiner Abteilung der Tamim bewohnt wurde, hatten wir nichts zu besorgen und ritten in den Ort. Unsere Nachfragen waren vergeblich. Niemand kannte den Findling, und kein Mensch wußte, wo in den benachbarten Duars ein Kind seinen Eltern abhanden gekommen war. Ich machte den Vorschlag, den Knaben hier zu lassen. Uns mußte er genieren, und die Bewohner dieses Ortes konnten seine Herkunft ausfindig machen. Da aber sagte Omar:

„Nein, Sihdi! Ich habe ihn gefunden, und wenn wir seine Eltern nicht entdecken, so gehört er mir und wird mein Kind. Soll ich ihn Zarka nennen?“

„Das ist ja ein weiblicher Name.“

„Gut, so soll er Lakit 1 heißen. Es gibt keinen Namen, welcher besser für ihn paßt.“

1) Findling.

3. Um des Kindes willen.

Illustration3

Die Leute von el Achadid behandelten uns freundlich. Sie boten uns Wasser umsonst und Früchte, Mehl und andere Nahrungsmittel zu den niedersten Preisen an. Einer von ihnen war von einem Ritte nach Wasit heimgekommen und dabei auf Abd el Birr und seine Handhala-Araber gestoßen. Als er das so nebenbei erwähnte, bemerkte ich, daß Feindschaft zwischen Achadid und den Handhala herrschte, und da erzählte ich, weshalb wir in diese Gegend gekommen waren. Hierauf wurde uns von ganzem Herzen guter Erfolg gewünscht; wir mußten als Gäste in dem Orte bleiben und bekamen, als wir am nächsten Morgen weiterritten, alle Auskunft, die uns nötig war, weil bei den Muntefik die Kenntnis der Örtlichkeiten nun nach und nach zu mangeln begann.

Wir wußten nun, daß wir die Malik Ben Handhala eine halbe Tagesreise vor uns hatten, und mußten uns bemühen, diesen Vorsprung einzubringen. Leider wurde uns dies durch den Knaben erschwert, welcher trotz aller Sorgfalt, die Omar auf ihn richtete, unser schnelles Reiten nicht aushalten konnte. Die Muntefik raisonnierten darüber, doch Omar machte sich nichts daraus. Die blauen Augen hatten es ihm angethan, und er schien mehr an den Knaben als an die Blutrache zu denken, die uns und vor allen Dingen ihn hierher geführt hatte. Er plauderte in einem fort mit seinem „Lakit“, obgleich er immer nur das Wort Zarka als Antwort bekam. Obwohl Ob wohl die Mutter des Knaben diesen Namen trug?

Gegen Ende dieses Tages kamen wir wieder auf die Fährte der Handhala und beschlossen, nur dann von derselben abzuweichen, wenn es einen Ort zu umreiten gab, dessen Bewohner uns nicht sehen sollten.

Die Verfolgten hatten sich bis jetzt auf der Wasit-Straße gehalten; am nächsten Vormittage aber führte ihre Spur nach Mawija hinüber, welches an der Mekkastraße liegt. Wir hatten gehört, daß dieser Ort von den Anbararabern bewohnt wird, vor denen wir uns, wie wir meinten, nicht zu verbergen brauchten, da sie nicht zum Tamimstamme gehörten, und hielten es für geboten, uns da nach den Handhala zu erkundigen. Dennoch gebrauchte ich die Vorsicht, die andern außerhalb des Ortes zu lassen und mit Halef allein hineinzureiten.

