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Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

1. An der großen Westbahn.

Initial IIch hatte seit dem frühen Morgen eine tüchtige Strecke zurückgelegt. Jetzt fühlte ich mich einigermaßen ermüdet und von den kräftigen Strahlen der hoch im Zenith stehenden Sonne belästigt; daher beschloß ich, Rast zu halten und mein Mittagsmahl zu mir zu nehmen. Die Prairie dehnte sich, eine Bodenwelle nach der andern bildend, in unendlicher Weite vor mir aus. Seit fünf Tagen, wo unsere Gesellschaft durch einen zahlreichen Trupp Ogellallah’s gesprengt worden war, hatte ich weder ein nennenswerthes Thier noch die Spur eines Menschen bemerkt und begann nun endlich, mich nach irgend einem Wesen zu sehnen, an welchem ich erproben konnte, ob mir nicht vielleicht in Folge des langen anhaltenden Schweigens die Sprache verloren gegangen sei.

Einen Bach oder ein sonstiges Wasser gab es hier nicht, Wald oder Buschwerk ebenso wenig; ich brauchte also nicht lange zu wählen und konnte Halt machen, wo es mir eben beliebte. Ich sprang in einem Wellenthale zur Erde, hobbelte ) meinen Mustang an, nahm ihm die Decke ab und stieg die kleine Bodenerhebung empor, um mich dort niederzulassen. Das Pferd mußte unten bleiben, damit es im Falle einer feindlichen Annäherung nicht bemerkt würde; ich selbst aber mußte den erhöhten Punkt wählen, um die Gegend überblicken zu können, während es nicht leicht möglich war, mich zu sehen, wenn ich mich auf den Boden legte.

Ich hatte gute Gründe, vorsichtig zu sein. Wir waren in einer Gesellschaft von zwölf Männern vom Ufer des Platte aufgebrochen, um im Osten der Felsenberge hinabzugehen nach Texas. Zu derselben Zeit hatten die verschiedenen Stämme der Sioux ihre Lagerdörfer verlassen, weil einige ihrer Krieger getödtet worden waren und sie nun Rache nehmen wollten. Wir wußten dies, fielen aber trotz aller List in ihre Hände und wurden nach einem harten, blutigen Kampfe, in welchem fünf von uns das Leben ließen, nach allen Richtungen über die Prairie zerstreut.

Da die Indsmen (Indianer) aus unserer Fährte, die wir nicht ganz zu verwischen vermochten, wohl ersehen hatten, daß

) Trapperausdruck für: mit dem Lasso die Beine fesseln.

wir nach Süden gingen, so war mit Sicherheit anzunehmen, daß sie uns folgen würden. Es galt also, die Augen offen zu halten, wenn man nicht das Glück haben wollte, sich eines Abends in die Decke zu wickeln und am Morgen dann ohne Scalp in den „ewigen Jagdgründen“ ) zu erwachen.

Ich legte mich nieder, langte ein Stück getrocknetes Büffelfleisch hervor, rieb es anstatt des Salzes mit Schießpulver ein und versuchte, es mit den Zähnen in einen Zustand zu bringen, welcher es mir ermöglichte, die lederharte Substanz in den Magen zu befördern. Dann nahm ich eine von meinen „Selbstgefertigten“, steckte sie mit Hilfe des Punks ✽✽) in Brand und blies Rauchfiguren mit einem Behagen, als sei ich ein virginischer Pflanzer und rauche die mit Glanzhandschuhen ausgezupften Herzblätter des besten Goosefoot.

Noch nicht lange hatte ich so auf meiner Serape ✽✽✽) gelegen, als ich, zufälliger Weise hinter mich blickend, einen Punkt am Horizonte bemerkte, welcher sich in einem spitzen Winkel mit der von mir verfolgten Richtung grad auf mich zu bewegte, Ich schlüpfte von der Erhöhung so weit nieder, daß mein Leib durch dieselbe vollständig gedeckt wurde, und beobachtete die Erscheinung, in welcher ich nach und nach einen Reiter erkannte, welcher nach Indianerart weit vornüber auf dem Pferde hing.

Als ich ihn zuerst bemerkte, war er wohl anderthalb englische Meilen von mir entfernt. Sein Pferd ging in einem so langsamen Schlenderschritt, daß es beinahe eine halbe Stunde brauchte, um eine Meile zurückzulegen, Wieder hinaus in die Ferne blickend, aus welcher er kam, bemerkte ich zu meiner Ueberraschung noch vier Punkte, welche sich ganz genau auf seiner Fährte fortbewegten. Das mußte meine Aufmerksamkeit im hohen Grade erregen. Der erste Reiter war ein Weißer, wie ich jetzt an der Kleidung untrüglich erkannte. Waren die Anderen vielleicht Indianer, welche ihn verfolgten? Ich zog mein Fernrohr hervor. Ich hatte mich

)Indianerausdruck. Bei den nordamerikanischen Wilden herrscht die grausige Sitte, ihren getödteten oder verwundeten Feinden die Kopfhaut (Scalp) durch Zirkelschnitte vom Kopf zu trennen und dann abzuziehen. Dies heißt man scalpiren. Der Scalp gilt als Siegeszeichen. D[ie] R[edaction]

✽✽)Prairiefeuerzeug.

✽✽✽)Decke.

nicht geirrt. Sie kamen näher, und ich konnte durch die Gläser sehr deutlich an ihrer Bewaffnung und Tätowirung erkennen, daß sie zu den Ogellallah’s, dem kriegerischsten und grausamsten Stamme der Sioux, gehörten. Sie waren außerordentlich gut beritten, während das Pferd des Weißen ein sehr gewöhnliches Thier zu sein schien. Er war mir jetzt so nahe gekommen, daß ich ihn bis in das Einzelnste betrachten konnte.

Er war von kleiner, sehr hagerer Statur und trug auf dem Kopfe einen alten Filzhut, dem die Krämpe vollständig fehlte: ein Umstand, der in der Prairie nicht auffallen konnte, hier aber einen Mangel hervorhob, der mir höchst auffällig erscheinen mußte: der Mann hatte nämlich keine Ohren. Die Stelle, an welcher sie sich befinden sollten, zeigte die Spuren einer gewaltthätigen Behandlung; sie waren ihm jedenfalls abgeschnitten worden. Um die Schulter hing ihm eine ungeheure Decke, welche den Oberleib vollständig verhüllte und kaum die hageren Beine erkennen ließ, die in einem Paar so eigenthümlicher Stiefel steckten, daß man drüben in Europa über dieselben gelacht hätte. Sie bestanden nämlich in derjenigen Sorte von Fußbekleidung, wie sie die Gaucho’s in Südamerika zu fertigen und zu tragen pflegen. Man zieht von einem enthuften Pferdefuße die Haut ab, steckt, wenn sie noch warm ist, das Bein hinein und läßt sie an demselben erkalten: die Haut legt sich eng und fest an Fuß und Unterbein und bildet so eine vortreffliche Fußbekleidung, welche allerdings die Eigenthümlichkeit hat, daß man mit derselben auf seinen eigenen Sohlen geht. Am Sattel hatte er ein Ding hängen, welches jedenfalls eine Büchse sein sollte, eher aber einem Knüttel ähnlich sah, wie man ihn zufällig im Walde findet. Sein Pferd war eine alte hoch- oder vielmehr kameelbeinige Stute, welcher der Schwanz vollständig fehlte; ihr Kopf war unverhältnißmäßig groß, und die Ohren besaßen eine Länge, über welche man hätte erschrecken können. Das Thier sah aus, als sei es aus verschiedenen Körpertheilen von Pferd, Esel und Dromedar zusammengesetzt, hing beim Laufen den Kopf tief zur Erde und ließ dabei die Ohren wie ein Neufundländer Wasserhund hart am Kopfe herabfallen, wie wenn sie ihm zu schwer wären.

Unter anderen Verhältnissen oder als Neuling hätte man über Reiter und Pferd wohl lachen müssen, mir aber kam der Mann trotz der Sonderbarkeit seines Aeußern doch vor wie einer jener Westmänner, welche man erst kennen lernen muß, um ihren Werth zu beurtheilen. Er hatte wohl keine Ahnung, daß vier von den fürchterlichsten Feinden des Prairiejägers ihm so nahe seien, sonst hätte er nicht so langsam und sorglos seinen Weg verfolgt und sich doch zuweilen nach ihnen umgeschaut.

Er war jetzt bis auf hundert Schritte herbeigekommen und hatte meine Fährte erreicht. Wer sie eher bemerkte, er oder sein Pferd, das vermochte ich nicht zu sagen, aber ich sah ganz deutlich, daß die Stute von selbst stehen blieb, den Kopf noch tiefer als vorher zur Erde senkte, mit den Augen nach den Fußspuren meines Mustangs schielte und dabei überaus lebhaft mit den langen Ohren wedelte, welche bald auf- und bald niederwärts gingen, und sich bald vor- bald rückwärts legten, daß es aussah, als ob sie von einer unsichtbaren Hand aus dem Kopfe gedreht werden sollten. Der Reiter wollte absteigen, um die Fährte genau zu untersuchen; dabei hätte er unnützer Weise die so kostbare Zeit verloren, und daher kam ich ihm durch meinen Ruf zuvor:

„Halloo, heda, Mann! Haltet Euch unten, kommt doch einmal ein wenig näher heran!“

Ich hatte meine Stellung so verändert, daß er mich erblicken konnte. Auch seine Stute erhob den Kopf, legte die Ohren steif nach vorn, als wollte sie meinen Anruf wie einen Ball auffangen, und wedelte dabei emsig mit dem kurzen nackten Schwanzstumpfe.

„Halloo, Master,“ antwortete er; „nehmt ein ander Mal Euere Stimme in Acht, und brüllt ein wenig leiser; auf dieser alten Wiese hier weiß man niemals richtig, ob es nicht vielleicht hier oder da Ohren gibt, die nichts zu hören brauchen! Komm, Tony!“

Die Stute setzte auf diesen Zuruf ihre unendlichen Beine in Bewegung und blieb dann ganz von selbst bei meinem Mustang stehen, dem sie nach einem hochmüthigen und malitiösen Blick denjenigen Körpertheil zukehrte, den man bei einem Schiffe den Stern zu nennen pflegt. Sie war wohl eines jener Reitthiere, welche — wie sie in der Prairie nicht selten vorkommen

— nur für ihren Herrn leben, jedem Anderen aber sich so widerspenstig zeigen, daß sie für ihn unbrauchbar sind.

„Weiß ganz genau, wie laut ich reden darf!“ gab ich ihm zur Antwort. „Woher kommt Ihr, und wohin wollt Ihr, Master?“

„Das geht Euch verteufelt wenig an!“

„Meint Ihr? Sehr übermäßig höflich seid Ihr nicht, Master; dies Zeugniß kann ich Euch schon jetzt mit gutem Gewissen geben, obgleich ich kaum zwei Worte mit Euch gesprochen habe. Doch will ich Euch aufrichtig gestehen, daß ich gewohnt bin, eine Antwort zu erhalten, wenn ich frage!“

„Hm, ja; Ihr scheint mir allerdings ein sehr vornehmer Gentleman zu sein,“ meinte er mit einem geringschätzigen Blick auf mich. „Daher werde ich Euch sogleich die verlangte Auskunft geben!“ — Er winkte rückwärts und dann vorwärts. „Ich komme von daher und will dorthin.“

Der Mann begann, mir zu gefallen. Jedenfalls hielt er mich für einen von seiner Gesellschaft abgekommenen Sonntagsjäger. Der ächte Westmann gibt auf sein Aeußeres nichts und hegt eine offen gezeigte Abneigung gegen Alles, was sauber ist. Wer sich Jahre lang im wilden Westen umhertreibt, ist in Beziehung auf seinen Habitus nicht salonfähig und vermuthet in Jedem, der sich propre trägt, einen Greenbill, dem nichts Rechtes zuzutrauen ist. Ich hatte mich droben in Fort Wilfers mit neuer Kleidung versehen und war von jeher gewohnt, meine Waffen blank zu halten: zwei Umstände, welche nicht geeignet waren, mich in den Augen eines Savannenläufers als vollgültig erscheinen zu lassen. Daher nahm ich das kurz angebundene Wesen des fremden Männchens nicht übel und antwortete, nun ebenso wie er nach vorwärts deutend:

„So macht, daß Ihr „dorthin“ kommt; nehmt Euch aber vor den vier Indsmen in Acht, welche sich dort auf Eurer Fährte halten! Ihr habt sie wohl noch gar nicht bemerkt?“

Er fixirte mich aus den hellen, scharfen Aeuglein mit einem Blick, in welchem sich Erstaunen und Belustigung zugleich kundgaben.

„Nicht bemerkt? Hihihihi! Vier Indsmen hinter mir, und ich sie nicht bemerken! Ihr scheint mir zum Beispiel ein sonderbarer Kauz zu sein! Die guten Leute sind bereits seit heut früh hinter mir her; ich aber brauche mich nach ihnen gar nicht umzusehen, denn man kennt ja die Weise dieser roten Mesch’schurs. Sie werden sich in gehöriger Entfernung halten, so lange es Tag ist, und mich dann beschleichen, wenn ich mir irgendwo einen Lagerplatz gesucht habe. Aber sie sollen sich zum Beispiel sehr verrechnet haben, denn ich werde ihnen einen Ring schlagen, der mich in ihren Rücken bringt. Ich hatte nur bisher kein passendes Terrain dazu; hier zwischen diesen Wellen kann ich’s endlich thun, und wenn Ihr lernen und sehen wollt, wie ein alter Westmann es einrichtet, sich an die Redmen ) zu bringen, so dürft Ihr nur hier bleiben und zehn Minuten warten. Werdet es aber wohl bleiben lassen, denn ein Mann Eures Schlages pflegt zum Beispiel verteufelt wenig Lust zu haben, eine Portion Indianerparfum einzuschnobern! Come on, Tony!“

Ohne sich weiter um mich zu bekümmern, ritt er davon und war bereits nach einer halben Minute sammt seiner famosen Stute zwischen den Bodenerhebungen verschwunden.

Sein Plan war mir sehr verständlich, denn ich an seiner Stelle hätte ganz denselben Gedanken ausgeführt. Er wollte einen Bogen reiten, der ihn hinter seine Verfolger brachte, denen er sich nähern mußte, noch ehe sie aus der veränderten Richtung auf seine Taktik schließen konnten. Um diesen Zweck zu erreichen, durfte er sich natürlich nur in den Wellenthälern halten, und besser war es, wenn er sich nicht hinter die Indsmen brachte, sondern den Bogen so kurz schlug, daß sie an ihm vorüber mußten. Sie hatten ihn bisher genau beobachten können, wußten also, wie weit sie ihn vor sich hatten, und konnten nicht vermuthen, daß er ihnen wieder nahe sei.

Es waren Vier gegen Einen, und die Möglichkeit lag vor, daß ich in die Lage kommen konnte, meine Waffen zu gebrauchen. Ich untersuchte sie daher und erwartete dann den Verlauf der Dinge.

) Rotmänner, Indianer.

Die Indianer kamen jeden Augenblick näher, immer Einer hinter dem Andern. Sie hatten beinahe die Stelle erreicht, an welcher die Spur des Kleinen mit der meinigen zusammenlief, als der Vorderste von ihnen sein Pferd anhielt und sich zurückwandte. Es schien sie doch zu befremden, daß der von ihnen verfolgte Weiße nicht mehr zu sehen war. Sie hielten eine kurze Berathung, während welcher sie eng beisammen blieben. Mit einer Kugel meines Bärentödters konnte ich sie bereits erreichen; ich hatte ihn zur Hand genommen, und — aufrichtig gestanden — es zuckte mir bereits in den Fingern. Wenn sie nur noch zwanzig Schritte näher kamen, mußten sie auaf meine Spur stoßen, und dann wurde mir eine Vertheidigugng schwerer, als es jetzt ein unerwarteter Angriff von meiner Seite sein konnte. Wenn der Prairiemann auf feindliche Indianer stößt, so gibt es außer der Flucht, die nur in gewissen Fällen möglich ist, keine andere Wahl, als die Feinde entweder zu vernichten oder selbst getödtet zu werden. Hinter der Erhöhung versteckt, legte ich die Büchse an und hielt mich zum Abdrücken bereit.

Da krachte ein Schuß, und in der nächsten Sekunde ein zweiter. Zwei Indianer sanken todt von ihren Pferden, und zu gleicher Zeit ertönte ein lauter, triumphirender Ruf.

„O — hi — hi — hiiii!“ erscholl es in jenem Kehllaute, in welchem der Schlachtruf der Indianer ausgestoßen wird.

Aber nicht ein Indianer ließ ihn hören, sondern der kleine Jäger, welcher aus einer nahen Thalrinne auftauchte. Seine Stute schien jetzt auf einmal ein ganz anderes Wesen geworden zu sein; sie warf die Beine aus einander, daß der Rasen krachte; der Kopf mit den enthusiastisch gespitzten Ohren lag tief im Genick, und jede Sehne, jede Faser schien angespannt zu sein. Reiter und Pferd waren wie verwachsen mit einander. Der Reiter schwang sein Gewehr und lud es im Galopp mit einer Sicherheit, welche darauf schließen ließ, daß er sich nicht das erste Mal in einer solchen Lage befinde.

Hinter ihm knatterten zwei Schüsse; die beiden noch lebenden Indianer hatten auf ihn abgedrückt, aber keine Kugel traf ihn. Die Indsmen stießen ein Wuthgeheul aus, griffen zu den Tomahawks (Streitäxten) und sprengten hinter ihm her. Er hatte sich bisher noch gar nicht nach ihnen umgesehen; jetzt aber war er mit dem Laden fertig und riß sein Pferd herum. Es war, als ob das Thier die Entschlüsse seines Reiters mitdächte; es hielt, streckte sich und stand dann bewegungslos wie ein Sägebock. Er nahm das Gewehr empor und zielte kurz; in den nächsten Augenblicken blitzte es zweimal auf, ohne daß die Stute zuckte — die beiden Indsmen waren durch die Köpfe getroffen.

Ich hatte bisher im Anschlage gelegen, aber nicht losgedrückt, da der Kleine meiner Hülfe nicht bedurfte. Jetzt war er vom Pferde gestiegen, um die Gefallenen zu untersuchen, und ich ging zu ihm heran.

„Nun, Sir, wißt Ihr jetzt zum Beispiel, wie man diesen rothen Hallunken einen Ring schlägt, he?“

„Thank you, Master! Ich sehe, daß man bei Euch etwas lernen kann!“

Mein Lächeln mußte ihm denn doch etwas zweideutig erscheinen; er blickte mich scharf an und meinte dann:

„Oder wäret etwa Ihr auf einen solchen Gedanken gekommen?“

„Ein Ring war gerade nicht nothwendig. Bei diesem Terrain, wo man sich in den Wellenthälern unsichtbar machen kann, genügt es, sich auf einem großen Vorsprunge dem Feinde zu zeigen, und dann reitet man einfach auf der eigenen Spur zurück. Der Ring ist weit angemessener für die ebene und offene Prärie.“

„Schaut, wo Ihr das Alles nur herhaben mögt! Wer seid Ihr denn eigentlich, he?“

„Ich schreibe Bücher.“

„Ihr — schreibt — Bü­cher — —?“ Er trat erstaunt einen Schritt zurück und zog ein halb bedenkliches, halb mitleidiges Gesicht. „Seid Ihr krank, Sir?“

Er deutete dabei nach der Stirn, so daß ich ganz genau wissen konnte, welche Krankheit er im Sinne habe.

„Nein!“

„Nicht? So kann Euch vielleicht ein Bär begreifen, ich aber nicht! Ich schieße mir einen Büffel, weil ich essen muß; aber aus welchem guten Grunde schreibt Ihr denn Eure Bücher?“

„Damit sie gelesen werden.“

„Sir, nehmt es mir nicht übel, aber das ist ja die allergrößte Dummheit, die sich ausdenken läßt! Wer Bücher lesen will, mag sie sich selbst schreiben, das muß ja zum Beispiel jedes Kind einsehen. Ich schieße mein Fleisch ja auch nicht für Andere! Also, hm, ja, ein book-maker seid Ihr? Aber wozu kommt Ihr da in die Savanne, he? Wollt Ihr etwa hier zum Beispiel Bücher schreiben?“

„Das thue ich erst, wenn ich wieder daheim bin; dann erzähle ich Alles, was ich erlebt und gesehen habe, und viele Tausende von Leuten lesen es und wissen dann sehr genau, wie es in der Savanne zugeht, ohne daß sie nöthig haben, selbst in die Prairie zu gehen.“

„So erzählt Ihr wohl auch von mir?“

„Versteht sich!“

Er fuhr noch einen Schritt weiter zurück; dann trat er hart an mich heran, legte die Rechte an den Griff seines Bowiemessers, die Linke an meinen Arm und sagte:

„Sir, dort steht Euer Pferd; hängt Euch hinauf und macht, daß Ihr weiter kommt, wenn Ihr nicht wollt, daß Euch einige Zoll kaltes, spitzes Eisen so zum Beispiel zwischen die Rippen schleichen! Bei Euch dürfte man ja kein Wort sprechen und keinen Arm bewegen, ohne daß es alle Welt erfährt. Hole Euch Dieser und Jener; trollt Euch schleunigst von dannen!“

Der kleine Mann reichte mir gerade bis an die Schulter, und dennoch war es ihm mit seiner Drohung Ernst, was mich innerlich natürlich belustigte, ohne daß ich es mir merken ließ.

„Ich verspreche Euch, nur Gutes von Euch zu schreiben!“

„Ihr geht! Ich habe es gesagt, und dabei muß es bleiben!“

„So gebe ich Euch mein Wort, daß ich gar nicht über Euch schreiben will!“

„Gilt nichts! Wer sich hinsetzt, um für andere Leute Bücher zu machen, der ist verrückt, und ein Verrückter wird sein Wort nie halten. Also vorwärts, Mann, sonst läuft mir zum Beispiel die Galle in die Finger, und ich thue etwas, was Euch nicht angenehm ist!“

„Was könnte das wohl sein?“

„Das würdet Ihr gleich sehen!“

Ich sah ihm lächelnd in die zornig funkelnden Augen und sagte ruhig:

„Nun, so laßt es einmal sehen!“

„Da schaut her! Wie gefällt Euch diese Klinge?“

„Nicht übel; das will ich Euch beweisen!“

Im Nu hatte ich ihn gepackt, riß ihm die Arme nach hinten, steckte zwischen dieselben und seinen Rücken meinen rechten Arm hindurch, preßte sie fest an mich und legte ihm dann meine Rechte so fest um sein Handgelenk, daß er mit einem Schmerzensrufe das Messer fallen ließ. Dieser unerwartete Ueberfall hatte den kleinen Mann so perplex gemacht, daß ihm der Riemen meines Kugelbeutels die Hände auf dem Rücken zusammen schnürte, noch ehe er eine Bewegung des Widerstandes unternommen hatte.

„All devils!“ rief er. „Was fällt Euch ein! Was wollt Ihr denn zum Beispiel mit mir machen?“

„Halloo, Master, nehmt Eure Stimme in Acht und brüllt ein wenig leiser,“ antwortete ich ihm mit seinen eigenen früheren Worten; „auf dieser alten Wiese hier weiß man niemals richtig, ob es nicht vielleicht hier oder da Ohren gibt, die nichts zu hören brauchen!“

Ich ließ ihn fahren und hatte mit einer raschen Bewegung dann das Messer und auch die Büchse ergriffen, welche er vorhin bei der Untersuchung der Todten weggelegt hatte. Er versuchte, die Hände loszureißen; die Anstrengung trieb ihm das Blut in das Gesicht, aber es gelang ihm nicht, die Festigkeit des Riemens zu überwinden.

„Laßt das sein, Master, Ihr kommt doch nicht eher frei, als bis ich es will!“ rieth ich ihm. „Ich will Euch nämlich nur beweisen, daß ein book-maker stets gewohnt ist, mit Leuten so zu sprechen, wie sie mit ihm reden. Ihr zogt das Messer gegen mich, ohne daß ich Euch beleidigt oder sonst geschädigt hatte, und seid mir nach den Gesetzen der Savanne so verfallen, daß ich mit Euch thun kann, was mir beliebt. Kein Mensch kann mir etwas sagen, wenn ich es jetzt so einzurichten suche, daß dieses kalte, spitze Eisen sich zwischen Eure Rippen schleicht, statt zwischen die meinigen!“

„Stoßt zu, Mann,“ antwortete er finster. „Es ist mir ganz recht, wenn Ihr mich auslöscht, denn die Schande, von einem einzigen Menschen Auge in Auge und am hellen Tage überwunden und gebunden worden zu sein, ohne daß ich ihm ein einziges Haar gekrümmt habe, die mag Sans-ear nicht überleben!“

„Sans-ear? Ihr seid Sans-ear?“ rief ich.

Ich hatte viel, sehr viel von diesem berühmten Westmann gehört, welchen noch kein Mensch in der Gesellschaft eines Andern gesehen hatte, weil er Keinen für würdig hielt, sich ihm anzuschließen. Er hatte vor langen Jahren bei den Navajoes seine Ohren gelassen und trug daher den eigenthümlicher Weise aus zwei Sprachen zusammengesetzten Namen „Ohnohr“, unter welchem er bekannt war, so weit die Savanne reichte und noch drüber hinaus.

Er schwieg auf meine Frage, und erst als ich sie wiederholt hatte, antwortete er:

„Mein Name geht Euch nichts an! Habe ich einen schlechten, so ist er nicht werth, genannt zu werden, und habe ich einen guten, so hat er es verdient, daß ich ihn vor der jetzigen Schande bewahre.“

Ich trat auf ihn zu und löste seine Fessel.

„Hier habt Ihr Euer Messer und Euere Büchse; Ihr seid frei. Geht, wohin es Euch beliebt!“

„Macht keinen dummen Spaß! Kann ich die Schande hier lassen, von einem Greenhorn besiegt worden zu sein? Wenn es ein richtiger Kerl gewesen wäre, wie der rothe Winnetou, der lange Haller oder gar ein Pfadfinder wie Old Firehand und Old Shatterhand, ja dann, dann — — —“

Der Alte that mir leid; mein Coup war ihm wirklich zu Herzen gegangen, und es war mir lieb, daß ich ihn trösten konnte, denn er hatte eben jetzt den Namen genannt, unter welchem ich am Lagerfeuer der Weißen und in den Wigwams der Indianer bekannt geworden war.

„Ein Greenhorn?“ frug ich. „Glaubt Ihr wirklich, daß ein Neuling es vermag, dem wackeren Sans-ear einen solchen Streich zu spielen?“

„Was seid Ihr anders? Ihr seht ja aus, als kämt Ihr direkt aus einem Schneiderladen, und Eure Waffen sind so schön blank geputzt, wie man sie für den Maskenball herrichtet!“

„Aber sie sind gut; das sollt Ihr einmal sehen! Paßt scharf auf!“

Ich nahm einen losen Stein von der doppelten Größe eines Dollarstückes von der Erde auf, warf ihn hoch in die Luft, legte schnell an, und in dem Augenblick, in welchem ihn die Kräfte des Wurfes und der Anziehung den höchsten Punkt erreichen ließen und er bewegungslos in der Luft zu schweben schien, erreichte ihn meine Kugel, die ihn noch höher trieb.

Ich hatte früher zu meiner Uebung diesen Schuß viele hundert Male versucht, ehe er mir gelang; es war kein besonderes Meisterstück. Der Kleine aber sah mich mit ein paar Augen an, in denen ich fast den Ausdruck der Bestürzung zu erkennen glaubte.

„Heavens, war das ein Schuß! Gelingt er immer?“

„Neunzehn Male unter zwanzig.“

„Ja, dann seid Ihr ja Einer, den man suchen muß! Wie lautet denn zum Beispiel Euer Name?“

„Old Shatterhand.“

„Nicht möglich! Old Shatterhand muß viel, viel älter sein als Ihr, sonst würde man ihn nicht den alten „Schmetterhand“ nennen.“

„Ihr vergeßt, daß das Wort old sehr oft anders gebraucht wird als zur Bezeichnung des Alters.“

„Richtig! Aber, hm, nehmt mir’s nicht übel, Sir; Old Shatterhand hat einmal unter einem Grizzlybären gelegen, der ihn im Schlafe überraschte und ihm das ganze Fleisch von der Schulter bis über die Rippen herunterzog; er hat sich den Streifen Rumpsteak zwar glücklich wieder aufgeleimt, aber die Narbe muß doch zum Beispiel noch recht gut zu sehen sein!“

Ich öffnete meinen Büffelrock und das darunter befindliche weiße, hirschlederne Jagdhemd.

„Schaut her!“

„Potz alle Wetter, hat Euch der Kerl zugerichtet! Da müssen ja alle achtundsechzig Rippen blank zu Tage gelegen haben?“

„So war es beinahe auch. Es geschah unten am Redriver, und ich lag mit dieser fürchterlichen Wunde zwei Wochen lang neben dem Bären am Flusse, nur auf mich selbst angewiesen, bis mich Winnetou, der Apachenhäuptling, fand, dessen Namen Ihr vorhin genannt habt.“

„So seid Ihr also doch Old Shatterhand! Hm, ich will Euch einmal etwas sagen: Glaubt Ihr, daß ich zum Beispiel ein ganz entsetzlicher Dummkopf bin?“

„Nein, das glaube ich nicht. Ihr habt ja nur den Irrthum begangen, mich für ein Greenhorn zu halten, weiter nichts. Von einem Neuling konntet Ihr keinen solchen Angriff erwarten; und Sans-ear ist nur durch Ueberraschung zu besiegen.“

„Oho! Bei Euch bedarf es, wie es scheint, keiner Ueberraschung. Es wird wohl wenige Männer geben, die Eure Büffelstärke besitzen. Uebrigens will ich Euch nun auch sagen, daß ich Sans-ear bin. Von Euch überrumpelt zu werden, ist keine Schande. Mein richtiger Name klingt eigentlich anders, und wenn Ihr mir einen Gefallen thun wollt, so nennt mich Sam!“

„Und Ihr mich Charley, wie alle meine Freunde. Hier habt Ihr meine Hand!“

„Topp, so mag es sein, Sir! Der alte Sam Hawerfield ist nicht der Mann, der Jedem gleich die Finger drücken mag; bei Euch jedoch schlage ich augenblicklich ein. Aber ich bitte Euch, macht es gnädig, daß Ihr mir nicht etwa die Hand zu Pudding quetscht! Ich brauche sie weiter.“

„Keine Angst, Sam! Diese Hand soll mir noch manchen Gefallen erweisen, ebenso wie die meinige bereit ist, Euch zu dienen. Aber jetzt darf ich wohl meine erste Frage zum zweiten Male aussprechen: Woher des Weges und wohin?“

„Ich komme gerade jetzt ein wenig von Canada herunter, wo ich den Lumberstrikers ) Gesellschaft geleistet habe, und will nun zum Beispiel hinein in das Texas und Mexiko, wo es so viele Schufte geben soll, daß Einem das Herz lacht bei dem Gedanken an die Kugeln und Messerstiche, welche man zu erwarten hat.“

„Das ist ja ganz mein Weg! Auch ich will nach Texas und Californien, und dabei kann es mir sehr gleich sein, ob ich einen kleinen Seitenweg über Mexiko einschlage. Darf ich mit?“

„Ob Ihr dürft? Na und ob! Ihr seid bereits da unten im Süden gewesen und also just der richtige Mann, den ich brauche. Aber sagt mir nun einmal im Ernste: Macht Ihr wirklich Bücher?“

„Ja.“

„Hm! Wenn das Old Shatterhand thut, so muß dies doch anders sein, als ich es mir gedacht habe; ich aber sage Euch, ich will lieber unversehener Weise und rücklings in eine Bärenhöhle stürzen, als eine Feder in die Tinte stopfen; ich brächte all mein Lebelang das erste Wort nicht fertig. Nun aber sagt mir einmal, wie die Indsmen hier in diese Gegend kommen! Es sind Ogellallah’s, vor denen man sich schon in Acht nehmen darf.

Ich erzählte ihm, was ich wußte.

„Hm!“ machte er dann. „So wird es gerathen sein, nicht hier in dieser Gegend anzuwachsen. Ich traf gestern auf eine Fährte, vor welcher man Respekt haben muß. Ich zählte wenigstens sechzig Pferde. Die vier Bursche hier müssen zu der Truppe gehören und sind wohl als Streifpatrouille ausgeschickt worden. Waret Ihr schon einmal hier?“

„Nein.“

„Ungefähr zwanzig Meilen westlich von hier wird die Prairie vollständig eben, und noch zehn Meilen weiter gibt es ein Wasser, nach welchem sich die Indsmen gezogen haben werden, um ihre Pferde zu tränken. Wir gehen ihnen natürlich aus dem Wege und halten lieber grad nach Süden zu, obgleich wir da erst morgen Nachmittag auf Wasser stoßen. Wenn wir bald aufbrechen, kommen wir heut noch vor Nacht an die Bahn, welche sie aus den Staaten hinüber nach den Westlanden gebaut haben, und wenn wir grad die richtige Zeit treffen, so können wir uns den Spaß machen, einen Zug zu sehen, der zum Beispiel an uns vorübergeht.“

„Ich bin zum Aufbruche bereit. Aber was thun wir mit den Leichen?“

) Holzschlägern.

„Was wir mit ihnen thun? Nicht viel. Wir lassen sie hier liegen; vorher aber will ich ihnen mein Zeichen einschneiden.“

„Wenn man sie findet, ist unsere Anwesenheit verrathen.“

„Man soll sie finden, Charley; das will ich eben!“

Er trug die todten Indianer auf die Spitze eines Wellenhügels und legte sie nebeneinander. — Dann setzte er sie mit den Rücken gegen einander, so daß Jeder das Gesicht nach einer der vier Himmelsgegenden kehrte, und machte allen an den Ohren einen leichten Ringelschnitt mit dem Messer.

„So, Charley! Man wird sie finden und sogleich wissen, daß Sans-ear hier gewesen ist. Ich sage Euch, es ist ein ganz miserables Gefühl, wenn es Einen im Winter an die Ohren frieren will, und man hat doch keine mehr. Ich war einst so ungeschickt, mich von den Rothen fangen zu lassen. Ich hatte Mehrere von ihnen getödtet, Einem aber nur das Ohr herabgehauen, statt ihn mit dem Tomahawk richtig zu treffen. Zum Spotte dafür schnitten sie mir die Ohren ab, ehe es mir an das Leben gehen sollte. Die Ohren haben sie, da Leben aber nicht, denn Sam Hawerfield machte sich ganz unerwartet auf und davon. Für meine zwei Ohren aber — na — da zählt einmal hier!“ Er nahm seine Büchse vor und zeigte mir gelassen die zahlreichen Kerben, welche er in dieselbe eingeschnitten hatte. „Jede Kerbe hat einem feindlichen Indsman das Leben gekostet. Jetzt kommen vier Kerben dazu.“

Er machte die vier neuen Einschnitte und fuhr dann fort:

„Das sind lauter Rothe. Hier oben sind acht Kerben auf Weiße, die meine Kugel gekostet haben. Warum, das werde ich Euch schon einmal erzählen. Ich habe nur noch Zwei zu suchen. Das sind Vater und Sohn, die größten Schurken, die es auf Gottes weiter Erde geben kann; habe ich diese gefunden, so ist mein Tagewerk vollbracht.“

Seine Augen glänzten auf einmal feucht, und über sein verwettertes Gesicht ging ein Zug von Wehmuth, Rührung und Liebe, und ich ahnte, daß das Herz des alten Jägers einst wohl auch seine Rechte geltend gemacht hatte. Vielleicht hatte auch ihn, wie so manchen Anderen, der Schmerz oder die Rache dem rauhen Leben der Wildniß in die Arme geworfen, denn der ächte Prairiejäger weiß nichts mehr von dem erhabenen Gebot: „Liebet eure Feinde!“

Er hatte seine Büchse wieder geladen. Sie war eines jener furchtbaren Schießeisen, wie man sie in der Prairie nicht selten findet. Der Schaft hat seine ursprüngliche Form verloren; Kerbe sitzt an Kerbe, Schnitt an Schnitt; jedes einzelne dieser Zeichen erinnert an den Tod eines Feindes. Der Lauf ist mit dickem Roste bedeckt und scheint sich gezogen zu haben, und kein Fremder vermag, auch nur einen leidlichen Schuß daraus abzugeben. In der Hand des Besitzers aber ist eine solche Büchse unfehlbar; er ist seit Lebenszeit auf sie eingeübt, kennt alle ihre Vorzüge, alle ihre Tücken und Gebrechen, und wenn er eine Kugel hinabstößt auf das Pulver, so wettet er Leben und Seligkeit, daß sie ihr Ziel erreicht.

„Tony!“ rief der Kleine.

Die Stute hatte bisher in der Nähe gegrast. Auf diesen Ruf kam sie herbei gesprungen und stellte sich so bequem neben ihn, daß er nur den Arm zu erheben brauchte, um sich aufzuschwingen.

„Sam, Ihr habt da ein ganz vorzügliches Pferd! Wer es zum erstenmal sieht, mag keinen Dollar bieten; wer es aber beobachtet, der bemerkt bald, daß es Euch für tausend Sovereigns nicht feil ist.“

„Tausend! Pshaw! Sagt eine Million! Ich kenne da droben in den Felsenbergen Adern, aus denen ich das Gold scheffelweise herausnehmen könnte, und wenn ich einmal Einen treffe, der es verdient, daß ihn Sam Hawerfield von Herzen lieb hat, dem werde ich diese Placers zeigen. Für Geld also brauche ich meine Tony nicht wegzugeben. Ich will Euch nur so viel sagen, Charley: Der, welchen sie jetzt Sans-ear nennen, der war eines schönen Tages ein ganz anderer Kerl als heut, voll Glück und Wonne, wie der Tag voll Licht und das Meer voller Tropfen. Er war ein junger Farmer und hatte ein Weib, für welches er tausend Leben geopfert hätte, und ein Kind, welches ihm zehntausend Leben werth war. Das Weib hatte er einst auf seiner besten Stute heimgeholt, die Tony hieß. Und als

nachher die Stute ein Füllen brachte, gesund, munter und klug wie selten ein Geschöpf, warum sollte es nicht auch Tony heißen, wie seine Mutter? Habe ich nicht Recht, Charley?“

„Ja,“ antwortete ich, tief gerührt über die Kindlichkeit des Gemüthes, welches jetzt aus der so unerwartet sich öffnenden rauhen Hülle zu mir sprach.

„Well! Dann kamen die Zehne, von denen ich Euch vorhin sagte. Es war eine Bande Bushheaders, welche die Gegend damals unsicher machte. Sie verbrannten meine Farm, tödteten mein Weib und Kind, erschossen meine Stute, die sie nicht gebrauchen konnten, weil sie keinen Fremden trug, und nur das Füllen entkam, weil es sich zufälliger Weise verlaufen hatte. Ich kam von der Jagd zurück und fand das Thier als einzigen Zeugen meines Glückes. Was soll ich Euch weiter erzählen! Acht von den Schuften sind gefallen, gefallen durch meine Hand, durch die Kugel aus dieser Büchse; die beiden letzten werden auch noch mein, denn wessen Fährte der alte Sans-ear betritt, der mag laufen bis zu den Mongolen hinüber, er entkommt ihm nicht; grad deshalb will ich ja nach Texas und Mexiko hinunter. Aus dem jungen, munteren Farmer ist ein grauer Wald- und Prairieläufer geworden, der nur auf Blut und Rache sinnt, und das Füllen hat sich in ein Wesen verwandelt, welches einem Ziegenbocke ähnlicher sieht, als einem guten Pferde; aber wacker sind Beide noch heut, und sie werden auch tapfer mit einander aushalten, bis ein Pfeil schwirrt, eine Kugel pfeift oder ein Tomahawk hernieder saust, um dem Einen von ihnen ein Ende zu bereiten; der Andere — sei es nun das Pferd oder ich selber — stirbt dann vor Gram und Sehnsucht nach.“

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann schwang er sich auf und meinte:

„So viel von den alten Geschichten, Charley. Ihr seid der Erste, zu dem ich von ihnen spreche, obgleich ich Euch zum ersten Male sehe, und werdet wohl auch der Letzte sein. Ihr werdet wohl oft von mir gehört haben, und auch von Euch wurde erzählt, wenn es mir einmal in den Sinn kam, mich zu diesen oder jenen Leuten auf eine Viertelstunde an das Feuer zu setzen. Daher wollte ich Euch zeigen, daß ich Euch für keinen Fremden halte. Nun thut mir noch den Gefallen und vergeßt, daß ich mich heut von Euch überrumpeln ließ! Ich werde Euch zu beweisen suchen, daß der alte Sam Hawerfield trotzdem zu jeder Zeit auf seinem Platze ist.“

Ich enthobbelte meinen Mustang und stieg auf. Er hatte gesagt, daß wir nach Süden halten wollten, dennoch aber ritt er grad dem Westen entgegen. Ich frug ihn nicht; jedenfalls leitete ihn eine wohlüberlegte Absicht dabei. Auch darüber verlor ich kein Wort, daß er die Lanzen der vier Indianer mit sich genommen hatte.

So mochten wir eine Meile zurückgelegt haben, ohne daß Einer von uns ein Wort gesprochen hatte, als er sein Pferd anhielt. Er stieg ab und steckte eine der Lanzen auf die Spitze einer Bodenwelle. Jetzt kannte ich seinen Zweck. Er wollte die Lanzen als Wegweiser aufrichten, durch welche die Indsmen zu ihren Todten geführt werden und erkennen sollten, daß die Rache des Sans-ear wieder vier neue Opfer gefordert habe.

Dann öffnete er eine alte Satteltasche und nahm acht starke Lappen heraus, welche er zwischen mir und sich theilte.

„Hier, Charley, steigt ab und wickelt die Hufe Eures Mustangs ein; sie geben dann auf dieser Art von Boden nicht die geringste Spur, und die Redmen müssen denken, daß wir durch die Luft davongeflogen sind. Jetzt reitet Ihr grad nach Süden, bis Ihr an die Bahn kommt, wo Ihr mich erwartet. Ich werde noch die drei anderen Lanzen aufpflanzen und dann zum Beispiel hinter Euch herkommen. Treffen werden wir uns sicher, und sollten wir uns doch auf eine kleine Strecke irren, so gilt bei Tage der Schrei des Geiers und bei Nacht das Heulen des Coyoten als Signal.“

Fünf Minuten später sahen wir einander nicht mehr. Ich ritt, in stilles Sinnen versunken, in der mir vorgezeichneten Richtung hin. Die Hufverhüllung meines Pferdes verhinderte es am schnellen Laufe, daher stieg ich, als ich vielleicht fünf englische Meilen zurückgelegt hatte, ab und nahm die Lappen weg. Sie hatten ja nur den Zweck gehabt, unsere Spuren in der nächsten Umgebung der Lanzenzeichen unbemerkbar zu machen.

Jetzt konnte der Mustang wieder ausgreifen. Die Prairie wurde nach und nach ebener und zeigte hier und da ein kleines Nuß- oder Wildkirschengesträuch, und noch stand die Sonne einige Grade über dem westlichen Horizonte, so bemerkte ich im Süden eine Linie, welche sich beinahe genau von West nach Ost hin erstreckte.

Sollte sie das Gleis der bezeichneten Bahn bedeuten? Jedenfalls. Ich hielt auf sie zu und fand meine Erwartung

nicht getäuscht. Die Bahn, deren Schienen sich auf einem beinahe manneshohen Damme hinzogen, lag vor mir.

Ein eigenthümliches Gefühl erfaßte mich, dunkel zwar, doch auch verständlich. Auf meinem jetzigen Halte trat ich seit langer Zeit wieder in Beziehung zu der Civilisation. Ich brauchte beim Nahen eines Zuges nur ein Zeichen zu geben, um einsteigen und nach West oder Ost davondampfen zu können.

Linie 439
(449)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial AAls ich mein Pferd an den Lasso gepflockt hatte, suchte ich unter den Büschen nach Dürrholz für ein Lagerfeuer. Einer der Sträucher stand hart an der Böschung des Bahndammes. Ich bückte mich, um einiges Geäst zu nehmen, und gewahrte zu meinem Erstaunen einen Hammer, welcher da am Boden lag. Er konnte sich erst seit kurzer Zeit hier befinden, denn seine Kopfbahn war außerordentlich blank, also erst kürzlich noch in Gebrauch gewesen, und auch weder seine Backen, noch seine Haube oder seine Pinne zeigten eine Spur von demjenigen Roste, der sich sicher angesetzt hätte, wenn das Werkzeug nur einige Tage lang der Feuchtigkeit des nächtlichen Thaues ausgesetzt gewesen wäre. Es mußten sich heut oder höchstens gestern Leute hier befunden haben.

Ich untersuchte zunächst die mir zugekehrte Seite des Dammes, fand aber nichts Auffälliges; dann stieg ich hinauf und suchte wieder lange Zeit erfolglos. Da aber bemerkte ich einen dichten Büschel duftender, kurzlockiger Grama, die mir wegen ihrer hiesigen Seltenheit auffiel. Wahrhaftig, es hatte ein Fuß darauf gestanden! Die Spur war noch neu, höchstens zwei Stunden alt; die vom Sohlenrande bloß umgebogenen Halme hatten sich bereits wieder erhoben, während der von der inneren Fußfläche niedergedrückte Theil des Büschels noch genau die Fersen- und die Zehenbreite zeigte. Die Spur war durch einen indianischen Moccassin verursacht worden. Sollten Indianer in der Nähe sein? In welche Beziehung konnte ich sie dann zu dem Hammer bringen? Tragen nicht auch Weiße indianische Moccassins, und konnte nicht auch ein die Bahn revidirender Railroader sich dieser bequemen Art von Schuhwerk bedient haben? Trotzdem war es mir, als dürfe ich mich durch keinerlei Vermuthung zu beruhigen suchen. Gewißheit war hier die Hauptsache.

Allerdings mußte ich mir sagen, daß eine Untersuchung der Strecke höchst gefährlich sei. An den beiden Seiten des Bahndammes hin konnte hinter jedem Busche ein Feind lauern, und auf dem Damme selbst war ich auf eine weite Entfernung hin zu bemerken. Unter anderen Verhältnissen hätte ich wegen des Hammers wenig Unruhe empfunden und die Nachforschung ohne Zögern begonnen; jetzt aber, da ich die Ogellallah’s in der Gegend wußte, war selbst bei der geringsten Kleinigkeit die größte Vorsicht -

Vorsicht nöthig. Ich hing die Büchse über und nahm nur den Revolver zur Hand. Mich von Busch zu Busch schleichend, pürschte ich mich eine weite Strecke vorwärts — ohne Erfolg. Ich kehrte auf der andern Seite zurück — auch vergeblich. Diese Untersuchung hatte sich nach Westen von der Stelle erstreckt, an welcher mein Pferd weidete. Ich setzte sie nach Osten hin fort, Anfangs mit derselben Erfolglosigkeit. Jetzt wollte ich in vorsichtig gebückter Stellung über das Bahngleis hinüber. Auf Händen und Füßen kriechend, bewegte ich mich quer über die Schienen. Da war es mir, als ob ich eine Feuchtigkeit, ein eigenthümliches Knirschen und Nachgeben des Sandes bemerkte; auch fiel es mir auf, daß grad hier der Sand eine kreisähnliche Figur bildete, welche den Anschein hatte, als sei er zu irgend einem Zwecke hierher gestreut worden. Ich scharrte mit den Fingern ein und — ich gestehe es — ich erschrak; meine Hand hatte sich blutig gefärbt, und auch der Sand war roth und naß. Ich untersuchte, nun mit dem ganzen Körper hart am Boden liegend, die Sache genauer und mußte erkennen, daß man eine große, tiefe Blutlache mit Sand zugestreut hatte,

Hier war ein Mord geschehen; das Blut eines Thieres hätte man nicht so zu verbergen gesucht. Wer war der Ermordete und wer der Mörder? Eine Spur war oben nicht zu sehen, da der Boden wegen seiner Härte keine aufnehmen konnte; aber als ich einen Blick jenseits nach der mit Büffelgras bewachsenen Böschung warf, bemerkte ich mehrere Fußspuren und auch zwei fortlaufende Eindrücke, als habe man hier einen beim Oberkörper gefaßten Menschen, dessen Füße nachschleiften, von dem Damme herabgezogen.

Es war außerordentlich gefährlich, an dieser Stelle nach jenseits zu gehen. Die Feuchtigkeit des Blutes war noch nicht in den Boden eingedrungen, und auch die Spuren zeigten sich so frisch und wohl erhalten, daß der vermuthete Mord vor kurzer Zeit geschehen sein mußte und die Mörder noch ganz in der Nähe sein konnten. Ich kroch daher hüben wieder herab, kehrte eine bedeutende Strecke zurück, ging dort über den Damm und schlich mich nun erst auf der andern Seite nach Osten vor.

Dies geschah nur sehr langsam, da ich alle Schlauheit und Gewandtheit, alle möglichen Bewegungen und Körperstellungen anwenden mußte, um unbemerkt zu bleiben, wenn Gefahr in der

Nähe wäre. Glücklicherweise standen hier die Sträucher näher an einander, und wenn ich mich auch sorgfältig hinter jedem Busche verbergen und den nächsten Busch auf das Schärfste mit den Augen durchdringen mußte, ehe ich es wagen konnte, den Zwischenraum zwischen beiden zu überspringen oder, mich schlangengleich an der Erde windend, zu durchkriechen, so gelangte ich doch ohne Unfall bis unterhalb der Stelle, an welcher ich vorhin auf dem Damme das Blut bemerkt hatte.

Hier auch war es das erste Mal, daß ich etwas Verdächtiges bemerkte.

Ein dichtes Lentiskengesträuch stand gegenüber der Kirschgruppe, hinter der ich spähend lag, von ihr durch einen acht Meter breiten, freien Raum getrennt. So sehr mich das Kirschengebüsch am deutlichen Sehen verhinderte, und so dicht auch die Lentisken standen, es war mir doch, als liege etwas einem menschlichen Körper Aehnliches unter ihnen. Der Gegenstand mochte zugedeckt sein, aber er bildete eine dunkle Masse, welche von der Umgebung abstach, durch welche das Licht zu dringen vermochte, und hatte die ganze Länge eines Menschen. War dort vielleicht der Ermordete verborgen? Es konnte auch einer der Mörder sein. Ich mußte versuchen, es zu erfahren.

Weshalb begab ich mich in eine solche Gefahr? Ich konnte ja das Eintreffen Sam’s abwarten und dann ruhig mit ihm weiter reiten! Der Prairiejäger muß aber wissen, welchen Feind er vor, hinter und neben sich hat; er untersucht außerdem jeden geringfügigen Umstand, weil ihm dieser Aufschluß gibt über Dinge, die er wissen muß, deren Kenntniß seine Sicherheit erhöht und an die selbst der scharfsinnigste Professor und Gelehrte nicht denken würde. Der Prairiejäger zieht aus den unbedeutendsten Dingen, die für den Uneingeweihten gar nicht im Zusammenhange stehen, Schlüsse, über welche ein Anderer oftmals lachen würde, die sich aber in der Regel als richtig erweisen. Während er an dem einen Tag auf dem Mustang vierzig und fünfzig englische Meilen zurücklegt, kommt er am nächsten Tage kaum eine halbe Meile vorwärts, weil er bei jedem Schritt zu forschen hat, ob er ihn thun darf. Und selbst wenn er aus seiner Vorsicht keinen Nutzen für sich selbst zu ziehen vermag, wird seine Erfahrung doch für Andere von Werth sein; er kann ihnen rathen, sie warnen und ihnen Auskunft ertheilen. Und außerdem liegt ja im Menschen überhaupt der Drang, sich über jede Gefahr Gewißheit zu verschaffen und jedem Bösen nach Kräften entgegen zu arbeiten, den Reiz gar nicht gerechnet, den auf jede kräftige Natur ein muthiges Unternehmen auszuüben pflegt.

Ich nahm einen daliegenden Ast, spießte meinen Hut auf und schob ihn, mit Absicht ein kleines Geräusch verursachend, durch das Kirschgesträuch, so daß es drüben scheinen mußte, als versuche hier jemand hindurchzudringen. Drüben regte sich nichts. Entweder war kein Feind vorhanden oder ich hatte es mit Einem zu thun, der zu schlau und zu erfahren war, um sich durch eine solche Finte irre machen zu lassen.

Ich beschloß, Alles zu wagen. Ich kroch zurück und holte aus. Mit zwei Sprüngen hatte ich den freien Raum durchmessen und drang, das Messer zum Stoß bereit haltend, in die Lentisken ein. Unter abgebrochenen Zweigen lag ein Mensch; das fühlte ich sofort, aber er war nicht lebend. Ich hob die Zweige empor und erblickte ein von den Todeszuckungen gräßlich entstelltes Gesicht mit blutigem Schädel. Es war ein Weißer; man hatte ihn scalpirt. In dem Rücken steckte, wie ich bei der Untersuchung seines Körpers bemerkte, die mit Widerhaken versehene Spitze eines abgebrochenen Pfeiles. Ich hatte es also mit Indianern zu thun, die sich auf dem Kriegspfade befanden; das sagte mir der Widerhaken.

Hatten sie sich entfernt, oder befanden sie sich noch in der Nähe? Ich mußte das wissen. Ihre Spuren waren von hier aus deutlich zu bemerken; sie führten von dem Bahndamme in die Prairie hinein. Ich folgte ihnen, immer bereit, einen Pfeil zu erhalten oder mein Messer zu gebrauchen, von Busch zu Busch. Es waren vier Mann gewesen, zwei Aeltere und zwei Jünglinge, wie ich aus der Größe der Fußstapfen schließen konnte. Sie hatten, während ich mich bloß auf den Finger- und Zehenspitzen fortbewegte — eine Aufgabe, welche große Uebung und nicht unbedeutende Kraft erfordert — ihre Fährte gar nicht zu verbergen gesucht, mußten sich hier also vollständig sicher fühlen.

Der Wind blies aus Südost, aus derjenigen Richtung, welcher ich mich entgegen bewegte; daher erschrack ich nicht sehr, als ich das Schnauben eines Pferdes vernahm; denn es konnte mich nicht gewittert haben. Ich kroch weiter und befand mich endlich am Ziele oder bemerkte doch wenigstens genug, um mich wieder zurückziehen zu können. Vor mir sah ich nämlich zwischen den Büschen eine Anzahl von vielleicht sechzig Pferden, alle außer zweien auf indianische Weise angeschirrt. Die Sättel hatte man ihnen abgenommen, jedenfalls um sie an dem in der Nähe befindlichen Lagerplatz als Sitze oder Kopfunterlage zu gebrauchen. Bei den Thieren standen nur zwei Mann Wache. Der Eine, ein noch junger Mensch, hatte ein Paar derbe, rindslederne Stiefel an, jedenfalls das frühere Eigenthum des Ermordeten, den ich vollständig nackt gefunden hatte und dessen Kleider und Habseligkeiten unter seine Mörder vertheilt worden waren. Er gehörte also wohl zu den Vieren, deren Fährte mich herbeigeführt hatte.

Der Indianer verkehrt öfters mit den Weißen, welche seine Sprache nicht verstehen. Aus diesem Grunde hat sich zwischen den rothen Männern und den „Bleichgesichtern“ eine Pantomimensprache gebildet, deren Zeichen samt ihrer Bedeutung Jeder kennen muß, welcher den wilden Westen betritt. Bei einem lebhaften Temperamente oder bei aufregenden Veranlassungen kommt es dann sehr häufig vor, daß sich Jemand der mündlichen Ausdrucksweise bedient und dieselbe unwillkürlich mit Pantomimen begleitet, welche dieselbe Bedeutung wie die Worte haben. Die beiden Wächter unterhielten sich, und der Gegenstand ihres Gespräches mußte sie sehr lebhaft interessiren, denn sie gestikulirten, sich hier für unbeobachtet haltend, in einer Weise, welche ihnen wohl mehr als einen tadelnden Blick der ernsteren, älteren Krieger zugezogen haben würde. Sie deuteten nach Westen, gaben das Zeichen des Feuers, des Pferdes, also der Locomotive, welche von den Indianern ja „Feuerroß“ genannt wird, hieben mit ihren Bogen auf die Erde, als wollten sie hacken oder wuchtige Hammerschläge ausführen, zielten wie zum Schießen, machten die Bewegung des Stechens und des Tomahawkschwunges — — ich hatte genug gesehen und kehrte unverzüglich zurück, wobei ich die von mir verursachten Spuren so viel wie möglich vertilgte.

Aus diesem Grunde dauerte es lange, sehr lange, ehe ich mein Pferd wieder erreichte. Es hatte mittlerweile Gesellschaft gefunden, denn neben demselben weidete die Stute Sams, welcher gemüthlich hinter einem Busche lag und an einem mächtigen Stück Dürrfleisch kaute.

„Wie Viele sind es, Charley?“ frug er mich.

„Wer?“

„Indsmen.“

„Wie kommt Ihr auf diese?“

„Der alte Sans-ear scheint Euch wohl auch ein Greenhorn zu sein, wie Ihr vorher ihm? Da irrt Ihr Euch aber gewaltig, hihihihi!“

Es war das halblaute, selbstbewußte Lachen, welches ich bereits einmal von ihm vernommen hatte, und das er wohl nur hören ließ, wenn er sich einem Andern überlegen wußte.

„In wiefern, Sam?“

„Muß ich Euch das erst sagen, Charley? Was hättet Ihr wohl gethan, wenn Ihr hier angekommen wäret und hättet diesen Hammer da beim Pferde gefunden, nicht aber Euern Old Shatterhand?“

„Ich hätte gewartet, bis er zurückgekehrt wäre.“

„Wirklich? Das möchte ich zum Beispiel nicht gern glauben. Ihr fehltet, als ich kam; es konnte Euch etwas passirt sein, und so ging ich Euch nach.“

„Ich hätte aber auch bei einem Vorhaben sein können, welches durch Euere Gegenwart vereitelt werden konnte. Zudem denke ich, daß Old Shatterhand nichts unternimmt, ohne vorher die nöthige Vorsicht anzuwenden. Wie weit seid Ihr mir nachgefolgt?“

„Erst dahin, dann dorthin, hüben und drüben, bis zu dem armen Mann, den die Indsmen ausgelöscht haben. Ich konnte rasch machen, denn ich wußte Euch vor mir; als ich dann den Todten sah, so dachte ich, daß Ihr nur auf Spähe wäret, und kehrte zurück, wo ich zum Beispiel nachher ganz ruhig auf Euch gewartet habe. Also wie Viele sind es?“

„Sechzig vielleicht.“

„Schau! Also wohl die Truppe, deren Spur ich gestern schon bemerkte. Auf dem Kriegspfade?“

„Ja.“

„Kurzes Lager?“

„Sie haben abgesattelt.“

„Blitz! Da haben sie hier herum zum Beispiel etwas vor! Habt Ihr nichts bemerkt?“

„Wie mir scheint, wollen sie die Schienen aufreißen, daß der Zug verunglückt, wenn er kommt, und ihn dann berauben.“

„Seid Ihr närrisch, Charley? Das wäre ja ein ganz außerordentlich gefährliches Ding für die Railroader sammt ihren Passagieren! Woher wißt Ihr es?“

„Ich habe sie belauscht.“

„So versteht Ihr die Mundart der Ogellallah’s?“

„Ziemlich. Es war aber gar nicht nöthig, denn die Pferdewache, in deren Nähe ich gelangte, sprach in deutlichen Pantomimen.“

„Das ist zuweilen trügerisch. Beschreibt mir doch einmal die Pantomimen, die Ihr gesehen habt!“

Ich that es; der kleine Mann sprang empor, beherrschte sich aber und ließ sich wieder nieder.

„Dann habt Ihr sie richtig verstanden, und wir müssen dem Zuge Hilfe bringen. Aber wir wollen uns zum Beispiel nicht übereilen, denn solche bedeutende Dinge müssen mit Ruhe überlegt und besprochen werden. Also sechzig? Hm, ich bringe kaum noch zehn Kerben auf meine Büchse; wo schneide ich sie nachher hin?“

Ich hätte trotz der ernsten Situation beinahe laut gelacht. Das kleine Männchen hatte sechzig Indsmen vor sich und war, statt sich vor ihrer Ueberzahl zu fürchten, nur um den Platz für seine Kerben besorgt.

„Wie viel wollt Ihr denn niederstrecken?“

„Das weiß ich zum Beispiel selbst noch nicht; ich denke aber, höchstens Zwei oder Drei, denn sie werden davonlaufen, wenn sie zwanzig oder dreißig Weiße bemerken.“

Er zog also ebenso, wie ich es bereits im Stillen gemacht hatte, den Umstand mit in Berechnung, daß wir durch das Zugpersonal und die Passagiere verstärkt werden müßten.

„Die Hauptsache ist,“ bemerkte ich, „daß wir auch wirklich denjenigen Zug errathen, welchen sie überfallen wollen. Es wäre höchst verdrießlich, wenn wir die falsche Richtung einschlügen.“

„Nach ihren Pantomimen meinen sie den Mountainszug, der aus Westen kommt, und das wundert mich. Der Ostzug hat doch wohl bedeutend mehr von den Gütern oder Dingen bei sich, welche die Indsmen brauchen können, als der andere. Es wird uns da wohl nichts übrig bleiben, als uns zu theilen; der Eine geht nach Morgen und der Andere nach Abend.“

„Dazu sind wir allerdings gezwungen, wenn es uns nicht gelingt, Sicherheit zu bekommen. Ja, wenn wir wüßten, wie und wann die Züge gehen.“

„Wer soll das wissen! Ich hab all meine Lebtage noch nicht in so einem Dinge gesteckt, das sie Waggon nennen, und in dem man vor Angst nicht weiß, wohin man zum Beispiel seine Beine zu stecken hat; ich lobe mir die Prairie und meine Tony! An der Arbeit habt Ihr die Indsmen doch nicht getroffen?“

„Nein. Ich habe überhaupt nur die Pferde gesehen. Aus Allem ist zu errathen, daß sie wissen, wann der Zug kommt, und wie es scheint, werden sie vor Nachts nicht an die Arbeit gehen. Es ist höchstens noch eine halbe Stunde bis zur Dämmerung; dann schleichen wir sie an, um vielleicht zu erfahren, was wir noch nicht wissen.“

„Well, so mag es sein!“

„Dann aber ist es nöthig, daß sich Einer von uns hier auf den Damm postiert. Es könnte ja möglich sein, daß es den Rothen einfiele, sich darüber auf der andern Seite heranzumachen; wenigstens denke ich, daß sie nach unserer Richtung die Schienen aufreißen werden, da sie den Angriffsplatz zwischen sich und dem Zuge herrichten müssen.“

„Ist nicht nothwendig, Charley. Da seht Euch einmal die Tony an! Ich pflocke oder hobbele sie nie an; sie ist ein glorios kluges Viehzeug und hat eine Nase, auf die ich mich verlassen kann. Habt Ihr einmal ein Pferd gesehen, welches nicht schnaubt, wenn es einen Feind wittert?“

„Nein.“

„Nun seht, es gibt auch nur ein einziges, und das ist die Tony. Das Schnauben warnt zwar den Herrn des Pferdes, aber es verräth auch Zweierlei, nämlich erstens, wo sich Pferd und Mann befinden, und zweitens, daß der Mann eben gewarnt worden ist. Daher habe ich es der Tony abgewöhnt, und das gescheite Viehzeug hat mich sehr leicht verstanden. Ich lasse sie stets frei grasen, und sobald sie eine Gefahr wittert, kommt sie herbei und stößt mich mit dem Maul.“

„Und wenn sie einmal, wie zum Beispiel heute, nichts bemerkt?“

„Pshaw! Die Luft kommt gerade von den Indsmen her, und ich lasse mich von Euch auf der Stelle erschießen, wenn Tony nicht jede Rothhaut auf tausend Schritte ankündigt. Uebrigens haben diese Kerls Augen wie die Adler, und selbst wenn Ihr Euch der Länge nach auf den Damm legt, ist es möglich, daß sie Euch von Weitem bemerken. Also bleibt nur ruhig hier, Charley!“

„Ihr habt Recht, und ich will der Tony einmal ebenso vertrauen wie Ihr. Ich kenne sie noch nicht lange, aber ich habe doch beinahe schon die Ueberzeugung, daß man sich auf sie verlassen kann.“

Ich langte wieder eine meiner „Selbstgefertigten“ hervor und steckte sie in Brand. Sam riß die kleinen Augen so weit wie möglich auf und that mit dem Munde ganz dasselbe. Seine Nasenflügel erweiterten sich und sogen den Duft des Krautes begierig ein, während ein vollständiges Entzücken seine Züge verklärte. Der Westmann kommt nicht oft in die Lage, einen guten Tabak zu kosten und ist doch gewöhnlich dem Rauchen mit höchster Leidenschaft ergeben.

„O wonderful —! Charley — —! Ist’s möglich, Ihr habt Cigarren?“

„Das versteht sich! Wohl noch ein Dutzend. Wollt Ihr eine?“

„Her damit! Ihr seid ein Kerl, von dem man einen ganzen Kürbis ) voll Achtung haben muß!“

Er brannte die Seinige an der Meinigen an, verschlang nach indianischer Gewohnheit den Rauch von einigen Zügen und blies ihn dann wieder aus dem Magen empor. Sein Gesicht zeigte dabei eine Verklärung, als sei er bis in den siebenten Himmel Mohamed’s emporgestiegen.

„Hang sorrow, ist das ein Vergnügen! Soll ich rathen, was es für eine Sorte ist, Charley?“

„Ratet einmal! Seid Ihr ein Kenner?“

„Will es meinen!“

„Nun?“

„Goosefoot aus Virginien oder Maryland!“

„Nein!“

„Was! Dann irrte ich mich zum ersten Male. Es ist Goosefoot, denn diesen Geruch und diesen Geschmack kenne ich!“

„Es ist keiner!“

„Dann ist es sicher brasilianischer Legittimo!“

„Auch nicht!“

„Curassao aus Bahia?“

„Wieder nicht!“

„Nun, was denn?“

„Seht Euch die Cigarre an!“

Ich zog noch eine hervor, drehte sie auf und reichte ihm dann Deckblatt, Umblatt und Einlage hinüber.

„Seid Ihr verrückt, Charley, daß Ihr eine solche Cigarre zu Schanden macht! Jeder Fallensteller gibt Euch unter Umständen, wenn er nämlich lange nicht geraucht hat, fünf bis acht Biberfelle dafür!“

„Ich werde in zwei oder drei Tagen wieder neue bekommen.“

„In drei Tagen —? Neue —? Woher denn?“

„Aus meiner Fabrik.“

„Was! Ihr habt eine Cigarrenfabrik?“

„Ja.“

„Wo denn?“

„Dort!“

Ich zeigte auf meinen Mustang.

) Trapperausdruck für: sehr viel.

„Charley, ich bitte Euch, macht mir nur dann einen Witz, wenn er zum Beispiel etwas taugt!“

„Es ist kein Witz, sondern Wahrheit.“

„Hm! Wenn Ihr nicht Old Shatterhand wäret, so dächte ich wirklich, daß es in Eurem Kopfe etwas zu viel oder etwas zu wenig gibt!“

„Seht Euch erst den Tabak an!“

Er that es mit aller Sorgfalt.

„Kenne ich nicht. Aber gut ist er, ausgezeichnet gut.“

„So will ich Euch meine Fabrik zeigen.“

Ich ging zu meinem Mustang, lockerte den Sattel und zog unter demselben ein kleines Kissen hervor, welches ich öffnete.

„Da, greift hinein!“

Er zog eine Hand voll Blätter hervor.

„Charley, macht mich nicht zum Narren! Das sind ja lauter Kirschen- und Lentiskenblätter!“

„Richtig! Ein wenig wilder Hanf dabei, und das Deckblatt hier ist weiter nichts als eine Ochsenzungenart, die Ihr hier wohl Verhally nennt. Dieses Kissen ist wirklich meine Tabakfabrik. Finde ich eine Sorte von diesen Blättern, so sammle ich sie nach Bedarf, stecke sie in das Kissen und lege dasselbe unter den Sattel; es entwickelt sich Wärme; die Blätter gären — da habt Ihr meine Kunst!“

„Unglaublich!“

„Aber wahr! Eine solche Cigarre ist allerdings nur ein höchst miserables Surrogat, und jeder Rippenpuffer, dessen Gaumen wie Büffelleder ist, wird höchstens einen Zug thun und sie dann wegwerfen; aber lauft einmal jahrelang in der Savanne umher und raucht dann ein solches Ding, so werden Euch die Ochsenzungenblätter wie der beste Goosefoot erscheinen. Ihr seht es ja an Eurem eigenen Beispiele!“

„Charley, Ihr steigt in meiner Achtung!“

„Verrathet nur nichts davon, wenn Ihr einmal bei Leuten sitzt, die noch nicht im Westen waren! Man hält Euch sonst für einen Tungusen, Kirgisen oder Ostjäken, der seine Geschmacks- und Geruchswerkzeuge mit Theer eingerieben oder mit Pech verkleistert hat!“

„Tunguse oder Ostjäke, ist mir Alles gleich, wenn nur die Cigarre schmeckt. Uebrigens weiß ich gar nicht einmal, wo diese Art von Leuten zu finden ist.“

Er ließ sich durch die Enthüllung meines Fabrikationsgeheimnisses nicht im Geringsten in seinem Genusse stören, sondern rauchte die Zigarre bis auf einen Stummel ab, der so winzig war, daß er ihn kaum noch zwischen den Lippen zu halten vermochte.

Mittlerweile hatte sich die Sonne gesenkt; die Dämmerung war hereingebrochen, und es begann so stark zu dunkeln, daß wir an unser Vorhaben denken konnten.

„Jetzt?“ fragte Sam.

„Ja.“

„Wie denn?“

„Wir gehen mit einander bis zu den Pferden der Rothhäute; dann theilen wir uns, beschleichen ihr Lager und stoßen hinter demselben wieder zusammen.“

„Gut! Und sollte etwas geschehen, was uns zur Flucht treibt, wobei wir uns verlieren können, so kommen wir von hier aus grad nach Süden am Wasser zusammen. Ein Urwald, der von den Bergen niedersteigt, streckt dort seine letzte Spitze weit in die Prairie hinein. Zwei Meilen von dieser Spitze aus, am südlichen Rande des Waldes, gibt es eine Prairiebucht, in der wir uns leicht finden können.“

„Gut! Also vorwärts!“

Es schien mir nicht wahrscheinlich, daß wir versprengt würden, doch war es klug und vorsichtig gehandelt, sich auf alle Fälle sicher zu stellen.

Wir brachen auf.

Jetzt war es bereits so dunkel, daß wir gefahrlos in aufrechter Stellung über die Bahn gehen konnten. Dann wandten wir uns links und schritten, das Messer im Falle einer feindlichen Begegnung zum Stoße bereit haltend, längs des Dammes dahin. Das Auge gewöhnt sich in der Prairie sehr bald an die Dunkelheit; wir hätten auf einige Schritte Entfernung hin jeden Indianer erkannt. An der Leiche des getödteten Weißen

vorüber gelangten wir an den Platz, wo vorhin die Pferde gehalten hatten. Sie standen noch da.

„Ihr rechts, und ich links!“ raunte Sam und schlich von mir weg.

Ich wandte mich in einem Bogen um die Pferde herum und gelangte an einen von Gesträuch freien Platz, auf welchem die dunklen Gestalten der Indianer lagen. Sie hatten kein Feuer angezündet und verhielten sich so still, daß ich das Knistern eines Käfers in den Grasbüscheln zu hören vermochte. Etwas abseits von ihnen sah ich drei Gestalten sitzen, die Einzigen, die ein leises Gespräch zu führen schienen. Ich beschlich sie so vorsichtig wie möglich.

Als ich mich kaum noch sechs Schritte hinter ihrem Rücken befand, erkannte ich zu meinem Erstaunen in dem Einen von ihnen einen Weißen. Was hatte dieser mit den Indsmen zu schaffen? Ein Gefangener war er nicht; das lag klar auf der Hand. Vielleicht war er einer jener Savannenklepper, welche es bald mit den Rothen und bald mit den Weißen halten, je nachdem es ihre räuberischen Absichten erfordern. Er konnte allerdings auch einer jener Jäger sein, welche, von den Indianern gefangen genommen, sich ihr Leben dadurch retten, daß sie ein rothes Mädchen zur Squaw ) nehmen und nun fortan zu dem Stamme gehören. Dann aber wäre seine Kleidung, deren Bestandtheile und Schnitt ich trotz der Dunkelheit ziemlich genau zu erkennen vermochte, eine mehr indianische gewesen.

Die beiden Anderen waren Häuptlinge, wie ich an den Rabenfedern erkannte, welche sie sich auf dem hoch aufgethürmten Schopfe befestigt hatten. Es schien also, als seien die Krieger von zwei verschiedenen Stämmen oder Dörfern zu dem beabsichtigten Unternehmen zusammengetreten.

Die Drei saßen am Rande des freien Platzes hart an einem Busche, welcher es mir ermöglichte, mich ihnen so zu nähern, daß ich vielleicht einige Worte ihres Gespräches erlauschen konnte. Ich schob mich zu ihnen hinan und lag bald in so unmittelbarer Nähe hinter ihnen, daß ich sie mit der Hand erreichen konnte.

Es schien eine Pause in ihrer Unterhaltung eingetreten zu sein. Das Schweigen währte wohl einige Minuten, dann frug der eine Häuptling den Jäger in dem aus englischen und indianischen Worten gemischten Idiom, dessen sich der Indsman bedient, wenn er mit einem Weißen spricht:

„Und mein weißer Bruder weiß ganz genau, daß just mit dem nächsten Feuerroß das viele Gold kommen wird?“

„Ich weiß es,“ antwortete der Gefragte.

„Wer hat es ihm gesagt?“

„Einer der Männer, welche bei dem Stalle des Feuerrosses wohnen.“

„Das Gold kommt aus dem Lande der Waikur ✽✽)?“

„Ja.“

„Und es soll zum Vater der Bleichgesichter ✽✽✽) gehen, der Dollars daraus machen will?“

„So ist es!“

„Der Vater der Bleichgesichter wird nicht so viel von dem Golde erhalten, daß er sich einen Half-Penny daraus machen kann! Werden viele Männer auf dem Feuerrosse reiten?“

„Das weiß ich nicht; aber es mögen ihrer noch so Viele sein, mein rother Bruder wird sie mit seinen tapfern Kriegern alle besiegen.“

„Die Krieger der Ogellallah werden viele Scalpe bringen, und ihre Frauen und Mädchen werden den Tanz der Freude tanzen. Werden die Reiter des Feuerrosses Vieles bei sich haben, was die rothen Männer brauchen können? Kleider, Waffen, Callico?“

„Das Alles werden sie bei sich haben und noch viel mehr. Aber werden die rothen Männer ihrem weißen Bruder auch geben, was er verlangt hat?“

„Mein weißer Bruder wird erhalten alles Gold und Silber, welches das Feuerroß mit sich führt. Sie brauchen es nicht, denn in ihren Bergen sind so viele Nuggets ), als sie nur haben wollen. Ka-wo-mien, der Häuptling der Ogellallah“ — und

)Frau.

✽✽)Californien.

✽✽✽)Der Präsident der Vereinigten Staaten.

)Körner und Brocken von gediegenem Gold.

dabei zeigte er mit dem Finger auf sich selbst — „lernte einst ein kluges, tapferes Bleichgesicht kennen, welches sagte, das Gold sei nichts als „deadly dust“), geschaffen von dem bösen Geiste der Erde, um die Menschen zu Dieben und Mördern zu machen.“

„Dieses Bleichgesicht war ein großer Narr. Wie war sein Name?“

„Er war kein Narr, sondern ein sehr kluger und tapferer Krieger. Die Kinder der Ogellallah waren droben an den Wassern des Broad-fork versammelt, um sich die Scalpe einer Anzahl von Trappern zu holen, welche in ihrem Gebiete viele Biber gefangen hatten. Bei den Fallenstellern war ein weißer Mann, den sie für närrisch hielten, weil er Pflanzen und Käfer suchte und bloß gekommen war, um sich die Savanne anzusehen. Aber in seinem Kopfe wohnte die Weisheit und in seinem Arme die Stärke; seine Büchse fehlte nie, und sein Messer fürchtete sich nicht vor dem grauen Bären des Felsengebirges. Er wollte ihnen Klugheit geben gegen die rothen Männer, sie aber verlachten ihn. Darum wurden sie alle getödtet, und ihre Schädelhäute zieren noch heute die Wigwams der Ogellallah. Er hatte seine weißen Brüder nicht verlassen wollen und tödtete viele rothe Männer; aber ihrer waren so viele, daß sie ihn niederrissen, obgleich er stand wie die Eiche des Waldes, die Alles zerschmettert, wenn sie fällt unter der Axt des Woodmannes. Er wurde gefangen genommen und nach den Dörfern der Ogellallah geführt. Sie tödteten ihn nicht, denn er war ein muthiger Krieger, und manches Mädchen des rothen Volkes wollte als Squaw mit ihm in seine Hütte gehen. Ma-ti-ru, der größte Häuptling der Ogellallah, wollte ihm das Wigwam seiner Tochter geben, oder er sollte sterben; er aber verschmähte die Blume der Prairie, raubte das Pferd des Häuptlings, stahl sich seine Waffen wieder, tödtete mehrere Krieger und entkam.“

„Wie lange ist dies her?“

„Die Sonne hat seitdem vier Winter besiegt.“

„Und wie hieß er?“

„Er hatte noch keinen Namen, denn er war erst vor einigen Monden über das große Wasser herübergekommen, welches die Segelhäuser und die Feuerschiffe der Bleichgesichter trägt. Seine Faust war wie die Tatze des Bären; er hat mit der bloßen Hand die Schädel vieler rothen Männer und auch einiger Bleichgesichter zerschmettert, und daher nannten ihn die weißen Jäger später Old Shatterhand.“

Es war wirklich eines meiner früheren Abenteuer, welches Ka-wo-mien erzählte. Jetzt erst erkannte ich ihn und auch den neben ihm sitzenden Ma-ti-ru, die mich einst gefangen genommen hatten. Damals hätte mich der gute Sam allerdings noch ein Greenhorn nennen können, denn ich betrat zum ersten Male die Prairie und wurde erst später unter der Leitung des berühmten Apachenhäuptlings Winnetou das, was man einen Westmann nennt. Der Erzähler hatte die Wahrheit berichtet, nur mußte ich ihm im Stillen den Vorwurf machen, daß er sich in Beziehung auf meine Person einer zu großen Ausschmückung bediente.

„Old Shatterhand? Den kenne ich!“ antwortete der Weiße. „Er befand sich einst in dem Hide-spot✽✽) von Old Firehand, als ich dasselbe mit einigen wackeren Männern angriff, um uns ihre Ottern- und Biberfelle zu holen. Ich entkam damals mit noch zwei Mann und möchte wünschen, dem Hallunken einmal zu begegnen. Er sollte sein Kapital mit reichlichen Zinsen zurückerhalten!“

Jetzt erkannte ich auch ihn. Er war der Anführer jener Buschheaders, die uns droben am Süd-Saskatschawan überfallen hatten, von uns aber so empfangen worden waren, daß nur diese Drei entkamen. Er war einer jener Prairieräuber, welche man mehr zu fürchten hat, als die wildesten Indianer, da sie die schlimmen Eigenschaften beider Rassen in doppeltem Maße in sich vereinigen.

Ma-ti-ru, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, erhob seine Hand.

„Wehe ihm, wenn er wieder in die Hände der rothen Männer fällt! Er würde an den Marterpfahl gebunden, und Ma-ti-ru

)Tödlicher Staub.

✽✽)Ein gegen die Angriffe der Indianer und weißen Banden von den Jägertrupps angelegtes Versteck, in welchem sie sich und ihre Jagdbeute zu verbergen pflegen.

nähme ihm jede einzelne Muskel von den Knochen. Er hat die Krieger der Ogellallah getödtet, das beste Pferd des Häuptlings geraubt und das Herz der schönsten Tochter der Savanne von sich gestoßen!“

Hätten die drei Männer gewußt, daß der, gegen den sie solche Drohungen ausstießen, kaum drei Spannen weit hinter ihnen lag!

„Die rothen Männer werden ihn niemals wieder sehen, denn er ist weit über das Wasser nach dem Lande gegangen, wo die Sonne wie Feuer brennt, wo der Sand größer ist als die Savanne, wo der Löwe brüllt und die Männer viele Weiber haben dürfen.“

Ich hatte an einigen Lagerfeuern gelegentlich erwähnt, daß ich nach der Sahara gehen wolle. Das war auch geschehen ), und nun erfuhr ich bei meinem zweiten Streifzug durch die Prairie zu meinem Erstaunen, daß die Kunde davon sogar zu den Indianern gedrungen war. Es schien mir hier mit dem Bowiekneif besser gelungen zu sein, ein bekannter Mann zu werden, als drüben in der Heimat mit der Feder.

„Er wird wiederkommen,“ meinte Ma-ti-ru. „Wer den Athem der Prairie getrunken hat, dürstet nach ihr, so lange ihm der große Geist das Leben läßt!“

Darin hatte er Recht. Wie der Gebirgsbewohner sich im flachen Lande bis zur Krankheit nach seinen Höhen sehnt und der Seemann nicht von dem Meere zu scheiden vermag, so thut es auch die Prairie Jedem an, den sie einmal umfangen hat. Ich war wieder zurückgekehrt.

Jetzt deutete Ka-wo-mien nach den Sternen.

„Mein weißer Bruder sehe den Himmel an! Es ist Zeit, nach der Bahn des Feuerrosses zu gehen. Sind die eisernen Hände, welche meine Krieger dem weißen Diener des Rosses genommen haben, stark genug, seine Bahn zu zerreißen?“

Diese Frage sagte mir, wer der Ermordete gewesen war. Jedenfalls ein Bahnbeamter, welcher mit seinen Werkzeugen, die der Häuptling „eiserne Hände“ nannte, die Strecke begangen hatte, um den Schienenweg zu revidiren.

„Sie sind stärker als die Hände von zwanzig rothen Männern,“ antwortete der Weiße.

„Und versteht es mein weißer Bruder, sie zu gebrauchen?“

„Ja. Die rothen Männer mögen mir folgen! In einer Stunde wird der Zug ankommen. Doch meine Brüder mögen noch einmal bedenken, daß alles Gold und Silber mir gehört!“

„Ma-ti-ru lügt nie!“ versicherte stolz der Häuptling, indem er sich erhob. „Das Gold ist Dein, und alles Andere sammt den Scalpen der Bleichgesichter gehört den tapfern Kriegern der Ogellallah.“

„Und Ihr gebt mir Maulthiere, um mein Gold zu tragen, und Männer, um mich zu beschützen auf dem Wege nach dem Canadian?“

„Du bekommst Maulthiere, und die Krieger der Ogellallah werden Dich bringen bis an die Grenzen des Landes Aztlan ✽✽). Und trägt das Feuerroß sehr viele Dinge, die Ka-wo-mien und Ma-ti-ru gefallen, so führen sie Dich auch noch weiter bis an die große Stadt Aztlan, wo Dein Sohn auf Dich wartet, wie Du erzähltest.“

Der Sprecher stieß einen Ruf aus, und sofort erhoben sich alle Indianer. Ich wandte mich zurück. Unweit der Stelle, an welcher ich gelegen hatte, vernahm ich ein leises Geräusch, als ob ein leichter Luftzug über die Halme ginge.

„Sam!“

Ich hatte das Wort mehr gehaucht als gesprochen, und doch richtete sich in der Entfernung von einigen Schritten die kleine Gestalt meines Gefährten halb und nur auf einen einzigen Augenblick empor.

„Charley!“

Ich kroch zu ihm hin.

„Was habt Ihr gesehen?“ frug ich ihn.

„Nicht viel; die Indsmen, grad wie Ihr.“

„Und gehört?“

„Gar nichts, kein einziges Wort. Und Ihr?“

)Siehe „Unter Würgern“, im vorigen Jahrgange des „Deutschen Hausschatzes.“

✽✽)So heißt Mexiko im Dialekte der Sioux.

„Sehr viel. Doch kommt! Sie brechen auf, jedenfalls nach Westen zu, und wir müssen eilen, daß wir unsere Pferde erreichen.“

Ich huschte voran, er mir nach. Wir gelangten an die Bahn und stiegen über den Damm nach der andern Seite desselben. Dort hielten wir an.

„Sam, geht zu den Pferden und reitet eine halbe Meile die Bahn entlang, wo Ihr auf mich wartet. Ich möchte die Rothen doch nicht eher verlassen, als bis ich mich genau orientirt habe.“

„Kann ich das nicht auf mich nehmen? Ihr habt bisher so viel erspioniert, daß ich mich schämen muß, gar nichts gethan zu haben.“

„Geht nicht, Sam! Mein Mustang gehorcht Euch; Euere Tony aber würde sich vielleicht von mir nicht fortbringen lassen.“

„Da habt Ihr zum Beispiel sehr recht, Charley, und deßhalb will ich gehen!“

Er schritt aufrecht und schnell davon. Es wäre jetzt eine sehr überflüssige Mühe gewesen, darauf zu sehen, daß sein Fuß keine Fährte zurückließ. Er war kaum im Dunkel des Abends verschwunden, so erblickte ich, an der diesseitigen Böschung liegend, jenseits des Dammes die Indianer, welche — Einer hinter dem Andern — vorüberhuschten.

