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Reiseerinnerung von Dr. Karl May.

I.

So oft mir der oben stehende Name in die Erinnerung kommt, muß ich an ein Ereignis aus meiner Kindheit denken, welches mir noch heut so klar und deutlich im Gedächtnisse lebt, als ob ich es erst gestern erlebt hätte.

Wir standen, fünf oder sechs kleine Knaben, auf dem Marktplatze meiner Vaterstadt und sahen einem Fuhrmanne zu, dessen Pferde den schweren Wagen nicht fortzubringen vermochten. Er hieb lange Zeit vergeblich auf sie ein und ließ sich endlich von seinem Zorne zu einem Fluche hinreißen, den er mit so kräftigen Hieben begleitete, daß die Pferde die Last nun wirklich über das Hindernis hinwegzerrten. „Ja, wenn nichts mehr helfen will, dann hilft ein „heiliges Donnerwetter“, lachte er und fuhr weiter. Die Umstehenden lachten mit, und wir Knaben fühlten uns von diesem Fluche so imponiert, daß wir ihn sofort auf das eifrigste bei unserm Spiele anwandten. Es wurde einige Zeit mit wahrer Wonne „gedonnerwettert“, bis mein Vater es hörte und mir zum Fenster heraus jenen bekannten Wink gab, welcher die Eigentümlichkeit hatte, mich stets und augenblicklich in eine höchst wehmütige Stimmung zu versetzen. So auch dieses Mal, und zwar nicht ohne Grund, denn ich hatte die Anwendung des Kraftwortes dadurch zu büßen, daß ich kein Mittagsessen bekam und mit sehr niedergedrückten Gefühlen zusehen mußte, wie gut der dicke Milchreis meinen Geschwistern schmeckte. Dieser sehr unfreiwillige Verzicht that mir so wehe, daß ich den festen Entschluß faßte, nie wieder „Donnerwetter“ zu sagen. Dieses löbliche Vorhaben wurde dadurch noch mehr befestigt, daß mich nach Tische meine ehrwürdige, damals achtzig Jahre alte Großmama bei Seite nahm und mir mit einem derben Waschlappen den Mund so kräftig abwusch, daß mir das helle Wasser aus den Augen lief. „Pfui, pfui!“ sagte sie dabei. „Wer flucht, der beschmutzt seinen Mund, und das muß tüchtig abgerumpelt werden. Merke Dir das, und thue es ja nicht wieder, wenn ich Dich lieb behalten soll!“

Wenn ich offen sein will, so muß ich gestehen, daß dieses „Abrumpeln“ einen noch tieferen Eindruck auf mich machte, als die Kostentziehung, denn was Großmama sagte, das war mir heiliger als jedes andere Wort. Ich zog mich also in einen stillen Winkel zurück, um die Reinigung der Lippen auf eigene Hand weiter fortzusetzen, und dabei fiel mir ein, daß ich doch nicht der einzige gewesen war, der geflucht hatte. Infolgedessen setzte ich mich in den heimlichen Besitz des besagten Waschlappens und schlich mich fort, um die Mitschuldigen alle zusammenzuholen. Als mir dies gelungen war, erklärte ich ihnen, welchem Schicksale sie sich unter den obwaltenden Umständen zu unterwerfen hätten, und führte sie zu dem großen Wassertroge, der an der obern Seite des Marktes stand. Dort gaben wir uns dann dem „Abrumpeln“ mit einem solchen Feuereifer hin, daß uns das Wasser an den Beinen niederlief und wir uns in die Sonne legen mußten, um wieder trocken zu werden.

So großen Spaß diese Wäsche uns allen machte, so ernst war es mir doch mit der Angelegenheit an sich, und ich muß sagen, daß von jenem Tage sich der Abscheu datiert, den ich noch heut gegen jeden Fluch und jeden Schwur empfinde. Sei mir ein Mensch auch noch so sympathisch, sobald ich ein solches Wort von ihm höre, fühle ich mich abgestoßen, und stellt es sich gar heraus, daß er ein Gewohnheitsflucher ist, so hört er auf, für mich zu existieren.

Wie weit es ein Mensch in dieser sündhaften Angewohnheit zu bringen vermag, habe ich an dem Manne gesehen, von dem ich heut erzählen will, weil sein Beispiel zugleich einen Beweis dafür bildet, daß mit der Langmut und Barmherzigkeit Gottes nicht zu scherzen ist.

Zur Zeit, als diese Episode sich ereignete, befand ich mich mit Winnetou, dem Häuptling der Apatschen, bei den Navajos, welche ihn auch als ihren obersten Anführer anerkannten, weil sie im weiteren Sinne auch zu dem Volke

der Apatschen gehörten. Sie lagerten damals zwischen den Höhen der Agua grande genannten Gegend und wollten von da aus nach dem Colorado hinab, doch nicht eher, als bis eine Anzahl weißer Jäger, die ich zu ihnen bestellt hatte, eingetroffen sein würde.

Während wir auf die Ankunft dieser Leute warteten, brachten unsere roten Wachen zwei fremde Indianer, welche sie unter sehr verdächtigen Umständen aufgegriffen hatten, in das Lager. Sie sollten natürlich sofort ausgefragt werden, weigerten sich aber, irgend eine Antwort zu geben. Es war ihnen kein Wort zu entlocken; ihre Gesichter waren nicht gefärbt, und da sie auch kein Zeichen ihrer Abstammung an sich trugen, so war es beinahe unmöglich zu bestimmen, welchem Volke sie angehörten. Wir wußten, daß die Utahs sich in letzter Zeit den Navajos feindlich gezeigt hatten, und so bemerkte ich zu Winnetou:

„Ich möchte sie für Utahs halten, denn dieser Stamm hat sich immer mehr nach Süden gezogen und scheint einen Angriff gegen die Navajos zu planen. Vielleicht sind diese beiden Kerls von ihnen ausgeschickt, um den Aufenthalt der Navajos zu erkunden.“

Ich glaubte, mit diesen Worten das Richtige getroffen zu haben, aber Winnetou kannte die hier oben hausenden Indianer besser als ich; er antwortete:

„Es sind Pa-Utes, doch hat mein weißer Bruder recht, indem er sie für Kundschafter hält.“

„Sollten sich die Pa-Utes mit den Utahs verbunden haben?“

„Winnetou zweifelt nicht daran, denn wenn es anders wäre, würden diese beiden Krieger sich nicht weigern, uns Auskunft zu erteilen.“

„Da gilt es, vorsichtig zu sein! In einer Gegend, wie die hiesige ist, muß man annehmen, daß Kundschafter sich höchstens drei Tagereisen von ihren Leuten entfernen. Daraus können wir schließen, wie nahe uns die Feinde ungefähr sind.“

„Uff! Wir werden nach ihnen suchen.“

„Wer?“

„Du und ich.“

„Weiter niemand?“

„Vier gute Augen sehen mehr als hundert schlechte, und je mehr Krieger wir mitnehmen, desto eher können wir entdeckt werden.“

„Das ist richtig; aber vielleicht kommen wir in die Lage, einen Boten heimsenden zu müssen.“

„So nehmen wir einen Navajo mit, weiter aber niemand. Howgh!“

Dieses letztere Wort diente bei ihm stets zur Bekräftigung; es hieß soviel wie: abgemacht, Sela, Amen. Darum verzichtete ich darauf, ihm noch weitere Vorschläge zu machen.

Die Navajo-Abteilung, bei welcher wir uns befanden, zählte außer den alten Männern, Frauen und Kindern gegen dreihundert Krieger, die unter Nitsas-Kar 1), einem sehr tüchtigen Häuptlinge standen. Das waren Leute genug zur Abwehr eines Feindes, von dem wir annahmen, daß er nicht gerade in hellen Haufen erscheinen werde; dennoch waren wir so vorsichtig, einen Boten nach der nächsten Abteilung zu senden, um sie von der nahenden Gefahr zu benachrichtigen. Eine kurze Beratung mit Nitsas-Kar hatte das von Winnetou gewünschte Ergebnis. Der Apatsche, ich und ein junger, aber sehr erprobter Krieger ritten fort, um den Aufenthalt der Gegner zu entdecken, und die Navajos blieben unter Aufstellung doppelter Posten und scharfer Bewachung der beiden Gefangenen an Ort und Stelle lagern, um auf unsere Rückkehr oder unsern Boten zu warten.

Es war noch sehr früh am Morgen, und wir hatten also den ganzen Tag vor uns. Im allgemeinen wußten wir, daß die Utahs im Süden des gleichnamigen Territoriums lagerten, während die Pa-Utes ungefähr da zu suchen waren, wo Ecken von Utah, Colorado, Arizona und

1) Großer Pfeil.

Neu-Mexiko zusammenstoßen. Das war freilich sehr unbestimmt, zumal wir uns sagen mußten, daß die Roten, falls sie einen Überfall beabsichtigten, die Gegenden wahrscheinlich schon verlassen hätten. Wohin also uns wenden? So hätte nur einer, der nicht Westmann war, gefragt; wir aber kannten einen Wegweiser, auf den wir uns verlassen konnten, nämlich die Fährte der beiden Kundschafter, welche wir fanden, sobald wir das Lager verlassen hatten.

Wir waren in einer der fruchtbarsten Gegenden von Arizona, was aber nicht viel heißen will. Das Land hat sehr geringe Wasserniederschläge; die wenigen Flüsse haben ihre Betten in tiefen, tiefen Schluchten; der Hauptstrom, Colorado, fließt zwischen Felswänden, welche oft über zweitausend Meter fast senkrecht emporsteigen, und oben breitet sich das Hochplateau nach allen Seiten kahl und pflanzenarm aus, der Glut der Sonne und den darüber hinsausenden Stürmen preisgegeben. Nur selten gibt es einen Wasserlauf, dem man folgen kann, ohne in eine schier endlose Tiefe hinabsteigen zu müssen, und dann gibt es allerdings ein Grün von Gras, von Sträuchern und Bäumen, welches das Auge um so mehr erfreut, als der Blick bisher unausgesetzt auf nacktem Fels hat ruhen müssen. Da, wo kleine Flüsse sich einander nahen, gibt es sogar Wälder, zwischen denen sich saftige Prärieen erstrecken. Dies war der Fall auch hier, wo wir uns befanden, und so gehörte kein übermäßiger Scharfsinn dazu, die Fährte der beiden gefangenen Kundschafter zu entdecken.

Da man diese Leute sofort bei ihrer Ankunft ergriffen hatte, waren ihre Spuren noch so frisch, daß sich das von den Hufen ihrer Pferde niedergetretene Gras noch nicht wieder aufgerichtet hatte, und wir Galopp reiten konnten, ohne die Eindrücke nur einmal aus den Augen zu verlieren. Sie schienen die ganze Nacht unterwegs gewesen zu sein, denn wir fanden keine Stelle, an welcher sie gelagert hatten. Später kam felsiges Terrain, wo wir langsamer reiten mußten, da wir gezwungen waren, nun schärfer achtzugeben; doch hatte sie in der Dunkelheit nicht vorsichtig genug sein können, und wenn in dem harten Gestein auch nicht mehr von Hufstapfen die Rede sein konnte, so gab es für uns doch deutliche Merkmale genug, die uns den richtigen Weg zeigten.

Erst am Abende erreichten wir ein Wässerchen, wo sie gestern Rast gemacht hatten. Da fanden wir ihre Medizinen und Farbentöpfe versteckt, aus denen wir ersahen, daß sie Pa-Utes waren und sich auf dem Kriegspfade befanden. Wir ruhten während der ganzen Nacht hier aus und ritten dann am Morgen weiter.

Leider waren die Spuren von jetzt an nicht mehr zu erkennen, was uns aber gar keine Verlegenheit bereitete, denn wir brauchten nur die Richtung nach dem Rio San Juan einzuhalten, -

Illustration1

einzuhalten, um sie dort ganz gewiß zu treffen. Wir ritten also Ostnordost, erst über eine Savanne, deren Gras immer spärlicher wurde, und dann über eine Felsenebene, welche so glatt und nackt war, als ob sie aus Cement gegossen worden sei.

Es war gegen Mittag, als wir am fernen Horizonte drei Punkte sahen, welche sich uns näherten. Da es kein Versteck für uns gab und wir nicht wußten, ob wir mit Weißen oder Roten zusammentreffen würden, so stiegen wir ab, ließen unsere Pferde sich legen und legten auch uns neben sie auf das Gestein. Auf diese Weise konnten wir nicht so bald gesehen werden.

Die Punkte wurden um so größer, je mehr sie sich uns näherten, bis wir sahen, daß es drei Reiter waren. Winnetou beschattete seine Augen mit der Hand, blickte ihnen schärfer entgegen und rief dann aus:

„Uff! Dick Hammerdull, Pitt Holbers und ein dritter Weißer, den ich nicht kenne!“

Hammerdull und Holbers gehörten zu den Jägern, welche wir erwarteten. Auch ich erkannte sie jetzt und sprang auf. Da Winnetou und der Navajo dasselbe thaten, wurden wir jetzt gesehen, und die drei Reiter blieben halten. Wir ließen unsere Pferde aufspringen, stiegen in den Sattel und ritten auf sie zu. Hammerdull und Holbers erkannten uns und kamen mit lauten Jubelrufen uns entgegengaloppiert.

Es muß gesagt werden, daß die beiden Männer so treffliche Originale waren, wie man sie im wilden Westen nur zu finden vermag. Sie wurden von allen ihren Bekannten „die verkehrten Toasts“ genannt. Unter Toasts versteht man bekanntlich zusammengelegte Butterbrote, und Dick und Pitt pflegten im Nahekampfe sich Rücken an Rücken an einander zu stellen, um sich in dieser Weise ihrer Angreifer besser erwehren zu können; sie standen also nicht mit den Butterseiten zusammen; daher die Bezeichnung der „verkehrten“ Toasts.

Hammerdull war ein kleiner und, was im Westen sehr selten ist, außerordentlich dicker Kerl und hielt sein von Schmarren und Narben durchzogenes Gesicht so viel wie möglich stets glatt rasiert. Seine List kam seiner Verwegenheit gleich, was ihn für jeden zu einem sehr willkommenen Gefährten machte, wenngleich es mir oft lieber gewesen wäre, wenn er mehr bedachtsam als kühn gehandelt hätte. Er hatte sich die eigentümliche Redensart „ob ..... oder nicht ....., das bleibt sich gleich“ angewöhnt und rief dadurch fast stets ein Lächeln auf den Gesichtern seiner Gefährten hervor.