Einige Männer standen bei den ersten Hütten und Zelten. Als sie uns kommen sahen, rannten sie fort, wohl um die Kunde von der Ankunft zweier fremder Reiter rasch zu verbreiten. Dennoch sahen wir, als wir uns schon mitten im Dorfe befanden, keinen andern Menschen als eine alte Frau, die ich nach dem Schech el Belad [Beled] fragte. Sie bezeichnete mir ein großes Zelt als Wohnung desselben. Wir ritten hin und riefen. Da wurde der Vorhang zurückgeschlagen, und der Beherrscher des Dorfes erschien in der Öffnung. Ohne abzuwarten, was wir von ihm wollten, lud er uns ein, bei ihm einzutreten und den Tschibuk mit ihm zu rauchen. Ich entschuldigte mich mit dem Mangel an Zeit; er aber ließ das nicht gelten und wiederholte seine Einladung in so dringendem Tone, daß es eine unverzeihliche Beleidigung gewesen wäre, wenn wir dieselbe auch jetzt noch zürückgewiesen hätten. Und Feinde durften wir uns hier nicht machen, weil uns der Rückweg wieder herführen mußte. Wir stiegen also ab, banden die Pferde an zwei Zeltstangen und traten ein.

Unser Wirt begrüßte uns mit einem vollständigen Ahla wa sahla wa marhaba 1, was die geringe Befürchtung, die ich doch hegte, sofort verscheuchte, denn einer, dem man nicht wohl will, wird nie so gegrüßt, und ließ uns niedersetzen. An einem Pfahle hingen mehrere Tabakspfeifen, von denen er uns die beiden besten aussuchte; dann gab er uns Tabak und auch Feuer. Er war im höchsten Grade freundlich, setzte sich zu uns und begann ein Gespräch, ohne uns nach unsern Verhältnissen und Absichten zu fragen.

Da war es mir, als ob ich draußen die Schritte vieler Leute hörte, leise Schritte, was meinen Argwohn sofort wieder wachrief.

„Die Bewohner Mawijas scheinen nicht daheim zu sein,“ sagte ich. „Ich habe nur einige Männer und eine Frau gesehen.“

Da stand er auf, nahm plötzlich eine ganz andere Miene an und antwortete:

„Sie sind daheim, alle, alle, und haben auf Euch gewartet.“

„Gewartet?“ fragte ich, noch ruhig sitzen bleibend. „Wußtet Ihr denn, daß wir kommen würden?“

„Wir wußten es. Abd el Birr, der Scheik der Handhala, hat uns gesagt, daß Ihr Christenhunde kommen werdet, um die heilige Pilgerstraße zu besudeln. Das werdet Ihr mit Eurem Leben bezahlen. Unsere Männer haben sich versteckt, um Euch stinkenden Hun­de — —“

„Schweig!“ fuhr ich ihn an, indem ich aufsprang und Halef sich ebenso rasch aufschnellte. „Ja, ich bin ein Christ; der Hund aber bist Du!“

„Und Deine Leute sind Hundesöhne und feige Abkömmlinge von Hundeenkeln, denen wir die Peitsche geben werden!“ unterbrach mich mein wackerer, furchtloser Halef, indem er eine kurze, starke Lederpeitsche, welche am nächsten Pfahle hing, herunterriß und ihm mit derselben gedankenschnell zwei, drei, vier Hiebe quer über das Gesicht versetzte.

Der Kerl wollte schreien, kam aber nicht dazu, denn ich schlug ihn zu Boden und öffnete dann den Vorhang, welcher als Thüre des Zeltes diente. Da draußen standen jetzt über hundert bewaffnete Männer und Burschen bereit, die Schänder der heiligen Straße zu ermorden und zu zerreißen; hinter ihnen hatten sich die Weiber zusammengeschart. Ich wollte aufs Pferd und fort, mitten durch sie hindurch; da aber schob mich mein listiger Hadschi Halef zur Seite und schrie, ehe noch einer von ihnen zu einem Ruf des Fanatismus kam, ihnen zu:

„Was fällt Euch denn ein, Ihr gläubigen Moslemim, Ihr tapferen Krieger von Mawija! Wir gehören zu den Handhala und wurden von Abd el Birr zu Euch gesandt, um dem Schech el Beled zu melden, daß die erwarteten Ungläubigen in kurzer Zeit ankommen werden. Ihr habt Eure Verstecke zu früh verlassen. Sie können jeden Augenblick erscheinen, und wenn sie Euch hier versammelt sehen, werden sie draußen bleiben und entfliehen. Verbergt Euch also schleunigst wieder, solange es noch Zeit ist! Schnell, schnell, fort, fort, sonst entgehen sie uns!“

1) Willkommen.