Ich folgte ihnen hüben in der Weise, daß ich immer parallel mit ihnen blieb. Nicht weit von der Stelle, wo ich den Hammer gefunden hatte, hielten sie an und bestiegen den Damm. Ich zog mich hinter die Büsche zurück und vernahm nach kurzer Zeit das Geklirr von Eisen an Eisen und dann laute Hammerschläge. Der Bushheader hatte sich an die Arbeit gemacht, mit den dem Bahnwärter abgenommenen Werkzeugen die Schienen von ihrer Unterlage zu reißen.

Nun war es Zeit. Ich verließ den Schauplatz des zu erwartenden Kampfes und eilte vorwärts. In fünf Minuten hatte ich Sam eingeholt.

„Sie arbeiten an den Schienen?“ fragte er mich.

„Ja.“

„Ich habe es gehört. Wenn man das Ohr hier auf dieselben legt, vernimmt man zum Beispiel jeden Hammerschlag.“

„Jetzt vorwärts, Sam! In drei viertel Stunden kommt der Zug, und ich muß ihn erreichen, noch bevor sie seine Lichter sehen können.“

„Hört, Charley, ich gehe nicht mit!“

„Warum?“

„Verlassen wir beide den Platz, so müssen wir nachher mit einem nochmaligen Recognosciren eine kostbare Zeit verlieren; gehe ich aber zu den Indsmen zurück, um sie zu beobachten, so kann ich Euch bei Eurer Rückkehr sofort genau unterrichten.“

„Das ist wahr! Und Eure Tony?“

„Lasse ich hier. Sie geht nicht von der Stelle, bis ich wiederkomme.“

„Gut! Ich weiß, daß Ihr an der Sache nichts verderben werdet.“

„Ich nicht, darauf könnt Ihr Euch zum Beispiel sehr verlassen. Also macht, daß Ihr fortkommt, Charley! Ihr werdet mich hier wiederfinden.“

Ich stieg aufs Pferd und ritt, so schnell es die Dunkelheit gestattete, dem zu erwartenden Zuge entgegen. Es war nothwendig, diesen in einer solchen Entfernung von hier zu erreichen, daß die Indianer nicht bemerken konnten, daß er anhielt. Die Nacht ward allmälig lichter; die Sterne stiegen auf und warfen ihren milden Schein über die Prairie, so daß man auf einige Pferdelängen hin Alles ziemlich deutlich zu erkennen vermochte. Mein Ritt nahm in Folge dessen an Schnelligkeit fortwährend zu und wurde durch keine Störung unterbrochen, bis ich eine Strecke von vielleicht drei Meilen ) zurückgelegt hatte.

Hier hielt ich an, stieg ab, pflockte meinen Mustang an und hobbelte ihm zugleich die Vorderbeine zusammen. Der durch

)Es sind immer englische Meilen gemeint.

den Eisenbahnzug entstehende Lärm hätte ihn sonst veranlassen können, auszubrechen.

Jetzt suchte ich so viel Dürrgras wie möglich zusammen, legte Reisig auf dasselbe und fertigte mir dann eine Fackel, indem ich einige Büschel Gras auf einen Ast befestigte, den ich mir vom Busche brach. So vorbereitet, konnte ich des Zuges warten, legte meine Decke auf das Bahngeleis und setzte mich, um von Zeit zu Zeit das Ohr an die Schienen zu legen und dann wieder hinauszuforschen nach der Gegend, aus welcher der Zug kommen mußte.

Ich hatte kaum zehn Minuten gewartet, so vernahm ich ein leises, ganz leises Rollen, welches von Sekunde zu Sekunde stärker anschwoll. Dann erblickte ich in weiter Ferne einen kleinen, lichten Punkt, der mitten unter den hart über dem Horizonte stehenden Sternen auftauchte, aber kein Stern sein konnte, da er sich auffällig vergrößerte und schnell näher rückte. Der Zug nahte.

In Kurzem theilte sich das Licht in zwei Punkte. Jetzt war es Zeit. Ich zündete den Asthaufen an, der sofort eine hochauflodernde Flamme gab, die bereits jetzt von dem Zuge aus bemerkt werden konnte. Das Rollen desselben nahm immer zu; schon vermochte ich den durch die beiden Lichter verursachten Lichtkeil zu bemerken, welcher vor der Maschine die Dunkelheit durchbrach. In einer Minute mußte er mich erreicht haben.

Ich brannte meine Fackel an und lief, sie um den Kopf wirbelnd, dem Zuge entgegen. Der Maschinist erkannte natürlich, daß ich ihm ein Zeichen zum Halten geben wollte; er stoppte; drei schrille Pfiffe erschallten kurz hinter einander; die Bremsen legten sich kreischend an die Räder; ein ohrzerreißendes Rauschen, Rollen, Kreischen, Zischen und Prasseln, und die Lokomotive hielt grad an der Stelle, wo mein Feuer am Bahndamme brannte. Der Maschinist neigte sich zu mir herab und fragte:

„Halloo, Mann, was soll Euer Zeichen bedeuten? Wollt Ihr vielleicht einsteigen?“

„Nein, Sir; ich möchte Euch grad im Gegentheil ersuchen, ab- und auszusteigen.“

„Fällt mir nicht ein!“

„Werdet es aber dennoch thun, denn da vorn sind Indianer, welche die Schienen aufgerissen haben.“

„Was sagt Ihr? Indianer? ’s death! Redet Ihr die Wahrheit, Mann?“

„Habe keine Gründe, das Gegentheil zu thun!“

„Was wollt Ihr?“ fragte mich jetzt auch der Conducter, welcher abgestiegen und herbeigekommen war.

„Es sollen Rothäute vor uns sein,“ antwortete ihm der Maschinist.

„Ist’s wahr? — Habt Ihr sie gesehen?“

„Gesehen und belauscht. Es sind Ogellallahs.“

„Die schlimmsten, die es geben kann! Wie viel?“

„Ungefähr sechzig.“

„Zum Henker! Das ist in diesem Jahre bereits der dritte Ueberfall eines Zuges, den die Hallunken unternehmen; aber wir werden sie heimschicken. Habe längst gewünscht, eine Gelegenheit zu finden, ihnen auf die Finger zu klopfen. Wie weit sind sie von hier?“

„Drei Meilen ungefähr.“

„Dann deckt die Lichter zu, Maschinist! Die Kerls haben scharfe Augen. Hört, Master, ich bin Euch großen Dank schuldig dafür, daß Ihr uns gewarnt habt! Ihr seid ein Prairiemann, wie ich an Eurem Habitus erkenne?“

„So etwas Aehnliches. Ich habe noch Einen bei mir, der die Rothen beobachtet, bis wir kommen.“

„Das ist klug von Euch. Aber, gebt Raum, Ihr Leute! Die Sache ist ja gar kein Unglück, sondern verspricht uns eine ganz verwünschte Plaisir.“

Man hatte vom nächsten Wagen aus unser Gespräch gehört und sofort alle Thüren geöffnet. Sämmtliche Passagiere eilten herbei und drängten mit hundert Ausrufungen und Fragen durch einander. Auf die Mahnung des Conductors aber wurde die nöthige Ruhe hergestellt. (Fortsetzung folgt.)

Linie 439
(465)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial I„Ihr habt einen Transport Gold und Silber bei Euch?“ frug ich.

„Wer sagt das?“

„Die Indsmen. Sie werden von einem weißen Bushheader angeführt, der das Metall als Antheil bekommt, während das Uebrige sammt allen Scalpen den Indianern zufallen soll.“

„Ah! Wie kann der Halunke wissen, was wir geladen haben!“

„Er scheint es von einem Bahnbeamten erfahren zu haben; auf welche Weise aber, das kann ich nicht sagen.“

„Werden schon dahinter kommen, wenn er lebendig in unsere Hände fällt, was ich sehr wünsche. Aber da sagt einmal, Master, wie Euer Name ist, damit man weiß, wie man Euch zu nennen hat!“

„Mein Kamerad heißt Sans-ear, und ich — — —“

„Sans-ear? Alle Wetter, ein tüchtiger Kerl, der bei der Sache so viel thun wird, wie ein Dutzend Andere! Und Ihr?“

„Mich heißen sie hier in der Prairie Old Shatterhand.“

„Old Shatterhand, der vor drei Monaten droben in Montana von mehr als hundert Sioux gejagt wurde und mit Schlittschuhen die ganze Strecke des Yellow-Stone vom Schneeberge an bis Fort Union in drei Tagen zurücklegte?“

„Ja.“

„Sir, ich habe Manches über Euch gehört und freue mich, grad Euch einmal zu treffen! Aber sonderbar! Habt Ihr nicht bereits einmal vor vier Jahren einen Zug gerettet, den Parranoh, der weiße Häuptling der Sioux, vernichten wollte?“

„Allerdings. Ich hatte damals den Apachenhäuptling Winnetou bei mir, den berühmtesten Indianer, soweit die Prairie reicht. Aber bitte, Sir, faßt einen Entschluß! Die Indsmen wissen sehr genau, wann der Zug eintreffen muß, und könnten Verrath ahnen, wenn wir zu lange zögern.“

„Da habt Ihr Recht. Vor allen Dingen möchte ich da wissen, welche Stellung sie einnehmen. Wer einen Feind angreifen will, muß sich unterrichten, welche Disposition derselbe getroffen hat.“

„Ihr sprecht wie ein großer Feldherr, Sir; leider aber kann ich Euch keine genügende Auskunft geben. Ich konnte, um

Euch zu warnen, nicht warten, bis die Indsmen schlagfertig dastanden. Wir werden von meinem Gefährten Alles erfahren, was uns nöthig ist. Wenn ich Euch bat, einen Entschluß zu fassen, so wollte ich damit nur wissen, ob Ihr überhaupt gesonnen seid, anzugreifen oder nicht.“

„Natürlich, natürlich werde ich sie angreifen,“ antwortete er eifrig. „Ich habe ja die Pflicht, diesem Volke den Appetit auf unsere Frachtgüter ein- für allemal zu verleiden. Ihr und Euer Kamerad seid ja zu wenig gegen sechzig Indsmen und dürft es gar nicht wagen, an ei­nen — —“

„Pshaw, Sir!“ fiel ich ihm in die Rede. „Was wir wagen dürfen oder nicht, das wissen wir wohl genauer als andere Leute. Sans-ear hat heut am hellen Tage vier Rothe angegriffen und sie binnen zwei Minuten ausgelöscht, und ich sage Euch, daß wir von den Ogellallah’s einige Dutzend in die ewigen Jagdgründe senden werden, ohne Euerer Hülfe zu bedürfen. Es kommt hier weniger auf die Zahl als vielmehr auf andere Dinge an, die man in der Faust und im Kopfe hat. Wenn ich in der Finsterniß des Abends mit einem Henrystutzen allein fünfundzwanzig Schüsse abgeben kann, ohne laden zu müssen, so wissen die Indsmen nicht, ob sie Zwei oder Zwanzig gegen sich haben. Hört, Ihr Männer, gibt es unter Euch welche, die Waffen bei sich tragen?“

Diese Frage war eigentlich überflüssig. Ich wußte, daß jeder dieser Leute eine Art von Schießgewehr bei sich führen werde; aber der Conducter hatte gethan, als ob er die Direction in die Hand nehmen wolle, und das konnte ich nicht zugeben. Einen nächtlichen Angriff gegen eine Indianertruppe zu leiten, dazu gehörte mehr, als ich einem Bahnbeamten zutrauen durfte, selbst wenn dieser ein ganz wackerer und muthiger Mann genannt werden mußte. Ich erhielt ein einstimmiges, rundumtönendes „Ja!“ als Antwort, und der Conducter fügte hinzu:

„Ich habe als Passagiere sechzehn Bahnarbeiter, die mit ihren Messern und Büchsen ganz vortrefflich umzugehen verstehen, und zwanzig Milizmen, welche nach Fort Palwieh bestimmt sind und Flinte, Revolver und Messer tragen. Außerdem gibt es noch einige Gentlemen hier, welche sich gern das Vergnügen machen werden, den guten Indsmen ein wenig tiefer unter die Haut zu krabbeln. He, wer macht mit, Ihr Leute?“

Alle ohne Ausnahme erklärten sich bereit, mit vorzugehen, und wenn es ja Einen gab, dem es eigentlich an Muth gebrach, so sagte er doch zu, um nicht als Feigling zu gelten. Solche Leute konnten mir freilich nicht viel nützen; es war besser, sie blieben zurück, und darum meinte ich:

„Hört, Mesch’schurs, Ihr seid sehr wackere Männer, aber Alle können doch nicht mit, das seht Ihr doch wohl ein. Ich sehe da einige Ladies stehen, die wir unmöglich ohne Schutz lassen können. Selbst wenn wir siegen, was ich allerdings gar nicht bezweifle, ist es doch möglich, daß die flüchtigen und versprengten Indsmen hier vorbeikommen und sich auf den verlassenen Zug werfen würden. Daher müssen wir einige muthige Männer als Bedeckung zurücklassen. Wer diesen Posten übernehmen will, der mag sich melden!“

Wirklich erklärten sich Acht bereit, den Zug mit ihrem theuern Leben zu vertheidigen. Es waren die Männer der drei vorhandenen Damen und fünf Reisende, die auf mich den Eindruck machten, als ob sie sich auf die Preise von Eisenwaaren, Wein, Cigarren und Hanfsamen besser verständen, als auf die richtige Handhabung eines Bowiemessers. Den Ersteren konnte ich ihre Zurückhaltung nicht verargen; sie hatten vor allen Dingen die Pflichten gegen ihre Ladies zu erfüllen.

„Der Zug kann ohne Beamte nicht gelassen werden. Wer bleibt hier?“ fragte ich den Conducter.

„Der Maschinist mit dem Feuermanne,“ lautete die Antwort. „Er kann den Oberbefehl über diese tapfern Gentlemen übernehmen. Ich gehe natürlich mit Euch und werde die Truppe commandiren.“

„Ganz, wie Ihr wollt, Sir! Ihr seid gewiß schon öfters gegen Indsmen im Felde gewesen?“

„Ist nicht nöthig! Diese Yambarico’s ) wissen ihre Gegner bloß hinterlistig zu überfallen und abzuschlachten. Bei einem offenen und regelrechten Angriffe gegen sie aber suchen sie ihr Heil stets in der Flucht. Wir werden auf alle Fälle leichte Arbeit haben.“

„Meine es nicht, Sir. Es sind Ogellallah’s, die blutdürstigsten der Sioux, und werden angeführt von den berühmten Häuptlingen Ka-wo-mien und Ma-ti-ru, welch Letzterer außer seiner Würde im eigenen Stamme auch der oberste Kriegsherr sämmtlicher Siouxvölker ist.“

„Ihr wollt damit doch nicht etwa sagen, daß ich mich vor ihm fürchten soll? Wir sind hier über vierzig Männer, und ich denke, die Sache ist sehr einfach. Ich habe die Lichter verdecken lassen, damit die Rothen nicht merken, daß ich gewarnt wurde. Jetzt nehmen wir die Masken wieder ab; Ihr steigt auf die Maschine und laßt den Maschinisten bis hart an die zerstörte Stelle fahren. Dort halten wir, springen herab und fallen über die Kerls her, daß nicht Einer von ihnen übrig bleibt. Wir stellen dann den Eisenstrang wieder her und haben einen Aufenthalt von höchstens einer Stunde einzubringen.“

„Ich muß gestehen, daß Ihr Anlagen zu einem ganz tüchtigen Kavallerieobersten verrathet, der keine größere Plaisir kennt, als den Feind im Anprall niederzureiten. Doch dazu gehören andere Verhältnisse als die gegenwärtigen. Führt Ihr Euer Vorhaben wirklich aus, so werdet Ihr Euere vierzig Mann in den sichern Tod treiben, und ich muß mich sehr hüten, an der Ausführung eines solchen Planes Theil zu nehmen.“

„Was? Ihr wollt uns nicht helfen? Ist dies Feigheit, oder ärgert Ihr Euch darüber, daß Ihr nicht den Anführer spielen sollt?“

„Feigheit? Pshaw! Wenn Ihr wirklich von mir gehört habt, so ist es sehr unüberlegt von Euch, dieses Wort auszusprechen, denn dann könnte Old Shatterhand sehr leicht Lust bekommen, mit seiner Faust auf Eurem Schädel zu beweisen, daß er seinen Namen mit Ehren trägt. Und was den Aerger anbelangt, so kann es mir ja sehr gleichgültig sein, wem der Zug und eure Scalpe nach einer Stunde gehören werden, Euch oder den Indianern. Auf meine Kopfhaut aber hat kein Mensch ein Recht, als ich allein, und ich werde sie noch einige Zeit lang zu behalten suchen. Good evening, Mesch’schurs!“

Ich wandte mich um. Der Conductor faßte mich beim Arme.

)Verachtetste Klasse der Indianer.

„Stopp, Master! So geht das nicht! Ich habe hier den Oberbefehl übernommen, und Ihr habt mir zu gehorchen. Ich werde mich wohl hüten, den Zug hier in einer solchen Entfernung vom Kampfplatze stehen zu lassen, denn ich habe jeden Verlust zu verantworten. Es bleibt bei meinem Plane: Ihr führt uns bis zur Stelle, und wir verlassen die Wagen nicht eher, als bis wir dort angelangt sind. Ein guter Feldherr muß jeden Umstand in Berechnung ziehen, auch den, daß er die Schlacht verlieren kann. In diesem Falle bieten uns die Wagen einen sichern Zufluchtsort, von wo aus wir uns vertheidigen können, bis wir mit dem nächsten Zuge von West oder Ost Hülfe erhalten. Ist’s nicht so, Ihr Männer?“

Alle stimmten ihm bei. Es befand sich nicht ein einziger Westmann unter ihnen, und so hatte sein Plan für sie einen Schein von Praktik, durch den sie sich bestechen ließen. Er war sehr befriedigt von diesem Ergebniß und sagte zu mir:

„Also aufgestiegen, Sir!“

„Schön! Ihr befehlt, und ich gehorche!“

Ein rascher Sprung brachte mich auf den Rücken meines Mustangs, den ich während des Gespräches bereits losgehobbelt hatte.

„O nein, my dear; ich meine die Maschine!“

„Und ich das Pferd, Sir. Unsere Meinungen gehen eben auch hier aus einander.“

„Ich befehle Euch, abzusteigen!“

Ich drängte mein Pferd an seine Seite und bog mich zu ihm nieder.

„Mann, Ihr scheint noch niemals mit einem richtigen Westläufer zusammengerathen zu sein, sonst würdet Ihr in einem andern Tone mit mir sprechen. Seid so gut und stellt Euch selbst auf die Locomotive!“

Ich faßte ihn mit der Rechten bei der Brust und zog ihn empor; ein kräftiger Schenkeldruck brachte meinen Mustang hart an die Maschine; im nächsten Augenblick flog der Eisenbahn-Stratege hinter den Wetterschirm, und ich galoppirte davon.

Es war jetzt so sternenhell geworden, daß mich die Büsche nicht im Geringsten am schnellen Ritt hinderten. Ich brauchte nicht viel mehr als eine Viertelstunde, um Sam zu erreichen.

„Nun?“ frug er, als ich vom Pferde stieg. „Ich denke, Ihr bringt Leute!“

Ich erzählte ihm, warum dies nicht geschah.

„Habt’s recht gemacht, Charley, sehr recht! So ein Railroader ) sieht Unsereinen über die Achsel an, weil man sich zum Beispiele nicht täglich dreimal frisiren lassen kann. Natürlich führen sie den Plan aus, werden sich aber wundern, hihihihi!“

Während dieses halblauten Gelächters machte er die Bewegung des Scalpirens und fuhr dann fort:

„Aber Ihr habt mir noch gar nicht erzählt, was Ihr da vorne erfahren habt!“

„Ka-wo-mien und Ma-ti-ru sind die Anführer.“

„Ah! Dann gibt es einen Kampf, an dem sich das alte Herz erfreuen kann.“

„Es ist ein Weißer bei ihnen, der ihnen verrathen hat, daß der Zug Gold und Silber mit sich führt.“

„Das will er haben und ihnen das Andere und die Scalpe lassen?“

„Ja.“

„Konnte mir es denken! Jedenfalls ein Bushheader!“

„Ich kenne ihn. Er überfiel einst mit seiner Bande das Hide-spot von Old Firehand, mußte aber die Hand davon lassen.“

„Wie heißt er?“

„Weiß es nicht; ist auch nicht von Interesse, da diese Sorte von Menschen sich täglich anders nennt. Ihr habt recognoscirt?“

„Ja. Sie haben sich getheilt und zu beiden Seiten der Bahn aufgestellt, ungefähr in der Mitte zwischen der zerstörten Stelle und ihren Pferden, bei denen ich wieder zwei Mann Wache fand. Aber was thun denn wir, Charley? Helfen wir den Railroaders oder gehen wir zum Beispiel fort?“

„Es ist unsere Pflicht, ihnen zu helfen, Sam. Oder seid Ihr vielleicht anderer Meinung?“

)Eisenbahner.

„Fällt mir gar nicht ein! Mit der Pflicht, da habt Ihr vollständig Recht, und außerdem müßt Ihr an meine Ohren denken, die mir noch lange nicht vollständig bezahlt worden sind. Ich wette meine Tony gegen einen Laubfrosch, daß morgen in der Früh einige Indsmen mit geringelten Ohren an der Bahn sitzen werden! Aber was jetzt zum Beispiel thun, Charley?“

„Wir theilen uns auch und postiren uns zu beiden Seiten des Dammes zwischen die Indsmen und ihre Pferde.“

„Well! Aber da kommt mir ein Gedanke! Was meint Ihr zu einem guten Stampedo )?“

„Hm! Wäre wohl gut, wenn wir überlegen wären und es auf die gänzliche Vertilgung der Indsmen absehen könnten. Hier aber möchte ich nicht dazu rathen. Die Railroader werden den Kürzeren ziehen, und wir Beide können nichts thun, als die Rothen bis zum nächsten Zuge hinhalten oder ihnen einen plötzlichen Schreck einjagen, daß sie fliehen. In beiden Fällen ist es gut, wenn sie fort können; nehmen wir ihnen aber die Pferde, so behalten wir sie in der Nähe. Habt Ihr noch nichts gehört von der guten Regel, daß man dem Feinde unter Umständen goldene Brücken bauen muß?“

„Habe bisher nur hölzerne, steinerne und eiserne Brücken kennen gelernt! Euere Ansicht in Ehren, Charley, aber wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, was die Rothen für Gesichter schneiden werden, wenn sie aufsteigen wollen und kein Pferd mehr finden, so juckt es mich in allen Fingerspitzen. Und, was die Hauptsache ist, können wir sie denn nicht grad dadurch panisch erschrecken, wenn wir ihnen die Pferde auf den Leib jagen?“

„Das ist richtig! Doch ist es besser, wir warten erst die Umstände ab.“

„Meinetwegen! Aber Eins müßt Ihr mir auf alle Fälle zugeben!“

„Was?“

„Daß ich die beiden Wächter beseitige. Nicht?“

„Ich bin in keiner Lage ein Freund von unnützem Blutvergießen, doch sehe ich hier ein, daß Ihr Recht habt — es ist traurige Nothwehr. Wenn die Wachen fallen, sind die Pferde ganz in unsere Hand gegeben. Bringen wir also zunächst unsere eigenen Thiere in Sicherheit, und dann vorwärts!“

Wir ritten etwas in das Land hinein, wo ich mein Pferd so befestigte, daß es kaum drei Schritte Spielraum hatte. Sam that mit seiner Tony ganz dasselbe. So sicher er ihrer sonst war, im Falle eines Stampedo konnte leicht der ausbrechende Pferdetrupp die Richtung nach unseren Thieren nehmen und diese mit sich fortreißen.

Nun kehrten wir in einem Bogen, welcher uns hinter die Indsmen brachte, zurück. Noch immer ließen sich die Lichter der Locomotive nicht bemerken. Entweder hatte der Plan des Conducters doch seine Gegner gefunden, oder man hatte sich nicht sofort entschließen können, nun ohne meine Führung weiter zu fahren.

Bei den Pferden angelangt, erkannten wir leicht die Gestalten der beiden Wächter, welche keine ruhige Stellung eingenommen hatten, sondern einzeln um die Lichtung patrouillirten. Der Eine von ihnen näherte sich langsam dem Strauche, hinter welchem wir standen. Als er vorüberschritt, blitzte die Klinge Sam’s aus dem Strauche und fuhr dem Opfer in’s Herz. Kein Laut ward ausgestoßen. Der Andere hatte das gleiche Schicksal, als er nachher vorbeikam. Wer die Prairie nicht kennt, ahnt nichts von der Gluth der Erbitterung, mit welcher sich zwei Rassen bekämpfen, deren Angehörige von Schritt zu Schritt im Blute ihrer Gegner schreiten. Betritt der noch zartfühlende Mensch, der Christ, die „dark and bloody grounds“✽✽), so fühlt er sich entsetzt won der Strenge und Rücksichtslosigkeit, zu welcher die Savanne ihre kraftvollen Söhne erzieht; bald aber zwingt ihn das grausame Gesetz der Selbsterhaltung, alle seine Kräfte gegen Gewalten einzusetzen, denen gegenüber die Schonung zu seinem eigenen sicheren Untergang führen würde; und er erkaltet nach und nach im Innern wie Alle, welche vor ihm den „Athem der Savanne tranken“.

)Durchbrennen der Pferde.

✽✽)„Die finsteren und blutigen Gründe“ nennt man in den Vereinigten Staaten die Prairie.

Bei der Bewegung, welche ich machte, um das Fallen des zweiten Opfers nicht mit ansehen zu müssen, fiel mein Blick auf ein Pferd, welches mir nahe hielt. Es trug den bequemen spanischen Sattel mit großen Steigbügelschuhen, wie er in Mittel- und Südamerika gebräuchlich ist, und war nicht auf indianische Weise aufgezäumt. Sollte es das Pferd des Weißen sein? Ich trat näher. Zu beiden Seiten waren am Sattelrande tiefe schmale Taschen angebracht, die ich untersuchte. Sie enthielten einige Papiere und zwei Beutel, deren Inhalt ich jetzt nicht erforschen konnte. Ich steckte Alles zu mir.

„Was nun?“ raunte jetzt Sam.

„Wir theilen uns; ich rechts und Ihr links. Aber halt, schaut einmal nach vorn!“

„Der Zug, wahrhaftig, es ist der Zug, der jetzt zum Beispiel herangedampft kommt! Bleiben wir noch, Charley, um zu sehen, wie der Stecken schwimmen wird )!“

Der Plan des Conducters war also doch aufrecht erhalten worden. Die beiden scharfen Lichter der Maschine kamen näher, aber langsam, sehr langsam, denn es galt, die Stelle zu erkennen, an welcher die Schienen aufgerissen worden waren. Bald hörten wir das Rollen der Räder, welches immer lauter wurde, und endlich, ja, da hielt der Zug hart an der Schienenbresche.

Welcher Grimm mußte die Wilden überkommen, wenn sie sahen, daß die Hauptbedingung ihres Sieges vereitelt war! Vielleicht erriethen sie, daß die Railroader gewarnt worden waren. Für die Letzteren war es jetzt das Klügste, sich in ihren Waggons vollständig ruhig zu verhalten. Ich hoffte beinahe, daß sie es thun würden, sah mich aber enttäuscht, denn die Wagen öffneten sich, die Weißen sprangen heraus und schritten zum Angriff vor. Sie sollten die Unklugheit dieses Verfahrens augenblicklich erkennen. Im Vordringen kamen sie in das Bereich des intensiven Maschinenlichtes und boten den Indsmen so genaue Zielpunkte, daß diese sich nichts Besseres wünschen konnten. Eine Salve krachte, noch eine, und dann erhob sich ein Geheul, wie es gräßlicher und markerschütternder gar nicht gedacht werden konnte.

Mit den abgeschossenen Gewehren in der Hand stürzten sich die Wilden herbei, fanden aber nur die Toten und Verwundeten, da sich die Uebrigen augenblicklich zurückgewandt hatten, um das Innere der Wagen zu gewinnen. Einige der Indsmen bückten sich nieder, um den Gefallenen die Scalpe zu nehmen, mußten aber davon ablassen, da man aus dem vordersten Waggon auf sie schoß.

Jetzt wäre es das Klügste gewesen, der Maschine Rückdampf zu geben. Es geschah nicht. Vielleicht hatte sich der Maschinist mit dem Feuermanne ebenso wie die Anderen in einen Wagen geflüchtet.

„Jetzt wird zum Beispiel eine regelrechte Belagerung beginnen,“ meinte Sam.

„Glaube es nicht! Die Rothen wissen, daß sie nur Zeit bis zum nächsten Zuge haben, und werden einen Sturm versuchen, obgleich sie dies nie gern thun.“

„Und wir? Es ist hier sehr schwierig, einen guten Entschluß zu fassen.“

„Der Entschluß ist nur etwas werth, wenn er schnell kommt und ebenso rasch ausgeführt wird. Das beste Angriffsmittel ist das Feuer. Wir müssen zu den Pferden. Jeder reitet einen weiten Halbkreis und steigt alle fünfzig bis sechzig Pferdelängen ab, um die Prairie anzubrennen. Vorher aber lassen wir den Stampedo los, um die Feinde am schnellen Angriffe zu verhindern und ihnen die Mittel zur Flucht zu entziehen. Unter den jetzigen Verhältnissen gibt es allerdings nichts Besseres.“

„Alle Wetter, das ist ein schlimmer Plan für sie! Aber wir werden die Wagen mitverbrennen!“

„Bewahre! Zwar weiß ich nicht, ob sie feuergefährliche Gegenstände, wie Oel und Theer, geladen haben, aber das Holz der Wagen ist stark genug, einem Grasfeuer zu widerstehen, und dann müßt Ihr an das einzige Mittel denken, welches den Indianern bleibt, sich vor dem Schmoren zu retten: sie müssen Gegenfeuer anzünden und werden das in der unmittelbaren Nähe der Wagen thun, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ich zum Beispiel würde an ihrer Stelle auf jeden Fall das Gleis unter den Wagen zu gewinnen suchen.“

)Trapperausdruck für: wie es gehen wird.

„Habt Ihr auch an die Zeit gedacht, welche wir brauchen werden, um mit unsern langsamen Punks Feuer zu bekommen? Und Fackeln dürfen wir nicht machen, weil diese uns verrathen würden.“

„Ein guter Prairiemann muß für alle Fälle vorbereitet sein. Ich habe mir für ähnliche Gelegenheiten eine hinreichende Anzahl von Zündhölzern aufbewahrt. Hier nehmt!“

„Bravo, Charley! Nun aber den Stampedo und dann zu unsern Pferden!“

„Halt, Sam, da sehe ich eben ein, daß ich ganz unverzeihlich dumm gewesen bin! Wir brauchen ja unsere Thiere gar nicht; hier gibt es deren mehr als genug. Ich nehme gleich hier diesen Braunen!“

„Und ich den Fuchs daneben. Vorwärts, die Lassos durchgeschnitten!“

Dies thaten wir, indem wir eiligst von einem Pferde zum andern schlüpften. Dann brannten wir das hinter den Thieren befindliche Gestrüpp an und stiegen auf. Die Flamme leckte bloß erst einige Zoll hoch empor und konnte von den Indsmen noch gar nicht gesehen werden; wir durften jetzt an das Werk gehen, ohne von ihrem Scheine verrathen zu werden.

„Wo treffen wir uns zum Beispiel?“ frug Sam.

„Droben an der Bahn stoßen wir wieder zusammen, aber nicht vor der Flamme, sondern zwischen den Feuern. Verstanden?“

„Sehr. Also go on, alter Fuchs!“

Das Lösen ihrer Fesseln hatte die Pferde bereits aufgeregt. Jetzt rochen sie den nahen Brand und sträubten die Mähnen. Mehrere bäumten sich schon, und der Ausbruch war also für jeden Augenblick zu erwarten. Ich ritt nach rechts ab in die Prairie hinein, schlug im Galopp einen Bogen mit einem Radius von beinahe einer englischen Meile, sprang fünfmal ab, um das Gras anzuzünden, und befand mich bereits wieder in der Nähe des Dammes, als mir einfiel, daß wir uns einer Gedankenlosigkeit ohne Gleichen schuldig gemacht hatten; wir waren der Eingebung des Augenblickes gefolgt, ohne an unsere eigenen Thiere zu denken.

Sofort riß ich mein Pferd herum und sprengte in gerader Linie auf den Ort zu, an welchem wir sie zurückgelassen hatten. Der Feuerkreis um uns beleuchtete jetzt jeden Gegenstand. Weit draußen in der Savanne war der Hufesdonner der durchgegangenen Pferde zu hören; in der Nähe erschallte ein Wuth- und Schreckensgeheul, wie es nur von indianischen Kehlen hervorgebracht werden kann; unter den Wagen des Zuges loderten mehrere kleine Flammen empor; ich hatte mich also in der Voraussetzung, daß die Wilden versuchen würden, sich durch Gegenfeuer zu retten, nicht geirrt; links da drüben hielt mein Mustang mit der langbeinigen Tony, und dort — wahrhaftig, dort kam Sam herbeigejagt, daß der Leib seines Pferdes beinahe den Boden berührte; auch er hatte sich im letzten Augenblick auf unsere Unterlassungssünde besonnen.

Aber unsere Tiere waren bereits auch von den Indianern bemerkt worden; eine ganze Anzahl von ihnen lief auf dieselben zu, und die zwei Schnellsten befanden sich nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Ich zog den Riemen der Büchse fester an, richtete mich im Sattel empor und griff zum Tomahawk. In tigergleichen Sätzen schnellte mein Pferd vorwärts, und ich gelangte mit den Zweien zugleich an. Ein Blick genügte, sie zu erkennen. Es waren die beiden Häuptlinge.

„Zurück, Ma-ti-ru; die Pferde sind mein!“

Er drehte den Kopf zu mir herum und erkannte mich.

„Old Shatterhand! Stirb, Du Kröte der Bleichgesichter!“

Er riß das Messer hervor; ein Sprung brachte ihn an die Seite meines Pferdes. Er holte zum Stoße aus, wurde aber von meinem Schlachtbeile so getroffen, daß er niederstürzte. Der Andere war bereits auf den Rücken meines Mustangs gesprungen, hatte aber nicht beachtet, daß derselbe doppelt gefesselt war.

„Ka-wo-mien, Du hast vorhin mit dem weißen Verräther von mir gesprochen; jetzt werde ich mit Dir reden!“

Er sah, daß er auf dem unlenkbaren Pferd verloren war, und glitt wieder von demselben herab, um hinter den Büschen zu verschwinden. Ich schwang den Tomahawk zum Schleudern um den Kopf, und die schwere Waffe traf ihn so auf den mit Adlerfedern geschmückten Schädel, daß auch er zusammenbrach. Jetzt sprang ich ab, griff zum Henrystutzen und wandte mich nach den Anderen zurück. Drei Schüsse warfen ebenso viele Wilde

nieder, dann war das Feuer bereits so nahe gekommen, daß keine Zeit zum weiteren Kampfe übrig blieb. Ich durchschnitt die Fesseln meines Mustangs und sprang auf; der Braune war schon auf und davon.

„Halloo, Charley, dort in die Lücke hinein!“ rief Sam.

Er erreichte eben jetzt den Platz, sprang von dem Fuchse, welcher unverweilt weiterjagte, auf seine Stute herüber, bückte sich von ihrem Rücken nieder, um den Riemen zu trennen, und jagte dann neben mir einer noch offenen Stelle zu, wo die Flammen sich noch nicht vereinigt hatten.

Wir kamen glücklich hindurch, schwenkten nach links hinter die Flammen ein und hielten an. Der Ort, an welchem wir uns befanden, war derjenige, an welchem ich mein drittes Feuer angefacht hatte. Der Boden sah vom Brande schwarz aus und hatte sich bereits wieder abgekühlt. Vor und hinter uns bezeichnete ein dunkler, schon ausgebrannter Streifen meinen vorhin eingeschlagenen Weg; zu beiden Seiten desselben aber wogte das Feuermeer und verbreitete eine Gluth, die den Sauerstoff der Luft in der Weise verzehrte, daß uns das Athmen beinahe zur Unmöglichkeit wurde.

Dieser die Brust beklemmende Zustand besserte sich jedoch von Minute zu Minute; die Luft kühlte sich desto mehr ab, je weiter das Feuer von uns wich, und nach kaum einer Viertelstunde glühte nur noch der Horizont in purpurnen Tinten. Um uns her aber lag die Prairie so schwarz, daß man kaum drei Schritte weit zu sehen vermochte, denn die Sterne waren durch Rauch verhüllt.

„Bless me, war das eine Höllengluth!“ meinte Sam. „Es soll mich wundern, wenn der Zug keinen Schaden gelitten hat.“

„Das glaube ich nicht. Die Wagen sind ja für solche Fälle eingerichtet, da es öfters vorkommt, daß ein Zug einen Wald- oder Savannenbrand passiren muß.“

„Was jetzt thun, Charley? Man hat uns bemerkt und wird nun auf der Hut sein.“

„Man sieht uns auch jetzt noch, da wir zwischen den Indsmen und dem lichten Horizonte stehen. Wir müssen in ihnen den Glauben erwecken, daß wir fortgehen. Vielleicht halten sie uns für detachirte Mitglieder einer Jägertruppe und nehmen an, daß wir eilen werden, die Unseren zum Entsatze der Ueberfallenen herbeizuholen. Wir halten im Galopp nach Norden, wenden uns dann nach Osten und kehren in einem Bogen zurück.“

„Das ist zum Beispiel ganz auch meine Meinung von der Sache, und ich glaube, daß sie ein solches Ende nimmt, welches einigen Rothen geringelte Ohren einträgt. Euer Tomahawk hat zum Beispiel vorhin auch wacker gearbeitet.“

„Und doch sind die Getroffenen nicht todt!“ erwiederte ich in trockenem Tone.

„Nicht todt? In wiefern denn zum Beispiel?“

„Ich habe sie mit dem Tomahawk nur betäubt.“

„Nur betäubt? Seid Ihr bei Trost oder nicht? Einen Indsman nur betäuben, wo er Einem so hiebgerecht unter das Beil kommt! Ihr bekommt es ja wieder von Neuem mit ihnen zu thun.“

„Und doch gibt es Gründe, von denen Ihr wohl einen wenigstens begreifen werdet.“

„Nein, keinen einzigen, Charley. Ich vermuthe, daß es die beiden Häuptlinge waren, und grad gegen diese darf erst recht keine Schonung gelten.“

„Ich war ihr Gefangener; sie konnten mich martern, mich tödten; aber sie thaten es nicht. Ich mußte ihre Güte mit Undank lohnen, als ich von ihnen floh, und gab deßhalb dem Tomahawk vorhin nur die halbe Kraft.“

„Nehmt mir’s nicht übel, Charley, aber das war zum Beispiel eine ganz schauderhafte Dummheit von Euch! Ja, wenn es Euch die Kerls Dank wüßten! Aber sie werden höchstens sagen, daß Old Shatterhand nicht einmal Mark genug im Arme hat, den Schädel eines Rothen richtig zu behandeln. Ich hoffe jedoch, daß das Feuer Euren Fehler ausgebessert hat.“

Während dieses laut herüber und hinüber gerufenen Gespräches jagten wir neben einander über die Prairie hin. Die alte Stute warf ihre Sechzigmeterbeine so wacker durch einander, daß sie mit meinem Mustang gleichen Schritt hielt, und es waren wirklich nur Minuten vergangen, als wir wieder bei der Bahn anlangten

und zwar an einem Punkte, welcher vielleicht eine Meile östlich von der Stelle lag, wo der Zug hielt. Hier hobbelten wir unsere Pferde an und schlichen uns dem Schienenstrange entlang dem Orte des Ueberfalles wieder zu.

Die Atmosphäre war von einem starken Brandgeruche erfüllt, und feine Asche deckte die weite Ebene. Der leise Wind hob die Asche empor und führte sie den Athmungswerkzeugen zu, und es war schwierig, den Hustenreiz zu besiegen, welcher an uns zum Verräther hätte werden können. Wir sahen ganz deutlich die beiden Lichter der Maschine. Weder auf der einen noch auf der andern Seite des Bahndammes war aber einer der Wilden zu bemerken. Wir krochen näher; ich blickte schärfer hin, und wirklich, was ich vermuthet hatte, war geschehen: sie hatten sich vor dem Feuer auf die Bahn und zwar unter die Waggons zurückgezogen. Dort lagen sie eng neben und hinter einander und getrauten sich nicht vor, weil sie sich dann den Kugeln der Weißen ausgesetzt hätten.

Da kam mir ein Gedanke. Die Ausführung desselben war schwierig, mußte aber jedenfalls eine durchschlagende Wirkung haben.

„Sam, gehe zurück zu den Pferden, daß sie uns nicht von den Indsmen genommen werden!“

„Pshaw! Die sind froh, daß sie sicheres Quartier haben!“

„Ich werde sie aus demselben vertreiben.“

„Mit der Büchse?“

„Nein.“

Ich erklärte ihm meinen Plan, und er nickte vergnügt.

„Well, Charley, das ist der richtige Gedanke. Macht nur schnell hinauf, daß sie Euch nicht während des Sprunges erwischen. Ich werde zum Beispiel im richtigen Augenblick mit den Pferden bei der Hand sein, und hihihihi, dann fahren wir unter sie, wie der Büffel unter die Coyoten!“

Er bewegte sich rückwärts, ich aber kroch hart am Boden weiter vor, das Messer immer in der Rechten haltend, um bei einer etwaigen Ueberraschung sofort zur Gegenwehr bereit zu sein. Ich kam glücklich und unbemerkt an der Stelle unten am Bahndamme an, wo oben die Locomotive stand. Die großen Treibräder und mein niedriger Haltepunkt verhinderten mich, zu sehen, ob auch unter der Maschine Indianer lägen. Ich schob mich an der Böschung empor und schnellte mich dann mit zwei raschen Sprüngen auf das „Feuerroß“.

Ein lauter Ruf erscholl unter mir; ich legte die Hand an, und im nächsten Augenblick setzte sich der Train nach rückwärts in Bewegung. Ein vielstimmiger Schrei, theils des Schmerzes

und theils der Ueberraschung erscholl. Als ich ungefähr dreißig Schritte zurückgelegt hatte, gab ich wieder Vordampf.

„Hund!“ rief es da neben mir, und eine Gestalt mit dem Messer in der Hand versuchte es, sich zu mir emporzuschwingen.

Es war der Weiße. Ein kräftiger Fußtritt vor seine Brust warf ihn hinab.

„Hier, Charley!“ hörte ich es jetzt rufen. „Schnell, schnell!“

Zur Linken von mir war Sans-ear auf seiner Tony, mein Pferd in der einen Hand am Zügel haltend, während er mit der anderen Hand zwei Wilde von sich abwehrte, und vor mir liefen diejenigen Indsmen, welche von den Rädern nicht verletzt worden waren, nach der Richtung hin, wo ihre Pferde gestanden hatten. Sie konnten doch unmöglich hoffen, daß sich die Thiere trotz des Feuers am Platze gehalten hatten.

Ich stoppte sofort, sprang herab und eilte auf die Gruppe zu. Die beiden Indianer waren durch den Zuruf Sam’s aufmerksam geworden; sie bemerkten mich augenblicklich und flohen. Ich schwang mich auf, und bald befanden wir uns im dicksten Haufen der Fliehenden. Es war dies kein so gefährliches Unternehmen, als es vielleicht scheinen könnte; die Indsmen waren von einem wahrhaft panischen Schrecken ergriffen worden, und als sie gar bemerkten, daß ihre Pferde verloren seien, stoben sie vor uns aus einander, wie ein furchtsames Rudel Wild, in welches die Meute des Jägers gebrochen ist.

Da hörte ich einen lauten Ruf aus Sams Munde:

„All devils, da ist Fred Morgan! Halloo, Du Satan, nieder mit Dir!“

Ich blickte hinüber und sah gegen den Schein des noch am Horizont lohenden Brandes, daß er zu einem gewaltigen Hiebe ausholte, der aber nicht traf, denn der Gegner duckte sich augenblicklich nieder und verschwand dann im Schwarme der Fliehenden.

Sam spornte seine Stute zu einem gewaltigen Satze, der sie und ihn in ihre Mitte brachte; weiter konnte ich das Intermezzo nicht verfolgen, da sich mir einige Rothhäute gestellt hatten, die mir wacker zu thun gaben, ehe sie sich wieder wandten.

Ich folgte ihnen nicht; es war Blut genug geflossen, und ich konnte sicher sein, daß es den Indianern nach dieser Lektion nicht in den Sinn kommen werde, wieder umzukehren. Um Sam ein Zeichen zu geben, von der Verfolgung abzulassen, die ihm nichts als Gefahr bringen konnte, ahmte ich so laut wie möglich das Geheul des Coyoten nach und ritt dann zu dem Zuge zurück.

Das Personal war ausgestiegen und suchte, während der Maschinist den Dampf ausströmen ließ, nach den Todten und Verwundeten. Der Conducter stand fluchend dabei. Als er mich erblickte, fuhr er wüthend auf mich zu:

„Was fällt Euch ein, Euch an der Maschine zu vergreifen und uns die Rothen zu vertreiben, die wir so fest hatten, daß wir sie bis auf den letzten Mann vertilgen konnten!“

„Slowly, slowly, sachte, sachte, Mann! Seid froh, daß sie fort sind, denn es hätte leicht kommen können, daß sie Euch hatten, statt Ihr sie. Gut genug dazu hattet Ihr es bereits eingefädelt!“

„Wer hat die Prairie angezündet?“

„Ich.“

„Seid Ihr verrückt! Und auch an mir habt Ihr Euch vergriffen! Wißt Ihr, daß ich Euch arretiren und der Court of justice überliefern kann?“

„Nein, das weiß ich nicht, aber ich gebe Euch recht gern die Erlaubniß dazu, Old Shatterhand vom Pferde herunterzuholen, in einen Waggon zu sperren und dem Gerichte zu übergeben; ich wäre doch neugierig, zu erfahren, wie Ihr das anfangt.“

Er schien einigermaßen in Verlegenheit zu gerathen.

„So ist’s nicht gemeint, Sir! Ihr habt allerdings einen dummen Streich begangen, aber den will ich Euch vergeben.“

„Danke, Sir! Es berührt das Herz ungemein wohlthuend, wenn die Mächtigen der Erde eine schöne Neigung zu Gnade und Barmherzigkeit verspüren lassen. Was werdet Ihr jetzt thun?“

„Was kann ich sonst thun, als die Schienen herstellen lassen und die Fahrt dann fortsetzen! Oder werden wir einen zweiten Angriff zu gewärtigen haben?“

„Denke es nicht, Sir. Eure Attaque war so ausgezeichnet ersonnen und ausgeführt, daß ihnen sicher die Lust vergehen wird, wiederzukommen.“

„Ihr wollt doch nicht etwa meiner spotten, Sir? Das möchte ich mir sehr streng verbitten. Ich konnte doch nicht dafür, daß es ihrer so Viele waren und daß sie sich auf unseren Angriff in solcher Weise vorbereitet hatten!“

„Ich hatte es Euch gesagt. Die Ogellallah’s wissen ihre Waffen vortrefflich zu gebrauchen. Seht hin; von Euren sechzehn Bahnarbeitern und zwanzig Milizmen sind nicht weniger als neun gefallen; ich habe das nicht zu verantworten. Und wenn Ihr bedenkt, daß ich und mein Kamerad nur zu Zweien die ganze Rotte in die Flucht getrieben haben, so könnt Ihr ungefähr vermuthen, wie es gegangen wäre, wenn Ihr mir statt Euch selbst gefolgt wäret.“

Er schien große Lust zu haben, mir zu widersprechen; es waren aber Andere hinzugetreten, welche mir Recht gaben, und so meinte er ziemlich kleinlaut:

„Bleibt Ihr noch hier, bis wir fort sind?“

„Das versteht sich! Ein rechter Westmann thut niemals halbe Arbeit. Macht Euch an’s Werk; zündet einige Feuer an, die euch dazu leuchten — Buschwerk ist ja genug dazu hier — und stellt einige Wachen aus für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Redmen sich ja noch einmal zurückwenden sollten.“

„Wollt Ihr das nicht übernehmen, Sir?“

„Was?“

„Die Wache.“

„Denke nicht. Ich habe genug für Euch gethan und noch genug Anstrengungen zu erwarten, während Ihr dahin geht, wo Ihr Euch pflegen könnt. Eure Strategie wird Euch schon sagen, wie Ihr den Postendienst am besten einzurichten habt.“

„Aber wir haben keine so scharfen und geübten Augen und Ohren wie Ihr!“

„Strengt sie an, Sir, strengt sie ein wenig an; dann seht und hört Ihr ebenso scharf wie ich! Den Beweis will ich Euch sogleich geben. Seid still, Ihr Leute, und horcht einmal nach links da hinaus! Hört ihr etwas?“

„Ja. Es kommt ein Pferd. Das ist sicher ein Wilder!“

„Pshaw! Glaubt ihr wirklich, daß ein Indsman so laut herbeigeritten kommt, um Euch zu überfallen? Es ist mein Maate, und ich rathe euch sehr, ihn höflich zu empfangen. Es ist Sans-ear, der keinen Spaß versteht!“

Allerdings war es Sam, der herbeigeritten kam und mit einer Miene von seiner Tony stieg, als ob er die ganze Welt erwürgen wolle.

„Hast Du mein Zeichen gehört?“ frug ich ihn.

Er nickte bloß und wandte sich an den Conducter:

„Seid Ihr der Mann, der so schöne Feldzugspläne aussinnen kann?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte naiv, so daß ich Mühe hatte, das Lachen zu unterdrücken.

„Well, Sir, dann mache ich Euch mein Kompliment, denn da hier meine alte Stute, die Tony, hat mehr Grütze im Kopfe, als Ihr jemals gesehen habt. Aus Euch kann noch etwas werden. Nehmt Euch nur in Acht, daß sie Euch nicht einmal gar zum Präsidenten wählen! Bleib, Tony; ich komme gleich wieder!“

Der brave Bahnbeamte stand ganz verblüfft da und wußte sichtlich gar nicht, was er sagen sollte. Selbst wenn er Worte gefunden hätte, so wäre es unmöglich gewesen, sie an den Mann zu bringen, denn Sans-ear war im Dunkel der Nacht verschwunden. Ich frug mich natürlich, was meinen guten Sam in so ganz außerordentlich schlechte Laune versetzt haben könne, und konnte nichts Anderes denken, als daß der Grund in jenem Fred Morgan liegen müsse. Jedenfalls war dies kein Anderer als der weiße Bushheader, den ich von der Locomotive gestoßen hatte. Wohin Sam jetzt gegangen war, konnte ich mir wohl denken; ich hätte baldigst ganz dasselbe gethan, hatte aber bisher noch keine Zeit dazu gehabt. Nach einigen Minuten kehrte er zurück. Ich hatte mich niedergesetzt und sah den Vorbereitungen zu, welche man beim Scheine der aufflammenden Feuer zur Reparatur des Bahngleises traf. Er nahm neben mir Platz; seine Miene war nicht freundlicher, sondern womöglich noch grimmbartiger geworden.

„Nun?“ fragte ich ihn.

„Was nun?“ herrschte er mich an.

„Sind sie todt?“

„Todt? Lächerlich! Wie können ein paar Indianerhäuptlinge todt sein, wenn Du ihnen auf den Kopf krabbelst wie einer Fliege, die gejuckt sein will! Weißt Du, was ich vorhin dem Conducter sagte?“

„Was?“

„Daß die Tony mehr Grütze im Kopf hat, als er.“

„Weiter!“

„Denke Dir es selbst! Die Tony hätte Ka-wo-mien und Ma-ti-ru zum Beispiel ganz todt geschlagen, statt nur halb. Sie sind fort!“

„Ist mir lieb!“

„Lieb? Das ist ja ganz pitiful, ganz und gar jammervoll, zwei solche Kerls laufen zu lassen, wenn man ihre Scalpe bereits in den Händen hat!“

„Ich habe Dir meine Gründe gesagt, Sam; drum laßt das Raisonniren! Sag’ lieber, was Dir die Laune so verdorben hat!“

„Well, ist auch darnach. Weißt Du, wen ich getroffen habe?“

„Fred Morgan.“

„Egad! Wer hat es Dir gesagt?“

„Du hast den Namen ja laut genug gerufen, als Du den Mann erkanntest.“

„So! Weiß nichts davon. Rathe, wer der Kerl ist!“

Bei dieser Frage und dem wuthig-erhitzten Benehmen des alten Jägers kam mir ein Gedanke.

„Doch nicht etwa gar der Mörder Deines Weibes und Deines Kindes!“

„Natürlich! Wer sonst?“

Ich fuhr empor.

„Das ist stark! Das ist viel! Hast Du ihn erwischt?“

„Entkommen ist mir der Hallunke; fort ist der Schuft, weg über alle Berge! Oh, ich könnte mir die Ohren herausreißen vor Grimm, wenn ich noch welche hätte!“

„Ich sah doch, wie Du ihm zu Pferde nachschnelltest, mitten unter die Indianer hinein!“

„Hat nichts geholfen, gar nichts. Ich habe ihn gar nicht wiedergesehen. Vielleicht hat er sich gar zur Erde geworfen, so daß ich an ihm vorübergeritten bin. Aber mein wird er, finden muß ich ihn! Die Pferde sind fort, und so können wir uns an die Fußspuren halten.“

„Wird eine schwierige Aufgabe sein! Zwar sind die Spuren eines Weißen recht gut von der Fährte eines Rothen zu unterscheiden, aber wer sagt Dir denn, daß er nicht klug genug ist, auch einwärts zu gehen, wie die Indianer? Und wird es auch immer ein Terrain geben, auf welchem die Fährte zu erkennen ist?“

„Hast Recht, Charley; aber was soll ich sonst thun?“

Ich griff in die Tasche und zog die zwei Beutel und die Papiere hervor, welche ich bei dem Pferde des Weißen gefunden hatte.

„Vielleicht finden wir hier einen Anhalt über das, was wir vorzunehmen haben.“

Ich öffnete die Beutel. Ganz in unserer Nähe brannte eines der Feuer; sein Schein fiel auf den Inhalt, den ich ganz deutlich zu erkennen vermochte. Ich stieß einen Ruf der Ueberraschung aus.

„Steine, ächte Steine, Diamanten! Sam, ich halte einen außerordentlichen Reichthum in den Händen!“

Ich hatte einst in den Bergen des Caplandes neben dem Zuluhäuptling Panda gestanden, als er mir und seinem Schwiegersohne, dem „Boer van het Roer“, einen Beutel voll schwarzer Capdiamanten zeigte; die Steine aber, welche ich jetzt in meinen Händen hielt, repräsentirten einen bei Weitem höheren Werth. Wo hatte sie dieser Bushheader her, und wie kamen sie mit ihm in die wilde Savanne? Auf eine rechtmäßige Weise konnte er sie nicht besitzen, das war sicher, und ich hatte unbedingt die Verpflichtung, den wahren Eigentümer ausfindig zu machen.

„Diamanten? ’s death, ist’s wahr? Zeigt her! Ich habe in meinem ganzen Leben zum Beispiel noch niemals das Glück gehabt, so ein theures Stückchen Erdreich zwischen meinen Fingern zu halten.“

Ich gab sie ihm hin.

„Es sind Brasilianer. Hier, schaut sie an!“

„Hm, was die Menschen doch für sonderbare Geschöpfe sind! Es ist doch nur Stein, nicht einmal ein rechtes, gutes Metall, nicht wahr, Charley?“

„Kohlenstoff, Sam, nichts als Kohlenstoff!“

„Kohlenstoff oder Coaks meinetwegen; ich gebe für den ganzen Kram hier mein altes Schießeisen nicht hin! Was wirst Du mit den Schlacken thun?“

„Sie dem rechtmäßigen Eigenthümer wiedergeben.“

„Und wer ist das?“

„Weiß es nicht, werde es aber wohl erfahren, denn ein so horribler Verlust wird nicht still ertragen, sondern in allen Zeitungen ausgeschrieben.“

„Hihihihi, so müssen wir gleich morgen abonniren; nicht, Charley?“

„Ist vielleicht gar nicht nöthig, am Ende finden wir in diesen Papieren irgend einen Aufschluß.“

„Da sieh doch zum Beispiel gleich einmal nach!“

Ich that es und fand zwei sehr gute Karten der Vereinigten Staaten und einen Brief, welchem das Couvert fehlte. Er lautete:

„Galveston den . . . . .

Lieber Vater!

Ich brauche Dich; komme so schnell wie möglich, ganz gleich, ob Dir Dein Streich mit den Steinen gelungen ist oder nicht. Reich werden wir auf alle Fälle. Mitte August triffst Du mich in der Sierra Rianca da, wo der Rio Pecos zwischen dem Skettel- und Head-Pik heraustritt. Das Weitere nur mündlich.

Dein

Patrik.“

Das Datum war bei Galveston abgerissen; ich konnte also nicht bestimmen, wann der Brief geschrieben worden war. Ich las ihn Sam vor.

„Behold,“ meinte dieser, als ich fertig war; „das stimmt, denn sein Bube heißt zum Beispiel gar nicht anders als Patrik, und grad diese Beiden fehlen mir noch zu meinen Zehn, die ich haben muß. Aber sag’, wie heißen die beiden Berge?“

„Der Skettel- und der Head-Pik.“

„Kennst Du sie?“

„Ein wenig. Ich war von Santa Fé aus in den Organosbergen, und da es in der Sierra Rianca und Sierra Guadelupe Bären geben sollte, so machte ich einen Abstecher dahin.“

„Und kennst Du auch den Rio Pecos?“

„Sehr gut.“

„Dann bist Du der Mann, den ich brauche. Wir wollten nach Texas und Mexiko und können uns nebenbei einige Schritte weiter nach rechts halten. Uebrigens wollte ich nur dorthin, weil ich zum Beispiel dachte, meine Leute dort zu finden; da sie uns aber so schön sagen, wo sie zu finden sind, so wäre ich ja ein Narr, wenn ich sie nicht einmal den alten Sans-ear mit seiner Tony sehen ließe. Gehst Du mit, wenn wir morgen früh keine Spur von diesem Fred Morgan finden?“

„Natürlich! Ich muß ihn haben, denn bei ihm werde ich am sichersten erfahren, wem die Steine gehören.“

„Dann steck diese Sachen wieder ein und laß uns sehen, was die Railroader machen!“

Der Conducter hatte meinem Rathe gemäß Wachen ausgestellt. Das Zugpersonal war nebst den Bahnarbeitern beschäftigt, den zerstörten Schienenweg wieder herzustellen, und die Passagiere standen theils dabei, um zuzuschauen, theils beschäftigten sie sich mit den Leichen der Gefallenen oder betrachteten uns Beide, deren Unterhaltung sie nicht zu stören wagten. Jetzt, da wir uns erhoben, traten Einige zu uns heran, um uns ihren Dank für unsere Theilnahme abzustatten. Sie waren verständiger als der Zugführer und fragten uns, in welcher Weise sie uns ihre Erkenntlichkeit in Form eines Geschenkes erweisen könnten. Ich bat, mir Pulver, Blei, Tabak, Brot und Zündhölzer kaufen zu dürfen, wenn etwas von diesen Artikeln vorhanden sein sollte, und sofort griff jeder in seinen Vorrath, so daß wir mehr als reichlich mit dem Gewünschten versehen wurden. Eine Bezahlung, welche rundweg abgeschlagen wurde, konnte ich natürlich nicht aufdrängen.

So verging die kurze Zeit, welche zur Reparatur von Nöthen war; die Werkzeuge wurden wieder aufbewahrt, und der Conducter trat zu uns.

„Wollt Ihr mit einsteigen, Mesch’schurs? Ich nehme Euch gerne eine Strecke mit, so weit es Euch gefällt.“

„Danke, Sir! Wir bleiben hier.“

„Ganz wie Ihr wollt. Ich habe natürlich über das heutige Ereigniß einen Bericht abzustatten und werde nicht verfehlen, Eurer ehrenvoll zu erwähnen; eine Belohnung wird dann jedenfalls nicht ausbleiben.“

„Danke; wird uns nichts nützen, da wir nicht im Lande bleiben!“

„Wem gehören die Trophäen, welche hier erbeutet werden?“

„Nach dem Gesetze der Savanne gehört alles Eigenthum des Besiegten dem Sieger.“

„Wir haben gesiegt, folglich können wir den Indsmen abnehmen, was sie bei sich tragen. Greift zu, Ihr Leute! Wir müssen doch Jeder ein Andenken an den heutigen Kampf aufzuweisen haben!“

Da trat Sam nahe zu ihm heran.

„Wollt Ihr uns wohl den Indianer zeigen, den Ihr besiegt und getödtet habt, Sir?“

Der Mann sah ihn einigermaßen verblüfft an.

„Wie meint Ihr das?“

„Wenn Ihr Einen getödtet habt, so könnt Ihr seine Habseligkeiten zum Beispiel an Euch nehmen, sonst aber nicht.“

„Sam, laß Ihnen das Vergnügen,“ wandte ich mich zu dem Gefährten, „wir brauchen ja nichts von Alledem!“

„Wenn Du meinst, so mag es sein; aber die Scalpe rührt Ihr uns nicht an!“

„Und den ermordeten Wärter nehmt Ihr mit, der da drüben liegt,“ fügte ich hinzu; „das ist ja Eure Schuldigkeit!“

Dieser Wunsch mußte mir natürlich erfüllt werden. Die todten Indianer wurden aufgesucht und ihrer Waffen und sonstigen Habseligkeiten beraubt; dann lud man die todten Weißen in einen Wagen — ein kurzer Abschied, und der Zug dampfte davon.

Einige Zeit lang noch vernahmen wir das immer schwächer werdende Rollen; dann waren wir wieder allein in der weiten, stillen Savanne.

„Was jetzt, Charley?“ fragte Sam.

„Schlafen.“

„Denkt Ihr nicht, daß die Indsmen zurückkehren, nun, da die tapfern Leute fort sind?“

„Ich vermuthe es nicht.“

„Sollte mich aber zum Beispiel wundern, wenn Fred Morgan nicht wiederkäme, um wenigstens den Versuch zu machen, sein Pferd und mit ihm die Steine wiederzufinden!“

„Möglich, aber wahrscheinlich nicht. Wer will ein Pferd, welches vor dem Feuer flieht, wiederfinden? Und dazu weiß er ja, daß außer den Railroaders noch andere Leute hier sind, vor denen er sich nicht sehen lassen darf, wenn er nicht die höchste Gefahr laufen will.“

„Er hat mich ebenso gut erkannt, wie ich ihn, und es sollte mich wundern, wenn er nicht Lust hätte, mir eine Kugel oder ein wenig scharfes Eisen zu geben!“

„Das müssen wir abwarten; heut aber sind wir jedenfalls sicher. Trotzdem können wir uns von der Bahn eine Strecke zurückziehen, welche groß genug für die Ueberzeugung ist, daß wir nicht gestört werden.“

„Well, also vorwärts!“

Er setzte sich auf; ich bestieg meinen Mustang, und wir ritten vielleicht eine englische Meile weit nach Norden. Hier machten wir Halt, hobbelten unsere Thiere an und wickelten uns in unsere Decken.

Ich war wirklich müde geworden und schlief sehr bald ein. Später war es mir einmal wie im Traume, als hörte ich den Zug von Ost nach West vorüberrollen; doch kam ich nicht zur rechten Munterkeit und schlief wieder ein.

(Fortsetzung folgt.)
Linie 439
(481)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial AAls ich erwachte und mich aus der Decke wickelte, war es noch sehr früh am Tage; dennoch saß Sam bereits vor mir und rauchte behaglich eine der Cigarren, die wir gestern Abend erhalten hatten.

„Good morning, Charley! Es ist wirklich ein Unterschied zwischen diesem Kraute und Deinen Patent-Smokers, deren Manufaktur Du dort unterm Sattel hast. Nimm Dir auch eine, und dann wollen wir an das Werk gehen. Auf das Frühstück müssen wir verzichten, bis wir Wasser finden.“

„Wenn wir es nur bald treffen; das ist wünschenswerth um unserer Pferde willen, die kein Futter haben. Uebrigens kann ich meine Cigarre auch zu Pferde genießen.“

Ich steckte mir eine an und hobbelte dann mein Pferd los.

„Wie reiten wir?“

„Eine Schneckenlinie von hier aus bis an den Ort, wo der Zug gestanden hat; da kann uns keine Spur entgehen.“

„Aber nicht nebeneinander.“

„Nein; wir nehmen natürlich genügenden Abstand. Vorwärts!“

Die feine Asche des niedergebrannten Grases hatte die Spuren der flüchtigen Ogellallah’s sehr deutlich aufgenommen, wie sich vermuthen ließ, aber der Luftzug hatte sie während der Nacht so vollständig verweht, daß nicht das Geringste zu bemerken war. So kamen wir endlich resultatlos an Ort und Stelle.

„Hast Du etwas gesehen, Charley?“

„Nein.“

„Ich auch nicht; der Kuckuck hole den Wind, der immer nur dann kommt, wenn er zum Beispiel gar nicht gebraucht werden kann! Hättest Du den Brief nicht gefunden, so wüßten wir wahrhaftig nicht, was wir anfangen sollten.“

„Also fort, nach dem Rio Pecos!“

„Well! Vorher aber will ich den Rothen sagen, wem sie zum Beispiel das gestrige Vergnügen zu verdanken haben.“

Während ich abstieg und mich auf den Damm ausstreckte, begann er sein trauriges Werk, an dem ich mich nicht zu betheiligen vermochte, und bald saßen die todten Indsmen zu Viert an einander, mit geringelten Ohren.

„Nun komm!“ meinte Sam. „Wir haben einen weiten Ritt bis zum nächsten Wasser, und ich bin begierig, zu erfahren, -

erfahren, wer ihn besser aushält, Dein Mustang oder meine alte Tony.“

„Dein Thier hat etwas weniger zu tragen als das meinige.“

„Well, Charley, etwas weniger Menschenfleisch, aber dafür etwas mehr Grütze. Mann, daß mir dieser Fred Morgan entkommen ist, dafür kann ich nicht; daß Du aber die beiden Häuptlinge nicht gehörig ausgelöscht habt, das vergebe ich Dir zum Beispiel erst dann, wenn Du mir den Morgan fangen hilfst!“ —

Die Stakemen.

Zwischen Texas, Arizona, Neu-Mexiko und dem Indianer-Territorium, oder anders ausgedrückt, zwischen den Ausläufern des Ozarkgebirges, der untern und der obern Sierra Guadelupe und den Gualpabergen, rings eingefaßt von den Höhen, welche den oberen Lauf des Rio Pecos und die Quellen des Red River, Sabine, Trinidad, Brazos und Colorado umgrenzen, liegt eine weite, furchtbare Strecke Landes, welche die „Sahara der Vereinigten-Staaten“ genannt werden könnte.

Wüste Strecken dürren, glühenden Sandes wechseln mit nackten, brennenden Felslagerungen, die nicht im Stande sind, auch nur der allerdürftigsten Vegetation die kärgsten Bedingungen des kürzesten Daseins zu bieten; schroff und unvermittelt folgt die kalte Nacht auf die Hitze des Tages; kein einsamer Dschebel, kein grünendes Wadi unterbricht wie in der Sahara die todte, einförmige Wüste; kein stiller Bir lockt mit seiner belebenden Feuchtigkeit eine kleine Oase hervor; sogar der durch den Steppencharakter vermittelte Uebergang von den reichbewaldeten Berggebieten zur leblosen Wildniß fehlt gänzlich, und der Tod tritt dem Auge allüberall unverhüllt in seiner fürchterlichsten Gestalt entgegen. Nur hier und da steht — man weiß nicht, durch welche Kraft hervorgerufen und erhalten — ein einsamer, lederartiger Mezquite-(Gummi-) Strauch, gleichsam zum Hohne für den nach einem grünen Punkte sich sehnenden Blick, und ebenso erstaunt trifft man zuweilen auf eine wilde Cactusart, die entweder wenige einzelne Exemplare oder Gruppen bildet oder auch weite, ausgedehnte Flächen eng bestandet, ohne daß man sich ihr Dasein enträthseln und erklären kann. Aber weder der Mezquite noch der

Cactus gibt einen erfreulichen, wohlthuenden Anblick; graubraun ist ihre Farbe und unschön ihre Gestalt; sie werden von dickem Sandstaube bedeckt, und wehe dem Pferde, dessen Reiter so unvorsichtig ist, es in eine solche Cactusoase zu lenken! Es wird von den haarscharfen, stahlharten Stacheln so an den Füßen verwundet, daß es nie wieder gehen lernt. Der Reiter muß es sofort aufgeben, und es kommt sicher elend um, wenn er es nicht tödtet.

Trotz aller Schrecken, welche diese Wüste bietet, hat es doch der Mensch gewagt, sie zu betreten. Es führen Straßen durch sie, hinauf nach Santa Fé und Fort Union, hinüber nach dem Paso del Norte und hinunter in die wohlbewässerten Prairien und Wälder von Texas. Aber bei diesem Worte „Straße“ darf man nicht an den Wegebau denken, welcher in civilisirten Ländern diese Bezeichnung trägt. Wohl reitet ein einsamer Jäger oder Rastreador, eine Gesellschaft kühner Wagehälse oder ein zweideutiger Pulk Indianer in schnellster Eile durch die Wüste; wohl knarrt ein schneckengleich langsamer Ochsenkarrenzug durch die trostlose Einöde, aber einen Weg gibt es nicht, nicht einmal jene viertelstundenbreit aus einander gehenden Gleise, wie man sie in der Lüneburger Haide oder in dem Sande Brandenburg’s findet; Jeder reitet oder fährt seine eigene Bahn, so lange ihm der Boden noch einige wenige Merkmale bietet, an denen er erkennen kann, daß er überhaupt sich noch in der richtigen Richtung befindet. Aber diese Merkmale hören nach und nach selbst für das geübteste Auge auf, und von da an hat man die Maßregel getroffen, diese Richtung vermittelst Pfählen zu bezeichnen, welche von Zeit zu Zeit in den Boden gesteckt worden sind.

Dennoch aber fordert die Wüste ihre Opfer, welche, die Größenverhältnisse in Betracht gezogen, viel zahlreicher und auch schrecklicher sind, als diejenigen, welche die Sahara Afrika’s und die Schamo Hochasien’s als furchtbaren Tribut entgegennehmen. Menschenleichen, Tierkadaver, Sattelfragmente, Wagenreste und andere schauerliche Ueberbleibsel liegen am und im Wege und erzählen stumme Geschichten, die zwar das Ohr nicht hören, aber das Auge desto deutlicher bemerken kann. Und darüber schweben hoch in den Lüften die Aasgeier, welche jeder lebenden Bewegung, die sich unten zu erkennen gibt, mit beängstigender Ausdauer folgen, als wüßten sie, daß ihnen ihre sichere Beute nicht entgehen kann.

Und wie heißt diese Wüste? Die Bewohner der umliegenden Territorien geben ihr verschiedene, bald englische, bald französische oder spanische Namen; weithin aber ist sie wegen der eingerammten Pfähle, welche den Weg bezeichnen sollen, als Llano estaccado ) be­kannt. — — —

In der Richtung von den Zuflüssen des Red River her nach der Sierra Rianca zu ritten zwei Männer, deren Pferde fürchterlich ermüdet schienen. Die armen Thiere waren beinahe bis auf die Knochen abgemagert, sahen struppig aus, wie ein Vogel, der am nächsten Morgen todt im Käfig liegen wird, und schleppten ihre kraftlosen Glieder, bei jedem Schritte stolpernd, so langsam fort, daß man jeden Augenblick ihr Zusammenbrechen erwarten konnte. ihre Augen waren blutig roth unterlaufen; die Zunge hing ihnen trocken zwischen den Lefzen hervor, die ihre Spannkraft vollständig verloren hatten, und trotz der sengenden Tageshitze war an ihrem ganzen Körper kein einziger Tropfen Schweißes und an dem Gebisse kein winziges Flöckchen Schaum zu bemerken, ein Zeichen, daß außer dem von der Wüstengluth eingedickten Blute nicht eine Spur von Feuchtigkeit mehr in dem Körper zu finden sei.

Diese beiden Pferde waren die Tony und mein Mustang, und folglich konnten die Reiter wohl kaum Andere sein, als der kleine Sam und ich. Wir hatten die Apacheria durchritten, jenen Boden, den der Liebhaber von Abenteuerromanen beinahe klassisch nennen könnte, da der berühmte „Waldläufer“ von Gabriel Ferry auf demselben spielt, und mich selbst mußten diese weiten, vom Rio Gila durchzogenen Gründe auf das Lebhafteste interessiren, da ich diesen „Waldläufer“ vor Kurzem erst im Gewande einer Umarbeitung aus dem Französischen in das Deutsche übertragen hatte. Dies war auch der Grund gewesen, weßhalb ich mich in den Wigwams der Apachen etwas länger aufgehalten hatte, als vorher bestimmt war.

)Estaccado heißt abgesteckt.

Unsere Thiere hatten davon ganz bedeutend profitirt, denn neben der Ruhe waren ihnen die saftigen Gräser der Savanne so gut bekommen, daß die alte Tony ein ordentlich feistes Aussehen gewonnen hatte und mein Mustang kaum mehr zu bändigen gewesen war. Und jetzt, nach wenigen Tagen, welche in Unterschied! Fünf Tage ritten wir bereits durch die Llano estaccado, in welcher wir erst hier und da noch einiges Wasser getroffen hatten; jetzt aber gab es weit und breit keine Spur mehr davon, und ich hatte den Gedanken nicht von mir weisen können, wie praktisch die Ueberführung von numidischen Kameelen in diese Wüste sein würde. Jetzt nun fielen mir Uhland’s Worte ein:

„Den Pferden war’s so schwach im Magen,

Fast mußte der Reiter die Mähre tragen;“

aber an die Ausführung des letzten Verses, selbst wenn sie sonst möglich gewesen wäre, konnte gegenwärtig nicht gedacht werden, da sich die Reiter ganz und genau in demselben hoffnungslosen Zustande befanden, wie ihre Thiere.

Der kleine, zusammengetrocknete Sam hing auf dem Halse seiner Stute, als werde er nur durch einen glücklichen Zufall auf dem Pferde festgehalten; sein Mund war geöffnet, und seine Augen zeigten jenen stieren, seelenlosen Blick, der die Nähe der vollständigen Apathie erkennen läßt. Mir selbst war es, als seien die Lider mit Blei beschwert; der Schlund war so trocken, daß ich kein Wort zu sprechen versuchte, grad als ob jeder Laut mir die Kehle zersprengen oder aufreißen müsse, und durch die Adern glühte es, wie flüssiges Erz. Ich fühlte, daß es kaum noch eine Stunde dauern könne, bis wir vom Pferde sinken und verschmachtend liegen bleiben würden.

„Was — — ser!“ stöhnte Sam.

Ich erhob den Kopf. Was sollte ich antworten? Ich schwieg. Da stolperte mein Pferd und blieb stehen; ich gab mir die möglichste Mühe, aber es war nicht weiter fortzubringen. Die alte Tony folgte augenblicklich diesem Beispiele.

„Absteigen!“ meinte ich, und jeder einzelne Laut dieses Wortes that meinen Stimmwerkzeugen wehe. Es war, als sei der Sprachgang von der Lunge bis zu den Lippen mit Tausenden von Nadeln besteckt.

Ich kroch vom Pferde, nahm es beim Zügel und schritt schwankend voran; es folgte mir langsam, von seiner Last befreit. Sam zog seine Rosinante hinter mir her, war aber augenscheinlich noch matter als ich. Er taumelte förmlich und drohte bei jedem Schritte umzusinken. So schleppten wir uns wohl noch eine halbe englische Meile weiter, bis ich einen lauten Seufzer hinter mir hörte. Ich sah mich um. Mein guter Sam lag im Sande und hatte die Augen geschlossen. Ich trat zu ihm und setzte mich bei ihm nieder, still und wortlos, denn keine Rede konnte unsere Lage ändern.

Das also sollte der Abschluß meines vielbewegten Lebens, das Ziel meiner Wanderungen sein! Ich wollte denken an die Eltern, an die Geschwister daheim im fernen Deutschland, wollte meine Gedanken zum Gebete sammeln — es ging nicht, denn mein Gehirn kochte. Wir waren die Opfer eines unerhört grausamen Kunstgriffes, der vor uns bereits gar Manchem das Leben gekostet hatte.

Von Santa Fé herab und dem Pase [Paso] del Norte herüber kommen häufig Trupps von Goldsuchern, die in den Minen und Diggins von Californien glücklich gewesen sind und nun mit dem Ertrage ihrer Arbeit nach dem Osten wollen. Sie haben die Llano estaccado zu durchschneiden, und hier ist es, wo grad ihrer eine Gefahr lauert, die ihren Ursprung nicht in den Boden- und klimatischen Verhältnissen hat und neben ihnen dann auch noch Andere trifft. Leute, welche in den Minen unglücklich gewesen sind und die Lust an ehrlicher Arbeit verloren haben, heruntergekommene Subjekte, die der Osten ausspeit, die Vertreter aller möglichen Corruption, ziehen sich am Saume des Estaccado zusammen, um den Goldsuchern aufzulauern. Da diese meist kräftige, abgehärtete Gestalten sind und ihren Muth in tausend Drangsalen und Kämpfen erprobt haben, so ist es auf alle Fälle gefährlich, mit ihnen anzubinden. Daher sind die Freibeuter auf eine Idee gekommen, welche grausamer und infamer nicht gedacht werden kann: sie nehmen nämlich die den Weg weisenden Pfähle fort und stecken sie in einer falschen Richtung ein, welche den Reisenden

in das tiefste Grauen der Wüste führt und ihn dem Tode des Verschmachtens in die Arme bringt. Dann wird es ihnen leicht, sich das Eigenthum der Todten ohne sonderliche Mühe und Gefahr anzueignen, und die Gebeine von Hunderten bleichen auf diese Weise in tiefer Einsamkeit im Sonnenbrande, während ihre Angehörigen daheim vergeblich auf die Rückkehr warten und nie im Leben wieder etwas von ihnen zu hören bekommen.

Wir waren bisher den Pfählen mit Vertrauen gefolgt, und erst heut gegen Mittag hatten mir der Kompaß gesagt, daß sie uns in eine falsche Richtung führten. Seit wann wir vom richtigen Kurse abgewichen waren, wußte ich nicht; umzukehren war daher nicht gerathen, zumal unser Zustand uns jede Minute theuer werden ließ. Wir waren, statt nach Südwest, nach Südost gegangen; daher hatte ich es für das Gerathenste gehalten, nach West umzubiegen und dieser Richtung so lange zu folgen, bis wir aus irgend einem Anzeichen erkennen würden, daß wir die rechte Straße wieder erreicht hätten.

Mit dieser Hoffnung war es jetzt allerdings vorbei. Sam konnte unmöglich weiter, und auch ich wäre wohl kaum noch eine Meile fortgekommen, selbst wenn ich meine wenige noch übrige Kraft bis auf das Aeußerste hätte anstrengen mögen. Es war gewiß: noch lebend befanden wir uns bereits im Grabe, wenn uns nicht irgend ein glücklicher Umstand zur Hülfe kam, und das mußte bald geschehen.

Da erscholl hoch über mir ein schriller, heiserer Schrei. Ich blickte empor und gewahrte einen Geier, welcher sich augenscheinlich erst vor Kurzem und zwar ganz in der Nähe von der Erde erhoben hatte. Er beschrieb einen Kreis über uns, als betrachte er uns bereits als seine gewisse, unentrinnbare Beute. Es mußte sich nicht weit von uns ein Opfer der Wüste oder der Stakemen 1), wie die Räuber der Estaccado genannt werden, befinden, und ich warf den Blick in die Runde, um vielleicht eine Spur davon zu entdecken.

Obgleich die Hitze der Sonne und des Fiebers das Blut in die Gefäße meiner Augen trieb, so daß sie schmerzten und ihren Dienst versagen wollten, gewahrte ich doch in der Entfernung von ungefähr tausend Schritten einige Punkte, welche weder Steine noch sonstige Erhöhungen sein konnten. Ich nahm meine Doppelbüchse und bemühte mich, näher zu kommen.

Noch hatte ich die Hälfte der Entfernung nicht zurückgelegt, so erkannte ich drei Coyoten 2) und, etwas weiter von ihnen, einige Geier. Die Thiere saßen rund um einen Körper, den ich nicht genau erkennen konnte. Es mußte ein Thier oder ein Mensch sein, der noch nicht ganz todt war, sonst hätten sich die gefräßigen Geschöpfe längst in seine Leiche getheilt. Gleichwohl erfüllte mich die Gegenwart der Coyoten mit einem Anfluge von Hoffnung, da diese Thiere, welche nicht lange ohne Wasser zu leben vermögen, sich nicht weit in die unwirthbaren Strecken der Wüste hineinwagen können. Uebrigens mußte ich sehen, welcher Art der Körper war, den sie umringt hielten, und schon erhob ich den Fuß, um weiter zu gehen, als mir ein Gedanke kam, der mich schnell die Büchse in Anschlag bringen ließ.

Wir waren dem Verschmachten nahe; Wasser gab es hier nicht, aber konnte uns nicht das Blut dieser Thiere wenigstens einigermaßen eine Erquickung bringen? Ich legte also an, aber meine Schwäche und das Fieber waren so groß, daß die Mündung des Gewehres um mehrere Zoll weit hin und her wankte. Ich ließ mich also nieder, stemmte den Arm auf das Knie und hatte nun einen sicheren Schuß.

Ich drückte los und noch einmal; — zwei Coyoten wälzten sich im Sande; dieser Anblick ließ mich alle meine Schwäche vergessen, und im eiligen Laufe rannte ich hinzu. Der eine Wolf war durch den Kopf getroffen, der andere Schuß war so schülerhaft ausgefallen, daß ich mich dessen Zeit Lebens geschämt hätte, wenn mein Zustand nicht ein so krankhafter gewesen wäre. Die Kugel hatte dem zweiten, aufspringenden Thiere die beiden Vorderbeine zerschmettert, so daß es sich heulend im Sande wälzte.

Ich zog das Messer, öffnete dem ersten Wolfe die Halsader und sog mit den Lippen das Blut mit einer Begierde ein, als ob es olympischer Nektar sei; dann nahm ich den Lederbecher -

1)Pfahlmänner.

2)Wölfe, aber mehr der feigen Hyäne als unserem Wolfe ähnelnd.

Lederbecher vom Gürtel, ließ ihn voll laufen und trat zu dem Manne, welcher wie todt in der Nähe lag. Es war ein Neger, und kaum hatte ich den Blick in sein jetzt nicht schwarzes, sondern schmutzig dunkelgraues Gesicht geworfen, so hätte ich vor Ueberraschung beinahe den Becher fallen lassen.

„Bob!“

Er öffnete bei diesem Rufe die Augenlider ein wenig.

„Wasser!“ seufzte er.

Ich kniete neben ihm nieder, hob seinen Oberleib empor und hielt ihm die Schale an den Mund.

„Trinke!“

Er öffnete die Lippen, aber sein ausgetrockneter Schlund vermochte kaum mehr zu schlucken, und es dauerte lange, ehe ich ihm die ekelhafte Flüssigkeit eingeflößt hatte. Dann sank er wieder hintenüber.

Jetzt mußte ich an Sam denken. Ich hatte mit Vorbedacht zuerst das Blut des tödlich getroffenen Coyoten genommen, denn dieses mußte eher gerinnen als dasjenige des andern, der bloß äußerlich verletzt war.

Ich trat zu ihm, und obgleich das Tier wüthend nach mir biß, schonte ich doch jetzt noch sein Leben, faßte es beim Genick und schleppte es bis zu Sans-ear hin. Dort drückte ich es zur Erde, daß es sich nicht zu bewegen vermochte, und öffnete ihm die Ader.

„Sam, hier trink!“

Er hatte in vollständiger Apathie am Boden gelegen; jetzt aber richtete er sich auf.

„Trinken? Oh!“

Hastig ergriff er den Becher und leerte ihn mit einem Zuge. Ich nahm ihm denselben aus der Hand und füllte ihn nochmals; Sam trank ihn zum zweiten Male aus.

„Blut, fie —! Ah, brrr, ooooh, das ist besser, als man denken sollte!“

Ich schlürfte die wenigen Tropfen, welche es noch gab, und sprang dann auf. Der entflohene dritte Coyote war zurückgekehrt und machte sich trotz der Anwesenheit des Negers mit seinem todten Genossen zu schaffen. Ich lud meine Büchse wieder, pürschte mich näher und schoß ihn nieder. Mit Hülfe seines Blutes brachte ich den Schwarzen so weit, daß er zur völligen Besinnung und zum Gebrauche seiner Glieder kam.

