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Der Krumir. )

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

I. Saadis el Chabir.

Zwar zeigte mein Chronometer erst neun Uhr vormittags, doch stachen die Strahlen der afrikanischen Sonne bereits mit intensiver Schärfe auf das vor uns liegende Thal hernieder. Wie beide waren allerdings gegen die Wärme recht gut geschützt. Zu unseren Häupten breitete ein riesiger Mastix, in dessen gefiederten Blättern ein leichter Nordwind säuselte, seine Äste aus und badete seine Wurzelspitzen in dem kühlen Wasser eines Baches, welcher in eiligstem Laufe den Fluß zu erreichen suchte.

Wir kamen aus der Provinz Konstantine, hatten gestern zwischen Dschebel Frima und Dschebel el Maalega die tunesische Grenze überschritten und waren dann quer durch das Wadi Melis gegangen. Zwischen den westlichen, steilen Abhängen des Dschebel Gwibub hatten wir unter Feigen und Granaten unser Nachtlager aufgeschlagen, waren dann heut in östlicher Richtung über die Höhen gegangen und hielten nun eine kurze Morgenrast.

Wir wollten bis zum Abend Seraïa bent erreichen und mußten zu diesem Zwecke das Wadi Mellel durchschneiden, welches mit seinen Cypressen-, Johannisbrot- und Mandelbüschen vor uns lag.

»Wie weit ist es noch bis Kef?« frug ich meinen Diener.

»Nach dem Maße der Franken können es fünfundzwanzig Kilometer sein, Sihdi,« antwortete er.

Er war lange Zeit in Algier gewesen, und daher war ihm das französische Maß geläufig.

»Und bis Seraïa bent?«

»Acht Kilometer in gerader Richtung. Wie ich gehört habe, sind dort die Uëlad Sebira auf der Weide. Herr, ich werde die Meinen wiedersehen, den Vater, die Mutter und —«

Er hielt inne.

»Und wen noch?« frug ich.

»Sihdi, du hast mich nie gefragt, ob ich eine Bent Aenn ) habe. Ich weiß, warum du es nicht thatest, aber ich sage dir, daß die Bedawi ✽✽) es nicht für eine Sünde halten, von ihren Frauen zu sprechen und die Morgenröte ihres Angesichtes sehen zu lassen. Das Frauen und Töchter der Uëlad Sebira haben das Herz der Taube, aber nicht die Augen der Tänzerinnen; sie brauchen ihr Gesicht nicht zu verhüllen.«

)Heißt eigentlich Base, wird aber als Höflichkeitsform für „Frau“ gebraucht.

✽✽)Beduinen.

»So giebt es also zwei Taubenaugen, deren Blick deine Seele erleuchtet?«

»Ich habe noch kein Weib; aber Scheik Ali en Nurabi hat eine Tochter. Sie heißt Mochallah, die Wohlriechende; ihre Füße sind wie die Füße der Gazelle; ihr Haar gleicht den Locken von Dscheheresade; ihre Augen sind wie die Sterne am Himmel; ihre Stimme ist lieblich wie der Gesang des Sandes um Mitternacht, und ihr Gang ist wie der Schritt einer Königin, die durch die Reihen ihrer Sklavinnen wandelt. Allah il Allah — es gibt nur einen Gott, aber es gibt auch nur eine Mochallah! Du wirst sie sehen, Sihdi, und deine Zunge wird mein Glück preisen, mein Glück, welches höher ist als der Himmel, tiefer als die Fluten des Meeres und weiter als die Wüste es Sahar und alle Länder der Erde.«

Er hatte sich erhoben. Sein Auge leuchtete, seine braunen Wangen verdunkelten sich, und seine Hände begleiteten die Rede mit lebhaften Gesten.

»Und Mochallah, die Wohlriechende, wird dein Weib sein?« erkundigte ich mich.

»Sie wird mein Weib sein. Sie ist die Sonne meiner Tage, der Traum meiner Nächte, der Preis meiner Thaten und das Ziel aller meiner Gedanken. Sihdi, ich war arm, aber um sie zu erringen, ging ich fort von den Zelten der Kinder es Sebira. Hamdulillah, Preis sei Gott, der meine Hand und meinen Fuß gesegnet hat! Ich habe mir viele Franken und Piaster verdient; am wohlthätigsten aber hat deine Gnade über mir geleuchtet, Effendi, und nun kann ich dem Scheik bezahlen, was er für seine Tochter von mir gefordert hat. Ich bin Achmed es Sallah und werde der Glücklichste der Sterblichen sein — insch’ Allah, wenn es Gott gefällt!«

»Allah kerihm — Gott ist gnädig, doch die Schicksale des Menschen sind im Buche aufgezeichnet. Möge der Baum deines Lebens duften wie die Blume el Mochallah, die deine Seele bezaubert hat!«

»Effendi, der Baum meines Lebens wird sein wie der Baum des Paradieses, der ewig Blüten und Früchte trägt, und aus dessen Wurzeln tausend kühle Quellen strömen. Da drüben erhebt sich der lange Kamm des Dschebel Hemormta wergra, bis an dessen Fuß die Herden meiner Brüder weiden. Laßt uns aufbrechen, damit ich keinen Tropfen verliere von dem Meere der Seligkeit, dessen Fluten ich bereits rauschen höre!«

»Sollen wir die Pferde nicht noch länger ruhen lassen, Achmed?«

»Die Pferde, Sihdi? War dein Rapphengst nicht

) Diese Novelle umfaßt ca. 126 Spalten.

das beste Pferd unter den Arab el Hadeddiha zwischen den Flüssen Phrath und Tigris? Wird er nicht »Rih« ) genannt, weil er schneller noch und unermüdlicher ist als der Sturm, der von den Bergen des Aures braust? Ist meine Fuchsstute nicht im Wadi Serrat geboren, welches berühmt ist wegen seiner Tiere, die niemals ermatten? Wir könnten heut’ noch Kef erreichen, trotz der Berge und Flüsse, welche zwischen dort und hier zu finden sind.«

»Gut, so wollen wir aufsitzen!«

Er hatte recht. Was mein Pferd betrifft, so hätte ich es gegen kein Tier der Welt vertauscht, und das seinige war eines der besten, die ich jemals gesehen hatte. Auch er selbst war ein Mann, über den man sich nur freuen mußte. Von zwar nur mittler, aber kräftiger und herrlich ebenmäßiger Gestalt, sah er in seinem weißen Haïk, mit dem wehenden Turbantuche und den messingbeschlagenen Waffen aus wir eine Gestalt aus den Zeiten Saladin des Großen. Dabei war er treu, ehrlich, wahr und offen, abgehärtet gegen alle Mühen und Entbehrungen und unerschrocken in jeder Gefahr, fast möchte ich sagen, verwegen. Dazu sprach er nicht nur alle landläufigen Dialekte, sondern er war auch, ehe er nach Algier ging, in Stambul gewesen und hatte sich dort zur Genüge auch mit dem Türkischen bekannt gemacht. Aus allen diesen Gründen war er mir bisher ein wertvoller Begleiter gewesen, den ich mehr als Freund denn als Diener zu behandeln pflegte, und so that es mir wirklich leid, ihn so bald verlieren zu müssen.

Wir ritten längs des Baches den kurzen Abhang vollends hinab und hielten dann unten im Thale grad auf den Fluß zu. Das Wasser des Wadi Mellel ist nicht breit; wir gelangten sehr leicht an das andere Ufer und damit in eine nicht sehr große, vollständig ebene Lichtung, welche rings von einem wilden Olivengebüsch eingefaßt wurde.

»Maschallah — Wunder Gottes, was ist das, Sihdi?« frug da plötzlich Achmed, indem er nach links deutete.

Ich sah in der angedeuteten Richtung, also oberhalb unsers Standpunktes, ein Rudel Gazellen aus den Büschen brechen. Meine Jagdlust erwachte sofort.

»Sie kommen grad’ auf uns zu, Achmed. Sie sind auf der Flucht!«

»So ist es, Sihdi. Siehst du den Fahad ✽✽), der jetzt hinter ihnen aus dem Busche schnellt? Was thun wir?«

»Wir jagen mit und verlegen den Antilopen den Weg. Mein Pferd ist noch schneller als das deinige; halte dich hier am Flusse; ich werde nach rechts hinübergehen.«

)Wind.

✽✽)Gepard, Jagdleopard.

»Aber, Sihdi, dürfen wir? Der Fahad gehört jedenfalls einem Scheik, oder gar dem Emir von Kasr el Bordsch!«

»Pah, wir thun dennoch mit. Vorwärts!«

Wie von der Sehne geschnellt, flog mein Pferd über die Ebene dahin. Die Gazellen mußten sich in größter Angst befinden, da sie uns nicht beachteten, trotzdem die Entfernung keine bedeutende war. Sie hatten zweimal gebogene, schwarze, leierförmige Hörner und waren oben hellbraun, unten weiß gezeichnet; Schwanz und Seitenstreifen zeigten eine dunkelbraune Farbe; wir hatten es also mit Antilope dorcas L. zu thun. Ich zählte vierzehn Stück, ließ also die Doppelbüchse auf dem Rücken und langte nach dem Henrystutzen, aus dem ich meine Kugeln abgeben konnte, ohne zwischen jedem Schusse zu laden. Dieses Gewehr hatte mir in Amerika, Australien und Asien große Dienste gethan und auch jetzt immer die Bewunderung meines wackern Achmed auf sich gezogen.

Jetzt hatte der Gepard die hinterste der Gazellen erreicht; mit einem weiten Sprunge warf er sich auf sie und riß sie nieder. Ich hielt mein Pferd an und zeigte demselben das Gewehr. Sofort stand das kluge Tier vollständig bewegungslos, wie aus Erz gegossen. Ich hätte eine halbe Stunde lang im Sattel bleiben und schießen können, ohne daß es auch nur einmal den Kopf gehoben hätte. Es hatte in seiner fernen Heimat die beste arabische Dressur erhalten. Eben krachte mein erster Schuß, als ich es auch aus dem Gewehre Achmeds aufblitzen sah. Zwei Tiere stürzten zu Boden. Zu gleicher Zeit wurde das Buschwerk von neuem durchbrochen, und ich bemerkte sechs Reiter, fünf in arabischer Tracht und der sechste in der goldstrotzenden Uniform eines hohen, tunesischen Offiziers. Auf seiner linken Faust sah ich einen Schahiha [Schahihn]) sitzen. Er stutzte einen Augenblick, als er uns sah, dann häubte er den Vogel ab und warf ihn empor. Sofort stieß der Falke auf eine der Gazellen, unglücklicherweise aber auf diejenige, die ich in ganz demselben Augenblicke auf das Korn genommen hatte; es war zu spät, den Finger zurückzunehmen, denn ich war bereits im Abdrücken — beide Tiere wälzten sich am Boden. Ohne mich um sie zu kümmern, wandte ich mich den vorüberschießenden Gazellen nach und gab noch zwei Schüsse ab. Da aber hörte ich den Hufschlag eines Pferdes hinter mir, und eine Hand faßte meinen Arm.

»Chammar el kelb — Hund von einem Betrunkenen, wie darfst du wagen, hier zu jagen und meinen Schahiha zu erschießen!« donnerte es mich an.

Ich wandte mich um. Es war der Offizier. Seine Augen blitzten vor Zorn; die Spitzen seines Schnurrbartes zitterten heftig, und sein sonst wohl sehr gutmütiges -

)Jagdfalke. Von den Arabern wird nur Falco lanarius mit „Scha­hi­ha“ [„Schahihn“] bezeichnet.

gutmütiges Angesicht hatte sich dunkel gerötet. Ich war nicht gewillt, mir solche Reden bieten zu lassen, und schüttelte seine Hand von meinem Arme.

»Hawuahsch — laß mich in Ruh!« donnerte ich ebenso herzhaft zurück. »Sagst du noch ein einziges solches Wort, so schlage ich dich mit dieser meiner Faust von Pferde!«

»Allah aienak — Gott helfe dir!« antwortete er, indem er nach dem Griffe seines Dschaubiäh ) faßte. »Mensch, bist du verrückt? Weißt du, wer ich bin?«

»Der Besitzer eines ungeschickten Falken bist du, weiter nichts!«

»Dieser Kerl macht meinen Falken schlecht,« rief der Mann. »Allah ist affer — Gott mag es ihm vergeben! Wirst du gleich von deinem Pferde steigen und mir Abbitte thun!«

»Allah kerihm — Gott ist gnädig; er mag deine Gedanken lenken, damit du dich nicht lächerlich machst. Bist du vielleicht Mohammed es Sadak Bey, der Herrscher von Tunis, oder gar der Sultan von Stambul, daß du von mir verlangst, um Verzeihung zu bitten?«

»Ich bin weder der Sultan, noch der Bei von Tunis, den Allah segnen möge, aber ich bin sein Apha el harass, der Oberste seiner Leibgarde. Herunter vom Pferde, wenn du nicht die Bastonnade schmecken willst!«

Ich zog in höchster Überraschung mein Pferd etwas zurück.

»Allah akbar — Gott ist groß! Bist du wirklich der Bei el mamluk des Beherrschers von Tunis?«

»Ich sage es!« antwortete er stolz.

Welch ein Zusammentreffen! Dieser Mann also war »Krüger-Bei«, der originelle Anführer der tunesischen Leibscharen! Ich hatte oft, sehr oft von ihm sprechen gehört. Er war keineswegs ein Afrikaner, sondern er stammte als der Sohn eines Bierbrauers aus der »Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches deutscher Nation.« Sein Kismet hatte ihn im Anfange der dreißiger Jahre nach Tunis verschlagen, wo er zum Islam übertrat. Dadurch erwarb er sich die Gnade des Propheten und aller heiligen Kalifen in der Weise, daß er von Stufe zu Stufe stieg und endlich gar die ehrenvolle Aufgabe erhielt, an der Spitze der Leibmameluken das teure Leben Mohammed es Sadak Paschas zu beschützen. Aber das verleugnete Vaterland schwur ihm Rache. Es sandte nicht etwa, wie Griechenland es vielleicht gethan hätte, drei Erynnien über ihn, sondern es ließ volle fünf unermüdliche Rachegötter über ihn herfallen, und deren Namen lauteten Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ und Syntax. Er hatte das Deutsche nie anders als im Brandenburger Dialekt sprechen können, drüben in

)Krummer Dolch.

Afrika kamen ihm die Regeln seiner Muttersprache nach und nach abhanden, und wenn er sich ihrer nun einmal bedienen wollte, so eilten sofort die genannten fünf Rächer herbei, um sich seiner zu bemächtigen und ihn in ihrem grammatikalischen Höllenfeuer schwitzen und schmoren zu lassen.

Hiervon sollte ich jetzt gleich ein Beispiel erleben. Wir hatten bisher arabisch gesprochen, nun aber machte ich meiner Überraschung in deutschen Worten Luft: »Sapperlot, Herr Oberst, hätte ich das gewußt, so wäre unsere Unterhaltung etwas manierlicher ausgefal­len — — —!«

Er riß die Augen auf und öffnete den Mund sperrangelweit. Ich ahnte, daß jetzt Nominativ nebst Dativ und Konsorten in ihm zu rumoren beginnen würden.

»Maschallah, Dunderwetter! Du bist wohl — — ach so, hätte ich mir doch bald versprochen! Ihnen sind wohl jar ein Deutscher?«

»Allerdings.«

»Allah, wallah, billah, tillah — heiliges Pech, dat is doch eigentlich janz und jar unmöglich!«

»Warum?«

»Deswegen — weil — — insofern — — — na, Allah ist jroß, er führt die Seinigen und auch die Ihrigen oft wunderbar und herrlich hinaus. Wat wollen Sie denn hier im Tunis, he?«

»Nichts weiter, als alte Erinnerungen auffrischen und dabei Land und Leute eingehender kennen lernen, als es früher möglich war.«

»Alte Erinnerungen — Land und Leu­te —? Haben Sie denn früher schon ’mal hier jewesen?«

»Ja.«

»Wo?«

»Weiter im Süden, an den Schotts. Ich ging damals nach Tripolis, Barka und Ägypten.«

»Tripolis — Barka — Ägypten —? Wallahi, tallahi, Schock Batailljon, dat ist weiter als ein Spaziergang von Berlin nach Köpenik! Und wo sind Ihnen nun heute hergekommen?«

»Ich komme über den Dschebel — — —«

Die Rede blieb mir auf der Zunge liegen. Mein Auge war auf das Angesicht eines Mannes gefallen, welcher abgestiegen war und sich mit dem toten Falken zu schaffen gemacht hatte. Jetzt wandte er sich zu uns und kam herbei. Wo hatte ich diesen ewig langen, zum Zerbrechen hagern Menschen nur schon gesehen? War dies wirklich Lord David Percy, der eigentümliche, originelle Sohn des Earl von Forfax? Auch er blieb stehen und blickte höchst erstaunt zu mir herauf.

»Good lack! Seid Ihr’s, oder seid Ihr es nicht, old Rifleman?« frug er.

»Lord Percy, ist’s wahr!«

»Egad!« nickte er. »Welcome amidst this tedious part of the world — willkommen mitten in diesem langweiligen Weltteile!«

Er reichte mir die Hand entgegen, die ich ihm herzlich drückte.

»Langweilig?« frug ich. »Warum?«

»Hm! Kam herüber, um Löwen zu schießen, Tiger, Nashörner, Elefanten, Flußpferde. Habe noch nichts gesehen als Wüstenflöhe, Eidechsen und diese Ziegen da. Langweiliges Land, hm!«

»Ich finde es nicht langweilig.«

»Ja, Sir, mit Euch ist es anders. Ihr dürft nur hintappen, wo Ihr wollte, da gibt es Abenteuer; ich habe kein solches Glück. Well! Werde mich Euch wieder anschließen müssen, wie da drüben in old East-Indies

»Sollte mir recht und lieb sein, Sir. Aber wollte Ihr mich nicht diesem Gentleman vorstellen? Ich habe ihm meinen Namen noch nicht genannt.«

»Yes, soll geschehen!«

Er machte eine seiner kolossalen Armbewegungen und stellte mich dem Anführer der Leibgardisten vor. Dann fügte er hinzu: »War ein guter Schuß, Sir. Könnt nicht dafür, daß Ihr diesen Vogel getroffen habt. Soll ein Falke sein, ist aber wohl nur ein Thistle-finch) oder eine Goose✽✽) gewesen. War schlecht geschult, hatte kein Geschick, nahm die Gazelle nicht oberhalb der Augen, sondern an der Kehle, mußte also von Eurer Kugel getroffen werden. Well!«

»Sie haben Ihnen einander bereits jekannt?« frug Krüger-Bei.

»Ja. Wir haben mit einander ein gutes Teil von Indien durchstrichen,« antwortete ich ihm.

»Maschallah, hole mir der Jukuk, dat ist zum Erstaunen! Haben sich im Indien jekannt und thun sich hier im Tunis wieder treffen! Ich bin ein juter Muslemit, aber dat ist mich schon mehr als Kismet; dat ist ein Zufall, der mich zu denken jiebt. Schade, daß Ihnen Ihr Freund jar nicht Deutsch und nur janz wenig Arabisch reden kann; et ist da janz unmöglich, ihm mit sich zu unterhalten.«

»Wo sind Sie mit ihm zusammengetroffen?«

»Er hat sich mir im Tunis vorstellen lassen und ist dann mit mich nach el Bordsch ✽✽✽) jegangen, was jar nicht weit von hinnen liegt. Ich mußte mit den Achordar ) hin, um Pferde einzuhandeln. Heut’ wollten wir jagen, und um das Nützliche mit das Anjenehme zu befriedigen, werden wir jetzt noch hinüber nach

)Stieglitz.

✽✽)Gans.

✽✽✽)Kleine, im Viereck gebaute Festung.

)Stallmeister.

Seraïa bent reiten, was auch zuweilen Mosole jenannt zu heißen wird.«

»Nach Seraïa bent?« frug ich erfreut.

»Ja, der Scheik Ali en Nurabi lagert dort, der einige prächtige Pferde haben soll, die er mich zeigen muß.«

»Das trifft sich gut, denn auch ich will nach Mosole.«

»Prächtig! Wir reiten zusammen. Aber wie steht es mit die Jasellen, he?«

»Die gehören natürlich Ihnen. Wegen des Schahiha aber dürfen Sie mir nicht zürnen. Er war schlecht dressirt und stieß im unrechten Augenblicke. Hätte er das Wild an der richtigen Stelle genommen, so wäre ihm kein Leid geschehen.«

»Schadet nichts. Im Ejypten werden mehr jefangen. Der Bei bekommt von den Vizekönig öfters welche jeschickt. Aber die Jasellen, welche Ihnen Ihr Jewehr jetroffen hat, die jehören Sie, das thue ich nicht anders. Sehen Sie, da kommen noch zwei Sais ) von mich, die haben jeder einen Falken und eine Jaselle aufjeladen, die von mich bereits erlegt zu werden jeworden sind. Ich habe also Fleisch jenug.«

»Gut, so danke ich herzlich und werde mit den Tieren dem Scheik Ali en Nurabi ein Geschenk machen.«

»Richtig! Janz praktisch! Was mir betrifft, so werde ich die Leute zurückschicken, welche mich überflüssig sind.«

Der Gepard war unterdessen wieder mit der Kappe versehen worden. Einer der Männer nahm ihn hinter sich auf das Pferd und kehrte mit den Reitknechten nach el Bordsch zurück. Von den andern Begleitern des Obersten der Leibwache wurde die mir überlassene Jagdbeute aufgeladen, und dann wandten wir uns der im Osten aufsteigenden Thalwand zu. Sie war nicht sehr schroff und hoch und ließ sich leicht ersteigen, da eine Art von Weg hinauf zur Höhe führte. Oben fanden wir eine kleine, baumlose Ebene, hinter welcher das Terrain sich abermals erhob. Dort gab es wieder Busch und Wald, und da jetzt die Sonne im Zenithe stand, so wurde beschlossen, eine kurze Rast zu machen.

Die Unterhaltung, welche seit unserm Aufbruche etwas ins Stocken geraten war, wurde jetzt wieder lebhaft. Lord Percy war schweigsamer Natur, aber Krüger-Bei wollte viel und alles wissen.

)Reitknechte.

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

Ich mußte ihm von der Heimat erzählen, von meinen Reisen, von allem möglichen, und als wir wieder aufbrachen, klopfte er mir auf die Schulter und meinte: »So wohl wie jetzt ist mich’s selten jewesen, bei Allah, hole mir der Jukuk! Ich sage Sie, daß ich Ihnen nicht sogleich nicht wieder von mich lasse. Deutsch bleibt Deutsch, dem Propheten und dem Koran jar nicht mit jerechnet. Nehme es Ihnen nicht übel, aber ich sage Sie, es wäre sehr jut für Ihnen, im Tunis zu bleiben. Zwar so hoch wie mir, avanciert es nicht gleich einen jedem, aber ein Mann von die Ihrigen Fähigkeiten wird es nicht schwer finden, es zu einer juten Stellung jebracht zu haben jeworden sein. Jeben Sie mich die Hand! Es kostet mich ein Wort, aus Sie etwas Besseres zu machen, als Ihnen da drüben im Deutschland jemals werden zu können vermögen.«

»Besten Dank, Herr Oberst! Ich werde mir Ihre freundliche Offerte sehr angelegentlich überlegen.«

»Recht so! Der Mensch soll sein Glück niemals nicht mit die Füße betreten. Ich jebe mich die Ehre, Ihnen bereits als Staatsbürger vom Tunis zu betrachten. Von Mohammed und seine Kalifen können wir später einmal zu sprechen die Zeit jefunden haben dürfen. Trotzdem aber werde ich Ihnen nicht zum Islam verleiten, denn ein Christ kann es deretwegen dennoch zu etwas bringen, wenn er nur glaubt, daß der Prophet und die Kalifen wirklich auf der Welt jewesen sind. — Aber jetzt möchte ich wissen, wohin wir reiten müssen, nach rechtsum oder nach linksdrum!«

»Mein Diener kennt die Gegend genau.«

»War er bereits hier jewesen?«

»Er gehört zu den Uëlad Sebira, zu denen wir wollen.«

»Rufen Sie ihn herbei! Ist er ein braver Kerl?«

»Ich betrachte ihn mehr als Freund, denn als Untergebenen.«

»So erlaube ich Sie, ihm mich vorzustellen!«

Ich winkte Achmed herbei. Krüger-Bei betrachtete ihn mit angelegentlicher Gönnermiene und frug ihn, natürlich arabisch: »Dein Name ist Achmed?«

Der Gefragte machte eine stolze Handbewegung und antwortete: »Ich heiße Achmed es Sallah Ibn Mohammed er Naham Ben Schafei el Farabi Abu Muwajid Khulani.«

Der freie Araber ist stolz auf seine Ahnen und unterläßt es zur geeigneten Zeit sicherlich nicht, sie wenigstens bis zum Großvater aufzuzählen. Je länger der Name, desto größer die Ehre; ein kurzer wird fast zur Schande gerechnet.

»Schön!« nickte der Bei der Mamelucken. »Dein

Name ist gut, und dein Herr hat dich gelobt; ich wer­de — — —«

»Mein Herr?« fiel ihm Achmed mit blitzenden Augen in die Rede. »Du selbst magst einen Gebieter haben; ich aber bin ein freier Sohn der Beni Rakba vom Ferkah ) Uëlad Sebira. Ich habe keinen Herrn; aber ich liebe diesen Sihdi, weil er nicht nur klüger und tapferer, sondern auch gütiger ist als alle andern, die ich kenne. Was wünschst du von mir, Effendi?«

»Wie kommen wir zu der Uëlad Sebira; hier rechts oder links?«

»Reite rechts. Sobald du das Thal überblicken kannst, wirst du ihre Zelte sehen.«

Er kehrte, während wir seiner Weisung folgten, zu den andern zurück. Krüger- Bei hatte die kleine Zurechtweisung ruhig hingenommen.

»Stolze Kerls, diese Beduinen,« meinte er. »Kein anderer Fürst hat solche Unterthanen!«

»Unterthanen?« frug ich lächelnd. »Gehorchen sie wirklich Mohammed es Sadak Pascha?«

Der Gefragte zog eine höchst diplomatische Miene.

»Natürlich betrachten sie ihm als ihrem Herrscher; dat versteht sich janz vom selber. Oder jiebt es vielleicht einem andern, dessen Herrschaft sie ihnen jefallen zu lassen jeneigt zu sein pflegen werden?«

»Ich wüßte allerdings keinen.«

»Na, also! Mohammed es Sadak Bei regiert weder mit Ruten noch mit Skorpionen, wie jener König Rehabraman oder Jerobraham vom Israhel, wie der Koran erzählt. Oder steht das vielleicht in die Bibel? Er ist klug und läßt es denen Beduinen jar nicht ahnen, daß sie seine Unterthanen zu sein sich zu rühmen haben müssen.«

»Aber wenn sie im Bardo, wo er alle Sonnabende Gericht zu halten pflegt, die Bastonnade oder gar den Strick erhalten, dann merken sie es. Nicht?«

»Mahlesch — das thut nichts! Die Bastonnade und der Galgen stehen auch im den Buche des Lebens jeschrieben, und niemand, dem sie bestimmt sind, kann ihnen entgehen. Wer nicht mag hören wollen, der wird und muß fühlen sollen; dat ist eine alte Wahrheit; verstanden?«

»Wie steht es denn da mit der Bastonnade, die auch ich vorhin bekommen sollte?«

»Die ist abjemacht und verjährt. Allah kerihm, Allah ist barmherzig, und auch mein Jemüt liebt die Gnade. Wir sind Freunde und werden einander also nicht die Füße zu versohlen brauchen notwendig haben.

)Unterabteilung.

Aber — da unten stehen Zelte. Mich scheint, wir sind nun bald am das Ziel zu kommen anjelangt.«

Auch der Engländer, welcher wortlos neben uns geritten war, hatte bereits die weißen Zelte bemerkt, welche zerstreut auf der Ebene lagen.

»Sind dies die Uëlad Sebira, Sir?« frug er mich.

»Wenigstens eine Abteilung von ihnen. Sie gehören zu dem großen Stamm der Rakba, welcher unter Umständen weit über zehntausend Krieger zu stellen vermag.«

»Tapfere Kerls?«

»Ja, wir man hört.«

»Räuber?«

»Hm! Der Beduine ist an allen Orten und zu allen Zeiten mehr oder weniger das, was man einen Räuber nennt.«

»Well! So wird es wohl ein Abenteuer geben?«

»Das müßten wir abwarten.«

»Will eins haben; verstanden, Sir? Mit Euch erlebt man andere Dinge als mit diesem Kolonel der Leibwache, mit dem man nicht einmal reden kann. Ich gehe nicht wieder von Euch fort.«

»Ihr seid mir willkommen.«

»Welche Route habt Ihr vor, Sir?«

»Ich will über Kef nach der Ebene des berühmten Uëlad Ayar und von da über die Berge von Melbila und Margela nach den großen Duars von Feriana, um dann nach Gassa, Seddada, Toser und Nefta am Schott el Dscherid zu gehen. Auf dem Schott mußte ich vor Jahren beinahe einmal mein Leben lassen, und ich möchte mir die Stelle gern noch einmal betrachten.«

»Zounds! Ein Abenteuer? Erzählt es!«

»Jetzt ist keine Zeit dazu. Seht, man hat uns bereits bemerkt und kommt uns entgegen.«

Zwischen den Zelten weideten zahlreiche Schafe, Pferde und Kamele; vor jeder der weißen Sommerwohnungen aber war eine Lanze in den Boden gestoßen, an welcher das Leibpferd des Besitzers gebunden war. Bei unserm Erscheinen wurden die Lanzen herausgezogen und die Pferde bestiegen. Es bildete sich ein Trupp von gegen achtzig Kriegern, der uns entgegengesprengt kam. Die Männer stießen ein lautes, herausforderndes Geschrei aus, schwangen die Lanzen und schossen ihre langen Flinten ab. Sir David Percy griff nach seiner Büchse und lockerte auch die Pistolen.

»Thunder-storm! Sie verhalten sich feindlich. Endlich einmal ein Kampf, ein Abenteuer!«

»Freut Euch nicht zu früh! Sie sehen ja, daß wir nur sieben Personen sind und also keine unfreundlichen Absichten haben können. Sie werden uns nach arabischer Sitte mit einer kriegerischen Fantasia empfangen; von Kampf aber ist keine Rede.«

»Dull, extremly dull — dumm, außerordentlich dumm!« brummte er.

Ich wandte mich an Krüger-Bei: »Sind Sie sicher, in Ihrer Uniform hier gastlich aufgenommen zu werden?«

»Ja. Die Rakba sind unsere Freunde. Sie haben die Karawanenstraße zu bewachen, welche von Tunis über Testur, Nebör und Kef nach Konstantine jeht, und bekommen dafür Jeschenke. Wir haben von sie nichts zu befürchten. Dieser Scheik Ali en Nurabi kennt mir übrigens sehr gut, denn er war schon einmal bei mich in Tunis gewesen. Er wird sich freuen, mir jesund wiedersehen jedurft zu haben; darauf können Sie Ihnen verlassen. Und wenn ich Sie ihn als Landsmann vorstelle, so wird er geneigt sein, davon sehr angenehm berührt werden zu können. Dort kommt er an die Spitze von seine Eskadron. Er hat mir bereits erkannt. Bitte, wir wollen in Galopp auf ihm anrennen, denn dat ist diejenige arabische Sitte, welche bei dem Arabern jebräuchlich zu sein jenannt zu werden verdienen muß!«

Wir flogen einander in gestreckter Karriere entgegen, wobei von beiden Seiten durch Schießen und Schreien ein betäubender Lärm verursacht wurde. Es hatte den Anschein, als ob wir zusammenrennen würden, aber gerade im letzten Moment vor dem Zusammenpralle warf ein jeder sein Pferd herum und ließ das Spiel von neuem beginnen. Zwar nimmt sich dies ganz prächtig aus, aber die Pferde werden dabei ganz außerordentlich in den Häksen angegriffen, und es ist nichts Seltenes, daß ein Tier daran zu Grunde geht. Wir jagten im Scheingefechte durch das von Frauen, Greisen und Kindern belebte Lager und sprangen endlich vor einem Zelte ab, dessen Größe und Ausschmückung uns erraten ließ, daß es dem Scheik gehöre. Die Männer bildeten einen Halbkreis um uns. Bis jetzt war kein Wort der Begrüßung gefallen, jetzt aber trat Ali en Nurabi auf den Anführer der Leibmamelucken zu und reichte ihm die Hand.

»Die Wüste freut sich des Regens und der Ibn es Sahar seines Freundes. Marhaba, du sollst willkommen sein. Tritt ein in das Zelt deines Bruders und siehe, wie lieb er dich hat!«

Der Scheik war ein echter, dünn bebarteter Beduine in den reifen Mannesjahren. Er hatte das Hamaïl ) am Halse hängen und war also in Mekka und Medina gewesen. Krüger-Bei benahm sich außerordentlich würdevoll: »Der Mond erhält sein Licht von der Sonne, und ich habe keine Freude ohne den Freund meiner Seele. Dein Name ist groß auf den Bergen und deine Stute berühmt in den Thälern; dein Vater war der tapferste der Helden und der Vater deines Vaters der weiseste der Weisen. Mögen deine Söhne stark sein wie Chalid und die Söhne deiner Söhne tapfer wie der Hengst, der seine Frauen und

)Der Koran in einem Futteral.

Kinder verteidigt! Ich bringe dir hier zwei Männer aus dem Abendlande. Sie sind große Emirs bei den Ihrigen und kommen zu dir, um deine Macht und Freundlichkeit rühmen zu können in den Ländern, wo die Sonne untergeht.«

Wie schade, daß dieser Krüger-Bei das Deutsche nicht ebenso gewandt zu gebrauchen wußte wie das Arabische!

»Du sollst mein Rafik ) sein, und du mein Aschab ✽✽),« meinte der Scheik, indem er erst dem Engländer und dann auch mir die Hand reichte. »Ihr seid in meinem Zelt so sicher, als ob Dsu’l Fekar ✽✽✽), der Säbel des Propheten, Euch beschützte. Tretet ein und eßt das Brot mit mir!«

Wir traten in das Zelt. Die Begleiter Krüger-Beis blieben draußen, mein Diener Achmed mit ihnen. Er hatte nicht ein Wort, nicht einen Wink der Begrüßung von dem Scheik erhalten. Lag dies daran, daß dieser zunächst seine Gäste zu beehren hatte? Oder hatte es vielleicht andere, Achmed nicht freundliche Gründe?

Im Hintergrunde des Zeltes war ein ungefähr sechs Zoll hohes, hölzernes und mit Matten belegtes Gestell errichtet, das sogenannte Serir, auf welchem wir Platz nahmen. Eine besondere Frauenabteilung gab es augenscheinlich nicht. Die weiblichen Familienglieder des Scheik waren jedenfalls in dem kleineren Zelte, welches neben dem großen lag, untergebracht. Von der Decke hing an einer grünseidenen Schnur ein Glasgefäß herab, welches der Scheik nahm, um es uns entgegenzureichen. Es enthielt Salz, klar gestoßenes Natron aus den Salzseen des Südens; dabei lag ein kleiner Porzellanlöffel. Beides, Glasschale und Porzellanlöffel, war hier ein Luxus, auf den der Scheik nicht wenig stolz zu sein schien. Wir genossen jeder einige Körner; Ali en Nurabi that dasselbe und sagte dann feierlich: »Nanu malahin — wir haben Salz miteinander gegessen. Wir sind Brüder, und keine Feindschaft vermag uns zu trennen.«

Hierauf nahm er drei Tabakspfeifen von der Zeltwand, stopfte sie mit eigener Hand, reichte sie uns und gab uns Feuer. Dann entfernte er sich auf kurze Zeit. Als er wieder zurückkehrte, folgte ihm eine ältere Frau und ein junges Mädchen. Die erstere trug ein neun Zoll hohes Senïeh ) in den Händen, welches sie vor uns niedersetzte. Die letztere war eine vollkommene Schönheit zu nennen. Sie trug das tiefschwarze Haar in langen, dicken Flechten, in welche Silberschnüre eingewoben waren; um den vollen, hellbraunen Hals legte sich eine Korallenkette, an welcher eine goldene Schaumünze hing; sie trug einen schneeweißen Saub ††), welcher an der Brust ausgeschnitten war, so daß man

)Freund. ✽✽) Gefährte. ✽✽✽) „Der Blitzende.“ ) Tischchen mit Kupferplatte. ††) Hemde.

das rotseidene Sudameirijeh ) sehen konnte, welches den vollen Busen trug, ohne ihn zu drücken. Dieses Hemde hatte sehr weite, geschlitzte Ärmel, so daß man den Arm bis zur Gegend des Ellbogens sehen konnte, und reichte bis über das Knie auf die weiß und rot gestreiften Sarwal ✽✽) herunter. Die nackten Füßchen staken in blauen Pantoffeln, und an den Hand- und Fußgelenken glänzten blanke metallene Ringe, an denen je ein Mariatheresienthaler und ein goldenes Fünfpiasterstück befestigt war.

Sie trug einen aus starker Palmfaser geflochtenen, umfangreichen und präsentiertellerartigen Deckel in den Händen, welcher mit allerlei kleinen Vorgerichten belegt war, welche die beiden Frauen auf dem Senïeh ordneten.

Da gab es Fubir ✽✽✽), knusprige Kebab ), kleine Schalen mit Dibs ††), ein Salabah von Gurken, Granaten, Wassermelonen und verschiedene Sorten von Datteln, von denen mir besonders die Sorte el Schelebi auffiel. Sie ist zwei Zoll lang, kleinkernig und von dem herrlichsten Geruche und Geschmacke. Da sie aus Medina kommt, so ist sie sehr teuer, und es war also anzunehmen, daß der Scheik ein wohlhabender Mann sei.

Die Frauen sprachen kein Wort. Als sie sich wieder entfernt hatten, deutete der Scheik auf die Speisen: »Tefattelan — wenn es Euch gefällig ist. Nehmt von dem wenigen, bis das Lamm geschlachtet und zubereitet ist!«

»El Hamdulillah!« klang es aus unserem Munde, indem wir zulangten, und ich fügte hinzu: »Dein Herz ist gütig, und deine Hände sind offen für deine Gäste, o Scheik. Nimm auch du eine kleine Gabe, die wir für dich bestimmten. Wir haben el Rassahl, die Gazelle, gejagt und mehrere ihrer Schwestern erlegt. Sie liegen vor deinem Zelt und sind dein Eigentum.«

»Rabbena chalïek ïa Sihdi — Gott erhalte dich, o Sihdi!« antwortete er. »Du kommst aus dem fernen Belad el Rumi †††), aber du kennst trotzdem die Gebote des Koran, welcher sagt, daß Allah jede Gabe zehnfach vergilt. Ich nehme die Gazellen, und Ihr sollt sie mit uns verspeisen.«

Krüger-Bei erkundigte sich: »Ich habe gesehen Bent es Sebira, die schönste Tochter deines Stammes, aber deine beiden tapferen Söhne sah ich nicht. Warum kamen sie nicht, mir ihr Angesicht zu zeigen?«

»Sie sind hinüber nach el Hamsa. Meine Kundschafter erfuhren, daß die Söhne der Uëlad Hamema gekommen sind, die Kafila ††††) zu überfallen, welche wir von Testur her erwarten. Darum sandte ich eine

)Schnürleibchen. ✽✽) Hosen. ✽✽✽) Allerlei Süßigkeiten. ) Viereckige Bratenstücke, an Holzstäben gebacken. ††) Traubensirup. †††) Europa. ††††) Karawane.

Anzahl junger Krieger aus, um zu erfahren, wo die Feinde sich befinden.«

»Die Beni Hamema? Kommen diese Räuber so weit nach Norden herauf?«

»Sie sind überall zu sehen, wo ein Fang zu machen ist. Ihr Scheik ist der Sohn des Teufels. Seine Hände triefen von Blut; er schont sogar weder Weib noch Kind; aaïb aaleïhu — Schande über ihn!«

»Mohammed es Sadak Bey wird ihn zu finden wissen!«

»Meinest du? Es wird ihn niemand fangen. Sein Stamm hat viele Flinten, und der schlimmste aller Räuber ist sein Genosse.«

»Wen meinest du?«

»Hast du noch nicht von Saadis el Chabir gehört?«

»Von Saadis, dem Krumir von Ferkah ed Dedmaka? Er ist berüchtigt im ganzen Land. Er hat seine Heimat fliehen müssen, weil er Blut vergoß und ihm nun die Rache folgt. Er ist der Chabir el Chabir, der größte unter den Führern; er kennt alle Berge und Thäler, alle Flüsse und Quellen des Landes; wenn die Beni Hamema sich ihm anvertrauen, so sind sie doppelt zu fürchten.«

»Sie haben ihn zum Führer gewählt, und er ist gestern am Bach el Halua gesehen worden. Das ist ein schlimmes Zeichen für die Kafila; Gott schütze sie!«

Obgleich ich an diesem Gespräch nicht teilnahm, interessierte es mich doch außerordentlich, denn auch ich hatte von diesem Saadis el Chabir gehört. Sein Name wurde in jedem Zelte und an jedem Kamelfeuer genannt; er lebte im Munde des Märchenerzählers und auf den Lippen der Weiber, die ihre Kleinen mit ihm zum Gehorsam zwingen wollten. Übrigens brachte Krüger-Bei die Rede nun auf den Zweck seiner Anwesenheit, und so wurden wir von dem Scheik eingeladen, ihn hinaus zu seinen Pferden zu begleiten, um sie in Augenschein zu nehmen.

Wir verließen das Zelt und stiegen zu Pferde. Sämtliche männliche Araber begleiteten uns hinaus zur Stelle, wo die Tiere weideten. Ihr Anblick brachte das Blut des Engländers in Wallung. Er war ein Kenner und leidenschaftlicher Liebhaber des edelsten der Haustiere.

»Behold!« rief er. »Welch herrliche Tiere! Seht dort die milchweiße Stute.

Ich würde tausend Pfund für sie bezahlen. Well!«

»Ihr bekommt sie nicht um das Doppelte, Sir,« antwortete ich ihm. »Und dennoch gibt es da ein Tier, welches vielleicht noch kostbarer, wenn auch nicht so teuer ist.«

»Welches?«

»Das aschgraue Hedschihn ) da drüben. Es hat ganz dieselbe Farbe, welche man beim Haare eines Weibes so schön findet; cendré nennt es der Franzose. Seht den Kopf, die Augen, die Brust, die Beine! Wahrhaftig, es ist ein Bischarihn-Hedschihn ✽✽) und muß ein vorzüglicher Läufer sein.«

»Heigh-ho! Geht mir mit Euren Kamelen! Habt Ihr schon einmal auf so einer Bestie gesessen, Sir?«

»Hm, oft genug. Ihr wißt ja, daß ich bereits früher diese alte Sahara mehrfach durchkreuzt habe.«

»Richtig! Und wie ist es Euch gewesen, als Ihr diesen Höcker unter Eurem armen Leichnam hattet?«

»Sehr wohl.«

»Wirklich? Na, das seid auch Ihr. Ich weiß, daß Eure Nerven aus der Haut eines Nilpferdes gemacht worden sind. Als ich zum erstenmale ein solches Geschöpf bestieg, bin ich erst hinten und dann auch vorn herabgeworfen worden. Denkt Euch, so ein alter Horse-man, wie der Sohn meines Vaters ist! Dann aber hielt ich mich ein wenig fester, will aber den Ritt all mein Lebtage nicht vergessen. Das war mehr als Seekrankheit, das war, als hätte ich tausend Teufel verschluckt, die mit mir in alle Winde wollten. Ich werde niemals wieder eine solche armselige, elende Kreatur besteigen!«

Er streckte abwehrend alle zehn Finger von sich und spreizte die langen, unendlichen Beine aus, als habe er das Kamel, von welchem er sprach, noch unter sich.

Die besten der anwesenden Tiere wurden uns einzeln vorgeführt. Auch Krüger- Bei war ganz entzückt über die Milchstute. Sein gutmütiges Angesicht strahlte vor Wonne.

»Haben Ihnen bereits einmal so ein Tier gesehen?« frug er mich. »Dat ist, hole mir der Jukuk, eine echte Rawouan ✽✽✽)! Dem hat nicht einmal Sihdi Ali Bei, der Prinz Thronfolger, im seinen Marstall zu el Marsa, was dat Seebad vom Tunis stets gewesen zu sein jenannt zu werden verdienen muß.«

»Ich hörte, daß er sehr viel Geld für Pferde ausgibt?«

»Sehr viel, ungeheuer viel — für Pferde, Wagen und Frauen. Er hat dreihundert Weiber, aber einem solchen Schimmel ist er noch nicht jewesen zu haben gehabt.«

»Halten Sie dieses Pferd wirklich für unvergleichlich?«

)Reitkamel. ✽✽) Vorzüglichste Rasse der Reitkamele. ✽✽✽) Ed­le Pferderasse.

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

»Auf jeden Fall. Es ist mich lieber als alle dreihundert Weiber dieses Sihdi Ali Bei, unter denen sich niemals nicht kein solcher Schimmel befunden zu haben erwähnt zu werden erlaubt.«

»So sehen Sie sich einmal gefälligst meinen Rapphengst an!«

»Dat ist nicht leicht. Sie haben ihm ja so in dem Libet ) injewickelt, daß man nur die Beine und die Nasenspitze zu sehen jewohnt werden muß.«

»Sie sollen ihn nachher sehen.«

»Sein Jang und seine Haltung ist mich bereits schon aufgefallen; er scheint Jeist und Feuer zu besitzen. Warum bedecken Sie ihm so über?«

»Er hat in letzter Zeit Durrha fressen müssen und ist davon ein wenig indisponirt. Doch halt, passen Sie auf!«

Der Scheik hatte den Schimmel bestiegen, um ihn durch die Schule zu nehmen. Das Tier bewährte sich als ganz vorzüglich, und gern hätte ich es einmal mit meinem Schwarzen in die Schranke genommen, wenn ich nicht der Gast seines Besitzers gewesen wäre. Es giebt keine größere Betrübnis für einen Beduinen, als wenn sein Lieblingspferd gegen ein anderes zurücktreten muß.

Mitten in gestreckter Karriere parirte Ali en Nurabi die Stute grad vor uns und frug Krüger-Bei mit leuchtenden Augen: »Diese Stute heißt Utheif ✽✽); wie gefällt sie dir?«

»Sie ist wert, den Propheten im Paradiese zu tragen. Verkaufst du sie?«

»Willst du mich beleidigen, Mir Alai ✽✽✽)? Weißt du nicht, daß der Sohn der Sahara lieber sich selbst, sein Weib und seine Söhne tötet, als daß er seine Stute für Geld hingibt?«

»Ich weiß es, o Scheik. Kennst du ein Pferd, welches dieser Utheif gleicht?«

»Es gibt nicht ihresgleichen.«

»Willst du dir nicht einmal den Hengst dieses Effendi ansehen?«

»Kein Effendi aus Frankistan kann ein Pferd haben, dessen Augen auf Utheif ruhen dürfen; dennoch ist dieser Hengst vielleicht kein schlechtes Pferd, da ihn sein Herr so sorgsam eingeschlagen hat. Wie heißt er?«

»Sein früherer Herr hat ihm den Namen ‚Rih’ gegeben,« antwortete ich.

Das machte den Frager denn doch ein wenig stutzig.

)Filzbekleidung, Filzdecke.  ✽✽) Schwalbe.  ✽✽✽) türkisch = Oberst.

»Rih ist ein arabisches Wort,« meinte er. »War der Herr des Pferdes denn ein Beduine?«

»Es war Mohammed Emin, der Scheik der Hadeddihn von dem Stamme el Schammar.«

»So ist dein Hengst ein gewöhnliches Tier, denn kein Schammar verkauft ein gutes Pferd.«

»Er hat es nicht verkauft, sondern ich erhielt es als Geschenk von ihm. Ob es ein schlechtes Pferd ist, sollst du gleich sehen.«

Ich stieg ab und winkte meinem Diener Achmed. Dieser hatte unserer Unterhaltung mit Spannung zugehört und machte sich jetzt mit Freuden daran, die Hüllen von dem Rappen zu nehmen. Er war schon im voraus stolz auf den Sieg, den ich hoffentlich erringen würde.