Um sie irre zu leiten und seinen Worten Nachdruck zu geben, verschwand er rasch wieder im Zelte, und ich folgte ihm ebenso schnell. Der Schech lag betäubt am Boden. Wir blickten durch eine Ritze hinaus und sahen, daß sich das Volk schleunigst entfernte. Der schlaue Hadschi bemerkte diesen seinen Erfolg und sagte, vergnügt lachend:

„Siehst Du, wie es hilft, Sihdi! Du hättest wohl zwanzig und noch mehr mit der Faust niedergeschlagen; vor meiner Zunge aber reißen sie alle, alle aus. Hamdulillah, jetzt sind sie fort! Nun wieder hinaus und auf die Pferde!“

Es war kein Mensch mehr draußen zu sehen, aber eben als wir aufstiegen, kamen einige Personen hinter einer langen, niedrigen Hütte hervor; ich erkannte Abd el Birr und drei von seinen Handhala.

„Ihr seid betrogen worden, betrogen, betrogen!“ brüllte er wütend. „Auf sie, Ihr Dummköpfe, schnell auf sie, sonst entgehen sie uns!“

Halef hätte ihn niederschießen können, that es aber natürlich nicht. Er hatte die Peitsche in der Hand behalten; er that mit derselben einige sehr bezeichnende Hiebe durch die Luft; dann galoppierten wir fort, zum Dorfe hinaus, verfolgt von einem Wutgeheul, wie man es sonst nur von Indianern zu hören bekommt.

Es stand zu erwarten, daß die fanatischen Menschen uns verfolgen würden; darum hielten wir uns, als wir unsere Gefährten erreichten, nicht bei ihnen auf, sondern jagten an ihnen vorüber und riefen ihnen zu, schnell nachzukommen. Um die Verfolger irre zu leiten, ritten wir gerade nordwärts, wohin wir gar nicht wollten, und sahen, als wir uns dann umblickten, auch wirklich eine Reiterschar, welche den Ort verlassen hatte; diese Leute sahen aber ein, daß unser Vorsprung schon zu groß war, und kehrten nach wenigen Minuten wieder um. Nun ritten wir in einem weiten Bogen langsam wieder in unsere ursprüngliche Richtung zurück, wobei Halef den andern unser Abenteuer erzählte und sich nicht wenig auf seine Pfiffigkeit zu gute that.

Also wir hatten die Handhala eingeholt, weil sie in Mawija geblieben waren, um uns zu verderben. Abd el Kahir riet, sie auf dem Wege nach dem nächsten Orte zu überfallen; ich aber ging nicht darauf ein, weil vorauszusehen war, daß sie gerade jetzt sehr vorsichtig sein würden. Dieser nächste Ort, er Rakmatan, gehörte den Handhala, und ich wollte mich nicht zwischen zwei Feuer bringen, sondern den Überfall desselben erst jenseits desselben unternehmen. Man stimmte mir bei.

Dieses Rakmatan liegt am oberen Ende des Wadi Falg und ist unter den Muhammedanern berühmt, als der einstige Wohnort des Dichters Malek Ben er Reïb el Mazini. Es war vorauszusehen, daß Abd el Birr nach dem Geschehenen Mawija nicht so schnell verlassen und dann in Rakmatan bei seinen Stammesgenossen bleiben werde. Wir waren erwischt worden, und nun glaubte er gewiß, daß wir nicht wiederkommen würden; wir hatten daher wohl bis morgen Zeit. Wir beeilten uns also gar nicht und machten einen Umweg, um ja nicht etwa gesehen zu werden. Es dunkelte bereits, als wir jenseits Rakmatan auf der Pilgerstraße ankamen. Wir versteckten uns da hinter den Felsen des Wadi Maskat er Raml, hinter welchem die esch Schiha-Wüste beginnt.