Pitt Holbers war im Gegensatze zu ihm sehr lang und sehr dünn. Sein hageres Gesicht war — — — fast hätte ich gesagt: in einen Vollbart eingehüllt, und das wäre eine grandiose Unwahrheit gewesen, denn dieser Bart bestand -

bestand aus kaum hundert Haaren, welche in einsamer Zerstreuung die beiden Wangen, Kinn und Oberlippe bewucherten und von da lang und dünn bis fast auf den Gürtel niederhingen. Es sah aus, als ob die Motten ihm neun Zehntel seines Bartes weggefressen hätten. Pitt war außerordentlich wortkarg und bedächtig, ein sehr brauchbarer Kamerad, der nur dann sprach, wenn er gefragt wurde.

Den dritten Reiter kannten wir nicht. Er war fast noch länger als Holbers und dabei zum erschrecken dürr. Fast konnte man sich der Täuschung hingeben, daß man seine Knochen klappern höre. Ich fühlte beim ersten Blicke, daß ich mich nicht mit ihm befreunden könne; sein Gesicht war roh zugeschnitten und sein Blick herausfordernd. Wenn es einen rücksichtslosen Menschen gab, so war es jedenfalls dieser Mann.

Indem wir auf einander zusprengten, rief Dick Hammerdull:

„Winnetou, Old Shatterhand! Siehst Du sie, Pitt Holbers, altes Coon, siehst Du sie?“

Coon ist die Abkürzung von Racoon, Waschbär, der Kosename, bei welchem Hammerdull seinen Pitt Holbers zu nennen pflegte. Dieser antwortete trotz der Freude, welche er fühlte, in seiner trockenen Weise:

„Wenn Du denkst, Dick, daß ich sie sehe, so magst Du das Richtige getroffen haben.“

Sie faßten unsere Hände und schüttelten sie aus Leibeskräften. Dabei rief Hammerdull weiter:

„Endlich, endlich haben wir Euch!“

„Endlich?“ fragte ich. „Ihr konntet doch nicht erwarten, uns jetzt schon zu treffen, weil wir Euch nach dem Agua grande bestellt haben, bis wohin man noch anderthalben Tagesritt hat. Ist Eure Sehnsucht nach uns so groß gewesen?“

„Natürlich! Unendlich groß!“

„Warum? Wo sind die andern?“

„Das ist es ja! Darum sehnten wir uns nach Euch, und darum hetzten wir unsere Pferde fast zu Tode. Wir müssen sofort nach dem Agua grande, um eine tüchtige Schar Navajos zu holen.“

„Wozu?“

„Um die Pa-Utes zu überfallen, welche unsere Gefährten gefangen genommen haben. Fort also, fort Mesch’schurs, sonst kommen wir zu spät!“

Er wollte weiterreiten. Ich griff ihm in die Zügel und sagte:

„Nicht so hitzig, Dick! Vor allen Dingen müssen wir wissen, was geschehen ist. Steigt also ab, und erzählt es uns!“

„Absteigen? Fällt mir nicht ein! Ich kann es Euch auch im reiten erzählen.“

„Ich will es aber in Ruhe hören; Ihr wißt ja, wie ich in dieser Beziehung bin. Man kann durch Überstürzung leicht alles verderben und soll allem, was man unternimmt, die Überlegung vorangehen lassen.“

„Aber wenn keine Zeit zum überlegen ist?!“

„Ich sage Euch, daß wir Zeit genug haben. Vor allen Dingen müßt Ihr uns doch sagen, wer der Mann ist, den Ihr da bei Euch habt!“

Winnetou war schon abgestiegen; ich folgte ihm und setzte mich zu ihm nieder; da konnten die drei andern nichts als dasselbe thun.

„Na, Pitt Holbers, altes Coon, da müssen wir also die kostbare Zeit verlieren,“ brummte Hammerdull verdrossen. „Was meinst Du dazu?“

„Wenn Old Shatterhand und Winnetou wollen, so wird es wohl richtig sein,“ antwortete der Gefragte.

„Ob richtig oder nicht, das bleibt sich gleich; es ist die schnellste Hilfe nötig; aber da es nicht anders verlangt wird, so müssen wir uns fügen.“

Sie setzten sich zu uns auf die Erde nieder. Der Unbekannte hatte mir seine Hand in einer Weise zum Gruße entgegengehalten, als ob wir uns schon oft gesehen und gesprochen hätten, und ich hatte sie nur leise berührt, denn ich bin nicht gewöhnt, jemandem die Hand zu drücken, dem ich nicht die meinige vorher angeboten habe. Als er sie dann auch Winnetou hinhielt, that dieser so, als ob er diese Bewegung -

Bewegung gar nicht sähe. Der Apatsche hatte also in Beziehung auf diesen Mann ganz dasselbe Vorgefühl wie ich.

„Ihr wollt wissen, wer dieser Gentleman ist,“ meinte Dick Hammerdull. „Er heißt Mr. Fletcher, ist schon seit fast drei Jahrzehnten im wilden Westen und hat sich mit vier Kameraden uns angeschlossen, um endlich einmal Winnetou und Old Shatterhand kennen zu lernen.“

„Ja, Mesch’schurs, es ist wahr, was Mr. Hammerdull sagt,“ fiel da Fletcher mit wichtiger Miene ein. „Ich treibe mich nun schon gegen dreißig Jahre im Westen herum und habe es mir zur Aufgabe gemacht, diesen verd ........ Roten zu zeigen, daß sie auf unserm ........ Erdboden den Teufel zu suchen haben. Solche ........ Canaillen, wie sie sind, soll das ........ erschlagen, und da ich hoffe, daß Ihr genau so gesinnt seid wie ich, so müßte es mit ........ zugehen, wenn die ........ Halunken nicht ihre ........ Knochen dahin tragen müßten, wo sie der Satan in ........ Mehl zerstampfen wird!“

Ich erschrak förmlich über diese Ausdrucksweise. Das waren ja Worte, die ich gar nicht aussprechen und noch viel weniger schreiben kann! Jedes Wort, welches ich hier durch Punkte ersetzt habe, war ein Fluch. Acht Flüche in einer so kurzen Rede! Und dabei sah er uns an, als ob er erwarte, daß wir ganz entzückt darüber seien! Es war mir ganz im Gegenteile so, als ob ich acht Hiebe auf den Kopf erhalten hätte. Und nun wußte ich genau, wer er war, besser, als Hammerdull es mir hätte sagen können. Man hatte oft in meiner Gegenwart von diesem Menschen erzählt, den der Fremdeste sofort an seinen gräßlichen Ausdrücken erkennen mußte. Ja, er war ein Westmann, aber einer der allerniedrigsten Sorte. Es gab keine That, deren er nicht fähig war; der Strick hatte schon oft über seinem Haupte geschwebt; in seinem Indianerhasse überbot er den grausamsten Feind der roten Rasse, und man erzählte sich da von ihm Dinge, bei denen man förmlich fühlte, daß sich die Haare emporsträubten. Dazu kam, daß, wenn er sprach, er sich geradezu in Flüchen badete, so daß selbst rohe Menschen schließlich nichts mehr von ihm wissen wollten. Er war bisher mit einem unbegreiflichen Glücke den Ahndungen des Gesetzes und der Rache der Indianer entgangen, obgleich jeder, der ihn kennen gelernt hatte, sagte, daß er nichts anderes verdiene, als wie ein wildes Tier niedergeschlagen zu werden. Infolge seiner übermäßig dürren Gestalt und der Gewohnheit, in jedem Satze, der über seine Lippen ging, einen Fluch anzubringen, hatte er den Namen Old Cursing-Dry erhalten; aber es war bekannt, daß jeder sein Leben auf das Spiel setzte, der es wagte, ihn in das Gesicht so zu nennen.

“Na, seid Ihr etwa stumm, Mesch’schurs?“ fragte er jetzt, als er nicht gleich eine Antwort erhielt. „Ich glaube doch, zu wissen, daß Ihr beide reden könnt.“

Winnetou saß mit tief gesenkten Wimpern und starren Angesichts da. Wenn er hätte sprechen wollen, hätte er es nur mit dem Messer und nicht mit dem Munde thun können. Darum übernahm ich es, zu antworten, indem ich den Menschen aufforderte:

„Sagt mir einmal, ob ich mich irre, wenn ich Euch für Old Cursing-Dry halte!“

Er hatte sich auch gesetzt, sprang aber augenblicklich wieder auf, zog sein Messer und schrie mich an:

„Wie — — was — — wer bin ich — — — wie nennt Ihr mich? Soll ich Euch dieses Eisen in Euern ....... Leib stoßen? Ich werde es thun, wenn Ihr mit nicht sofort Abbitte leistet und — — —“

„Schweigt!“ unterbrach ich ihn, indem ich meinen Revolver zog und auf ihn richtete. „Bei der geringsten Bewegung mit dem Messer habt Ihr eine Kugel im Kopfe! Old Shatterhand ist nicht der Mann, der sich so leicht niederstechen läßt, wie Ihr zu denken scheint. Seht doch, daß Winnetou seinen Revolver auch schon schußfertig hält! Ihr seid heut an Leute gekommen, welche kurzen Prozeß zu machen pflegen. Ihr bemerkt wohl, daß mein Finger am Drücker liegt. Antwortet mir also bündig, ob Ihr Old Cursing-Dry seid oder nicht.“

Seine Augen leuchteten heimtückisch auf; aber er sah ein, daß er gegen uns im Nachteile war, schob das Messer

wieder in den Gürtel zurück, setzte sich wieder nieder und sagte in scheinbarer Ruhe:

„Ich heiße Fletcher; wie mich andere ........ Schufte nennen, das ist mir gleich und geht Euch nichts an!“

„Oho! Es geht uns wohl etwas an, was für ein Mankind sich zu uns gesellt! Dick Hammerdull, hast Du gewußt, daß dieser Mann Old Cursing-Dry ist?“

„Nein,“ antwortete der Dicke verlegen.

„Wie lange seid Ihr schon mit ihm zusammen?“

„Es wird wohl so eine Woche sein. Meinst Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn Du denkst, Dick, daß es so lange her ist, so wird es wohl richtig sein,“ antwortete Holbers.

„Ob richtig oder nicht, das bleibt sich gleich, aber es ist genau eine Woche, nicht länger und nicht kürzer.“

„So müssen Dir doch seine Flüche aufgefallen sein!“ fuhr ich fort.

„Seine Flüche? Hm, ja! Hab freilich zuweilen gedacht, daß er sich ein wenig anders ausdrücken könnte; aber daß er Old Cursing-Dry ist, das wußte ich nicht.“

„So will ich nichts sagen; aber hättest Du es gewußt und ihn trotzdem zu uns gebracht, dann — — Du weißt jedenfalls, was ich sagen will. In unserer Gegenwart wird anständig gesprochen; Flüche dulden wir nicht, und wem das nicht recht ist, der mag so schnell wie möglich gehen, wenn er nicht gegangen werden will! Und nun ist’s genug hiervon! wir haben Notwendigeres zu besprechen. Wir erwarteten Euch Beide mit noch vier Mann; sind diese den Pa-Utes auch in die Hände gefallen!“

„Ja.“

„Wann?“

„Gestern Abend.“

„Wo?“

„Am Rio San Juan.“

„Auf welche Weise?“

„Ob auf diese oder auf jene Weise, das bleibt sich ganz egal; ich weiß weder die Art noch die Weise.“

„Das begreife ich nicht. Ihr müßt doch unbedingt wissen, was geschehen ist!“

„Das würde wohl richtig sein, wenn es in unserer Gegenwart geschehen wäre, Mr. Shatterhand.“

„Ah, so seid Ihr nicht dabei gewesen?“

„Nein; wir waren fort, um Fleisch zu holen, und weil wir nicht gleich ein Wild fanden, kamen wir weit vom Lager ab. Als wir zurückkehrten, war es schon finster, und wir wären den Pa-Utes ganz ahnungslos in die Arme geritten, wenn uns nicht Mr. Fletcher entgegengekommen wäre, um uns zu warnen.“

„Weiter! Ihr waret zu Pferde?“

„Ja, denn wir wollten uns auf Antilopen versuchen.“

„Fletcher war auch beritten?“

„Natürlich! Als er auf uns getroffen war, versteckten wir die Pferde und schlichen nach unserm Lagerplatze zurück, den die Pa-Utes inzwischen eingenommen hatten. Es gelang uns, so nahe heranzukommen, daß wir unsere acht gefangenen Gefährten sehen konnten; sie lagen gefesselt inmitten der Roten.“

„Keiner tot?“

„Nein, nicht einmal verwundet.“

„Hm, höchst sonderbar! Hast Du denn keine Schüsse gehört?“

„Nein; wir hatten uns zu weit vom Lager entfernt.“

„War keine Spur zu bemerken, daß ein Kampf stattgefunden hatte?“

„Zwei Indianer lagen tot am Feuer.“

„Das ist noch viel sonderbarer! Ihr habt doch auf das gelauscht, was gesprochen wurde?“

„Ob gelauscht oder nicht, das ist ganz und gar egal; es wurde kein Wort gesprochen. Wir hatten überhaupt schon zuviel gewagt und mußten trachten, uns in Sicherheit zu bringen. Darum suchten wir sehr bald die Pferde wieder auf und ritten fort.“

„Wohin?“

„Natürlich hierher, denn es blieb uns nichts anderes übrig, als Euch aufzusuchen und dann mit Hilfe der Navajos die gefangenen Kameraden zu befreien. Darum schlage ich vor, sofort nach dem Agua grande aufzubrechen und — —“

„Nur Geduld!“ unterbrach ich ihn. „Wir sind noch lange nicht so weit. Wir müssen klar sehen, ehe wir einen Entschluß fassen können. Es handelt sich vor allen Dingen um die beiden Indianerleichen. Wer hat diese zwei Indsmen getötet? Wißt Ihr dies vielleicht, Mr. Fletcher?“

„Laßt mich in Ruh!“ antwortete er grob. „Was gehen mich die roten Schufte an!“

„Liegt Euch auch nichts an Euren weißen Kameraden, welche gefangen sind?“

„Wenn nicht ein Sohn und ein Neffe von mir dabei wären, könnte auch sie der ........ holen!“

„Hört, drückt Euch anders aus, sonst jagen wir Euch fort, und Ihr mögt sehen, wir [wie] Ihr Eure Verwandten frei bekommt! Wir sind zur Hilfe bereit, müssen da aber unbedingt verlangen, die Wahrheit zu erfahren. Also Ihr wißt nicht, auf welche Weise die Indsmen um das Leben gekommen sind?“ —

„Nein.“

„So sagt, wie geschah der Überfall?“

„Auch das kann ich nicht sagen, denn ich war nicht dabei.“

„So waret Ihr auch vom Lager fort? Wohin?“

„Fleisch holen.“

„Hat Euch denn das Los getroffen, auf die Jagd zu gehen?“

„Nein; aber die Zeit wurde mir zu lang, und so ritt ich fort. Als ich nach hereingebrochener Dämmerung zurückkehrte, hörte ich das Kriegsgeheul der Roten im Lager, welches überfallen worden war. Ich konnte nichts thun, als Mr. Hammerdull und Mr. Holbers entgegenreiten, um sie zu warnen. Das ist alles, was ich von dieser ........ Geschichte weiß.“