»Wallahi, billahi!« rief der Scheik, als der Filz am Boden lag. »Herr, dieser Hengst hat blutrote Nüstern und ist gebaut wie es Saleh, das Lieblingspferd Harun al Raschids. Es ist Radschi pak, es ist vom reinsten Blute. Kein Beduine verschenkt einen solchen Reichtum. Es ist dir gefolgt ohne sein Wissen!«

Das sollte mit andern Worten heißen, daß ich es gestohlen hätte. Nur die Verwunderung konnte dem Scheik diese Worte entreißen. Ich zog die Brauen zusammen und legte die Hand an den Dolch. »Weißt du, was du redest, Scheik Ali en Nurabi? Ist es hier am Dschebel Gwibub eine Ehre, ein Pferdedieb zu sein? In dem Lande, da ich geboren wurde, ist es eine Schande. Hätte ich nicht das Salz mit dir gegessen, so säße dieses Eisen dir bereits im Herzen. Ich bin kein Inglis und kein Fransesli, sondern ein Nemtsche, ein Deutscher. Sei in Zukunft vorsichtiger, wenn du mit einem Deutschen sprichst!«

Auch seine Augen leuchteten. Wäre ich sein Gast nicht gewesen, so hätte es sicher eine Messeraffaire gegeben. Jedoch er bezwang sich und fragte: »Hat dein Hengst ein Geheimnis?«

»Jedes Pferd von reinem Blut hat ein Geheimnis; auch er hat es.«

»Kennst du es?«

»Ich kenne es.«

»So verzeihe mir! Kein Mann verrät das Geheimnis seines Pferdes; nur erst auf dem Totenbette entdeckt er es seinem Erben. Wer das Geheimnis seines Pferdes kennt, der hat sein Tier gewiß ehrlich erworben. Aber wenn dir der Scheik der Hadeddihn diesen Koheli-Hengst schenkte, so mußt auch du ein großer Scheik oder Emir sein!«

»Er war mein Freund; das ist genug für jetzt.

Vielleicht erzähle ich dir am Abende, wie ich zu dem Pferde gekommen bin.«

»Und du glaubst, daß es meiner Stute ebenbürtig ist?«

»Ich glaube es.«

»So setze dich auf. Du sollst es mir beweisen!«

»Ich darf nicht die Stute des Mannes kränken, in dessen Zelt ich ruhen soll.«

»Du darfst es, Effendi. Ich verlange es von dir, um dir zu beweisen, daß meine Schwalbe schneller ist als dein Wind.«

»Ich war noch unschlüssig, aber Krüger-Bei ermunterte mich: »Er will es ja! Dunderwetter, ich bin ja selber neujierig, was dat für ein Wettrennen zu werden versprochen jehabt haben wird. Indem ich Ihrem Hengst jesehen habe, bin ich janz erstaunt, bis jetzt mit solcher Blindheit jeschlagen jeworden jewesen zu sein. Der Scheik kann nicht zornig sein, wenn Ihnen ihm besiegen, denn er will es nicht anders. Lassen Sie dem Teufel losjehen. Ich sage Sie, es soll mir freuen, wenn ihren ‚Wind’ nicht der Wind auszujehen und verloren jegangen sein haben wird!«

Sir David Percy hatte unsere Unterhaltung zwar nicht vollständig verstanden, aber beim Anblicke meines Pferdes waren ihm laute Ausrufe der Bewunderung entschlüpft; er ahnte, um was es sich handelte, und meinte zu mir: »’sdeath, ist das ein Pferd! Ihr sollt mit dem Scheik wohl um die Wette reiten?«

»Ja.«

»Thut es, thut es! Ich glaube, dieser Rappe nimmt es mit dem Schimmel auf, vollständig auf!«

»Pah! Er ist ihm an Schnelligkeit und Ausdauer weit überlegen. Aber ich beleidige den Scheik, wenn ich seine Stute beschäme.«

»Papperlapapp! Der Ruf eines solchen Pferdes ist mehr wert, als dieser braune Kerl!«

Mit dem »Geheimnisse« eines Pferdes ist es eine eigentümliche Sache. Ein jeder Araber nämlich gewöhnt sein Pferd an ein gewisses Zeichen, auf welches hin das Tier in potenzierter Schnelligkeit dahinfliegt, bis es tot zusammenbricht. Dieses Zeichen sagt er keinem Menschen, selbst seinem Sohne, seinem besten Freund nicht, und wendet es nur dann an, wenn er sich in Todesgefahr befindet, oder wenn es gilt, einen Preis zu erringen, der ihm kostbarer als das Tier zu sein scheint. Mein Zeichen bestand darin, daß ich den Namen Rih laut ausrief und dem Rappen die Hand zwischen die Ohren legte. Ich hatte bereits erfahren, daß es dann einem andern Reiter wohl schwer werden möchte, mich einzuholen. Auch die Stute des Scheik fürchtete ich nicht, desto mehr aber hegte ich Bedenken, seinen Stolz zu verletzen, darum war es mir lieb, daß jetzt eine Unterbrechung eintrat, welche uns, wenigstens für den Augenblick, von der Pferdeprobe absehen ließ. Einer der Araber nämlich stieß einen lauten Ruf aus und deutete mit der Hand nach Norden. Dort ließen

sich zahlreiche Punkte sehen, welche sich, indem sie uns schnell näher kamen, zusehends vergrößerten. Es waren Reiter, welche zu dem Stamme gehörten. Kaum hatte der Scheik dies erkannt, so gab er das Zeichen, ihm zu folgen, und schoß auf seiner Stute mit einer schier schwindelerregenden Schnelligkeit davon.

»Drauf, drauf!« rief mir Krüger-Bei zu. »Holen Sie ihm ein! Dat ist die schönste Jelegenheit, sich dem Hengst als die Stute überlegen beweisen zu sein müssen!«

Ich machte ein abwehrende Handbewegung und blieb in gleichem Tempo mit den andern. Die uns Entgegenkommenden waren ungefähr zwanzig Köpfe stark. Sie führten in ihrer Mitte einen Reiter, der mit Palmenfaserleinen an sein Pferd gefesselt war. Zwei von ihnen ritten schneller als die übrigen auf den Scheik zu und parierten vor ihm ihre Pferde. Es waren seine beiden Söhne.

»Hamdulillah,« hörten wir den einen rufen, »Preis sei Allah, der uns den größten der Räuber und Mörder in die Hand gegeben hat!«

»Wer ist dieser Gefangene?« frug der Scheik.

»Es ist Saadis der Krumir. Allah inhal el Kelb — Gott verderbe den Hund, ihn und den ganzen Ferkah ed Dedmaka! Er hat Abu Rhamsa, unsern tapfern Krieger, erschossen und einige von uns verwundet. Sein Name werde ausgelöscht, und sein Blut bezahle die Schuld, die ihn zur Hölle führt!«

Dieser Gefangene also war der berüchtigte Krumir, von dem wir vorhin gesprochen hatten! Ich betrachtete ihn mir. Seine Hände waren an den hinteren Teil seines arabischen Sattels gefesselt, und beide Füße hatte man ihm mit Leinen gebunden, welche unter dem Bauche seines Pferdes hinliefen. Dennoch saß er aufrecht, stolz und kalt im Sattel, die schwarzen, stechenden Augen scharf auf den Scheik gerichtet. Die niedrige Stirn mit den dünnen, borstenartigen Brauen, die spitzen Backenknochen, die dünne Habichtsnase, die wulstigen Lippen und das stark entwickelte Kinn gaben seinem Angesichte einen gefühllosen, grausamen Ausdruck.

»Abu Rhamsa ist tot? Wo ist er?« frug der Scheik.

»Dort bringt man ihn.«

Der Sprecher deutete dabei nach rückwärts, wo zwei Reiter sichtbar wurden. Sie führten zwischen sich ein Pferd, auf welchem die Leiche des Erschossenen festgebunden war.

»Und wer ist verwundet?« erkundigte sich der Scheik.

Zwei der Reiter zeigten wortlos auf die Blutflecke, welche an ihren weißen Mänteln zu sehen waren.

»Erzähle, wie ihr ihm begegnet seid!« gebot Ali en Nurabi.

Sein Sohn berichtete: »Wir ritten das Wadi Milleg hinab und machten am Fum el Hadschar ) Halt. Da

)Eine Felsenkluft; wörtlich: Mund der Steine.

kam dieser Nachkomme eines räudigen Hundes. Er saß auf dem Pferde; seine Augen suchten wie die Augen eines Spions, und sein Ritt war wie der Gang eines Verräters. Da erblickte er uns und wandte sich zur Flucht; wir aber waren bald bei ihm. Doch bevor wir ihn festnehmen konnten, hatte er den Gefährten getötet und diese zwei verwundet. Ed dem b’ed dem — en nefs b’en nefs = Auge um Auge, Zahn um Zahn! Er ist der Blutrache verfallen!«

»Ed dem b’ed dem — en nefs b’en nefs!« riefen alle Stimmen rund im Kreise.

Der Scheik winkte Schweigen.

»Die Versammlung der Alten wird über ihn beraten,« meinte er. »Hat er euch gestanden, wo sich die Seinigen befinden?«

»Nein. Er hat kein Wort gesprochen. Sein Mund ist wie die Lippe des Todes, welche ewig schweigt.«

»Die Spitzen unserer Speere und Messer werden ihm die Worte lehren, welche wir von ihm verlangen. Führt ihn zum Lager fort!«

Während dieser kurzen Verhandlung hatte der Krumir mit keiner Wimper gezuckt und mit unverhohlener Bewunderung mein Pferd und dasjenige des Scheiks betrachtet. Sein Angesicht blieb unbeweglich, und als wir an den Herden vorüberritten, hielt er durch einen leisen Schenkeldruck sein Pferd an, um das aschgraue Reitkamel mit dem entzückten Auge eines Kenners zu mustern. Sein Schicksal schien ihm nicht die mindeste Sorge zu bereiten.

Einige der Araber waren in das Lager vorausgeeilt, um die Kunde zu verbreiten, daß der gefürchtetste ihrer Feinde gefangen sei. Daher wurde unser Zug von der ganzen Bevölkerung unter lautem Jubel empfangen. Die Reiter schossen in kühnen Sätzen durcheinander, und die übrigen klatschten jauchzend in die Hände und gaben dazwischen durch beleidigendes Mienenspiel und Ausspucken dem Gefangenen ihre Verachtung zu erkennen. Er bewegte keine Miene, selbst dann nicht, als man vor dem Zelte des Scheiks Anstalt machte, ihn von seinem Pferde zu lösen. Kaum aber war der letzte Knoten geöffnet, so schnellte er sich mit einem weiten Satze herab, warf die Umstehenden bei Seite und befand sich im nächsten Augenblicke vor dem Nebenzelte, an dessen Eingange die Tochter des Scheiks stand. Im Nu hatte er sie ergriffen und wie einen Schild vor sich gestellt. »Dakilah ïa Scheik — ich bin der Beschützte!« rief er, und sofort sanken alle Hände, die sich nach ihm ausgestreckt hatten.

Das war so schnell geschehen, daß es unmöglich verhindert werden konnte. In allen Gesichtern spiegelte sich die zornigste Überraschung, aber keiner wagte es, die Hand gegen den zu erheben, der das geheiligte Wort ausgesprochen hatte, welches selbst den schlimmsten Missethäter vor der Rache seiner Feinde schützt.

»Eddini scharbat, ïa ambr el benaht — gib mir

zu trinken, o Zierde der Mädchen!« sagte er zu Mochallah, der »Wohlriechenden«, welche der unerwartete Vorgang ganz erschreckt hatte.

Sie blickte fragend auf ihren Vater. Ein leises Murren erhob sich ringsum; der Scheik aber kehrte sich nicht daran, sondern gebot ihr: »Gib ihm Wasser, aber weder Brot noch Salz! Die Ältesten werden richten, was mit ihm geschehen soll.«

Sie verschwand im Innern des Frauenzeltes und trat gleich darauf wieder mit einer mit Wasser gefüllten Schale hervor, welche sie dem Krumir entgegenreichte. »Nimm und trink, du Feind meines Stammes!« sagte sie.

»Ich trinke,« antwortete er stolz. »Mögen meine Feinde verschwinden wie die Tropfen dieses Wassers, und möge dieser Trank sein Ma el Furkan ) für Saadis el Chabir, den Sohn der Beni Dedmaka!«

»Allah jenahrl el Dedmaka — Allah verdamme die Dedmaka!« ließ sich eine zornige Stimme vernehmen.

Es war mein Diener Achmed es Sallah, welcher diese Worte gesprochen hatte. Der Scheik zog die Stirn in drohende Falten und antwortete ihm: »Allah tharkilik — Gott verbrenne dich, dich und deine Zunge! Hast du nicht gesehen, daß dieser Mann die Nuktha al karam ✽✽) mit einer Tochter deines Stammes getrunken hat? Doch ich weiß, daß du in die Fremde gegangen bist, um die Sitten und Gesetze deines Volkes zu vergessen, und nun weißt du nicht mehr, daß der Beduine zu gehorchen hat, wenn der Mul el Duar ✽✽✽) seine Stimme erhebt. Der Fluch des Propheten trifft den Mann, der seinen Gastfreund schändet, und ich sage euch, daß ich einen jeden töte, der ein Haar dieses Dedmaka zu krümmen wagt, ehe die Dschemma ) beraten hat, was mit ihm geschehen soll!«

O wehe! Aus diesen Worten konnte ich ersehen, daß der Scheik auf den armen Achmed nicht sonderlich gut zu sprechen sei. Was sollte da aus der Liebe der beiden jungen Leute werden? Achmeds Augen funkelten. Jedenfalls war es die Eifersucht gewesen, die ihm seine Worte diktiert hatte. Er war noch nicht so glücklich gewesen, ein Wort mit der Geliebten wechseln zu können, und dieser Räuber und Mörder durfte sie ungestraft berühren und von ihren Händen trinken. Das mußte ihm peinlich sein; doch war er jetzt zu klug, als daß er seinen Gefühlen noch weiteren Einfluß gestattet hätte. Er zog sich grollend zurück.

Auf einen Wink des Scheiks nahmen zwei Krieger den Krumir in die Mitte und führten ihn in das Zelt des ersteren. Krüger-Bei legte mir die Hand auf die Schulter. »Nanu jeht die Beratung los, und da sind wir überflüssig,« meinte er. »Ich werde Ihnen bitten, mir zu begleiten.«

)Wasser der Erlösung. ✽✽) Tropfen der Großmut. ✽✽✽) Herr des Zeltdorfes. ) Versammlung der Ältesten.

»Wohin?«

»Nur ein wenig auf dem Promenade, um die Beine zu vertreten. Dat wird so eine Art höfliche Rücksichtsvolligkeit gejen den Scheik zu haben sein, da er jetzt seinem Zelt zu die Versammlung braucht. In eine Viertelstunde ist alles abjemacht, und dann können wir uns zurückzukehren erlaubt jedurft haben.«

»So nehmen wir den Engländer mit?«

»Dat wird sich janz von selber zu verstehen jeneigt sein. Mit wem zu jehen sollte er wohl anders aufjefordert werden, als von uns, mit uns auf der Promenade zu dürfen?«

Ich gab Sir David Percy einen Wink. Wir überließen Achmed die Aufsicht über unsere Pferde und wandten uns einer Palmengruppe zu, deren Wedel in einiger Entfernung kühlen Schatten verhie­ßen. —

»Was ist das für ein Kerl, Sir, den die Uëlad Sebira gefangen nahmen?« frug mich Percy. »Ich habe wohl alles gesehen, aber nichts verstanden.«

»Es ist ein Krumir vom Ferkah ed Dedmaka, ein höchst gefährlicher Karawanenräuber, an dessen Hand schon mancher Tropfen Blutes klebt.«

»Hm! Wie heißt der Mensch?«

»Saadis el Chabir.«

»Was heißt das?«

»Saadis ist der eigentliche Name und heißt ‚der Sechste’. Er wird wohl das sechste Kind, oder gar der sechste Sohn seines Vaters sein. El Chabir heißt ‚der Führer’. Dieser Mensch kennt nämlich infolge seiner Streifzüge in Algier und Tunesien einen jeden Berg und ein jedes Wadi. Er ist der sicherste Führer weit und breit, hat von der Küste des Mittelmeeres bis in das Belad al Dscherid ) zahlreiche Freunde und saubere Verbündete, wie ein Londoner Taschendieb Holborn bis zur Isle of Dogs seine Hehler hat, und soll sogar auf den gefährlichen Solssee’n [Salzseen] des Südens so sicher sein, wie ein Reiter in seinem Sattel. Daher engagieren ihn die räuberischen Stämme der Beduinen sehr oft als Führer.«

»Hm! Habe den Namen bereits gehört, wußte aber nicht, daß dieser Saadis und jener Spitzbube ein und derselbe Halunke sei.«

»So habt Ihr ihn bereits gesehen, Sir?« frug ich rasch.

»Yes!« nickte er.

»Wo?«

»In Tunis oder vielmehr bei Tunis. Well!«

»Wann?«

)„Dattelland“, südlich von den großen Schotts.

»Vor drei Wochen. Es war am Ende der Manuba ), wo er mir begegnete. Er saß auf einem köstlichen Fliegenschimmel und galoppierte nach den Bergen von Saghoan hin. Als ich den Bardo ✽✽) erreichte, hörte ich, daß soeben ein Pferd des Bei, ein sechsjähriger Fliegenschimmel, gestohlen worden sei. Ich that meine Aussage und schloß mich der Verfolgung des Spitzbuben an; aber als wir die Manuba hinter uns hatten, war er bereits am Dschebel Saghoan angekommen. Er konnte nicht mehr eingeholt werden.«

»Und Ihr habt ihn ganz sicher wieder erkannt? Ihr irrt Euch nicht?«

»Er ist es, sicher und gewiß. Diese Physiognomie ist nicht zu vergessen, und ich wette alles gegen nichts, daß ich mich nicht irre. Yes!«

»Weiß Krüger-Bei von dem Diebstahle?«

»Natürlich. Er war zu derselben Zeit im Bardo.«

»Und Ihr habt ihm jetzt noch nicht gesagt, daß dieser Saadis der Spitzbube ist, dem Ihr damals begegnet seid?«

»Nein.«

»So soll er es sofort erfahren!«

Ich teilte dem Obersten der Leibwache mit, was ich soeben gehört hatte. Er war so überrascht, daß er den geöffneten Mund nicht wieder zuzubringen schien.

»Was?« rief er endlich. »Dieser Saadis el Chabir, dieser Hauptspitzbube soll es jewesen sein? Wird der Lord nicht sich jetäuscht zu haben schuldig jeworden sein?«

»Er täuscht sich nicht.«

»Dunderwetter! Dat ist gut; dat wird ein Fang, für welchem mich es Sadak Bei die jrößeste Dankbarkeit zu widmen jeneigt zu sein dat Versprechen zu jeben haben wird! Aber wo ist der Fliegenschimmel?«

»Verkauft jedenfalls, da ihn der Krumir heute nicht geritten hat.«

»Dem Kerl soll der Deibel holen! Er wird die Bastonnade so lange auf den Fußsohlen bekommen, bis er dat Jeständnis zu entschlüpfen jelingt, wo der Schimmel zu finden werden kann. Ich bitte Ihnen, lassen Sie wir schnell umkehren, damit wir nicht zu spät kommen, ehe dieser Halunke von die Versammlung der Ältesten begnadigt zu werden in Schutz jenommen zu sein ihr veranlassen wird!«

»Werden wir Zutritt in die Dschemma erhalten?« Er blieb stehen und besann sich.

)Große Villenanlage bei Tunis. ✽✽) Residenz des Bei von Tunis.

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

»Nein,« antwortete er dann, »und dat ist sehr unanjenehm. Aber wir kehren dennoch um, denn man kann nie nicht jemals wissen, was in einer solchen Anjelejenheit ein einziger Augenblick für eine Wirkung zu versäumen mißraten kann. Janzes Bataillon, rückwärts marsch!«

Wir schritten nach dem Duar zurück. Vor demselben stand Achmed bei unsern grasenden Pferden. Ich blieb bei ihm stehen, während die beiden andern weiter gingen. Er mußte etwas Frohes erfahren haben, denn sein offenes Angesicht glänzte vor Entzücken.

»O Sihdi,« meinte er, »die Sonne ist aufgegangen über deinen Freund und Diener, und Allah hat die Fülle des Glückes über ihn ausgeschüttet!«

»Darf ich erfahren, welches Gesandten sich Allah bedient hat, um dir diese Seligkeit zu schenken?«

»Du darfst es erfahren, nur du allein, denn du wirst uns nicht verraten. Mochallah, die Schönste der Houris, ging hier vorüber, um nach dem Lieblingskamel des Scheik zu sehen. Sie mußte sehr vorsichtig sein, aber sie sagte mir, daß sie mich um Mitternacht dort bei den Palmen erwarten wird. Der Scheik zürnt mir, weil ich als Schiluhh und Amazigh ) in die großen Städte gegangen, und nun gar der Diener eines Ungläubigen geworden bin. Wir werden besprechen, wie wir seinen Zorn besänftigen können.«

»Er zürnt dir meinetwegen? Das ist eine Beleidigung, die ich rächen werde!«

»O Sihdi, schone ihn! Dein Arm ist stark, und dein Messer hat sein Ziel noch nie gefehlt; aber der Scheik ist der Vater von Mochallah, die ich liebe; du wirst mein Herz nicht betrüben!«

»Pah, ich will ihn ja nicht töten! Du weißt ja, daß ich ein Christ bin, und daß mein Kitab el mukaddas ✽✽) mir verbietet, Blut ohne Not zu vergießen.«

»Was willst du denn thun, Effendi?«

»Ich werde mich dadurch an ihm rächen, daß ich, der Ungläubige, deinen Fürsprecher mache. Ich werde ihn bitten, dir deine ‚Wohlriechende’ zum Weibe zu geben.«

»Ist es wahr? O Sihdi, wolltest du das wirklich?« frug er erfreut.

»Ja. Und ich bin neugierig, zu erfahren, ob er meine Wangen in Scham erröten lassen wird. Du weißt ja, daß der Prophet verbietet, den Gast schamrot zu machen.«

)Beide Worte bedeuten „freier Mann.“ ✽✽) Die Bibel.

»Herr, wenn du das thust, so wirst du auch bereit sein, mir noch eine andere Liebe zu erweisen. Erfülle meine Bitte, und ich werde deine Güte preisen von Kind auf Kindeskind!«

Hm, der gute Achmed sprach von seinen Nachkommen zweiter Folge, noch ehe er die Erlaubnis hatte, mit der einstigen Großmutter seiner Kindeskinder reden zu dürfen! Die Liebe ist ein eigentümliches Ding, in Lappland und in Tunis, am Mississippi und bei den Papuas; es ist am besten, ihr den Willen zu lassen. Darum frug ich: »Welchen Wunsch soll ich dir erfüllen!«

»Meinest du nicht, daß ich mit Mochallah überrascht werden könnte?«

»Das ist sehr leicht möglich.«

»Sihdi, ich habe keinen andern. Lasse du dein Auge über uns wachen, damit wir sicher sind!«

Ah! Nicht übel! Mein braver Achmed schien zu wissen, daß der Deutsche auf alle Fälle ein gutes Herz hat und seinem Nächsten außerordentlich gern gefällig ist. Aber warum sollte ich ihm den kleinen Dienst nicht erweisen? Wäre ich es gewesen, den eine Mochallah unter Palmen erwarten wollte, so hätte er auch mit Freuden unsern ‚Speech’ bewacht. Also antwortete ich: »Achmed es Sallah, gehe getrost hin unter die Datteln. Ich werde jeden Verräter fernzuhalten wissen!«

»O Sihdi, deine Gnade ist so groß, wie der Baum esch Schiab, auf dem die Erde steht, und deine Barmherzigkeit reicht so weit, wie die Tschiuhr el Dschinne ) fliegen. Ich gebe dir mein Leben, wenn du es haben willst!«

»Behalte es für Mochallah, die ‚Wohlriechende’. Sage ihr, daß ich dein Freund sei, der für Euch bei ihrem Vater reden wird!«

Ich setzte meinen Weg nach dem Zelte des Scheik fort. Percy und Krüger-Bei standen wartend vor demselben. Eben als ich bei ihnen ankam, öffnete sich der Eingang, und der Scheik trat mit dem Krumir und den Ältesten hervor.

»Was habt Ihr über diesen Mann beschlossen?« frug der Oberste der Leibgarde.

»Die Versammlung ist gütig gegen ihn gewesen,« antwortete Ali en Nurabi. »Er hat das Wasser des Willkommens, aber nicht das Brot und Salz der Gastfreundschaft erhalten. Er wird drei Tage lang in unsern Zelten und auf unsern Weideplätzen sicher sein; nach dieser Zeit aber und auch vorher, sobald

)Wörtlich: Vögel des Paradieses (Schwalben).

er über unsre Grenze schreitet, ist er der Blutrache verfallen.«

»Er wird fliehen!«

»Sein Pferd wird von meinen Männern bewacht.«

»Er wird dennoch fliehen. Weißt du, o Scheik, daß er nicht bloß Euch, sondern auch mir verfallen ist?«

»Warum?«

»Das sollst du sofort hören!«

Der Krumir hatte während dieser Verhandlung scheinbar auf keines der Worte gehört. Sein Auge hatte auf der in der Nähe angepflockten Milchstute en Nurabis geruht und war dann nach dem Frauenzelte geglitten, vor welchem Mochallah beschäftigt war, auf einem Steine Durrha zu mahlen. Es lag ein gieriger, hohnvoller Ausdruck in seinem Blicke, und ich las von seinem Gesichte den Gedanken, daß sowohl das Pferd als auch das schöne Mädchen zwei Gegenstände seien, um deren Besitz man etwas wagen könne. Bei den letzten Worten Krüger-Beis wandte er sich mit stolzem Gesichtsausdruck diesem zu.

»Du warst vor drei Wochen in Tunis?« wurde er von ihm gefragt.

»Was gehen dich meine Wege an!« antwortete er.

»Mehr als du denkst! Willst du leugnen, daß du dort gewesen bist?«

»Ich habe weder zu leugnen noch dir Rede zu stehen. Ich bin ein freier Sohn der Dedmaka, du aber bist der Sklave des Pascha. Warte, bis es mir gefällt, mit dir zu sprechen!«

»Es wird dir gefallen müssen, du freier ed Dedmaka, der du ein Gefangener dieser tapfern Uëlad Sebira bist. Dieser fremde Emir aus Inglistan hat dich in Tunis gesehen.«

»Er mag ansehen, wen er will. Was kümmert es mich?«

»Du hast auf einem Fliegenschimmel geritten.«

Es zuckte doch etwas wie Überraschung über das eiserne Gesicht des Krumir; doch er verstand sich zu beherrschen und antwortete: »Kam dieser fremde Emir nur deshalb aus Inglistan, um Fliegenschimmel zu sehen?«

»Dieser Schimmel war dem Pascha gestohlen worden. Du rittest mit ihm vom Bardo durch die Manuba nach den Bergen von Saghoan. Wir konnten dich nicht mehr erreichen.«

Der Krumir stieß er kurzes, schadenfrohes Lachen aus.

»So war dieser Schimmel wohl ein sehr gutes Pferd?« fragte er. »Der, welcher ihn gestohlen hat, muß ein besserer Reiter sein als diejenigen, welche ihn verfolgten.«

»Und dennoch haben sie ihn erreicht, wie du jetzt siehst. Saadis el Chabir, wo hast du das geraubte Pferd?«

»Ich — —?! Hat dir der Smum, der böse Wind

der Wüste, das Gehirn ausgetrocknet, daß du diese Frage aussprechen kannst?«

Da legte der würdige Oberst der Mameluken seine Hand an den Griff des Yatagans und rief: »Kelb, Ibn el Kelb — Hund, Sohn eines Hundes, kennst du mich?«

»Ich kenne dich, denn ich habe dich in el Marsa ), auf der Straße Sihdi Morgiani und auch von dem Dar el Bei ✽✽) an der Spitze der Sklaven gesehen. Du stammst aus den Ländern des Nordens, wo die Ungläubigen wohnen, die Allah verdammen möge. Bist du noch so rhaisihm ✽✽✽) im Lande der Gläubigen, daß du es wagst, einen Krumir von dem Ferkah ed Dedmaka einen Hund zu nennen? Weißt du nicht, daß du nur den als Dieb behandeln darfst, den du unmittelbar nach dem Diebstahle auf dem gestohlenen Pferde sitzend findest? Und selbst wenn du den Fliegenschimmel heut bei mir gesehen hättest, so würde ich ihn nicht gestohlen, sondern geschenkt erhalten, getauscht oder gekauft haben. Wärest du nicht der Gast dieser Männer, bei denen ich Wasser getrunken habe, so würde dich mein Messer treffen. Aber sagst du nur noch ein einziges Schimpfwort zu mir, so wird augenblicklich deine Seele zu ihren Vätern versammelt sein. Ein Sohn der Krumirs läßt sich nicht zum zweiten Male ungestraft beleidigen. Merke dir das!«

Diese Drohung hatte keinen Einfluß auf den tapferen Krüger-Bei. Er trat seinem Gegner um einen Schritt näher und frug: »Wagst du zu lügen [leugnen], daß du das Pferd gestohlen hast?«

»Ich brauche nicht zu lügen und brauche auch nichts einzugestehen. Rede, mit wem du willst, nur nicht mit mir!«

»Nun wohl, dieser Wunsch soll dir erfüllt werden, aber glaube ja nicht, daß du mir entkommst!« Und sich an Ali en Nurabi wendend, fuhr er fort: »Also dieser Saadis el Chabir steht wirklich unter Eurem Schutze?«

»Ja. Er kann drei Tage lang frei und unbelästigt bei uns umhergehen, als ob er zu uns gehörte. Am vierten Tage, zur Zeit des Fetscher ), erhält er sein Pferd zurück, um uns zu verlassen. Aber zur Zeit der Morgenröte jagen wir ihm nach, und wenn wir ihn ereilen, so nehmen wir sein Blut. So wurde es beschlossen.«

»Er wird vorher entfliehen!«

»Er hat geschworen, nicht zu fliehen.«

»Welchen Schwur hat er geleistet?«

»Bei Allah, dem Propheten, und allen heiligen Kalifen.«

)Bad am Ostende von Tunis. ✽✽) Haus des Beis. ✽✽✽) fremd, grün, unwissend. ) Auch el Fagr genannt = erstes Gebet zur Zeit des Zwielichtes vor der Morgenröte.

»So wird er seinen Schwur halten. Ich aber habe keinen Teil an eurem Beschlusse; ich habe ihm nicht versprochen, ihm zwischen dem Zwielichte und der Morgenröte Zeit zum Entkommen zu lassen. Ich werde ihn an der Grenze eurer Weideplätze erwarten, um ihn festzunehmen und nach Tunis zu bringen.«

»Das müssen wir dir gestatten,« antwortete der Bei [Scheik]; »aber ehe du ihn nach Tunis bringst, wird er bereits von unsern Kugeln gefallen sein. Jetzt aber tretet ein in das Zelt; ich rieche den Duft des Schafes, welches für euch geschlachtet wurde.«

Der Krumir schritt mit erhobenem Haupte davon, wir aber gingen in das Zelt, wo wir von Mochallah und ihrer Mutter bedient wurden. Weder der Scheik noch einer der Seinigen war bei dem Mahle gegenwärtig. Die Sitte verbot ihnen, zu essen, bevor der getötete Genosse begraben war.

»Was hat dieser Kolonel der Leibwache mit dem Scheik verhandelt?« frug mich Sir Percy während des Essens.

Ich erklärte ihm den Vorgang.

»Hm!« brummte er. »Miserabler Spitzbube, dieser Krumir! Soll uns nicht entwischen, dieser Kerl! Yes! Ich schaffe ihn mit nach Tunis.«

»Ich denke, Ihr wollt Euch mir anschließen?«

»Ah, richtig! Ihr wollt ja nach dem Süden, und ich gehe mit. Aber vorher können wir doch helfen, den Menschen zu fangen?«

»Werden sehen. Ich traue weder ihm noch seinem Schwure. Vielleicht passiert irgend etwas, noch ehe die drei Tage abgelaufen sind.«

Wir waren eben mit dem Mahle zu Ende, als sich draußen ein lautes, vielstimmiges Klagegeheul erhob. Man stand im Begriffe, den Toten zu beerdigen. Als Gäste hatten wir die Verpflichtung, uns mit anzuschließen; daher verließen wir das Zelt und gingen vor das Lager, wo sich sämtliche Bewohner desselben um die Leiche versammelt hatten. Sie lag, in weiße Gewänder gehüllt, vor einer seichten, offenen Grube. Neben ihr standen die Verwandten, und die übrigen schlossen einen weiten Kreis um die Stätte. Die Frauen und Mädchen jammerten in schrillen, durchdringenden Tönen, die Männer aber standen schweigsam mit finstern, rachgierigen Blicken. Der Krumir war nicht zu sehen; er war so klug gewesen, sich unsichtbar zu machen.

Da ein Geistlicher nicht zugegen war, so hatte der Scheik die Stelle desselben zu vertreten. Er erhob die Hand, und sofort trat lautlose Stille ein. Er wandte sein Antlitz in die Kibla ) und begann: »Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Bei dem weisen Koran, du bist einer der Gesandten Gottes, um den richtigen Weg zu lehren. Es ist die Offenbarung des

)Gesichtsrichtung nach Mekka, während des Gebetes.

Allmächtigen und Allbarmherzigen, daß du ermahnest ein Volk, dessen Väter nicht gewarnt wurden und daher sorglos und leichtsinnig dahinlebten. Das Urteil ist bereits über sie gesprochen, daher sie nicht glauben kön­nen — — —«

Das war der Anfang der sechsunddreißigsten Sure, welche Mohammed »Quelb el Koran« d. i. Herz des Koran genannt hat. Sie wird in der Stunde des Sterbens oder bei dem Begräbnisse gebetet. Bei den Worten: »Ein Zeichen der Auferstehung sei ihnen die tote Erde, die der Regen neu belebt,« wurde die Leiche in die Grube gelegt, mit dem Gesichte nach Mekka gerichtet. Bei den Worten: »Die Posaune wird ertönen, und siehe, sie steigen aus ihren Gräbern. Das ist es, was uns der Allbarmherzige verheißen hat. Nur ein einziger Posaunenschall, und siehe, sie sind allesamt vor uns versammelt —« wurde die Erde auf den Toten geworfen. Während dieser Arbeit betete der Scheik die Sure bis zu Ende.

Nun lagen Steine bereit, von denen über dem Grabe ein Hügel errichtet wurde. Dann betete der Scheik noch die fünfundsiebzigste Sure, die »Sure der Auferstehung«, und schloß die Leichenfeier mit dem mohammedanischen Glaubensbekenntnisse: »Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet!«

Jetzt erhob sich das Jammern und Wehklagen von neuem. Die Frauen schritten um das Grab herum, und auch die wehrhaften Männer traten einzeln nach der Reihe herzu, um ihre Messer und Dolche in den Boden zu stoßen, zum Zeichen, daß der Tod ihres Waffenbruders gerächt werden solle. Wäre der Krumir dabei zugegen gewesen, ich glaube, daß es ihm schwer geworden wäre, seine stolze, zuversichtliche Haltung zu bewahren. Er lag, als wir in das Zelt des Scheiks wieder eintraten, dort auf dem Serir. Er hatte mit vollen Rechte geglaubt, an diesem Orte sich am sichersten zu befinden. Trotz seiner nichts weniger als angenehmen Situation befleißigte er sich eines keineswegs rücksichtsvollen Betragens gegen uns. Er blieb lang ausgestreckt liegen und schien uns gar nicht zu bemerken. Mir und Krüger-Bei war das gleich, da wir wenig Raum brauchten, um uns in orientalischer Stellung niederzuhocken. Sir David Percy aber war diese Stellung, welche der Orientale Rahat otturmak ) nennt, nicht gewohnt. »Thue deine Beine weg, Master Spitzbube!« meinte er, leider aber nur in englischer Sprache, aber mit einer Geste, welche der Krumir unbedingt verstehen mußte.

Dennoch bewegte Saadis el Chabir nicht die Fußspitze, um dem Engländer Platz zu machen.

»Well! Wenn du nicht willst, so magst du Schlitten fahren!«

Er faßte den Krumir bei den Füßen und schleuderte

)Ruhe der Glieder.

ihn mit einem raschen Schwung vom Serir hinweg bis an den Eingang des Zeltes. Aber im Nu hatte sich der auf diese Weise Attackierte aufgerafft, um sich auf ihn zu stürzen. Sir Percy war ein gewandter Boxer. Er empfing den auf ihn Eindringenden mit einem Faustschlage in das Gesicht, der ihm für den Augenblick die Besinnung raubte, und im nächsten Momente flog der Krumir zum Zelte hinaus.

Das alles war so schnell geschehen, daß es mir unmöglich gewesen war, es zu verhindern. Percy nahm auf dem Serir Platz, ich aber griff zum Messer, um ihm beizustehen, denn ich erwartete, daß Saadis el Chabir sich eine Waffe suchen und dann wieder eindringen werde. Ein Schlag ist für den Beduinen die größte Beleidigung, welche es nur geben kann; sie ist nur mit Blut abzuwaschen.

»Was habt Ihr gethan, Sir?« frug ich. »Er wird Euch an das Leben gehen!«

Er zog ruhig eines seiner Pistolen hervor, spannte die Hähne und antwortete sehr gelassen: »An das Leben? Gut, so werde ich ihn vorher ein wenig töten! Ich habe keineswegs die Absicht, mich von einem Pferdediebe unhöflich behandeln zu lassen.«

»Um Gottes willen, schießt nicht! Er steht unter dem Schutze des Stammes, und sein Tod würde Euch unter die Blutrache bringen.«

»Pshaw! Glaubt Ihr etwa, daß ein Englishman das dumme Ding kennt, welches man Furcht oder Angst zu nennen pflegt? Dieser Mensch hat mich beleidigt nach der Sitte meines Landes; dafür habe ich ihn beleidigt nach der Sitte seines Landes; also sind wir quitt. Gibt er sich damit nicht zufrieden, so ist das seine Sache. Yes!«

Was ich befürchtete, geschah nicht; der Krumir blieb zu meiner Verwunderung fort. Auch Krüger-Bei schüttelte den Kopf und meinte: »Dieser ed Dedmaka kann niemals nicht kein Ehrjefühl besitzen, sonst würde er sein Leben wagen, um dieser Beleidigung zu rächen die jar nicht jrößer jedacht zu werden jenannt zu sein verdienen muß. Wird der Engländer ihm niederschießen?«

»Ich befürchte es.«

»Dat müssen wir zu vermeiden jesonnen sein mit einander beschließen. Sobald der Kerl wieder in diesem Zelte einzutreten hereinzukommen wagen sollte, halten wir ihm sofort fest, damit er sich nicht zu bewegen und zu rühren vermocht werden kann. Dann rufen wir dem Scheik herbei und überjeben ihn dem Jefangenen, der auf dieser Art und Weise an sicherstem unschädlich jemacht zu werden jelingen kann.«

Dieser in einem so wunderbaren Deutsch ausgesprochene -

ausgesprochene Plan kam glücklicherweise nicht zur Ausführung, da der Krumir verschwunden blieb. Erst später, als der Scheik kam, erfuhren wir, daß Saadis sich bei ihm über uns beschwert und mit schwerer Rache gedroht habe. Man hatte ihm ein anderes Zelt als Aufenthaltsort angewiesen.

Unterdessen war der Nachmittag vergangen, und draußen erscholl der Ruf: »Hai aal el sallah — ja rüste dich zum Gebete, wenn die Sonne in das Sandmeer taucht!«

Es war also el Mogreb da, die Zeit des Gebetes beim Untergange der Sonne. Wir tauchten die Hände in das Wasser, traten vor das Zelt und warfen uns mit Ausnahme Percys, welcher sitzen geblieben war, auf den Boden nieder. Ich habe mich während meiner Wanderungen unter den Moslemim nie von den Waschungen und Gebeten ausgeschlossen und denke dennoch, ein guter Christ geblieben zu sein.

Nach dem Mogreb stieg der Scheik zu Pferde, um für die Sicherheit der Herden zu sorgen. Ich schloß mich ihm an, da mir sehr daran lag, mit ihm unter vier Augen von meinem Diener reden zu können. Dieser befand sich wieder vor dem Duar bei meinem Pferde.

»Achmed es Sallah,« rief ich ihm zu, »du wirst keinen Schritt von meinem Tiere weichen und es auch während der Nacht, wenn du schläfst, an dich befestigen!«

»Sihdi, ich verstehe dich,« antwortete er. »Ich werde es nicht nur anbinden, sondern mein Haupt soll auf ihm ruhen, wenn es sich zum Schlafe niederlegt.«

»Warum diese Vorsicht?« frug mich der Scheik im Weiterreiten. »Bist du nicht mein Gast, dessen Eigentum sicher ist, so lange er sich bei mir befindet?«

»Wirst du mir meinen Hengst wiedergeben, wenn er morgen früh verschwunden ist?«

»Wer sollte ihn fortführen?«

»Saadis el Chabir.«

»Du irrst. Uns wird er nicht bestehlen. Übrigens hält ihn sein Schwur drei Tage lang bei uns zurück.«

»Traue du ihm, ich aber glaube ihm kein Wort. Weißt du überhaupt, ob er da unten im Wadi Milleg allein gewesen ist?«

»Selbst wenn er Gefährten bei sich gehabt hätte, würden sie nicht wagen, das Lager Ali en Nurabis zu überfallen. Sie kennen mich. Morgen werden wir nach dem Wadi Milleg reiten, um sie aufzusuchen, wenn sie vorhanden sind. Reitest du mit, Effendi?«

»Nein.«

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

»Warum nicht? Dein Pferd wird ausgeruht haben.«

»Weder ich noch mein Pferd bedürfen der Ruhe, wenn ich auch jetzt eines der deinigen reite. Ich bleibe morgen nur deshalb zurück, weil ich nicht haben will, daß du einen großen Fehler begehst.«

»Von welchem Fehler redest du?«

»Hast du es nicht einen großen Fehler genannt, daß Achmed es Sallah mit mir geritten ist? Und nun willst du selbst, daß ich bei dir sein soll! O Scheik, seit wann ist es im Lande der Uëlad Sebira Sitte, seinen Gast zu kränken? Ich habe die Sahara durchritten vom Dschebel Abiad im Westen bis zum Wah el Dakhel im Osten, vom Dschebel Addeda im Lande der Krumirs im Norden bis zur fürchterlichen Wüste Tintuma im Süden; ich war in Masr ), im heiligen Lande el Arab, dann immer weiter gen Osten bis zum Lande der Kurden und Perser; ich war in Ländern und bei Völkern, deren Namen du noch niemals gehört hast, aber nie habe ich einen Scheik getroffen, der die Wange seines Gastes schamrot machte. Ich weiß, daß mein Rappe deinen Schimmel besiegt, dennoch habe ich auf die Wette verzichtet, weil ich unter deinem Dache wohne. Und du? Ich gehe von hier in das Land der Kramemssa, Segrelma, Mescheer und Neschaïma; sogar über den großen Schott werde ich gehen, um die Kinder der Merasig noch einmal zu besuchen. Was soll ich ihnen allen sagen, wenn sie mich fragen nach dem Scheik Ali en Nurabi vom Ferkah Uëlad Sebira? Ich muß ihnen erzählen, daß du deine Gäste beschimpfest, daß du mich einen Giaur ✽✽) nennst, obgleich ich bereits heut el Asr und auch el Mogreb mit dir gebetet habe. Du nennst mich einen Giaur, weil ich zu Isa Ben Marryam ✽✽✽) bete. Was aber sagt der Prophet von ihm? Sagen nicht selbst die Heiligen und Lehrer des Islam, daß Isa Ben Marryam am jüngsten Tage herniederfahren werde auf die Moshia der Ommijaden in Damask, um Gericht zu halten über alle Toten und Lebendigen? Warum also nennst du den, der zu ihm betet, einen Ungläubigen? Antworte mir, Scheik Ali en Nurabi!«

Ich merkte ihm die große Verlegenheit an, in welche ihn meine Worte gebracht hatten.

»Wer hat dir gesagt, daß ich dich einen Giaur genannt haben soll?« frug er mich nach einigem Schweigen.

»Warum fragest du, da du doch genau weißt, daß du es gethan hast? Siehe, hier an meinem Halse hängt das heilige Buch; ich bin ein Hafizh, einer, der den

)Arabische Bezeichnung für Ägypten. ✽✽) Ungläubigen. ✽✽✽) Jesus, der Sohn Mariens.

Koran auswendig kann. Sage, ob man mich einen Giaur nennen darf!«

»Nein; du bist kein Kasir, kein Giaur.«

»Warum zürnst du dann Achmed es Sallah meinetwegen?«

»Nicht deinetwegen zürne ich ihm, sondern weil er das Duar verlassen hat, um in die Städte zu gehen.«

»Du selbst triebst ihn ja fort! Er ging, um sich den Preis für Mochallah zu verdienen. Oder hältst du es für eine Sünde, die Heimat zu verlassen? Sagt nicht selbst der Prophet: ‚Du siehst den Wandrer durch die Länder ziehen, und Allah ist mit ihm. Auch siehest du Schiffe die Wellen durchschneiden, damit ihr von dem Überflusse Gottes Reichtümer erlangt und ihm dafür dankbar seid.’ Ist es also gegen den Willen des Propheten, daß Achmed sein Duar verlassen hat?«

»Nein.«

»Warum also zürnest du ihm?«

»Ich zürne ihm nicht.«

»Warum verweigerst du ihm Mochallah, die Seele seines Lebens?«

Er fühlte sich in die Enge getrieben und antwortete zaudernd: »Ich bin ein Scheik, und er ist nur ein Krieger.«

»Allah schütze deine Gedanken! Will Achmed denn dich zum Weibe haben? Er will Mochallah, deine Tochter, und diese ist doch nicht ein Scheik! Gott kann erhöhen und kann stürzen. Achmed ist tapfer, treu, wahr, fromm und klug; ich will heute nicht weiter davon sprechen. Denke darüber nach, o Scheik, so wirst du erkennen, daß er es wert ist, die Blume der Uëlad Sebira zu besitzen.«

Das Gespräch verstummte nun. Wir umritten das Lager in einem weiten Bogen und kamen zur Zeit des Aschia ) wieder zurück. Dann wurde ein kleines Nachtmahl eingenommen, worauf man inmitten des Duar ein mächtiges Feuer anzündete, um welches sich die Männer versammelten, um bei dampfenden Tabakspfeifen die alten Hikkajah ✽✽) zum tausendsten Male anzuhören oder den Aghani ✽✽✽) zu lauschen, welche zu den anspruchslosen Klängen der Rababah ) vorgetragen wurden. Eine Stunde vor Mitternacht ging man zur Ruhe.

Im Zelte des Scheik wurden Decken ausgebreitet, um uns gegen die bekannte nächtliche Kälte jener am Tage so heißen Gegenden zu schützen.

»Schlaft ruhig und sicher unter meinem Dache,«

)Abendgebet.  ✽✽) Märchen.  ✽✽✽) Gesänge. ) Einsaitige Zither.

meinte Ali en Nurabi. »Allah sei mit euch. Leïlkum saaïde — gesegnete Nacht!«

Einige Augenblicke später schnarchte er bereits in allen Tönen der chromatischen Tonleiter. Krüger-Bei folgte nach, und auch der Engländer war bald eingeschlafen, wie seine langen, halblauten Atemzüge zu erkennen gaben. Ich steckte meine Revolver zu mir, erhob mich von dem Lager und schlich mich aus dem Zelte.

Im Lager herrschte eine lautlose Stille. Von fern her hörte ich das tiefe, hastende »Ommu — ommu« einer Hyäne, worauf das helle »J-a-u« eines Schakals antwortete, und etwas näher ließ ein neugieriger Fenneck sein kurzes Gekläff erschallen. Ich fand Achmed an demselben Orte wieder. Er lag zwischen meinem und seinem Pferde, deren Leinen er sich um den Leib geschlungen hatte.

»Hamdulillah — Preis sei Gott, daß du kommst!« begrüßte er mich. »Ich habe auf dich gewartet wie die Nacht auf den Tau.«

»Warum? Hast du so notwendig? Mitternacht ist noch nicht da.«

Nein. Aber Mochallah, die Krone der Töchter, ist bereits da.«

»Ah, das ist etwas anderes! Wo ist sie?«

»Sie wartet bereits dort bei den Palmen. Sie kam eine Minute vor dir hier vorüber.«

»Eine Minute? Eine ganze Minute? Schrecklich! Nun wundere ich mich nicht, daß du auf mich gewartet hast wie die Nacht auf den Tau.«

»Sihdi, hast du bereits mit dem Scheik gesprochen?«

»Ja.«

»Was sagte er?«

»Nichts. Doch davon können wir später reden. Eile jetzt, damit die ‚Krone der Töchter’ nicht zornig auf dich werde!«

»Effendi, zuvor muß ich dir etwas sagen.«

»Was?«

»Als der Abend hereinbrach, hörte ich da unten in dem Szemt- und Loz-Gebüsch ) den Bulbul ✽✽) singen, und weil ich ihn gern höre, ging ich näher. Ich stand mit den Pferden zwischen den Sträuchern. Da sah ich einen Mann vorüberhuschen, der kein anderer gewesen ist als Saadis el Chabir.«

»Du hast ihn genau erkannt?«

»Genau.«

»Hat er dich gesehen?«

»Nein.«

»Du meinst, daß er entflohen ist?«

»Nein, denn er hat geschworen, zu bleiben.«

»So wäre sein Ausgang ja gar nicht verdächtig. Im Duar mag keiner etwas von ihm wissen; so treibt ihn die Langeweile heraus in das Freie.«

)Akazien und Mandeln. ✽✽) Nachtigall.