Omar hatte nur für seinen Knaben Zeit und Augen, und es war wirklich rührend, zu sehen und zu hören, wie zart er für ihn sorgte und in welch weichen Tönen er zu ihm sprach; eine Mutter hätte nicht lieber und aufmerksamer sein können. Das Kind wollte aber auch keinen Augenblick lang von ihm lassen.

Es lag mit natürlich daran, zu erfahren, ob Abd el Birr schon in dem Orte angekommen oder wider alles Erwarten schon vorüber sei; darum beschloß ich, kundschaften zu gehen. Halef wollte mit, konnte aber nichts nutzen, sondern nur schaden. Den hellen Haïk, der mich leicht verraten konnte, ließ ich natürlich zurück.

Ich hatte bei unserer Ankunft im Wadi Maskat er Raml das Dort liegen sehen und schätzte die Zeit, es jetzt in der Dunkelheit zu erreichen, auf eine halbe Stunde. Als diese verflossen war, stand ich vor der ersten Hütte. Aus den Fensteröffnungen der Wohnungen glänzte der Schein der

Lichter oder Sesamöllampen. Der Ort war in eine Krümmung des Wadi Falg geschmiegt, und wenn ich nicht gesehen werden wollte, mußte ich meine Beobachtungen im Rücken des Dorfes machen. Ich schlich mich von einer Wohnung zur andern, bis ich am obern Ende angekommen war; dann kehrte ich wieder zurück, um meine Aufmerksamkeit auf ein Bauwerk zu richten, welches das größte war und also wohl dem reichsten Manne, wenn nicht dem Schech el Belad [Beled] gehörte. Vor der Thür desselben waren, wie ich bemerkte, mehrere Pferde angebunden. Die hintere Wand hatte vier Fensteröffnungen, von denen drei erleuchtet waren. Ich schlich mich an die erste und sah hinein. Ich sah einen kleinen, ganz primitiv eingerichteten Raum, in welchem eine weibliche Gestalt unbeweglich auf einer Strohmatte saß. Sie schien nach dem Nebenraume zu lauschen, in welchem Stimmen zu hören waren. Diesen zweiten Raum konnte ich durch das nächste Fenster überblicken. Er war größer. Zwei Männer befanden sich darin. Der eine von ihnen ging in großer Erregung hin und her; es war der Scheik der Handhala.

„Also mein Sohn, mein einziges Kind, mir in meinem Alter spät geboren, ist fort, geraubt von Humam Ben Dschihal, dem verfluchten Hadeschhunde!“ rief er. „Ist er es wirklich gewesen? Wer hat ihn erkannt?“

„Dein Weib; sie kennt ihn ja genau. Sie ist mit dem Kinde auf dem Makbara 1 gewesen, ganz allein, und da von ihm überfallen worden.“

„Diese Verruchte, diese der Hölle Verfallene! Ich werde mit ihr abrechnen, bald, sehr bald! Denn ich werde sofort weiter reiten, um daheim meine Krieger zum Rachezuge zu versammeln. Sobald unsere Pferde gefressen und sich ein wenig ausgeruht haben, geht es fort von hier. Wir werden das Wadi Bascham dieses Kinderräubers der Erde gleich machen. Er hat sich fürchterlich gerächt, wie er sich entsetzlicher gar nicht rächen konnte. Er kannte meine unendliche Liebe zu diesem Kinde und hat es sicher unterwegs ermordet. Und dieses Weib, was thut sie jetzt? Sie wird daheim sitzen und an nichts anderes denken, als daß ihr das Trauerkleid gut zu Gesichte steht. Sie ist dem Tode verfallen. Meine erste Kugel gilt nicht dem Räuber meines Knaben, sondern ihr, das schwöre ich bei — — —“

„Halt, schwöre nicht!“ unterbrach der Hausherr den Wütenden. „Dein Weib ist nicht daheim.“