Der Reisende hat sehr oft Begegnungen zu verzeichnen, welche geradezu wunderbar erscheinen müssen; eine solche war mein jetziges Zusammentreffen mit dem Neger, den ich sehr gut kannte. Ich hatte in dem Hause seines Herrn, des Juweliers Marshall in Louisville, eine mehrtägige Gastfreundschaft genossen und damals den treuen, stets lustigen Schwarzen lieb gewonnen. Die zwei Söhne des Juweliers hatten mit mir einen Jagdausflug in die Cumberlandsberge gemacht und mich dann an den Mississippi begleitet. Beide waren prächtige Jungens gewesen, deren Gesellschaft mir behagte, obgleich ich mich sonst nicht rühmen kann, eine allzu große Sympathie für das „sehr moralische Volk“ der Yankees zu besitzen. Wie nun kam Bob, der alte weißhaarige Schwarze, hierher in die Llano estaccado?

„Geht es jetzt besser, Bob?“ fragte ich ihn.

„Besser, sehr besser, oh, ganz besser.“ Er stand auf und schien mich erst jetzt zu erkennen. „Massa, sein es möglich? Massa Charley, der ganz’ viel’ groß’ Jäger! Oh, Nigger Bob sein froh, daß treffen Massa, denn Massa Charley retten Massa Bern’, der sonst sein todt, ganz viel todt.“

„Bernard? Wo ist er?“

„O, wo sein Massa Bern’?“ Er blickte sich um und zeigte nach Süden. „Massa Bern’ sein dort! Oh nein, sein dort — oder dort — oder dort!“ Er drehte sich dabei um seine eigene Achse und zeigte nach West, Nord und Ost. Der gute Bob konnte selbst nicht sagen, wo sein junger Massa sei.

„Was thut Bernard hier in der Llano estaccado?“

„Was thun? Bob nicht wissen das, denn Bob doch nicht sehen Massa Bern’, der sein fort mit all ander Massa.“

„Wer sind die Leute, mit denen er reist?“

„Leute sein Jäger, sein Kaufmann, sein — — oh Bob nicht alles wissen!“

„Wo wollte er hin?“

„Nach Californ’, nach Franzsico zu jung Massa Allan.“

„So ist Allan in Franzsico?“

„Massa Allan dort sein, kaufen groß viel Gold für Massa Marshal. Aber Massa Marshal nicht mehr brauchen Gold, weil Massa Marshall sein todt.“

„Master Marshal ist gestorben?“ frug ich erstaunt, denn der Juwelier war damals noch außerordentlich rüstig gewesen.

„Ja, aber nicht todt von Krankheit, sondern todt von Mord.“

„Ermordet ist er worden?“ rief ich entsetzt. „Von wem?“

„Bob nicht wissen Mörder, auch Niemand wissen Mörder. Mörder kommen in Nacht, stoßen Messer in Brust von Massa Marshal und nehmen mit all Stein’, Juwel’ und Gold, was gehören Massa Marshal. Wer Mörder sein und wohin Mörder gehen, das nicht wissen Sheriff, auch nicht Jury, auch nicht Massa Bern’ und auch nicht Bob.“

„Wann ist dies geschehen?“

„Das war sein vor viel’ Woch’, vor viel’ Monat’, fünf Monat’ nun vorbei. Massa Bern’ sein werden ganz viel arm; Massa Bern’ schreiben an Massa Allan in Californ’, aber nicht erhalten Antwort und darum selbst gehen nach Californ’, um zu suchen Massa Allan.“

Das war nun allerdings eine fürchterliche Nachricht, welche ich hier erhielt. Ein Raubmord hatte das Glück dieser so außerordentlich braven Familie zerstört, dem Vater das Leben gekostet und seine beiden Söhne in Armuth gestürzt. Alle Steine und Juwelen waren verschwunden? Ich mußte unwillkürlich an die Diamanten denken, welche ich Fred Morgan abgenommen hatte und noch immer bei mir trug. Aber was konnte den Thäter von Louisville weg in die Prairie treiben?

„Wie seid Ihr gereist?“ fragte ich weiter.

„Von Memphis nach Fort Smith und dann über das Gebirge nach Preston, Massa. Bob sein ’fahren, ’reiten, ’laufen bis in groß’, furchtbar’ Wüste Estaccad’, wo Niemand mehr haben find Wasser. Da werden müd Pferd und Bob; da haben Durst groß wie Mississippi Pferd und Bob; da fallen Bob vom Pferd, Pferd laufen fort und Bob bleiben liegen. Nun ganz groß’ sehr Noth haben Bob und sterben vor Durst immer mehr, bis kommen Massa Charley und geben Bob Blut in Mund. O, Massa, retten Massa Morgan [Marshal], und Bob haben lieb Massa Charley so groß, so viel wie ganze Welt in ganze Erde!“

Das war nun allerdings ein Verlangen, für dessen Erfüllung ich auch nicht die mindeste Hoffnung haben konnte. Woher das Vertrauen des Negers kam, konnte ich nicht sagen, und zu entsprechen vermochte ich demselben vielleicht eben so wenig. Dennoch fragte ich weiter:

„Wie stark war eure Gesellschaft?“

„Sehr groß stark, Massa; neun Männer und Bob.“

„Wohin wolltet ihr zunächst?“

„Das Bob nicht wissen. Bob immer reiten hinterher und nicht hören, was viel’ Massa sagen.“

„Du hast ein Messer und einen Säbel. Hattet ihr alle Waffen?“

„Nicht groß’ Kanone und Haubitz, aber viel Flint und Büchs und Messer und Pistol und Revolver.“

„Wer war euer Führer?“

„Ein Mann, heißen Williams.“

„Erinnere Dich noch einmal genau, wohin sie geritten sind, als du vom Pferde fielst!“

„Weiß nicht mehr. Dahin, hierhin, dorthin.“

„Wann war es? Zu welcher Tageszeit?“

„Es sein Abend bald und — ah, oh, jetzt wissen Bob: Massa Bern’ reiten grad in Sonne hinein, als Bob fallen vom Pferd.“

„Gut! Kannst du wieder gehen?“

„Bob laufen wieder wie Hirsch; Blut sein gut’ Arznei für durstig.“

Wirklich hatte auch mich der seltsame Trunk so erquickt, daß alles Fieber aus meinen Gliedern gewichen war, und neben mir stand jetzt der kleine Sam, der dieselbe glückliche Aenderung verspürte. Er war herbeigekommen, um uns zuzuhören, und sah um mehrere Hunderte von Prozenten besser aus als vor noch kaum fünf Minuten.

Die Gesellschaft, in welcher sich Bernard Marshal befunden hatte, mußte ebenso erschöpft gewesen sein wie wir, sonst hätte der

wackere junge Mann seinen treuen Diener sicherlich nicht im Stiche gelassen. Vielleicht hatten Durst und Fieber so in seinen Eingeweiden gewühlt, daß er gar nicht mehr Herr seiner Gedanken und Sinne gewesen war. Die letzte Angabe Bob’s ließ mich vermuthen, daß er seine Richtung, ebenso wie wir, nach Westen hatte; aber, wie ihn erreichen, wie ihm Hülfe bringen, da wir dieser Hülfe selbst so sehr bedurften und nicht im Stande waren, unsere Pferde zu gebrauchen?

Ich sann und sann, konnte aber zu keinem rettenden Gedanken kommen, obgleich ich annehmen mußte, daß die Gesellschaft nicht weit gelangt sein könne. Wie aber kam es, daß keine Spur von ihr zu bemerken war?

Ich wandte mich zu Sam:

„Bleibe hier bei den Pferden, die sich vielleicht so weit erholen, daß sie später noch eine Meile laufen können. Bin ich in zwei Stunden noch nicht zurück, so folgst du meiner Spur.“

„Well, Charley; wirst nicht allzuweit kommen, denn dieser kleine Schluck Coyotensaft kann zum Beispiel unmöglich lange anhalten.“

Ich untersuchte den Boden und fand, daß die Spuren Bob’s von dem Orte, an welchem er gelegen hatte, nach Norden gingen. Ihnen folgend, gelangte ich nach ungefähr zehn Minuten an eine Stelle, wo die Fährte von zehn Pferden von Ost nach Westen lief. Hier hatte ihn die Mattigkeit von seinem Thiere geworfen, ohne daß man es bemerkt zu haben schien; vielleicht war er eine gute Strecke hinter seinem Trupp zurück gewesen. Ich folgte den Spuren und fand, daß sein Thier den andern gefolgt war, doch schienen sämmtliche Pferde entsetzlich müde gewesen zu sein, denn alle hatten von Zeit zu Zeit gestolpert, und ihr Gang war so schleppend gewesen, daß sie von Schritt zu Schritt mit den Schärfen ihrer Hufe leicht über den Sand gestrichen waren.

Dies machte die Spuren außerordentlich kenntlich, so daß ich ihnen ohne alle Mühe schnell zu folgen vermochte. Ich sage „schnell“, und es ging auch schnell, obgleich ich heute noch nicht zu sagen vermag, ob der grausige Trunk oder die Besorgniß um Bernard Marshal mir so plötzlich diese unerwarteten Kräfte verlieh.

So war ich wohl eine Meile weit vorangekommen, als ich einige vereinzelt stehende Cactusstauden bemerkte, die so vollständig abgedorrt waren, daß sie beinahe eine gelbe Farbe angenommen hatten. Nach und nach standen sie in einzelnen Gruppen, welche allmälig immer häufiger wurden, bis sie endlich eine unabsehbare und geschlossene Strecke bildeten, welche sich weit bis über die Linie des Horizontes hinüberzog.

Natürlich ging die von mir verfolgte Fährte nicht in die gefährlichen Gewächse hinein; sie führte um dieselben herum, und ich folgte ihr, doch nicht lange, denn plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich sofort mit neuen Kräften erfüllte.

Wenn in den glühenden Niederungen der Halbinsel Florida die jedes Wasser verzehrende Hitze so groß wird, daß Mensch und Thier verschmachten will, und dennoch die Erde bleibt wie „flüssiges Blei und der Himmel wie glühendes Erz“, ohne die kleinste Wolke sehen zu lassen, so stecken die verschmachtenden Leute das Schilf und alles sonstige ausgedorrte Gesträuch in Brand, und siehe da, der Regen kommt. Ich selbst hatte dies zweimal beobachtet, und wer einigermaßen mit den Gesetzen, Kräften und Erscheinungen der Natur vertraut ist, kann sich den Vorgang ganz gewiß erklären, ohne eine wissenschaftliche Erörterung zu verlangen.

Hieran dachte ich in diesem Augenblick; kaum war’s gedacht, kniete ich auch bereits bei den Pflanzen, um mir mit dem Messer die nöthigen Zündfasern abzuschleißen. Einige Minuten später flackerte ein lustiges Feuer empor, welches erst langsam und dann immer schneller weiter um sich griff, bis ich endlich vor der Fronte eines Gluthmeeres stand, dessen Grenzen nicht abzusehen waren.

Ich hatte bereits mehrere Prairiebrände erlebt, keiner aber war mit diesem donnernden Getöse über den Boden geschritten wie diese Cactushölle, in welcher die einzelnen Pflanzen mit Büchsenschuß ähnlichem Knalle platzten, so daß es klang, als habe sich ein ganzes Armeecorps zum Einzelgefechte aufgelöst. Die Lohe stieg himmelan, und über ihr webte und zitterte ein Meer von glühenden Dünsten, durchschossen und durchflogen von den Cactussplittern, welche von der Hitze wie Pfeile empor geschnellt

wurden. Der Boden zitterte merklich unter meinen Füßen, und in den Lüften hallte es dumpf wie das Getöse einer Schlacht.

Das war die beste Hilfe, welche ich — wenigstens jetzt — Bernard Marshal und den Seinen bringen konnte. Ich kehrte zurück, unbesorgt, ob ich ihre Spuren später sehen würde oder nicht. Die Hoffnung stärkte mich so, daß ich zu dem Wege kaum eine halbe Stunde gebraucht hätte; doch war es nicht nöthig, denselben ganz zurückzulegen, denn bereits auf der Hälfte desselben kam mir Sam mit Bob und den beiden Pferden, welche sich wieder ein wenig fortzuschleppen vermochten, entgegen.

„Zounds, Charley, was ist denn eigentlich da vorn los? Erst dachte ich, wir hätten ein Erdbeben, jetzt aber glaube ich zum Beispiel, daß dieser höllische Sand gar noch in Brand gerathen ist.“

„Der Sand nicht, Sam, aber der Cactus, welcher dort in Menge steht.“

„Wie fängt der Feuer? Ich glaube doch nicht, daß Du ihn angezündet hast.“

„Warum nicht?“

„Wahrhaftig, er ist’s gewesen! Aber sage doch, Mensch, zu welchem Zwecke!“

„Um Regen zu bekommen.“

„Regen? Nimm es mir nicht übel, Charley, aber ich glaube, Du bist zum Zeitvertreibe ein wenig übergeschnappt!“

„Weißt du nicht, daß bei manchen Wilden die Uebergeschnappten für sehr gescheite Leute gelten?“

„Ich hoffe nicht, daß du behaupten willst, etwas Gescheites angefangen zu haben! Die Hitze ist ja vielmehr doppelt so groß geworden als vorher.“

„Die Hitze ist gestiegen, und mit ihr wird sich die Elektricität entwickeln.“

„Bleibe mir zum Beispiel mit deiner Elektricität vom Leibe! Ich kann sie nicht essen; ich kann sie nicht trinken; ich weiß überhaupt gar nicht, was für eine fremde Creatur ich unter ihr zu verstehen habe.“

„Du wirst sie bald zu hören bekommen, denn in kurzer Zeit werden wir das schönste Gewitter haben und vielleicht auch ein wenig Donner dabei.“

„Nun halte auf! Armer Charley, du bist wirklich vollständig übergeschnappt!“

Er blickte mich so besorgt an, daß ich erkennen mußte, er spasse nicht. Ich deutete empor.

„Siehst Du diese Dünste, welche sich bereits zusammenballen?“

„Alle Wetter, Charley, am Ende bist Du nicht ganz so sehr verrückt, wie ich gedacht habe!“

„ Sie werden eine Wolke bilden, die sich mit Heftigkeit entladen muß.“

„Charley, wenn dies wirklich so ist, dann bin ich ein Esel und du bist der klügste Kerl in den Vereinigten-Staaten und auch etwas darüber hinaus.“

„Ist nicht so schlimm, Sam. Ich habe das Ding in Florida gesehen und es hier einfach nachgemacht, weil ich denke, daß uns eine Handvoll Regen nicht sehr viel schaden wird. Schau, da hast du bereits die Wolke! Sobald der Cactus niedergebrannt ist, geht es los. Und wenn Du es nicht glauben willst, so sieh nur Deine Tony an, wie sie mit dem Schwanzstummel wirbelt und die Nüstern aufwirft! Auch mein Mustang riecht bereits den Regen, der sich allerdings nicht viel weiter als über die Brandstrecke verbreiten wird. Kommt vorwärts, daß er uns auch richtig erwischen kann!“

Zwar liefen wir, aber wir hätten uns jetzt ebenso gut auch aufsetzen können, denn unsere Thiere zeigten sich so munter, wie es ihre Kräfte nur immer gestatteten, und drängten förmlich vorwärts. Ihr Instinkt ließ sie die ersehnte Erquickung wittern.

Meine Prophezeiung traf ein. Eine halbe Stunde später hatte sich die kleine Wolke so ausgebreitet, daß der ganze Himmel über uns bis rund um den Horizont tief schwarz erschien; dann brach es los, nicht allmälig wie in gemäßigteren Breiten, sondern plötzlich, als ob die Wolken aus festen Gefäßen beständen und umgestürzt worden seien. Es war, als trommelten zwanzig Fäuste auf unsern Schultern, und in der Zeit von nur einer Minute waren wir so vollständig durchnäßt, als wären wir in den Kleidern durch einen Fluß geschwommen. Die beiden Pferde standen erst

ruhig und ließen die stürzende Fluth mit freudigem Schnauben über sich ergehen; dann aber begannen sie allerlei Capriolen zu machen, und bald konnten wir bemerken, daß ihre Kräfte vollständig zurückgekehrt waren. Wir selbst empfanden ein ganz außerordentliches Wohlbehagen, hielten unsere Decken auf, um das kostbare Naß zu sammeln, und füllten, was wir nicht tranken, in unsere Schläuche.

Am freudigsten geberdete sich Bob, der Neger; er schlug Räder und Purzelbäume und schnitt Grimassen, die in Folge seiner Physiognomie und der conträren Farbe seines Haares und seines Gesichtes ganz unbeschreiblich waren.

„Massa, Massa, oh, oh, Wasser, schön’Wasser, gut’Wasser, viel Wasser! Bob sein gesund, Bob sein stark, Bob wieder laufen, fahren und reiten bis nach Californ’! Wird auch haben Wasser Massa Bern’?“

„Wahrscheinlich, denn ich glaube nicht, daß er weit über die Cactusstrecke hinausgekommen sein wird. Aber so trinke doch; es wird gleich aufhören, zu regnen!“

Er hob seinen breitrandigen Hut, der ihm entfallen war, von der Erde auf, hielt die untere Seite desselben empor, riß die wulstigen Lippen aus einander, daß ein Abgrund entstand, welcher von einem Ohre bis zum andern reichte, warf den Kopf nach hinten und goß sich den erquickenden Trank zwischen die klaffenden Zähne.

„Oh, ah, gut, Massa; Bob trinken noch groß viel mehr!“ Er hielt den Hut wieder empor, sah sich aber getäuscht. „Ah, Regen all sein; kein Wasser mehr kommen!“

Wirklich hörte nach einem letzten Schlage des Donners, welcher ununterbrochen erschollen war, der Regen ebenso plötzlich auf, wie er eingetreten war; doch brauchten wir ihn auch nicht mehr, denn unser Durst war vollständig gestillt, und dazu hatten wir die Schläuche bis zum Ueberlaufen füllen können.

„Jetzt laßt uns ein wenig essen,“ meinte ich, „und dann schnell vorwärts, damit wir Marshal erreichen!“

Das Mahl war in einigen Minuten beendet; es bestand nur in einem Stück dürren Büffelfleisches. Dann setzten wir uns auf und trabten vorwärts, wobei sich Bob als ein so guter Läufer erwies, daß er sehr leicht Schritt mit uns zu halten vermochte.

Allerdings waren die Spuren durch den Regen vollständig verwischt, doch kannte ich ja ihre Richtung, und es dauerte auch nicht lange, so bemerkte ich einen Flaschenkürbis, welcher an der Erde lag und jedenfalls von einem der Leute fortgeworfen worden war.

Die Cactusstrecke mußte sich weit von Ost nach West hingezogen haben, denn die schwarze Brandfläche wollte gar nicht enden. Dies war mir jedoch lieb, da ich daraus schließen konnte, daß die Gesuchten von dem Regen mitbetroffen worden waren. Endlich aber hörte die Brandstätte doch auf, und gleich nachher erblickte ich in der Ferne eine dunkle Gruppe, welche aus Menschen und Thieren bestehen mußte. Ich nahm das Fernrohr zur Hand und zählte neun Männer und zehn Pferde. Acht der Gestalten saßen am Boden, die neunte aber befand sich zu Pferde und trennte sich eben von der Gruppe, um im Galopp in grader Richtung auf uns zuzuhalten. Da aber schien er uns zu bemerken und parirte sein Thier. Ich fixirte ihn schärfer und erkannte Bernard Marshal.

Ich errieth sein Vorhaben. Er hatte sich in einem Zustande solcher Auflösung und Gleichgültigkeit befunden, daß er ebenso wie die Andern auf das Verschwinden seines Dieners gar nicht geachtet hatte; durch den erquickenden, neu belebenden Regen nun war er wieder in den Besitz seiner geistigen Spannkraft gelangt und hatte es als seine erste Pflicht erkannt, Bob aufzusuchen und zur Gesellschaft zurückzubringen. Das sah ich auch an dem zweiten Pferde, welches er am Zügel mit sich führte. Daß sich ihm keiner der Andern anschloß, wollte nicht sympathisch auf mich wirken, und ich hätte wetten mögen, daß sie aus lauter Yankees bestanden, denen das Leben eines „Niggers“, wenn er noch dazu nicht ihr eigener Diener ist, so viel wie eine taube Nuß gilt.

Er musterte unsern kleinen Trupp, rief einige Worte zurück, und sofort saßen Alle auf ihren Pferden und hatten die Waffen zur Hand.

„Vorwärts, Bob; legitimire uns!“ gebot ich dem Neger.

Er setzte sich in Dauerlauf, und wir folgten ihm in einem guten Schritte. Als Marshal seinen Neger erkannte, war aller Argwohn verschwunden; die Gesellschaft stieg wieder ab und erwartete uns in friedlicher Haltung. Wir hatten Bob nur einen geringen Vorsprung gelassen und vernahmen also seine Meldung, welche er dem Juwelier zurief.

„Nicht schießen, Massa, nicht stechen; sehr gut’ schön’ Männer kommen; Massa Charley sein, der todtschlagen bloß Indsmen und Spitzbub, aber laß leben Gentleman und Nigger!“

„Charley, ist’s möglich!“ rief der Ueberraschte und fixirte mich einen Augenblick.

Ich hatte mich in seiner Heimat etwas mehr gentlemanlike getragen, als es in der Savanne möglich ist; ein Gesicht mit einem nur kleinen Bärtchen erkennt man nach Monaten nicht sofort wieder, wenn es sich hinter einem verwilderten Vollbart verbirgt; und da er mich überdies in meinem gegenwärtigen Habitus noch nie gesehen hatte, so nahm ich es ihm gar nicht übel, daß er mich nicht schon von Weitem erkannte. Jetzt aber war ich ihm vielleicht nur dreißig Pferdelängen nahe gekommen, und nun sah er, daß Bob ihn recht berichtet hatte. Im Nu war er bei mir und reichte mir die Hand vom Pferde herüber.

„Charley, ist’s wahr? Seid Ihr es wirklich? Ich denke, Ihr wolltet nach Fort Benton und den Schneebergen! Wie kommt Ihr herab nach dem Süden?“

„War auch oben, Bernard, schien mir aber zu kalt und bin daher ein klein wenig heruntergerückt. Uebrigens Gott zum Gruß hier in der Estaccado! Wollt Ihr mich Euren Kameraden vorstellen?“

„Natürlich! Charley, ich sage Euch, tausend Dollars sind mir nicht so lieb als Euere Gegenwart. Steigt ab und tretet näher!“

Er nannte den Männern meinen Namen und mir die ihrigen und stürmte dann mit tausend Fragen, die ich ihm so gut wie möglich beantwortete, auf mich ein. Die Andern waren wirklich lauter Yankees, fünf Voyageurs der Pelzkompagnie mit ganz vortrefflicher Ausrüstung und drei Personen, welche sich so mit Waffen behangen hatten, daß sie keine Westmänner sein konnten; jedenfalls waren es die Kaufleute, von denen Bob gesprochen hatte, die ich aber mehr für Abenteurer hielt, welche nach dem Westen gingen, um ihr Glück auf irgend eine ehrliche oder unehrliche Weise zu suchen. Der älteste der Voyageurs, der mir als Williams genannt wurde, war der Anführer der Truppe und schien mir ein ganz passabler „Waschbär“ zu sein, wie man sich im Westen auszudrücken pflegt. Er wandte sich, als die ersten, nicht viel bedeutenden Fragen Bernard’s beantwortet waren, an mich. Der kleine Sam schien keinen imponirenden Eindruck auf ihn zu machen.

„Wir wissen jetzt so ungefähr, wer Ihr seid und woher Ihr kommt; nun laßt uns auch erfahren, wohin Ihr wollt!“

„Vielleicht nach dem Paso del Norte, vielleicht auch wo anders hin, Sir, je nachdem wir Beschäftigung bekommen.“

Ich hielt es nicht für nöthig, ihm mehr zu sagen, als er vorläufig zu wissen brauchte.

„Und was ist eure Beschäftigung?“

„Uns ein wenig in der Welt umzusehen.“

„Lack-a-day, das ist eine Arbeit, bei der man keine Langweile hat, trotzdem man sich dabei nicht anzustrengen braucht. Da müßt Ihr jawohl ein sehr wohlhabender, wo nicht gar ein reicher Mann sein; man sieht das auch Euren blanken Waffen an!“

Mit dieser Vermuthung befand er sich allerdings auf dem Glatteise, denn ich besaß eben nur diese Waffen und nebenbei einige Kleinigkeiten, die ich daheim gelassen hatte. Auch gefiel mir die Frage nicht, und noch weniger der lauernde Blick und der halb spöttische, halb hastige Ton, mit dem sie ausgesprochen wurde. Der Mann war sehr unvorsichtig und flößte mir trotz seines wohlbeschaffenen Aeußern kein Vertrauen ein; ich beschloß, ihn scharf auf’s Korn zu nehmen, und antwortete daher weder bejahend noch verneinend:

„Ob arm, ob wohlhabend, das ist in der Estaccado so ziemlich gleich, sollte ich meinen.“

„Da habt Ihr Recht, Sir. Noch vor einer halben Stunde waren wir Alle am Verschmachten, und nur ein reines Mirakel

hat uns gerettet, ein Wunder, wie es hier noch niemals vorgekommen ist.“

„Welches?“

„Der Regen natürlich. Oder kommt Ihr vielleicht aus einer Richtung, in welcher er Euch nicht treffen konnte?“

„Er hat uns getroffen, denn wir haben ihn ja erst fertig gemacht.“

„Fertig gemacht? Was wollt Ihr damit sagen, Sir?“

„Daß wir ebenso verschmachtet waren, wie Ihr, und erkannten, daß wir nur dann Rettung finden konnten, wenn wir Wolken, Blitz und Donner machten.“

„Hört, Master Schlabbermaul, ich will nicht hoffen, daß Ihr uns für Leute haltet, denen man einen Bären für einen Wipp-poor-will geben kann, sonst würde es nach wenigen Augenblicken mit Euerer Haut sehr schlecht beschaffen sein. Ihr wart gewiß einmal da drüben in Utah am großen Salzsee und gehört zu den „Heiligen der letzten Tage“, die auch so ähnliche Wunder thun wie Ihr.“

„Allerdings war ich einmal drüben, habe es jetzt aber nicht mit den letzten Tagen, sondern zunächst mit dem heutigen Tage und mit Euch zu thun. Werdet Ihr uns Beiden erlauben, uns Euch anzuschließen?“

„Warum nicht? Besonders da Ihr mit Master Marshal bekannt seid. Wie kommt es denn, daß Ihr Euch zu Zweien in die Llano Estaccado wagt?“

Ich folgte meinem Mißtrauen, indem ich mich leichtsinnig und unerfahren stellte:

„Was gibt es da zu wagen? Der Weg ist abgesteckt; man geht also hinein und kommt glücklich wieder heraus.“

„Good lack, seid Ihr rasch fertig! Habt Ihr einmal von den Stakemen etwas gehört?“

„Was sind das für Leute?“

„Da hat man es! Ich will nicht von ihnen reden, denn man soll den Teufel nicht an die Wand malen; aber das sage ich Euch: wer zu Zweien sich in den Estaccado wagt, der muß ein Kerl sein wie Old Firehand, Old Shatterhand, oder so klug und schlau wie Sans-ear, der alte Indsmentödter. Habt Ihr vielleicht einmal von einem dieser Leute gehört?“

„Möglich, habe es aber wohl wieder aus der Acht gelassen. Wie lange werden wir noch reiten, ehe wir aus dem Estaccado herauskommen?“

„Zwei Tage.“

„Natürlich sind wir auf der rechten Straße?“

„Warum sollten wir es nicht sein?“

„Weil es mir vorkam, als ob die Pfähle plötzlich nach Südost statt nach Südwest gingen.“

„Das kann wohl Euch so vorkommen, nicht aber einem alten, erfahrenen Voyageur, wie ich bin. Ich kenne die Estaccado wie meinen Kugelbeutel.“

Mein Verdacht wurde größer. War er wirklich so erfahren, so mußte er sicher wissen, daß er aus der Richtung gerathen war. Ich beschloß, ihn noch etwas näher anzulaufen.

„Wie kommt es, daß die Compagnie Euch so tief nach dem Süden schickt? Es scheint mir, daß es mehr Pelzwerk im Norden gibt, als hier.“

„Was Ihr weise und klug seid! Pelz ist Fell, und Fell ist Pelz. Abgerechnet, daß es graue und schwarze Bären, Racoons ), Opossums und andere Pelzthiere auch hier in Menge gibt, gehen wir nach Mittag, um uns bei der Herbstwanderung der Büffel einige tausend Felle zu holen.“

„Ah so! Ich habe geglaubt, daß Ihr sie droben in den Parks und so da herum viel leichter haben könnt. Uebrigens seid Ihr als Voyageur in einer sehr guten Lage, da Ihr von keinem Indsmen etwas zu befürchten habt. Man hat mir erzählt, daß die Compagnie ihre Voyageurs zugleich als Briefträger und Stafetten benützt, und ein solcher Brief soll der beste Talisman gegen die Feindseligkeiten der Indianer sein. Ist das wahr?“

„Ja. Wir können, statt die Feindseligkeiten der Rothen zu befürchten, uns stets auf ihre Hilfe verlassen.“

„So seid Ihr wohl auch mit solchen Briefen versehen?“

)Waschbären.

„Natürlich. Ich brauche nur das Siegel vorzuzeigen, so gewährt mir jeder Indianer seinen Schutz.“

„Ihr macht mich neugierig, Sir. Laßt mich doch einmal ein solches Siegel sehen!“

Ich bemerkte, daß er in Verlegenheit kam, sie aber unter einer zornigen Miene zu verbergen suchte.

„Habt Ihr schon einmal etwas vom Briefgeheimniß gehört, Mann? Ich habe die Erlaubniß, nur Indsmen das Siegel zu zeigen.“

„Ich habe nicht verlangt, den Inhalt des Briefes kennen zu lernen. Ihr scheint also gar nie in die Lage zu gerathen, Euch auch einmal vor einem Weißen legitimiren zu müssen!“

„In einem solchen Falle legitimirt mich meine Büchse. Merkt Euch das!“

Ich nahm eine Miene an, als fühle ich mich außerordentlich beherrscht von ihm, und schwieg in möglichst wohlgespielter Verlegenheit. Der kleine Sam blinzelte nicht mich — denn das hätte ihn verrathen können — sondern seine Tony mit ein Paar Augen an, als ob er mit ihr im höchsten Grade einverstanden sei, und ich drehte mich zu Marshal herum:

„Bob hat mir erzählt, wohin Ihr wollt, Bernard, und aus welchem Grunde Ihr diese Reise unternehmt. Habt Ihr keine Spur von dem Mörder, der Euch um Alles gebracht hat?“

„Nicht die geringste. Es müssen übrigens mehrere Personen gewesen sein, welche die That unternahmen.“

„Wo befindet sich Allan?“

„In San Franzsico; wenigstens waren seine Briefe alle von daher datirt.“

„Well, so werdet Ihr ihn ja leicht finden. Werdet Ihr heut weiter gehen, oder behaltet Ihr hier Lager?“

„Es wurde ausgemacht, daß wir bleiben.“

„So will ich mein Pferd abtakeln.“

Ich erhob mich, und nahm dem Mustang Sattel und Zeug ab und gab ihm einige Handvoll Maiskörner zu fressen. Sam that dasselbe mit seiner Stute. Wir hüteten uns dabei, ein Wort miteinander zu wechseln; es war dies ja auch gar nicht nöthig, da wir uns auch ohne Rede verstanden. Wenn zwei Jäger einige Wochen lang beisammen gewesen sind, so lesen sie sich die Gedanken an den Augen ab. Auch mit Marshal sprach ich kein heimliches oder leises Wort. So verging der Rest des Tages unter meist gleichgültigen Gesprächen, und der Abend brach herein.

„Vertheilt die Wachen, Sir, „ sagte ich zu Williams. „Wir sind müde und wollen schlafen.“

Er that es, und ich bemerkte, daß keiner der Doppelposten aus mir oder Sam oder Marshal und einem der Voyageurs zusammengesetzt war.

„Schlaft mitten unter ihnen, damit sie nicht heimlich sprechen können!“ raunte ich Marshal zu, der mich sehr erstaunt bei dieser geheimnißvollen Weisung anblickte, aber ihr doch folgte.

Die Pferde hatten sich gelagert, da es kein Futter für sie gab. Ich trat, während die Anderen einen Kreis bildeten, zu meinem Mustang, dessen Leib ich als Kopfkissen benutzte, wozu den Uebrigen die Sättel dienten. Ich hatte meinen Grund zu dieser Ausnahmestellung. Sam bedurfte keines Winkes von mir; er verstand mich und wählte sich seinen Platz so zwischen den Voyageurs, daß sie nur auf Posten heimlichst mit einander zu sprechen vermochten.

Die Sterne gingen auf; aber es hing — vielleicht infolge des Regens — ein eigenthümlicher Duft zwischen ihnen und dem Boden, so daß ihr Schimmer nicht so hell wie an andern Abenden herabzudringen vermochte. Zwei von den Kaufleuten hatten die erste Wache; sie verlief ohne irgend eine Auffälligkeit; Williams hatte die zweite Wache für sich und den jüngsten Voyageur gewählt. Als die Reihe an sie kam, waren sie noch nicht eingeschlafen. Sie erhoben sich, und jeder patrouillirte seinen Halbkreis ab; ich merkte mir genau die beiden Punkte, an denen sie regelmäßig zusammentrafen. Der eine Punkt lag ganz in der Nähe des Pferdes, welches dem Neger Bob gehörte, und dies erschien mir als ein günstiger Umstand, da nicht anzunehmen war, daß dem Schwarzen ein gutes Prairiepferd anvertraut worden sei, vor dessen Instinkt man sich in acht zu nehmen hatte.

Zu sehen, ob die beiden Männer mit einander sprachen, sobald sie sich berührten, vermochte ich nicht; aber es war mir,

als verriethe mir der Schall ihrer Schritte, daß sie sich einander stets beim Umkehren einige Worte zuraunten. Der Aufenthalt in der Savanne hatte mein Gehör geschärft, und wenn ich mich nicht täuschte, so hatte ich es hier mit zwei außerordentlich abgefeimten Männern zu thun.

Ich kroch vorsichtig in einem Bogen zu dem Pferde heran. Es schien ein höchst geduldiger und zutraulicher Klepper zu sein, denn er verrieth mein Nahen weder durch das leiseste Schnauben noch durch die geringste Bewegung, und ich vermochte mich so eng an seinen Körper zu schmiegen, daß ich eine Entdeckung nicht zu fürchten hatte.

Eben kam Williams von der einen und der Voyageur von der andern Seite. Bevor beide sich umdrehten, vernahm ich sehr deutlich die Worte:

„Ich ihn, und Du den Neger!“

Williams hatte diese Worte gesprochen. Als sie wiederkehrten, hörte ich:

„Natürlich auch sie!“

Es schien mir, als habe der Andere drüben am gegenüberliegenden Berührungspunkte eine Frage in Betreff auf mich und Sam ausgesprochen. Als sie sich mir wieder näherten, klang es:

„Pshaw! Der Eine ist klein, und der Andere — es geschieht ja im Schlafe!“

Mit dem „Kleinen“ war jedenfalls Sam und mit dem „Andern“ ich gemeint. Es war klar, wir sollten ermordet werden. Warum, das konnte ich mir nicht erklären. Wieder nahten sie, und ich vernahm die deutliche Antwort.

„Alle drei!“

Vielleicht war drüben die Frage ausgesprochen worden, ob die drei Kaufleute unser Schicksal theilen sollten oder nicht. Diese fünf Voyageurs wollten sich also über uns hermachen, Fünf gegen Fünf. Das Facit zu dieser Aufgabe war sehr leicht zu finden: sie hätten uns kalt gemacht, ohne sich selbst nur die Haut zu ritzen, wenn ich nicht auf den Gedanken gekommen wäre, sie zu belauschen. Jetzt trafen die beiden Buschklepper wieder zusammen.

„Keine Minute eher — und nun gut!“ sagte Williams.

Die interessante Unterhaltung war also zu Ende, und ich konnte mir leicht denken, daß sich die letzten Worte auf den Zeitpunkt bezogen, wann die That geschehen sollte. Wann war dies? Im Schlafe sollte es geschehen! Heut oder morgen? Ich ging jedenfalls sicherer, wenn ich das Erstere annahm, und da die beiden Schurken höchstens noch eine Viertelstunde zu lustwandeln hatten, so war es hohe Zeit, ihnen zuvorzukomrnen.

Ich machte mich sprungfertig. Sie trafen wieder zusammen, diesmal ohne ein Wort zu sprechen. Beide drehten sich zu gleicher Zeit um, und kaum war Williams an mir vorüber, so schnellte ich hinter ihm in die Höhe, schlug ihm die Linke um den Hals, so daß er keinen Laut auszustoßen vermochte, und traf ihn mit der geballten Rechten so an die Schläfe, daß er still an mir niederglitt.

Jetzt setzte ich an seiner Stelle den Weg fort und stieß am jenseitigen Berührungspunkte mit dem Anderen zusammen. Er war vollständig ahnungslos und hielt mich für Williams. Ich nahm ihn gleich von vorn bei der Gurgel und schlug ihn nieder. Wenigstens zehn Minuten lagen die Beiden ohne Besinnung; das wußte ich. Daher schritt ich nun rasch auf die Gruppe der Schlafenden zu. Nur Zwei waren wach, Sam natürlich und Bernard, der durch meine ihm zugeflüsterte Weisung in eine solche Unruhe versetzt worden war, daß er nicht hatte schlafen können.

Ich schnallte den Lasso von der Hüfte — Sam that sofort ein Gleiches.

„Die drei Voyageurs bloß,“ flüsterte ich, und dann rief ich laut: „Halloh, auf ihr Leute!“

Im Nu fuhren alle empor, sogar Bob, der Neger, aber ebenso schnell saßen auch die Schlingen unserer Lasso’s zweien der Voyageurs um die Arme und den Oberleib — eine zweite Schlinge, und die Riemen schlossen so fest, daß sie von den Gefangenen nicht gelöst werden konnten. Bernard Marshal hatte, mehr ahnend als begreifend, sich auf den Dritten geworfen und hielt ihn fest, bis ich ihn mit seinem eigenen Lasso gebunden hatte. Und dies war so schnell geschehen, daß wir bereits fertig waren, als sich einer der drei Kaufleute ermannte und rief, zu seiner Büchse greifend:

„Verrath, zu den Waffen!“

Sam lachte laut auf.

„Laß deine Feuerspritze in Ruhe, meine Junge; es möchte Dir und auch den Andern der Zünder fehlen, hihihihi!“

Der vorsichtige Kleine hatte während meines Lauschens von den drei Gewehren die Zündhütchen genommen, ein Beweis, wie scharf er mich verstand, ohne daß wir ein Wort gewechselt hatten.

„Seid ohne Sorge, ihr Leute, es wird Euch nicht das Geringste geschehen!“ beruhigte ich sie. „Diese Männer hier wollten uns und Euch ermorden; daher haben wir sie bis auf Weiteres unschädlich gemacht.“

Trotz der Dunkelheit war der Schreck zu bemerken, den meine Worte auf sie hervorbrachten, und auch Bob trat eilig näher.

„Massa, wollen sie morden auch Bob?“

„Auch Dich!“

„Dann sie sterben, sie hängen in Estaccad’, viel hoch an Pfahl!“

Die Gefangenen gaben keinen Laut von sich; sie mochten auf die Hülfe der Wachen rechnen.

„Bob, da drüben liegt Williams, und dort der Andere. Bringe sie herbei!“

„Schon tot sie?“ frug er mich.

„Nein, aber ohne Besinnung.“

„Werden holen sie!“

Der riesige Neger schleppte Einen nach dem Andern auf seinen breiten Schultern herbei und warf sie zu Boden. Sie wurden augenblicklich gebunden. Nun konnten wir endlich sprechen, und ich klärte die drei Kaufleute über das auf, was wir gethan hatten. Sie geriethen in eine außerordentliche Wuth und verlangten den augenblicklichen Tod der Voyageurs. Ich mußte ihnen widersprechen.

„Auch die Savanne hat ihr Recht und ihre Gesetze. Ständen sie uns mit den Waffen gegenüber, wo dann unser Leben an einem Augenblick hing, so könnten wir sie niederschießen; wie die Dinge aber jetzt stehen, dürfen wir keinen Mord begehen, sondern müssen eine Jury über sie bilden.“

„Oh, oh, ja, eine Jury,“ meinte der Neger, erfreut über ein solches Schauspiel, „und dann Bob aufhängen all’ ganz’ Fünf!“

„Jetzt nicht! Es ist Nacht; wir haben kein Feuer und müssen warten, bis der Tag anbricht. Wir sind sieben Männer. Fünf können also ruhig schlafen, während zwei immer wachen; dabei sind uns die Gefangenen vollständig sicher, bis die Sonne kommt.“

Ich hatte Mühe, mit meiner Ansicht durchzudringen, brachte es aber endlich doch so weit, daß Fünf sich wieder zur Ruhe legten, während ich mit einem der Kaufleute die Wache bezog. Nach einer Stunde wurden wir abgelöst. Sam übernahm die letzte Wache allein, da um diese Zeit der Tag bereits zu dämmern begann und zwei Augen also vollständig hinreichten, uns die nöthige Sicherheit zu bewahren. (Fortsetzung folgt.)

Linie 439
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial WWährend der ganzen Nacht hatte keiner der Gefangenen einen Laut von sich gegeben; doch als wir uns erhoben, bemerkte ich, daß Williams und sein Kumpan die Besinnung wieder erlangt hatten. Jetzt wurde zunächst gefrühstückt; unsere Pferde erhielten ihre Portion Körner, und dann ward zur Verhandlung geschritten. Sam winkte nach mir und sagte:

„Das ist unser Sheriff ; er wird zum Beispiel jetzt die Jury beginnen.“

„Nein, Sam, den Vorsitz übernehme ich nicht; das wirst Du thun!“

„Ich? Heigh-ho, wo denkst Du hin? Sam Hawerfield und Sheriff! Wer Bücher schreibt, paßt besser dazu!“

„Ich bin kein Bürger der Vereinigten-Staaten und nicht den zehnten Theil so lange in der Savanne gewesen, wie Du. Wenn Du nicht willst, so muß Bob es thun!“

„Bob? Ein Schwarzer und Sheriff? Das wäre der dümmste Streich, den wir in diesem Sandloche machen könnten, und so muß ich wohl ja sagen, wenn Du zum Beispiel gar nicht anders willst!“

Er setzte sich in Positur und nahm eine Miene an, aus welcher deutlich zu erkennen war, daß bei diesem Savannengerichte wenigstens dieselbe Sorgsamkeit und Gerechtigkeit obwalten solle, wie bei der Jury einer civilisirten Grafschaft.

„Nehmt Platz im Kreise, Mesch’schurs; ihr Alle seid Schöffen, und Bob, der Neger, bleibt stehen, denn er wird der Constabel sein!“

Bob zog den Gurt seines Säbels fester an und suchte auf seinem Gesichte die möglichste Würde hervorzubringen.

„Constabel, nimm den Gefangenen die Fesseln ab, denn wir sind in einem freien Lande, und in einem solchen stehen selbst die Mörder mit freien Gliedern vor ihrem Richter!“

„Aber wenn ausreißen all’ Fünf, so — — —“ wagte der Neger einzuwenden.

„Gehorchen!“ donnerte ihn Sans-ear an. „Von diesen Männern wird keiner entfliehen, denn wir haben ihnen die Waffen genommen, und ehe sie zum Beispiel zehn Schritte gethan hätten, wären unsere Kugeln schon bei ihnen!“

Die Riemen wurden abgelöst, und die Gefangenen richteten sich, noch immer kein Wort sprechend, in die Höhe. Jeder von

uns Anderen hatte seine Büchse zur Hand; an eine Flucht war also wirklich nicht zu denken.

„Du nennst Dich Williams,“ begann Sam. „Ist dies Dein richtiger Name?“

Der Gefragte entgegnete mit grimmiger Miene:

„Ich werde Euch nicht antworten. Ihr selbst seid Mörder; Ihr selbst habt uns überfallen; Ihr selbst gehört vor ein Savannengericht.“

„Thue, was Du willst, mein Junge; Du hast Deinen freien Willen. Aber ich sage Dir, daß Schweigen als ein Geständniß gilt. Also, bist Du ein wirklicher Voyageur?“

„Ja.“

„Beweise es! Wo hast Du Deine Briefe?“

„Ich habe keine.“

„Gut, mein Junge, das genügt vollständig, um zu wissen, woran man mit Dir ist! Willst Du mir wohl sagen, was Du gestern Abend während Deiner Wache mit Deinem Kameraden gesprochen und beschlossen hast?“

„Nichts! Kein Wort ist gesprochen worden.“

„Dieser ehrenwerte Mann hier hat Euch belauscht und Alles deutlich gehört. Ihr seid keine Westmänner, denn ein echter Savannenläufer würde die Sache viel gescheiter angefangen haben.“

„Wir keine Westmänner? All devils, bringt Eure Komödie zu Ende, und dann wollen wir Euch zeigen, daß wir uns vor Keinem von Euch fürchten. Wer seid denn Ihr? Greenhorns, die uns im Schlafe überfallen haben, um uns zu ermorden und zu berauben!“

„Rege Dich nicht unnöthig auf, mein Sohn! Ich werde Dir sagen, wer die Greenhorns sind, die hier über Leben und Tod entscheiden werden. Dieser Mann hat Euch, nachdem er Euch belauscht hatte, ganz allein mit seiner Faust niedergestreckt, und das ist zum Beispiel so korrekt geschehen, daß es kein Mensch gemerkt hat, nicht einmal Ihr selbst. Und derjenige, der diese schöne Faust besitzt, nennt sich Old Shatterhand. Jetzt seht mich einmal an! Darf sich wohl Einer, dem die Navajoes einst die Ohren genommen haben, Sans-ear heißen lassen? Wir sind also die Zwei, die sich ganz allein in die Llano estaccado wagen

dürfen. Und auch das ist wahr, daß wir es gestern regnen ließen; wer sonst sollte es denn gewesen sein? Oder hat man jemals gehört, daß es in der Estaccado freiwillig geregnet hat?“

Es war sichtlich kein ermuthigender Eindruck, welchen unsere Namen auf die fünf Männer machten. Williams ergriff zuerst das Wort; er hatte sich die Situation überlegt, und grad unsere Namen mochten den Gedanken in ihm erwecken, daß er eine Vergewaltigung bei uns nicht zu erwarten habe.

„Wenn Ihr wirklich diejenigen seid, für welche Ihr euch ausgebt, so haben wir Gerechtigkeit zu erwarten. Ich werde euch die Wahrheit sagen. Ich habe früher anders geheißen, als Williams, aber das ist kein Verbrechen, denn Ihr heißt eigentlich auch anders, als Old Shatterhand und Sans-ear; ein Jeder kann sich heißen lassen, wie es ihm beliebt.“

„Well, wegen des Namens bist Du aber auch nicht angeklagt!“

„Und wegen eines Mordes könnt Ihr uns auch nicht anklagen; wir haben weder einen begangen, noch einen begehen wollen. Ja, wir haben gestern Abend mit einander gesprochen, aber haben wir deutlich von einem Mord gesprochen; haben wir Eure Namen genannt?“

Der gute Sam blickte lange vor sich nieder und meinte endlich ziemlich verdrießlich:

„Nein, das habt Ihr allerdings nicht gethan; aber aus Euren Worten ließ sich Alles deutlich schließen.“

„Ein Schluß ist kein Beweis, ist keine Thatsache. Ein Savannengericht ist ein löbliches Ding, aber auch eine solche Jury darf nur nach Thatsachen und nicht nach Vermuthungen urtheilen. Wir haben Sans-ear und Old Shatterhand gastfreundlich bei uns aufgenommen, und zum Dank dafür werden sie uns unschuldig tödten. Das werden alle Jäger erfahren von der großen See bis zum Mississippi, vom mexikanischen Meerbusen bis zum Sklavenfluß, und Alle werden sagen, daß die beiden großen Jäger Räuber und Mörder geworden sind.“

Ich mußte innerlich gestehen, daß der Schurke seine Vertheidigung ganz ausgezeichnet führte. Sam wurde von derselben so überrumpelt, daß er aufsprang.

„’s death, das wird Niemand sagen, denn wir werden Euch nicht verurtheilen. Ihr seid frei, so viel ich meine! Was sagt Ihr Andern dazu?“

„Sie sind frei; sie sind unschuldig!“ meinten die drei Kaufleute, deren Ueberzeugung von der Schuld der Angeklagten gleich von vorn herein nicht groß gewesen war.

„Auch ich kann, nach dem, was ich weiß, nichts auf sie bringen,“ entschied Bernard. „Was sie sind und wie sie heißen, das geht uns nichts an, und für unsere Anklage haben wir nur Vermuthungen, keineswegs aber Beweise.“

Bob, der Neger, machte ein höchst verblüfftes Gesicht; er sah sich auf einmal um die Hoffnung betrogen, die Delinquenten aufhängen zu dürfen. Was mich betraf, so war ich mit dieser Wendung der Dinge ziemlich zufrieden; ich hatte sie sogar vorhergesehen und daher nicht nur gestern zum Aufschub gerathen, sondern heut auch dem guten Sam den Vorsitz gelassen. Er besaß als Jäger eine seltene Schlauheit; einen Mörder aber durch Kreuzfragen fest zu nehmen, dazu war er nicht der Mann. In der Prairie ist man niemals seines Lebens sicher; warum also fünf Menschenleben auslöschen, wenn noch nicht einmal die geringste feindselige That vorliegt? Dann müßte überhaupt jeder Feind schon auf seine bloße Gesinnung hin getödtet werden. Es lag mir weniger an dem Tode dieser Männer, als vielmehr an unserer Sicherheit, und für dieselbe konnten geeignete Maßregeln sehr leicht getroffen werden. Einen kleinen Stich aber mußte ich Sam doch dafür geben, daß er sich das abringen ließ, was wir besser aus Milde oder Gnade hätten bewilligen sollen. Als er sich daher mit der Frage an mich wandte, was ich dazu sage, antwortete ich:

„Weißt Du noch, Sam, was der größte Vorzug Deiner Tony ist?“

„Welcher?“

„Daß sie Grütze im Kopfe hat.“

„Egad, ich besinne mich, und auch Du scheinst ein gutes Gedächtniß für dergleichen Dinge zu haben. Aber was kann ich dafür, daß ich ein Jäger und kein Rechtsgelehrter bin? Du

hättest aus diesen Leuten vielleicht etwas herausgekniffen; warum hast Du den Sheriff nicht gemacht? Nun sind sie frei, denn was einmal gesagt ist, das muß auch gelten.“

„Natürlich, denn meine Meinung könnte nun doch nichts mehr entscheiden. Frei sind sie, nämlich von der Anklage auf Mordversuch, doch frei in anderer Beziehung noch nicht. Master Williams, ich werde jetzt eine Frage an Euch richten, und auf Eure Antwort soll es ankommen, was mit Euch weiter geschehen wird. In welcher Richtung erreicht man am schnellsten den Rio Pecos?“

„Grad nach West.“

„In welcher Zeit?“

„In zwei Tagen.“

„Ich halte euch für Stakemen, obgleich Ihr uns gestern vor denselben warnen wolltet und obgleich Ihr mit Euerer Truppe, allerdings nachdem sie gehörig abgeschwächt war, die richtige Richtung eingehalten zu haben scheint. Ihr werdet als unsere Gefangenen zwei Tage lang bei uns bleiben. Sind wir dann noch nicht am Flusse, so ist es um Euch geschehen, denn ich selbst werde Euch die Kugel oder den Riemen zu kosten geben, ohne eine Jury über Euch abzuhalten. Jetzt wißt ihr, woran ihr seid! Bindet sie auf ihre Pferde, und dann vorwärts!“

„Oh, ah, das sein gut!“ meinte Bob. „Wenn nicht kommen an Fluß, Bob werden hängen sie an Baum!“

Bereits nach einer Viertelstunde befanden wir uns unterwegs; die auf ihre Pferde gebundenen Gefangenen waren natürlich in der Mitte. Bob schien sein Amt als Constabel nicht niederlegen zu wollen; er wich nicht von ihnen und hielt sie unter der strengsten Beaufsichtigung. Sam befehligte den Nachtrab, und ich ritt mit Bernard Marshall voran.

Natürlich war das gestrige Ereigniß der Gegenstand unseres Gespräches, doch hatte ich keine Lust, mich sonderlich darüber zu verbreiten. Endlich meinte er, von den Voyageurs abbrechend:

„Ist es wahr, was Sans-ear behauptete, daß Ihr den Regen gemacht habt?“

„Ja.“

„Mir unbegreiflich, obgleich ich weiß, daß Ihr nicht die Unwahrheit sagt.“

„Ich ließ es regnen, um uns und Dich zu retten.“

Und nun erklärte ich ihm den höchst einfachen Vorgang, mit Hülfe dessen sich die Wettermacher und Medizinmänner mancher wilder Völkerschaften bei ihren Gläubigen in ungeheuren Credit zu setzen verstehen.

„Dann haben wir Alle Euch also das Leben zu verdanken. Wir wären verschmachtet an der Stelle, an welcher Ihr uns traft.“

„Verschmachtet nicht, sondern ermordet worden. Seht Euch nur die Satteldecken dieser sogenannten Voyageurs an; es befinden sich noch volle Wasserschläuche unter denselben. Sie haben nicht den mindesten Durst gelitten. Ich würde sie unbedingt niederschießen, wenn ich mich nicht scheute, Menschenblut zu vergießen. Wie heißt der Jüngste von ihnen, der gestern mit Williams zugleich die Wache hatte?“

„Mercroft.“

„Jedenfalls auch ein angenommener Name. Der Bursche kommt mir trotz seiner Jugend am allerverdächtigsten vor, und es ist mir, als hätte ich ein ähnliches Gesicht bereits einmal unter nicht empfehlenden Umständen gesehen. Wehe ihnen, wenn wir zur angegebenen Zeit das Wasser nicht erreichen! Jetzt erzählt mir doch einmal die näheren Umstände bei der Ermordung und Beraubung Eueres Vaters!“

„Nähere Umstände gibt es nicht. Allan war nach Franzisko gegangen, um Einkäufe in Gold zu machen; wir waren also mit Bob und der Wirthschafterin nur zu Vieren, da die Arbeiter und Gehilfen außerhalb des Hauses wohnten. Der Vater ging abends stets aus, wie Ihr ja wohl wißt, und eines schönen Morgens fanden wir seine Leiche im verschlossenen Hausflur, die Werkstatt und den Laden aber geöffnet und alles Werthvolle geraubt. Er trug stets einen Schlüssel bei sich, welcher alle Thüren öffnete. Man hat ihm nach der Ermordung denselben abgenommen und konnte dann mit Hülfe dieses Hauptschlüssels den Raub ohne alle Mühe vollführen.“

„Hattet Ihr keinen Verdacht?“

„Nur einer der Gehülfen konnte den Umstand mit dem Schlüssel wissen, doch alle polizeilichen Nachforschungen sind fruchtlos geblieben; die Gehülfen mußten entlassen werden und sind verschollen. Es befanden sich bedeutende Depositen unter den geraubten Juwelen; ich mußte Alles ersetzen und behielt kaum Mittel genug zu der Reise nach Californien übrig, welche ich unternehmen muß, um den Bruder aufzusuchen, dessen Nachrichten so plötzlich unterblieben sind.“

„So habt Ihr keine Hoffnung, des Mörders jemals habhaft zu werden und wenigstens theilweise wieder zu Eurem Eigenthum zu kommen?“

„Nicht die mindeste. Die Thäter sind mit ihrem Raube jedenfalls längst außer Landes, und obschon ich die That in allen größeren Zeitungen Europa’s und Amerika’s veröffentlichen ließ und eine genaue Beschreibung der werthvollsten geraubten Gegenstände beifügte, so wird mir dies doch nichts helfen, denn es gibt für den geriebenen Verbrecher Mittel und Wege genug, sich sicher zu stellen.“

„Ich möchte wohl einmal eine solche Veröffentlichung lesen!“

„Das könnt Ihr. Ich habe die betreffende Nummer des Morning-Herald stets bei mir, um für etwaige Fälle bei der Hand zu sein.“

Er griff in die Tasche und zog das Blatt hervor, um es mir herüber zu reichen. Ich las das Verzeichniß während des Reitens und mußte dabei wieder einmal eine jener höheren Fügungen bewundern, welche der Zweifler Zufall zu nennen pflegt. Als ich zu Ende war, faltete ich das Papier zusammen und gab es ihm zurück.

„Wie nun, wenn ich im Stande wäre, Euch den Thäter oder wenigstens einen der Thäter genau zu bezeichnen?“

„Ihr, Charley?“ frug er schnell.

„Und Euch wenigstens zu einem großen Theile Eures Verlustes wieder zu verhelfen?“

„Treibt keinen üblen Scherz, Charley! Ihr waret in der Prairie, als die That geschah; wie sollte Euch das möglich sein, was die, welche am nächsten betheiligt waren, nicht zustande brachten?“

„Bernard, ich bin ein rauher Gesell; aber wohl dem Menschen, der sich aus der glücklichen Jugendzeit seinen Kinderglauben hinüber in die Zeit des ernsten Mannesalters gerettet hat. Es gibt ein Auge, welches über Alles wacht, und eine Hand, welche selbst die bösesten Anschläge für uns zum Guten lenkt, und für dieses Auge, für diese Hand liegen Louisville und die Savanne eng zusammen. Da seht einmal her!“

Ich zog die Beutel hervor und reichte sie ihm hin. Er nahm sie mit fieberhafter Aufregung in Empfang, und als er sie öffnete, sah ich seine Hände zittern. Kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, so stieß er einen Ruf der freudigsten Ueberraschung aus:

„Herr, mein Gott, unsere Diamanten! Ja, sie sind’s, sie sind’s wahrhaftig! Wie kommt — — —“

„Stopp!“ unterbrach ich ihn. „Beherrscht Euch, mein Junge! Die da hinter uns brauchen nicht ganz genau zu wissen, welche Art von Unterhaltung wir führen! Wenn es Eure Steine sind, wovon ich allerdings selbst vollkommen überzeugt bin, so behaltet sie, und damit Ihr nicht etwa gar mich selbst für den Spitzbuben haltet, will ich Euch erzählen, wie ich zu ihnen gekommen bin.“

„Charley, was denkt Ihr denn! Wie könnt Ihr mei­nen —“

„Slowly, sachte, sachte! Ihr schreit ja, als ob sie es drüben in Australien hören sollten, was wir hier mit einander zu verhandeln haben!“

Der gute Bernard befand sich in einem allerdings leicht erklärlichen Freudenrausche; ich gönnte ihm sein Glück von ganzem Herzen und bedauerte nur, daß es nicht möglich war, mit den Steinen ihm auch den Vater zurückzugeben.

„Erzählt, Charley! Ich bin begierig, zu hören, wie meine Steine in Eure Hände gekommen sind.“

„Ich hatte auch den Thäter beinahe fest. Er war mir so nahe, daß ich ihn mit diesem meinem Fuße von der Locomotive

stieß, auf welcher ich stand, und Sam ist hinter ihm her gewesen, freilich vergeblich. Aber ich hoffe, ihn wieder zwischen die Hände zu bekommen, und zwar bald, wo möglich da drüben über dem Rio Pecos; er hat sich dorthin gewandt, jedenfalls einer neuen Gaunerei wegen, der wir wohl auch noch auf die Spur kommen werden.“

„Erzählt, Charley, erzählt!“

Ich berichtete ihm den Bahnüberfall durch die Ogellallah’s mit allen dabei vorgekommenen Einzelheiten und las ihm dann auch den Brief vor, welchen Patrik an Fred Morgan geschrieben hatte. Er hörte mit der größten Aufmerksamkeit zu und meinte dann am Schlusse:

„Wir fangen ihn, Charley, wir fangen ihn, und werden dann auch erfahren, wohin das Uebrige gekommen ist!“

„Fangt nicht wieder an zu schreien Bernard! Wir sind zwar um einige Pferdelängen voraus, aber hier im Westen muß man selbst beim einfachsten Dinge verschlossen sein, da Unklugheit niemals zu irgend einem Nutzen führt.“

„Und Ihr wollt mir die Steine wirklich überlassen, ohne alle Bedingung, ohne jedweden Anspruch?“

„Natürlich, sie sind ja Euer!“

„Charley, Ihr seid — — — doch hört“ — er griff in den Beutel und zog einen der größeren Steine hervor — „thut mir den Gefallen und nehmt diesen da als Andenken von mir an!“

„Pshaw! Werde mich hüten, Bernard! Ihr habt nichts zu verschenken, gar nichts, denn diese Steine gehören nicht Euch allein, sondern auch Euerm Bruder.“

„Allan wird gutheißen, was ich thue!“

„Das ist möglich, ja, ich bin sogar überzeugt davon; aber bedenkt, daß diese Steine noch lange nicht Alles sind, was Ihr verloren habt, und daß ich keinen Diamanten brauchen kann, weil ich bereits einen habe, den mir ein Zuluhäuptling, Namens Panda, aufgenöthigt hat. Behaltet ihn also, und wenn wir einmal scheiden so gebt mir etwas Anderes, was Euch nichts kostet und mir als Andenken dennoch lieb und theuer ist! Jetzt aber reitet einmal in dieser Richtung fort, ich werde Sam erwarten!“

Ich ließ ihn mit seinem Glück allein und blieb halten, um die Truppe an mir vorüber zu lassen, bis Sans-ear mir zur Seite war.

„Was hattest Du denn da vorn so Außerordentliches zu verhandeln, Charley?“ fragte er mich. „Ihr habt ja die Luft mit den Armen geprügelt, daß es zum Beispiel ganz so aussah, als ob Ihr Ballett reiten wolltet.“

„Weißt Du, wer der Mörder von Bernard’s Vater ist?“

„Nun? Du hast es doch nicht etwa herausbekommen?“

„Doch!“

„Well done! Du bist ein Mensch, dem Alles glückt. Wenn ein Anderer Jahre lang vergeblich nach etwas ringt und jagt, so greifst du im Traume in die Luft und hast es. Nun, wer ist es? Ich hoffe, daß Du Dich nicht verrechnest!“

„Fred Morgan.“

„Fred Morgan — dieser?! Charley, ich will Dir Alles glauben, dies aber nicht. Morgan ist ein Schuft unter den Westmännern, doch nach dem Osten kommt er nicht.“

„Ganz, wie Du willst. Die Steine aber gehören Marshall; ich habe sie ihm bereits wiedergegeben.“

„Ha, wenn Du das gethan hast, so mußt Du freilich ganz außerordentliche Ueberzeugung haben. Wird sich freuen, der arme Junge! Und nun gibt es einen Grund mehr, mit diesem Morgan einige Worte im Vertrauen zu reden; ich hoffe, seine Kerbe bald einschneiden zu können.“

„Und wenn wir ihn finden und mit ihm fertig sind, was dann?“

„Was dann? Hm, ich bin nur seinetwegen nach dem Süden, und wäre ihm nachgegangen bis nach Mexiko, Brasilien und dem Feuerlande. Finde ich ihn aber hier, so ist es mir ganz gleich, wohin ich gehe. Vielleicht hätte ich zum Beispiel Lust, einmal hinüber in das alte Californien zu laufen, wo es so prächtige Abenteuer geben soll.“

„Für diesen Fall gehe ich mit. Ich habe noch einige Monate Zeit und möchte den guten Bernard nicht allein diesen weiten und gefährlichen Weg machen lassen.“

„Well, so sind wir einig. Sorge nur dafür, daß wir erst glücklich aus diesem Sande und von dieser Gesellschaft kommen. Sie gefällt mir jetzt viel weniger als heut am Morgen, und besonders will mir das Gesicht des jungen dort verwünscht schlecht behagen; es ist ein Ohrfeigengesicht, und ich meine, daß ich es bereits einmal bei einer Gelegenheit gesehen habe, bei welcher eine Schlechtigkeit im Werke gewesen ist.“

„Geht mir ganz ebenso. Vielleicht besinne ich mich noch, wo ich diesem Gesichte begegnet bin!“

Der Ritt wurde ohne eine besondere Unterbrechung bis Abends fortgesetzt; dann machten wir Halt, versorgten unsere Pferde, aßen einige Bissen hartes Dürrfleisch und begaben uns dann zur Ruhe. Die Gefangenen waren für die Nacht gefesselt worden, und die Wache sorgte dafür, daß sie sich nicht zu befreien vermochten. Als der Morgen anbrach, ging es wieder vorwärts, und bereits am Mittag bemerkten wir, daß der Boden weniger steril wurde. Der Cactus, welchem wir begegneten, wurde saftiger, und bereits zeigte sich hier oder da im Sande ein Halm oder ein Büschel grüngelben Grases, welches unsere Pferde mit Begierde abweideten. Nach und nach drängten sich die Halme und Büschel zusammen; die Wüste wurde zum wiesenartigen Plane, und wir mußten absteigen, um unsere Thiere zufrieden zu stellen, welche sich mit wahrem Heißhunger an dem Grün erlabten. Zu viel durften wir ihnen freilich nicht gewähren; darum pflockten wir sie an, damit sie nur soweit weiden konnten, als die Lassos reichten. Jetzt konnten wir sicher sein, bald Wasser zu finden, und so gingen wir mit dem Reste des unsrigen nicht eben gar zu sehr sparsam um.

Indem wir uns so freuten, die furchtbare Wüste endlich hinter uns zu haben, trat Williams zu mir.

„Sir, glaubt Ihr nun, daß ich die Wahrheit gesagt habe?“

„Ich glaube es.“

„So gebt uns unsere Pferde und Waffen zurück, und laßt uns frei. Wir haben Euch nichts gethan, und können diese Forderung mit allem Rechte stellen.“

„Möglich; da ich aber nicht allein über Euch zu entscheiden vermag, so werde ich die Anderen fragen.“

Wir setzten uns zur Beratung zusammen, welcher ich eine vorbedächtige Einleitung gab:

„Mesch’schurs, wir haben die Wüste im Rücken und gutes Land vor uns; nun gilt die Frage, ob wir noch beisammen bleiben können. Wohin gedenkt Ihr zu gehen?“ wandte ich mich speziell an die Kaufleute.

„Nach dem Paso del Norte,“ lautete die Antwort.

„Wir Vier reiten hinauf nach Santa Fé; unsere Wege laufen also aus einander. Jetzt ist noch die Frage, was wir mit diesen fünf Männern thun.“

Diese wichtige Frage ward nach kurzer Besprechung in der Weise gelöst, die Voyageurs frei zu lassen, und zwar nicht erst morgen, sondern noch heute. Dies war meinem Plane nicht zuwider; sie erhielten also ihr Eigenthum zurück und machten sich sofort auf den Weg. Auf die Frage, wohin sie sich zu wenden beabsichtigten, gab Williams zur Antwort, daß sie dem Pecos bis zum Rio Grande folgen würden, um dort Büffel zu jagen. Sie waren kaum eine halbe Stunde fort, so brachen auch die Kaufleute auf, und bald waren beide Gruppen am Horizonte verschwunden.

Wir hatten seit ihrer Entfernung schweigend dagesessen; jetzt brach Sam die Stille:

„Was meinst Du, Charley?“ fragte er mich.

„Daß sie nicht nach dem Rio Grande gehen, sondern uns den Weg nach Santa Fé verlegen werden.“

„Well, ist auch meine Ansicht. War doch gescheit von Dir, daß Du sie belehrtest, wir wollten just da hinauf, Jetzt ist die

Frage, ob wir zum Beispiel hier bleiben oder sogleich weitergehen sollen.“

„Ich entscheide mich für das Bleiben. Folgen können wir ihnen noch nicht, denn sie vermuthen dies und passen also auf, und da wir vielleicht Strapazen vor uns haben, denen unsere Pferde noch nicht gewachsen sind, so ist es gerathen, wir lassen dieselben bis morgen Rast und Weide halten.“

„Aber wenn diese Menschen heute Nacht zurückkehren und uns überfallen?“ fragte Marshal.

„So würden wir endlich Grund haben, so mit ihnen zu sprechen, wie sie es verdienen. Uebrigens reite ich auf Spähe aus; ich will dies übernehmen, weil mein Pferd das kräftigste ist. Ihr bleibt natürlich hier, bis ich zurückkehre, was möglicherweise erst am Abend geschehen wird.“

Ich stieg auf und ritt, von keinem Einspruch Sam’s zurückgehalten, den Spuren der Voyageurs nach. Diese führten in südwestlicher Richtung in das grüne Land hinein, während die Fährte der drei Kaufleute mehr nach Süden strich.

Ich folgte im Trabe. Die Voyageurs hatten sich in langsamem Schritte entfernt, mußten sich aber später schneller vorwärts bewegt haben, denn es dauerte wohl eine halbe Stunde, ehe ich sie in die Augen bekam. Ich wußte, daß sie kein Fernrohr hatten, und konnte ihnen also in der Weise folgen, daß ich sie immer vor meinem Glase behielt.

Nach einiger Zeit trennte sich zu meinem Erstaunen Einer von ihnen und schlug eine grad westliche Richtung ein. Dort sah ich in der Ferne Strecken von Buschwerk, welche sich wie Halbinseln in die Prairie hineinzogen; es mußte auch Bäche und andere Wasserläufe dort geben. Was thun? Wem sollte ich folgen? Den Vieren oder dem Einen? Eine Ahnung sagte mir, daß dieser Letztere einen Plan habe, der sich auf uns bezog. Wohin die Anderen gingen, konnte mir gleichgültig sein, da sie sich stetig von unserem Lagerplatze entfernten; aber was er vorhatte, das zu wissen konnte uns von großem Vortheile sein. Darum folgte ich ihm.

Nach ungefähr drei Viertelstunden sah ich ihn zwischen den Büschen verschwinden. Jetzt setzte ich meinen Mustang in gestreckten Galopp und ritt einen Bogen, um mich ihm, wenn er auf demselben Wege zurückkehren sollte, nicht zu verrathen. Unweit des Punktes, an welchem er in die Büsche gedrungen war, erreichte auch ich dieselben, ritt aber noch eine ziemliche Strecke zwischen sie hinein, bis ich einen kleinen, freien und rings von Sträuchern umfaßten Platz erreichte, welcher von dem saftigsten Grün bestanden war, weil, wie ich zu meiner großen Freude bemerkte, ein klarer Quell hier entsprang, Ich stieg ab und band mein Pferd so an, daß es saufen und weiden konnte; dann trank ich selbst von dem herrlichen, frischen Wasser und schritt nachher der Richtung zu, in welcher ich auf die Fährte des Reiters stoßen mußte.

Dies geschah sehr bald, und zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß hier mehrere Reiter geritten waren, ja, daß es einen ordentlichen Pfad gab, welcher fleißig benutzt werden mußte. Ich hütete mich wohl, ihn zu betreten; er konnte bewacht sein, und dann hatte ich jeden Augenblick eine Kugel zu erwarten. Vielmehr pürschte ich mich, immer parallel mit ihm, durch das Gebüsch, bis mich nach einiger Zeit ein lautes Schnauben aufmerksam machte.

Eben wollte ich um einen Strauch treten, um zu sehen, wo das Pferd stand, von welchem der Ton hergekommen war, als ich blitzschnell wieder zurückfuhr; denn vor mir lag ein Mann, der den Kopf so zwischen den Zweigen liegen hatte, daß er den Pfad genau beobachten konnte, während es ganz unmöglich war, ihn von demselben aus zu bemerken. Das war jedenfalls die Wache, welche ich vermuthet hatte, und aus ihrer Anwesenheit ließ sich schließen, daß eine ganze Gesellschaft in der Nähe sein müsse. (Fortsetzung folgt.)

Linie 500
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial D2Der Mann hatte mich weder gesehen, noch gehört. Ich kehrte einige Schritte zurück, um ihn zu umgehen, und dies gelang mir so vollständig, daß ich nach fünf Minuten das ganze Terrain erkundet hatte.

Der Pfad lief nämlich auf eine große, weite Lichtung zu, deren Mitte ein dichtes, rundes Buschwerk trug, welches von wildem Hopfen so um- und durchschlungen war, daß man nicht hindurchzublicken vermochte. Aus diesem Gebüsche war das Schnauben gedrungen. Ich schlich mich längs des Randes der Lichtung hin, um zu sehen, ob sich eine Oeffnung im Gebüsch befinde, konnte aber keine entdecken; sie mußte maskirt worden sein, denn eben wurde eine und dann noch eine menschliche Stimme laut, welche mir die Anwesenheit von Männern verrieten.

Sollte ich es wagen oder nicht, mich anzuschleichen? Es war gefährlich, aber ich beschloß dennoch, es zu thun. Mit einigen raschen Sprüngen schnellte ich mich quer über den Lichtungsring hinüber, und zwar an einer Stelle, wo mich der Posten nicht bemerken konnte, weil sich das Gebüsch zwischen ihm und mir befand. So weit ich gehen durfte, ohne gesehen zu werden, fand ich das Buschwerk so dicht, daß ich nicht hindurchzublicken vermochte; eine einzige Stelle nur gab es, tief unten am Boden, ganz an dem Wurzelwerke, die es mir allenfalls erlaubte, mich, hart an der Erde liegend, einzuschieben. Es ging zwar langsam, sehr langsam, aber ich brachte es doch fertig, und nun gewahrte ich, daß das früher ohne Zweifel compakte Buschwerk ausgehauen worden war, so daß die Mitte desselben einen freien Raum von ungefähr dreißig Ellen im Durchmesser bildete, welche Lichtung durch die dichte Laubwand nach außen vollständig abgeschlossen war. An der einen Seite des Raumes gewahrte ich nicht weniger als achtzehn Pferde, welche eng neben einander angebunden waren; ganz in der Nähe meines Versteckes lagen oder saßen siebzehn Männer am Boden, und der übrige Platz zeigte ganze Haufen verschiedener Gegenstände, welche mit ungegerbten Büffelhäuten zugedeckt waren. Ich bekam den Eindruck einer Räuberhöhle, in welcher Alles aufgestapelt wird, was man den Ueberfallenen abgenommen hat.

Eben sprach einer der Männer zu den Uebrigen; es war Williams, in dem ich also denjenigen erkannte, welcher sich von den vier Voyageurs getrennt hatte. Ich konnte jedes Wort vernehmen:

„Der Eine mußte uns belauscht haben, denn ich erhielt auf einmal einen Fausthieb an den Kopf, daß ich wie ein Klotz nieder­fiel — — —“

„Belauscht bist Du worden?“ fragte Einer, der eine ziemlich reiche mexikanische Kleidung trug, mit strenger Stimme. „Du bist ein Tölpel, den wir nicht mehr brauchen können. Wie kann man sich belauschen lassen, noch dazu in der Estaccado, der keinen Ort zum Verstecken bietet!“

„Sei nicht streng, Capitano!“ meinte Williams. „Wenn Du wüßtest, wer es gewesen ist, so würdest Du bekennen, daß selbst Du vor ihm nicht sicher bist.“

„Ich? Soll ich Dir eine Kugel durch den Kopf jagen? Und nicht nur belauscht, sondern sogar niedergeschlagen bist Du worden, niedergeschlagen durch einen Faustschlag, wie ein Kind, wie eine Memme!“

Die Stirnadern Williams’ schwollen an.

„Du weißt, Capitano, daß ich keine Memme bin. Der mich niedergeschlagen hat, streckte auch Dich zu Boden mit einem einzigen Hieb.“

Der Capitano lachte hell auf. „Erzähle weiter!“

„Auch Patrik, welcher sich einstweilen Mercroft nannte, wurde von ihm niedergeschmettert.“

„Patrik? Mit seinem Stierschädel? Und wann das?“

William erzählte das Ereigniß bis dahin, wo wir die Voyageurs wieder freigegeben hatten.

„Carajo, Schurke, ich schieße Dich nieder wie einen Hund. Läßt sich der Kerl mit vier meiner besten Leute von zwei herzugelaufenen -

herzugelaufenen Schuften niederschlagen und gefangennehmen, wie ein Knabe, der kein Mark in den Knochen hat und noch niemals aus der Schürze der Mutter gekommen ist!“

„Thunder-storm, Capitano, wißt Ihr, wer die Beiden waren, dieser Eine, den sie Charley nannten, und der Andere, der sich in den ersten Stunden Sam Hawerfield nennen ließ? Wenn sie jetzt hereinträten, nur diese Zwei, mit den Büchsen in der Hand und das Messer locker im Gürtel, so würde es wohl Manchen geben, der nicht wüßte, ob er sich wehren oder sich lieber ergeben solle. Es war Old Shatterhand und der kleine Sans-ear!“

Der Anführer fuhr empor.

„Lügner! Du willst bloß Eure Feigheit beschönigen!“

„Capitano, stich mich nieder! Du weißt, daß ich nicht mit der Wimper zucke!“

„So sprichst du wirklich die Wahrheit?“

„Ja.“

„Wenn das ist, per todos los santos, so müssen die Beiden sterben, und der Yankee mit dem Nigger auch, denn diese beiden Jäger werden nicht ruhen, bis sie uns entdeckt und vernichtet haben.“

„Sie werden uns nichts thun, denn sie beriethen sich, sofort nach Santa Fé zu gehen.“

„Schweig! Du bist tausendmal dümmer als sie, und doch würdest Du ihnen nicht sagen, wohin Du wirklich gehest. Ich kenne die Art und Weise dieser nördlichen Waldläufer sehr genau. Wenn sie unsere Spuren suchen wollen, so werden sie dieselben finden, selbst wenn wir durch die Luft fahren könnten; ja, wir sind nicht sicher, daß bereits Einer von ihnen hier in den Büschen steckt und Alles hört, was wir sprechen.“

Bei diesen Worten war es mir nicht ganz gleichgültig zu Muthe, aber der Sprecher fuhr fort:

„Ja, ich kenne ihre Weise sehr genau, denn ich war ein ganzes Jahr mit dem berühmten Florimont zusammen, den sie nur Track-Smeller ) nannten, während er As-ko-Iah ✽✽) Bärenherz.] bei den Indianos hieß; bei ihm habe ich alle ihre Schliche und Eigenthümlichkeiten kennen gelernt. Ich sage Euch, diese Leute werden nicht nach Santa Fé gehen und auch ihren Lagerplatz heut nicht verlassen. Sie wissen, daß sie auch morgen noch Eure Spuren finden, und daß ihre Pferde vor allen Dingen ausruhen müssen. Dann werden sie morgen mit gestärkten Gliedern und scharfem Geiste hinter Euch her sein, und wenn wir sie auch sicher erlegen, werden sie doch über die Hälfte von uns niederstrecken. Ich habe erzählen hören, daß dieser Old Shatterhand ein Gewehr hat, mit dem er eine ganze Woche lang schießen kann, ohne daß er es zu laden braucht; der Teufel hat es ihm gemacht, und er hat ihm dafür seine Seele verschrieben. Daher müssen wir sie noch heut abend überfallen, wenn sie schlafen, denn da haben sie, weil sie nur vier Personen sind, höchstens einen Mann als Wache aufgestellt. Kennst du den Ort genau?“

„Ja,“ antwortete Williams.

„So macht euch bereit. Punkt Mitternacht müssen wir dort sein, aber ohne Pferde. Wir schleichen uns an und fallen über sie her, so daß sie an eine Gegenwehr gar nicht denken können.“

Der gute Capitano kannte uns doch nicht so genau, wie er dachte; er hätte sonst noch ganz andere Maßregeln ergriffen. Man begegnet in der Prairie ganz so, wie in den Ortschaften der civilisierten Länder, jener Uebertreibungssucht, welche aus „einer Mücke einen Elephanten macht“, wie man zu sagen pflegt. Wenn sich der Jäger ein oder zwei Mal wacker gegen seine Feinde hält und nebenbei es versteht, seinen Scharfsinn zur Geltung zu bringen, so wird es von Lager zu Lager erzählt; überall kommt etwas dazu, und zuletzt ist er ein Held im Superlativ, dessen Name beinahe dieselbe Wirkung hat, wie seine Waffen. Jetzt

)Fährten-Riecher. ✽✽) Bärenherz.

hatte ich sogar vom Teufel ein Gewehr erhalten, mit welchem ich eine ganze Woche lang zu schießen vermochte, und dieses Wunderwerk war zu reduziren auf meinen Henrystutzen, mit welchem ich allerdings fünfundzwanzig Schüsse abgeben konnte.

„Wo ist Patrik mit den Andern?“ fragte nun der Anführer.

„Nach dem Head-Pik, um seinen Vater zu erwarten, wie er Dir ja gemeldet hat. Bei dieser Gelegenheit wird er sich an die drei Kaufleute machen, welche sehr gute Waffen und auch ein hübsches Stück Geld bei sich führen. Vielleicht ist er bereits mit ihnen fertig, denn er wollte keine Zeit mit ihnen verlieren.“

„So wird er mir die Beute schicken?“

„Mit zwei Männern; den dritten nimmt er mit.“

„Die besten Gewehre werden wir von den beiden Jägern bekommen. Man erzählte mir, daß Sans-ear eine Büchse habe, mit welcher man auf zwölfhundert Schritte weit schießen kann.“

In diesem Augenblick ertönte von Weitem das Gebell eines Prairiehundes. Dies war jedenfalls ein sehr schlecht gewähltes Zeichen, da es unmöglich hier solche Thiere geben konnte.

„Antonio kommt mit den Pfählen, die er für die Estaccado holen soll,“ meinte der Capitano. „Er soll sie nicht draußen abladen, sondern hereinkommen. Seit die Jäger in unserer Nähe sind, müssen wir doppelt vorsichtig sein.“

Diese Worte überzeugten mich vollends, daß ich es mit einer wohl organisirten Schaar Pfahlmänner zu thun hatte, und die unter den Häuten verborgenen Gegenstände bestanden sicherlich nur aus zusammengetragenem Raub, der den früheren Besitzern das Leben gekostet hatte.

Jetzt öffnete sich grad mir gegenüber die Buschwand. Dieselbe bestand an dieser Stelle nur aus herabhängenden Schlingpflanzen, die leicht emporgehoben oder zur Seite geschoben werden konnten, und es ritten drei Reiter in den Kreis, deren Pferde eine ziemliche Anzahl von Stangen nach sich zogen, welche mittelst Riemen zu beiden Seiten der Sättel befestigt waren und ganz in derselben Weise nachgeschleppt wurden, wie die indianischen Reiter ihre Zeltstangen transportiren.

Die Ankunft dieser Männer nahm die Aufmerksamkeit der Versammlung so in Anspruch, daß ich mich jetzt am besten unbemerkt zurückziehen konnte; doch that ich dies nicht, ohne ein Zeichen meiner Anwesenheit mitzunehmen. Der Anführer hatte nämlich seinen Gürtel mit dem Messer und zwei messingbeschlagenen Doppelpistolen ab- und hinter sich gelegt, so daß ich die eine der Pistolen mit dem ausgestreckten Arm erreichen konnte. Ich zog sie an mich und kroch nun langsam zurück, indem ich Zoll für Zoll jede Spur meiner Anwesenheit mit größter Sorgfalt verwischte. Dies that ich auch draußen vor der Buschwand, und dann schnellte ich mich über den Lichtungsring wieder hinüber und in die Sträucher hinein. Hier bewegte ich mich, rückwärts kriechend, um meine Fährte immer wieder zu zerstören, auf den Fingern und Zehenspitzen weiter, bis ich die gehörige Entfernung erreichte, welche mir erlaubte, nun in aufrechter Stellung fortzuschreiten und zu meinem Pferde zurückzukehren.

Dasselbe empfing mich mit so lebhaften Liebkosungen, als sei es nicht vor kurzer Zeit dem Tode des Verschmachtens nahe gewesen; sein truppiges Aussehen war vollkommen gewichen, und der kühle Trank aus der Quelle hatte die letzten Spuren der ausgestandenen Strapazen verwischt.

Ich band es los, setzte mich auf und schlug einen so bedeutenden Umweg ein, daß ich sicher sein konnte, die Stakemen würden meine Anwesenheit nicht entdecken.

Als ich bei den Gefährten anlangte, begann die Dämmerung bereits hereinzubrechen, und ich sah es ihren Mienen an, daß sie besorgt um mich gewesen waren und meine Rückkehr mit Ungeduld erwartet hatten.

„Da sein Massa Charley!“ rief Bob in einem Tone, aus dem ich einen nicht geringen Grad von Zuneigung zu mir entnehmen konnte.