»Herr, glaube dieses nicht! Dieser Krumir ist gefährlicher und giftiger als Assaleh ), die Todbringende.«

»Ich stimme dir vollständig bei. Ist er wieder in das Duar zurück?«

»Ich weiß es nicht, denn ich mußte wieder nach hier zurück, um von dir gefunden zu werden.«

»So gehe jetzt. Wenn ich etwas für euch Störendes vernehme, so werde ich den leisen Laut eines Hedsch ✽✽) ausstoßen, der im Schlafe gestört wird.«

»Wie lange wirst du Geduld mit uns haben, Sihdi?«

»So lange, bis Mochallah den letzten deiner Küsse erhalten hat. Allah kerihm — Gott ist gnädig, aber gegen mich nicht, denn er hat mir keine einzige Mochallah geschenkt.«

»Effendi, du wirst noch sehr viele bekommen, denn ich werde deinen Ruhm verbreiten in alle Länder der Erde; darauf kannst du dich verlassen!«

Er schlich sich davon zur »Wohlriechenden«, und ich, sein Herr und Gebieter, sein Sihdi und Effendi, mußte für ihn bei den Pferden zurückbleiben. O Schicksal, war das recht von dir?

Ich hüllte mich in meinen Haik und lehnte mich an den warmen Leib meines Pferdes. Dieses lauschte lautlos den Suren des Koran, die ich ihm leise in das Ohr rezitierte, eine Gewohnheit, die sein früherer Besitzer mir vererbt hatte, und die sich auch für mich sehr nützlich erwies. Der feurige, windesschnelle Rappe erkannte sicher keinen Menschen als Herrn an, der ihm nicht des Abends in dieser Weise in das Ohr flüsterte. Auch dies war ein Teil des »Geheimnisses« meines Pferdes.

Da drüben unter den Palmen wurden gewiß keine Suren geflüstert, aber ich war nicht neidisch auf den braven Achmed es Sallah. Über mir wölbte sich der tiefblaue Himmel des Südens mit den glänzenden Funken der Schlange, des Schützen, des Skorpions und des Wolfes; diese Sterne waren gewiß ebenso zauberisch wie diejenigen zwei, in deren liebevolles Licht jetzt mein Diener sich sicher ganz ohne Fernrohr und Perspektiv versenkte.

Ich wartete eine halbe Stunde — eine ganze — noch eine halbe — und abermals eine halbe — Maschallah, wo bleibt der letzte Kuß, bis zu dem ich zu warten versprochen hatte! Eben wollte ich, nur um meines Wächteramtes quitt zu werden, das vorhin vereinbarte Zeichen geben, als sich rechts neben mir ein leises Geräusch vernehmen ließ. Ich legte das Ohr fest auf die Erde; ich konnte mich auf mein Gehör verlassen; es war in den Prärien Nordamerikas zur Genüge geübt worden — ich hörte Schritte, die sich vorsichtig von der Palmengruppe her näherten und die Richtung nach den Zelten einzuhalten schienen. War

)Gefährlichste Schlange der Wüste. ✽✽) Weihe, Falco rufus L.

es Mochallah? Ich zweifelte daran. Schnell schälte ich mich aus meinem weißen Burnus und dem ebenso hellen Mahrahmeh ), so daß ich nun in der dunkelblauen türkischen Hose und Jacke nicht von dem Erdboden zu unterscheiden war, legte mich platt nieder und kroch nach Indianerart der Gegend zu, in welcher ich die Schritte gehört hatte.

Eine Gestalt wand sich vorsichtig zwischen den Zelten hindurch. Es war ein Mann. Jede Deckung benutzend und immer ein Zelt zwischen ihm und mir, folgte ich ihm. Vor demjenigen des Scheiks waren die beiden Lieblingstiere desselben, die Milchstute und das aschgraue Bischarihn-Hedschihn angepflockt, und hinter dem Frauenzelte lag eine Atuscha ✽✽) zwischen mehreren Sardsch ✽✽✽), welche der Mann in Augenschein nahm. Dabei bekam ich sein Gesicht zu sehen — es war Saadis el Chabir, der Krumir.

Er kam von seinem Gange zurück. So spät! Warum ging er nicht sofort in das ihm angewiesene Zelt? Warum spionierte er hier umher? Ich mußte es erfahren und folgte ihm so vorsichtig wie möglich nach. Er schritt auf das Akazien- und Mandelgebüsch zu, von welchem Achmed vorhin gesprochen hatte. Kaum kannte ich dies sein Ziel, so schnellte ich auf die Seite, um vor ihm dort anzukommen. Ich schlug einen Bogen, weit genug, um von ihm nicht gesehen zu werden, und rannte in langen Sätzen, aber doch möglichst unhörbar, dem Gebüsche zu.

Ich erreichte es, als er noch ungefähr dreißig Schritte davon entfernt war, und duckte mich auf den Boden nieder. Er blieb am Rande des Hölzchens stehen, kaum drei Meter von mir entfernt, und klatschte leise in die Hände. Auf dieses Zeichen vernahm ich ein Rascheln, welches sich uns näherte. Zurück konnte ich nicht, zur Seite und vorwärts auch nicht; ich war in eine schlimme Lage geraten.

Da brachen einige Personen durch die Sträucher, und die eine von ihnen stieß an mich. Sofort fuhr ich, die beiden Revolver in der Hand, empor, um ihnen zuvorzukommen, aber mein oft bewährtes Glück hatte mich verlassen — diese Beduinen waren geistesgegenwärtige Leute, noch ehe ich mein »Werda?« aussprechen konnte, erhielt ich einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf; die Revolver entsanken meinen Händen, und ich selbst stürzte besinnungslos zu Bo­den. — —

II.Abu ’l Afrid.

Es war nicht der erste derartige Jagdhieb, den ich jetzt erhielt, und da die gütige Natur meinen Kopf mit einer widerstandsfähigen Knochenlage geschützt

)Kopftuch.  ✽✽) Frauensänfte, für ein Kamel zu tragen. ✽✽✽) Männersattel.

hatte, so war ein solcher Schlag von mir stets schnell überwunden worden. So auch hier. Das Bewußtsein kehrte mir bald wieder, wenn auch nicht so rasch, wie es zu wünschen war; denn als ich erwachte, knieten vier oder fünf Gestalten auf mir, welche mir einen Knebel in den Hals geschoben hatten und nun beschäftigt waren, mir Hände und Füße so fest zu binden, daß ich mich nicht zu rühren vermochte. Saadis es Chabir stand dabei, um diesen mir so unwillkommenen Vorgang zu kommandieren.

Warum hatten mich diese Menschen nicht sofort getötet? Es war jedenfalls am besten, so zu thun, als ob ich noch in Ohnmacht liege. Vielleicht hörte ich da irgend ein Wort, welches geeignet war, mir Aufschluß zu geben. Dieser Entschluß erwies sich bereits nach wenigen Augenblicken als vorteilhaft, denn ich hörte den Krumir mit halblauter Stimme fragen: »Bewegt er sich?«

»Nein,« antwortete einer der Männer. »Er ist so steif wie ein Speer. Mein Kolben hat ihn gut getroffen. Er wird tot sein, aber es ist doch besser, ich stoße ihm die Klinge in das Herz.«

»Das wirst du nicht thun! Ich hörte aus den Reden dieser Uëlad Sebira, die Allah verdammen möge, daß dieser Mann ein reicher Emir aus dem Abendlande ist. Wenn er wieder erwachen sollte, so nehmen wir ihn mit, und er wird uns ein großes Lösegeld bezahlen. Für jetzt haben wir ihn so sicher, daß er uns nichts schaden kann.«

»Was mag er hier gewollt haben?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er ein Dichter, der mit el Kamar ) hat reden wollen; diese fremden Fürstensöhne sollen alle Dichter sein. Laßt ihn liegen; wir werden später nach ihm sehen.«

»Was befiehlst du nun? Holen wir die Milchstute wirklich?«

»Nicht sie allein.«

»Wen noch?«

»Einen Rapphengst, der noch kostbarer ist als diese Stute; er gehört dem Fremdlinge hier.«

»Herr, wir werden beneidet sein von allen unsern Brüdern!«

»Und noch mehr. Wir holen auch eine Bent es Sebira ✽✽), die schöner ist als alles, was ich bisher gesehen habe. Ich erlauschte, daß sie sich dort unter den Palmen befindet.«

»Allein?«

»Es ist einer von den Jünglingen bei ihr — —«

»Den wir töten werden?«

»Nein. Ein einziges Geräusch kann uns verraten. Er wird nicht mit ihr nach dem Duar zurückkehren, denn er hat den Hengst zu bewachen. Es ist die Tochter des Scheik Ali en Nurabi. Wir lauern sie ab, wenn

)Dem Monde. ✽✽) Tochter der Sebira.

sie heimgeht, und erlauben ihr nicht, einen Laut auszustoßen. Einer von euch führt sie fort. Wir andern nehmen die Stute und das köstliche Hedschihn, welche beide vor dem Zelte des Scheik angebunden sind. Eine Sänfte liegt daneben.«

»Man wird uns hören. Der Scheik wird gute Hunde besitzen.«

»Sie kennen mich bereits, denn ich habe bei ihnen im Zelte gelegen. Einer führt das Mädchen fort; einer nimmt die Stute, einer das Hedschihn und einer die Atusche. Wir andern gehen dann vor das Duar, um den Hengst zu holen, und da allerdings werden wir den Wächter töten müssen.«

»Wo versammeln wir uns?«

»Grad’ im Süden von dem Lager, am Eingange der ersten Schlucht, die hinab zum Flusse steigt.«

»Aber wenn man uns hört? Wenn man uns entdeckt?«

»Schäme dich, Knabe! Ist einer von uns einmal entdeckt worden? Sind nicht unsere Augen wie die Augen des Panthers und unsere Füße unhörbar wie die Füße des Fenneck und der Katze? Trägst du nicht gute und scharfe Waffen bei dir? Sind nicht Pferde genug vorhanden, um die Flucht zu ergreifen, noch ehe ein Sebira die Flinte erheben kann? Oder meinst du, daß wir noch vorsichtiger handeln sollen? Nun wohl, so nehmen wir erst Mochallah, die Tochter des Scheiks, und schicken sie in Sicherheit; sodann schleichen sich drei bis zum Zelte Ali en Nurabis und wir andern an den Ort, wo sich der Hengst befindet. Dann gebe ich euch das Zeichen der Beni Hamema, und in demselben Augenblicke nimmt jeder das, was er zu nehmen hat. Der letzte eilt hierher zurück und holt diesen Franken, den wir aber auch liegen lassen, wenn wir in Gefahr kommen sollten.«

»Und wir reiten nicht nach dem Bach el Halua zurück?«

»Nein; ich habe es den andern, welche die Kafila erwarten werden, bereits gesagt. Wie eilen sofort nach Süden, übersteigen den Bah Abida und gehen quer durch die Wüste er Ramada nach dem Dschebel Tibuasch, hinter dem die Duars und Tschars ) der Mescheer-Beduinen liegen, die uns sicher Schutz gewähren, wenn die Uëlad Sebira uns verfolgen sollten. Nun aber vorwärts, damit wir die Rückkehr des Mädchens nicht versäumen!«

Im nächsten Augenblicke waren sie lautlos verschwunden, und ich lag allein unter den Büschen, gefesselt -

)Häuserdörfer, im Gegensatz zu Duars, d. i. Zeltdörfer.

fesselt und geknebelt, hilflos wie ein Kind, ja, noch viel hilfloser, da ich nicht einmal rufen konnte.

Ich befand mich wahrhaftig in einer schauderhaften Lage. Ich kannte den ganzen nichtswürdigen Anschlag dieser Menschen und war doch nicht im stande, ihn zu hintertreiben! Also hatte ich den Krumir doch richtig beurteilt! Er stand im Begriff, seinen Schwur zu brechen; er wollte fliehen und die drei besten Tiere des Lagers, die Tochter des Scheiks und auch mich mitnehmen. Und dazu noch sollte mein braver Achmed getötet werden. Ich zweifelte keinen Augenblick an dem Gelingen des Anschlages, denn ich kannte aus Erfahrung die Schlauheit und Behutsamkeit, mit welcher der Wüstensohn dergleichen Bravourstücke auszuführen pflegt. Kein Indianer, kein europäischer Gauner kommt ihm darin gleich; nur höchstens von dem eingeborenen Indier wird er übertroffen.

Ich strengte alle meine Sehnen und Muskeln an und bäumte mich unter den Fesseln hoch empor — sie schnitten mir tief in das Fleisch, gaben aber nicht nach. Ich versuchte, mit der Zunge den Knebel aus dem Munde zu stoßen — es ging nicht, denn er war mit einem Tuche befestigt, welches man mir um Mund und Nase gelegt und hinten im Nacken verknotet hatte. Ich mußte ein- für allemal von jeder dieser Anstrengungen ablassen, denn sie brachte mich dem Tode des Erstickens nahe. Ich konnte nur eins thun: ich mußte mich verstecken, um von dem Krumir nicht wiedergefunden zu werden. Gelang mir dies, so war es später möglich, die Uëlad Sebira auf die Spur der Räuber zu bringen und nicht nur den Tod Achmeds zu rächen, sondern auch Mochallah mit den geraubten Tieren zu befreien. Ich versuchte also, mich von dem Platze fortzuwälzen. Es gelang, und in einigen Minuten war ich so weit entfernt von dem vorigen Orte, daß ich mich so ziemlich geborgen glaubte. Und was die Hauptsache war — ich war bei einer Umdrehung meines Körpers auf die Revolver zu liegen gekommen, welche mir entfallen waren, und da ich nur am Handgelenk gefesselt worden war, so hatte ich es mit einiger Anstrengung vermocht, sie mit den Fingern zu erfassen und festzuhalten. Kehrten nicht mehrere der Räuber, sondern nur einer zu mir zurück, und fand er mich auch an meinem neuen Platze, so war es mir trotz meiner ungünstigen Armstellung doch vielleicht möglich, auf ihn zu schießen und — — — schießen? Ha! Mußte ich denn warten, bis man mich fand? Konnte ich nicht den ganzen Überfall verhüten?

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

Kaum gedacht, so geschehen: ich gab dem Laufe eines Revolvers eine Lage, bei der alle Gefahr für mich ausgeschlossen war, und feuerte alle sechs Schüsse los. Sie klangen nach einander scharf und hell in die Nacht hinaus; sie mußten selbst den tiefsten Schläfer erwecken. Kaum war der letzte verklungen, so hörte ich den Schrei eines Bartgeiers. War dies das »Zeichen der Beni Hamema,« von welchem der Krumir gesprochen hatte? Eine halbe Minute noch blieb es still, dann aber hörte ich einen Pistolenschuß — noch einen, und nun erhob sich ein lautes Rufen und Schreien im Lager. Man war erwacht, und mit klopfendem Herzen lauschte ich auf den immer größer werdenden Lärm.

Wer war es, der geschossen hatte? Der Krumir? Fast hätte ich wetten mögen, die Pistole zu kennen, aus der die beiden Schüsse abgegeben worden waren — Achmeds Pistole. Das Geschrei wurde bald zum Wutgeheul, und ich unterschied sehr deutlich die Stimme des Scheik, der nach Mochallah, nach seiner Stute und dem Reitkamele rief. Dann hörte ich einen lauten Ruf Achmeds, welcher fragte, ob niemand mich gesehen habe.

Da drückte ich den ersten Schuß des zweiten Revolvers ab — eine lautlose Stille erfolgte, dann rief Achmed laut: »Sihdi! O, es ist mein Effendi, denn kein Feind hat einen solchen Rewowah ) wie er. Sihdi, Sihdi!«

Ich gab den zweiten Schuß ab.

»Warum antwortet er nicht mit dem Munde?« rief der treue Diener. »Allah kerihm — Gott ist barmherzig; mein Effendi kann nicht sprechen; er befindet sich in Gefahr! Hier, haltet sein Pferd; ich muß zu ihm hin!«

Gott sei Dank; er und mein Pferd, beide waren mir erhalten! Jetzt hörte ich viele Schritte sich den Büschen nähern, und ich drückte zum dritten male los.

»Hier ist es!« schrie Achmed. »Kommt ihm zur Hilfe!«

Mit kampfbereiten Waffen drangen sie zwischen die Büsche ein — Sie wähnten mich im Kampfe mit irgend einem Feinde, blieben aber sehr bald zaudernd halten, eine Hinterlist vermutend, da sie kein feindliches Wesen bemerkten. Nur der wackere Achmed drang unaufhaltsam vorwärts. Mein vierter Schuß gab ihm nochmals die rechte Richtung, und bald stand er vor mir.

»Maschallah, ein Gefesselter!« rief er, als er sich

)Revolver.

niedergebückt und mich betastet hatte. »Sihdi, Effendi, bist du es? Hast du geschossen? Wallahi, billahi, tallahi, man hat ihm den Mund verstopft!«

Im Nu entfernte er den Knebel, und da er mich nun an der Stimme erkannte, jauchzte er laut auf und entfernte die Fesseln mit wenigen raschen Schnitten.

»Er ist’s, er ist’s, hamdulillah, er ist’s! Komm herbei, o Scheik; er wird uns Auskunft geben!«

Ich wartete dies nicht ab, sondern drang aus dem Gebüsch in das Freie heraus, wo mehr Raum vorhanden war. Dort faßte mich Ali en Nurabi am Arm.

»Effendi,« frug er stürmisch, »wo ist Mochallah, das Kind meiner Seele? Wo ist meine Stute, und wo ist mein Bischarihnhedschihn?«

»Sage mir erst, wo Saadis el Krumir ist,« antwortete ich ihm.

»Ich weiß es nicht! Er ist fort!«

»Fort? Geflohen?«

»Ja.«

»Trotz seines Schwures?«

»Er hat ihn gebrochen. Allah verdamme ihn!«

»Ich hatte recht, o Scheik. Dieser Krumir hatte das Auge eines Verräters. Ein Giaur hält das Wort, welches er verpfändet hat, dieser Moslem aber schwört bei dem Barte des Propheten, bei allen heiligen Kalifen und bricht sein Wort; aaïb aaleïhu — Schande über ihn! Aber er ist nicht nur wortbrüchig geworden, sondern er hat auch deine Tochter geraubt und die zwei besten deiner Tiere mitgenommen.«

»So ist es wahr, o Effendi?«

»Ja.«

»So möge der Himmel zusammenbrechen über den [dem] Lügner und Räuber, und die Erde möge sich öffnen, um ihn zu verschlingen, ihn, seinen Vater, den Vater seines Vaters und alle Ahnen und Urahnen bis hinauf zu Adam, dessen Nachkommen sie sind!«

»Du vergissest, daß auch du ein Nachkomme Adams bist!«

»Malehsch — das thut nichts, das ist mir einerlei! Mir ist meine Stute geraubt, mein Bischarihnhedschihn und meine Tochter; was schere ich mich um alle Vorfahren und Nachkommen der Welt! Effendi, hilf mir. Du allein weißt es, wo er mit ihnen hin ist!«

»Laß uns vorher alles ruhig überlegen! Ich meine, daß — — —«

Er unterbrach mich in stürmischem Tone: »Überlegen? Effendi, ehe wir fertig sind mit dem Überlegen, wird uns der Räuber entkommen sein! Auf, ihr Männer, ihr Helden, auf, um ihm nachzujagen!«

»Jage ihm nach!« antwortete ich ruhig. »Mir aber erlaube, daß ich mich niederlege, um zu ruhen. Es ist heut noch kein Tropfen Schlafes an meine Augen gekommen.«

»Herr, ist dies dein Ernst?«

»Ja.«

»Du bist mein Gast und willst schlafen, während ich nach meiner Stute, nach meinem Kinde und nach meinem Kamele schreie? Weißt du nicht, daß dich die Verachtung aller Helden der Bedawi treffen wird?«

»Sie wird mich nicht treffen, denn ich werde zwar schlafen, dir aber dann deine Tochter und deine Tiere wiederbringen; du jedoch wirst die Welt umstürzen, die Verlorenen aber nicht zurück erlangen.«

»So sage mir, was ich beginnen soll! Ich werde dir gehorchen.«

»Die meisten deiner Krieger sind nicht hier, sondern dort im Lager. Laß überall nachsehen, ob ein Mensch, ein Tier oder eine Sache fehlt; dann mögen alle Männer, welche Waffen tragen, zusammenkommen, um zu hören, was geschehen soll. Unterdessen mag die Dschemma, die Beratung der Ältesten, sich vor deinem Zelte versammeln. Vier andre Männer werden noch teilnehmen, nämlich der Bei der Mameluken, der Emir aus Inglistan, ich und Achmed es Sallah!«

»Achmed es Sallah! Warum dieser?«

»Ali en Nurabi, ich sage dir, daß du deine Tochter und deine Tiere nur dann zurückerhalten wirst, wenn du Achmed dieselbe Ehre gibst, welche du dem besten deiner Krieger erweisest. Thue, was du willst!«

»Es soll geschehen, wie du gesagt hast. Kommt alle mit mir!«

Er stürmte voran, und wir andern folgten ihm. Im Gehen gesellte sich der treue Diener zu mir. Er hatte jedes meiner Worte gehört und ahnte nun, daß ich irgend etwas vorhabe, was ihm von Nutzen sein werde.

»Achmed, ist mein Rappe sicher?« erkundigte ich mich bei ihm. »Ich hörte deine Stimme, daß du ihn irgend einem der Männer anvertraut hast.«

»So ist es, Sihdi. Du kannst ruhig sein; siehe, dort zwischen den Zelten steht der Hengst!«

»Ich danke dir! Erzähle mir schnell, wie es gegangen ist! Ich wachte bei den

Pferden, sah den Krumir von den Palmen kommen, wo er euch belauscht hatte, und folgte ihm bis in das Gebüsch, wo mich seine Leute niederschlugen und banden.«

»Niederschlugen und banden? Dich, Sihdi? Dies ist das erste Mal, daß du besiegt worden bist!«

»Pah, ich wurde überrascht, aber nicht besiegt; ich habe vielmehr den Sieg noch in den Händen. Also, erzähle!«

»Ich ließ Mochallah zu den Zelten zurückkehren und wartete noch ein wenig. Als ich dann zu den Pferden kam, lagen sie noch da, du aber warst verschwunden. -

verschwunden. Dies machte mir große Sorge. Ich hatte gesehen, daß du dem Krumir nicht trautest, und wußte ganz genau, daß du bei den Pferden geblieben wärst, wenn nicht etwas Wichtiges dich fortgezogen hätte. Daher nahm ich meine Pistolen zur Hand und beobachtete die Dunkelheit mit scharfen Augen und Ohren. Da hörte ich die sechs schnellen Schüsse aus deinem Rewowah, und gleich darauf erscholl der Ruf von el Büdsch, dem großen Bartgeier. Das mußte ein Zeichen sein, denn el Büdsch plaudert nicht so mitten in der Nacht. Nun gleich sprangen drei Männer aus dem Lager herbei und auf mich zu. Ich dachte, daß es Räuber seien, schoß den einen tot, und den andern verwundete ich. Als ich die andere Pistole erhob, war dieser zweite mit dem dritten bereits wieder verschwunden.«

»Ist dieser Mann wirklich tot?«

»Ja.«

»Hast du ihn genau angesehen?«

»Ganz genau. Die Kugel ist ihm durch das böse Herz gegangen.«

»Ist es der Krumir?«

»Nein. Es ist ein Uëlad Hamema.«

»So merke dir: Der Schrei von el Büdsch ist das Angriffszeichen der Beni Hamema. Vielleicht ist es für später gut, dies zu wissen. Jetzt komme zur Versammlung!«

»Sihdi, du erweisest mir die größte Gnade, daß du den Scheik gezwungen hast, mich unter die Ältesten des Stammes treten zu lassen!«

»Sei froh! Wir werden Mochallah wieder holen, und dann soll sie dein Weib sein.«

»Ist’s wahr, o Herr?!«

»Ich hoffe, es wahr machen zu können, wenn du treu und tapfer bist.«

»Effendi, ich werde die Berge von el Hanneni und Aures einreißen, wenn ich dadurch Mochallah, die Königin der Töchter, wiedererlangen kann!«

Ich befahl dem Beduinen, welcher mein Pferd hielt, dasselbe nicht aus den Augen zu lassen und es vielmehr stets in meiner Nähe zu halten. Dann trat ich vor das Zelt des Scheiks. Man war eben bemüht, ein Feuer zu errichten und Matten zu legen, auf welcher die Dschemma Platz nehmen sollte. Der Scheik wurde von seiner Unruhe an allen Gliedern gerissen; aber er wandte alle Selbstbeherrschung auf, um ruhig zu erscheinen. Sogar die Pfeifen wurden nach alter, ehrwürdiger Sitte herbeigeholt und in Brand gesteckt, ehe das erste Wort zum Ausspruch kam. Ich kam neben dem Scheik auf den Ehrenplatz zu sitzen; neben uns hatten wir Sir Percy und Krüger-Bei; Achmed es Sallah saß ganz unten an. Nun aber ließ es Ali en Nurabi länger keine Ruhe. Er erhob sich auf die Kniee, und wir thaten dasselbe. Die Beratung war eine hochwichtige, und da mußte el Fathcha, die »Eröffnung«, -

»Eröffnung«, die erste Sure des Koran, gebetet werden. Ali begann: »Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht den der Irrenden!«

Hierauf ließ er sich wieder auf die Schenkel nieder und bat mich: »Nun rede, Effendi! Meine Seele wird jedes deiner Worte trinken, und mein Herz dürstet nach jedem Laut aus deinem Munde.«

»Wo, sagtest du heut, sei der Krumir gesehen worden?«

»Am Bache Halua.«

»Dort halten sich die Söhne der Hamema verborgen, um über die Kafila herzufallen. Wie wirst du diese letztere schützen?«

»Aber, Herr, wir wollen doch jetzt nicht von der Kafila sprechen, sondern von der Verfolgung des Krumirs! Rede schnell, wenn du nicht willst, daß die Ungeduld mich töten soll!«

»Ali en Nurabi, einem Scheik und alten Krieger ziemt es, ein stilles Angesicht und eine ruhige Rede zu zeigen, selbst wenn der Smum in seinem Innern tobt. Nicht der schnellste Läufer kommt immer erst an das Ziel. Erlaube, daß ich dir eine Geschichte erzähle!«

»Effendi, du willst Geschichten erzählen, während mich der Eifer tötet!«

»Ich weiß, daß du nicht sterben wirst! — Da drüben jenseits des großen Meeres gibt es ein weites Land, wo nur wilde Menschen und wilde Tiere wohnen. Ich habe mit diesen wilden Männern und Tieren gekämpft und unter ihnen viele Abenteuer erlebt. In jenem Lande wächst das Gold in der Erde, und viele gehen, es zu suchen. Ich ritt mit noch drei Jägern durch die Wildnis und kam mit ihnen des Abends an einen Ort, wo viele Männer wohnten, welche das Gold aus der Erde gruben. Sie baten uns, ihre Gäste zu sein; wir aßen, tranken, rauchten und schliefen mit ihnen. Sie stellten eine Wache aus, aber der Mann schlief ein, und als ein anderer kam, ihn abzulösen, war das Gold gestohlen worden. Nun ergriffen die Männer alle die Waffen, um den Dieben nachzueilen. Ich bat sie, bis zum Morgen zu warten, wo die Spuren der Diebe zu sehen seien; sie aber hörten mich nicht und eilten davon. Nur zwei kranke Gefährten ließen sie zurück, um das Lager zu bewachen. Am Morgen brach auch ich mit den drei Jägern auf. Wir hatten die Gastfreundschaft der Männer genossen, und so beschlossen wir, nun auch nach dem gestohlenen Golde zu suchen. Wir fanden es, kämpften mit den Dieben, töteten einige und nahmen ihnen den Raub wieder ab. Bereits am dritten Tage brachten wir das

Gold in das Lager zurück; die andern aber, die so eilig gewesen waren, kamen erst nach einer Woche wieder. Sie waren vor Anstrengung, Hunger und Durst ermattet, aber das Gold hatten sie nicht gefunden. — Merkst du, o Scheik, warum ich dir diese Geschichte erzähle?«

Er nickte ungeduldig. »So meinst du, daß wir diesem Saadis el Chabir erst beim Anbruch des Tages folgen sollen?« fragte er.

»Ja, erst beim Anbruch des Tages, oder vielleicht noch später.«

»Herr, so wird er uns entkommen!« brauste er auf.

»Weißt du, wohin er ist?«

»Nein. Als ich aus dem Zelte trat, war die Stute und auch das Kamel fort, und nachher merkte ich, daß auch Mochallah, die Tochter meines Herzens, fehlte. Gesehen habe ich keinen der Räuber.«

»Weißt du also, wohin du dich wenden mußt, um ihn zu finden?«

»Nein. Aber du weißt es?«

»Ich weiß es; doch, warte erst, bis man das Lager durchsucht hat. Jetzt magst du mir beantworten, wie du die Kafila schützen wirst!«

»Was kümmert mich heut die Kafila!«

Da erhob Krüger-Bei die Hand: »Was dich die Kafila kümmert? Sehr viel, Ali en Nurabi! Ich sitze hier im Namen meines Gebieters. Mohammed es Sadak Bei, der Herr von Tunis, hat den Kriegern der Uëlad Sebira den Schutz der Karawanen anvertraut. Willst du seinen Zorn auf deinen Kopf und auf die Häupter der Deinen laden?«

»Ich bin nicht der Scheik aller Sebira!«

»Aber auf deinem Gebiet soll der Überfall stattfinden! Oder liegt el Halua auf dem Gebiete eines andern Scheiks?«

»Auf dem meinigen. Aber Allah wird deine Seele erleuchten, damit du einsiehst, daß ich meine Krieger heut zur Verfolgung des Krumirs brauche.«

»Alle?«

»Alle!«

»Er hat nur fünf Männer bei sich!« warf ich ein.

»Dennoch bedarf ich meiner sämtlichen Männer. Wenn wir ihn ereilen wollen, müssen wir uns teilen, um ihm jeden Ausweg abzuschneiden. Und bei den Herden muß ich auch eine Anzahl zurücklassen.«

»Wir brauchen uns nicht zu teilen,« antwortete ich. »Aber davon wollen wir später reden. Da kommen wohl die Männer, welche uns von der Nachsuchung berichten wollen.«

Ich hatte richtig geraten. Es kamen einige Männer herbei, welche berichteten, daß man außer der Tochter und den beiden Tieren des Scheiks nur einige wertlose Teppiche vermisse, welche während der Nacht im Freien hängen geblieben seien.

»Und die Atuscha?« frug ich den Scheik.

»Welche Atuscha?«

»Die deinige, hier hinter dem Zelte.«

»Was ist mit ihr?«

»Ist sie da, oder fehlt sie?«

Er erhob sich selbst, um nachzusehen, und kehrte bald mit der Kunde zurück, daß die Sänfte nicht mehr vorhanden sei.

»Der Krumir hat sie mitgenommen,« erklärte ich. »Und weil er Decken braucht, um die Atuscha auf dem Hedschihn zu befestigen, hat er die Teppiche, welche vermißt worden sind, an sich genommen. Laßt euch erzählen, was ich während eures Schlafes erlebte!«

»Erzähle, erzähle!« rief es rundum.

»Saadis el Chabir hatte kein Wohlgefallen vor meinen Augen gefunden; ich glaubte seinem Schwure nicht und hatte die Blicke des Wohlgefallens gesehen, mit denen er mein Pferd betrachtete. Mein treuer Achmed wachte zwar bei dem Rosse, dennoch aber erhob ich mich, als ihr schliefet, um einmal vor das Duar zu gehen. Da sah ich den Krumir, welcher durch das Lager nach den Büschen schlich, in denen ihr mich gefunden habt. Ich ging ihm nach, um ihn zu belauschen; er aber hatte, ohne daß ich es wußte, sechs seiner Uëlad Hamema dahin bestellt, die mich rücklings überfielen und niederschlugen. Als ich das Bewußtsein wieder erhielt, glaubten sie mich noch besinnungslos; daher hörte ich ihren ganzen Plan, von dem sie sprachen.«

»Welches war ihr Plan?« erkundigte sich der Scheik.

»Sie wollten Mochallah, deine Stute, dein Hedschihn und meinen Rappen stehlen, und weil sie wußten, daß Achmed es Sallah mein Pferd gut bewachte, so sollte er getötet werden. Dieses letztere ist ihnen nicht gelungen, denn Achmed war treu und tapfer; er hat sie in die Flucht geschlagen.«

»Weiter hast du nichts gehört, Effendi?« frug der Scheik.

»Ich werde darüber nachdenken. — Die Uëlad Hamema hatten mich an Händen und Füßen gebunden und mir einen Knebel in den Mund gesteckt. Sie ließen mich liegen, um mich nachher mitzunehmen, denn ich sollte ihnen ein Lösegeld bezahlen. Als sie sich entfernt hatten, ergriff ich trotz meiner gefesselten Hände die beiden Revolver, welche mir entfallen waren, als ich den Schlag auf den Kopf erhalten hatte, und weckte euch mit sechs Schüssen aus dem Schlafe. Nun wißt ihr alles.«

»Aber du weißt, wohin der Krumir sich gewendet hat?«

»Ich werde darüber nachdenken. — Scheik, danke Achmed es Sallah, daß er nicht schlief, sondern wachte! Seine beiden Schüsse waren stärker als die meinigen; ihm hast du vieles zu danken.«

»Hat er mir mein Pferd, mein Hedschihn, meine Tochter erhalten?«

»Das konnte er nicht; aber er kann dir alles wiedergeben.«

»Er?!«

»Ja, er!«

»Beweise es, Effendi!«

»Niemand von euch weiß, wohin sich der Krumir gewendet hat, ob nach Nord oder Süd, nach West oder Ost, und daher müßt ihr den Morgen erwarten, um die Darb und Ethar ) zu lesen. Habt ihr einen Mann in eurem Stamme, der sich nie in der Fährte irrt?«

»Wir alle verstehen, die Spuren der Menschen und der Tiere zu lesen,« antwortete stolz der Scheik, und ich sah es den Mienen auch der andern an, daß sie ganz derselben Meinung seien.

Diese Beduinen hätten einmal einen Apachen oder Komanchen »auf der Fährte« sehen sollen, dann wäre ihnen wohl eine etwas demütigere Selbsterkenntnis gekommen! Doch ließ ich mir nichts merken, sondern meinte nur: »Dann brauchst du keine Sorge zu haben, o Scheik, und wir können uns alle ruhig schlafen legen, denn mit dem Morgen werden alle deine Krieger die Fährte erkennen, und du erhältst dein Eigentum schnell wieder!«

»Herr, glaube das nicht!« rief er schnell. »Der Tau und die Luft der Nacht werden die Spuren verwischt haben. Weißt du nicht, daß eine Spur kaum eine Stunde lang mit Sicherheit zu erkennen ist?«

»Ich kenne einen, der jede Darb und jede Ethar noch nach einer Woche erkennt. Ihm kann kein Mensch entgehen, den er verfolgt, und sollte er ihn durch die ganze Wüste es Sahar jagen.«

»Wer ist das, Effendi? Dieser Mann muß Augen haben wir Dschebrail ✽✽), der durch die Felsen blickt.«

»Hier sitzt er: es ist Achmed es Sallah, mein Freund und Gefährte.«

Sie alle blickten den guten Achmed erstaunt an, und dieser wieder warf seinen Blick mit einem Ausdrucke auf mich, der mich beinahe zum Lachen brachte. Er verstand ja von regelrechten Verfolgen einer Fährte eben auch nicht mehr, als ein jeder andre Beduine.

)Fährte, Spur. ✽✽) Erzengel Gabriel.

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

»Ist’s wahr, Effendi?« frug der Scheik überrascht.

»Zweifelst du etwa? Ich habe da drüben in dem wilden Lande, von welchem ich euch vorhin erzählte, oft eine Fährte mehrere Monate lang verfolgt, bis mir der Feind in die Hände fiel. Ich bin ihm nachgegangen über Wüsten und Sümpfe, durch Wälder und Wiesen, über Felsen und Gebirge, durch Thäler und Schluchten, über Flüsse und Bäche, durch Städte und Dörfer; oft war ich wochenweit, oft auch nur stundenweit hinter ihm; ich habe nach ihm die Blätter der Bäume, die Halme des Grases, die Tiere des Waldes, den Geruch des Feuers, den Tapfen des Fußes, das Wasser des Baches, das Moos der Höhle, das Geröll des Abhanges und den Schnee der Berge gefragt. Überall habe ich genaue Antwort erhalten, und stets habe ich endlich den gefunden, den ich suchte. Hier in diesem Lande ist Achmed es Sallah viele Wochen lang mit mir geritten; glaubt ihr etwa, daß er nichts von dem gelernt habe, der sein Lehrer war. Achmed, sage selbst: getraust du dir, den Krumir zu finden?«

Die Antwort würgte ihn ein wenig; dann aber antwortete er im allerzuversichtlichsten Tone: »Beim Barte des Propheten, ich werde ihn finden, er mag hingehen, wo er will!«

Da wandte sich der Scheik sehr schnell an ihn: »Wirst du auch meine Stute, mein Hedschihn und meine Tochter finden?«

Der gute Achmed warf erst einen fragenden Blick auf mich. Er fing an, mein Verhalten zu begreifen, und als er mein Auge aufmunternd auf sich gerichtet sah, antwortete er sehr entschieden: »Alles werde ich finden!«

»Achmed es Sallah, wenn du meine Tochter und meine Tiere wiederbringst und den Räuber tötest, erhältst du zwei Pferde, drei Kamele und fünf Schafe von mir!« gelobte der Scheik. »Ist dies genug?«

O du alter geiziger Nachkomme Hagars und Ismaëls! Warte, ich werde dir sofort einen Strich durch die Rechnung machen! Ich zog ein sehr erstauntes Gesicht und erkundigte mich: »Ali en Nurabi, wie hoch ist die Dischah ) eines erwachsenen Kriegers? Ich habe gehört, daß bei den vier Stämmen der Krumirs, zu denen Saadis el Chabir gehört, und bei den neun Stämmen der Beni Rakba, zu denen ihr gehört, für ein Menschenleben fünfzig Kamele oder dreihundert Schafe bezahlt werden.«

»So ist es.«

»Nun wohl! Saadis el Chabir, der Räuber, hat einen der Eurigen getötet; er steht im Thar ✽✽), und das Ergreifen seiner Person allein ist also für euch fünfzig Kamele oder dreihundert Schafe wert. Nun sage, o Scheik, wie hoch du nun dazu deine Tochter, deine Stute und dein aschgraues Bischarihnhedschihn schätzest? Wenn Achmed es Sallah den Krumir fängt und ihm seinen Raub abnimmt, so kannst du es ihm mit vielen Herden nicht vergelten. Und du, Ali en Nurabi, du bietest ihm nur zwei Pferde, drei Kamele und fünf Schafe! Was sagt der Prophet im Koran? Er sagt: ‚Wer hier auf Erden seinem Bruder weniger gibt, als er ihm zu geben hat, dem wird bei der Auferstehung das Hundertfache genommen werden; denn Allah ist der Gerechte; bei ihm gilt einer wieder andere, und alles, was ihr habt, das hat er auch geliehen!’ So spricht der Prophet. Bist du ein Ungläubiger, daß du nicht nach seinen Geboten handelst? Hast du nicht vorhin el Fatscha, die heilige, gebetet; hast du nicht dabei gesagt: ‚Führe uns nicht den Weg derer, denen du zürnest, und nicht den der Irrenden!’ Willst du trotz deines Gebetes den Weg der Irrenden einschlagen?«

Er blickte finster vor sich hin, aber er bemerkte doch

)Blutpreis. ✽✽) Blutrache.

den Eindruck, den meine Worte auf die andern gemacht hatten. Darum frug er: »Herr, ich weiß, daß du ein Hafizh bist, einer, der den heiligen Koran auswendig kann. Du kennst alle Worte des Propheten und seiner Nachfolger; aber du weißt auch, daß Allah barmherzig und gnädig ist. Willst du grausam sein gegen den, der dir sein Zelt geöffnet hat? Kann Achmed es Sallah nicht für sich selber sprechen?«

»Deine Worte klingen weise, und deine Rede klingt wie die Rede eines Mannes, dem Allah die Gnade des Gedankens gegeben hat. Aber ich bin nicht auf dem Wege der Ungerechtigkeit, sondern mein Fuß wandelt auf dem Pfade des Friedens. Achmed es Sallah ist ein Mann und ein Krieger; er kann wohl sehr gut für sich selbst sprechen; jetzt aber nehme ich die Worte aus seinem Munde und lege sie auf die Lippen eines andern. Du hast ihm heut gezürnt und mich einen Ungläubigen genannt, uns also ist der Mund verschlossen. Aber es wird ein anderer für uns sprechen, einer, den du hören und dem du eine Antwort geben mußt. Ich meine den tapferen Bei der Leibscharen, der hier bei uns sitzt.«

Krüger-Bei wandte sich schnell zu mir und fragte: »Dunderwetter, wat ist denn los? Ihnen haben hier eine Rede jehalten, die janz jewaltig und erjreifend jewesen zu sein jeschienen hat, aber ich habe ihr leider nicht verstanden. Ich soll reden? Wieso denn, und von welche jewisse Jegenstände denn?«

»Hören Sie, Oberst!« antwortete ich ihm. »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, liebt mein Diener die Tochter des Scheik — — —«

»Dat weiß ich. Ich würde ihr auch lieben, wenn die Liebe nicht zuweilen die Eijentümlichkeit zu zeigen sich anjewöhnt hätte, nicht wieder jeliebt sein werden zu dürfen, weil dat höhere Alter und außer dieses liejende anderweitigte Verhältnisser zuweilen nicht janz jenau so jeliebt zu werden jewußt hätten. Verstanden?«

Ich wäre beinahe in lautes Lachen ausgebrochen. Dieser Bei der Heerscharen verstand es allerdings, sich geradezu in klassischer Schärfe über die Eigentümlichkeiten der Liebe auszusprechen. Doch beherrschte ich mich, um ernsthaft fortzufahren: »Der Scheik hat ihm einst Hoffnung gemacht und ihm einen Preis genannt, für den er das Mädchen erhalten soll —«

»Wird er diesem Preis bezahlen zu müssen können?«

»Ja. Er ist in Konstantinopel und dann in Algier gewesen, um ihn sich zu verdienen. Nun er aber zurückgekehrt ist, soll er das Mädchen nicht erhalten, eben weil er in der Fremde gewesen ist, und sodann weil er mein Diener ist.«

»Der Ihrige? Warum denn darum nicht?«

»Ali en Nurabi hat mich einen Ungläubigen genannt.«

»Dunderwetter, dem soll der Jukuk holen! Einen

Ungläubigen darf man nur einem solchen Kerl nennen und jeheißen zu haben dürfen, der weder dem richtigen Glauben noch seinem eigenen Glauben ohne Kirche und ohne Moschee bereits aus der Schule infolge den heiligen Büchern von die Worte des Propheten und der Kalifen notjedrungen aus den einem in dem andern umjeändert zu haben janz jenau beschwören jekonnt haben wird.«

»Ganz und gar richtig, Herr Oberst! Nun also habe ich mit dem braven Achmed die Bitte, Sie möchten so freundlich sein, für ihn so zu sagen den Freiwerber bei dem Scheik zu machen. Und zwar jetzt gleich. Ich weiß, welches Gewicht Ihre Worte haben werden; ich weiß auch, wie tief eindringlich Sie zum Herzen zu sprechen vermögen, und ich weiß endlich, daß es zu Ihrem eigenen Vorteile sein wird.«

»Zu mein eigenes Vorteil? Erklären Sie mich diesem unjenauen Ausdrucke!«

»Ohne Achmed es Sallah ist es ganz unmöglich, den Krumir zu fangen. Und daß er gefangen werde, liegt doch auch in Ihrem Interesse, da er das Pferd Mohammed es Sadak Paschas gestohlen hat.«

»Dat ist richtig und auch mit die Eindringlichkeit und Herzenstiefigkeit, von die Sie sprechen, hat es seiner eijenen Richtigkeit. Ich werde infolge desselben diesem Auftrag mit Freuden zu übernehmen jeneigt zu wollen sein. Und da dieser Sache keinen Aufschub zu leiden vertragen kann, so erlauben Sie mich jefälligst, meine Rede beginnen und anjefangen zu haben mir zu jestatten. Ich bitte Ihnen, aufzupassen, welchem Respekt meine Worte entjegenjebracht zu sehen, Sie in dat Jehör fallen wird!«

Es war hohe Zeit, daß er sich erhob, denn der Scheik vermochte kaum mehr, seine Ungeduld zu beherrschen. Als Krüger-Bei jetzt in stolzer, aufrechter Haltung vor uns stand und mit einer unbeschreiblichen Handbewegung zur Aufmerksamkeit winkte, war ich vollständig überzeugt, daß er etwas weit Besseres leisten werde, als vorher im Deutschen. Er begann: »Hört mich an, ihr Ältesten der Ferkah Uëlad Sebira, und du, o Scheik Ali en Nurabi, schenke mir auch dein Ohr! hier stehe ich, ein treuer und tapferer Diener des Propheten und ein Schirm und Schild meines Gebieters, der sich Mohammed es Sadak Pascha nennt. Wer wagt es, eine Hand gegen mich zu werfen, oder ein Wort gegen mich zu reden? Hier sitzest du, o Scheik, Hunderte von Kriegern gehorchen deinem Worte, und Tausende von Seelen zählen zu den deinigen. Dein Wort ist wie ein Schwur, und an den Spitzen deines Bartes klebt kein unerfülltes Versprechen. Hier sitzt ein junger, wackerer Krieger deines Stammes. Ich habe heut’ seinen Namen gehört; er lautet Achmed es Sallah Ibn Mohammed er Raham Ben Schafei el Farabi Abu Muwajid Khulani. Sein Dolch ist scharf wie der Strahl der Sonne und seine

Kugel sicher wie die Gerechtigkeit des jüngsten Tages. Er hat großes Gut als fremden Landen geholt, besitzt die Achtung seines Freundes, der ein berühmter Emir aus Dschermanistan ist, und hat heut’ einen Feind getötet, der euch berauben wollte. Ali en Nurabi, dieser tapfere Streiter deines Stammes hat sein Herz geschenkt an Mochallah, die Schönste der Schönen, die aus deinen Lenden geflossen ist. Er will dir den Preis bezahlen, den du von ihm verlangtest und wird die Tochter deines Alters ehren wie einst Abram sein Weib Sarah ehrte. Ich höre, daß du ihn von dir gewiesen habest, aber meine Seele glaubt nicht daran, denn das Wort eines Sebira ist fest und sicher wie et Aresch, der Thron Gottes, den achttausend Säulen und dreimalhunderttausend Stufen tragen, eine jede von der Höhe einer vollen Jahresreise. Ich stehe hier an seiner Statt und werbe für ihn um die Hand deiner Tochter. Seine Ehre sei meine Ehre, und seine Schande sei meine Schande! dein Herz wurde heut’ in die Tiefen der Betrübnis getaucht, aber Achmed es Sallah ist der rechte Mann, deine Seele mit Freuden zu erleuchten. Er wird dir alles zurückbringen, was du verloren hast, wenn du ihm die zum Weibe gibst, die er sich erst erkämpfen muß. Bedenke das, o Scheik! Bedenke auch, daß jedes deiner Worte, welches du ihm sagest, auch mich mit treffen muß! du bist mein Freund, und ich bin der deinige. Allah gebe, daß wir Brüder bleiben! du hast meine Rede vernommen, und ich bin bereit, nun auch die deinige zu hören!«

Er hatte geendet und setzte sich wieder nieder. Ich konnte nicht anders, ich mußte ihm voll Dankbarkeit die Hand drücken. Er hätte gar nicht besser sprechen können; er hatte die Sache Achmeds geradezu zu der seinigen gemacht, und nun war eine Abweisung beinahe zur Unmöglichkeit geworden. Das fühlte der Scheik. Eigentlich hätte er sich sofort erheben sollen, um seine Antwort zu geben, aber er wandte sich vorher an mich: »Sihdi, ist er es wirklich ganz allein, der dem [den] Räuber zu verfolgen vermag?«

»Er hat es versprochen,« antwortete ich. »Kennst du einen andern, der es fertig bringt?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Du selbst bist es, denn er hat es erst von dir gelernt.«

»Du hast recht, aber ich sage dir, o Scheik, daß auch ich eine Bedingung habe. Du wolltest sehen, ob mein Hengst so schnell wie deine Stute sei, und ich verzichtete auf die Wette, weil ich deine Seele nicht betrüben wollte. Nun aber sollst du erfahren, daß ich mich nicht zu fürchten brauchte. Deine Stute wird beim Anbruch des Tages einen Vorsprung von einigen Stunden haben, aber ich werde sie dennoch erreichen — wenn ich will. Soll ich für euch die Fährte lesen, so begehre auch ich Mochallah zum Lohne, aber nicht

für mich, sondern für Achmed es Sallah. Wähle schnell, denn ich sage dir, es ist keine Zeit mehr zu verlieren!«

Da erhob er sich endlich. Er legte die Hände an den Bart und sagte: »Ich schwöre hiermit bei dem heiligen Koran, bei dem Barte des Propheten, bei den Bärten aller Kalifen und auch meiner Väter und auch hier bei meinem Barte, daß Achmed es Sallah Mochallah zum Weibe haben soll, sobald er sie mir mit der Stute und dem Hedschihn übergibt. Thut er dies aber nicht, so hat er keinen Teil an ihr. Ihr alle habt meine Worte gehört. Sie sind gesprochen!«

Jetzt war der Bann gelöst. Wir alle reichten ihm die Hand, und der Oberste der Mameluken meinte fröhlich zu mir: »Nun, habe ich mein Wort zu halten mich rühmen zu dürfen umsonst versprochen jehabt? Meiner Rede hat jedermann mit sämtliche Zuhörer so tief in dem Jemüte zu rühren jekonnt, daß dieser schwere Werbung niemals ohne mir nicht als eine jelungene zu nennen jehabt werden durfte!«

»Sie haben beinahe Unmögliches geleistet, Herr Oberst. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen!«

»Na, auch Sie Ihr Wort hat denjenigen Eindruck übrig zu bleiben jelassen, dem man einer unjemein befriedijender Wirkung mit volles Recht hinterher zu sehen jewähren kann. Darum dürfen wir zwei beiden uns zu trösten versuchen mit dasjenige Bewußtsein, für einem jeliebten Nebenmenschen einem Zustand jestiftet zu haben, dem auf die Seligkeit des Herzens und die lange Dauer einer juten Ehe kein anderer nie zu widmen vermocht werden würde.«

Da endlich ergriff auch der Engländer, der sich bisher natürlich hatte schweigsam verhalten müssen, das Wort: »Aber, Sir, erklärt mir doch dies Händedrücken! Ich sitze hier wie ein Meilenzeiger zwischen Papageien. Redet doch nun auch einmal ein paar Worte mit mir!«

Ich erklärte ihm den ganzen Vorgang. Er lachte vergnügt, streckte behaglich seine ewig langen Beine aus und sagte dann: »Well, freut mich! Verlobung, Hochzeit, Heirat, Ausstattung! Werde diesem guten Achmed es Sallah fünfzig Pfund geben, wenn der Krumir wirklich gefangen wird, stelle aber eine Bedingung!«

»Welche?«

»Ich muß auch dabei sein. Well!«

»Ich bin natürlich ganz von der Partie. Ihr wollt also wirklich mit?«

»Versteht sich! Yes!«

»Aber die Gefahren — — —?«

»Thunder-storm! Wollt Ihr mit mir boxen, Sir?«

»Später einmal, jetzt aber nicht. Erlaubt, daß mich die andern wieder zu hören bekommen!«

Ich wandte mich wieder zum Scheik:

»Ich vermute, daß die Räuber über den Bah Abida nach der Wüste er Ramada gehen, um über den Dschebel Tibuasch zu den Uëlad Mescheer zu kommen, die ihnen befreundet sind.«

»Wie vermutest du dies?«

»Ich belauschte einige ihrer Worte. Zwar könnten sie sich anders besonnen haben, da ihr Raub nicht vollständig gelungen ist, aber es ist doch besser, für jetzt das erstere anzunehmen und unsern Entschluß danach zu fassen. Seid Ihr in jenen Gegenden bekannt?«

»Nur auf den großen Wegen.«

»Aber grade diese werden von ihnen vermieden werden, und wir sind also nur auf ihre Spuren angewiesen. Lebt Ihr in Frieden mit den Beni Mescheer?«

»Wir haben keine Blutrache mit ihnen, aber es ist an der Grenze hin und wieder irgend ein Weidetier abhanden gekommen.«

»So müssen wir also doch vorsichtig sein. Mit großer Macht dürfen wir nicht aufbrechen, denn unser Zug gilt nur dem Krumir und seinen fünf Uëlad Hamema. Vor den Hamema dürfen wir uns nicht sehen lassen, sobald sie zahlreicher sind als wir, da Achmed einen der Ihrigen getötet hat. Wir können unsern Zweck auf verschiedene Weise erreichen. Die erste ist: Ich habe das einzige Pferd, mit welchem der Krumir zu erreichen ist; ich reite ihm also allein nach und schieße ihn vom Pferde.«

»Herr, sie würden dich töten!« rief der Scheik.