„Wie stark sind die Pa-Utes ungefähr?“

„Es können wohl dreihundert sein. Wenn wir nur halb so viele Navajos bekommen können, mache ich mich anheischig, diesen ........ Schurken das Leben aus den ......... Leibern zu treiben, so daß — — —“

„Schweig!“ donnerte ihn da der Apatsche an, der bis jetzt kein Wort gesprochen hatte. „Du bist es, der die beiden Pa-Utes getötet hat!“

„Nein, ich bin es nicht!“

„Das ist Lüge. Du bist der Mörder!“

Die Augen der beiden bohrten sich ineinander. Die bronzenen Züge Winnetous waren kalt und stolz wie die eines Königs, während auf dem Gesichte Fletchers die ungezügelte Leidenschaft flammte. Der letztere vermochte nicht, den Blick des Apatschen länger als einige Sekunden auszuhalten; er mußte den seinen senken, hob aber die Finger wie zum Schwure und rief:

„Ich will erblinden oder zerschmettert werden, wenn ich der Mörder bin! Das ist genug gesagt, und nun laßt mich in Ruhe mit Euern ........ roten Teufeln!“

Es überlief mich ein kaltes Grauen. Auch ich hielt ihn für den Mörder, ohne es ihm aber zu sagen. Nun diese Worte! Das hieß das Strafgericht mit beispielloser Gottlosigkeit und Frechheit auf sich herabbeschwören! Mir versagte die Zunge; Winnetou aber stand auf und sagte im Tone eines Propheten, vor dessen geistigem Auge das Kommende entschleiert liegt:

„Dieses lästernde Bleichgesicht hat vorhin gleich beim Willkommen die ganze rote Rasse, also alle meine Brüder und auch mich verflucht. Winnetou hat dazu geschwiegen, denn er weiß, daß der gute Manitou den Fluch des Bösen in Segen und Wohlthat verwandelt. Nun aber hat der Flucher den großen und gerechten Manitou selbst gelästert und zur Rache aufgefordert; er hat mit dem Allmächtigen gewettet um das Licht seiner Augen und um die Unverletzlichkeit seiner Glieder. Winnetou sieht das Strafgericht über ihn hereinbrechen und mag keinen Teil an ihm haben. Der große Manitou weiß ebenso gut wie ich und Old Shatterhand, daß er der Mörder ist, und wird ihm thun, wie er von ihm gefordert hat. Howgh!“

Als sich der Apatsche jetzt wieder niedersetzte, wäre es uns andern unmöglich gewesen, gleich zu sprechen; Fletcher aber sprang auf und wiederholte seine Lästerung in einer Weise, daß es mich förmlich emporriß; ich trat auf ihn zu, erhob die Faust und fuhr ihn an:

„Schweig augenblicklich, Mensch, sonst schlage ich Dich nieder wie ein Ungeziefer, dessen Tod für andere Geschöpfe ein Segen ist! Auch ich sage mich von Dir los. Mag geschehen was da wolle, von uns hast Du keine Hilfe zu erwarten!“

Da duckte er sich zusammen, hatte aber doch noch die Frechheit, halblaut und halb höhnisch zu sagen:

„Sagt Euch in ........ Namen von mir los! Ich brauche Euch nicht, denn es handelt sich nicht um mich, sondern um die Gefangenen. Das also ist der ganze Beistand, den man von diesen beiden hochberühmten Westmännern zu erwarten hat. Ich danke!“

„Du hast nicht zu danken, denn Du hast nichts mehr von uns zu fordern. Was aber die Gefangenen betrifft, so werden wir thun, was in unsern Kräften steht. Wenn Rettung möglich ist, soll sie ihnen werden.“

„Dann müssen wir uns aber beeilen!“ bat Dick Hammerdull. „Ihr werdet einsehen, daß wir keine Minute länger verlieren dürfen, Mr. Shatterhand. Meinst Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm!“ brummte der Gefragte nachdenklich. „Wenn ich es mir recht überlege, können wir nichts Besseres thun, als uns auf Mr. Winnetou und Mr. Shatterhand verlassen. Die sind gescheidter als Du bist, alter Dick, von mir ganz zu schweigen!“

„Da wäre es viel besser gewesen, Du hättest gar nichts gesagt! So ein Coon, wie Du bist, sollte eigentlich gar nicht reden!“

„Well! Da Du hierin jedenfalls Recht hast, ersuche ich Dich, mich in Zukunft gar nicht mehr zu fragen; dann kann das alte Coon den Schnabel halten.“

Das war natürlich im Scherz gemeint, denn es kam nie vor, daß die beiden sich im Ernste zankten. Dies wäre ihrer Eigenschaft als Toasts ganz zuwider gewesen. Hammerdull mußte uns den Ort, an welchem sich das Lager befunden hatte, genau beschreiben. Er fügte hinzu:

„Wahrscheinlich aber sind die Roten dort nicht mehr zu treffen; ich bin vielmehr sicher, daß sie hinter uns her sind, um uns zu verfolgen. Darum dringe ich so darauf, daß wir schnell weiterreiten.“

„Du bist im Irrtum, Dick,“ antwortete ich. „Ihr werdet nicht verfolgt. Wenn die Pa-Utes wüßten, daß drei entkommen sind, wären sie schon längst zu sehen. Sie sind jedenfalls der Überzeugung, alle Weißen, welche anwesend waren, gefangen zu haben.“

„Aber unsere Spuren! Aus ihnen müssen sie doch ersehen, daß wir auf der Jagd waren, also beim Überfall nicht dabei gewesen sind!“

„Der Überfall geschah gestern Abend nach Anbruch der Dunkelheit, und heut früh waren Eure Spuren schon so undeutlich, daß nicht mehr unterschieden werden konnte, wann sie entstanden sind, ob vor oder nach der Überrumpelung des Lagers. Und Eure Kameraden werden, wenn man sie fragt, sich hüten, Euch, von denen ihre Rettung abhängt, zu verraten. Dazu kommt, daß die Pa-Utes sich auf dem Kriegspfade befinden und also die beiden Leichen nicht mit sich herumschleppen können. Man wird die Toten dort begraben. Obgleich sie gezwungen sind, die dabei vorgeschriebenen Zeremonien abzukürzen, werden sie doch vor morgen Mittag nicht fertig sein und also nicht eher aufbrechen. Zudem haben sie auch sonst keine Eile, weil sie auf die Rückkehr der beiden Kundschafter warten müssen, von denen sie nicht wissen, daß sie in die Hände der Navajos geraten sind. Du siehst also wohl ein, daß wir Zeit haben?“

„Ob Zeit oder nicht, das ist ganz und gar egal; ich werde mich aber nach Eurem Entschlusse richten, weil Ihr wirklich klüger seid als Pitt Holbers, das alte Coon. Das hat er vorhin selbst gesagt.“

„Von Dir natürlich ganz zu schweigen, lieber Dick,“ fiel Holbers im komischen Ernste ein.

„Sei doch lieber still! Du hast ja gesagt, daß Du nicht mehr reden willst. Was gedenkt Ihr also zu thun, Mr. Shatterhand?“

„Das wird Winnetou bestimmen. Die Aufklärung habe ich allein geführt; darum werde ich das weitere nun ihm überlassen.“

Winnetou und ich, wir kannten uns, wie sich selten zwei Menschen kennen. In Augenblicken, wo es galt, einen Entschluß -

Entschluß zu fassen, war es oft, als ob wir beide nur eine Seele, einen Gedanken hätten. Was der eine von uns aussprach, das hatte der andere vorher schon im stillen für richtig gehalten. So auch jetzt. Der Apatsche warf einen forschenden Blick in mein Gesicht und als ich nickte, wendete er sich an den Navajo, welcher mit uns gekommen war und bisher schweigsam bei uns gesessen hatte, denn wenn Häuptlinge sprechen, darf ein gewöhnlicher Krieger es nicht wagen, sich hören zu lassen:

„Kennt mein junger, roter Bruder genau den Deklil-Naßla 1) des Juanflußes?“

Der Gefragte nickte stumm und ehrfurchtsvoll. Der Apatsche fuhr fort:

„An beiden Enden desselben gehen schmale Pfade hinab, welche nur von den Kriegern der Navajos gefunden werden. Nitsas-Kar, der tapfere Häuptling derselben, mag seine Krieger nach dem Cañon führen, die eine Hälfte ganz hinab an das untere Ende und die andere Hälfte an das obere Ende, doch nicht ganz hinab, damit sie nicht gesehen werden können, denn wir werden die Pa-Utes in den Cañon locken. Erst wenn sie in denselben eingedrungen sind, darf die obere Schar ganz hinab bis an das Wasser steigen und sich sehen lassen. Dann sind die Pa-Utes zwischen den beiden Abteilungen eingeschlossen und müssen sich ergeben, wenn sie sich nicht bis auf den letzten Mann erschießen lassen wollen, denn sie befinden sich zwischen den hohen, glatten Wänden des Cañons, wo sie sich nicht verbergen können, während die Krieger der Navajos von keiner Kugel getroffen werden können, weil sie hinter den Felsenblöcken stecken, welche oben und unten die Schlucht einengen. Hat mein Bruder mich verstanden?“

Wieder dasselbe zustimmende Nicken.

„So mag er sich sofort auf sein Pferd setzen, um schnell heimzureiten!“

Einige Augenblicke später galoppierte der Navajo davon, ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben. Dann stiegen auch wir auf und eilten fort, dem Rio San Juan zu, dessen Ufer Winnetou und ich genau kannten. Und selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätten wir in Hammerdull und Holbers zuverlässige Führer gehabt. An Fletcher erging kein Wort, kein Blick der Aufforderung, uns zu folgen; wir thaten, als ob er gar nicht anwesend sei, doch kam er, als er sich eine Weile besonnen hatte, hinter uns her. Es wäre uns freilich viel lieber gewesen, wenn er zurückgeblieben wäre. —

II.

Winnetou war ebenso wie ich vollständig überzeugt, daß sich die Pa-Utes noch an der Stelle befanden, an welcher sie die Weißen überfallen hatten. Dennoch waren wir so vorsichtig, nicht die gerade Richtung einzuschlagen, denn sie wollten ja zu den Navajos, von denen wir kamen, und es war immerhin möglich, daß sie den Weg eher antraten, als wir dachten, oder auch nochmals Kundschafter ausschickten, die uns hätten sehen müssen; wir hielten uns also mehr rechts, gerade östlich, und ritten, als wir gegen Morgen des andern Tages in gleicher Höhe mit der Lagerstelle angekommen waren, noch eine Strecke weiter, um dann nach links einzubiegen und uns dem Platze von Osten anstatt von Westen her zu nähern. Es stand fest, daß die Roten aus dieser Gegend keinen Feind erwarteten. Doch mußten wir trotzdem vorsichtig sein, denn so viele Leute brauchten Fleisch, und es war anzunehmen, daß nicht wenige von ihnen irgend umherschwärmten.

Wir erreichten den Fluß an einer weit aufwärts gelegenen Stelle und lagerten uns in einer nahe am Wasser liegenden kleinen Lichtung, welche rings von dichtem Gebüsch umschlossen war. Nun galt es, zu erfahren, wie es mit den Pa-Utes und ihren Gefangenen stand. Das war nicht nur ein schwieriges, sondern ein sehr gefährliches Unternehmen. Ich bot mich an, es auszuführen; da aber Winnetou fest darauf bestand, selbst zu gehen, so mußte ich mich fügen. Als er sich entfernt hatte, sorgten wir zunächst dadurch für unsere Sicherheit, daß wir die Spuren, welche wir verursacht hatten, wenigstens in der Nähe verwischten.

Dann galt es, Old Cursing-Dry eine Verwarnung zu geben. Ich hatte zwar nicht wieder mit ihm sprechen wollen,

1) Dunkler Cañon.

aber dieser Vorsatz mußte zurücktreten, wann es unsere Sicherheit galt. Er war uns bis hieher gefolgt, hatte sein Pferd, wie wir die unserigen, angebunden und sich dann in einiger Entfernung von uns in das Gras gelegt. Seit unserm gestrigen Aufbruche hatte keiner von uns ein Wort zu ihm gesagt; man sah ihm an, daß er im höchsten Grade gegen uns erbittert war, und so lag der Gedanke, daß er auf Rache sinne, gar nicht fern. Hätten nicht sein Sohn und sein Neffe sich unter den Gefangenen befunden, so wäre ich geneigt gewesen, ihm die Absicht zuzutrauen, uns an die Indsmen zu verraten. Ganz sicher waren wir seiner auf keinen Fall; wer konnte wissen, mit welchen Gedanken und Berechnungen er sich beschäftigte. Aus diesem Grunde hielt ich es für geraten, mein Schweigen zu brechen. Ich mußte selbst mit ihm reden, denn meine Worte machten jedenfalls mehr Eindruck auf ihn, als wenn ich ihm das, was er hören sollte, durch Dick Hammerdull oder Pitt Holbers hätte sagen lassen. Ich ging also zu ihn hin und fragte:

„Ihr seid uns seit gestern bis hieher gefolgt, Mr. Fletcher, ohne daß wir Euch dazu aufgefordert haben. Es scheint, daß Ihr Euch auch ferner uns anschließen wollt. Wie steht es damit?“

„Das geht Euch den Teufel an!“ antwortete er.

„Ich denke, daß es uns sehr viel angeht, und ersuche Euch, Sir, einen andern Ton gegen mich anzuschlagen. Ich bin nicht gewöhnt, Grobheiten anzuhören, ohne in geeigneter Weise darauf zu antworten! Ihr habt gesehen und gehört, daß wir nichts von Euch wissen wollen; wenn Ihr uns trotzdem nachgeritten seid und Euch hier zu uns lagert, können wir dies nur in dem Falle dulden, daß Ihr uns nach unserer Überzeugung keine Schaden macht.“

„Schaden?“ grinste er mich an. „Pshaw! An Euch gibt es nichts mehr zu verschlechtern und zu schädigen!“

Kaum hatte er das gesagt, so riß ich einen fingerdicken Zweig vom nächsten Busche, zog ihn durch die linke Hand, um die Blätter zu entfernen, und versetzte ihm mehrere scharfe Hiebe quer über das Gesicht.