„Wo sonst?“

„Sie ist dem Räuber nach wie eine Löwin, der man ihr Junges genommen hat.“

„So hat er sie auch getötet, und so ist sie leider ihrer Strafe entgangen. Was nützt es, daß sie ihm nachgefolgt ist! Darfst Du sie da eine Löwin nennen? Sie hätte ihr Kind wie eine Löwin verteidigen sollen! Ich schwöre es bei Allah und allen Khalifen, daß ich ihr, wenn ich sie fin­de — —“

„Halt, schwöre nicht!“

Das sagte nicht der andere wieder, sondern der Ruf erscholl vom Eingange zum Nebenraume her, wo die Frau stand, die ich vorhin gesehen hatte. Nun folgte eine Szene, welche zu beschreiben sich die Feder sträubt. Man erlasse sie mir! Sie war in ihrer Mutterangst hierher gekommen, um den befreundeten Stamm um Hilfe zu bitten, und befand sich erst seit einigen Stunden hier, wo sie so unerwartet mit ihrem Manne zusammentraf. Dieser schäumte vor Wut, warf sie nieder, zerrte sie hin und her, trat sie mit Füßen und hätte sie erschossen, denn er riß das Pistol einigemal hervor, wenn er nicht von dem andern daran verhindert worden wäre. Endlich zog er sie an den Haaren aus dem Hause, schleuderte sie dort hin und brüllte laut dazu:

„Enti telikah bit telateh!“

Das heißt zu deutsch: Du bist dreimal verstoßen, und ist die gesetzlich vorgeschriebene Scheidungsformel. Sie war von diesem Augenblicke an nicht mehr seine Frau.

Ich schlich mich um das Haus, um nach ihr zu sehen, so gefährlich dies für mich war; da kam sie weinend um die Ecke. Sie erschrak, als sie mich sah.

„Wirst Du Zarka genannt?“ fragte ich leise.

„Ja. Wer bist Du?“ brachte sie mühsam hervor.

1) Kirchhof.

„Dein Freund. Ich bringe Dir Hilfe. Komm mit mir!“

Ich nahm sie bei der Hand und führte sie fort. Sie folgte mir ohne Weigerung, mir, einem Fremden, von dem sie sich nicht berühren lassen durfte. Es war ihr ja nun alles gleich. Leise vor sich hinweinend und schluchzend ging sie eine halbe Stunde lang neben mir her, bis wir in das Wadi Maskat er Raml kamen. Da, wo die Gefährten hinter den Felsen steckten, war die zärtliche Stimme Omars zu hören, und eine andere, feinere, antwortete ihm mit einem zweimaligen „Zarka“ darauf. Da stieß die Frau einen schrillen Schrei aus und stürzte vorwärts.

Was soll ich sagen! Sträubte sich vorhin die Feder, mir zu gehorchen, so möchte sie jetzt wohl gar zu gern das unendliche Entzücken der Mutter schildern, vermag es aber nicht und schweigt also wieder, freilich aus ganz anderm Grunde.

Der mit dieser Wendung zunächst höchst unzufriedene Omar warf mir zehn Fragen auf einmal vor, und die andern wollten ebenso Erklärung haben, aber es gab keine Zeit dazu, weil Abd el Birr, der Handhala, so rasch aufbrechen wollte. Sollte er uns nicht entgehen, so mußten wir eilen. Zarka wurde mit dem Kinde so weit in das Wadi hineingeschafft, daß sie nicht hören konnte, was geschah; dort blieben zwei Haddedihn, die ich instruierte, bei ihr. Dann wurde mein dreißig Ellen langer, unzerreißbarer Lasso quer über den Weg gezogen; die Pferde sollten darüber stürzen, so daß uns der Fang sicherer und leichter war. Dann warteten wir.