»Wollen wir wetten?« antwortete ich. »Wenn sie mich töten, so verliere ich das Leben, wenn aber ich sie töte, so verlierst du deine Stute, die dann mir gehört!«

Ich streckte ihm die Hand entgegen, aber er bedachte sich doch, einzuschlagen, vielmehr erklärte er: »Du bist mein Gast, und mein Leben ist das deinige. Wir lassen dich nicht allein von hier.«

Auch die andern stimmten alle ein, und so mußte ich mich bescheiden. Ich fuhr also weiter fort: »Wir könnten dem Krumir über Kef, Zaafran, Dschebel Schefara und Dschebel Dildschil zuvorzukommen suchen. Wir kommen dann vielleicht um einen Tag früher bei den Mescheer an, suchen ihre Gastfreundschaft zu gewinnen und nehmen dann die Feinde in Empfang, sobald sie kommen.«

Die Männer schüttelten die Köpfe, und einer sprach: »O Effendi, du willst mehr wagen, als wir dürfen. Wer kann sich auf die Freundschaft der Beni Mescheer verlassen!«

»So bleibt uns nichts anderes übrig, als den Räubern gerad auf der Spur zu folgen und sie anzugreifen, wo wir sie nur finden.«

»Werden wir sie erreichen?« frug der Scheik besorgt.

»Ich glaube es,« antwortete ich. »Zwar könnte

die Stute und das Hedschihn nur von meinem Rappen eingeholt werden, aber sie haben jedenfalls noch fünf andere Pferde bei sich, vielleicht auch sechs, da einer von ihnen erschossen wurde. Vielleicht ist sogar ein Mann mehr noch bei ihnen, denn sie haben während ihres Überfalles ihre Pferde wohl von einem Gefährten halten lassen müssen. Und ferner wird Mochallah hoffen, daß wir ihnen folgen; darum wird sie alles thun, um sie in ihrem Ritte aufzuhalten.«

»Effendi,« rief der Scheik; »deine Worte sind weise; sie träufeln Trost in meine Seele!«

»Habe keine Sorge, wir werden alles wieder bekommen, wenn wir vorsichtig sind. Besser freilich wäre es, wenn wir wenigstens einige sehr gute Pferde hätten, auf denen mehrere von uns vorausreiten und den Krumir beobachten könnten. Wie viele Männer willst du mitnehmen, Ali en Nurabi?«

»Alle!«

»Maschallah! Willst du eine Mücke mit einem Adler jagen? Es sind im höchsten Falle sieben Männer, denen wir folgen wollen. Fehlt es den Söhnen der Sebira so sehr an Mut und Tapferkeit, daß auf einen Feind hundert von ihnen zu rechnen sind?«

»Herr, bedenke, daß wir den Feind ohne Kampf erdrücken müssen!«

»Warum?«

»Wenn der Krumir sich angegriffen sieht, so wird er eher die Stute, das Hedschihn und Mochallah töten, ehe er sie uns wiedergibt.«

»Ist das Erdrücken nicht auch ein Angriff? Können wenige Männer ihren Angriff nicht so einrichten, daß der Sieg erfochten ist, ehe der Feind sich nur zu verteidigen vermag? Willst du ihn durch eine große Anzahl von Kriegern auf die Verfolgung aufmerksam machen? Willst du bei den Stämmen, an denen wir vorüber müssen, die Besorgnis erwecken, daß wir Absichten hegen, die ihnen feindlich sind? Wenn wir den Uëlad Scheren und den Uëlad Khramemsa begegnen, werden sie uns glauben, daß wir die vielen hundert Männer nur dazu verwenden wollen, um sechs oder sieben Spitzbuben zu fangen?«

»Wir werden ihnen nicht begegnen!«

»Wir werden sie ganz sicher treffen. Ein so großer Zug, wie du ihn haben willst, kann nicht verborgen bleiben. Bedenke doch, daß du viele Kamele mitnehmen müßtest, um den Proviant, die Zelte und vieles andere zu tragen, was wir nicht brauchen werden, wenn wir weniger zahlreich sind!«

»Er hat recht!« sagte Krüger-Bei. »Hundert Mann sind genug.«

»O, hundert Mann sind noch viel zu viel!« antwortete ich.

»Wie viel meinst du denn, daß wir Krieger brauchen, Effendi?« frug mich der Scheik.

»Nicht mehr als zwanzig.«

»Herr, das ist zu wenig!«

»Nein! Bedenke, daß auch du mitgehst, dann Achmed es Sallah und dieser tapfere Emir aus Inglistan. Mich selbst will ich auch erwähnen. Wir allein wären vollständig hinreichend, den Krumir zu überwältigen. Die sechs oder sieben Feinde während eines Nachtlagers zu überraschen, wären drei erfahrene Jäger vollständig genug. Bedenke auch, daß du die Mehrzahl deiner Leute zum Schutze der Kafila verwenden mußt!«

Diesen Gegenstand erfaßte Krüger-Bei sofort mit Energie. Die Beratung wurde lebhafter, denn auch jeder der Ältesten wollte seine Meinung hören lassen, und als sie dann beendet war, durfte ich das Resultat kein erfreuliches nennen: Hundertfünfzig Männer sollten unter Anführung des einen Sohnes des Scheik der Kafila entgegen gehen, und unsere Truppe sollte aus sechzig Mann bestehen. Die andern blieben unter dem andern Sohne zum Schutze des Lagers zurück. Sir Percy lächelte verächtlich, als ich ihm dieses Ergebnis mitteilte.

»Pshaw,« meinte er; »diese Beduinen sind Feiglinge! Lassen große Fantasias und Kriegsspiele sehen und haben Angst, sobald es Ernst wird.«

»Das will ich nicht sagen, Sir. Der Araber ist nicht gewohnt, wie der Indianer dem Feinde einzeln und wie ein blutdürstiges Tier nachzufolgen, um täglich einen zu skalpieren. Der Beduine liebt den Kampf, aber dieser darf nicht heimlich fressen, sondern muß mit dem möglichsten Schaugepränge verbunden sein. Leider bin ich überzeugt, daß wir mit zehn Männern den Krumir leichter und eher gefaßt hätten, als mit diesen sechzig.«

»Well! Kommt, Sir; wollen mit einander vorangehen und die Geschichte allein abmachen!«

»Fast hätte ich Lust dazu; aber ich habe mein Wort gegeben, bei der Expedition zu bleiben.«

»Gut, so bleiben wir. Aber ich sage euch, daß ich ganz allein vorwärts gehen würde, wenn ich richtig arabisch reden könnte. Yes!«

Jetzt wurden nun schnell die nötigen Vorbereitungen getroffen. Man lud Proviant und Munition auf und nahm auch eine ziemliche Anzahl Girba ) mit, um sie später für den Ritt durch die Wüste er Ramada mit Wasser zu füllen. Gerade als die Vorkehrungen beendet waren, war die Zeit des Fedscher ✽✽) herangerückt. Der Morgen rötete sich im Osten, und die Beduinen sanken neben ihren Pferden auf die Kniee, um, das Gesicht gegen Mekka gerichtet, ihr erstes Gebet zu verrichten.

Nun war es Zeit, uns zu überzeugen, ob der Krumir auch wirklich die vermutete Richtung eingeschlagen habe.

)Schläuche aus sudanitischen Ziegenfellen.

✽✽)Morgengebet.

»Wie werden Ihnen dieses anfangen, um es janz jenau sehen und behaupten jekonnt zu dürfen?« frug mich Krüger-Bei.

»Nichts leichter als das!« antwortete ich. »Sehen Sie die Tränkstelle neben dem Zelte des Scheiks. Sie hat zwei Abteilungen, die eine für das Lieblingspferd und die andere für das Lieblingskamel des Herrn, denn ein Rassepferd trinkt nie gern aus demselben Gefäße, aus welchem bereits ein Dschemmel ) getrunken hat. Durch das verschüttete Wasser nun ist der Boden feucht geworden, und die Hufe der Tiere haben sich in demselben eingedrückt. Sehen Sie?«

»Ich jestehe sehr jern, alles dieses jenau erkennen zu dürfen.«

Ich entnahm meinem Verbandzeuge eine Schere und zog das nötige Papier aus der Tasche. Dann fuhr ich fort: »Jetzt schneide ich mir diese Spuren ganz genau in Papier aus und zeichne das innere Bild der Hufe mit dem Stifte nach — — so! Nun steigen Sie auf das Pferd, und kommen Sir mit mir. Achmed mag uns begleiten.«

Wir drei stiegen auf und verließen das Lager. Ich ritt voran und galoppierte gerade nach Süden und auf die Schlucht zu, von welcher der Krumir gesprochen hatte. Wir erreichten sie in fünf Minuten, trotzdem sie eine volle halte Stunde vom Duar entfernt lag. Ihr zur Seite floß ein Bach zu Thale. Ich stieg ab und untersuchte das Terrain. Bereits nach zwei Minuten hatte ich gefunden, was ich suchte.

»Steigen Sie vom Pferde, Oberst, und treten Sie näher!« bat ich. »Sehen Sie sich doch einmal diese Stelle an!«

»Ich sehe Gras, welches niedergedrückt jewesen zu scheinen jesonnen ist.«

»Es war allerdings niedergedrückt, und zwar im Vierecke; ein geübtes Auge kann die Ränder desselben noch ziemlich deutlich verfolgen. Und hier, nahe an der untern Seite dieses Vierecks?«

»Da scheint jemand im den Grase jescharrt und etwas zu suchen jewesen jehabt zu haben.«

»Nun sehen Sie: Hier hat eine viereckige Decke am Boden gelegen; auf derselben hat ein Mann geruht. Seine Füße langten über die Decke hinaus, und so hat er bei jeder Bewegung mit den Sandalen in dem Grase gerieben. Verstehen Sie das?«

»Da Ihnen es mich jesagt haben, so scheint es mich einzuleuchten sehr deutlich jeworden zu sein.«

»Natürlich ist dieser Mann nicht allein hier gewesen; es steht vielmehr zu vermuten, daß er die Pferde bewachen sollte, welche dem Krumir und seinen Uëlad Hamema gehörten. Wo werden diese Pferde gewesen sein?«

)Kamel.

»Dieses zu sagen kann sich mein Jeist nicht träumen zu lassen so schnell vermuten.«

»Wer Pferde zu bewachen hat, der wendet ihnen auf alle Fälle sein Gesicht zu. Sie werden also in derselben Richtung gestanden haben, in welcher er seine Füße liegen gehabt hat, also wohl bei den Büschen dort, die meist nur aus Baten ) bestehen. Kommen Sie! — Ja, sehen Sie, daß der Boden niedergestampft ist und mehrere Zweige zu Schlingen gedreht sind? Diese Schlingen haben zur Befestigung der Zügel gedient; es sind ihrer sieben, also dürfen wir auf eben so viele Pferde schließen. Leuchtet Ihnen auch dieses ein?«

»Erlauben Sie mich, Sie zu diesen unjeheurem Scharfsinn meine Gratulation erjebenst hinnehmen und entjegenjebracht zu mögen! Aber wie wollen Sie Ihnen nun auch dat Kamel, der Stute und dem jeraubten Mädchen finden werden?«

»Vielleicht gelingt mir auch das. Die Räuber sind jedenfalls inmitten der Schlucht geritten, wo der feste, steinige Boden keine Spuren hinterlassen hat. Aber es steht sehr zu vermuten, daß sie die Stute und besonders das Kamel erst gehörig getränkt haben, ehe sie ihm die Sänfte aufschnallten. Hier kann dies nicht geschehen sein, weil die Ufer des Baches zu hoch sind. Gehen wir also weiter. Ich bin überzeugt, daß wir Spuren finden werden, sobald wir eine Stelle erreichen, wo die Ränder des Baches nicht hoch über dem Wasser stehen.«

Meine Vermutung bestätigte sich schon in ganz kurzer Zeit. Der Bach schlug einen ziemlich eben liegenden Bogen, der eine kleine Halbinsel unrandete, auf welche sich von der Zeit der Frühlingsüberschwemmung her ein grober, mit einzelnen Steinbrocken untermischter Sand abgelagert hatte. Dazwischen war ein spärlicher, schmalhalmiger Graswuchs zu sehen. Diese Art Boden war natürlich geeignet, die leiseste Fußspur aufzunehmen und für lange Zeit festzuhalten.

Außerhalb des kleinen Platzes war der harte Weg vielfach zerscharrt.

»Sehen Sie, Oberst, hier haben die sieben Pferde nach ihrem Aufbruche gehalten. Und hier, sehen Sie den deutlichen Eindruck im Sande? Hier hat die Atuscha gestanden, ehe man sie auf das Hedschihn schnallte. Bemerken Sie die Spur eines Kameles und eines Pferdes hier am Wasser? Ich nehme meine Papierabdrücke hervor. Sehen Sie, wie genau sie passen? Hier ist die Stute und das Hedschihn gewesen, und hier — ah, was hat dieser halbrote Faden zu bedeuten?«

»Dieses zu wissen kann kein anderer Mensch als

)Terebinthe.

nur Ihnen zu erraten befähigt jeworden dat jroße Glück zu haben.«

»An diesem Faden klebt Blut. Man hat irgend ein Gewebe zerrissen, um den Verwundeten zu verbinden, der die Kugel Achmeds erhalten hat, und dabei ist dieser Faden an dem kleinen Zweige hängen geblieben. Hier rechts, unter der jungen Tscham ) hat jemand gelegen. Ach, es ist Mochallah gewesen!«

»Dunderwetter! Woher wollen Ihnen dat so jenau zu wissen es erraten jehabt zu können?«

»Sehen Sie nicht, daß von diesem Zweige die meisten Nadeln wie mit den Händen abgestreift worden sind? Sie hat sich geweigert, mitzugehen; sie hat sich an dem Zweige festgehalten; man hat sie losgerissen, und dabei sind die Nadeln abgezogen worden.«

»Allah akbar — Allah ist jroß, aber Ihnen Ihre Jeistesjegenwart ist um ein Erstaunen zu erregen bewundert jeworden!«

»Maschallah!« rief da Achmed, der zwar kein Wort unsers Deutsch verstehen konnte, aber jeder unserer Bewegungen mit Aufmerksamkeit gefolgt war. »Sihdi, siehe her! Was ist das?«

Er hatte neben der Pinie ein Stück thonigen Schiefers gefunden, welches er mir entgegenreichte. Auf der einen Seite des kleinen Steines war mit unsicherem Zuge, aber doch deutlich genug ein arabisches m eingegraben, also der Anfangsbuchstabe von Mochallah.

»Weißt du nicht, ob Mochallah etwas Scharfes bei sich trug?« frug ich Achmed es Sallah.

»Herr, sie hat stets ein kleines Mun ✽✽) um den Hals hängen.«

»Sie weiß, daß wir den Räubern folgen werden, und hat uns ein Zeichen geben wollen. Es ist sehr zu wünschen, daß sie dies öfters thut.«

»O, sie wird es thun, Sihdi! Diesen Stein aber werde ich bei mir behalten, bis ich sie wiederfinde.«

»Nun gilt es nur noch, uns zu überzeugen, daß sie längs des Baches diese Gegend verlassen haben,« meinte ich. »Wir wollen also noch ein Stück weiter gehen.«

Wir verfolgten die Schlucht noch tiefer und fanden genug Hufspuren, um unserer Sache sicher zu sein. Dann kehrten wir wieder zum Duar zurück, wo man sehnlichst auf uns gewartet hatte.

Die beiden Detachements standen schon zum Aufbruche bereit, und als ich berichtete, was wir gesehen hatten, ließ sich der Scheik nicht länger halten.

»Effendi, laß uns fortgehen! Vielleicht erreichen wir die Räuber noch am heutigen Tage!«

»Daran glaube ich nicht, Ali en Nurabi. Sie können stracks vorwärts reiten, während wir eine

)Pinie. ✽✽) Niedliches Messerchen mit scharfer Klinge.

große Zeit im Suchen ihrer Spuren verlieren müssen. Was hast du für ein Pferd?«

»Dieser Fuchs ist sehr gut, wenn er auch nicht die Schnelligkeit der Stute besitzt.«

»Auch Achmed und der Emir aus Inglistan reiten gute Pferde. Wir werden uns also von den andern scheiden können.«

»Scheiden?« frug er. »Warum?«

»Weißt du nicht, daß ein jedes Kriegsheer eine Abteilung haben muß, welche voranreitet, um die Gegend zu erkunden und für die Sicherheit der andern zu sorgen? Dies werden wir thun, weil wir die besten Pferde haben. Deine sechzig Krieger können uns mit Sicherheit folgen, da wir ihnen stetig Zeichen zurücklassen werden, welche Richtung wir eingeschlagen haben. Besprich diese Zeichen mit ihnen, und laß uns Abschied nehmen, damit wir unser Tagewerk beginnen können!«

Mein Vorschlag leuchtete ihm schnell ein, und er befolgte ihn sogleich.

Der Anführer der tunesischen Heerscharen konnte sich unserer Expedition natürlich nicht anschließen. Er kehrte mit seinen Begleitern, aber ohne den Engländer, nach el Bordsch zurück, wobei er eine große Strecke mit den Uëlad Sebira reiten konnte, die der Kafila entgegengingen.

»Nun kommen auch Ihnen an der Reihe,« sagte er, als er bereits von den übrigen Abschied genommen hatte. »Glauben Sie mich: dat Scheiden ist die unanjenehmste Erfindung, die jemals jemacht worden zu sein mir verdrossen hat. Werden wir uns wohl einmal wieder zu sehen die Jelegenheit geboten sein?«

»Inschallah — wenn es Gott gefällt. Die Wege des Menschen sind im Buche verzeichnet.«

»Ich weiß, das Sie pflegen mein Freund jeworden zu sein. Wollen Ihnen mich einmal einem Jefallen zu erweisen die Jewogenheit behaupten?«

»Sehr gern, wenn es mir möglich ist!«

»Dann sind Sie doch einmal so jut, und schießen Sie dem Krumir nicht janz tot, wenn Sie ihm finden, sondern schicken Sie ihm mich nach Tunis, wo wir ihn zeigen werden, was einem jestohlenen Fliegenschimmel für seine eijentümlicher Bewandtnis hat. Sollte Sie selbst aber einmal im Tunis eintreffen, so verjessen Sie Ihnen nicht, mir zu besuchen. Jetzt aber adieu, juten Morjen und jute Reise! Allah sei mit Sie nebst dem Propheten. Nehmen Sie Ihnen vor die Uëlad Hamema in acht, und verjessen Sie mir nicht, der ich Ihr Freund zu sein mir als juter Bekannter stets einjewilligt haben werde!«

Ich erwiderte seine herzlichen Worte, und dann

schieden wir, die einen nach Norden und wir andern nach Süden. Ich habe den wackern, originellen Mann niemals wiedergesehen, aber noch immer steht sein Bild so lebhaft vor meiner Seele, als ob ich erst gestern von ihm geschieden sei.

Die Schlucht war bald wieder erreicht. Hier erklärte ich dem Scheik in Kürze die Bedeutung der vorhandenen Spuren, und dann ging es vorwärts. Es war keine leichte Aufgabe, die vorhandene Fährte auf dem meist felsigen Terrain festzuhalten, doch wurde ich sehr unterstützt durch die Kenntnis der Richtung, welche der Krumir verfolgte.

Er hatte gesagt, daß er den Bah Abida übersteigen werde. Dieser lag von dem Ausgangspunkte unseres Rittes in gerader Linie ungefähr dreißig Kilometer oder vier deutsche Meilen entfernt. Da wir aber mehrere bedeutende Höhen zu umgehen und verschiedene Gewässer zu durchschwimmen hatten, so mußten wir wenigstens sechs Meilen rechnen. Dazu kam der Zeitverlust, welchen das Aufsuchen der Spur veranlaßte, so daß ich gut fünfzehn Stunden rechnete, welche wir brauchten, um den Bah Abida zu erreichen.

Wir gingen über den Hemormta Wergra, durchschwammen den Anneg und bald darauf den bedeutenderen Milleg und hielten zu Mittag in einem Querthale des Dschebel Tarf eine kurze Rast. Gerade an demselben Punkte hatte der Krumir auch ausgeruht; die Spuren davon waren ganz deutlich zu erkennen. Dieses Thal ist etwa fünf Stunden lang, erstreckt sich von Westen gerade nach Osten und wird von einem Bache durchzogen, der auf dem Bah Abida entspringt. Gerade vor uns also hatten wir diesen Berg, links Bua Baheur, Mesara und Bordsch Bir bu Hamed, und rechts das Land der Scherehn und Uëlad Khramemssa. Da wir die Gesinnung dieser Leute nicht kannten, so galt es von jetzt an, sehr vorsichtig zu sein. Der Krumir hatte denselben Gedanken gehabt; er war, wie sich bald herausstellte, nicht in dem Thale geblieben, wo er jeden Augenblick eine Begegnung erwarten konnte, sondern hatte rechts die Hochebene erstiegen, um auf derselben den Abida zu erreichen. Natürlich folgten wir ihm. Da oben dehnte sich ein meilenweites Plateau rechts nach dem Wadi Serrat hinüber, und gerade vor uns sahen wir in stundenweiter Entfernung den Abida sich erheben. Die Fährte wurde hier außerordentlich deutlich, denn die Verfolgten waren im Galopp geritten, jedenfalls um dieses offene Land baldigst hinter sich zu legen. Sie hatten, wie ich aus der Beschaffenheit der Spur erkannte, einen Vorsprung von kaum drei Stunden vor uns, und ich sagte dies dem Scheik.

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

»Hamdulillah — Gott sei Dank!« rief er. »Wir werden sie noch heut erreichen!«

»Du irrst, Ali en Nurabi,« antwortete ich ihm. »Oder ist deine Stute ein so schlechtes Pferd, daß es sich diesen Vorsprung in so kurzer Zeit abgewinnen läßt?«

»Wir reiten die ganze Nacht hindurch!«

»Kannst du des Nachts die Spuren erkennen?«

»Du hast recht. Allah verdamme die Finsternis! Komm, laß uns vorwärts eilen!«

Wir flogen dahin, als ob wir selbst die Verfolgten seien. Mein Rappe stöhnte laut auf vor Lust; man merkte es seinen graziösen, spielenden Bewegungen an, daß es ihm leicht sei, die jetzige Schnelligkeit zu verdoppeln. Hätte ich ihm den Willen gelassen, so wäre ich in einigen Minuten mit ihm verschwunden gewesen.

So ging es brausend über den ebenen Boden dahin; doch bald begannen die Pferde der andern zu schäumen und zu schnauben; eines nach dem andern blieb zurück, und nur die Wadi Serrat-Stute meines Achmed zeigte keine Ermüdung. Wir mußten unsere Schnelligkeit mäßigen, hatten aber doch in dieser kurzen Zeit eine ganz bedeutende Strecke überwunden. Der Scheik war außer sich vor Zorn, daß sein Fuchs keine bessere Ausdauer zeigte.

»Sahst du bereits einmal ein Pferd, welches so viel versprochen und doch so wenig gehalten hat wie dieses?« frug er mich. »Es war eines meiner besten Tiere; aber seit heute hat es den Scheitan ) im Leibe mit allen bösen Geistern der Dschehennah ✽✽). Aber es wird dennoch laufen müssen, laufen, bis es zusammenbricht!«

»Dann nimmst du den Sattel auf den Rücken und versuchst, ob du auf deinen eigenen Beinen schneller vorwärts kommst. O Scheik, der Eiligste ist nicht stets auch der Schnellste!«

»Du spottest meiner, Effendi!«

»Nein, denn auch mir ist es unangenehm, daß dir dein Pferd den Dienst versagt. Du solltest mit mir den Deinigen voranreiten; nun aber gibt es nur drei, die dies zu thun vermögen.«

»Wer?«

»Ich, Achmed — und höchstens noch der Engländer.«

»Herr, verlasse uns nicht! Wir wissen nicht, was uns begegnen kann, wenn du voran bist; auch könnten wir leicht deine Spur verlieren.«

»Aber es ist jedenfalls besser, wenn — — —«

Ich hielt inne, noch ehe ich mit der Aufzählung

)Teufel. ✽✽) Hölle.

meiner Gründe begonnen hatte, denn rechts von uns tauchten zwei Reiter auf, welche bei unserm Anblicke stutzend halten blieben und dann ebenso schnell wieder verschwanden, wie sie erschienen waren.

»Was waren dies für Männer?« fragte ich.

»Beni Scherehn oder Khramemssa,« antwortete der Scheik.

»Das ist unangenehm; doch vielleicht sind sie allein und wir bleiben unbelästigt. Laß uns wieder schneller reiten!«

Dies war leichter gesagt als gethan, und kaum waren zehn Minuten verstrichen, so tauchte zu unserer Rechten eine Staubwolke auf, hinter welcher eine bedeutende Zahl Reiter zu vermuten war. Sie hielt sich zuerst parallel mit uns, ging dann aber in ein beschleunigtes Tempo über, um uns den Weg zu verlegen.

»Sind dies Feinde, Sir?« fragte mich der Engländer.

»Vielleicht.«

»Heigh-day! Endlich ein Abenteuer! Sagte ich es nicht, daß man nur mir euch zu reiten braucht, um etwas zu erleben? Habe eine Doppelflinte, zwei Pistolen und zwei Revolver, gibt also achtzehn Schüsse, das Messer gar nicht gerechnet. Wird prächtig werden, der Spaß. Yes

Er fuhr vor Vergnügen mit seinen unendlichen Armen durch die Luft, als ob er wie weiland Ritter Don Quixote, seligen Angedenkens, mit Windmühlen fechten wolle.

»Freut euch nicht zu früh, Sir,« warnte ich. »Unsere Aufgabe ist, den Krumir zu fangen, wir müssen also jeden Zeitverlust und auch jeden Kampf zu vermeiden suchen.«

»Well, richtig! Aber im Vorbeireiten können wir doch immerhin ein wenig schießen, Nicht?«

»Ich hoffe nicht, daß man uns dazu zwingen wird!«

Jetzt hatte der fremde Reitertrupp uns die Richtung abgewonnen und blieb in unserm Wege halten. Es war ein ganz bedeutende Schar; sie konnte über hundert Köpfe zählen. Der Anführer stellte seine Leute in ein Vordertreffen und eine Reserve auf und erwartete uns in einiger Entfernung von seiner Linie. Scheik Ali en Nurabi gebot den Seinigen, halten zu bleiben und ritt auf den Anführer zu. Ich schloß mich ihm an.

»Kennst du den Fremden?« frug ich ihn.

»Jetzt erst sehe ich seine Züge, und nun erkenne ich ihn.«

»Wer ist es?«

»Es ist ein Feind; es ist Hamram el Zagal ), der grausame Scheik der Khramemssa. Ich habe ihn in Aïn Juhsuf und in Segrid gesehen. Er verlangt Tribut von einem jeden, der sein Gebiet betritt, und wer nichts geben kann, der muß mit ihm kämpfen. Er hat schon viele arme Männer getötet, die den Zoll nicht entrichten konnten. Er wird ein großes Geschenk von uns fordern.«

»Wonach richtet sich die Höhe dieses Geschenkes?«

»Nach dem Reichtum des Reisenden und nach der Zahl der Köpfe.«

»Hättest du zwanzig Männer genommen anstatt sechzig, so kämen wir billiger davon.«

»Ich zahle nichts!«

»Bedenke, daß wir keine Zeit zu verlieren haben, und diese Khramemssa sind doppelt so stark als wir.«

»Fürchtest du dich, Effendi?«

»Pah!«

Wir waren jetzt an Scheik Hamram, der den Beinamen el Zagal, der Tapfere, führte, herangekommen.

»Sallam aaleikum!« grüßte Ali en Nurabi, indem er sein Pferd parierte.

»Wer bist du?« frug der Gegner, ohne den Gruß zu erwidern.

»Kennst du mich nicht mehr? Ich bin Ali en Nurabi, der Scheik der Rakba von Ferkah Uëlad Sebira.«

»Und ich bin Hamram el Zagal, Ben Hadschi Abbas er Rumi Ibn Schehab Abil Assaleth Abu Tabari el Faradsch. Ich bin der Herr und Anführer dieser tapferen Krieger vom Stamme der Khramemssa, und ich frage dich, was du hier auf unserm Gebiete zu suchen hast?«

»Wir verfolgen einen Räuber, der mir meine Lieblingsstute, mein bestes Hedschihn und meine einzige Tochter geraubt hat, und bitte dich, uns durch dein Gebiet reiten zu lassen.«

»Wer sich seine Stute, sein Dschemmel und seine Tochter stehlen läßt, der ist nichts anderes wert, als daß sie ihm geraubt werden. Haben die Uëlad Sebira keine Augen, und [um] zu sehen, und keine Ohren, um zu hören? Wer durch mein Land reiten will, muß das Geschenk bezahlen.«

»Wie viel verlangst du?«

»Wer ist der Räuber, den du verfolgest?«

»Es ist Saadis el Chabir, der Krumir vom Ferkah ed Dedmaka. Er hat noch mehrere Reiter bei sich, die zu den Beni Hamema gehören.«

»Saadis el Chabir ist hier durchgekommen, und wir haben mit ihm gesprochen. Er hat keinen Raub bei sich. Er ist mein Freund. Du wirst sehr viel zahlen müssen, wenn du vorüber willst.«

Dieser tapfere Hamram log. Hätte er wirklich einen Zusammenkunft mit dem Krumir gehabt, so würde

)„Der Tapfere.“

ich dies an der Fährte gesehen haben. Er machte überhaupt den Eindruck eines rohen, wilden Menschen. Breitschulterig und von einem überaus muskulösen Gliederbau, ragte er um eines Kopfes Höhe über seine Leute hinaus. Er war ein wahrer Enakssohn. Bewaffnet war er mit zwei Flinten, einem Dolche, einer Pistole, einer Keule und mehreren Wurfspeeren. Sein Anblick mußte auch einen mutigen Mann bedenklich machen.

»Wieviel verlangst du?« erkundigte sich Scheik Ali.

»Wer ist der Mann an deiner Seite?«

»Ein Emir aus dem Frankenlande.«

»Ein Giaur? Allah vernichte ihn! Und der Mann, der dort vor den Deinen hält?«

»Ein Emir aus Inglistan.«

»Auch ein Ungläubiger? Allah möge sie zermalmen. Höre, was ich dir sage: Jeder deiner Männer gibt ein Schaf; du gibst zwanzig Schafe und jeder der Giaurs zahlt fünfzig Schafe.«

»Dies sind beinahe zehn mal zwanzig Schafe; das könnte ich nicht geben, selbst wenn ich so viele Tiere bei mir hätte.«

»So zahlst du die Hälfte und kehrst wieder um!«

»Du verlangst den Zoll, selbst wenn wir wieder umkehren?«

»Glaubst du, daß ich euch umsonst entkommen lasse!«

»Steige herunter von deiner Forderung!«

»Um kein einziges Schaf! Was Hamram el Zagal gesagt hat, das bleibt gelten. Oder willst du vielleicht mit mir kämpfen?«

Es galt vor allen Dingen, diese Verhandlung abzukürzen. Ali en Nurabi konnte diesen Riesen nicht besiegen, das war sicher. Ich ritt also noch um einen Schritt vor und sagte: »Du willst mit einem von uns kämpfen? Hat dich Allah aus der Reihe der Lebenden gestrichen, daß du solche Worte wagest? Was sind deine hundert Khramemssa gegen meine tapferen Sebira, und was bist du selbst gegen einen Emir aus dem Lande der Helden!«

Ich sprach mit Absicht in der überschwenglichen Weise der Wüstensöhne; ich hatte noch mit andern Männern gekämpft und gerungen, als er war; ich wußte mich ihm überlegen, und darum wollte ich ihn von Ali ab auf mich lenken. Es gelang mir. Er erhob sich erstaunt im Sattel und starrte mich an.

»Thibb el Kelb — Hund von einem Schakal!« rief er. »Wirst du mir sofort die Hand ablecken, damit ich dir verzeihe!«

»Wenn deine Hand schmutzig ist, so lecke sie selbst ab! Dein Maul ist groß genug dazu. Wie kannst du dich unterfangen, fünfzig Schafe von mir zu verlangen! Siehe, hinter mir halten sechzig Krieger; aber auch wenn sie nicht hier wären, wenn ich ganz allein wäre, würdest du nicht das Haar eines Schafes von

mir erhalten. Man sieht euch an, daß euer Mut kleiner ist als eure Worte!«

Seine Augen funkelten; seine Lippen zuckten, und er stieß einen heiseren Schrei der Wut aus.

»Mensch, bist du wahnsinnig!« brüllte er. »Du wagst es, zu Hamram el Zagal solche Worte zu sagen. Gut, du sollst mit mir kämpfen, aber nicht nur um den Zoll, sondern um das Leben!«

»Ich bin bereit. Aber hüte dich! mein Pferd ist besser als das deine, und meine Waffen sind es auch.«

»Ich sehe, daß du die Waffen der Franken hast,« lachte er höhnisch, »aber du wirst sie nicht brauchen dürfen. Das Pferd und die Waffen des Besiegten gehören dem Sieger. Lege sie von dir und steige ab, wie ich es thue! Wir werden nur mit den Händen kämpfen, und der eine wird den andern erwürgen.«

»Du sollst deinen Willen haben, el Zagal. Wir beide werden mit einander kämpfen, aber die andern sollen ehrlich gegen einander sein.«

»Was sollen diese Worte sagen?«

»Ich verlange das Recht der Schiluhh ). Besiegest du mich, so ist alles, was mir gehört, dein Eigentum und diese Uëlad Sebira werden dir den Zoll bezahlen, den du verlangt hast; besiege aber ich dich, so gehören dein Pferd und deine Waffen mir, und wir können ohne Zoll und Aufenthalt durch euer Gebiet reiten.«

Seine Augen hafteten mit Begier auf meinem Pferde.

»Es soll so sein, wie du begehrst,« antwortete er.

»Wenn einer von uns beiden gefallen ist, wird Friede sein zwischen den andern?«

»Ich verspreche es!«

»Schwöre es!«

»Ich schwöre es bei Allah und allen Moslemim, die gelebt haben und noch leben werden!«

»Auch die Deinen schwören es?«

»Mein Schwur gilt mit für sie.«

»So steige herab!«

Ich winkte Achmed und den Engländer herbei, um ihnen mein Pferd und meine Waffen zu übergeben. Dabei erklärte ich Sir Percy den Vorgang.

»Zounds,« rief er, »hundert Pfund würde ich geben, wenn ich an Eurer Stelle wäre!«

»Seht Euch den Kerl an, Sir! So ein Gang ist nicht ganz ungefährlich!«

»Hm! Da legt er den Haïk ab. Diese Muskeln! Dieser alte Boy hat Arme wie ein Elefant. Nehmt Euch in acht, Sir; die Sache ist allerdings bedenklich. Gebt ihm einen richtigen box on the stomach✽✽) daß ihm die Seele abhanden kommt; das ist das Beste!«

»Pah! Ihr habt ja damals in Indien meine Art Jagdhieb gesehen; ein einziger davon ist genug.«

»Ihr werdet Euch die Faust zerschlagen, Sir!«

)freien Männer. ✽✽) Hieb auf den Magen.

»Ich glaube nicht, daß der Kopf dieses Khramemssa härter ist als die Indianerschädel, die ich bereits getroffen habe. Sollte mir aber etwas Menschliches passieren, so haltet Ruhe; ich habe es versprochen!«

Auch ich warf den Haïk von mir. Die andern wichen zurück, und nun standen wir uns allein gegenüber. Der Riese schien mir weit überlegen zu sein; er selbst war so sehr überzeugt hiervon, daß er ohne alles Vorspiel sofort zum Angriff überging. Mit einem weiten, kräftigen Sprunge stürzte er sich auf mich, um mich zu erfassen. Er konnte mir die Sache gar nicht leichter machen. Ich drehte mich schnell zur Seite, und während er mit den beiden Armen in die Luft griff, schlug ich ihm die Faust mit solcher Gewalt gegen seine rechte Schläfe, daß er augenblicklich zusammenbrach.

Ein lautes Geschrei erhob sich von beiden Seiten, aber getreu dem Schwure ihres Anführers, wagte es keiner der Gegner, sich von seinem Platze zu rühren.

Ich kniete auf den besiegten Feind und hielt ihn bei der Kehle. Ein zweiter Hieb hätte ihn getötet, doch lag dies ganz und gar nicht in meiner Absicht. Nach kurzer Zeit kam er wieder zu sich und machte eine Anstrengung, emporzukommen, doch hielt ich ihn fest unter mir. Er wandte seine ganze Kraft an, mich abzuwerfen, aber ich brauchte nur die Finger fester um den Hals zu schließen, um jeden Widerstand zu brechen.

»Gibst du zu, daß du besiegt bist?« frug ich ihn.

»Töte mich, Hund!« stöhnte er.

Da ließ ich die Hand von ihm und stand auf.

»Erhebe dich, Hamram el Zagal; ich will dein Leben nicht!«

»Nimm es! Ich mag es nicht mehr haben.«

»Stehe auf! Ich sage dir, daß es keine Schande ist, von einem Emir aus dem Frankenlande besiegt worden zu sein.«

»Aber eine Schande ist es, sein Pferd und seine Waffen zu verlieren!«

»Behalte sie. Ich schenke sie dir!«

Er war trotzig liegen geblieben; jetzt aber schnellte er rasch empor.

»Ist’s wahr? Läßt du mir alles?«

»Alles! Du hast mich beleidigt; du hast mich einen Hund und einen Schakal genannt; aber der Prophet sagt: »Wer sich rühmt, seinem Freunde Gutes zu erweisen, der sei still; wer aber seinem Feinde Barmherzigkeit erzeigt, dem stehet die Hand Gottes offen. Komm, nimm und iß; wir wollen Freunde sein!«

Ich ging zu meinem Pferde, nahm aus der Satteltasche eine der darin befindlichen Bela ), zerbrach sie und reichte ihm die Hälfte, während ich die andere Hälfte aß. Er ließ sich wirklich überraschen und steckte die Dattel in den Mund. Jetzt waren wir sicher;

)Getrocknete Dattel.

jetzt hatten wir gewonnen. Er nahm seine Waffen wieder auf und bestieg sein Pferd.

»Ich habe mit dir gegessen; du bist mein Freund. Kommt mit nach dem Duar, um meine Gäste zu sein!«

»Erlaube uns, dies nach unserer Rückkehr zu thun! Wir dürfen keine Zeit versäumen, wenn wir die Leute erreichen wollen, welche wir suchen.«

»Du betrübst meine Seele, o Emir. Aber sage mir, ob ihr eine Blutrache habt?«

»Ja. Der Krumir hat einen Sebira getötet.«

»So eilt, ihm nachzukommen. Der Zoll sei euch erlassen. Es sei Friede zwischen den Sebira und den Khramemssa. Allah schütze euch!«

Das erst so gefährlich scheinende Abenteuer war glücklich beendet, und ich bemerkte zur Genüge, daß mein Kredit bei den Gefährten um ein bedeutendes gestiegen war. Wir setzten unsern Weg unbelästigt fort, und die Khramemssa kehrten ohne Beute nach ihrem Duar zurück.

Ich schlug dem Scheik nochmals vor, mit Achmed voranzureiten; aber nach dem, was wir soeben erfahren hatten, wollte er uns nun gar nicht missen. Es ging im scharfen Tempo über die Hochebene dahin. Der Bah Abida trat immer näher und deutlicher an uns heran. Wir erreichten ihn kurz nach dem Nachmittagsgebete, und erstiegen, immer der Fährte folgend, seinen sanften westlichen Abhang so leicht, daß wir gerade mit Sonnenuntergang den Gipfel erreichten.

Gegen Osten fällt er sehr steil in die Ebene hernieder. Wir sahen im Nordosten die Kuppen des Zaafran im Abendrot erglühen; weit gegen Morgen leuchtete der hohe Maktör herüber, und zu unsern Füßen zog sich die öde er Ramada in die dunkle Ferne hinaus.

»Schlagen wir das Lager auf?« erkundigte sich der Scheik.

»Es ist mir noch möglich, die Spur zu erkennen, und hier oben ist es während der Nacht zu kalt. Laß uns weiter gehen!« entschied ich.

Ich hätte eine Trapper oder einen Indianer sich über die Fährte äußern hören mögen, welcher ich zu folgen hatte. Während sie für die Beduinen vollständig unsichtbar blieb, fand ich fast alle zwanzig Schritte ein ganz untrügliches Zeichen. Während der »Westmann« Nordamerikas sich alle Mühe gibt, seine Spur zu verwischen, hatte der Krumir sein Augenmerk nur darauf gehabt, schnell vorwärts zu kommen, und da das Terrain jetzt steil bergabwärts fiel, so hatten die Hufe seiner Tiere den Boden hier förmlich gepflügt, und es war gar keine Kunst, die Richtung einzuhalten.

So gelangten wir an ein kleines Wasser, welches hier oben entsprang und sich während seines Laufes ein Thalbette gegraben hatte, welches bis zum Fuße des Gebirges abwärts führte. Die Beschaffenheit des Terrains ließ vermuten, daß der Krumir dieses Thal nicht verlassen habe, und so ritten wir selbst dann noch in demselben fort, als die Dunkelheit der Nacht mir die Fährte unsichtbar machte.

»Beginnt die Wüste er Ramada gleich am Fuße des Gebirges?« erkundigte ich mich bei dem Scheik.

»Warum fragest du?«

»Wenn sie gleich da beginnt, so könnten wir bald auf den Feind treffen; denn ich glaube nicht, daß er sein Nachtlager in der Steppe aufschlagen wird.«

»Die Wüste beginnt erst später. Vorher kommt noch das ebene Weideland Zwarihn.«

»Wie weit ist es vom Bah Abida bis zum Tschebel [Dschebel] Tibuasch?«

»Man reitet durch Zwarihn und er Ramada zwölf Stunden. Dann kommt man zwischen den Bergen von Rökada und Sekarma an die Stelle, wo das Land der Mescheer beginnt.«

»Ich denke, dies beginnt erst hinter dem Dschebel Tibuasch und dem Gebirge von Haluk el Melhila?«

»Wenn gute Weide ist, kommen die Mescheer auch über die Berge herüber.«

»Warst du bereits einmal dort?«

»Nein.«

»Du kennst keinen Mescheer?«

»Ich kenne viele. Ich habe sie in dem Lande der es Sseers und Uëlad Aun getroffen. Ich weiß nicht, ob sie uns freundlich empfangen werden.«

»Sechzig Gäste auf einmal ist auch einem Freunde zu viel. Wir müssen unser Möglichstes thun, um den Krumir noch vor dem Dschebel Rökada zu erreichen. Laß uns eilen!«

Nach zwei Stunden beschwerlichen Rittes, bei welchem uns nur die Sterne leuchteten, erreichten wir die Ebene. Hier machten wir Halt. Wir tränkten die Pferde, gaben ihnen ihre Sisch Bla Halef )zu fressen, aßen selbst einige Datteln und legten uns dann zur Ruhe nieder. Wir bedurften ihrer so notwendig, daß keiner daran dachte, ein Gespräch anzuknüpfen.

)Verkrüppelte Datteln, die nur als Viehfutter verwendet werden.

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

Während der Nacht, als ich einmal erwachte, vernahm ich ein fernes Brüllen. Ich erinnerte mich, daß die Umgebung der Steppe er Ramada wegen der dort hausenden Löwen berüchtigt ist, doch schlief ich sofort wieder ein. Ich ahnte nicht, daß ich bereits am nächsten Abend mit einem Vetter des »Wüstenkönigs« anzubinden haben würde.

Kaum graute der Morgen, so waren wir wieder marschbereit. Ich ritt einen Bogen in die Ebene hinaus und stieß dabei bald auf die Fährte, der wir wieder folgten, nachdem »el Fagr« gebetet worden war.

Nach Indianerart beinahe wagrecht auf dem Pferde hängend, um keine Spur zu übersehen, ritt ich voran. Mehrere kleine Bäche ließen auf die Nähe eines Flüßchens schließen. Es gab hier gutbefruchtetes Weideland, in welchem sich die Hufe recht deutlich abgedrückt hatten. Wir kamen mit unsern ausgeruhten Pferden rasch vorwärts und erreichten nach ungefähr anderthalb Stunden das vermutete Flüßchen, dessen Lauf sich rechts nach dem Bah bu Scherof zu richten schien. Hier hatten die Gesuchten übernachtet. Das Gras war zertreten und niedergelagert, und man sah deutlich die Stellen, an denen die einzelnen Tiere angebunden gewesen waren.