„So! Wer nicht hören will, der mag fühlen. Ich werde Euch lehren, höflich zu sein!“

Er stieß einen unartikulierten Schrei der Wut aus, sprang auf und riß den Revolver heraus, um ihn auf mich anzuschlagen; aber noch ehe er den Lauf auf mich richten konnte, traf ihn mein Hieb so auf den Arm, daß er die Waffe fallen ließ; dann schlug ich ihm die Faust gegen die Schläfe, daß er wie ein lebloser Klotz lang und steif zu Boden stürzte. Im Nu stand der dicke Hammerdull neben mir und sagte, indem sein Gesicht vor Entzücken glänzte:

„Heigh-Day! Endlich, endlich sieht man wieder einmal diesen famosen Hieb von Euch! Thank you, Sir! Der Kerl hat es genau so und nicht anders verdient. Sollen wir ihn ein wenig fesseln, daß er dann, wenn er wieder zu sich kommt, nicht etwa Dummheiten macht?“

„Ja, lieber Dick. Gib ihm einige Riemen um die Arme und um die Beine. Besser ist besser!“

„So komm her, Pitt Holbers, altes Coon! Wollen diesem Old Cursing-Dry ein halbes Dutzend Festschleifen um seinen schmalen Körper hängen. Oder meinst Du nicht?“

Pitt kam behaglich lächelnd herbeigestiegen und antwortete in seiner gewohnten Weise:

„Wenn Du denkst, daß es gut angebracht ist, so können wir’s ja machen, alter Dick.“

„Ob machen oder nicht, das bleibt sich gleich; gemacht aber wird’s auf jeden Fall.“

Sie fesselten ihn nicht nur, sondern sie banden ihn dann auch noch extra an einem dicken Buschstumpfe fest, so daß es ihm nicht möglich war, sich heimlich aus unserm Bereich zu wälzen. Als sie damit fertig waren, rieb sich Dick die fetten Hände und sagte schmunzelnd:

„Das ist bei Euch doch gleich ein ganz anderes Leben, Sir! Wir sind nun einen ganzen Monat unterwegs, ohne daß sich etwas Bemerkenswertes ereignet hat; kaum aber haben wir Euch getroffen, so stecken wir mitten in den Abenteuern drin.“

„Und der vorgestrige Überfall? War das kein Abenteuer?“ fragte ich.

„Für uns beide nicht, denn wir waren nicht dabei. Und wenn auch, so waret Ihr doch in der Nähe. In einer Woche bei Euch erlebt man mehr als sonst in einem Jahre; das ist allbekannt. Jetzt haben wir den alten Flucher fest und können an etwas anderes denken. Was sagt Ihr zu einem Fischgericht? Unser Trockenfleisch ist fast zu Ende.“

„Habt Ihr Angeln?“

„Welche Frage? Was ficht Euch an, Sir? Dick Hammerdull und keine Angeln! Die Frage ist nur, ob es in diesem lieben Rio San Juan auch Fische gibt. Oder wollen wir Blutegel angeln und braten, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm! Wenn Du denkst, daß sie so fett sind, wie Du bist, alter Dick, da könnte es sich wohl machen. Fische aber wären mir freilich lieber, denn die sind meine Leibdelikatesse, während auf Blutegel mein Magen heut nicht eingerichtet ist.“

Das war eine so lange Rede, wie Pitt Holbers wohl selten eine gehalten hatte, und zwar nur deshalb, weil von seinem Leibgericht die Rede war. Ich konnte ihm glücklicherweise aus Erfahrung versichern, daß sie alle Hoffnung hätten, einen guten Fang zu machen, und so krochen sie mit ihren Angeln nach dem Ufer, wo sie sich vorsichtig versteckten, um ja nicht etwa von einem zufällig in die Nähe kommenden Pa-Ute gesehen zu werden. Ich aber streckte mich lang in das Gras und schloß die Augen, obgleich ich nicht müde war. Vom Schlafe wäre ja auch bei der Erwartung, in der ich mich grad so wie die andern auch befand, keine Rede gewesen. Der Westmann pflegt, wenn er auch ohne zu schlafen liegt, gern die Augen zuzumachen, weil er dann um so schärfer hört.

Es mochte kaum eine Stunde vergangen sein, als die beiden Angler wiederkamen. Der Ertrag ihrer Geschicklichkeit war so groß, daß wir für Mittag und für Abend genug hatten. Leider mußten wir darauf verzichten, vor der Rückkehr Winnetous Feuer zu machen, denn wir wußten nicht, ob wir dies jetzt ohne die Gefahr, entdeckt zu werden, thun durften. Eine indianische Nase entdeckt den Rauch eines Feuers sehr weit, noch weiter aber den Geruch von Fleisch, gleichviel ob es von Fischen oder von vierfüßigem Wildpret ist.

Zeit um Zeit verschwand; der Mittag kam; es vergingen noch zwei Stunden, und den beiden Toasts wollte es fast bange um den Apatschen werden. Ich mußte, um sie zu beruhigen, sie auf die weite Entfernung zwischen hier und dem Lager aufmerksam machen und auf die ungeheure Langsamkeit, mit welcher man beim Anschleichen am hellen Tage vorwärts kommt. Old Cursing-Dry war längst aus seiner Betäubung erwacht, doch hielt er die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Es konnte uns nur lieb sein, daß er Unempfänglichkeit heuchelte.

Endlich, endlich rasselte es leise im Gebüsch, und Winnetou kam zurück. Sein Gesicht war unbewegt wie stets; aber ich kannte es genau und sah sofort, daß er gute Botschaft brachte. Er gab uns das, als er die Fische liegen sah, in seiner Weise zu erkennen: Ohne ein Wort zu sagen, suchte er dürres Gras und trockene Reiser zusammen, schichtete dieses Material zu einem kleinen Haufen zusammen, zog sein Punks 1) hervor und setzte das Gras in Brand. Dick Hammerdull machte ein fröhliches Gesicht, stieß Pitt Holbers den Ellbogen mit freundlichem Nachdrucke zwischen die Rippen und kicherte:

„Famose Sache! Es scheint alles in Ordnung zu sein, und wir können unsere Blutegel braten. Was meinst Du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn Du denkst, daß ich mich auf das Essen freue, so kannst Du das Richtige getroffen haben, alter Dick,“ lautete die behagliche Antwort.

Die Fische wurden in zwei Portionen, für jetzt und für den Abend, geteilt; dann bekam jeder, was ihm zufiel; auch Fletcher erhielt so viel wie jeder andere. Als sein Teil gebraten war, machte Dick Hammerdull es sich zum Spaße, ihn wie ein Kind zu ätzen. Winnetou sah wohl, daß er gefesselt war, doch lag es nicht in seiner Eigenart, nach dem Grunde zu fragen.

Ebensowenig frage ich ihn nach dem Ergebnisse seiner Rekognoscierung, denn ich wußte, daß er zur rechten Zeit

1) Prairiefeuerzeug.

selbst davon anfangen werde; aber die beiden andern hatten weniger Geduld, und kaum hatte Dick Hammerdull den letzten Bissen zwischen die Lippen geschoben, so wischte er sich den Mund mit dem fettglänzenden Ärmel ab und fragte:

„So, jetzt ist man satt und kann nun auch an die Pa-Utes denken. Ich hoffe, daß sie noch nicht fortgeritten sind!“

Und als Winnetou nicht sofort antwortete, machte er die Sache deutlicher, indem er fragte:

„Oder sollte ich mich irren, uns sie sind schon fort?“

Über die männlich schönen Züge des Apatschen glitt ein leises Lächeln, und er antwortete in gütig verweisendem Tone:

„Der Tau fällt zu seiner Zeit, und die Sonne scheint zu ihrer Zeit. Warum wartet mein weißer Bruder nicht, bis auch meine Zeit, zu sprechen, gekommen ist?“

„Ganz einfach, weil ich neugierig bin,“ antwortete der Dicke in drolliger Aufmerksamkeit [Aufrichtigkeit].

„Neugierig darf die Squaw sein, nicht aber der Mann, zumal wenn er ein Krieger ist wie Dick Hammerdull, doch soll mein Bruder erfahren, was er wissen will. Die Pa-Utes sind noch da.“

„Wo?“

„Im Lager, welches sie gestern überfallen haben. Winnetou hat sie genau gezählt; es sind zweimal hundert Mann und sechsmal zehn. Ihr Anführer ist Pats avat, 1) der Häuptling der Pa-Utes.“

„Und die Gefangenen?“

„Sie sind gefesselt, aber ganz gesund und unverwundet. Wir werden sie in der nächsten Nacht befreien.“

„Befreien?“ fragte der Dicke in freudigem Erstaunen. „Ich dachte, es sei besser, damit zu warten, bis die Pa-Utes in die Hände der Navajos geraten; dann erhalten die Weißen ihre Freiheit ja ganz von selbst!“

„Winnetou glaubt, daß sein weißer Bruder sich da irrt. Wenn wir die Pa-Utes in Cañon einschließen und sie haben ihre Gefangenen noch bei sich, so können sie uns Bedingungen stellen und uns drohen, die Weißen zu töten. Sind diese aber frei, so müssen die Feinde auf alles eingehen, was wir von ihnen verlangen.“

„Ganz recht, ganz recht! Mir ist es auch viel lieber, wenn wir unsere Kameraden schon heut herausholen, denn das gibt einen Streich, wie ich ihn mir gar nicht prächtiger denken kann. Auf welche Weise aber soll die Befreiung vor sich gehen?“

„Das wird mein Bruder erfahren, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Winnetou hat gelauscht und mehrere Pah-Utes sprechen hören; er hat erfahren, warum sie noch nicht fort sind und wie es sich zugetragen hat, daß sie die weißen Männer überfallen haben. Unter den zwei Getöteten ist der Häuptlingssohn, dessen Begräbnis eine Zeit bis morgen früh erfordert, denn sein Grab muß hoch aus Steinen errichtet werden; sie haben noch die halbe Nacht daran zu bauen. Der Häuptling ist voller Grimm über den Tod seines Sohnes, und es ist sehr leicht möglich, daß er die Gefangenen tötet, damit ihre Seelen die seinige in den ewigen Jagdgründen bedienen müssen.“

„All devils, das wäre ja entsetzlich!“

„Es würde nichts als eine Rache sein, wie sie die roten Männer erst von den Weißen gelernt haben. Und diese Strafe wäre um so gerechter, weil sie den Mörder doppelt trifft, dessen Sohn und Neffe sich unter den Gefangenen befinden.“

„Also doch Old Cursing-Dry?“

„Ja, er ist’s.“

Fletcher lag nahe genug, um jedes Wort zu hören. Seit dem Essen hatte er die Augen offen gehabt. Jetzt rief er eifrig herüber:

„Ich war es nicht; ich war es nicht; ich weiß kein Wort davon! Diese ........ Hallunken sind die niederträchtigsten ........, die man sich denken kann. Ich schwöre es bei ........, daß ich die Wahrheit sage!“

Diese Verteidigung enthielt wieder drei schwere Lästerungen, die man unmöglich wiedergeben kann. Winnetou ignorierte sie und fuhr fort:

„Die Pa-Utes haben nicht da, wo sie sich jetzt befinden, lagern, sondern weiterziehen wollen. Sie hätte die Weißen

1) Großer Moccassin.

gar nicht entdeckt, wenn der Mord nicht geschehen wäre. Der Sohn des Häuptlings ritt mit noch zwei Kriegern dem Zuge eine Strecke voraus; da fielen schnell hintereinander zwei Schüsse, und er stürzte tot vom Pferde, neben ihm einer der beiden Krieger. Beide sind durch die Köpfe geschossen.“

„Beweist das, daß ich es gewesen bin?“ brüllte Fletcher zornig auf.

Winnetou wendete sich an Hammerdull und Holbers:

„Wenn dieser Mann es noch einmal wagt, so laut zu sprechen, so mögen meine Brüder ihm einen Knebel in den Mund geben und ihn krumm wie eine Katze zusammenbinden; dann hängen wir ihn in den Fluß, daß er langsam und elendiglich ertrinken muß!“

Dann setzte er seine Rede wieder im früheren Tone fort:

„Der zweite Begleiter, welcher unverletzt war, hat sein Pferd schnell nach der Gegend getrieben, aus welcher die Schüsse kamen, und einen Reiter davonsprengen sehen. Da es noch nicht ganz dunkel war, konnte er den Mann und auch das Pferd genau erkennen. Der Reiter hat einen Strohhut auf dem Kopfe gehabt und darunter in Tuch, wie es zuweilen die Vaqueros und Cowboys tragen; erreichen hat er ihn nicht können. Das Pferd ist von dunkler Farbe gewesen mit einem hellen Flecke rechtsseits auf der Croupe. Meine Brüder werden wissen, wer einen solchen Hut und ein solches Tuch trägt und wessen Pferd einen solchen hellen Fleck hat. Winnetou hat ganz deutlich gehört, wie ein Pa-Ute dies einem andern beschrieb.“

Natürlich war es Fletcher, auf den und dessen Pferd sich diese Kennzeichen bezogen. Er wagte dennoch, es zu leugnen, und zischte ingrimmig zu uns herüber:

„Lüge, nichts als Lüge! Was so ein roter ........ sagt, hat keinen ........ Wert. Ich schwöre es bei ........, daß ich so unschuldig wie ein ........ bin!“

Das waren wieder vier Ausdrücke, für welche ich ihn hätte halbtot prügeln lassen mögen! Der Apatsche sprach in kaltem, schwerklingendem Tone weiter:

„Erinnern sich meine Brüder noch der fürchterlichen, unmenschlichen Worte, welche der Mann, der dort liegt, gestern, als er mit uns zusammentraf, über die Indianer sagte? Er sprach sie aus, obgleich er sah, daß ich selbst ein Roter bin. Soviel Worte er gesprochen hat, so viele Richter und so viele Zeugen gibt es gegen ihn; er und kein anderer ist der Mörder, obgleich er einen gräßlichen Schwur gethan hat, es nicht zu sein.“

Da bäumte sich Old Cursing-Dry unter seinen Fesseln und schrie:

„Und ich wiederhole diesen meinen Schwur, bei allen ........: Ich will erblinden oder zerschmettern, wenn ich der Mörder bin! Wenn Ihr so dumm seid, einem — — — -“

Er konnte nicht weiter sprechen, denn schon kniete ich bei ihm. Ihm die rechte Hand fest um die Kehle legend, riß ich mit der linken einen Fetzen von seinem Gewande und ballte ihn zusammen. Ein schärferer Druck an der Gurgel, und er schnappte mit weit geöffnetem Munde nach Atem; der Knebel fuhr ihm zwischen die Zähne, und Hammerdull, der mir schnell gefolgt war, sorgte für eine zweiten Lappen, der ihm vor den Mund gebunden wurde, daß er den Knebel nicht mit der Zunge herausstoßen konnte. Nun waren wir von [vor] seinen Lästerungen sicher und kehrten auf unsere Plätze zurück.