Es verging aber eine Viertelstunde, ehe wir den Hufschlag nahender Pferde hörten. Sie kamen trotz der Dunkelheit im scharfen Trabe. Der Scheik fluchte, wetterte und trieb zur Eile an. Jetzt waren sie da. Ohne den Lasso wären sie in einigen Sekunden vorüber gewesen, wenn wir nicht hätten auf sie schießen wollen; so aber kam keiner vorbei; alle Pferde stürzten und die Reiter mit ihnen. Wir waren natürlich sofort über die letzteren her, ich über den Scheik, der sich durch seine Stimme kenntlich gemacht hatte. Er lag erst vor Schreck bewegungslos; dann wollte er sich wehren, wollte auf, konnte aber nicht und sank mit einem Schmerzensschrei wieder nieder. Er hatte das rechte Bein gebrochen. Sie wurden alle gebunden und nebeneinander niedergelegt; es fiel kein Wort dabei, und ich gebot auch für ferner, bis zu meiner Rückkehr, Schweigen. Dann nahm ich dem Scheik die beiden Pistolen aus dem Gürtel und ging dem Dorfe zu.

Dort angekommen, schlich ich mich erst hinter den Häusern bis zu dem größten hin, welches, wie ich dann erfuhr, wirklich dem Schech el Beled gehörte, ging dann ganz offen nach der vordern Seite desselben und trat ein. Der Schech saß rauchend ganz allein im großen Raume; er wollte die Erregung der letzten Stunde durch die Pfeife beruhigen. Als er mich sah, sprang er überrascht auf.

„Kennst Du diese Waffen?“ fragte ich, sie ihm vorhaltend.

„Maschallah! Die Pistolen des Scheikes der Malik Ben Handhala!“

„Sie sind es. Er gab sie mir als Erkennungs- und Beglaubigungszeichen mit. Er ist nicht weit fortgekommen. Es handelt sich um ein Geheimnis, welches nur Du allein heute erfahren darfst. Hast Du einige Fananir?“ 1

„Ja.“

„Hole sie, und folge mir! Es ist Wichtiges geschehen.“

„Was? Wer bist Du? Ich kenne Dich nicht.“

„Du wirst es von ihm selbst erfahren. Beeile Dich! Es darf keine Minute verloren werden.“

Der sehr bestimmte Ton, in welchem ich sprach, und die Pistolen hatten die beabsichtigte Wirkung: Er holte mehrere Laternen, brannte eine davon an und ging mit. So sehr er unterwegs Auskunft von mir forderte, ich gab sie ihm nicht; doch als wir an Ort und Stelle waren, sagte ich ihm, daß er mein Gefangener sei, aber nichts zu befürchten habe, falls er sich ruhig bis zum Morgen verhalte. Er wurde auch gebunden, ehe er es sich versah; dann brannten wir

1) Plural von Fannar, Papierlaternen; andere gibt es dort nicht.

alle Laternen an, so daß Licht genug vorhanden war, alles zu sehen.

Nun fiel zunächst der Scheik der Muntefik in den heftigsten Vorwürfen und Schmähreden über den Scheik der Handhala her; ich ließ ihn einige Zeit gewähren; dann aber, als er gar nicht aufhören wollte und es zu toll trieb, gebot ich ihm mit den Worten Ruhe:

„Nun laß es endlich gut sein! Es handelt sich bei Dir um eine Beleidigung, für welche Du Abbitte oder irgend eine für ihn ungefährliche Strafe verlangen kannst, nicht aber um etwas, was den unbedingten Tod erfordert. Hier aber steht der Bluträcher, welcher das Leben dieses Gefangenen fordern kann. Laß ihn nun auch zu Worte kommen!“

Ich deutete dabei auf Omar, welcher, seit Abd el Kahir gefangen war, kein Wort gesagt hatte. Jetzt trat er näher und blickte ihm finster in das Gesicht. Ich gab Halef einen heimlichen Wink. Dieser verstand mich und ging unauffällig fort, um Zarka herzubringen.