»Effendi,« meinte der Scheik, »kannst du den Ort finden, an welchem Mochallah geschlafen hat?«

Ich suchte.

»Hier ist es. Sie hat in der Atuscha geschlafen.«

»Woher weißt du dies?«

»Siehst du nicht, daß die Sänfte hier gestanden hat?«

»Ja. Aber Mochallah kann doch an einer andern Stelle geschlafen haben.«

»Blicke her! Sie hat aus der Atuscha herausgelangt, als alle schliefen, und abermals ein M in den Rasen geschnitten.«

»Maschallah, es ist wahr! Herr, sie ist gesund; sie hat uns ein Zeichen gegeben; sie weiß es, daß wir kommen. Laß uns weiter eilen!«

Das Wasser des Flüßchens war nicht tief; wir kamen leicht hinüber. Drüben untersuchte ich die neue Spur ganz genau.

»Was suchst du noch, Sihdi?« frug Achmed es Sallah.

»Ich will sehen, seit welcher Zeit sie aufgebrochen sind. Dem Nachtlager nach sind sie genau so weit von uns entfernt, wie wir vom Bah Abida bis hierher reiten mußten. Nach diesem Grase aber sind sie noch eher aufgebrochen als wir, schon während der Nacht.

Es hat sich fast ganz wieder aufgerichtet; die Flüchtlinge sind über zwei Stunden vor uns. Laßt uns eilen!«

Es ging im scharfen Trabe und lautlos vorwärts, so gut es die Pferde auszuhalten vermochten. Leider zeigte es sich, daß ihnen die Tiere des Krumirs überlegen waren, denn als ich drei Stunden vor Mittag abstieg, um die Fährte, welche jetzt im sandigen, vegetationslosen Boden lief, zu untersuchen, zeigte es sich, daß wir den Verfolgten um nichts näher gekommen waren.

»So erreichen wir sie nicht,« sagte ich zum Scheik. »Laß mich mit Halef [Achmed] voranreiten. In vier Stunden holen wir sie ein, und dann ist es gerad die höchste Zeit, denn dann sind sie fast beim Dschebel Schefara angekommen.«

»Ich reite mit,« antwortete er.

»Dein Pferd hält es nicht aus!«

»Dann ist es immer noch Zeit, zurückzubleiben.«

Auch der Engländer ließ sich nicht zurückhalten. Die Sebira erhielten ihre Instruktion, und wir vier ließen unsere Pferde doppelt ausgreifen. Eine Stunde verging — und noch eine. Die Sonne brannte heiß hernieder, und wir hielten einen Augenblick an, um uns und die Pferde mit dem Wasser zu erfrischen, welches wir in einem Schlauche mitgenommen hatten. Die Schläuche waren des Morgens am Flusse gefüllt worden. Nun ging es wieder vorwärts. Weit und unbegrenzt lag die Ebene rund um uns her. Wandernde Ghuds ) wechselten mit wirrem Felsengebrock; kein Baum, kein Strauch, kein Halm war zu sehen, und die Hitze vibrierte wie eine sichtbare Flut über den glühenden Boden dahin. Das Pferd [Die Pferde] des Scheik und des Engländers begannen zu straucheln, auch Achmeds Stute ward unzuverlässig; da erhob sich gerade vor uns am Horizonte weiß und glänzend ein riesiges Gemäuer, fast wie die Ruinen einer altenglischen Abtei. Es waren keine Mauern; es waren Felsen, in die die Jahrhunderte so abenteuerliche Lücken und Risse gebrochen hatten. Am Fuße, im Schatten derselben sah ich weiße und farbige Punkte, welche sich regten.

Ich nahm das Fernrohr zur Hand, richtete es und — stieß einen lauten Ruf der Freude aus.

»Sind sie es, Effendi?« frug der Scheik.

»Sie sind es — ein Kamel mit einer Atuscha und sieben Reiter, der eine von ihnen auf deiner Milchstute.«

»Hamdulillah — Preis sei Gott; wir haben sie!«

)Sanddünen.

»Noch nicht. Sie sind ihrer sieben, und wir zählen nur vier.«

»Fürchtest du dich?« frug er erregt.

»Ali en Nurabi, du hast gestern diese Frage bereits einmal ausgesprochen und nachher doch gesehen, ob ich mich fürchte!«

»Verzeihe, Herr! Aber warum scheust du dich vor ihnen?«

»Ich scheue mich nicht. Ich denke nur daran, daß wir die kostbare Stute und das Kamel nicht verwunden dürfen.«

»Herr, du hast recht! Was werden wir thun?«

»Wir müssen gewärtig sein, der Krumir tötet beide Tiere, anstatt daß er sie zurückgibt. Reitet langsamer. Ich werde einen weiten Bogen schlagen und ihnen zuvorkommen. Dann jagt ihr auf sie zu, und ich stelle mich ihnen in den Weg.«

»Nein, das darfst du nicht thun, Effendi! Du wirst uns nicht verlassen. Wir bleiben zusammen, holen sie ein, und dann werde ich so mit ihnen reden, daß wir schnell fertig werden.«

»Ganz wie du willst! Sie haben nichts bei sich, was mir gehört.«

Wir flogen wieder vorwärts. Der Krumir war gerade im Begriff gewesen, wieder aufzubrechen, als wir ihn erblickten. Ehe er mit den Seinen hinter den Felsen verschwand, sah er sich um und musterte uns, doch nur einen kurzen Augenblick, dann bog er schnell um die Steine. In zehn Minuten hatten wir diese letzteren erreicht. Da sahen wir die Hamema im Galopp über die Ebene brausen.

»Nach, ihnen nach, und wenn die Pferde stürzen!« rief der Scheik.

Er erhob sich im Sattel, um sich leichter zu machen, und brachte es wirklich fertig, mit mir Schritt zu halten. Der Krumir blickte sich um und erkannte, daß wir ihn erreichen würden. Er ließ einen Augenblick, nur einen kurzen Augenblick halten; das Kamel sank nieder, so daß die Atuscha von den Reitern verdeckt wurde; es erhob sich wieder, und dann stob der Trupp auseinander — der Krumir geradeaus, das Dschemmel nach rechts und die andern Reiter nach links.

»Herr,« rief der Scheik, »sie wollen entkommen. Nimm du das Hedschihn mit Mochallah; ich nehme meine Stute!«

»Überlaß die Stute mir, du erreichst sie nicht!« antwortete ich, während wir förmlich über den Boden schossen.

»Ich brauche sie nicht zu erreichen. Ich brauche nur so nahe zu kommen, daß sie meine Stimme hört. Sie hat ein Geheimnis, und wenn ich das Wort rufe, so dreht sie sich um und kommt zu mir.«

»Sage lieber mir dieses Geheimnis!«

»Kein Mensch soll es erfahren!«

Er spornte seinen Fuchs, daß dieser fast das Unmögliche -

Unmögliche leistete. Ich wandte mich nach rechts, um ihm den Willen zu thun. Achmed blieb hinter mir, und nach dem Engländer blickte ich mich nicht um. Ich schnalzte nur leise mit der Zunge, so war es, als ob mein Rappe doppelte Kraft gewönne. Seine Hufe fraßen die Entfernung, und in fünf Minuten war ich neben dem Hedschihn, welches wie im Sturme dahinjagte.

»Rrreeh, rrreeh — halt, halt!« rief ich.

Bei diesem Rufe hielt das Kamel im Laufe inne; in demselben Augenblick aber krachte ein Schuß aus der Atuscha, und die Kugel flog an meinem Kopfe vorbei. Ah, der Krumir war listig gewesen. Er hatte Mochallah zu sich auf das Pferd genommen und einen der Hamema auf das Kamel placirt. Der Kerl hatte nur eine einläufige Flinte; er war mir nicht mehr gefährlich.

»Khee, khee!« gebot ich dem Kamele, indem ich es beim Halfter faßte.

Dies ist das bekannte Kommando zum Niederknieen. Es gehorchte, aber der Hamema sprang auf der andern Seite zur Sänfte hinaus. Doch in demselben Augenblicke fiel ein Schuß. Halef [Achmed] hatte mich erreicht und den Mann niedergestreckt.

»Wo ist Mochallah?« frug er erschrocken.

»Bei dem Krumir auf dem Pferde,« antwortete ich. »Ich eile ihm nach. Nimm du das Dschemmel!«

Ich hörte bereits nicht mehr, was er erwiderte, denn ich hatte mein Pferd herumgeworfen und jagte wieder nach links zurück. Ich sah den Scheik und in weiter Entfernung draußen vor ihm den Krumir. Sir Percy war an der Seite des ersteren geblieben. Jetzt galt es einmal im Ernste, das Geheimnis meines Pferdes zu erproben. Ich legte ihm die Hand zwischen die Ohren: »Rih — — —!«

Es stutzte einen Moment, dann aber stieß es einen schmetternden trompetenähnlichen Laut aus und flog dahin, daß es mir hätte schwindlig werden können. Sein Leib berührte beinahe die Erde; die Beine arbeiteten so zu sagen unsichtbar; die Schnelligkeit, mit welcher alles hinter mich wich, war unbegreiflich, fast dämonisch, und ich saß, ohne eine Bewegung zu verspüren, wie auf einem Pfeile, der durch die freien Lüfte saust. So erreichte ich nur nach Augenblicken den Scheik.

»Allah akbar — maschallah ïa radschal!« rief er erschrocken.

Aber schon war ich an ihm vorüber. Es war, als ob ich die Wüste nur so an mir vorüber zu winken brauchte. Aber auch die Milchstute that ihre Schuldigkeit. Fünf Minuten vergingen — zehn Minuten — eine Viertelstunde; da war ich nur noch fünf Pferdelängen hinter dem Krumir.

»Halt!« rief ich ihm zu.

Er drehte sich um.

»Giaur!« knirschte er.

Im nächsten Momente sah ich sein Messer blinken. Schon erhob ich das Pistol, um ihn vom Pferde zu schießen, denn ich glaubte, die Klinge sei für Mochallah bestimmt; aber ich ließ es wieder sinken, denn der Stoß galt nur dem Pferde. Er versetzte ihm einen leichten Stich, um es zu größerer Anstrengung anzuspornen. Es gelang ihm. Der Schimmel machte einige konvulsivische Sätze und legte eine Pferdelänge mehr zwischen sich und den Rappen. Dennoch mußte ihn der letztere erreichen, das war außer allem Zweifel. Sollte ich den Menschen erschießen? Das widerstrebte mir. Er konnte sich nur schwer verteidigen, da er das Mädchen zu halten hatte, und ich sah auch nicht, daß er nach einer Waffe griff.

Da aber plötzlich stieß er einen lauten Schrei aus und bog nach links hinüber. Während unsers Parforcerittes hatte der Sand des Bodens aufgehört und ein erst dünner, dann aber immer dichterer Graswuchs war an seine Stelle getreten, ohne daß ich sehr darauf geachtet hatte. Jetzt sah ich plötzlich da drüben Herden weiden und im Hintergrunde Zelte stehen. Der Krumir war sehr wahrscheinlich gerettet, wenn er diese erreichte. Schon sah ich Reiter uns entgegenkommen.

»Halt, sonst schieße ich dich vom Pferde!« rief ich, das Pistol erhebend.

Da faßte er Mochallah und setzte ihr das Messer an die Brust.

»Schieß, Hund, wenn du sie töten willst!« antwortete er.

Ich durfte es nicht wagen. Ich legte dem Rappen die Hand nochmals zwischen die Ohren — aber nein, da hätte dieser Mensch ja das Wort meines Geheimnisses gehört! Wir schossen zwischen den Herden und den Reitern hindurch; ich sah die Zelte mit Gedankenschnelligkeit näherfliegen; jetzt, jetzt war ich an seiner Seite; jetzt faßte ich ihn am Arm; da riß er sein Pferd in die Häcksen, und ich flog weiter, durch die Vehemenz des Rittes von ihm weggerissen.

Ein lautes Hohngelächter erscholl. »Saadis el Chabir!« hörte ich rufen. Ich zügelte den Lauf meines Pferdes, riß es herum und kehrte zurück. Ich befand mich inmitten eines großen Beduinenlagers, und hundert Gewehre waren auf mich gerichtet, zwanzig Fäuste streckten sich nach mir aus. Ich war ganz in der Lage eines Falken, der bei der Verfolgung einer Taube durch ein Fenster in die Stube geraten ist.

»Schießt ihn nieder!« schrie der Krumir. »Er ist ein Hund, ein Giaur, ein Verräter, der mich töten wollte!«

Ein Blick sagte mir, daß Gegenwehr mit nichts fruchten könne. Diese Leute waren Bekannte des Krumirs; hier konnte mich nur das retten, was auch ihn bei den Sebira gerettet hatte. Nicht weit von mir hatte sich ein Zelt geöffnet, und unter demselben

erschien eine Frau, an ihrer Seite ein junges, vielleicht siebenzehnjähriges Mädchen. Dieses letztere trug weiße weite Pantalons und ein kurzes, ärmelloses Jäckchen. Goldene Krollkralls ) schmückten ihre Hand- und Fußgelenke; um den Hals trug sie eine Kette von Silberstücken und Gewürznelken, und die langen, dicken Dafirah ✽✽) waren mit Perlen und kleinen Münzen durchflochten. In der einen Hand hielt sie die lange Habayah ✽✽✽) und in der andern ein mit Flittern gesticktes Kiladeh. ) Sie war also wohl gerade bei der Toilette gewesen, als sie der Lärm aus dem Zelte rief. Sofort schwang ich mich vom Pferde, warf die Umstehenden aus einander und sprang auf die beiden Frauen zu.

»Fi hard el harime — ich bin unter dem Schutze der Frauen!« rief ich laut und huschte in das Zelt hinein.

Draußen hörte ich die Rufe des Ärgers. Die beiden Beduininnen waren mir gefolgt und blickten mich ganz ratlos an.

»Bist du ein Weib?« frug ich das Mädchen.

»Nein.«

»Bist du die Braut eines Jünglings?«

»Nein.«

»So sollst du meine Schwester sein, wie ich dein Bruder bin!«

Ich zog sie an mich und küßte sie auf die Stirn. Das war mehr als Kühnheit; das war Verwegenheit. Wenn das folgende nicht glückte, so war ich verloren: Ich band den Shwal [Shawl], der mir als Gürtel diente, ab; ich benutzte ihn als Aufbewahrungsort verschiedener Kleinigkeiten, die ich zu gelegentlichen Geschenken bestimmt hatte. Es waren verschiedene Quincaillerien, billige Sachen, die man für kaum eine Mark bekommt, welche aber in jenen Gegenden einen hohen Wert besitzen. Ich zog eine Halskette von unechten Korallen und zwei Haarnadeln hervor, an denen große Perlmutterschmetterlinge befestigt waren, hing ihr die erstere um den schönen, vollen Hals und steckte ihr die letzteren in das dunkle Haar.

»Willst du dieses nehmen und meine Schwester sein? Sage »Ja«, du lieblichste unter den Blumen dieses Landes!«

Sie erglühte bis unter das Mieder und ich neigte besorgt das Ohr zu ihr hernieder.

»Soll dies wirklich mir gehören?« frug sie.

»Ja, es ist dein. Darf ich nun dein Bruder sein?«

»Du darfst?« hauchte sie.

»So nimm dein Habayah um und folge mir!«

Jetzt war ich sicher. Ich hatte ihre Stirn mit meinen Lippen berührt, und sie hatte mein Geschenk angenommen.

»Willst du mir deinen Namen sagen?« bat ich.

)Spangen. ✽✽) Zöpfe. ✽✽✽) Überkleid. ) Langes Halstuch.

»Ich heiße Dschumeilah.«

»So komm mit mir, Dschumeilah! Wo wohnt der Scheik dieses Urdi?« )

»Hier.«

»Hier? Ist er dein Vater?«

»Nein, er ist der Bruder meines Vaters, welcher Scheik der Mescheer von Hadscheb al Aïun und Hamra Kamuda ist.«

»So bist du selbst auch Gast in diesem Zelt?«

»Ja.«

Das war mir noch lieber, denn der Freund eines Gastes muß noch mehr geachtet werden, als der eigene Freund und Gast. Ich warf dem Mädchen die Habayah über und zog sie aus dem Zelte. Draußen stand mein Pferd, bereits bis auf die bloße Haut ausgeplündert; es war von vielen Beduinen umringt, welche seinen Gliederbau prüften. Und da vorn am Eingange des Lagers erschienen so eben der Scheik Ali en Nurabi und der Engländer, beide als — Gefangene.

»Seit wann haben sich die tapferen Beni Mescheer angewöhnt, ihre Gastfreunde auszuplündern?« rief ich mit lauter Stimme. »Wo ist der Bei el Urdi, der Herr und Anführer dieses Lagers?«

Ein alter Beduine trat hervor.

»Ich bin es. Was willst du?«

»Siehe hier Dschumeilah, die Rose von Hamra Kamuda! Sie nennt mich ihren Bruder und trägt mein Geschenk in ihrem Haar. Sie hat mich in deinem Zelte aufgenommen, und du erlaubst deinen Männern, mein Pferd zu berauben? Siehe hier den Schatten deines Zeltes, o Scheik; wenn er um eine Handbreit fortgerückt ist bis hierher, wo ich das Messer in die Erde stecke, so wird derjenige an dem Messer sterben, der dann noch etwas besitzt, was mir gehört!«

Ein lautes Murrren erhob sich ringsum, und aus dem Haufen rief eine Stimme: »Glaube ihm nicht, o Scheik! Er ist ein Lügner, ein Giaur, in dessen Leib der Scheitan wohnt!«

Es war der Krumir, der diese Worte sprach. Ich beachtete sie nicht. Der Scheik frug das Mädchen: »Tochter meines Bruders, hast du diese Geschenke von ihm genommen?«

»Ja, er ist ein Diff rebbi ✽✽), der unter deinem Schutze steht.«

»Du sendest Sorgen auf mein Haupt; aber dein Wort ist mein Wort, und dein Bruder ist mein Bruder. Gebt ihm alles zurück, was ihr ihm genommen habt; er ist wie ein Sohn der Uëlad Schereen [Mescheer]

)Lagers. ✽✽) Von Gott gesandter Gast.

Dann trat er zu mir und reichte mir seine Hand.

»Habakek — sei uns willkommen! Dein Fuß mag aus- und eingehen bei uns, wie es ihm gefällig ist. Dein Freund ist mein Freund und dein Feind mein Feind; so ist das Recht, welches dir, dem Gast gehört.«

»Ich glaube und vertraue dir, o Scheik. Aber warum nimmst du dann meine Freunde gefangen?« fragte ich, auf Ali en Nurabi und den Engländer deutend.

»Sind diese Männer deine Freunde?«

»Sie sind es.«

»Ich weiß noch nicht, wie sie in dieses Lager kommen. Ich war bei den Herden und bin erst hier eingetroffen, als du aus dem Zelte tratest. Ich werde untersuchen, was recht und billig ist. Man rufe die Ältesten zur Beratung zusammen!«

Da erhob sich am Eingange des Lagers ein Angstgeschrei. Ich blickte hin und sah Achmed es Sallah auf dem Hedschihn zwischen den Zelten herbeigestürmt kommen, daß alles auseinanderflog. Er hatte die Hähne seiner Pistolen gespannt und rief: »Sihdi, Sihdi! Wo ist mein Effendi? Hier ist Achmed es Sallah!«

Ich sprang vor und winkte ihm. Sofort hielt er sein Dschemmel an, ließ es knieen, sprang herab und umarmte mich. Der brave Kerl hatte mich wirklich tief in sein treues Herz geschlossen.

»Bist du gefangen, Sihdi?« frug er.

»Nein.«

»Sind es die andern?«

»Nur einstweilen.«

»Wo ist Mochallah, die Geraubte?«

»Sie ist hier, denn dort steht der Räuber.«

Ich zeigte auf den Krumir, welcher mit finsteren Blicken bei einigen Mescheers stand. Achmed wollte sich auf ihn stürzen.

»Ich werde ihn zermalmen!« drohte er.

»Halt,« sagte ich, ihn festhaltend. »Er ist so gut der Freund der Beni Mescheer wie ich. Die Dschemma wird über ihn entscheiden!«

»So entscheide sie schnell, sonst verschlingt ihn meine Rache!«

Die beiden Gefangenen waren in ein Zelt gebracht worden, wo man sie bewachte. Achmed wurde nicht angerührt. Die Mescheer standen in Gruppen beisammen, teils finster und drohend, teils mit neugierigen Gesichtern. Das Hedschihn lag unberührt am Boden, und mein Pferd hatte, wie ich mich jetzt sorgfältig überzeugte, alles wiedererhalten, was man fortgenommen hatte. Ich zog den Dolch wieder aus der Erde.

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

Dschumeilah war wieder in das Zelt getreten, doch sah ich, daß sie uns durch eine Spalte des Vorhanges beobachtete. Nun trug ich nur noch um die Sebira Sorge, welche wir zurückgelassen hatten.

»Wo hast du dein Pferd?« fragte ich Achmed.

»Draußen auf der Ebene. Ich wußte, daß ich dir

Mochallah überlassen könnte; darum band ich mein müdes Pferd an einen Stein und folgte den Hamema, die nach diesem Lager wollten.«

»Allah kerihm, was hast du gethan! Hast du einen getötet?«

»Nein, denn ich dachte daran, daß sie Freunde

dieser Mescheer sind. Sie flohen in die Wüste hinein, und ich habe sie gejagt, so weit ich konnte. Dann wollte ich nach dir und Mochallah sehen, und nun werde ich umkehren, um mein Pferd zu holen.«

Dieser Achmed es Sallah hatte wirklich einen kleinen Teufel im Leibe!

»Gehe und hole es,« sagte ich; »aber bringe es nicht her!«

»Wohin sonst, Sihdi?«

»Ich weiß noch nicht, wie es hier gehen kann. Reite den Gefährten entgegen und führe sie so weit herbei, daß sie das Dorf sehen können. Dort mögen sie warten und zum Kampf gerüstet sein.«

Er bestieg das Hedschihn wieder. Als es sich erhob, trat der Krumir hervor. »Halt,« rief er. »Dieser Mann ist ein Gefangener; er darf nicht fort!«

Ich nahm die Büchse aus dem Sattel und legte sie auf ihn an. »Achmed es Sallah, reite fort!«

Er that es, und ich senkte das Gewehr erst dann, als er nicht mehr zu sehen war; aber ich bemerkte, daß dieses Verhalten die Mescheer noch mehr zu erzürnen schien. Einige von ihnen stiegen zu Pferde und folgten meinem Diener. Jetzt band ich mein Pferd hart am Eingange des Zeltes fest und trat dann wieder ein. »Sallam aaleïkum — Friede sei mit euch! Ich hatte vorhin keine Zeit, den Gruß zu sagen,« entschuldigte ich mich.

Die beiden Araberinnen antworteten nicht. Die Frau schien dem Mädchen Vorwürfe gemacht zu haben.

»Mich dürstet,« sagte ich einfach, indem ich mich niedersetzte.

Da brachte mir Dschumeilah Wasser. »Trinke!« bat sie. »Willst du auch essen?«

»Nein. Ich esse nicht eher, als bis die Dschemma gesprochen hat.«

»Von welchem Stamme seid ihr?«

»Der eine Gefangene ist der Scheik der Uëlad Sebira; der andere ist ein großer Emir aus Inglistan, und ich bin ein Bei aus Dschermanistan.«

»Ist Dschermanistan ein fernes Land?«

»Es liegt im Norden weit über dem Meere drüben, wohl über achtzig Tagereisen von hier.«

Sie schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »So weit kommst du her! Was willst du hier bei uns?«

»Ein Mädchen befreien, welche ein böser Mann ihrer Mutter raubte.«

Dies erweckte auch das Interesse der Alten. Ich schenkte ihr ein Fünfpiasterstück und erzählte dann so viel von dem Raube Mochallahs, als mir für sie zu wissen nötig erschien. Damit hatte ich ihre Herzen vollends erobert. Dschumeilah nahm sich gleich vor, Mochallah aufzusuchen, und die Alte gab ihre Zustimmung dazu. Eben als das Mädchen ging, trat der Scheik herein, um mich zur Dschemma abzurufen. Die Ältesten hatten sich auf einem freien Platze versammelt. -

versammelt. Der Krumir war dabei, der Engländer und Scheik Ali en Nurabi. Im Laufe der Verhandlung kamen auch die Hamema, welche sich unterdessen nach dem Lager zurechtgefunden hatten.

Der Fall war nach den dortigen Verhältnissen ein sehr schwieriger. Der Krumir war Gastfreund der Mescheer; ich war es ebenso, und infolge dessen wurden auch Ali en Nurabi und der Engländer für freie Gäste erklärt. So weit standen sich die Parteien gleich. Als aber der Scheik seine Tochter und sein Pferd zurückforderte, geriet er auf eine heftigen Widerspruch. Es wurde ihm erklärt, daß die Entführung eines Mädchens kein Verbrechen, sondern eine ritterliche That sei, und daß ein solches Mädchen dem Helden gehöre, sobald er die Grenzen ihres Stammes mit ihr überschritten habe. Auch gestand der Krumir in aller Seelenruhe ein, daß er die Milchstute mitgenommen habe, weil er in der Eile der Entführung nicht gleich sein Pferd finden konnte; übrigens sei das seinige von ganz gleichem Werte gewesen. Darauf erklärte die Dschemma, daß sie in dieser Sache nicht kompetent sei; sie habe nur dafür zu sorgen, daß ihre Gäste das Lager auf denselben Tieren verlassen könnten, auf denen sie hier angekommen seien. Daß der Krumir einen Schwur abgelegt und dann gebrochen habe, leugnete er entschieden.

Die Verhandlung wurde von Minute zu Minute stürmischer; der Scheik war mehr auf unserer Seite, die andern aber auf derjenigen des Krumirs. Schon wollte man den Beschluß verkünden, daß der letztere mit seinem Raube ungehindert ziehen könne und wir hingegen zurückgehalten werden sollten, bis er ihn in Sicherheit habe, da erhob ich mich. Ich winkte Schweigen, nahm, ohne ein Wort zu sagen, den Henrystutzen zur Hand, den ich mir zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, legte an und zielte auf einen Speer, welcher in ziemlicher Entfernung vor einem Zelte in der Erde stak. Ich hatte dieses Mittel schon öfters angewandt, um Leute einzuschüchtern, welche mit der Konstruktion eines Gewehres, mit welchem ich fünf und zwanzig Schüsse hinter einander abgeben konnte, nicht vertraut waren. Dieser Stutzen hatte den Apachen und Comanchen, den Chinesen und Malaien, den Kaffern und Hottentotten, den Türken, Kurden und Persern imponiert. Warum sollte er hier nicht auch seine Schuldigkeit thun?

Ich drückte zwölfmal ganz nach dem Takte, in gleichen Intervallen, los und zielte bei jedem Schusse einige Linien tiefer. Dann legte ich ab und deutete stumm auf die Lanze. Alle erhoben sich und eilten, sie zu betrachten. Selbst der Krumir ging mit. Ein lautes Rufen des Erstaunens erhob sich, während ich die Frist benutzte, schnell wieder zu laden. Die Lanze zeigte zwölf Löcher in ganz genau gleicher Entfernung von einander. So etwas hatten diese Beduinen noch

nicht gesehen. Der Speer wurde aus der Erde gezogen; er ging von Hand zu Hand und wanderte dann sogar durch das ganze Lager.

Mit scheuen Blicken auf mich und mein Gewehr nahmen die Ältesten wieder Platz.

»Emir, was für eine Flinte ist dies?« frug mich der Scheik. »Ist sie von einem Zauberer gemacht?«

»Du weißt, daß man von einem Zauber nichts erzählen darf,« antwortete ich ausweichend. »Mit dieser Flinte treffe ich den Utheis ) und den Büdsch ✽✽), den Khansir ✽✽✽) und den Nimr ), den Nömmer ††) und sogar den Sihdi el salßali †††). Jedes Wahesch ††††) und jeder Mensch, der mein Feind sein will, ist verloren, wenn ich sie erhebe. Ich habe jetzt zwölfmal mit ihr geschossen. Soll ich noch zehnmal, fünfzehnmal, zwanzigmal mit ihr schießen?«

»Herr, diese Flinte ist kostbarer, als alle Gewehre, welche ich gesehen habe. Darf man sie angreifen?«

»Nein. Niemand weiß, wie sie angegriffen werden muß, als nur ich allein. Was sind alle eure Flinten, Lanzen und Messer gegen dieses Zaubergewehr! Setzt euch zu Pferde und greift mich an; ich stehe ruhig, erhebe mein Gewehr und schieße euch von euren Tieren, noch ehe ihr mir die Haut nur ritzen könntet. Und sehr diese kleinen Flinten hier in meinem Gürtel. Paßt auf! Ich werde, ohne zu laden, in jene Zeltstange schießen — eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Seht und zählt die Löcher! Auch dieser Emir aus Inglistan hat solche Wunderpistolen. Sehr ihr sie in seinem Shawl? Wären wir beide auch ganz allein; wir würden uns nicht vor euch fürchten; aber draußen vor dem Lager halten noch sechzig Männer, welche gute Waffen tragen. Blickt hier zwischen den Zelten hindurch! Seht ihr die Köpfe unserer Reiter? Und dennoch wollt ihr diesen Räuber beschützen? Dennoch soll er die Stute und das Mädchen behalten, welche dem Scheik der Sebira gehören? Allah kerihm — Gott ist barmherzig; er möge euch gnädig sein und eure Gedanken lenken, damit unsere Kugeln euch nicht dahin senden, von dannen keine Wiederkehr stattfindet! Wir sind als eure Freunde gekommen; sollen wir eines Räubers wegen eure Feinde sein? Ich will nicht haben, daß sich ein Klagegeschrei erhebt in diesem Thale und daß der Dschebel Schefara widerhalle von dem Totenrufe der Mescheer. Eure Ohren hören meine Worte; öffnet auch eure Herzen für meine Rede, mit der ich euch gewarnt habe!«

Ich setzte mich nieder. Ich hatte einen tiefen Eindruck hervorgebracht, und dieser wurde bedeutend verstärkt, als die Männer, welche vorher hinter Achmed das Lager verlassen hatten, zurückkehrten, um zu melden, -

)Schwalbe.  ✽✽) Geier.  ✽✽✽) Eber.  ) Panther.  ††) Tiger. †††) „Herr des Erdbebens“ = Löwe. ††††) Wildes Tier.

melden, daß eine große Anzahl Reiter vor dem Duar halte. Man konnte von unserm Platze aus ihre Köpfe und die Spitzen ihrer Lanzen sehen. Jetzt wurde die Beratung wieder aufgenommen, leider aber hatte sie doch nicht das Ergebnis, welches ich erwartet hatte. Man beschloß nämlich, nach Hadscheb el Aïun, Hamra Kamuda, Karaat el Aatasch und Sihdi bu Ghanem zu senden, um die Ältesten der anderen Mescheer- Stämme herbeizurufen. Sie sollten die schwierige Angelegenheit entscheiden, und bis dahin sollte alles in der gegenwärtigen Lage verbleiben. Einige Vorteile aber erreichten wir doch: der Krumir durfte das Lager nicht verlassen; Ali en Nurabi und Achmed es Sallah konnten Mochallah besuchen, und die sechzig Sebira erhielten die Erlaubnis, in das Duar einzureiten, mußten sich aber selbst verpflegen. Die Milchstute freilich blieb noch Saadis Eigentum; auch behielt dieser die Aufsicht über Mochallah, welche ihr Zelt nicht verlassen durfte. Ich selbst blieb der Gast des Scheik, während der Engländer es vorzog, mit den Uëlad Sebira im Freien zu kampieren. Das Hedschihn war wieder in den Besitz Ali en Nurabis übergegangen.

Die Verhandlung hatte eine sehr lange Zeit in Anspruch genommen. Als die Sebira eingeritten waren und alles sich in Ordnung befand, neigte sich die Sonne bereits dem westlichen Horizonte zu, und ich sah, daß man große Haufen des scharfen Halfagrases und stacheliger Mimosen herbeischaffte, um beim Einbruche der Dunkelheit zahlreiche Feuer anzuzünden. Vor seinem Zelte stand der Scheik — Mohammed er Raman war sein Name — im Kreise vieler junger Männer; er hielt eine Anzahl Grashalme in der Hand und ließ die Männer von denselben ziehen. Ich trat hinzu.

»Worüber ziehet ihr das Los?« erkundigte ich mich.

»Herr, über eine schlimme Sache. O, wenn uns deine Wunderflinte helfen könnte!«

»Erzähle mir! Gegen wen soll sie euch helfen?«

»Das darf ich dir nur ganz leise sagen.« Er näherte sich meinem Ohre, hielt die Hand vor den Mund und flüsterte: »Gegen Areth, den Löwen!«

Der Beduine hat nämlich einen eigentümlichen Aberglauben: er sagt das Wort Areth, Löwe, nur ganz leise; er glaubt, wenn er es laut sage, so höre es der Löwe und komme in der nächsten Nacht herbei. Die verschiedenen Beinamen des Löwen werden in einigen Gegenden auch laut ausgesprochen.

»El Areth ist hier?« frug ich. »Wo hält er sich auf?«

»Allah illa Allah, ïa Allah el Allah! Rede leise, Emir, sonst kommt er herbei und verschlingt uns!« rief er erschrocken. »Gott hat uns schrecklich heimgesucht. Wir weideten am Dschebel Tiuasch, da kam der ‚Herr mit dem dicken Kopfe’ ) und fraß unsere

)Löwe.

Rinder und Schafe; wir flohen nach dem Dschebel Semata; er folgte uns und fraß sogar unsere Söhne; nun flohen wir nach dem Dschebel Rökada; er ging mit uns und würgte grimmiger als zuvor.«

»Warum habt ihr ihn nicht getötet?«

»Wir sind gegen ihn ausgezogen zu hundertzwanzig Mann; wir haben ihn verwundet, aber vier unserer Kriegen hat er dabei zerrissen; die andern rannten fort von ihm. O, Emir, er ist schrecklich! Nun flohen wir hierher gegen den Dschebel Schefara. Wir glaubten, es werde ihm hier nicht gefallen, weil hier wenig Wasser ist, und der ‚König des Donners’ ) trinkt sehr gern. Aber er folgte uns dennoch nach. Nun hat er sich eine Frau genommen, die ihm Kinder gegeben hat; darum braucht er sehr viel Fleisch und kommt alle Nächte, um es sich zu holen. Allah hat sein Angesicht von uns gewendet; wir werden verderben, wenn wir nicht tiefer in die Wüste ziehen. Und wenn wir dies thun, so müssen unsere Herden verdürsten.«

Ich glaubte ihm seine Klage Wort für Wort. Der Araber wird es niemals wagen, sich dem Löwen allein gegenüberzustellen, wie es der kaltblütige Nordländer thut, die sichere Büchse in der Hand. Erst wenn ihm der König der Tiere einen beträchtlichen Teil seiner Herde abgeschlachtet hat, ruft er seine Genossen zur Jagd. Dann thun sich möglichst viele Beduinen zusammen, um das Tier in seinem Lager aufzusuchen. Man erhebt ein infernalisches Geschrei; man wirft mit Steinen; man jagt dem Tiere die beleidigendsten Schimpfwörter an den Kopf. Wenn es sich dann sehen läßt, so reitet und jagt alles wirr und aufgeregt durcheinander. Man schießt auf das Geratewohl; man wirft mit Speeren; man sendet nutzlose Pfeile aus der Ferne. Glücklichenfalls verblutet sich der Löwe an der Menge kleiner Wunden, nie fällt er von einer einzigen, kaltblütig gezielten Kugel, und stets wird sein Tod mit dem Leben mehrerer Menschen bezahlt. Man flieht schließlich mit den Herden aus einer Gegend in die andere; der Löwe geht mit, und die Angst beginnt von neuem.

»Bleibt hier und tötet ihn,« sagte ich ruhig.

»Wir haben es ja versucht, Effendi; aber er stirbt nicht. Und hier ist es schlimmer als vorher. Wir haben zu Assad-Bei, dem Herdenwürger, einen noch viel schlimmeren Feind erhalten.«

»Welchen?«

»Weißt du, welches Tier noch viel fürchterlicher ist, als der Herr mit der langen Mähne?«

»Der Panther, der schwarze Panther. Er ist das schrecklichste der Tiere.«

»Du hast recht gesagt. Der schwarze Panther, den wir Abu ’l Afrid ✽✽) nennen, ist entsetzlicher als der König der Tiere. Dieser nimmt nur so viel Fleisch,

)Löwe. ✽✽) Vater des obersten Teufels.

als er braucht, auch kehrt er sich um, wenn er falsch gesprungen ist; der Panther aber mordet so lange, wie es ihm beliebt; er ist blind vor Blutgier, und wenn er einmal das Fleisch eines Menschen gegessen hat, so mag er kein anderes mehr.«

»Und diesen Abu ’l Afrid habt ihr hier?«

»Ja. Ihn und den Herrn des Erdbebens.«

»Beide zusammen? Das ist selten!«

»O, Emir, sie wohnen nicht zusammen an einem Orte. Der König des Donners hat seinen Palast draußen in den Felsen der Ebene; der Panther aber kommt von weit her, vom Dschebel Berberu herab. Erst mordete er vier Schafe, dann eine Kuh, nachher ein Pferd. Als ihm dies nicht mehr schmeckte, holte er sich einen Menschen, und nun will er nur noch Menschenblut trinken. Niemand mag mehr bei den Herden wachen. Wir sind zu dem berühmten, großen Marabut ) nach Semela de Feraschisch geritten und haben ihn um Rat gefragt. Er hat gesagt, wir sollen losen, wer die Wache haben soll, alle Abende sieben Männer, zwei bei den Schafen, zwei bei den Rindern und drei bei den Pferden. Für einen jeden hat er uns ein Amulett gegeben, und dennoch hat Abu ’l Afrid wieder einen jungen Mann gefressen, und der ‚Herr mit dem dicken Kopfe’ hat sich ein Kamel geholt.«

»Stehen die Kamele bei den Schafen?«

»Ja, denn so ist es bei uns Sitte.«

»Und nun lost ihr hier, wer heut abend wachen soll?«

»Ja. Das erste Los hat meinen Sohn getroffen.«

»Welcher ist es?«

»Er ist nicht hier; ich habe an seiner Stelle gezogen. Er ist nach Kas bu Falha geritten und wird bald wiederkehren.«

»Ich werde mit wachen.«

»Emir, ist es wahr?«

»Ja, ich und der Emir auf Inglistan.«

»Mit deiner Zauberflinte?«

»Ich habe noch eine andere, mit welcher man den Sihdi es salßali ✽✽) und Abu ’l Afrid tötet. Es wird bald dunkel sein. Führe uns an die Orte, an denen des Nachts die Herden sich befinden!«

»Erlaube, daß ich erst die Losung beende!«

Ich suchte sogleich Sir Percy auf. Er saß bei Achmed es Sallah und radebrechte mit ihm ein schauderhaftes Arabisch.

»Halloh, Sir, es gibt ein Abenteuer!« rief ich ihm zu.

»Well! Ist mir recht! Was für eins?«

»Wir sollen den ‚Herrn des Erdbebens’ schießen?«

»Wen?« frug er erstaunt.

»Und den ‚Vater des obersten Teufels’, mit Respekt zu melden.«

)Mohammedanischer Heiliger. ✽✽) Herrn des Erdbebens = Lö­we.

»Geht selbst zum Teufel mit Eurem Scherz, Sir!«

»Es ist kein Scherz, Sir. ‚Herr des Erdbebens’ wird hier der Löwe genannt, und der ‚Vater des obersten Teufels’ ist ein schwarzer Panther.«

»Ein Löwe! Ein schwarzer Panther! Heavens! Ist dies Euer Spaß oder Euer Ernst?«

»Mein vollständiger Ernst!«

»Werden geschossen, die Bestien, Sir! Halloo, huzza! Aber wann und wo?«

Er war vor Freuden aufgesprungen, schlingerte die ewigen Beine und gestikulierte mit den unendlichen Armen, daß ihn die Beduinen mit furchtsamem Erstaunen anblickten.

»Wann? Heute nacht,« antwortete ich. »Wo? Scheik Mohammed er Ramaa [Raman] wird uns sogleich die Orte zeigen.«

Ich teilte ihm nun alles mit, was der Scheik mir erzählt hatte. Er war voller Freuden und lachte, daß sein großes, gelbes Gebiß zur ununterbrochenen Ansicht blieb. Trotz aller seiner Eigentümlichkeiten war er ein tüchtiger, mutiger Jäger. Wir hatten mit einander auf Ceylon den Elefanten und in Indien den Tiger gejagt, und Sir Percy hatte sich in den gefährlichsten Situationen als ein kühner Mann und sicherer Schütze bewährt. Er befand sich heute ganz am rechten Platze.

Der Scheik suchte uns auf und führte uns vor das Lager, wo man gerade im Begriff stand, die zerstreuten Tiere zusammenzutreiben. Auch hier war viel Brennstoff aufgehäuft, um die Würger der Herden durch die Feuer abzuschrecken. Das Terrain war eben und von allem Gefelse frei.

»Ihr habt die Tiere stets in drei einzelne Haufen zusammengetrieben?« fragte ich den Scheik.

»Ja.«

»Wenn wir Abu’ l Afrid oder den Sihdi es salßali schießen sollen, so mußt du thun, was ich begehre.«

»Ich werde es thun.«

»Du wirst zunächst die Pferde längs des Lagers in einer langen Linie aufstellen, dann die Rinder, dann die Kamele und dann die Schafe. Der Platz, auf dem die Tiere ruhen, soll ein Dreieck bilden. Die eine Seite dieses Dreiecks stößt dicht an das Lager, und die beiden andern Seiten bilden eine Spitze, welche gerade vom Lager absteht. Diese beiden Seiten werden nur von Schafen gebildet; die andern Tiere kommen nach innen, denn sie sind kostbarer. In dem Mittelpunkte des Dreiecks wird ein einziges, großes Feuer entzündet, welches den ganzen Platz beleuchtet.«

»Wo kommen die Wächter hin?«

»Mitten unter die Herden hinein. Sie können sich so postieren, daß sie von dem Herrn des Erdbebens nicht erreicht werden können. Ich und dieser Emir aber werden uns draußen vor die Herden lagern, ein jeder an eine Seite des Dreiecks. Den Wächtern

sagst du, daß sie auf keinen Fall schießen dürfen, außer wenn sie selbst angegriffen werden.«

»Herr, dein Plan ist gut; er ist weise, wie der Plan eines Feldherrn!«

Natürlich war dieser Plan sehr vorteilhaft für ihn und die Beduinen. Von der einen Seite wurden die Herden durch die Lagerzelte und von den beiden andern Seiten durch mich und Percy gedeckt. Die Araber konnten sehr zufrieden sein, daß wir zwei alle Gefahr auf uns nehmen wollten.

Als wir in das Lager zurückkehrten, wurden wir von jedermann mit staunenden Augen betrachtet. Es war diesen Leuten geradezu unbegreiflich, daß zwei Männer es wagen wollten, ganz allein es mit dem Löwen und einem schwarzen Panther aufzunehmen. Als wir an dem Krumir vorüberschritten, fing ich einen höhnischen, schadenfrohen Blick auf, den er auf uns warf. Vielleicht hoffte er, durch Abu ’l Afrid oder el Areth von zwei schlimmen Feinden befreit zu werden.

Der Scheik wollte mich nach seinem großen Zelte führen, welches neben demjenigen stand, in welchem ich bei den Frauen gewesen war. Achmed es Sallah hielt mich auf.

»Sihdi, du willst wirklich den Nimr und den Herrn mit dem dicken Kopfe töten?« fragte er besorgt.

»Ja.«

»O, Sihdi, ich weiß, daß du da drüben in Algier beide bereits getötet hast; ich weiß auch, daß du mehrere Herren des Erdbebens erschossen hast in dem Lande, wo die Kosa und Tempa ) wohnen; aber hier bei uns ist der König des Donners anders als in fremden Ländern; hier müssen ihn viele Kugeln treffen, wenn er sterben soll. Und der Nimr ist noch viel schlimmer; sein Leib hat tausend Leben; seine Seele ist aus tausend Teufeln zusammengewachsen; sein Rachen kann Eisen zermalmen; und seine Krallen sind unwiderstehlich, wie die Klauen eines Drachen. Bleibe hier, gehe nicht hinaus!«

»Was ist versprochen habe, muß ich halten.«

»So nimm mich mit, o Sihdi!«

»Du wirst mir nichts nützen, sondern du kannst mir nur schaden.«

»So werde ich beten zu Allah und dem Propheten, daß er die Augen des Nimr und des Vaters der Mähne verblende, damit sie andere Wege gehen.«

Er wandte sich betrübt von mir. Als ich an dem Frauenzelte vorüberwollte, hörte ich eine leise Stimme rufen: »Emir!«

Ich trat ein. Dschumeilah befand sich allein.

»Herr, du willst mit dem Sihdi es salßali kämpfen?« frug sie angstvoll.

»Ja.«

)Kaffern.

»Und mit dem Vater des Teufels?«

»Ja.«

»Allah illa Allah! Thue es nicht!«

»Warum nicht?«

»Du wirst sterben!«

Es sprach sich eine wirklich ernste, herzliche Besorgnis in ihrer vibrierenden Stimme aus. Ich ergriff ihr kleines, braunes Händchen.

»Hast du Angst um mich, Dschumeilah?«

»Sehr!«

Ich zog sie leise an mich.

»Habe keine Sorge! Ich fürchte el Areth nicht.«

»Aber ich fürchte ihn. Hast du nicht gesagt, daß du mein Bruder bist?«

»Ich bin es.«

»Warum willst du mich dann durch deinen Tod betrüben!«

»Würde er dich betrüben?«

Sie antwortete nicht, aber sie lehnte das Köpfchen fester an mich. Es kam eine seltsame, fremde Regung über mich. Dieses Mädchen war die einzige Seele unter den Uëlad Mescheer, welche es wirklich aufrichtig mit mir meinte. Ich legte ihr die Hand unter das Kinn, hob ihr Gesicht empor und küßte sie auf die warmen, nicht widerstrebenden Lippen.

»Allah segne dich, du Rose von Aïun, für die Freundlichkeit deiner Rede! Aber weißt du nicht, daß das Schicksal des Menschen im Buche geschrieben steht? Ich habe schon oft mit el Areth gekämpft und bin stets Sieger gewesen; er wird auch heut unterliegen.«

»Herr, mein Mund ist still, aber meine Seele bebt für dich. Kehre wieder, sonst wird Dschumeilah lange um dich weinen!«

Ich ging. Dieses Naturkind handelte rein nach der Eingebung ihres Herzens; sie hatte keine Ahnung davon, daß ihr Verhalten ein »inkorrektes« genannt werden könne. Wäre ich ein Beduine gewesen, so hätte es leicht sein können, daß sie meine Mochallah geworden wäre.

Als ich in das Zelt des Scheiks trat, fand ich dessen Weib beschäftigt, die Vorbereitung für das Mahl zu treffen. Diesem Umstande hatte ich es zu verdanken, daß ich Dschumeilah allein getroffen hatte. Auch hier war der Hauptbestandteil ein gebratenes Lamm; doch gab es wenig Nebenspeisen. Zu allerletzt brachte Dschumeilah noch eine Püree von getrockneten Wein- und Maulbeeren, mit süßer Sahne übergossen, ein Gericht, welches mir auch um der Hände willen mundete, die es bereitet hatten. Nach dem Essen traten wir wieder hinaus in das Freie und nahmen an einem der Feuer Platz, welche innerhalb des Lagers angezündet worden waren. Es ging da sehr lebhaft zu, denn Achmed es Sallah saß an demselben und erzählte von unsern Erlebnissen. Man machte uns sehr ehrerbietig Platz und vergnügte uns mit einem Mummenscherz

mit Tanz, den einige Beduinen in weiblicher Kleidung aufführten. Dann wurden allerlei Jagdabenteuer erzählt, welche uns in die richtige Stimmung brachten, und als es ungefähr anderthalb Stunde von Mitternacht war und ich mich mit dem Engländer erhob, erklang von allen Seiten die Versicherung, daß niemand schlafen werde.

Ich glaubte dies recht gern; stand ihnen allen doch ein Ereignis bevor, welches sie noch niemals erlebt hatten. Ich übergab meine Waffen außer der Bärenbüchse und dem Bowiemesser Achmed, der auch die Sorge für mein Pferd und meine andern Habseligkeiten übernommen hatte. Sir David Percy bewaffnete sich mit seinem vortrefflichen Elefantentöter und steckte einen vergifteten malaiischen Kris ) zu sich.