Lange saßen wir da wortlos bei einander; jeder wußte, was der andere fühlte und dachte, doch keiner sprach es aus. Abschaum der Menschheit! Tiefer noch stehend als das niedrigste Tier! Kann es denn wirklich ein menschliches Wesen geben, auf welches diese unmöglich scheinende Bezeichnung paßt? Bis jetzt hätte ich die Frage sicherlich verneint; nun aber mußte ich sie bejahen, obgleich sich mein Herz mit aller Kraft dagegen sträubte. Was sollten wir mit diesem Manne anfangen? Ihm die Freiheit geben, das heißt ihn wie ein grimmiges, wildes Tier loslassen gegen alle, die Menschen sind, und alles, was menschlich heißt? Nein, nein! Ihn den Pa-Utes ausliefern? Ja und abermals ja; er hatte das verdient, denn er war auf alle Fälle der Mörder und konnte nur durch den Tod unschädlich gemacht werden.

Winnetou legte mir die Hand auf den Arm und sagte, als ob er mir die Gedanken vom Gesichte abgelesen hätte:

„Mein Bruder strenge seine Gedanken nicht ferner an! Wenn es ihm wehe that, das Leben selbst eines so bösen Menschen vernichten zu helfen, so wird der Häuptling der Apatschen allein den Richter machen. Old Cursing-Dry wird den Pa-Utes auf alle Fälle ausgeliefert. Ich habe es gesagt. Howgh!“

„Hältst Du mich für schwach?“

„Nein, aber für zu barmherzig.“

„Ja, selbst dieser Mensch erbarmt mich, aber nicht sein Leib, sondern seine Seele. Soll sie von hinnen fahren in das ewige Verderben, ohne daß es für sie auch nur eine einzige Möglichkeit noch gibt, einen einzigen, einzigen um Verzeihung flehenden Blick zum Himmel zu wenden?“

„Was sorgst Du Dich vergebens! Hast Du die Macht, ihr diesen Blick zu öffnen? Es gibt nur einen, der diese Macht besitzt, der große, gute Manitou. Du hast mich gelehrt, ihm zu vertrauen; hast Du verlernt, es selbst auch zu thun? Kümmere Dich nicht! Das irdische Leben dieses Lästerers und Mörders ist dem unerbittlichen Gesetze der Savanne verfallen; über seine Seele aber wird Manitou bestimmen. Er ist von jetzt an nicht mehr ein geduldeter Gefährte für uns, sondern unser Gefangener, den wir den Pa-Utes auszuliefern haben, an denen er sich vergangen hat. Darum darf er nicht hören, was wir von jetzt an weiter miteinander sprechen.“

Auf Grund dieser Bemerkung fuhr er nach einer Pause des Nachdenkens im gedämpften Tone fort:

„Winnetou wird Euch jetzt sagen, auf welche Weise es uns möglich sein wird, die acht Gefangenen zu befreien. Dick Hammerdull und Pitt Holbers kennen die Stelle, an welcher die Pa-Utes lagern, die ich beschlichen habe. Es gibt da eine kleine Halbinsel, welche durch einen sehr schmalen Landstreifen mit dem Ufer zusammenhängt; auf diese Halbinsel sind die Gefangenen gebracht worden, weil sie da viel leichter bewacht werden können und eine Flucht von dort für unmöglich gehalten werden muß.“

„Ich kenne diese Halbinsel,“ nickte Hammerdull. „Wir wollten sie zum Lagerplatze machen, sahen aber davon ab, weil es zuviel Stechfliegen da gab. Die Ränder sind mit Büschen bewachsen.“

„Das ist sehr richtig und wird uns die Befreiung der Gefangenen sehr erleichtern. Die acht Männer sind natürlich gefesselt, und es ist gar nicht daran zu denken, daß sie, um zu fliehen, in das Wasser gehen. Darum genügt ein einziger Wächter, welcher auf den schmalen Übergang zur Halbinsel postiert wird. Und sollte man so vorsichtig gewesen sein, zwei oder drei Krieger dorthin zu postieren, so kann uns das nicht hindern, denn die sind in einer Minute unschädlich gemacht.“

„Well! Ich bin überzeugt, daß wir drei und auch noch mehr Wächter schnell aus dem Wege schaffen; ebenso rasch haben wir den Gefangenen die Fesseln zerschnitten; aber was dann? Am Ufer lagern noch über zweihundertundfünfzig Indsmen, durch die wir uns ganz unmöglich schleichen können!“

„Das wollen wir auch nicht, denn wir werden auf dem Wasser entweichen.“

„Hm! Ist das nicht leichter gesagt als gethan? Ich bin zwar überzeugt, daß die Kameraden alle zu schwimmen vermögen, aber sie werden die Arme und Beine nicht bewegen können, weil sie so lange Zeit gefesselt gewesen sind. Es ist auch gar nicht zu vermeiden, daß der eine rascher als der andere schwimmt; dadurch müssen wir auseinander kommen und längere Zeit auf einander warten; inzwischen können uns die Indsmen einzeln wegfischen oder gar auslöschen.“

„Mein weißer Bruder hat nicht auf meine Worte geachtet; ich habe gesagt, daß wir auf dem Wasser entwischen wollen, nicht im Wasser. Wir werden nicht schwimmen, sondern ein Floß bauen. Sollte es ja nötig sein, in das Wasser zu gehen, so werden das nur zwei thun, nämlich Old Shatterhand und ich.“

„Ah, ein Floß! Aber ein Fahrzeug, auf welchem acht Personen fortgeschafft werden sollen, das muß so groß sein, daß sie es unbedingt bemerken werden, obgleich es heut

Nacht sehr dunkel sein wird, weil wir Neumond haben. Ist das nicht auch Deine Ansicht, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn Du denkst, daß Neumond ist, so hast Du recht, alter Dick,“ lautete die Antwort; „aber Winnetou wird schon wissen, was er will.“

„Ob er es weiß oder nicht, das bleibt sich nicht nur gleich, sondern das ist sogar sehr egal; aber ich bin auch vollständig überzeugt, daß er einen guten Gedanken hat. Was sagt denn Ihr dazu, Mr. Shatterhand?“

Da diese Frage an mich gerichtet war, so antwortete ich:

„Ich errate die Absicht unseres roten Bruders. Das Floß muß unbemerkt bleiben; es würde aber jedenfalls gesehen werden, wenn die Pa-Utes sich am Lagerplatze befänden; daher vermute ich, daß Winnetou die Absicht hegt, sie fortzulocken.“

„Mein weißer Bruder hat das Richtige getroffen,“ nickte mir der Apatsche zu. „Die Pa-Utes müssen von Lager fort.“

„Aber wodurch könnten wir sie dazu veranlassen?“ fragte Dick Hammerdull.

„Durch Feuer.“

„Gut. Aber was sollen wir anbrennen? Wir können doch nicht den Wald anzünden, denn das wäre hier, wo es so wenig Wälder gibt, geradezu eine Sünde.“

„Der Wald ist dem Häuptling der Apatschen heilig; er darf nicht vernichtet werden. Aber wir müssen etwas in Flammen setzen, was den Pa-Utes auch heilig ist, damit sie erschrecken; denn wenn sie keinen Schreck bekommen, so begehen sie nicht die Unvorsichtigkeit, das Lager zu verlassen.“

„Da bin ich wirklich neugierig, welcher Gegenstand es ist, den Winnetou in Brand stecken will.“

„Das neue Grabmal ist’s.“

„Vortrefflich! Der Gedanke ist zehntausend Dollars wert! Aber das Grabmal wird nicht brennen, weil es von Stein ist!“

„Es ist gar nicht notwendig, daß es verbrennt. Wir schichten dürres Gras und Holz an demselben auf; wenn das in Brand gerät, werden alle roten Männer erschrecken und schnell hineilen, es zu löschen.“

„Aber da jetzt noch daran gebaut wird, müssen wir warten, bis es fertig ist. Und selbst dann ist die Annäherung jedenfalls gefährlich, weil man auf alle Fälle Wächter hinstellen wird.“

„Mein Bruder Dick Hammerdull mag sich an die Gebräuche der roten Völker erinnern! Sobald das Grabmal vollendet ist, wird man die Leiche des Häuptlingssohnes hinschaffen, und niemand als sein Vater wird dort bleiben; man muß ihn allein lassen, damit er die Gesänge des Todes, die nur die Seele des Ermordeten hören darf, anstimme. Wir haben es also nur mit ihm zu thun.“

„Soll er getötet werden?“

„Nein. Old Shatterhand und Winnetou töten keinen Menschen, wenn sie nicht durch ihn selbst dazu gezwungen werden. Er wird den Hieb meines Bruders Shatterhand empfangen, damit er schweigt, so lange er nicht reden soll; weiter darf ihm nichts geschehen!“

„Aber wir können doch nicht zu gleicher Zeit am Grabmale und auf dem Flosse sein! Die Roten werden das Feuer ausgelöscht haben, ehe wir fertig sind, und dann ist es sehr fraglich, ob uns der Streich gelingt, den wir ausführen wollen.“

„Dick Hammerdull mag keine Sorge haben. Wir werden uns teilen und dann die Zeit so genau abmessen, daß das Gelingen beinahe sicher ist. Jetzt wollen wir an die Arbeit gehen und das Floß bauen, denn es muß fertig sein, ehe es dunkel wird.“

„Sind wir denn sicher, daß wir nicht dabei beobachtet werden?“

„Winnetou weiß ganz genau, daß die Pa-Utes nicht in diese Gegend kommen werden.“

„Ob sie kommen oder nicht, das bleibt sich gleich; aber es ist auf alle Fälle besser, wenn sie nicht erfahren, daß wir hier sind und was wir für eine Absicht hegen. Es ist immer und auf alle Fälle besser, wenn das geschieht, was besser ist. Meinst Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn Du denkst, daß das Bessere besser ist, lieber Dick, so kann es mir nicht einfallen, etwas dagegen zu haben,“ antwortete Pitt in seiner trockenen Weise.

Es ging nun ans Fällen von dünnen Baumstämmen, eine Arbeit, welche, weil wir keine Äxte hatten, zwar langsam, aber desto geräuschloser vor sich ging. Frische, biegsame Ruten zum festen Verbande der Stämme gab es genug, uns so hatten wir das Floß fertig, ehe zwei Stunden vergangen waren. Es erhielt zwei Steuer, eines vorn und eines hinten, und außerdem vier Ruder für den Fall, daß wir ihm eine größere Schnelligkeit geben mußten als der Fall des Wassers an sich mit sich brachte.

Dann wurden vier große Bündel trockenes Holz und Gras gesammelt und auf das Floß gebracht. Als wir damit fertig waren, mußten die Pferde fortgeschafft werden. Wir befanden uns, wie schon gesagt, oberhalb des Lagerplatzes der Pa-Utes, mußten also mit dem Floße abwärts fahren und konnten natürlich die Gefangenen, falls uns deren Befreiung gelang, auch nur abwärts vom Lagerplatze landen, und zwar auf dem andern Ufer, damit die Verfolger gezwungen sein würden, erst über den Fluß zu setzen, ehe sie hinter uns herkonnten. Aus diesen Gründen war es notwendig, die Pferde erst vorauszuschaffen und an einer dazu geeigneten, vom Lager abwärts befindlichen Stelle zu verstecken. Dabei mußte natürlich auch Old Cursing-Dry sein.

Wir setzten also die Pferde auf dem Floße an das andere Ufer über und banden Fletcher auf seinem Sattel fest. Pitt Holbers mußte bei dem Floße zurückbleiben; wir andern ritten stromab, aber nicht etwa nahe am Ufer sondern soweit von demselben entfernt, daß wir sicher sein konnten, nicht bemerkt zu werden.

Wir ritten, um die letzte Helle des Tages zu benutzen, im Galopp und waren schon nach einer halben Stunde soweit gekommen, daß wir uns vielleicht eine halbe englische Meile unterhalb des Indianerlagers befanden. Hier gab es eine kleine, enge Schlucht, in welcher Bäume standen, an die wir die Pferde banden. Old Cursing-Dry wurde vom Pferde gehoben und auch angebunden, und zwar in einer Weise, daß es für ihn gar keine Möglichkeit gab, sich loszumachen. Er gab seinem Grimm gegen uns dadurch Ausdruck, daß er, ehe wir ihm die Beine wieder gefesselt hatten, uns mehrere Fußtritte versetzte. Wenn der Knebel nicht gewesen wäre, so hätten wir gewiß eine Menge Flüche anzuhören bekommen.

Illustration2

Wir waren gezwungen, ihn allein und ohne Aufsicht hier zurückzulassen und den Weg, den wir zu Pferde gekommen waren, zu Fuße wieder flußaufwärts zu machen. Wir hatten ihn kaum angetreten, so wurde es Nacht, was uns aber nicht störte; wir kamen wohlbehalten bei Pitt Holbers an, welcher indessen das dürre Feuermaterial auf das Floß geschafft hatte.

Wir bestiegen es auch, banden es vom Ufer los und begannen die nicht ganz ungefährliche Fahrt. Ich übernahm das hintere Steuer; Winnetou stand an dem vordern und raunte mir seine Weisungen leise zu. Es war so finster, daß jemand, der nicht Westmann war, kaum seine Hand vor den Augen hätte sehen können; ich aber konnte jeden einzelnen Baum am Ufer unterscheiden, und Winnetou sah gewiß noch schärfer als ich. Dick Hammerdull saß auf der Mitte des Floßes und verließ sich auf uns beide.

Die Pa-Utes lagerten auf der linken Seite des Flusses; darum hielten wir uns nahe an das rechte Ufer. Das Wasser hatte guten Fall und so kamen wir rasch vorwärts. Als Winnetou annahm, daß wir uns dem Lager genug genähert hätten, legten wir am linken Ufer an, und zwar an einer Stelle, wo das Floß unter überhängenden Zweigen verborgen lag. Ich sage, am linken Ufer, denn wir wollten zwar später auf dem rechten entfliehen, mußten aber doch vorher am linken aussteigen, um unsere Vorbereitungen zu treffen.

Zunächst schlich sich Winnetou fort, um zu rekognoscieren. Er kam nach ungefähr zwei Stunden zurück und meldete uns, daß er alles für uns günstig gefunden habe, das Grabmal werde sicher bis Mitternacht fertig sein, von welcher Zeit an sich nur der Häuptling dort befinden werde.

Das Monument stand ungefähr dreihundert Schritte seitwärts vom Lager im Walde. Der kühne Apatsche war sogar bis fast in die unmittelbare Nähe der Halbinsel gekrochen, um später imstande zu sein, daß Floß ganz sicher und genau zu regieren.