„Du hast den Bruder meines Weibes ermordet,“ sagte jetzt Omar; „ich bin der Rächer. Kennst Du das Gesetz, welches lautet: Blut um Blut, Leben um Leben?“

„Töte mich!“ antwortete der Gefragte. „Allah hat mich durch diesen Kara Ben Nemsi Emir in Deine Hand gegeben. Er hat mir die Freude meines Lebens, mein einziges Kind, den Sohn meines Alters genommen; ich mag nicht länger leben. Ich werde Dir dankbar dafür sein, wenn Du mir eine Kugel gibst.“

Das hatte Omar nicht erwartet: er kam dadurch in Verlegenheit. Er wollte den Gefangenen strafen, nicht ihm aber eine Wohlthat erweisen. Er blickte erst ihn und dann auch mich ratlos an.

„Schieß ihn tot, oder nimm das Messer, Omar!“ forderte ich ihn auf.

Seine Verlegenheit wuchs. Er wollte Rache, aber ein Henker zu sein, einen Wehrlosen zu töten, das fiel ihm nicht ein.

„Ich verstehe Dich,“ fuhr ich fort. „Ja, wärest Du ein Christ, so könntest Du Dich fürchterlich rächen, indem Du glühende Kohlen auf sein Haupt sammeltest.“

Er blickte unentschlossen vor sich nieder. Da bäumte sich der Gefangene unter seinen Fesseln und trotz seines Beinbruches auf und stieß einen lauten, unartikulierten Ruf aus. Sein Weib war gekommen, den Knaben in der Hand. Sie kniete neben ihm nieder und hielt ihm das Kind zum Kusse hin. Eine ungeheure Aufregung bemächtigte sich seiner. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, und er schrie mit einer Stimme, welche schier unmenschlich klang:

„Er lebt, mein Sohn, er lebt! Emir, laß mir die Hände los, gib sie mir nur einen Augenblick, einen einzigen Augenblick frei, damit ich mein Kind umarmen, nur einmal berühren, nur einmal streicheln kann!“

Ich bückte mich nieder und band ihm die Arme los. Da griff er zu und zog den Knaben an das Herz, liebkoste ihn wie närrisch, gebärdete sich wie wahnsinnig, zog dann auch die Frau an sich und rief:

„Ich habe Dich verstoßen; ich nehme Dich wieder auf. Du bist wieder mein Weib, mein teueres, gutes Weib. Willst Du es wieder sein?“

Sie nickte unter Thränen; sprechen konnte sie nicht.

„Ich habe Dich zwar freigegeben, also bist Du auch frei,“ fuhr er fort. „Aber wir gehen zu Kadi und lassen uns — — —“

Er hielt plötzlich inne; es fiel ihm ein, in welcher Lage er sich befand, daß er sein Leben verwirkt, ja sogar um seinen Tod gebeten hatte.

„O, Allbarmherziger, das ist nun aus!“ klagte er. „Den Blutpreis, den Blutpreis! Ich will ihn zahlen; ich kann, ich kann nicht sterben!“

„Und Du stirbst doch!“ antwortete Omar.

Da nahm ich den blauäugigen Knaben seinem Vater aus den Händen, gab ihn Omar hin und sagte:

„Dieser bittet für ihn; er ist sein Sohn. Du hast zweimal bei Allah geschworen, die Eltern dieses Kindes glücklich zu machen, wenn es Dir möglich sei. Bedenke das!“

Der Knabe schlang ihm sofort die Ärmchen um den Hals und drückte ihm das Köpfchen in den Bart. Omar, der eben noch so entschlossene Omar, drehte sich um und verschwand mit dem Kinde im Dunkel der Nacht. Nun trat eine erwartungsvolle Stille ein, welche der Scheik dazu benutzte, sein Weib zu fragen, wie sie wieder zu dem verlorenen Kinde gekommen sei. Sie deutete stumm auf mich, und ich erzählte es ihm.