„Oh, Angst haben Bob, und Angst haben all’ wir um Massa Charley!“

Die Andern waren weniger sanguinisch; sie ließen mich absteigen und bei ihnen Platz nehmen, ehe Sam seine Erkundigung begann:

„Nun?“

„Die Kaufleute sind ausgelöscht!“

„Dachte es! Diese Voyageurs, die doch nur Stakemen sind, haben ihren Kurs verändert und werden des Nachts über ihre Opfer herfallen, wenn sie es nicht bereits am hellen Tage gethan haben.“„

„Rathe, wer dieser Mercroft war!“

„Habe Dir schon öfters gesagt, daß ich mich lieber mit einem Bären balge, als daß ich nach etwas rathe, was mir gleich gesagt werden kann!“

„Mercroft war ein falscher Name, und — — —“

„War auch nicht so dumm, zu glauben, daß es der richtige sei!“

„Und,“ fuhr ich in meinem unterbrochenen Satze fort, „der Mann heißt eigentlich Patrik Morgan!“

„Pa — trik — — Mor — gan!“ rief Sam, indem sein Gesicht zum ersten Male seit unserer Bekanntschaft einen Ausdruck der Bestürzung zeigte. „Patrik Morgan! Ist das denn auch möglich? O, Sam Hawerfield, altes ’Coon ), was bist Du für ein Esel; hast diesen Schurken bereits zwischen den Fingern, machst den Sheriff bei der Jury über ihn und lässest ihn wieder laufen! Charley, weißt Du genau, daß er es ist?“

„Sehr genau, und nun weiß ich auch, warum er mir so bekannt vorkam; er sieht seinem Vater ähnlich.“

„All right, jetzt gehen mir tausend Lichter auf! Aus ganz demselben Grund dachte auch ich, daß ich ihn schon gesehen hatte. Wo ist er? Ich hoffe doch nicht, daß er uns entgehen wird!“

„Er massakrirt die Kaufleute und geht dann mit nur einem einzigen Begleiter nach dem Skettel- und Head-Pik, um seinen Vater zu finden.“

„Dann auf, Ihr Leute, vorwärts! Wir müssen ihm nach!“

„Stopp, Sam! Jetzt bricht der Abend herein, wo wir seine Spur nicht sehen können, und außerdem haben wir uns auf einen sehr ehrenvollen Besuch vorzubereiten.“

„Besuch? Wer wird kommen?“

„Dieser Patrik ist Mitglied einer Bande Stakemen, welche da drüben ihr Lager haben. Ihr Anführer ist ein Mexikaner, den sie Kapitän nennen und der beim alten Florimont eine gar nicht üble Schule durchgemacht hat. Ich habe die Räuber belauscht, als ihnen Williams unser Abenteuer erzählte. Sie wollen Punkt Mitternacht über uns her.“

„Sie nehmen also an, daß wir hier liegen bleiben?“

„Allerdings.“

„Well, so sollen sie ihren Willen haben, denn nun bleiben wir erst recht hier und sagen ihnen good evening! Wie viel Köpfe sind es?“

„Einundzwanzig.“

„Das ist ein wenig viel für unser Vier! Was meinst du, Charley? Wir zünden ein Feuer an und legen unsere Röcke so um dasselbe, daß sie dieselben für uns halten; wir selbst aber nehmen weiter draußen Posto, so daß sie zwischen uns und die Flamme kommen. Auf diese Weise erhalten wir ein sicheres Ziel.“

„Der Plan ist gut,“ stimmte Bernard Marshal bei, „und wohl auch der einzige, dessen Ausführung in unserer Lage möglich ist.“

„Schön! So laßt uns gleich nach Material für das Feuer suchen, ehe es vollständig dunkel wird,“ sagte Sam, indem er sich erhob.

„Bleib’ sitzen,“ entgegnete ich. „Glaubst Du wirklich, daß wir es auf diese Weise mit einundzwanzig Männern aufnehmen können?“

„Warum nicht? Sie werden gleich bei den ersten Schüssen davonlaufen, weil sie nicht wissen können, wen sie hinter sich haben.“

„Und wenn nun dieser Capitano klug genug ist, den Sachverhalt zu ahnen? Dann bekommen wir einen harten Stand und werden ausgelöscht trotz unserer Gegenwehr.“

„So Etwas muß der Jäger zum Beispiel immer gewärtig sein!“

„Dann wirst du auch die beiden Morgans fahren lassen müssen!“

)Racoon, Waschbär, ein beliebter Ausdruck, mit welchem sich die Trapper gern selbst bezeichnen.

„Behold, das ist sehr richtig! So meinst Du also, daß wir uns leise von dannen machen, ohne diesen Raubmördern das Handwerk zu legen? Das können wir vor Gott und allen braven Männern, welche durch die Estaccado ziehen, nicht verantworten!“

„Was Du hier sagst, fällt mir gar nicht ein! Ich habe einen andern und, wie mir scheint, auch bessern Plan.“

„Heraus damit!“

„Während sie uns hier suchen, machen wir uns über ihr Hide-spot) und bemächtigen uns all’ ihrer Pferde und Vorräthe.“

„Good-lack, das ist wahr! Aber, Du sagst, ihrer Pferde — wollen sie uns denn zu Fuß angreifen?“

„Ja. Und das läßt mich schließen, daß sie ihr Versteck bereits zwei Stunden vor Mitternacht verlassen werden.“

„Hast Du es gut gemerkt?“

„Das versteht sich! Wenn wir sie hier erwarten, setzen wir unser Leben auf das Spiel; nehmen wir ihnen aber ihren Proviant, ihre Munition, ihre Pferde, so ist es ihnen, wenigstens für lange Zeit hinaus, unmöglich, ihr Handwerk fortzusetzen, und wir brauchen wohl kaum einen Schuß zu thun.“

„Sie werden aber jedenfalls Wachen zurücklassen!“

„Ich kenne den Ort, an welchem der Posten sich befindet.“

„Sie werden uns verfolgen!“

„Das werden sie auch thun, wenn wir hier auf sie warten und dann doch noch fliehen müssen.“

„Nun gut, so sollst du recht haben. Wann brechen wir auf?“

„Wir können es schon in einer Viertelstunde thun; da ist es bereits vollständig finster.“

„Oh, das werden schön!“ meinte der Neger. „Bob reiten mit und nehmen all’ Sachen, die liegen bei Räuber. Das besser sein, als bleiben hier und schießen todt Bob!“

Es wurde so dunkel, daß man kaum zehn Schritte weit zu sehen vermochte. Wir brachen auf; ich ritt voran, und die Anderen folgten mir, nach Indianerart Einer hinter dem Anderen.

Natürlich schlug ich nicht die grade zum Versteck führende Richtung ein, sondern machte einen möglichst großen Bogen, welcher uns an eine Stelle des Buschsaumes führte, die wohl eine englische Meile von dem Hide-spot entfernt lag. Hier hobbelten wir unsere Pferde an und schritten dann zu Fuß auf das Versteck zu. Trotzdem sowohl Marshal als auch der Neger keine große Gewandtheit im Anschleichen besaßen, gelangten wir doch unbemerkt an den Rand der Lichtung, genau dem Pfade gegenüber, in dessen Buscheinfassung vorhin die Wache gelegen hatte.

Ein lichter Schein über dem Verstecke bewies, daß ein Feuer oder wenigstens eine Fackel brannte; um uns her aber war es so dunkel, daß ich ohne Sorge aufrecht über die Lichtung gehen konnte. Ich fand die Stelle wieder, an welcher ich das Gespräch belauscht hatte, und hörte, noch ehe ich mich niedergebückt hatte, von innen die Stimme des Anführers. Ich drängte mich zwischen dem Wurzelwerke hindurch und sah, daß Alle in der Mitte des Platzes standen, wohl bewaffnet und zum Aufbruche bereit. Der Capitano war noch im Sprechen begriffen:

„Wenn wir nur die geringste Spur gefunden hätten, so dächte ich, es wäre einer von den Jägern hier gewesen und hätte uns belauscht. Wo ist die Pistole hingekommen? Vielleicht ging sie heute am Morgen auf meinem Ritte verloren, und ich habe es nicht bemerkt, als ich den Gürtel ablegte. Also, Hoblyn, Du hast sie wirklich alle Vier beisammen sitzen sehen?“

„Alle Viere. Es waren drei Weiße und ein Schwarzer, und ihre Pferde weideten hart daneben. Eines der Thiere hatte keinen Schwanz und sah aus wie ein Ziegenbock ohne Hörner.“

„Das ist die alte Stute von Sans-ear, die ebenso berühmt ist, wie er selber. Sie haben Dich doch nicht bemerkt?“

„Nein. Ich ritt mit Williams nur so weit hinan, als es keine Gefahr brachte, und kroch dann an der Erde weiter, bis ich Alles deutlich sehen konnte.“

Der Schüler des alten Florimont war also doch so klug und vorsichtig gewesen, eine Patrouille gegen uns auszuschicken; ein Glück für uns, daß dies zu der Zeit geschehen war, in welcher ich bereits wieder bei den Freunden gesessen hatte.

)Versteck.

„Dann wird Alles gut gehen! Du, Williams, bist ermüdet; Du bleibst hier zurück, und Du, Hoblyn, nimmst den Posten am Wege. Ihr Anderen aber vorwärts!“

Bei dem Scheine des nicht sehr hell brennenden Feuers sah ich, daß der Eingang geöffnet wurde. Neunzehn Männer verließen das Versteck, und nur die beiden Anderen blieben zurück. Noch waren nicht Alle in dem Pfade verschwunden, so stand ich bereits wieder neben Sam.

„Wie steht’s, Charley? Mir scheint, sie brechen jetzt auf!“

„Ja. Zwei bleiben daheim, nämlich Einer als Posten dort am Wege und Williams drin im Verstecke. Williams ist nicht bewaffnet, der Posten aber hat bereits das Gewehr in der Hand. Wir dürfen jetzt noch nichts thun, denn man könnte etwas vergessen haben und wiederkommen; aber machen wir uns bereit. Komm, Sam; Ihr Beiden bleibt hier, bis wir Euch rufen oder abholen!“

Wir schlichen uns bis zum Pfade hin und hatten wohl zehn Minuten zu warten, bis der Posten heraustrat. Er schlenderte in einer Weise auf der Blöße hin und her, daß wir überzeugt sein mußten, er hege nicht die mindeste Befürchtung wegen seiner Sicherheit. So mochte im Ganzen wohl eine Viertelstunde vergangen sein, als er sich uns näherte. Jetzt war nicht mehr zu befürchten, daß Jemand zurückkehren werde, und wir brauchten also nicht länger zu zögern.

Ich drückte mich hüben und Sam sich drüben eng an den Busch; in dem Augenblick, in welchem er zwischen uns vorüber wollte, hatte ihn Sam bei der Kehle gefaßt. Ich riß ihm von seinem alten Tuchwamse einen tüchtigen Fetzen herunter, drehte denselben zu einem Knebel zusammen und steckte ihm diesen zwischen die Zähne. Dann wurde er mittelst seines eigenen Lassos, den er um die Hüften trug, an Händen und Füßen gefesselt und an den Busch gebunden.

„Jetzt weiter!“

Wir traten zum Eingange, wo ich die wilden Hopfenranken ein wenig zur Seite schob. Williams saß am Feuer, über welchem er sich ein Stück Fleisch briet. Er hatte mir den Rücken zugewandt; ich konnte mich ihm nähern, ohne daß er es bemerkte.

„Haltet das Stück höher, Master Williams, sonst verbrennt es!“

Er fuhr herum und blieb, als er mich erkannte, vor Schreck starr und bewegungslos sitzen.

„Guten Abend! Fast hätte ich das Grüßen vergessen, und mit Gentlemen Eures Schlages kann man doch nie zu höflich sein.“

„O — O — Old Shat — Shatterhand!“ stammelte er, mich mit weit geöffneten Augen anstarrend. „Was wollt Ihr hier?“

„Ich muß doch dem Capitano die Pistole hier wiederbringen, welche ich heut mitnahm, als Ihr ihm Euer Abenteuer erzähltet.“

Er zog das eine Bein an, als wolle er sich zum Aufschwingen vorbereiten, und blickte sich um, ob er eine Büchse zu erlangen vermöge. Aber nur sein Bowiemesser lag neben ihm.

„Bleibt ruhig sitzen, Master Stakeman, denn die geringste Bewegung kostet Euch das Leben. Erstens ist die Pistole Eures Hauptmannes geladen, und zweitens dürft Ihr nur nach dem Eingange blicken, um zu sehen, daß es hier noch mehr Kugeln gibt!“

Er sah sich um und erblickte Sam, welcher mit angeschlagener Büchse nach ihm zielte.

„Thunder-storm, ich bin verloren!“

„Vielleicht noch nicht, wenn Ihr Euch ruhig fügt. — Bernard, Bob, herbei!“

Dieser laute Ruf hatte zur Folge, daß die beiden Draußenstehenden unter dem Eingange erschienen.

„Dort an den Sätteln hängen Lassos, Bob. Nimm einen und binde diesen Mann!“

„Tod und Hölle! Lebendig sollt Ihr mich nicht nochmals fangen!

Mit diesen Worten stieß sich der Pfahlmann sein eigenes Bowiemesser in’s Herz und brach zusammen.

„Gott sei seiner Seele gnädig!“ murmelte ich erschüttert.

„Dieser Schurke hat vielleicht mehr als hundert Menschenleben auf dem Gewissen,“ meinte Sam in dumpfem Tone. „Nie war ein Messerstich besser angebracht.“

„Er hat sich selbst gerichtet,“ erwiederte ich; „wohl uns, daß wir es nicht zu thun brauchten!“

Dann schickte ich Bob hinaus, um Hoblyn zu holen. Bald lag dieser vor uns am Boden. Der Knebel wurde entfernt, und der Gefangene holte tief Athem. Voll Entsetzen haftete nun sein Blick auf der Leiche seines Raubgenossen,

„Du bist ein Mann des Todes, wie dieser da, wenn du dich weigerst, uns Auskunft zu geben.“

„Ich werde Alles sagen!“ versprach der Geängstigte.

„Nun also, wo ist das Gold versteckt?“

„Dort hinten unter den Mehlsäcken ist es vergraben.“

Jetzt wurden die Häute entfernt, und es ging an ein Untersuchen der vorhandenen Vorräthe. Da gab es nun einen förmlichen Reichthum von Allem, was jemals durch die Estaccado transportirt worden war: Waffen von allen Sorten und Arten, Pulver, Blei, Patronen, Lassos, Sättel, Beutel, Decken, vollständige Reise- und Jagdgewänder, Tuch und Callico, unächte Korallenketten und Schmucksachen nebst Perlenschnüren, wie sie von den Indianerinen so außerordentlich geliebt werden, allerhand Kurzwaaren, Instrumente und Werkzeuge, eine Menge Büchsen voll Pemmican ), große Vorräthe von anderen Nahrungsmitteln, und bei Allem war es nicht schwer, die Spur zu entdecken, daß es geraubt worden sei.

Bob warf die Säcke um sich, als habe er es mit leichten Tabaksbeuteln zu thun. Marshal suchte unter den Werkzeugen Hacke und Schaufel; es wurde nachgegraben, und nach kurzer Zeit waren wir im Besitze von so viel Goldstaub und Goldkörnern, daß wir ein Pferd damit beladen konnten.

Es schauderte mir, wenn ich dachte, wie viele arme Goldsucher den Tod hatten erleiden müssen, um diese Menge deadly dust✽✽) zusammenzubringen, der diesen Namen mit vollem Rechte verdient. Die zurückkehrenden Diggers nehmen nur wenig davon mit in die Heimat und wechseln den Ertrag ihrer Arbeit meist in Papiergeld oder Depositenscheine und Anweisungen um. Die Ermordeten hatten diese Papiere ganz sicher bei sich getragen. Wo waren sie hingekommen?.

„Wo ist das Geld, und wo sind die Papiere, die Ihr den Beraubten abgenommen habt?“ frug ich Hoblyn.

„In einem Verstecke weit von hier. Der Capitano wollte sie nicht hier aufbewahren, weil es Mitglieder gab, denen er nicht traute.“

„So weiß er diesen Versteck ganz allein?“

„Nur er und der Lieutenant kennen ihn.“

„Wer ist euer Lieutenant?“

„Patrik Morgan.“

Es blitzte in mir auf. „Reich werden wir auf alle Fälle,“ hatte dieser Mensch an seinen Vater geschrieben. Sollte er einen Verrath an seinen Kameraden vorhaben?

„Hast Du keine Ahnung, wo dieser Versteck ungefähr sein kann?“

„Ich weiß es nicht sicher; aber der Capitano scheint dem Lieutenant nicht zu trauen. Dieser ist mit noch Einem heut nach dem Head-Pik am Rio Pecos, und morgen sollte ich mit Zweien ihm nach, um ihn zu beobachten.“

„Ah! Der Hauptmann hat Dir einen Ort beschrieben, ganz bestimmt und deutlich beschrieben?“

Der Gefragte schwieg verlegen.

„Antworte wahr! Schweigst Du, so bist Du ein todter Mann; redest Du aber aufrichtig, so sollst Du Gnade finden, trotzdem Ihr Alle den Strang verdient habt.“

„Ihr rathet richtig, Sir!“

„Welches ist dieser Ort?“

„Ich soll ihn sofort von hier weg aufsuchen und den Lieutenant niederschießen, wenn er sich ihm naht. Es ist ein kleines Thal, welches ich sehr genau kenne, weil ich bereits einmal -

)Konserviertes Rindfleisch.

✽✽)Tödlicher Staub.

einmal dort gewesen bin; Euch aber kann die Beschreibung desselben wenig nützen, denn Ihr würdet es dennoch nicht finden.“

„Hat er Dir nur das Thal bezeichnet, oder wurde Dir ein gewisser Punkt genau genannt?“

„Der Capitano wird sich hüten, mir diesen Punkt zu nennen. Sein Befehl lautet, mich zu verbergen und dem Lieutenant eine Kugel zu geben, wenn er das Thal betreten sollte.“

„Gut! Ich schenke Dir das Leben, natürlich nur unter der Bedingung, daß Du uns zu diesem Thale führst.“

„Ich werde es thun.“

„Doch merke Dir, daß Du verloren bist, wenn Du uns zu täuschen suchst. Du wirst nicht frei, sondern als Gefangener mitreiten.“

„Well,“ meinte Sam, „so wären wir hier mit unserm Forschen zu Ende. Was nun?“

„Wir nehmen nur das Gold mit und was wir von dem Uebrigen brauchen: Waffen, Munition, Tabak und Proviant, auch einige Kleinigkeiten zu Geschenken für die Indianer, wenn wir mit solchen zusammentreffen sollten. Macht Euch an die Auswahl; ich will mir unterdessen die Pferde betrachten.“

Ich fand vier stammhafte Michigantraber, welche sich sehr gut zum Lasttragen eigneten, außerdem verdienten nur noch drei Mustangs das Mitnehmen. Sie waren besser als die Thiere, welche Bernard und Bob ritten; zwei konnten also mit den Letzteren vertauscht werden, während ich das dritte für Hoblyn bestimmte.

Packsättel, wie sie die Maulthiere tragen, gab es. Ich schnallte jedem der Traber einen auf. Nun wurde Alles, was wir mitzunehmen gedachten, in die vorhandenen Decken gebunden, so daß acht Packete entstanden, von denen ein Pferd je zwei zu tragen bekam. Von allen übrigen Gegenständen bildeten wir einen großen Haufen, an dessen Basis wir das Pulver, welches nicht mitgenommen werden konnte, und alle leicht entzündlichen Gegenstände placirten.

„Was thun wir mit den übrigen Pferden?“ frug Sam.

„Bob bindet sie los und jagt sie hinaus in die Prairie; es ist zwar unklug, aber es widerstrebt mir, sie zu tödten. Führe Du den Zug fort; ich werde zurückbleiben, um den Scheiterhaufen anzubrennen.“

„Warum kann denn dies nicht gleich geschehen?“ frug mich Marshal.

„Das Feuer wird weit hinaus gesehen; die Stakemen werden natürlich schleunigst zurückkehren und können uns trotz der Dunkelheit dann möglichen Falls erreichen. Es ist also besser, ich lasse Euch erst weit genug fort und komme dann auf einem Pferde schnell nachgeritten.“

„Well, Du hast Recht, Charley; fort also, Boys!“ befahl Sam.

Er schritt voran, eines der Packpferde am Zügel führend; die andern drei folgten, und Marshal beschloß mit Bob und dem hoch zu Roß gefesselten Hoblyn den kleinen Zug. Ich blieb mit meinem Pferde halten und wartete. Die sich entfernenden Schritte verklangen. So verging über eine Viertelstunde, und ich durfte nicht länger zögern, da die Stakemen sonst zurückkehren und mich überraschen konnten. Ich trat wieder hinein in das Versteck, um den Haufen anzuzünden.

Wir hatten mit Hilfe einer zerrissenen Decke eine Art von Lunte gemacht, welche mir Zeit gab, mich, ehe das Pulver in Brand gerieth, gehörig weit zu entfernen; es war ja, da wir auch eine Menge Patronen mit hinzugelegt hatten, eine Explosion möglich. Ich zündete also an, nahm dann mein Pferd am Zügel und folgte dem Pfad hinaus nach der Prairie. Vor den letzten Büschen schwang ich mich in den Sattel. Da erhob sich im Hide-spot ein Prasseln und Knattern: das Feuer hatte die Decke ergriffen, in welche die Patronen eingewickelt worden waren. Ich gab meinem Pferde die Sporen und ritt, so schnell es die Dunkelheit gestattete, von dannen.

(Fortsetzung folgt.)
Linie 439
(533)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

3. Unter den Comanchen.

Initial DDa, wo die Gebiete von Texas, Arizona und Neu-Mexiko zusammenstoßen, also an den Zuflüssen des Rio grande del Norte, erheben sich die Berge der Sierren de los Organos, Rianca und Guadelupe und bilden ein Gebiet von wilden, wirr durcheinander laufenden Höhenzügen. Diese zeigen sich bald als riesige, nackte Bastionen, bald sind sie von dichtem, dunklem Urwalde bestanden und werden hier durch tiefe, fast senkrecht abfallende Cannons und dort durch sanft absteigende Thalrinnen getrennt, welche seit ihrer Entstehung von der Außenwelt abgesondert zu sein scheinen. Und dennoch trägt der Wind Blüthenstaub und Samen über die hohen Zinnen und Grate, daß sich eine Vegetation entwickeln kann; dennoch klimmt der schwarze und der graue Bär an den Felsen empor, um in die dort herrschende Einsamkeit hinabzusteigen; dennoch findet der wilde Bison hier einige Pässe, durch und über welche er auf seinen Herbst- und Frühjahrswanderungen in Heerden zu Tausenden von Exemplaren zu drängen vermag; dennoch tauchen hier bald weiße, bald kupferfarbige Gestalten auf, so wild wie die Gegend selbst, und wenn sie wieder

abgezogen und verschwunden sind, weiß Niemand, was geschehen ist, denn die schroffen Steinriesen sind stumm, der Urwald schweigt, und noch kein Mensch hat die Sprache der Thiere zu verstehen gelernt.

Hier herauf kommt der kühne Jäger, nur allein auf sich und seine Büchse angewiesen; hier herauf steigt der Flüchtling, welcher mit der Civilisation zerfallen ist; hier herauf schleicht sich der Indsman, der aller Welt den Krieg erklärt, weil alle Welt ihn vernichten will. Da taucht bald die Pelzmütze eines kräftigen Trappers, bald der breitrandige Sombrero ) eines Mexikaners, bald der Haarschopf eines Wilden zwischen den Zweigen auf. Was wollen sie hier? Was treibt sie herauf in diese abgeschlossenen Höhen? Es gibt nur eine Antwort. die Feindschaft gegen Mensch und Thier, der Kampf. um ein Dasein, welches dieses Kampfes nicht immer werth zu nennen ist.

Drunten auf der Ebene stoßen die Jagdgründe und Gebiete der Apachen mit denen der Comanchen zusammen; an diesen Grenzen geschehen Heldenthaten, von denen keine Geschichte etwas

)Deutsch: „Schattenmacher.“

meldet. Durch die Zusammenstöße dieser reckenhaften Völkerschaften wird mancher Einzelne oder mancher versprengte Trupp heraufgedrängt in die Berge und hat hier von Fuß- zu Fußbreit mit dem Tode oder mit Gewalten zu kämpfen, welche zu besiegen eine Unmöglichkeit zu sein scheint.

Der Rio Pecos entspringt auf der Sierra Jumanes, hält erst eine südöstliche Richtung ein und wendet sich dann, in die Sierra Rianca tretend, grad nach Süden. Nahe am Austritte aus derselben schlägt er nach West einen gewaltigen Bogen, den rechts und links Berge einfassen; diese weichen zu beiden Seiten seiner Ufer doch so weit zurück, daß hüben und drüben ein bald schmaler, bald breiterer Prairiestreifen Platz findet, der eine üppig grüne Grasvegetation zeigt, die sich in dem von den Höhen bis zum Fuße des Gebirges niedersteigenden Urwalde verliert.

Das ist ein höchst gefährliches Terrain. Die Berge sind langgestreckt, so daß es nur selten einen Spalt, eine Schlucht gibt, die zur Seite führt, und wer hier einem Feinde begegnet, vermag nicht auszuweichen, wenn er nicht sein Pferd im Stiche lassen will, ohne welches er vielleicht auch verloren ist.

Wir hatten dieses Flußthal erreicht, welches ich bereits früher einmal, allerdings in zahlreicher und sicherer Gesellschaft, durchritten hatte. Jetzt waren wir nur zu Vieren und sahen unsere Kräfte noch dadurch geschwächt, daß wir einen Gefangenen zu überwachen hatten, der sich zwar außerordentlich gehorsam zeigte, aber doch sehr leicht den Verrath im Herzen tragen konnte.

Er ritt in der Mitte neben Bob; Sam war voran, und ich folgte mit Bernard Marshal, der während der Zeit unseres weiten Marsches sich als ein tüchtiger Reiter erwiesen hatte.

Es war am Vormittag, und die Sonne hatte eben die Spitze der jenseits des Flusses liegenden Berge erreicht. Obgleich es Mitte August war, berührten uns ihre Strahlen doch außerordentlich wohlthuend, denn hier zwischen den dunklen Höhen verschwand sie bereits am Nachmittag; die Nächte waren ziemlich kalt und die Morgen so feucht und frisch, daß wir unsere Decken so lange wie möglich um die Schultern trugen.

Hoblyn war bisher am Tage stets frei in unserer Mitte geritten, nachts aber hatten wir ihn gebunden; er bürgte mit dem Leben für die Wahrheit seiner Mittheilungen.

„Haben wir noch weit bis zum Skettel- und Head-Pik?“ fragte mich Marshal.

„Morgen vielleicht erreichten wir die Berge, wenn wir, nach der Beschreibung von Hoblyn, nicht vorher rechts abgehen müßten.“

„Wäre es nicht besser, erst nach den Bergen zu gehen, da wir Fred Morgan dort treffen werden?“

„Selbst in diesem Falle dürften wir nicht direkt auf sie zuhalten, da er uns dann bemerken würde; er ist sicher bereits da, denn wir haben heute den vierzehnten August. Aber ich denke, Patrik ritt nach dem Thale, und wo der Sohn ist, wird wohl auch der Vater zu treffen sein. Uebrigens kann Patrik höchstens einige Stunden Vorsprung haben, da wir ihm stets hart auf der Ferse geblieben sind. Heute Nacht hat er sechs Meilen von hier gelagert, und wenn er zu gleicher Zeit, das heißt mit Tagesanbruch, mit uns aufgebrochen ist, so ist er höchstens drei Stunden vor uns her.“

„Have care!“ rief in diesem Augenblick Sam Hawerfield vorn. „Dort liegt am Waldesrande auf dem Boden ein Zweig, der noch grün ist; er kann also noch nicht sehr lange abgebrochen worden sein, und folglich ist Jemand vor Kurzem hier gewesen.“

Wir ritten näher und stiegen ab. Sam hob den Zweig empor, besah ihn und reichte ihn dann mir hin.

„Schau Dir doch das Ding zum Beispiel einmal an, Charley.“

„Hm, ich wollte wetten, daß dieser Zweig vor kaum einer Stunde abgebrochen wurde!“

„Meine es auch. Siehst Du hier die Tapfen?“

Ich bückte mich zur Erde.

„Zwei Männer. Laß sehen!“

Ich zog zwei Stäbchen aus der Tasche, die ich mir nach den Fußspuren geschnitten hatte, welche am ersten Lagerplatze Patrik’s und seines Gefährten von uns beobachtet worden waren.

„Sie sind’s; das Maß stimmt ganz genau! Wir dürfen nicht weiter, Sam.“

„Hast recht! Er darf nicht bemerken, daß Jemand hinter ihm ist. Doch, wenn die Strolche hier vom Pferde gestiegen sind,

so müssen sie eine Absicht dabei gehabt haben. Dort ließen sie die Pferde stehen, die mit den Hufen gescharrt haben, und hier gehen die Fußspuren in das Holz. Wollen sehen!“

Wir ließen die drei Andern warten und drangen, die Spuren verfolgend, in den Wald ein. Wir hatten eine ziemliche Strecke zu gehen, bis Sam, welcher voran war, stehen blieb. Grad vor ihm war der Boden zerstampft und die Moosdecke aufgelockert; es hatte das Ansehen, als habe man unter derselben gegraben und sie dann wieder an ihre frühere Stelle gelegt. Ich bückte mich nieder und entfernte das Moos.

„Eine Hacke!“ rief Sam.

„Richtig!“ antwortete ich überrascht, „hier hat eine Hacke gelegen.“

Unter dem Moose zeigte der lockere, moderige Bottomgrund ganz genau den Abdruck einer Hacke, welche hier gelegen hatte.

„Die haben sie sich geholt. Aber wer hat sie hier versteckt?“ fragte Sam.

„Diese Frage ist sehr leicht zu beantworten. Als der Capitano mit dem Lieutenant ihren Schatz vergraben und das Thal verlassen hatten, ist ihnen nach einiger Zeit dieses Werkzeug beschwerlich gefallen, und sie haben sich hier desselben entledigt. Jedenfalls werden wir draußen an den Saumbäumen ein Zeichen finden, welches sie sich für den Fall ihrer Rückkehr machten; denn die Hacke wird ja bei der Befreiung des Schatzes wieder gebraucht.“

Ich deckte das Moos wieder auf die Spur und ging zurück, um die Bäume draußen zu betrachten. Richtig! An zweien, nämlich an denen, welche rechts und links von der Fährte standen, waren noch die Spuren von drei Kerben zu sehen, die über einander eingeschnitten waren, und außerdem hatte man bei beiden Bäumen die untersten drei Aeste abgebrochen.

„Was folgt daraus, Charley? Kannst du es dir denken?“ frug mich Sans-ear.

„Ebenso gut wie Du und jeder Andere, denn dies zu errathen ist ja leicht genug: er hat wirklich die Absicht, nach dem Thale zu gehen.“

„Es ist nothwendig, daß wir ihm dort zuvorkommen, und es fragt sich also, ob er direkt hingeht oder erst seinen Vater sucht.“

„Das werden wir erfahren und zwar sofort.“

Ich wandte mich zu Hoblyn:

„Haben wir noch weit bis dahin, wo der Weg nach diesem Thale hier vom Flusse abgeht?“

„Nein; höchstens noch zwei Stunden, wenn ich mich recht entsinne.“

„So reiten wir bis dorthin. Folgt er diesem Wege, so geht er direkt zu dem Verstecke; behält er aber die gegenwärtige Richtung bei, so will er erst seinen Vater holen, und nach seinem Verhalten haben dann auch wir uns zu richten! Uebrigens müssen sie sehr lange hier verweilt haben, da er kaum eine Stunde vor uns ist. Aus diesem Grunde ist es rathsam, ein wenig zu rasten; er könnte um irgend einer Ursache willen vor uns halten bleiben und würde uns dann sicherlich bemerken.“

„All right, Charley; so bleiben wir hier. Aber wir wollen nicht so unvorsichtig sein, wie er, und die Pferde im Freien lassen. Zieht sie herein zwischen die Bäume und nehmt ein Weniges zu essen aus den Taschen, denn ich habe zum Beispiel seit Sonnenaufgang noch keinen Bissen zwischen die Zähne bekommen!“

Wir thaten nach seinem Geheiße und ließen uns auf das weiche Moos nieder. Kaum war dies geschehen, so stieß Hoblyn einen schwachen Ruf aus und deutete mit der Hand zwischen die Bäume hinaus.

„Seht einmal die Schlucht da drüben, Mesch’schurs! Es war mir just so, als hätte ich ganz oben auf ihrem höchsten Punkte Etwas schimmern sehen, gleich einer stählernen Lanzenspitze.“

„Unmöglich!“ meinte Sam. „Wie kann man auf so weit hin eine Lanzenspitze bemerken?“

„Und doch, Sam,“ entgegnete ich ihm. „Wenn das Auge zufälliger Weise grad auf den kleinen Punkt fällt, an dem sie sich befindet, so ist es recht gut möglich. Aber solche Lanzen tragen nur die Indsmen, und es müßten al­so — — —“ Wahrhaftig, jetzt sah auch ich es blinken, einmal ganz oben und dann ein Stück weiter herab. „Hört, ihr Leute, das können nur Indianer sein, und es ist ein unendliches Glück, daß wir auf

den Gedanken gekommen sind, hier unterzukriechen. Wären wir weiter geritten, so hätten sie uns unbedingt bemerkt, da wir die Sonne grad gegenüber haben.“

Ich nahm mein Fernrohr heraus und richtete es gegen die Schlucht. Was ich sah, war ganz geeignet, mich höchst besorgt zu machen.

„Hier, Sam, sieh Dir die Kerls einmal genauer an! Es sind ihrer wenigstens hundertundfünfzig.“

Er nahm das Glas an das Auge und gab es dann Bernard.

„Guckt Euch einmal die Rothhäute an, Master Marshal! Habt Ihr vielleicht bereits einmal mit diesen Comanchen zu thun gehabt?“

„Noch nicht. Es sind also Comanchen?“

„Ja. Der Gegend nach könnten es wohl auch Apachen sein; aber diese tragen den Schopf anders als die Kerls, die dort herabkommen. Seht Ihr die rothen und blauen Farben, mit denen sie ihre Visagen bemalt haben? Das ist das sicherste Zeichen, daß sie sich auf dem Kriegspfade befinden. Darum haben sie die Lanzenspitzen so blank geschliffen, und in jedem Köcher stecken einige vergiftete Pfeile, mit denen ich heut zum Beispiel noch gar nicht gern zu thun haben mag. Was meinst Du, Charley, wenn sie hier vorüberkämen?“

„Sie würden uns unbedingt bemerken.“

„Wenn man nur hinaus könnte, um den Zweig zu entfernen und unsere Spuren zu verwischen; das geht aber nicht!“

„Würde auch nichts helfen, Sam, denn sie würden weiter oben unsere Fährte doch bemerken und diese sicherlich bis hierher verfolgen.“

„Das weiß ich; aber wir könnten dann Zeit gewinnen, hier auszubrechen und uns zu salviren, ehe sie zurückkämen.“

„Das ist richtig. Die Hufspuren sind gleich hier am Rande. Vielleicht geht es, auch ohne daß man hinaustritt.“

Hinter mir stand ein dürres, dünnes Fichtenstämmchen. Ich schnitt es ab und angelte mit ihm den Zweig herein; dann suchte ich mir eine Stelle, an welcher dürre Nadeln auf dem Boden lagen, sammelte einige Handvoll davon und säte sie über die Spur hinweg, welche allerdings so schwach war, daß sie nur von dem scharfen Auge eines Indianers bemerkt werden konnte.

„Wollen sehen, ob es hilft, Charley! Mich würdest du damit nicht täuschen.“

„In wiefern?“

„Hat ein Ahorn Kiefernadeln?“

Allerdings stand grad über den Hufspuren ein Ahorn, aber die Sache war nun einmal nicht zu ändern. Uebrigens nahmen nun die Indsmen unsere vollständige Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie hatten eben den unteren Theil der Schlucht erreicht, blieben dort halten und schickten einige Krieger auf Spähe aus.

„Heigh-day, sie kommen nicht hierher!“ rief Sam erfreut.

„Woraus seht Ihr das?“ fragte Bernard.

„Erkläre es ihm, Charley, da Du Dich einmal seiner zum Beispiel als Lehrmeister angenommen hast!“

„Sehr einfach. Von den drei Männern, welche recognosciren, reiten zwei längs der Höhe stromab und einer auf das Wasser zu. Sie wollen also übersetzen, werden aber nicht aufwärts kommen, da sie in diesem Falle das Terrain nicht ab-, sondern aufwärts untersuchen würden. Die Zwei sollen das Terrain nach Spuren, also nach seiner Sicherheit untersuchen, während der Dritte sehen soll, ob der Pecos hier zum Durchschwimmen geeignet ist.“

Bald kehrten alle Drei zu den Wartenden zurück; sie schienen befriedigende Kunde zu bringen, denn die Truppe setzte sich direkt auf das Wasser zu in Bewegung. Wir konnten sie jetzt mit bloßem Auge zählen, und es ergab sich, daß ich sie eher etwas zu niedrig als zu hoch geschätzt hatte. Es waren lauter junge, kräftige Leute, die zu zwei Stämmen oder Dörfern gehören mußten, da zwei Häuptlinge an ihrer Spitze ritten.

„Die Beiden mit den Adlerfedern im Haare sind die Häuptlinge?“ frug Bernard.

„Ja.“

„Ich hörte, daß diese stets Schimmel reiten!“

„Schimmel? Hihihihi!“ lachte Sam belustigt vor sich hin.

„Da seid Ihr sehr falsch berichtet, Bernard!“ meinte ich. „Drüben im alten Lande kommt es wohl vor, daß ein Feldherr einen Lieblingsschimmel reitet, hier aber nicht. Der Indianer ist

überhaupt kein Freund der hellen Farben beim Pferde, und kann er schon auf der Jagd keinen Schimmel gebrauchen, weil das Weiß das Wild verscheucht, so bei einem Kriegszuge erst recht nicht. Nur im Winter, wo die Farbe dem Schnee gegenüber als Maske dient, kann es einmal bei einem einzelnen Unternehmen vorkommen, daß man auf einen Schimmel steigt, und dann nimmt auch der Reiter einen weißen Kattun über. Ich selbst habe dies einmal droben am Nord-Park versucht, und zwar mit gutem Erfolge.

Mittlerweile waren sämmtliche Pferde in das Wasser gegangen, und obgleich der Fluß hier ein starkes Gefälle hatte, hielten sie sich doch so wacker, daß, als sie hüben landeten, sich kaum einige Ellen Abtrift ergaben. Nun wurde wieder recognoscirt, und dann setzte sich der Zug abwärts in Bewegung.

Jetzt konnten wir erleichtert Athem holen, denn die Gefahr war für uns keine geringe gewesen. Sam streichelte seiner Stute den Hals.

„Was meinst Du, alte Tony, wenn uns die Rothen heut abgestutzt hätten, mir die Ohren und Dir den Schwanz? Ja so, das ist ja schon früher geschehen! Aber, Charley, was wird nun zum Beispiel mit Patrik und seinem Stakeman? Denn seine Spur bemerken sie ganz sicher!“

„Sie werden ihm nichts thun,“ antwortete Hoblyn.

„Nichts? Warum?“

„Weil sie ihn kennen. Es sind Comanchen vom Stamme der Racurroh, mit denen er und der Capitano die Friedenspfeife geraucht haben, weil wir Vieles von dem, was wir übrig hatten, an sie verhandelten.“

„Das ist schlimm, denn dann ist es sehr leicht möglich, daß er mit ihnen gegen uns gemeinschaftliche Sache macht.“

„Müssen auch das abwarten, Sam,“ tröstete ich. „Er wird sich hüten, sie mit in das Thal zu nehmen! Höchstens erfordert es die Höflichkeit, daß er einige Stunden bei ihnen bleibt, um das Calumet ) mit den Häuptlingen zu rauchen; dann ist er wieder sein eigener Herr.“

Ich trat an den Saum des Waldes und steckte den Kopf durch die Zweige, um den Wilden nachzusehen. Sie waren bereits hinter der nächsten Krümmung des Flusses und dem Berg verschwunden. Ehe ich mich zurückwandte, warf ich meinen Blick ganz unwillkürlich stromauf und — fuhr mit dem Kopfe schnell hinter die Zweige. Sam hatte diese schnelle, beinahe erschrockene Bewegung bemerkt und frug:

„Was gibt’s? Kommen dort oben auch Indsmen?“

„Wie es scheint, ja! Wenigstens hält Einer dort am Ausgange der oberen Schlucht.“

Sans-ear hatte das Fernrohr noch neben sich liegen und setzte es an.

„Zounds, es ist richtig! Aber es ist bloß Einer, wenn nicht vielleicht noch Andere weiter hinten halten. Was seh’ ich! Das ist doch zum Beispiel gar ein Apache!“

„Wirklich?“

„Ja, und zwar ein Häuptling. Er trägt das Haar lang herab; es hängt ihm bis auf den Rücken des Pferdes nieder, und nur eine einzige Locke ist aufgewickelt, in welcher drei Adlerfedern stecken. Jetzt reitet er auf das Wasser zu.“

„Laß mir einmal das Rohr!“

Er gab es mir, leider aber konnte ich nichts mehr sehen, da der Mann sich bereits im Wasser befand und durch eine Erhöhung des diesseitigen Ufers verdeckt wurde.

„Weißt Du, wie das ist, Charley? Diese Comanchen werden, ohne daß sie es ahnen, von den Apachen verfolgt, und dieser Häuptling ist vorangegangen, um sie stets im Auge zu behalten. Er fängt das ganz verwünscht klug an, denn er ist ihnen nicht auf ihrer Fährte gefolgt, sondern oberhalb von ihnen in der nächsten Schlucht über die Berge gegangen. Tretet zurück, denn diese Kerls haben scharfe Augen! Er kommt auf alle Fälle hier vorüber, drum haltet Eueren Pferden die Nüstern zu; sie sind es gewohnt, zu schnauben, wenn ein Indianer in die Nähe kommt. Meine Tony hat allerdings mehr Grütze im Kopfe. Nun, stille!“

Wir konnten ihn nicht kommen sehen, da wir uns am oberen Theile einer Thalkrümmung befanden, aber kaum waren fünf

)Friedenspfeife.

Minuten seit den letzten Worten verflossen, so vernahmen wir den Huftritt seines Pferdes.

Die Andern hatten sich zurückgezogen, ich jedoch lag hinter einem ziemlich dichten Gesträuch. Er kam, langsam und den Boden musternd: Hatte er vielleicht einige niedergetretene Grashalme oder eine andere Spur bemerkt? Es mußte so sein, und sieh, jetzt hielt er mir grad gegenüber an und richtete den Blick auf die Nadeln, welche ich vorhin hinausgeworfen hatte. Im Nu stand er am Boden, mit dem Tomahawk in der Faust.

„Feuer, Charley!“ kommandirte Sam leise.

Ich aber drang ebenso schnell, als er vom Pferde gesprungen war, durch den Busch ihm entgegen. Sein muskulöser Arm holte aus zum fürchterlichen Hiebe.

„Winnetou! Will der große Häuptling der Apachen seinen Bruder vergessen?“

Er ließ den Arm sinken, und sein dunkles Auge leuchtete freudig auf.

„Shar-Iih!“

So hatte er stets meinen Namen ausgesprochen. Er rief nur dies eine Wort, aber es lag in dem Tone eine Freude, die ein stolzer Indsman lieber beherrscht, als laut erklingen läßt.

„Was thut der große Apache am Rio Pecos?“

Er steckte den Tomahawk in den Gürtel.

„Die Flöhe der Comanchen haben ihr Lager verlassen, um dem Apachen ihr Blut zu geben. Der große Geist sagt, daß Winnetou ihre Scalps nehmen wird. Was thut mein weißer Bruder in diesem Thale? Sagte er nicht vor vielen Monden, daß er wieder über das große Wasser ziehen werde zum Wigwam seines Vaters und seiner Schwestern? Wollte er nicht dann hinüber in die große Wüste, welche fürchterlicher ist, als die Mapimi und die Estaccado?“

„Ich habe das Wigwam des Vaters gesehen und bin in der Sahara gewesen; aber der Geist der Savanne hat mich gerufen im Lichte des Tages und im Traume der Nacht; ich bin seiner Stimme gefolgt.“

„Mein weißer Bruder hat recht gethan! Das Herz der Prairie ist groß und weit; es faßt das Leben und den Tod, und wer seinen Puls gefühlt hat, der darf wohl gehen, aber er kommt immer wieder zurück. Howgh!“

„Mein Bruder trete mit seinem Pferde unter die Bäume, damit wir das Calumet des Willkommens rauchen!“

„Winnetou sitzt gern bei seinem Bruder, denn dieser ist ein großer Häuptling geworden unter den weißen Jägern; sein Auge ist wie das des Falken, sein Herz wie das der Taube und seine Hand wie die Tatze des Bären, welche die Schädel der Comanchen zermalmt. Winnetou hat gehört, daß ihn alle Männer des Gebirges und der Prairie nennen Old Shatterhand; er wird sein Bruder sein, wie vor vielen Monden!“

Er nahm sein Pferd beim Zügel und trat mit mir unter die Bäume. Hier erst erblickte er meine Begleiter; aber obgleich ich mit keinem Worte derselben gedacht hatte, zeigte er sich nicht im Mindesten überrascht, vielmehr that er, als habe er sie gar nicht bemerkt. Er griff in die Satteltasche, zog Pfeife und Tabaksbeutel hervor und setzte sich mit würdevoller Haltung nieder.

„Winnetou ist gewesen weit im Norden am großen See, um zu graben den heiligen Thon für sein Calumet, Shar-Iih ist der Erste, welcher mit ihm rauchen wird.“

„Es werden heut noch Andere mit meinem rothen Bruder rauchen.“

„Winnetou raucht nur mit tapferen Männern, in deren Herzen kein Falsch ist, und auf deren Lippe die Wahrheit wohnt; doch er weiß, daß sein weißer Bruder auch nur mit solchen Männern redet.“

„Hat der große Häuptling der Apachen gehört von Sans-ear, dem tapferen, klugen Jäger?“

„Winnetou kennt ihn, aber er hat ihn noch nicht gesehen. Sans-ear ist listig wie die Schlange, klug wie der Fuchs und tapfer wie der Jaguar. Er trinkt das Blut der rothen Männer und hat ihren Tod eingegraben auf dem Kolben seiner Büchse; aber sie haben ihm getödtet sein Weib und sein Kind; er tödtet nur die Bösen. Ich sehe sein Pferd; warum kommt er nicht zu Winnetou, um mit ihm zu rauchen die Pfeife des Friedens?“

Sam erhob sich und trat herbei, aber ich sah es ihm an, daß er sich einigermaßen verlegen fühlte in der Gegenwart des Mannes, der als der größte, tapferste und gerechteste Krieger aller Savannen bekannt war.

„Mein roter Bruder hat recht gesagt; ich tödte nur die Bösen, den Guten aber gehört meine Hülfe.“

Ich winkte auch Bernard herbei.

„Der Häuptling der Apachen möge sein Auge leuchten lassen auch über diesen Krieger. Er war ein sehr reicher Mann; die weißen Mörder aber haben ihm seinen Vater getödtet und seine Diamanten und Dollars geraubt. Der Mörder ist hier am Rio Pecos; er wird sterben von seiner Hand!“

„Winnetou ist sein Bruder; er wird ihm helfen, zu ergreifen den Mörder seines Vaters. Howgh!“

Dieses letzte Wort galt bei Winnetou stets als eine Betheuerung, die er sicherlich erfüllte. Ich hatte also für Bernard eine Kraft, eine Hülfe gewonnen, wie wir uns keine bessere wünschen konnten. Der Apache hatte jetzt seine Pfeife gestopft und steckte sie in Brand. Nachdem er den Rauch dreimal empor zum Himmel und dreimal nieder zur Erde geblasen hatte, stieß er ihn nach den vier Himmelsrichtungen aus und gab dann mir das Calumet. Ich that ebenso und gab es Sam. Nachdem auch Marshal die Ceremonie beendet hatte, ging es in die Hände Winnetou’s zurück.

Der Anblick dieses Apachen mußte das Auge eines jeden Westmannes entzücken. Die zierlichen, nervigen Körperformen und die Spannkraft einer jeden seiner Bewegungen hätten auch dem stärksten, erfahrensten Trapper imponirt. Seine breiten Schultern und seine starke Brust waren nackt und von zahlreichen Narben bedeckt. Um seine engen, gerundeten Hüften schlag sich eine freine Decke von Santillo, in glänzenden, verschiedenartigen Farben schillernd. Eine kurze, prächtig gegerbte Wildlederhose legte sich eng um seine muskulösen Oberschenkel und war an den Seiten mit den Sclaplocken getödteter Feinde geschmückt. Gamaschen von scharlachrothem Tuche bedeckten seine Unterschenkel; Kniebänder, von Menschenhaar geflochten, welches jedenfalls auch von den Sclapen der Feinde stammte, und aus Stachelschweinsborsten gefertigte Eicheln umschlossen über den Knöcheln und unterhalb der Kniee diese Gamaschen, und die Füße stacken in wirklich kunstreichen Moccassins, welche mit Zierrathen von Pferdehaar ausgeputzt waren. Von seiner Schulter hing das Fell eines grauen Bären. Wäre sein Gesicht nicht mit Kriegsfarben bemalt gewesen, so hätte man eine ächt römische Nase, eine hohe Stirn, auf welcher Muth und Biederkeit thronten, einen kühn geschnittenen Mund, und zwei Augen bewundern können, welche bestimmt zu sein schienen, durch ihren Blick zu herrschen. Die fast unmerklich hervortretenden Backenknochen störten die schöne Harmonie der Züge nicht, vielmehr gaben sie ihnen etwas eigenthümlich Fremdartiges, was den Beschauer fesseln mußte. Seine Waffen bestanden in einem leicht gekrümmten Scalpmesser, einem glänzenden Tomahawk, zwei Revolvern, einem künstlich geflochtenen Lasso, welcher in kurzen Bogen um seine Hüften hing, und in einer gezogenen Doppelbüchse, deren Holztheile eng mit silbernen Nägeln beschlagen waren. So wie er hier saß unter den Bäumen der Wildniß, hätte er ruhig auf der Bühne oder auf einem der eleganten Maskenbälle einer europäischen Residenz erscheinen können, und Niemand würde geglaubt haben, daß all diese Dinge dem wilden Westen angehörten, so nett und sauber war jeder Zollbreit an dem rothen Krieger, und so ritterlich und gebieterisch zugleich seine ganze Erscheinung.

Das war es auch, was dem guten Sam so ganz gegen seine sonstige Weise imponirte. Dennoch aber brachte er es fertig, das Gespräch einzuleiten:

„Mein rother Bruder hat viele Krieger in der Nähe?“

„Ugh!“

Dies war bei Winnetou stets ein Ausruf des Erstaunens, während er den Laut „Uff!“ nur dann hören ließ, wenn es eine Ermunterung galt. Sam kannte die Gewohnheiten des Apachen noch nicht, und da er nur dies eine Wort zur Antwort bekam, so glaubte er, falsch verstanden worden zu sein; daher wiederholte er:

„Ich frug, ob mein rother Bruder seine Krieger in der Nähe hat?“

„Ugh! Mein weißer Bruder mag mir sagen, wie viele Bären sein müssen, um tausend Ameisen zu zertreten!“

„Nur einer.“

„Und wie viele Krokodile, um hundert Kröten zu verschlingen?“

„Nur eines.“

„Und wie viele Häuptlinge der Apachen, um diese Mücken von Racurroh zu tödten? Wenn Winnetou den Kriegspfeil ausgräbt, so nimmt er nicht seine Männer mit, sondern er geht allein; er kennt keinen einzelnen Stamm, dessen Häuptling er ist, sondern er ist der König aller Apachen; er mag die Hand ausstrecken hier oder dort, so eilen tausend Krieger herbei, um seine Befehle zu vollbringen. Er hat viele Zungen, die ihm erzählen, was die Söhne der Comanchen thun, und er hat viele Messer und Tomahawks, um seine Feinde zu vertilgen von der Erde.“

Dies war eine der längsten Reden, die ich je aus dem Munde des schweigsamen Apachen gehört hatte. Sans-ear mußte hoch in seiner Achtung stehen, daß er sich seinetwegen zu einer solchen Auseinandersetzung herbeiließ. Nach derselben wandte er sich zu mir:

„Der Mann soll sprechen mit der Faust; aber mein Bruder erzähle mir, was er mit diesen Männern will, die bei ihm sind!“

Ich gab ihm einen kurzen, aber genauen Bericht über die Ereignisse, welche uns an den Rio Pecos geführt hatten. Er hörte aufmerksam zu und blickte dann eine Weile zu Boden. Den letzten Rauch aus seiner Pfeife blasend, erhob er sich und steckte das Calumet wieder in die Tasche.

„Meine weißen Brüder mögen mir folgen!“

Er nahm sein Pferd, führte es hinaus und schwang sich auf; ich hielt mich ihm zur Seite, und im scharfen Schritte setzten wir unsern Ritt fort. Er ritt einen braunen, starkknochigen Klepper, den ich schon von früher her kannte. Dieses Thier hatte ganz das Aussehen eines abgetriebenen Karrengaules, und nur ein Kenner wie Winnetou konnte sich entschlossen haben, es als Reitpferd zu gebrauchen. Es war unerreichbar im Galopp, ruhig im Trabe, ausgiebig und unermüdlich im Schritte und kerngesund auf der Lunge. Seine Klugheit stand keineswegs hinter derjenigen von Sam’s Stute zurück, und mit seinen scharfen, stahlharten Hufen hatte es nicht nur einmal den gefährlichen grauen Wolf oder gar den Puma in die Flucht geschlagen. Wenn Winnetou aufsaß, so schien Roß und Reiter ein Leib und eine Seele, ein Wille und ein Entschluß zu sein, und niemals kam es vor, daß ihm die Kraft und Ausdauer, der Muth und die Gewandtheit dieses unvergleichlichen Thieres versagten.

Als wir die Spuren der Comanchen erreichten, erkannten wir, daß sich die Horde ganz und gar sicher gefühlt haben mußte, denn man hatte sich auch nicht die geringste Mühe gegeben, die Fährte weniger kenntlich werden zu lassen. So ritten wir wohl eine Stunde weit, bei jeder Biegung des Weges haltend, um das vor uns liegende Terrain zu überblicken. Eben waren wir wieder an eine Ecke des Waldes gekommen und standen schon im Begriffe, dieselbe zu umreiten, als der Apache plötzlich sein Pferd zurückriß.

Er deutete mit dem rechten Arme vorwärts, während die geschlossene Linke das Zeichen zur Schweigsamkeit und Vorsicht geben sollte. Ich streckte den Kopf vor und strengte meine Augen an, konnte aber nicht das Mindeste bemerken.

Winnetou hing seine Büchse an den Sattelknopf, zog das Bowiemesser, stieg ab und verschwand zwischen den Bäumen, ohne ein Wort zu verlieren.

„Was mag es geben, Charley?“ fragte Sam.

„Weiß es nicht.“

„Ist ein närrischer Kauz, dieser Apache! Konnte er uns nicht erst sagen, was er vorhat?“

„Hast Du nicht gehört, daß er sagte, der Mann soll mit Thaten sprechen? Er hat etwas Verdächtiges bemerkt und ist gegangen, um sich zu überzeugen. Das hast Du aus seinem Thun erkannt, und darum braucht er keine Rede zu halten.“

„Aber sagen konnte er, welcher Art dieser Gegenstand war!“

„Das werden wir bald sehen.“

„Aber wir wüßten doch zum Beispiel, wornach wir uns zu richten und wie wir uns zu benehmen hätten!“

„Das wissen wir ohnedies. Wir haben hier hinter der Ecke zu warten, bis er zurückkehrt oder uns ein Zeichen gibt, vorwärts zu gehen; das ist doch einfach.“

„Massa, oh, ah, haben hören Massa?“ unterbrach Bob den kleinen Wortwechsel.

„Was?“

„Haben schreien ein Mann!“

„Wo?“

„Da, hinter Ecke!“

Ich blickte die Andern fragend an, aber Keiner hatte etwas gehört, doch konnte der Neger trotzdem Recht haben.

Da erscholl — und jetzt hörten wir es Alle — der Lockruf des Spottvogels. Jeder Andere hätte diese Töne wirklich für die Stimme des Wipp-por-will gehalten, ich aber wußte, daß sie vom Munde des Apachen kamen, denn diesen Ruf hatten wir während unserer früheren Fahrten mit einander verabredet und sehr oft in Anwendung gebracht.

„Ein Wipp-por-will hier,“ meinte Sam. „Möchte zum Beispiel wissen, wo diese Art von Kreatur nicht anzutreffen wäre!“

„Diese Art von Kreatur hast Du heut zum ersten Male gesehen und gehört: es ist Winnetou, der uns ruft. Vorwärts, dort steht er am Waldesrande!“

Ich nahm das Pferd des Apachen beim Zügel, und die Andern folgten. Winnetou stand einige hundert Schritte weit von uns am Saume des Forstes, in welchem er verschwand, sobald er bemerkte, daß seinem Rufe Folge geleistet wurde. An der Stelle angekommen, stieg ich ab und trat unter die Bäume. Dort stand der Apache, und zu seinen Füßen lag ein junger Mensch, gebunden mit seinem eigenen Gürtel. Er hielt die Augen in unendlicher Angst auf Winnetou gerichtet und stöhnte leise.

„Memme!“

Nur dies eine Wort sprach der Apache, dann wandte er sich verächtlich ab. Der Gefangene war ein Weißer. Als er mich erblickte, hellte sich sein Gesicht etwas auf; er mochte, da ich zu seiner Rasse gehörte, einige Hoffnung fassen, die sich vergrößerte, als jetzt auch Sam hinzutrat.

„Ein Weißer, ein Yankee!“ rief dieser. „Warum behandelt ihn mein rother Bruder als Feind?“

„Böses Auge!“ antwortete Winnetou kurz.

Hinter uns erscholl jetzt ein lauter Ruf, und als ich mich umwandte, sah ich Marshal mit einem unbeschreiblichen Gesichtsausdrucke den Gefangenen betrachten,

„Holfert! Um Gottes willen, wie kommen Sie hierher?“

„Marshal! Master Marshal!“ antwortete der Angeredete, der also ein Bekannter Bernard’s sein mußte; aber es wollte mir scheinen, als ob er durch die Anwesenheit meines Freundes nicht sehr angenehm berührt werde.

„Wer ist dieser Mann?“ frug ich.

„Er ist aus Knoxville, heißt Holfert und war ein Gehilfe in unserem Geschäft,“ antwortete Bernard.

Ein Gehilfe bei Marshal und hier in der Nähe des Orts, an welchem wir Morgan zu treffen hofften? Es kam mir ein Gedanke.

„War er noch bei Euch, als sich Euer Geschäft auflöste?“

„Ja.“

Ich wandte mich an den Gefangenen:

„Master Holfert, wir haben Euch bereits seit langer Zeit gesucht. Wollt Ihr mir wohl sagen, wo sich Euer guter Freund, der sich Fred Morgan nennt, befindet?“

Er erschrak.

„Seid Ihr ein Detective, Sir?“ fragte er.

„Was ich bin, das werdet Ihr seiner Zeit ganz genau erfahren, doch will ich Euch sagen, daß ich nicht gerne in einer amtlichen Eigenschaft mit Euch verfahren möchte, denn ich bin sehr geneigt, anzunehmen, daß Ihr nur verführt worden seid. Also antwortet! Wo ist Morgan?“

„Bindet mich los, Sir; dann werde ich euch Alles sagen!“

Bernard machte ein Gesicht, als ob er etwas ganz Unglaubliches vernehme.

„Vom Losbinden kann keine Rede sein, doch wollen wir Eure Fesseln ein wenig lockern. Bob, schnalle ihn lockerer!“

Der Angeredete trat vor und bückte sich nieder.

„Bob, auch du!“ rief Holfert erstaunt.

„Bob auch da, yes! Oh, wo sein Massa Bern’, da auch immer sein Nigger Bob. Warum nicht bleiben Massa Holfert in Lu’ville, sondern gehen in Berge? Warum werden Massa Holfert binden?“ (Fortsetzung folgt.)

Linie 538
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial EEr lockerte ihm den Gürtel, so daß er aufrecht sitzen konnte. Ich setzte das Verhör fort:

„Also zum dritten Male: Wo ist Morgan?“

„Am Head-Pick.“

„Wie lange wart Ihr jetzt mit ihm beisammen?“

„Ueber einen Monat.“

„Wo traft Ihr ihn?“

„Er hatte mich nach Austin bestellt.“

„Bestellt? Ah? So kanntet Ihr ihn früher?“

Der Gefangene schwieg. Ich zog den Revolver.

„Seht Euch einmal dieses kleine Ding hier an, Master Holfert! Ich weiß sehr genau, woran ich mit Euch bin, aber ich wünsche doch, daß Ihr mir über den Tod Eures Prinzipals und über das Verschwinden seines Eigenthums etwas Näheres erzählt. Redet Ihr nicht, oder bringt Ihr die Unwahrheit vor, so erhaltet Ihr die Kugel. Im Westen pflegt man mit einem Raubmörder noch weniger Federlesens zu machen, als da drüben in den „Staaten“!“

„Ich bin kein Mörder!“ stammelte der Mann in höchster Angst.

„Ich habe Euch bereits gesagt, daß ich ganz genau weiß, was ich von Euch zu halten habe! Es kommt nun allerdings darauf an, ob wir Euch als einen verstockten oder reumüthigen Menschen behandeln sollen. Also, Ihr kanntet Morgan schon früher?“

„Er ist ein Verwandter von mir.“

„Und hat Euch in Louisville besucht?“

„Ja.“

„Weiter! Ich habe nicht Lust, eine Menge Fragen zu thun, da Ihr auch ohne dieselben reden könnt.. Denkt an den Revolver!“

„Wenn Master Marshal weggeht, werde ich Alles erzählen!“

Ich mußte die Gefühlsregung des so unverhofft entdeckten Verbrechers berücksichtigen.

„Ihr sollt Euern Willen haben!“

Ich winkte Bernard, welcher sich entfernte, aber, wie ich wohl bemerkte, in einem Bogen wieder zurückkehrte und sich im Rücken des Gefangenen hinter den Stamm eines Baumes stellte. Ich hätte in diesem Augenblick in sein Herz blicken mögen.

„Nun also!“

„Morgan besuchte mich öfters, und ich ließ mich überreden, mit ihm zu spielen.“

„Er besuchte Euch in Eurer Privatwohnung?“

„Ja, nie im Geschäfte. Ich gewann und spielte leidenschaftlich weiter. Dann verlor ich, mehr und mehr, bis ich ihm mehrere tausend Dollars schuldig wurde. Ich konnte sie nicht bezahlen, und da drohte er mir mit der Anzeige, denn ich hatte ihm Wechsel mit der falschen Unterschrift meines Prinzipals gegeben. Ich konnte mich nicht anders retten, ich mußte ihm mittheilen, wo sich der Schlüssel zum Laden befand.“

„Ihr wußtet, was er dort wollte?“

„Ja. Wir wollten theilen und dann nach Mexiko gehen. Vorher aber mußten wir uns trennen, aus Vorsicht wegen der Verfolgung, und er bestimmte mir die Zeit, in welcher ich ihn in Austin treffen würde.“

„Ihr sagtet ihm, daß Euer Prinzipal stets einen Hauptschlüssel bei sich trage?“

„Ja; aber ich dachte nicht, daß er ihn ermorden werde. Er sagte, daß er ihn nur betäuben wolle. Wir lauerten den Prinzipal ab, doch anstatt ihn nur zu schlagen, stach er ihn nieder. Dann öffneten wir die Hausthüre und legten den Todten in den Flur. Was wir fanden, theilten wir gleich an Ort und Stelle.“

„Er nahm die Diamanten, und Ihr erhieltet das Uebrige?“

„Ja. Da ich Fachmann war, fiel es mir nicht schwer, meinen Antheil, allerdings nur unter Verlust, in Geld umzuset­zen — —“

„Und nun — ah, ich errathe! Dieses Geld hat Euch Morgan jetzt abgenommen?“

„So ist es.“

(553)

„Waret Ihr wirklich thöricht genug, zu glauben, daß ein so schlechter Mensch ehrlich gegen Euch handeln werde? Ihr konntet es Euch doch denken, daß er Euch in die Wildniß führte, nur um sich ungestraft in den vollständigen Besitz des Raubes zu setzen! Auf welche Weise nahm er Euch das Geld ab?“

„Er hatte gestern Abend die Wache. Ich schlief fest. Da fühlte ich eine Berührung und wachte auf. Morgan hatte mir bereits die Waffen und die Brieftasche genommen und stand im Begriffe, mir sein Messer in die Brust zu stoßen. Die Angst gab mir Kräfte; ich warf ihn zur Seite, sprang auf und rannte fort. Er verfolgte mich, aber weil es dunkel war, glückte es mir, zu entkommen. Ich bin während der ganzen Nacht fortgelaufen, denn ich konnte mir denken, daß er meinen Spuren nachgehen werde, sobald der Tag anbrach. Erst vor kurzer Zeit habe ich es gewagt, mich hier zu verstecken, um ein wenig zu schlafen; aber ich kam nicht dazu, denn die Indianer ritten vorüber. Darum wollte ich sogleich wieder fort. Da erblickte ich diesen Häuptling und verkroch mich wieder — er hat mich dennoch gefunden!“

Der Mann war fürchterlich abgespannt. Vielleicht trug dieser Zustand das Meiste dazu bei, daß er Alles so offen bekannte; denn im Tone seiner Stimme war nicht viel von Reue und innerer Bewegung zu hören.

Ich rief Bernard herbei.

„Dieser Mann ist Euer. Was werdet Ihr mit ihm thun?“

Marshal schwieg; es mochte in seinem Herzen die Rache mit dem Mitleid kämpfen. Dann legte er dem Gefangenen noch einige Fragen vor und wandte sich endlich zu uns:

„Der Schurke hat vielleicht den Tod verdient, doch wollen wir ihn laufen lassen. Gott wird ihn richten!“

„Das ist schlimmer als ein schneller Tod, Bernard. Ohne Waffen, Pferd und alle Hilfe und Erfahrung würde er nicht weit kommen.“

„So nehmen wir ihn mit uns, bis sich eine Gelegenheit bietet, ihn los zu werden!“

„Er würde uns ungemein belästigen, da wir bereits einen Gefangenen bei uns haben. Es wäre leicht möglich, daß Beide gemeinschaftliche Sache machten.“

„Dann wären wir immer Vier gegen Zwei.“

„Hier handelt es sich nicht darum, daß sie uns körperlich gefährlich werden könnten, ich denke vielmehr an andere Möglichkeiten, durch die wir in bedeutende Fatalitäten kommen würden. Auch ich will sein Richter nicht sein. Wir könnten ihm eins unserer Packpferde geben und einige Waffen dazu. Frage Winnetou!“

Dieser hatte, seitwärts stehend, die ganze Verhandlung mit angehört. Jetzt trat er herzu und löste den Gürtel von den Armen Holfert’s.

„Aufstehen!“

Der Gefangene erhob sich. Winnetou zeigte auf dessen Hand.

„Hat der weiße Mann gewaschen seine Hand vom Blute des Gemordeten?“

„Ja,“ antwortete der Gefangene verzagt bei dem Tone dieser Stimme.

„So ist Blut gewesen an dieser Hand, und Blut wird nicht gewaschen mit Wasser, sondern wieder mit Blut- so will es Manitou, und so will es der große Geist der Savanne. Sieht der weiße Mann dort den Zweig am Rande des Flusses?“

„Ja.“

„Er gehe hin und hole ihn. Wenn er ihn abzubrechen vermag, so soll er leben dürfen, denn der Zweig ist das Zeichen des Friedens und der Gnade.“

Wir alle waren einigermaßen überrascht über diese sonderbare Bedingung. Holfert ging auf das Ufer zu, welches ungefähr vierhundert Schritte entfernt war. Die ihm gemachte Bedingung

war sehr leicht zu erfüllen, denn der Zweig befand sich nicht im Wasser, sondern hart am Ufer. Er erreichte ihn und streckte seine Hand darnach aus. Da erhob Winnetou seine silberbeschlagene Büchse; der Schuß krachte, und Holfert stürzte, mitten durch den Kopf getroffen, vornüber in die Fluthen.

Winnetou lud den abgeschossenen Lauf kaltblütig wieder.

„Der weiße Mann hat den Zweig nicht gebracht; er muß sterben! Der Geist der Savanne ist gerecht und barmherzig; er gibt nicht Gnade, die in das Verderben führt. Der weiße Mörder wäre getödtet worden von den Comanchen, von den Stakemen und aufgefressen von den Coyoten!“

Dann bestieg er sein Pferd und ritt davon, ohne sich nach uns umzusehen.

Schweigend und in ernster Stimmung folgten wir.

Die Spuren der Comanchen blieben in gleicher Weise kenntlich. Daß sie einen Kriegszug vorhatten, zeigte ihre Bemalung, doch mußte ihr Ziel ein entferntes sein, sonst hätten sie sich vorsichtiger benommen. Winnetou kannte jedenfalls ihr Vorhaben, doch war er viel zu schweigsam, als daß er ohne genügende Veranlassung eine Bemerkung darüber hätte fallen lassen sollen. Eben wollte ich mich an seine Seite begeben, als wir vor uns einen — zwei — drei Schüsse knallen hörten.

Sofort hielten wir an. Winnetou winkte zurück und ritt vorwärts bis zur nächsten Biegung. Wir blieben halten. Er stieg ab und huschte in die Sträucher, aus denen er bald zurückkehrte, um uns durch eine Bewegung seiner Hand herbeizurufen.

„Comanchen und zwei Bleichgesichter!“

Mit diesen Worten kroch er wieder in die Büsche, und wir Drei folgten, während Bob bei Hoblyn und den Pferden blieb.

Vor uns erweiterte sich das Thal des Flusses zu einem breiten Kessel, in welchem sich uns ein überraschender Anblick bot. Hart am rechten Ufer des Flusses hatten die beiden Häuptlinge der Comanchen ihre Lanzen in die Erde gesteckt und an die Schäfte derselben die Schilde gelehnt. Sie selbst saßen dabei am Boden und rauchten ihre Calumets mit zwei Weißen, welche zu beiden Seiten von ihnen Platz genommen hatten. Die Thiere dieser vier Männer weideten in der Nähe. Vor ihnen entwickelte sich eine kriegerisch wilde und dennoch friedliche Scene: die Comanchen führten eines jener Kampfspiele auf, bei denen sie ihre ganze Meisterschaft im Reiten und Gebrauch der Waffen zu beweisen pflegen. Die Entfernung war zu groß, als daß man die Züge der Meisten zu erkennen vermochte, und ich griff darum zu meinem Fernrohr. Dann sagte ich zu Sans-ear:

„Holla, wer ist das! Sam, gucke einmal hindurch!“

Sans-ear ergriff das Rohr und richtete es.

„’s death, das ist dieser Fred Morgan mit seinem Sohn! Wie kommen sie hier zusammen und unter die Indsmen?“

„Das ist sehr leicht zu erklären; Patrik war ja immer kurz vor uns, und Morgan ist vom Head-Pik her diesem Holfert nach; da haben sie sich getroffen. Und vor den Indsmen brauchen sie sich nicht zu verstecken, wie Du auch gehört hast.“

„So wird es sein, aber unlieb genug ist es mir dennoch!“

„Warum?“

„Wie werden wir uns die Beiden zwischen den Rothen herausholen können?“

„Ich hoffe, sie werden nicht beisammen bleiben, denn es kann keineswegs die Absicht der zwei Spitzbuben sein, den Indianern etwas von dem Schatze, den sie heben wollen, wissen zu lassen.“

„Dann ist es am besten, wir bleiben hier, um sie zu beobachten.“

„Sicher scheinen wir hier zu sein, denn es ist nicht anzunehmen, daß einer von den Rothen zurückkehren wird.“

„Kann nicht Morgan kommen, der doch Holfert verfolgen will?“ frug Marshall.

„Er wird von seinem Sohne und den Comanchen erfahren, daß diese ihm nicht begegnet sind, und also annehmen, daß er einen anderen Weg eingeschlagen hat,“ antwortete ich ihm. „Ziehen wir die Pferde in ein Versteck?“

Winnetou nickte zustimmend mit dem Kopfe, und ich trat hinaus, um dies zu besorgen. Die Packpferde wurden, da sich ein mehrstündiger Aufenthalt vermuthen ließ, abgeladen und mit unsern anderen Thieren etwas tiefer hinein in den Wald gebracht.

Als Hoblyn den Thalkessel erblickte, streckte er den Arm aus:

„Sir, dort rechts hinauf geht die Schlucht, welche wir verfolgen müssen.“

„Dort? Das ist fatal!“

„Warum, Charley?“ fragte Sam.

„Weil wir nicht hin und diesen Beiden also nicht zuvor kommen können. Du kannst Dir doch denken, daß sie sofort nach Abzug der Comanchen sich auf den Weg machen werden!“

„Da habt keine Sorge, Sir!“ fiel Hoblyn ein. „Diesen Weg kennt nur der Capitano und ich; der Lieutenant aber geht einen andern, der weiter unten am Bette eines Nebenflusses emporführt.“

„Dann mag es sein, und wir können diesen Leuten da ruhig und unbesorgt zuschauen!“

Die Comanchen hatten sich in zwei Parteien getheilt, welche sich gegenseitig zu bekämpfen schienen, bald in geschlossener Truppe, bald aufgelöst im Einzelkampfe, und zeigten dabei eine Ausdauer und Behendigkeit, welche einen europäischen Zuschauer in das höchste Erstaunen versetzen mußten. Bei ihnen gab es keinen Sattel und auch nicht das gewöhnliche Zaumzeug. Sie binden eine Decke, ein Fell oder eine Matte auf den Rücken ihres Thieres. An jeder Seite dieses Felles ist ein breiter und sehr starker Riemen befestigt, welcher über den Nacken des Pferdes gelegt ist und dazu dient, den Arm hindurchzustecken, wenn der Reiter sich auf die eine oder andere Seite des Pferdes legen will, während er mit einem Fuße an dem Rücken desselben hängen bleibt. Diese eigenthümliche Sattelung und die große Uebung macht es diesen wilden Reitern möglich, das Thier als Schild zu gebrauchen, es zwischen sich und den Feind zu bringen und doch Freiheit und Bewegung genug zu haben, um über den Rücken des Pferdes hinweg oder unter dem Halse desselben hindurch den Pfeil auf den Gegner zu schnellen oder ihm, falls sie mit einem Feuergewehre bewaffnet sind, eine Kugel zuzuschicken. Diese Krieger sind dabei so außerordentlich gewandt, daß sie sich, je nach dem es erforderlich ist, bald auf die rechte und bald auf die linke Seite des Thieres werfen und zugleich eine Leichtigkeit und Schnelligkeit entwickeln, die einem Kunstreiter Ehre machen würden. ) Die Pferde gehen dabei so sicher, daß selten eine Kugel oder ein Pfeil das Ziel verfehlt. Der Riemen, in welchem der Arm ganz nahe an der Schulter hängt, ist an die Mähne des Thieres auf dem Widerrist befestigt, so daß selbst dann, wenn die Satteldecke losginge, dieser Stützpunkt nicht verloren gehen kann. Hat der gewandte Reiter diese Schlinge gut befestigt, so bedarf er zur Ausführung seiner Kunststücke überhaupt keiner Decke und keines Sattels, denn seine mit Moccassins bekleideten Füße haften

)Ich habe während einer Büffeljagd einen Verwandten des Häuptlings Winnetou, nämlich einen jungen Apachen, beobachtet, welcher sich einen riesigen Bullen ausgesucht hatte, den er mit großem Geschick von der Herde trennte. Er war nicht mit einer Büchse, sondern mit Köcher und Bogen bewaffnet, was Manche für einen Nachtheil halten, ich aber vorziehen würde, da die Kugel oft nicht das dicke Fell des Büffels in der Weise durchdringt, daß sie bis zum Herzen gelangt, sondern platt gedrückt wird, so daß sie ermattet und auf dem Wege zum Herzen sitzen bleibt; der elastische Pfeil dagegen dringt auf der einzigen Stelle, wo eine Verwundung tödtlich wirkt, nämlich dicht hinter den Schultern, grad da, wo die Mähne aufhört, sicher bis zum Herzen ein. Wird der Büffel hier nicht gut getroffen, so gibt es nur noch einen Büchsenschuß in’s Auge, wenn nicht Roß und Reiter, vielleicht auch Beide verloren sein sollen. Der Pfeil des jungen Apachen traf falsch, und der Bulle wandte sich wüthend gegen ihn; das Pferd suchte zu entkommen, doch der Büffel erreichte es. Im Nu stand der Reiter auf dem Rücken seines Thieres; der Bulle senkte sein Horn und riß dem Pferde den Leib auf. In diesem Augenblick sprang der Apache von dem Rücken desselben hinüber auf den des Büffels, warf sich im Stehen den Bogen über und zog das Messer; dann ließ er sich in die reitende Stellung niederfallen und stieß dem Büffel das Messer zwischen den letzten Halswirbel und den Kopf. Während dem hatte sich der Bulle der Herde wieder angeschlossen; ehe er stürzte, sprang der Apache auf eine Büffelkuh und dann auf einen Stier, beide in derselben Weise tödtend, wie seine erste Beute. Und dieser muthige und gewandte Jäger war erst siebzehn Jahre alt. Ich habe es versucht, während des Reitens mich längs der Seite des Pferdes zu legen, und es nur mittels der Steigbügel fertig gebracht, was allerdings auch schon ein Vortheil ist; ich habe mich in dieser Lage auch im Schießen geübt und zwar sowohl mit der Büchse als auch mit Pfeil und Bogen, aber — reinweg wie ein Knabe geschossen. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, und zu solchen Stücken gehört ein Pferd von ächter, ausgezeichneter indianischer Dressur, wie es nur in der Savanne zu finden ist.

mittels der Ferse mit gleicher Sicherheit auf dem nackten Pferdsrücken wie auf der Büffelhaut, welche denselben bedecken könnte. Wenn diese außerordentlichen Reiter über den Rücken des Pferdes wegschießen, zielen sie natürlich von oben; schießen sie aber unter dem Halse desselben hindurch, so legen sie den Pfeil unten an, was ihnen bei ihrer außerordentlichen Uebung eben so leicht wird, als wenn sie in der gewöhnlichen Weise zielen.

Unsere ganze Aufmerksamkeit war dem Kampfspiele der Comanchen, welches einer arabischen „Phantasia“ sehr ähnelte, zugewendet, und nur ein einziges Mal blickte ich durch die Büsche in der Richtung zurück, aus welcher wir gekommen waren — zu unserm Glück, denn mit Schrecken sah ich längs des Waldrandes zwei Reiter herabkommen, welche die Fährte der Comanchen sehr sorgfältig beobachteten.

„Have care, ihr Männer; dort kommen Leute!“

Alle sahen zurück, und Hoblyn rief:

„Der Capitano mit Conchez!“

„Wahrhaftig, er ist’s! Schnell weiter in den Wald hinein, und die Spuren verwischt!“

In zwei Minuten war dies geschehen. Alle wichen zurück, und nur ich blieb mit Winnetou an einer etwas weiter vorgeschobenen Stelle, in welcher es uns möglich war, die Nahenden zu beobachten, ohne von ihnen bemerkt zu werden.

Schon waren sie sehr nahe, und sicher wären sie um die Biegung geritten, wenn nicht grad jetzt die Comanchen ein Kampfgeschrei erhoben hätten, welches wie ein Geheul von wilden Thieren klang. Sie stutzten, lugten sorgfältig um die Ecke und führten dann ihre Pferde auf dieselbe Stelle, wo die unsrigen gestanden hatten. Wir wichen zu unsern Gefährten zurück.

Hart hinter den Ankömmlingen standen zwei Ahornbäume eng beisammen; es gelang mir, mich bis zu ihnen anzuschleichen, um ihre halblaute Unterhaltung zu belauschen. Ich hatte dabei den Tomahawk für unvorhergesehene Fälle in der Hand.

„Es sind Comanchen,“ meinte der Capitano. „Wir haben also nichts von ihnen zu befürchten. Nur müssen wir zuvor wissen, wer die beiden Weißen sind.“

„Es ist zu weit; man kann sie nicht erkennen.“

„Man könnte sich nach der Kleidung richten. Den Vorderen kenne ich nicht, und der Andere wird von den Häuptlingen verdeckt.“

„Capitano, seht Euch einmal von den vier Pferden den Goldfuchs an! Er hat einen Stutz, was in der Savanne und auf den Bergen eine Seltenheit ist. Was meint Ihr dazu?“

„Carajo, das ist der Fuchs des Lieutenant!“

„Denke es auch! Dann wird der zweite Weiße kein Anderer sein, als er.“

„Richtig! Jetzt beugt er sich vor. Siehst du die bunte Serape? Er ist es! Was ist zu thun?“

„Ja, wenn ich nur wüßte, was Ihr eigentlich mit ihm vorhabt, dann ließe sich vielleicht über die Sache sprechen.“

„Jetzt wird es allerdings nothwendig, daß ich es Dir sage. Ich habe nämlich das Beste von unsern Schätzen hier in dieser Gegend vergraben, weil ich es nicht im Hide-spot aufbewahren wollte, da es Einige unter uns gibt, denen ich nicht trauen kann. Den Ort, an welchem die Sachen liegen, kennt Niemand, als ich und der Lieutenant. Er hat seinen Vater erwartet und ihn — statt in unser Lager — hieher an den Rio Pecos bestellt; dies machte meinen Verdacht rege, und da er nach seinem letzten Ritt durch die Estaccado direkt hierherging, ohne mich erst aufzusuchen, so hatte ich die Ueberzeugung, daß er sich vorgenommen hat, uns den Schatz zu rauben. Mit den Indsmen ist er nur zufälligerweise zusammengekommen. Nun fragt es sich, ob wir gleich jetzt zu ihnen gehen und ihn bestrafen, oder ob wir ihm folgen und ihn auf der That ertappen.“

„Das Letztere ist jedenfalls das Beste. Suchen wir ihn da unten auf, so ist es gar nicht möglich, ihm eine böse Absicht zu beweisen. Er wird ganz einfach sagen, daß er nur hergekommen sei, um seinen Vater zu holen, und wer weiß, was ihm dann noch für Wege offen bleiben, zum Ziele zu gelangen. Wir sind zu Zweien, er mit seinem Vater auch, und auf die Indsmen ist nie ein sicherer Verlaß.“

Conchez gab sich sichtlich Mühe, seinen Hauptmann von dem ersten Punkte abzubringen; es mußte ihm natürlich daran liegen, das Versteck kennen zu lernen.

„Recht hast du. Die Racurroh befinden sich auf einem Kriegszuge und werden sich nur einige Viertelstunden hier aufhalten; dann bricht Patrik sicherlich sofort auf. Er hat noch eine ziemliche Strecke zu reiten, ehe er zur Seite einbiegen kann, auf welcher sich der Ort befindet; ich aber weiß einen näheren Weg, auf dem wir vor ihm hingelangen. Er soll sicherlich nichts bekommen, wenn — wenn der Schatz überhaupt noch da ist.“

„Noch da ist? Wer sollte ihn denn weggenommen haben, da nur Ihr Beide ihn kennt!“

„Hm, Sans-ear und Old Shatterhand, denen wir unsere letzte große Schlappe verdanken.“

„Die? Wie sollten denn diese Beiden hinter das Geheimniß gekommen sein?“

„Auf eine sehr einfache Weise. Ich wollte Hoblyn dem Lieutenant nachschicken und war so unvorsichtig, ihm schon die nöthigen Instructionen zu geben. Er ist spurlos verschwunden, und ich kann den Gedanken nicht los werden, daß er gemeinschaftliche Sache mit den Jägern gemacht hat, um sich das Leben zu retten.“

„Hm, dann wäre es vielleicht am besten, wenn — —“

„Nun, wenn — —?“

„Wenn wir uns an die Comanchen wendeten.“

„Und ihnen unser Geheimniß mittheilten, so daß sie uns den Schatz abnehmen? Nein. Uebrigens haben wir Zeit, uns die Sache noch zu überlegen, denn wie ich sehe, ziehen die Roten ihre Proviantsäcke hervor. Auch wir können einen Bissen essen. Hole das Fleisch!“

Wenn Conchez aufstand, um zu den Pferden zu gehen, mußte er mich unbedingt sehen; ich kroch also so schnell wie möglich zurück und kam auch wirklich kaum eine Sekunde zu früh aus dem Bereiche seiner Augen.

Bei den Gefährten angekommen, theilte ich ihnen das Ergebniß meines Lauschens mit.

„Von den drei Voyageurs, die mit dem Lieutenant den Kaufleuten nachritten, haben sie zum Beispiel nichts gesagt?“ fragte Sam. „Es müßte doch wohl Einer davon bei Patrik sein!“

„Nichts. Vielleicht hat er diesen Einen ermordet, um freie Hand zu haben. Was aber thun wir mit diesen Beiden da?“

„Ruhig gehen lassen, Charley.“

Winnetou schüttelte den Kopf.

„Meine weißen Brüder mögen bedenken, daß sie nur einen einzigen Scalp haben!“

„Wer wollte uns ihn nehmen?“ entgegnete Sam.

„Die Schlangen von Racurroh.“

„Wird ihnen nicht gelingen. Sie werden sich überhaupt bald davonmachen, denn sie befinden sich auf dem Kriegspfade.“

„Mein weißer Bruder ist ein kluger Jäger und tapferer Krieger, doch kennt er nicht die Wege der Comanchen. Diese rothen Männer werden gehen in die Berge zum Grabe ihres Häuptlings Tschu-ga-chat ), wie sie es thun jedes Jahr an dem Tage, an welchem er getödtet wurde von Winnetou, dem Häuptling der Apachen. Winnetou wird sehen dieses Grab und zerstreuen die Gebeine des Comanchen in alle Winde.“

Jetzt war es auf einmal erklärt, warum er diesen Trupp Comanchen verfolgte. Daß er den berühmten Tschu-ga-chat im Kampfe getödtet hatte, wußte ich, und ebenso wußte ich auch, wie theuer den Indianern überhaupt das Grabmal eines großen Häuptlings ist. Sie errichten es gewöhnlich in einer Gegend, welche nicht der Fuß eines Feindes betritt, denn es gibt keine größere Schmach für ein ganzes Volk als die Entweihung eines solchen Grabes. Diese Schmach wollte der kühne Apachenhäuptling seinen Feinden anthun.