Wir lagen bis Mitternacht still und geräuschlos unter dem dichten Gezweig. Da flüsterte mir Winnetou zu:

„Mein Bruder mag die Zündschnur aus dem Patronengürtel nehmen.“

Unser Werk sollte also jetzt beginnen. Jeder vorsichtige Westmann trägt einen Knäuel dünne Luntenschnur bei sich, denn er kommt zuweilen in die Lage, sie notwendig zu brauchen. Ich schnitt ein genügend langes Stück ab und

steckte es lose in die Tasche, um es gleich bereit zu haben. Dann stiegen wir alle vom Floße an das Ufer, die vier großen Reis- und Grasbündel auf den Armen. Winnetou machte den Führer.

Es ging schief nach links in den Wald hinein. Der Apatsche hatte sich solche Stellen gemerkt, wo die Bäume nicht so eng zusammenstanden und wir also leichter gehen konnten. Rechts vor uns sahen wir bald den Schein der Lagerfeuer, und dann bemerkten wir links auch den Schein eines kleines Feuers. Es brannte bei dem Grabmal. Als wir uns demselben so weit genähert hatten, daß wir es sehen konnten, erkannten wir Pats avat, den Häuptling der Pa-Utes, welcher ganz allein bei der Leiche seines Sohnes saß. Noch näher gekommen, hörten wir ihn seine Klagenweisen murmeln und legten unsere Bündel nieder. Dick und Pitt mußten stehen bleiben; ich schlich mich mit Winnetou vor. Pats avat blickte auf. Als er den Apatschen sah, sprang er empor und stieß erschrocken die Worte aus:

„Uff! Winnetou, der Häuptling der Apatschen!“

Der Genannte hob den Arm, deutete auf mich und antwortete:

„Ja, ich bin es. Und da steht mein weißer Freund und Bruder Old Shatterhand.“

Der Pa-Ute drehte sich schnell zu mir herum und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Schon öffnete er den Mund, um einen Hilferuf auszustoßen, da bekam er meinen Kopfhieb, der ihn besinnungslos niederstreckte. Nun brachten Hammerdull und Holbers die Bündel rasch herbei. Wir schichteten sie am Grabmale auf, legten die Lunte, zündeten sie am Feuer an und entfernten uns dann in so eiligem Laufe, daß wir nach kaum einer Minute wieder auf dem Floße standen.

Wir banden es los und ließen es abwärts gleiten, doch nicht im freien Wasser, weil wir es da nicht so, wie es nötig war, in unserer Gewalt gehabt hätten, sondern indem wir es hart am Ufer hielten und mit den Rudern langsam vorwärtsstießen.

Es wurde vor uns heller; schon sahen wir die Lagerfeuer und im Scheine derselben die Halbinsel liegen. Da erhob sich plötzlich auch links im Walde eine Glut, welche die Aufmerksamkeit der Pa-Utes auf sich zog. Wir hörten ihre Rufe und sahen viele nach dem Grabmale eilen.

„Es geht los!“ sagte Winnetou. „Die Waffen bereit zum etwaigen Widerstande, und die Messer heraus, um die Fesseln der Gefangenen im Nu zu zerschneiden!“

Da klang vom Walde her der laute, schrille Schreckensruf:

„Neav äkve, neav äkve — der Häuptling ist tot, der Häuptling ist tot!“

Da sprangen alle, die zurückgeblieben waren, von den Feuern auf und rannten in den Wald. Wir sahen es ganz deutlich, daß auch zwei Rote von der Halbinsel an das Ufer kamen und waldeinwärts liefen.

„Schnell an die vier Ruder und nach der Insel, schnell!“ gebot ich. „Holbers bleibt auf dem Floße, um es festzuhalten!“

Das Floß schoß mit der Schnelligkeit eines Bootes auf die Halbinsel zu. Als es anstieß, sprangen Winnetou, Hammerdull und ich an das Land. Es stand doch ein dritter Wächter da, welcher zurückgeblieben war. Er kehrte uns den Rücken zu, weil er nach dem Walde blickte. Als er das Geräusch hörte, welches wir nicht vermeiden konnten, drehte er sich um. Uns sehen, einen durchdringenden Hilferuf ausstoßen und sein Gewehr auf Winnetou anschlagen, das war eins. Ich sprang hinzu und griff nach dem Gewehre; ich konnte zwar nicht verhüten, daß der Schuß krachte, doch ging die Kugel fehl. Ihm die Waffe aus der Hand reißen, umdrehen und den Kolben auf den Kopf schlagen, daß der Mann zusammenbrach, war das Werk des nächsten Augenblicks. Dann mit dem Messer zu den Gefangenen. Nach kaum einer Minute waren alle acht frei und auf dem Floße. Wir sprangen nach, griffen zu den Rudern und lenkten zunächst nach dem andern Ufer hinüber.

Das war alles viel schneller gegangen und viel glücklicher abgelaufen als wir vorher gedacht hatten, und doch war es schon die höchste Zeit, daß wir fortkamen, denn der

Schuß und der Hilferuf waren gehört worden, und die Roten kamen zurückgerannt, um die Ursache zu erfahren. Sie sahen uns, denn wir glitten soeben durch den hellsten Feuerschein, und erhoben ein wütendes Geheul. Winnetous gewaltige Stimme aber übertönte selbst dieses Geschrei:

„Pats avat, der Häuptling der Pa-Utes ist nicht tot; er wird wieder aufwachen, denn Old Shatterhand hat ihn nur betäubt. Und hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen. Wir haben die weißen Gefangenen frei gemacht, und keine tausend Pa-Utes werden sie uns wieder abnehmen können. Howgh!“

Auf diese Worte verdoppelte sich das Geheul, und es krachten viele Schüsse, ohne uns aber zu treffen, denn der Feuerschein lag schon hinter uns, und wir schwammen im Dunkeln, wo wir kein Ziel mehr boten. Noch lange aber hörten wir die Stimmen der Feinde, welche wie dumme Knaben am Ufer hinter uns herrannten, ohne daß es für sie die Möglichkeit gab, uns einzuholen.

Die aus der Gefangenschaft befreiten und vom wahrscheinlichen Tode erretteten Männer hatten aus den Worten des Apatschen entnommen, wer wir waren. Sie wollten sich in Ausrufen der Freude und des Dankes ergehen, doch brachte Winnetou sie schnell zum Schweigen, indem er sagte:

„Still! Noch sind wir nicht in Sicherheit! Und wer weiß, ob alle von Euch sich freuen dürfen, daß sie den Pa-Utes entkommen sind. Nur kurze Zeit vergeht, so steht uns ein Gericht bevor, welches einen sehr ernsten Ausgang nehmen wird. Howah [Howgh]!“

III.

Winnetou stand wie vorher am vordern Steuer und lenkte das Floß nach dem rechten Ufer, denn wir waren in der Nähe der Stelle angekommen, wohin wir Fletcher und unsere Pferde geschafft hatten. Die acht Befreiten glaubten, hier aussteigen zu sollen, doch Winnetou bedeutete sie:

„Bleibt sitzen! Wir fahren weiter.“

„Warum legt Ihr denn hier an, wenn wir nicht an das Land sollen?“ fragte einer in vorwitzigem Tone.

„Weil wir hier unsere Pferde haben.“

„Und wir haben keine! Donnerwetter! Hattet Ihr denn keine Zeit oder keine Lust, unsere Pferde auch loszumachen? Auch fehlen uns unsere Waffen. Wie können wir hier im wilden Westen fortkommen, wenn wir keine Gewehre und keine Messer haben! Das hättet Ihr Euch doch beim Teufel sagen sollen!“

Es trat eine kurze Pause ein, dann fragte der Apatsche:

„Heißt der junge, weiße Mann, welcher jetzt gesprochen hat, vielleicht Fletcher?“

Ich kannte den Ton, in welchem er diese Frage aussprach, sehr genau. Man konnte ihn stets dann bei ihm hören, wenn er mit einem verächtlichen Menschen sprechen mußte und sich Mühe gab, seinen Zorn zu unterdrücken.

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„So ist er also der Sohn des alten Bleichgesichtes, welches man Old Cursing-Dry nennt?“

„Alle tausend Teufel! Wer erlaubt es Euch, diesen Namen auszusprechen?“

„Winnetou erlaubt es sich selbst und möchte den Menschen sehen, der es wagt, ihn darüber zur Rede zu stellen!“

„Ich wage es! Dieser Name ist ein Schimpfname, den ich nicht dulde! Wo ist überhaupt mein Vater? Er war fort, als wir überfallen wurden und kann nicht mit gefangen worden sein. Ich will nicht annehmen, Mesch’schurs, daß Ihr uns von hier entführt und meinen Vater in der Tinte stecken laßt. In diesem Falle würde Euch ein ........ in die Knochen fahren, und ich schwöre Euch bei ........“

„Halt!“ unterbrach ihn Winnetou. „Keinen Schwur und keinen Fluch; das dulden wir nicht! Der alte Fletcher ist in sicherer Hut und wird morgen mit Euch zusammentreffen. Euch jetzt gleich Eure Pferde und Waffen zu verschaffen, diesen Gedanken hätten wir nur dann hegen können, wenn sich in unserm Hirn keine Spur von Verstand mehr befände. Winnetou wird Euch aber sagen, was geschehen soll: Die Pa-Utes werden uns verfolgen, und wir locken sie in eine Falle, aus welcher keiner von ihnen zu entkommen vermag.

Dann müssen sie alles herausgeben, was sie Euch abgenommen haben. Die Krieger der Navajos warten schon auf sie, um sie gefangen zu nehmen. Wer kein Pferd hat, muß auf dem Floße bleiben, bis wir an Ort und Stelle sind. Der Fluß macht von hier aus einen großen Bogen, welcher nach der Stelle führt, die von den roten Männern Sitsu-to 1) genannt wird. Erinnert sich mein Bruder Shatterhand dieser Stelle noch genau?“

„Ja,“ antwortete ich. „Wenn wir jetzt von hier fortreiten, sind wir bei Tagesanbruch dort.“

„Das ist richtig. Wir, die wir auf dem Floße fahren, werden etwas später dort ankommen. Mein Bruder Shatterhand hat vier Pferde. Er mag mit Dick Hammerdull, Pitt Holbers und einem von ihren vier Gefährten aussteigen und mit ihnen nach dem Sitsu-to reiten, um dort auf uns zu warten. Was nachher zu thun ist, wird sich dann ergeben.“

Wir hatten acht Gefangene befreit, vier Gefährten von Hammerdull und Holbers und vier Kumpane des alten Fletcher. Winnetou gab mir nicht ohne Absicht einen der ersteren mit und nicht einen der letzteren. Fletcher war ja unser Gefangener. Hammerdull wählte sich einen seiner Freunde aus; dann stiegen wir an das Ufer, von welchem das Floß sogleich wieder abstieß. Es war immerhin ein Wagnis für Winnetou, mit vier solchen Menschen zu fahren, wie der junge Fletcher einer war. Nach seinen unverschämten Forderungen und seiner Ausdrucksweise zu urteilen, war auch hier der Apfel nicht weit vom Stamme gefallen.

Wir verließen das Ufer und fanden trotz der Dunkelheit die Schlucht, in welcher wir unsere Pferde angebunden hatten. Es war nichts Störendes hier eingetreten. Old Cursing-Dry hatte zwar, wie ich bemerkte, gewaltig an seinen Fesseln herumgezerrt, doch waren seine Anstrengungen ohne den geringsten Erfolg gewesen. Er wurde wieder auf sein Pferd gesetzt und dort festgebunden.

Der Gefährte Hammerdulls wunderte sich nicht wenig darüber, daß Fletcher sich bei uns in einer solchen Behandlung befand; er wurde mit kurzen Worten darüber aufgeklärt; dann stiegen wir auf und ritten fort, indem wir den Fluß verließen und die freie Ebene aufsuchten, um dort in einer schnurgeraden Linie den Bogen des Rio San Juan abzuschneiden. Hier gab es kein Laubdach über uns, und wir sahen die Sterne leuchten, bei deren Schein wir in keine falsche Richtung geraten konnten.

Ich ritt, Fletchers Pferd neben mir am Zügel führend, die ganze Zeit voran und kümmerte mich nicht um das Gespräch, welches die drei andern hinter mir nicht ausgehen ließen. Das Ereignis des letzten Abends gab ihnen Stoff genug dazu.

Als der Tag graute, sahen wir von weitem den grünen Streifen, welcher den Fluß besäumte, und erreichten bald darauf das Wasser, an welchem wir abstiegen, um auf Winnetou zu warten. Fletcher wurde natürlich wieder angebunden. Er hatte während des ganzen Rittes den Knebel im Munde gehabt; ich befreite ihn aus Mitleid von demselben; kaum aber hatte er die Zunge frei, so ließ er einen solchen Schwall von Flüchen und Verwünschungen über uns los, daß ich ihn nur durch die Drohung, ihm den Knebel sofort wieder zu geben und ihn dann noch extra durchpeitschen zu lassen, zum Schweigen bringen konnte.

Wir hatten gestern aus Sicherheitsrücksichten die zweite Hälfte der Fische nicht gebraten; darum brannten wir uns jetzt ein Feuer an, um aus dem versäumten Abendmahle ein Frühstück zu machen. Fletcher bekam auch seinen Theil. Während des Essens wollte Hammerdull die Fragen aussprechen, welche er bis jetzt still auf dem Herzen gehabt hatte. Ich winkte ihm, zu schweigen, denn Fletcher durfte nichts hören. Als dieser dann gegessen hatte, bekam er den Knebel wieder und wurde samt seinem Pferde eine genügende Strecke fortgeschafft und dort wieder festgebunden. Dann ließ sich aber der Dicke nicht länger halten, denn seine Neugierde war zu groß, und er erkundigte sich:

„Warum soll der Alte nicht hier bleiben, Mr. Shatterhand? Warum steckt Ihr ihn dort in die Büsche?“

1) Gelbes Wasser.