„Er hat es gefunden, er, der Bluträcher, dessen Verwandten wir ermordet haben!“ sagte er. „O Allah, wie strafst Du diese That!“

Da kam Omar wieder; er hatte den letzteren Ausruf gehört, und auf seinem Gesichte lag ein ungewöhnlich weicher Zug. Er legte ihm den Knaben in die Arme und sagte:

„Ich will nicht Deinen Tod; ich nehme den Blutpreis — — — um dieses Kindes willen, welches mir meine Seele geraubt hat,“ fügte er fast weinend hinzu. „Die Krieger der Haddedihn werden mich wohl nicht deshalb für unwürdig halten.“

Ich reichte ihm die Hand und beruhigte ihn:

„Nie bist Du edler und tapferer gewesen als in diesem Augenblicke, wo Du Dich selbst bezwungen hast. Laß es ihnen wissen, daß ich, Kara Ben Nemsi Emir, dies ausdrücklich gesagt habe! Wie hoch soll der Blutpreis sein?“

„So viel, wie Abd el Mottaleb bezahlen mußte, der Großvater des Propheten, hundert Kameele.“

„Das ist mein ganzes Vermögen!“ rief der Scheik. „Es bleibt mir dann nichts, gar nichts übrig; aber Du sollst alles haben, alles, wenn ich nur meinen Sohn und mein Weib wieder bekomme und für sie leben darf. Der eigentliche Mörder bin ich nicht; den hast Du getötet, als wir Euch auf dem Wege nach dem Wadi Bascham des Nachts überfallen wollten.“

„So sind wir einig, und die Gefangenen sind frei,“ erklärte ich.

Ihre Fesseln wurden gelöst. Abd el Birr konnte nicht hier liegen bleiben; der Schech es Beled erklärte, ihn und sein Weib und Kind bei sich aufnehmen zu wollen, und lud auch mich mit ein. Er und alle unsere bisherigen Feinde gelobten freiwillig mit den heiligsten Eiden, daß sie allen Hintergedanken fern seien, uns als Freunde und Brüder betrachten und gegen alle Feinde verteidigen würden. Wir durften ihnen glauben und gingen mit, um die Gäste des ganzen Ortes Rakmatan zu sein.

Im Hause des Schechs angekommen, verband ich das Bein des Handhala, so gut es möglich war: der Bruch war kein komplizierter. Der Kranke fühlte sich am andern Tage so wohl, daß er den Kadi kommen ließ, um sich sein Weib wieder antrauen zu lassen. Wäre ich nicht Christ gewesen, so hätte ich dabei als Zeuge dienen müssen; diese Ehre wurde Omar zu teil. Der brave Mann war so gerührt, daß er nach vorübergegangener Handlung zu den aufs neue Vermählten sagte:

„Ich bringe eine Gabe, welche Ihr nicht zurückweisen dürft: Ihr habt mich zum Zeugen Eures neuen Glückes gemacht, welches die Armut töten würde. Ich verzichte auf den Blutpreis und schenke ihn Eurem Sohn. Allah segne ihn und dieses mein Geschenk!“

Der Scheik brachte kein Wort hervor; auch Zarka konnte nicht sprechen; ihre blauen Augen aber standen voller Thränen, denn die Farbe seiner Augen hatte ihr Söhnchen von ihr geerbt: sie hieß Zarka ihrer Augen wegen.

Was wollte der Scheik der Muntefik nach dem Beispiele von Güte machen, welches ihm Omar gegeben hatte? Er mußte auch verzeihen und alle Rachegedanken fallen lassen. Wie eigentlich christlich fühlte und handelte man hier und jetzt in diesem an der Pilgerstraße gelegenen Hause, wo der muhammedanische Fanatismus bisher jährlich blutige Orgien gefeiert hatte! Wir blieben fast drei Wochen lang als Gäste in er Rakmatan, und niemand wagte es, ein Wort der Beleidigung zu mir zu sagen. Die wahre Liebe besiegt den größten, unüberwindlich scheinenden Haß. Meine Gewehre wurden mir natürlich zurückgestellt, und ebenso bekamen die Haddedihn die Summe ersetzt, welche dem toten Mesud in Kubbet el Islam abgenommen worden war. — — —