„Das ist ganz dasselbe,“ meinte Sam. „Wenn sie auf einem solchen Wege gehen, werden sie sich zum Beispiel den Kuckuck um uns und die Stakemen kümmern.“

„Auch ich möchte mich nicht unnöthigerweise mit Blut beflecken,“ stimmte ich bei.

„Meine weißen Brüder mögen thun, was ihnen beliebt,“ sprach der Apache. „Sie schonen den Feind, der ein Räuber und Mörder ist, und werden dafür geben ihr eigenes Blut. Der Apache hat gesprochen. Howgh!“

)„Der dunkle Rauch“.

Es that mir eigentlich leid, ihm entgegentreten zu müssen; aber es war heute bereits das Blut eines Menschen geflossen, und es widerstrebte meinen innersten Gefühlen, selbst gegen Mörder die Waffe zu richten, wenn dies nicht von erlaubter Nothwehr geboten war.

Noch hing ich diesen Gedanken nach, als vom Lagerplatz der Comanchen her Rufe erschollen, welche auf ein plötzlich eingetretenes, unvorhergesehenes Ereigniß schließen ließen. Wir bemerkten, daß auch der Capitano mit seinem Begleiter höchst aufmerksam wurde, und so pürschte ich mich in einem Bogen an den Waldessaum, um die Ursache zu erfahren.

Als ich einen Punkt erreicht hatte, der mir einen sichern Durchblick bot, sah ich die Comanchen dicht gedrängt am Ufer des Flusses stehen und einen Gegenstand betrachten, den ich nicht erkennen konnte. Dieser wurde nach einiger Zeit wieder in den Fluß gestoßen, und sämmtliche Krieger bildeten einen Kreis um die zwei Häuptlinge und die beiden Weißen. Dann saßen alle plötzlich auf und setzten ihren Weg fort. Ich kehrte zurück.

„Was war es?“ fragte Bernard.

„Sie haben Etwas im Flusse gefunden, vielleicht gar Holfert’s Leiche.“

Winnetou horchte auf. Dann wäre unsere Anwesenheit ja verrathen gewesen!

„Glaubt mein weißer Bruder, daß ein todter Mann so weit zu schwimmen vermag?“

„Unter Umständen, ja. Der Fluß ist hier tief und reißend und hat glatte Ufer, so daß sich nicht leicht Etwas ansetzen kann.“

Ohne weiter ein Wort zu sagen, erhob er sich und verschwand nach links hinauf zwischen den Bäumen. Ich wußte, was er thun wollte. Er ging jedenfalls im Schutze des Waldes so weit stromauf, bis er nicht mehr gesehen werden konnte, und begab sich dann in das Wasser, um an Ort und Stelle zu schwimmen und sich zu überzeugen, welcher Gegenstand den Comanchen aufgefallen war.

Obgleich er der vortrefflichste Schwimmer war, den ich kannte, mußte ich mir doch sagen, daß dieses Unternehmen kein ungefährliches sei. Erstens konnte der Capitano mit Conchez aufbrechen und, von derselben Wißbegierde getrieben, an den Fluß gehen; zweitens konnten, was als sehr wahrscheinlich anzunehmen war, die Comanchen Verdacht geschöpft haben und schließen, daß, wo eine frische Leiche mit Schußwunde vorhanden ist, auch Jemand da sein muß, der diese Wunde verursacht hat. In diesem Falle war anzunehmen, daß ihre Entfernung nur eine scheinbare wäre, und sie zurückkommen würden, um sich Gewißheit zu holen. Wenn es während eines Feldzuges bestimmte Regel ist, keine Festung unerobert oder wenigstens cernirt hinter sich zu lassen, so ist es im „wilden Westen“ ebenso gefährlich, nicht genau zu wissen, wen man im Rücken hat.

(Fortsetzung folgt.)
Linie 439
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial DDie Strecke, welche Winnetou erst stromab und dann wieder aufwärts zu durchschwimmen hatte, mochte eine halbe Meile lang sein; er als guter Schwimmer konnte höchstens eine halbe Stunde brauchen, um diese Strecke zurückzulegen; zehn Minuten für den zu durchlaufenden Landweg dazu gerechnet. Noch aber war er keine Viertelstunde fort, so brach der Capitano mit seinem Begleiter auf. Wir konnten sie nicht zurückhalten.

Was ich vermuthet hatte, geschah: sie ritten bis zum Rastplatz der Comanchen und wandten sich dann nach dem Flusse. Jetzt galt es, Winnetou, welcher jedenfalls da, wo er in das Wasser gegangen war, seine Kleider und Waffen abgelegt und höchstens nur das Messer bei sich hatte, zu beschützen; natürlich ohne mich dabei sehen zu lassen. Ich ergriff meine Büchse.

„Bleibt hier!“

Bei diesen Worten verließ ich unser Versteck und eilte, so schnell es mir der Wald gestattete, innerhalb des Saumes desselben abwärts, bis ich eine Stelle erreichte, von welcher aus ich den Ort bestreichen konnte, wo der fragliche Gegenstand wieder in das Wasser geworfen worden war. Noch aber hatte ich diesen Platz nicht eingenommen, als der Capitano seine Büchse erhob und in das Wasser feuerte. Er hatte nicht getroffen. Ich kannte die Behendigkeit Winnetou’s im Tauchen. Keine fünf Sekunden nach dem Schusse sah ich ihn wie einen Fisch emporschnellen, das Ufer erreichen und sich auf den Capitano stürzen. Da erhob Conchez den Karabiner. Ich konnte nicht anders, schießen mußte ich; aber sein Leben wollte ich schonen. Mit einer blitzschnellen Bewegung wandte sich Winnetou von dem Capitano ab, warf sich zu Conchez hinüber und schlug diesem in dem Augenblick, als er abdrücken wollte, den Lauf des Karabiners in die Höhe. Der Schuß ging in die Luft. Winnetou entriß ihm das Gewehr, nahm es beim Laufe, um es als Keule zu gebrauchen, und that gerad zur rechten Zeit einen gewaltigen Seitensprung, denn der Capitano hatte bereits ausgeholt, um ihm von hinten einen Kolbenschlag zu versetzen.

Eben stand er im Begriffe, sich gegen Beide zugleich zu wenden, als von abwärts her ein lautes Geheul erscholl. Auch im Betreff des zweiten Punktes bestätigte sich meine Vermuthung: die Comanchen waren nicht allzuweit fortgeritten und hatten daher den Schuß des Capitano vernommen; sie kamen im Galoppe zurück.

Kaum hatte Winnetou sie bemerkt, so schlug er dem Capitano die Büchse, welche zum Glück nur einläufig gewesen war, aus der Hand, schleuderte den Karabiner weit in das Wasser hinüber und sprang in Sätzen, welche denen eines gehetzten Panthers glichen, stromaufwärts.

Ich wußte, daß er in dieser Weise volle zehn Minuten lang mit dem schnellsten Renner um die Wette zu laufen vermochte; er hatte mir diese Sprünge gelehrt, bei denen man, nicht laufend, sondern sich in weiten Sätzen durch die Luft werfend, den Schwerpunkt immer nur auf das eine Bein legt, welches gleichsam als Spannfeder dient, und dann, wenn dieses müde wird und zu zittern beginnt, auf das andere überwechselt. Er brauchte keine zehn Minuten, um zu seinen Kleidern zu gelangen, und dann war er sicherlich so klug, noch eine Strecke weiter zu fliehen, ehe er sich in den Wald wandte und unter dem Schutze desselben zu uns zurückkehrte.

Ich rannte so schnell wie möglich nach unserem Versteck.

„Rasch auf! Wir müssen fliehen!“

„All devils! Wohin zum Beispiel?“ frug Sam. „Dort kommen die Comanchen; die beiden Weißen sind auch dabei!“

„Das ist ein Glück! Sie werden an uns vorüberjagen und da oben genug zu thun haben, um die Fährte Winnetou’s zu finden. Schnell, die Pferde an den Rand! Sobald sie vorüber sind, jagt ihr aus allen Kräften flußab, und zwar auf ihrer eigenen Spur, daß sie später die Eurige nicht zu unterscheiden vermögen. Ich bleibe zurück, um den Rückzug zu decken und den Apachen zu erwarten.“

„Du allein?“ fragte Sam.

„Natürlich,“ antwortete ich mit einem erklärenden Seitenblick auf Hoblyn, dem doch immerhin nicht zu trauen war. „Die Anderen sind nicht erfahren genug; ich muß sie Dir übergeben!“

„Well, dann vorwärts; sie sind vorüber!“

Wirklich sprengte eben jetzt der letzte Comanche an uns vorbei; und nun befand sich die Waldecke zwischen uns und ihnen, so daß wir von ihnen nicht gesehen werden konnten. Während Sam mit den Andern davon ritt, vertilgte ich unsere Spuren, so gut es sich thun ließ. Eben war ich damit fertig, als es im Unterholze raschelte. Winnetou stand vor mir.

Uff! Die Schakals der Comanchen suchen die Spur des Apachen. Wo sind die Gefährten meines weißen Bruders?“

„Sie sind vorangeritten.“

„Die Gedanken meines Bruders sind stets klug. Die Bleichgesichter sollen nicht lange auf uns warten!“

Er legte eiligst seine Kleider an, die er bisher in der Hand getragen hatte, und zog dann sein Pferd in das Freie. Ein Blick nach aufwärts belehrte mich, daß wir vor den Comanchen jetzt noch sicher waren, und darum frug ich:

„Was hat mein rother Bruder im Flusse gefunden?“

„Die Leiche des Bleichgesichtes. Winnetou hat heut zweimal gehandelt wie ein Knabe, der keine Gedanken hat; aber er fürchtet sich nicht, und seine weißen Brüder werden ihm verzeihen!“

Das war ein Eingeständniß, welches der stolze Apache sicher keinem Anderen als nur mir allein gemacht hätte. Ich antwortete nicht darauf, denn er brauste auf seinem Renner bereits wie ein Sturmwind dahin, so daß ihm mein Mustang kaum zu folgen vermochte.

Da, wo unser Weg rechtsab in die Berge führte und also von der Fährte der Comanchen abzweigte, hielten die Unsrigen. Sam war abgestiegen, um unter Mithülfe der Uebrigen die Füße der Pferde zu umwickeln. Es mußten zu diesem Zwecke einige aus dem Hide-spot der Stakemen mitgenommene Decken zerschnitten werden. Dann ging es vorwärts, in die Schlucht hinein, Winnetou hinterher zu Fuße, um die ja noch entstehenden Spuren zu verwischen.

Als wir die erste Krümmung der Schlucht hinter uns hatten, blieb ich halten.

„Bernard, nehmt mein Pferd beim Zügel, bis ich nachkomme!“

„Was willst Du thun, Charley?“ fragte Sam.

„Hier bleiben, um abzuwarten, was die Rothen anfangen werden.“

„Well, das ist gut! So werden wir ja erfahren, ob sie hinter unsere Schliche kommen.“

Die Gefährten ritten weiter, während ich in die Büsche kroch. Ich hatte noch nicht lange da gelegen, so vernahm ich schon Hufschlag. Die Comanchen kamen zurück, aber es war nicht der ganze Trupp, sondern nur die Hälfte. Wo waren die Andern? Ich sah auch die beiden Morgans; der Capitano und Conchez fehlten. Die Indsmen kamen sehr langsam geritten und hielten den Blick auf den Boden gerichtet. Da, wo wir abgestiegen

waren, um die Hufe zu umwickeln, hielten sie an, Der eine Häuptling, welcher sich bei ihnen befand, sprang plötzlich vom Pferde, bückte sich nieder und nahm einen Gegenstand von der Erde auf, den ich nicht erkennen konnte. Er zeigte ihn vor; der Boden wurde genauer untersucht. Man hielt eine Berathung, und dann trennten sich die beiden Weißen und der Häuptling von dem Trupp, um zu Fuß in die Schlucht einzudringen.

Mit scharfen Augen selbst das scheinbar Bedeutungslose untersuchend kamen sie näher; es waren gefährliche Augenblicke für mich. Doch, Dank unserer Vorsicht, bemerkten sie nicht das geringste Zeichen von unserer Anwesenheit. Im Vorübergehen erblickte ich den fraglichen Gegenstand in der Hand des Häuptlings. Es war ein wollener Faden, der beim Zerschneiden der Decken von einem der Unsrigen achtlos zur Erde geworfen worden war; es hing also hier ganz wörtlich unser Aller Leben nur an einem Faden.

Sie schritten noch ein Stück in die Schlucht hinein, dann kehrten sie um. Sie hatten die Ueberzeugung gewonnen, daß hier kein Mensch geritten oder gegangen sei, und hielten also ein Schweigen nicht mehr für unbedingt geboten.

„Hier war Niemand,“ hörte ich Fred Morgan sagen; „die Pferdespuren waren also wohl unsere eigenen.“

„Aber wer war die Rothhaut, und wer waren die beiden Weißen, die wir noch nicht gefunden haben?“ frug sein Sohn.

„Das werden wir bald erfahren, denn entgehen können sie uns unmöglich. Der Rothe war nackt, drum konnte man nicht erkennen, zu welchem Stamme er gehört.“

„Er hat uns keinen schlechten Dienst erwiesen, wenn die Leiche wirklich dieser Holfert war, von dem Du mir erzählt hast.“

„Er war’s. Aber wie kam der Indianer an die Stelle, wo wir so lange lagerten? War er bereits vorher dort, oder kam er später hin? Ich glau­be — — —“

Mehr konnte ich nicht hören, denn sie waren nun wieder an mir vorüber. Aus dem Gehörten aber konnte ich entnehmen, daß wir uns zunächst in Sicherheit befanden, und daß der Capitano es vorgezogen hatte, sich den Comanchen nicht zu zeigen. Dies geschah jedenfalls aus dem Grunde, weil es nur in diesem Falle ihm möglich war, den Lieutenant auf der That zu ertappen. Freilich schien es mir sehr fraglich, ob es ihm und Conchez gelingen werde, den scharfen Augen der Comanchen zu entgehen.

Jetzt erreichten die drei Späher ihren Trupp wieder, welcher auf einen kurzen Befehl des Häuptlings umschwenkte und hinter den Bäumen verschwand. Ich hatte somit meine Absicht erreicht und eilte den Gefährten nach, welche bereits eine solche Strecke zurückgelegt hatten, daß ich erst nach einer halben Stunde zu ihnen stieß. Winnetou sah mich fragend an, und ich berichtete, was ich gesehen hatte.

„Well,“ meinte Sam, „so ist es uns zum Beispiel gelungen, ihnen ein Schnippchen zu schlagen.“

„Die Söhne der Comanchen haben Augen und sehen nicht, und ihre Ohren sind verstopft, daß sie nicht hören die Schritte ihrer Feinde. Meine weißen Brüder mögen abnehmen den Pferden ihre Moccassins!“

Dieser Mahnung Winnetou’s wurde gern Folge geleistet, da es den Thieren außerordentlich hart ankam, mit den umwickelten Hufen die Beschwerden des Weges zu überwinden.

Es war ein böser Ritt, eine ungebahnte, von Felstrümmern übersäte Schlucht entlang, worin Bäume lagen, welche das Alter oder der Sturm von beiden Seiten herabgestürzt hatte. Je weiter wir kamen, desto wilder ward die Gegend, bis wir gegen Abend die Höhe des Gebirgzuges erreichten, welcher sich parallel mit der Sierra von Nord nach Süd erstreckt. Wir ritten jenseits desselben hinab und erreichten, als die Sonne sank, einen vortrefflichen Lagerplatz.

Der Abend und die Nacht verflossen in ungestörter Ruhe, und ein kurzer Recognitionsritt, welchen ich am Morgen nach rückwärts unternahm, bestärkte mich in der Ueberzeugung, daß wir unverfolgt geblieben seien.

Jetzt ging es weiter, und zwar auf einer Bodengestaltung, wie ich sie früher am Colorado getroffen hatte. Der Wald hörte nach und nach auf, da es an Wasser zu mangeln begann. Es gab eine Menge trockener Flußbetten. Alle waren gewaltig tief eingeschnitten und gaben von der Gewalt der Wasser, die früher

hier geflossen waren, ein redendes Zeugniß. Sobald man sich einem dieser netzförmig unter sich verbundenen Flußbetten näherte, gewahrte man das gegenüberliegende Ufer als eine Abschattung desjenigen Bodens, auf welchem man sich befand. Je weiter man kam, desto deutlicher trat der vorher bemerkte Strich hervor, bis man beinahe urplötzlich vor einem tiefen Abgrunde stand, dessen Furchtbarkeit zwar dadurch gemildert wurde, daß es auf seiner Sohle ebenso wie oben tageshell war, der aber vermöge der Steilheit seiner Wände den Reisenden ein sehr schwer zu überwindendes Hinderniß bot.

Betrachtet man diese Thäler genauer, so findet man, daß während der Regenzeit ihre ganze Breite mit Wasser angefüllt sein muß; denn zu beiden Seiten ist der Wasserstand unverkennbar in verschiedenen Höhen markiert. Hier sieht man prachtvoll über einander gelagerte Felsen mit so malerischen oder grotesken Umrissen, daß man den Bleistift gar nicht aus der Hand legen möchte. Es thürmen sich Pyramiden und kubische Massen, es bauen sich gewaltige Säulen und Bogen auf und über einander, und das Wasser hat stellenweise so eigenthümliche Rundungen ausgehöhlt, so wunderbare Contouren, man möchte sagen Verzierungen, ausgewaschen, daß man sich kaum des Gedankens erwehren kann, dieselben seien von Menschenhänden gemacht.

Der Boden dieser Flußbetten muldet sich nach der Mitte zu nur sehr wenig aus, und nur selten ist es möglich, von dem hohen Ufer hinabzugelangen, man müßte denn ein sehr guter Kletterer sein. Aber das Hochland ist nach allen Richtungen hin so durchfurcht, daß man, an dem Ufer eines solchen trockenen Flußbettes fortgehend, sehr bald zu einem Seitenthale gelangt, durch welches man in das Hauptbett zu kommen vermag. Da sich nun dasselbe gewöhnlich in einer bestimmten Richtung fortzieht, so kann es recht gut als Straße dienen und bietet vermöge seiner tiefen Lage dem Reisenden den Vortheil, daß er von keinem anderen Punkte als nur vom Ufer aus bemerkt werden kann. Natürlich ist damit zugleich der Nachtheil verbunden, daß auch er einen Feind nicht eher bemerkt, als bis er ihn unmittelbar vor sich hat.

Wir folgten einem solchen Thale in stets westlicher Richtung. Je weiter wir darin vorwärts kamen, desto mehr verlor es seine ursprüngliche Tiefe, desto weniger mündeten Seitenthäler ein, und endlich sahen wir vor uns die bewaldeten Höhen der Sierra Rianca aufsteigen.

Am Fuße des Gebirges trafen wir wieder auf zahlreiche Wasserläufe, welche alle dem Rio Pecos zuströmten, und unter ihnen befand sich auch derjenige, welcher in dem von uns gesuchten Thale seinen Ursprung nahm.

Am späten Nachmittag erreichten wir dieses Thal. Es hatte die Länge von ungefähr anderthalb englischen Meilen und die durchschnittliche Breite von einer halben Stunde. Rings war es von waldbesetzten Höhen eingefaßt und zeigte längs des Wassers auf seiner Sohle eine saftig grüne Trift. Leider durften wir unsere Thiere hier nicht weiden lassen, sonst wäre unsere Anwesenheit sofort verrathen gewesen.

„Ist dieses Thal auch ganz sicher das gesuchte?“ frug ich Hoblyn, da ein Irrthum sehr leicht möglich war.

„Ich bin meiner Sache sicher, Sir. Da oben unter jener Wintereiche habe ich mit dem Capitano mein erstes Nachtlager gehalten.“

„Ich schlage vor, eines der nächsten Thäler aufzusuchen, um unsere Pferde dort weiden zu lassen; es könnte eine Wache bei ihnen zurückbleiben, und wir hätten hier freie Hand.“

„Klingt ganz gut,“ meinte Sam; „aber kann nicht der Fall eintreten, daß wir unsere Thiere plötzlich brauchen? Ich gebe meine Tony nicht so weit weg!“

„Well, so müssen wir im Walde nach einem versteckten Plätzchen suchen. Ich will mit Bob diese Seite absuchen, während Winnetou die andere Seite begeht. Ihr Uebrigen wartet, bis wir zurückkommen.“

Ich stieg ab, nahm meine Büchse und schritt mit dem Neger in den Wald hinein. Dieser stieg ziemlich steil an der Seite des Thales empor, und es war wegen der umgestürzten Bäume und der zahlreich zerstreuten Felsblöcke nicht leicht, die Pferde hier heraufzubringen. Wir gingen nicht nahe, sondern in einiger Entfernung parallel mit einander fort und hatten wohl die zurückzulegende -

zurückzulegende Strecke bereits halb hinter uns, als ich plötzlich Bob einen lauten Schrei ausstoßen hörte.

„Massa, oh, ah, Massa kommen schnell, schnell!“

Ich wandte mich zu ihm und sah, wie er zum Stamm einer niedrigen Blutbuche sprang, den untersten Ast derselben erfaßte und sich emporschwang.

„Was gibt’s, Bob?“

„Massa kommen schnell, helfen Nigger Bob! O nein, nicht kommen, sondern laufen und holen all’ viel’ ganz’ Leute, um machen todt das Ungethüm!“

Ich brauchte nicht zu fragen, welches Ungethüm er meinte. denn ich sah es eben jetzt durch das Unterholz brechen. Es war ein grauer Bär, einer von der liebenswürdigen Sorte, welche der Jäger Grizzly nennt.

Der schwarze Bär Amerika’s ist wenig gefährlich; er lebt meist von Früchten, namentlich von Pflaumen, welche oft ganze Wälder bilden, und nimmt, wenn er nicht gereizt wird, vor einem Menschen lieber Reißaus, als daß er ihn angreift. Ich selbst habe in den Bergen eine schwarze Bärenfamilie, ohne von ihr angegriffen zu werden, länger als eine Stunde beim Brombeerenschmaus beobachtet und mein helles Vergnügen an den possierlichen Mienen und Bewegungen gehabt, unter denen sie mit ihren Tatzen die einzelnen Beeren vom Strauche nahmen und in das „Mündschi“ führten.

Anders verhält es sich mit den grauen Bären. Er ist der größte unter allen seinen Verwandten und überragt selbst den längsten Menschen um die Höhe eines Kopfes. Man hat sogar Exemplare gefunden, welche von der Spitze der Schnauze bis zur Schwanzwurzel neun volle Fuß maßen und — auf die Hinterfüße gestellt — noch einen Fuß mehr. Dieses Thier entwickelt eine furchtbare Kraft; es greift den schwarzen Büffel ohne Zaudern an und meistert ihn immer; unter Umständen schleppt es eine getödtete Büffelkuh eine ganz bedeutende Strecke mit sich fort. Seine Vordertatze hat die Beite von neun Zoll; die hintere Tatze ist nur sieben Zoll breit, mißt aber eine halbe Elle in der Länge, und ein Schlag mit dieser Vorderpranke zerbricht dem stärksten Stier das Kreuz. Der Grizzly ist von fürchterlicher Wildheit; er greift, ohne sich zu besinnen, den Jäger an, und am gewöhnlichsten geschieht dies, wenn man ahnungslos an seinem Verstecke vorübergeht. Er verbirgt sich nämlich nur zur Winterszeit in Höhlen; während des Sommers zieht er ein luftiges Lager inmitten eines Gebüsches vor, und wehe dem Unvorsichtigen, der es wagt, ihn aus seinem sets sehr leisen Schlummer aufzuwecken!

Dieser Fall lag hier vor; nur galt dieses Wehe mehr mir als Bob, der sich mit einer wahrhaft affenartigen Behendigkeit bis in die höchsten Zweige des Baumes retirirte. Er war ziemlich sicher, denn ich habe nie gehört, daß der Grizzly einen Baum erklettert hätte. Ich konnte nicht fliehen, dazu war er mir bereits zu nahe; ich lockerte daher das Messer und erhob die Büchse. Ich habe den Löwen in der Wildniß jene Laute ausstoßen hören, welche der Araber mit dem Worte „Rad“, d. i. Donner, bezeichnet; ich habe den bengalischen Tiger brüllen hören, und das Herz ist mir, wenn auch die Hand nicht zittern durfte, dabei unruhig geworden; aber das tiefe, heisere, heimtückische, dämonische Brummen des grauen Bären schneidet durch Mark und Bein und verursacht selbst dem Beherzten ein Gefühl, als wenn ihm die Zähne „eilig“ würden, nur daß Einem diese Empfindung nicht bloß durch die Zähne, sondern durch den ganzen Körper läuft.

Vielleicht noch acht Schritte von mir entfernt, richtete er sich auf den Hinterfüßen empor und riß den Rachen auf. Er oder ich — Einer mußte sterben. Ich zielte auf das Auge und drückte ab, hielt in demselben Augenblick auf das Herz und gab den zweiten Schuß. Die Büchse wegwerfend, zog ich das Messer und sprang zur Seite, um so besser stoßen zu können. Das riesige Tier schritt kerzengrad auf mich zu, als seien beide Kugeln an ihm vorübergegangen — zwei, drei, fünf, sechs Schritte, und eben holte ich zum Stoße aus, als er die erhobenen Vordertatzen sinken ließ, ein beinahe heulendes Grunzen ausstieß, wohl eine Minute lang regungslos stehen blieb und dann wie unter einem gewaltigen Keulenschlage zusammenbrach. Die eine Kugel war ihm in das Gehirn und die andere in das Herz, also

beide mitten in das Leben hineingedrungen. Ein Panther oder Jaguar wäre unter gleichen Verhältnissen wie eine Katze zusammengezuckt. Mein Grizzly war ruhig weitergegangen — nur noch zwei Schritte, und ich wäre verloren gewesen.

„Oh, ah, gut, schön!“ rief Bob vom Baume herunter. „Bär richtig todt sein, Massa?“

„Ja; komm herunter!“

„Aber auch gewiß todt sein, Massa? Nicht fressen Nigger Bob?“

„Er ist ganz todt.“

So schnell, wie er hinaufgekommen war, kam Bob wieder herab; doch als er näher trat, zögerte sein Fuß. Ich selbst beugte mich mit aller Vorsicht zu dem Thiere nieder und stieß ihm mein Messer wiederholt zwischen die bekannte zweite und dritte Rippe.

„Oh, ah, groß Bär, sein mehr groß als ganz Bob! Kann Bob essen Bär?“

„Ja; die Tatzen und die Schinken sind delikat.“

„Oh, Massa geben Bob auch Tatzen und Schinken, denn Nigger Bob sein sehr ganz viel gern delikat.“

„Bekommst Dein Theil wie jeder Andere. Doch warte hier; ich komme gleich wieder!“

„Bob warten hier? Oh, wenn nun Bär bekommen wieder Leben!“

„Dann springst Du wieder auf den Baum!“

„Wenn Massa gehen, dann Bob lieber gleich springen auf Baum!“

Wirklich saß er einen Augenblick später abermals oben auf dem Aste. Der gute Bob war kein Hasenfuß; er hielt, menschlichen Feinden gegenüber, recht wacker Stand; einem Grizzly aber war er noch nicht begegnet, und so konnte ich ihm seine weise Vorsicht auch nicht übel deuten.

Ich suchte zunächst die Umgebung ab, um zu sehen, ob ich es nur mit einem einzelnen Bären, oder mit einer Familie zu thun hatte. Ich fand die Spuren nur dieses einen Thieres und konnte also ruhig sein. Uebrigens blieben Bob und ich nicht lange allein. Man hatte natürlich meine Schüsse gehört und war, da man nicht wußte, wen ich gegen mich haben konnte, dem Orte zugeeilt, an welchem sie gefallen waren.

Alle erklärten das Thier für eines der größten, die man bisher gesehen hatte, und Winnetou bog sich nieder, um seinen Medizinbeutel ) in das Blut desselben zu tauchen.

„Mein weißer Bruder hat gut getroffen; die Seele des Bären wird ihm danken, denn sie ist nicht gemartert, sondern schnell erlöst worden und darf nun gehen in die ewigen Jagdgründe ihrer Väter!“

Die Indianer glauben nämlich, daß in jedem grauen Bären die Seele eines berühmten Jägers wohne, die hier eine Läuterung, eine Art Fegfeuer zu erleiden habe. Er half mir, das Thier aus dem Felle zu bringen und die werthvollsten Fleischtheile desselben abzulösen. Das Uebrige wurde so mit Zweigen, Steinen, Moos und Erde bedeckt, daß wir hoffen konnten, es werde kein Geier angezogen werden, der uns sehr leicht verrathen konnte.

Der Apache hatte drüben auf der andern Seite des Thales bereits ein für uns und unsere Pferde geeignetes Versteck entdeckt, welches wir jetzt aufsuchten. Da es noch heller Tag war, so konnten wir es wagen, ein Feuer anzumachen und an demselben die saftigen Bärentatzen zu braten. Trefflich war denn auch die Mahlzeit.

Als es dunkel wurde, wickelten wir uns in unsere Decken und suchten, nachdem die Wachordnung bestimmt war, die Ruhe. Diese erlitt keine Störung, und selbst der größte Theil des nächsten Vormittags verging, ohne daß unsere Aufmerksamkeit durch irgend etwas Besonderes in Anspruch genommen ward.

Wir hatten am Eingange des Thales einen Posten aufgestellt; um die angegebene Zeit war Sam mit diesem Amte betraut. Er hatte noch nicht lange seinen Vordermann abgelöst, als er wieder zurückkehrte.

„Sie kommen!“

„Wer?“

)Talisman, von den indianischen Zauberern gefertigt.

„Ja, das kann ich zum Beispiel noch nicht genau sagen, weil sie erst näher kommen müssen.“

„Wie Viele sind es?“

„Zwei, zu Pferde.“

„Laß sehen!“

Ich eilte der bezeichneten Stelle zu und erkannte mit Hülfe meines Fernrohres die beiden Morgans, welche allerdings noch eine Viertelstunde zu reiten hatten, bis sie das Thal erreichten. Alle Spuren unserer Anwesenheit waren bereits sorgfältig vertilgt worden, und da wir ihnen außerdem an der Zahl überlegen waren, so konnten wir ihre Ankunft in aller Gemüthsruhe erwarten.

Eben wollte ich mit Bob [Sam] zurückkehren, als ich es über uns in den Büschen krachen hörte. War es vielleicht wieder ein Bär? Ein sorgfältigeres Horchen überzeugte uns, daß es zwei Wesen sein mußten, die sich bergabwärts uns näherten.

„All devils, Charley, wer mag das sein?“

„Werden es gleich sehen. Schnell, zwischen die Sträucher!“

Wir verbargen uns, so daß uns die Zweige zwar vollständig deckten, wir aber sofort wehrfertig waren, wenn es sich ja um wilde Thiere handeln sollte. Einige Minuten später erkannten wir, daß wir es mit keinem Wild, sondern mit zwei Männern zu thun hatten, welche ihre Pferde nach sich zogen. Und diese Zwei waren — der Capitano und Conchez. Ihre Thiere sahen außerordentlich mitgenommen aus, und auch die Reiter zeigten in ihrem ganzen Aeußern, daß sie eine schlimme Reise hinter sich haben mochten.

Unweit unsers Versteckes blieben sie halten; sie hatten da eine freie Aussicht hinaus in die Weite.

„Endlich!“ rief der Capitano mit einem Seufzer der Erleichterung. „Das war ein Ritt, wie ich ihn nicht bald wieder machen möchte. Aber wir kommen noch zur rechten Zeit; es ist noch Niemand hier gewesen.“

„Woran seht Ihr es?“

„Mein Versteck ist noch unberührt. Die Morgans sind also noch nicht hier gewesen, und wie sollte ein Anderer grad hierher in diese abgelegene Gegend kommen?“

„Ihr habt wahrscheinlich Recht. An diesen Sans-ear und Old Shatterhand denkt Ihr also nicht mehr?“

„Nein; denn wären sie den Morgans gefolgt, so hätten sie unbedingt auf die Comanchen stoßen müssen, und da wäre ihnen das Weitergehen wohl verleidet worden.“

„Aber wer ist jener nackte Indianer im Rio Pecos gewesen, und die weiße Leiche dort im Wasser?“

„Geht uns jetzt nichts an. Schaden kann uns Niemand, denn wir haben die Comanchen zwischen uns und einem Jeden, dem es etwa in den Sinn gekommen sein sollte, uns zu folgen.“

„So denkt Ihr also, daß wir die Rothen ganz sicher hinter uns haben?“

„So sicher, wie ich Dich neben mir sehe. Sie haben den Rothen niedergemacht, wenn es ein Feind von ihnen gewesen ist — was ich aber nicht glaube, denn ein Apache wagt sich jetzt nicht an den Rio Pecos — und sind uns dann gefolgt. Wir mußten ja solche Eile brauchen, daß wir eine Spur zurückgelassen haben, wie sie keine Bisonherde deutlicher macht.“

„Und wenn sie uns hier finden?“

„Schadet uns nichts; wir sind Freunde. Sie werden sich höchstens wundern, daß wir uns ihnen nicht zu erkennen gegeben haben, und das werde ich ihnen schon erklären, indem ich ihnen von diesem Lieutenant erzähle, der — carajo, ich lasse mich hängen, wenn er da draußen nicht bereits kommt!“

„Er ist’s!“

„Gut, so haben wir ihn endlich fest, und er soll erfahren, was es heißt, seinen Hauptmann und seine Kameraden zu betrügen!“

„Sie kommen allein, und das ist allerdings ein Beweis, daß die Comanchen uns auf dem Fuße sind. Aber sagt, Capitano, wollt Ihr den Schatz heut wirklich heben — in meiner Gegenwart?“

„Ja.“

„Für wen?“

„Für uns.“

„Für uns? Wie meint Ihr das? „„Für uns,““ das kann heißen, für die ganze Compagnie oder auch nur für uns Beide.“

„Was wäre dir lieber?“

„Das ist leichter zu denken als zu sagen, Capitano. Aber wenn Ihr Euch vergegenwärtigt, wie es jetzt im Hide-spot steht, so ist es jedenfalls besser, gar nicht dorthin zurückzukehren. Wenn man sich seine gute Zeit lang abgemüht hat, verlangt es Einen auch einmal nach Ruhe und Bequemlichkeit, und ich denke, was Ihr dazu braucht, das habt Ihr hier in Eurem Verstecke reichlich beisammen, so reichlich, daß für mich auch ein Weniges abfällt.“

„Du sprichst wie ein Buch, und ich will Dir auch nicht Unrecht geben. Aber jetzt gilt es vor allen Dingen, diesen zwei Schurken auf die Finger zu klopfen. Komm weiter aufwärts! Dort gibt es einen Platz, wie wir ihn gar nicht besser für uns finden können, und der Schatz, den sie heben wollen, ist ganz in der Nähe.“

Meinte der ahnungslose Capitano vielleicht den Ort, an welchem wir unser Lager genommen hatten? Sie schritten allerdings ganz in dieser Richtung mit den Pferden davon, und wir folgten ihnen. Sie waren so unbesorgt und achtlos, daß sie nicht einmal die Fußspuren bemerkten, welche ich und Sam hinterlassen hatten. Allerdings gehörte auch ein gutes Auge dazu, sie zu erkennen.

Die Unsrigen hörten natürlich, daß sich etwas Ungewöhnliches nahe, und hatten sich erhoben. Noch heut kann ich mir den Gesichtsausdruck der beiden Ehrenmänner vergegenwärtigen, als sie, durch die letzten Büsche tretend, den Indianer erkannten, dem sie am Rio Pecos nachgesprungen waren. Beinahe mußte ich hell auflachen.

„Hoblyn!“ rief Conchez, seinen früheren Gefährten erkennend.

„Hoblyn?“ frug der Capitano. „Wahrhaftig! Wie kommst Du in die Sierra Rianca, und wer sind diese Leute hier?“

Ich trat von hinten näher an ihn heran und klopfte ihm auf die Achsel.

„Bekannte, lauter Bekannte sind’s, Capitano. Tretet nur näher, nehmt Platz, und macht es Euch bequem!“

„Wer seid Ihr, Sennor?“ fragte er mich.

„Ich werde Euch diese Männer vorstellen und komme also zuletzt daran. Dieser schwarze Master heißt Bob und war der beste Freund eines gewissen Master Williams, den Ihr ja wohl gekannt habt. Dieser weiße Gentleman ist ein Herr Marshall aus Louisville, der einige Worte mit den Morgans zu reden hat, die Euch die Eier aus dem Neste nehmen wollen. Dieser braune Monseigneur heißt Winnetou; Ihr habt den Namen wohl schon einmal gehört, und ich will also über ihn keine lange Rede halten. Dieser Gentleman hier wird gewöhnlich Sans-ear genannt, und mich heißt man zuweilen Old Shatterhand.“

Der Mann war vor Schreck so verblüfft, daß er keine Worte fand und nur den Ruf zu stammeln vermochte:

„Ist’s — möglich?“

„Sehr! Setzt Euch, und macht es Euch so bequem, wie ich es mir machte, als ich Euch im Hide-spot belauschte. Ich lag hart hinter Euch und nahm mir Eure Pistole als Andenken mit. Vorgestern lag ich wieder bei Euch, als Ihr die Comanchen belauscht und Eure Herzen gegen einander ausgeschüttet habt. Bob, nimm diesen beiden Mesch’schurs einmal die Waffen ab, und binde ihnen die Hände und Füße ein wenig zusammen!“

„Sennor — —!“

„Schon gut! Wir sprechen mit Euch, wie man mit Stakemen zu reden hat. Gebt Euch keine unnütze Mühe, denn ich sage Euch: ehe die Morgans das Thal vollends erreichen, seid Ihr gefesselt und geknebelt oder — todt.“

Das Alles war so schnell und unerwartet über sie gekommen, daß sie gar nicht auf den Gedanken kamen, eine Gegenwehr zu versuchen.

„Sagt einmal, Sennor Capitano, wo sich das Versteck befindet, nach welchem es den Morgans so gelüstet!“

„Die Sachen gehören nicht Euch!“

„Ganz wie Ihr wollt; sie werden aber doch vielleicht unser. Ich will Euch gar nicht zwingen, Euer Geheimniß auszuplaudern, aber eine andere Frage werdet Ihr mir wohl beantworten: Was ist aus den sogenannten Voyageurs, die mit Eurem Lieutenant gingen, und aus den Kaufleuten geworden, welchen sie folgten?“

„Die Kaufleute — hm, ich weiß es nicht — — —“

„Well, ich weiß es nun. Und die Voyageurs?“

„Zwei werden zum Hide-spot zurückgekehrt sein, den Dritten ermordete der Lieutenant unterwegs. Wir haben seine Leiche gefunden.“

„Dachte es! Jetzt laßt Euch ruhig den Knebel geben! Es geschieht, damit Ihr uns den beiden „Carajos“ nicht verratet.“

Wir waren gerade mit ihnen fertig, als Fred Morgan mit seinem Sohne am Eingange des Thales erschien. Sie blieben eine Minute halten und überblickten das Terrain. Dann gab Patrik seinem Pferde die Sporen und kam im Trabe herbei; sein Vater folgte ebenso schnell. Sie schienen nicht die Absicht zu haben, sich lange hier aufzuhalten. Grad uns gegenüber, etwa zwanzig Schritte von unserem Lager aus, stand ein junges Brombeerengeranke; dahin wandten sich die Beiden.

„Hier ist es, Vater!“

„Hier? Ein wohlfeiler Platz, an dem man einen Schatz nicht sucht!“

„Heraus damit und dann fort! Man weiß nicht, wer diese beiden Weißen gewesen sind, und ob es den Comanchen gelungen ist, sie festzunehmen.“

Beide sprangen ab und pflockten ihre Pferde an das Ufer des Baches. Während die durstigen Tiere tranken, knieten die Spitzbuben nieder, legten ihre Waffen beiseite und begannen, das Gestrüpp mit Hülfe ihrer Messer zu entfernen. Es kam eine lockere Humuserde zum Vorschein, welche aufgewühlt wurde.

„Hier!“ rief Patrik nach einiger Zeit und brachte ein Packet zum Vorschein, welches sehr sorgfältig in behaarte Büffelhaut eingenäht war.

„Ist das alles?“

„Alles, aber genug; Banknoten, Depositen und so weiter. Jetzt das Loch zu, und dann fort!“

„Vielleicht bleibt ihr auch ein wenig länger da!“

Diese Worte wurden von Sam gesprochen, während ich mit einem Sprunge zwischen ihnen und ihren Waffen stand und die Andern ihre Büchsen auf sie anlegten. Sam stand vor den beiden Männern wie der Tiger, der sich auf seine Beute stürzen will. Sie waren im ersten Augenblick vollständig überrascht, besannen sich aber schnell und wollten ihre Waffen ergreifen. Ich streckte ihnen den Revolver entgegen.

„Bleibt stehen, wo Ihr jetzt haltet, denn jeder Versuch, einen Schritt hinwegzuthun, kostet Euch das Leben!“

„Wer seid Ihr?“ fragte Fred Morgan.

„Fragt diesen sogenannten Master Mercroft, Euren Sohn.“

„Wer gibt Euch das Recht, uns hier anzufallen?“

„Wir selbst, ebenso wie Ihr Euch das Recht gegeben habt, Andere anzufallen, wie zum Beispiel den Master Marshal in Louisville, den Bahnzug später und früher noch die Farm eines gewissen Sam Hawerfield, der jetzt hier vor Euch steht. Thut uns doch einmal den Gefallen, und legt Euch platt auf die Erde!“

„Werden es bleiben lassen!“

„Werdet es dennoch thun, wenn ich Euch unsere Namen nenne. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen; dieser ist Sans-ear, der frühere Sam Hawerfield, und wer ich bin, wird Euch Euer Sohn bereits erzählt haben. Ich zähle bis drei; liegt ihr dann noch nicht, so seid Ihr des Todes. Eins — zwei — — —“

Mit zusammengekniffenen Zähnen und geballten Fäusten gehorchten sie.

„Bob, binde sie!“

„Bob werden binden sehr schön ganz fest, Massa!“ meinte der Schwarze, und er that sein Möglichstes, dieses Versprechen wahr zu machen.

Bernard war bisher bei den andern Gefangenen geblieben; jetzt löste ihn der Neger ab, und er trat herzu. Als Fred Morgan ihn erblickte, riß er die Augen auf, als ob er ein Gespenst vor sich habe.

„Marshal!“

Dieser warf ihm einen kurzen Blick zu, sprach aber kein Wort; doch dieser Blick sagte mehr als Worte; es lag in ihm der kalte, ruhige Entschluß der gerechten Vergeltung.

„Bob, bringe die Andern heraus!“ meinte Sam. „Auch wir haben zum Beispiel keine Ursache, uns hier lange aufzuhalten, und wollen kurz und bündig über diese Leute richten.“

Der Neger brachte nun Conchez und den Hauptmann herbei. Auch Hoblyn kam nach. Er hatte sich bisher besser gehalten, als es einem Stakeman zuzutrauen gewesen war.

„Wer soll sprechen?“ frug Bernard.

„Charley, Du!“ meinte Sam.

„Nein. Wir sind hier Alle Partei, nur Winnetou ist unberührt. Er ist ein Häuptling der Prairie und soll das Wort haben!“

Alle waren einverstanden. Der Apache neigte zustimmend sein Haupt.

„Der Häuptling der Apachen hört reden den Geist der Savanne; er wird sein ein gerechter Richter über die Söhne der Bleichgesichter. Meine Brüder mögen nehmen ihre Waffen, denn nur Männer dürfen richten über die Gefangenen!

Das war so indianische Sitte, und wir folgten ihm. Er begann:

„Wie ist der Name dieses Weißen?“

„Hoblyn,“ antwortete Sam.

„Was hat er getan?“

„Er war ein Stakeman.“

„Haben meine Brüder gesehen, daß er tötete einen ihrer Männer?“

„Nein.“

„Hat er freiwillig gesagt, daß er ein Mörder ist?“

„Nein.“

„Wem hat er bisher geholfen, den Stakemen oder meinen Brüdern?“

„Uns.“

„So mögen meine Brüder richten mit dem Herzen und nicht mit der Büchse. Winnetou wünscht, daß dieser Mann frei sei, aber nicht wieder gehe zu den Stakemen!“

{„}Wir stimmten Alle bei, und der Ausspruch des Apachen hatte so sehr meine eigene Ansicht getroffen, daß ich die Büchse und das Messer Fred Morgan’s ergriff und Beides Hoblyn hinreichte.

„Nehmt! Ihr seid frei und dürft also wieder Waffen tragen.“

„Ich danke Euch, Sir!“ meinte er freudig. „Ihr sollt Euch in mir nicht täuschen!“

Es war ihm anzusehen, daß er den guten Willen hatte, dieses Versprechen zu erfüllen. Winnetou fuhr fort:

„Wer ist dieses Bleichgesicht?“

„Der Anführer der Stakemen.“

„Das ist genug; er soll sterben! Denken meine Brüder anders?“

Keiner sagte ja; das Urtheil war also bestätigt.

„Und wie heißt dieser Mann?“

„Conchez.“

„Das ist ein Name, wie ihn tragen die falschen Männer des Südens. Was war er?“

„Ein Stakeman.“

„Was wollte er hier? Er wollte betrügen seine eigenen Gefährten um den Schatz; er hat zwei Seelen und zwei Zungen; er möge sterben!“

Auch jetzt erhob sich keiner zur Verteidigung des Angeklagten. Winnetou fuhr fort:

„Aber nicht von der Hand eines braven Mannes sollen sie sterben, sondern von der Hand dessen, der selbst gerichtet wird. Wie heißt dieser Mann?“

„Patrik.“

„Man nehme ihm die Fesseln ab. Er mag werfen die Stakemen in das Wasser, denn keine Waffe soll berühren ihren Körper!“

Bob band ihn los, und während wir ihn vor den Läufen unserer Büchsen behielten, vollbrachte er den ihm gewordenen Befehl mit einer Bereitwilligkeit, wie sie nur der wirklich hartgesottene Sünder zeigen kann. Er sah sich verloren, und es war ihm ganz sichtlich eine Genugthuung, vorher an seinen früheren Gefährten den Henkerdienst zu verrichten. Diese waren so fest gebunden, daß sie sich nicht im Mindesten zu wehren vermochten. Sie versuchten dies auch gar nicht, und dennoch mußte ich mich abwenden; ich konnte den Blick unmöglich auf die Stätte richten, welche zwei Menschen eines zwar zehnfach verdienten, aber immerhin gewaltsamen Todes sterben sehen sollte.

In zwei Minuten war es vorüber. Patrik ließ sich wieder binden; es gab ja keine andere Wahl für ihn.

„Wer sind nun diese zwei Bleichgesichter?“

„Sie sind Vater und Sohn.“

„Wessen klagen meine Brüder sie an?“

„Ich klage sie an des Mordes an meinem Weibe und meinem Kinde,“ antwortete Sam.

„Ich klage den Vater an des Raubmordes an meinem Vater,“ fügte Bernard hinzu.

„Und ich klage an den Vater des Raubüberfalles eines Bahnzuges und des Mordes eines Bahnbeamten,“ beendigte ich. „Ich klage den Sohn an des Mordversuches an mir und Euch. Es ist genug, wir brauchen das Uebrige gar nicht zu rechnen!“

„Mein weißer Bruder hat recht gesagt: es ist genug. Sie sollen sterben. Der schwarze Mann möge sie tödten!“

„Halt!“ rief da Sam. „Das gebe ich nicht zu. Ich bin ihnen gefolgt seit vielen Jahren; das, was sie mir gethan haben, ist ihr ältestes Verbrechen; sie sind mein, und ich lasse sie keinem Andern. Ihr Leben gehört mir, und ihre Kerben kommen auf meine Büchse. Dann ist Sans-ear zufrieden, und er und seine alte Tony mögen Ruhe finden in irgend einer Kluft des Gebirges oder draußen in der Prairie, wo die Gebeine von tausend Jägern bleichen!“

„Das Verlangen meines Bruders ist gerecht; er möge die Mörder nehmen aus den Händen der Andern!“

„Sam,“ — sagte ich leise, indem ich mich zu ihm neigte, damit die Andern meine Worte nicht hörten — „beflecke Dich nicht mit dem Blute der Mörder, indem Du sie als Wehrlose kaltblütig niederschießest. Solche Rache entehrt einen Christenmenschen und ist Sünde. Ueberlaß sie dem Neger!“

Der harte Jäger starrte finster vor sich nieder und schwieg.

Das Gericht war beendet, und ich trat mit Bernard zu dem Pferde Fred Morgans. Wir fanden in den Satteltaschen einige Perlen, welche der Juwelier als die seinigen erkannte; weiter nichts. Wir untersuchten nun ihn selbst und fanden endlich ein Päckchen, welches mit Hirschsehne an die innere Seite seines Büffelhemdes angenäht war. Es enthielt Banknoten in nicht unbedeutendem Werthe; dies war jedenfalls der Antheil, den er Holfert abgenommen hatte. Bernard steckte das Päckchen zu sich.

In diesem Augenblick vernahm ich von dem Platze her, an welchem unsere Pferde standen, ein ängstliches Schnauben. Es war mir, als könne dies nur mein Mustang gewesen sein. Ich schritt also hinzu und sah, wie das Pferd mit gesträubter Mähne und funkelnden Augen am Riemen zerrte, um sich zu befreien. Entweder gab es ein Raubthier in der Nähe, oder es waren Indianer da. Ich stieß einen Warnungsruf aus; dieser aber wurde nicht vernommen, denn in demselben Augenblick erscholl draußen von der Wiese her ein entsetzliches Geheul.

Schnell war ich am Rande des Buschwerkes und blickte durch die Zweige. Was ich sah, war fürchterlich. Der ganze Platz wimmelte von Wilden. Drei oder Vier knieten über Sam, den sie niedergerissen hatten; zwei hatten zu gleicher Zeit mit einander den Lasso über Winnetou geworfen und schleiften ihn an der Erde hin; Hoblyn lag mit zerschmettertem Schädel am Boden, und Bernard konnte ich gar nicht erkennen, so Viele hatten ihn gefaßt. Wo Bob stak, konnte ich nicht sehen.

Die Racurroh waren also dem Kapitän wirklich gefolgt, hatten sich während der Gerichtsszene unbemerkt herangeschlichen und waren nun so unerwartet über die Gefährten hergefallen, daß eine Gegenwehr der reine Wahnsinn gewesen wäre. Was konnte ich für sie thun? Nichts, als mich retten. Es wäre mir möglich gewesen, ein halbes Dutzend der Indsmen niederzuschießen, aber wem war damit geholfen? Getödtet war außer Hoblyn noch Keiner, und so weit ich Comanchen kannte, ließ sich erwarten, daß sie die Ueberrumpelten als Gefangene mit sich führen würden, um sie daheim einen langsamen Martertod sterben zu lassen. Ich kehrte also zu meinem Pferde zurück, band es los und kletterte, es hinter mir herziehend, so schnell wie möglich zur Höhe empor. Etwas Anderes mit mir zu retten, dazu gab es keine Zeit, denn die Wilden hatten mich jedenfalls in das Gesträuch treten sehen und ließen es sich sicher angelegen sein, mich zu fangen.

Die bedeutende Steilung machte es mir außerordentlich schwer, mit dem Pferde vorwärts zu kommen; aber als ich die Höhe erreicht -

erreicht hatte, hörte das hindernde Unterholz auf. Ich stieg in den Sattel und verfolgte den lang sich hindehnenden Bergesrücken mit einer Hast, als ob die ganze Indianerhorde hinter mir her sei. Drüben ging es wieder in ein Thal hinab. Ich gab mir nicht die mindeste Mühe, meine Spur zu verbergen, im Gegentheil, ich wußte, daß sie sicher gefunden und verfolgt würde, und wollte die Verfolger irre leiten.

So ritt ich, ohne anzuhalten, einen großen Theil des Tages immer nach West, bis ich einen Wasserlauf erreichte, der meinem Zwecke dienlich war. Ich lenkte mein Pferd in das Wasser, welches über ein felsiges Bett hinfloß, in dem die Hufe keine Eindrücke hinterlassen konnten, und ritt in demselben so lange aufwärts, bis ich glaubte, daß die Verfolger ermüden würden; dann band ich ihm die Lappen um die Füße und kehrte auf einem Umwege nach dem Ausgangspunkte meines Fluchtrittes zurück.

Die Sonne war bereits untergegangen, als ich den Höhenzug erblickte, hinter welchem das verhängnißvolle Thal lag. Weiter durfte ich mich heute nicht nähern, und so suchte ich mir im Walde eine moosige Stelle, welche sich zum Lager eignete. Mein Pferd war durch die Umhüllung seiner Füße so ermüdet worden, daß es keine Lust zum Fressen verspürte, sondern sich sofort neben mich auf den Boden warf.

Wie so schnell hatten sich die Verhältnisse geändert! Aber ich war nicht aufgelegt zu sentimentalen Betrachtungen; hier konnten nur Thaten retten, und um zu diesen befähigt zu sein, bedurfte ich vor allen Dingen der Ruhe und des Schlafes. Ich empfahl mich dem Schutze Gottes, schloß die Augen und — — öffnete sie wieder, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand.

Jetzt suchte ich zunächst einen verborgenen Platz, an welchem es ein wenig Weide gab; da band ich mein Pferd an und machte mich dann auf, den Schauplatz der gestrigen Katastrophe zu besuchen. Es war ein außerordentlich gefährliches Unternehmen, aber es mußte gewagt werden, wenn ich den Gefährten nützlich sein wollte. Schritt um Schritt pürschte ich mich zur Höhe empor; um eine Strecke zurückzulegen, welche ein langsamer Fußgänger in zehn Minuten durchgeht, brauchte ich zwei volle Stunden, dann aber ging es, und nun mit verzehnfachter Vorsicht, bergab. Eben wollte ich an einer ziemlich alten Steineiche vorüber, als ich einen ganz eigenthümlichen Laut vernahm.

„Pst!“

Ich blickte mich um, konnte aber nichts bemerken.

„Pst!“

Jetzt hörte ich, daß der Laut von oben kam, und schaute empor.

„Pst, Massa!“

Ah, da droben über dem ersten Aste des Baumes war ein Loch ausgefault und aus demselben grinste mir das schwarze Gesicht Bobs freundlich lachend entgegen.

„Wart, Massa; Bob kommen!“ flüsterte er von oben herab.

Dann hörte ich ein Geräusch, ähnlich demjenigen, welches ein im Zimmer Sitzender vernimmt, wenn ein Schornsteinfeger in der nebenan emporführenden Esse arbeitet, und gleich darauf bewegten sich die Haselruthen, welche rund um den Stamm des Baumes aufgeschossen waren.

„Massa kommen herein in Zimmer; kein Indian’ finden dann klug Bob und Massa!“

Ich kroch hinein und befand mich im Innern des hohlen Baumes, dessen Oeffnung durch die Haseln vollständig verdeckt wurde.

„Lack-a-day, wie hast Du diesen Aufenthalt entdeckt?“

„Viehzeug reißen aus vor Bob, kriechen in Baum und gucken oben durch Fenster. Bob können machen auch so.“

„Was war es für ein Thier?“

„Bob wissen nicht. Waren so groß, haben vier Beine, zwei Augen und einen Schwanz.“

In Folge dieser ebenso genauen wie geistreichen Schilderung kam ich auf die Idee, daß es ein Waschbär gewesen sei.

„Wann hast Du den Baum entdeckt?“

„Gleich als Indian’ kommen.“

„Also seit gestern hast Du hier gesteckt! Was hast Du Alles gehört und gesehen?“

„Bob haben hören und sehen viel Indian’.“

„Weiter Nichts?“

„Sein das nicht genug?“

„Waren keine Wilden hier?“

„Waren hier, aber nicht finden Bob. Dann machen Feuer, als Abend sein und braten Schinken von Bär, den Massa haben schlachten. Warum dürfen fressen unsern Bär?“

Die Indignation des guten Schwarzen war jedenfalls eine sehr gerechtfertigte, konnte aber leider das Factum nicht ändern.

„Weiter!“

„Dann werden Morgen, und sein Indian’ fort.“

„Ah, fort! Wohin?“

„Bob nicht wissen, denn nicht können gehen mit, aber sehen viel Indian’ fort aus Thal. Klein Fenster droben können sehen Alles. War auch dabei Massa Winnetou und Massa Sam und Massa Bern’. Haben viel Strick und Riemen um Leib.“

„Und dann?“

„Dann? Dann schleich Indian’ hierher und dorther; wollen Bob fangen, aber Bob sein klug.“

„Wie Viele sind noch da?“

„Nicht wissen Bob, aber wo sind, das wissen.“

„Nun, wo?“

„Drüben bei Bär. Bob kann sehen durch Fenster.“

Ich blickte in die Höhe. Es war möglich, sich im Innern des hohlen Baumes emporzuarbeiten; Bob hatte das bewiesen. Ich versuchte es ebenso, und es gelang. Oben bei dem Loche angekommen, welches Bob Fenster nannte, konnte ich wirklich einen Blick hinüber nach der jenseitigen Thalwand werfen; es war so ziemlich ein Blick aus der Vogelschau. Und wahrhaftig, am Stamme der Blutbuche, auf welche sich Bob vor dem Bären gerettet hatte, sah ich die Gestalt eines Indianers hocken. Man hatte die Gefangenen weggeführt und eine heimliche Besatzung im Thale zurückgelassen, um, wenn wir zurückkehrten, was doch auf alle Fälle zu erwarten war, uns festzunehmen.

Was war zu thun? Ich kletterte wieder hinab.

(Fortsetzung folgt.)
Linie 576
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial E„Es ist nur einer drüben, Bob!“

„Wo anders sein noch Einer und noch Einer, aber Bob nicht wissen.“

„Erwarte mich hier!“

„Massa wollen gehen? Oh, Massa lieber bleiben hier bei Bob.“

„Wir müssen sehen, daß wir unsere Freunde retten können.“

„Retten? Retten Massa Bern’? Oh, oh, das sein schön und sein sehr viel gut! Bob auch mit retten Massa Bern’ und Massa Sam und Massa Winnetou!“

„So verhalte Dich ruhig, daß Du nicht erwischt wirst!“

Ich verließ den hohlen Baum. Es war mir ein höchst wohlthuendes Gefühl, wenigstens Einen außer mir noch verschont zu wissen, wenn dieser Eine auch grad der Neger war. Uebrigens mußte ich es sehr schlau nennen, daß man bei den Ueberresten des Bären eine Wache gesetzt hatte. Das Fleisch konnte ja für uns eine Anziehungskraft besitzen, die uns in das Verderben führte.

Eine Stunde später befand ich mich auf der andern Seite des Thales, keine drei Ellen von dem Indianer entfernt, welcher unbeweglich wie eine Statue saß und kein anderes Glied rührte, als zwei Finger der rechten Hand, welche mit einer kleinen Geierpfeife spielten, die an seinem Halse hing. Ich wußte, daß die Töne dieser Pfeifen oft als Signale verwendet werden; sollte hier vielleicht etwas Aehnliches verabredet sein?

Der Indianer war noch jung, kaum achtzehn Jahre alt; vielleicht war der gegenwärtige Kriegszug sein erster. Er hatte einen sehr interessanten Kopf, und die Sauberkeit seiner Kleidung ebenso wie die feine Arbeit seiner Waffen ließ mich vermuthen, daß er der Sohn eines Häuptlings sei. Sollte ich ihn tödten? Sollte ich dies junge, hoffnungsvolle Leben zerstören? Nein.

Ich schob mich leise, ganz leise vorwärts, packte mit der Linken seine Kehle und gab ihm mit der Rechten einen vorsichtigen Hieb, der einem älteren Manne nicht das Mindeste gethan haben würde, diesen Jüngling aber auf der Stelle betäubte; dann fesselte und knebelte ich ihn und befestigte ihn so an den Stamm eines Baumes, daß er rings von Büschen umgeben war und also nicht gesehen werden konnte. Die Geierpfeife hatte ich ihm abgenommen. Ich versteckte mich, setzte sie an den Mund und stieß einen kurzen, halblauten Pfiff aus. Sofort raschelte es mir gegenüber in den Büschen. ein alter Indianer trat hervor und kam eiligen Laufes herübergesprungen. Ein Kolbenschlag meiner Büchse streckte ihn nieder. Er war nicht todt, sondern nur bewußtlos; ich hatte ihn ja nicht tödten, sondern nur unschädlich machen wollen.

Es mußten mehr als drei oder vier Indianer vorhanden sein, und alle diese Leute auf dieselbe Weise herpfeifen und niederschlagen, das wäre ja die schändlichste Metzelei gewesen; aber sie war auch ein Ding der Unmöglichkeit. Vor Allem mußte ich erfahren, wo sich die Pferde der Indsmen befanden; es war das eine gefahrvolle Sache. Ich ahmte das kurze Wiehern eines Hengstes nach und siehe da, eben dort, wo der Indianer herausgekommen war und wo unsere Pferde gestanden hatten, ertönte eine mehrstimmige Antwort.

Jetzt mußte ich auf mein gutes Glück vertrauen; ich band den alten Indianer mit seinen eigenen Riemen fest, nahm den jungen auf meine Achsel und eilte unter dem Schutze der Bäume um die kurze Krümmung, welche den Hintergrund des Thales bildete, der Stelle zu, an welcher die Pferde standen. Es waren ihrer sechs, ein sicherer Beweis also, daß sich noch vier Indsmen auf der Lauer befanden; diese standen jedenfalls weiter vorn nach dem Eingange zu, so daß ich hinten genugsam Zeit zu meinen Vorbereitungen hatte.

Ich stieg zunächst hinauf zu Bob. Er war im Innern des Baumes in die Höhe geklettert und schaute durch sein Fenster von oben herab. Als er mich nahen sah, kam er herabgerutscht und blickte zwischen den Haselruten hindurch.

„Massa, oh, haben fangen ein Indian’! Massa machen wohl todt Indian’?“

„Nein; ich will ihn nur gefangen halten. Willst du Massa Bernard mit retten?“

„Oh, Bob werden retten gern lieb’ gut’ Massa Bern’. Wie es müssen machen Bob?“

„Du nimmst hier diesen Indianer und trägst ihn hier in gerader Richtung bergab, bis Du an den großen Hickory kommst. Da legst Du ihn ab und wartest auf mich.“

„Bob werden es machen so, Massa!“

„Aber Du rührst seine Fesseln nicht an. Wenn er frei wird, bist Du verloren!“

„Bob nicht werden sein verloren!“

„Gut, also vorwärts!“

Der riesige Neger warf sich den Indianer über die Achsel und stieg jenseits von der Höhe hinab. Ich kehrte zu den Pferden der Comanchen zurück. Es war gewiß eine schwere Aufgabe, alle sechs Thiere bei diesem Terrain zu entführen, das heißt, sie aus dem Thale empor und drüben wieder hinabzubringen. Allein jedoch brachte ich es wohl besser fertig als mit Hülfe des Negers, da alle indianischen Pferde einen unüberwindlichen Abscheu gegen die schwarze Rasse hegen, deren Ausdünstung den Thieren zuwider ist. Aufsteigen lassen sie den Neger, aber wenn er, vor ihnen hergehend, sie führen will, so weigern sie sich, ihm zu folgen.

Was ich bereits vorhin bemerkt hatte, bewährte sich jetzt: unsere Schätze — sowohl jene von uns aus dem Hide spot mitgebrachten, als auch das den beiden Morgans abgenommene Packet — waren verloren: — das Geld ist deadly dust, tödlicher Staub; es bringt unter Hunderten, die ihm in den Diggins und dem wilden Westen nachjagen, Neunzig in den Tod. Der Glanz und Klang des verführerischen Metalls weckt finstere Dämonen, und nur unter dem Gesetze bewährt es seine segensreiche Macht.

Ich nahm die Bauchriemen der Pferde und band damit den Kopf je eines an den Schwanz des andern, so daß die sechs Tiere eine fortlaufende Reihe bildeten; dann faßte ich das vorderste beim Zügel, und fort ging es, die steile Berglehne hinan. Ich hatte meine liebe Noth mit den widerspenstigen Thieren, und die übrigen vier Indianer mußten weit entfernt stehen, daß sie das Schnauben und Stampfen der Pferde nicht vernahmen; doch gelangte ich glücklich hinauf und drüben wieder hinab — die Wilden hatten keine Pferde mehr und waren also nicht mehr im Stande, die Ihrigen einzuholen. Ebenso war ihr Hauptzweck, mich und Bob nachträglich zu fangen oder zu tödten, verfehlt.

Der Neger saß unter dem ihm bezeichneten Hickory und bewachte den Indsman. Es mochte ihm, so allein mit dem Feinde, doch etwas bänglich zu Muthe gewesen sein, und er war sichtlich erfreut und erleichtert durch mein Erscheinen.

„Oh, schön, daß kommen Massa. Indian’ machen Augen wie Teufel, haben auch brummen und grunzen wie Vieh, aber Nigger Bob haben geben ihm einen Klapps auf Maul, daß er sein stille!“

„Du darfst ihn nicht schlagen, Bob, denn das ist nicht ritterlich und außerdem eine Beleidigung, die ein Indianer nur mit dem Tode vergilt. Wenn er je wieder frei werden sollte und Dich einmal trifft, so bist Du verloren!“

„Nigger Bob verloren? Oh, ah, Massa! Dann lieber gleich schlagen todt Indian’, daß nicht er werden wieder frei!“

Er zog wirklich seinen Bowiekneif und setzte die Spitze desselben auf die Brust des Comanchen.

„Halt, Bob, keinen Mord! Wenn wir ihn leben lassen, wird er uns großen Nutzen bringen. Hilf mir, ihn auf das Pferd binden!“

Ich nahm dem Indianer den Knebel aus dem Munde.

„Mein rother Bruder mag athmen, aber er darf nicht sprechen, außer wenn ich ihn frage!“

„Ma-ram wird reden, wenn es ihm beliebt,"„ antwortete er. „Das Bleichgesicht wird mich tödten und meinen Scalp nehmen, auch wenn ich nicht spreche.“

„Ma-ram wird leben und seinen Scalp behalten, denn Old Shatterhand tödtet seinen Feind nur im Kampfe.“

„Das Bleichgesicht ist Old Shatterhand? Uff!“

„Ich sage die Wahrheit. Ma-ram ist nicht mehr mein Feind, sondern mein Bruder. Old Shatterhand wird ihn bringen in das Wigwam seines Vaters.“

„Der Vater von Ma-ram ist To-kei-chun ), der große Häuptling der Comanchen, welcher über die Krieger der Racurroh gebietet; er wird Ma-ram tödten, weil er der Gefangene des Bleichgesichtes ist.“

„Will mein Bruder frei sein?“

Der Indianer blickte mich verwundert an.

„Kann Old Shatterhand den Krieger freigeben, dessen Leben und Scalp ihm gehört?“

„Wenn mein junger rother Bruder mir verspricht, nicht zu fliehen, sondern mich in die Wigwams seines Stammes zu begleiten, so werde ich ihn losbinden und ihm ein Pferd geben; auch seine Waffen, die dort am Sattel hangen, darf er behalten.“

„Ugh! Old Shatterhand hat eine starke Faust und ein großes Herz; er ist nicht wie die andren Bleichgesichter. Aber hat er nicht eine doppelte Zunge?“

„Ich rede stets die Wahrheit. Will mein rother Bruder mir gehorchen, bis wir vor dem Angesichte To-kei-chun’s stehen?“

„Ma-ram will es!“

„So nehme er das Feuer des Friedens aus meiner Hand; es wird ihn verzehren, wenn er seine Worte nicht hält!“

Das Versteck meines Pferdes befand sich in der Nähe. Ich holte das Thier herbei und nahm aus der Satteltasche zwei von den Strohcigarretten, die ich mir aus den Vorräthen des Hide-spot angeeignet hatte. Ein Streichholz gab es auch, und so wurden die dünnen „Habannos“, nachdem ich den Indianer von seinen Fesseln befreit hatte, in Brand gesteckt und unter den gebräuchlichen Formalitäten geraucht.

„Haben die Bleichgesichter keinen großen Geist, der ihnen Thon zu einem Calumet wachsen läßt?“ fragte Ma-ram.

„Sie haben einen Geist, der größer ist, als alle Geister; er hat ihnen viel Thon gegeben, aber sie rauchen die Pfeife nur in ihrem Wigwam, denn er lehrte sie, den „Rauch des Friedens zu essen“ aus diesen Cigarren, die nicht so viel Platz brauchen, wie die Pfeife.“

„Uff! Si-karr? Der große Geist der Bleichgesichter ist klug! Diese Si-karr kann leichter getragen werden, als das Calumet.“

Die Indianer sagen nicht „Tabak rauchen“, sondern „Tabak essen“, da sie den Rauch verschlucken und dann in einzelnen Zügen ausstoßen. Ich habe Indsmen gekannt, welche den Rauch einer ganzen Cigarrette in den Magen brachten, ehe sie ihn wieder von sich bliesen. Bob zog ein sehr verwundertes Gesicht darüber, daß ich jetzt so gemüthlich und ganz in der Nähe so furchtbarer Feinde Cigarren mit einem Indianer rauchte, den er erst auf das Pferd hatte binden sollen.

„Massa, auch Bob wollen rauchen mit Frieden!“

„Hier, hast Du eine Cigarre, aber rauche sie zu Pferd, denn wir müssen aufbrechen!“

Der Comanche suchte sich sein Pferd aus und schwang sich auf. Wie ich die Indianer bisher hatte kennen gelernt, brauchte ich nicht die mindeste Sorge zu haben, daß er mir entfliehen werde. Ein zweites Pferd bestieg Bob, allerdings nach vieler Mühe. Die Uebrigen band ich auseinander und koppelte sie dann mit den Zügeln zusammen, so daß ich sie gut an der Hand zu führen vermochte. Dann stieg auch ich auf meinen Mustang, und der Marsch begann.

Zwischen der Tiefe, in welcher wir uns befanden, und dem für unsere Gesellschaft so verhängnißvoll gewordenen Thale dachte sich die Höhe nach der Ebene zu immer weiter ab. Wir folgten ihr und ritten dann um sie herum, um auf diese Weise auf die Fährte der Comanchen zu kommen, die wir auch erreichten; allerdings nicht, ohne vom Thale aus bemerkt zu werden. Die Indianer erhoben ein Wuthgeheul, welches weithin erschallte. Wir kümmerten uns natürlich nicht darum, und auch Ma-ram hatte so viel Selbstbeherrschung, daß er mit keiner Wimper zuckte und nicht die geringste Absicht verrieth, sich nach ihnen umzublicken.

)Der gehörnte Stier.

Ohne daß ein Wort gesprochen wurde, folgten wir der Fährte bis zum Abend, wo wir den Rio Pecos erreichten und einen zum Nachtlager passenden Ort fanden. In den Decken der indianischen Pferde war ein ziemlicher Vorrath getrockneten Fleisches vorhanden, so daß wir weder zu hungern, noch ein Wild zu schießen brauchten. Wir waren so weit von den vier Comanchen entfernt, daß sie uns während der Nacht sicherlich nicht erreichten.

Ma-ram legte sich sofort schlafen; ich wechselte mit Bob in der Wache ab. Als es Tag zu werden begann, nahm ich den vier übrigen Pferden die Decken, Zügel und Alles, was sie trugen, ab und jagte sie in den Fluß. Sie schwammen über ihn und verschwanden bald jenseits desselben im Walde. Der Indianer hatte dabei zugesehen, ohne ein einziges Wort über die Lippen zu bringen.

Die Spur, welcher wir nun folgten, war sehr deutlich; die Comanchen mußten sich also wieder sicher wissen. Sie hatten sich immer an der rechten Seite des Rio Pecos gehalten und waren dem Flusse abwärts gefolgt bis dahin, wo er in die obere Sierra Guadelupe tritt. Hier theilte sich zu meinem Erstaunen die Fährte. Die zahlreichere Hälfte der Wilden hatte sich in das Gebirge gewendet, während die Anderen der bisherigen Richtung treu geblieben waren.

Ich stieg ab, um die Spuren zu untersuchen. Inmitten der letzteren Fährte sah ich ganz deutlich die Hufeindrücke der alten Tony, welche ich zu genau kannte, als daß ich sie hätte verkennen können. Kurz vorher hatten wir die Spur eines Nachtlagers gefunden. Ich wandte mich zu Ma-ram:

„Die Söhne der Comanchen sind in die Berge gegangen, um das Grabmal ihres großen Häuptlings zu besuchen?“

„Mein Bruder sagt es.“

„Und diese hier“ — ich deutete dabei auf die andere Fährte — „wollen ihre Gefangenen nach den Wigwams der Comanchen bringen?“

„So befahlen die beiden Häuptlinge der Racurroh.“

„Die Kinder der Racurroh haben auch die Schätze der Bleichgesichter bei sich?“

„Sie haben sie behalten, weil sie nicht wissen, welchem von den Bleichgesichtern sie gehören.“

„Und wo haben die Comanchen ihre Wigwams aufgeschlagen?“

„In der Savanne, welche an diesem Wasser hier und dem Flusse liegt, den die Bleichgesichter den Rio grande nennen.“

„Also in der Savanne zwischen den zwei Gebirgen?“

„So ist es.“

„Dann werden wir diese Fährte nicht verfolgen, sondern grad nach Mittag reiten.“

„Mein Bruder mag thun, was er will; aber er möge wissen, daß dort kein Wasser für ihn und seine Pferde ist!“

Ich blickte ihm scharf in die Augen.

„Hat mein rother Bruder einmal Berge gesehen, welche nahe an einem großen Flusse liegen und dennoch kein Wasser haben? Jeder Fluß bekommt sein Wasser aus den Bergen.“

„Mein Bruder mag sehen, wer recht hat, er oder der Comanche!“

„Ich weiß, warum der Comanche nicht in die Berge will!“

„Mein Bruder sage es mir!“

„Die Söhne der Racurroh reiten mit ihren Gefangenen am Flusse hin, der einen großen Bogen macht; wenn ich grad nach Süden reite, ereile ich sie, noch ehe sie ihre Wigwams erreichen.“

Er schwieg, denn er sah ein, daß ich ihn durchschaut hatte. Ich zählte die vorhandenen Hufspuren und fand, daß es ihrer sechzehn waren; Winnetou, Sam und Bernard wurden also von dreizehn Feinden eskortiert. Sie waren jedenfalls sehr sorgfältig gefesselt, und selbst wenn ich sie erreichte, konnte ich wohl kaum etwas Nachhaltiges für sie thun.

Dennoch lenkte ich nach Süden ein und ließ die Pferde so viel wie möglich ausgreifen. Es war ein böser und sehr beschwerlicher Ritt, da ich die Gegend nicht kannte und von Ma-ram auch keine genügende Auskunft erlangen konnte. Es glückte aber, und schon am nächsten Vormittag hatten wir die Berge überwunden und sahen die weitgedehnte Savanne vor uns liegen. Von links her glänzten die Wasser des Rio Pecos, dem wir jetzt wieder zuhielten, zu uns herüber.

Der Wald stieg mit uns von den Bergen herab und begleitete uns eine Strecke weit längs des Flusses in die Prairie hinein. An einem Bache, welcher in den Pecos mündete, trafen

wir wieder die Spuren der Comanchen. Sie stammten wohl von gestern Mittag her, und gar nicht weit davon, an einem zweiten Bache, hatten die Commanchen gerastet, wohl um die größte Tageshitze vorüberzulassen.

Auch ich beschloß, hier ein wenig auszuruhen, wählte aber eine Stelle, welche sich nicht so sehr nahe am Flusse, sondern mehr rückwärts im Gebüsche befand und in Folge dessen mehr Sicherheit vor Entdeckung gewährte. Diese Vorsichtsmaßregel sollte sich gar bald bewähren, denn ich hatte kaum mit Ma-ram Platz genommen, so kam Bob, der sich und sein Pferd im Flusse baden wollte, wieder zurück und rief:

„Massa, oh, oh, Reiter kommen — ein, zwei, fünf, sechs Reiter. Reißen aus, Massa, oder schlagen todt Reiter?“

Ich sprang an den Rand des Gebüsches vor und gewahrte allerdings sechs Pferde, welche in zwei Gruppen von je dreien von fern her stromaufwärts auf uns zugesprengt kamen; die zwei hintersten von den je dreien schienen Packete zu tragen, während auf dem vordersten ein Reiter saß. Wir hatten es also mit nur zwei Feinden zu thun, wenn es wirklich Feinde waren, denn ich erkannte trotz der Entfernung, daß es keine Indianer, sondern Weiße seien.

Aber hinter ihnen jagten fünf Gestalten, die nichts Anders als Indsmen sein konnten und die beiden Flüchtlinge in höchstens fünf Minuten erreichen mußten. Es konnte sich hier nur um eine Verfolgung handeln, und um zu sehen, wie ich mich zu verhalten habe, nahm ich mein Fernglas zur Hand.

„Zounds!“ entfuhr es mir unwillkürlich, denn der Vorderste war Fred Morgan und der Andere sein Sohn Patrik.

Sollte ich sie tödten oder lebendig fangen? Nein, mit dem Blute dieser Raubmörder wollte ich meine Hand nicht besudeln. Ich nahm meine Büchse und wartete. Sie kamen hart am Flusse herauf, die Indianer keine fünfhundert Schritte hinter ihnen. Schon hörte ich das Schnauben ihrer Pferde — jetzt waren sie da und wollten an uns vorüber — ich drückte zweimal ab. Ich hatte auf die Köpfe der beiden Reitthiere gezielt; sie brachen zusammen. Die Saumthiere waren an ihnen befestigt und versuchten, durch die Schüsse erschreckt, sich loszureißen. Die Reiter waren weit fort zur Erde geschleudert worden. Ich wollte mich auf sie werfen.

„O — hi — hi — hiiii!“ erscholl da der Schlachtruf der herbeigekommenen Wilden, in welchen auch Ma-ram mit einstimmte, und in demselben Augenblick war ich umzingelt. Drei Tomahawks und zwei Messer blitzten über meinem Kopfe.

„Cha!“ rief da Ma-ram, indem er die Hand abwehrend ausstreckte. „Dieses Blaßgesicht ist der Freund von Ma-ram!“

Sie ließen von mir ab, aber die Folgen ihres Angriffes waren nicht mehr zu verbessern: die beiden abgeworfenen Reiter hatten Zeit gehabt, sich aufzuraffen und in die Büsche zu entfliehen, und die Pferde, bei dem fürchterlichen Geheul der Indianer wild aufbäumend, hatten sich losgerissen und waren in das Wasser des Flusses gestürzt. Ich hatte gleich von vornherein in ihnen unsere vier Lastpferde erkannt; sie waren sehr schwer beladen und deßhalb sofort nach ihrem Sturze untergegangen.

Vier der Indianer sprengten den beiden Flüchtlingen nach; den Fünften hielt ich zurück.

„Mein rother Bruder möge mir sagen, warum die Krieger der Comanchen ihre weißen Freunde verfolgen!“

„Die weißen Männer haben einen Mund wie die Schlangen; ihre Zunge hat zwei Spitzen. Sie haben während der Nacht die Wache getödtet und sind mit ihren Schätzen entflohen.“

„Mit dem Golde?“

„Sie nahmen das Metall und die vielen Medizinzettel, welche in dem Felle waren.“

Er ließ uns stehen und eilte seinen Kameraden nach. Die beiden Morgans hatten also Sorge gehabt, daß sie ihre Schätze von den Comanchen nicht bekommen würden, und sich mit denselben davongemacht. Unter den „Medizinzetteln“ waren die Depositenscheine und Banknoten zu verstehen, welche wir ihnen hatten abnehmen wollen. Grad da, wo die Pferde in das Wasser gestürzt waren, machte der Fluß eine Krümmung, so daß eine Wirbelung entstand, welche uns alle Hoffnung nehmen mußte, das von den Fluthen Verschlungene jemals wieder herauszubekommen — deadly dust, tödtlicher Staub!

Was war jetzt zu thun? Die Sorge um die Freunde war natürlich größer als das Verlangen, der beiden Feinde habhaft zu werden. Uebrigens waren hinter diesen die fünf Comanchen her, denen wir die Verfolgung recht gut überlassen konnten.

„Warum schießt mein weißer Bruder auf das Pferd und nicht auf den Reiter?“ frug Ma-ram. „Hat Old Shatterhand nicht zielen gelernt?“

„Weshalb tödtete Old Shatterhand nicht Ma-ram, den Comanchen, über dessen Herzen schon das Messer war? Er tödtete die Pferde, weil er mit den Reitern reden wollte.“

„Er wird mit ihnen reden, denn er wird sie verfolgen mit seinen rothen Brüdern!“

Ich mußte beinahe lächeln über das Bestreben des Indianers, mich soviel wie möglich von der Verfolgung der Fährte zurückzuhalten. Ich antwortete:

„Er wird sie nicht verfolgen. Die Krieger der Comanchen sind weise und tapfer; sie werden die bösen Bleichgesichter fangen und in ihre Wigwams bringen. Ma-ram möge sein Pferd besteigen und mir folgen!“

Das Ereigniß hatte mir alle Lust zur Rast benommen, und hierzu kam eine Betrachtung, welche sich mir aufdrängen mußte: Unsere Freunde waren von 13 Reitern begleitet worden; die beiden Morgans, fünf Comanchen und die ermordete Wache mußten jetzt abgerechnet werden, und so ergab sich, daß sie nur noch von fünf Indianern bewacht wurden. Unter diesen Verhältnissen konnte es mir sehr leicht möglich sein, sie zu befreien.

Ich ließ also die Pferde stärker ausgreifen, als je vorher. Bis zur Abenddämmerung hatten wir eine so bedeutende Strecke zurückgelegt, daß, als ich die Fährte sorgfältig untersuchte, ich zu der Ueberzeugung kam, der kleine Trupp sei erst am Mittag hier vorübergekommen. Die Flucht der Morgans, die Ermordung des Wachtpostens und die Annahme, daß sie nicht verfolgt würden, hatten ihre sonstige Eile gemindert.

Obgleich Ma-ram sich sehr angelegentlich nach einem Nachtlager umsah, mußte er mir doch noch fast vier englische Meilen folgen, bis es so dunkel wurde, daß es absolut unmöglich war, die Spuren noch zu erkennen. Dann erst gab ich den Befehl, abzusteigen. Kaum graute der Morgen, so wurde wieder aufgebrochen.

Jetzt führte die Fährte vom Flusse abwärts in die Savanne hinein, immer nach Süden. Wir trafen hier und da auf Büffelwege, in denen wir uns vorwärts bewegten, und dabei bemerkte ich, so oft ich die Fährte beobachtete, daß wir den Verfolgten immer näher rückten. Schon hegte ich die Hoffnung, sie um die Mittagszeit einzuholen, als mich ein einziger Augenblick enttäuschte. Wir kamen nämlich auf einen Platz, der von zahlreichen Pferden zerstampft war, und von hier aus führten wenigstens vierzig Hufspuren nach Süden.

„Uff!“ rief Ma-ran.

Weiter sagte er nichts, aber sein Auge leuchtete vor Vergnügen, während seine Züge unbeweglich blieben. Und ich verstand ihn recht gut. Die Eskorte unserer Gefährten war auf eine Comanchentruppe gestoßen, unter deren Schutze sie dem Lagerplatze zueilte.

„Wie weit ist es noch bis zum Lagerplatze der Comanchen?“ frug ich den Indianer.

„Die Racurroh haben kein Lager; sie bauten sich ein Dorf, welches größer ist als die Städte der Bleichgesichter, in die Savanne. Wenn mein weißer Bruder schnell reitet, wird er es erreichen, noch ehe die Sonne hinter den Gräsern verschwindet.“

Am Mittag wurde eine kurze Rast gemacht, und wirklich tauchten gegen Abend mehrere dunkle Linien am Horizont auf, die ich bei Betrachtung durch das Fernrohr als lang gestreckte Zeltreihen erkannte.

Die Comanchen hatten jedenfalls der nahen Büffeljagd wegen hier eine so bedeutende Niederlassung errichtet und schienen durch die Ankunft der Gefangenen außerordentlich in Anspruch genommen zu sein, da wir niemand antrafen und uns dem Lager so weit zu nähern vermochten.

Ich parirte mein Pferd.

„Dort sind die Wigwams der Comanchen?“

„Sie sind es.“

„Wird dort To-kei-chun, der große Häuptling, anwesend sein?“

„Der Vater Ma-ram’s ist stets bei seinen Kindern.“

„Will mein rother Bruder hinreiten und ihm sagen, daß Old Shatterhand ihn besuchen wird?“

Er blickte doch ein wenig überrascht zu mir empor.