»Auf welche Seite geht Ihr, Sir?« frug er mich.

»Wollen wir losen?«

»Yes!« nickte er.

»Dreht Euch hinum! Ich halte mein Messer so, daß das Heft rechts und die Klinge links ist, oder umgekehrt. Was wählt Ihr?«

»Die Klinge.«

»Seht her; sie zeigt nach der rechten Seite; Ihr geht also rechts. Zuvor aber wollen wir rekognoszieren.«

Die Büchsen über die Schulter geworfen, traten wir zwischen die Zelte hindurch und hinaus auf den Lagerplatz der Tiere. Meine Anordnungen waren genau befolgt worden. In der Mitte brannte ein mächtiges Feuer, dessen Schein die Herden in der Nähe hell beleuchtete, während die ferneren Gruppen in phantastische Schatten gehüllt lagen. Die sieben Wächter saßen ganz in der Nähe des Feuers, wo sich diese gewaltigen Helden am allersichersten wußten. Auch die Hunde hatten sie bei sich, so daß also die große Schar der Tiere ganz allein der Obhut von uns beiden anvertraut blieb. Jetzt trennten wir uns; Percy ging nach rechts und ich nach links hinüber. Jetzt schon war weder der Löwe noch der Panther bereits zu erwarten; ich lief also meine Strecke noch unbesorgt ab, um zu sehen, ob die Tiere zusammenhielten. Zum Glücke wurden sie schon allein vom Instinkte in der Nähe des Feuers festgehalten. Die Kamele und Rinder inmitten des Dreiecks lagen ruhig wiederkäuend da, und die Schafe, welche die gefährlicheren äußeren Seiten einnahmen, hatten sich so dicht zusammengedrängt, als ob sie bereits die Stimme ihres gewaltigen Feindes gehört hätten.

Es war um die Zeit des Neumondes, die Sterne strahlten hell hernieder; aber ihr Schein verirrte sich in die flackernden Lichter des Lagerfeuers. Doch konnte ich, als ich an der Spitze des Dreiecks anlangte, wo mein Revier zu Ende ging, den Engländer noch erkennen, welcher ebenso wie ich beschäftigt war, seine

)Dolch.

Strecke einmal abzulaufen. Wir hatten beide unsere weißen Burnuß- und Turbantücher im Lager gelassen, um nicht schon von weitem die Augen des gefährlichen Wildes auf uns zu lenken.

Ich hielt es für angezeigt, meinen Standpunkt nicht gar zu sehr in der Nähe der Herden zu nehmen; ich zog mich vielmehr so weit von ihnen zurück, daß mich der Schein des Feuers nicht mehr irritierte und ich die ganze Linie, welche ich zu bewachen hatte, mit einem Blicke zu übersehen vermochte. Hier legte ich mich platt auf den Boden, Büchse und Messer griffgerecht, und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Der Löwe geht ebenso wie der Panther erst zur Tränke, ehe er sich sein Fleisch holt. Dabei werden beide laut. Die Ebene, in welcher der Herr des Erdbebens seinen »Palast« hatte, lag auf des Engländers Seite; es stand zu vermuten, daß er durch das Brüllen des Löwen gewarnt und benachrichtigt wurde. Meine Position dagegen war gefährlicher. Der Panther, welcher jedenfalls schon am Dschebel Berberu zur Tränke ging, von woher man seine Stimme nicht vernehmen konnte, kam dann jedenfalls ganz lautlos angeschlichen, so daß er mich sehr leicht überraschen konnte. Glücklicherweise waren mein Gesicht und mein Gehör während meiner vielen Irrfahrten zur Genüge geschärft worden, auch war mir jenes eigentümliche Witterungsvermögen zu eigen geworden, welches der Wilde Nordamerikas in so hohem Grade besitzt, und endlich verließ ich mich einigermaßen auch auf das unerklärliche Ahnen, welches uns sehr oft die Nähe einer Gefahr verkündet, wenn dieselbe von unsern Sinnen noch gar nicht bemerkt werden kann. Der Mensch ist der Kreatur gegenüber in den meisten Fällen viel besser ausgerüstet, als er anzunehmen pflegt.

So verging die Zeit in lautloser Stille; da — da endlich erscholl da drüben in der Ferne jenes tiefe, unbeschreibliche, grollende Rollen, welches der Araber »Rrad« ) nennt, und welches dem Löwen den Namen Sihdi el salßali — Herr des Erdbebens gegeben hat. Der »Herr mit dem dicken Kopfe« stand an der Tränke und benachrichtigte die Herden mit königlicher, stolzer Aufrichtigkeit, daß er Hunger habe. Ein- und zweimal wiederholte sich das Brüllen, welches mit keinem andern Laute genau verglichen werden kann; dann wurde es still.

Wohl eine Viertelstunde verging; da — ich schrak beinahe zusammen — erscholl die Stimme des Fürsten der Tiere plötzlich ganz in der Nähe, jenseits der

)Donnerrollen.

Herde. Er konnte keine tausend Schritte von derselben entfernt sein. Wäre er auf meiner Seite gewesen, so hätte keine meiner Wimpern gezuckt, so aber zitterte ich beinahe vor Erwartung, was jetzt erfolgen werde.

Die Schafe drängten sich wo möglich noch dichter zusammen; kein Tier von all den vielen gab einen Laut von sich; sogar die Hunde verhielten sich still. Die Furcht vor dem gewaltigen Herrscher hatte alles Lebendige gepackt. Ich lauschte atemlos. Da, noch ein lauter, kurzer Ton, daß die Erde zu erbeben schien, und gleich darauf ein Geräusch, als ob jemand von hoch herab auf die Erde springe — ein lautes, fürchterliches, scharfes Prasseln und Krachen von Knochen, ein Schuß — und noch einer; dann war es wieder still. Ich aber konnte mich nicht halten, so unvorsichtig es auch war; ich mußte wissen wie es stand.

»Sir Percy!« rief ich laut.

»Yes!« ertönte es herüber.

»Unverletzt?«

»Well!«

»Er war da?«

»Er selber!«

»Was hat er geholt?«

»Junges Kamel!«

»Ist er getroffen?«

»Hoffe es!«

»Bleibt! Die Mistreß könnte mit ihm sein!«

»Well!«

Der alte David Percy hatte also keinen guten Schuß gethan. Wie kam dies nur? Er war doch sonst im denkbarsten Grade zuverlässig! Wenn nun auch ich nicht gut oder vielleicht gar nicht zum Schusse kam, so waren wir zwei Jäger mit unserm großen Selbstbewußtsein bei diesen Beduinen blamiert in alle Ewigkeit!

Sollte sich wirklich auf meiner Seite nichts sehen lassen? Was war denn das? Ich legte mein Ohr auf die Erde. Wirklich! Ich vernahm ein Geräusch, ganz ähnlich dem, wenn jemand in genügender Entfernung von dem Hörer mit einem Stocke schnell über einen verschlossenen Fensterladen fährt. Diesen Ton kannte ich. Ich hatte ihn drüben in dem Pampas gehört, wenn der Jaguar des Nachts seine Exkursion begann und in stundenweiter Ferne seine Stimme übte. In der Nähe hat sie natürlich einen ganz andern Klang.

War dies der Panther, der vom Dschebel Berberu herniederstieg? Ich zog mich noch etwas weiter zurück, um ganz im tiefen Schatten zu liegen. Eine Viertelstunde verging, noch eine und noch eine.

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

Es ist eine Aufgabe, so lange Zeit auszuhalten mit Sinnen und Nerven, welche auf das höchste angespannt sind. Hatte ich mich getäuscht? Oder hatte das Tier sich nach einer andern Gegend gewandt? Würde der Panther kein Brüllen hören lassen, wenn er in der Nähe wäre? Herrgott, da unten beim ersten Zelte des Lagers bewegte sich etwas! Ich blickte schärfer hin — ah, es war ein Mensch, eine weibliche Gestalt, welche sich in den Schatten des Zeltes niederkauerte. Wer war es? Was wollte sie dort?

Ich hatte keine Zeit, nachzudenken, denn in demselben Augenblicke fühlte ich in der Luft jene eigentümliche Penetranz, welche jedes größere, in der Freiheit lebende Raumtier um sich verbreitet, die aber nur derjenige Jäger bereits von weitem empfindet, der sich viel mit solchen Bestien herumgeschlagen hat. Schnell wandte ich das Gesicht zur Seite. Himmel! Ich erfaßte mit einem einzigen Blicke zwei Körper, welche sich unhörbar über den Boden hinschlichen. Der eine näherte sich, von mir abgewendet, der Spitze des Dreiecks; der andere aber hatte mich bereits bemerkt und wandt sich leise, leise zu mir her. Der Panther hatte auch ein Weibchen; beide waren da, hier auf meiner Seite; heimtückisch, hinterlistig, ohne sich durch einen Laut, durch das geringste Geräusch zu verraten, waren sie herbeigekommen, echt panthermäßig, echt teuflisch — Abu ’l Afrid!

Natürlich hatte ich keine Zeit, diese Betrachtungen anzustellen. Er war noch ungefähr zwanzig Schritte von mir entfernt. Ich lag platt auf dem Boden. Schnell nahm ich das Bowiemesser zwischen die Zähne,

stützte mich langsam auf den linken Ellbogen, erhob den Lauf und zielte.

Er bemerkte diese Bewegung und hielt inne. Sich auf die Hinterpranken erhebend, duckte er sich vorn nieder. Seine Augen rollten groß und weit geöffnet in grünlich gelber Glut; sie wurden kleiner, schmaler; ich wußte, in dem Augenblicke, in welchem sie einen Strich noch bildeten, würde er springen. So weit aber durfte es nicht kommen. Ich hielt auf sein rechtes Auge, drückte ab und schnellte mich in demselben Momente mit solcher Gewalt vom Boden auf und nach der Seite hin, daß ich erst acht Schritte von der Stelle entfernt, auf welcher ich gelegen hatte, zum Halten kam.

Meinem Schusse war ein einziger brüllender Laut gefolgt, aber so markerschütternd, so gräßlich, daß drüben am Feuer die Hunde vor Angst zu heulen begannen. Ein einziger Blick genügte mit, um zu erkennen, daß die Kugel ihre Schuldigkeit gethan hatte — der Panther war tot.

Aber der andere? Ich blickte nach der Spitze des Dreiecks hinauf. Dort stand er, hoch aufgerichtet und herüber nach der Gegend starrend, in welcher er den Todesschrei seines Gefährten gehört hatte. Er besann sich; er schien noch einen zweiten Schrei zu erwarten. Dies gab mir Zeit, den abgeschossenen Lauf, zwar mit aller Sorgfalt, aber doch in fieberhafter Eile wieder zu laden. Dann zog ich mich weiter zurück und kniete nieder. Dies geschah natürlich alles viel schneller, als es sich erzählen läßt.

Ich hielt mein Auge auf den zweiten Feind gerichtet, und nur einen Gedanken lang schweifte es

hinüber nach dem ersten Zelte. Ich erschrak. Dort stand jene weibliche Gestalt, hoch aufgerichtet und hell vom Feuer beschienen, und starrte herüber zu mir. Was wollte sie? Wenn der Panther sie erblickte, so war sie verloren! Und, wahrhaftig, er sah sie; er begann, sich zu bewegen; er schlich sich auf sie zu. Sollte ich rufen — sie warnen?

Da hielt er plötzlich an; der Geruch des Blutes hatte ihn erreicht. Mit drei, vier, fünf weiten Sätzen war er bei dem toten Tiere. Nur einen Augenblick beroch er dasselbe, dann schnellte er sich mit einem wutröchelnden Gebrüll auf das Weib zu. In langen Sätzen sprang ich nach. Nie vorher und später habe ich solche Sprünge fertig gebracht. Hundert Schritte von mir erreichte er sie und riß sie nieder; aber, Gott sei Dank, sein Sprung war zu weit gewesen — er stürzte über sie hinweg. Im Nu stand ich fest, im Nu drehte er sich nach seinem Opfer zurück, im Nu auch krachte mein Schuß. Er zuckte zusammen. Es war ein gefährlicher Schuß gewesen, denn wie leicht konnte ich das Weib treffen! Doch er, er war getroffen; er hatte im Aufleuchten des Schusses meine Gestalt gesehen; er wußte, daß ich es war, der ihn verwundet hatte; er beachtete seine Beute nicht weiter, sondern schnellte sich auf mich herbei.

Ich hatte nur noch einen Schuß; ging dieser fehl, so war ich verloren. Machte das Tier keine Pause vor mir, so konnte ich nicht sicher zielen — es waren nur drei Augenblicke, aber drei fürchterliche. Doch, es sollte nicht so arg werden. Acht, neun Schritte vor mir hielt das Tier, von vorher klug geworden, wo sein Sprung zu weit gewesen war, an, um Distanz zu nehmen. Es war nur eine Sekunde lang, aber sie genügte. Das Auge des ergrimmten Tieres flammte förmlich in der Dunkelheit; es bot mir ein Ziel, wie ich es sicherer gar nicht haben konnte. Der Schuß krachte; ich schnellte mich seitwärts, aber dennoch fühlte ich ein Etwas meinen Oberarm streifen, ließ die Büchse fallen und griff nach dem Messer. Nur zwei Schritte vor mir zuckte der Panther am Boden — ein kurzes, ersticktes Röcheln, ein konvulsivisches Schlagen der Pranken — dann war es aus.

Diese fünf Minuten — denn in so kurzer Zeit war das alles geschehen — waren schwer und gefährlich gewesen, aber ich hatte noch schwerere Minuten und Stunden überstanden! Zunächst lud ich meine beiden Läufe wieder, dann eilte ich zu dem Weibe. Wer war es? Dschumeilah! Sie lag ohnmächtig am Boden, aber kein Tropfen Blutes, keine Spur einer Verwundung war zu sehen. Der Panther hatte sie nicht mit den Tatzen, sondern mit seinem Leibe niedergerissen. Ich hob ihren Kopf empor, und bei dieser Bewegung schlug sie die Augen auf. Es war also doch keine Ohnmacht; sie war bei voller Besinnung und hatte nur vor Angst die Augen geschlossen, weil sie jeden

Moment erwartete, von dem fürchterlichen Tiere zerrissen zu werden.

»Emir!« jubelte sie und legte die Arme um meinen Hals.

»Dschumeilah! Was thust du hier?«

»Ich hatte Angst um dich!«

Welch ein Mädchen, und welch eine Unvorsichtigkeit! Aber sollte ich ihr zürnen? Durfte ich zanken?

»Wenn dich nun der Panther tötete!«

»Allah war bei mir und du, Emir!«

Da aber richtete sie sich plötzlich empor und faßte mich beim Arm.

»Hier ist Blut! Du bist verwundet, Herr?«

Ich hatte es noch gar nicht bemerkt. Beim Todessprunge hatte eine Kralle des Tieres meinen Oberarm ein wenig aufgerissen.

»Es ist nichts, es ist nur eine Wenigkeit, Dschumeilah,« beruhigte ich sie.

»Ist’s wirklich nicht viel? Schmerzt es dich nicht?«

»Nein! Aber willst du dich hier sehen lassen? Man wird bald kommen. Weiß die Frau deines Oheims, daß du nicht im Zelte bist?«

»Nein. Sie schläft hinter dem Vorhange. Sie hüllt sich in ihre Tücher, denn sie fürchtet sich vor Abu ’l Afrid und dem Sihdi el Salßali.«

»Abu ’l Afrid wird euch nichts mehr thun. Ich habe ihn und sein Weib getötet.«

»Beide, Herr?« frug sie erstaunt.

»Beide. Nun aber kehre in das Zelt zurück, denn ich muß fort!«

»Herr, du bist ein großer Krieger; du bist ein Held, wie keiner hier. Dschumeilah wird dich nie vergessen!«

Sie schlich sich fort. Warum war ich kein Beduine! Oder warum war sie nicht die Tochter eines andern Landes! Auch ich habe sie bis heute nicht vergessen.

Ich untersuchte nun zunächst die beiden Tiere. Dasjenige, welches ich zuletzt getroffen hatte, war das Männchen. Sie waren beide von einer Größe, wie ich sie mir gar nicht vorgestellt hatte; sie konnten sich mit einem ausgewachsenen bengalischen Tiger messen.

Meine zwei Schüsse und die darauf folgende Stille schienen den Engländer besorgt zu machen, denn er that, was ich auch vorhin gethan hatte: »Halloo, Sir!« ertönte seine Stimme.

»Yes!« machte ich es ihm nach.

»War er da?«

»Well!«

»Getroffen?«

»Nein!«

»Fie devil — Pfui Teufel!«

»Yes!«

»Kommt Ihr herüber, oder soll ich — —?«

»Macht Ihr Euch auf die Beine!«

In zwei Minuten sah ich ihn oben um die Ecke biegen; nach einer dritten stand er bei mir.

»Vermaledeite Katzen!« brummte er.

»Miserabel!«

»Mein Kater kommt auch nicht wieder!«

»Wie groß war das junge Kamel? Ein Füllen oder Fohlen?«

»Hm, vielleicht zweijährig.«

»Na, Master Percy,« lachte ich, »da kommt Euer Kater allerdings nicht wieder, denn an einem zweijährigen Dschemmel kann er sich samt seiner Familie recht satt fressen. Aber, old shooter, warum habt Ihr das Tierchen denn nicht getroffen?«

»Tierchen? Reitet Euch der Teufel? Der Kerl war ja so groß wie ein achtzigjähriger Elefant!«

»Hopphopp!«

»Yes! Habe nie geglaubt, daß ein Löwe ein solcher Kerl sein kann; habe immer nur an die Katzen gedacht, die man in zoologischen Gärten und Menagerien zu sehen bekommt. Und sodann hatte ich meinen Stand sehr unglücklich gewählt. Er fiel zu weit links von mir in die Herde ein, und das Feuer, dessen Schein dazwischen lag, blendete mich. Aber getroffen habe ich ihn; das weiß ich ganz genau.«

»Habt Ihr den Schweiß gesehen?«

»Nein. Bin gar nicht von meinem Orte fortgekommen.«

»Trotzdem er so unglücklich gewählt war? Hättet Euch einen bessern wählen sollen, ungefähr so wie ich, dann hättet Ihr auch etwas geschossen.«

»Auch? Pshaw! Ihr habt ja auch nichts!«

»Hm! Kommt einmal hierher! Was ist das?«

»’sdeath! Ein Vieh!« rief er, sich niederbückend.

»Ja, ein schwarzer Panther. Kommt einmal einige Schritte weiter. So! Was ist das?«

»Zounds! Abermals ein Vieh!«

»Abermals ein schwarzer Panther, Männchen und Weibchen, Abu und Omm el Afrid — Vater und Mutter des obersten Teufels, sagen die Mescheer.«

»Aber Ihr sagtet doch, Ihr hättet nichts getroffen!«

»Wollte nur sehen, was Ihr meinen würdet. Da Eure Kugeln nichts machten, so mußte doch wenigstens ich meine Schuldigkeit thun, sonst wären wir ja ganz erbärmlich ausgelacht worden!«

»Hm! Könnte mich eigentlich ärgern! Habe verteufeltes Pech gehabt!«

»Grämt Euch nicht, Sir! Wir werden morgen am Tage den Vater des Erdbebens nebst Familie in seinem Tuskulum aufsuchen. Seid Ihr dabei?«

»Yes! Well!« nickte er freudig. »Werde mich dann besser halten! Aber, wo habt Ihr diese Kerls getroffen? Diese Bestien sollen ein noch zäheres Leben haben, als der Löwe.«

»Ins Auge.«

»Beide?«

»Ja.«

»All devils! Erzählt!«

Ich berichtete ihm das ganze Abenteuer ausführlich, und nur von Dschumeilah sagte ich nichts.

»Mensch,« rief er, »das ist ja ganz interessant gewesen!«

»Nur interessant? Hm, ich dächte, es sei noch etwas mehr gewesen!«

»Ja, Ihr konntet allerdings von diesem Vater und dieser Mutter des Teufels ein wenig zerrissen werden, aber daran muß man sich gewöhnen.«

»Gewöhnen? Ich denke, das lernt man gleich beim ersten Male! Aber meint Ihr nicht, daß wir jetzt Halloh schlagen wollen?«

»Meinetwegen!«

Er ärgerte sich doch ganz gewaltig, daß er nicht so glücklich gewesen war wie ich, und schritt recht kleinlaut mit mir dem Lager zu. Dasselbe war vollständig menschenleer, denn selbst diejenigen Männer, welche die dort brennenden Feuer zu unterhalten hatten, saßen während der Zwischenzeit in ihren Zelten. Es war ja immer möglich, daß der Löwe oder der Panther, statt zu den Herden, seinen Weg in das Lager nahm. Ich trat in das Zelt des Scheiks. Er lag auf dem Serir, von einer kleinen Thonlampe beleuchtet.

»Emir!« rief er aufspringend.

»Hole deine Männer!«

»Hast du den Herrn des Erdbebens besiegt?«

»Er ist nur verwundet; er wird erst morgen sterben; aber Abu ’l Afrid und seine Frau sind tot.«

»Ist das wahr, Herr?«

»Ich sage es!«

»Hamdulillah — Lob, Preis und Dank sei Allah, dem Allmächtigen, der Stärke und Segen in deine Hand gegeben hat! Denn daß du Abu ’l Afrid und seine Frau getötet hast, das ist ein noch größeres Wunder, als wenn du zehn Herren mit dem dicken Kopf getötet hättest. Erlaube, daß ich gleich die Tabl ) anschlage!«

Er zog einen kupfernen Kessel hervor, über welchen ein Trommelfell gezogen war, und trat damit vor das Zelt. Kaum waren die ersten Schläge erklungen, so öffneten sich alle Zelte, und sämtliche Insassen derselben, Männer, Frauen und Kinder kamen herbei. Jetzt sah man recht, daß kein einziger Mensch geschlafen hatte. Unsere vier [fünf] Schüsse waren gehört worden, und nun hatte ein jeder mit Spannung das Resultat derselben erwartet. Alle kamen wißbegierig und lautlos herbei, um zu hören, was der Scheik zu verkünden habe.

»Im Namen des allbarmheerzigen Gottes! Wahrlich, wir haben dir einen offenbaren Sieg verliehen,« begann er mit dem Anfange der achtundvierzigsten Sure

)Kesselpauke.

des Koran, »auf daß dir Gott deine früheren und späteren Sünden vergebe und seine Gnade an dir vollende und dich leite auf den richtigen Weg und dir beistehe mit seinem mächtigen Beistande! So steht es im heiligen Buch geschrieben, und so ist es heut an uns erfüllt worden durch die Thaten dieser Fremdlinge aus dem Abendlande. Hört, ihr Gläubigen, ihr Söhne und Töchter der Mescheer, daß Abu ’l Afrid getötet worden ist mit seinem Weibe, der Mutter des obersten Teufels. Nehmt Fackeln und feste Stricke von Palmenfaser und laßt euch von diesen beiden Helden führen zur Stätte des Todes, daß wir die toten Leiber des Teufelsvaters und der Teufelsmutter hereinschleifen in das Duar und ihnen die Haut ziehen von den Gliedern, die in der Hölle brennen mögen. Allah illa Allah we Mohammed Rasul Allah — Gott ist Gott, und Mohammed ist Gottes Prophet!«

Der Sturm des Jubels, welcher auf diese Worte allerseits losbrach, ist nicht zu beschreiben. Man umarmte sich; man beglückwünschte sich; man rief, schrie und brüllte zu Allah, zu Mohammed, zu allen Kalifen, zu mir, zu dem Engländer; es war ein Spektakel, der geradezu seinesgleichen suchte. Man brachte eine Mange Fackeln herbei, die man anzündete; Stricke wurden geschafft, und dann ging es hinaus vor das Lager, ich und Percy an der Spitze, neben mir aber auch Achmed es Sallah, der vor Glück und Freude ganz außer sich war, daß er mich lebendig wieder hatte. Der ungeheure Lärm machte auch die Herden rebellisch. Pferde wieherten, Kamele kreischten, Rinder brüllten, Schafe blökten und Hunde bellten und heulten. Und nun erst, als wir an dem Platze anlangten, wo die beiden Panther nicht weit von einander lagen!

Zunächst getraute man sich nicht an sie heran; als ich sie aber unbeschädigt nach allen Seiten drehte, und man sich also überzeugte, daß sie wirklich tot seien, stürzte sich alles auf sie zu. Man trat sie mit Füßen; man schlug sie mit Fäusten; man spuckte ihnen in das Gesicht; man ergoß eine Flut von Schimpfwörtern und Grobheiten über sie, wie sie nur die arabische Sprache in dieser Reichhaltigkeit und Drastik aufzuweisen hat. Ich mußte wirklich alle meine Kräfte aufbieten, um die schönen Felle vom Zerrissenwerden zu bewahren.

Endlich, endlich beruhigte man sich, und ich wurde von dem Scheik aufgefordert, zu erzählen. Ich that es in aller Kürze, und als man sich dann überzeugte, daß jedes Tier wirklich in das Auge getroffen sei, war des Staunens kein Ende. Die Panther wurden nun nach dem Duar geschleift, während ich mit Percy, Ali en Nurabi, Achmed, dem Scheik und einigen anderen, welche Fackeln trugen, nach der andern Seite ging, um nach den Spuren des Löwen zu sehen.

Ja, er war getroffen; er war vielleicht sogar gefährlich getroffen, denn er hatte bedeutend geschweißt,

und der Scheik stimmte gern ein, als ich ihm vorschlug, am Tage die Fährte des gewaltigen Tieres zu verfolgen. Daß es ein außerordentlich großes Exemplar sei, war an der Größe der Spuren zu erkennen. Das fortgeschleppte Kamel hatte dem Scheik gehört.

Als wir in das Duar zurückkehrten, war man bereits mit dem Abziehen der Felle beschäftigt. Sie wurden mir als mein wohlerworbenes Eigentum vorgelegt. Der Scheik betrachtete sie mit lüsternem Auge.

»Scheik Mohammed er Raman, willst du mir eine Bitte erfüllen?« frug ich ihn.

»Rede; ich höre!« antwortete er.

»Nimm dir von diesen Fellen dasjenige, welches dir am besten gefällt, und behalte es. So oft du es erblickst, magst du mein gedenken, wenn ich nicht mehr bei dir bin.«

»Emir, ist es wahr? Wolltest du wirklich diese kostbare Haut von Abu ’l Afrid verschenken?«

»Ich verschenke sie beide.«

»Beide?«

»Ja; denn ich kann sie nicht mit mir nehmen.«

»Wem soll die andere gehören, Herr?«

»Dschumeilah.«

»Dschumeilah! Warum?« frug er verwundert.

»Ist sie es nicht, die mich unter ihren Schutz nahm, als die Gefahr über mir zusammenschlug? Allah vergilt alles Gute und alles Böse; warum sollte der Mensch nicht dankbar sein? Gib das andere Fell der Tochter deines Bruders. Die Blume von Hamra Kamuda mag darauf ruhen und des Fremdlings gedenken, der heute ihr Freund und Bruder geworden ist!«

»Ich danke dir Emir! Dein Herz ist voll Güte, und deine Hand voll Segen. Darum sollst du auch die Stute und die Tochter erhalten, die dem Scheik der Sebira geraubt worden ist!« — — —

III.Ruhh es Sebcha.

Ehe ich mich zur Ruhe legte, verband mir der Scheik die kleine Armwunde; auch ließ er sich meine Jacke geben, um den darin entstandenen Riß von seinem Weibe ausbessern zu lassen. Im Duar herrschte die ganze Nacht hindurch ein reges Leben, so daß ich nur sehr wenig schlafen konnte. Man sprach von der bevorstehenden Löwenjagd und von den Heldenthaten, welche man dabei verrichten wollte. Die Mescheer waren jetzt, da sie uns bei sich wußten, auf einmal sehr mutige und unternehmende Löwenjäger geworden.

Kaum hatte mich das laute Summen des Morgengebetes aus dem Schlaf geweckt, so trat der Scheik wieder herein, um mir zu melden, daß alles zum Aufbruche bereit sei.

»Geht der Krumir mit?« frug ich ihn.

»Nein. Du weißt, Herr, daß er das Lager nicht verlassen darf.«

»Und dennoch wäre es mir lieber, ihn dabei zu sehen.«

»Warum, Emir?«

»Bist du sicher, daß er während unserer Abwesenheit nichts unternehmen wird, was ihm verboten ist?«

»Er hat sein Wort gegeben!«

»Er wird es nicht halten, ebenso wie er es bei den Sebira gebrochen hat. In seinem Herzen wohnt die Falschheit und auf seinen Lippen die Lüge.«

»Ich verspreche dir, daß die Männer, welche zurückbleiben werden, ihn beobachten sollen. Die Tochter en Nurabis und das Pferd desselben werden sicher vor ihm sein.«

»Das erwarte ich ganz bestimmt! Komm, laß uns gehen.«

»Wirst du deinen Hengst reiten?«

»Ja.«

»Erlaube, daß ich dir eines meiner Pferde anbiete. Der Herr mit dem dicken Kopfe liebt es, auf die Pferde zu springen, um den Reiter zu töten. Dein Hengst ist zu kostbar, um zerrissen zu werden.«

»Ich bin nicht gewohnt, den Löwen zu Pferde zu jagen, um vor ihm besser fliehen zu können. Ich pflege abzusteigen, um ihn stehenden Fußes zu erwarten. Habe also Dank für deine Güte; aber ich werde doch mein Pferd reiten. Wie viele Krieger nimmst du mit?«

»Die Hälfte meiner Leute.«

»So werde ich auch die Sebira teilen. Die eine Hälfte von ihnen mag uns begleiten, und die andern dreißig sollen hier im Lager bleiben, um darüber zu wachen, daß der Krumir nichts Böses thue.«

»Was du vornimmst, ist mir recht, Effendi. Du bist mein Bruder und mein Freund; du hast uns von Abu ’l Afrid und seinem Weibe errettet, und ich wünsche, daß du in Liebe und Frieden von uns scheidest.«

Ich traf, als wir das Zelt verlassen hatten, mit dem Scheik Ali en Nurabi die jetzt besprochene Vorkehrung, und dann brachen wir auf, gefolgt von gegen zweihundert Beduinen.

Die Spur des Löwen war sehr bald gefunden. Sie war nicht schwer zu verfolgen, da er viel Blut verloren hatte. Trotzdem aber hatte das gewaltige Tier das Kamel wohl an die fünfhundert Schritte weit fortgeschleppt, ehe es von dieser Anstrengung gezwungen gewesen war, eine kurze Rast zu machen. An diesem Orte nun erblickten wir eine große Blutlache, die uns sehr willkommen war.

»Ihr habt den Kerl doch nicht ganz schlecht getroffen,« meinte ich zu dem Engländer. »Die Menge Blutes, welche er verloren hat, läßt vermuten, daß er keine ungefährliche Wunde erhalten hat.«

»Aber dennoch hat er die Kraft besessen, das Kamel

noch weiter fortzuschleppen,« antwortete Percy. »Sollte er es bis zu seinem Lager getragen haben?«

»Das glaube ich nicht. Der Löwe hat, wenn er en famille lebt, die Eigentümlichkeit, nur in Gesellschaft auf den Raub zu gehen. Die Löwin folgt ihm mit den Jungen, falls diese laufen können, und bleibt mit ihnen an einem geeigneten Orte zurück, um ihn mit seiner Beute zu erwarten, welche er auf diese Weise nicht so weit zu schleppen braucht. Da wird das gemeinschaftliche Mahl gehalten, und dann kehrt die gesättigte Familie in ihr Lager zurück, die übrig gebliebenen Knochen und Brocken dem Schakal, der Hyäne und dem Geier überlassend. — Reiten wir weiter!«

Die wieder aufgenommene Spur führte auf einen dunklen Strich zu, welcher sich bei unserm Näherkommen als ein ziemlich dünnes und verkommenes Feigen- und Tamarindengestrüpp erwies. Die Mescheer machten Miene, in dasselbe einzudingen; ich hinderte sie daran: »Halt! Wir wissen nicht, was sich in dem Gebüsch befindet. Bleibt zurück, bis ich wiederkehre!«

Ich umritt mit dem Engländer das Gestrüpp, er nach rechts und ich nach links. Hinter demselben stießen wir wieder zusammen und trafen dort auf die Spur der Löwin und zweier Jungen. Diese Fährte war eine doppelte: die ältere führte in das Gebüsch und die jüngere wieder heraus und zurück. Es war also klar, daß sich der Löwe noch darin befand. Jedenfalls war er infolge seiner Verwundung nicht im stande gewesen, seiner Familie nach dem Lager zu folgen.

Jetzt kehrten wir zu den Beduinen zurück, welchen wir die Weisung erteilten, das ganze Gestrüpp zu umstellen und die mitgenommenen Hunde loszulassen, um den angeschossenen Löwen aufzujagen. Es geschah. Die Hunde, welche bisher nur mit Mühe zu erhalten gewesen waren, warfen sich vor, und bald hörten wir ihr wütendes Geheul aus einer Tamarindengruppe schallen.

»Sir, ich bitte Euch, ihn mit zu lassen!« sagte Percy.

»Nehmt ihn,« antwortete ich. »Ich werde nur dann schießen, wenn es not thun sollte.«

Wir stiegen ab und übergaben Achmed es Sallah unsere Pferde mit der Weisung, sich zurückzuziehen. Die Gewehre schußbereit, warteten wir; aber der Löwe ließ sich nicht sehen, und die Jagd stand auf demselben Flecke.

»Sollte er verendet sein?« meinte ich.

»Wollen sehen!« antwortete der Engländer, indem er sich nach dem Gebüsche zu in Bewegung setzte.

»Keine Unvorsichtigkeit, Sir!« rief ich. »Die Sache ist gefährlich.«

»Pshaw!« antwortete er, zwischen den Feigen eindringend.

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als ihm

zu folgen. Er arbeitete sich nach den Tamarinden hin, und ich blieb ihm auf der Ferse. Wir erreichten die Meute, welche die Tamarinden umstellt hielt, sich aber nicht weiter getraute.

»Was nun?« frug Percy. »Geben wir eine Kugel hinein?«

»Wollen sehen!«

Ich legte mich auf den Boden nieder, wo kein Gezweig den Einblick erschwerte. Da sah ich den Fürchterlichen liegen, zur Seite geneigt, mit gebrochenem Auge und alle viere von sich streckend.

»Sir, Euer Schuß war doch ein guter. Er ist tot.«

»Tot? Wirklich?!«

»Ja.«

Bei diesen Worten trat ich vor und bog die Zweige auseinander. Es war ein außerordentlich großes Tier. Die volle, schwärzliche Mähne umfloß wirr den massiven Kopf; die kräftigen, fest geschlossenen Lefzen waren von blutigem Schaum gerötet, und die gewaltigen Tatzen hatten sich im Todeskampfe nach einwärts gekrümmt. Eine große, tiefe Lache geronnenen Blutes umgab ihn, und neben ihm lagen die Überreste des Kameles, welche von der Löwin und ihren Jungen zurückgelassen worden waren.

»Heigh-day!« rief der Engländer. »Da endlich liegt der alte Kater! Wohin habe ich ihn getroffen, Sir?«

»Seht her! Hier hinter der linken Vorderpranke zwischen die Rippen hinein. Die Kugel muß ihn während des Sprunges erreicht haben.«

»Das ist ihm also doch ins Leben gegangen. Na, ist mir lieb. Brauche mich nun doch nicht auslachen zu lassen. Yes!«

Jetzt nun getrauten sich auch die Hunde herbei, und wir hatten alle Mühe, sie von dem Löwen abzuhalten, den sie gewiß arg zugerichtet hätten. Die Beduinen wurden herzugerufen, und als sie herangekommen waren, erhob sich ein ganz eben solcher Spektakel wie während der Nacht an den Leichen der beiden Panther. Als der König der Tiere genug verhöhnt und beschimpft worden war, wurden die Hunde wieder angekoppelt, und wir brachen auf, um die Löwin aufzusuchen. Bei dem Löwen blieben einige Männer zurück, um aus Ästen eine Schleife zu verfertigen und ihn dann mittels ihrer Pferde nach dem Duar ziehen zu lassen.

Die Löwin hatte ihren entschlafenen Gemahl vor noch nicht gar langer Zeit verlassen, denn ihre Spuren waren noch ziemlich frisch. Vielleicht hätte sie bei dem Toten ausgehalten, wenn sie nicht von der Sorge für die Sicherheit ihrer Junge geängstigt worden wäre. Sie hatte einen weiten Weg zurückzulegen gehabt, denn wir ritten wohl an die drei Viertelstunden, ehe wir das Felsenthal erreichten, in welchem sich der »Palast« des Herrn mit dem dicken Kopfe befand.

Als wir es zu Gesicht bekamen, hielt der Scheik

Mohammed er Raman sein Pferd an und deutete auf das wüste Steingewirr.

»Hier ist das Battn el Hadschar ), Emir, wo der König der Mähne sein Weib und seine Kinder hat,« sagte er. »Meinst du, daß sein Weib so mutig sein wird wie er selbst?«

»Sicher! Wenn eine Löwin ihre Jungen verteidigt, so ist sie doppelt zu fürchten.«

»Wer wird sie schießen, wir oder Ihr?«

Aha, der gute Mescheer schien bei dieser doppelten Fürchterlichkeit doch bedenklich zu werden!

»Wir!« antwortete ich. »Ihr sollt nur das Thal so umstellen, daß sie uns nicht entkommen kann. Bleibt zurück, bis wir uns den Ort genau betrachtet haben!«

Ich stieg mit dem Engländer wieder ab. Wir übergaben unsere Pferde Achmed wieder, nahmen unsere Büchsen und folgten der Fährte. Das Thal bildete einen nicht zu großen, länglichen Kessel, der nur einen einzigen Zugang hatte. Es hatte ganz das Aussehen, als sei es durch den jähen Einsturz einer unterirdischen Klüftung entstanden. Seine Wände stiegen sehr steil empor, und seine Sohle war von wirren Felsentrümmern angefüllt, zwischen denen einige harte Gräser dürsteten, während im Hintergrunde schlanke Farren und nackte Dornen ein schwer zu durchdringendes Dickicht bildeten.

»Da drin stecken die Katzen. Nicht, Sir?« frug Percy.

»Höchst wahrscheinlich. Wenigstens führen alle Spuren hinein, deren es hier genug gibt.«

»Hier können wir die Hunde nicht gebrauchen. Werden die Tiere mit Steinen heraustreiben. Well!«

»Soll ich die Löwin nehmen, Sir?«

»Nein. Laßt sie mir!«

»Meinetwegen. Sie ist beinahe ganz ohne Gefahr zu erlegen. Wir lassen die Pferde zurück und umzingeln das ganze Thal. Ihr könnt da links auf dem Vorsprunge Posto nehmen, wo sie gleich beim Austritt aus dem Dickicht zu treffen ist, und ich verlege ihr den Ausgang aus dem Thale. Solltet Ihr sie fehlen, so wird sie mein. Die Jungen sind uns nicht gefährlich. Sie werden noch nicht viel ausgegangen sein und sind noch täppisch, wie die Fährte zeigt.«

Wir kehrten zu den Beduinen zurück, um ihnen unsere Anweisung zu erteilen. Leider brachten wir sie nicht so weit, von den Pferden zu steigen. Sie dachten an die bessere Möglichkeit einer Flucht, ohne zu berechnen, daß die Löwin schnell genug sei, auch den besten Renner einzuholen. Sie umringten das Thal von allen Seiten und stellten sich hart am Rande desselben auf. Nur einige, die am hinteren Rande zu halten kamen, steigen ab, um von oben herab mit Steinen die Tiere aus dem Lager zu treiben.

Die linke Thalwand zeigte einen hohen, schmalen,

)„Bruch der Steine.“

kanzelähnlichen Vorsprung, der von unten garnicht, und von oben nur mit Vorsicht zu erreichen war. Percy kletterte zu ihm herab und konnte von da aus mit seiner Büchse das ganze hintere Terrain bestreichen. Ich legte mich am Eingange der Schlucht hinter einen Felsen. Die Hunde wurden von einigen Mescheers in gehöriger Entfernung zurückgehalten. In meiner Nähe, da wo der Rand sich niedersenkte und die Wand eine nicht mehr sehr steile Böschung bildete, hielt Scheik Mohammed er Raman. Er hatte wohl diesen Punkt gewählt, um bei aller Sicherheit doch einen Schein des Mutes zu behaupten.

Als diese Aufstellung genommen war, gab Percy das Zeichen, und sofort wurden eine Menge Steine von oben in das Dickicht herabgeworfen und gewälzt. Ein lautes Pfauchen und Knurren antwortete, jedenfalls von den Jungen ausgehend; dann ließ sich auch die Stimme der Alten vernehmen. Es war nicht das mächtige, brusttönende Brüllen eines männlichen Löwen, aber doch so durchdringend und erschütternd, daß die Menschen erblaßten und die Pferde zitterten.

Der Steinhagel wurde wiederholt. Percy lag platt auf dem Vorsprunge, zum tödlichen Schusse bereit. Da regte es sich vorn unter den Dornen, und eines der Jungen kroch hervor; die Alte aber ließ sich nicht sehen. Nach einigen Augenblicken kam auch das andere Junge nach.

»Zielt auf die Kleinen, ihr Männer!« rief der Scheik hinauf.

Man gehorchte ihm. Ein Stein traf die kleine Löwin. Sie kreischte schmerzlich auf, und sofort erschien die Alte, aber nicht mit majestätischem Schritte und verächtlichen Blicken, wie es der männliche Löwe gethan hätte, sondern leise und vorsichtig zu Boden geduckt, echt katzenmäßig. Von meinem niedrigen Standpunkte aus konnte ich sie sehen, während sie dem Engländer durch die Farrenwedel, unter denen sie sich noch befand, verhüllt wurde. Ihre Augen glühten grimmig auf die Reiter hervor, welche die vordere Seite des Kessels besetzt hielten; sie schien die Entfernung zu messen, und ob an den steilen Wänden emporzukommen sei.

Auch Mohammed er Raman konnte sie nicht sehen. Er trieb sein Pferd bis ganz an den Rand heran und rief: »Noch einmal auf die Jungen, ihr Männer! Wenn ihr sie —«

Er konnte den angefangenen Satz nicht vollenden. Er hatte sich zu weit herangewagt; der lockere Rand gab nach; sein Pferd verlor auf dem losen Steingeröll den Halt und stürzte. Mitten im Sturze warf er sich aus dem Sattel, aber ohne seine Absicht zu erreichen — Pferd und Reiter rollten in den Kessel herab, und zu gleicher Zeit erscholl rundum ein hundertstimmiger Schrei des Entsetzens. Kaum erblickte nämlich die Löwin den herabstürzenden Beduinen, so schnellte sie

unter den Farrenwedeln mit einer Schnelligkeit hervor, welche es dem Engländer vollständig unmöglich machte, einen sichern Schuß zu thun. Zwar drückte er ab, aber die Löwin war ebenso schnell wie die Kugel, von der sie nicht getroffen werden konnte. In weiten, unbeschreiblichen Sätzen kam sie unter heiserem Gebrüll dahergestürzt, um sich auf den Scheik zu werfen. Dieser versuchte eben, ob er sich von dem Falle erheben könne, als er sie erblickte.

»Allah illah Allah!« rief er in verzweifelter Angst und warf sich wieder zur Erde.

Jetzt war sie bei ihm — jetzt berührten ihre Tatzen zum letzten Male die Erde — da drückte ich ab. Die Löwin erhielt die Kugel im Sprunge und wurde von ihr um ein weniges zur Seite gerissen. Augenblicklich krachte auch mein zweiter Schuß — der Scheik stieß einen Schrei des Schmerzes aus; das Tier kam gerade neben ihm zu liegen und hatte mit der Kralle seinen Schenkel berührt. Mit einer mehr unwillkürlichen als überlegten Bewegung rollte er sich seitwärts; die Löwin riß den Boden auf, stieß ein letztes, ersterbendes Brüllen aus und streckte dann verendend die gewaltigen Glieder.

Ich hatte kaum zwölf Schritte entfernt von ihr gelegen und sprang herbei, um mit dem Messer bereit zu sein. Es war nicht notwendig; sie war tot.

»Stehe auf, Scheik,« sagte ich. »Sittna Areth ist gestorben!«

»Ist sie wirklich tot?« frug er mit vor Schreck ganz weißen Lippen, indem er sich von der Erde raffte.

»Ja.«

»Emir, sie wollte mich fressen!«

»Allerdings, und zwar mit Haut und Haar und Burnus. Du hättest gar nicht Zeit gehabt, die Sure des Todes zu beten. Nun aber ist sie selber in allen ihren Sünden von hinnen gefahren.«

»Sie wird in der Hölle wohnen, heut und in alle Ewigkeit, Effendi!«

Nach dem lauten Angstschrei aller hatte bis jetzt ringsum das Schweigen des Entsetzens geherrscht. Nun aber brach von allen Seiten ein wahrhaft betäubender Jubel los, und alles kam von rechts und links herabgeeilt, um in die Schlucht zu gelangen, die dem Anführer der Mescheer beinahe so verhängnisvoll geworden wäre.

Glücklicherweise hatte sich dieser keinen Schaden gethan, und die Verwundung seines rechten Schenkels bestand nur in einem leichten Risse, der ihm ein kleines Stückchen Fleisch gekostet hatte. Auch sein Pferd war wohlbehalten davongekommen. Am schlimmsten erging es wieder der toten Löwin, deren bürgerliche Ehre durch die verächtlichsten Worte und Gebärden vollständig zu Grunde gerichtet wurde. Ihre Jungen wurden gefangen genommen und gefesselt, um unsern Triumphzug zu verherrlichen.

Ein jeder war mit dem Ergebnisse unsers Jagdzuges zufrieden, nur der Engländer nicht. Auch er hatte sich eingefunden und stand jetzt an meiner Seite.

»Vexatious, immense vexatious — ärgerlich, ungeheuer ärgerlich!« brummte er. »Läuft mir diese armselige Katze unter der Kugel weg!«

»Tröstet Euch, Sir,« antwortete ich. »Sie ist doch noch getroffen worden!«

»Das ist’s ja eben! Getroffen worden, aber nicht von mir! Ich könnte sie tot prügeln, wenn sie noch nicht tot wäre. Yes!«

»Ich gebe Euch die aufrichtige Versicherung, Sir, daß ich sie auch nicht getroffen hätte, wenn ich an Eurer Stelle gewesen wäre. Sie fuhr ja so gedankenschnell aus dem Dickicht hervor, daß sie an Euch vorüber war, ehe Ihr nur den Finger anlegen konntet. Glaubt mir, es wird kein Mensch gering von Euch als Schütze denken.«

»Will’s hoffen! Würde einen jeden niederboxen, der es wagen wollte, sich über mich zu mokieren. Well! Ist aber ein gewaltiges Viehzeug, diese Katze; wohl kaum unter acht ein halb Fuß Länge. Wer unter solche Handschuhe gerät! Brrr!«

Da es hier kein Material zur Schleife gab, so wurde der Löwin die Haut abgenommen; das Fleisch blieb liegen. Dann brachen wir auf. Scheik Mohammed er Raman ritt neben mir.

»Emir,« meinte er, »ich habe dir mein Leben zu verdanken. Allah segne dich dafür! Sage mir, was ich thun soll, um dir zu zeigen, wie lieb ich dich gewonnen habe!«

»Wenn du wirklich glaubst, mir etwas schuldig zu sein, so sorge dafür, daß der Scheik Ali en Nurabi sein Kind und seine Stute zurückerhält!«

»Das habe ich dir bereits versprochen, und ich werde mein Wort halten. Aber du wirst mir erlauben, nachzudenken, welche Liebe ich dir noch erweisen werde. Was wäre ich jetzt ohne deine Kugel! Ihr habt uns errettet von Areth und Sittna Areth, von Abu ’l Afrid und Omm el Afrid. Nun können unsere Herden ruhig grasen, und die Söhne der Mescheer werden nicht mehr zerrissen und gefressen werden. Wir werden heut eine große Diffa ) halten, dir zu Ehren und zu Ehren des Emir aus Inglistan. Mein Leben ist dein Leben, und mein Tod ist dein Tod. Dein Wohlergehen soll mir sein wie das Auge, welches ich nicht verlieren will.«

Als wir auf dem Rückwege das Gesträuch erreichten, in welchem wir den Löwen gefunden hatten, war derselbe -

)Gastmahl, Gelage.

derselbe bereits fortgeschafft worden. Eine breite Spur, welche von der Schleife gezogen worden war, bezeichnete den Weg, den die Mescheer mit dem toten »Wüstenkönige« genommen hatten. Übrigens habe ich nicht gefunden, daß die Bezeichnung »Wüstenkönig« eine richtige sei. In der eigentlichen Wüste ist der Löwe nie zu sehen; er würde dort weder die notwendige Nahrung noch auch das Wasser finden, von welchem er als Fleischfresser täglich eine sehr ansehnliche Quantität verbraucht. Er kommt nur in der Steppe und den Oasen vor, welche er zu erreichen vermag, ohne lange und anhaltend Durst leiden zu müssen. Wunderbar war es übrigens, daß es uns hier gelang, einen Löwen und einen Panther samt den beiden Weibchen auf einem so engen Raum und in so kurzer Zeit zu erlegen. Wären die Mescheer unternehmender gewesen, so hätte ein solcher Fall wohl kaum eintreten können.