„Weil sein Sohn, wenn er hier vielleicht aussteigt, ihn nicht sehen darf, denn er würde gegen uns rebellieren, während er wahrscheinlich so lange ruhig bleibt, als er nicht weiß, was wir mit seinem Vater vorhaben.“

„Well; das ist klug; ich begreife es. Aber ich habe da noch hundert Fragen, die — — —“

„Die Du viel besser für Dich behältst,“ unterbrach ich ihn. „Nehmt Eure Angeln, und versucht, ob es hier Fische gibt. Wenn Winnetou kommt, werden er und seine Begleiter Hunger haben. Ich will Euch während dessen kurz folgendes sagen: Die Pa-Utes werden uns natürlich verfolgen, zu Lande und zu Wasser. Da sie in der Dunkelheit unsere Spuren nicht sehen konnten, mußten sie bis Tagesanbruch warten und haben die Nacht dazu benutzt, auch Flöße zu bauen. Auch sind während dieser Zeit die beiden Toten begraben worden, damit beim ersten Morgenscheine ihrem Aufbruche nichts im Wege stand. Ihr könnt Euch also leicht berechnen, welchen Vorsprung wir vor ihnen haben.“

„Den werden sie nicht einholen!“

„Nein; aber um sie zu reizen, werden wir sie möglichst nahe an uns herankommen lassen, damit sie die Unvorsichtigkeit begehen, uns in den Cañon zu folgen.“

„Werden die Navajos schon dort sein?“

„Jetzt noch nicht; auch wir können ihn erst heut gegen Abend erreichen, und bis dahin ist Natsas-Kar [Nitsas-Kar] mit seinen Kriegern sicher dort. Das ist alles, was uns für jetzt zu wissen nötig ist.“

„Aber Ihr habe doch nicht mit Winnetou darüber gesprochen. Vielleicht hat er einen ganz andern Plan als Ihr?“

„Nein. Ich kenne ihn, und er kennt mich. Und nun seht, daß wir Fleisch bekommen!“

Hammerdull und Holbers waren heute wieder glücklich. Sie machten in kurzer Zeit einen guten Fang und hörten eben auf, als wir von weitem das Floß kommen sahen. Die Fische kamen sofort über das Feuer, damit die Hungrigen nicht lange auf das Essen zu waren brauchten. Winnetou stand hochaufgerichtet vorn auf dem Floße und blickte mit Spannung zu uns her. Als er den alten Fletcher nicht sah, nickte er mir befriedigt zu und lenkte das Fahrzeug an das Ufer, wo es angebunden wurde. Der Duft der gebratenen Fische zog die acht Männer so an, daß sie einige Augenblicke später kauend am Feuer saßen.

Jetzt am Tage konnte ich die Gesichter sehen. Die vier Kerls, welche zu Old Cursing-Dry gehörten, hatten keine vertrauenerweckenden Gesichter, und die Art und Weise, wie sie sprachen und sich benahmen, legte kein gutes Zeugnis für sie ab. Winnetou führte mich abseits, um das Nötige mit mir zu besprechen. Wir machten es kurz und waren eben damit fertig, als der junge Fletcher uns zurief:

„Was gibt’s für Heimlichkeiten dort? Habt Ihr etwa ein böses Gewissen, daß wir nicht hören dürfen, was Ihr redet?“

Da antwortete ihm Dick Hammerdull:

„Ihr scheint nicht zu wissen, mit wem Ihr sprecht, Mr. Fletcher. Old Shatterhand und Winnetou sind nicht gewöhnt, in einem solchen Tone angeschossen zu werden!“

„So? Soll ich mich etwa mit schönen Komplimenten dafür bei ihnen bedanken, daß sie mir das Maul nicht vergönnen?“

„Ob Maul oder ob nicht Maul, das bleibt sich vollständig gleich; aber Ihr riskirt sehr stark, daß Ihr auf das eurige geschlagen werdet!“

„Möchte den sehen, der den Mut hätte, dies zu wagen! Daß Ihr uns befreit habt, ist ganz Nebensache, denn das war Eure ........ Pflicht und Schuldigkeit, und wir sind Euch keinen Dank dafür schuldig. Ich will jetzt unbedingt wissen, wo mein ........ ist!“

Es war geradezu empörend, das Wort zu hören, welches er anstatt „Vater“ gebrauchte. Dick antwortete:

„Wenn Ihr mit diesem schönen Ausdrucke Euren Vater meint, so will ich Euch sagen, daß dieser schon vor uns auf dem Wege zu den Navajos ist. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Ja, lieber Dick,“ nickte dieser, „wenn er vor uns ist, kann er nicht hinter uns sein.“

„Well, wenn das so ist, so bin ich einstweilen zufriedengestellt,“ erklärte Fletcher. „Hoffentlich gehen uns die ........ Utes in die Falle; dann aber sollen sie ........“

Es folgte wieder eine Flut von Verwünschungen, die nicht wiederzugeben ist, und der knüpfte daran die Erzählung einiger Erlebnisse, aus denen mehr als zur Genüge hervorging, daß die beiden Fletchers gewohnt waren, jeden Indianer als ein Wesen zu betrachten, welches „ausgelöscht“ werden müsse. Wie viele rote Männer mochten sie auf ihrem Gewissen haben!

Weil wir den Vorsprung, den wir vor unsern Verfolgern hatten, möglichst verringern wollten, blieben wir volle vier Stunden am Sitsu-to beisammen, denn fuhr Winnetou mit seinen sieben Männern wieder ab. Wir sorgten dafür, daß die Pa-Utes bei ihrer Ankunft schon von weitem sehen konnten, daß das Floß hier angelegt hatte und auch von uns Reitern da Rast gehalten worden war; dann verließen auch wir den Ort, nachdem wir selbstverständlich Old Cursing-Dry aus seinem Verstecke geholt hatten. Wir nahmen ihm unterwegs den Knebel wieder ab, und wenn er es auch nicht wagte, uns selbst zu verlästern, so bekamen wir doch fast unausgesetzt Ausdrücke von ihm zu hören, wie ich sie noch aus keinem Munde vernommen hatte. Besonders beschwor er wieder und immer wieder, daß er nicht der Mörder der beiden Pa-Utes sei.

Unsere Richtung führte uns oft an den Fluß und wieder von ihm ab, bis wir am Spätnachmittage seinem Ufer endgültig zu folgen hatten. Hinter uns lag eine weite, felsige Ebene, links der Strom, und vor uns stiegen allmählich Höhen auf, welche weit vorn senkrechte Wände bildete, zwischen denen der Rio San Juan verschwand. Das war der Cañon, in dem wir die Pa-Utes fangen wollten. Ob sie aber hineingehen würden, das war die Frage.

Um sie dazu zu bewegen, hatte ich mich mit dem Apatschen verabredet, hier halten zu bleiben, bis sie uns sehen konnten; er wollte dasselbe thun. Wir stiegen also ab und warteten. Es war kaum eine Viertelstunde vergangen, als wir einen Reiter am Flusse aufwärts kommen sahen. Es war ein Navajo, welcher uns meldete, daß seine Krieger angekommen seien und sich so aufgestellt hätten, wie es von Winnetou befohlen worden war. Dann entfernte er sich wieder, um Nitsas-Kar zu sagen, daß er uns getroffen habe.

Kurze Zeit später sahen wir unser Floß kommen. Ich gab Winnetou den verabredeten Wink, worauf er am Ufer anlegte, um ebenso wie wir zu warten. Der Fluß bildete aufwärts eine schnurgerade Linie, und Winnetou konnte also das Kommen seiner Verfolger fast ebensoweit bemerken, wie wir die Ankunft der unserigen. Dick Hammerdull warf die Frage auf, ob die Pa-Utes sich überhaupt auf unsere Verfolgung gemacht hätten, da deutete Pitt Holbers in die Ferne und sagte:

„Schau hinter Dich, alter Dick; da wirst Du sehen, daß Mr. Shatterhand jetzt wie gewöhnlich Recht hat.“

Ja, sie kamen! Ein großer Reitertrupp, wohl zweihundert Mann stark! Wir blieben noch immer halten. Als wir von ihnen auch gesehen wurden, hielten sie an. Da wurden unsere Augen nach dem Flusse abgelenkt, denn auf diesem waren weit oben vier, fünf Flöße zu bemerken. Winnetou sah sie auch und ruderte vom Ufer ab, um sich ihnen zu zeigen. Sie entdeckten ihn und steigerten sofort ihre Schnelligkeit, während zu gleicher Zeit der Reitertrupp sich hinter uns in rasche Bewegung setzte. Es hatte allen Anschein, als ob unser Plan gelingen sollte.

Wir ritten weiter, und zwar so, daß wir mit Winnetou immer parallel blieben. Zuweilen hinter uns blickend, gewahrten wir nach einiger Zeit, daß die Reiter die Stelle erreichten, an welcher wir gehalten hatten, und von da aus ihre Flöße und auch das Floß Winnetous sahen. Hören konnten wir es nicht, aber die hoch erhobenen Arme belehrten uns, daß sie ein Triumphgeheul ausstießen. Dann setzten sie ihre Pferde in Galopp; wir thaten dasselbe. Der Fluß trat hier zwischen engere Ufer, wodurch seine Schnelligkeit so vermehrt wurde, das [daß] Winnetou uns auch jetzt parallel bleiben konnte.

Die Felsen stiegen höher und höher an und traten bald so nahe zusammen, daß zwischen ihnen und dem Wasser ein kaum fünf Meter breiter Weg blieb, der nach und nach sogar schmäler wurde. Der Eingang zum Cañon war da. Ein scharf forschender Blick zu Seite empor zeigte mir, daß die eine Abteilung der Navajos ihren Posten besetzt hielt. Es ging im Galopp weiter, immer zwischen himmelhoch scheinenden Felsenwänden neben dem Wasser hin, über Risse und Steinbrocken hinweg, in Dreivierteldunkelheit, bis es plötzlich wieder hell vor uns wurde, weil die natürlichen Mauern sich jäh abwärts senkten.

Da legte sich uns ein Felsenwirrwarr in den Weg, hinter dessen Blöcken die Gestalten der andern Navajos-Abteilung auftauchten. Wir hielten an, um abzusteigen und unsere Pferde durch die engen Zwischenräume zu leiten. Der Häuptling selbst bewillkommnete uns, und ich übergab ihm den alten Fletcher mit der Weisung, ihn ja sehr scharf bewachen zu lassen. Gleich darauf ließ Winnetou sein Floß auf eine schiefe Ebene des Ufers treiben und kam mit seinen Leuten herbei zu uns. Das ging freilich viel schneller, als ich es erzählen kann, und da sahen wir auch schon hoch oben in der Röhre, welche der Cañon zu bilden schien, die Flöße und Reiter der Pa-Utes erscheinen; sie befanden sich in der Falle.

Ich legte den weittragenden Bärentöter an und schoß zwei Pferde nieder. Die Schüsse donnerten zwischen den Felsenwänden wie Kanonenschüsse. Die Navajos sprangen aus ihren Verstecken hervor; auf allen Kanten, Riffen und Vorsprüngen waren sie zu sehen, die ihre Gewehre schußfertig hielten; als das die Reiter der Pa-Utes bemerkten, parierten sie ihre Pferde und winkten ihren Leuten auf den Flößen zu, schnell an das Ufer anzulegen, was sofort geschah, obgleich es nicht leicht auszuführen war. Nun fielen auf beiden Seiten Schüsse, die uns keinen Schaden anrichteten. Die Feinde sahen ein, daß sie bei uns nicht durchkommen konnten, und wendeten sich zurück; als sie verschwunden waren, kamen die leeren Flöße an uns vorüber geschwommen. Nun warteten wir, doch nicht lange, da kamen die Utes wieder, doch ohne sich in die Schußweite an uns zu wagen. Sie waren von unsere obern Abteilung abgewiesen worden und mußten einsehen, daß sie sich in unserer Gewalt befanden, denn während wir Raum hatten, uns auszubreiten, so daß jeder von uns schießen konnte, waren sie auf einem so schmalen Weg eingeengt, daß nur die Vordersten sich ihrer Gewehre bedienen durften, wenn verhütet werden sollte, daß einer den andern verletzte. Und lange in dieser gefährlichen Enge eingeschlossen bleiben, vielleicht gar über Nacht? Daran zu denken wäre Blödsinn gewesen. Wir waren also überzeugt, nicht lange auf den Erfolg warten zu müssen.

Dies zeigte sich als richtig, denn schon nach einiger Zeit kam einer von ihnen auf uns zugeschritten, der als Zeichen der Friedfertigkeit ein Tuch oder dergleichen in der Hand schwang. Wir ließen ihn herankommen, und er sagte uns, daß sein Häuptling mit unserm Anführer sprechen wolle. Wir erteilten ihm den Bescheid, daß Pats avat zu uns kommen und volle Sicherheit seiner Person haben solle.

Was wir erwartet hatten, das geschah: Der Häuptling der Pa-Utes schenkte unserm Versprechen Glauben und stellte sich bei uns ein. Die Verhandlung wurde in ächt indianischer Langsamkeit geführt, so daß es darüber Abend wurde und ein Feuer angebrannt werden mußte. Der Häuptling der Navajos verlangte Frieden und fünfzig Gewehre; der Anführer der Pa-Utes wollte Frieden halten, aber keine Gewehre geben, denn es sei ihm sein Sohn und ein Krieger erschossen worden. Da legte sich Winnetou ins Mittel, und die Folge seiner Vorstellung war, daß Pats avat die Gewehre gab und den Mörder seines Sohnes ausgeliefert erhielt. Als dieses Einvernehmen erzielt war, wurde es von beiden Seiten mit dem Calummet beraucht, und der Pa-Ute kehrte zu seinen Leuten zurück, um ihnen den Vertrag mitzuteilen. Daß er, der Angreifer, so gut weggekommen war, hatte er nur der Humanität Winnetous zu verdanken.

Nun wurde ein Bote zu unserer obern Abteilung gesandt, worauf alle Navajos sich vom Cañon nach dem hohen Ufer zogen, die Pa-Utes folgten ihnen. Dort wurde Lager gemacht, und es interessierte mich ganz besonders, daß von dem Augenblicke des Übereinkommens an von keiner Seite ein Mißtrauen mehr vorhanden war.

Die beiden Parteien lagerten einander nahe gegenüber. Für Pats avat war es äußerst schwierig, diejenigen seiner Krieger zu bestimmen, welche ihre Gewehre herzugeben hatten, und es dauerte fast bis Mitternacht, ehe sie gebracht wurden und er auch kam, um den Mörder ausgeliefert zu erhalten. Es versteht sich ganz von selbst, daß er auch alles den acht Weißen abgenommene Eigentum zurückzugeben hatte. Er brachte diese Sachen, auch die Pferde, gleichzeitig mit den Gewehren, und es stellte sich heraus, daß keiner der Gegenstände fehlte. Mit ihm war auch der Pa-Ute gekommen, welcher mit den beiden Ermordeten vorangeritten war und den fliehenden Mörder gesehen hatte.

Natürlich mußte Old Cursing-Dry, ehe er ausgeliefert werden konnte, des Mordes überführt werden. Es wurde darum eine Jury zusammengesetzt, welche aus den beiden Häuptlingen, Winnetou, Dick Hammerdull und mir bestand.

Fletcher war so isoliert gehalten worden, daß ihn sein Sohn bis jetzt noch nicht gesehen hatte; nun aber, als er gefesselt an unser Feuer gebracht wurde, sah der junge den alten und drängte sich wutschnaubend zu uns, um unter wilden Flüchen die Freiheit seines Vaters zu verlangen. Es gab einen Auftritt, den ich nicht beschreiben mag und dem man nur dadurch ein Ende bereiten konnte, daß Fletcher jun. auch gebunden wurde und einen Wächter bekam.