„Fürchtet sich Old Shatterhand nicht vor so vielen Feinden? Er tödtet den Büffel und den grauen Bären, aber er kann nicht tödten die Comanchen, welche zählen wie die Bäume des Waldes.“

„Old Shatterhand will tödten die Thiere des Waldes, aber nicht seine rothen Brüder. Er fürchtet sich nicht vor den Sioux, den Kioway’s, den Apachen und Comanchen, denn er ist aller tapfern Krieger Freund und gibt seine Kugel nur dem Bösen und dem Verräther. Er wird hier warten. Mein Bruder gehe!“

„Aber Ma-ram ist sein Gefangener; wenn er ihn nun verliert?“

„Ma-ram ist jetzt nicht mehr mein Gefangener; er hat den Rauch des Friedens mit mir gegessen; er ist frei!“

„Ugh!“

Mit diesem Worte gab er seinem Thiere die Fersen zu fühlen und ritt im Galopp davon. Ich stieg mit Bob ab; wir setzten uns nieder und ließen die Pferde grasen.

Der gute Neger machte ein höchst bedenkliches Gesicht.

„Massa, was werden Indian’ machen mit Nigger Bob, wenn Massa nehmen Bob mit zu Indian’?“

„Das müssen wir abwarten.“

„Abwarten sein bös’ schlimm’ schlecht’ Ding. Werden Bob abwarten, daß Indian’ braten Bob an Pfahl?“

„Es wird vielleicht nicht so schlimm, wie Du denkst. Wir müssen zu den Comanchen, wenn wir Deinen Massa Bernard vielleicht erretten wollen.“

„ Oh, ah, ja, Nigger Bob werden retten gut’ Massa Bern’; werden lassen sich braten und kochen und fressen, wenn nur Indian’ geben frei Massa Bern’!“

Er begleitete diesen heroischen Entschluß mit einem Grinsen, welches den Indianern sicher allen Appetit, ihn zu verspeisen, benommen hätte, und nahm dann ein Stück Dürrfleisch vor, um vor seinem Martertode wenigstens noch in Etwas des Lebens Reize zu genießen.

Wir brauchten nicht sehr lange auf den Erfolg unserer Anmeldung zu warten, denn nach einiger Zeit kam ein sehr zahlreicher Reitertrupp auf uns zu, welcher sich auflöste, einen weiten Kreis bildete, in welchen wir eingeschlossen wurden, und diesen im Galopp und unter Heulen und Waffenschwenken plötzlich so verengte, daß es schien, als ob wir niedergeritten werden sollten. Eine Gruppe von vier Häuptlingen kam wirklich ventre à terre grad auf uns zu und setzte über uns hinweg. Bob fiel hintenüber zur Erde, ich aber blieb ruhig sitzen und regte den Kopf kein Haar breit nach rechts oder links,

„Oh, ah, Indian’ reiten todt Bob und Massa!“ brüllte der Neger, indem er den Kopf erhob, um sich über den neuesten Stand der Dinge vorsichtig zu unterrichten.

„Fällt ihnen nicht ein! Sie wollen nur probiren, ob wir Muth haben oder uns vor ihnen fürchten.“

„Probiren? Oh, Indian’ mögen nur kommen; Bob haben Muth, sehr ganz viel groß Muth!“

Er setzte sich mit seiner fürchterlichsten Miene wieder aufrecht, und zwar grad zur rechten Zeit, denn die Häuptlinge waren abgestiegen und kamen auf uns zu. Der Aelteste von ihnen nahm das Wort:

„Warum erhebt sich der weiße Mann nicht, wenn die Häuptlinge der Comanchen zu ihm treten?“

„Er will ihnen damit zeigen, daß sie ihm willkommen sind,“ antwortete ich. „Meine rothen Brüder mögen an meiner Seite Platz nehmen!“

„Die Häuptlinge der Comanchen setzen sich nur an die Seite eines Häuptlings. Wo hat der weiße Mann seine Wigwams und seine Krieger?“

Ich nahm den Tomahawk in die Rechte.

„Ein Häuptling muß stark und tapfer sein. Wenn die rothen Männer nicht glauben, daß ich ein Häuptling bin, so mögen sie mit mir kämpfen; dann werden sie erfahren, ob ich die Wahrheit sage.“

„Wie ist der Name des Bleichgesichtes?“

„Die rothen und weißen Krieger und Jäger nennen mich Old Shatterhand.“

„Der weiße Mann wird sich diesen Namen selbst gegeben haben!“

„Wenn die Häuptlinge der Comanchen mit mir kämpfen wollen, so dürfen sie den Tomahawk und das Messer nehmen; ich aber nehme nur meine Hand. Howgh!“

„Der weiße Mann spricht stolze Worte; er wird zeigen dürfen, ob er Muth hat. Er steige auf sein Pferd und komme mit den Kriegern der Racurroh!“

„Werden diese Krieger das Calumet mit mir rauchen?“

„Sie werden berathen, ob sie es thun dürfen.“

„Sie dürfen es, denn ich komme in Frieden zu ihnen!“

Ich stieg auf, und auch Bob krabbelte sich auf sein widerspänstiges Pferd. Um ihn schien man sich gar nicht zu bekümmern; der Indianer ist gegen die schwarze Rasse noch stolzer als der Weiße. Ich aber wurde von den Häuptlingen in die Mitte genommen, und fort ging es im rasenden Galopp auf das Lagerdorf zu, in dasselbe hinein und zwischen den Zeltreihen hinauf, bis wir an ein großes Zelt gelangten, vor welchem sie anhielten und absprangen. Ich that dasselbe.

Bob war nicht zu sehen; ich war umgeben von den sämmtlichen Kriegern, welche mich geholt hatten. Der Häuptling, welcher bereits vorhin das Wort geführt hatte, griff nach meiner Büchse.

„Das Bleichgesicht möge uns seine Waffen geben!“

„Ich behalte meine Waffen, denn ich bin freiwillig zu Euch gekommen und nicht Euer Gefangener.“

„Der weiße Mann wird uns aber dennoch seine Waffen geben, bis die rothen Männer wissen, was er bei ihnen will.“

„Fürchten sich die rothen Männer vor ihm? Wer verlangt, daß ich meine Waffen von mir geben soll, hat Angst vor mir.“

Er fühlte sich bei seiner Kriegerehre angegriffen und warf den anderen Dreien einen fragenden Blick zu; in ihrem Auge mußte er eine beruhigende Antwort gelesen haben, denn er meinte:

„Die Krieger der Comanchen wissen nicht, was Angst und Furcht ist; der weiße Mann mag seine Waffen behalten.“

„Welchen Namen führt mein rother Bruder?“

„Old Shatterhand spricht mit To-kei-chun, vor dem die Feinde zittern.“

„Ich bitte meinen Bruder To-kei-chun, mir eine Hütte zu geben, in welcher ich warten kann, bis die Häuptlinge der Comanchen mit mir reden werden!“

„Deine Worte sind gut; das Bleichgesicht soll ein Zelt bekommen, bis die Krieger der Racurroh sich berathen haben, ob sie mit ihm das Calumet rauchen werden.“

Er winkte mit der Hand und schritt voran; ich nahm meinen Mustang beim Zügel und folgte ihm. Die Indianer bildeten eine Gasse, welche wir durchschritten, und dabei bemerkte ich manches alte und junge Frauengesicht, das heimlich aus dem oder jenem Zelte lugte, um den Weißen anzusehen, der es gewagt hatte, die Höhle der Löwen zu betreten.

Diese Zelte oder Hütten waren ganz in der Weise aufgeführt, wie ich sie bereits auch bei den nördlichen Indianern gefunden hatte. Die Arbeit ihrer Errichtung wird nur von den Frauen besorgt, wie denn der Indianer keine Beschäftigung als Krieg, Jagd und Fischfang kennt und alles Uebrige den Schultern des Geschlechtes aufbürdet, welches bei uns gewöhnlich das schwächere genannt wird.

Die Frauen holen die Häute, welche die Zelt- oder Hüttenwände bilden sollen, herbei, breiten sie in der Sonne aus und zeichnen mit einem Stücke Kohle die Form darauf, welche nöthig ist; dann schneiden sie diese Formen zu und nähen mit feinen Riemen die Felle zusammen. Nun werden auch die Stangen herbeigeholt, und man schafft Alles an den Platz, welcher für die Wohnung ausgewählt wurde. Hier wird mit Hilfe der primitivsten Werkzeuge ein Kreis etwa zwei Fuß tief ausgeworfen, innerhalb dessen man mehr oder weniger Pfähle, je nach der beabsichtigten Größe der Wohnung, aufstellt. Die Pfähle oder Stangen müssen zum Mindesten so lang sein, wie der Durchmesser der ausgeworfenen Grube. Sie werden oben zusammengeneigt und mit jungen Weiden oder Haseln verbunden. Diese Arbeit ist aber nicht leicht, da die Frauen und Mädchen an den Stangen emporklettern müssen und sich während des Bindens nur mit den Füßen festhalten -

festhalten können. Ist das Gerüst auf diese Weise festgestellt, so beginnt der schwierigste Theil des Baues, nämlich die Bekleidung des Zeltgerippes mit den schweren Häuten. Die Stangen dieses Gerippes sind in der Mitte ihrer Länge durch andere Stangen geschützt [gestützt], welche oben eine Gabel haben und durch Riemen mit ihnen fest verbunden sind; es entsteht demnach innerhalb des ersten Kreises ein zweiter, durch welchen der ganze Raum in zwei Abtheilungen geschieden wird. Beide Stangenkreise werden nun dachziegelähnlich mit Häuten belegt, und zwar so, daß oben ein Loch übrig bleibt, um dem Rauche des in der Mitte des Zeltes brennenden Feuers einen Ausweg zu lassen. Die zwei kreisrunden Abtheilungen können nun vermittelst Häuten oder durch Flechtwerk in beliebige Unterabtheilungen zerlegt werden, je nachdem der Besitzer es für nöthig hält.

Das Zelt, nach welchem ich geführt wurde, war nur klein und augenblicklich unbewohnt. Ich band mein Pferd außen an, öffnete die Thürvorhänge, welche aus zwei halben Fellen bestanden, und trat ein, ohne mich weiter um den Häuptling zu bekümmern, welcher mir auch gar nicht folgte.

Noch befand ich mich nicht zwei Minuten lang im Innern des Raumes, als der Eingang geöffnet wurde und eine uralte Indianerin eintrat, um ein dickes Gebund Reisholz von ihrem Rücken auf den Boden zu werfen. Sie verschwand wieder und kam nach einiger Zeit mit einem großen, aber halb zerbrochenen irdenen Topfe zurück, in welchem sich Wasser und noch etwas Anderes zu befinden schien. Jetzt schürte sie ein Feuer an und setzte den Topf mitten in die Gluth hinein.

Ich hatte mich auf dem Boden ausgestreckt und sah ihr, ohne ein Wort zu sprechen, zu. Ich wußte, daß ich nach indianischen Begriffen meiner Ehre außerordentlich viel vergeben würde, wenn es mir einfallen sollte, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Auch konnte ich mir sehr leicht denken, daß ich mich hier, so zu sagen, auf einer Beobachtungsstation befand und daß, ungesehen von mir, wohl verschiedene Augen durch irgend welche Löcher oder Lücken auf mir ruhten.

Das Wasser im Topfe begann zu kochen, und nun sagte mir der Geruch, daß ich Rindfleisch zu essen bekommen solle. Wirklich setzte mir die Alte nach Verlauf von vielleicht einer Stunde den glühend heißen Topf grad zwischen die ausgestreckten Beine hin und überließ es mir, sich hierauf entfernend, ganz nach meinem Gusto à la main oder auch à la Bowiekneif zu speisen. Ich that das Letztere und will gestehen, daß ich dem großen Stücke Büffellende, welches ich vorfand, ganz gehörig zusprach und schließlich auch die Fleischbrühe nicht verschmähte, obgleich die Reinlichkeit des Gefäßes Alles zu wünschen übrig ließ und das Mahl ganz ohne Salz zubereitet war, von dem der Indianer überhaupt nichts wissen mag.

Gerecht betrachtet, mußte ich mir sagen, daß man mir eine ganz außerordentlich noble Behandlung angedeihen ließ, und noch heut würde ich hundert gegen eins wetten, daß mein Kochtopf der einzige war, den es im ganzen Lager gab.

Nach beendigter Mahlzeit streckte ich mich wieder aus, legte mir meine Decke unter den Kopf und gab mich gewissen Betrachtungen hin, die sehr geeignet waren, mich wach zu erhalten. Daher merkte ich, daß auch mein Pferd gefüttert wurde, und daß zwei Wachtposten unablässig und leise um meine Hütte patrouillirten. Später brannte das Feuer nieder, und ich schlief ein. Ich stand — oder richtiger — ich lag jedenfalls am Vorabend wichtiger Ereignisse; aber eine schlaflos durchbrachte Nacht konnte mir nichts nützen. Daher wurde ich erst am Morgen durch ein prasselndes Geräusch erweckt, und als ich die Augen aufschlug, sah ich die Alte wieder, welche ein neues Feuer angefacht und den bekannten Topf abermals in die Flamme gesetzt hatte.

Sie verrichtete ihre Obliegenheiten, ohne mir einen besonderen Blick zuzuwerfen, und ich hatte auch gar keine Veranlassung, mich über diese Achtlosigkeit gekränkt zu fühlen. Ich verzehrte mein boeuf sans seì à l’eau mit demselben Appetit wie am vorigen Abend und beschloß dann, ein wenig vor die Hütte zu treten. Kaum aber hatte ich den Kopf durch die Thür gesteckt, so fuhr einer der beiden Wächter mit seiner Lanze auf mich zu, als ob er mich von oben bis unten durchspießen wolle.

Das durfte ich mir nun allerdings nicht gefallen lassen, wenn ich mir nicht meinen Credit ein für allemal untergraben

wollte; ich faßte also die Lanze unweit ihrer Spitze mit beiden Händen an, stieß sie von mir und zog sie dann so plötzlich und so kräftig wieder an mich zurück, daß der rothe Krieger nicht festzuhalten vermochte; er ließ los und stürzte gerade zu meinen Füßen nieder.

„Uff!“ brüllte er, sich emporraffend und nach seinem Messer greifend.

„Uff!“ machte auch ich, indem ich mein Messer zog und dabei mit der Linken die eroberte Lanze in die Hütte warf.

„Das Bleichgesicht mag mir meinen Speer geben!“

„Die Rothhaut mag sich ihren Speer holen!“

Das schien ihm, wie ich aus seiner Miene entnehmen konnte, denn doch nicht ganz rathsam zu sein, aber er bekam Hilfe, denn der andere Posten kam um das Zelt herum auf mich zu.

„Der weiße Mann gehe hinein!“ befahl er mir barsch.

Auch er hielt mir die Spitze seiner Lanze so dicht vor das Gesicht, daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, das so wohl gelungene Experiment zu wiederholen; im nächsten Augenblick lag er genau da, wo der Andere gelegen hatte, und seine Lanze flog in das Zelt, wie die vorige. Das schien den Beiden zu viel; sie stießen einen Ruf aus, in Folge dessen das ganze Lager in Alarm gerieth.

Gerade meiner Hütte gegenüber lag eine bedeutend größere, vor deren Thür drei Schilde angelehnt waren. Auf den Ruf der Wächter wurden die Vorhänge zurückgeschlagen, und ein dunkler Mädchenkopf erschien, um nach der Ursache des Lärmes auszuschauen; zwei schwarze, feurige Augen ruhten auf mir, und dann verschwand das Köpfchen wieder. Zwei Sekunden später aber traten die vier Häuptlinge hervor und auf uns zu. Auf einen gebieterischen Wink To-kei-chuns wichen die Wächter zurück.

„Was thut das Bleichgesicht hier vor der Hütte?“

„Ich höre wohl nicht recht? Mein rother Bruder will wohl fragen, was die zwei rothen Krieger hier vor meiner Hütte thun!“

„Sie merken auf, daß dem Bleichgesicht nichts Uebles geschehe, und darum soll der weiße Mann in seiner Hütte bleiben.“

„Hat To-kei-chun so schlimme Männer unter seinen Kriegern, oder gilt sein Befehl so wenig, daß er seinen Gast mit Wächtern schützen muß? Old Shatterhand braucht keinen Wächter, denn seine Faust wird jeden zerschmettern, der Böses sinnt und Lügen denkt. Meine rothen Brüder können ruhig wieder in ihr Wigwam treten; ich werde mir ihr Dorf ansehen und dann kommen, um mit ihnen zu reden.“

Ich trat in die Hütte zurück, um meine Schießgewehre, die ich natürlich nicht zurücklassen durfte, mit mir zu nehmen; als ich aber wieder in’s Freie wollte, starrte mir wohl ein Dutzend Lanzen entgegen. Also gefangen! Sollte ich mich wehren oder nicht? Ich ging zur hinteren Seite des Zeltes, holte mit dem Tomahawk aus und schlug durch das harte Leder ein Loch, durch welches ich das Zelt verlassen konnte. Als ich jetzt hinten erschien, während sie vorn Wache hielten, bekam ich zunächst außerordentlich verdutzte Gesichter zu sehen, und dann erhob sich ein Geschrei, als ob sich hundert Bären von ihren Ketten losgerissen hätten. Die Häuptlinge waren wieder in ihr Zelt zurückgekehrt; jetzt kamen sie abermals hervor und zwar mit einer Eile, die sich sehr wenig mit ihrer gewöhnlichen Würde vereinbaren ließ. Sie drängten sich durch die Krieger hindurch, und es schien, als ob sie mich fassen wollten.

Mich mit den Waffen zur Wehr setzen, das ging nicht, denn ich wäre verloren gewesen, und die Gefährten mit mir; ich riß also mein Fernrohr aus der Tasche, zog es in zwei Theilen auseinander und hielt ihnen dieselben mit drohender Miene entgegen.

„Halt, sonst sind alle Söhne der Comanchen verloren!“

Sie prallten wirklich zurück. Sie kannten wohl diese Art von Instrument noch gar nicht; hatten sie aber wirklich schon eines gesehen, so konnten sie ja nicht wissen, was für unheilvolle Wirkungen außerdem mit seinem Gebrauche verbunden waren.

„Was will der weiße Mann thun?“ fragte To-kei-chun. „Warum bleibt er nicht in seinem Wigwam?“

„Old Shatterhand ist ein großer Medizinmann unter den Bleichgesichtern,“ antwortete ich; „er wird den rothen Männern zeigen, daß er alle Seelen der Comanchen tödten kann.“

Ich steckte das Fernrohr wieder zu mir und nahm den Henrystutzen vor.

„Die rothen Männer mögen sehen den Pfahl dort vor dem Zelte!“

Ich deutete auf eine Stange, welche vor einem der entfernteren Zelte stand. Dann erhob ich das Gewehr und schoß. Der Pfahl war oben an seiner Spitze durchlöchert, und ein Gemurmel des Beifalls ließ sich hören. Der Wilde erkennt Muth und Geschicklichkeit selbst bei seinen ärgsten Feinden an. Beim zweiten Schusse drang die Kugel einen halben Zoll unter der ersten ein; beim nächsten Schusse schlug die dritte in gleicher Entfernung unter der zweiten ein; aber Beifall ließ sich nicht hören, denn die Indsmen wußten nur von Doppelgewehren und hatten keine Ahnung von der Beschaffenheit eines Henrystutzens. Beim vierten Schusse stand die ganze Menge regungslos; beim sechsten und siebenten wurde das Erstaunen noch größer, dann ging dieses Erstaunen in eine Bestürzung über, die sich in den Gesichtern Aller malte. So versandte ich zwanzig Kugeln, eine jede einen halben Zoll unter der vorherigen, dann aber war das Eisen so heiß, daß ich aufhören mußte. Ich hing das Gewehr mit ruhiger Miene über die Schulter und sagte gelassen:

„Sehen nun die rothen Männer, daß Old Shatterhand ein großer Medizinmann ist? Wer ihm ein Leid thun will, der muß sterben. Howgh!“

Jetzt schritt ich durch die Menge hindurch, ohne daß nur Einer den Versuch gewagt hätte, mich anzuhalten. Zu beiden Seiten der Zeltgasse standen die Frauen und Mädchen vor den Thüren und staunten mich an, wie ein höheres Wesen; ich konnte sehr zufrieden sein mit dem Eindruck, den meine kleine Spiegelfechterei hervorgebracht hatte.

Vor einem der nächsten Zelte stand eine Wache. Drinnen befand sich jedenfalls ein Gefangener. Wer konnte es sein? Ich ging noch mit mir zu Rathe, ob ich den Posten fragen solle oder nicht, als ich aus der Thürlücke eine wohlbekannte Stimme vernahm:

„Massa, oh, oh, lassen heraus Nigger Bob! Indian’ haben fangen Bob und werden schlachten und fressen Bob.“

Ich trat hinzu, öffnete die Tür und ließ ihn heraus. Die Wache war so eingeschüchtert, daß sie keinen Widerstand leistete, und auch unter den Wilden, welche mir folgten, erhob sich kein Einspruch.

„Bist Du gleich hier hereingesteckt worden, als wir in das Dorf kamen?“ frug ich den Schwarzen.

„Ja, Massa. Indian’ nehmen Bob von Pferd und führen ihn in Hütte; dort stecken bis jetzt.“

„So hast Du keine Ahnung, wo Dein Massa Bernard sein mag?“

„Von Massa Bern’ nichts sehen, nichts hören Bob!“

„Komm, und halte dich eng hinter mir!“

Wir waren nur um einige Zelte weitergegangen, so kamen uns schon die vier Häuptlinge mit einer zahlreichen Begleitung entgegen. Die vorsichtigen Leute waren uns hinter den Zelten vorausgeeilt, um mich in meinem Spaziergange zu unterbrechen. Ich legte die Hand an den Kolben meines Stutzens, doch To-kei-chun gab mir schon von Weitem durch einen Wink zu verstehen, daß er in keiner feindseligen Absicht komme. Ich blieb stehen und erwartete ihn.

„Wohin will mein weißer Bruder gehen? Er komme mit zum Platze der Berathung, wo die Häuptlinge der Comanchen mit ihm sprechen werden!“

Vorher war ich der „weiße Mann“ oder das „Bleichgesicht“; jetzt nannte er mich seinen „weißen Bruder“, ich mußte mich also doch bei diesen Leuten einigermaßen in Respekt gesetzt haben.

„Werden meine rothen Brüder das Calumet mit mir rauchen?“

„Sie werden mit ihm reden, und wenn seine Worte gut sind, wird er sein, wie ein Sohn der Comanchen.“

„So mögen meine Brüder gehen; Old Shatterhand wird ihnen folgen!“

Es ging wieder rückwärts, an meinem Zelte vorüber. Etwas weiter oben, ja wirklich, da sah ich Sam’s alte Tony angehängt stehen und daneben Winnetou’s und Bernard’s Pferd. Die drei Gefangenen selbst aber befanden sich nicht in der Nähe, sonst hätte ich ihre Wache bemerken müssen.

Endlich kamen wir an eine Stelle, an welcher sich die Zeltreihe erweiterte und einen beinahe kreisförmigen Platz bildete, der von mehreren Reihen von Indianern eingefaßt war. Dies war sicherlich der Ort der Berathung.

Die Häuptlinge schritten auf die Mitte desselben zu und ließen sich nieder; eine Anzahl Wilder, gewiß aus irgend einem Grunde Bevorzugte, näherte sich und setzte sich den Häuptlingen gegenüber in einem Halbkreise zur Erde. Ich machte wenig Federlesens, setzte mich auch und gab sogar Bob einen Wink, hinter mir Platz zu nehmen. Dies schienen die Häuptlinge sehr mißfällig zu bemerken.

„Warum setzt sich der weiße Mann, da doch Gericht über ihn gehalten werden soll?“ frug To-kei-chun.

Ich machte eine Bewegung der Geringschätzung.

„Warum setzen sich die rothen Männer, da doch Old Shatterhand über sie Gericht halten wird?“

Trotz der Regungslosigkeit ihrer Mienen bemerkte ich doch, daß diese Art der Antwort sie überraschte.

„Der weiße Mann hat eine scherzhafte Zunge, doch er mag sitzen bleiben. Aber warum befreit er den schwarzen Mann und bringt ihn mit in die Versammlung? Weiß er nicht, daß der Nigger nie sitzen darf, wenn der rothe Mann dabei ist?“

„Der schwarze Mann ist mein Diener; wenn ich es ihm gebiete, so setzt er sich, und wenn viele tausend Häuptlinge dabei stehen. Ich bin bereit, man beginne die Berathung!“

Ich wußte sehr genau, daß nur in dieser unverfrorenen Weise ein Heil für mich zu finden sei. Je schroffer ich auftrat, natürlich ohne sie direkt zu beleidigen, desto mehr imponirte ich ihnen; ein passiver Gehorsam wäre mein sicheres Verderben gewesen.

To-kei-chun brannte das Calumet an und gab es herum; mir wurde es nicht gereicht. Als diese einleitende Ceremonie beendet war, erhob er sich und begann seine Rede. Gegen Fremde sind die Indianer außerordentlich schweigsam; wo es aber gilt, da entwickeln sie eine Redseligkeit, die derjenigen einer deutschen Versammlung keineswegs nachsteht. Es gibt unter ihnen Häuptlinge, die wegen ihrer Rednertalente weithin berühmt sind und mit ganz derselben rhetorischen Geschicklichkeit zu Werke gehen, wie die großen Redner der civilisirten Völker alter und neuer Zeit. Ihre blumenreiche Sprache erinnert sehr an die Ausdrucksweise der orientalischen Völkerschaften. Der Häuptling begann mit der gewöhnlichen Einleitung, wenn es gilt, gegen einen Weißen zu sprechen, nämlich mit einer Anklage gegen die ganze Rasse der Bleichgesichter:

„Der weiße Mann möge hören, denn To-kei-chun, der Häuptling der Comanchen, wird sprechen! Es sind nun viele Sonnen her, da wohnten die rothen Männer ganz allein auf der Erde zwischen den beiden großen Wassern. Sie bauten Städte, sie pflanzten Bäume, sie jagten den Bison. Ihnen gehörte der Sonnenschein und der Regen; ihnen gehörten die Flüsse und Seen; ihnen gehörte der Wald, das Gebirge und alle Savannen des weiten Landes. Sie hatten ihre Frauen und Töchter, ihre Brüder und Söhne und waren glücklich. Da kamen die Bleichgesichter, deren Farbe ist wie der Schnee, deren Herz aber ist wie der Ruß des Rauches. Es waren ihrer nur Wenige, und die rothen Männer nahmen sie auf in ihre Wigwams. Doch sie brachten mit die Feuerwaffen und das Feuerwasser; sie brachten mit andere Götter und andere Priester; sie brachten mit den Verrath, viele Krankheiten und den Tod. Es kamen immer mehr von ihnen über das große Wasser; ihre Zungen waren falsch und ihre Messer spitz; die rothen Männer glaubten ihnen und wurden betrogen. Sie mußten das Land hergeben, wo die Gräber ihrer Väter lagen; sie wurden aus ihren Wigwams und ihren Jagdgebieten verdrängt, und wenn sie sich wehrten, so tödtete man sie. Um sie zu besiegen, säten die Bleichgesichter Zwietracht unter die Stämme der rothen Männer, die nun getödtet werden und sterben müssen, wie Coyoten in der Wüste. Fluch den Weißen, Fluch ihnen, so viel Sterne am Himmel sind und Blätter auf den Bäumen des Waldes!“

Ein lauter Beifallruf belohnte diese Interjection des Häuptlings, der so laut sprach, daß er rundum deutlich gehört werden konnte. Er fuhr fort:

„Eines von diesen Bleichgesichtern ist in die Wigwams der Comanchen gekommen. Dieser Weiße hat die Farbe der Lügner

und die Sprache der Verräther. Die rothen Krieger werden aber seine Worte hören und mit Gerechtigkeit über ihn richten. Er mag sprechen!“

Er setzte sich wieder nieder, und nun erhoben sich die andern drei Häuptlinge, einer nach dem andern. Jeder hielt eine Rede in demselben Sinne und schloß daran die Forderung an mich, zu sprechen. Ich hatte während dieser Vorträge mein kleines Skizzenbuch hervorgezogen und bemühte mich, die vor mir sitzenden Häuptlinge mit dem Hintergrunde der Krieger und der Zelte zu skizziren.

Als die vierte Rede unter Beifall vollendet war, winkte To-kei-chun mit der Hand zu mir herüber:

„Was thut der weiße Mann, während die Häuptlinge der Comanchen sprechen?“

Ich riß das Blatt aus dem Buche, erhob mich und gab es ihm.

„Der große Häuptling der Racurroh mag selbst sehen, was ich thue!“

„Ugh!“ rief er beinahe überlaut, als er einen Blick auf das Blatt warf.

„Ugh! Ugh! Ugh!“ klang es noch dreimal, als die drei andern Häuptlinge das Blatt ergriffen, und To-kei-chun fügte hinzu:

„Das ist eine große Medizin! Der weiße Mann zaubert die Seelen der Comanchen auf dieses weiße Fell. Hier sitzt To-kei-chun, hier sind seine drei Brüder und dort stehen ihre Krieger und Zelte! Was will das Bleichgesicht damit thun?“

„Das soll der rothe Mann gleich sehen!“

Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und ließ auch die hinter mir sitzenden Krieger einen Blick auf dasselbe werfen, die ebenso erstaunt waren, wie die Häuptlinge selbst. Dann knitterte ich es zusammen, rollte es zwischen den Händen zu einer Kugel und steckte diese in den Lauf meiner Büchse.

„To-kei-chun, Du selbst hast gesagt, daß ich Euere Seelen auf dieses Papier gezaubert habe; jetzt stecken diese Seelen in dem Laufe meines Gewehres. Soll ich sie hinausschießen in die Luft, daß sie von den Winden zerrissen werden und niemals in die ewigen Jagdgründe gelangen?“

Der Eindruck dieses Streiches war drastischer, als ich erwartet hatte. Alle vier Häuptlinge sprangen empor, und rings umher ertönte ein einziger Schrei des Entsetzens. Ich beeilte mich, sie zu beruhigen:

„Die rothen Männer mögen sich setzen und das Calumet mit mir rauchen; wenn sie meine Brüder sind, werde ich ihnen ihre Seele zurückgeben!“ (Fortsetzung folgt.)

Linie 439
(603)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial SSie nahmen sehr schnell wieder Platz, und To-kei-chun griff zur Pfeife. Es kam mir ein lustiger Einfall, durch den ich diese Leute vielleicht noch willfähriger machen konnte. Einer der drei Häuptlinge hatte nämlich auf seinem büffelledernen Jagdrocke als besondere Zierde zwei thalergroße Messingknöpfe. Ich trat nahe zu ihm heran.

„Mein rother Bruder, leihe mir einmal diesen Schmuck; er wird ihn gleich wieder bekommen!“

Ehe er sich weigern konnte, hatte ich ihm beide Knöpfe abgedreht und trat um einige Schritte zurück, ohne mich um seine Bestürzung zu bekümmern.

„Meine rothen Brüder sehen hier diese Knöpfe zwischen meinen Fingern, einen in jeder Hand; sie mögen genau aufmerken!“

Ich that, als schleuderte ich die Knöpfe in die Luft, und hielt ihnen dann die leeren Hände entgegen.

„Meine Brüder mögen herschauen! Wo sind die Knöpfe?“

„Fort!“ rief ihr Besitzer mit aufsteigendem Zorne.

„Ja; sie sind fort, weit hinauf gegen die Sonne. Mein rother Bruder mag sie herunterschießen!“

„Das kann kein rother und kein weißer Mann, auch kein Zauberer!“

„So werde ich es thun! Meine rothen Brüder mögen aufmerken, wenn die Knöpfe herabkommen!“

Ich nahm nicht meine Büchse, weil in derselben die Skizze stak, sondern das alte, geladene Doppelgewehr, welches neben To-kei-chun lag, richtete den Lauf desselben kerzengerade empor und drückte ab. Einige Sekunden später schlug Etwas hart neben uns in den Boden. Der Besitzer des kostbaren Knopfes fuhr hinzu und grub ihn mit Hilfe seines Messers aus der Erde.

„Uff, er ist’s!“

Während Alle den wunderbaren Gegenstand betrachteten, legte ich den zweiten Knopf auf die Mündung des zweiten Laufes und richtete das Gewehr empor. Der Schuß krachte, und Jedermann blickte in die Höhe. Da stieß Bob einen lauten Schrei aus, sprang vom Boden auf und rieb sich, auf einem Beine umherspringend, die Achsel.

„Oh, ah, Massa mich treffen, Nigger Bob auf Achsel schießen!“

Der Knopf war ihm wirklich auf die Schulter gefallen und lag neben ihm am Boden. Der Häuptling hob ihn auf und steckte die beiden wiedererlangten Wertobjekte mit einer Miene zu sich, in welcher der feste Entschluß lag, sie nicht wieder in die Sonne werfen zu lassen. Dieses kleine Taschenspielerstückchen machte, so leicht es ist, einen außerordentlichen Eindruck. Ich hatte zwei Knöpfe in die Sonne geworfen und sie wieder heruntergeschossen; sie waren wirklich oben gewesen, sonst hätte der eine nicht so tief in die Erde geschlagen und der andere dem Schwarzen, der vor

Schmerzen die fürchterlichsten Gesichter schnitt, eine so respektable Beule verursacht. Die Häuptlinge saßen still am Boden, sichtlich nicht wissend, wie sie sich jetzt zu benehmen hätten, und ihre Umgebung wartete mit Spannung der Dinge, die nun kommen würden. Ich versuchte, die Spannung in einer allerdings etwas gewagten Weise zu lösen. Neben To-kei-chun lag noch die Pfeife nebst dem Opossumbeutel, in dem sich der nach indianischer Sitte mit Hanfblättern vermischte Tabak befand. Ich ergriff das Calumet, stopfte es und nahm meine stolzeste Haltung an.

„Meine rothen Brüder glauben an einen großen Geist, und sie haben Recht, denn ihr Manitou ist auch mein Manitou; er ist der Herr des Himmels und der Erde, der Vater aller Völker und will, daß alle Menschen in Frieden und Eintracht bei einander wohnen. Die rothen Männer sind wie das Gras zwischen diesen Zelten; die Bleichgesichter aber haben eine Zahl wie die Halme aller Prairien und Savannen. Sie sind herübergekommen über das große Wasser und haben vertrieben die rothen Männer von ihren Jagdgründen; das ist nicht gut von ihnen. Aber warum

hegen da die rothen Männer Feindschaft gegen alle Bleichgesichter? Wissen die rothen Männer nicht, daß sehr viele Nationen der Bleichgesichter auf Erden wohnen und daß es nur drei von ihren Stämmen sind, welche die rohten Krieger vertrieben haben? Wollen die Krieger der Comanchen ungerecht sein und den Unschuldigen mit dem Schuldigen hassen? Old Shatterhand gehört zu dem mächtigen und weisen Stamme der Germani; hat dieser Stamm den rothen Männern jemals ein Leid getan? Die großen Häuptlinge der Germani zürnen den Häuptlingen der drei bösen Stämme, also sind die Krieger der Germani Freunde und Brüder der rothen Männer. Meine rothen Brüder mögen anblicken Old Shatterhand, der vor ihnen steht! Sehen sie in seinem Gürtel den Scalp eines rothen Mannes? Finden sie an seiner Lanze, seinen Leggins und Moccassins die Haare eines ihrer Brüder? Wer kann sagen, daß er seine Hand tauche in das Blut der rothen Männer? Er hat mit seinen Freunden im Walde gelegen, als die Krieger der Racurroh mit seinen beiden Feinden das Calumet rauchten, und Keinem ein Haar gekrümmt. Er hat Ma-ram, den

Sohn des großen Häuptlings To-kei-chun, gefangen genommen; aber er hat ihn nicht getödtet, sondern ihm seine Waffen gegeben und ihn in das Wigwam seines Vaters geführt. Hat er nicht sechs Krieger der Racurroh tödten können und ihnen nichts gethan, sondern nur den Einen gebunden, damit ihn seine Brüder finden und losbinden können? Konnte er nicht folgen den Kriegern, welche in die Berge gezogen sind, viele von ihnen tödten und das Grabmal des todten Häuptlings entweihen? Hat er nicht mit seiner Büchse geschossen auf die beiden Bleichgesichter, welche die Wache der Comanchen tödteten und dann mit dem Golde entflohen? Hat er nicht die Seelen der Comanchen in seinem Rohre und will sie dennoch nicht verderben? Kann er nicht alle Medizinen der Racurroh in die Sonne werfen, ohne daß er sie wieder herunterschießt, und dennoch begehrt er, der Bruder der Comanchen zu sein und das Calumet mit ihnen zu rauchen? Die Häuptlinge der Comanchen sind tapfer, weise und gerecht; wer das nicht glaubt, den wird Old Shatterhand tödten mit dem Rohre, aus welchem tausend Kugeln kommen, und darum wird er jetzt mit ihnen den Rauch des Friedens essen!“

Ich steckte den Tabak in Brand, that zwei Züge nach dem Himmel und der Erde, vier nach den Weltgegenden und gab dann To-kei-chun die Pfeife. Es gelang mir wirklich, ihn zu überrumpeln; er nahm das Calumet, that seine sechs Züge und gab es dann weiter; der letzte Häuptling gab es mir zurück, und jetzt erst setzte ich mich, und zwar mitten unter sie hinein.

„Wird mein weißer Bruder uns nun unsere Seelen wiedergeben?“ frug einer der Häuptlinge besorgt.

Ich mußte sehr vorsichtig antworten:

„Bin ich nun unter den rothen Männern wie ein Sohn der Comanchen?“

„Old Shatterhand ist unser Bruder; er ist frei. Er wird eine Hütte erhalten und kann thun, was er will.“

„Welche Hütte werde ich bekommen?“

„Old Shatterhand ist ein großer Krieger; er wird das Zelt erhalten, welches er sich wählt.“

„So mögen meine rothen Brüder mit ihm kommen, damit er wählen kann!“

Sie erhoben sich, um mir zu folgen. Ich schritt die Zeltreihe noch weiter aufwärts, bis ich eine Hütte bemerkte, vor welcher vier Männer Wache hielten. Ich legte die Hände an den Mund und stieß das Geheul des Coyoten aus, und sofort wurde mir aus dem Innern des Zeltes die erwartete Antwort. Ich that einen Sprung bis an die Tür und rief:

„Hier ist die Wohnung von Old Shatterhand!“

Die Häuptlinge sahen einander höchst verblüfft an, denn diesen so leicht denkbaren Fall hatten sie gar nicht vorgesehen.

„Dieses Zelt kann mein weißer Bruder nicht bekommen!“

„Warum?“

„Es gehört den Feinden der Comanchen.“

„Wer sind diese Feinde?“

„Zwei Bleichgesichter und ein rother Mann.“

„Wie sind die Namen dieser Männer?“

„Der rothe Mann ist Winnetou, der Häuptling der Apachen, und einer der Weißen ist Sans-ear, der Indianertödter.“

Wußten sie noch gar nicht, daß ich der Gefährte der Gefangenen gewesen war? Ich hatte allerdings zu Ma-ram kein Wort darüber gesprochen, aber es mußte doch durch Patrik zur Sprache gekommen sein.

„Old Shatterhand will diese Männer sehen!“

Mit diesem Worte trat ich ein; sie folgten augenblicklich.

Die Gefangenen lagen, an Händen und Füßen gebunden, an der Erde und waren außerdem noch an die Zeltstangen gefesselt. Sie hatten jedenfalls bereits meine Stimme erkannt, aber keiner von ihnen sprach ein Wort, keiner verrieth durch eine Miene die frohe Empfindung, welche meine Anwesenheit hervorrufen mußte.

„Was haben diese Männer gethan?“ frug ich.

„Sie haben getödtet die Krieger der Comanchen.“

„Hat mein rother Bruder dies gesehen?“

„Die Krieger der Racurroh wissen es.“

„Die Krieger der Racurroh werden es beweisen müssen! Dieses Zelt ist mein, und diese drei Männer sind meine Gäste!“

Ich zog das Messer, um die Banden der Gefangenen zu lösen; da ergriff einer der Häuptlinge meinen Arm.

„Diese Männer müssen sterben. Mein weißer Bruder wird sie nicht zu seinen Gästen machen!“

„Wer kann mir das verbieten?“

„Die vier Häuptlinge der Racurroh!“

„Sie mögen es wagen!“

Ich stellte mich zwischen sie und die Gefangenen. Außer ihnen war nur Bob eingetreten.

„Bob, schneide die Stricke entzwei; zuerst bei Winnetou!“

Der Neger hatte sich bereits zu seinem Herrn geschlichen; doch folgte er meinem Befehle, da auch er den Gedanken haben mochte, daß Winnetou uns mehr nutzen könne, als Bernard.

„Der schwarze Mann mag sein Messer einstecken!“ gebot derselbe Häuptling, aber bereits war Winnetou frei von seinen Fesseln.

„Uff!“ rief der Häuptling, als er seinen Befehl mißachtet sah, und wollte sich auf Bob werfen, der bereits über Sam kniete, um ihn zu befreien.

Ich trat ihm entgegen; er zuckte das Messer auf mich und traf mich, da ich mich schnell zur Seite wandte, in den Oberarm. Er hatte nicht Zeit, das Messer aus der Wunde zu ziehen; ein Faustschlag von mir streckte ihn zu Boden; ein zweiter traf mit derselben Wucht seinen Nebenmann; dann faßte ich den Dritten bei der Kehle, während Winnetou trotz seiner geschwollenen Handgelenke seine Finger bereits um den Hals To-kei-chuns gelegt hatte.

Nur das einzige „Uff!“ war erschollen; draußen standen die Wächter, dennoch waren wir in zwei kurzen Minuten Herren der Hütte, und die Häuptlinge lagen gebunden und geknebelt am Boden.

„Heavens, war das Hilfe in der Noth!“ meinte Sam, indem er sich die vor Schmerz und der Stockung des Blutes beinahe bewegungslosen Glieder rieb. „Charley, wie hast Du das nur zum Beispiel fertig gebracht?“

„Später erkläre ich Euch das, jetzt aber bewaffnet Euch vor allen Dingen; diese vier Männer tragen genug Waffen bei sich!“

Auch ich öffnete, um allen Eventualitäten begegnen zu können, den an meinem Gürtel hängenden Munitionsbeutel und lud meinen Stutzen wieder. Während dieser kurzen Arbeit gab ich ihnen meine Verhaltungsmaßregeln, welche darauf hinausliefen, die vier Häuptlinge augenblicklich zu tödten, wenn man einen Angriff auf uns unternehmen sollte. Dann trat ich aus der Hütte. Die Wachen hatten sich aus Respekt vor den Häuptlingen etwas von derselben zurückgezogen, und weiterhin stand eine bedeutende Anzahl von Comanchen, welche uns gefolgt waren, neugierig auf den Verlauf des gegenwärtigen Abenteuers. Ich ging zunächst zu den Wachen.

„Meine Brüder haben vernommen, daß Old Shatterhand ein Häuptling der Comanchen geworden ist?“

Das Senken ihrer Augen bedeutete eine bejahende Antwort.

„Die rothen Krieger werden die Hütte gut bewachen und Keinen hineinlassen, bis die Häuptlinge anders befehlen!“

Nun trat ich zu den Anderen.

„Meine Brüder mögen gehen und alle Krieger nach dem Ort der Berathung rufen!“

Sie zerstreuten sich, und ich schritt allein der angegebenen Stelle zu. Wer mit den Gebräuchen der Wilden nicht vertraut ist, wird in meinem Verhalten eine fürchterliche Waghalsigkeit suchen, doch mit Unrecht. Der Indianer ist keineswegs der „Wilde“, für den er ausgegeben wird. Er hat seine unumstößlichen Gesetze und Gebräuche. Wer sich dieselben nutzbar zu machen versteht, läuft wenig Gefahr. Uebrigens handelte es sich hier ja gleich von vorn herein um Leben oder Tod, und mehr als das Leben konnte ich also durch kein Wagniß auf das Spiel setzen.

Es gelang mir unterwegs, die Spuren des unbedeutenden Stiches zu verwischen; dann setzte ich mich da nieder, wo ich vorhin gesessen hatte. In zehn Minuten war der ganze Platz von Kriegern angefüllt. In der Mitte blieb ein freier Raum, in welchem sich jene Bevorzugten niedergelassen hatten, die bereits vorhin gegenwärtig gewesen waren. An andern Orten geht eine Versammlung nie ohne Lärm ab; hier aber unter diesen sogenannten Wilden wurde kein einziges Wort gesprochen. Jeder kam ernst und still, suchte sich seinen Platz und stand dann bewegungslos wie eine Statue, um das Kommende zu erwarten.

Ich winkte die vorhin erwähnten Ausgezeichneten zu mir heran; sie nahmen vor mir in einem Halbkreise Platz, und ich begann:

„Old Shatterhand ist Häuptling der Comanchen geworden. Meine Brüder haben es gehört?“

„Wir wissen es,“ antwortete Einer für sie Alle.

„Er sollte sich eine Hütte auslesen und wählte das Zelt der Gefangenen. War es nun sein Eigenthum?“

„Es gehörte ihm!“

„Und dennoch wurde es ihm verweigert. Sind die Häuptlinge der Comanchen Lügner? Die Gefangenen begehrten den Schutz von Old Shatterhand. Durfte er ihnen denselben verweigern?“

„Nein.“

„Er nahm sie in seinen Schutz und sagte, sie seien seine Gäste. Durfte er das thun?“

„Er hatte das Recht und die Pflicht dazu. Aber er darf sie dem Gerichte nicht entziehen; er darf nur sie beschützen und mit ihnen sterben.“

„Und er darf ihre Fesseln lösen, wenn er sich für sie verbürgt?“

„Das darf er.“

„So hat er nur gethan, wozu er das Recht hatte; dennoch wollte ihn einer der Häuptlinge tödten. Das Messer traf nur seinen Arm. Was darf ein Comanche thun, wenn ein anderer rother Mann ihn in seinem eigenen Zelte tödten will?“

„Er darf ihn tödten.“

„Und Alle, die dem Mörder helfen wollen?“

„Alle!“

„Meine Brüder sind weise und gerecht. Die vier Häuptlinge der Racurroh wollten mich ermorden; ich tödtete sie aber nicht, sondern meine Hand schmetterte sie zu Boden; sie liegen gebunden in meiner Hütte und werden von meinen Gästen bewacht. Blut um Blut, Gnade um Gnade. Ich verlange die Freiheit meiner Gäste gegen die Freiheit meiner Mörder! Meine Brüder mögen sich berathen, und ich werde warten; aber sie mögen meine Gäste nicht beunruhigen, denn diese werden die Häuptlinge tödten, wenn ein Anderer als Old Shatterhand in die Hütte tritt!“

Kein Zug ihres Gesichtes verrieth den gewaltigen Eindruck, den diese Rede auf sie machen mußte. Ich zog mich soweit von ihnen zurück, daß ich ihre Worte nicht hören konnte. Sie bildeten, wie ich mir gleich beim ersten Zusammentreffen mit ihnen gedacht hatte, so zu sagen ein unter den Häuptlingen stehendes Rathscollegium. Auf ihre Winke kamen von jeder Seite des Platzes einige Männer herbei, denen sie den Sachverhalt zur Weiterbeförderung an die Umstehenden mitzutheilen schienen. Diese Maßregel brachte einige Bewegung in der Versammlung hervor, aber ohne daß mir irgend welche Belästigung daraus erwuchs. Dann wurde lange, sehr lange berathen, bis sich Drei von ihnen erhoben und zu mir traten. Einer nahm das Wort:

„Unser weißer Bruder hält die Häuptlinge der Racurroh gefangen in seiner Hütte?“

„So ist es.“

„Er wird sie den Kriegern der Apachen [Comanchen] ausliefern, damit diese über sie Gericht halten.“

„Meine Brüder vergessen, daß die Krieger nie über ihren Häuptling Gericht halten können, außer wenn er im Kampfe feig ist. Die Häuptlinge der Racurroh wollten Old Shatterhand tödten; sie sind in seinem Wigwam, und er allein kann sie bestrafen.“

„Und was wird er mit ihnen thun?“

„Er wird sie tödten, wenn er nicht die Freiheit seiner Gäste bekommt!“

„Kennt er diese Gäste?“

„Ja.“

„Es ist Sans-ear, der Indianertödter.“

„Haben meine Brüder gesehen, daß er einen Comanchen getödtet hat?“

„Nein. Und Winnetou, der Pimo ), der Hunderte von Comanchen tödtete!“

„Hat er einen Racurroh getödtet?“

„Nein. Wer ist der Dritte?“

„Ein Mann aus dem Norden, der noch niemals den Sohn einer rothen Mutter tödtete.“

)Unter den Comanchen Schimpfname der Apachen.

„Wenn unser Bruder die Häuptlinge tödtet, so wird auch er mit seinen Gästen erschlagen!“

„Meine Brüder treiben Scherz! Wer will Old Shatterhand tödten? Hat er nicht die Seelen der Comanchen in dem Laufe seines Gewehres?“

Sie befanden sich in Verlegenheit und besannen sich. Unmöglich konnten sie ihre Häuptlinge preisgeben.

„Mein Bruder möge warten, bis wir wiederkehren!“

Sie entfernten sich, und die Berathung begann von Neuem. So weit ich blicken konnte, verrieth kein Angesicht eine Spur von Haß oder Wuth gegen mich. Ich wehrte mich muthig und vertraute ihnen; es war also keine Schande für sie, mit mir zu unterhandeln. Nach beinahe einer halben Stunde kehrten die drei Abgesandten wieder zu mir zurück.

„Old Shatterhand soll haben seine Freiheit und die Freiheit seiner Gäste den vierten Theil einer Sonne lang!“

Ah, also geriethen sie auf das alte Indianervergnügen, ihre Gefangenen frei zu lassen, um eine interessante Jagd abhalten zu können, und verbanden damit den Vortheil, alle Gefahr von ihren Häuptlingen abzuwenden. Sechs Stunden gaben sie uns Vorsprung; das war wenig; aber wenn wir grad sechs Stunden vor Abends aufbrachen, so dehnte sich diese Frist zugleich über die ganze Nacht aus, während welcher sie uns doch nicht folgen konnten. Ich wäre unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein Thor gewesen, wenn ich nicht zugegriffen hätte; doch mußte das allerdings mit der nöthigen Zurückhaltung geschehen.

„Old Shatterhand sagt ja, wenn seine Gäste die Waffen zurückerhalten, die man ihnen abgenommen hat.“

„Sie werden sie bekommen.“

„Auch alles Andere, was ihnen gehörte?“

Ich zielte damit besonders auf die Werthsachen, welche Bernard bei sich getragen hatte, und von denen ich nicht wußte, ob er ihrer beraubt worden sei.

„Alles!“

„Meine weißen Gäste sind gefangen worden, obgleich sie den Racurroh nichts Böses gethan hatten; die Häuptlinge aber sollen freigelassen werden, trotzdem sie mich tödten wollten; der Tausch ist nicht gleich!“

„Was verlangt mein Bruder noch?“

„Dieser Stich im Arme soll kosten den Häuptlingen drei Pferde, die ich mir unter ihren Thieren auswähle; ich gebe ihnen dafür drei von den unsrigen.“

„Mein Bruder ist klug wie der Fuchs; er weiß, daß seine Thiere müde sind. Aber er soll haben, was er begehrt. Wann wird er die Häuptlinge gehen lassen aus seinem Wigwam?“

„Wenn er fortreitet von seinen rothen Brüdern.“

„Und wird er geben die Seelen aus dem Laufe seiner Büchse?“

„Er wird sie nicht in die Winde schießen.“

„So möge er ziehen, wohin er will. Er ist ein großer Krieger und listiger Schakal; die Sinne der Häuptlinge der Comanchen sind verdunkelt gewesen, daß sie mit ihm geraucht haben das Calumet des Friedens. Howgh!“

Der Handel war gemacht, und ich konnte gehen. Die Umstehenden ließen mich unbehelligt durch, und langsam, ohne mich zu beeilen, schritt ich meinem Wigwam zu. Ich war natürlich mit der außerordentlichsten Spannung erwartet worden, und als ich allein eintrat, war dies ihnen ein Zeichen, daß die Sache nicht sehr schlimm abgelaufen sein könne.

„Nun?“ fragte Bernard, den die Wißbegierde keinen Augenblick warten ließ.

„Wurden Euch Eure Diamanten oder Papiere abgenommen?“

„Nein. Warum?“

„Weil Ihr sie sonst wieder erhalten müßtet. Wir sind auf sechs Stunden frei!“

„Frei, Massa?“ rief Bob. „Oh, ah, frei sein Bob und Massa Bern’. Aber bloß sechs Stunden, dann wieder fangen Indian’ Massa Bern’ und Bob!“

„Well,“ meinte Sam, „das ist Alles, was wir nur wünschen können. Das war ja eine ganz verteufelte Patsche, in die wir da zum Beispiel hineingerathen sind! Aber, wie steht es mit der Tony?“

„Die bekommst Du, und dazu Alles, was Dir gehört. Auch Winnetou erhält sein Pferd. Die andern Thiere aber sind zu

angegriffen, und obgleich ich meinen braven Mustang nicht gern fortgebe, habe ich mir doch ausbedungen, unter den Pferden der Häuptlinge drei für uns auswählen zu dürfen.“

„Heigh-day, Charley,“ lachte Sam; „sechs Stunden Vorsprung und fünf gute Pferde, das ist genug für solche alte Seekers, wie wir sind. Denn daß Du Dir keine Ziegenböcke aussuchen wirst, das will ich ganz gewißlich meinen!“

Jetzt ging es nicht anders, ich mußte ihnen wenigstens kurz erzählen, was ich seit unserer gewaltsamen Trennung erlebt hatte. Noch war ich damit nicht fertig, so ertönte draußen ein Ruf. Ich trat hinaus und sah die Alte, aus deren Topf ich zweimal gegessen hatte,

„Das Bleichgesicht mag kommen!“

„Wohin?“

„Zu Ma-ram.“

Das war eine sonderbare Botschaft. Ich verständigte erst meine Gefährten und folgte ihr dann. Sie führte mich zu der Hütte, welche meiner gestrigen Wohnung gegenüber lag. Vor derselben hielten zwei Pferde, auf deren einem Ma-ram saß.

„Mein weißer Bruder möge sich seine Pferde wählen!“

Also das war es! Ich stieg auf, und schnell ging es durch die Straße hinaus in die Prairie, wo wir eine ziemliche Anzahl von Pferden angehobbelt fanden. Der junge Indianer führte mich geradewegs zu einem Rapphengste.

„Das beste Roß der Racurroh! Ma-ram erhielt es von seinem Vater; er schenkt es Old Shatterhand für den Scalp, den er ihm gelassen hat!“

Ich war überrascht über dies reiche und beinahe großmüthige Geschenk, denn auf einem solchen Rosse konnte ich nicht eingeholt werden. Natürlich nahm ich es an und suchte für Bernard und Bob zwei andere aus, mit denen sie zufrieden sein konnten.

Nun ging es wieder zurück. Ma-ram hielt vor seinem Zelte.

„Mein weißer Bruder steige herab und komme herein!“

Diese Einladung konnte ich nicht ausschlagen. Ich wurde in das Innerste des Zeltes geführt und erhielt ein Stück Kammaskuchen zu kosten, den die Comanchen ganz vortrefflich zuzubereiten

verstehen. Dann verabschiedete ich mich. Als ich aus der Hütte trat, sah ich das dunkeläugige Mädchen, welches ich bereits am Morgen bemerkt hatte, bei meinen Pferden beschäftigt. Sie packte Proviant auf und erröthete, als ich sie dabei überraschte.

„Wer ist diese Tochter der Racurroh?“ fragte ich Ma-ram.

„Es ist Hi-Iah-dih ), die Tochter des Häuptlings To-kei-chun. Sie bittet Dich, zu nehmen, was sie Dir bietet, weil Du verschonet hast ihren Bruder Ma-ram.“

Ich reichte dem Mädchen die Hand.

„Manitou gebe Dir Glück und viele Sonnen, Du Blume der Savanne. Dein Auge ist hell, und Deine Stirn ist rein; möge auch Dein Leben so licht und ungetrübt bleiben!“

Ich schwang mich auf und brachte meine drei Pferde zu den Freunden. Diese und namentlich Sam geriethen in Entzücken beim Anblick des Rapphengstes.

„Charley,“ meinte er, „der ist beinahe so viel werth wie meine alte Tony, nur daß diese einen kürzeren Schwanz und längere Ohren hat. Uebrigens ist nun Alles beisammen, denn diese rothen Kerls haben uns Alles gebracht, was uns fehlte. Jetzt ist es grad sechs Uhr vor Abend. Laß uns aufbrechen und dann zum Beispiel sehen, ob sie uns nochmals bekommen werden!“

Wir packten auf, was wir mitzunehmen hatten, und lösten dann die Fesseln unserer Gefangenen.

„Massa, nun fort,“ mahnte Bob, „sehr viel schnell fort, daß nicht kommen nach Indian’ und fangen wieder all’ ganz Massa Bern’, Sam, Charley und Winnetou!“

Die Häuptlinge rührten sich nicht, so lange wir uns noch im Zelte befanden. Wir stiegen auf; fort ging es! Die Zeltstraße war leer; kein Indianer war zu sehen; jedenfalls aber wurde unser Abzug von Allen beobachtet. Nur beim Zelt To-kei-chun’s war es mir, als ob vier Augen durch die Ritze des Vorhanges lugten. Hundert Herzen klopften in der Erwartung, uns einzuholen; hier aber gab es sicherlich zwei, welche wünschten, daß wir entkommen möch­ten. — — — (Fortsetzung folgt.)

)„Die reine Quelle.“

(612)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

4.  In Californien.

Initial WWir waren über den Rio Colorado gegangen, hatten das Gebiet des Pahutas glücklich hinter uns und dachten, nun bald die östlichen Ausläufer des Nevada-Gebirges zu erreichen, wo wir am Mona-See einige Tage Rast halten wollten. Von dem Gebiete der Comanchen bis hierher ist es ein wenig weit. Man hat unendlich scheinende Savannen, himmelhohe Gebirge und dann salzige, weite Wüstenflächen zu überwinden, und so kräftig Pferd und Reiter auch sein mögen, es machen sich die Folgen solcher Strapazen doch bei Mensch und Thier geltend.

Und was trieb uns, diesen weiten Weg zurückzulegen, auf welchem wir Californien vor uns liegen hatten? Erstens wollte Bernard Marshal in Californien seinen Bruder suchen; zweitens nahmen wir an, die beiden Morgans seien in das Land des Goldes gegangen, nachdem sie am Rio Pecos ihren Raub auf eine so plötzliche Weise verloren hatten.

Zu dieser Vermuthung war aller Grund vorhanden.

Als wir damals das Zeltdorf der Comanchen verließen, ritten wir den Nachmittag und die ganze Nacht hindurch, so daß wir bereits am nächsten Mittag die obere Sierra Guadelupe vor uns sahen. Sam’s Stute und Winnetou’s Klepper hielten sich trotz der gewaltigen Anstrengung außerordentlich gut, und die andern Pferde waren ja so frisch, daß wir um sie keine Sorge hatten. Auch die Guadelupe wurde überwunden, ohne daß wir eine Spur von Verfolgung bemerkten, und als wir einige Tage später den Rio grande überschritten hatten, brauchte es uns wegen der Comanchen nicht mehr bange zu sein.

Westlich vom Rio grande schieben die Cordilleren von Sonora zahlreiche Höhenzüge nach Norden vor, welche wir ohne besondere Abenteuer erreichten. Hier aber trat ein wichtiges Ereigniß ein.

Wir hatten uns nämlich um die Mittagszeit auf der Höhe eines Passes gelagert, und Winnetou stand als Ausguck an einem Felsen über uns, von wo aus sein Blick den ganzen Weg vor und hinter uns beherrschen konnte.

„Uff!“ rief er da plötzlich in jenem Gutturaltone, der den Indianern eigen ist, legte sich auf den Boden und glitt schnell zu uns herab.

Wir griffen natürlich sofort zu unsern Waffen und erhoben uns.

„Was gibt es?“ fragte Marshal.

„Rothe Männer.“

„Wie viel?“

„So!“

Er hielt die fünf Finger der Rechten und drei der Linken in die Höhe.

„Acht! Von welchem Stamme?“

„Winnetou konnte es nicht sehen, denn die Männer haben alle Zeichen abgelegt.“

„Sind sie auf dem Kriegspfade?“

„Sie haben keine rothe und blaue Erde im Gesicht, aber sie tragen Waffen.“

„Wie weit sind sie noch?“

„Im vierten Theile der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen, werden sie hier sein. Meine Brüder mögen sich theilen. Winnetou geht mit Sans-ear vorwärts, und Marshal mit dem schwarzen Manne rückwärts, um sich hinter die Felsen zu verstecken. Mein Bruder Charlih wird hier bleiben bei seinem Pferde.“

Er nahm die andern vier Pferde bei den Zügeln und führte sie hinter das Gestein, wo sie nicht bemerkt werden konnten; dann wurde von ihm und den drei Gefährten die angegebene Stellung eingenommen. Ich blieb sitzen, der Richtung, aus welcher die Erwarteten kommen sollten, halb zugewandt; meine Büchse lag bereit.

Die Viertelstunde war kaum vergangen, so vernahm ich Pferdegetrappel; ich that, als hätte ich es nicht gehört, hielt aber das halbe Auge scharf auf die acht Gestalten gerichtet, welche mich

bereits bemerkt hatten und einen Augenblick lang ihre Pferde parirten. Sie wechselten einige Worte und kamen dann auf mich zu. Der Boden war hier so felsig, daß er keine Spuren annahm; sie konnten also nicht sehen, daß ich nicht allein war.

Ich stand jetzt ruhig auf und nahm meine Büchse zur Hand; sie blieben wohl zehn Schritte vor mir halten, und der Vorderste fragte:

„Was thut das Bleichgesicht hier in den Bergen?“

„Der weiße Mann hält Rast von einem weiten Wege.“

„Woher kommt er?“

„Vom Ufer des Rio grande.“

„Und wo will er hin?“

„Ugh!“ rief da ein Anderer, noch ehe ich die letzte Frage beantworten konnte. „Die Krieger der Comanchen haben diesen weißen Mann am Wasser des Pecos gesehen. Er war da mit Ma-ram, dem Sohn des Häuptlings, und schoß auf die beiden Bleichgesichter, denen meine Brüder nachgejagt sind!“

Dieser Mann gehörte also zu den fünf Comanchen, welche durch ihren Angriff auf mich das Entkommen der Morgans verschuldet hatten. Ich hatte ihn nicht erkannt, weil er damals die Kriegsmalerei im Gesichte trug und mir nur ein kurzer Blick auf die Leute ermöglicht gewesen war.

„Wohin ist das Bleichgesicht mit Ma-ram gegangen?“ frug mich auf diese Erklärung der Anführer.

„Nach den Wigwams der Comanchen.“

„Wie kam der weiße Mann mit Ma-ram zusammen?“

„Ich nahm ihn gefangen in dem Thale, in welchem er zurückgeblieben war, als die Krieger der Comanchen Winnetou, Sans-ear, ein Bleichgesicht und einen Neger überfielen.“

Bei dieser Antwort griffen die Comanchen zu ihren Messern.

„Uff!“ rief der Anführer. „Er hat Ma-ram gefangen genommen! Wo blieben die andern rothen Männer?“

„Ich that ihnen kein Leid. Den Einen band ich, und die vier Anderen hatten keine Augen und Ohren, um zu sehen und zu hören, daß ich den Sohn des Häuptlings mit mir nahm.“

„Aber Ma-ram war nicht gebunden, als wir ihn bei dem Bleichgesichte sahen,“ bemerkte der frühere Sprecher.

„Ich gab ihn wieder frei, denn er versprach, mir ruhig nach den Wigwams der Comanchen zu folgen.“

„Ugh! Was wollte der weiße Mann dort?“

„Den Häuptling der Apachen und Sans-ear befreien. Ich nahm die vier Häuptlinge der Racurroh gefangen und gab sie nur gegen ihre Gefangenen wieder los. Ich durfte mit ihnen gehen, und die Comanchen gaben uns den vierten Theil einer Sonne Zeit, zu enkommen.“

„Und die Gefangenen sind entkommen?“

„So ist es!“

Es machte mir Spaß, sie durch Darstellung dieser Verhältnisse in Harnisch zu bringen.

„Dann muß das Bleichgesicht sterben!“

Er ergriff sein Gewehr; es war das einzige vorhandene; die Andern hatten nur Bogen und Pfeile als Schußwaffen.

„Die rothen Männer würden todt sein, noch ehe sie ihre Waffen erhoben haben, denn ich fürchte mich nicht vor acht Indsmen. Aber die Krieger der Comanchen werden mir nichts thun, wenn ich ihnen sage, daß sie Sans-ear, Winnetou und die beiden Uebrigen heut wieder fangen können.“

„Ugh! Wo?“

„Hier!“ Ich deutete nach rechts und nach links. „Dort steht Winnetou mit Sans-ear, dem Indianertödter, und hier der Weiße mit dem schwarzen Manne!“

Hüben und drüben waren die Genannten einige Schritte vorgetreten und hielten ihre Büchsen im Anschlage. Zu gleicher Zeit war ich um einige Schritte zurückgesprungen und richtete die meinige auf den Anführer.

„Die rothen Männer sind unsere Gefangenen; sie mögen von ihren Pferden steigen!“

Sie waren drei Männer mehr als wir, unsere fünf Büchsen aber waren ihnen überlegen. Zur Flucht gab es weder vor- noch rückwärts eine Gelegenheit, und so wunderte ich mich nicht, als der Anführer die Hand von seinem Schießeisen nahm und frug:

„Sieht mein weißer Bruder nicht, daß sich die rothen Männer nicht auf dem Kriegspfade befinden?“

„Und dennoch wollten sie mich tödten! Aber der weiße Mann will nicht das Blut seiner rothen Brüder; sie mögen absteigen und mit uns das Calumet des Friedens rauchen!“

Sie zögerten, dieser Aufforderung, hinter welcher eine Kriegslist stecken konnte, zu folgen.

„Wie heißt mein weißer Bruder?“

„Man nennt mich Old Shatterhand.“

„Ugh! Dann dürfen wir seinen Worten glauben. Meine Brüder mögen von ihren Pferden steigen!“

Er nahm die Pfeife vom Sattel und setzte sich neben mir nieder. Seine Gefährten folgten ihm. Meine Kameraden kamen auch herbei und nahmen Platz. Die Pfeife wurde gestopft und herumgereicht. Bernard beging den Fehler, sie auch Winnetou anzubieten. Dieser wehrte ab.

„Der Häuptling der Apachen sitzt bei den Comanchen, weil sein Bruder Frieden mit ihnen wünscht, aber er raucht nicht das Calumet aus ihren Händen. Sie mögen sprechen mit meinen weißen Freunden, aber wenn sie gesprochen haben, so dürfen sie nicht wieder begegnen Winnetou, sonst versammelt er sie zu den todten Schakalen der Wüste!“

Bernard hätte das voraussehen können. Die Comanchen thaten, als hätten sie diese Worte gar nicht gehört. Ich wandte mich an ihren Anführer:

„Die rothen Männer sind nachgejagt den beiden weißen Verräthern?“

„Mein Bruder hat es bereits gehört!“

„Und haben sie nicht erreicht?“

„Nein. Die Verräther kamen auf das Gebiet der Feinde der Comanchen, wo diese umkehren mußten.“

„Wie konnten sie entkommen, da sie doch keine Pferde hatten?“

„Sie stahlen sich die Thiere der Comanchen.“

„Ah! Haben die Comanchen keine Augen, den Dieb zu sehen, und keine Ohren, seine Schritte zu hören?“

„Sie waren versammelt um das Grabmal ihres Häuptlings, und als sie zu den Pferden zurückkehrten, war die Wache getödtet, und die zwei besten Thiere fehlten.“

Dies war wirklich der einzige Weg für die Morgans gewesen, sich zu retten; aber es hatte eine nicht geringe Verwegenheit dazu gehört, sich — die Verfolger im Rücken — in das Gebirge zu den Comanchen zu wagen, um ihnen ihre Pferde zu rauben. Die beiden Räuber waren wirklich kühne Männer, die als Gegner nicht unterschätzt werden durften. In unsere Hände mußten sie aber doch kommen, und wenn wir ihnen rund um die Erde folgen sollten; darum war mir das Zusammentreffen mit diesen Comanchen willkommener als jede andere Begegnung.

Sie hielten nur kurze Rast, und erst beim Aufbrechen frug ich sie:

„Wo haben meine rothen Brüder die Spur der weißen Männer zuletzt gesehen?“

„Zwei Sonnen von hier. Will mein Bruder ihnen folgen?“

„Ja. Wenn wir sie treffen, so sind sie verloren!“

„Uff! Der weiße Mann spricht aus dem Herzen der Comanchen. Er reite immer nach Sonnenuntergang, bis er nach einer Sonne ein großes Thal erreicht, welches von Mittag nach Mitternacht geht. Er folge diesem nach Mitternacht, wo er die Stelle ihres Feuers finden wird. Dann reite er über die Höhe bis an das Wasser, welches nach Westen fließt und folge ihm; er wird finden zweimal die Asche von ihrem Feuer. Hier mußten die Krieger der Comanchen umkehren, weil dort das Jagdgebiet der Navajoa beginnt.“

„Wie nahe waren meine Brüder, als sie umkehren mußten, den Verfolgten?“

„Nicht ganz eine halbe Sonne. Die rothen Krieger wären ihnen doch gefolgt, aber sie erblickten in den Thälern die Wigwams der Feinde, bei denen sie den Tod gefunden hätten.“

„Die Krieger der Comanchen können To-kei-chun und den drei Häuptlingen sagen, daß Winnetou, Sans-ear und Old Shatterhand die beiden Verräther ereilen werden. Ma-ram mag

denken sehr oft an Old Shatterhand, denn dieser denkt auch an ihn!“

„Wird Winnetou, der Apache, die Krieger der Comanchen verfolgen?“

„Nein; er ist ihr Feind, aber sie haben geraucht das Calumet des Friedens mit seinen Brüdern; er wird sie ziehen lassen!“

Sie stiegen auf und ritten fort. Wir thaten dasselbe. Sie trugen nach Osten die Kunde, daß sie uns getroffen hatten, und wir nahmen mit nach Westen die Gewißheit, daß wir die Morgans fangen würden.

Wir fanden Alles genau nach ihrer Beschreibung. Da die Apachen grad einmal mit den Navajoa in Freundschaft lebten, so konnten wir mit Winnetou bei ihnen einkehren. Hier erfuhren wir, daß die Gesuchten sich da nur einige Stunden aufgehalten und nach den nächsten Pfaden zum Colorado gefragt hatten. Auch den Mona-See hatten sie erwähnt, und obgleich wir etliche Tageslängen hinter ihnen waren, hatten wir ihre Spuren bisher doch so deutlich gefunden, daß wir überzeugt waren, sie endlich doch noch zu treffen.

Also jetzt hielten wir auf die Sierra Nevada zu und ritten auf einer weiten Ebene mit zahlreichen Büffelspuren. Wir wünschten sehr, eines dieser Thiere zu treffen; wir hatten sehr lange Zeit nur Dürrfleisch genossen, und wenn unser Vorrath auch noch auf einige Tage reichte, so wäre uns die frische Lende oder Keule eines Rindes doch höchst willkommen gewesen.

Aus diesem Grunde schweifte ich mit Bernard, der noch bei keiner Büffeljagd gewesen war, von unserer Richtung nach rechts ab, wo allerlei Strauchwerk auf Wasser und in Folge dessen auf die Anwesenheit von Rindern schließen ließ. Es war jetzt die heiße Mittagsstunde, in welcher das wilde Rind sich gern im Wasser kühlt oder in der Nähe desselben wiederkäut.

Wirklich sollte auch meine Hoffnung in Erfüllung gehen, denn am Horizonte tauchte eine Gruppe von vier Thieren auf, gegen welche wir uns sofort in Bewegung setzten. Leider hatten wir den Wind mit uns, so daß wir sehr bald bemerkt wurden; dadurch sahen wir uns gezwungen, unsere Pferde so weit wie möglich ausgreifen zu lassen. Hier bewährte sich mein Rapphengst auf das Glänzendste. Er flog mit einer Leichtigkeit dahin, als ob ich ein ausgetrockneter Jokey von 0,10 spezifischem Gewichte sei, und ließ das Pferd Bernard’s weit hinter sich zurück. Diese werthvolle Seite des Pferdes bewog mich, es auch auf eine andere Eigenschaft zu prüfen, auf welche im Westen ein außerordentlicher Werth gelegt wird. Ich beschloß nämlich, nicht die Büchse, sondern den Lasso zu gebrauchen. Der meinige hatte kein Oehr, sondern einen Ring, durch welchen die Schlinge viel sicherer und besser läuft, als durch die bei den Indianern gebräuchliche Lederöse.

Unweit eines Weidengestrüppes erreichte ich die Thiere. Es war ein sehr starker Bulle mit drei Kühen, von denen ich mir diejenige auswählte, deren glattes Aussehen auf ein zarteres Fleisch schließen ließ. Ich schnitt sie von den anderen Thieren ab, hielt mich ihr nahe zur Seite und warf die Schlinge. Mein Pferd bewährte sich glänzend. Sobald der Lasso durch die Luft sauste, warf der Hengst sich ganz von selbst herum und stemmte die Beine mit weit nach vorn gebeugtem Körper auf die Erde. Die Schlinge zog sich um den Hals der Büffelkuh zusammen — ein gewaltiger Ruck riß mein Pferd beinahe auf die Hinterschenkel nieder, aber es hielt sich fest und strengte den am Sattelknopfe befestigten Riemen so straff wie möglich an. Die Kuh war niedergerissen worden; ich sprang vom Pferde, zog das Messer und fing sie mit einem kräftigen Stoße in das Genick ab. Der Hengst war mir mit den Augen gefolgt und ließ den Lasso jetzt locker. Ich trat zu dem braven Thiere und streichelte liebkosend seinen Nacken, wofür es dankbar seinen Kopf an meiner Achsel rieb.

Jetzt nahm ich die Schlinge vom Halse der Kuh und wollte mich eben an das Aufbrechen derselben machen, als Bernard herbeikam.

„Zu spät!“ klagte er. „Soll ich weiter?“

„Nein. Wir haben genug, und Ihr könnt hier mithelfen!“

Er stieg ab, und ich warf das Rind auf die andere Seite. Dabei bemerkte ich, daß demselben ein Zeichen eingebrannt war.

„Ah, nicht ganz, sondern nur halb wild; es gehört zur Heerde einer Estancia, einer Hacienda oder eines Rancho.“

„Durften wir die Kuh denn tödten?“

„Ja. Die Rinder haben in diesen Gegenden nur den Werth, den ihre Haut besitzt. Jeder Reisende — so ist es gebräuchlich — darf eines derselben zu seinem Bedarfe tödten, muß aber die Haut an den Besitzer abliefern.“

„Dann müssen wir diesen aufsuchen?“

„Wieder nein. Sollte ja ein Meierhof hier in der Nähe liegen, so brauchen wir nur zu melden, wo das Fell zu finden ist. Bei dem großen alljährlichen Schlachten kann es gar nicht umgangen werden, daß der eine Heerdenbesitzer eines oder auch mehrere Thiere eines Andern mit tödtet; diesem Andern geht es ebenso, und man wechselt dann die Felle gegenseitig aus.“

Die Kuh lag höchstens fünf Schritte von dem erwähnten Gebüsch. Ich hatte meine Auseinandersetzung kaum beendet, so hörte ich ein scharf sausendes Geräusch, und Bernard stieß einen Schrei aus. Von meiner Arbeit aufblickend, gewahrte ich noch, daß er mit einem Lasso quer durch den schmalen Gebüschstreifen geschleift wurde. Ich raffte die neben mir liegende Büchse auf, sprang durch die Sträucher vor und gewahrte einen Reiter in mexikanischer Tracht, welcher mit Marshal am Riemen davon galoppirte.

Hier gab es kein Zaudern, sonst wurde Bernard zu Tode geschleift. Ich erhob die Büchse, zielte nach dem Pferde des Reiters und drückte ab. Es that noch einige Schritte und brach dann zusammen. Ich eilte hinzu. Der Reiter war abgeworfen worden; er erhob sich, und als er mich erblickte, ließ er Alles im Stiche und ergriff die Flucht.

Ich durfte ihm nicht folgen, sondern mußte zunächst nach Bernard sehen. Die Schlinge hatte ihm die Arme so fest an den Leib gezogen, daß er sich nicht zu rühren vermochte; ich löste sie, und er zeigte sich glücklicher Weise so wenig beschädigt, daß er sich sofort mit heiler Haut zu erheben vermochte.

„Alle Wetter, war das eine Rutschpartie, Charley! Was wollte dieser Kerl?“

„Weiß es nicht!“

„Warum habt Ihr die Kugel nicht ihm statt dem Pferde gegeben?“

„Erstens ist er ein Mensch und das Pferd ein Thier, und zweitens hätte Euch sein Tod gar nicht viel genützt, denn der Lasso ist, wie Ihr seht, an den Sattel befestigt, und das Pferd hätte Euch also auch ohne Reiter weiter geschleift.“

„Konnte diesen Gedanken auch haben!“ meinte er, seine Glieder untersuchend, ob sie noch in gutem Zustande seien.

„Kommt zurück zur Kuh! Wir wollen machen, daß wir mit ihr fertig werden, denn hier scheint es nicht recht geheuer zu sein.“

„Ich denke, wir sind hier ähnlichen Gefahren gar nicht mehr ausgesetzt, da das Gebiet der Indsmen hinter uns liegt!“

„Da irrt Ihr Euch sehr. Wir befinden uns bereits auf jenem gefährlichen Terrain, wo statt der Indianos bravos, wie der Spanier die Wilden nennt, die mexikanischen Straßenräuber und Yankeegauner ihr Unwesen treiben. Ihr werdet bald von ihnen zu sehen und zu hören bekommen!“

Wir nahmen nur die besten Stücke von dem Rinde, packten sie hinter uns auf den Sattel und suchten den Unsern nachzukommen. Dieses wurde uns nicht schwer, da sie inzwischen Halt gemacht hatten. Als Bob unsern Fleischvorrath bemerkte, rief er schon von weitem:

„Oh, ah, da kommen Massa mit Beefsteak! Nigger Bob gleich holen Holz, daß machen Feuer und braten Schinken von Büffel!“

Wir ließen ihn gewähren und besprachen, während er emsig als Koch beschäftigt war, unser Abenteuer. Als der Braten die richtige Bräune zeigte, war es zum Verwundern, welch gewaltige Stücke davon hinter den dicken Lippen des Negers verschwanden. Er war so in seine Beschäftigung vertieft, daß er gar nicht auf den Ruf Sam’s merkte:

„Behold, kommen da drüben Reiter, oder sind es nur Pferde?“

Ich sah durch das Fernrohr.

„Reiter — drei, fünf, acht, ja acht.“

„Ob sie uns sehen werden?“

„Natürlich. Sie müssen den Rauch längst bemerkt haben.

„Welche Sorte von Menschen ist es?“

„Mexikaner, nach den breiten Hüten und hohen Sätteln zu schließen.“

„Dann wollen wir zum Beispiel die Waffen zwischen die Finger nehmen, denn dieser Besuch könnte mit Eurem Lassoreiter in Verbindung stehen!“

Die Truppe kam immer näher, bis sie in einiger Entfernung von uns halten blieb. Es waren lauter Mexikaner, ein Herr und sieben Knechte, wie es schien, und ich erkannte in einem der Knechte den Mann, dessen Pferd ich erschossen hatte. Sie beriethen sich augenscheinlich, schwenkten dann nach zwei Seiten ab und bildeten dann einen Kreis, in welchem wir eingeschlossen waren.

„Scheinen mit uns reden zu wollen, diese Männer, hihihi!“ kicherte Sam der Kleine in jenem Tone, der stets ein Zeichen war, daß er sich belustigt fühle, „Nehme es zum Beispiel ganz allein mit Allen auf!“

Der Kreis wurde enger gezogen, so daß sein Halbmesser höchstens zwanzig Pferdelängen betrug; dann ritt der Anführer einige Schritte vor. Er redete uns in dem in jenen Gegenden landläufigen Gemisch von Englisch und Spanisch an.

„Wer seid ihr?“

Sam antwortete für uns:

„Wir sind Mormonen aus der großen Salzseestadt und kommen als Missionare nach Californien.“

„Werdet schlechte Geschäfte machen, sage ich Euch! Wer ist der Indianer bei Euch?“

„Das ist kein Indianer, sondern ein Eskimo aus Neuholland, den wir für Geld sehen lassen werden, wenn unsere Geschäfte wirklich schlecht gehen sollten.“

„Und der Nigger?“

„Ist auch kein Nigger, sondern ein Lawyer ) aus Kamtschatka, der in San Franzsico einen Prozeß zu verhandeln hat.“

Der gute Mexikaner war in der Geographie wohl nicht heimischer als seine Landsleute. Er antwortete:

„Saubere Gesellschaft! Drei mormonische Missionare und ein fremder Advokat stehlen mir eine Kuh und machen einen Mordversuch auf meinen Vaquero ✽✽)! Ich werde Euch lehren, was das zu bedeuten hat. Ihr seid meine Gefangenen und begleitet mich nach meinem Rancho!“

Sam drehte sich mit pfiffigem Gesichtsausdruck zu mir herum.

„Wollen wir, Charley? Vielleicht gibt es in dem Rancho ein wenig mehr zu essen, als hier!“

„Können es probiren! Wenn der Mann kein Haciendero mit mehreren hundert Untergebenen, sondern ein kleiner Ranchero ist, kann er uns nichts anhaben.“

„Well, werden uns also den Spaß machen!“

Er wandte sich wieder zu dem Mexikaner:

„Wollt Ihr Euch wirklich wegen solcher Kleinigkeiten mit uns belästigen, Sennor?“

„Ich bin kein Sennor; ich bin ein Don; ich bin ein Grande, und man nennt mich Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo; merkt Euch das!“ .

„Heigh-day, seid Ihr ein großer Herr! Wir werden Euch also gehorchen müssen, doch hoffe ich, daß Ihr gnädig mit uns seid!“

Wir hatten keine Miene gemacht, uns zu widersetzen. Jetzt erhoben wir uns, löschten das Feuer aus und stiegen zu Pferde. Dabei lachte Bob vergnügt:

„Oh, ah, schön! Nigger Bob sein Lawyer aus — aus — Bob nicht mehr wissen! In Rancho werden sein viel gut Speis’ und Trank, und Bob werden wohnen da sehr viel ganz schön!“

Wir wurden in die Mitte genommen, und fort ging es im sausenden Galopp, wie es diese Mexikaner nicht anders gewohnt sind. Dabei hatte ich reichlich Gelegenheit, die Kleidung dieser Leute in Augenschein zu nehmen.

Dieselbe ist so romantisch schön, wie man sie wohl kaum in einem anderen Lande findet. Das Haupt ist beschattet von einem niedrigen Hut mit sehr breiter Krempe, dem sogenannten Sombrero, welcher entweder aus schwarzem oder braunem Filz oder aus jenem weichen, feinen Grasgeflechte gefertigt ist, das wir auch in Europa kennen, da Kopfbedeckungen dieser Art unter dem Namen Panamahüte auch zu uns herüberkommen. Der Hut eines Sennors, also eines Herrn, mag dieser nun Haciendero, Ranchero oder Räuber sein, ist immer an der einen Seite aufgeschlagen, und

)Advokat. ✽✽) Rinderhirt.

eine Agraffe von Gold oder Messing, mit Edelsteinen oder buntem Glas besetzt, hält die Krempe in die Höhe und befestigt zugleich die Schmuckfeder, welche je nach dem Reichthume des Besitzers in der Höhe des Preises wechselt, aber niemals fehlen darf.

Der Mexikaner trägt eine kurze, offene Jacke mit weit aufgeschlitzten Aermeln. An diesen Aermeln sowohl als auch auf den Nähten des Rückens und auf den beiden Bruststücken ist sie mit möglichst reichen Stickereien versehen, welche von feinen Schnüren aus Wolle, Baumwolle oder Seide, aus unedlen Metallen oder aus Gold und Silber bestehen.

Um den Hals wird ein schwarzes Tuch geschlungen und vorn in einem kleinen Knoten vereinigt. Die Zipfel dieses Tuches würden lang genug sein, um bis über den Gürtel herabzureichen; doch ist es nicht Mode, dieselben in dieser Weise zu tragen, sondern sie werden über die Schultern geschlagen, was dem Träger ein höchst malerisches Aussehen gibt.

Das Beinkleid ist von ganz besonderem Style; es schließt um den Gürtel fest an, liegt stramm und glatt auf den Hüften und dem übrigen Theil des Oberkörpers, den es bedeckt. Die Hose aber wird von ihrer Beintheilung an nach unten immer weiter; sie ist unten doppelt so weit als an dem dicksten Theile der Lenden. Ueberdies ist das Beinkleid an den äußeren Seiten aufgeschlitzt, mit breiten Tressen und Stickereien geschmückt und der Schlitz mit Seidenzeug gefüllt, dessen Farbe so gewählt wird, daß sie sehr lebhaft gegen diejenige der eigentlichen Hose absticht.