Als wir das Duar erreichten, wurden wir mit lautem Jubel bewillkommnet. Ich ritt sofort vor das Zelt des Scheiks, und war eben im Begriff abzusteigen, als sich dasselbe öffnete. Ein Mann trat heraus und eilte auf den Scheik zu, der an meiner Seite geblieben war.

»Allah akbar — Gott ist groß; er thut Wunder!« rief der letztere. »Mein Bruder! Kann dich mein Bote, den ich gestern zu dir sandte, bereits getroffen haben?«

»Dein Bote? Es hat mich kein Bote getroffen. Ich war in Fesschia und komme zu dir, um Dschumeilah, meine Tochter, zu holen.«

Dieser Mann also war der Anführer der Mescheer von Hadscheb el Aïun und Hamra Kamuda, der Vater Dschumeilahs und der Bruder Mohammed er Ramans. Sie sahen einander sehr ähnlich. Ich hatte noch nie gefunden, daß zwei Brüder Anführer zweier verschiedener Ferkahs seien; der eine von ihnen hatte also diese Würde jedenfalls nicht dem Herkommen oder der Geburt, sondern seinen persönlichen Eigenschaften zu verdanken. Sie umarmten sich; dann frug Mohammed er Raman: »Hast du Dschumeilah bereits gesehen?«

»Ja. Allah sei gepriesen, daß ich sie lebend gefunden habe!«

»Lebend? Dachtest du, sie tot zu finden?«

»O, wie leicht konnte ihr Leben zerronnen sein! Sie hat es dir verschwiegen, mir aber hat sie es gleich erzählt, nachdem ich angekommen war.«

»Was?«

(Fortsetzung folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Fortsetzung.)

»Sie ist gestern vor dem Zelte gewesen, und Abu ’l Afrid hat sie verschlingen wol­len —«

»Allah illa Allah! Davon weiß ich kein Wort!«

»Aber der fremde Emir hat sie errettet. O, zeige ihn mir, daß ich ihm Dank sagen kann!«

Mohammed er Raman sah mich erstaunt und fragend an.

»Dies ist der Emir aus Dschermanistan,« sagte er, auf mich zeigend, »der Abu ’l Afrid und Omm el Afrid getötet hat.«

Da faßte mich der andere bei beiden Händen.

»Herr,« rief er, »ich bin Omar Altantawi, der Scheik der Mescheer von Aïun und Kamuda. Du hast meiner Tochter das Leben erhalten; verlange mein Leben, und ich gebe es dir!«

»Ist es wahr?« frug mich Mohammed.

»Ich habe Abu ’l Afrid allerdings geschossen, als Dschumeilah, die Rose von Aïua, von ihm zerrissen werden sollte,« antwortete ich.

»Und heute rettest du mir das Leben, Herr? Hamdulillah — Allah sei gepriesen, der dich in mein Zelt geführt hat! Aber du hast mir das verschwiegen; tritt herein in das Zelt, und erzähl es!«

»Erlaube mir zuvor, daß ich mich überzeuge, ob der Krumir während unserer Abwesenheit keinen Verrat begangen hat!«

»Was sollte er gethan haben!«

»Welchen Krumir meinst du?« erkundigte sich Omar Altantawi.

»Saadis el Chabir vom Ferkah ed Dedmaka.«

»Herr, zürne nicht mir, wenn ich dir eine üble Botschaft sage!«

»Eine üble?« Sprich!«

»Dieser Krumir ist fort.«

»Fort? Unmöglich! Er wurde ja bewacht! Er hat geschworen, hier zu bleiben!« rief ich bestürzt.

»Er ist fort. Ich sandte einen Boten voraus, welcher meine Ankunft melden sollte. Darüber freuten sich die Männer des Duars, und sie kamen mir weithin entgegen, um mich mit einer Fantasia zu begrüßen. Kein einziger blieb im Lager zurück, und auch die dreißig Uëlad Sebira waren dabei. Sie dachten nur an mich und nicht an den Krumir, und als wir das Duar erreichten, war er fort.«

»Allein?«

»Mit Mochallah, dem gefangenen Mädchen.«

Ich war außer mir und hätte mich am liebsten gleich auf mein Pferd geworfen, um ihm nachzujagen, mußte mich aber doch weiter erkundigen: »Welches Pferd hatte er?«

»Allah verzeihe mir die böse Botschaft, die ich euch sagen muß! Aber die Männer fürchteten sich; sie erzählten mir alles und baten mich, es euch zu sagen. Er hat auf der Milchstute gesessen, und das Mädchen auf dem Falben. Die Frauen haben es gesehen. Das Mädchen war gefesselt, geknebelt und festgebunden.«

»Auf dem Falben?« frug Mohammed er Raman. »Auf welchen?«

»Auf dem, der dir gehört.«

Der Scheik stand ganz starr vor Schreck; der Falbe war sein Lieblingspferd, welches der Milchstute Alis an Wert wohl gleich kam. Dann aber bekam er wieder Leben. Mit einem einzigen Satze war er in das Zelt hinein, und im Momente wieder

erschien er mit der Kesselpauke. Zwei Minuten später waren alle männlichen Bewohner des Dorfes versammelt. Ein kurzes Verhör genügte, um uns die Situation klar zu machen.

Einige Zeit nach unserm Wegritte war ein Aïun-Mescheer gekommen und hatte verkündigt, daß Omar Altantawi im Begriffe stehe, die Gastfreundschaft des Duar in Anspruch zu nehmen. Dieser Scheik war außerordentlich beliebt im Lager, und daher hatte seine Ankunft die Männer alle zu einer Fantasia begeistert. Keiner hatte sich ausschließen wollen, um zurückzubleiben, und selbst der Krumir war mitgeritten. Unterwegs aber hatte er erklärt, daß er Scheik Mohammed er Raman aufsuchen wolle, um ihn von der Ankunft seines Bruders zu benachrichtigen. An diese Benachrichtigung hatte bisher gar niemand gedacht, und daher ließ man ihm den Willen. Da seine Uëlad Hamema mit bei der Truppe blieben, so hegte man nicht den geringsten Argwohn gegen ihn.

Er aber war, sobald er sie aus dem Gesichte verloren hatte, direkt nach dem Duar geeilt und hatte den Falben des Scheiks gesattelt, ohne daß dies von einer der Frauen beachtet worden war. Plötzlich aber hatte sich ein lautes Geschrei erhoben, und als man nachsah, von wem es herrührte, hatte man den Krumir erblickt, welcher mit der gefesselten Mochallah zu den Pferden eilte. Die Frauen hatten ihn zurückhalten wollen; als er sie jedoch mit seinen Waffen bedrohte, entsank ihnen der Mut. Nun hatte er dem Mädchen einen Knebel in den Mund gesteckt, sie auf das Pferd festgebunden und noch ein Säckchen mit Datteln zu sich genommen. Dann war er fortgeritten, und zwar in südlicher Richtung nach dem Dschebel Tiuasch zu.

Mittlerweile hatten die Mescheer und Sebira den Scheik Omar Altantawi getroffen und eine große Fantasia begonnen. Während dieses fröhlichen Scheingefechtes hatten die wenigen Hamema, welche mit waren, einen wilden Erneb ) aufgejagt, den sie zum Scherz zu verfolgen begannen. Sie entfernten sich während dieser Verfolgung auf ihren leichtfüßigen Pferden immer mehr von den andern und waren ihnen endlich gar aus den Augen verschwunden. Als diese dann mit ihrem Gaste im Lager anlangten, erfuhren sie die Flucht des Krumirs und ahnten sofort, daß das Verschwinden der Uëlad Hamema ein absichtliches gewesen sei. Den Plan dazu hatte ihnen der Krumir wohl mitgeteilt, und der Hase war ihnen recht willkommen gewesen, da er dazu dienen konnte, ihre Absicht zu bemänteln

Nun hatte ein ungeheurer Schreck die Männer erfaßt. Einige rieten, dem Krumir sofort nachzujagen; andere meinten, man müsse zuvor uns benachrichtigen; noch andere glaubten, es sei am besten, so zu thun, als

)Hase.

ob man gar nicht wisse. Man stritt hin und her; darüber verging eine kostbare Zeit. Dann wurde der Löwe gebracht, dessen Erscheinen das ganze Lager so in Anspruch nahm, daß man darüber den Krumir vergaß. Als man wieder an ihn dachte, wurde endlich beschlossen, dem Scheik Omar Altantawi die Sache vorzustellen und ihn zu bitten, uns schleunigst aufzusuchen und so die ersten Schläge des zu erwartenden Gewitters auf sich zu laden. Unterdessen aber waren wir nun selbst eingetroffen. So war eine ganze Reihe von Fehlern begangen worden, die nun leider nicht wieder ungeschehen gemacht werden konnten.

Mohammed er Raman wütete vor Zorn wie ein angeschossenes Wild. Er fluchte auf den eidbrüchigen Krumir und schimpfte auf seine nachlässigen Mescheer. Scheik Ali en Nurabi schwur bei allen Bärten der ganzen Welt, daß er seine Uëlad Sebira erschlagen werde. Mein armer Achmed es Sallah suchte Trost und Hife bei mir, der ich allerdings auch nicht gerade voll salbungsvoller Ergebenheit war. Der Ruhigste von allen war der Engländer. Er lag sehr bequem auf einem alten Teppich, kreuzte seine ewigen Beine über einander und meinte mit schadenfrohem Lachen: »Schön! ausgezeichnet! Nun geht das Abenteuer wieder los! Es wäre ja sonst alle gewesen. Verteufelter Schurke, dieser Krumir! Gefällt mir sehr, dieser Spitzbube! Yes!«

Die Flucht Saadis el Chabirs hatte mit einem Schlage die ganze Physiognomie des Lagers verändert. An unsere Jagderfolge dachte kein Mensch; statt der versprochenen Diffa gab es eine sehr stürmische Beratung; statt der Freude herrschte Ärger, und anstatt der friedfertigen Stimmung, auf welche ich seit meinem letzten Schusse sicher gerechnet hatte, hörte man gegenseitige Vorwürfe, welche allerdings ihrer vollen Berechtigung nicht entbehrten. Am zornigsten zeigten sich die beiden Scheiks Ali en Nurabi und Mohammed er Raman. Der erstere hatte seine dreißig unbedachtsamen Krieger versammelt und hielt ihnen unter aufgeregten Gestikulationen eine Strafrede, welche nichts zu wünschen übrig ließ. Und der letztere that ganz dasselbe mit seinen Mescheer, die er Hunde, Memmen, Feiglinge, alte Weiber, Läuse, Kröten und Schweine nannte, die eigentlich von Abu ’l Afrid und el Areth hätten gefressen werden müssen. Dazwischen wurde nach den Waffen und den Pferden gerannt, um dem Menschen nachzujagen, welcher sich des außerordentlichen, todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht hatte, seinen Eid zu brechen und seinen Gastfreund zu bestehlen.

Omar Altantawi gab sich alle Mühe, in diese Verwirrung einige Ordnung zu bringen, und ich unterstützte ihn dabei. Aber nur mit Widerstreben ließ man sich belehren, daß vor allen Dingen eine ordentliche Beratung stattfinden müsse, während eine unüberlegte

und übereilte Verfolgung alles verderben könne. Infolge dessen schieden sich die Ältesten von den andern aus und versammelten sich zur Besprechung.

»Rede du, Emir!« sagte Mohammed er Raman zu mir. »Du hast den Vater des Teufels besiegt, du wirst auch den Räuber meines Pferdes fangen. Ich weiß, daß du ihn bereits gefangen hättest, ehe er unser Duar erreichte, wenn man dir gehorcht hätte.«

Das war wenigstens eine vernünftige Rede, die mir alle Hoffnung gab, daß man nicht wieder ganz ungeeignete Vorkehrungen treffen werde. Darum antwortete ich: »Du bist ein Liebling des Propheten, o Scheik, denn dein Auge ist geöffnet für das, was gut und heilsam ist. Laßt euer Herz frei sein vom Zorne, ihr Männer, damit eure Gedanken nur das beschließen, was zu eurem Besten dient. Hört meine Rede und sehr, ob ihr sie befolgen wollt! Ihr habt mir gehorcht, als wir uns gegen el Areth und Abu ’l Afrid nebst ihren Frauen rüsteten, und darum haben wir sie besiegt; handelt ihr auch jetzt nach meinen Worten, so glaube ich, daß wir den Räuber fangen werden. Das aber sage ich euch: ich habe keine Lust, etwas zu unternehmen, von dem ich mir wieder sagen muß, daß es nicht gelingen werde. Sind eure Beschlüsse gut, so reite ich mit, sind sie aber nicht gut, so bleibe ich zurück!«

»Rede!« ertönte es ringsum.

»Hier ist meine Ansicht: Der Krumir ist nach Süden gewichen; wir müssen also zwei Abteilungen bilden; die eine folgt ihm unverzüglich, um ihn festzunehmen, sobald sie ihn erreicht, und die andere eilt zu den Hamema, um ihm dort zuvorzukommen, wo er ein Asyl suchen will. Sind die Mescheer mit den Hamema befreundet?«

»Wir leben in Frieden mit ihnen,« antwortete Mohammed er Raman.

Und Omar Altantawi gab eine Antwort, welche noch besser klang: »Die Beni Hamema wohnen jetzt jenseits des Dschebel Rakmat und des Dschebel Sihdi Ali Ben Aun. Ihre Dörfer gehen zwischen den Bergen von Segedel, el Bageri, el Meheri und der großen Sebcha es Dscherid bis zum Lande der Neffeti und an das Meer, welches die Abendländer den Golf von Gabes nennen. Ihr berühmtester Häuptling ist der alte Scheik Jamar es Sikkit, welcher sich im Lager von Sellum befindet, welche gegen Feriana liegt — —«

»Sellum und Feriana gehören doch nicht in das Gebiet der Hamema,« unterbrach ich ihn.

»Du hast recht,« antwortete er, »aber es wird dort ein großer Kamel- und Pferdemarkt gehalten, auf dem die Hamema immer die ersten sind. Sie treffen immer zwei Wochen eher ein, als die anderen Stämme. Der Krumir kennt diesen Markt, und ich glaube, daß er seinen Ritt ganz sicher von hier nach dem Dschebel Sellum lenkt.«

»Kennst du Jamar es Sikkit?«

»Er ist mein Freund; wir haben das Blut unserer Arme mit einander gewechselt.«

»So bist du der Mann, denn wir gebrauchen können. Hast du gute Pferde mit?«

»Ich habe vier Pferde, welche von derselben Güte sind wie der Falbe meines Bruders, den der Krumir mitgenommen hat. Aber diese Pferde sind in Fesschia geblieben.«

»Wir brauchen sie, um den Krumir einzuholen. Willst du sie uns leihen, Omar Altantawi?«

»Leihen? Ich selbst werde mit euch reiten. Du hast Dschumeilah, mein Kind, errettet; wo du bist, da bin ich auch. Wollt ihr mich mit euch nehmen?«

»Du wirst uns willkommen sein! Mohammed er Raman, hast du Pferde, von denen du glaubst, daß sie schnell genug sind, den Falben einzuholen?«

»Ich zähle fünf von solchen Tieren, aber der Falbe wird ihnen doch wohl überlegen sein.«

»Du darfst nicht vergessen, daß der Krumir seine Hamema bei sich hat, welche nicht so gut beritten sind. Sie sind ganz sicher zu ihm gestoßen, und er muß seine Eile mäßigen, um sie zu seinem Schutze bei sich zu behalten. Also hört die Vorschläge, welche ich euch zu machen habe: Wir dürfen nicht viele Leute mitnehmen, welche gar noch schlecht beritten sind. Darum gehen unsere sechzig Uëlad Sebira sogleich wieder nach ihrem Duar in Seraïa bent zurück.«

Dies wollte Ali en Nurabi nicht zugeben, aber er wurde überstimmt. Die Mescheer hatten ganz dieselbe Ansicht wie ich, daß einige Reiter, welche gute Pferde unter sich hatten und sich ein Ansehen zu verschaffen wußten, sich viel leichter in den Besitz des Räubers und seines Raubes zu setzen vermöchten als eine große Schar, welche das Mißtrauen derer, denen sie begegneten, erregen mußten. Ali en Nurabi erhielt überdies die Versicherung, daß die Mescheer ebenso für seine Sache kämpfen würden, als ob sie seine Untergebenen seien. Dieser Punkt also war angenommen.

»Nun teilen wir uns,« fuhr ich fort. »Mein Pferd und dasjenige Achmed es Sallahs, die fünf Pferde hier und die vier in Fesschia, das sind elf Pferde, vollständig genug zur Verfolgung des Krumirs. Von den fünf Pferden des Duar nimmt Mohammed er Raman eins und der Emir aus Inglistan, der einstweilen das seinige zurücklassen wird, eins; auch der Scheik Ali en Nurabi macht sich hier neu beritten; zwei bleiben übrig für zwei tapfere Krieger, welche wir aus dem Duar auswählen. Wir brechen sofort auf, um die Spur des Krumir zu verfolgen, und Scheik Omar Altantawi reitet eiligst nach Fesschia zurück, um mit seinen vier Pferden, wozu er noch drei Männer von den seinigen auswählt, zu uns zu stoßen. Wie weit ist Fesschia von hier?«

»Ich werde es in ein und einer halben Stunde erreichen, da Not vorhanden ist,« antwortete Omar. »Gewöhnlich reitet man über vier Stunden. Soll ich aufbrechen?«

»Warte noch! Wir müssen erst erfahren, auf welche schnelle Weise du uns erreichen kannst. — Nun ist noch eine andere Abteilung nötig, welche sich nach Abaïd, Melhila, Tiuasch, Caraat el Aatasch, Margeba, Sasia, Rakmat, Sihdi Ali Ben Aun, Gwasera, Segedel, el Bagera und Meheri verteilt, um die dortigen Duars zu warnen, den Räuber aufzunehmen. Auf diese Weise bleibt er ohne Schutz und wird uns ganz sicher in die Hände fallen. Mohammed er Raman und Omar Altantawi geben diesen Boten ihre Beglaubigung mit, damit ja keinerlei Zweifel entstehen kann. Wir elf aber bewaffnen uns gut und nehmen möglichst viel Proviant und Munition zu uns, um auch für einen längeren Zug möglichst unabhängig zu blieben. — Dies sind die Vorschläge, welche ich euch zu machen habe. Entschließt euch kurz, denn unsere Zeit ist kostbar!«

Omar Altantawi und Mohammed er Raman stimmten mir sofort bei; infolge dessen zeigten sich auch die andern einverstanden, und so wurden die notwendigen Vorbereitungen in aller Eile getroffen. Zunächst traten die Uëlad Sebira zusammen, um ihren Rückzug anzutreten. Sie hatten teil genommen an dem weiten Ritte, ohne uns irgend einen nennenswerten Vorteil zu bringen. Sie zeigten einige Sorge darüber, wie sich die Khramemssa bei einer Begegnung zu ihnen verhalten würden, doch beruhigte sie der Hinweis auf das Versprechen des Scheiks derselben. Das wiedergewonnene Bischarihnhedschihn nahmen sie mit, da wir es nicht brauchen konnten.

Sodann wurden die Eilboten nach den verschiedenen Duars abgefertigt, und dann stiegen auch wir zu Pferde. Zuvor hatte ich natürlich Abschied von Dschumeilah genommen; derselbe war ein sehr kurzer, da ihr Vater zugegen war. Sie gab mir ihre besten Wünsche mit und versprach mir, für mich zu beten.

Wir waren jetzt acht Reiter. Die Spur des Krumirs wurde sehr bald aufgefunden. Sie führte an einen Bach und folgte über eine Stunde lang dem Laufe desselben. In der Nähe des Dschebel Rökada aber bog sie rechts nach Westen ab. Es war klar, daß Saadis el Chabir die Absicht hegte, den Rökada und Semata zu umreiten, um dann entweder den Dschebel Margeba oder über Sihdi bu Ghanem den Dschebel Sebess zu erreichen. Dies letztere war sicherlich der Fall, wenn er nach dem Markte von Sellum gehen wollte. Doch schien mir dies, ganz entgegengesetzt der Ansicht des Scheik Omar Altantawi, nicht sehr wahrscheinlich zu sein; denn Sellum konnte dem Räuber doch keine sichere Zufluchtsstätte bieten, weil hier die Angehörigen sehr verschiedener Stämme zusammenkamen.

Bis jetzt hatte Omar ganz denselben Weg mit uns gehabt; nun aber mußten wir nach Westen biegen, während sein Ziel im Süden lag.

»Wo werde ich mit meinen vier Pferden auf euch treffen?« wandte er sich an mich.

»Unsere Spur umgeht den Rökada im Norden und wird sich dann jedenfalls wieder nach Süden bis zum Schemata ziehen. Wenn du von Fesschia gerade nach Sonnenuntergang reitest, wirst du ganz sicher auf unsere Fährte stoßen. Wir werden von Zeit zu Zeit einen Zweig in die Erde stecken, damit du dich gar nicht zu irren vermagst.«

»Du glaubst nicht, daß ich euch verfehlen kann?«

»Das ist unmöglich. Wie lange reitest du von Fesschia, welches auf den Bergen liegt, bis du in die westliche Ebene kommst?«

»Eine Stunde.«

»So werden wir, da wir einen Umweg machen, gar nicht lange auf dich zu warten haben.«

Er gab seinem Pferde die Sporen; wir thaten dasselbe, und bald hatten wir uns aus den Augen verloren. Darauf dauerte es nicht lange mehr, so trafen wir auf die Fährte der sechs Uëlad Hamema, welche hier mit derjenigen des Krumirs zusammentraf. Sie hatten also wirklich im Einvernehmen mit ihm ihre Entfernung von den Mescheer bewerkstelligt. Dann überschritten wir die Karawanenstraße, welche die südliche er Ramada durchschneidet, um die Hamada el Uëlad Ayar von Makten und Ras bu Falha aus über Haru el Haschem mit dem algierischen Tebessa zu verbinden. Gleich hinter derselben bog die Spur nach Süden ab, wodurch also meine Vermutung als richtig bestätigt wurde. Es war wirklich zu verwundern, daß Saadis el Chabir gar nicht daran gedacht hatte, seine Fährte zu verbergen oder unkenntlich zu machen. Sie lag so offen und klar vor uns, daß selbst der Unerfahrenste sich unmöglich in ihr irren konnte. Er mußte doch bereits erfahren haben, daß eine solche Sorglosigkeit zu seinem eigenen Schaden sei.

Es dauerte jedoch nicht lange, so sollte ich anderer Meinung werden. Als wir nämlich bereits so weit gekommen waren, daß wir die Vorberge des Hochplateaus von Sihdi bu Ghanem sich vor uns erheben sahen, begann der Boden felsig zu werden, und die Spur war nur zuweilen an einem aus seiner ursprünglichen Lage gestoßenen Steinchen, einer kaum sichtbaren Einschärfung oder einer ganz unbedeutenden Abrutschung zu erkennen. Ich mußte allen Scharfsinn aufbieten, um sie zu entdecken, und so kamen wir nur Schritt um Schritt vorwärts. Endlich, nach über einer halben Stunde, kamen wir wieder auf erdiges Terrain, aber — ich blieb augenblicklich halten, denn ich erkannte sofort die Hufeindrücke von nur zwei Pferden.

»Halt!« gebot ich; »berührt mir diese Ethar ) nicht!«

Ich stieg ab und maß. Der Krumir war doch endlich auf den klugen Gedanken gekommen, uns zu täuschen.

»Was siehest du?« frug Mohammed er Raman.

»Daß wir auf einer falschen Spur sind.«

»Maschallah, du hast dich täuschen lassen!«

»Ich werde nie getäuscht! Reitet einige hundert Schritte zurück! Ich muß diesen Felsen genauer untersuchen. Nur Achmed es Sallah mag hinter mir bleiben.«

Dieses letztere verlangte ich, um den Glauben zu erwecken, daß der brave Achmed wirklich etwas von der regelrechten Verfolgung einer schwierigen Fährte verstehe.

Ich bog rechts von der bisherigen Richtung ab, konnte aber trotz aller Sorgfalt nicht das Geringste bemerken. Ich ging also nach links hinüber und suchte. Meine Aufgabe war nicht leicht, da die Pferde der Verfolgten alle barfuß gingen. Hätten sie Eisen getragen, so wären genug sichtbare Eindrücke hinterlassen werden, die mir den nötigen Anhalt geboten hätten. Endlich, nach ziemlich langem Forschen, bemerkte ich, was ich suchte.

»Achmed, komm näher!« sagte ich. »Ich will einmal sehen, ob du eine Fährte entdecken kannst. Suche hier!«

Er that es, aber vergeblich.

»Sihdi, ich sehe nichts. Dieser Felsen ist so hart und glatt, daß kein Huf ein Zeichen zurückzulassen vermag.«

»Und doch! Blicke hier hernieder. Was siehest du?«

Er bückte sich und sah scharf hin.

»Ein ganz wenig Mehl, wie von einem zermahlenen Steinchen.«

»Richtig! Es war wirklich ein Steinchen, welches zermahlen wurde. Siehe genau hin, wie es zerrieben wurde! Geschah dies durch einen geraden Stoß von oben oder auf eine andere Weise?«

»Es sieht aus, als ob das Steinchen dadurch zerrieben wurde, daß sich jemand mit der Ferse darauf drehte.«

»So ist es. Es hat jemand darauf getreten und sich dabei auf der Ferse gedreht. Bei welcher Gelegenheit aber muß dies geschehen sein?«

»Sihdi, wie kann ich das wissen? Ich bin nicht dabei gewesen.«

»Wenn jemand sehr vorsichtig und langsam vom Pferde steigt, so berührt er zunächst mit dem rechten Fuße die Erde, und indem er den linken aus dem Steigbügel zieht, um ihn auf den Boden zu setzen, wird sich der rechte ein wenig drehen, aber einen bedeutenden Druck ausüben, weil das ganze Gewicht des Körpers auf ihm ruht. Ist dieser rechte Fuß nun

)Fährte.

zufälligerweise auf ein kleines Steinchen zu liegen gekommen, und besteht der Boden aus einem so harten Felsen, wie dieser es ist, so wird das Steinchen zerdrückt und zerrieben werden. Daraus folgt zunächst, daß einer der Reiter hier sehr vorsichtig und behutsam von seinem Pferde gestiegen ist. Warum aber so behutsam, Achmed?«

»Damit der Huf des Pferdes dabei keine Spuren macht. Habe ich es erraten, Sihdi?«

»Ja. Es ist ganz derselbe Grund, wegen dessen der Reiter überhaupt abgestiegen ist: er hat das Pferd erleichtern wollen, damit jeder Hufeindruck vermieden werde. Nun aber müssen wir erfahren, ob auch die andern abgestiegen sind.«

»Wie willst du dies erfahren?«

»Ich werde suchen.«

Ich forschte weiter und machte recht bald einen zweiten Fund: »Schau hier, Achmed, was ist das?«

»Eine Schlange, mit einem Messer in den Stein gezeichnet.«

»Nicht mit einem Messer, sondern entweder mit einer eisernen Lanzenspitze oder mit dem Fersenstachel. Die Hamema haben statt der Sporen eiserne Stachel, wie du gesehen haben wirst. Es ist einer hier abgestiegen und dabei ausgeglitten; hierbei hat der Stachel den Boden aufgeritzt. Oder der Mann hat die Spitze seiner Lanze während des Absteigens aufgestemmt und ist mit derselben ausgerutscht. So ist diese Schlangenlinie entstanden. Zwei also sind vom Pferde gestiegen, folglich die übrigen wohl auch. Die Tiere sollten so leicht wie möglich auftreten können. Ich suche weiter. Sage den andern Männern, daß sie langsam folgen sollen!«

Ich folgte der jetzt eingeschlagenen Richtung weiter und gewahrte bereits nach fünf Minuten da, wo der Stein in weicheres Erdreich überging, abermals die Spuren zweier Pferde. Nun erriet ich sehr leicht das Experiment des Krumirs und rief meine Begleiter herbei.

»Was hast du gefunden?« fragte Ali en Nurabi.

»Daß der Krumir doch nicht so unvorsichtig ist, wie ich dachte,« antwortete ich. »Er hat sich sehr viel Mühe gegeben, uns in die Irre zu führen.«

»Hast du seine Spur verloren?«

»Nein. Seht euch einmal diese Gegend an! Der felsige Boden, welcher nun hinter uns liegt, geht hier in ein weicheres Erdreich über. Die Grenze zwischen dem Stein und der Erde ist ziemlich scharf und geht hier links hinüber, indem sie einen weiten, halbkreisförmigen Bogen bildet. Um uns nun von sich abzubringen, ist Saadis el Chabir mit seinen Leuten vom Pferde gestiegen, damit die Tiere leicht auftreten konnten und möglichst jede Spur vermieden, hat sich längs dieser Grenze auf dem harten Boden hingeschlichen und von Zeit zu Zeit zwei seiner Reiter von

sich abgeordnet. Auf diese Weise müssen vier verschiedene Fährten entstehen, von denen eine jede nach einer andern Richtung geht. Entweder stoßen sie später wieder zusammen, oder der Krumir setzt mit Mochallah seinen Weg allein fort und hat sich von den andern gänzlich getrennt, in der Hoffnung, daß wir einer von ihren Spuren folgen werden und ihn also auf diese Weise entkommen lassen. Zwei Fährten habe ich bereits entdeckt; die andern beiden werden wir sicher auch bald sehen, wenn wir immer an der Grenze zwischen dem Felsen und dem lockeren Boden hinreiten. Es soll ihm nicht gelingen, uns zu betrügen. Kommt und folgt mir weiter!«

Ich ging voran und fand auch bald die dritte Fährte. Als ich mein Papier auflegte, fand es sich, daß sie nur von zwei Hamema herrührte. Jetzt war also nur noch eine Spur zu erwarten, und diese mußte nun dem Krumir angehören.

Während wir der jetzigen Richtung weiter folgten, sahen wir hinter uns vier Reiter auftauchen. Es war Omar Altantawi mit seinen drei Mescheer, welche sich als außerordentlich gut beritten zeigten. Nachdem sie begrüßt und über den Grund unsers langsamen Vorrückens unterrichtet worden waren, setzten wir die Suche fort.

Es dauerte lange, lange, ehe ich endlich die gesuchten Hufeindrücke fand. Mein Papier paßte ganz genau in die Tapfen des einen Pferdes; dieses war die Milchstute gewesen, und um ganz sicher gehen zu können, riß ich ein neues Blatt aus meiner Zeichenmappe, um mir auch von dem Falben eine genaue Abbildung der Hufe zu verschaffen.

Nun aber ging es mit verdoppelter Eile auf der neu entdeckten Fährte weiter, denn wir hatten eine nicht unbedeutende Zeitversäumnis einzubringen. Ich war begierig, zu erfahren, welche Richtung der Krumir nun eingeschlagen haben würde, denn aus dieser Richtung konnten wir auf seine Pläne schließen. Nach Verlauf von kaum einer Stunde war ich mir über sie im klaren.

Vom Dschebel Sebissa, an der algierischen Grenze, Tebessa gegenüber, zieht sich ein bisher noch wenig bekanntes Flußgebiet quer durch Tunesien bis zur Sebcha Sihdi el Hani, welche auch der See von Keruan genannt wird, im Osten des Landes. Mehrere, wenn auch unbedeutende Wasserläufe münden von Süden und von Norden her in dieses Gebiet, und einer der vornehmsten dieser Zuflüsse ist der Sufletwa, welcher am Dschebel Semata entspringt, etwa vierzig Kilometer weit gerade nach Süden geht und dann unterhalb des Ortes Sbeitla oder Sufletwa nach Osten biegt. Wir fanden, daß der Krumir sich an dem rechten Ufer dieses Flüßchens immer abwärts gehalten hatte. Das war die Richtung nach dem Dschebel Mangeba, an dessen Fuß eine Ferkah der Mescheer

ihre Herden weidete. Auch dorthin hatten wir Boten gesandt, und es kam nur darauf an, wer eher ankam, er oder sie. Er hatte die besseren Pferde für sich, sie aber die gerade Richtung über den Tiuasch und die südwestliche Hochebene des Haluk el Melbila. Sie ritten jedenfalls die ganze Nacht, während er, um das Mädchen zu schonen, wahrscheinlich ein Lager nehmen mußte.

Wir konnten unsere Pferde anstrengen und trotz der Aufmerksamkeit, welche ich auf die Spur zu verwenden hatte, in der Stunde über eine deutsche Meile zurücklegen. So kamen wir gegen Sonnenuntergang an dem östlichsten Ausläufer des Semmama Amran vorüber und hielten, als es dunkel war, in der Nähe des Karawanenweges zwischen Sbeitla und Semela de Feraschisch an, um die Nacht vorüber zu lassen.

Bei Tagesanbruch saßen wir bereits wieder im Sattel. Es gab hier Grasland ringsumher, und darum waren die gestrigen Spuren des Krumirs noch zu erkennen. Zu meiner Verwunderung aber führten diese nicht nach Margeba, sondern rechts ab auf das Belad Aatasch zu. Es lag also in seiner Absicht, alle Stämme der Mescheer zu vermeiden und direkt zu den Hamema jenseits Sihdi Ali Ben Aun zu gehen. Es lag mir sehr daran, hierüber Gewißheit zu erlangen, besonders als ich, bei seinem Lagerplatz angekommen, bemerkte, daß er nur kurze Zeit ausgeruht hatte und bereits vor Mitternacht wieder aufgebrochen war. Er hatte dadurch seinen Vorsprung um wenigstens drei Stunden vergrößert.

Mit anhaltender Eile vorwärts strebend, hatten wir das Flußthal von Aatasch bald erreicht, setzten über das seichte und nicht sehr breite Wasser und langten noch am Vormittage auf der Höhe der Nubaberge an. Von hier aus lief die Spur nach Südosten in die große Vorebene von ed Deban hinab, und nun war ich meiner Sache gewiß.

Ich hielt an und stieg ab, um die Pferde einige Minuten ausruhen zu lassen.

»Scheik Omar Altantawi,« fragte ich, »Du weißt sicher, das Jamar es Sikkit, der alte Scheik der Hamema, sich im Lager zu Sellum befindet?«

»Ja.«

»Wie lange brauchst du von hier aus, um das Lager zu erreichen?«

»Man reitet wohl fünf Stunden, aber in der Not brauche ich nicht zwei.«

»Und wie weit wird es von hier aus nach dem ersten Duar der Hamema sein, welches dort jenseits der Ebene bei Ben Aun liegt?«

»Man reitet sieben Stunden; bei unserer Schnelligkeit aber erreichen wir den Ort ganz sicher in drei.«

»Dieser Krumir ist hier links hinab nach Ben Aun; er befindet sich wohl bereits unter dem Schutze der Hamema, denn er hat wenigstens fünf Stunden

Vorsprung, und unsere Boten können unmöglich bereits dort angekommen sein.«

»Emir, so müssen wir rasch nach Sellum reiten und den alten Scheik holen!«

»Das wollte ich ja auch sagen. Nur er kann uns helfen; aber wir müssen bis dahin den Krumir festhalten und beaufsichtigen. Zwei Mann nach Sellum sind genug. Nimm einen deiner Mescheer und reite hinüber, während wir andern hier weiter gehen. Wenn deine Zeitangaben richtig sind, so reitet man von Sellum bis Ben Aun höchstens sechs Stunden, und du kannst also mit dem Scheik bereits vor Sonnenuntergang wieder bei uns sein.«

»O, Effendi, von Sellum nach Ben Aun geht ein sehr guter Karawanenweg. Wenn ich Jamar es Sikkit gleich treffe, werde ich noch früher bei euch eintreffen. Seid guten Mutes! Die Hamema kennen meine zwei Männer, welche bei euch sind; sie werden sich nicht weigern, das zu thun, was ihr von ihnen verlangt.«

Er ritt mit seinem Mescheer nach rechts hinab. Wir gaben unsern Pferden einige Datteln und folgten darauf unserm Wege. Es ging alles so, wie ich es vermutet hatte; auch die Berechnung Altantawis stimmte, und kurz vor der Mittagszeit erblickten wir von fern den ersten Reiter, der auf die Nähe eines Duar schließen ließ. Bald gesellten sich mehrere und noch mehrere hinzu, die zu einer Truppe anwuchsen, welche uns im brausenden Galopp entgegenkam. Wir wurden von ihnen umringt. Ali en Nurabi ergriff das Wort: »Sallam aaleïkum! Zu welchem Stamme gehöret ihr?«

»Wir sind Hamema vom Ferkah Feran,« antwortete einer.

»Wie heißt der Scheik dieses Ferkah?«

»Jamar es Sikkit Ben Mulei Halefis Bakudani. Und ich bin Sar Abduk Ben Jamar es Sikkit, der Anführer dieser Männer.«

»So bist du der Sohn des Scheik. Wir hören, daß er sich im Lager von Sellum befindet?«

»Ihr habt recht gehört. Wollt ihr zu ihm?«

»Wir wollen in euer Duar, um euch um Brot und Salz zu bitten.«

»Wer seid ihr?«

»Ich bin Ali en Nurabi, der Scheik der Rakba von Ferkah Uëlad Sebira. Dieser ist Scheik Mohammed er Raman, der Anführer der Mescheer vom Dschebel Schafara; diese beiden Männer sind Emire aus dem fernen Frankistan, und die andern sind Mescheer, die uns begleiten.«

»Ich kenne euch,« antwortete der Hamema stolz. »Ihr werdet weder Salz noch Brot mit uns essen, denn ihr seid die Feinde unserer Freunde.«

»Du irrst. Wir kom­men — — —«

»Schweig!« unterbrach ihn Sar Abduk mit drohender -

drohender Stimme. »Du sagtest, daß du Ali en Nurabi seist, der Scheik der Uëlad Sebira. Seid ihr nicht Feinde der Hamema Uëlad Mateleg, welche ihr auf der Karawanenstraße von Testur nach Kef bekämpfen wollt?«

»Sie wollen die Kafila berauben, welche unter unserm Schutze steht!«

»Wer hat sie in euren Schutz gegeben? Mohammed es Sadak Pascha! Ihr seid die Knechte eines Pascha geworden und kämpft für elende Krämer mit eurem Blute, um noch elenderes Geld zu erlangen. Ihr seid unsere Feinde und wollt Salz und Brot mit uns essen! Ihr verfolgt unsern Freund und Bruder Saadis el Chabir und verlangt Gastfreundschaft von uns! Ihr wagt es sogar, zwei Giaurs aus Frankistan zu uns zu bringen, um uns, unsere Zelte, unser Duar, unsere Weiber und Kinder zu verunreinigen! Allah verdamme diese ungläubigen Hunde! Ein guter Moslem speit vor ihnen aus und bindet sie an den — — —«

»Speie aus, du Knabe!« unterbrach ich ihn.

Mit einem einzigen Satze meines Pferdes war ich an seiner Seite, faßte ihn beim Genick, riß ihn zu mir quer über den Sattel herüber und setzte ihm das Messer an die Kehle. Ließ ich mir eine so schwere Beleidigung gefallen, so wäre unsere Sache ein für allemal verloren gewesen. Im Nu hatte alle Hamema die Waffen zur Hand, aber auch meine Leute waren schußbereit. Mein Überfall war so schnell, so unerwartet und so kräftig geschehen, daß Sar Abduk sich in meiner Hand befand, ehe er nur daran denken konnte, sich zu wehren. Ich ließ ihm die Spitze meines Messers an der Gurgel fühlen und sprach: »Wärst du nicht der Sohn des Scheik Jamar es Sikkit, den ich achte und verehre, so würde dich mein Messer an die Brücke es Ssirath ) jagen. Aber ich sage dir, redest du noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, so ist deine Seele dem Engel des Todes verfallen. Gehe hin, und steige wieder auf dein Pferd!«

Ich ließ die Hand von ihm, und er rutschte von meinem Pferde herab. Er stand da, ganz bleich vor Schreck, vor Scham und Grimm, und starrte mich wie abwesend an. Dann zog er seinen Dolch und drohte: »Was hast du gewagt, Fremder! Soll ich dich erstechen?«

Ich hielt ihm den Revolver entgegen.

»Du mich? Hat dir mein Messer nicht bereits an der Kehle gesessen? Erhebe die Hand, wenn du zu deinen Vätern versammelt sein willst! Es ist besser für dich und euch, wenn ihr in Frieden vernehmt, was wir von euch begehren, denn wir fürchten euch nicht, trotzdem ihr eurer mehr seid als wir, und noch vor Untergang der Sonne wird Jamar es Sikkit

)Die Brücke, welche die Toten zum ewigen Gerichte führt.

von Sellum herüberkommen, um euch zu sagen, daß wir eure Gäste sind.«

»Er kommt nicht!«

»Er kommt, sage ich! Kennst du Omar Altantawi, den Scheik der Mescheer von Hadscheb el Aïua und Hamra Kamuda?«

»Ich kenne ihn.«

»Ist er euer Feind?«

»Er ist unser Bruder.«

»Nun wohl. Er ist mit uns gewesen und jetzt nach Sellum geritten, um Jamar es Sikkit, deinen Vater, zu holen.«

»Sagest du die Wahrheit?«

»Ein Emir aus Frankistan sagt niemals eine Lüge! Siehe diese beiden Mescheer von Ferkah des Scheik Altantawi! Kennst du sie?«

Meine Furchtlosigkeit schien ihm zu imponieren, da er mir so gutwillig Rede stand. Und jetzt, als er die beiden Männer zum erstenmal genau ansah, hatte es ganz den Anschein, als ob er ein wenig verlegen würde.

»Ich kenne sie,« antwortete er.

»So wirst du dich wohl hüten, uns feindlich zu behandeln, bevor du die Befehle deines Vaters vernommen hast!«

»Was wollt ihr von uns?«

»Beantworte meine Frage: Ist Saadis el Chabir bei euch, der Krumir vom Ferkah ed Dedmaka?«

»Ja.«

»Er hat uns zwei Pferde und ein Mädchen geraubt. Wir verlangen, daß du ihn und seinen Raub an uns auslieferst!«

»Er ist unser Führer gewesen auf vielen unserer Wanderungen; er hat heut wieder Salz mit uns gegessen und Wasser mit uns getrunken; wir werden ihn keinem Menschen ausliefern!«

»So wirst du die Verantwortung aller Folgen übernehmen müssen!«

»Ich übernehme sie. Ihr seid unsere Feinde; ihr steht unter der Blutrache, denn ihr habt einen Hamema getötet im Duar von Seraïa bent.«

»Er war ein Räuber; er wollte diese Pferd, auf welchem ich sitze, rauben und einen unserer Männer töten.«

»Sein Blut muß dennoch gerächt werden!«

»Aber nicht von euch. Er gehörte nicht zu euch, sondern zum Ferkah Uëlad Mateleg, das nur in sehr weiter Verwandtschaft zu euch steht.«

»Aber er war ein Hamema. Wir werden euch festhalten und an die Uëlad Mateleg ausliefern.«

»Und wenn alle Hamema zusammenträten, um uns zu halten, es würde ihnen nicht gelingen, das sage

ich dir. Aber wir werden freiwillig bei euch bleiben, denn wir wollen die Ankunft deines Vaters erwarten. Führe uns in dein Duar!«

»Das thue ich nicht. Bis der Scheik Jamar es Sikkit über euch entschieden hat, werden wir euch als unsere Feinde betrachten. Wir werden euch bis vor das Duar führen und dort bewachen, bis er kommt,«

»Thue das! Aber ich warne dich, den Krumir entkommen zu lassen. Er mag unter eurem Schutze bleiben, bis der Scheik euch seinen Willen kund gegeben hat!«

Die Hamema nahmen uns in ihre Mitte und führten uns bis vor das Duar, welches mitten in der freien Ebene lag. Aber im Südosten sahen wir die Spitzen des Dschebel Gwassera, im Süden die Höhen des Dschebel Maschura und zwischen beiden den einsamen Kamm des Dschebel Segedel am Horizonte sich erheben.

Wir lagerten uns nieder und ließen unsere Pferde rund um uns grasen. Eine weit überlegene Anzahl bewaffneter Hamema umstellte uns; aber keiner von ihnen nahte sich, um ein Wort mit uns zu sprechen oder uns einen Schluck Wasser zu bringen, dessen wir so sehr bedurften. Unser Gespräch drehte sich ganz allein um die Sorge, daß man uns den Krumir entschlüpfen lassen werde, eine Sorge, welche leider gar nicht unbegründet war. So verging eine Stunde nach der andern; die Sonne sank vom Zenithe immer weiter herab, und mit ihr sank auch unsere Geduld. Da endlich sahen wir an einer Bewegung der uns umstellenden Hamema, daß sich auf der Ebene draußen irgend etwas ereigne. Ein Trupp von ihnen verschwand aus der Nähe und kehrte bald mit drei Reitern zurück, unter denen wir Omar Altantawi erkannten; der dritte war jedenfalls der so sehnlichst erwartete Scheik Jamar es Sikkit. Er war ein Siebenziger von hohem, noch ungebeugtem Wuchse; sein faltiges Angesicht war von der Sonne bis zur Lederfarbe verbrannt, und sein dichter, schneeweißer Bart hing ihm bis über die Brust herab.

Wir erhoben uns von der Erde. Er sprang mit seinen zwei Begleitern vom Pferde und erhob bewillkommnend die Hände: »Seid mir gegrüßt, ihr Brüder meines Freundes. El Schems ) leite eure Wege, und el Kamar ✽✽) bewache die Ruhe eurer Nächte. Eure Väter freuen sich über euren Wandel, und eure Söhne nehmen sich die Thaten eures Armes zum Vorbilde. Welcher von euch ist Scheik Ali en Nurabi, der Anführer der Sebira?«

)Die Sonne. ✽✽) Der Mond.

(Schluß folgt.)

Der Krumir.

Nachdruck verboten.
Ges. v. 11./VI. 70.

Nach den Erlebnissen eines »Weltläufers« von Karl May.

(Schluß.)

»Ich bin es,« antwortete der Genannte.

»Reiche mir deine Hand! Deine Seele ist betrübt von einem großen Verluste; aber tröste dich, denn ich werde dir wiedergeben alles, was man dir genommen hat! Welcher ist Mohammed er Raman, der Scheik der Mescheer?«

»Ich bin es!«

»Reiche auch du mir deine Hand, denn du bist der Bruder dessen, den ich liebe! Du sollst mir willkommen sein heute und allezeit! Wer sind die beiden Emirs aus dem Frankenlande?«

»Diese beiden sind es,« antwortete Omar Altantawi. »Dieser redet die Sprache der Gläubigen, jener aber nicht.«

Der Alte blickte mich lange vom Kopfe bis herab zu den Füße an; dann sagte er: »Emir, ich habe viel von dir vernommen. Du fürchtest dich vor einer ganzen Schar von Feinden nicht; du hast den Sihdi es salßali getötet und Abu ’l Afrid überwunden; du kannst die Darb und Ethar lesen, wie ein TalebKamar ) im Buche liest. Wenn des Abends am Feuer die Lieder von den Siret el behlumanKamar ✽✽) und den Siret el modschaheddinKamar ✽✽✽) ertönen, so wird man auch deinen Namen hören. Allah segne deinen Eingang in mein Lager, obgleich du ihn in einer andern Weise verehrst! Aber Allah illa Allah — Gott ist Gott; er ist derselbe, welchen Namen man ihm auch geben mag. Sage dem andern Emir, der meine Worte nicht versteht, daß er mir und den Meinen willkommen ist!«

»Ich danke dir, Jamar es Sikkit! Dein Herz ist erfüllt von Güte, und deine Seele ist die Wohnung der Weisheit und des Verstandes. Wir sind bisher zurückgewiesen worden von den Deinen; du aber lässest Gerechtigkeit walten und gibst der Wahrheit die Ehre, wie es der Prophet geboten hat. Geleite uns in dein Zelt, denn es verlangt mich, Worte der Freundschaft zu sprechen mit dem weisesten und berühmtesten Scheik der Hamema!« antwortete ich.

»Setzt euch wieder auf!« bat er. »Solche Gäste sollen ihre Füße nicht bestäuben, wenn sie einziehen in das Duar es Sikkits, des Hamema.«

Wir stiegen also wieder zu Pferde und ritten in das Lager ein. Am Eingange zu demselben erwartete uns Sar Abduk, der Sohn des Scheiks. Seine Miene war eine finstere. Er sah, wie willkommen wir seinem Vater waren, und versteckte seine Verlegenheit hinter einem unwilligen Angesichte.