Nun bildete sich ein weiter Kreis von Zuhörern um uns. Ehe das Verhör begann, welches Winnetou leitete, wurden dem Angeklagten nach alten Savannenbrauche die Fesseln abgenommen; an eine Flucht war ja nicht zu denken. Der Zeuge erkannte in ihm sofort denjenigen, den er hatte fliehen sehen, und als ihm hierauf Fletchers Pferd vorgegeführt -

Illustration3

vorgeführt wurde, erklärte er mit aller Bestimmtheit, das es dasjenige sei, auf welchem der Mörder gesessen habe. Der Beweis war erbracht. Als nun Fletcher das Wort zu seiner Verteidigung erhielt, konnte er nichts vorbringen als Flüche und Verwünschungen, welche in den bereits zweimal ausgesprochenen Worten endeten, daß er erblinden und zerschmettert sein wolle, wenn er der Mörder sei. Da er das Wort vor der Jury hatte, mußten wir ihn aussprechen lassen; es war aber kaum anzuhören. Dazu sein Aussehen! Sein Gesicht glich eher dem eines wütenden Tieres als einem menschlichen!

Pats avat, der Vater des Ermordeten, saß mir gegenüber. Er hatte sein Gewehr neben sich liegen; ein Messer, der Tomahawk und eine alte, doppelläufige Pistole steckten in seinem Gürtel, an welchem auch der lederne Pulverbeutel hing. Wahrscheinlich um etwas zu thun, wobei er seinen Grimm, seine Aufregung verbergen könne, zog er die Pistole und begann, sie zu laden; ich achtete nicht darauf, denn meine Aufmerksamkeit war auf Old Cursing-Dry gerichtet, welcher grad jetzt seine letzte Lästerung hervorstieß. Hierauf wiederholte Winnetou die Punkte der Anklage; für die Verteidigung hatte sich kein Punkt ergeben, und nun mußten wir das Urteil fällen. Als es einstimmig auf schuldig lautete, stand der Apatsche auf und sagte:

„So hat also dieses gerechte Savannengericht erkannt, daß Old Cursing-Dry die beiden Krieger der Pa-Utes ermordet hat, und da wir versprochen haben, den Mörder auszuliefern, so sei er hiermit dem Häuptlinge der Pa-Utes übergeben, der mit ihm thun mag, was ihm gefällt. Howgh!“

Da erhob sich auch Pats avat. Die Pistole in der linken Hand, streckte er die rechte nach dem Mörder aus und rief:

„Dieses weiße Raubtier gehört von jetzt an mir. Er wird gleich jetzt an den Pfahl gebunden und so gemartert werden, daß er drei Tage und drei Nächte lang vor

Schmerz brüllen soll, ohne sterben zu können, denn er hat nicht nur den Doppelmord begangen, sondern er ist der Quäler und Mörder noch vieler andrer roten Männer. Howgh!“

Fletcher stand kurze Zeit bewegungslos und starr; dann zischte er den Häuptling an:

„Ich sterben? Am Marterpfahle? Obgleich ich erblinden will, wenn ich es gewesen bin? Roter ........ Hund! Gibt es keine Rettung mehr für mich, dann sollst Du auch zum Teufel fahren! Paß auf!“

Er entriß dem Häuptling die Pistole, richtete sie auf ihn und drückte ab; im nächsten Augenblicke hielt er sie sich an die Schläfe und drückte wieder ab. Die beiden Schüsse ertönten fast wie einer so schnell hinter einander. Man sah kaum, daß der Häuptling beim ersten Schusse zur Seite sprang und beim zweiten die Hand nach der Pistole ausstreckte. Wir fuhren alle von den Sitzen auf, glaubend, daß beide tot niederstürzen müßten; aber der Häuptling stand unverletzt und sagte hohnlachend:

„Er traf mich nicht, denn ich stieß seine Hand auf die Seite, und es war nur erst das Pulver, keine Kugeln in den Läufen. Aber schaut den bleichen Hund! Was ist mit ihm geschehen?“

Ja, was war mit Fletcher geschehen? Er hatte die Pistole fallen lassen und stand starr, die Hände auf die beiden Augen gedrückt; dann nahm er die Hände weg und hob den Kopf, als ob er gegen den Sternenhimmel sehen wolle, stieß einen schrillen, markdurchdringenden Schrei aus und warf sich auf die Erde nieder, in der er jammernd mit den Fäusten wühlte.

„Uff, uff, uff!“ rief Winnetou. „Er wollte erblinden, wenn er schuldig sei, und hat sich jetzt das Pulver in die Augen geschossen. Das Präriegericht hat ihn verurteilt; aber der große Manitou hat ihn noch viel gerechter gerichtet. Diesem Flucher und Lästerer ist genau so geschehen, wie er selbst vom großen Geist gefordert hat. Winnetou, der Häuptling der Apatschen, hat viel gesehen und erlebt, was andere nicht zu ersehen vermochten; vor diesem Gerichte aber will ihm grauen. Howgh!“

Er schüttelte sich wie vor Frost und wandte sich ab, um zu gehen. Es war so, wie er sagte: Fletcher hatte sich mit der Kugel in die Schläfe treffen wollen, aber weil Pats avat in demselben Augenblicke nach der Pistole gegriffen hatte, war der Pulverschuß abgelenkt worden und ihm in die beiden Augen gegangen. Es ging mir wie Winnetou; mir graute, und ich entfernte mich, und zwar so weit vom Lager weg, bis ich das Jammern des von Gott Gestraften nicht mehr hörte. Als ich nach längerer Zeit zurückkam, war er inzwischen hinüber zu den Pa-Utes geschafft worden, deren Häuptling jetzt nicht mehr daran dachte, ihn schon heute an den Marterpfahl zu binden.

So nötig der Schlaf uns allen war, ich konnte ihn lange nicht finden und wälzte mich vergeblich von einer Seite auf die andere, denn mir tönte immer und immer das Wort des Apatschen in die Ohren: „Aber der große Manitou hat ihn noch viel gerechter gerichtet!“ Und als ich endlich doch in Schlummer fiel, war es mir im Traume, als ob die beiden Pistolenschüsse wieder und immer wieder ertönten.

Aber war das wirklich im Traume? Oder wachte ich? Es waren wirkliche Schüsse gefallen, und ich vernahm ein hastiges Rennen und Rufen. Als ich aufsprang, sah ich das ganze Lager in Bewegung und erfuhr auf mein Befragen, daß Old Cursing-Dry entflohen sei.

Was das möglich? Er, der Erblindete und zugleich Gefesselte entflohen? Das konnte ich doch kaum glauben! Oder sollte er nicht wirklich oder nicht ganz blind gewesen sein? Da kam Dick Hammerdull mit Pitt Holbers gelaufen und rief mir zu, indem sie mich noch nicht ganz erreicht hatten:

„Wißt Ihr es schon, daß der alte Fletcher fort ist, Sir?“

„Ich hörte es, kann es aber nicht glauben.“

„Ob Ihr es glaubt oder nicht, das bleibt sich vollständig gleich, aber es ist so, Mr. Shatterhand.“

„Ist er denn nicht gefesselt gewesen?“

„Gefesselt war er.“

„So haben die Pa-Utes ihn nicht scharf genug bewacht?“

„Das wird es wohl sein! Aber blind und gefesselt, da denkt man doch, ihn ganz sicher zu haben!“

„Aber wie konnte er denn fort? Es muß ihm jemand geholfen haben!“

„Natürlich hat ihm einer geholfen, sein Sohn, denn der ist auch verschwunden. Einer der Außenposten hat zwei Männer gesehen, welche mit einander auf einem Pferde saßen.“

„So haben die beiden Fletchers nicht Zeit gefunden, ein zweites Pferd heimlich wegzustehlen. Ist denn der Sohn nicht mehr gefesselt gewesen?“

„Ob gefesselt oder nicht, das ist ganz und gar egal, aber man hat ihm die Riemen abgenommen, weil er darum gebeten und dazu versprochen hat, ruhig zu sein. Man hat nicht geglaubt, ihm mißtrauen zu müssen, denn sein Vater war den Pa-Utes ja abgeliefert worden und befand sich sicher in ihren Händen.“

„Welche Unvorsichtigkeit! Nach welcher Richtung sind sie denn fort?“

„Es ist ein Südposten gewesen, an dem sie sich vorüberschleichen wollten; er hat sie angerufen und, als sie nicht antworteten, zweimal auf sie geschossen. Er hatte ein Doppelgewehr, denn es war einer von meinen Gefährten.“

„So kommt! Ich will hin, wo er gestanden hat. Vielleicht läßt sich trotz der Dunkelheit eine Spur entdecken.“

Wir gingen. Viele andere schlugen mit uns die gleiche Richtung ein; aber bald hörten wir weit vorn die laut befehlende Stimme Winnetous, welcher ein weiteres Vordringen untersagte, weil dadurch die Spuren der Entflohenen verdorben würden. Man gehorchte ihm; ich aber ging weiter. Als ich ihn erreichte, sagte er:

„Mein Bruder wird gehört haben, was geschehen ist. Wir müssen — — —“

Er hielt inne und lauschte in die Nacht hinaus. Es war der Hufschlag eines Pferdes zu hören, welches sich uns langsam näherte. Wir gingen ihm mit gespannten Revolvern entgegen. Diese Vorsicht war unnötig, denn es saß niemand darauf. Es war das Pferd des jungen Fletcher. Als wir es an das wieder angefachte Lagerfeuer brachten, sahen wir, daß es hinten mit Blut bedeckt, aber doch unverletzt war. Es mußte einer der Reiter von einer Kugel des Postens getroffen worden sein. Das Pferd hatte beide abgeworfen und war dann zurückgekehrt. Nun war es gewiß, daß wir die Entflohenen finden würden. Wir konnten also bis zum Morgen warten.

Als der Tag zu grauen begann, machten wir uns auf die Suche. Wir brauchten gar nicht weit zu gehen. Von der Stelle aus, wo die beiden Fletcher gesehen worden waren, führte uns die Fährte zunächst nicht weiter als höchstens tausend Schritte. Dort lag der Sohn, tot und schon kalt. Die Kugel war ihm von hinten in die Brust gedrungen, und er hatte sich also kaum einige Sekunden auf dem Pferde halten können. Dieses war mit dem Alten weiter gelaufen. Infolge seiner erblindeten Augen hatte er es falsch gelenkt, nämlich nach einer Felswand, wie wohl dreißig Meter tief nach dem Flusse abwärts fiel. Dort hatte das Pferd nicht weiter gewollt und ihn abgeworfen. Als wir über die Kante hinunterblickten, sahen wir ihn liegen. Er lebte noch, denn wir sahen, daß er sich bewegte und hörten ein schwaches Wimmern.

Ich bin nie schwindelig gewesen, aber jetzt schwindelte mir doch, nur infolge des Gedankens, daß der zweite Teil seiner Lästerung auch eingetreten war. „Ich will erblinden und zerschmettert werden,“ hatte er gesagt, und nun lag er da unten!

Wir holten den nötigen Beistand und stiegen seitwärts, wo es nicht gefährlich war, hinab. Als wir ihn erreichten,

lag er da, noch immer wimmernd und die geschwollenen Augen halb geschlossen. Ich kniete bei ihm nieder und fragte

„Mr. Fletcher, hört Ihr mich? Versteht Ihr mich?“

Er öffnete langsam die Lider. Die von Pulverkörnern dicht betüpfelten Augäpfel klotzten mich starr an; aber eine Antwort bekam ich nicht.

Ich wiederholte meine Frage, doch mit demselben Mißerfolge. Nun untersuchten wir ihn. Der Kopf zeigte keine äußere Verletzung, aber beide Arme und beide Beine waren gebrochen.

„Zerschmettert, wie er wollte!“ flüsterte mir Winnetou zu.

Jedenfalls war er auch innerlich schwer verletzt. Als wir den Versuch machten, ihn aufzuheben, stieß er ein Geschrei aus, welches wie das ununterbrochene Gebrüll eines Tigers klang und kein Ende nehmen wollte. Unter den furchtbaren Schmerzen, welche er litt, schien ihm die Besinnung zurückzukehren, denn als ich ihn jetzt wieder fragte, ob er mich höre und verstehe, hörte er auf, zu brüllen und antwortete:

„Wer ist’s? Wer ist da?“

„Old Shatterhand und Winnetou.“

„Wo ist mein Sohn?“

„Er ist tot.“

„Erschossen?“

„Ja.“

„Er — — schos — — sen,“ stammelte er, „Er — — schos — — sen! Daran — — bin — — ich — — schuld!“

“Ja, Ihr seid schuld an allem, an Eurem schrecklichen Tode und auch an dem traurigen Ende Euers Sohnes!“

Er ächzte tief, tief auf und schloß die zerschossenen Augen wieder. So lag er eine ganze Weile da, bewegungslos und ohne einen Laut. Da fragte ich ihn:

„Seid Ihr noch wach? Hört Ihr mich noch?“

Illustration4

„Ja,“ hauchte er.

„Ihr habt nur noch wenige Minuten zu leben, denkt an den Tod; denkt an Eure Sünden und an das ewige Gericht! Denkt aber auch an Gottes Barmherzigkeit, die ohne Ende ist!“

„Got — — tes Barm — — her — — zig — — keit!“ klang es von seinen mit Blut unterlaufenen Lippen.

„Sagt endlich die Wahrheit! Habt Ihr die beiden Pa-Utes erschossen?“

„Ja,“ gestand er.

„Sind Euch diese Sünde und alle frühern Sünden, welche Ihr begangen habt, leid?“

„Leid — — leid — — o — — leid! Betet — — für — — mich — — ein — — Pater — — noster!“

„Hört vorher, was ich Euch noch sage! Wenn Euch Eure Missethaten leid sind, so dürft Ihr in der Überzeugung sterben, daß der Allbarmherzige Euch ein gnädiger Richter sein wird. Gehet mit dieser Hoffnung ein ins ewige Leben! Und nun wollen wir beten!“

Er machte eine Bewegung, die kraftlos an seinen gebrochenen Armen hängenden Hände zu falten, doch vergeblich. Ich legte sie ihm zusammen und betete laut das heilige Vaterunser und dann noch weiter, was ich fühlte und dachte. Auf sein Gesicht kam ein leises, fast frohes Lächeln — — eine langsame, müde Kopfbewegung wie einer, der einschlafen will, dann war es vollbracht; Old Cursing-Dry war tot. Möge keiner seiner Flüche ihm in das Jenseits gefolgt sein!

Winnetou zog mich aus den Knieen in die Höhe und sagte:

„Nun hat mein Bruder Charley doch noch seinen Willen gehabt: Die Seele dieses Mannes hat sich zum großen, guten Manitou gefunden. Sein Körper aber mag mit dem seines Sohnes in der Erde ruhen, bis am ewigen, lichten Tage die Seele wieder zu ihm kehrt. Howgh!“ — — —

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