Auch die aus fein lackirtem Leder gefertigten Stiefel sind stets mit Stickereien geziert. Zu ihnen gehören unbedingt zwei Sporen von ungeheueren Dimensionen. Sie bestehen entweder aus Silber, oder aus schönem durchbrochenen Stahl oder aus schlechtem Messing, vielleicht gar aus Horn, mit einer Knochenspitze, die ganz geeignet ist, dem armen Pferde tiefe Wunden in die Seite zu bohren. Die Größe dieser Sporen übertrifft Alles, was jemals die gepanzerten Ritter im Mittelalter trugen. Sie sind mit dem Gabeltheile reichlich zehn Zoll lang, wovon also mindestens sechs auf die Stange kommen, welche das „Rad“ trägt. Was wir bei uns „Rädchen“ nennen und dann die ungefähre Größe eines Groschens hat, ist bei dem Mexikaner ein zwölfstrahliger Stern von sechs Zoll Durchmesser. Der ganze Sporn wiegt zwei Pfund und oft noch beträchtlich darüber.

Die Mexikaner sind immer beritten — mit wohl dressirten, höchst gelenkigen und jeder Strapaze gewachsenen Pferden. Und dabei besitzen sie eine außerordentliche Geschicklichkeit im Gebrauche aller von ihnen geführten Waffen. Sie legen dieselben kaum des Nachts von sich und sind bei der geringsten Veranlassung bereit, sich ihrer zu bedienen.

Besondere Fertigkeit entwickeln sie in der Führung einer sehr langen Reiterpistole mit gezogenem Rohre, welche stets so eingerichtet ist, daß man mit einem einzigen Drucke einen Gewehrkolben damit verbinden kann, wodurch die Pistole in eine kurzrohrige Büchse umgewandelt wird. Dieses Gewehr trägt in der Hand eines Mexikaners den sichern Tod auf eine Entfernung von hundertfünfzig Schritten hin, denn die Züge sind sehr kurz gewunden, das Geschoß bekommt folglich eine starke Achsendrehung und kann nicht leicht von der vorgeschriebenen Bahn abweichen; das Kammergeschütz aber fordert, der gedachten Einrichtung wegen, nur eine geringe Menge Pulver und stößt und schlägt nicht. Ein solches Gewehr ist in der Hand des Geübten ein wahrer Schatz, und die Pferde sind so gut dressirt, daß man auf ihnen sowohl dem Feinde zugewendet als auch ihm abgewendet schießen kann. Während des Reitens wird nämlich niemals seitwärts, sondern stets entweder vor- oder rückwärts geschossen. Steht das Pferd aber ruhig, so kann man das Gewehr nach jeder beliebigen Richtung hin brauchen; es genügt, dasselbe dem Pferde zu zeigen, um das kluge Thier für zehn Sekunden so unbeweglich zu machen, als ob es aus Stein gemeißelt oder aus Bronze gegossen wäre.

Eine beinahe noch gefährlichere Waffe als dieses sicher treffende Schießeisen ist der Lasso, jene furchtbare Lederschlinge, mittelst deren der Geübte den wilden Stier im Laufe, den schwarzen Tiger im Sprunge und den Menschen sowohl bei der Attaque als auch während der Flucht fängt und tödtet. Der Lasso, ein wohl dreißig Ellen langer und mit einer Schlinge versehener Riemen, wird auf Mensch oder Thier meist während des Galoppirens -

Galoppirens geworfen, und es kommt vielleicht unter zehntausend Malen erst einmal vor, daß der zum Tode bestimmte Feind nicht getroffen wird. Mit dem Lasso üben sich schon die Kinder, und endlich scheint es, als ob er mit dem Menschen vollkommen verwachsen wäre; er gehorcht nicht bloß der Hand; man möchte sagen, er gehorcht dem Gedanken, denn die tödtliche Schlinge fliegt dahin, wohin der Mensch sie haben will, gleichviel ob dieses im Spiel und Scherz, auf der Arena oder im ernsten Vernichtungskampfe sei.

Sitzt der Mexikaner zu Pferde, so hängt über dem Sattelknopf noch der Poncho, eine Decke, welche den ganzen Körper verhüllen kann und in der Mitte einen Schlitz hat, durch den man den Kopf steckt, so daß die eine Hälfte des Poncho über den Rücken und die andere über die Brust herabfällt.

Die Kleidung des Reiters und das Sattelzeug des Pferdes sind gleich kostspielig. An Sattel und Zaum befindet sich überall Silber und mitunter auch Gold. Bei reichen Leuten ist das Gebiß des Pferdes immer von schwerem, gediegenem Silber, und die Ketten, welche das Zaumzeug verzieren, sind nicht etwa hohl gearbeitet, sondern von massivem Golde; mitunter kostet ein so verziertes Gebiß nur fünfzig Escudos ), aber sehr häufig ist ein bloßes Gebiß mit dem Zaumzeuge fünfhundert Escudos de oro werth.

Die Pferde tragen alle den berühmten, oder auch berüchtigten spanischen Sattel von ganz ungewöhnlicher Höhe, so daß man kaum aus demselben fallen kann, wenn man einmal fest sitzt; und wenn der Reiter nur einiges Geschick hat, so dürfte es für das Pferd sehr schwer werden, ihn abzuwerfen. Die Lehne schließt sich bis da, wo die kurzen Rippen beginnen, vollständig an den Rücken; der Vordertheil geht ebenso hoch hinauf, und da er in dem messingenen Sattelknopfe, welcher gewöhnlich einen Pferdekopf vorstellt, eine sechszöllige Verlängerung hat, so reicht er bis an das Brustbein.

Von dem Sattel geht bis nach dem Schwanzriemen hin ein Panzer von Sohlenleder, welcher die Croupe und die Flanken des Thieres schützt. Die modernen Reiter lassen ihn immer weg; zu einer Reise aber wird er gewöhnlich hervorgeholt, besonders schon deßhalb, weil er eine beträchtliche Menge von Taschen und andern sehr praktisch angebrachten Behältern birgt. Dieser Panzer führt den drolligen Namen Coda de Pato.✽✽)

Die Steigbügel, häufig an silbernen Ketten hängend, sind doch gewöhnlich von Holz und waren in alten Zeiten wirkliche, eigentliche Schuhe, welche den Fuß bedeckten und gegen jede Verletzung oder Beschädigung beschützten. Die Holzschuhe hat man abgelegt, dagegen die hölzernen Bügel beibehalten; um aber den Fuß dennoch gegen eine Verletzung zu schützen, trägt der vordere Theil des Bügels lederne Decken (Tapageres), die schön mit Drahtstickereien verziert sind und den Vorderfuß umschließen. Sehr reiche Leute haben oft Steigbügel von durchbrochenem Eisenblech, kostbar gearbeitet, ganz so, wie wir sie in alten Rüstkammern zu sehen bekommen. Da sich der Reiter gegen alles Mögliche schützen will, so hat er auch noch die Armas de Pelo an jeder Seite des Sattelknopfes hängen. Das sind derbe Ziegenfelle, mit der Haarseite nach außen, welche bei Regenwetter über die Lenden und die Kniee gedeckt werden. Auch wenn man durch dorniges Gestrüpp reitet, gewähren sie einen sehr guten Schutz für die Bei­ne. — —

Nach ungefähr einer halben Stunde tauchte ein Gebäude vor uns auf, in welchem wir den Rancho vermutheten. Wir sprengten in den geräumigen Hof und stiegen ab.

„Sennora Eulalia, Sennoritta Alma, kommt, kommt, und seht, wen ich bringe!“ rief der Ranchero, gegen das Hauptgebäude gewendet, mit lauter Stimme.

Auf diesen Ruf kamen zwei Wesen mit solcher Hast und Eile aus der Thüre gerannt, daß ich unwillkürlich an Schillers Worte dachte:

„Da speit das doppelt geöffnete Haus

Zwei — Damen auf einmal aus.“

Ja, Damen waren es, eine Sennora und eine Sennoritta, wie wir gehört hatten, aber die Stallmagd eines Lüneburger Haidebauern hätte gegen sie wie eine Donna ausgesehen. Beide

)Ein Escudo ist 7½ Mark. ✽✽) Entenschwanz.

waren barfuß und barhäuptig; ob das seltsame Gewirr, welches sie auf dem Kopfe trugen, Haare sein sollten, konnte ich nicht unterscheiden. Ein kurzer Rock deckte die oberen Beine, während die unteren einen Schmutzüberzug zeigten, den man sehr leicht für Stulpenstiefel hätte halten können. Den Oberkörper deckte nur ein Hemd, welches vor Jahren vielleicht einmal weiß gewesen war, nun aber aussah, als sei es zum Ausputzen des Kamins benutzt worden.

Also sie kamen aus der Thür heraus geschossen und starrten uns mit weit aufgerissenem Munde an.

„Wen bringt Ihr uns da, Don Fernando de Venango e Colonna?“ kreischte die ältere der beiden Frauen. „Was wird das für Arbeit geben, wenn fünf stockfremde Gäste essen, trinken, spielen, rauchen und schlafen wollen! Das kann ich nicht leiden; das kann ich nicht dulden; lieber laufe ich auf der Stelle fort und lasse Euch mit Eurem ganzen Gesindel in diesem unglückseligen Rancho allein. Ich wollte, ich hätte mich niemals von Euch bereden lassen, mein schönes San Jose zu verlassen und — —“

„Aber Mutter, siehst Du denn nicht, daß dieser Don unserm guten Don Allano so ähnlich sieht!“ meinte die Jüngere.

„Mag er ihm ähnlich sehen, er ist es nicht!“ antwortete die Andere, sichtlich erbost über die Unterbrechung ihres ausgezeichneten Redeflusses. „Wer sind diese Männer, und wer wird die Arbeit mit ihnen haben? Ich, sonst kein anderer Mensch. Und das will etwas sagen, wenn man so schon für eine unendliche Wirthschaft zu sorgen hat, wie die unsrige ist. Ich weiß oftmals gar nicht, ob ich einen Kopf habe oder nicht, und wenn ich nun gar noch für fünf fremde Gäste zu — —“

„Aber Sennora Eulalia, es sind ja gar keine Gäste!“ fiel jetzt der Ranchero in die Rede.

„Keine Gäste? Was denn, Don Fernando de Venango e Colonna?“

„Gefangene, Sennora Eulalia.“

„ Gefangene? Weßhalb sind sie gefangen, Don Fernando de Venango de Molynares?“

„Sie haben uns eine Kuh und drei Vaqueros getödtet, meine liebe Sennora Eulalia.“

Es war wirklich interessant, mit welcher Unverfrorenheit er unsere Unthaten multiplizirte.

„Eine Kuh und drei Vaqueros!“ rief sie, die rußfarbenen Hände zusammenschlagend, daß unsere Pferde erschrocken die Ohren spitzten. „Das ist ja schrecklich — gräßlich — himmelschreiend! Habt Ihr sie auf der That ertappt, Don Fernando e Colonna de Gajalpa?“

„Nicht bloß auf einer, sondern auf allen Thaten, Sennora EuIalia. Und sie haben sie nicht nur getödtet, sondern auch gebraten und verzehrt.“

Die Augen der Donna wurden noch einmal so groß.

„ Gebraten und verzehrt? Die Kuh oder die drei Vaqueros, Don Fernando de Gajalpa y Rostredo?“

„Zuerst die Kuh, Sennora Eulalia.“

„Zuerst! Und dann, Don Fernando Rostredo y Venango?“

„Dann? Weiter nichts, denn wir haben sie gestört, gestört und von allem Weiteren abgehalten. Wir haben sie arretirt und herbeigeschleppt, Sennora Eulalia.“

„Arretirt und herbeigeschleppt! O, alle Welt weiß, was für ein tapferer Ritter Ihr seid! Wer sind denn diese Menschen, Don Fernando de Molynares e Colonna?“

„Diese drei Weißen sind Missionare aus der Mormonenstadt, welche nach San Franzsico wollen, um Californien zu bekehren.“

„Hülfe, Hülfe! Missionare, welche Kühe stehlen und tödten und Vaqueros fressen wollen! Weiter, Don Fernando de Rostredo y Venango!“

„Dieser Schwarze, der grad wie ein Nigger sieht, ist ein Advokat aus — aus — aus, wo die Feuerländer wohnen. Er will in San Franzsico eine Erbschaft erschleichen, Sennora Eulalia!“

„Erschleichen! O, da ist es kein Wunder, daß er auch Kühe und Vaqueros erschleicht! Und der Lletzte, Don Fernando de Colonna y Gajalpa?“

„Der sieht aus grad wie eine Indiano bravo, ist aber ein Hottentott aus — aus — aus Grönland. Er will die Missionare für Geld sehen lassen, Sennora Eulalia!“

„O! O! O! Was werdet Ihr mit diesen Leuten thun, Don Fernando de Molynares y Gajalpa e Venango?“

„Ich werde sie aufhängen und erschießen lassen. Ruft alle meine Leute herbei, Sennora Eulalia!“

„Alle Euere Leute? Sie sind ja alle da, außer der alten Negerin Betty, und auch die kommt dort geschlichen. Aber, da fällt mir eben ein, daß Niemand fehlt, und doch haben diese Männer drei von Euren Vaqueros getödtet, Don Fernando e Rostredo de Colonna!“

„Das wird sich schon noch finden, Sennora Eulalia. Macht alle Thore und Thüren zu, Sennores, damit die Gefangenen nicht entfliehen können! Ich werde sofort ein strenges Gericht über sie halten.“

Es war nur ein einziges Thor vorhanden; dieses wurde durch einen starken Riegel so fest verschlossen, daß wir den guten Don mit allen seinen Sennores sicher hatten.

„So!“ meinte der Ranchero. „Jetzt bringt mir einen Stuhl herbei; die Pferde, auch die der Gefangenen, werden an die Balken gebunden, und dann können wir beginnen.“

Wir störten die Leute nicht im Mindesten in der Vollziehung dieser Befehle; durch die Entfernung der Pferde erhielten wir den nöthigen Raum, und natürlich hatten wir nicht die mindeste Angst vor dem zu beginnenden Gerichtsverfahren.

Es wurden aber drei Stühle gebracht. Auf dem mittelsten nahm Don Fernando Platz, und ihm zur Seite setzten sich Sennora Eulalia und Sennoritta Alma in ihrem vorhin beschriebenen amtsrichterlichen Talare nieder. Wir selbst hatten uns in eine Gruppe zusammengezogen und wurden von den Vaqueros in das Centrum genommen.

„Ich werde Euch zunächst nach Euren Namen fragen,“ begann der Ranchero. „Wie heißest Du?“

„Bob,“ antwortete der Neger, an den die Frage gerichtet war.

„Ein richtiger Spitzbubenname. Und Du?“

„Winnetou.“

„Winnetou? Ein gestohlener Name, denn so heißt der größte und berühmteste Indianerhäuptling, den es nur geben kann. Und Du?“

„Marshall.“

„Siehst Du, daß er auch seinen Namen hat!“ schaltete schnell die Sennoritta ein, indem sie sich zu ihrer Mutter wandte.

„Ein Yankeename,“ meinte der Ranchero, „und diese taugen alle nichts. Und Du?“

„Sans-ear.“

„Auch ein gestohlener Name, denn so heißt ein alter Jäger, der weit und breit als der tapferste Jäger und berühmteste Indianerfeind bekannt ist. Und Du?“

„Old Shatterhand.“

„Wieder gestohlen. Ihr seid nicht nur Räuber, sondern auch freche Lügner!“

Ich trat ein wenig vor, so daß ich hart neben den rohen Vaquero zu stehen kam, der Bernard mit dem Lasso geschleift hatte und einen Denkzettel verdiente.

„Wir lügen nicht. Soll ich es Euch beweisen?“

„Beweise es!“

Im Nu fuhr meine geballte Faust dem Vaquero an den Kopf, daß er lautlos niederstürzte.

„Ist diese Faust nicht eine Schmetterhand?“

„Halte mich, Alma; ich falle in Ohnmacht; ich habe die Vapeurs; ich bekomme den Starrkrampf!“ rief Sennora Eulalia, breitete die Arme aus und sank dem guten Don Fernando an das Herz.

Dieser wollte aufspringen, konnte sich aber seiner süßen Bürde, die ihn fest gepackt hielt, nicht entledigen. Er schrie Zeter und Mord, und Sennoritta Alma stimmte kräftig ein. Der Mexikaner ist zu Pferde ein sehr guter, zu Fuße aber ein desto schlechterer Kämpfer; die Vaqueros waren von dieser Regel nicht ausgenommen, denn als wir Fünf sofort nach meinem Jagdhiebe die Büchsen gegen sie erhoben, geriethen sie sichtlich in Verlegenheit. Ich nahm das Wort:

„Fürchtet Euch nicht, Sennores; es wird Euch kein Leid geschehen, wenn Ihr verständig seid. Wir wollen Euch nur auf einen kleinen Irrthum aufmerksam machen, und dann steht es Euch frei, ganz nach Belieben mit uns zu verfahren.“

Jetzt trat ich etwas näher an die Stühle heran und machte meine tiefste und respektvollste Verbeugung.

„Donna Eulalia, ich bin ein Verehrer der Schönheit und ein leidenschaftlicher Bewunderer der weiblichen Tugenden. Darf ich Euch bitten, zu erwachen und mir einen Blick aus Eueren holden Augen zu schenken?“

„Ahhh!“

Mit diesem langgedehnten Seufzer der Erleichterung öffnete sie ihre kleinen Basiliskenaugen und gab ihrem gelben Gesichte einen Ausdruck, welcher schmachtend sein sollte, aber mehr angstvoll und verlegen war.

„Schöne Donna, Ihr habt gewißlich gehört von den cours d’amour, von den Liebeshöfen früherer Zeiten, in welchen die bewundertste der Damen zu Gerichte saß und ein Jeder sich ihrem Ausspruche fügen mußte. Das Gericht, welches Don Fernando über uns halten will, kann kein gerechtes sein, da er selbst Partei ist. Wir bitten ihn, seine Gewalt in Euere zarten Hände zu legen, und sind überzeugt, daß Euer Urtheil nur den wirklichen Missethäter treffen wird!“

„Ist das wirklich Euer Wunsch, Sennor?“ flötete sie mit einer Stimme, welche genau so klang, als ob ihre Stimmritze zwischen zwei Scheuerbürsten angebracht sei.

„Es ist unser vollster Ernst, Donna Eulalia! Zwar sind wir eigentlich nicht in der Lage, einer Dame von Eueren Vorzügen unsere Aufwartung zu machen, denn wir befinden uns bereits seit Monaten im wilden Westen; aber die Güte ist ja der schönste Schmuck des weiblichen Geschlechtes, und so hoffen wir, daß Ihr unsere Bitte erhören werdet!“

„Seid Ihr wirklich die Männer, deren Namen Ihr Euch gegeben habt?“

„Wirklich!“

„Hört Ihr es, Don Fernando de Venango y Gajalpa? Diese berühmten Sennores haben mich zur Richterin über sie gesetzt. Ihr wißt, daß ich keinen Widerstand dulde. Seid Ihr’s zufrieden?“

Er machte eine sehr saure Miene, schien aber seiner Donna keineswegs gewachsen zu sein und war wohl auch froh, wieder freien Athem schöpfen zu können.

„Uebernehmt das Amt, Sennora Eulalia! Ich bin überzeugt, daß Ihr die Bursche hängen werdet.“

„Je nach ihren Verdiensten, Don Fernando de Colonna e Molynares!“

Dann wandte sie sich zu mir:

„Sprecht, Sennor; ich gebe Euch das Wort!“

„Ich setze den Fall, Donna Eulalia, Ihr wäret ein hungriger, müder Reisender und fändet in der Savanne eine Kuh, deren Fleisch Euren Hunger stillen könnte. Dürftet Ihr diese Kuh tödten, wenn Ihr das Fell derselben Ihrem Besitzer lassen wolltet?“

„Natürlich; so ist es ja überall der Brauch!“

„Nein, so ist es nicht überall der — — —“

„Still, Don Fernando! Ich habe jetzt hier zu befehlen, und Ihr dürft nur dann sprechen, wenn ich Euch dazu auffordere!“

Er legte sich mit Resignation in den Stuhl zurück. Auch aus den Mienen der Vaqueros ließ sich schließen, daß Sennora Eulalia die eigentliche Gebieterin des Rancho sei.

„Das war unser ganzes Verbrechen, Donna,“ fuhr ich fort. „Da kam dieser Vaquero, welcher hier am Boden liegt, warf den Lasso über Sennor Marshal, der hier vor Euch steht, und riß ihn mit sich fort. Er hätte ihn getödtet, wenn ich das Pferd des Vaquero nicht niedergeschossen hätte!“

„Marshal! Dieser Name ist mir theuer. Ein Sennor Marshal, Allano Marshal, wohnte bei meiner Schwester in San Franzsico.“

„Allan Marshall? Vielleicht aus Louisville in den Vereinigten Staaten?“ rief ich verwundert.

„Natürlich, natürlich; dieser und kein Anderer ist es! Kennt lhr ihn?“

„Freilich! Dieser Sennor Bernard Marshal, Juwelier aus Louisville, ist sein Bruder.“

„Santa Lancetta! Ja, das stimmt! Juwelier war er, und er hatte einen Bruder, welcher Bernardo heißt. Alma, Dein Herz hat Dich nicht getäuscht. Kommt in meine Arme, Sennor Bernardo, denn Ihr seid mir willkommen!“

Dieser plötzliche Freudenerguß entbehrte allerdings ein wenig der Erklärung, und obgleich Bernard hoch erfreut war, so unerwartet eine Kunde vom Gesuchten zu erhalten, zog er es doch vor, nur die Hand der Sennora leise in die Gegend zu bringen, in welcher sich eigentlich seine Lippen befanden, die Umarmung aber zu unterlassen.

„Ich bin hierher gekommmen,“ meinte er dann, „nur um meinen Bruder zu suchen. Wo befindet er sich jetzt, Donna Eulalia?“

„Alma, meine Tochter, war bei meiner Schwester. Als sie hieher zurückkehren mußte, bereitete er sich vor, nach den Minen zu gehen. Sind diese Alle Eure Freunde, Sennor Bernardo?“

„Alle! Ich habe ihnen viel, sehr viel, sogar die Freiheit und das Leben zu verdanken. Dieser Sennor Old Shatterhand hat mich vom Tode des Verschmachtens, aus der Hand der Pfahlmänner und aus der Gefangenschaft der Comanchen befreit.“

Sie schlug auf’s Neue ihre Hände zusammen.

„Ist’s möglich! Solche Abenteuer habt Ihr erlebt? O, die müßt Ihr uns erzählen! Aber, wie kommt es, daß Ihr ein Mormone seid, und Euer Bruder nicht?“

„Wir sind keine Mormonen, Donna Eulalia! Wir machten nur einen Scherz.“

Schnell drehte sich die Dame zu dem Ranchero herum.

„Hört Ihr’s, Don Fernando de Venango e Gajalpa, sie sind keine Mormonen und keine Räuber und Mörder! Ich spreche sie frei. Sie werden unsere Gäste sein und bei uns bleiben, solange es ihnen gefällt. Alma, laufe schnell in die Küche und hole die Flasche mit Basilikjulep! Wir müssen den Willkomm trinken.“

Bei dem Worte Basilikjulep heiterte sich die Miene des Ranchero augenblicklich auf. Es schien, als ob er nur bei besonders festlichen Angelegenheiten mit dieser Flasche in Berührung käme, und daher war es ihm auch nicht zu verargen, daß er sich freute, unser Erscheinen als eine solche Angelegenheit behandelt zu sehen. Ich erkannte bereits jetzt in dem Julep das beste Mittel zur Versöhnung zwischen ihm und uns.

Sennorita Alma sprang fort — fast möchte ich sagen, daß der Schmutz an ihren Füßen platzte — und kehrte in eben diesem Laufe mit einer großbauchigen Flasche und einem Glase von entsprechender Größe zurück. Wer da weiß, welche elenden Fusel die Yankees unter dem Titel Julep in jene Gegenden bringen, der wird sicher der Ueberzeugung sein, daß wir von dem Zeuge höchstens genippt, die Damen von demselben gar nicht getrunken haben. In Beziehung auf uns mußte ich ihm Recht geben; von den beiden Damen aber trank jede ihr Glas mit einem Behagen aus, als ob sie Lunel vor sich hätten. Winnetou genoß nicht einen Tropfen, wie er überhaupt niemals „Feuerwasser“ trank. Der Ranchero schenkte sich jedoch so lange ein, bis ihm seine resolute Wirthschafterin die Flasche entriß.

„Nicht zuviel, Don Fernando de Venango e Rostredo y Colonna! Ihr wißt, daß ich nur noch zwei Flaschen von dieser Sorte habe. Führt die Sennores in das Zimmer. Die Damen werden zunächst Toilette machen und dann den Hunger stillen, den ihr Alle gewiß haben werdet. Komm, Alma! A dios, Dons und Sennores!“

Die „Damen“ verschwanden in einem Mauerloche, hinter welchem entweder ihre Garderobe oder die Küche, vielleicht auch Beides zugleich liegen mußte; wir aber wurden von dem Ranchero in den Raum geleitet, welchen Sennora Eulalia mit dem Namen „Zimmer“ beehrt hatte, der aber anderorts mit dem Worte „Tenne“ bezeichnet worden wäre. Einen Tisch gab es da, einige aus rohen Stangen zusammengenagelte Bänke auch; wir konnten also Platz nehmen. Dabei bemerkten wir, daß sich die Vaqueros sehr eilfertig über unsere Pferde machten, um den Inhalt unserer Satteltaschen zu untersuchen. Ich ging daher hinaus, um den Inhalt mit den Taschen selbst in Sicherheit zu bringen, denn ich kannte die vielbewährte Ansicht, daß der beste Vaquero unbedingt auch der größte Spitzbube ist. Bob mußte bei den Pferden bleiben, um sie bei der Weide, die sie vor dem Thore fanden, zu beaufsichtigen. Er beklagte sich bitter über diese Maßregel.

„Massa jetzt essen viel’ gut’ schön’ Sachen in Zimmer. Warum da Nigger Bob bleiben müssen bei Pferden?“

„Weil Du stärker und tapferer bist, als Winnetou und Sans-ear, und ich Dir also unsere guten Pferde ruhig anvertrauen kann.“

„Oh, ah, das sein richtig! Bob sein stark und muthig und werden aufpassen, daß Niemand angreifen Pferde!“

Er war zufriedengestellt. In das Zimmer zurückgekehrt, fand ich eine sehr einsilbige Unterhaltung vor, bis endlich die Damen erschienen. Sie waren gegen vorhin jetzt allerdings äußerlich gänzlich umgewandelt und trugen sich wie Damen auf der Alameda zu Mexiko.

Die Kleidung der mexikanischen Damen ist nur hin und wieder die europäisch moderne. Hüte und Hauben sind selbst bei den größten Putznärrinnen etwas Unbekanntes; eine Allen gemeinsame Tracht dagegen besteht in dem Rebozo, einem vier Ellen langen Shawl, welcher zugleich als Kopfputz dient. Die Damen tragen ihn in Gesellschaft gewöhnlich über die Schulter gehängt, so ungefähr, wie man ihn bei uns zu tragen pflegt. Wenn man aber ausgehen, nach der Siesta seine Freundinnen besuchen oder abends promeniren will, so wird der Rebozo über den Kopf genommen; er bedeckt nach hinten zu die Frisur, läßt aber das Gesicht frei. Da er nun in der Regel fein und schleierartig ist, so kann er auch als Schleier benützt werden, und in diesem Falle bedeckt er nicht nur den Kopf, das Gesicht und die Schultern, sondern er hüllt die ganze Figur ein.

Der Rebozo einer vornehmen Mexikanerin muß von indianischen Händen gewebt sein — geflochten könnte man vielmehr sagen, und da er die Arbeit zweier Jahre verlangt, so ist der Preis von achtzig Piastern gewiß ein sehr mäßiger. Es gibt übrigens solche, welche das Doppelte dieser Summe kosten.

In einem solchen Rebozo präsentirten sich jetzt unsere zwei Damen. Sie hatten Gesicht und Hände gewaschen; die Füße staken in Strümpfen und Schuhen. Wenn ich sie nicht vorher in ihrem Haus- oder vielmehr Ranchokleide gesehen hätte, würde wenigstens die Jüngere einen recht befriedigenden Eindruck hervorgebracht haben.

Sie nahmen am Tische Platz, um die „Honneurs zu machen“, überließen aber die Beschickung der Tafel bis in das Kleinste der alten Negerin. Auffallend war, daß sie unausgesetzt von „Sennor Allano“ sprachen, und es stellte sich in Folge dessen bei mir der Verdacht ein, daß die kleine Sennoritta Alma auf den schmucken Juwelier ein wenig Jagd gemacht habe und ihn auch heute noch nicht vergessen könne.

Die Gerichte, welche es gab, waren echt mexikanisch: Rindfleisch mit Reis, der durch spanischen Pfeffer ziegelroth gefärbt war; Mehlspeisen mit Knoblauch, trockene Gemüse mit Zwiebeln, Hammelfleisch, durch gewöhnlichen Pfeffer schwarz gefärbt, junge Hühner mit Zwiebeln und Knoblauch und zuletzt ein Rippenbraten mit spanischem Pfeffer und Zwiebeln und gewöhnlichem Pfeffer und Knoblauch. Mir war der Mund so gepfeffert, der Schlund so gezwiebelt und der Magen so geknoblaucht, daß ich hätte improvisiren mögen:

„Und hab ich das Zeug hinuntergedruckt,

So ist’s mir ganz zum Verzweifeln,

Als hätt’ ich die Hölle hinuntergeschluckt

Mit Millionen von Teufeln.“

Die zarten Damen indessen waren weniger empfindlich als „Old Shatterhand“ und steigerten den Genuß durch fleißige Schlücke Basilikjulep, denen dann die unvermeidliche Cigarrette folgte, und damit unser Bob nicht zu kurz kam, mußte ihm einer der Vaqueros auf einer alten, abgetretenen Strohmatte seine Portion hinaus zu den Pferden tragen, zu welcher auch ein Julep gehörte, der in einer leeren Pommadebüchse beigefügt wurde. Vielleicht verwandelte sich der Fusel unterwegs mit den in der Büchse noch befindlichen kosmetischen Resten in eine heilsame und empfehlungswerthe Karfunkelsalbe!

Von einer Fortsetzung unserer Reise war für heute keine Rede. Sennoritta Alma kam nicht von der Seite meines guten Bernard fort, und ich unglückseliger Westmann hatte meine wohlberechnete Höflichkeit mit der unzertrennlichen Gesellschaft der Sennora Eulalia zu büßen. So sehr sich diese bei ihrem ersten Auftreten — gut bayerisch gesprochen — als eine echte „Zuwiderwurzen“ gezeigt hatte, so viele Liebenswürdigkeit träufelte jetzt aus jedem ihrer Worte. Ich avancirte in ihrer Titulatur von Old Firehand [Shatterhand] über Sennor Carlos zu Don Carlos, und als Bernard seine Schicksale erzählte, erlitt ich eine schnelle Metamorphose zum braven und wackeren Carlos. Schließlich,

als wir uns von der Tafel erhoben, fragte sie ihren lieben Carlos, was er seiner Braut als Reiseandenken mit nach Deutschland nehmen werde. Ich konnte natürlich diese so schlau versteckte Erkundigung nicht mit einer Unwahrheit beantworten und sagte ihr, daß ich nicht das mindeste Recht habe, ein Souvenir de voyage mitzubringen, da ich in den Personalstandsregistern als „eine ledige Mannsperson“ zu verzeichnen sei. Um sie ihren häuslichen Pflichten nicht weiter zu entziehen, theilte ich ihr mit, daß ich unsere Pferde inspiziren müsse, und ging hinaus zu Bob.

Dieser lag mit seinem Bauche auf der Erde, machte mit Händen und Füßen allerlei mir unverständliche Bewegungen und stieß dabei so fabelhafte Töne aus, daß es mir schien, als studire er auf einem javanesischen Anklony ) die Richard Wagner’sche Zukunftsmusik.

„Bob!“

Bei diesem Rufe hob er den Kopf empor.

„Oh Massa, Massa, Massa!“

„Was gibt es?“

„Oh, oh, oh, Massaaaah! Bob haben essen all’ ganz’ Zeug, und nun brennen Feuer in Bob, als sein Bob ein Ofen. Massa helfen Bob, sonst sterben Bob!“

Das waren die Folgen von Doppelpfeffer, Zwiebeln und Knoblauch! Auch die Pomadebüchse war vollständig leer. Hier war schnelle Hilfe nothwendig, denn der brave Bob schnitt ein Gesicht, als ob er bereits im Sterben liege.

„Du mußt Etwas trinken, das die Schmerzen stillt, sonst bist Du verloren, mein armer Bob! Was hältst Du für besser: Milch, Wasser oder Basilikjulep?“

Er schnellte sich empor und blickte mir mit dankbarer, verständnißinniger Miene in mein höchst besorgtes Angesicht.

„Massa, oh, ah, Milch und Wasser nicht helfen; bloß Julep können retten arm’ Nigger Bob!“

„So laufe schnell hinein zu Donna Eulalia, und sage ihr, daß Du sterben mußt, wenn Du nicht augenblicklich Basilikjulep bekommst!“

Er rannte spornstreichs davon und kehrte wirklich nach einiger Zeit mit — ich erstaunte, als ich es sah — mit einer halben Flasche Julep zurück; er hatte den Rest des ganzen Vorrathen erhalten.

„Miß Eula’ nicht wollen geben Julep, aber Bob sagen, daß haben schicken Massa Charley, dann geben Miß Eula’ gleich her ganz Julep!“

„So trink; er wird helfen!“

Das Abendessen wurde wieder im „Zimmer“ eingenommen. Die Sennora saß neben mir. Während der Unterhaltung raunte sie mir zu:

„Don Carlos, ich habe Euch ein Geheimniß zu offenbaren!“

„Welches?“

„Nicht hier! Kommt gleich nach Tische zu den drei Platanen draußen!“

Ein Stelldichein! Ich durfte es ihr nicht abschlagen, da immerhin die Möglichkeit vorhanden war, daß sie mir eine beachtenswerte Mittheilung zu machen hatte. Während der Mahlzeit waren die Pferde in den Hof hereingeschafft worden, doch fand ich das Thor noch offen. Ich ging hinaus und streckte mich unter den Platanen nieder. Ich mußte mich aber aus dieser bequemen Lage sehr bald erheben, denn Eulalia ließ nicht lange auf sich warten. Sie begann:

„Don Carlos, ich danke Euch! Ich mußte Euch um diese Unterredung bitten, weil ich Euch ein Geheimniß mitzutheilen habe. Ich hätte die Sache auch Andern sagen können, aber ich habe just Euch allein gewählt, weil — —“

„Weil wir neben einander saßen und Ihr mich also am allerleichtesten hierherbescheiden konntet, nicht wahr, Donna Eulalia?“

„Allerdings! Nämlich: Sennor Bernardo erzählte von den zwei Räubern, welche Ihr verfolgt. Diese sind hier auf unserm Rancho gewesen.“

„Ah! Wann?“

„Sie gingen vorgestern früh wieder fort.“

„Wohin?“

)Ein aus 24 Bambusstücken bestehendes, wohl 50 Pfund schweres Musikinstrument.

„Ueber die Sierra Nevada nach San Franzsico. Ich sprach viel mit ihnen von Sennor Allano, und sie wollen ihn besuchen.“

Das war allerdings eine mir werthvolle Mittheilung, und ich errieth sehr leicht den ganzen Zusammenhang. Die Sennora sprach mit jedermann gern von Allan; sie hatte ihn auch gegen die Morgans erwähnt, und von diesen war die treffliche Gelegenheit, sich an Bernard zu rächen und seinen jedenfalls mit bedeutenden Mitteln ausgerüsteten Bruder zu berauben, sofort mit Freuden ergriffen worden.

„Wißt Ihr genau, daß es diese Beiden waren, Donna Eulalia?“

„Sie waren es, denn Alles stimmt, obgleich sie andere Namen nannten.“

„Ihr seid von ihnen über Eure Schwester und Sennor Allan sehr genau ausgefragt worden?“

„Ja. Ich mußte ihnen sogar ein Zeichen mitgeben, daß sie bei mir gewesen waren.“

„Worin bestand dieses Zeichen?“

„Aus einem Briefe, den mir der Mann meiner Schwester einmal nach San Jose schrieb.“

„Lebt dieser noch?“

„Ja. Es ist der Besitzer vom Hotel Valladolid in der Sutterstreet und heißt Henrico Gonzalez.“

„Seit wann ist Sennoritta Alma von ihm fort?“

„Seit drei Monaten.“

„Wollt Ihr mir einmal die Beiden, welchen Ihr diesen Brief gegeben habt, recht genau beschreiben?“

Sie that es, und ich gewann die Ueberzeugung, daß es allerdings die beiden Morgans gewesen waren. Sie hätte diese Mittheilung ganz offen bei Tafel machen können, doch konnte ich ihr bei der Wichtigkeit ihrer Mittheilung nicht zürnen, daß sie mir Veranlassung zu dem gegenwärtigen kleinen Spaziergang gegeben hatte. Darum dankte ich ihr verbindlichst, worauf sie wieder dem Thore zuschritt.

Als auch ich ein wenig später in das Zimmer trat, war ich bereits erwartet worden. Die Gefährten wollten sich zur Ruhe legen, und es sollte die Wache ausgeloost werden, da wir diese Maßregel selbst hier im Rancho für nothwendig hielten. Als dies geschehen war, suchten wir unser Lager auf.

Um die Beschaffenheit desselben beurtheilen zu können, muß man mit dem Innern eines Rancho bekannt sein. Ein solches Gebäude hat meist nur einen einzigen wirklichen Wohnraum, denjenigen, welchen Sennora Eulalia „Zimmer“ genannt hatte. Hier wohnt und schläft Alles, was zum Hause gehört, nebst den etwaigen Gästen in patriarchalischer Weise beisammen. Unter — „was zum Hause gehört“ — sind oft auch die milchenden Kühe, zugerittenen Pferde, Schafe, Schweine, Hühner, Hunde und Katzen gemeint. Der Boden besteht aus steinfest geschlagenem Lehm, und auf demselben ist etwas Gras oder Moos ausgebreitet, welches ein permanenter Aufenthaltsort von Skorpionen, Spinnen, Tausendfüßen und anderem Gewürm ist und des Nachts als Unterbett gebraucht wird. Der Poncho dient dabei als Decke.

So war es auch in unserem Rancho. Don Vernando de Venango, Sennora Eulalia, Sennoritta Alma, die alte Negerin, sämmtliche Vaqueros und endlich auch wir lagen dicht neben einander wie in einer deutschen Herberge, in welcher man für drei Pfennige das Recht erhält, auf der Streu zu schlafen und sich der Lehne eines umgelegten Stuhles als Kopfkissen zu bedienen. Ich hätte mir lieber draußen im Freien einen Platz gesucht, durfte aber diesen Verstoß gegen die Gastpflichten nicht wagen, da hierin eine außerordentliche Beleidigung gelegen hätte.

Am andern Morgen brachen wir auf, gefolgt von den freundlichen Wünschen aller Bewohner des Rancho; selbst der Vaquero, welchen ich niedergeschlagen hatte, mußte uns — Sennora Eulalia zu Gefallen — wohl oder übel eine glückliche Reise wünschen.

Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo begleitete uns eine bedeutende Strecke Weges zu Pferde und kehrte erst gegen Mittag wieder um. Er schien die Mormonenmissionare ungern scheiden zu sehen, trotzdem er durch sie um seinen ganzen Basilikjulep gekommen war.

In Folge der geheimnißvollen Mittheilung Sennora Eulalia’s brauchten wir unsern früheren Reiseplan nicht streng einzuhalten, und als wir den Mona-See erreichten, hielten wir dort eine viel kürzere Rast, als vorher geplant gewesen war; unsere Pferde hatten ja im Rancho beinahe einen vollen Tag gerastet.

Dann ging es in raschen Tagemärschen über die Sierra Nevada, hinab nach Stockton und endlich von da nach San Franzsico, dem Ziele unserer Wanderung.

Linie 621
(628)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial DDie Stadt liegt auf der äußersten Spitze einer Landzunge, hat das große Weltmeer im Westen, die herrliche Bai im Osten und den Eingang zu dieser Bai im Norden. Der Hafen von San Franzsico ist vielleicht der schönste und sicherste der Erde und hat zugleich eine Ausdehnung, welche gestatten würde, die Flotten aller Länder darin zu versammeln. Allüberall sieht man das geschäftigste Treiben, ein unbeschreiblich wirres Durcheinanderlaufen der buntesten Bevölkerung, die man sich nur vorstellen kann. Zu den Europäern aller Nationalitäten gesellen sich die wilden oder halbcivilisirten Rothhäute, welche ihr Wild hier zu Markte bringen und dafür vielleicht zum ersten Male einen Preis erhalten, der nicht geradezu ein betrügerischer genannt werden kann. Hier geht der stolze, malerisch gekleidete Mexikaner neben dem schlichten Schwaben, der langweilige Engländer neben dem beweglichen Franzosen; der indische Kuli im weißen Baumwollenkleide begegnet dem schmutzigen polnischen Juden, der elegante Dandy dem rauhen Hinterwäldler, der handelnde Tyroler dem Goldsucher, dessen Haut gebräunt, dessen Haar ungekämmt und unter dessen wirrem Barte Alles verschwunden ist, was man gewöhnlich mit dem Ausdruck „Physiognomie“ zu bezeichnen pflegt. Hier ist zu treffen der Mongole aus den Hochebenen Asien’s, der Parsi aus Kleinasien oder Indien, der Malaye der Sunda-Inseln und der Chinese vom Strande des Yang-dse-kiang.

Diese „Söhne aus dem Reiche der Mitte“ bilden den hervorragendsten fremdländischen Typus der hiesigen Bevölkerung. Sie scheinen alle sammt und sonders über einen Kamm geschoren und über einen Leisten geschlagen zu sein. Bei Allen ist die Nase kurz und gestülpt; bei Allen ragt der Unterkiefer über den Oberkiefer hervor; Alle haben die häßlich aufgeworfenen Lippen, die eckig hervorstehenden Backenknochen, die schief geschlitzten Augen, die nämliche Gesichtsfarbe, bräunlich grün ohne alle Schattirung, ohne eine Spur von dunklerer Färbung der Wangen, hellerer Farbe der Stirne; überall sieht man in den häßlichen, nichtssagenden Zügen den Ausdruck, den man mit dem Worte leer bezeichnen möchte und der in Folge dessen nicht einmal ein Ausdruck wäre, wenn nicht aus den zugeblinzten Augen ein Etwas blickte, welches sie Alle kennzeichnet: die List.

Die Chinesen sind die hervorragendsten, man möchte sagen, die einzigen Arbeiter San Franzsico’s. Diese kleinen, runden,

wohlgenährten und dabei doch außerordentlich beweglichen Gestalten besitzen eine seltene Anlage für alle nur erdenkliche Art von Verrichtung und besonders eine ebenso große Fertigkeit in allen erdenklichen Arbeiten, bei denen es auf Geschicklichkeit der Hände und auf Geduld ankommt. Sie schnitzen in Elfenbein oder Holz, drechseln in Metall, sticken auf Tuch, Leder, Baumwolle, Leinen und Seide; sie stricken und weben, zeichnen und malen, klöppeln und posamentiren; sie flechten die scheinbar unschmiegsamsten Dinge zusammen und bringen seltsame, bewundernswerthe Arbeiten hervor, die ihnen die Kundschaft aller Kuriositätensammler sichern.

Dazu kommt, daß sie bescheiden sind und mit dem kleinsten Profit fürlieb nehmen. Sie fordern zwar unverschämt, aber man weiß, daß sie mit sich handeln lassen und zuschlagen werden, wenn man ihnen ein Drittel oder gar ein Viertel ihrer Forderung bietet. Auch der Taglohn, welchen man ihnen zahlt, ist geringer, als derjenige, welchen man einem Weißen gibt; allein derselbe ist doch noch zehnmal höher, als in ihrem Vaterlande, und da sie wenig ausgeben, weil sie über alle Begriffe genügsam und sparsam leben, so kommen sie sehr gut voran. Die sämmtlichen kleinen Handwerke sind in ihren Händen, und sowohl die Wäsche, als auch die Bedienung des Hauses und der Küche wird von ihren Weibern besorgt.

Aber nicht bloß die Chinesen sind thätig, sondern fabelhaft ist überhaupt die Geschäftigkeit aller Bewohner der Stadt. Die Leute haben alle nur einen Zweck: sie wollen Geld verdienen, und zwar möglichst viel und schnell. Alle wissen, daß Zeit Geld ist, Alle wissen, daß, wer den Andern aufhält, sich selbst hinderlich ist. Aufgehalten aber will Niemand sein, und darum geht stets Alles ohne Stockung ab. Jeder bemüht sich, so viel wie möglich, dem Andern aus dem Wege zu gehen, um für sich selbst freie Bahn zu haben.

So ist es in den Häusern und Höfen, so ist es auch auf den Straßen und Plätzen der Stadt. Die blasse, schmächtige Amerikanerin, die stolze, schwarzäugige Spanierin, die blonde Deutsche, die elegante Französin, die farbigen „Damen“ alle, sie gehen, schweben, eilen, trippeln hin und her; der reiche Banquier mit Frack, Handschuh und Zylinder trägt in der einen Hand einen Schinken und in der andern einen Gemüsekorb; der Ranchero schwingt ein Netz mit Fischen über die Schulter, um damit den Festtag zu feiern;

ein Milizoffizier hält einen gemästeten Kapaun gefangen; ein Quäker hat einige mächtige Hummern in die gleich einer Schürze aufgerafften Schöße seines langen Rockes verpackt — und das alles bewegt sich neben, vor, hinter und durch einander, ohne sich zu stören.

Wir kamen bei unserem Einzuge in die Metropole des Goldlandes unbehelligt und unbelästigt durch dieses Gewimmel und Getümmel bis in die Sutterstreet, wo wir sehr bald das Hotel Valladolid fanden. Es war ein Hotel im californischen Style und bestand aus einem langen, tiefen und einstöckigen Brettergebäude, ganz ähnlich den Eintags-Trinkbuden, welche man auf unseren Schützenfesten findet.

Wir übergaben unsere Pferde dem Horsekeeper, welcher sie in einen kleinen Schuppen brachte; wir selbst aber traten in die Gaststube, die trotz ihrer ungeheuren Größe doch so voll war, daß wir kaum einen Tisch für uns zu erobern vermochten. Ein Barkeeper hatte uns bemerkt und kam herbei. Wir bestellten — Jeder nach seinem Appetite, und als das Verlangte gebracht wurde, begannen auch sofort meine Erkundigungen:

„Ist Master oder Sennor Henrico Gonzalez zu sprechen?“

„Yes, Sir. Wünscht Ihr ihn?“

„Ja, wenn ich bitten darf!“

Ein hoher, ernster Spanier kam auf uns zu und stellte sich als Sennor Henrico vor.

„Können Sie uns nicht sagen, ob ein gewisser Allan Marshal noch bei Ihnen boardet?“

„Weiß nicht, Sennor; kenne ihn nicht; kenne Keinen; bekümmere mich überhaupt ganz und gar nicht um die Namen meiner Gäste. Das gehört zum Ressort der Sennora.“

„Ist diese zu sprechen?“

„Weiß auch nicht. Müßt einmal eins der Mädchen fragen!“

Damit wandte er sich ab. Er schien zur Sennora in ganz demselben Verhältnisse zu stehen, wie der Ranchero Fernando de Venango zu Donna Eulalia, ihrer Schwester. Ich erhob mich also und steuerte derjenigen Himmelsrichtung zu, aus welcher sich ein höchst einladender Bratenduft über das ganze Etablissement verbreitete. Dabei traf ich wirklich auf eine kleine, schlanke Frauensperson, welche mit irgend Etwas in der Hand vorbeihuschen wollte. Ich ergriff sie beim Arm und hielt sie fest.

„Wo ist die Sennora, meine Kleine?“

Ihre dunklen Augen blitzten mich zornig an.

„Vous êtes un âne!“

Aha, eine Französin! Sie riß sich höchst indignirt los und eilte fort. Ich steuerte weiter. An der Ecke eines Tisches traf ich mit einer zweiten Hebe zusammen.

„Mademoiselle, wollen Sie mir wohl sagen, ob die Sennora zu sprechen ist?“

„I am not mademoiselle!“

Weg war sie. Also eine Engländerin oder Amerikanerin! Aber wenn ich so der Reihe nach alle Nationalitäten durchzugehen hatte, ehe ich zu meiner Sennora gelangen konnte, so kam ich vor Abends nicht zu ihr! Aber da drüben stand Eine, die mir mit den Augen folgte und — ja wirklich, dieses Gesicht mußte ich schon gesehen haben! Ich stach von Neuem in See und hielt direkt auf sie zu; aber noch hatte ich sie nicht ganz erreicht, so schlug sie die Hände zusammen und sprang auf mich los, als ob sie es darauf abgesehen habe, mich in den Sand zu rennen.

„Herr Nachbar, ist’s möglich? Fast hätte ich Sie gar nicht erkannt, so einen Bart lassen Sie sich hier stehen!“

„Alle Wetter! Gustel, Ebersbach’s Gustel! Beinahe hätte auch ich Sie nicht erkannt, so herausgewachsen sind Sie! Aber wie kommen Sie von daheim herüber nach Amerika, nach Californien?“

„Die Mutter starb, kurz nachdem Sie wieder einmal in alle Welt gegangen waren; da kam ein Agent, und der Vater ließ sich bereden. Es ging anders, als er dachte. Er ist jetzt mit dem Bruder da oben, wo so viel Gold liegen soll, und hat mich hier gelassen, wo ich es gut habe und warten werde, bis sie zurückkehren.“

„Wir werden uns noch weiter sprechen; jetzt aber sagen Sie mir einmal, wo die Sennora zu finden ist! Ich habe zwei Ihrer Colleginen nach ihr gefragt und nur Grobheiten als Antwort erhalten.“

„Das ist leicht erklärlich, denn die Madame darf nur Donna genannt werden, am liebsten Donna Elvira.“

„Werde es beherzigen! Also, ist sie zu sprechen?“

„Ich will einmal nachsehen. Wo sitzen Sie?“

„Dort am zweiten Tische.“

„Gehen Sie hin; ich werde Sie benachrichtigen, Herr Nachbar!“

Das war wieder eines jener wunderbaren Zusammentreffen, deren ich so viele zu verzeichnen habe. Ihr Vater und der meinige waren Nachbarn und Beide hatten sich gegenseitig Gevatter gestanden. Jetzt stack der alte Tischlermeister droben in den Goldminen; seine beiden Söhne, von denen der ältere mein Schulkamerad war, befanden sich bei ihm, und im ersten Wirthshause, welches ich hier in San Franzsico betrat, mußte ich seine Jüngste finden, die Gustel, die mir, als ich sie noch auf den Armen trug, immer das dicke, dichte Haar zerzauste, daß es kerzengerad in die Höhe stand. Dann lachte sie und pinselte mir mit dem kleinen Näschen im Gesichte herum — ich hätte damals nicht gedacht, daß wir uns einmal in Californien sehen würden!

Sie kam bereits nach kurzer Zeit zu mir.

„Die Sennora will Sie sehen, obgleich sie eigentlich jetzt ihre Sprechstunde nicht hat.“

„Sprechstunde? Eine Wirthin?“

Gustel zuckte die Achsel.

„Sie hat sie aber, und zwar täglich zweimal: morgens von elf bis zwölf und Nachmittags von sechs bis sieben. Wer außer dieser Zeit kommt, muß warten, wenn er nicht gut empfohlen ist.“

„Aha, danke schön!“ lachte ich. „Man glaubt gar nicht, was eine freundliche Nachbarin zu bedeuten hat!“

„Nicht wahr? Na, da kommen Sie!“

Die Sache hatte ganz den Anstrich, als ob ich eine Audienz bei einer hervorragenden politischen oder sonstigen Größe haben sollte. Ich wurde in einen anstoßenden kleinen Raum geführt, welcher ganz à la Vorzimmer ausgestattet war, und in dem ich nach Gustel’s Weisung so lange warten sollte, bis hinter der daselbst befindlichen Portière eine Klingel ertönen werde.

Das war höchst interessant, zumal ich beinahe eine halbe Stunde warten mußte, bis das Zeichen gegeben wurde. Ich trat ein und befand mich in einem Zimmer, welches mit einer Sammlung von allen möglichen Mobiliar- und Ausstattungsgegenständen förmlich überladen war. Donna Elvira mußte unbedingt ein Zimmer haben, ein schön und reich möblirtes Zimmer, und sie hatte es sich auch möblirt und ausgestattet, daß man von der Wand nicht die Breite eines Zolls zu finden vermochte. Sie saß auf einem Sopha, sich mit der Hand auf eine Landkarte stützend, welche über die Seitenlehne herunterhing; auf ihrem Schooße lag eine Guitarre, neben ihr eine angefangene Stickerei, und vor ihr stand eine Staffelei, nota bene zwischen ihr und dem Fenster, so daß von Licht keine Rede war, und auf dem aufgeklebten weißen Bogen bemerkte ich zwei angefangene Skizzen; die eine sollte, wenn ich nicht irre, den Kopf eines Katers oder einer alten Frau vorstellen, der die Morgenhaube noch fehlte; und die andere war jedenfalls eine zoologische, nur konnte ich den Gegenstand nicht so recht klassificiren. Entweder sollte diese Zeichnung einen Pottwal in homöopathischer Verdünnung oder einen Bandwurm in hydrooxygengasmikroskopischer Verdickung darstellen.

Ich verbeugte mich sehr tief und sehr devot. Sie schien dies nicht zu bemerken, sondern hielt ihr Auge starr auf einen Punkt des Plafond gerichtet, an welchem ich nicht das Mindeste entdecken konnte. Plötzlich aber warf sie den Kopf mit einem schnellen Ruck herum und fragte:

„Wie weit ist der Mond von der Erde entfernt?“

Diese Frage überraschte mich nicht; ich hatte eine solche Extravaganz erwartet. Aber — kommst Du mir so, so komme ich Dir so:

„Zweiundfünfzigtausend Meilen, nämlich Montags; Sonnabends aber, in der Erdnähe, nur fünfzigtausend.“

„Richtig!“

Sie studirte den betreffenden Punkt von Neuem; dann erfolgte derselbe plötzliche Ruck zu mir herum, und sie frug:

„Woraus werden die Rosinen gemacht?“

„Aus, Weintrauben!“

„Sehr richtig!“

Der unglückliche Punkt mußte zum dritten Male herhalten, dann schleuderte sie mir die Frage entgegen:

„Was ist Poil de chèvre?!“

„Ein Kleiderstoff, fünfzehn Ellen für den Escudo d’oro, wird aber jetzt nicht mehr viel getragen.“

„Richtig! Und nun seid mir willkommen, Sennor! Augusta bat mich um meine Gunst für Euch; ich bin aber damit nicht sehr verschwenderisch und pflege Jeden, der sich um dieselbe bewirbt, einem Examen zu unterwerfen. Ihr Deutschen seid wegen Eurer Gelehrtheit bekannt, darum habe ich Euch aus verschiedenen Gebieten des menschlichen Wissens die schwierigsten Fragen hervorgesucht, und Ihr habt trefflich bestanden, obgleich Ihr eher das Aussehen eines Bären als eines Gelehrten habt. Aber Augusta sagte mir, daß Ihr viele Schulen besucht und alle Länder und Völker kennen gelernt habt; setzt Euch nieder, Sennor!“

„Danke, Donna Elvira de Gonzalez,“ antwortete ich, sehr bescheiden auf der Ecke eines Stuhles Platz nehmend.

„Ihr wünscht in meinem Hause zu logiren?“

„Ja.“

„Ihr dürft es, denn Ihr seid ein sehr höflicher Mann, wie ich sehe, und auch Euer Aeußeres wird ein anständigeres werden, wenn Ihr Euch ein wenig Mühe gebt. Wart Ihr in Spanien?“

„Ja.“

„Was sagt Ihr zu dieser Karte, die ich über mein Vaterland entworfen habe?“

Sie reichte mir das Blatt hin. Es war durch Seidenpapier nachgezeichnet und zwar nach einem schlechten Originale.

„Sehr genau, Donna Elvira de Gonzalez!“

Sie nahm mein Lob als ein höchst selbstverständliches entgegen.

„Ja, wir Damen haben uns endlich emanzipirt, und unser größter Triumph ist es, in die Tiefen der Wissenschaft einzudringen und es auch in den schönen Künsten den Männern zuvorzuthun. Seht Euch diese beiden Gemälde an; sie sind unübertrefflich in der Grandiosität des Objektes. Diese Feinheit der Linien, diese Schattierung, dieser Reflex des Lichtes! Ihr seid ein Kenner, aber dennoch muß ich Euch prüfen. Was stellt hier dieses vor?“

Ich hätte eine schmähliche Niederlage erlitten, wenn mir nicht die „Grandiosität des Objektes“ einen deutlichen Fingerzeig gegeben hätte. Darum antwortete ich mit kalter Verwegenheit:

„Die Seeschlange natürlich!“

„Richtig! Zwar hat sie noch Niemand deutlich gesehen, aber wenn der Geist des Forschers Räume mißt, in die er niemals eindringen kann, so ist es auch dem Auge des Künstlers gegeben, Gestalten zu erfassen, die er noch nicht erblicken konnte. Und diese Zeichnung?“

„Ist der Gorilla des berühmten Du Chailly.“

„Richtig! Ihr seid der gelehrteste Mann, der mir vorgekommen ist, denn noch Keiner hat vor Euch die Seeschlange und den Gorilla sofort erkannt; Ihr seid zu jeder akademischen Würde reif!“

Der gerechte Stolz, den diese Anerkennung in mir erweckte, hatte beinahe dieselbe Wirkung wie der Knoblauch und die Zwiebeln der guten Donna Eulalia. Deren geniale Schwester zeigte auf den Tisch, der am Eingange stand.

„Ich beherrsche auch mein Haus, ohne in nähere Berührung mit den materiellen Dingen der Wirthschaft zu kommen. Dort ist Tinte, Feder und das Buch. Schreibt Euren Namen ein!“

Ich that es und fragte darauf:

„Darf ich vielleicht auch gleich die Namen meiner Gefährten eintragen?“

„Ihr habt Gefährten?“

„Ja.“

„Wer sind sie?“

Ich fing bei den Farbigen an:

„Bob, mein schwarzer Diener.“

„Natürlich, denn ein Mann, der meine Seeschlange auf den ersten Blick erkennt, kann nur mit Domestiken reisen. Aber diese trägt man nicht ein. Weiter!“

„Winnetou, der Häuptling der Apachen.“

Sie machte eine Bewegung der Ueberraschung.

„Der berühmte Winnetou?“

„Derselbe!“

„Den muß ich sehen; den stellt Ihr mir vor! Schreibt ihn ein!“

„Sodann ein gewisser Sans-ear, der — — —“

„Der Indianertödter?“

„Ja.“

„Tragt ihn ein, tragt ihn ein! Ihr reist ja in ganz außerordentlicher Gesellschaft. Weiter !“

„Der Vierte und Letzte ist ein Master Bernard Marshal, Juwelier aus Louisville, Kentucky.“

Jetzt wäre sie beinahe von ihrem Sitze aufgesprungen.

„Was Ihr da sagt! Ein Juwelier Marshal aus Louisville!“

„Er hat einen Bruder, Namens Allan, welcher so glücklich war, bei Euch logiren zu dürfen, Donna Elvira de Gonzalez.“

„So vermuthete ich also richtig! Schreibt auch ihn sofort ein, Sennor! Ihr sollt den besten Schlafraum haben. Zimmer gibt es natürlich im Hotel Valladolid nicht, aber Ihr sollt dennoch mit meinem Hause vollständig zufrieden sein, und für heute Abend seid Ihr Alle in mein Privatspeisezimmer zur Tafel geladen!“

„Danke, Donna Elvira! Ich gebe Euch die Versicherung, daß ich eine solche Auszeichnung sehr wohl zu schätzen weiß. Ich pflege die Erfahrungen, welche ich mir auf meinen Reisen sammle, im Drucke der Oeffentlichkeit zu übergeben und werde nicht unterlassen, Hotel Valladolid sehr warm zu empfehlen.“

„Thut dies, Sennor, obgleich ich mir Eure Erscheinung nicht gut beim Schreibtische denken kann. Habt Ihr vielleicht eine Bitte? Ich werde sie Euch gern erfüllen!“

„Eine Bitte nicht, aber eine Erkundigung möchte ich mir gestatten.“

„Welche?“

„Allan Marshal wohnt nicht mehr bei Euch?“

„Nein. Er hat mein Haus vor wohl drei Monaten verlassen.“

„Wohin ging er?“

„Nach den Diggins am Sacramento.“

„Erhieltet Ihr einmal Nachricht von ihm?“

„Ja, einmal. Er gab mir den Platz an, wohin ich ihm etwaige Briefe nachsenden sollte.“

„ Könnt Ihr Euch desselben entsinnen?“

„Sehr gut, denn der Betreffende ist ein näherer Bekannter meines Hauses. Master Holfey, Yellow-water-ground, ein Kaufmann, bei dem die Goldsucher alles bekommen können.“

„Sind seit seiner Abreise von hier Briefe an Allan angekommen?“

„Einige, die ich ihm stets mit der nächsten Gelegenheit nachgeschickt habe. Und dann — ja, kürzlich waren zwei Männer da, welche nach ihm fragten — Geschäftsfreunde, die nothwendig mit ihm zu verhandeln hatten; auch ihnen habe ich seine Adresse gegeben.“

„Winn sind sie fort?“

„Wartet einmal, ja — gestern früh ritten sie fort.“

„Es war ein Aelterer und ein Jüngerer?“

„Allerdings. Sie schienen Vater und Sohn zu sein. Sie waren mir von meiner Schwester empfohlen, bei welcher sie Gastfreundschaft genossen hatten.“

Ich nickte und sagte:

„Ihr meint den Rancho von Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo!“

„Was, Ihr kennt diesen Mann?“

„Sehr gut, und ebenso auch Eure Schwester Donna Eulalia, bei welcher wir gewesen sind, ohne daß ich sie gebeten habe, mir einen Brief als Legitimation mitzugeben.“

„Ist das möglich? Erzählt, Sennor, erzählt!“

Ich stattete ihr den gewünschten Bericht ab, wobei ich allerdings nicht an allzu großer Offenherzigkeit litt. Sie hörte mir mit regem Interesse zu und meinte, als ich fertig war.

„Ich danke Euch, Sennor! Ihr seid der erste Deutsche, welcher mit einer spanischen Donna in der rechten Weise zu verkehren versteht. Ich freue mich auf das heutige Souper und werde Euch zeitig benachrichtigen lassen. A dios!“

Ich that eine ehrfurchtsvolle Verbeugung, welche mit meinem äußeren Habitus gewiß im lebhaftesten Zwiespalt gestanden hat, und bewegte mich rückwärts zur Portière hinaus. Als ich in die Gaststube trat, richteten sich die Blicke der bedienenden Geister

mit sichtbarer Achtung auf mich. Gustel Ebersbach war gleich vorhanden und kam eilig herbei.

„Nein, Herr Nachbar, sind Sie ein Glückskind! So lange hat noch kein Mensch Audienz bei der Donna gehabt, nicht einmal halb so lang. Sie müssen ihr sehr gefallen haben!“

„Im Gegentheile!“ erwiederte ich lachend. „Sie will mich nur unter der Bedingung hier behalten, daß ich mich bessere. Sie meinte, ich sähe leibhaftig wie ein Bär aus.“

„Hm, so ganz Unrecht hat sie nicht; aber da kann ich helfen. Ich werde Sie hinauf in meine Kammer führen und Ihnen Alles besorgen, was Sie brauchen: Rasirzeug, Wasser, Seife, Alles, Alles!“

„Das wird nicht nöthig sein, denn wir werden bald unser Logis angewiesen bekommen.“

„Glauben Sie das nicht. Die Befehle in Beziehung der Logis habe ich erst Punkt Acht zu holen, keine Minute eher.“

„Wir sollen das beste Logis bekommen,“ sagte die Donna. „Wo wird das sein?“

„Die Logements sind allesammt droben unter dem Dache. Sie werden also denjenigen Verschlag erhalten, welcher sich durch die frischeste Luft auszeichnet.“

In diesem Augenblick ertönte der laute Schall einer Glocke.

„Das ist sie, Herr Nachbar. Ich muß hinein, denn wenn sie zu so ungewöhnlicher Zeit ruft, muß Etwas passirt sein.“

Sie eilte davon, und ich setzte mich zu den Gefährten, welche, trotzdem hier in San Franzsico das Erscheinen eines Westmannes oder Indianers etwas ganz Gewöhnliches ist, dennoch die Blicke auf sich zogen. Besonders war es die majestätische Gestalt und das ganze charaktervolle Aeußere Winnetou’s, welches die Aufmerksamkeit erregte, und daß Sam, dem Kleinen, die Ohren fehlten, mußte einen Jeden zu der Ueberzeugung bringen, daß er Manches erlebt haben müsse, was Keinem von ihnen widerfahren war.

„Nun?“ frug Bernard.

„Er ist bereits vor drei Monaten fort und hat nur ein einziges Mal vom Yellow-water-ground Nachricht von sich gegeben. Eure Briefe sind ihm dahin nachgeschickt worden.“

„Wo ist dieser Ort?“

„Es ist, so viel ich mich besinne, ein Nebenthal des Sacramento, in welchem viel Gold gefunden worden ist. Es soll dort von Diggers ) förmlich gewimmelt haben, jetzt aber scheinen sie sich noch weiter am Flusse hinaufgezogen zu haben.“

„Hat er hier irgend Etwas deponirt?“

„Habe wirklich Donna Elvira nicht darnach gefragt.“

„Müssen sie aber dennoch darnach fragen!“

„Dazu wird sich bald die Gelegenheit geben. Wir sind nämlich Alle zum Souper geladen.“

„Ah, das ist freundlich! Uebrigens werde ich mich bei unserm Bankhause erkundigen, ob er dagewesen ist.“

Jetzt kam meine freundliche Nachbarin auf uns zu.

„Herr Nachbar, ich wurde Ihretwegen gerufen. Das Souper ist um neun, und Ihre Zimmer soll ich Ihnen schon jetzt anweisen.“

„Zimmer? Ich denke, solche sind gar nicht da!“

„Es gibt da hinten einen Anbau, welcher einige Räume enthält. Dabei sind zwei Stuben, welche die Donna nur benutzt, wenn Besuch von Verwandten kommt.“

„Dort hat wohl auch Donna Alma gewohnt?“

„Ja, ich habe davon gehört, obgleich ich damals noch nicht hier gewesen bin.“

„Haben Sie nicht gehört, ob diese Dame einen gewissen Allan Marshal kannte, der damals hier logirt hat?“

„O ja. Man hat darüber viel gesprochen und gelacht. Sie hat diesem Herrn förmlich nachgestellt, so daß er sich ihrer kaum erwehren konnte. Doch kommen Sie; ich habe bereits die Schlüssel!“

Wir standen auf und folgten ihr. Die beiden Stuben, welche wir erhielten, waren gegen die übrige Ausstattung des „Hotel“ kostbar zu nennen; die eine bekam Winnetou mit Sans-ear und die andere ich mit Bernard. Bob erhielt einen eigenen Raum angewiesen.

)Goldsucher.

Die gefällige Nachbarstochter versorgte uns mit Allem, was nöthig war, unserem äußeren Menschen ein mehr civilisirtes Aussehen zu geben, und so waren wir bald in der Lage, ausgehen zu können. Winnetou blieb zurück; er war zu stolz, um den Menschen auf den Straßen und Plätzen der Stadt als Gegenstand der Schaulust zu dienen. Auch Sam streckte sich auf sein Lager.

„Was soll ich mit?“ meinte er. „Laufen kann ich; das brauche ich hier zum Beispiel nicht erst zu üben, und Häuser und Menschen habe ich bereits genug gesehen. Macht, daß wir aus diesem unruhigen Neste bald wieder hinauskommen in die Savanne, sonst wachsen mir vor lauter Langweile die Ohren wieder, und dann hat es mit „Sans-ear“ ein Ende!“

Der gute Sam befand sich erst einige Viertelstunden hier und empfand doch bereits Sehnsucht nach der freien Prairie. Wie muß es den „Wilden“ zu Muthe sein, wenn sie, um „gebessert“ zu werden, in die enge einsame Zelle einer Philadelphischen oder Aumburn’schen Zwingburg gesteckt werden, weil sie sich wehren, hinaus geworfen zu werden aus den Gründen, die ihre Heimat sind, ihnen Nahrung geben und die Grabhügel ihrer Väter und Brüder bergen!

Wir gingen, nämlich ich und Marshal, zu dem Banquier, mit welchem Marshal in Geschäftsbeziehung gestanden hatte, und erfuhren nur, daß Allan einige Male vorgesprochen habe und dann nach einem kurzen Abschiede in die Minen gezogen sei. Er hatte alle Geldmittel flüssig gemacht und mitgenommen, um damit Nuggets (Goldkörner und Goldklümpchen) zu kaufen.

Nach diesem erfolglosen Besuche schlenderten wir durch die Stadt, bis mich Bernard plötzlich in einen Store ) zog, in welchem alle möglichen Arten und Größen von Kleidungsstücken zum Verkaufe hingen. Hier konnte man sich die feinste mexikanische Tracht auswählen, ebenso wie den leinenen Arbeitskittel des Kuli. Jede Art dieser verschiedenen Gewänder hatte ihren besonderen Platz, und jeder einzelne Anzug war vollständig.

Die Absicht Bernard’s war sehr leicht zu errathen. Unsere Anzüge, aus so festem Stoffe sie auch bestanden, hatten während der langen Reise so gelitten, daß wir wirklich nicht nur ein wenig, sondern sogar recht sehr schäbig aussahen. Rasirt waren wir; das Haar hatten wir einander auch geschnitten, aber das Habit, mit dem sah es gewaltig schlimm aus. Ich merkte beim Einkaufe, daß der gute Bernard Geschmack besaß. Er kaufte sich einen halb Indianer- und halb Trapperanzug, der ihm ganz nett stand; nur war der Preis auch den Verhältnissen San Franzsico’s angemessen.

„Nun kommt, Charley; auch für Euch einen!“ meinte er, als er vollständig ausstaffirt war. „Ich werde Euch aussuchen helfen.“

Hm, ich brauchte allerdings so Etwas höchst nothwendig, aber für diese Art von Preis war meine Kassa nicht ganz eingerichtet. Ich habe niemals zu denjenigen unglücklichen Leuten gehört, welche überall, wo sie hingreifen, einen Hundertmarkschein zwischen die Finger bekommen und überall, wo sie hingehen, über einen Sack mit Sovereigns stolpern; sondern ich gehöre zu jenen beneidenswerthen Menschen, welche das süße Bewußtsein haben, heut zu verdienen, was sie morgen brauchen, und darum mag ich wohl ein etwas resignirtes Gesicht gemacht haben, als sich Marshal gleich nach seinen Worten auch sofort an das „Aussuchen“ machte.

Das war nun keine so leichte Arbeit, als er sich gedacht haben mochte, denn es wollte sich die rechte Länge und Breite nicht finden, bis uns der Clerk endlich eine ächte und vollständige Mountains-dreß brachte, die er für ganz besondere Fälle reservirt hatte. Die war nun allerdings höchst praktisch und dabei haltbar: — ein Jagdhemd von schneeweiß gegerbtem Hirschkalbleder, von Indianerinenhänden zierlich mit Roth gestickt; Leggins aus Hirschrücken, an den Seiten ausgefranst; einen Jagdrock von Büffelhaut, aber doch geschmeidig wie ein Eichhörnchenfell; Stiefel von Bärenseite, deren Schäfte ich weit über die Lenden heraufziehen konnte; die Sohlen aus dem besten Stoffe, den es für diesen Zweck nur geben kann, nämlich aus der Haut vom Schwanze eines ausgewachsenen Alligatoren — und endlich eine Bibermütze,

)Laden.

deren oberer Rand und Deckel mit einer künstlich dauerhaft gemachten Klapperschlangenhaut verziert war. Bernard that es nicht anders, ich mußte in einer kleinen Nebenkabine den Anzug anprobiren, und als ich heraustrat, hatte er ihn bereits bezahlt. Ich wäre ihm gern ein wenig bös darüber geworden, brachte dies aber, offen gestanden, nicht recht fertig.

„Laßt das gut sein, Charley; ich bin Euch noch sehr viel schuldig, und wenn Ihr das nicht zugeben wollt, so werde ich diese Sachen auf Euer Konto schreiben, welches wir schon einmal begleichen werden!“

Auch für Sam wollte er Einiges mitnehmen; ich rieth ihm aber davon ab, weil ich die Anhänglichkeit des Kleinen an seinen uralten Habitus sehr genau kannte und überdies unser Sans-ear eine Statur besaß, die ganz unberechenbar war.

Die größte Freude über meine Umwandlung verrieth Bob, als wir in das „Hotel Valladolid“ zurückkehrten.

„Oh, Massa, nun sehen sehr viel gut schön aus, so schön wie Bob, wenn hätten bekommen auch neu Rock und Mütze!“

Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn mit einem dankbaren Blick für diesen gütigen Vergleich belohnen, denn ich wußte, daß der Neger damit das Höchste geleistet hatte, was er im Lobe zu leisten vermochte.

Sam Haberfield war es in seinem Zimmer doch etwas zu enge geworden. Er saß an einem der Tische ganz allein, und winkte mir, als er uns eintreten sah, uns zu ihm zu setzen.

„Hört!“ meinte er halblaut. „Da neben uns gibt es ein Gespräch, welches zum Beispiel auch uns interessiren wird.“

„Worüber?“

„Es sind da oben in den Minen und Diggins Dinge vorgegangen, die man nicht gutheißen kann. Es gibt dort eine Menge Bravos, aber keine Indianos, sondern Weiße, wie es scheint, die sich über die heimkehrenden Digger hermachen und ihnen das Leben nehmen und noch Einiges dazu. Da sitzt Einer, der ihnen nur mit genauer Noth entgangen ist. Er erzählt eben sein Abenteuer. Hört!“

An dem Tische hinter uns saßen mehrere Männer, denen man es ansah, daß sie des Lebens Gefahren und Drangsale kennen gelernt hatten, und Einer von ihnen hielt einen Vortrag, dem alle Umsitzenden mit der größten Spannung zuhörten.

„Well,“ meinte er soeben, „ich bin ein Ohiomann, und das soll heißen, daß ich Etwas erfahren habe, auf dem Strome und in der Savanne, zu Wasser und zu Lande, auf den Bergen und unten in den Thälern des Westens. Ich habe die Flußpiraten des Mississippi und die Buschklepper der Woodlands kennen gelernt und gar manchen Strauß mit ihnen ausgefochten; ich halte manchen Streich für möglich, den ein Anderer grün und weiß bezweifeln würde; aber daß solche Dinge auf einer so belebten Straße vorkommen können, und noch dazu am hellen Tage, das geht doch über das alte Gun ), mit welchem man um die Ecke zu schießen vermag.“

„Und dennoch klingt es nicht genau nach Wahrheit,“ meinte ein Anderer. „Ihr waret doch eine ganze Karawane von fünfzehn Mann gegen acht Leute; wäre das nicht eine Schande, wenn es so ist, wie Ihr erzählt?“

„Ihr sprecht sehr klug und weise, Mann; aber macht es nur erst einmal mit! Wir waren allerdings fünfzehn Männer, das heißt nämlich sechs Tropeiros ✽✽) und neun Miners. Wenn Ihr Euch auf diese Tropeiros verlassen wollt, so seid Ihr verloren, und von den neun Miners hatten drei das Fieber; sie konnten sich kaum auf den Maulthieren halten und wurden von der Krankheit bald hin, bald her geworfen, so daß sie weder einen sichern Schuß, noch einen guten Messerstoß abgeben konnten. Nun, waren wir also wirklich fünfzehn volle Männer, he?“

„Wenn Ihr die Sache so darstellt, so wird sie allerdings ein wenig einleuchtender. Aber die Straße ist doch so befahren, beritten und auch begangen, daß zu jeder Zeit Leute in der Nähe sind, von denen Hülfe zu erwarten ist!“

„Meint Ihr! Was hindert die Schelme, grade einen Augenblick abzuwarten, an dem dies nicht der Fall ist?“

„So erzählt das Ding nur richtig der Reihe nach, damit man daraus klug werden kann!“

)Schießgewehr. ✽✽) Maulthierführer, von troppa, die Herde.

„Ganz, wie es Euch beliebt, Mann! Also wir hatten da droben am Pyramidensee ein Plazer gefunden, wie es kein besseres und reichhaltigeres geben kann, und Ihr müßt es eben einmal glauben, daß nach acht Wochen ein jeder von uns Vieren seinen Zentner Staub und Nuggets beisammen hatte. Weiter ging es nicht, denn der Platz war ausgewaschen, und Zwei von uns hatten die Kälte in die Gelenke bekommen. Es ist eben kein Leichtes, von früh bis Abend bis über die Hüften im Wasser zu stehen, um die Batea ) zu schütteln. Wir packten also zusammen und gingen zurück bis in den Yellow-water-ground, wo wir unsere Ausbeute an einen Yankee verkauften, der ein Beträchtliches mehr bezahlte, als die Schurken von Tauschhändler, bei denen man für eine Unze reines Gold ein Pfund schlechtes Mehl oder ein halbes Pfund noch schlechteren Tabak bekommt. Aber der Mann hat dennoch Geschäfte gemacht; ich glaube, er hieß Marshal und war in Kentucky oder daherum zu Hause.“

Schnell drehte sich Bernard um.

„Ist er noch dort an diesem Platze?“

„Weiß es nicht, geht mich auch nichts an. Aber laßt mich in Ruhe mit unnützen Fragen; denn wenn ich das Ding wirklich so der Reihe nach erzählen soll, wie es dieser Mann hier verlangt hat, so darf ich nicht gestört werden! Also dieser Marshal, Allan Marshal hieß er wohl, kaufte uns ab, was wir hatten. Wären wir nun klug gewesen, so hätten wir uns auf die Beine gemacht. Aber erstens wollten wir uns zunächst von den gehabten Strapazen ausruhen — denn unsere Kranken bedurften der Pflege — und zweitens war auch nicht grade eine passende Reisegelegenheit da. Man munkelte so mancherlei von Raubanfällen und nannte sogar die Namen verschiedener Männer, welche die Diggins verlassen hatten und niemals in Sacramento oder San Franzsico angekommen sind.“

„War dies wahr?“

„Werdet es hören! So warteten wir einige Wochen; aber das Leben da oben ist ganz verteufelt theuer, und da man wußte, daß wir keine leeren Taschen hatten, so bestand unser ganzes Vergnügen in einer immerwährenden Retirade vor falschen Spielern und ähnlichem Ungeziefer, welches uns stündlich umschwärmte. Auch war es mit den Gelenken der beiden Kameraden ein wenig besser geworden, und so beschlossen wir, nicht länger zu warten, sondern schlossen uns fünf Männern an, welche ebenso wie wir nicht mehr bleiben wollten. Wir waren also neun Personen und mietheten uns die nöthigen Maulthiere, wodurch unsere Anzahl um sechs Tropeiros vermehrt wurde. Bewaffnet waren wir Alle vorzüglich, auch die Tropeiros, von denen übrigens jeder Einzelne das Aussehen hatte, als ob er es recht gut mit zehn Gegnern aufnehmen werde. Die Reise wurde angetreten und ging im Ganzen auch recht gut von Statten; aber es begann so anhaltend zu regnen, daß sich das Fieber wieder einstellte. Uebrigens weichte das Wasser den Weg in der Weise auf, daß nur außerordentlich schwer fortzukommen war. Wir legten an einem vollen Tage kaum acht Meilen zurück und waren des Nachts selbst in unseren Zelten nicht sicher vor der Fluth, die vom Himmel stürzte, als ob Jemand da oben eine Wolke umgeworfen hätte. Dadurch wurde das Fieber immer schlimmer, so daß wir die Kranken während des Rittes auf die Maulthiere binden mußten.“

„Verdammt schlechte Geschichte,“ meinte einer der Umsitzenden. „Habe solche Staupen auch durchgemacht und weiß sehr genau, wie Einem dabei zu Muthe ist!“

„Well! Also hatten wir ungefähr zwei Drittheile des Weges zurückgelegt und des Abends einen Lagerplatz gesucht. Wir waren beschäftigt, die Zelte aufzuschlagen, und schürten ein Feuer, welches groß genug war, die Gegend tageshell zu erleuchten. Da plötzlich krachte eine Salve rund herum. Ich kniete eben im Schatten eines Zeltes am Boden und war daran, eine Leine an den Pflock zu binden, weßwegen man mich nicht gesehen hatte. Schnell fuhr ich in die Höhe und zwar grad zur rechten Zeit, um unsere Tropeiros aufsitzen und die Flucht ergreifen zu sehen. Das geschah aber mit solcher Gelassenheit, daß sie von den Bravos zehnmal hätten niedergeschossen werden können. Ich war im Begriffe gewesen, die Büchse zu erheben; aber was ich sah, hielt mich davon ab. Die Kugeln der acht Räuber hatten ihr Ziel so sicher getroffen, -

)Schüsselförmiges Gefäß, in welchem die goldhaltige Erde gewaschen wird.

getroffen, daß die fünf Gesunden, welche beim Scheine der Flamme gearbeitet hatten, todt am Boden lagen, und grad in dem Augenblick, als ich nach der Büchse griff, wurden die drei Kranken niedergemacht. Ich war also ganz allein am Leben. Was hättet Ihr in dieser Lage gethan, he?“

„Damn Ich hätte mich auf sie geworfen und gethan, was in meinen Kräften stand!“ meinte Einer.

„Nein, ich hätte Einige von ihnen mit meiner Kugel weggeputzt,“ versicherte ein Anderer.

„Sehr gut!“ antwortete der Erzähler. „Das sagt ihr, gethan aber hättet ihr Alle nur das, was ich auch that. Mich auf sie zu stürzen, das wäre Wahnsinn gewesen; auf sie zu schießen, war ebensowenig gerathen, denn dann wäre ich auch verloren gewesen. Es durfte kein Zeuge des Ueberfalles leben bleiben, das verstand sich ja ganz von selbst; darum hätten sie mich verfolgt, so weit ich nur laufen mochte, und getödtet hätte ich doch nur Einen oder Zwei.“

„Nun, was thatet Ihr denn?“

„Mein Geld hatte ich in guten Papieren in der Tasche; mein Maulthier war unweit der Zelte bei den übrigen Thieren angebunden. Ich schlich mich also, als die Schurken eben die Zelte untersuchten, hinzu und band es los. Da stieß Einer von ihnen einen Pfiff aus; ich hörte ein Getrappel, und — was denkt Ihr, was geschah?“

„Nun?“

„Die Tropeiros kehrten zurück. Sie hatten uns an die Hallunken verrathen und sollten nun ihren Theil von der Beute erhalten. Jetzt waren die Schufte vierzehn Mann stark. Ich band mein Thier los, setzte mich auf und galoppirte davon, so schnell es laufen konnte. Zu meinem Glück war es ein sehr sanftmüthiges Geschöpf und kein so obstinates Viehzeug, wie man sie unter dieser Gattung so häufig trifft. Ich hörte zwar laute Flüche und einen tüchtigen Lärm hinter mir; dann vernahm ich auch Hufschlag, aber es war dunkel, und ich entkam glücklich.“

„Und nachher?“

„Was nachher! Ich habe gemacht, daß ich nach San Franzisco kam, und bin froh, mit heiler Haut hier zu sitzen und mein Glas Porter hinunter zu schlürfen.“

„Habt Ihr Keinen von den Bravos erkannt?“

„Sie trugen schwarze Masken. Nur als der Eine, welcher der Anführer zu sein schien, den Finger in den Mund steckte, um zu pfeifen, nahm er den Lappen herunter, und ich konnte also seine Physiognomie sehen. Ich würde den Kerl sicher sofort wieder erkennen, wenn er mir einmal vor die Augen käme. Es war ein Mulatte, und er hatte über die rechte Wange eine Wunde, die von einem Messerschnitt herrühren mußte.“

„Und die Tropeiros?“

„Würde ich Alle wieder erkennen, aber ich komme ja nicht wieder hinauf in jene Hölle, in welcher der Teufel sein Gold siedet und schmilzt, um die Seelen in Tod und Verderben zu locken.“

„Wie heißt der Mulero )? Es ist oft gut, wenn man den Namen eines solchen Ehrenmannes kennt!“

„Er nennt sich Sanchez, wird aber wohl früher schon einen oder einige andere Namen gehabt haben. Ich schätze, daß die meisten dieser Schurken zu den Hounds ✽✽) gehören, welche Franzisco über die sämmtlichen Minendistrikte ausgespieen hat, und die nun als Agenten, Tropeiros, Muleros und Räuber einander in die Hände arbeiten. Es wäre am besten, die Miners bildeten, wie damals in San Franzsico, ein Vigilance-Committee, welches die Verfolgung und Ausrottung dieser Banden übernehmen könnte, bis in den Plazers bessere Zustände zu herrschen beginnen. So, jetzt habe ich Alles der Reihe nach erzählt, und ich bin fertig.“

„Wenn das ist,“ meinte Bernard, „so erlaubt Ihr mir wohl, mich noch einmal nach jenem Allan Marshal zu erkundigen, von dem Ihr vorhin gesprochen habt; es ist mein Bruder.“

„Euer Bruder? Wahrhaftig, mir scheint, daß Ihr ihm ähnlich seht! Da sagt also, was Ihr von ihm wissen wollt!“

)Anführer der Tropeiros.