)Gelehrter. ✽✽) Thaten der Helden. ✽✽✽) Thaten der Kämpfer.

»Mein Sohn,« gebot es Sikkit, »heiße meine Gäste willkommen, denn sie sind auch die deinigen!«

Der Angeredete gehorchte und reichte uns allen die Hand; dann schloß er sich uns an, während wir durch das Lager ritten. Vor dem großen Zelte des Scheiks angekommen, stiegen wir ab, und auf den Wink des Anführers regten sich viele Hände, um unsere Pferde in Empfang zu nehmen und Matten zu den nötigen Sitzen herbeizuschaffen. Das alles hatte einen echt patriarchalischen Anstrich. Hätten Palmen dagestanden, so wäre man versucht gewesen, zu glauben, daß man im Haine Mamre bei Abraham bewillkommnet werde. Jamar winkte einen jungen Beduinen herbei.

»Man schlachte von meinen Lämmern und bereite für meine Gäste ein Mahl, wie es dem Hungrigen gefällt!« befahl er ihm.

Ich aber hielt es für geraten, dagegen noch zu protestieren: »Erlaube, o Scheik, daß nicht eher eine Speise über unsere Lippen komme, als bis die Sache erledigt ist, wegen der wir zu dir kommen!«

»Herr,« antwortete er, »ich sehe, daß du handelst wie ein Mann, dem Allah die Kraft des Willens und der That verliehen hat. Ich würde gerade so thun wie du, und dein Wunsch soll erfüllt werden.« Er wandte sich zu seinem Sohne: »Man rufe Saadis, den Krumir herbei!«

In dem Gesichte des jungen Mannes zuckte es eigentümlich, und erst nach einer kleinen Weile antwortete er: »Er ist nicht hier.«

Wir alle traten bei diesen Worten einen Schritt näher. Der Alte runzelte die Stirn und frug: »Nicht hier? Wo ist er?«

»Fort.«

»Allahi! Warum?«

»Weil er hörte, daß diese Männer angekommen seien.«

»Was hat er mitgenommen?«

»Das Mädchen.«

»Und auch die beiden Pferde, auf denen er kam?«

»Ja.«

»Allah ’l Allah, ïa Allah! Und du hast ihn fortgelassen!« brauste der Scheik auf. »Ist dein Verstand finster geworden, daß deine Gedanken solche falsche Pfade wandeln? Du vernichtest meinen Namen und zerstörst den Ruhm meines Hauses. Du bist der älteste meiner Söhne, aber der jüngste unter ihnen hätte klüger gehandelt!«

Sar Abduks Augen funkelten. »Konnte ich ihn zurückhalten?« frug er zornig. »Er war unser Gast

und unser Bruder. Was gingen mich die Sachen dieser Männer an, die mich vom Pferde rissen und mir mit dem Messer drohten!«

»Wer hat das gethan?«

»Ich,« antwortete ich. »Sar Abduk nannte uns Giaurs, welche Allah verdammen müsse, und die man anspeien solle. Würdest du dies dulden, Scheik? Allah hat mir die Kraft der Arme gegeben, wie sie kein Hamema besitzt; ich nahm den Lästerer vom Pferde und legte ihm das Messer an die Kehle, um ihm zu zeigen, was er eigentlich verdient habe. Aber weil er der Sohn es Sikkits war, gab ich ihn wieder frei. Anstatt mir nun dafür zu danken, verklagt er mich, daß ich gütig und barmherzig gegen ihn war.«

Der Scheik blickte lange vor sich nieder. Kein Zug seines ehrwürdigen Angesichtes verriet die Gedanken, die ihn jetzt beschäftigten, und die Gefühle, welche ihn bewegten. Dann frug er den Sohn: »Wußtest du, daß Omar Altantawi mich holen wollte?«

»Ja,« antwortete dieser zögernd.

»So durftest du nichts thun und nichts erlauben, bevor ich selbst gekommen war. Du hast mein Angesicht beschämt und wirst die Strafe büßen müssen. Wohin hat sich der Krumir gewendet?«

»Er will von hier nach dem Dschebel Sihdi Aisch, dann nach dem Uëlad Schahia, um über Seddada, Toser, Nefta, Sihdi Khalifat und Tarsud nach Tuggurt zu gelangen.«

»Hat er dir nicht einen falschen Weg gesagt?«

»Nein.«

»So will ich dir deine Strafe sagen: Du nimmst unsere schnellsten Pferde und so viele Krieger, als du bedarfst, und jagst ihm augenblicklich nach. Wo du ihn triffst, da nimmst du ihn gefangen oder tötest ihn. Nie sollst du wieder vor mein Angesicht kommen, als wenn du das Mädchen und die beiden Pferde zurückbringst. Ich schwöre es bei Allah und Mohammed, dem Propheten!«

»Gefangen nehmen oder töten?« rief der Sohn. »Er ist unser Gast!«

»Nein! Er ist nicht mehr unser Gast. Wäre er es noch, so hätte er seinen Raub zurückgeben müssen, ihn selbst aber hätte keiner anrühren dürfen. Nun aber hat er unsere Zelte verlassen; er steht nur unter seinem eigenen Schutze.«

»Aber er war unser Führer!«

»Er war es, aber er ist es nicht mehr. Er hat zweimal seinen Schwur gebrochen und zweimal die Gastfreundschaft mit einem Raub belohnt, wie ich von Omar Altantawi erfahren habe; er soll von jetzt an sein wie die Hyäne, welcher man keine Kugel gibt, sondern die man mit dem Knüppel tot schlägt. Laß die Pferde satteln, denn es ist keine Zeit zu verlieren. Meinen Schwur hast du gehört, und, bei den Gebeinen meiner Väter, ich werde ihn halten!«

Da widersprach Mohammed er Raman: »Laß deine Krieger hier, o Scheik! Glaubst du, wir könnten ihnen überlassen, wozu wir selbst die Kräfte haben? Sollen wir hier feig und thatenlos sitzen bleiben und vor Ungeduld vergehen? Nein, wir selbst jagen ihm nach. Habe ich recht gesprochen, Ihr Männer?«

Wir stimmten ihm unter lauten Zurufen bei. Der Scheik wollte widersprechen: »Ihr werdet ihn nicht finden; Ihr kennt die Gegend nicht!«

»O, dieser Emir kann die Spuren lesen,« antwortete Ali en Nurabi. »Wir werden auf seiner Ferse sein, bis er in unsere Hände fällt.«

»So ruht euch wenigstens vorher aus und nehmt das Mahl der Gastfreundschaft von mir an!«

»Verzeihe, Jamar es Sikkit,« antwortete ich. »Du weißt, wie kostbar eine jede Minute für uns ist. Wir müssen fort!«

»So nehmt von mir mit, was euer Herz begehrt! Und dieser mein Sohn soll bei euch sein, denn der Scheik der Hamema hat noch nie sein Wort zurückgenommen. Seine Stute ist schnell wie der Blitz; der Räuber kann ihr nicht entgehen. Und noch eine andere habe ich, die noch von keinem zweiten Pferde eingeholt wurde. Ich leihe sie euch, wenn eines Eurer Tiere ermüdet ist.«

Das war ein hochherziges, seltenes Anerbieten, und ich zögerte nicht, sofort zuzugreifen: »Dein Herz spendet Wohlthat wie die tauende Nacht, o Scheik! Dieser tapfere Achmed es Sallah, mein Freund und Gefährte, hat seine Wadi Serrat Stute zu sehr ermüden müssen, so daß ihr vielleicht die Kraft versagt, wenn dieselbe am nötigsten ist. Behalte sie hier, und leihe ihm dafür die deinige. Er wird sie lieben und pflegen, als ob sie ihm gehörte, und sie wieder gegen die seinige umtauschen, wenn wir zurückkehren!«

Es lag mir sehr daran, Achmed bei der Ergreifung des Krumir eine hervorragende Rolle spielen zu lassen, da er sich ja Mochallah verdienen mußte. Deshalb war es notwendig, ihm zu einem Pferde zu verhelfen, welches seinem jetzigen, das bereits über seine Kräfte hatte thun müssen, überlegen war.

»Er mag sie nehmen,« antwortete der Scheik. »Kein Bedawi ) verborgt seine Stute; aber euer Recht wurde von den Meinen verletzt, und so will ich mich nach Kräften bemühen, euch wieder zu demselben zu verhelfen.«

»Wie lange Zeit ist es her, daß der Krumir das Duar verlassen hat?« fragte ich Sar Abduk.

»Die Sonne hat seitdem den fünften Teil ihres Bogens durchlaufen.«

»Sind Fackeln im Lager?«

»Ja.«

)Beduine.

»Man nehme welche mit, damit wir auch des Nachts reiten können!«

So waren wir denn wieder einmal in der Erwartung, den Krumir fest zu haben, betrogen worden. Aber das gütige Verhalten des Scheik machte jeden Vorwurf zur Unmöglichkeit. Sein Sohn ergab sich ruhig in seine Lage, und nach und nach schien die Jagd nach dem Räuber sein Interesse immer mehr in Anspruch zu nehmen. Er hatte sich durch den Krumir gegen uns einnehmen lassen, schien aber im Verlaufe unseres Rittes die Buße gar nicht hart zu finden.

Mein wackerer Achmed saß in wahrhaft fürstlich stolzer Haltung zu Pferde. Ein so edles Tier hatte er noch nie unter sich gehabt, und es war ihm die Ungeduld, den Krumir zu Gesicht zu bekommen, sehr leicht anzumerken. Bei einer etwaigen Hetzjagd blieb er sicherlich nicht der letzte.

Es war eine Stunde vor Sonnenuntergang, als wir das Duar verließen. Sar Abduk wollte sich als Führer an unsere Spitze setzen, mußte aber zurückbleiben, denn die Spur war mir zuverlässiger als das, was ihm der Krumir über seine beabsichtigte Route mitgeteilt hatte. Diese Mitteilung konnte recht leicht eine Lüge sein.

Die Fährte wurde gefunden, und da wir die kurze Stunde noch recht ausgiebig benutzen wollten, so flogen unsere Pferde nur so über die Ebene dahin. Sie konnten sich später erholen, und so trieben wir sie zur höchsten Eile. Als die in jenen Gegenden so kurze Dämmerung hereinbrach, hatten wir den vier Meilen langen Weg bis zum Sihdi Aisch zur Hälfte zurückgelegt.

Nun brach die Nacht herein; el Mogreb wurde gebetet, und dann brannten wir die Fackeln an. Natürlich kamen wir nun langsamer vorwärts und erreichten den Dschebel Aisch erst nach weiteren zwei Stunden. Hinter demselben, also westlich von ihm, sendet der Tarfaui seine klaren Wellen nach Süden zu. Er entspringt, wenn ich mich recht besinne, auf dem Höhenzuge, welcher sich südlich von dem Dschebel Schambi von Nordost nach Südwest erstreckt, geht an Feriana vorüber, macht bei Gassa einen scharfen Bogen nach Westen und läuft dann in den kleinen Schott Baadscha, welcher im Süden des Dra el Haua liegt.

Als wir den Tarfaui erreichten, war die Spur auf einmal verschwunden. Ich ahnte sofort dieselbe List, welche der Indianer und der Westmann Nordamerikas zuweilen anwenden, um ihre Verfolger irre zu leiten, stieg ab, ließ mir die Fackel geben und leuchtete damit in das Wasser. Richtig! Bei dem Scheine derselben zeigten die klaren Wellen sehr deutlich die Hufspuren zweier Pferde. Der Krumir hatte sich das Bette des Wassers zum Pfade gewählt. Um die Fährte nicht zu verlieren, brauchten nur die beiden Ufer sorgfältig beachtet zu werden.

Eine volle halbe Stunde lang hatte es dem Verfolgten im Wasser gefallen; dann war er aus demselben herausgegangen, um eine direkte westliche Richtung einzuschlagen. Ungefähr eine deutsche Meile westlich von dem Tarfaui fließt nämlich parallel mit ihm ein anderes Flüßchen nach Süden, welches sich mit ihm oberhalb Gassa vereinigt. Dieses Nebenflüßchen hatte der Krumir aufgesucht und war in dem Wasser desselben ebenso geritten wie in demjenigen des Tarfaui. Dann hatte er es wieder verlassen, um die Richtung nach dem Uëlad Schahia aufzunehmen.

Nun aber waren unsere Fackeln alle verbrannt, und da die Mitternacht nahete, und wir und die Pferde doch einiger Ruhe bedurften, machten wir Lager, stellten eine Wache aus und versuchten zu schlafen. Es gelang allen, nur Ali en Nurabi nicht, den das wiederholte Mißlingen unserer Anstrengungen in eine Aufregung versetzt hatte, welche keinen Schlummer aufkommen ließ. Als die Schläfer beim Anbruche des Tages geweckt wurden, hatte er noch kein Auge zugethan.

Das Morgengebet wurde gesprochen; man trank einen

Schluck Wasser, aß einige Datteln, sattelte dann die Pferde, und der Ritt begann von neuem.

Wir näherten uns heut jenen wenig besuchten Ländereien, in denen die Grenze zwischen Algerien und Tunesien noch heut eine streitige ist. Die hüben und drüben lebenden Beduinen befehden sich unablässig; es ist eine blutige unheimliche Gegend, in welcher die Blutrache alljährlich mehr Opfer frißt, als man glauben möchte. Wir mußten hier sehr vorsichtig sein.

Der Krumir war es auch. Dieser Mann entwickelte eine geradezu erstaunliche Ortskenntnis, und es zeigte sich, daß er seinen Ehrennamen el Chabir in der That verdiente. Die kleinste Vertiefung, der einzelnste Felsen oder Busch war von ihm benutzt worden, unbemerkt zu bleiben, Deckung gegen das Auge eines Unberufenen zu suchen. Und dabei hatte er alle Hindernisse mit einer vorhersehenden Sicherheit überwunden, welche Bewunderung verdiente und das sicherste Zeugnis dafür ablegte, daß er diese Gegend nicht zum erstenmale durchritt. Dazu mußten wir die Schwierigkeiten rechnen, welche ihm Mochallah jedenfalls bereitete; es war zu vermuten, daß er sie so an das Pferd gebunden hatte, daß sie sich vollständig in seiner Gewalt befand.

So erreichten wir um die Mittagszeit die Berge von Schahia, von denen aus man über den Dra el Haua hinweg in das gefährlichste Gebiet Tunesiens hinabblicken kann — in das Gebiet der Schotts und Sebchas nämlich. Da unten, gerade im Süden von unserm Standorte aus, hatte ich vor mehreren Jahren auf dem Schott Dscherid ein grausiges Abenteuer erlebt, bei dessen Erinnerung sich mir noch heute die Haare sträuben wollten. Nichts ist so heimtückisch wie diese Schotts. Sie liegen da so hell und freundlich; ihre eisesähnliche Oberfläche blinkt und winkt so einladend, und doch lauert der verräterischste Tod unter diesem lächelnden Äußern.

Südlich vom Dschebel Aures und der östlichen Fortsetzung dieser Bergesmasse dehnt sich eine leicht gewellte, weite Ebene aus, deren Tiefungen ganz mit Salzablagerungen bedeckt sind. Sie führen als die Überreste von einstigen großen Binnengewässern in Algerien den Namen Schott und in Tunesien den Namen Sebcha und bestehen in der Hauptsache, von West nach Ost aufgezählt, aus den drei großen Schotts Melvir, Rharsa und el Dscherid. Der letztere wird auch el Kebir genannt. Da die Region el Areg ) nahe heranreicht, von welcher aus der feine, leichte Flugsand vor dem Südwinde stetig nach Norden treibt, so sind die Einsenkungen der Schotts zum großen Teile mit tiefen, lockeren Sandmassen angefüllt, und nur in der Mitte des Schotts hat sich eine beträchtliche Wassermenge erhalten. Dieselbe ist von einer Salzkruste bedeckt, unter welcher das hellgrüne Wasser keinen ganzen Meter tief unvermischt bleibt, und dann folgt bis zu einer Tiefe von fünfzig und noch mehr Metern ein mehlartiger, flüssiger Sand, der alles, was durch die salzige Kruste bricht, mit lautloser, teuflischer Sicherheit festhält und begräbt.

Diese Salzkruste bildet nicht etwa, wie das Eis es thun würde, eine gleiche, ebene Fläche, sondern sie zeigt wellenförmige Erhöhungen und Vertiefungen. Sie ist im Durchschnitte vielleicht zwanzig, oft aber auch nur zehn und noch weniger Zentimeter dick und hat eine Farbe, welche dem bläulich schimmernden Spiegel geschmolzenen Bleies gleicht. Bewegt man sich auf ihr, so erwecken die Schritte einen Ton, der dem Klange des Bodens der Solfatara in Neapel gleicht. Der unablässig sich in Bewegung befindende Flugsand gibt den Krustenthälern ein dunkleres Kleid; er wird schwerer und schwerer, bricht endlich durch und läßt hinter sich eine neue, weiße Stelle entstehen. Weht der Smum von Süden her, so kracht und knackt das Salz an allen Ecken und Enden; die Hitze brennt Blasen und reißt Löcher und Risse hinein,

)Sanddünen.

so daß sich das ganze Gefüge verändert. Noch schlimmer aber wirkt die Regenzeit. Die feuchten Niederschläge lösen die Salzdecke an ihren niedrigen Stellen auf; die Kruste sinkt in das Wasser ein, wird aber von dem schwimmenden Salz gehalten; oder aber dieser Sand ist so fein und leicht, daß er nach oben steigt und nun der Stelle das Aussehen der größten Festigkeit verleiht. Darum kann man nur einzelne Stellen dieser Schotts, aber auch nur mit größter Lebensgefahr, betreten. Und dennoch, man sollte es kaum glauben, führen einzelne Wege quer über die heimtückische Salzdecke, und zwar infolge des regen Verkehrs zwischen Tunis und den durch ihren Dattelreichtum berühmten Ländern Suf und Belad el Dscherid. Aber diese Wege sind wenigstens, ich sage wenigstens ebenso gefährlich wie die verräterischen Pfade über einen bodenlosen, lappländischen Sumpf. Sie haben oft eine Breite von kaum einen [einem] Fuß, erleiden ganz unvorhergesehene und nur schwer bemerkbare Veränderungen und erwecken in dem Wanderer das Gefühl, als ob er zur Winterszeit über eine glatt beeiste, viele Stockwerk hohe Dachfirste sich hinzubalancieren habe. Oft sinkt dieser Pfad so tief in das Wasser ein, daß das letztere dem Pferde bis an den Leib reicht; oft auch wird man von einer trügerischen Fata morgana zur Seite und in den sichern Tod gelockt. Gewöhnlich wird so eine Furt durch kleine Steinhaufen bezeichnet, welche der Beduine »Gmaïr« nennt; aber diese Zeichen werden öfters von dem Wasser verschlungen, oder der Wüstensohn gibt ihnen, um eine Rache auszuführen, eine andere Stellung, und wehe dann dem Ahnungslosen, der nur einen einzigen Schritt seitwärts thut — die Sebcha öffnet sich, der Mann verschwindet, der Schwimmsand umklammert ihn mit schweren, nassen Armen, und über ihm schließt sich die breiartige, fest und hart scheinende Kruste, um auf ein ferneres Opfer zu lauern.

Wer sich einem solchen Pfade anvertrauen will, der muß einen ganz und gar sichern, nüchternen und geistesgegenwärtigen Führer haben, sonst ist er unrettbar verloren. Als solche Führer oder Chabirs sind die im Süden des Schotts wohnenden Merasig berühmt. Will eine Gesellschaft oder gar eine Karawane die Sebcha überschreiten, so wird vorher zu Allah um Schutz gefleht. Dann schreitet der Führer voran, jeden Zollbreit genau sondierend, ehe er den Fuß darauf setzt. Dann folgen die Kamele mit ihren Treibern, eines hinter dem andern, vielleicht gar das folgende mit dem Kopfe an den Schwanz des vorhergehenden gebunden. Kommen gefährliche Stellen, so zaudert der Führer, die Kamele und Pferde schnauben ängstlich, aber vorwärts, nur immer vorwärts muß es gehen, keinen Augenblick darf der Fuß auf dem dünnen, wankenden, prasselnden und spritzenden Boden halten bleiben, wenn er nicht versinken will; es ist ein über das Grab, über die Hölle Hinübertaumeln, und wenn das andere Ufer erreicht ist, so atmet alles tief auf, und die Männer wenden ihre Angesichter gen Osten, um ein »Hamdulillah« zu rufen und Gott auf ihren Knieen zu danken, daß er den Rachen des Ungeheuers verschlossen gehalten hat. Zu Anfang dieses Jahrhunderts schritt eine Karawane von über tausend Kamelen und vielen Menschen über den Schott el Kebir; unglücklicherweise waren mehrere Gmaïr versunken; das Leitkamel irrte von dem fußbreiten Pfade ab und verschwand in der Tiefe; ihm folgten alle andern; alle verschwanden in der zähen, breiigen Masse; diese schloß sich über der Karawane, und eine halbe Stunde später hatte sich der Abgrund wieder geschlossen, und die Salzdecke zeigte ganz ihre frühere Gestalt, daß nichts den fürchterlichen Unglücksfall verriet. So sind Hunderte und aber Hunderte in den seifigen Schlund gesunken, und wenn sie nicht mehr zum Duar kamen, so beteten die Ihrigen die Sure des Todes und sagten: »Der Ruhh es Sebcha, der Geist des Schotts, hat sie irre geleitet; sie sind hinunter in den schwimmenden Sand geraten; Allah erlöse sie!«

Denn nach dem Glauben der Umwohner der Schotts wohnt der Ruhh es Sebcha in den Tiefen des Wassers und öffnet die Pforten des Todes, wenn ein Mensch die Sebcha betritt, ohne betend sein Antlitz gen Mekka zu wenden. Wenn ein Ungläubiger oder ein großer Sünder über die gähnende Tiefe hinschreitet, so erhebt sich der Geist des Schotts und läßt über den Salzeffloreszenzen eine schimmernde Stadt oder eine blühende Uah ) erscheinen, und wenn der Getäuschte dann auf das Trugbild zueilen will, sinkt er dem stummen Abu Jahja ✽✽) in die Ar­me. —

An alles dieses mußte ich denken, als wir da oben auf der Höhe des Schahia hielten. Bis zu diesem Punkte hatte der Krumir seinen Weg ganz so genommen, wie es Sar Abduk von ihm gesagt worden war. Sollten seine Worte auch ferner zutreffen, so mußte er sich nach Süden, über den Dra el Haua und Dschebel Tarfaui nach Seddada wenden. Doch schien er einen Grund gefunden zu haben, seine Route zu ändern, denn die Spur sprang nach Südwesten und führte dann endlich gerade nach Westen.

Wir folgten ihr zwischen dem Schahia und Dra el Haua bis gegen die Abenddämmerung, wo sie wieder eine südwestliche Richtung annahm. Wir hatten uns und unsere Tiere wirklich angestrengt, und eine genaue Untersuchung der Fährte ergab, daß der Verfolgte einen Vorsprung von nur noch einer Stunde vor uns hatte. Dies veranlaßte uns, beim Einbruche der Dunkelheit anzuhalten. Wie leicht war er das Nachts zu verfehlen; wie leicht konnte er uns zu früh gewahren und dann für uns verloren sein. Am nächsten Vormittag mußten wir ihn auf jeden Fall erreichen.

Wir sattelten also die Pferde ab, als wir ein Johannesbrotgesträuch erreichten und bereiteten uns in der Nähe desselben mittels der Sättel und Decken ein Lager.

»Er hat mich doch getäuscht,« meinte Sar Abduk. »Er wird nicht über Seddada und Nefta, sondern über die Enge von Asludsch nach Tuggurt gehen.«

»Kennt er auch diesen Weg?« fragte ich.

»Er kennt hier alle Pfade; er ist ja el Chabir. Sogar auf den Sebcha weiß er jeden Gmaïr und jede Untiefe. Ihn kann der Ruhh es Sebcha nicht irre führen; er hat die Wanderer über er Rharsa und auch auf el Toserija und es Snida ✽✽✽) geleitet; ich selbst bin mit ihm über er Rharsa geritten, und nie hat der Fuß seines Pferdes einen Fehltritt gethan.«

»Auch ich bin über den Dscherid geritten. So führen also über die Sebcha Rharsa auch Pfade?«

»An dieser Sebcha gibt es wenig Orte, darum sind auch keine sichern Pfade da. Man reitet am Rande hin, und nur ein kühner Bedawi wagt sich auf das böse Salz.«

»Wie weit ist es von hier bis zur Enge von Asludsch, welche die beiden Schotts Melrir und Rharsa scheidet?«

»Du müßtest von früh bis zum Abend reiten.«

»Und bis zum nächsten Punkte des Rharsa?«

»Den kannst du schon in drei Stunden erreichen.«

»So müssen wir versuchen, ihn von dem Schott abzubringen, sonst wagt er sich auf das Salz, und wir können ihm nicht folgen.«

»Er wird es nicht wagen.«

»Warum nicht?«

»Er hat ein Pferd zu führen, und für zwei Tiere ist der Pfad zu schmal.«

»So meinst du, wenn wir ihn an den Schott treiben, so kann er uns nicht entgehen?«

»Sicher nicht.«

»Er wird das eine Pferd mit dem Mädchen opfern und den Schott allein betreten; dann entkommt er uns mit dem Falben, den er reiten wird.«

)Oase; der Beduine sagt Uah. ✽✽) Engel des Todes. ✽✽✽) Die zwei Hauptpfade über den Schott Dscherid.

»So schießen wir ihn herab.«

Das klang so zuversichtlich, daß ich es selber glaubte.

»Sihdi,« frug Achmed es Sallah, »willst du mir eine Bitte erfüllen?«

»Ja, wenn ich kann. Welche?«

»Du schießest besser, als wir andern alle. Nimm du den Krumir und überlaß mir Mochallah!«

»Gern, wenn es mir möglich ist. Aber wenn es die Not nicht erfordert, werde ich nicht auf ihn schießen. Man soll nicht unnötig Menschenblut vergießen, und es ist besser, wenn wir ihn lebendig in die Hand bekommen.«

»So verwunde ihn. Wir werden dann Gericht über ihn halten.«

Aus solchen und andern Reden war zu ersehen, daß ein jeder überzeugt war, daß morgen unser Ritt eine Ende nehmen werde. Auch der Engländer hegte die gleiche Zuversicht.

»Hm!« meinte er, als ich ihm die Ansicht der übrigen mitteilte, »also morgen geht es zu Ende? Schade!«

»Wieso?«

»Wo nachher ein anderes Abenteuer hernehmen?«

»Wird sich schon finden. Übrigens müssen es ja nicht immer nur Abenteuer sein!«

»Was denn? Reiten kann jeder, essen und trinken auch. Yes! Laßt mir den Kerl, den Krumir! Werde an ihm meine Büchse versuchen.«

»Das lassen wir bleiben, Sir! Es ist wünschenswerter, wir bekommen ihn unverletzt.«

»Aber wie das? Er wird doch nicht so dumm sein und sich ruhig hinstellen, wenn ihr ihn fangen wollt!«

»Hier läßt sich nichts vorher bestimmen, sondern man muß den Verlauf ruhig erwarten.«

»Richtig! Aber — hm! Da fällt mir etwas ein.«

»Was?«

»Ihr habt ja da die alte Lederschnure kennen gelernt, die man den Lasso oder das Lariat nennt. Könnte man sich nicht so ein Ding machen und den Menschen damit fangen?«

»Sir, dieser Gedanke ist nicht übel! Zwar Riemen gibt es nicht, aber feste Schnuren aus Leff ) haben wir genug. Ein Lariat verstehe ich zu führen. Wollen wir eins drehen?«

»Well!«

Eine Viertelstunde später hatte ich ein festes Lariat, und um nun zu sehen, ob ich noch sicher sei, übte ich mich trotz der Dunkelheit an den Zweigen des Johannisbrotes. Es ging. Nun hatte ich allerdings eine Waffe, die es mir möglich machte, den Krumir ganz unverletzt in die Hände zu bekommen.

Auch heute wurde, wie es notwendig war, eine Wache ausgestellt, und dann überließen wir uns dem Schlafe in der frohen Hoffnung, morgen um diese Zeit unsere Aufgabe längst erfüllt zu haben. Da wir zeitig zur Ruhe gegangen waren, so waren wir am andern Morgen bereits vor Tagesanbruch munter, und kaum konnten wir die Fährte mehr ahnen als bereits erkennen, so wurde aufgebrochen.

Wir hatten unsern Weg noch nicht drei Viertelstunden lang verfolgt, so erreichten wir ein kleines Thälchen, welches von Akaziensträuchern bestanden war, und hier hatte der Krumir mit seiner Gefangenen die Nacht zugebracht. Er hatte sich hier so sicher gefühlt, daß er sogar ein Feuer angebrannt hatte. Mochallah war an eine Akazie angebunden worden, wie wir ganz deutlich sehen konnten. Die letzten Eindrücke, welche die beiden Personen und die Pferde hinterlassen hatten, waren so frisch, daß der Krumir kaum eine halbe Wegstunde Vorsprung haben konnte.

Nun ging es mit erneutem Eifer vorwärts. Das Thal stieg eine Anhöhe empor. Als wir den Kamm derselben erreichten, hielten wir alle unwillkürlich unsere Pferde an. Dort, gegen Mittag, blitzte es am fernen Horizonte hell und

)Dattelfaser.

kristallisch auf; das war der Schott Rharsa; der Ruhh es Sebcha lockte uns durch den reichen Schimmer seiner Wohnung, hinabzueilen von der Höhe, auf welcher wir standen. Von der Sebcha aus zog sich ein weites Sandmeer zu uns heran, außer einigen rauhen Koloquinten ganz ohne Vegetation, und dort, dort zu unserer Rechten trabten zwei Pferde, ein Schimmel und ein Falbe; auf dem ersteren saß eine weibliche Gestalt, und auf dem letzteren eine männliche, der Krumir, den wir sofort erkannten.

»Allah ’l Allah!« rief Ali en Nurabi mit lauter, jubelnder Stimme, riß seine Flinte aus dem Sattelriemen und sprengte im Galopp den Abhang hinab.

Diese Unvorsichtigkeit sollte sich sofort rächen. Die Morgenluft trug den Schall bis zum Ohre des Krumir. Er wandte sie um und erblickte uns. Auch er mußte uns erkennen. Nur einen Augenblick zögerte er erschreckend, dann aber flog er mit den beiden Pferden ventre-à-terre davon.

Alle waren dem Scheik der Uëlad Sebira gefolgt; nur Achmed hielt noch neben mir.

»Warum reitest du nicht?« frug ich ihn lächelnd.

»Weil auch du hier halten bleibst, Sihdi,« antwortete er. »Du wirst wissen, was du thust.«

»Ich weiß es allerdings. Siehe, wie die Sebcha einen Bogen nach rechts beschreibt; diesen Bogen werden sie reiten, wir aber machen es uns leichter und halten in gerader Linie auf die Spitze des Bogens zu. So nehmen wir dem Krumir den Vorsprung ab, den er jetzt noch hat. Vorwärts!«

Wir ritten in der soeben beschriebenen Richtung fort, zunächst Trab, dann Galopp, endlich aber in voller Karriere. Die Hamemastute Achmeds war ausgezeichnet; ich strengte meinen Rappen nicht zu sehr an, und so blieben die beiden Pferde stets in gleicher Höhe. Nach und nach wurde der Sand tiefer, doch wir minderten unsere Schnelligkeit nicht. Der Krumir hatte nur acht auf die andern Verfolger; wir waren von ihm noch gar nicht bemerkt worden, obgleich wir ihm gefährlicher werden mußten als jene. Es war vorauszusehen, daß sie ihn nicht erreichen würden; die Milchstute und der Falben waren ihnen überlegen, trotzdem diese beiden braven Tiere so harte Anstrengungen hinter sich hatten.

Da, jetzt wandte er sich einmal nach rechts herüber und erblickte uns. Ich sah, wie er den Kopf voll Trotz in den Nacken warf und seine Pferde zu vergrößerter Schnelligkeit anspornte. Er ritt parallel mit dem Ufer des Schott; er hatte tieferen Sand als wir, und darum war es gar nicht notwendig, meinen Hengst bei dem Geheimnis anzurufen. Er war uns immer voraus, aber da wir die Sehne seines Bogens ritten, so war es gar keine Frage, daß wir ihn erreichen würden.

So verging wohl eine halbe Stunde. Wir näherten uns dem glänzenden Spiegel des Schott immer mehr; die Spitze des Bogens flog förmlich auf uns zu, und die andern hatten wir längst hinter uns gelassen. Jetzt langten wir an dem Busen an, den der Schott in das Land hineinschob, der Krumir hart an demselben, ich in gleicher Höhe, aber vielleicht einen Kilometer von ihm entfernt, Achmed noch immer an meiner Seite. Damit aber veränderte sich das Panorama vor uns. Der Schott trat ganz plötzlich wieder zurück und machte einer breiten Landzunge Platz, die in ihn hineinragte. Der Krumir erhob sich im Sattel, stieß einen lauten Schrei der Freude aus und warf den rechten Arm verächtlich empor. Dann riß er die Pferde plötzlich nach links und sauste den Schott gerade entgegen.

»Allah kerihm,« rief Achmed; »er will auf das Salz!«

Ich antwortete gar nicht, denn jetzt war keine Zeit zu Worten, sondern warf meinen Hengst in dieselbe Richtung und legte ihm die Hand zwischen die Ohren: »Rih! Rih! Rih!!!«

Das Pferd erschrak förmlich bei diesem Tone, den mir die

Angst durch die Kehle trieb. Es schien den Boden gar nicht mehr zu berühren; es hatte an meinem Rufe gehört, daß es jetzt einmal Zeit sei, ein Rih, ein Wind zu sein. Ich ahnte, daß der Krumir hier eine Stelle suche, an welcher ein Pfad über den Schott münde; kam Mochallah auf das Salz, so war sie verloren; ich mußte ihren Entführer also erreichen, noch ehe er am Rande der Sebcha anlangte. Es war, als würde mir die Entfernung entgegengeworfen. So sehr lang sich auch die Landzunge in den Salzsee streckte, sie flog zusehends zurück, aber ich kam dem Verfolgten mit jedem Sprunge meines Pferdes näher: noch zehn, noch acht, noch fünf, vier, drei Pferdelängen; jetzt nur noch eine!

Ich schwang das Lariat in der Rechten; aber den Reiter durfte ich nicht treffen, sonst wäre das kostbare Pferd verloren gewesen, welches seinen rasenden Lauf hinaus auf das Salz fortgesetzt hätte. Ich mußte die Schlinge dem Falben um den Kopf werfen. Jetzt hatte ich den Krumir erreicht.

»Halt!« rief ich.

»Hier, Scheitan!« antwortete er.

Er erhob die Hand mit der Pistole — mein Lariat flog, und auch sein Schuß krachte. Ich hatte mich augenblicklich zurückgebogen und mein Pferd zur Seite gerissen, um die Schlinge sich zusammenziehen zu lassen, und diese Bewegung rettete mir das Leben — die Kugel flog gerade vor mir vorüber. Da mein Schwarzer auf Lasso nicht eingeritten war, durfte ich ihn nicht plötzlich zum Stehen bringen, sonst wäre er umgerissen worden; ich zügelte vielmehr nur seinen Lauf; die Schlinge saß, der Falbe stieg empor und stürzte nieder.

Der Krumir hatte wohl noch nie ein Lariat gesehen; es entging ihm daher auch die Geistesgegenwart, mir durch einen Schnitt seines Messers zuvorzukommen, aber so gewandt war er doch, während des Sturzes sich aus dem Sattel zu werfen. Er erreichte unbeschädigt den Boden, und da er die Milchstute beim Zügel führte, wurde er von derselben eine Strecke mit fortgerissen; da aber stand sie; er sprang hinter Mochallah auf und jagte weiter.

Das alles geschah fast so schnell als man es denkt, und ich konnte es nicht hindern, weil ich das eine Ende des Lariat an meinem Sattelknopfe befestigt hatte und also mit dem gestürzten Falben zusammenhing. Ehe ich meinen Hengst wieder sicher hatte und das Messer zog, um das Lariat zu durchschneiden, saß der Krumir bereits auf der Stute. Einige Sekunden später schoß er auf die unter den Hufen seines Pferdes hell erklingende Salzdecke des Schott hinaus, ich hinter ihm her. Ich dachte nicht an die Gefahren dieses Wagnisses, ich dachte nur an den, der vor mir pfeilschnell über die spiegelnde Fläche schoß — der Ruhh es Sebcha hatte mir gewinkt. Mir allein? Ich hörte hinter mir Hufschlag und blickte mich um. Herrgott, auch Achmed war auf dem Salze; seine Stute schoß hinter mir her! Der kurze Aufenthalt mit dem gestürzten Falben hatte es ihm ermöglicht, uns einzuholen.

»Kehre um!« rief, — nein, schrie, — nein, brüllte ich.

»Allah akbar — — Sihdi, ich verlasse dich nicht!« hörte ich ihn antworten.

Ich konnte mich nicht weiter um ihn bekümmern; ich hatte genug mit mir zu thun. Bis jetzt war die Salzdecke fest und von gleicher Stärke gewesen, nun aber sah ich eine Reihe von Gmaïrs auftauchen, ein untrügliches Zeichen, daß die Gefahr beginnt. Die bisher ebene Decke begann sich wellenförmig zu heben und zu senken; die Höhen leuchteten metallisch, und in den Tiefen lag der tückische Flugsand — und über diese Höhen und über diese Tiefen sausten wir dahin. Der Boden erdröhnte, erzitterte, wankte, kreischte, knirschte und prasselte unter uns; er gab nicht mehr jenen vollen Ton, der so beruhigend klingt, sondern es war ein eigentümlich wimmernder, pfeifender Klang, bei dem einen [einem] die Zähne »eilig« werden konnten. Und darauf wurde es

noch schlimmer. Die Wellenthäler bekamen ein schwammiges Aussehen, fast wie geschmolzener Schnee; sie standen oft unter Wasser, welches über unsere Köpfe emporspritzte; ganze große Flächen wankten, schaukelten und kochten unter den dahinrasenden Hufen unserer Pferde; der Tod flog mit uns, vor, neben und unter uns. Ich verwandte kein Auge von Saadis el Chabir, den wir fangen wollten, und der doch unser Führer, unser einziger Chabir war, der uns retten konnte. Wo er sein Pferd emporgerissen hatte, that ich ganz dasselbe; ich ahmte eine jede seiner Bewegungen nach und ließ meinen Rappen genau da auftreten, wo seine Stute aufgetreten war. Und so auch that Achmed hinter mir. Es war der schrecklichste Ritt meines Lebens. Ich befand mich mehr im Träume wie im Wachen; meine Pulse klopften, und meine Schläfen brannten; es war, als hätte mich das Fieber gepackt, als hetze ich mit dem wilden Jäger über haltlose, in einander kumulierende Wolkenballen dahin. Und längst waren ringsum die Ufer verschwunden; wir befanden uns inmitten eines grenzenlosen Verderbens, und jeder Schritt brachte mir die Überzeugung, daß wir unbedingt versinken würden, wenn die rapide Schnelligkeit unserer Pferde nur im geringsten nachließe. Die Salzdecke war stellenweise so dünn, so widerstandslos, daß sie den darüber fliehenden Huf nur einen einzigen Augenblick, nicht aber zwei Augenblicke lang zu tragen vermochte. Ich hatte keine Zeit, nach der Uhr zu sehen; wir mochten wohl zwanzig Minuten lang dahingeflogen sein; sie waren mir aber wie zwanzig Ewigkeiten.

Da sah ich, daß die Milchstute müde wurde. Sie hatte eine doppelte Last zu tragen. Auch der Krumir fühlte es. Er beschloß, sie zu erleichtern, aber auf eine Art, die mir die Haare in die Höhe trieb. Seine Gestalt hatte mir bisher Mochallah verdeckt; jetzt sah ich, daß er, während er mit der Linken das Pferd lenkte, mit der Rechten die Fesseln löste, welche das Mädchen auf dem Tiere hielten. Dann hörte ich einen Schrei, eine gräßlichen Schrei voll Todesangst. Er hatte Mochallah aus dem Sattel gerissen und wollte sie vom Pferde schleudern; sie aber klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an ihn, sie hing mit ihren Armen an seinem rechten Oberschenkel und wurde mit fortgeschleift. Da erhob er die Faust und schlug sie dem Mädchen auf den Kopf. Ihre Hände lösten sich von ihm; sie stürzte herab, nicht auf, sondern neben den schmalen Pfad; ihre Füße fanden keinen Halt, das flüssige Salz gab nach, sie sank — nein, denn in diesem Momente schoß mein Pferd an ihr vorüber, ich bog mich tief herab und — erfaßte sie mit der Rechten am Oberarm. Ich hielt fest, und die Schnelligkeit des Rittes unterstützte die Kraft meines Armes; die leichte Gestalt des Mädchens beschrieb einen weiten Bogen durch die Luft und fiel quer über meinen Sattel nieder.

Das war das Werk nur zweier Augenblicke gewesen. Hinter mir erscholl ein lauter, jubelnder Ruf; Achmed es Sallah hatte ihn ausgestoßen. Der Schimmel war erleichtert, und mein Rappe schien nichts von der vermehrten Last zu empfinden; die Jagd auf Leben und Tod ging weiter; aber wie lange noch war dies auszuhalten?

Kein Zeichen, kein Steinhäufchen war zu sehen; nichts als wogende Salzfelder, kochender Sandschaum, spritzendes Wasser und fliegender Gischt! Da, da endlich bemerkte ich weit vor uns einen dunklen Streifen; aber so entfernt er auch war, er kam bei unserer Schnelligkeit rasch näher. Gott sei Dank! Der Krumir hatte einen Weg eingeschlagen, der nur einen Teil der Sebcha abschnitt. Hätte er quer über den hier gegen dreißig Kilometer breiten Schott setzen wollen, so wären wir verloren gewesen. Eine Minute und noch eine verging; der Streifen war ganz nahe; noch wankte, schäumte und schwirrte der Boden unter uns — jetzt aber gab er einen harten, sichern Ton, und wir flogen über eine feste Kruste dem sichern Erdboden zu.

»Allah ’l Allah!« rief der Krumir.

»Hussah, spring mit, Achmed!« schrie ich.

Mein Rappe flog wie ein Vogel über den breiten, tief sumpfigen Rand hinweg, welcher die Salzkruste vom festen Boden trennte, und gleich hinter mir landete auch Achmed glücklich. Unsere Pferde schossen noch einige Längen vorwärts, ehe sie zum Stehen kamen, und dann — — wo war der Krumir? Die Milchstute stak mit dem Hinterleibe im Sumpfe, und mehrere Schritte vor ihr lag sein Körper regungslos im Sande.

Wir stiegen ab und halfen zunächst dem Pferde heraus; dann traten wir zu dem Reiter. Die ermüdete Stute war zu kurz gesprungen, und der aus dem Sattel geschleuderte Krumir hatte, mit dem Kopfe zuerst aufschlagend, das Hals gebrochen.

»Gott sei seiner Seele gnädig!« seufzte ich tief aufatmend.

»Allah jenahrl el barrahsch — Gott verdamme den Aussätzigen!« fügte Achmed hinzu und trat dann schleunigst zu Mochallah, welche ich auf den Sand gelegt hatte. »Sihdi, sie ist tot!« rief er erschrocken.

Ich untersuchte sie.

»Sie lebt; sie ist bloß ohnmächtig,« erklärte ich ihm.

Da nahm er sie in seine Arme und küßte sie auf Augen, Mund und Wangen, bis sie wieder erwachte. Unterdessen bekümmerte ich mich um die Pferde, welche mit schlagenden Flanken und weit geöffneten Nüstern daneben standen. Wir durften sie so nicht stehen lassen. Ich rieb sie kräftig ab und wandte mich dann wieder zu Achmed. Dem guten Kerl standen dicke Thränen im Auge; er wollte mich Mochallah sprechen, aber er erhielt keine Antwort. Sie hing wortlos an seinem Halse, und was wir hörten, waren nur unartikulierte Töne.

»Schone sie, Achmed es Sallah!« bat ich. »Sie hat zu viel gelitten, und die letzte halbe Stunde war fürchterlicher, als ein Weib ohne schwere Folgen ertragen kann.«

»Ja, Sihdi, sie war entsetzlich! O, was ist el Areth, und was ist Abu ’l Afrid gegen diese Sebcha! Der Ruhh es Sebcha hat uns entkommen lassen, weil wir keine Sünder sind, aber den Krumir hat er doch zuletzt noch festgehalten. Möge seine Seele in der Dschehennah wohnen bei den Teufeln, die am schlimmsten sind! Ich werde diesen Ritt niemals vergessen!«

»Ich auch nicht, darauf kannst du dich verlassen. Mir ist, als sei ich von tausend Minarehs gestürzt, ohne ein einziges Mal Schaden zu nehmen.«

»Und, Sihdi, ich danke dir, daß du Mochallah, die Perle der Töchter, errettet hast, als sie der Krumir in den Abgrund schleudern wollte!«

»Sprich jetzt nicht davon! Auch wir beide sind noch zu angegriffen; es muß eine Zeit vergehen, bis wir zur Ruhe gekommen sind. Hilf mir, den Krumir auf die Stute binden; dann nimmst du Mochallah zu dir auf das Pferd, und wir wollen sehen, ob wir unsere Leute finden.«

»Kennst du die Richtung, in welcher wir sie suchen müssen, Sihdi?«

»Ja. Unser Ritt ist nach Südwest gegangen; wir müssen also nach Nordost zurück.«

In kurzer Zeit befanden wir uns auf dem Rückwege. Ich trabte voran, die Milchstute am Zügel führend, und hinter mir folgte der glückliche Achmed es Sallah, aus seinem Wortschatz die süßesten Ausdrücke suchend, um seiner »Perle der Töchter« zu zeigen, wie unendlich selig er sich füh­le. — —

Es war kurz nach der Mittagszeit, als wir den einen Teil jener Landzunge erreichten, von welcher aus unter fürchterlicher Ritt begonnen hatte. Als wir um die letzte Ecke bogen, waren wir noch immer nicht bemerkt, denn alle die Unsrigen saßen am Ufer und verwandten kein Auge von der weiten, glitzernden Fläche, auf welcher wir am Morgen verschwunden waren. Da schoß ich einen Lauf meiner Büchse ab; sie alle fuhren empor, und als sie uns erblickten, erscholl ein einziges, unbeschreibliches Jubelgeschrei. Bald waren wir umringt und mit tausend Fragen bestürmt. Nur einer stand abseits, die wiedergefundene Tochter in den Armen und betrachtete mit leuchtenden Augen seine Stute — Ali en Nurabi.

»Hamdulillah, ich habe beide wieder!« rief er endlich. »Achmed es Sallah, du hast dein Wort gehalten, so gedenke ich auch an das meinige: Mochallah, die Tochter meines Herzens, sei dein. Nun aber erzählt, wie Allah euch geleitet hat und wer die Seele dieses Räubers genommen hat, an dem man keine Wunde sieht!«

»Laß mich erzählen, Sihdi!« bat Achmed.

»Thue es!« antwortete ich.

Ich gönnte dem braven, treuen Mann diese Genugthuung, welche ja doch der geringste Lohn war für das, was er gewagt hatte. Unterdessen saß ich bei dem Engländer, um diesem in seiner Muttersprache von unserm Ritte zu berichten. Er zog die ewigen Beine an sich und legte die unendlichen Arme um die Kniee, während er mir mit größter Spannung zuhörte. Als ich geendet hatte, holte er tief Atem und gestand aufrichtig: »Wißt Ihr, Sir, daß ich mir gern ein Abenteuer wünsche! Aber ein solches denn doch nicht. Man hat am liebsten ein wenig feste Erde unter den Hufen, wenn man spazieren geht. Yes! Aber dieser Achmed ist ein ganz verteufelter Kerl; reitet Euch da auf dem alten Teiche nach! Nun hat er endlich doch seine Mochallah — Verlobung, Hochzeit, Ausstattung. Wißt Ihr, was ich ihm versprochen habe?«

»Ja.«

»Nun?«

»Fünfzig Pfund.«

»Und diese soll er auch haben, denn er hat sie redlich verdient. Well!«

Eine Stunde später standen wir alle auf der festen Salzkruste des Schott, in welche wir ein Loch gebrochen hatten.

»So nehmt denn seinen Leib, ihr Männer,« sagte Omar Altantawi mit ernster Stimme, »und werft ihn in den Abgrund des fliegenden Sandes, wohin er schicken wollte das Kind unsers Bruders. Der Ruhh es Sebcha soll haben seine Gebeine bis zum Tage der Auferstehung; seine Seele aber sehe zu, ob sie kommt über die Brücke, die zum Paradiese führt. Er hat seinen Schwur gebrochen und Gott und den Propheten gelästert; das ist die schwerste aller Sünden. Allah illa Allah, we Mohammed Rassuhl Allah!«