✽✽)So wurden die Diebe und Mörder genannt, welche zu San Franzisco in den berüchtigten Sidney-Coves eine förmliche Gewaltherrschaft errichtet hatten und nur durch das Zusammentreten der Einwohner selbst vertrieben werden konnten.

„Alles, was Ihr selbst von ihm wißt. Wie lange ist es her, daß Ihr ihn zum letzten Male gesehen habt?“

„Nun wohl an die fünf Wochen!“

„Meint Ihr, daß er sich noch im Yellow-water-ground befinden wird?“

„Weiß es nicht. Da oben in den Minen ist man heut da und morgen dort, obgleich man sich heut vorgenommen hat, gewißlich nicht fortzugehen.“

„Er hat mir nie geschrieben, obgleich er meine Briefe erhalten hat.“

„Das dürft Ihr nicht für so sicher annehmen. Denkt nur an das, was ich jetzt erzählt habe! Gibt es eine Post von hier hinauf in die Minen? Ja; aber was Ihr so nennt, das ist keine Post. Ich sage Euch, es wird mancher Brief hinauf und herunter geschickt und kommt nie in die Hand, die ihn öffnen soll. Ihr kommt dort oben in eine Taverne, und der Wirth gehört zu den Hounds; Ihr geht in einen Store, und der Krämer ist ein Hound; Ihr spielt mit drei Männern Monte, und Einer, vielleicht gar Zwei oder gar alle Drei sind Hounds; Ihr arbeitet mit Einem gemeinschaftlich an Eurem Plazer, und er ist ein Hound, der Euch entweder abnimmt, was Ihr ausbeutet, oder wenn Ihr ihm zu stark und wachsam seid, Euch an die Bravos verrathen wird, um wenigstens einen Theil Eures Eigenthums zu erhalten; bei der Platzdeputation sind Hounds, überall sind Hounds; warum sollten nicht auch bei der Post Hounds sein, denen daran liegt, Verschiedenes nicht an die Adresse gelangen zu lassen!“

Das war nun allerdings keine reizende Auseinandersetzung für die an den Minen herrschenden Verhältnisse.

„Wollt Ihr hinauf zu dem Bruder?“

„Allerdings.“

„Well, so will ich Euch einen guten Rath geben. Ob Ihr ihn befolgen werdet, das ist Eure Sache. Von hier aus führen nämlich zwei Wege nach den verschiedenen Minendistrikten; der eine geht ganz südlich nach einem Bergstriche, den man Neu-Almaden nennt, wo man eine große Masse von Quecksilber und natürlichem Zinnober findet; der andere aber geht fast genau nach Norden und nur mit einer geringen Neigung gegen Ost zu den noch viel berühmteren Goldgegenden von Sacramento. Wißt Ihr, wo in dieser letzteren Gegend der Yellow-water-ground liegt?“

„Ich weiß bisher nur, daß er ein Seitenthal des Sacramento bildet; weiter nichts.“

Der Weg geht drei Viertheile um die Bai von Franzisco herum und dann über den Rio San Joaquin hinüber oder hinauf nach dem Sacramento-Thale. Hier braucht Ihr nur immer aufwärts zu gehen und könnt von jedem Begegnenden oder an jedem Plazer erfahren, wo Euer Ziel zu finden ist. Wenn Ihr nicht viel Gepäck bei Euch habt, mögt Ihr in fünf Tagen hingelangen. Von diesem Wege aber rathe ich Euch ab.“

„Warum?“

„Erstens ist es zwar der bequemere, aber nicht der kürzere. Zweitens wird grad er durch diese Hounds ganz außerordentlich unsicher gemacht. Allerdings fallen sie lieber die von den Minen Kommenden als die dorthin Gehenden an, aber man weiß doch nicht, ob sie nicht vielleicht einmal das Gegentheil thun. Und endlich drittens ist dieser Weg gepflastert, und zwar mit Dollars, welche man den Reisenden förmlich aus der Tasche zieht. In den Gasthäusern ist man bereits in der Cultur so weit vorgeschritten, daß man Rechnungen schreibt. Aber ein solches Ding ist leichter zu lesen, als zu bezahlen. Ihr zahlt da: für das Zimmer einen Dollar — und schlaft im Hofe; für das Bett einen Dollar — und bekommt zwei Hände voll altes Stroh; für Licht einen Dollar — und habt den Mond zur Laterne; für Bedienung einen Dollar — und habt keinen Helf zu sehen bekommen; für das Waschbecken einen Dollar — und müßt Euch im Sacramento waschen; für das Handtuch einen Dollar — und wischt Euch an Euern eigenen Jagdrock. Der einzige Posten, den man bezahlt und wirklich auch bekommt, ist: für die Rechnung einen Dollar. Wie gefällt Euch das, Master Marshal?“

„Nicht übel!“

„Meine es auch. Darum werde ich Euch einen anderen und besseren Weg sagen, auf dem Ihr, wenn Ihr gut beritten seid, den Yellow-water-ground in vier Tagen erreichen könnt. Ihr setzt mit der Fähre über die Bai und haltet von da aus

grad nach San John, wendet Euch dann grad nach Osten, und wenn Ihr den Sacramento erreicht, seid Ihr auch am Ziele, wenigstens ganz in der Nähe desselben. Wasserläufe, die Euch in dieser Richtung führen, gibt es genug.“

„Danke, Sir! Ich werde Euern Rath befolgen.“

„Well! Und wenn Ihr dann am Sacramento oder irgendwo einen Mulatten trefft, der einen Schnitt über die rechte Wange hat, so gebt ihm Euer Messer oder Eure Kugel zu kosten, denn ich sage Euch, daß Ihr ein gutes Werk thut!“

Mittlerweile war die Zeit des Abendessens herangerückt, und Gustel kam, um uns zu benachrichtigen. Sie führte uns in ein Nebenzimmer, wo gedeckt war, als ob eine Gesellschaft spanischer Granden gespeist werden sollte. Donna Elvira erwartete uns bereits. Der Wirth war nicht zu sehen. Sie empfing ihre Gäste, welche ich ihr natürlich mit der nöthigen Grandezza vorstellte, ganz mit der Miene einer Herrscherin, die eine Gnadenaudienz ertheilt, und machte die Honneurs mit einer Würde, wie sie ein indischer Fürst nicht besser zuwege gebracht hätte.

Da ihr daran lag, möglichst zu imponiren, so bewegte sich die Unterhaltung zunächst in allerdings höchst drastischer Weise auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft, später aber, als wir mit der gehörigen Hochachtung erfüllt schienen, gab sie dem Interesse für unsere Persönlichkeiten und Verhältnisse Raum, und wir mußten ihr unsere Erlebnisse erzählen.

Als sie die Tafel aufhob, sagte sie: „Sennores, ich hoffe, euch bewiesen zu haben, daß ich Euch meinen andern Gästen vorziehe, und denke, daß es Euch bei mir recht lange gefallen soll!“

„Donna Elvira de Gonzalez, wir danken Euch für Eure Güte,“ antwortete ich. „Wir werden allerdings längere Zeit in Eurem gastlichen Hause verweilen, aber nicht jetzt, denn wir müssen schon morgen in der Frühe zunächst noch einen kleinen Abstecher machen.“

„Wohin, Sennor?“

„Nach dem Sacramento, um Allan aufzusuchen, den wir Euch bringen werden.“

„Recht so, Sennores! Nehmt Euch von mir Alles mit, was Ihr braucht; berechnen werde ich es später; und wenn Ihr einen Wunsch noch habt, so wendet Euch nur an Augusta. Natürlich hoffe ich, daß Ihr mir à dios sagen werdet, ehe Ihr morgen fortgeht!“

Sie rauschte hinaus, und wir folgten ihr, um nach unsern Pferden zu sehen und uns dann zur Ruhe zu begeben. Am andern Morgen schwammen wir bereits mit der Fähre über die Bai und stiegen an der San Franzisco gegenüberliegenden Landzunge aus.

Wir folgten ganz der Richtung, welche uns der Goldsucher angedeutet hatte, erreichten am Abend des dritten Tages die Höhen von San John und wandten uns dann gegen Sonnenaufgang. Am andern Mittag ritten wir in das Thal des Sacramento nieder und fanden nun auf jedem Schritt zahlreiche Spuren jener fieberhaften Thätigkeit, welche allüberall die Erde aufgewühlt hatte, um nach dem deadly dust zu suchen, dessen Glanz das Auge blendet, die Sinne verwirrt und das Herz bethört.

Es ist so viel über diese Arbeit geschrieben und gesprochen worden, daß ich mich einer Bemerkung über sie enthalte; aber ich muß gestehen, das Goldfieber ergreift auch den nüchternsten Mann, sobald er jene Gegend betritt und sich von den Männern umgeben sieht, die — oft mit hohlen Wangen und meist mit Lumpen umhüllt — ihre Gesundheit und vielleicht auch ihr Leben opfern, um — schnell reich zu werden, und diesen Reichthum, wenn sie ja so „glücklich“ sein sollten, ihn zu erlangen, oft ebenso schnell wieder verlieren. Sie arbeiten häufig Monate lang mit Aufbietung aller ihrer Kräfte, ohne einen nennenswerthen Erfolg zu sehen; Flüche und Verwünschungen begleiten jeden Griff, den sie thun; das blasse Gespenst des Hungers, der Noth, der Verzweiflung tritt an sie heran, und schon wollen sie die ermattete, zitternde Hand abziehen, da verbreitet sich das

Gerücht von einem außerordentlichen Fund, den irgend Jemand irgendwo gemacht hat oder gemacht haben soll, und sie legen wieder Hand an Batea, um der gewaltigen Epidemie von Neuem zum Opfer zu werden.

Am Abend erreichten wir den Yellow-water-ground. Es war ein langes, schmales Thal, welches einen dünnen Wasserlauf dem Sacramento zuführte. Von seinem obersten bis zum untersten Punkte aufgewühlt, ließ es die einzelnen Plazers deutlich erkennen. Erdhütten und Zelte gab es genug, und dennoch sah man auf den ersten Blick, daß die Glanzperiode dieses Theiles der Minen vorüber war.

Ungefähr in der Mitte des Thales stand eine niedrige, aber breite und tiefe Bretterbude, über deren Eingang mit Kreide die Worte „Store and boarding-house of yellow-water-ground“ geschrieben waren. Der Wirth dieses Wohn-, Kauf- und Trinkladens war wohl am besten im Stande, uns Auskunft zu ertheilen. Wir stiegen also ab, ließen Bob bei den Pferden und traten ein.

Die roh gezimmerten Bänke und Tische waren theils von elend, theils von verwegen aussehenden Gestalten besetzt, welche uns neugierig betrachteten.

„Neue Miners!“ lachte Einer. „Werden vielleicht mehr finden als wir. Komm her, Rothhaut, und thu’ einen „Drink“ mit mir!“

Winnetou that, als ob er die Aufforderung gar nicht gehört habe. Da erhob sich der Mann von seinem Sitze, nahm das Schnapsglas zur Hand und trat mit herausfordernder Miene auf ihn zu.

„Schuft, weißt Du nicht, daß es die größte Beleidigung für einen Miner ist, wenn man ihm den Drink ausschlägt? Ich frage Dich, ob Du trinken willst und auch „einen“ zum Besten geben wirst?“

„Der rothe Krieger trinkt kein Feuerwasser, doch will er den weißen Mann nicht beleidigen!“

„So fahre zum Teufel!“

Der Miner schleuderte das Glas sammt dem Branntwein dem Apachen in das Gesicht, riß das Messer heraus und that einen Sprung, um es Winnetou in das Herz zu stoßen; er taumelte aber mit einem lauten Schrei zurück und stürzte röchelnd zu Boden. Der Apache besaß auch ein Messer — er hielt es noch in der Hand — die Klinge blank wie zuvor; es war nur den zehnten Theil einer Sekunde im Leibe des Miner gewesen; dieser aber lag mit zerstochenem Herzen am Boden.

Sofort erhoben sich die Andern. In ihren Fäusten funkelten die Messer. Aber auch unsere Büchsen lagen schon an den Wangen, und sogar Bob, der zufällig zur Thür hereingesehen hatte, stand unter derselben und hatte sein Gewehr schußfertig.

„Stopp!“ rief da der Wirth. „Setzt euch, Ihr Leute; die Sache war nicht die Eure; sie geht Euch nichts an; denn sie war nur zwischen Jim und dem Indianer auszumachen, und sie ist ausgemacht. Nell, schaffe den Todten fort!“

Die Miners setzten sich; unsere drohende Haltung schien ebenso viel Einfluß auf sie auszuüben, als die Worte des Wirthes. Hinter dem Büffet aber trat der Barkeeper hervor, nahm den Todten auf die Achsel und trug ihn hinaus, um ihn, wie wir dann bemerkten, in eine verlassene Grube zu legen und ein wenig Erde daraufzuwerfen. Dieser Jim war auch hierher gekommen, um Gold zu suchen, und hatte, durch seine eigene Schuld, den Tod gefunden — deadly dust! Wie oft hatte ich dies bereits erlebt, und wie oft mochten sich ähnliche Auftritte in den Minen wiederholen!

Wir nahmen, abgesondert von den Uebrigen, Platz.

„Was trinkt Ihr, Mesch’schurs?“ frug der Wirt.

„Bier,“ antwortete Bernard.

„Porter oder Ale?“

„Was besser ist!“

„Dann nehmt Ale, Mesch’schurs! Es ist ächtes Burton-Ale aus Burton in Staffordshire.“ (Fortsetzung folgt.)

Linie 500
(646)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Fortsetzung.)

Initial IIch war ein wenig neugierig auf diesen Trank, der aus England und dazu von dem Orte, welcher wegen des besten Bieres weltberühmt ist, nach dem Sacramento gekommen sein sollte. Wir bekamen fünf Flaschen, von denen ich gleich eine nahm, um sie Bob hinauszutragen. Er steckte den Hals der Bottle in den Mund, daß ich dachte, derselbe müsse ihm bis hinab in den Magen reichen, und leerte sie auf einen Zug. Kaum aber hatte er das Gefäß wieder herausgezogen, so verdrehte er die Augen, riß den Mund auf, daß derselbe drei Viertheile des Gesichtes einnahm, und stieß einen Laut aus, wie ein Schiffbrüchiger, der zum letzten Male über das Wasser kommt.

„Was ist’s?“ frug ich, in der Meinung, er habe sich mit dem Halse der Flasche den Gaumen verletzt.

„Massa, oh, ah, Bob sterben! Bob haben getrunken Gift!“

„Gift? Es ist ja englisches Ale!“

„Ale? Nein, oh, nein! Bob kennen Ale. Bob haben getrunken Gift; Bob fühlen in Mund und Leib Arsen’ und Tollkirsch’!“

Unser guter Neger war kein Feinschmecker; wie also mußte dieses Ale erst einem raffinirteren Gaumen munden! Ich trat wieder in den Store und kam grad recht, um die Frage des Wirthes zu hören:

„Könnt ihr auch zahlen, Mesch’schurs?“

Bernard machte eine sehr beleidigte Miene und griff in die Tasche.

„Halt, Master Bernard!“ meinte Sam. „Diese Rechnung werde ich abmachen. Was kostet das Bier?“

„Die Bottle drei Dollars, macht fünfzehn Dollars.“

„Das ist billig, Mann, zumal man die Bottle mitbekommt, nicht wahr?“

„Allerdings.“

„Wir werden sie Euch aber hier lassen, denn Leute, welche Plazers wissen, in denen das Gold sozusagen in schweren Stufen zu Tage liegt, brauchen sich um ein Stückchen Glas nicht zu kümmern. Holt Eure Wage!“

„Wollt Ihr in Gold bezahlen?“

„Ja.“

Sam öffnete seinen Kugelbeutel und zog einige Nuggets hervor, von denen eines die Größe eines Taubeneies hatte.

„Alle Wetter, Mann, wo habt Ihr diese Stücke gefunden?“

„Auf meinem Plezer Plazer.“

„Und wo ist das?“

„In Amerika ungefähr. Ich habe zum Beispiel ein schlechtes Gedächtniß und besinne mich auf den Ort gewöhnlich nur dann, wenn ich selbst etwas Gold brauche.“

Der Wirth mußte diese Zurechtweisung einstecken; aber seine Augen funkelten vor Begierde, als er eines der Nuggets abwog und den Ueberschuß in Geld herausgab. Er nahm das Gold zu einem sehr niedrigen Preise, und seine Wage mochte auch wohl einige kleine Eigenthümlichkeiten besitzen; Sam aber steckte das herausbekommene Geld mit der Miene eines Mannes ein, dem es auf eine Unze mehr oder weniger nicht ankommt. Er hatte, ohne daß die Andern etwas davon ahnten, zwischen seinen Kugeln ein ganz allerliebstes Sümmchen mit sich herumgetragen, und ich mußte jetzt an seine bei unserm ersten Zusammentreffen gemachte Bemerkung denken, daß er in den Bergen genug Gold wisse, um einen Freund damit reich zu machen.

Jetzt wurde das Bier gekostet. Wären wir direkt aus der Savanne hierher gekommen, so hätten wir es vielleicht genießen können; da wir unsere zerrütteten Gaumen aber im Hotel Valladolid bei der gastfreundlichen Donna Elvira bereits wieder hergestellt hatten, so war das Zeug auf keinen Fall hinunterzubringen. Es war klar, der Mann kochte sich sein Ale aus irgend welchen Kräutern und Zuthaten selbst zusammen und verkaufte es — die Flasche zu drei Dollars. Dies ist eins von den vielen Beispielen, daß in den Minen nicht immer der Goldsucher auch der Goldfinder ist.

Uebrigens schien sich der Wirth mit der ihm von Sam gewordenen Zurechtweisung keineswegs zufrieden zu geben. Er setzte sich vielmehr zu uns und erkundigte sich weiter:

„Ist das Plazer, welches Ihr wißt, sehr weit von hier, Sir?“

„Welches? Ich weiß deren vier oder fünf.“

„Vier oder fünf? Unmöglich! Denn sonst würdet Ihr nicht nach diesem traurigen Yellow-water-ground kommen, wo fast gar nichts mehr gefunden wird.“

„Ob Ihr’s glaubt oder nicht, das ist zum Beispiel Eure Sache!“

„Und Ihr nehmt Euch bloß immer so viel hinweg, als Ihr braucht?“

„Ja.“

„Welcher Leichtsinn, welche Unvorsichtigkeit! Wenn nun Andere kommen und Euch wegnehmen, was Ihr Euch sichern könntet!“

„Das geschieht nicht, Master Ale-man!“

„Ich will Euch eines von diesen Plazers abkaufen, Sir!“

„Könnt Ihr gar nicht bezahlen! Oder hättet Ihr genug, um fünfzig oder sechzig Zentner Gold mit Dollars oder Noten aufzuwiegen?“

„Alle Wetter! So viel? Man müßte sich einen Compagnon anschaffen oder auch zwei und drei; hm, so einen zum Beispiel, wie dieser Allan Marshal war, der mit einigen tausend Dollars hergekommen und mit einem wirklichen Reichthum fortgegangen ist. Der verstand sein Fach!“

„Wie?“

„Er hatte einen Gehülfen, den er zurückgelassen hat, weil er von ihm bestohlen wurde. Dieser hat Alles erzählt. Den Staub und die kleineren Körner hat er in Sacramento zu Banknoten gemacht und die größeren Nuggets in seinem Zelte vergraben. Dann war er plötzlich verschwunden, man weiß nicht wie und auch nicht wohin.“

„Hatte er Thiere in seinem Besitze?“

„Nur ein Pferd. Uebrigens wurde er vorgestern gesucht.“

„Ah! Von wem?“

„Von drei Männern — zwei Weiße und ein Mulatte — die sich bei mir nach ihm erkundigten. Auch Ihr scheint ihn zu kennen?“

„Ein wenig, und darum wollten wir auch zu ihm. Wo gingen die Drei dann hin?“

„Sie suchten den Ort auf, wo sein Zelt gestanden hat; dann kamen sie zurück und saßen lange bei einem Stücke Papier, welches sie dort gefunden haben mußten. Ich sah einmal von ungefähr darauf und bemerkte, daß es eine Landkarte oder ein Plan sein müsse.“

„Und dann?“

„Fragten sie nach dem Short-Rivulet-Thale. Ich beschrieb es ihnen und den Weg dahin, und diesen haben sie auch eingeschlagen.“

„Den Short-Rivulet werden sie von hier aus nach einer bloßen Beschreibung schwerlich finden!“

„Kennt Ihr ihn?“

„Ich war einmal dort. Könnt Ihr uns den Platz nicht zeigen, wo das Zelt gestanden hat?“

„Ihr könnt ihn von hier aus sehen. Dort rechts am Hange bei den Dornsträuchern. Wenn Ihr hinkommt, bemerkt Ihr gleich die Feuerstelle und das Uebrige.“

„Und wie heißt der Mann, der sein Diener gewesen ist?“

„Fred Buller. Er arbeitet im zweiten Plazer links, von oben herunter.“

Ich winkte Bernard. Wir verließen mit einander den Store und schritten den Bach hinauf. Bei dem angegebenen Plazer blieben wir halten. Es arbeiteten nur zwei Männer da.

„Good day, Mesch’schurs! Ist hier bei euch ein Master Buller zu finden?“

„Yes, Sir; der bin ich!“ antwortete der Eine.

„Habt Ihr Zeit, mir auf einige Fragen zu antworten?“

„Vielleicht, wenn es gut lohnt. Bei dieser Arbeit kostet jede Minute ihr Geld.“

„Wie viel Geld wollt Ihr für zehn Minuten?“

„Drei Dollars.“

„Hier habt Ihr sie!“ sagte Marshal, ihm die Summe hinreichend.

„Danke, Sir; Ihr scheint mir generouse Gentlemen zu sein.“

„Vielleicht verspürt Ihr noch mehr von dieser Generosität, wenn Ihr unsere Fragen gut beantwortet!“ suchte ich ihn zu ködern.

„Well, Sir; so fragt einmal!“

Dem Menschen sah der Spitzbube aus den Augen, Wie sollte ich ihn packen? Ich entschloß mich schnell, auch einmal den Halunken zu spielen:

„Wollt Ihr nicht ein wenig abseits mit uns kommen?“

„Alle Teufel, Sir; Ihr scheint gute Waffen zu haben!“

Aha, der Kerl hat ein böses Gewissen!

„Gute Waffen für unsere Feinde und gutes Geld für unsere Freunde. Wollt Ihr kommen?“

„Meinetwegen!“

Er stieg aus dem Wasser und kam mit uns auf die Seite.

„Es sind vorgestern drei Männer bei Euch gewesen?“

„Ja.“

„Zwei Weiße und ein Mulatte?“

„Ja. Warum?“

„Die Weißen waren Vater und Sohn?“

„Ja. Der Mulatte ist ein Bekannter von mir und auch von ihnen.“

„Ah!“ — Ich weiß nicht, woher mir der Gedanke kam, dem ich sofort Ausdruck gab: „Den Mulatten kenne auch ich. Er hat eine Messerwunde über seine rechte Wange?“

„Wirklich, Ihr kennt den Cap — — Ihr kennt Sir Shelley! Wo habt Ihr ihn kennen gelernt?“

„Wir hatten Geschäfte mit einander, und ich möchte gern wissen, wo er hin ist.“

„Weiß es nicht, Sir!“

Er sprach mit diesen Worten die Wahrheit, das sah ich ihm an.

„Was wollten die Männer bei Euch?“

„Sir, es werden die zehn Minuten wohl bereits abgelaufen sein!“

„Noch nicht! Aber ich will Euch sagen, daß sie sich nach Eurem früheren Prinzipal, Master Marshal, erkundigt haben. Uebrigens sollt Ihr bis zu Ende unserer Unterredung noch fünf Dollars haben!“

Bernard griff in die Tasche und gab sie ihm.

„Danke, Sir! Ihr seid andere Leute als diese Morgans und dieser Shelley, und ich werde Euch bessere Auskunft geben als ihm. Da Ihr mit ihm Geschäfte gemacht habt, so werdet Ihr auch wissen, wie filzig er ist. Er sollte doch einen Kameraden von Sid — — —“

Er stockte, beinahe erschrocken über das Wort, welches er begonnen hatte.

„Sidney-Coves, sagt es nur! Ich kenne das auch.“

„Auch? Nun seht, dann versteht Ihr jedenfalls zu beurtheilen, was kleine Dienste oft zu bedeuten haben. Wohin die Drei sind, das weiß ich nicht, aber sie haben da drüben lange herum gesucht und ein Papier gefunden. Hätte Sir Shelley anders mit mir gesprochen, so hätte er andere Papiere bekommen.“

„Und wie muß man mit Euch sprechen, um diese zu bekommen?“

Er lachte niederträchtig und fügte bei: „Wie bisher!“

Also eine Unterhaltung mit Dollars! Der Kerl war jedenfalls ein ganz abgefeimter Bursche.

„Was sind es für Papiere?“

„Briefe.“

„Von wem und an wen?“

„Hm, Sir, wie soll ich das sagen, ohne daß ich es weiß, ob Ihr auch wirklich in meiner Sprache mit mir reden werdet!“

„Sagt den Preis!“

„Hundert Dollars!“

„Nicht übel! Ihr unterschlagt die Briefe Euers Prinzipals, um sie diesem Capitain der Bravos zu übergeben, und da dieser Euch zu wenig zahlt, unterschlagt Ihr weiter und behaltet die

Briefe für Euch, weil Ihr denkt, daß, was Sir Shelley Nutzen bringt, auch Euch keinen Schaden thun werde. Ich sage Euch, das Ding kann Euch dennoch Schaden bringen! Wollt Ihr fünfzig?“

Ich hatte nur eine Vermuthung ausgesprochen, die sich mir aus der einfachen Combination dessen, was ich bisher gehört hatte, ganz von selbst bot; daß ich aber das Richtige getroffen hatte, sah ich der Miene des Mannes an. Er ging auch sofort auf mein Angebot ein:

„Nun sehe ich wirklich, daß Ihr mit dem Capitain Geschäfte gemacht habt, da Ihr Alles wißt. Deshalb will ich Euch nicht drücken und die Fünfzig nehmen.“

„Wo sind die Papiere?“

„Kommt mit in unser Zelt!“

Wir gingen ein Stück zurück bis an das Ding, was dieser Mann „unser Zelt“ nannte. Es bestand aus vier Erdwänden, über welche eine mehrfach durchlöcherte Filzdecke gespannt war. In jeder der Ecken befand sich ein Loch, welches als Spinde benutzt zu werden schien, denn Buller griff in eines derselben und brachte ein zerrissenes Tuch hervor, in welches er verschiedene Gegenstände eingeschlagen hatte. Er öffnete es und zog zwei Briefe heraus, die er mir entgegenstreckte. Ich wollte zugreifen, aber er zog schnell die Hand zurück.

„Halt, Sir. Erst das Geld!“

„Nicht eher, als bis ich wenigstens die Adressen gelesen habe.“

„Gut! Ich halte die Briefe und Ihr seht sie Euch an!“

Er hielt sie uns entgegen, und wir beide blickten zugleich darauf.

„Richtig,“ rief ich. „Gebt ihm das Geld, Bernard!“

Die Briefe waren an Bernard’s Vater adressirt, da Allan noch gar nicht wußte, daß derselbe ermordet worden war. Bernard zog das Geld eilig hervor, aber dennoch sah ich ihm an, daß es ihm wenigstens eigenthümlich schien, eine Unterschlagung, die ihn jedenfalls sehr geschädigt hatte, noch mit einer solchen Summe belohnen zu müssen. Buller steckte das Geld mit höchst befriedigter Miene zu sich und wollte das Tuch zusammenschlagen. Da sahen wir Beide etwas Goldenes blinken, und sofort griff Bernard zu. Es war eine Uhr, die in einer gediegenen Goldkapsel stack.

„Was wollt Ihr mit meiner Uhr?“ frug Buller.

„Sie einmal öffnen, um zu sehen, welche Zeit wir haben,“ antwortete Marshal.

„Sie ist nicht aufgezogen,“ meinte er, indem er hastig darnach griff. „Gebt sie her, Sir!“

„Halt!“ antwortete ich und packte seinen Arm fest. „Wenn sie auch steht, werdet wenigstens Ihr vielleicht erfahren, welche Stunde es geschlagen hat!“

„Allan’s Uhr!“ rief Bernard.

„Wirklich? Wie kommt diese Uhr in Euere Hand, Mann?“

„Geht Euch das etwas an?“ frug er trotzig, indem er sich zu befreien suchte.

„Allerdings, denn dieser Gentleman ist der Bruder des Mannes, dem sie gehört hat. Also wie kommt Ihr zu der Uhr von Master Marshal?“

Der Mann befand sich in wirklicher Verlegenheit.

„Er hat sie mir geschenkt,“ antwortete er.

„Das ist eine Lüge!“ entgegnete Bernard. „Seht diese Steine, Charley! Eine Uhr für dreihundert Dollars schenkt man seinem Diener niemals.“

„Well, Bernard; sucht einmal hier nach! Ich werde diesen Mann einstweilen festhalten.“

Buller suchte sich loszureißen, es gelang ihm aber nicht.

„Wer seid Ihr? Wer gibt Euch das Recht, in meinem Zelte eine Durchsuchung zu veranstalten? Ich werde um Hülfe rufen und Euch lynchen lassen!“

„Macht keinen dummen Spaß, Mann, sonst könnte Master Lynch Euch selbst über den Hals kommen. Beim ersten Ruf, den Ihr thun solltet, drücke ich ein wenig fester zu!“

Ich hatte ihn mit der Linken beim Arme und mit der Rechten im Genick. Er befand sich vollständig in meiner Gewalt und sah, daß er sich fügen müsse.

„Ich finde weiter nichts!“ berichtete Bernard, als er fertig war.

„Nun also! Laßt mich los und gebt die Uhr heraus!“

„Sachte, sachte! Ich werde Euch noch halten, bis wir darüber einig sind, was mit Euch zu machen ist. Was meint Ihr, Bernard?“

„Er hat die Uhr gestohlen.“

„Natürlich!“

„Er gibt sie her.“

„Ebenso natürlich!“

„Und seine Strafe?“

„Thut, was Ihr wollt!“

„Well, so wollen wir es gnädig mit ihm machen. Ein Lynch kann uns nichts nützen; er mag also für die Unterschlagung und den Diebstahl die Briefe und die Uhr umsonst herausgeben.“

„Umsonst? Wie so!“

„Sehr einfach: er gibt die fünfzig, die fünf und auch die drei Dollars wieder heraus; das ist sehr gnädig von uns gehandelt. Greift nur getrost in seine Tasche; ich werde ihn festhalten!“

Das Geld wurde ihm trotz seines Sträubens wieder abgenommen; dann ließ ich ihn los. Kaum war dies geschehen, so rannte er aus dem Zelte hinaus, am Wasser hinunter und hinein in das Boardinghouse.

Wir gingen ihm langsam nach und vernahmen schon von Weitem ein wüthendes Geschrei. Jetzt verdoppelten wir unsere Schritte. Unsere Pferde standen vor der Thür, aber Bob war nicht zu sehen. Schnell traten wir ein. In der einen Ecke stand Winnetou, mit der Linken den Uhrendieb bei der Kehle haltend und mit der Rechten die umgekehrte Büchse schwingend; neben ihm wehrte sich Sans-ear in derselben Weise. In der anderen Ecke befand sich Bob, dem die Büchse bereits entrissen worden war und der nun kräftig mit dem Messer und der Faust Widerstand leistete. Buller hatte, wie ich später erfuhr, die Miners aufgefordert, mich und Bernard gefangen zu nehmen, und Sam war diesem Vorhaben entgegengetreten. Da nun die Diggers noch wegen Jim ergrimmt waren und der Wirth die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß mit Sans-ear kein Geschäft zu machen sei, so war unter seinem Schutze ein Angriff erfolgt, der den Dreien das Leben gekostet hätte, wenn wir Beide nicht zur rechten Zeit dazugekommen wären.

Winnetou und Sam konnten sich noch halten; wir mußten erst Bob heraushauen.

„Nur im Nothfalle schießen; nehmt den Kolben, Bernard!“

Mit diesen Worten warf ich mich auf die Diggers, und in kaum einer Minute war der Neger neben uns und hatte seine Büchse wieder in der Hand. Wie ein losgelassener Tiger sprang er nun auf die Feinde los. Dieselben hatten keine Schußwaffen; das war unser Glück.

„Ah, Charley,“ rief Sam; „weg jetzt mit den Kolben, und heraus zum Beispiel mit den Tomahawks! Nur flach aufschlagen!“

Wir folgten ihm. Das war nun kein Kampf, sondern eine Lust. Kaum blitzten unsere Schlachtbeile, und kaum hatten Zwei oder Drei ihren flachen Schädelhieb weg, so stob die ganze Schar zur Thür hinaus. Seit meinem Eintritt waren kaum zwei Minuten vergangen; jetzt befanden wir uns mit dem Wirth und Buller allein.

„Hast Du diesem Manne wirklich die Uhr und das Geld gestohlen, Charley?“ frug Sam.

„Pah! Er hat vielmehr Bernard’s Bruder die Briefe unterschlagen und ihm die Uhr gestohlen.“

„Und da laßt Ihr ihn laufen! Doch, das geht mich nichts an. Aber daß er diese Goldkäfer gegen uns gehetzt hat, das geht mich etwas an, und dafür soll er jetzt zum Beispiel seinen Lohn erhalten!“

„Du wirst ihn nicht tödten, Sam!“

„Wär’ der Kerl ja gar nicht werth! Festgehalten, Winnetou!“

Der Apache hielt den Mann so fest, daß er sich nicht zu rühren vermochte, Sam zog sein Messer und zielte. Ein kurzer Streich — ein Schrei Buller’s — Sam hatte ihm die Nasenspitze abgehauen.

„So, mein Junge! Es ist nicht gut, wenn man erfahrene und ehrliche Westmänner lynchen will; denn steckt man seine Nase zum Beispiel in solche schlimme Angelegenheiten, so wird sie Einem zuweilen abgeschnitten. Und unser Master Storeman? Dort ist er. Kommt doch einmal her, mein Lieber, und laßt mich sehen, wie viele Ellen Nase Ihr übrig habt!“

Mit dieser Aufforderung schien der Wirth nicht sehr zu sympathisiren. Er trat zögernd nur einen einzigen Schritt näher.

„Ich hoffe nicht, Gentlemen, daß Ihr meine Gastfreundschaft auf diese Weise belohnen werdet!“

„Gastfreundschaft! Nennt Ihr das Gastfreundschaft, wenn Ihr Euch für eine halbe Maß Erlen- oder Pottasche-Wasser drei Dollars bezahlen laßt?“

„Ich werde Euch das Geld sofort wiedergeben, Mesch’schurs!“

„Behaltet es, und habt keine Angst. Wer sollte fernerhin Porter und Ale kochen, wenn wir Euch das Handwerk legten? Nun aber fort, ihr Leute, sonst könnten uns die Goldwürmer zum Beispiel noch einmal auf den Nacken kommen!“

Damit war aber Bob nicht zufrieden.

„Massa Sam wollen gehen? Oh, ah, warum gehen und nicht strafen vorher Wirth für Gift und Opperment? Nigger Bob werden strafen!“

Er packte eine der Flaschen und hielt sie dem Wirth vor.

„Trinken selbst Flasche hinein in Magen. Schnell, sonst Bob schießen todt Wirth!“

Der Wirth war gezwungen, die Flasche zu ergreifen und auszutrinken. Aber schon hielt ihm Bob eine zweite hin.

„Noch trinken eine!“

Auch diese wurde geleert.

„Wieder trinken eine!“

Auf diese Weise mußte der geängstigte Mann fünf Flaschen austrinken, und es war tragikomisch anzusehen, welch ein Mienenspiel er dabei producirte.

„So, ah, oh, nun haben trinken Wirth fünf mal drei Dollars und haben in Leib viel gut’ schön’ Blausäure!“

Wir waren nun fertig. Winnetou ließ den Dieb los, der bisher unter dem festen Gurgelgriffe keinen Laut hatte von sich geben können, jetzt aber desto kräftiger zu heulen begann; wir schwangen uns auf unsere Pferde und ritten davon. Es war aber auch die höchste Zeit, denn unweit des Hauses begannen die Diggers, sich mit ihren Schießgewehren zu versammeln. Glücklicher Weise aber waren sie noch lange nicht vollzählig, und so erreichten wir unangefochten den Sacramento.

„Wo liegt der Short-Rivulet?“ frug Bernard.

„Einstweilen reiten wir am Flusse aufwärts,“ antwortete Sam.

So ging es im scharfen Trabe vorwärts, bis wir annehmen konnten, daß wir vor den Miners sicher seien.

„Jetzt halt!“ gebot Bernard. „Ich muß nun meine Briefe lesen!“

Wir stiegen ab und setzten uns. Marshal erbrach die Briefe und las sie.

„Es sind die beiden zuletzt geschriebenen Briefe,“ erklärte er; „Allan beklagt sich sehr, daß wir ihm keine Antwort zugehen lassen, und macht im letzten eine Bemerkung, die von großem Interesse für uns ist. Sie lautet:

„„— — — — übrigens mache ich hier noch bessere Geschäfte, als ich vorher dachte. Den Staub und die Golderbsen habe ich durch sichere Leute nach Sacramento und auch nach San Franzsico geschickt, wo ich einen bedeutend höhern Preis erhalte, als ich selbst gebe. Auf diese Weise habe ich die Summe, welche mir zur Verfügung stand, verdoppelt. Jetzt aber verlasse ich den Yellow-water-ground, denn es gibt nicht mehr den vierten Theil der früheren Ausbeute, und außerdem ist der Weg so unsicher geworden, daß ich keine Sendung mehr riskiren kann. Ich vermuthe sogar aus verschiedenen Anzeichen, daß die Bravos meinem Zelte einen Besuch machen wollen. Daher werde ich ganz unerwartet von hier weggehen, ohne eine Spur zurückzulassen, da ich sonst gewärtig sein müßte, daß die Räuber mir folgen. Ich gehe mit mehr als hundert Pfund Nuggets von hier nach dem Short-Rivulet-Thale, wo höchst ergiebige Plazers entdeckt worden sind und ich in einem Monate dieselben Geschäfte machen kann, wie hier in der vierfachen Zeit. Von da gehe ich dann über die Lynn nach dem Humboldthafen, wo ich sicher ein Schiff finde, welches mich nach San Franzsico zurück­bringt — — —““

„Das stimmt also mit dem Short-Rivulet-Thale,“ ließ sich Sam vernehmen. „Ist das nicht eigenthümlich, Charley? Diese Morgans haben das auch gewußt. Aber woher, he?“

„Jedenfalls hat auf dem Papiere, welches sie auf Allan’s Zeltplatze fanden, eine Andeutung gestanden.“

„Möglich,“ fiel Bernard ein. „Ich finde hier unten eine Stelle, welche uns vielleicht einen Anhalt bietet. Hört!“

„„— — — zumal ich keine zahlreiche Begleitung nöthig habe. Nicht einmal einen Führer brauche ich, denn ich habe mir nach den sichersten Karten einen Reiseplan oder vielmehr eine Route vorgezeichnet, nach welcher ich mich mit Vertrauen richten darf. — — —““

„Sollte er diese Route verloren oder das Conzept derselben achtlos weggeworfen haben?“

„Möglich,“ meinte Sam; „denn ein Westmann ist er doch nicht und hat also noch nicht gelernt, daß an dem kleinsten Umstande zum Beispiel das Leben hängen kann. Und wenn er glücklich hingekommen ist, fragt es sich dann, wie er mit den Schlangenindianern auskommt, die da oben ihre Dörfer und nach dem Lewis-Süd-Fork zu ihre Jagdgründe haben.“

„Sind sie so schlimm wie die Comanchen?“ frug Bernard besorgt.

„Sie sind sich Alle gleich, edel gegen den Freund und furchtbar dem Feinde. Wir übrigens brauchen keine Sorge vor ihnen zu haben, denn ich bin längere Zeit bei ihnen gewesen, und jeder Snake-Indsman kennt Sans-ear, wenn nicht persönlich, so doch dem Rufe nach.“

„Snake?“ frug jetzt Winnetou. „Der Häuptling der Apachen kennt die Shoshones ), die seine Brüder sind. Die Krieger der Shoshones sind tapfer und treu; sie werden sich freuen, zu sehen Winnetou, der das Calumet viele Male mit ihnen rauchte.“

Also zwei Sorgen waren auf einmal gehoben. Sowohl Winnetou als auch Sam waren Bekannte der dortigen Indianer, und Beide kannten also auch die Gegend, in welcher das Short-Rivulet-Thal zu suchen war. Beide führten uns jetzt weiter.

Das Terrain, welches wir beschreiten mußten, war durchweg gebirgig, denn wir hatten das Sacramento-Thal bald verlassen und hielten auf die Berge von San Jose zu. Dies war ein beschwerlicher, aber der geradeste und kürzeste Weg, der es uns ermöglichte, den zwei Räubern vielleicht zuvorzukommen. Sie hatten zwar einen Vorsprung von zwei Tagen, aber ihr Weg war jedenfalls ein längerer, da wir sonst doch wohl ihre Spur getroffen hätten.

Von den Josefsbergen aus wandten wir uns gegen Nordost und gelangten eine volle Woche nach unserer Abreise vom Yellow-water-ground an einen mächtigen Bergstock, welcher mit einem Durchmesser von mehr als fünfzehn Meilen sich wie ein riesiger, abgestumpfter Kegel über das Gebirge erhob und an seinem Fuße dichte Laubhölzer, weiter oben aber sich von beinahe undurchdringlichem Nadelholz-Urwald bestanden zeigte. Da oben lag grad in der Mitte seines Plateau ein See, welcher seines finstern Aussehens und seiner düsteren Umgebung wegen das black eye) genannt wird. In ihn ergießt sich, von Westen herbeiströmend, der Short Rivulet.

Wie kam es, daß dort oben Gold zu finden war? Von andern Höhen konnte es nicht herabgespült worden sein, vielmehr mußte es einen plutonischen Ursprung haben. Die Gewalten des Erdinnern hatten bei dem Emportreiben dieses mächtigen Gebirgsstockes die goldenen Schätze der Unterwelt mit emporgeworfen, und es ließ sich sehr leicht denken, daß dort statt des goldhaltigen Sandes ganze Adern und Nester vorhanden seien, die eine größere Ausbeute gaben, als selbst das Thal des berühmten Sacramento.

Wir traten beim Ersteigen des Gebirges in eine Wildniß ein, welche so urwüchsig uns entgegenstarrte, daß wir beinahe den Muth verloren, in das unüberwindlich scheinende Gewirr von Fels und Waldung einzudringen. Aber je weiter wir kamen, desto besser ging es. Das beschwerliche Unterholz verlor sich nach und nach, und endlich ritten wir in einem riesigen Dome, dessen Decke aus dichtem Laubgewinde bestand und dessen Millionen von Säulen — so stark, daß eine von ihnen kaum von drei Männern umklaftert werden konnte — oft zwölf und mehrere Ellen auseinander standen.

)Shoshones nennt der Wilde die Snake- oder Schlangenindianer.

✽✽)Schwarzauge.

Ein solcher Urwald macht auf das empfängliche Gemüth ganz denselben Eindruck, den das Gotteshaus auf ein Kind hervorbringt, welches dasselbe zum ersten Male betritt.

„Du hast die Säulen Dir aufgebaut

Und Deine Tempel gegründet;

Wohin mein gläubiges Auge schaut,

Es Dich, Herr und Vater, nur findet!“

So hallt, webt und weht es Einem aus allen Richtungen entgegen; das Herz wird weit und groß; der Glaube schlägt seine Wurzeln tiefer und fester, und der Sohn des Staubes dünkt sich so klein wie der Wurm, der sich dort vergeblich bemüht, an der Rinde der gigantischen Eiche emporzuklimmen. Ehe er die Spitze derselben erreicht, ist er längst todt; so auch der Mensch, der sich Herr der Schöpfung dünkt und doch nur von der Gnade Gottes den obersten Platz unter den sterblichen Kreaturen als unverdientes Geschenk erhielt.

So ritten wir langsam und stetig empor, bis wir das Plateau erreichten. Nun war es leichter, rasch vorwärts zu kommen, und eben als es Abend wurde, erreichten wir das südliche Ufer des „Schwarzauges“, dessen tiefe und unbewegliche Wasser uns entgegen phosphorescirten wie ein Räthsel, dessen Lösung den unvermeidlichen Tod mit sich bringt.

Für das Thal gab es keine Sonne mehr; hier oben aber war die Dämmerung eben erst angebrochen, und es wäre uns recht gut möglich gewesen, einen Theil des Ufers noch abzusuchen.

„Reiten wir weiter?“ frug Marshal, welcher sich sehnte, das Wiedersehen mit seinem Bruder zu feiern.

„Meine Brüder werden hier lagern,“ antwortete Winnetou in seiner kurzen und bestimmten Weise.

„Well,“ stimmte Sam bei. „Hier gibt es prachtvolles Moos für uns zum Lagern und am Wasser auch Gras für die Pferde. Und wenn wir uns einen versteckten Ort aussuchen, wozu es zum Beispiel später keine Zeit mehr wäre, können wir sogar ein kleines indianisches Feuer machen, um den Puter zu braten, den Bob heut geschossen hat.“

Ja, Bob hatte heut wirklich zum ersten Male einen Braten geschossen, und er war nicht wenig stolz auf diesen unumstößlichen Beweis, daß er ein höchst nützliches Mitglied unserer Gesellschaft sei. Nach einigem Suchen fanden wir einen Platz, wie Sam ihn wünschte, und wir lagerten uns.

Bald brannte das Feuer, und Bob war emsig beschäftigt, dem charakteristischen Vogel Nordamerika’s sein Federkleid auszuziehen. Unterdessen wurde es nun wirklich Nacht — pechschwarze Nacht, und die leise flackernde Flamme ließ uns die Bäume, Aeste und Zweige der Umgebung in grotesken Gestaltungen erscheinen. Jetzt war auch der Puter gebraten. Wir hielten eine köstliche Mahlzeit und schliefen dann ruhig unter dem Schutz des allmächtigen Vaters.

Am Morgen brachen wir auf und gelangten bald in das Thal des Short-Rivulet. Es war nicht lang, wie ja auch sein Name sagte. Der Bach hatte nur schwachen Zufluß von wenigen hügelförmigen Höhen her, und es schien, daß er während der warmen Jahreszeit ganz vertrocknete.

Wir fanden zerstörte Zelte, aufgewühlte Plazers, zerrissene Erdhütten und überall die Spuren eines heftigen Kampfes.

Kein Zweifel, die Goldgräber waren von Räubern überfallen worden. Aber wir sahen keine Leichen.

Nach längerem Suchen bemerkten wir drüben unter den Bäumen des Urwaldes ein größeres Zelt. Es war auch zerrissen, zerschnitten und zerfetzt. Keine einzige Spur, kein Fund, kein einziger kleiner Gegenstand verrieth, wem es gehört hatte.

„Hier hat Allan gewohnt,“ behauptete dennoch Bernard.

Er ahnte es, und die Ahnung mochte ihm wohl das Richtige sagen.

Wir umritten das rings vom Urwald eingefaßte Thal und trafen die Spuren der abgezogenen Räuber; sie führten nach dem Westabhange des Gebirgsstockes zu.

„Allan wollte von hier aus über die Lynn nach dem Humboldtshafen. Die Räuber sind ihm nach!“ meinte Bernard.

„Gewiß; vorausgesetzt, daß er entkommen ist,“ antwortete ich. „Der Umstand, daß wir keine Leichen sehen, beweist noch nicht, daß die Ueberfallenen entkommen sind. Ich denke, die Todten wurden in den See geworfen.“

Tief unter den Wassern des Black-eye lagen wohl jetzt die Männer, welche von Reichthum, Glück und Genuß geträumt hatten. Der finstere Dämon, Gold genannt, hatte sie aus ihren Träumen gerissen und in den Tod gestürzt!

„Und wer waren die Mörder?“ fragte Marshal grimmig.

„Der Mulatte und die beiden Morgans, die uns so lange Zeit entgangen sind, trotzdem wir uns an ihre Fersen geheftet haben.“

„Jetzt aber werden sie unser,“ behauptete Sans-ear, „und dann gehören sie keinem Anderen als Sam Hawerfield, der seine Abrechnung mit ihnen zu halten hat.“

„Also vorwärts, und ihnen nach!“

Die Fährte war nicht so deutlich, daß wir die einzelnen Spuren hätten zählen können; weiter unten aber hatte sich im Hochwalde ein Jeder seine eigene Bahn gesucht, und wir zählten zwanzig Thiere. Ich betrachtete die Eindrücke eine ganze Strecke lang genauer.

„Es sind sechzehn Reiter und vier bepackte Maulthiere. Die Hufe der Letzteren haben sich schärfer abgezeichnet, und Maulthiere sind es, dies sieht man genugsam daraus, daß sie öfters störrisch gewesen. Die Räuber werden also nicht so schnell vorwärts kommen, wie wir, und so ist alle Hoffnung vorhanden, daß wir an sie kommen, noch ehe sie Allan ereilen.“

Am Nachmittag erreichten wir die Stelle, an der sie ihr erstes Nachtlager gehalten hatten. Wir setzten unsern Ritt so lange fort, als wir die Fährte erkennen konnten, und legten uns dann nur auf einige Stunden zur Ruhe. Bei Tagesgrauen ging es schon wieder weiter, und bereits am Vormittag kamen wir an die Stelle ihres zweiten Nachtlagers. Wir waren ihnen also bereits um einen Tag näher gerückt.

Am Abend wollten wir den oberen Sacramento erreichen, der hier von der Shasta niederströmt, und durften dann hoffen, die Bravos morgen einzuholen; aber wir geriethen auf ein höchst unangenehmes Hinderniß. Nämlich die Fährte theilte sich. Der Sacramento macht hier einen weiten Bogen, und grad auf die Mitte dieses Bogens hielten wir zu. Nun aber ging die Spur der vier Maulthiere und von sechs Reitern nach links ab, um den Bogen abzuschneiden, während die Anderen die vorige Richtung beibehalten hatten.

„All devils, das ist fatal,“ meinte Sam. „Ist das eine Kriegslist oder ist es zum Beispiel nur Zufall?“

„Uns gegenüber gewiß nur Zufall,“ antwortete ich.

„Aber weßhalb theilen sie sich?“ fragte Bernard.

„Das ist sehr leicht einzusehen: die Maulthiere, welche die am Black-eye gemachte Beute tragen, sind den Bravos am schnellen Vorwärtskommen hinderlich; darum wird der Transport vorausgeschickt, während die Andern nun mit vermehrter Eile Allan nachjagen. Haben sie ihm das Seinige abgenommen, so wird es wohl am Sacramento einen Ort geben, an welchem man sich wieder trifft.“

„Well, so lassen wir die Maulthiere zum Beispiel laufen und machen uns auch mit vermehrter Eile hinter die Andern her. Meine Tony hat es bereits längst schon übel genommen, daß wir wie Schnecken ziehen!“

„Schöner Schneckenritt! Uebrigens gibt es hier noch Eins zu bedenken, Sam. Welchen von den beiden Morgans willst Du für Dich haben?“

„Zounds, wie Du nur noch fragen kannst, Charley; alle Beide natürlich!“

„Hm, das wird nicht gut gehen!“

„Warum?“

„Die Maulthiere tragen Gold. Wenn Fred Morgan sie von sich schickt, wem wird er sie denn anvertrauen?“

„Nun?“

„Natürlich sonst Niemand als seinem Sohne.“

„Da hast Du Recht! Aber was machen?“

„Welchen möchtest Du eher haben?“

„Den Alten!“

„Nun gut; dann also vorwärts und grad aus!“

Wir setzten wirklich zur vorhergedachten Zeit über den Sacramento und hielten dann drüben unser Lager. Dann ging es am Morgen weiter in das Land hinein, immer der Fährte nach, welche stets deutlich blieb. Am Mittag erreichten wir die Ebene, und

die Spuren waren so frisch, daß die Truppe kaum noch fünf Meilen vor uns sein konnte.

Jetzt strengten wir unsere Pferde zu einem letzten Ritt an. Wir mußten den Verfolgten so nahe kommen, daß wir uns an ihr Nachtlager schleichen konnten. Wir befanden uns Alle in einer beinahe fieberhaften Aufregung; wir hatten ja nun die Mörder, denen wir so lange vergeblich nachgejagt waren, zum Greifen vor uns. Mein Rapphengst trug mich immer voran; hart hinter mir kam der Klepper des Apachen. Da, was ist das? Eine solche Menge von Pferdespuren, daß hier wenigstens hundert Reiter gewesen sein mußten. Der Boden zeigte Spuren eines Kampfes, und an einer großblättrigen Pflanze sah ich sogar Blut kleben!

Wir durchforschten den Platz genau. Links hinüber führten die Spuren dreier Pferde in die Ebene, während eine breite Hufbahn gradaus ging.

Wir folgten der breiten Bahn, und zwar in höchster Eile. Die Reiter waren jedenfalls Indianer gewesen, und da Allan keinen großen Vorsprung hatte, konnte er recht gut in ihre Hände gerathen sein. Noch nicht weiter als eine Meile waren wir gekommen, so sahen wir die Zelte eines Indianerlagers vor uns.

„Shoshones!“ rief Winnetou.

„Schlangenindianer!“ stimmte Sam bei, und wir ritten, ohne anzuhalten, in das Lager ein.

In der Mitte desselben standen mehr als hundert Krieger um einen Häuptling versammelt. Als sie uns kommen sahen, griffen sie zu ihren Büchsen und Tomahawks und öffneten den Kreis.

„Ko-tu-cho!“ rief Winnetou, auf den Häuptling zusprengend, als wolle er ihn über den Haufen reiten; einen einzigen Schritt vor ihm aber parirte er sein Pferd.

Der Angeredete hatte bei dem waghalsigen Reiterstückchen Winnetou’s mit keiner Wimper gezuckt, jetzt aber streckte er die Hand aus.

„Winnetou, der Häuptling der Apachen! Es kehrt Freude ein bei den Kriegern der Shoshones und Wonne in dem Herzen ihres Häuptlings, denn Ko-tu-cho ) hat sich gesehnt, wiederzusehen seinen tapferen Bruder!“

„Und mich,“ rief Sam, „kennt der Häuptling der Schlangen nicht mehr Sans-ear, seinen Freund?“

„Ko-tu-cho kennt all seine Freunde und Brüder. Sie seien willkommen in den Wigwams seiner Krieger!“

Da ertönte seitwärts ein gräßlicher Schrei. Ich wandte mich um und sah Bernard bei einer menschlichen Gestalt am Boden knieen. Schnell trat ich hinzu. Der da neben der Hütte lag, war todt; eine Kugel war ihm in die Brust gegangen. Es war ein Weißer, und er sah Bernard so ähnlich, wie ein Bruder dem andern — ich wußte Alles!

Auch die Andern kamen herbei. Keiner sprach ein Wort. Bernard kniete lautlos neben dem Ermordeten, küßte ihn auf Lippen, Stirn und Wangen, streichelte ihm das wirre Haar aus dem Gesicht und schlang die Arme um seinen Nacken. Dann erhob er sich.

„Wer hat ihn getödtet?“

Der Häuptling antwortete:

„Ko-tu-cho sandte seine Krieger aus, ihre Rosse zu üben; da sahen sie drei Bleichgesichter kommen und hinter ihnen andere Bleichgesichter als Verfolger. Wenn vierzehn Männer drei Männer verfolgen, so sind die vierzehn Männer nicht gut und tapfer; daher eilten die rothen Krieger den Dreien entgegen, um ihnen zu helfen. Aber die Vierzehn schossen auf die Weißen, und dieses Bleichgesicht wurde getroffen. Da nahmen die rothen Krieger elf gefangen und drei entkamen. Dieses Bleichgesicht aber starb in ihren Armen, und die Beiden, die mit ihm waren, ruhen aus auf den Matten des Wigwams.“

„Ich muß sie sehen, auf der Stelle! Dieser Todte ist mein Bruder, ist der Sohn meines Vaters,“ fügte er hinzu, an die weitere Bedeutung denkend, welche bei den Wilden das Wort Bruder hat.

„Mein weißer Bruder ist gekommen mit Winnetou und Sans-ear, den Freunden der Shoshonen, darum wird Ko-tu-cho thun, was er begehrt. Er folge mir!“

)„Der schmetternde Blitz“.

Wir wurden in ein großes Zelt geführt, in welchem die Gefangenen lagen, mit Riemen an Händen und Füßen gebunden. Der Mulatte war dabei: er hatte eine Narbe über die rechte Wange. Die beiden Morgans waren nicht zu sehen.

„Was werden meine rothen Brüder mit diesen Bleichgesichtern thun?“ frug ich.

„Mein weißer Bruder kennt sie auch?“

„Ich kenne sie; es sind Räuber, welche den Tod vieler Männer auf ihrem Gewissen haben.“

„So mögen meine weißen Brüder über sie richten.“

Ich tauschte mit den Andern einen Blick des Einverständnisses und antwortete:

„Sie haben den Tod verdient, doch fehlt uns die Zeit, sie zu richten. Wir übergeben sie unseren rothen Brüdern.“

„Mein Bruder thut Recht daran!“

„Wo sind die beiden Weißen, welche bei dem Todten waren?“

„Meine Brüder mögen mir folgen!“

Wir wurden in ein zweites Zelt geführt, in welchem zwei Männer im Schlafe lagen; sie waren wie Tropeiros gekleidet. Sie wurden geweckt, aber ihre Antworten überzeugten uns, daß sie in einem rein dienstlichen Verhältnisse zu Allan gestanden hatten und uns nur über Aeußerlichkeiten Auskunft ertheilen konnten. Wir kehrten wieder zu dem Todten zurück.

Bernard hatte während der letzten Monate eine harte Schule durchgemacht; er war äußerlich und innerlich stärker geworden, aber seine Hände zitterten dennoch, als er die Taschen des so lange gesuchten Bruders untersuchte. Er entnahm ihnen Alles, was sie enthielten. Er betrachtete jeden einzelnen der ihm bekannten Gegenstände, und als er das Taschenbuch aufschlug und die lieben Schriftzüge erblickte, küßte er die Blätter und brach in ein bitteres Schluchzen aus. Ich stand neben ihm und konnte nicht verhindern, daß auch mir die Thränen über die Wangen rannen.

Die Shoshonen standen dabei, und in den Mienen des Häuptlings zuckte es wie Verachtung über unsere Schwäche. Winnetou mochte das nicht leiden; er deutete auf uns:

„Der Häuptling der Shoshonen denke nicht, daß diese Männer Weiber sind. Der Bruder dieses Todten hat gekämpft mit den Pfahlmännern und Comanchen und eine starke Hand gezeigt, und mein rother Bruder kennt dieses Bleichgesicht: es ist Old Shatterhand.“

Ein leises Gemurmel durchlief die Reihen der Schlangenindianer, und ihr Häuptling trat näher und bot uns seine Hand.

„Dieser Tag wird gefeiert werden in allen Wigwams der Shoshonen. Meine Brüder werden bleiben in unsern Hütten; sie werden von unserm Fleische essen, die Pfeife der Freundschaft mit uns trinken und schauen die Spiele unserer Krieger.“

„Die weißen Männer sind die Gäste der rothen Brüder, aber nicht heut, sondern sie werden wiederkommen. Sie werden zurücklassen die Leiche und die Habe ihres erschlagenen Bruders und sofort nachjagen den entflohenen Mördern,“ antwortete ich.

„Ja,“ bestätigte Bernard, „ich lasse Allan und seine Diener hier zurück und werde keine Minute länger warten. Wer geht mit zur Verfolgung?“

„Wir Alle natürlich!“ meinte ich.

Auch Winnetou und Sam schritten zu ihren Pferden. Der Häuptling gab den Seinigen einige leise Befehle; ein prächtiges, indianisch aufgezäumtes Roß wurde ihm gebracht.

„Ko-tu-cho wird gehen mit seinen Brüdern. Das Eigenthum des todten Bleichgesichts wird aufbewahrt werden im Wigwam des Häuptlings, und seine Frauen werden weinen und singen für den Todten!“

Das war ein kurzer Besuch bei den tapfern Snakes; wir nahmen eine tüchtige Kraft mit fort zur Verfolgung der Räuber.

Ihre Spur war leicht zu sehen. Sie hatten wenig über zwei Stunden Vorsprung; aber es war, als ob unsere Pferde unsere Absicht verständen: — sie fegten über die Ebene, daß die Funken gesprüht hätten, wenn der Boden ein steiniger gewesen wäre. Nur Bobs Brauner zeigte sich ermüdet, aber der Neger trieb das Thier unaufhörlich an, daß es Schritt halten mußte.

„Hoh, hüh, hüüh!“ brüllte er. „Pferd müssen laufen, müssen viel rennen, daß Bob erwischen Mörder von gut Massa Allan!“

Wir brausten dahin.

Die Mitte des Nachmittages war bereits da, und die Fliehenden mußten vor Einbruch des Abends erreicht werden. So ging es fort über drei Stunden lang. Da stieg ich denn doch vom Pferde, um die Spur zu untersuchen. Sie erschien außerordentlich scharf, obgleich der Boden mit dichtem kurzen Grase bedeckt war; noch kein einziger Halm hatte sich wieder aufgerichtet. Die Räuber konnten also höchstens eine Meile von uns entfernt sein.

Jetzt nahm ich von Zeit zu Zeit mein Fernrohr zur Hand, um in der Richtung der Fährte den Horizont abzusuchen. Da, endlich erblickte ich drei Punkte, welche sich scheinbar langsam vor uns her bewegten. „Da vorn sind sie!“

„Halloo, drauf!“ rief Bernard und trieb sein Pferd an.

„Halt!“ rief ich ihm zu. „Damit ist uns nicht gedient. Wir müssen sie umfangen. Mein Hengst und das Pferd des Häuptlings der Schlangen halten den Ritt noch aus. Ich reite rechts, Ko-tu-cho links; in zwanzig Minuten haben wir sie überholt, ohne daß sie uns bemerken, und dann reitet Ihr auf sie los.“

„Uff!“ rief der Häuptling der Shoshonen, und wie von einer Sehne geschnellt, flog er nach links hinüber.

Ich ebenso nach rechts, und in zehn Minuten hatte ich unsere Gefährten, obgleich sie ebenfalls vorwärts ritten, aus den Augen verloren. Ich mußte mich bereits parallel mit den Verfolgten befinden. Mein Hengst zeigte trotz der Anstrengungen der letzten Tage keine Ermattung; er hatte keinen Flocken Schaum vor seinem Maule und keinen Anflug irgend eines Schweißes auf seiner glatten Haut und fegte dahin, so elastisch, als ob sein schön gebauter Körper aus lauter Gummi bestände.

Nach fünfzehn Minuten bog ich links ein, und nach weiteren fünf Minuten sah ich durch das Rohr die drei Mörder seitwärts hinter mir und den Häuptling der Schlangenindianer, wenn auch ein wenig zurück im Verhältnisse zu mir, gleichfalls vor ihnen. Er hielt jetzt auf sie zu, und ich that dasselbe.

Da wir uns nun gegenseitig entgegenritten, bemerkten sie uns sehr bald und stutzten. Sie blickten hinter sich — und sahen sich hier auch verfolgt; es gab für sie nur eine Art des Entkommens, das Durchbrechen. Sie wandten sich hinüber zu dem Shoshonen.

„Jetzt halte aus, mein Rappe!“

Jenen schrillen, scharfen Schrei ausstoßend, der ein indianisch dressirtes Pferd zur Aufbietung seiner ganzen Kraft und Schnelligkeit, und wenn es bis zum Tode sein sollte, stets antreibt, warf ich den Arm empor und stellte mich aufrecht in dem Bügel, um dem Thiere die Last und das Athmen zu erleichtern. Es war ein Ritt, wie man ihn nur macht, wenn der Savannenbrand hinter dem Reiter hertobt.

Da hielt der Eine, in dem ich sofort Fred Morgan erkannte, sein Pferd an und legte die Büchse an die Wange. In demselben Augenblick, in welchem es aufblitzte, stürzte der Häuptling, wie vom Wetter getroffen, sammt dem Pferde zur Erde. Ich glaubte, daß der Schuß ihn oder sein Pferd getödtet habe, und stieß einen Schrei der Wuth aus; ich hatte mich aber geirrt, denn schon im nächsten Moment saß er wieder auf und stürmte mit geschwungenem Tomahawk auf die Drei ein. Es war eines jener Kunststücke gewesen, zu welchen die Indianer ihre Pferde Jahre lang dressiren. Sein Pferd war abgerichtet, auf ein bestimmtes Wort sich blitzschnell zur Erde zu werfen; dann mußte die Kugel über Beide hinwegfliegen.

Eben schlug er den Einen nieder, als ich auf Fred Morgan einstürmte. Ich mußte ihn lebendig haben und achtete nicht darauf, daß er seine Büchse, deren anderer Lauf noch geladen war, auf mich richtete. Sein Pferd stand nicht ruhig; der Schuß krachte, und die Kugel fuhr durch den Aermel meines Jagdrockes.

„Hurra, hier ist Old Shatterhand!“

Der Lasso sauste; mein Pferd warf sich herum und galoppirte rückwärts; ich fühlte einen starken Ruck, doch lange nicht so stark wie damals bei der Büffelkuh des ehrenwerten Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo, und blickte um mich. Die Schlinge hatte ihm beide Arme an den Leib gezogen und riß ihn hinter mir her. Zu gleicher Zeit sah ich, daß auch Sam mit den beiden Andern den Platz erreicht hatte. Der dritte Räuber schoß auf Bernard, wurde aber in einem und demselben Augenblicke von der Kugel Sam’s und dem Tomahawk des Häuptlings niedergestreckt. (Schluß folgt.)

(664)
Nachdruck verboten.

Deadly dust.

Ein Abenteuer aus dem nordamerikanischen Westen von Karl May.

(Schluß.)

Initial IIch sprang ab. Endlich, endlich hatten wir ihn! Er war durch den Sturz vom Pferde betäubt. Ich nahm meinen Lasso von ihm ab und band ihn mit seinem eigenen. Nun waren auch die Andern da. Bob war der Erste, der vom Pferde sprang; er zog das Messer.

„Oh, ah, da sein Nigger Bob mit Messer, der stechen langsam zu Tode schlecht’ bös’ Räuber und Mörder!“

„Stopp!“ rief Sam, ihn bei der Hand erfassend. „Dieser Mann ist mein!“

„Sind die Andern todt?“ fragte ich.

„Beide!“ antwortete Bernard, dem das Blut von seinem rechten Schenkel niederlief.

„Seid Ihr verwundet?“

„Bloß gestreift.“

„Das ist trotzdem schlimm, da wir noch einen weiten Ritt vor uns haben. Wir müssen ja den Maulthieren nach! Was thun wir mit Morgan?“

„Er ist mein,“ antwortete Sam, „und so habe ich über ihn zu bestimmen. Ich übergebe ihn Master Bernard und Bob, die ihn nach dem Lager der Shoshonen bringen und dort bewachen, bis wir zurückkehren. Bernard ist verwundet und hat zum Beispiel mit seinem Bruder zu schaffen; Bob muß bei ihm sein, und wir Vier sind, wie ich denke, Manns genug für die sechs Männer bei den Maultieren.“

„Der Plan ist gut, also rasch!“

Morgan wurde sorgsam auf sein Pferd gebunden; Bernard und Bob nahmen den Gefangenen in ihre Mitte und kehrten nach dem Lager der Shoshonen zurück. Wir aber blieben, um unsere Pferde zunächst verschnaufen und ein wenig weiden zu lassen.

„Lange dürfen wir nicht verweilen,“ meinte ich. „Wir müssen den Tag noch benutzen, um vorwärts zu kommen.“

„Wohin gehen meine Brüder?“ frug Ko-tu-cho.

„Nach dem Wasser des Sacramento zwischen den Bergen von San John und San Josef,“ antwortete Sam.

„So mögen sie nicht Sorge haben! Der Häuptling der Shoshonen kennt jeden Schritt des Weges nach diesem Wasser. Sie können ihre Thiere grasen lassen und dann des Nachts reiten.“

„Wir hätten diesen Morgan doch nicht so schnell fortschicken, sondern ihn erst ausfragen sollen,“ bemerkte Sam.

„Warum?“

„Wir konnten ihn verhören.“

„Das werden wir später thun, oder vielmehr, das brauchen wir gar nicht zu thun. Seine Schuld ist zehnmal erwiesen.“

„Aber wir konnten von ihm erfahren, wo er mit den Maulthieren zusammentreffen wollte!“

„Pshaw! Glaubst Du wirklich, daß er uns das gesagt hätte?“

„Möglich!“

„Nein. Er wird uns seinen Sohn und die geraubten Schätze nicht an das Messer liefern, besonders da er sehr genau weiß, daß er damit sein Schicksal nicht zu ändern vermag.“

„Mein Bruder Shar-Iih hat recht!“ bestätigte auch Winnetou. „Und die Augen der rothen und weißen Jäger sind scharf genug, um zu finden die Spuren der Maulthiere.“

Da hatte er allerdings nicht ganz Unrecht, doch hätten wir sicher Zeit erspart, wenn wir den Ort erfahren konnten.

„Wen suchen meine Brüder?“ frug der Shoshone, ganz gegen die sonstige Gewohnheit dieser Leute, welche Fremden gegenüber niemals Neugierde verrathen. Hier aber befand er sich bei Männern, die er sich ebenbürtig dachte, und konnte also von der sonst gebotenen Zurückhaltung abweichen.

„Die Gefährten der Räuber, welche von den Kriegern der Shoshonen gefangen wurden.“

„Wie viel sind es?“

„Sechs.“

„Die wird ein Einzelner meiner Brüder tödten. Wir werden sie finden und zu den Uebrigen versammeln.“

Als die Dämmerung hereinbrechen wollte, waren unsere Pferde so frisch, daß wir sie von Neuem anstrengen durften. Wir saßen auf und überließen uns der Führung des Häuptlings, welcher während des Abends und der ganzen Nacht uns voranritt und dabei eine Sicherheit bekundete, die uns die Wahrheit seiner Versicherung bewies, daß er jeden Schritt des Weges kenne.

Die Prairie lag längst hinter uns. Wir hatten bald Berge zu erklimmen, bald Thäler zu durchreiten und bald kurze Wald- oder Savannenstrecken zu durchschneiden. Nach einer kurzen Rast, welche wir am Morgen hielten, folgten wir der eingeschlagenen Richtung, bis wir das Thal des Sacramento vor uns sahen.

Wir ritten in dasselbe hinab. Grad vor uns lag an einer Stelle, von welcher aus sich links und rechts ein Seitenthal in die Berge zog, ein aus Erdmauern, die mit Brettern verkleidet waren, aufgeführtes Haus, dessen Thürüberschrift es als „Hotel“ bezeichnete. Der Besitzer desselben hatte einen sehr günstigen Punkt für seine Niederlassung gewählt; das zeigte die Frequenz, deren er sich zu erfreuen haben mochte, denn vor dem Hause stand eine Menge von Karren, Reit- und Lastthieren, und das Innere desselben mochte wohl nicht alle Gäste fassen, da die im Freien angebrachten Tische und Bänke sehr zahlreich besetzt waren.

„Gehen wir dort hinein, um uns zu erkundigen?“ frug mich Sam.

„Hast du noch Nuggets für Ale aus Burton in Staffordshire?“ entgegnete ich ihm lachend.

„Habe noch Einiges von dieser Sorte!“

„So gehen wir hinein!“

„Hinein nicht, sondern bloß hin, wenn es Dir gefällig ist; denn ich liebe zum Beispiel nichts so sehr wie eine Hand voll freier, frischer Luft.“

Wir ritten hinzu, banden unsere Pferde an und setzten uns in einen Bretterverschlag, über welchem die stolze Inschrift „Veranda“ prangte.

„Was trinken die Herren?“ frug der herbeieilende Ganymed.

„Bier. Was kostet es?“

Aha, der gute Sam war heut vorsichtiger, als damals im Yellow-water-ground.

„Porter einen halben Dollar, Ale ebenso.“

„Dann Porter!“

Er brachte vier Flaschen und eben wollte trotz seiner Eilfertigkeit Sam die Erkundigung beginnen, als ich einen Blick durch das Loch warf, welches auf der Straßenseite als Fenster diente, und ihm schleunigst einen Wink gab.

Das eine Seitenthal herab kamen nämlich sechs Reiter, von denen zwei vier Maulthiere am Zügel führten, und der Vorderste war kein Anderer als Patrik Morgan. Sie hielten auf das „Hotel“ zu, banden ihre Thiere an und setzten sich dann an einen Tisch, welcher draußen unter unserm Fenster stand. Besser und bequemer konnten wir es uns ja gar nicht wünschen!

Aber warum waren ihre Maulthiere nicht mehr beladen? Sicher hatten sie die geraubten Gegenstände in irgend einem Versteck untergebracht und begaben sich nun nach dem Stelldichein, an welchem sie mit ihren Gefährten zusammentreffen wollten.

Sie bestellten Brandy und begannen dann ihre Unterhaltung, von welcher wir jedes Wort verstanden.

„Ob wir Euern Vater und den Capitain schon treffen werden?“ frug der Eine.

„Möglich. Sie konnten rascher reiten, als wir, und werden mit diesem Marshal wohl leicht fertig geworden sein. Er hatte ja bloß zwei Begleiter.“

„Ein höchst unvorsichtiger Mensch; solche Schätze bei sich führen und nur zu Dreien reisen!“

„Desto besser für uns! Unvorsichtig scheint er überhaupt stets gewesen zu sein, sonst hätte er im Yellow-water-ground nicht seinen geschriebenen Reiseplan weggeworfen. Aber, alle Teufel, was ist denn das!“

„Was?“

„Seht Euch einmal dort die Pferde an!“

„Drei prächtige Thiere; aber das vierte ist ja ein wahres Unicum. Welcher vernünftige Mensch setzt sich auf eine solche miserable Kreatur!“

Sam ballte die Faust.

„Werde Euch bekreaturen, daß Euch zum Beispiel die Seele aus der Haut fahren soll!“ brummte er.

„Ja, ein Unicum ist es allerdings, dieses Pferd; trotz seines häßlichen Aussehens ist es eines der bekanntesten und berühmtesten Pferde des wilden Westens. Wißt Ihr, wem es gehört?“

„Nun?“

„Sans-ear.“

„Alle Wetter! Der soll allerdings einen solchen Ziegenbock reiten!“

„Dieser Kerl ist also wirklich hier! Trinkt aus! Ich habe einmal ein kleines Zusammentreffen mit ihm gehabt und mag mich nicht von ihm erkennen lassen.“

„Wirst es aber doch nicht umgehen können,“ murmelte Sam.

Die Sechs stiegen auf und ritten thalabwärts davon.

„Das sind die Männer, welche wir suchen,“ erklärte ich dem Shoshonen. „Meine beiden rothen Brüder werden sie überholen, und ich folge mit Sam nach. Dann nehmen wir sie zwischen uns.“

„Uff!“ antwortete er und stand auf.

Er und Winnetou stiegen zu Pferde. Sam bezahlte das Porterbier, welches gar nicht so übel gewesen war, und dann ritten wir hinterdrein, uns immer so haltend, daß wir vor den Blicken der Verfolgten gedeckt waren.

Die Gegend wurde schnell einsam, und als wir ein Terrain erreichten, wo uns kein Gebüsch und keine Ecke des Weges mehr verbergen konnte, ließen wir unsere Pferde weit ausgreifen. Wir erreichten die Galgenvögel, ehe sie sich nur recht bewußt wurden, daß es ihnen galt.

„Good day, Master Merkroft!“ grüßte Sam. „Sind das noch immer die Pferde, die ihr den Comanchen gestohlen habt?“

„s’ death!“ fluchte der Angeredete und raffte die Büchse empor, wurde aber vom Pferde gerissen, ehe er losdrücken konnte.

Die beiden Häuptlinge hatten sich nur wenige Schritte vor den Bravos gehalten, und der Lasso Winnetou’s war ihm um die Schultern geflogen. Im Nu stoben die andern Fünf aus einander. Sam und der Shoshone schossen ihre Büchsen auf sie ab und wollten ihnen folgen.

„Halt, laßt sie!“ rief ich. „Wir haben ja den Hauptspitzbuben!“

Sie gehorchten nicht. Noch zwei Schüsse krachten, und den Letzten schlug der nachsetzende Ko-tu-cho vom Pferde.

„Was thut Ihr nur?“ schalt ich Sam. „Ihre Spur hätte uns sicherlich erst zum Stelldichein und dann an den Ort geführt, wo sie ihren Raub verborgen haben!“

„Dieser Morgan hier wird ihn uns auch sagen müssen!“

„Wird sich hüten!“

Es zeigte sich bald, daß ich Recht hatte, denn er gab trotz aller Drohungen auf keine unserer Fragen eine Antwort. Das Gold, wegen dessen so viele Menschen hatten sterben müssen, war verloren — deadly dust!

Wir banden ihn, wie vorher seinen Vater, auf das Pferd, ritten, um das „Hotel“ zu vermeiden, durch den Sacramento, der hier nicht tief ist, und erreichten die Berge, ohne von Jemand behelligt zu werden.

Auch während unsers ganzen weiteren Rittes war kein Wort aus dem Gefangenen herauszubringen, und nur, als wir das Lager erreichten und er den uns entgegen kommenden Juwelier erkannte, murmelte er einen Fluch in den Bart. Ich schaffte ihn in das Zelt, in welchem sich noch die andern Gefangenen befanden. Auch sein Vater lag da.

„Master Morgan, hier stelle ich Euch Euern Sohn vor, nach dem Ihr wohl eine große Sehnsucht gehabt habt.“

Der Alte blitzte mich mit wuthvollen Augen an, sprach aber kein Wort. Es war gegen Abend, als wir das Lager erreicht hatten; das Gericht über die Gefangenen mußte also bis morgen verschoben werden. Wir hielten als Gäste des Häuptlings in dessen Zelt unser Nachtmahl und rauchten das „Calumet des Friedens.“ Dann begab sich Jeder in das ihm angewiesene Zelt.

Die letzten Tage hatten mich doch ermüdet, und ich schlief außerordentlich fest, was hier mitten im Lager auch der Fall sein durfte, draußen in der Prairie aber sicherlich nicht geschehen wäre. Träumte ich, oder war es Wahrheit? Ich befand mich im Kampfe mit wilden Gestalten, welche mich drohend umringten; ich schlug rasend um mich, und doch wuchsen die Feinde zu Dutzenden immer wieder aus dem Boden empor. Der Schweiß lief mir von der Stirn, ich sah meine letzte Stunde kommen und fühlte zum ersten Male die Angst des Todes mich erfassen. Es war ein Traum, und die Beklemmung erweckte mich doch endlich, und kaum halb wach geworden, vernahm ich draußen ein entsetzliches Getümmel.

Ich sprang auf, griff, ohne vollständig bekleidet zu sein, zu den Waffen und eilte hinaus. Die Gefangenen hatten sich auf eine auch später nicht zu erklärende Weise ihrer Fesseln entledigt, waren aus dem Zelte entkommen und hatten die glücklicher Weise zahlreich dort aufgestellten Wachen überrumpeln wollen.

Aus allen Zelten sprangen die braunen Gestalten der Indianer hervor, der Eine nur mit dem Messer, der Andere mit dem Schlachtbeile und ein Dritter mit der Büchse bewaffnet. Eben kam auch Winnetou herbei und überflog mit einem raschen Blick die Szene, welche sich im Scheine der Wachtfeuer abspielte.

„Rund um das Lager!“ donnerte er in das Getümmel hinein, und sofort huschten sechzig bis achtzig Gestalten zwischen die Zelte.

Ich erkannte, daß meine Theilnahme am Kampfe nicht nöthig sei. Die Gefangenen hatten keine Feuerwaffen, und die Indianer waren ihnen an Zahl zehnfach überlegen. Als ich auch Sam’s Stimme mitten im Knäuel der Ringenden vernahm, konnte ich vollends beruhigt sein. Und in der That, es dauerte keine zehn Minuten, so erscholl der Todesschrei des Letzten, welcher niedergemacht wurde. Ich sah von Weitem sein fahles Gesicht; es war Fred Morgan, den Sam’s Messer getroffen hatte.

Langsam kam nun Sam zwischen den Zelten heraufgeschritten. Er erblickte mich.

„Charley! Warum warst Du nicht dabei?“

„Ich dachte, Ihr wäret Euer genug.“

„Well, ist auch so gewesen! Aber wenn ich nicht selbst vor dem Zelte der Gefangenen gesessen hätte, so wären sie zum Beispiel vielleicht glücklich durchgekommen. Ich lag ganz an der Wand und hörte das Geräusch innen, und weil ich die Wachen warnte, waren sie aufmerksam.“

„Ist Jemand entkommen?“

„Keiner! Habe sie gezählt. Hatte mir aber meine Abrechnung mit den Morgans anders gedacht!“

Er kauerte sich vor mir nieder und schnitt die lange ersehnten zwei Kerben in seine Büchse ein.

„So, jetzt sind sie gerächt, die ich lieb hatte, Charley, und nun mag der Tod kommen, heut oder morgen!“

„Sam, wir wollen als Christen hinzufügen: Möge Gott den Verbrechern ein gnädiger Richter sein!“

„Well, Charley; ich hasse sie nicht über das Grab hinaus. Es sei ihnen verziehen!“

Er ging langsam weiter und kroch in sein Zelt.

Am andern Tage gab es eine traurige Feier: Allan Marshal wurde begraben. In Ermangelung eines Sarges war er in mehrere Büffelfelle eingeschlagen worden. Die Shoshonen hatten von Steinen ein Viereck aufgebaut, in welches die Leiche gelegt wurde. Dann wurde das Viereck zur Pyramide zugespitzt, um welche man so viele Steine häufte, als zu finden waren. Oben auf die Spitze steckte ich ein Kreuz aus Baumästen — das Siegeszeichen der Erlösung. Bernard bat mich, eine kurze Leichenrede zu sprechen und ein Vaterunser vorzubeten. Ich that es tief ergriffen und sah mit inniger Rührung, daß sämmtliche Shoshonen, welche ernst im Kreise standen, unserm Beispiele folgten und ihre Hände falteten.

Als das Begräbniß beendigt war, ließen die Snakes dem trauernden Bernard keine Zeit, seinem Schmerze nachzuhängen. Wir blieben eine ganze Woche da, welche wir so mit Jagd, Kampfspielen und andern Unterhaltungen verbrachten, daß sie uns wie ein Tag wurde.

Die Leichen der gefallenen Gefangenen waren hinaus in die Prairie getragen worden.

Am Tage des Scheidens nahm ich eine Kohle und schrieb auf den größten Stein der Pyramide die Worte: „Deadly dust“. — Allan war am tödtlichen Staub gestorben.

Ich sollte mit Bernard nach San Franzisco zurückkehren, was ich auch zusagte, da ich Peru sehen wollte. Sam und Winnetou zogen es vor, längs des Schlangenflusses nach den drei Tetons zu gehen, um von da die Prairien am Missouri zu erreichen. Wir nahmen dieses Mal Abschied für das ganze Leben, als wir auf der Höhe hielten, von welcher aus sich das Land hinunter nach dem stillen Meere zieht. Winnetou, Ko-tu-cho und Sam mit seiner Tony hatten uns bis hierher begleitet.

Sie nahmen zuerst vom Bernard, welcher auf einigen Maulthieren die Hinterlassenschaft seines Bruders mit sich führte, Abschied; dann kam ich an die Reihe. Sam reichte mit die Hand.

„Charley, mit ist’s zum Beispiel ganz, als müßte ich meine Tony von mir geben. Du findest vielleicht wieder einen alten Sam oder so Etwas, denn Du bist noch jung, ich aber finde keinen — pshaw! Good bye!“

Die Rührung übermannte ihn; er warf seine Stute herum und trabte von dannen. Auch der Shoshone gab mir die Hand.

„Möge die Sonne leuchten über dem Leben meines weißen Bruders jetzt und immerdar!“

Auch er sprengte davon.

Winnetou stand still und in sich gekehrt. Er war abgestiegen. Endlich erhob er die Hand.

„Shar-lih! Der Wind küßt die Blume und geht, aber sie gedenkt seiner; in Deinem Herzen sei die Blume, welche nie vergißt Winnetou, den Häuptling der Apachen. Der große Geist blickt freundlich auf alle seine Menschenkinder, sie aber gedenken nicht seiner Gnade und Liebe und tödten sich. Die Bleichgesichter werden ausrotten die Zahl der rothen Männer, aber in dem Herzen meines weißen Bruders wohnt die Liebe des großen Manitou; seine Gedanken werden sein stets in der Savanne, und wenn Winnetou zu seinen Vätern geht, wird er in den ewigen Jagdgründen wiedersehen seinen tapfern Bruder. Howgh!“

Er blieb stehen, und ich ritt davon.

Als ich das Thal erreichte, stand er noch immer oben, mich mit seinem Falkenauge verfolgend.

Und so steht er noch heut in meiner Erinnerung und wird nie darin verlöschen, er, der edle Typus einer dem Untergang geweihten Rasse, der meine innigste Theilnahme ge­hört. — — —

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